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Materielle Grundlagen der Diplomatie

Schenken, Sammeln und Verhandeln in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

1205
2012
978-3-8649-6300-1
978-3-8676-4364-1
UVK Verlag 
Prof. Dr. Mark Häberlein
Christof Jeggle

Die Beiträge dieses Sammelbandes untersuchen das Verhältnis von Diplomatie und Wirtschaft im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie analysieren die Funktionen und Praktiken des Transfers materieller Güter bei der Etablierung und Pflege diplomatischer Beziehungen und zeigen die Intentionen, Kontexte und Folgen des Transfers wertvoller Objekte auf. Ferner werfen sie Schlaglichter auf die Akteure, die materielle Austauschbeziehungen im Kontext der vormodernen Diplomatie gestalteten. Ein weiteres Augenmerk liegt auf der Materialität, künstlerischen Gestaltung und Symbolik der Objekte, die getauscht wurden. Das Spektrum der Beiträge reicht von deutschen Reichsstädten und europäischen Fürstenhöfen bis zur indianischen Diplomatie im kolonialen Nordamerika.

IRSEER SCHRIFTEN Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte N.F. Band 9 Herausgegeben von Markwart Herzog und Sylvia Heudecker Schwabenakademie Irsee Mark Häberlein, Christof Jeggle (Hg.) Materielle Grundlagen der Diplomatie Schenken, Sammeln und Verhandeln in Spätmittelalter und Früher Neuzeit UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz und München Gedruckt mit freundlicher Förderung der Einbandmotiv: Kupferstich von Charles Le Brun, Ludwig XIV. empfängt in Versailles den Botschafter von Siam, 1. September 1686. Paris, Louvre. Collection Rothschild. Foto: © bpk - Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1619-3113 ISBN 978-3-86496-300-1 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2013 Satz: Textwerkstatt Werner Veith & Ines Mergenhagen, München Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Druck: Bookstation GmbH, Anzing UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de Inhalt Mark Häberlein / Christof Jeggle Einleitung............................................................................................................11 I. Praktiken und Funktionen Ulf Christian Ewert / Jan Hirschbiegel Mehr als nur der schöne Schein. Zu einer Theorie der Funktion von Luxusgegenständen im zwischenhöfischen Gabentausch des späten Mittelalters .............................................................................................33 1. Luxusgegenstände als diplomatische Geschenke: ein literarisches Zeugnis ..........33 2. Besaßen Luxusgüter eine diplomatische Funktionalität? Fragen der Untersuchung ..................................................................................36 3. Französisch-englischer Gabentausch um 1400: Die empirische Grundlage .......39 4. Zur theoretischen Analyse des diplomatischen Geschenkverkehrs: Ein spieltheoretisches Modell ............................................................................46 5. Repräsentation, Anreizsetzung und Beziehungsstabilisierung: Ergebnisse der Analyse ........................................................................................................50 6. War es unabdingbar, Luxusgegenstände zu verschenken? Zusammenfassung und Ausblick .......................................................................57 Inhalt 6 Michael Jucker Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen. Die ökonomische Zirkulation und Distribution von Beutestücken und Luxusgegenständen (13.-16. Jahrhundert) ..........................................59 1. Raubgüter und Diplomatie in Geschichte und Gegenwart.................................59 2. Weltliche und kirchliche Schätze: Die Beute von Grandson ..............................61 3. Der Umgang mit Beutestücken .........................................................................62 4. Wirtschaftlichkeit, Symbolik und Recht ............................................................64 5. Der Schatz des Burgunderherzogs......................................................................69 6. Zusammenfassung.............................................................................................75 Harriet Rudolph Fürstliche Gaben? Schenkakte als Elemente der politischen Kultur im Alten Reich....................................................................................................79 1. Der Herrschereinzug als spezifische Handlungssituation....................................81 2. Die Reichsstadt als Akteur .................................................................................84 3. Reichsfürst und Kaiser.......................................................................................95 4. Zusammenfassung ...........................................................................................101 Evelyn Korsch Geschenke im Kontext von Diplomatie und symbolischer Kommunikation. Der Besuch Heinrichs III. in Venedig 1574....................103 1. Die Reise Heinrichs III. durch Italien..............................................................104 2. Die Hintergründe des Staatsbesuchs ................................................................106 3. Geschenke der Republik Venedig an Heinrich III............................................108 4. Geschenke im Namen des Königs....................................................................110 5. Symbolik und Problematik der königlichen Gastgeschenke .............................113 6. Gaben durch den französischen Botschafter.....................................................116 7. Schluss ............................................................................................................119 Inhalt 7 II. Akteure Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons Ein Hofnarr als Agent. Zum diplomatischen Geschenkwesen am Hof Philipps II.........................123 Corinne Thépaut-Cabasset Diplomatische Agenten und der europäische Luxuswarenhandel im späten 17. Jahrhundert .............................................................................157 1. Einführung......................................................................................................157 2. Kleiderlisten: Die zur Ausfuhr der Luxusgüter erforderlichen Dokumente .......160 3. Sicheres Geleit und Zollfreiheit als königliche Gunst: Die Kontrolle der Waren.................................................................................162 4. Versand und Transport der Güter ...................................................................164 5. Die saisonalen Neuheiten: Der Rhythmus der Sendungen ...............................165 6. Die Rolle des Gesandten .................................................................................166 7. Auswahl und Auftragsvergabe ..........................................................................169 8. Lieferanten und Rechnungsführung ................................................................170 9. Schluss ............................................................................................................173 Martin Pozsgai Die Gesandten am französischen Hof als Kunstagenten. Daniel Cronström aus Schweden und Ernst Ludwig Carl aus Brandenburg-Ansbach ...................................................................................175 1. Einleitung .......................................................................................................175 2. Schweden ........................................................................................................177 3. Brandenburg-Ansbach .....................................................................................188 4. Zusammenfassung ...........................................................................................192 Inhalt 8 Ut Christina Koch Gesandte für die Kunst - Die Bedeutung von Gesandten für die Brühlschen Sammlungen...............................................................................193 1. Die Rolle von Gesandten beim Aufbau der Brühlschen Sammlungen ..............195 2. Vermittlung durch Gesandte - Der Verkauf der Gemäldesammlung ...............197 3. Der Verkauf weiterer Sammlungen..................................................................202 4. Zusammenfassung ...........................................................................................204 III. Objekte Johanna Beate Lohff Bilder auf Stein als Diplomatengeschenke und ihre Verbreitung in Europa durch den diplomatischen Verkehr.............................................209 1. Antonio Tempestas Perlenfischer auf Lapislazuli als Geschenk von Pier Vincenzo Strozzi an Cosimo II. de’ Medici...............................................210 2. Steinmalereien als diplomatische Geschenke in Europa ...................................215 3. Eine Anbetung der Hirten für Philipp IV. von Spanien ...................................220 4. Schlussbemerkung ...........................................................................................225 Magdalena Bayreuther Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit...............................................227 1. Einführung: Repräsentative Pferdehaltung in der frühen Neuzeit ....................227 2. Die Exklusivität der „Ware“ Pferd ...................................................................229 3. Das Pferd in der frühneuzeitlichen Diplomatie................................................234 4. Schluss ............................................................................................................255 Inhalt 9 Ulrike Kirchberger Der Tausch von Objekten in der indianisch-europäischen Diplomatie in Nordamerika im 18. Jahrhundert ..............................................................257 1. Die indianische Tradition des Gabentausches ..................................................258 2. Das Problem der Adaption durch die Europäer ...............................................260 3. Die britische Geschenkpolitik im Siebenjährigen Krieg ...................................270 4. Resümee..........................................................................................................275 Register ............................................................................................................277 Personen .............................................................................................................277 Geographische Namen ........................................................................................285 Sachregister .........................................................................................................289 Autorenverzeichnis .........................................................................................293 Einleitung Mark Häberlein / Christof Jeggle 1. Zur Verortung des Themas Mit der Herausbildung der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung im Historismus des 19. Jahrhunderts wurde die Geschichte der internationalen Beziehungen zu einer Königsdisziplin des Faches erhoben. Ausgehend von einer individualisierenden und auf die Geschichte des Nationalstaats fokussierenden Geschichtsauffassung hielt sich der Nestor der deutschen Geschichtswissenschaft, Leopold von Ranke, bewusst „an die großen Begebenheiten, an den Fortgang der auswärtigen Verhältnisse; der Aufschluss für die innern, mit denen sie in der mannigfaltigsten Wirkung und Rückwirkung stehen, wird in ihnen großenteils zu finden sein.“ Das Bekenntnis zum „Primat der Außenpolitik“ prägte insbesondere die deutsche Geschichtswissenschaft bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, und die Historiographie der internationalen Beziehungen wurde primär als Geschichte bedeutender politischer Entscheidungsträger, ihrer Reflexionen, Handlungen und wechselseitigen Beziehungen betrieben. 1 Als sich die Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert etablierte, positionierte sie sich einerseits als Gegenpol zur klassischen Politikgeschichte; andererseits waren frühe Pionierarbeiten zur vorindustriellen Wirtschaftsgeschichte wie Richard Ehrenbergs „Zeitalter der Fugger“ (1896) ebenfalls auf „große Individuen“ fokussiert und versuchten ihr Thema gleichsam dadurch zu adeln, dass sie die Abhängigkeit europäischer Fürsten vom Kapital der großen Kaufmannsbankiers aufzeigten. 2 Heute wird Diplomatiegeschichte indessen nur noch von wenigen Vertretern des Fachs primär als Geschichte von Individuen und großen Mächten verstanden. Vielmehr liegt der Geschichte der internationalen Beziehungen im Regelfall ein weiteres Verständnis zugrunde, das Wechselwirkungen zwischen Innen- und Außenpolitik, ideologische Prägungen, personale Verflechtungen, materielle Ressourcen, kulturelle Differenzen und Transferprozesse sowie Wahrnehmungen des Ande- 1 A NDREAS W IRSCHING , Internationale Beziehungen, in: Kompass der Geschichtswissenschaft, J OACHIM E IBACH / G ÜNTHER L OTTES (Hrsg.), Göttingen 2002, 112-125, hier 112f. 2 R ICHARD E HRENBERG , Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Creditverkehr im 16. Jahrhundert, 2 Bde., Jena 1896. Ein stark individualisierender Ansatz liegt auch den Arbeiten von Götz Freiherr von Pölnitz zur Fuggergeschichte zugrunde; vgl. G ÖTZ F REIHERR VON P ÖLNITZ , Jakob Fugger. Kaiser, Kirche und Kapital im Zeitalter der Renaissance, 2 Bde., Tübingen 1949/ 51; D ERS ., Anton Fugger, 5 Bde., Tübingen 1958-1986. Mark Häberlein / Christof Jeggle 12 ren systematisch mit einbezieht. 3 Für das Mittelalter und die frühe Neuzeit ist dabei die Einsicht grundlegend, dass die Spielregeln von Politik und Diplomatie keine Konstanten waren, sondern sich im Zuge machtpolitischer Verschiebungen und des „Wachstums der Staatsgewalt“ (Wolfgang Reinhard) veränderten. Zentrale Elemente der modernen Diplomatie wie ein ständiges Gesandtschaftswesen wurden erst zu Beginn der Neuzeit aufgebaut, und das System einer Pluralität von souveränen Staaten, die einander als prinzipiell gleichrangig anerkannten, über ein professionelles diplomatisches Korps verfügten und auf Kongressen nach bestimmten Regeln über Krieg und Frieden verhandelten, bildete sich in einem langwierigen Prozess zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert heraus. 4 Vor diesem Hintergrund sind Fragen des Verhältnisses von Diplomatie und Wirtschaft in mehrfacher Hinsicht von besonderem Interesse. Zum einen stellen sich Fragen nach den Praktiken des Transfers materieller Güter bei der Etablierung und Pflege diplomatischer Bezie- 3 Für aktuelle Ansätze im Bereich der Spätmittelalter- und Frühneuzeitforschung vgl. die folgenden Aufsätze und Sammelbände: P ETER B URSCHEL , Das Eigene und das Fremde. Zur anthropologischen Entzifferung diplomatischer Texte, in: Kurie und Politik. Stand und Perspektiven der Nuntiaturberichtsforschung, A LEXANDER K OLLER (Hrsg.), Tübingen 1998, 260-271; Politics and Diplomacy in Early Modern Italy: The Structure of Diplomatic Practice (1450-1800), D ANIELA F RIGO (Hrsg.), Cambridge u. a. 2000; H EIKO D ROSTE , Unternehmer in Sachen Kultur. Die Diplomaten Schwedens im 17. Jahrhundert, in: Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen. Kulturtransfer in Europa 1500-1850, T HOMAS F UCHS / S VEN T RAKULHUN (Hrsg.), Berlin 2003, 205-226; S VEN E XTERNBRINK , Internationale Beziehungen und Kulturtransfer in der Frühen Neuzeit, in: ebd., 227-248; C HRISTIAN W IND- LER , Städte am Hof. Burgundische Deputierte und Agenten in Madrid und Versailles (16.- 18. Jahrhundert), in: Zeitschrift für Historische Forschung 30 (2003), 207-250; D ERS ., Diplomatie als Erfahrung fremder politischer Kulturen. Gesandte von Monarchen in den eidgenössischen Orten (16. und 17. Jahrhundert), in: Geschichte und Gesellschaft 32 (2006), 5-44; Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, F RIEDRICH B EIDERBECK / G REGOR H ORSTKEMPER / W INFRIED S CHULZE (Hrsg.), Wien / München 2003; Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit, C HRISTIAN W INDLER / H ILLARD VON T HIESSEN (Hrsg.), Berlin 2005; Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert, M ICHAEL R OHRSCHNEIDER / A RNO S TROHMEYER (Hrsg.), Münster 2007; Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, S ONJA D ÜNNEBEIL / C HRISTINE O TTNER unter Mitarbeit von A NNA -K ATRIN K UNDE (Hrsg.), Köln u.a. 2007; Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum15. Jahrhundert, C LAUDIA Z EY / C LAUDIA M ÄRTL (Hrsg.), Zürich 2008; Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, C HRISTIAN W INDLER / H ILLARD VON T HIESSEN (Hrsg.), Köln / Weimar / Wien 2010; Spezialisierung und Professionalisierung. Träger und Foren städtischer Außenpolitik während des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, C HRISTI- AN J ÖRG / M ICHAEL J UCKER (Hrsg.), Wiesbaden 2010. 4 W OLFGANG R EINHARD , Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, 370-377. Ausführlich M ATTHEW S. A NDERSON , The Rise of Modern Diplomacy, 1450-1919, London 1993. Einleitung 13 hungen: Mit welchen Intentionen und Zielsetzungen wurden die übermittelten Objekte verbunden? In welchen Kontexten erfolgten die Transfers, und was bewirkten sie? Ein zweiter Fragenkomplex betrifft die Akteure des materiellen Austauschs: Welche Personengruppen waren daran beteiligt? Welche von ökonomischen Interessen motivierten Aufgaben nahmen Gesandte, welche diplomatischen Aufgaben umgekehrt Kaufleute wahr? Drittens schließlich sind die Objekte selbst hinsichtlich ihrer Materialität und Symbolik zu betrachten. Welche Güter wurden getauscht? Welche Bedeutung hatten dabei ihr materieller Wert, ihre künstlerische Gestaltung und ihre symbolische Aussagekraft? Die meisten Beiträge dieses Bandes gehen auf alle drei Fragenkomplexe ein. Sie setzen dabei unterschiedliche Akzente und rücken jeweils einen Aspekt in den Mittelpunkt. Daher wurden sie von den Herausgebern einem der drei genannten Themenkomplexe zugeordnet und werden im Folgenden im jeweiligen Forschungskontext vorgestellt. 2. Praktiken und Funktionen Der Austausch materieller Objekte in Form von Geschenken stellte ein wesentliches Element der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Diplomatie dar. Von Gesandten wurde grundsätzlich erwartet, dass sie Präsente überbrachten; diplomatische Geschenke sind Peter Schreiner zufolge demnach „keine freiwillige Leistung, die auch unterbleiben kann, sondern eine Verpflichtung.“ 5 Die Übermittlung von Geschenken bildete ein zentrales Medium der Beziehungspflege und der Förderung des Zusammenhalts innerhalb einer Dynastie bzw. zwischen Herrscherhäusern und Regierungen. Der Akt der Geschenkübergabe war in der Regel in ein elaboriertes Zeremoniell eingebunden, und der Wert der überreichten Gaben stellte ebenso wie die zeremonielle Behandlung des Schenkenden einen Indikator für den jeweiligen Rang der Beteiligten und für die Qualität der diplomatischen Beziehung dar. Diplomatische Geschenke kommunizierten subtile politische Botschaften, sie repräsentierten den Schenkenden und sein Land - besonders augenfällig ist diese „Stellvertreterfunktion“ im Falle verschenkter Porträts - und erfüllten durch den Platz, den sie in den Prunkräumen, Schatzkammern oder Sammlungen der Beschenkten einnahmen, auch wichtige mnemonische Funktionen. 6 Die intensive schriftliche Do- 5 P ETER S CHREINER , Diplomatische Geschenke zwischen Byzanz und dem Westen ca. 800- 1200. Eine Analyse der Texte mit Quellenanhang, in: Dumbarton Oaks Papers 58 (2004), 251-282, hier 255. 6 Vgl. G USTAV U NGERER , Juan Pantoja de la Cruz and the Circulation of Gifts between the English and Spanish Courts in 1604/ 5, in: Sederi 9 (1998), 59-78, bes. 61f.; The Diplomacy of Art. Artistic Creation and Politics in Seicento Italy. Papers from a Colloquium held at the Villa Spelman, Florence, 1998, E LIZABETH C ROPPER (Hrsg.), Mailand 2000; Mark Häberlein / Christof Jeggle 14 kumentation des Austauschs materieller Gaben in den Schenkbüchern und Geschenkverzeichnissen spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Städte und Fürsten, welche sich in zahlreichen europäischen Archiven erhalten haben, zeugt von der großen Bedeutung, die den materiellen Gaben von den Zeitgenossen beigemessen wurde. 7 In einer Zeit, in der sich die globale Dimension der Interaktionen verstetigte und verdichtete, war das Interesse europäischer Fürsten an seltenen und kostbaren Gütern auch ein wesentlicher Grund für die Anknüpfung neuer bzw. die Aufrechterhaltung etablierter interkultureller Beziehungen. So rissen etwa die diplomatischen Kontakte italienischer Staaten zum Osmanischen Reich trotz aller machtpolitischen und ideologischen Gegensätze nicht ab. Venezianische Gesandte tauschten nach dem Fall Konstantinopels 1453 weiterhin chinesisches Porzellan und „Ehrenroben“ aus gold- und silberdurchwirktem Brokat gegen kostbare Stoffe wie Samt, Damast und Atlas sowie Bücher ein, und Francesco Gonzaga, der Markgraf von Mantua, knüpfte in den 1490er Jahren Beziehungen zum Sultan an, um in den Besitz edler Zuchtpferde zu gelangen. Die Entsendung des Agenten Alexis Becagut mit reichen Geschenken im Jahre 1492 diente ebenso diesem Zweck wie die Gesandtschaft Marcello Anconitanos 1525/ 26, den Francesco Gonzagas Sohn Federigo II. nach Konstantinopel geschickt hatte. 8 Die wichtigen Funktionen, die dem Austausch kostbarer materieller Gaben im diplomatischen Kontext zugeschrieben wurden, wurden bereits in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fürstenspiegeln und Regierungslehren ausführlich reflektiert. So beschrieb etwa Julius Bernhard von Rohr die „Freygebigkeit“ des Monarchen in A LMUDENA P ÉREZ DE T UDELA / A NNEMARIE J ORDAN G SCHWEND , Luxury Goods for Royal Collectors: Exotica, Princely Gifts and Rare Animals Exchanged between the Iberian Courts and Central Europe in the Renaissance (1560-1612), in: Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums Wien 3 (2001), 1-127, hier bes. 5f.; J EANNETTE F ALCKE , Studien zum diplomatischen Geschenkwesen am brandenburgisch-preußischen Hof im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2006, passim; E VELYN K ORSCH , Diplomatic Gifts on Henri III’s Visit to Venice in 1574, in: Studies in the Decorative Arts 15, 1 (2007/ 08), 83-113; C ORDULA B ISCHOFF , Complicated Exchanges: The Handling of Authorised and Unauthorised Gifts, in: The Court Historian 12, 2 (2009), 133-148; M ICHAEL Y ONAN , Portable Dynasties: Imperial Gift-Giving at the Court of Vienna in the Eighteenth Century, in: ebd., 177-188; Mit Fortuna übers Meer. Sachsen und Dänemark - Ehen und Allianzen im Spiegel der Kunst (1548-1709), J UTTA K APPEL / C LAUDIA B RINK (Hrsg.), Berlin / München 2009, passim. 7 Vgl. zum Beispiel V ALENTIN G ROEBNER , Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit, Konstanz 2000, 37-49; C ORINNE T HÉPAUT -C ABASSET , Présents du Roi: An Archive at the Ministry of Foreign Affairs in Paris, in: Studies in the Decorative Arts 15, 1 (2007/ 08), 4-18. 8 L ISA J ARDINE , Worldly Goods: A New History of the Renaissance, London 1996, 56f., 74- 76, 309-311. Einleitung 15 einem 1718 erschienenen Werk über die „Staats-Klugheit“ als effektives Mittel der Beziehungspflege im zwischenstaatlichen Verkehr: Es muß ein kluger Potentat nicht unterlassen, seinen Gesandten zulängliche Mittel zu reichen, wodurch sie im Stande sind, ihnen in den Ländern, wo er einiges Interesse in Acht zu nehmen hat, durch Beschenckungen und Pensiones gute Freunde unter denenjenigen zu verschaffen, die allda in guten Ansehen stehen. Wenn diese Ausgaben wohl angewendet werden, so bringen sie dem Fürsten, der solche hergiebt, mit reichen Wucher Nutzen, und räumen die meisten Schwürigkeiten aus dem Wege, die dessen Ansehen zu wieder sind. Hingegen aber, wenn er dieses Mittel nicht ergreift, so kommen seine Abgesandten in ihren Staats-Handlungen übel fort, er bekommt zu dem wenig Alliierten und stehet in Gefahr die alten zu verlieren. 9 Bezugspunkt vieler kulturhistorischer Studien zu Geschenken und Schenkpraktiken ist die Arbeit über den Gabentausch, der „Essai sur le don“, des französischen Anthropologen Marcel Mauss aus den 1920er Jahren. 10 Anders als Mauss, dem es um eine umfassende Bestandsaufnahme und Typologie ging, verzichtet die neuere Forschung jedoch auf feste Definitionen von Praktiken des Schenkens und hebt stattdessen deren prozessualen Charakter hervor. So betont Gadi Algazi: „gifts are not given, fixed entities, but contested constructions of social transactions. The meanings and implications of such transactions are neither evident nor inherent in the acts themselves. Such meanings are ‚negotiated‘ between social actors - and between modern scholars who study their traces.“ 11 Valentin Groebner und Jan Hirschbiegel haben vorgeschlagen, Geschenke als Medien von Kommunikation zu begreifen. „Um ihre Wirkungen zu entfalten,“ so Groebner in seiner Studie zur Eidgenossenschaft um 1500, „müssen die Geschenke flexibel, adaptierbar und demonstrativ sein.“ 12 Jan Hirschbiegels Untersuchung der höfischen Schenkpraktiken in Frankreich um 1400 - einer Blütezeit der Produktion und des Austauschs kostbarer, künstlerisch aufwendig gestalteter Objekte - analysiert Geschenke als „Transportmittel reziproker Kommunikation“; Hirschbiegel sieht diese Reziprozität jedoch weder in der Gleichzeitigkeit noch in der materiellen Gleichwertigkeit von Gabe und Gegengabe. Vielmehr habe gerade das zeitliche Intervall zwischen reziproken Schenkakten Verpflichtungen hergestellt, und es ging auch nicht um den direkten Ausgleich materieller Werte, sondern um „die Konvertierbarkeit in soziales Kapitel in Form von Anerkennungsverhältnissen und deren Reproduktionsfähigkeit“. In 9 Zit. nach F ALCKE , Studien (wie Anm. 6), 63. Zu den zeitgenössischen Diskursen über diplomatische Geschenke vgl. ebd., 53-66. 10 Erstausgabe: M ARCEL M AUSS , Essai sur le don, in: L’Année Sociologique, N. S., 1 (1923- 1924), 30-186. 11 G ADI A LGAZI , Introduction: Doing Things with Gifts, in: Negotiating the Gift. Pre-Modern Figurations of Exchange, G ADI A LGAZI / V ALENTIN G ROEBNER / B ERNHARD J USSEN (Hrsg.), Göttingen 2003, 9-27, hier 10. 12 G ROEBNER , Gefährliche Geschenke (wie Anm. 7), 229f. Mark Häberlein / Christof Jeggle 16 Akten des Schenkens konkretisierte sich nach Hirschbiegel „ein ausgeprägtes Streben nach höfisch-reziprok bestimmten Anerkennungszuweisungen und Beziehungsmacht.“ 13 Während der Austausch von Geschenken im Rahmen des diplomatischen Zeremoniells festen Spielregeln folgte, konnte sich dessen Bedeutung im Lauf der Zeit verändern. Christian Windler hat dies in einer instruktiven Studie zur französischtunesischen Diplomatie zwischen 1700 und 1840 gezeigt. Im 18. Jahrhundert erwarteten die muslimischen Mächte von europäischen Vertragspartnern Tribute, die „die Unterordnung der Geber unter die Herrschaft des Islam dokumentieren sollten“. Die französischen Gesandten waren hingegen darauf bedacht, ihre Präsente als freiwillige Gaben erscheinen zu lassen, und seit Mitte des 18. Jahrhunderts rückten sie demonstrativ von der Praxis ab, Geschenke zu bestimmten Anlässen zu überreichen, sondern legten den Zeitpunkt der Übergabe selbst fest. Gegen Ende des Jahrhunderts verzichtete der französische Staat sogar ganz auf Geschenke; stattdessen überbrachten nun Handelsgesellschaften, die Handelskammer von Marseille oder der Konsul als Person dem Bey von Tunis Geschenke und ‚privatisierten‘ dadurch die Schenkpraxis. Auch der Stellenwert der Gegenstände änderte sich. Raubtierfelle etwa, die in den nordafrikanischen Fürstentümern traditionell ein Symbol fürstlicher Macht waren, wurden von französischen Empfängern im frühen 19. Jahrhundert nur noch als exotische Kuriositäten gesehen. Hingegen wurden französische Diplomaten seit etwa 1800 zunehmend zur Beschaffung römischer Antiken angehalten; mit der Aufwertung der antiken Vergangenheit der nordafrikanischen Staaten ging zugleich eine Abwertung ihrer islamischen Geschichte und Gegenwart einher. Und schließlich ging Frankreich auch dazu über, bevorzugt Produkte aus eigener agrarischer und gewerblicher Erzeugung als Geschenke nach Tunesien zu senden. In diesen Veränderungen der Schenkpraktiken zeichnet sich das wachsende zivilisatorische Überlegenheitsgefühl Frankreichs gegenüber einem zusehends als barbarisch und rückständig empfundenen Maghreb ab. 14 Schließlich haben neuere Arbeiten betont, dass der Diskurs über das Schenken im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit zwischen der Anerkennung von Geschenken als legitimer Form der Herstellung bzw. Aktualisierung sozialer Beziehungen und der Kritik an Habgier, Korruption und Bestechlichkeit schwankte. 15 Als Anton Fugger nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes 1547 versuchte, durch Geschenke an enge Berater des Kaisers Strafmaßnahmen von seiner Heimat- 13 J AN H IRSCHBIEGEL , Étrennes. Untersuchungen zum höfischen Geschenkverkehr im spätmittelalterlichen Frankreich der Zeit Karls VI. (1380-1422), München 2003, Zitate 126, 130, 199. Siehe auch N ATALIE Z EMON D AVIS , Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance, München 2002. 14 C HRISTIAN W INDLER , Tribut und Gabe. Mediterrane Diplomatie als interkulturelle Kommunikation, in: Saeculum 51, 1 (2000), 24-56. 15 Bes. G ROEBNER , Gefährliche Geschenke (wie Anm. 7). Einleitung 17 stadt abzuwenden, teilte er dem Augsburger Rat mit, dass allein das goldene Gerät, das für den Herzog von Alba bestimmt war, einen Wert von mindestens 3.000 Gulden haben müsse. Seine kunsthandwerkliche Qualität schien Fugger dagegen von sekundärer Bedeutung, da es ohnehin üblich sei, derartige Verehrungen umgehend wieder einzuschmelzen - ein unverhohlener Hinweis darauf, dass es nicht um die Ästhetik der Objekte oder die Festigung sozialer Bindungen ging, sondern um Bereicherung. 16 In der habsburgisch-osmanischen Diplomatie spielte der Vorwurf, dass die Türken aus reiner Habsucht große Geschenke fordern würden, ebenfalls eine wichtige Rolle. So schrieb Salomon Schweigger, der 1606 an einer kaiserlichen Gesandtschaft zur Hohen Pforte teilnahm: Ob wol diese Credentz vnd Silbergerschirr alles zumal von sehr koestlicher Arbeit / die wol hoeher moecht geacht werden / dann das Metall / das Gold oder Silber / so gilt es doch nichts bey diesen Leuten / sie verwundern sich zwar drueber / aber wie man mich bezicht / so lassen sie es alles wider schmeltzen / vnd machen Muentz oder gelt daraus. Peter Burschel zufolge beruhte diese negative Bewertung des Verhaltens der Osmanen im diplomatischen Geschenkverkehr auf einem interkulturellen Missverständnis, da es den Osmanen nicht um Reziprozität und soziale Beziehungen gegangen sei, sondern der Empfang kostbarer Geschenke als Ausweis der Ehre des Empfängers betrachtet worden sei. 17 Im vorliegenden Band nehmen insbesondere die Beiträge von Jan Hirschbiegel und Ulf Christian Ewert, Michael Jucker, Harriet Rudolph sowie Evelyn Korsch die Praktiken und Funktionen des Schenkens in den Blick. Ein Theorieangebot zur Funktion diplomatischer Geschenke entwickeln Jan Hirschbiegel und Ulf Christian Ewert auf der Basis dreier komplementärer Annäherungen an das Thema. In William Shakespeares Drama „Heinrich V.“ erhält der englische König vom französischen Dauphin eine goldene Tonne mit Tennisbällen geschenkt - eine Provokation, die auf sichtbare und unsichtbare Botschaften der Geschenke und deren Situierung in diplomatischen Prozessen verweist. Die archivalische Überlieferung zum französischen Königshof um 1400 zeigt, dass die dort geübte Praxis aufwendiger Neujahrsgeschenke auch im diplomatischen Verkehr gepflegt wurde. Schließlich unterziehen Hirschbiegel und Ewert die Frage, ob Luxusgegenstände im Rahmen des diplomatischen Verkehrs überhaupt eine eigenständige Bedeutung hatten, einer spieltheoretischen ökonomischen Analyse. Demnach erfüllten Luxusgegenstände nicht nur eine dem höfischen Rahmen angemessene repräsentative Funktion, sondern hatten auch 16 H ERMANN J OSEF K IRCH , Die Fugger und der Schmalkaldische Krieg, München / Leipzig 1915, 129; P ÖLNITZ , Anton Fugger (wie Anm. 2), Bd. 2/ 2, 395f., 439f.; M ARK H ÄBERLEIN , Geschenke und Geschäfte. Die Fugger und die Praxis des Schenkens im 16. Jahrhundert, in: Faszinierende Frühneuzeit. Festschrift für Johannes Burkhardt zum 65. Geburtstag, W OLF- GANG E.J. W EBER / R EGINA D AUSER (Hrsg.), Berlin 2008, 135-149, hier 140. 17 P ETER B URSCHEL , Der Sultan und das Hündchen. Zur politischen Ökonomie des Schenkens in interkultureller Perspektive, in: Historische Anthropologie 15, 3 (2007), 408-421, Zitat 420. Mark Häberlein / Christof Jeggle 18 eine wirtschaftliche Bedeutung: „Der Wert eines Geschenks,“ schreiben sie, „[…] dient unter den Bedingungen langfristiger diplomatischer Beziehungen als starker ökonomischer Anreiz dafür, vom Beschenkten eine nicht nur materielle, sondern auch eine diplomatische Gegenleistung zu erwirken.“ Michael Jucker untersucht einen im Zusammenhang mit der Diplomatie wenig beachteten Aspekt der Zirkulation materieller Güter. Ausgehend von den diplomatischen Nachwirkungen der Plünderung Konstantinopels durch Kreuzfahrer im Jahre 1204 auf das Verhältnis von griechisch-orthodoxer und katholischer Kirche thematisiert er die Akkumulation und Distribution erbeuteter Schätze und deren ökonomische, kulturelle und symbolische Dimensionen. Als Fallbeispiel dient ihm die Plünderung des Burgunderschatzes im Anschluss an die Niederlage Herzog Karls des Kühnen in der Schlacht von Grandson im Jahre 1476. Den Schweizern fiel dabei eine ungewöhnlich reiche Beute in die Hände, und in der unübersichtlichen Situation nach dem unerwarteten Ausgang der Schlacht verschwanden zahlreiche Stücke aus dem Burgunderschatz. Um ihre Distributionsmacht zu wahren, erließen die eidgenössischen Obrigkeiten Beuteverordnungen, die unter Androhung schwerer Strafen jegliche Redistribution untersagten und die Ablieferung der Beute in Luzern verfügten. Erst die in diesem Zusammenhang erstellten Beutelisten lassen den Umfang des Schatzes ermessen. Anhand dreier Beispiele verfolgt Jucker den Weg einzelner Beutestücke. Das erste Stück, eine mit Edelsteinen und Reliquien besetzte goldene Votivtafel, wurde zunächst durch Schätzung einer Umwertung vom sakralen Gegenstand in ökonomisches Potential unterzogen. Die Stadt Bern zeigte sich am Erwerb der Tafel interessiert, doch wurde sie letztlich in einer feierlichen Zeremonie in zehn Teile zerlegt und an die am Krieg beteiligten Orte verteilt. Mit der physischen Zerstörung ging jedoch auch eine Resakralisierung der Einzelbestandteile einher. Im Gegensatz dazu ließ sich ein wertvoller Diamant nicht ohne Verlust aufteilen und sollte daher verkauft werden. Die Dauer der Verhandlungen führte zunächst zu einem starken Wertverlust, und nach seinem Verkauf zirkulierte der Stein erneut durch adlige Schatzkammern. Ein Gebetbuch Karls des Kühnen schließlich wurde nach dem vergeblichen Versuch des Verkaufs Papst Sixtus IV. geschenkt; vermutlich hoffte die Stadt Bern, auf diese Weise die beträchtlichen Kosten einer päpstlichen Ablassbulle senken zu können. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive vermag der Umgang mit Beutestücken somit die Transformation von ökonomischem Kapital in andere Kapitalsorten, die oft mit neuen Bedeutungs- und Wertzuschreibungen verbunden war, zu erhellen. Harriet Rudolph untersucht die Gabenpraxis bei Kaisereinzügen im Heiligen Römischen Reich zwischen 1400 und 1650 vergleichend für die Reichsstadt Nürnberg und die sächsischen Kurfürsten. Die Handlungssituation des Herrschereinzugs sieht sie vorrangig gekennzeichnet durch die Asymmetrie zwischen dem Rang des Geschenkgebers und dem des Geschenknehmers, die „Interferenz zwischen Individuen, sozialen Gruppen und Institutionen“, die persönliche Anwesenheit der am Einleitung 19 Schenkakt Beteiligten, die Öffentlichkeit der Handlung, die Überlagerung verschiedener Schenkanlässe und -motive sowie den seriellen Charakter von Schenkhandlungen. Im Fall der Kaisereinzüge in Nürnberg zeigte sich die Asymmetrie zwischen Herrscher und Reichsstadt darin, dass zwar die Stadt den Herrscher und sein Gefolge, fein abgestimmt nach Rang und Funktion der Gefolgsleute, beschenkte, der Herrscher diese aber nicht durch Gegengeschenke erwiderte, sondern vielmehr durch die Annahme der Gaben seine Rolle als Schutzherr der Stadt bestätigte. Bei der Auswahl der Geschenke orientierte sich die Stadt an der Tradition früherer Herrscherbesuche; in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist jedoch auch eine Individualisierung der Schenkpraxis feststellbar, indem nun auch besondere Interessen und Vorlieben der Kaiser berücksichtigt wurden. Anders als die Reichsstädte erhielten die Kurfürsten anlässlich von Kaiserbesuchen wertvolle Geschenke, die sich entsprechend hoher Wertschätzung erfreuten, und die Handlungsspielräume der Schenkenden waren bei Fürstenbegegnungen offenbar größer als zwischen Kaiser und Reichsstadt. Im Ergebnis charakterisiert Rudolph das Heilige Römische Reich im 16. Jahrhundert als einen „Schenkraum […], in dem die politischen Beziehungen zwischen den einzelnen Herrschaftsträgern durch Akte des Gabentausches intensiviert und gesteuert werden sollten.“ Die vielschichtigen Bedeutungen und Funktionen materieller Gaben demonstriert Evelyn Korsch am Beispiel des Besuchs Heinrichs III. in Venedig im Jahre 1574. Dieses Fallbeispiel zeichnet sich durch mehrere Besonderheiten aus: Zum einen war den hohen Amtsträgern der Adelsrepublik Venedig die Annahme von Geschenken grundsätzlich verboten; zum anderen rang die Serenissima nach dem Friedensschluss mit dem Osmanischen Reich und dem Verlust Zyperns im Jahre 1573 um die Anerkennung der europäischen Mächte; und schließlich befand sich auch der 1573 zum polnischen König gewählte Heinrich in einer besonderen Situation, da er nach dem Tod seines Bruders Karl IX. Polen fluchtartig verlassen hatte, um zur Königkrönung nach Frankreich zu reisen. Vor diesem Hintergrund markiert Heinrichs zehntägiger Venedigaufenthalt eine Etappe auf seiner via triumphalis von Krakau nach Paris, die zugleich aber auch der Geldbeschaffung in der reichen Handelsrepublik dienen sollte. Während Heinrichs Besuch versuchte sein Botschafter mehrmals, bei der Signoria einen zinslosen Kredit über 100.000 Dukaten zu erwirken; diese ließ sich jedoch nicht darauf ein, da bereits Darlehen seiner Vorgänger ausstanden. Stattdessen ehrte sie den königlichen Gast mit aufwendig inszenierten Festlichkeiten, in deren Verlauf ein reger Austausch an Geschenken stattfand. Die festlichen Ereignisse dienten der Repräsentation sowie der Visualisierung von Heinrichs neuer Position als König von Frankreich, wobei die rituelle Handlung des Schenkens unabdingbar war, um die magnificentia principis und den künftigen Status als rex christianissimus zu demonstrieren. Anstatt ihrem Gast das gewünschte Darlehen zu gewähren, das vermutlich nie zurückgezahlt worden wäre, entschloss sich die Serenissima, eine entsprechend große Summe in die eigene Imagepflege zu Mark Häberlein / Christof Jeggle 20 investieren und ihr Bild als Verfechterin des christlichen Glaubens in der Öffentlichkeit neu erstrahlen zu lassen. An verschiedenen Beispielen macht Korsch deutlich, dass die ausgetauschten Geschenke einer eingehenden Bewertung hinsichtlich ihres materiellen Werts wie ihres symbolischen Gehalts unterzogen wurden und die Frage des Umgangs mit den - eigentlich verbotenen - persönlichen Geschenken des französischen Königs an venezianische Adelige und Würdenträger die Signoria intensiv beschäftigten. 3. Akteure Die Gruppe der diplomatischen Gesandten war im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit keineswegs homogen. Sie umfasste kirchliche Würdenträger, städtische Ratsherren, Höflinge, adlige Offiziere und nicht zuletzt auch Kaufleute. So treten süddeutsche Großkaufleute des 16. und frühen 17. Jahrhundert auch in der europäischen Diplomatie wiederholt in Erscheinung. Die Augsburger Fugger etwa besorgten über das weit gespannte Niederlassungsnetz ihrer Firma immer wieder kostbare diplomatische Geschenke für fürstliche Auftraggeber 18 und nahmen selbst an entsprechenden Missionen teil. Jakob Fugger der Reiche (1459-1525) reiste zum Wiener Kongress von 1515, der die politisch folgenreiche habsburgisch-ungarische Doppelhochzeit besiegelte, mit Truhen voller kostbarer Waren und Geschenken für hochrangige Persönlichkeiten an. Die Rechnung des Ungarischen Handels der Fugger verzeichnete fast 10.000 Gulden für die ausgab und schanckung Jakob Fuggers in Wien. Die kostbaren Gaben an Bischöfe, hohe Adelige, kaiserliche Ratgeber und die Tochter des polnischen Königs - goldene, mit Edelsteinen besetzte Ringe, Halsbänder, Perlen, seidene Gewänder, edle Stoffe und ander klainet - unterstrichen nicht nur die enge Bindung der Fugger an das Haus Habsburg, sondern dienten auch der Firmenpolitik: Auf dem Wiener Kongress waren zahlreiche ungarische, polnische, böhmische und schlesische Würdenträger anwesend, deren Wohlwollen und Protektion für die Organisation des Ungarischen Handels der Fugger, also der Ausbeutung der Kupfergruben im slowakischen Neusohl und die großräumige Vermarktung des Kupfers, von zentraler Bedeutung war, und sie alle wurden mit reichen Gaben bedacht. 19 Ein Jahrhundert nach Jakob Fugger verband Philipp Hainhofer (1578-1647) erfolgreiche Handelstätigkeit mit diplomatischen Missionen. Der sprach- und weltgewandte Hainhofer spezialisierte sich auf die Beschaffung von Kunstwerken und 18 P ÖLNITZ , Jakob Fugger (wie Anm. 2), Bd. 1, 48, 105f., 127; Bd. 2, 82; N ORBERT L IEB , Die Fugger und die Kunst, München 1952/ 58, 2 Bde., Bd. 1, 79; Bd. 2, 143; H ÄBERLEIN , Geschenke und Geschäfte (wie Anm. 16), 137f. 19 L IEB , Fugger und die Kunst (wie Anm. 17), Bd. 1, 87f.; H ÄBERLEIN , Geschenke und Geschäfte (wie Anm. 16), 138f. Einleitung 21 Luxusgütern für europäische Fürstenhöfe sowie die Organisation komplexer Kunstaufträge, insbesondere aufwendiger Kabinettschränke. Hainhofers Weltläufigkeit, Kunstverstand und weit reichende Beziehungen trugen ihm das Vertrauen der Herzöge Maximilian I. von Bayern, August d. J. von Braunschweig-Lüneburg und Philipp II. von Pommern-Stettin ein, die ihn zu ihrem Rat ernannten und wiederholt mit diplomatischen Missionen betrauten. Im Auftrag des pommerschen Herzogs reiste er 1613 beispielsweise zum Regensburger Reichstag, von dem er seinem Auftraggeber berichtete, und 1636 hielt er sich in braunschweigischem Auftrag am Münchner Hof auf. Zudem machten Gesandte europäischer Fürsten immer wieder bei Hainhofer in Augsburg Station, um seine Kunstschätze zu besichtigen und sich mit ihm über politische Fragen auszutauschen. Bernd Roeck zufolge war Philipp Hainhofer für seine fürstlichen Auftraggeber „ein vielseitig einsetzbarer, geschickter Unterhändler, der zwischen den Höfen für atmosphärische Verbesserungen sorgen konnte“, sowie ein zuverlässiger Vermittler von Gütern und Nachrichten. 20 Zudem waren auch ständige Gesandte an Fürstenhöfen im 16. und 17. Jahrhundert keineswegs nur mit politischen Angelegenheiten im engeren Sinne befasst, sondern nahmen vielfältige wirtschaftliche und kulturelle Vermittlungsaufgaben wahr. 21 Für die kaiserlichen Gesandten im Spanien Philipps II., den von 1564 bis 1573 tätigen Adam von Dietrichstein und seinen Nachfolger Hans Khevenhüller (1574-1606), etwa stellten neben der Führung politischer Verhandlungen und der Informationsbeschaffung der Erwerb und die Übersendung seltener und kostbarer Güter für die Kaiser Maximilian II. und Rudolf II. einen zentralen Aufgabenbereich dar, durch den sie „zu Vermittlern und Übersetzern in einem facettenreichen Kulturtransfer“ wurden. 22 Beim Einkauf seltener und kostbarer Objekte hatten sie einen 20 B ERND R OECK , Philipp Hainhofer. Unternehmer in Sachen Kunst, in: Kräfte der Wirtschaft. Unternehmergestalten des Alpenraums im 17. Jahrhundert. Vorträge des zweiten internationalen Symposiums zur Geschichte des Alpenraums Brig 1991, L OUIS C ARLEN / G ABRIEL I MBODEN (Hrsg.), Brig 1992, 9-53, bes. 23f. Vgl. auch H ANS -O LOF B OSTRÖM , Philipp Hainhofer als Vermittler von Luxusgütern zwischen Augsburg und Wolfenbüttel, in: Augsburg in der Frühen Neuzeit. Beiträge zu einem Forschungsprogramm, J OCHEN B RÜNING / F RIEDRICH N IEWÖHNER (Hrsg.), Berlin 1995, 140-155; B ARBARA M UNDT , Der Pommersche Kunstschrank des Augsburger Unternehmers Hainhofer für den gelehrten Herzog Philipp II. von Pommern, München 2009. 21 Zu den Interferenzen zwischen diplomatischer, wirtschaftlicher und kultureller Vermittlung vgl. die Beiträge in Your Humble Servant: Agents in Early Modern Europe, H ANS C OOLS / M ARIKA K EBLUSEK / B ADELOCH N OLDUS (Hrsg.), Hilversum 2006; Double Agents. Cultural Brokerage in Early Modern Europe, M ARIKA K EBLUSEK / B ADELOCH V ERA N OLDUS (Hrsg.), Leiden 2011. 22 A RNO S TROHMEYER , Kulturtransfer durch Diplomatie: Die kaiserlichen Botschafter in Spanien im Zeitalter Philipp II. und das Werden der Habsburgermonarchie, in: Kulturtransfer. Kulturelle Praxis im 16. Jahrhundert, W OLFGANG S CHMALE (Hrsg.), Innsbruck 2003, 205-230, Zitat 206. Mark Häberlein / Christof Jeggle 22 erheblichen Entscheidungsspielraum und mussten Sachverstand ebenso unter Beweis stellen wie Kostenbewusstsein. Außerdem hatten sie für den sicheren Transport dieser Objekte zu ihren Auftraggebern zu sorgen. In einer Studie zu den Gesandten am spanischen Königshof in der Epoche Philipps II. stellt Renate Pieper fest, dass diese „eine Mittlerrolle zwischen den Konsumenten von Exotika in Zentraleuropa und Italien einerseits und den Importeuren fremdartiger Lebewesen und Gegenstände auf der Iberischen Halbinsel andererseits ausübten.“ Da die Nachfrage nach außereuropäischen Lebewesen und Objekten sowie nach kunsthandwerklichen Spitzenerzeugnissen begrenzt und das Geschäft mit ihnen für professionelle Kaufleute risikoreich gewesen sei, „fiel den Gesandten neben ihrer diplomatischen Tätigkeit eine - kaufmännische - Maklerfunktion zu.“ Zur Informationsbeschaffung über seltene und kostbare Güter setzten die Gesandten ihre personalen Netzwerke ein, und auch für den Transport der Güter nutzten sie diplomatische Kontakte und Kanäle. „Lokale Märkte für Exotika und Luxusobjekte wurden somit“ Pieper zufolge „innerhalb Europas über persönliche Netzwerke miteinander verbunden“. 23 Arno Strohmeyer kommt angesichts der mehrdimensionalen Vermittlungs- und Übersetzungsleistungen der kaiserlichen Gesandten in Spanien zu dem Ergebnis, „dass sich die politische Funktionalität des ständigen Gesandtschaftswesens nur verstehen lässt, wenn man die interkulturellen Austauschprozesse mit einbezieht, die von den Gesandten forciert wurden.“ Auf der anderen Seite dürfe „jedoch auch bei der Erforschung interkultureller Austauschprozesse ihre Integration in soziale und politische Fundamentalvorgänge wie die Staatsbildung nicht aus den Augen verloren werden. Ein fester Brückenschlag zwischen Diplomatiegeschichte beziehungsweise politischer Geschichte und Kulturtransferforschung,“ so Strohmeyer, „scheint aus dieser Perspektive unumgänglich.“ 24 Insbesondere die umfangreiche Korrespondenz Hans Khevenhüllers ist in den letzten Jahren als ergiebige Quelle für Fragen der Beschaffung und Vermittlung seltener und kostbarer Objekte (wieder-)entdeckt und ausgewertet worden. 25 Sie zeigt, dass der kaiserliche Gesandte bei der Beschaffung und Übermittlung von Lu- 23 R ENATE P IEPER , Papageien und Bezoarsteine. Gesandte als Vermittler von Exotica und Luxuserzeugnissen im Zeitalter Philipps II., in: Hispania - Austria II. Die Epoche Philipps II. (1556-1598) / La época de Felipe II (1556-1598), F RIEDRICH E DELMAYER (Hrsg.), Wien / München 1999, 215-224, Zitate 223f. 24 S TROHMEYER , Kulturtransfer (wie Anm. 22), 220. 25 Vgl. neben P IEPER , Papageien (wie Anm. 23), 218-223, und S TROHMEYER , Kulturtransfer (wie Anm. 22), 212-215, auch M ARIA S TIEGLECKER , „Was ich eingethan und erkauft, wille ich mit erster gelegenheit überschickhen.“ Zum Gütertransfer von Spanien an den Kaiserhof, in: E DELMAYER , Hispania - Austria II (wie Anm. 23), 225-245; A RNO S TOHMEYER , Diplomatenalltag und die Formierung internationaler Beziehungen. Hans Khevenhüller als kaiserlicher Botschafter am Hof Philipps II. von Spanien (1574-1598), in: B EIDERBECK / H ORSTKEMPER / S CHULZE , Dimensionen (wie Anm. 3), 129-159; P ÉREZ DE T UDELA / J ORDAN G SCHWEND , Luxury Goods (wie Anm. 6). Einleitung 23 xusgütern immer wieder auf die Dienste von Experten wie des Fuggerfaktors Christoph Hörmann und des Augsburger Kaufmanns Anton Meuting zurückgriff. Hörmann und Meuting beschafften Erzeugnisse des Augsburger Kunsthandwerks - etwa kostbare Schreinerarbeiten - für den Escorial und vermittelten spanische Erzeugnisse wie Stoffe, Klingen und Schmuckstücke sowie exotische Güter aus Asien und Amerika nach Süddeutschland. Meuting, der von etwa 1560 bis zu seinem Tod im Jahre 1591 eine wichtige Mittlerrolle zwischen dem bayerischen Herzogshof und Spanien einnahm, wurde 1573 sogar mit geheimen Verhandlungen über ein bayerisch-portugiesisches Heiratsprojekt betraut. 26 Unter den Beiträgen des vorliegenden Bandes nehmen die Aufsätze von Susanne Kubersky-Piredda und Salvador Salort Pons, Corinne Thépaut-Cabasset, Martin Pozsgai und Ute Christina Koch die ökonomischen Aktivitäten von Diplomaten und Agenten genauer in den Blick. Die Tätigkeit eines außergewöhnlichen Agenten in den kulturellen und politischen Beziehungen zwischen dem Großherzogtum Toskana und Spanien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beleuchten Susanne Kubersky-Piredda und Salvador Salort Pons, denn König Philipp II. setzte in den 1570er und 80er Jahren mit dem zwergenwüchsigen Hofnarren und Kammerdiener Gonzalo de Liaño (Gonzalillo, gest. 1588) gezielt eine kuriose Figur zur Beschaffung von Kunstwerken und Luxusgegenständen in Italien ein. Gonzalos ungewöhnliche Kombination von Aufgaben, die sich anhand seiner umfangreichen, in einem sehr persönlichen Ton gehaltenen Korrespondenz nachvollziehen lässt, unterschied sich stark von denen der humanistisch gebildeten Antiquare, die andere Fürsten als Kunstagenten einsetzten. Neben der Unterhaltung der Herrscherfamilie und des Hofstaats war er mit dem Erwerb von Kunstwerken und Luxusgegenständen sowie mit der Informationsbeschaffung befasst. Dazu wurde er wiederholt an italienische Höfe geschickt, wo er ein beliebter Gast war, den man ungern wieder ziehen ließ. Gonzalo hatte keine diplomatische oder humanistische Ausbildung, verfügte aber als Kenner der Hofgesellschaft über Menschenkenntnis. Den Medici-Großherzog Francesco I. und seine Gattin Bianca Cappello, die ihn besonders schätzten, beriet er in Geschenkfragen 26 Anton Meutings Vermittlertätigkeit zwischen Bayern und Spanien wird derzeit im Rahmen eines DFG-Projekts „Fürsten und Kaufleute im konfessionellen Zeitalter“ unter der Leitung von Mark Häberlein an der Universität Bamberg aufgearbeitet. Vgl. einstweilen J. S TOCK- BAUER , Die Kunstbestrebungen am Bayerischen Hofe unter Herzog Albrecht V. und seinem Nachfolger Wilhelm V. Nach den im Reichsarchiv vorhandenen Correspondenzacten zusammengestellt, Wien 1874 (ND Osnabrück 1970), 89f., 99f.; B ERNDT P H . B AADER , Der bayerische Renaissancehof Herzog Wilhelms V. (1568-1579). Ein Beitrag zur bayerischen und deutschen Kulturgeschichte des 16. Jahrhunderts, Leipzig / Strassburg 1943, 93, 110, 157, 160, 230, 265, 351; F RIEDRICH E DELMAYER , Söldner und Pensionäre. Das Netzwerk Philipps II. im Heiligen Römischen Reich, Wien / München 2002, 122, 131, 142, 167; P ÉREZ DE T UDELA / J ORDAN G SCHWEND , Luxury Goods (wie Anm. 6), 4, 8, 11f., 24, 26, 31-33, 35f., 40, 45, 56; A NNEMARIE J ORDAN G SCHWEND / J OHANNES B ELTZ , Elfenbeine aus Ceylon. Luxusgüter für Katharina von Habsburg (1507-1578), Zürich 2010, 97f. Mark Häberlein / Christof Jeggle 24 und vermittelte Gemälde, Skulpturen, Goldschmiedearbeiten, Reliquien, Möbel, wissenschaftliche Instrumente, botanische Raritäten und Medikamente von Florenz nach Madrid. Eine seiner Strategien bestand darin, als Narr Geschenke im Voraus anzukündigen und so eine Art „Schenkzwang“ auszulösen. Corinne Thépaut-Cabasset thematisiert die Rolle diplomatischer Agenten beim zwischenhöfischen Austausch von Luxusgütern im späten 17. Jahrhundert am Beispiel der Beziehungen zwischen dem französischen Königshof und dem Hof der bayerischen Kurfürsten, die seit der Heirat der bayerischen Prinzessin Maria Anna Christina (1660-1690) mit dem Dauphin im Jahre 1680 dynastisch eng verbunden waren. Der ständige Vertreter Bayerns am französischen Hof, Martin Mayr, führte im Auftrag des Bruders der Dauphine, Kurfürst Max Emanuel von Bayern, zahlreiche Einkäufe bei Pariser Luxus- und Modewarenhändlern durch, die in seiner diplomatischen Korrespondenz sowie in einer Reihe von Passierscheinen für die zollfreie Ausfuhr von Waren, sogenannter passeports, detailliert dokumentiert sind. Mayrs Korrespondenz und die passeports dokumentieren die Anziehungskraft französischer Luxuswaren für auswärtige Fürsten, die Rolle der Dauphine als Beraterin bei Einkäufen für den Kurfürsten sowie das Engagement des Gesandten in diesem Metier, der sich nicht nur um die Begleichung von Rechnungen und den Transport der Waren kümmerte, sondern auch aus eigener Initiative Anschaffungsvorschläge, Zeichnungen und Muster nach München schickte. 27 Der prägende Einfluss des französischen Hofs auf den Transfer höfischer Kultur wird auch in der vergleichenden Studie von Martin Pozsgai über Transferprozesse zwischen Versailles, Stockholm und Ansbach deutlich. Aus dem umfangreichen Briefwechsel zwischen dem schwedischen Gesandten in Paris, Daniel Cronström, und dem schwedischen Hofarchitekten Nicodemus Tessin d. J. aus den Jahren 1693 bis 1718 geht hervor, dass Tessin bei Cronström häufig Rat in künstlerischen Fragen einholte. Cronström schickte zudem Luxuswaren aus Paris nach Schweden und informierte über aktuelle modische Entwicklungen, indem er Zeichnungen und Drucke übermittelte. Ferner gewann er französische Künstler (Ornamentmaler, Bildhauer, Bronzegießer) für die Ausführung von Arbeiten im Stockolmer Schloss. Grundlage dieser Transfers war Tessins Wertschätzung der französischen Ausstattungskunst. Er hatte auf seinen Studienreisen die Kunst und Architektur verschiedener Länder kennen gelernt, und vor allem die Freundschaft, die er während seines Aufenthalts in Paris in den 1680er Jahren mit Jean I Berain schloss, war für den späteren französisch-schwedischen Kulturtransfer von großer Bedeutung. Im Fall der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach gehörten die Vermittlung von Technologien 27 Vgl. zu den Verbindungen Wiener Adliger nach Paris V ERONIKA H YDEN -H ANSCHO , Ego- Netzwerke zwischen Paris und Wien. Kulturvermittlung im 17. Jahrhundert am Fall Bergeret, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 23 (2012), 72-98. Einleitung 25 und die Beschaffung von Modellen für heimische Künstler zu den Kernaufgaben des von 1719 bis 1731 in Paris tätigen Chargé d’affaires Ernst Ludwig Carl. Der Markgraf hatte selbst einige Zeit in Paris verbracht, wo er den französischen Ausstattungsluxus kennen und schätzen gelernt hatte. Carl korrespondierte Ende der 1720er Jahre mit dem Hofarchitekten Karl Friedrich von Zocha und dem Prinzenerzieher Johann von Brehmer. Da zu dieser Zeit einige Appartements in der Ansbacher Residenz neu ausgestattet wurden, beauftragte der Hof Carl mit der Beschaffung von Rohmaterial für die markgräfliche Tapisseriemanufaktur und von Möbeln, die als Modelle für Ansbacher Künstler dienen sollten. Strukturell unterschieden sich die beiden Höfe dahingehend, dass der schwedische Hof französische Künstler zur Umsetzung der Vorlagen anwarb, während der Ansbacher Hof soweit wie möglich nach französischen Vorlagen in Eigenproduktion arbeiten ließ und nur in Ausnahmefällen Franzosen als Spezialisten anheuerte. Am Beispiel der Sammlungen des leitenden sächsischen Ministers Heinrich Graf von Brühl zeigt Ute Christina Koch, dass Gesandte nicht nur bei der Beschaffung von Kunstwerken, sondern auch bei der Auflösung und dem Transfer von Sammlungen an neue Besitzer als Agenten fungierten. Unmittelbar nach Brühls Ableben am 28. Oktober 1763 ließ die Vormundschaftsregierung für den minderjährigen Kurfürsten Friedrich Christian dessen Besitz beschlagnahmen; eine Fiskalklage wurde jedoch wieder aufgehoben, da sie ein schlechtes Licht auf den verstorbenen Kurfürsten Friedrich August II., als August III. zugleich König von Polen, geworfen hätte, dessen Günstling Brühl gewesen war. Um die zahlreichen Schulden Brühls zu begleichen, ohne Immobilien veräußern zu müssen, strebten die Erben daraufhin den Verkauf der umfangreichen Sammlungen und der Bibliothek Brühls an. Während des Siebenjährigen Kriegs hatten durch preußische Truppen verursachte Kriegsschäden deren Wert zwar beeinträchtigt, doch handelte es sich nach wie vor um Sammlungen von europäischem Rang, die die Aufmerksamkeit mehrerer regierender Fürsten auf sich zogen. Auf der Grundlage der Korrespondenzen der Gesandten kann Koch sowohl den Aufbau der Sammlungen als auch die Verhandlungen, die deren Transfer begleiteten, teilweise rekonstruieren. Bei der Beschaffung von Kunstwerken konnte Brühl auf das Agentennetzwerk seines Landesherrn zurückgreifen; er beschränkte sich jedoch auf allgemeine Direktiven, die sein Sekretär Carl Heinrich von Heineken in konkrete Aufträge umsetzte. Der Erwerb eines Großteils der Gemäldesammlung durch Zarin Katharina II. wurde in Dresden vom russischen Gesandten Fürst Andrej Michajlovi 2 Belosel’skij geleitet, der mit dem Brühlschen Nachlassverwalter über den Preis verhandelte und den Transport der Kunstwerke nach St. Petersburg organisierte. Brühls Erben setzten aber auch die Gesandten Englands und Preußens über den bevorstehenden Verkauf in Kenntnis, um ihre Verhandlungsposition gegenüber dem kurfürstlichen Hof zu stärken und die Sammlungen zu einem möglichst guten Preis absetzen zu können. In der politisch aufgeladenen Atmosphäre kurz nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges Mark Häberlein / Christof Jeggle 26 kursierten neben der Information potentieller Kunden mittels Katalogen und Verzeichnissen der zu veräußernden Werke schließlich auch Gerüchte und Spekulationen. 4. Objekte Die Objekte des materiellen Transfers zwischen Herrschern und Regierungen stehen schon seit langem im Blickpunkt des kunst- und kulturgeschichtlichen Interesses. Da im inner- und zwischenhöfischen Geschenkverkehr primär hochwertige und ästhetisch gestaltete Objekte transferiert wurden, haben sie sich in beträchtlicher Zahl in fürstlichen Sammlungen und Museen erhalten. Spitzenwerke höfischer Kunst wie Benvenuto Cellinis „Saliera“, ein zwischen 1539 und 1543 angefertigtes Salzgefäß für Franz I. von Frankreich, das Karl IX. dem Tiroler Erzherzog Ferdinand II. schenkte, 28 aber auch die Werke süddeutscher Gold- und Silberschmiede, 29 flämische und französische Tapisserien als „herrschaftlicher Dekor für Orte repräsentativer Öffentlichkeit,“ deren Motive zudem häufig politische Botschaften transportierten, 30 sowie die Produktion der Meißener Porzellanmanufaktur 31 sind im Rahmen einschlägiger Forschungs- und Ausstellungsprojekte in ihre ursprünglichen diplomatischen und kulturellen Kontexte gerückt worden. Entsprechend ihrer kulturellen Entwicklung, ihrer kommerziellen Beziehungen und finanziellen Leistungsfähigkeit verfügten europäische Fürstenhöfe im Rahmen des diplomatischen Geschenkverkehrs über unterschiedliche Möglichkeiten. Durch die Expansion nach Übersee hatten Spanien und Portugal im 16. Jahrhundert privilegierten Zugang zu raren und exotischen Objekten wie indischen und amerikanischen Edelsteinen, exotischen Tieren (Papageien, Kanarienvögel, Aplomadofalken, Affen, Raubkatzen), Pflanzen und Pflanzensamen, afrikanischem Elfenbein, Elfen- 28 A NDREAS P RATER , Cellinis Salzfaß für Franz I. Ein Tischgerät als Herrschaftszeichen, Wiesbaden 1988. 29 L ORENZ S EELIG , Die Kunst der Augsburger Goldschmiede im Dienst höfischer Repräsentation, in: Silber und Gold. Augsburger Goldschmiedekunst für die Höfe Europas (Ausstellungskatalog), R EINHOLD B AUMSTARK / H ELMUT S ELING (Hrsg.), München 1994, 2 Bde., Bd. 1, 32-56, bes. 40f.; U RSULA T IMANN , Goldschmiedearbeiten als diplomatische Geschenke, in: Quasi Centrum Europae. Europa kauft in Nürnberg 1400-1800. Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, 20. Juni bis 6. Oktober 2002, H ERMANN M AUÉ u. a. (Hrsg.), Nürnberg 2002, 217-239; Zarensilber. Augsburger Silber aus dem Kreml. Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg, 25. Februar - 1. Juni 2008, C HRIS- TOPH E MMENDÖRFFER (Hrsg.), München 2008. 30 W OLFGANG B RASSAT , Tapisserien und Politik. Funktionen, Kontexte und Rezeption eines repräsentativen Mediums, Berlin 1992, bes. 82-94 (Zitat 89). 31 Fragile Diplomacy: Meissen Porcelain for European Courts ca. 1710-1763, M AUREEN C ASSIDY G EIGER (Hrsg.), New Haven / London 2008. Einleitung 27 beinarbeiten aus Ceylon, japanischen Lackmöbeln und chinesischem Porzellan. 32 Im 17. Jahrhundert konnten zunächst die Niederländer, später die Engländer und Franzosen diesen Vorteil der iberischen Mächte wettmachen. Neben weit reichenden Beziehungen stellte der Ruhm von Künstlern und Kunsthandwerkern - über Jahrhunderte ein besonderer Standortvorteil der italienischen Staaten - wichtiges Kapital im diplomatischen Geschenkverkehr dar. So hat Barbara Marx gezeigt, wie die toskanischen Großherzöge Francesco I. und Ferdinando I. de’ Medici im späten 16. Jahrhunderts mittels sorgfältig zusammengestellter Geschenksendungen an den Dresdener Hof Kultur- und Außenpolitik betrieben. Exotische Gegenstände wie türkische Waffen, chinesisches Porzellan und mexikanischer Federschmuck unterstrichen die weit reichenden Verbindungen der Medici, während Bronzestatuetten Giambolognas den kulturellen Rang von Florenz hervorhoben. Die demonstrative Pflege der Beziehungen zum protestantischen Kursachsen diente einerseits dynastischen Interessen, insbesondere der formellen Anerkennung des großherzoglichen Titels im Reich, und stand andererseits im Kontext des toskanischen Interesses an sächsischer Bergbau- und Militärtechnologie. 33 Ferner konnten diplomatische Geschenke die Leistungsfähigkeit von Manufakturen unterstreichen: Der Einsatz von Meißener Porzellan als fragile, aber kostbare Präsente hatte für die sächsische Manufaktur, die auch eine große Zahl auswärtiger Besucher anlockte, eine nicht zu unterschätzende Marketingfunktion. Meißen produzierte sowohl standardisierte Objekte des diplomatischen Verkehrs wie Kaffee- und Teeservice und die im 18. Jahrhundert äußerst beliebten Schnupftabakdosen als auch ausgefallene Spitzenfabrikate für wichtige Gesandtschaften nach Versailles, an den Kreml oder an die Hohe Pforte. Generell erweist sich der Austausch von Meißener Porzellan als zuverlässiger Indikator für die diplomatischen Aktivitäten und Vernetzungen der sächsischen Kurfürsten und polnischen Könige. 34 Einen künstlerischen Exportartikel Italiens, dessen Verbreitung maßgeblich über den diplomatischen Geschenkverkehr erfolgte, behandelt der Beitrag von Johanna Beate Lohff im vorliegenden Band. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts entstanden vor allem in römischen und florentinischen Werkstätten zahlreiche Bilder auf Edel- und Halbedelsteinen wie Lapislazuli, Achat und Amethyst. Die Künstler 32 P IEPER , Papageien (wie Anm. 23), 217-223; S TIEGLECKER , Gütertransfer (wie Anm. 25), 237-241; P ÉREZ DE T UDELA / J ORDAN G SCHWEND , Luxury Goods (wie Anm. 6), 8-12, 14-17, 20; M ARKUS N EUWIRTH , Diplomatischer Austausch und globaler Kunsthandel um 1600, in: Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, M ICHAEL N ORTH (Hrsg.), Köln / Weimar / Wien 2009, 391-408; J ORDAN G SCHWEND / B ELTZ , Elfenbeine (wie Anm. 26). 33 B ARBARA M ARX , Medici Gifts to the Court of Dresden, in: Studies in the Decorative Arts 15, 1 (2007/ 08), 46-82. 34 C ASSIDY G EIGER , Fragile Diplomacy (wie Anm. 31). Zu Porzellangeschenken in der europäischen Diplomatie vgl. auch F ALCKE , Studien (wie Anm. 6), 183-201, 271f. Mark Häberlein / Christof Jeggle 28 integrierten ihre figuralen Kompositionen in die Maserung der Steine und schufen so aus den kostbaren Materialien außergewöhnliche Kunstwerke. Diese Kombination zwischen wertvollem Bildträger und künstlerischer Gestaltung brachte luxuriöse Artikel hervor, die in adligen Kreisen zirkulierten. So beschenkte beispielsweise Piero Vincenzo Strozzi, der als Orientalist, Theologe und Kunstexperte am Hof Papst Pauls V. gewirkt hatte, bei seiner Rückkehr nach Florenz im Jahre 1617 Großherzog Cosimo II. mit einer ebenso anspruchsvollen wie symbolträchtigen Arbeit Antonio Tempestas. Im Zuge der Gesandtschaftstreisen des Kardinalnepoten Papst Urbans VIII., Francesco Barberini, gelangten Bilder auf Stein in den 1620er und 30er Jahren auch an die Höfe in Madrid, Paris und London. Diese Bilder konnten sowohl als eigenständige Kunstwerke als auch als kunsthandwerkliche Erzeugnisse wahrgenommen werden, wobei der Übergang zwischen Kunst und Kunsthandwerk als fließend betrachtet werden muss. Manche Bilder wurden als Werke bestimmter Künstler verschenkt, wobei das Material nur eine untergeordnete Rolle spielte; andere konnten gerade wegen des wertvollen Bildträgers zu exquisiten Luxusobjekten werden. Dass dem Austausch von Tieren im Rahmen der frühneuzeitlichen Diplomatie eine erhebliche Bedeutung zukam, zeigt der Beitrag von Magdalena Bayreuther über edle Pferde, die angesichts ihres materiellen Werts und ihrer Symbolik als beweglicher Thron eine wichtige Rolle im Rahmen der herrschaftlichen Repräsentation spielten. Mit der Rezeption antiker Reitlehren einhergehend entwickelte sich seit der Renaissance eine neue, verfeinerte Reit- und Pferdekultur. Die Reitkunst, die an den Ritterakademien und durch Reitmeister im Rahmen eines höfischen Tugend- und Verhaltenskodex und der Regeln des Hofzeremoniells unterrichtet wurde, avancierte zum grundlegenden Element höfischer und adliger Erziehung. Anfangs fehlte es an für die Reitkunst geeigneten Pferden, denn die massigen Kriegsrosse der stark gepanzerten Ritter waren zu schwer gebaut. Die Züchtung von leichteren Reitpferden setzte in der Pferdezucht seit dem 16. Jahrhundert jedoch neue Akzente, wobei Hengste aus Nordafrika, Spanien, Italien und später auch aus dem Orient zur Veredlung eingesetzt wurden. Die Einrichtung von Gestüten und das Züchten der für die Hohe Schule geeigneten Pferde entwickelten sich zu einer exklusiven adligen Beschäftigung, für die neue Gebäudekomplexe und Hofämter eingerichtet und die durch spezielle Publikationen sowie einschlägige Kunstwerke begleitet wurden. Gerade die Knappheit edler Pferde ließ diese zu begehrten diplomatischen Gaben werden. Besonders begehrt waren Pferde aus den Zuchteinrichtungen des spanischen Königs, der Markgrafen von Mantua, der habsburgischen Kaiser, der Herzöge von Oldenburg und der Fürsten von Liechtenstein. An verschiedenen Beispielen zeigt Bayreuther die Praktiken des Kaufs, Tausches und Verschenkens von Pferden zwischen Herrschern und Gesandten auf. Abschließend widmet sich Ulrike Kirchberger dem Austausch materieller Objekte im Kontext der europäisch-indianischen Diplomatie im kolonialen Nordame- Einleitung 29 rika. In der ursprünglich schriftlosen Diplomatie der Indianer war der Tausch von symbolträchtigen Objekten von zentraler Bedeutung, um dem gesprochenen Wort Dauer zu verleihen. Zudem half er, Sprachgrenzen zwischen Indianern und Europäern wie auch zwischen indianischen Ethnien zu überwinden. 35 Damit Absprachen gültig waren, war es in der indianischen Diplomatie notwendig, das zeremonielle Protokoll genau einzuhalten. Ein zentrales Medium waren dabei Ketten bzw. Gürtel aus Wampum (Muschelperlen), deren feierliche Übergabe in der offiziellen Kommunikation, bei der Übermittlung von Nachrichten und beim Abschluss von Verträgen von entscheidender Bedeutung war. Erst in Verbindung mit der Gabe von Wampum erhielten formelle Reden einen offiziellen Status, und die Annahme der Gabe im Anschluss an eine Rede entschied über deren Akzeptanz. Zudem hatten Wampumgürtel eine mnemonische Funktion und wurden aufbewahrt, um an den damit verbundenen Inhalt zu erinnern. In der interkulturellen Kommunikation mit Indianern adaptierten die Europäer sowohl das elaborierte Zeremoniell der Verhandlungen als auch den Austausch von Wampum. Darüber hinaus betrieben sie eine rege Diplomatie mittels Geschenklieferungen an die Indianer, die im Wesentlichen aus Nahrungsmitteln, Waffen, Munition, Textilien und Alkohol bestanden. Im Laufe des 18. Jahrhunderts kamen europäische Luxus- und Modeartikel hinzu. Bei ihren Gaben projizierten die Europäer ihre eigenen Hierarchievorstellungen auf die Indianer, um die Gunst möglichst einflussreicher Personen zu erlangen. Die Indianer reagierten darauf mit interner Redistribution entsprechend ihrer eigenen Vorstellungen von Status und Ressourcen. Die Geschenkdiplomatie erreichte um die Mitte des 18. Jahrhunderts einen Höhepunkt, da Franzosen wie Briten im Vorfeld und während des Siebenjährigen Krieges gleichermaßen versuchten, indianische Gemeinschaften durch materielle Güter an sich zu binden. Nach dem Krieg hingegen versiegte der Güterstrom, und die Weigerung des britischen Oberkommandierenden Amherst, die Gabenpraxis fortzuführen, war einer der Gründe für den Ausbruch von Pontiac’s War. Im Unterschied zu Studien, die die Existenz grundsätzlich verschiedener Gabensysteme postulieren und die Verständigungsprobleme im interkulturellen Geschenkverkehr betonen, argumentiert Kirchberger, dass die Objekte, die die Europäer den Indianern schenkten, für jene einen hohen materiellen Wert besaßen und der diplomatische Austausch trotz aller Missverständnisse von wechselseitigen kulturellen Adaptionen bestimmt gewesen sei. Zudem hätten die Europäer mit dem Gütertransfer keine Zivilisierungsabsichten verbunden, sondern konkrete militärisch-politische Interessen verfolgt. Schließlich blieben materielle Gaben bis ins 19. Jahrhundert hinein ein wichtiges Medium der US-amerikanischen Indianerpolitik. 35 Vgl. dazu M ARK H ÄBERLEIN , Kulturelle Vermittler und interkulturelle Kommunikation im kolonialen Nordamerika, in: Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, J OHAN- NES B URKHARDT / C HRISTINE W ERKSTETTER (Hrsg.), München 2005, 335-355. Mark Häberlein / Christof Jeggle 30 5. Ausblick Die Beiträge des vorliegenden Bandes reihen sich ein in die Bemühungen der aktuellen Forschung, die Diplomatiegeschichte des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit für wirtschafts- und sozialhistorische, mikroanalytische, kulturanthropologische und kunsthistorische Fragestellungen und Forschungsansätze zu öffnen. Eine erweiterte Diplomatiegeschichte, die sich nicht nur den Haupt- und Staatsaktionen großer Mächte widmet, sondern den Alltag und die Praktiken des diplomatischen Geschäfts auslotet, gibt zwar den Anspruch preis, traditionelle Königsdisziplin der Geschichtswissenschaft zu sein. Doch damit gewinnt sie wesentlich mehr als sie verliert, denn sie tritt in einen interdisziplinären Dialog ein und entwirft ein wesentlich komplexeres und facettenreicheres Bild von der Geschichte zwischenstaatlicher Beziehungen, als es der Historismus vermochte. Darüber hinaus zeigen die Beiträge, dass der interkulturelle Vergleich von materiellen Austauschprozessen, der auch außereuropäische Regionen einbezieht, sowie die Untersuchung von „Schenkräumen“, die sich durch die Zirkulation von Objekten konstituierten, weiterführende Perspektiven innerhalb eines Forschungsfelds eröffnen, das noch längst nicht umfassend aufgearbeitet ist. Die Herausgeber möchten der Gerda Henkel Stiftung für die Förderung der Tagung des IX. Irseer Arbeitskreises für vorindustrielle Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu den „Materiellen Grundlagen der Diplomatie“, aus der die Beiträge dieses Bandes hervorgegangen sind, sowie für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses danken. Dem Direktor der Schwabenakademie Irsee, Dr. Markwart Herzog, sei für die gute Zusammenarbeit bei der Organisation und Durchführung der Tagung sowie für die Aufnahme in die Reihe „Irseer Schriften“ und die finanzielle Förderung der Drucklegung ganz herzlich gedankt. Gabi Julia Schopf und Markus Berger haben bei der redaktionellen Bearbeitung der Manuskripte und der Erstellung des Registers mitgewirkt. Tanja Metzger übernahm dankenswerter Weise die erste Übersetzung des Beitrags von Corinne Thépaut-Cabasset. I. Praktiken und Funktionen Mehr als nur der schöne Schein. Zu einer Theorie der Funktion von Luxusgegenständen im zwischenhöfischen Gabentausch des späten Mittelalters Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 1. Luxusgegenstände als diplomatische Geschenke: ein literarisches Zeugnis Das Drama „Heinrich V.“ von William Shakespeare, vermutlich 1599 uraufgeführt und im darauf folgenden Jahr erstmals veröffentlicht, 1 spielt während des Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England, einem Konflikt, dem der englische Anspruch auf den französischen Thron zugrunde lag. 2 In der zweiten Szene des ersten Aufzugs befinden wir uns am Vorabend der englischen Invasion des Jahres 1415. Der englische König Heinrich V. hält sich mit seinem Bruder Humphrey, Duke of Gloucester, seinem Sohn Johann von Bedford, dem späteren Regenten von Frankreich, seinen Vertrauten Thomas Beaufort, ab 1416 Duke of Exeter, Richard Neville, Earl of Warwick, Ralph Neville, Earl of Westmoreland, und zahlreichem Gefolge im Audienzsaal des Palastes auf, möglicherweise in Westminster. 3 Shakespeare lässt den König einen vom französischen Dauphin - zu der Zeit war dies Ludwig von Guyenne 4 - beauftragten Boten hereinrufen und ihn während des Wartens auf den Gesandten die Umsetzung des englischen Anspruchs auf den französischen Thron in deutlicher Formulierung des politischen Zieles in Worte fassen: 5 Da Frankreich unser, wollen wir vor uns / Es beugen, oder ganz in Stücke bre- 1 Vgl. W ILLIAM S HAKESPEARE , King Henry V. König Heinrich V. Englisch-deutsche Studienausgabe. Deutsche Prosafassung mit Anmerkungen von M AX W ECHSLER . Einleitung und Kommentar von B ARBARA S TRÄULI A RSLAN , Tübingen 1999, 29-33 und 34. 2 Zum historischen Kontext neuerdings J OACHIM E HLERS , Der Hundertjährige Krieg, München 2009; und G EORGES M INOIS , La guerre de Cent Ans. Naissance de deux nations, Paris 2008. Einen profunden Überblick gibt P HILIPPE C ONTAMINE , La guerre de Cent Ans, Paris 2007, 8. Aufl. Grundlegend auch C HRISTOPHER T. A LLMAND , The Hundred Years War. England and France at War c.1300-c. 1450, Cambridge u. a. 2001, rev. ed. 3 Vgl. J AMES H AMILTON W YLIE , The Reign of Henry the Fifth, 3 Bde., London 1914-1929, Nachdruck 1968, Bd. 1, 404. 4 Eine biographische Arbeit zu Ludwig von Guyenne fehlt bislang; siehe vorerst R ICHARD C. F AMIGLIETTI , Royal Intrigue. Crisis at the Court of Charles VI 1392-1420, New York 1986, passim. 5 Die folgenden Auszüge werden zitiert nach: Shakespeare’s dramatische Werke. Übersetzt von A UGUST W ILHELM VON S CHLEGEL und L UDWIG T IECK , Bd. 2: König Heinrich der Fünfte, Berlin 1853, I,2. Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 34 chen. Der schließlich auftretende französische Gesandte vertritt bekanntlich die Gegenposition und übermittelt Heinrich unter kenntnisreicher Anspielung auf dessen vorgeblich lasterhafte Jugendzeit die Botschaft, dass Mit muntern Tänzen nichts gewonnen wird. Deshalb schicke der Dauphin ihm, angemeßner Eurem Geist, ein Geschenk, nämlich dieser Tonne Schatz und fordert: Ihr wollet fernerhin die Herzogtümer / Nicht von Euch hören lassen. Heinrich, sitzend, sieht nicht, was in der - goldenen - Tonne 6 verborgen ist, und fragt seinen Onkel Thomas Beaufort nach dem Inhalt. Der antwortet lakonisch: Federbälle, Herr. Darauf reagiert der König nun mit unverhohlenen Drohungen, dabei streckenweise das Bild des - mittelalterlichen - Tennisspiels weiterhin bedienend: Wir freun uns, daß der Dauphin mit uns scherzt / Habt Dank für eure Müh und sein Geschenk / Wenn wir zu diesen Bällen die Raketten / Erst ausgesucht, so wollen wir in Frankreich / Mit Gottes Gnad in einer Spielpartie / Des Vaters Kron ihm in die Schanze schlagen / Sagt ihm, er ließ sich ein mit solchem Streite / Daß alle Höfe Frankreichs ängsten wird / Der Bälle Sprung. […] Sagt dem muntern Prinzen / Dies Gespött Verwandle seine Bäll’ in Büchsensteine / Und seine Seele lade schwer auf sich / Die Schuld verheerungsvoller Rache, die / Mit ihnen ausfliegt: denn vieltausend Witwen / Wird dies Gespött um werte Gatten spotten / Um Söhne Mütter, Burgen niederspotten / Und mancher jetzt noch ungeborne Sohn / Wird künftig fluchen auf des Dauphins Hohn. Heinrich ruft zum Krieg gegen Frankreich auf. Geboren 1387, gestorben 1422 im Schloss Vincennes bei Paris - übrigens nur zwei Jahre nach dem französischen König Karl VI., 7 mit dessen Tochter Katharina er seit 1420 verheiratet war -, war Heinrich V. seinem Vater 1413 im Alter von 26 Jahren auf dem Thron gefolgt. 8 Er hatte die seit dem 1389 von Richard II. und Karl VI. geschlossenen Waffenstillstand ruhenden Kriegshandlungen 1415 wieder aufgenommen, als Frankreich in bürgerkriegsähnliche Wirren zwischen den um Einfluss auf den französischen Thron ringenden Parteien der Bourguignons und Armagnacs verstrickt war. 9 Der englischen Invasion folgten zahlreiche bedeutende Siege, von denen die Schlacht von Azincourt 1415 wohl am bekanntesten ist. 10 Schließlich konnten die Engländer Paris einneh- 6 Hier eine Anekdote aus der Antike aufnehmend, nach welcher Alexander der Große vom persischen König Darius ein goldenes Kästchen mit einer Peitsche und einem Ball geschenkt bekommen habe: O SKAR E MMERIG , Dariusbrief und Tennisballgeschichte, in: Englische Studien 39 (1908), 362-401, hier 362. 7 Zu Karl VI. neuerdings G EORGES B ORDONOVE , Charles VI, le roi fol et bien-aimé, Paris 2006. Grundlegend F RANÇOISE A UTRAND , Charles VI. La folie du roi, Paris 1986. 8 Zu Heinrich V. bes. C HRISTOPHER T. A LLMAND , Henry V, New Edition, New Haven u. a. 1997. 9 Zum französischen Bürgerkrieg B ERTRAND S CHNERB , Les Armagnacs et les Bourguignons. La maudite guerre, Paris 2001. 10 Zur Schlacht von Azincourt unter anderem: J ULIET B ARKER , Agincourt: Henry V and the Battle that made England, New York 2007; P HILIPPE C ONTAMINE , Azincourt, Paris 1964. Mehr als nur der schöne Schein 35 men. Im Vertrag von Troyes vom 21. Mai 1420 wurde festgelegt, dass das Königreich Frankreich, unter Umgehung der Ansprüche des nach dem Tod seiner Brüder nun zur Thronfolge berechtigten Dauphins Karl, des späteren Karl VII., an den englischen König beziehungsweise seine Nachkommen fallen solle. 11 Besiegelt wurde dies mit der bereits erwähnten Heiratsverbindung. Bekanntlich war der Hundertjährige Krieg damit nicht beendet. Karl VII. konnte, nachdem die Burgunder von der englischen auf die französische Seite übergewechselt waren, bis 1453 alle englisch besetzten Gebiete zurückerobern, wiewohl der König von England diesen Anspruch noch im 16. Jahrhundert als diplomatisches Druckmittel einsetzte und sogar bis 1820 formell am französischen Königstitel festhielt. 12 Nun sei nach Shakespeare das Geschenk von Tennisbällen zwar nicht ausschlaggebend, aber doch Auslöser für die Aufnahme der neuerlichen Kriegshandlungen zwischen England und Frankreich gewesen. Die Tennisballszene ist freilich weder Shakespeares Erfindung 13 - vielmehr ist sie dem Stück „The Famous Victories of Henry V“ eines anonymen Autors entnommen, das vor 1594 14 oder 1588 15 entstanden sein muss 16 -, noch ist sie tatsächlich überliefert. 17 Belegt sind allerdings Planung, Fortsetzung und Durchführung des Krieges, ebenso, dass Frankreich die englischen Ansprüche zurückgewiesen hat. Dokumentiert ist aber zudem, dass Tennis - französisch jeu de paume - zu jener Zeit durchaus gespielt wurde. 18 Christine de Pisan beispielsweise erwähnt dieses Spiel in einem Erziehungsbuch für den Dauphin vom Beginn des 15. Jahrhunderts. 19 Eine Miniatur im „Avis aus Roys“ von ca. 11 Vgl. A NNE E LIZABETH C URRY , Le traité de Troyes (1420). Un triomphe pour les Anglais ou pour les Français? , in: Images de la guerre de Cent Ans. Actes du colloque de Rouen (23, 24 et 25 mai 2000), D ANIEL C OUTY / J EAN M AURICE / M ICH È LE G U É RET -L AFERT É (Hrsg.), Paris 2002, 13-26. Zu Karl VII. neuerdings G EORGES M INOIS , Charles VII. Un roi shakespearien, Paris 2005. 12 Vgl. P HILIPPE C ONTAMINE , Hundertjähriger Krieg, in: Lexikon des Mittelalters V, Stuttgart 1991, Sp. 215-218. 13 Siehe auch Anm. 6. 14 S HAKESPEARE , King Henry V (wie Anm. 1), 38. 15 V ERA N ÜNNING , Kulturgeschichte der englischen Literatur. Von der Renaissance bis zur Gegenwart, Tübingen u. a. 2005, 52. 16 The Famous Victories of Henry the Fifth, in: Narrative and Dramatic Sources of Shakespeare, G EOFFREY B ULLOUGH (Hrsg.), 8 Bde., New York 1957-1975, hier Bd. 4, 1962, 299-343, zur Tennisballszene 323f. 17 Nachweis bei O SKAR E MMERIG , ‚The Bataile of Agyncourt‘ im Lichte geschichtlicher Quellenwerke, Nürnberg 1906, 22; E MMERIG , Dariusbrief (wie Anm. 6), 362. 18 Siehe unter anderem H EINER G ILLMEISTER , Kulturgeschichte des Tennis, Zürich 1990, 49- 108, zur angeführten Szene 138f. 19 D IANE B ORNSTEIN , The Middle English Translation of Christine de Pisan’s Livre du corps de policie, ed. from MS C.U.L. Kk. 1.5., Heidelberg 1977, 11f. Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 36 1360 zeigt, auf welche Weise Tennis im späten Mittelalter gespielt wurde. 20 Es ist also durchaus denkbar, dass Tennisbälle nicht nur literarisch, sondern tatsächlich als Tauschobjekte des zwischenhöfischen Geschenkverkehrs der Zeit Verwendung gefunden haben könnten. Überliefert ist dies allerdings nicht. 21 2. Besaßen Luxusgüter eine diplomatische Funktionalität? Fragen der Untersuchung Was hat das Vorstehende aber mit unserer Frage nach der Funktion von Kunstwerken und Luxusgegenständen im diplomatischen Verkehr zu tun? Sehr viel, denn erstens wird an diesem Beispiel deutlich, dass dem modernen Betrachter höfischer Luxus zuallererst in Form von reicher Materialität entgegentritt. Nach wirtschaftswissenschaftlicher Definition wird unter einem Luxusgut ein Gut verstanden, bei dem sowohl die Einkommenselastizität als auch die Preiselastizität der Nachfrage größer eins sind. Es wird also bei höherem verfügbarem Einkommen und steigendem Preis überproportional stärker nachgefragt. Somit ist es insbesondere sein hoher Preis - dem nicht unbedingt immer ein tatsächlicher materieller Wert entsprechen muss -, der seine Wertschätzung durch reiche Konsumenten signalisiert, welche sich dieses Gut im Gegensatz zu armen Konsumenten leisten können. Diese Prestigefunktion wird auch „Veblen-Effekt“ 22 genannt. Höfischer Luxus erschöpfte sich aber nicht in Besitz und Konsum materiell wertvoller Objekte. 23 Schon der tennis- 20 Avis aus roys, Frankreich, möglicherweise Paris, Mitte 14. Jahrhundert, Pierpont Morgan Library, New York, Ms. M.456, fol. 68v. 21 Freundlicherweise bestätigt von Dr. Heiner Gillmeister, Bonn, der unsere Nachfrage entsprechend beantwortet hat, wenngleich die Tennisball-Episode „eine lange Vorgeschichte hat und Ramifikationen in ganz Europa zeitigte“; vgl. auch H EINER G ILLMEISTER , Golf on the Rhine. On the Origins of Golf, with Sidelights on Polo, in: The International Journal of the History of Sport 19, 1 (2002), 1-30. 22 Vgl. dazu R AINER F RENKEL , Thorstein Veblen: Gelächter im Gottesdienst, in: Die großen Ökonomen. Leben und Werk der wirtschaftswissenschaftlichen Vordenker, N IKOLAUS P IPER (Hrsg.), Stuttgart 1994, 218-222, hier 218. Verwandtschaft besteht zum sogenannten „Snob-Effekt“, der die Präferenzen für ein Gut umschreibt, welche umso schwächer werden, je mehr dieses Gut nachgefragt wird. Hierbei wäre möglichst exklusiver Besitz des Gutes ein Merkmal für Luxus. Siehe dazu auch U LF C HRISTIAN E WERT / J AN H IRSCHBIEGEL , Nur Verschwendung? Zur sozialen Funktion der demonstrativen Zurschaustellung höfischen Güterverbrauchs, in: Luxus und Integration. Materielle Hofkultur in Westeuropa, 1200-1800, W ERNER P ARAVICINI (Hrsg.), München 2010, 105-121, hier 109. 23 Dies zeigen auch die Wertzuweisungen in einem Inventar des Schatzes des Herzogs von Berry, die nach seinem Tod eingetragen wurden. Illuminierte Handschriften, zweifelsohne luxuriöse Gegenstände und symptomatisch für den hohen Entwicklungsstand der höfischen Kultur der Zeit, sind nach ökonomischen Gesichtspunkten nur sehr niedrig bewertet worden. Dies geschah sicher auch unter dem Aspekt ihrer Verwertbarkeit, hatte doch eine Or- Mehr als nur der schöne Schein 37 spielende Adel des 15. Jahrhunderts 24 steht für ein Konzept adliger Lebensweise, das Thorstein Veblen mit seiner „Theory of the leisure class“ so treffend beschrieben hat. 25 Luxus erscheint - abgesehen von der Darbietung der Tennisbälle in einer goldenen Tonne - hier mittels Anspielung auf den vorgeblichen Lebenswandel Heinrichs vor seiner Krönung, der doch lieber Tennis spielen solle, als sich mit Frankreich anzulegen, allgemein als Ausdruck einer vor allem dem Adel vorbehaltenen Lebensform. Demnach lässt sich das ökonomische Konzept vom Luxusgut auf Objekte - Luxusgegenstände - wie auf Lebensstile gleichermaßen anwenden, man findet in beiden Zusammenhängen sowohl den „Veblen-Effekt“ als auch den „Snob- Effekt“. Deutlich wird zweitens auch, dass kommunikative Zusammenhänge in den vorstaatlichen Anwesenheitsordnungen der Vormoderne 26 stets personal bestimmt waren, und der Tausch von Gaben ist dies bis heute. Drittens waren der Vorgang des Schenkens und damit auch die Geschenke selbst nicht nur ein integraler Bestandteil der intra-, sondern auch der interhöfischen Kommunikation in einer hier besonders augenscheinlichen Symbolik, 27 die freilich ohne die verbale Rahmung durch den französischen Gesandten auch anders hätte interpretiert werden können. Wenn schließlich viertens „Diplomatie“ in einem umfassenden Verständnis die donnanz Karls VI. von 1417 nach dem 1416 erfolgten Tod Johanns von Berry bestimmt, eine assez grand quantité d’orfèvrerie d’or et d’argent zu verkaufen pour payer les soldats qui luttaient contre les Anglais; Bibliothèque Nationale de France, Paris (BNF) ms.fr. 6747 (Comptes du duc de Berry, fol. 25r-34v: Compte de Lomer le Bez 1418 (Verkaufsliste pour le fait de nostre guerre [...] et non pour autre cause); zur Ordonnanz vom 24. November 1417 ebd., fol. 31r-34v), ed. Inventaires de Jean, duc de Berry (1401-1416), publiés et annotés par J ULES G UIFFREY , 2 Bde., Paris 1894-1896, Bd. 2, 339-344. Vgl. L É OPOLD D ELISLE , Le Cabinet des Manuscrits de la Bibliothèque Impériale. Étude sur la formation de ce dépôt comprenant les éléments d’une histoire de la calligraphie de la miniature, de la reliure, et du commerce des livres à Paris avant l’invention de l’imprimerie, 3 Bde., Paris 1868-1881, Bd. 3, 170: L 54f. 24 Vgl. G ILLMEISTER , Tennis (wie Anm. 18), 28-40 und passim. 25 Siehe zur deutschsprachigen Ausgabe T HORSTEIN V EBLEN , Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, Frankfurt am Main 1987; vgl. beispielhaft J AN K EUPP , Verschwendung - Luxus - Kapital. Das Turnier des Hochmittelalters als Beispiel adeliger Ökonomie, in: Recht und Verhalten in vormodernen Gesellschaften. Festschrift für Neithard Bulst, A NDREA B ENDLAGE / A NDREAS P RIEVER / P ETER S CHUSTER (Hrsg.), Bielefeld 2008, 35-49, bes. 36-40. 26 Vgl. R UDOLF S CHLÖGL , Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 34, 2 (2008), 155-224. 27 Grundlegend zum Phänomen der symbolischen Kommunikation B ARBARA S TOLLBERG - R ILINGER , Symbolische Kommunikation in der Vormoderne: Begriffe - Forschungsperspektiven - Thesen, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), 489-527; D IES ., Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008, 11 mit Anm. 11 auf 323, spricht entsprechend von „Präsenzkultur“. Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 38 Durchsetzung der Interessen des einen Landes innerhalb eines anderen meint, 28 dann finden hier konsequenterweise all jene Handlungen und ihr materieller Ausdruck Platz, die kaum unter einem modernen Verständnis „diplomatischen Vorgehens“ subsumiert werden können - einschließlich all jener gewollten und ungewollten Ungeschicklichkeiten oder Missverständnisse im diplomatischen Verkehr, beispielsweise aufgrund von Unkenntnis kultureller Codes, die trotzdem oder gerade deshalb auch in der nach international gültigen Regeln konzipierten Welt der Höfe Alteuropas ihren Platz hatten. Denn mit den Worten William Roosens gilt: „Many early modern rulers and ministers […] did not draw a sharp distinction between peace and war when trying to achieve their foreign-policy goals.“ 29 So bewegte sich nach Roosen diplomatisches Verhalten der Zeit zwischen den Polen „strong enmity, hatred, hard-fought war“ einerseits und „strong friendship, amity, firm peace, strong alliance“ andererseits. 30 Höfischer und vor allem zwischenhöfischer Geschenkverkehr als Bestandteil diplomatischer Verhandlungen kann folglich nicht losgelöst von dem jeweils spezifischen historischen Kontext, den Akteuren und ihren politischen Zielen und den diplomatische Kontakte begleitenden kommunikativen Handlungen - ob verbal oder nonverbal - betrachtet werden; dies freilich, wie nicht zuletzt Martin Kintzinger anhand des zeitgenössischen einschlägigen Schrifttums vorgeführt hat, durchaus reflektiert. 31 Die sich daraus ergebenden Fragen lauten deshalb: Woher wissen wir von verschenkten Objekten, und um welche Objekte handelt es sich dabei? In welchen historischen Zusammenhängen stehen diese Objekte, die wir hier am Beispiel der französischen Außenbeziehungen um 1400 betrachten? Schließlich: Welche Funktion hatten Luxusgüter für die Diplomatie der Zeit? Zur Beantwortung dieser Fragen wollen wir im Folgenden auf empirischer Grundlage eine theoretische Annäherung versuchen. 28 Hier freilich zu verstehen als zwischenterritoriales dynastisch-höfisches Handeln in personaler Orientierung. Vgl. dazu die differenzierten Ausführungen bei C HRISTINE O TTNER , Einleitung, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, S ONJA D ÜNNEBEIL / C HRISTINE O TTNER (Hrsg.), Köln u. a. 2007, 9-20, mit zahlreichen weiterführenden Nachweisen, ebenso D IETER B ERG , Einleitung, in: Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter (13. bis 16. Jahrhundert), D IETER B ERG / M ARTIN K INTZINGER / P IERE M ONNET (Hrsg.), Bochum 2002, 11-14. 29 W ILLIAM R OOSEN , Early Modern Diplomatic Ceremonial: A Systems Approach, in: Journal of Modern History 52 (1980), 452-476, hier 470. 30 R OOSEN , Early Modern Diplomatic Ceremonial (wie Anm. 29), 471. 31 M ARTIN K INTZINGER , Kontakt und Konflikt. Herausforderungen der Diplomatie im Spätmittelalter, in: Bereit zum Konflikt. Strategien und Medien der Konflikterzeugung und Konfliktbewältigung im europäischen Mittelalter, O LIVER A UGE / F ELIX B IERMANN / M ATTHIAS M ÜLLER / D IRK S CHULTZE (Hrsg.), Ostfildern 2008, 275-297, hier bes. 283f. und 286- 295. Mehr als nur der schöne Schein 39 3. Französisch-englischer Gabentausch um 1400: Die empirische Grundlage Im vorliegenden, beispielhaft ausgewählten historischen Kontext wissen wir von den im zwischenhöfischen Geschenkverkehr getauschten Gegenständen vor allem durch die seriell überlieferten Rechnungsbestände der Zeit, hier exemplarisch betrachtet anhand der Angaben zu Geschenken zum neuen Jahr in der Zeit von 1380 bis 1422. 32 Dieser historische Kontext ist allgemein mit der ritterlich-höfischen Kultur und ihren international gültigen Regeln bezeichnet. Die historischen Koordinaten, die die konkreten Rahmenbedingungen bestimmten und damit die Handlungsoptionen nachhaltig beeinflussten, sind mit dem Hundertjährigen Krieg, 33 dem Schisma, 34 der krankheitsbedingten Regierungsunfähigkeit des französischen Königs 35 und der damit zusammenhängenden spannungsgeladenen innerfranzösischen Situation 36 hinreichend angesprochen. Schauen wir allerdings ein wenig genauer, sehen wir, dass der zwischenhöfische Austausch von Objekten zwischen England und Frankreich nach Ausweis des höfischen Geschenkverkehrs am Ende des 14. Jahrhunderts noch nicht die in der eingangs geschilderten Szene aufscheinende Frontstellung abbildete. Denn 1396 hatten der französische und der englische König einen auf insgesamt 28 Jahre angelegten Waffenstillstand geschlossen, der mit einer Ende des Jahres durchgeführten Hochzeit zwischen Richard II. von England und der Königstochter Isabella von Frankreich besiegelt wurde. 37 Auch wenn Richard II. bereits 1399 abgesetzt wurde und 1400 als Gefangener im Tower zu Tode kam, woraufhin Heinrich von Lancaster als 32 J AN H IRSCHBIEGEL , Étrennes. Untersuchungen zum höfischen Geschenkverkehr im spätmittelalterlichen Frankreich der Zeit König Karls VI. (1380-1422), München 2003. 33 Vgl. hierzu Anm. 2. 34 Grundlegend N OËL V ALOIS , La France et le grand schisme d’Occident, 4 Bde., Paris 1896- 1902, Nachdruck Hildesheim 1967. 35 Zu den vorangegangenen Ereignissen A UTRAND , Charles VI (wie Anm. 7), 271-286, zum Ausbruch der Krankheit selbst ebd., 286-303. 36 Hierzu oben Anm. 9. 37 Zum Waffenstillstand mit England und zur Heirat Richards II. mit Isabella siehe A UTRAND , Charles VI (wie Anm. 7), 338-340, mit weiterführenden Literaturhinweisen. Zu Isabella selbst L ÉON M IROT , Isabelle de France, reine d’Angleterre, comtesse d’Angoulême, duchesse d’Orléans (1389-1409). Épisode des relations entre la France et l’Angleterre pendant la guerre de Cent Ans, in: Revue d’histoire diplomatique 18 (1904), 546-573; 19 (1905), 60- 95, 161-191, 481-522. Zu Richard II. A NTHONY T UCK , Richard II, New York 1974; neuerdings C HRISTOPHER F LETCHER , Richard II. Manhood, Youth, and Politics, 1377- 1399, Oxford u. a. 2008. Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 40 König Heinrich IV. 38 den englischen Thron besetzte, dauerte es bis zum erneuten offenen Ausbruch der englisch-französischen Feindseligkeiten noch bis 1415. 39 Die in dieser Friedensphase im Rahmen des höfischen Geschenkverkehrs zum neuen Jahr zwischen den beiden Ländern getauschten Gegenstände waren hinsichtlich ihrer Materialität allesamt Luxusgüter. Nur einige Beispiele seien hier genannt. Bereits 1394 hatte Richard II. Karl VI. eine goldene Aquamanile und einen Trinkpokal geschenkt, 40 der burgundische Herzog dem Engländer drei wertvolle goldgewirkte Tapisserien. 41 Zu Beginn des Jahres 1397, also kurz nach der Hochzeit Richards mit der französischen Königstochter, erhielt die französische Königin Isabeau de Bavière von Richard zwei goldene, mit Perlen und Edelsteinen verzierte Becher. 42 Im folgenden Jahr bekam Richard vom burgundischen Herzog Philipp, überbracht durch den Gesandten Philipps, Jean de Villeroy, 43 eine wertvolle Goldschmiedearbeit, die den Heiligen Eduard darstellte, verziert mit Rubinen im exorbitanten Wert von 1.800 fr. 44 1399 schließlich erscheint Richard im Rahmen des Geschenkver- 38 Zu Heinrich IV. immer noch grundlegend J AMES H AMILTON W YLIE , History of England under Henry the Fourth, 2 Bde., London 1884-1898; neueren Datums: J OHN L AVAN K IRBY , Henry IV of England, London 1970. 39 Zur englischen Situation nach dem Sturz Richards II. P AUL S TROHM , England’s Empty Throne. Usurpation and the Language of Legitimation, 1399-1422, New Haven u. a. 1998. 40 BNF ms.fr. 21445, fol. 47v; vgl. P HILIPPE H ENWOOD , Administration et vie des collections d’orfèvrerie royale sous le règne de Charles VI (1380-1422), in: Bibliothèque de l’École des Chartes 138 (1980), 179-215, hier 194, Anm. 3. 41 Archives Départementales de la Côte d’Or, Dijon (ACO) B 1500, fol. 136r. Dargestellt waren ein Cruxefiement, ein Mont de Calvaire und die Trespassement de Nostre-Dame, vgl. H ENRI D AVID , Philippe le Hardi. Duc de Bourgogne et co-régent de France de 1392 à 1404. Le train somptuaire d’un grand Valois, Dijon 1947, 29. Siehe auch ebd., 59, Anm. 6. Vgl. C HR É TIEN C É SAR A UGUSTE D EHAISNES , Documents et extraits divers concernant l’histoire de l’art dans la Flandre, l’Artois et le Hainaut avant le XV e siècle, 2 Bde., Lille 1886, Bd. 2, 709. 42 Archives Nationales, Paris (AN) KK 41, fol. 137r. 43 Vgl. R ICHARD V AUGHAN , Philip the Bold. The Formation of the Burgundian State, London 1962, 108. 44 ACO B 1514, fol. 206v; BNF, Coll. de Bourgogne, vol. LIII, fol. 75; D EHAISNES , Documents (wie Anm. 41), hier Bd. 2, 769. [...] une image ou figure d’or de Saint Edouard, sur un pied d’argent [...] garni de six rubis balais, de trente-quatre perles et d’un rubis que la figure tenoit en sa main droite [...]. Dom U RBAIN P LANCHER / Dom Z ACHARIE M ERLE , Histoire générale et particulière de Bourgogne. Avec des notes, des dissertations et les preuves justificatives. Composée sur les Auteurs, les Titres originaux, les Régistres publics, les Cartulaires des Églises, Cathédrales et Collégiales, des Abbaïes, des Monastères, et autres anciens Monuments. Et enrichie de Vignettes, de Cartes Géographiques, de divers Plans, de plusieurs Figures, de Portiques, Tombeaux et Sceaux tant des Ducs que des Grandes Maisons, etc. Par une Religieux Bénédictin de l’Abbaïe de S. Benigne de Dijon et de la Congrégation de S. Maur, Dijon 1739-1781, 4 Bde., hier Bd. 3, 170, sommaire 14-CLXXII. Vgl. D AVID , Philippe le Hardi (wie Anm. 41), 62. Mehr als nur der schöne Schein 41 kehrs zum neuen Jahr ein letztes Mal in den französischen Rechnungen. Das Geschenk selbst, das er dem französischen König überbringen ließ, ist allerdings nicht bekannt, wir wissen davon lediglich durch die Belohnung, die der englische Bote erhielt. 45 Dies war auch der letzte überlieferte französisch-englische Gabentausch aus Anlass des Neujahrstages bis zum Ende des Beobachtungszeitraumes 1422. Schenken mit dem Ziel, bestehende Beziehungen zu stabilisieren und auf Dauer zu stellen, ist freilich nicht auf die einfache Entsprechung von Geschenk und Gegengeschenk, von Leistung und Gegenleistung angelegt, sondern auf die Etablierung von Anerkennungsverhältnissen. 46 Sofern eine solche dem Schenken immanente Logik der sozialen Kohäsion postuliert wird, kann hier zum einen tatsächlich als allgemeines Ziel des interhöfischen und interdynastischen englisch-französischen Gabentausches deutlich die konkrete Funktion des Friedenserhalts nach dem Prinzip der generalisierten Reziprozität des sozialen Tausches unterstellt werden. 47 Erst wenn gegen diese Logik verstoßen wird, entfaltet ein Geschenk den gegenteiligen Effekt, weil dann die grundsätzliche Erwartungshaltung enttäuscht wird. Da es sich zum anderen bei den vorgestellten Gaben aber um typisch höfische Gaben handelte, die ebenfalls im Geschenkverkehr an und zwischen den Höfen der Valois Verwendung fanden, stellt sich die Frage, ob Luxusgüter im interhöfischen und interdynastischen, die Herrschaftsbereiche überschreitenden Geschenkverkehr überhaupt eine Funktion als notwendige Begleiter solcherart charakterisierbarer diplomatischer Kontakte mit einer möglicherweise zusätzlich gegebenen eigenen Aussagekraft hatten. Ihre Daseinsberechtigung nämlich scheint doch allein schon durch die gemeinsame höfische Kultur bestimmt gewesen zu sein, als Ausweis von Kommunikationsfähigkeit und Kommunikationsberechtigung und als Nachweis einer durch das Herkommen begründeten Legitimation. Dass gleichzeitig „der eigene Wohlstand hervorgehoben und außerdem dem fremden Herrscher Ehrerbietung gezollt“ 48 wurde, indem entsprechende Gaben überreicht wurden, galt für nahezu alle Bereiche des höfischen Geschenkverkehrs, auch wenn es sich bei den Adressaten nicht um „fremde“, sondern lediglich um „andere“ Herrscher handelte: Der Tausch wertvoller - in materieller oder immaterieller Hinsicht - höfischer Gaben bei hochrangigen Herrscherbegegnungen, auch wenn diese durch Gesandte vermittelt stattfanden, scheint von selbstverständlicher Regelhaftigkeit gewesen zu sein. 49 Somit wäre erst das Ausbleiben entsprechender Gaben im zwischenhöfischen diplomatischen Ver- 45 AN KK 27, fol. 17v: hennap d’or couvert für Thomas Chamille, chevalier trenchant du Roy d’Angleterre, lequel avoir apporte devers le Roy nre. dit seigneur les estrainges du Roy d’Angleterre. 46 Hierzu H ARALD H AFERLAND , Höfische Interaktion. Interpretationen zur höfischen Epik und Didaktik um 1200, München 1989. 47 Zum theoretischen Hintergrund H IRSCHBIEGEL , Étrennes (wie Anm. 32), 124-132. 48 A RND R EITEMEIER , Außenpolitik im Mittelalter. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Reich und England 1377-1422, Paderborn u. a. 1999, 446. 49 Vgl. R EITEMEIER , Außenpolitik (wie Anm. 48), 446f. Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 42 kehr durch den damit verbundenen Verstoß gegen die Regeln und Codes der höfischen Kultur, zudem auch erst ihre konkrete Ausgestaltung über den unterstellten Regelfall hinaus von weiterführender Aussagekraft. Während Ersteres überlieferungsbedingt kaum fassbar ist, lässt sich Letzteres zumindest in Einzelfällen nachweisen. In vergleichender Betrachtung lassen sich im Beobachtungszeitraum zahlreiche weitere Objekte feststellen, die aufgrund ihrer Verwendung im interhöfischen Gabentausch mit außerfranzösischen Partnern und aufgrund der je spezifischen politischen Rahmenbedingungen und Zielsetzungen jenem diplomatischen Verkehr zugewiesen werden können. Auffällig ist, dass der materielle und symbolische Wert der verschenkten Gegenstände mit der Nähe und/ oder Bedeutung der Schenkpartner stieg. 50 Die Tatsache, dass der eigentliche und damit „außerdiplomatische“ Anlass des Schenkens jeweils das Fest zum neuen Jahr war, 51 mindert den Wert der Beobachtungen nicht. Die Tauschakte sind vielmehr aufgrund der oben genannten Bestimmungsfaktoren eindeutig dem Bereich der außenpolitischen Kontakte zuzuweisen. Zudem lässt sich der Neujahrstag im Rahmen einer Theorie des Schenkens als Gelegenheit interpretieren, gleichsam vordergründig zweckfrei und von politischen Zielsetzungen unbelastet in einen dennoch politisch motivierten und orientierten Geschenkverkehr einzutreten. Schließlich besteht eine relativ hohe Überlieferungsdichte von Neujahrsgeschenken und damit eben auch von Geschenken, denen in diesem Überlieferungszusammenhang diplomatische Funktionen zuerkannt werden können, so dass für eine theoretische Annäherung eine breitere empirische Ausgangsbasis gegeben ist als die bloße Einzelfallbetrachtung. So schenkte 1402 der spätere burgundische Herzog Johann Ohnefurcht dem byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos eine kleine Goldschmiedeplastik. 52 Manuel befand sich zu dieser Zeit auf einer Reise nach Italien, Frankreich und England, um Hilfe gegen die Konstantinopel bedrängenden Osmanen zu erbitten. Dass Johann von Manuel ebenfalls beschenkt wurde, ist überliefert, wir wissen aber nicht 50 Detaillierte Auswertungen hinsichtlich der Aspekte Nähe und Distanz bei H IRSCHBIEGEL , Étrennes (wie Anm. 32), 210-246. Siehe dazu auch U LF C HRISTIAN E WERT / J AN H IRSCH- BIEGEL , Gabe und Gegengabe - Das Erscheinungsbild einer Sonderform höfischer Repräsentation am Beispiel des französisch-burgundischen Gabentausches zum neuen Jahr um 1400, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 87 (2000), 5-37; vgl. A MKE C ALIEBE / J AN H IRSCHBIEGEL , Philipp der Kühne, Johann Ohnefurcht und der höfische Geschenkverkehr zum neuen Jahr um 1400, in: Paris, capitale des ducs de Bourgogne, W ERNER P ARAVICINI / B ERTRAND S CHNERB (Hrsg.), Ostfildern 2007, 219-262. 51 Siehe hierzu J AN H IRSCHBIEGEL , Das Neujahrsfest an den französischen Höfen um 1400, in: Höfische Feste im Spätmittelalter, G ERHARD F OUQUET / H ARM VON S EGGERN / G ABRIEL Z EILINGER (Hrsg.), Kiel 2003, 19-38. 52 ACO B 5519, fol. 58. Vgl. L É ON M IROT , Jean sans Peur de 1398 à 1405, d’après les comptes de sa Chambre aux deniers, in: Annuaire-Bulletin de la Société de l’Histoire de France (1938), 129-245, hier 156 mit Anm. 1 und 154 mit Anm. 10. Mehr als nur der schöne Schein 43 womit. 53 Der Burgunder selbst schenkte dem Byzantiner einen reich verzierten Becher. 54 Im selben Jahr erhielt Johanns Vater, Herzog Philipp der Kühne, von König Martin von Aragon vier Maulesel, vier Schlachtpferde und vier Affen, begleitet von zwei Mohren, 55 all dies überbracht von einem Gesandten, der von Philipp für seine Dienste entlohnt wurde. 56 Hier spielte dynastische Politik wohl eine wichtige Rolle, denn Martin von Aragon hatte seine Nichte Jolanthe im Jahre 1400 mit Ludwig II. von Anjou verheiratet; Ludwig wiederum war ein Vetter Karls VI., Philipp der Kühne von Burgund mithin sein Onkel. Im dynastischen Zusammenhang ist sicher auch der Austausch von Geschenken Philipps des Kühnen mit Leopold IV. von Österreich und Wilhelm von Bayern zu sehen. Beide waren mit Töchtern Philipps verheiratet. Darüber hinaus aber stehen die Ordenskollanen, die Leopold und Wilhelm 1403 von Philipp erhielten, 57 für den Versuch einer burgundischen Ordensgründung, hier des Ordens vom Goldenen Baum, der als Vorwegnahme des Ordens vom Goldenen Vlies interpretiert werden kann. 58 Der letzte nachweisbare höfische Gabentausch mit einem außerfranzösischen Partner während der Regierungszeit Karls VI. betrifft das Geschenk eines Messbuches, das Ugo Roberti Herzog Johann von Berry 1404 verehrte. 59 Roberti war römischer Patriarch von Alexandria. Möglicherweise ist dieses Geschenk im Rahmen des Abendländischen Schismas als Versuch zu werten, die französische Orientierung auf Avignon zu beeinflussen. Mit dem Tod Philipps von Burgund 1404 verhärteten sich die innerfranzösischen Fronten; der höfische Geschenkverkehr zum neuen Jahr konzentrierte sich ab diesem Zeitpunkt auf Frankreich. Vor 1399 aber, also bis zur Absetzung Richards II., lassen sich im zwischenhöfischen Gabentausch nicht nur englisch-französische Beziehungen feststellen. 53 ACO B 5519, fol. 38. Vgl. M IROT , Jean sans Peur (wie Anm. 52), 154 mit Anm. 10. 54 H ENRI D AVID , Philippe le Hardi au début du XV e siècle. Extraits somptuaires, Dijon 1945, 27; vgl. D AVID , Philippe le Hardi (wie Anm. 41), 149. 55 ACO B 1526, fol. 216v. Vgl. D AVID , Philippe le Hardi (wie Anm. 54), 27; und D AVID , Philippe le Hardi (wie Anm. 41), 149. 56 ACO B 1526, fol. 216v. 57 H IRSCHBIEGEL , Étrennes (wie Anm. 32), 441, Nr. 1259, 443, Nr. 1277; siehe auch D AVID , Philippe le Hardi (wie Anm. 41), 151. 58 Hierzu C AROL M. C HATTAWAY , The Order of the Golden Tree. The Gift-Giving Objectives of Duke Philip the Bold of Burgundy, Turnhout 2006. 59 BNF ms.lat. 17173, fol. 228, Nr. 10; D ELISLE , Cabinet (wie Anm. 23), Bd. 3, 176, Nr. 67; siehe auch G UIFFREY , Inventaires (wie Anm. 23), Bd. 2, 174, Nr. 145, mit dem Zusatz couvert de cuir blanc sowie ebd., 174, Anm. 4, die Wiedergabe einer Marginale nach dem Ms. BNF n.a.fr. 1363, Nr. 145: Fermant à deux fermoirs d’argent, dorez, et garny sur les ais de X petis boulons d’argent, dorez; commençant au II e fueillet; habitacula, noté, et finissant ou dernier fueillet: seculi, amen; non noté. Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 44 Der Austausch von Geschenken mit Leo VI. von Lusignan, dem letzten christlichen König von Armenien, kann hier nur kurz angesprochen werden. Leo war von den Mameluken vertrieben worden und fand Exil in Westeuropa; seit 1384 hielt er sich in Paris auf. Er wurde in den innerfranzösischen höfischen Gabentausch einbezogen, erhielt und machte selbst Geschenke - auch von und an Philipp den Kühnen 60 und Isabeau de Bavière. 61 Peter von Genf, Bruder des avignonesischen Papstes Clemens VII., wiederum wurde 1385 von Philipp mit einer goldenen Spange beschenkt. 62 Clemens selbst war Tauschpartner Ludwigs von Orléans 1393 63 und Philipps des Kühnen 1394, 64 der ihm in diesem Jahr eine wertvolle und reich verzierte Goldschmiedeplastik mit der Darstellung der Verkündigung Mariens schenkte, die nach Ausweis der burgundischen Rechnungsüberlieferung den enormen Wert von 2.000 Goldfranken hatte. 65 Nachfolger Clemens’ VII. ab 1394 war Benedikt XIII. Anlässlich des Neujahrsfestes 1395 erhielt er von Ludwig von Orléans 66 und Philipp dem Kühnen 67 je ein kleineres Schmuckstück als Geschenk. Es bedarf sicher keines weiteren interpretativen Aufwandes, diesen Gabentausch im Zusammenhang mit der durch das Schisma bedingten avignonesischen Obödienz zu sehen. Im Jahre 1396 schließlich schickte Heinrich III. von Spanien dem burgundischen Herzog ein 60 2 grands pots d’argents dorez hachiez et 6 tasses à souage et à esmaulx im Wert von 385 l., ACO B 1463, fol. 95v; BNF Coll. de Bourgogne, vol. XXVI, fol. 213; Inventaires mobiliers et extraits des comptes des ducs de Bourgogne de la maison de Valois (1363-1477), H ENRI P ROST / B ERNARD P ROST (Hrsg.), Bd. 1: Philippe le Hardi 1363-1377, Paris 1902-1904; Bd. 2: Philippe le Hardi 1378-1390, Paris 1908-1913, hier Bd. 2, 180-182, Nr. 1194; vgl. C HARLES C OMMEAUX , La vie quotidienne en Bourgogne au temps des ducs Valois (1364- 1477), Paris 1979, 244. - […] un fermail à une lycorne esmailliee de blanc, 260 fr., ACO B 1500, fol. 103v; vgl. D AVID , Philippe le Hardi (wie Anm. 41), 56. […] un fermail à un cerf esmaillié de blanc, garni de plusieurs pierreries im Wert von 112 l. 10 s.t., ACO B 1500, fol. 103v; BNF Coll. de Bourgogne, vol. XXI, fol. 23v; E RNEST P ETIT , Itinéraires de Philippe le Hardi et de Jean sans Peur, ducs de Bourgogne (1363-1419), d’après les comptes de dépenses de leur Hôtel, Paris 1888, 544f. 61 M ARCEL T HIBAULT , Isabeau de Bavière, reine de France. La jeunesse 1370-1405, Paris 1903, 182, Anm. 1. 62 ACO B 1463, fol. 95v; BNF Coll. de Bourgogne, vol. XXVI, fol. 213; Inventaires mobiliers (wie Anm. 60), hier Bd. 2, 180-182, Nr. 1194; vgl. C OMMEAUX , La vie (wie Anm. 60), 244. 63 Siehe L É ON -E MMANUEL -S IMON -J OSEPH DE L ABORDE , Les Ducs de Bourgogne: Études sur les lettres, les arts et l’industrie pendant le XV e siècle et plus particulièrement dans les Pays- Bas et le Duché de Bourgogne, 3 Bde., Paris 1849-1851, Bd. 3, 63, Nr. 5539. 64 BNF Coll. de Bourgogne, vol. LIII, fol. 63; P ETIT , Itinéraires (wie Anm. 60), 548. 65 […] un joyau d’or de l’Annonciation Nostre Dame, garni de dix balais, huit saphirs, un rubis, quatre diamants, deux grosses perles, trente deux moins grosses et neuf vingt petites, assis sur un entablement d’argent doré, Mandement du duc, daté de Conflans 12 janvier, ACO B 1500, fol. 101v; BNF Coll. de Bourgogne, vol. XXI, fol. 25v; vgl. D AVID , Philippe le Hardi (wie Anm. 41), 22; P ETIT , Itinéraires (wie Anm. 60), 548. 66 Archives Départementales de Loiret, Collection Joursanvault 1976, 3: 6 J 2 P. 84. 67 ACO B 1503, fol. 124r; vgl. D AVID , Philippe le Hardi (wie Anm. 41), 22 mit Anm. 5. Mehr als nur der schöne Schein 45 Schlachtpferd und einen Zelter. 68 Philipp entlohnte den Boten Johann Rodrigues mit 200 fl. 69 Möglicherweise zeugt dieses Geschenk von den allgemeinen Bündnisverhandlungen der Zeit angesichts der osmanischen Bedrohung und von den Vorbereitungen des Nikopolisfeldzuges vom Herbst desselben Jahres. Die Beispiele, die wir aufgezählt haben, betreffen anlassbedingte Beziehungen französischer Höfe zu außerfranzösischen Höfen durch ihre Repräsentanten, sichtbar anhand der begleitenden Geschenke. Beobachtet werden konnte der jeweils bilaterale Geschenkverkehr, also ein personaler und materieller Ausschnitt der französischen Außenbeziehungen am Beispiel der Neujahrsgeschenke. Bleibt die Frage, ob im Rahmen eines interhöfisch-diplomatischen Verkehrs auch andere Objekte als Luxusgegenstände Verwendung fanden. Sie kann eindeutig bejaht werden, wenn wir das Augenmerk auf nicht-französische Beziehungsnetze richten, wiewohl die Überlieferungschance für materiell wertvolle Gegenstände ungleich größer war. So verschenkte die sächsische Kurfürstin Anna gern selbst gebrannten Schnaps, 70 andere verschenkten Lebkuchen, 71 was allerdings auch ein durchaus bezeichnendes Bild auf die weit weniger komfortablen Verhältnisse an den Höfen des Reiches wirft, denen ein quantitativ wie qualitativ derart aufwendiger Geschenkverkehr zum neuen Jahr offenbar fremd war. In Frankreich wiederum waren es die Balladen, Rondeaux und Virelais vor allem des Eustache Deschamps, die in den höfischen Geschenkverkehr integriert wurden, allerdings beschränkt auf den innerfranzösischen und meist intrahöfischen Gabentausch. 72 Transportiert wurden über einen solchen Gabentausch allerdings dennoch wertvolle Güter, nämlich die Zeit dessen, der es sich leisten konnte, zu brennen oder zu backen, oder das kulturelle Niveau derer, die es vermochten, als Mäzene zu wirken. Dass Luxusgegenstände eine große Rolle im zwischenhöfischen Geschenkverkehr und damit auch im diplomatischen Verkehr des Spätmittelalters spielten, scheint somit außer Frage zu stehen. Ebenso, dass Luxusgegenstände unter den Rahmenbedingungen der höfischen Welt angemessene Geschenke waren und darüber hinaus repräsentativen Charakter hatten. Denn wie wir andernorts vorgeführt 68 ACO B 1508, fol. 109r. 69 ACO B 1508, fol. 109r. 70 K ATRIN K ELLER , Kurfürstin Anna von Sachsen. Von Möglichkeiten und Grenzen einer „Landesmutter“, in: Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, J AN H IRSCHBIEGEL / W ERNER P ARAVICINI (Hrsg.), Stuttgart 2000, 263-285, hier 274. 71 Deutsche Privatbriefe des Mittelalters. Bd. 1: Fürsten und Magnaten, Edle und Ritter, G EORG S TEINHAUSEN (Hrsg.), Berlin 1899: Lebkuchen mit Neujahrswünschen erhielt beispielsweise Graf Philipp von Hanau von seiner Tochter, Gräfin Margarete von Hanau, siehe Nr. 407 (5. Februar 1488), 435 (1. Februar 1492), 466 (13. Januar 1496), 478 (9. Februar 1497) und 504 (25. Januar 1499), desgleichen von der Priorin und dem Konvent des Agnesklosters in Liebenau, siehe Nr. 491 (17. Januar 1498) und 503 (13. Januar 1499). 72 Siehe H IRSCHBIEGEL , Étrennes (wie Anm. 32), 511-513. Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 46 haben, 73 war der Statuswettbewerb der Fürsten ökonomisch zwar nicht effizient, produzierte aber zwangsläufig wertvolle bzw. Wert vermittelnde Gegenstände. Diese Luxusgegenstände konnten jedoch zusätzlich zu ihrer höfisch-kulturell bedingten Luxusfunktion auch eine symbolische Funktion in individueller oder politischer Hinsicht besitzen, auch dies macht die Empirie deutlich. Ob dabei allerdings nicht doch ihr hoher materieller Wert im Vordergrund stand, ist anhand der historischen Beispiele allein nicht zu bestimmen. Auch wenn der Wert eines Luxusgegenstandes keinen direkten Einfluss auf ein diplomatisches Ergebnis gehabt zu haben schien, so mag er dennoch, der Logik von Schenkbeziehungen entsprechend, der Pflege der Beziehungen gedient haben, indem er Kooperationen stabilisierte oder deren Aufnahme beschleunigte. Mit Hilfe der historischen Beschreibung dieses Sachverhaltes allein ist jedoch nicht zu unterscheiden, ob die Verwendung der vorgeführten Objekte bei diplomatischen Begegnungen wie oben gemutmaßt in erster Linie Ausdruck einer höfischen Norm oder möglicherweise doch rationale Wahlhandlung war. 74 Einen Ausweg aus diesem analytischen Dilemma verspricht der die historische Beschreibung und Interpretation ergänzende spieltheoretische Zugriff, welcher im Folgenden vorgestellt wird. 4. Zur theoretischen Analyse des diplomatischen Geschenkverkehrs: Ein spieltheoretisches Modell Die Schenkbeziehungen des französischen Königshofes zu anderen Höfen in (West)Europa sind ein illustratives Beispiel, von dem Aufschluss über grundlegende Prinzipien und Mechanismen des Tausches von Luxusgütern in einem höfischen und diplomatischen Kontext erwartet werden darf. Sie geben Anlass dazu, den Mechanismus des Schenkens mit politischen Motiven in einem spieltheoretischen Modell abzubilden. Es soll Tauschbeziehungen dieses Typs auf die wesentlichen Aspekte reduzieren und damit die vielfältigen historischen Befunde aus dem Frankreich der Zeit um 1400 verallgemeinern. Grundlegendes Ziel dieser Modellierung ist es, Rückschlüsse auf die Funktion von diplomatischen Geschenken zu erlangen, die die Eigenschaft besitzen, Luxusgüter zu sein. War also der Preis bzw. ihr hoher materieller Wert und ihre (materielle) Exklusivität tatsächlich ausschlaggebend dafür, dass 73 Vgl. auch E WERT / H IRSCHBIEGEL , Nur Verschwendung? (wie Anm. 22). 74 Das zeitlich freilich etwas spätere Beispiel des französischen Königs Ludwig XI. (1461-1483) zeigt, dass es immerhin grundsätzlich möglich war, sich auch über höfische Spielregeln - Normen - hinwegzusetzen. Damit bekommen die Handlungen der höfischen Akteure durchaus den Charakter von Wahlhandlungen. Vgl. W ERNER P ARAVICINI , Von materieller Attraktion, adeligem Dienst und politischer Macht. Über den tieferen Sinn höfischer Lebensführung: Eine Zusammenfassung, in: Luxus und Integration. Materielle Hofkultur in Westeuropa, 1200-1800, D ERS . (Hrsg.), München 2010, 271-284. Mehr als nur der schöne Schein 47 solche Luxusgegenstände an spätmittelalterlichen Höfen mit diplomatischer Absicht verschenkt wurden? Wurden sie überhaupt absichtsvoll verschenkt oder nicht vielmehr doch in bloßer Übereinstimmung mit den höfischen Gewohnheiten? Weil mit der spieltheoretischen Modellierung der Schenkvorgang innerhalb eines ökonomischen, streng rationalen und deshalb eigentlich unrealistischen Handlungsrahmens untersucht wird, wird auch erwartet, zusätzlich zur möglichen ökonomischen Funktion der Luxusgüter innerhalb von Tauschbeziehungen die Bedeutung von Regeln für das Schenken im diplomatischen Verkehr besser erkennen zu können. Formuliert wird ein sequentielles, nicht-kooperatives Spiel, 75 welches auch wiederholt gespielt werden kann. 76 Mit der Replikation wird die Dauerhaftigkeit sozialer Interaktionen berücksichtigt, und um solche handelt es sich ja vor allem bei den vorgeführten diplomatischen Beziehungen. Zunächst soll jedoch das Modell konstruiert werden. Der Schenkvorgang wird auf die zwei daran direkt beteiligten Akteure reduziert, den Schenkenden und den Beschenkten. Beide Akteure haben annahmegemäß die Wahl zwischen verschiedenen Handlungsalternativen. Dabei wählt der Schenkende zuerst zwischen den Strategien „schenken“ und „nicht schenken“. Nach seiner Strategiewahl - das ist das sequentielle Moment dieses „diplomatischen Geschenkspiels“ - entscheidet der Beschenkte zwischen drei Möglichkeiten: „ablehnen“, „annehmen und nicht kooperieren“ oder „annehmen und kooperieren“. 75 Die Spieltheorie beschäftigt sich ganz allgemein mit strategischen Entscheidungssituationen. Solche Situationen sind dadurch gekennzeichnet, dass ihr Ausgang von den Entscheidungen mehrerer Entscheidungsträger abhängt und deshalb ein einzelner Entscheidungsträger diesen Ausgang nicht unabhängig von den Entscheidungen der anderen beeinflussen kann. Außerdem sind sich alle Entscheidungsträger dieser Interdependenz ihrer Entscheidungen bewusst. Vgl. M ANFRED J. H OLLER / G ERHARD I LLING , Einführung in die Spieltheorie, Berlin u. a. 1996, 3. verbesserte und erweiterte Aufl., 1. Diese Entscheidungssituation wird in einem Modell („Spiel“) abgebildet. Wenn die einzelnen Entscheidungsträger („Spieler“) nacheinander entscheiden, wird von einem sequentiellen Spiel gesprochen. Sofern die Spieler allein ihr Eigeninteresse verfolgen, heißen Spiele nicht-kooperativ. 76 Vgl. zu wiederholten Spielen allgemein H OLLER / I LLING , Spieltheorie (wie Anm. 75), 20- 23 und 131-134. Mittlerweile sind mehrfach solche Modelle zur Analyse von Fragen der vormodernen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte verwendet worden, so etwa E WERT / H IRSCHBIEGEL , Gabe und Gegengabe (wie Anm. 50), 10 (zur Praxis der Neujahrsgeschenke am Hof des französischen Königs Karl VI.); S YBILLE L EHMANN , A Rent Seekers’ Paradise, or Why There Was no Revolution in Fifteenthto Eighteenth-Century Nuremberg, in: The Institutional Analysis of History, O LIVER V OLCKART (Hrsg.), München 2004, 41-57 (zur Konfrontation zwischen Rat und Handwerkern in Nürnberg in Spätmittelalter und Früher Neuzeit) und U LF C HRISTIAN E WERT / S TEPHAN S ELZER , Wirtschaftliche Stärke durch Vernetzung. Zu den Erfolgsfaktoren des hansischen Handels, in: Praktiken des Handels. Geschäfte und Beziehungen europäischer Kaufleute in Mittelalter und früher Neuzeit, M ARK H ÄBERLEIN / C HRISTOF J EGGLE (Hrsg.), Konstanz 2010, 39-69 (zur Funktionsweise des hansischen Handels auf Gegenseitigkeit im Spätmittelalter). Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 48 Um das ökonomische Kalkül der Akteure abzubilden, sind lediglich zwei Nutzengrößen notwendig: G t bezeichnet die Kosten bzw. den Wert eines Geschenks (in Periode bzw. Runde t ). Zugleich wird der Einfachheit halber angenommen, dass diese Größe den Opportunitätskosten für den Fall entspricht, dass der Schenkende sich für das Nichtschenken entscheidet. K t beschreibt den Wert der Kooperationsbereitschaft des Beschenkten. Für ihn sind dies „Kooperationskosten“. Es handelt sich also im weitesten Sinne um die von ihm erbrachte Gegenleistung für ein erhaltenes Geschenk. Man darf annehmen, dass der Schenkende stets bestrebt ist, eine solche Gegenleistung mit Hilfe seines Geschenkes zu erhalten. Getroffen werden überdies die für nicht-kooperative Spiele üblichen Annahmen: Die Spieler sind Nutzenmaximierer; sie handeln strategisch, das heißt sie berücksichtigen das vom Gegenspieler erwartete Handeln für ihre eigene Entscheidung; auch fehlt eine Instanz, welche direkt Strategiewahlen durchsetzen oder Absprachen garantieren könnte. 77 Die graphische Darstellung der Wahlmöglichkeiten und Handlungskombinationen in einem Spielbaum mit der zugehörigen Verteilung der Nutzenwerte sieht folgendermaßen aus: Abb. 1: Spielbaum des diplomatischen Geschenkspiels Ein solchermaßen formuliertes Spiel hat vier mögliche Spielausgänge: 1. Schenkt der potentiell Schenkende nicht, kann auf diese Weise keine soziale Interaktion zustande kommen. Im höfischen Kontext des späten Mittelalters hatte dies jedoch noch weitere Auswirkungen. Weil wir es mit einer Vergesellschaftungsordnung von Anwesenden zu tun haben, war Schenken eine zumindest teilweise 77 All dies stellt sicher, dass mögliche kooperative Lösungen des Spiels nur durch das Eigeninteresse der beiden Akteure getragen werden. Vgl. dazu H OLLER / I LLING , Spieltheorie (wie Anm. 75), 6. Zum Konzept nicht-kooperativer Spiele siehe allgemein D AVID M. K REPS , Game Theory and Economic Modelling, Oxford 1990, 9-36. SCHENKENDER (S) BESCHENKTER (B) beschenkt B beschenkt B nicht S B [-G t , -G t ] S B [-G t , G t ] nimmt an, ist unkooperativ nimmt an, ist kooperativ S B [-G t +K t , G t -K t ] lehnt ab S B [G t -G t , -G t ] Mehr als nur der schöne Schein 49 öffentliche Handlung. Zeugnis davon gibt nicht nur die bekannte Darstellung des Herzogs von Berry auf dem Januarblatt seines Stundenbuches, die ihn und seine Höflinge bei der Entgegennahme der Neujahrsgeschenke zeigt. 78 Auch in der eingangs zitierten Szene lässt Shakespeare den französischen Boten nicht auf Heinrich V. allein treffen, sondern auf eine ganze Gruppe von dem König sehr nahe stehenden Personen. Bei Herrschertreffen wie der auch in den „Grandes chroniques de France“ wiedergegebenen und von Jean Fouquet illustrierten Begegnung zwischen König Karl V. und Kaiser Karl IV. war die öffentliche, gleichwohl selektive, weil höfische Inszenierung gänzlich evident. 79 Solche Treffen waren in ihrem Ablauf, ihren Funktionen und natürlich auch in ihren beabsichtigten, an den jeweils spezifischen Adressaten orientierten Wirkungen keineswegs willkürlich. 80 Daher muss berücksichtigt werden, dass vom potentiell Schenkenden erwartet wurde, dass er zu diplomatischen Anlässen Ranggleiche beschenkte. Dies war vor allem das Ergebnis der fürstlichen Statuskonkurrenz, in der es sich kein Fürst leisten konnte, Prestige einzubüßen, weil sonst nicht nur sein Gewicht im fürstlichen Wettbewerb abgenommen hätte, sondern auch seine Position am eigenen Hof mitunter in Gefahr geraten wäre. 81 Deshalb bedeutet das Nichtschenken für den potentiell Schenkenden die Übernahme zusätzlicher Opportunitätskosten in Höhe von -G t . Für den Nichtbeschenkten resultiert daraus jedoch ebenso ein Prestigeverlust, denn Schenken selbst heißt Anerkennung und sichtbar Machen von Prestige. Aus diesem Grund hat auch der Nichtbeschenkte einen Nutzenverlust von -G t zu gewärtigen. Die Spielregeln der höfischen Welt nehmen somit indirekt Einfluss auf die Entscheidung der Spieler. Sie werden als handlungsstrukturierender Kontext modelliert. Und nur mit Hilfe dieses Modelldesigns kann unterschieden werden, inwieweit das Schenken eine echte Wahlhandlung oder nur das Erfüllen einer Norm ist. 2. Lehnt der Beschenkte das ihm angebotene Geschenk ab, so behält der Schenkende es zwar in seinem Besitz, verliert aufgrund der öffentlichen Bloßstellung 78 Zu Beschreibung und Literatur siehe H IRSCHBIEGEL , Étrennes (wie Anm. 32), 47-57. 79 Zum Beispiel Chronique des règnes de Jean II et de Charles V, R OLAND D ELACHENAL (Hrsg.), Paris 1910-1916, 2 Bde., hier Bd. 2, 193-277. Zur höfischen Inszenierung vgl. W ERNER P ARAVICINI , Zeremoniell und Raum, in: Zeremoniell und Raum, D ERS . (Hrsg.), Sigmaringen 1997, 11-36, hier 15. Dies gilt selbstredend auch für jene höfischen Inszenierungen, die im städtischen Raum stattfanden oder beim Aufeinandertreffen städtischer und höfischer Sphären; vgl. J AN H IRSCHBIEGEL / G ABRIEL Z EILINGER , Urban Space Divided? The Encounter of Civic and Courtly Spheres in Late-Medieval Towns, in: Urban Space in the Middle Ages and Early Modern Age, A LBRECHT C LASSEN (Hrsg.), Berlin 2009, 481- 503. 80 Grundlegend G ERALD S CHWEDLER , Herrschertreffen des Spätmittelalters. Formen - Rituale - Wirkungen, Ostfildern 2008, der auch den bei solchen Treffen üblichen Gabentausch berücksichtigt; siehe nur 297-317 zum Treffen Karls V. mit Karl IV., hier bes. 303f. 81 Vgl. E WERT / H IRSCHBIEGEL , Nur Verschwendung? (wie Anm. 22), 115. Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 50 jedoch Prestige in gleicher Höhe. Gleichermaßen wirkt das Ablehnen prestigemindernd für den Ablehnenden. 3. Nimmt der Beschenkte das Geschenk zwar an, lässt sich jedoch hiervon in seinem eigenen Verhalten nicht beeinflussen, erbringt also keine Gegenleistung, trägt der Schenkende die Geschenkkosten -G t , der Beschenkte hingegen kann jenen Geschenkwert G t für sich verbuchen. Ein durchaus ernstzunehmender materieller bzw. monetärer Gewinn, denn wertvolle Geschenke wurden häufiger kapitalisiert, ohne großes Aufheben davon zu machen. 82 4. Nimmt der Beschenkte das Geschenk an und lässt sich damit auch in seinem politisch-diplomatischen Verhalten beeinflussen, erbringt er also die vom Schenkenden gewünschte Gegenleistung, trägt der Schenkende die Kosten des Geschenks G t , erhält aber den Kooperationswert K t , während der Schenkende das Geschenk erhält, dafür aber die Kooperationskosten tragen muss. Der Kooperationswert wird seiner Höhe pro Periode („Spielrunde“) nach höchstens dem Geschenkwert entsprechen. 5. Repräsentation, Anreizsetzung und Beziehungsstabilisierung: Ergebnisse der Analyse Zunächst wird das Spiel für den Einperiodenfall untersucht, das heißt die Spieler spielen es nur eine einzige Runde. Gesucht wird, wie in jeder spieltheoretischen Analyse, nach den Gleichgewichtsstrategien der Akteure, wobei Gleichgewicht als eine Kombination individuell-rationaler und optimaler Strategien zu verstehen ist. In sequentiellen Spielen lassen sich solche Handlungsgleichgewichte mit der sogenannten Rückwärtsabwicklung der Strategien ermitteln. 83 Dabei wird zunächst untersucht, welche Strategiewahl für den zweiten, auf die Wahl des ersten Spielers reagierenden Spieler die Beste wäre. Wenn der erste, agierende Spieler tatsächlich rational handelte, müsste er die Strategiewahl seines Gegenspielers bereits antizipieren und seine eigene Entscheidung daran ausrichten. Aus der Analyse der Mechanik des vorgestellten „diplomatischen Geschenkspiels“ sind zunächst folgende Schlussfolgerungen zu ziehen: 1. Der Beschenkte sollte wegen G t bzw. G t -K t > -G t ein ihm gemachtes Geschenk immer annehmen. Tatsächlich ist die Ablehnung von Neujahrsgeschenken 82 So belegt zum Beispiel jene oben in Anm. 23 angeführte Ordonnanz Karls VI. aus dem Jahre 1417 die Nutzbarmachung wertvoller Goldschmiedearbeiten aus dem Nachlass des Herzogs von Berry zur Finanzierung des Krieges mit England. Vermutlich ist auch diese durchaus übliche Kapitalisierung von Geschenken der Grund, weshalb nicht jedes Geschenk, das aus einer Schatzkammer entnommen wurde, in der Rechnungsüberlieferung erscheint, sondern allenfalls in einer Randbemerkung des entsprechenden Inventars als Abgang notiert ist, vgl. E WERT / H IRSCHBIEGEL , Gabe und Gegengabe (wie Anm. 50), 9, Anm. 21. 83 Vgl. dazu H OLLER / I LLING , Spieltheorie (wie Anm. 75), 109. Mehr als nur der schöne Schein 51 oder Geschenken zu anderen Anlässen aus der höfischen Welt Frankreichs im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert nicht bekannt. 84 2. Wegen G t > G t -K t sollte er sich jedoch auch niemals kooperativ zeigen. Die beste Strategie wäre für ihn deshalb die Annahme des Geschenks, ohne eine Gegenleistung dafür zu erbringen. Beides für sich genommen ist kaum überraschend, denn es folgt schlichtweg direkt aus der Rationalitäts- und Opportunitätsannahme. 3. Interessant ist vielmehr, dass der Schenkende hierbei nicht in der Lage ist, mit dem Wert seines Geschenks das Nutzenkalkül des Beschenkten zu beeinflussen. Ein wertvolles Geschenk ändert nichts an der Tatsache, dass der Beschenkte sich stets besser stellt, wenn er keine Gegenleistung für ein erhaltenes Geschenk erbringt. Man hätte demgegenüber vielleicht doch erwarten dürfen, dass in einem streng ökonomischen Kalkül insbesondere der Wert des Geschenks und seine Eigenschaft als Luxusgut von Bedeutung sind. 4. Wenn schließlich der Schenkende als rationaler Akteur das Handeln des potentiell Beschenkten annahmegemäß voraussieht, ist er bezüglich seiner Strategiewahl indifferent. Der Nutzenverlust bei Nichtschenken -G t als Folge des Verstoßes gegen die höfischen Sitten ist genauso groß wie der Nutzenverlust -G t bei Schenken, wenn der Beschenkte das Geschenk ohne Gegenleistung annimmt. Damit liegt der für die historische Analyse zunächst unbefriedigende Befund vor, dass sich in diesem Einperiodenfall kein eindeutiges Handlungsgleichgewicht bestimmen lässt. Indifferenz des Schenkenden kann die spätmittelalterliche Realität nicht erklären, in der, wie oben dargestellt, nachweislich Luxusgegenstände im diplomatischen Verkehr verschenkt wurden. Aufschlussreicher ist deshalb eine Mehrperiodenanalyse des Modells. Die Spieler interagieren dabei in aufeinander folgenden Spielrunden. Insbesondere wird damit der Realitätsgehalt des Modells erhöht, denn Diplomatie bedeutet auch, dass zwischen den Beteiligten über einen mehr oder minder langen Zeitraum etwas getauscht wird. Der Schenkende verbindet mit seinen Geschenken ja stets ein Ziel, zum Beispiel die Lösung einer konkreten politischen Streitfrage oder auch nur das zukünftige Wohlwollen des Beschenkten. Oder er legt es sogar, wie am Shakespeare- Beispiel gesehen, ganz bewusst auf einen Konflikt an. Auch darin kann ein „diplomatisches“ Ziel bestehen. Genauso muss der Beschenkte danach streben, auch in weiteren Runden Geschenke zu erhalten, wenn er dafür eine materielle oder immaterielle Gegenleistung erbringen soll. Die jeweils individuell optimalen Strategien werden wiederum über die Rückwärtsabwicklung des Spiels ermittelt. 85 Somit ist erneut zuerst das Handlungskalkül des Beschenkten zu untersuchen und danach 84 Vgl. dazu auch E WERT / H IRSCHBIEGEL , Gabe und Gegengabe (wie Anm. 50), 10f. 85 Die im Folgenden dargestellte Analyse des hier formulierten diplomatischen Geschenkspiels orientiert sich an der Vorgehensweise bei L EHMANN , A Rent Seekers’ Paradise (wie Anm. 76), 52-55. Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 52 dasjenige des Schenkenden. Angenommen wird zudem, dass das Spiel unendlich viele Male wiederholt wird. Die Akteure wissen also nicht, welches die letzte Spielrunde ist. 86 Mathematisch etwas komplizierter wird die Analyse nun aber deshalb, weil beide Akteure versuchen müssen, ihren Nutzen über einen längeren Zeitraum zu maximieren und sie dabei den erwarteten Gesamtwert N auf den Entscheidungszeitpunkt t = 0 beziehen. Die gegebenenfalls individuell differierende Zeitpräferenz der Akteure wird mit den Diskontierungsfaktoren S und B angegeben, wobei gilt: 0 S , B 1. Mit Hilfe dieser Parameter wird der Nutzen zukünftiger Perioden auf den Gegenwartswert abdiskontiert. Es wird also angenommen, dass zukünftiger Nutzen in der Regel ein geringeres Gewicht im Nutzenkalkül der Akteure besitzt als aktueller Nutzen, und dass diese Abwertung mit zunehmender zeitlicher Entfernung vom Entscheidungszeitpunkt t = 0 in die Zukunft stärker wird. Hierbei gibt es jedoch zwei Spezialfälle: = 0 bedeutete, dass zukünftiger Nutzen überhaupt keinen Wert hätte. Dies wäre in Bezug auf Geschenke im Rahmen von diplomatischen Kontakten unrealistisch, weil damit das dem Schenken immanente trennende Zeitintervall ignoriert würde. Nur sofort erbrachte Gegenleistungen des Beschenkten wären dann von Wert für den mit politischen Motiven Schenkenden. Er wäre jedoch ebenso zufrieden, wenn ein Geschenk durch Gegenleistungen in der Zukunft - Frieden, Krieg, Bündnis, Heirat - abgegolten würde. Ebenso möchte der Beschenkte beständig Nutzen in Form von Geschenken realisieren, für die er sich nicht auf der Stelle in vollem Umfang entschulden muss. = 1 als anderer Extremwert hingegen hieße, dass keinerlei Abwertung zukünftigen Nutzens stattfände. Auch dies wäre unrealistisch, weil man nicht annehmen darf, dass die Akteure keinerlei Zeitpräferenz haben und es zum Beispiel dem Schenkenden vollkommen egal wäre, ob er die mit seinem diplomatischen Geschenk intendierte politische Gegenleistung des Beschenkten relativ bald bekäme oder darauf sehr lange warten müsste. 87 Realistischerweise werden also die Diskontierungsfaktoren relativ groß, aber in jedem Fall kleiner als eins sein. 86 Wenn aber die Spieler das Ende des Spiels (hier: der sozialen Interaktion) nicht kennen, können sie das Verhalten des Gegenspielers in der Vergangenheit („Reputation“) für die Zukunft berücksichtigen. Außerdem bedeutet dies, dass nicht in jeder Spielrunde die bestmögliche Handlungsalternative gewählt werden muss. Kompensationen für Nutzenverluste sind in zukünftigen Spielrunden möglich. Vgl. dazu auch U LF C HRISTIAN E WERT , Der mittelalterliche Fürstenhof zwischen Informalität und formaler Ordnung: Rollenkonzepte und spieltheoretische Aspekte, in: Informelle Strukturen. Dresdener Gespräche III zur Theorie des Hofes, R EINHARDT B UTZ / J AN H IRSCHBIEGEL (Hrsg.), Berlin 2009, 11-40, hier 38, und D ERS . / H IRSCHBIEGEL , Nur Verschwendung? (wie Anm. 22), 119, Anm. 61. 87 Rein mathematisch wäre der Fall = 1 problematisch, weil hierfür die bei unendlich vielen Spielrunden zu kalkulierende unendliche Summe unendlich groß würde. Vgl. H OLLER / I L- LING , Spieltheorie (wie Anm. 75), 133. Mehr als nur der schöne Schein 53 Betrachten wir nun zuerst die Handlungsalternativen des potentiell Beschenkten B. Zu unterscheiden sind hier eine kooperative (I), eine nicht-kooperative (II) und eine ablehnende Strategie (III). Nimmt der Beschenkte (B) bereits in der ersten Runde des Spiels (t = 0) das ihm vom Schenkenden (S ) angebotene Geschenk an und erbringt dafür die von diesem erhoffte Gegenleistung K, wird S ihm vermutlich auch in den weiteren Runden ein Geschenk anbieten. Sofern B jeweils annimmt und kooperiert, ergäbe sich sein Gesamtnutzen wie folgt: bzw. für über die Zeit konstantes G und K Wenn der Beschenkte allerdings, wie im Einperiodenfall, in der allerersten Runde des Spiels das Geschenk zwar annähme, ohne dafür indessen eine Gegenleistung zu erbringen, würde der Schenkende ihm spätestens in der zweiten Runde keines mehr anbieten. Bei dieser nicht-kooperativen Strategie wäre die Summe der Nutzenwerte des Beschenkten aus allen Perioden somit bzw. für über die Zeit konstantes G Die dritte mögliche Strategiewahl des Beschenkten, nämlich ein in der ersten Runde angebotenes Geschenk abzulehnen, führte ebenfalls dazu, dass ihm in folgenden Runden keine weiteren Geschenke angeboten würden. Diese Handlungsalternative ist allerdings irrelevant, weil sich B allein durch Annahme des Geschenks und Verweigerung der Gegenleistung in der ersten Runde immer besser stellen würde. Er sollte also ein angebotenes Geschenk annehmen und sich kooperativ verhalten, wenn insbesondere Folgendes gilt: bzw. Dieser Ausdruck lässt sich umformen zu 0 ) ( t t t t B I B K G N B t t t B I B K G K G N 1 1 ) ( ) ( 0 1 0 t t t B II B G G N B B t t t B II B G G G G N 1 1 II B I B N N B B B G G K G 1 1 1 ) ( B G K 2 Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 54 und diese Ungleichung ist immer dann erfüllt, wenn die linke Seite klein ist, weil ja für die Zeitpräferenz B 1 gilt. Diese linke Seite der Ungleichung ist aber in jedem Fall kleiner als eins, weil angenommen wurde, dass K G ist. Wenn der Beschenkte langfristig denkt und das dadurch zum Ausdruck kommt, dass er auch zukünftige Nutzenwerte relativ hoch gewichtet, wird er ein diplomatisches Geschenk nicht nur annehmen, sondern auch die erwartete Gegenleistung dafür erbringen, eben weil er ein Interesse hat, sich nicht sofort entschulden zu müssen und auch weiterhin beschenkt zu werden. Besonders klein wird die linke Seite der Ungleichung vor allem immer dann, wenn der Geschenkwert G die Gegenleistung K übersteigt. Somit ist weiterhin festzuhalten: Luxusgegenstände mit ihrem hohen materiellen Wert sind deshalb besonders als Anreiz für ein kooperatives Verhalten des Beschenkten geeignet. Sie besitzen also offensichtlich doch auch eine dezidiert ökonomische Funktion innerhalb des Schenkvorgangs, anders als dies zunächst das Ergebnis der Einperiodenanalyse vermuten ließ. Und ihr materieller Wert ist damit auch mehr als der bloße Ausdruck eines exklusiven Lebensstils der Schenkenden. Wie sieht nun das Entscheidungskalkül des agierenden Akteurs, also des Schenkenden, aus? Wenn er sicher wüsste, dass B ein ihm gemachtes Geschenk nicht nur annähme, sondern er mit dem Geschenk auch zu einer diplomatischen Gegenleistung bewegt werden könnte, sollte S schenken - dies ist ohne Zweifel rational. Tatsächlich kann das der Schenkende in vielen Situationen aber gar nicht wissen, und die Anreizstruktur spricht, wie oben gezeigt, nicht immer dafür, dass B sich wirklich in jedem Fall kooperativ verhalten wird. Deshalb wird zusätzlich der Parameter q eingeführt, der die von S vermutete Wahrscheinlichkeit angibt, ob B sich kooperativ verhalten wird. Auch in der Analyse der Wahlmöglichkeiten des Schenkenden sind zwei Szenarien für die erste Spielrunde zu unterscheiden: „nicht schenken“ (I) und „schenken“ (II). Wenn S von der ersten Runde an B kein Geschenk anbietet, addiert sich wegen des fortgesetzten Verstoßes gegen die höfische Norm des Schenkens sein Gesamtnutzen als kumulierter Prestigeverlust zu bzw. für über die Zeit konstantes G zu Wenn S jedoch in der ersten Spielrunde (t = 0) schenkt, kann B entweder annehmen und sich kooperativ verhalten - dann wird S ihm auch in den nächsten Runden ein Geschenk anbieten -, oder B nimmt nur an und verhält sich dennoch unkooperativ - dann wird S ihm in den weiteren Runden kein Geschenk mehr 0 t t t S I S G N S t t t S I S G G N 1 1 0 Mehr als nur der schöne Schein 55 anbieten. 88 Die erste Reaktion von B geschähe mit der Wahrscheinlichkeit q, die zweite mit der Gegenwahrscheinlichkeit (1-q), und diese Unbestimmtheit muss S berücksichtigen. Sein erzielbarer Gesamtnutzen setzt sich also folgendermaßen zusammen: bzw. für über die Zeit konstantes G und K Eine rationale Strategie für S wäre es demnach, zu schenken, wenn Folgendes gilt: bzw. Es lassen sich nun Fallunterscheidungen treffen, je nachdem wie hoch S die Wahrscheinlichkeit q einschätzt, dass B das ihm angebotene Geschenk annimmt und sich kooperativ verhält: Für q = 1 (und entsprechend 1-q = 0) wird B sicher annehmen und sich kooperativ verhalten, und daher reduziert sich die Ungleichung zu und es ist leicht zu erkennen, dass sie wegen (K-G) > -G immer gilt. Ein rationaler Akteur würde in diesem Fall schenken. Bei q = 0 (und entsprechend 1-q = 1) wird B zwar sicher annehmen, sich aber ebenso sicher nicht kooperativ zeigen, und die Ungleichung reduziert sich zu bzw. G G und es ist ebenfalls sofort ersichtlich, dass sie niemals zutrifft. Würde S bereits wissen, daß B unkooperativ ist, würde er ihm auch niemals etwas schenken. 88 Das Ablehnen des Geschenks durch B in der ersten Runde als dritte Wahlmöglichkeit wird hier wiederum nicht weiter betrachtet, weil es durch die beiden anderen Strategieoptionen des B dominiert wird und daher für ihn keine rationale Entscheidung wäre. 1 0 0 ) 1 ( ) ( t t t S t t t t S II S G G q K G q N 1 0 ) 1 ( ) ( t t S t t S II S G G q G K q N S S S t G G q G K q 1 ) 1 ( 1 1 ) ( I S II S N N S S S S G G G q G K q 1 1 1 ) 1 ( 1 1 ) ( S S G G K 1 1 1 1 ) ( S S S G G G 1 1 1 Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 56 Interessant sind jedoch die Fälle, für die 0 < q < 1 gilt. Hier besitzt der Schenkende eben keine sicheren Erwartungen über das Verhalten des Beschenkten. Deshalb ist es in einem solchen Fall rational, die Kooperationsbereitschaft von B durch ein Geschenk in der ersten Runde zu testen und je nach Reaktion in den folgenden Runden zu schenken oder nicht zu schenken („Tit-for-Tat-Strategie“). 89 Die oben auszugsweise behandelte Schenkpraxis zum neuen Jahr deutet darauf hin, dass zu diesem Anlass auch geschenkt wurde, um mit dieser „Vorleistung“ die Bereitschaft zur Aufnahme von längerfristigen politischen Beziehungen auszuloten. In einem solchen Zusammenhang sind die geschilderten Neujahrsgeschenke in der höfischen Welt Frankreichs um 1400 zu verstehen, ebenso wie die Gegengeschenke. Auch die Reputation von B würde S zum Beispiel helfen, die ungefähre Wahrscheinlichkeit q einschätzen zu können. Insofern ist die von Shakespeare geschilderte Szene durchaus treffend, auch wenn es sich um eine literarische Fiktion handelt und sie nicht positive, sondern negative Reziprozität behandelt. Die Wahl des Geschenks - Federbälle, verpackt in einer goldenen Tonne - wäre, wenn sie historisch ausgefallen wäre, ein adäquates Mittel gewesen, ein politisches Ziel - das Heraufbeschwören eines Konfliktes - zu erreichen, denn dem Dauphin und seinen Beratern war - literarisch - bekannt, welch aufbrausenden Charakter Heinrich V. besaß: Es gab - literarisch - auf französischer Seite sehr präzise Vorstellungen darüber, wie wahrscheinlich es war, dass der englische König das vermeintliche „Danaergeschenk“ des Dauphins entsprechend beantworten würde. Das Modell ist somit in der Lage, den Mechanismus des Schenkens im diplomatischen Verkehr zu erklären. Geschenkt wird in diesem Modellzusammenhang folglich erkennbar nicht allein deshalb, weil der höfische Kontext es erfordert. Denn obwohl dieser Anreizwirkung bei der Modellierung Rechnung getragen wurde, zeigt schon die Analyse nur einer Spielrunde, dass es auch rational wäre, nicht zu schenken. Genau dies ist jedoch, das macht die Analyse des realistischeren Mehrperiodenfalls klar, keine wirkliche Handlungsoption. Während der Schenkende diplomatische Ziele mit seinem Geschenk verbindet, weiß der Beschenkte, dass er weder die Annahme des Geschenks noch die erwartete Gegenleistung verweigern darf, wenn er langfristig seinen Nutzen maximieren möchte. Die auch historisch vielfach zu beobachtende Kooperationslösung wird somit zuallererst von den egoistischen einzelwirtschaftlichen Zielen der Beteiligten getragen. Der Wert eines Geschenks wiederum dient unter den Bedingungen langfristiger diplomatischer Beziehungen als starker ökonomischer Anreiz dafür, vom Beschenkten eine nicht nur materielle, sondern auch eine diplomatische Gegenleistung zu erwirken. Dies führt die ebenfalls mit 89 Vgl. dazu R OBERT A XELROD , The Evolution of Cooperation, New York 1984; O TFRIED H ÖFFE , Spieltheorie und Herrschaftsfreiheit, in: Soziologische Revue 11 (1988), 384-392. Wie Computersimulationen gezeigt haben, erweist sich diese Strategie in unendlich wiederholten Spielen als sehr erfolgreich; vgl. H OLLER / I LLING , Spieltheorie (wie Anm. 75), 21. Mehr als nur der schöne Schein 57 dem Verschenken von Luxusgegenständen verbundene Funktion der fürstlichen Repräsentation nicht ad absurdum, aber es relativiert sie doch zumindest. 6. War es unabdingbar, Luxusgegenstände zu verschenken? Zusammenfassung und Ausblick Auch wenn in der überlieferungsbedingt feststellbaren historischen Realität die Beobachtung des Gabentausches allein freilich zu kurz greift, einfach deshalb, weil die Palette möglichen Handelns bekanntlich wesentlich mehr Optionen bot, so war es unserer Meinung nach doch wichtig zu überlegen, welchen Stellenwert der Tausch von Luxusgegenständen im diplomatischen Verkehr des Spätmittelalters hatte und welche besondere Funktion in diesem Zusammenhang gerade mit den Luxusgegenständen verbunden war. Wir haben versucht, uns dieser Frage mittels dreier Blickwinkel zu nähern - eines literarischen, eines historisch-empirischen und eines theoretischen. Alle drei Zugänge zum Thema sind unserem Kenntnisstand nach bislang noch nicht gemeinsam gewählt worden. Sie ergänzen einander aber - das meinen wir hier gezeigt zu haben - sehr gut. Wir können somit auch eine theoretische Begründung für die Verwendung und die Funktion von Luxusgütern im diplomatischen Verkehr anbieten und den Mechanismus eines auf die Außenbeziehungen eines Herrschaftsbereiches ausgerichteten Geschenkverkehrs in theoretischer Hinsicht klären, gestützt auf die empirische Basis der Überlieferung des Geschenkverkehrs zum neuen Jahr an den französischen Höfen um 1400. Zusammengenommen machen literarischer, historisch-empirischer und theoretischer Zugang folgendes deutlich: Jenseits aller sicherlich trennenden Elemente zwischen der eingangs geschilderten literarisch instrumentalisierten und überformten Schenkbeziehung mit deutlich provokativem Charakter und den überlieferten tatsächlichen Schenkbeziehungen bestehen durchaus Übereinstimmungen. Gemein ist nämlich beiden die jedwedem Geschenk zunächst unterstellte allgemeine Aufgabe, soziale, hier politische Beziehungen zu stabilisieren. Dass der Beschenkte sich in dieser Hinsicht auch täuschen kann, wird erst auf den zweiten Blick sichtbar und erscheint in der literarischen Überlieferung als Topos des Danaergeschenks. Gemein ist ihnen ebenfalls, dass die gemachten Geschenke nach einer enger oder weiter gefassten Begriffsdefinition Luxusgüter sind und sich somit sehr häufig durch ihre reiche Materialität auszeichnen. Diese Eigenschaft, nämlich Luxusgut zu sein, ist jedoch nicht allein - und das ist das neue Resultat unserer Untersuchung - der Tatsache geschuldet, dass in der höfischen Welt des späten Mittelalters nur solch wertvolle Geschenke denkbar waren, weil die höfische Norm der Largesse sie forderte, wie sie das Schenken an sich forderte. Dies würde zu kurz greifen. Vielmehr bedeutete der diplomatische Kontext des Schenkens, also die Verbindung von politischen Motiven mit dem Schenken, Jan Hirschbiegel / Ulf Christian Ewert 58 dass ein rationales Kalkül der Akteure die Oberhand gewann und Luxusgegenstände über ihre Repräsentationswirkung hinaus eine klare ökonomische Funktion hatten. Diese Funktion bestand neben der Stabilisierung politischer Beziehungen in einer höfisch angemessenen Weise auch darin, Anreize für die Gabe entsprechender Gegenleistungen zu setzen. Dass diese Anreizsetzung mit höheren Geschenkwerten und noch größerer Exklusivität eines Geschenks besser funktionierte, ist das eigentlich Überraschende, wenn man eine soziale Gruppe wie die höfische Gesellschaft des späten Mittelalters betrachtet, deren Mitglieder sich beständig mit Luxusgegenständen umgaben und von der es gewöhnlich heißt, die Symbolkraft des Schenkens selbst sei das eigentlich Entscheidende für das Funktionieren sozialer Interaktion. In diesem Sinne erfährt hier der überlieferte Gebrauch luxuriöser Güter im diplomatischen Verkehr der westeuropäischen Höfe des Spätmittelalters eine auch theoretische Begründung seiner Unabdingbarkeit. Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen. Die ökonomische Zirkulation und Distribution von Beutestücken und Luxusgegenständen (13.-16. Jahrhundert)* Michael Jucker 1. Raubgüter und Diplomatie in Geschichte und Gegenwart Chinas Außenminister Yang Jiechi hat die Versteigerung von zwei chinesischen Bronzefiguren, die vor 150 Jahren aus dem Sommerpalast in Peking erbeutet worden waren, als unmoralisch verurteilt. Die beiden Figuren wurden am 24. Februar 2009 bei der spektakulären Auktion der Sammlung des verstorbenen Modeschöpfers Yves Saint Laurent in Paris versteigert. Gekauft wurden sie telefonisch für 31 Millionen Euro! Der chinesische Außenminister meinte, die Auktion streue Salz in die Wunden der Chinesen. Die Skulpturen seien Kulturgegenstände, die geraubt worden seien, und China habe das Recht auf Restitution. Der Bieter meldete sich wenige Tage nach der Auktion ebenfalls. Er zog sich von dem Angebot zurück, denn er habe mit dem vorgetäuschten Kauf verhindern wollen, dass die Skulpturen auf den Markt kommen. Die Stichworte Diplomatie, Raub und Identität sowie Marktbezogenheit deuten darauf hin, welches Konfliktpotenzial der Zirkulation und Akkumulation von Beutestücken zugrunde liegen kann. Beutestücke erinnern an die eigene Identität und Geschichte. Sie legen aber auch neue Spuren in Zeit und Raum. Ein weiteres Beispiel, das seine Ursprünge im frühen 13. Jahrhundert hatte, aber immer noch nachwirkt, mag dies noch deutlicher machen. Als im Jahre 1438 Sylvestros Syropoulos auf einer Gesandtschaftsreise zusammen mit dem Patriarchen Joseph II. die St. Markus-Kirche in Venedig besuchte und die Pala d’Oro sah, kamen dem Chronisten des Konzils von Ferrara folgende traurige Gedanken: Alle diese Dinge wurden nach St. Markus gebracht von Konstantinopel, gemäß dem Gesetz des Plünderns, das heißt sie kamen hierher als Kriegsbeute, also dann, als ach Konstantinopel in die Hände der Lateiner fiel. Die Schmach der Plünderung Konstantinopels im Jahre 1204 wird noch deutlicher, wenn Sylvestros fortfährt: Sie behalten das Abbild zwischen zwei robusten Toren, versperrt und doppelt verschlossen. Nur zwei Mal im Jahr werden sie geöffnet, an Weihnachten und Ostern, um denen, die anwesend sind, zu erlauben, diese scheinende Ikone zu bewundern. Sie ist eine Quelle des * Der vorliegende Beitrag ist Teil eines Buchprojektes und ist in unterschiedlichen Fassungen auch an anderer Stelle im Erscheinen begriffen. Für zahlreiche Hinweise danke ich Valentin Groebner, Guy Marchal, Peter Niederhäuser und Bernhard Siegert. Michael Jucker 60 Stolzes, der Freude und der Befriedigung für jene, die sie besitzen, aber ein Grund zur Melancholie, Trauer und der Schwermut für jene, wie wir, von denen sie geraubt wurde. 1 Sylvestros erinnert seine griechischen Leser auf emotionaler und rechtlicher Ebene an den Skandal der Eroberung Konstantinopels. Zynisch merkt er an, das Recht des Plünderns habe dazu geführt, dass nun die Venezianer im Besitz der Ikone seien. Dass Teile der Pala d’Oro vorher bereits auf legalem Wege, durch einen Kauf im Jahre 1102, nach Venedig kamen, verschweigt er. 2 Bis heute wird die Plünderung von 1204 in der griechischen Öffentlichkeit als schmerzhaftes Ereignis empfunden, das die Diplomatie beeinflusst: Als Papst Johannes Paul II. 2001 von der griechischen Regierung eingeladen wurde, kam am 4. Mai kein einziges Mitglied der Orthodoxen Kirche zum Empfang am Flughafen. Anlässlich des Höflichkeitsbesuchs bei Erzbischof Christodoulos von Athen 3 forderte dieser von Johannes Paul II. eine formelle Verurteilung des damals begangenen Unrechts, denn die traumatischen Erfahrungen prägen das nationale Gedächtnis an die „destruktive Manie“ der Kreuzfahrer und die Zeit der Lateiner noch immer! 4 Die Quelle aus dem 15. Jahrhundert und der unerwünschte Papstbesuch von 2001 wie auch das chinesische Beispiel machen eines deutlich: Kriege und der Raub von Kulturgütern werden öffentlich tradiert, sie sind Teil der Diplomatie und der Erinnerungspolitik und sie führen zu nachhaltigen Irritationen und Unstimmigkeiten auf dem diplomatischen Parkett. Interessant ist dabei, dass geraubte Objekte zu Bedeutungsträgern für die eigene Identität, zu Zeichen kriegerischen Triumphes oder erlebten Unrechts werden können. Das Reden über die kriegerischen Ereignisse wird geprägt durch diplomatische und politische Diskurse über Schuld und Sühne, falsche Märkte, Täuschungen und Irritationen, die bis heute anhalten. 1 Übersetzung aus: Les memoires du grand ecclésiarque de l’Eglise de Constantinople Sylvestre Syropoulos sur le Concile de Florence (1438-1439), zitiert in: C HRYSSA M ALTEZOU , The Greek Version of the Fourth Crusade. From Niketas Choniates to the History of the Greek Nation, Rom 1971, 222-224; vgl. J EAN D ÉCARREAUX , Les Grecs au concile de l’union: Ferrare - Florence 1438-1439, Paris [1970]; J OSEPH G ILL , Il concilio di Firenze, Florenz 1967; G EORG H OFMANN , Die Konzilsarbeit in Ferrara, in: Orientalia christiana periodica 3 (1937), 110-140; D ERS ., Die Konzilsarbeit in Florenz 1439-26. Februar 1443, in: Orientalia christiana periodica 4 (1938), 157-188. 2 Vgl. M ICHAEL A NGOLD , The Fourth Crusade, Harlow, Essex 2003, 252; J OHN T. P AOLETTI / G ARY M. R ADKE , Art in Renaissance Italy, London 2005, 135-140; P ATRICIA F ONTINI B ROWN , Venice & Antiquity: The Venetian Sense of the Past, New Haven / London 1997; D ONALD M. N ICOL , Byzantium and Venice. A Study in Diplomatic and Cultural Relations, Cambridge 1988, 67; Il Tresoro di San Marco. 1. La Pala d’Oro, H ANS R. H AHNLOSER (Hrsg.), Florenz 1965. 3 *17. Januar 1939-†28. Januar 2008. 4 T HOMAS F. M ADDEN , Introduction, in: The Fourth Crusade: Event, Aftermath, and Perceptions, D ERS . (Hrsg.), Aldershot u. a. 2008, vii-xi, hier: vii-viii. Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen 61 Im Folgenden möchte ich den Raub, die Marktbezogenheit und die Distribution von Beutestücken an einem besonders illustrativen Beispiel vertieft untersuchen. Dieses Beispiel, das exemplarisch für das Phänomen des Raubs von kulturell und symbolisch bedeutsamen Gegenständen und die Implikationen in der Diplomatie steht, ist der Umgang der Eidgenossen und insbesondere der eidgenössischen Gesandten mit der Burgunderbeute von 1476. Exemplarisch möchte ich daran zeigen, wie Kulturgüterraub die diplomatische Sphäre tangiert, die Wertigkeit von Objekten wandelbar ist und welche Märkte und Tauschvorgänge dabei bedient werden. Ebenfalls zur Sprache kommen Vermittlerfunktionen in diesen Vorgängen. 2. Weltliche und kirchliche Schätze: Die Beute von Grandson Als die Eidgenossen am 1. März 1476 in der Schlacht von Grandson das mit Reichtümern gefüllte Zeltlager Karls des Kühnen eroberten, fanden sie dort nicht nur 2.000 Fässer Sardellen, Fahnen, Zelte, Pferde, Hofnarren und angeblich 2.000 Lagermädchen, sondern auch zahlreiches Kirchengerät, Bibeln sowie vor allem Reliquien, die der Herzog mit sich geführt hatte. 5 Zusätzlich trafen die eidgenössischen Krieger auf einen weltlichen Schatz des Burgunderherzogs: Diamanten sowie Gold- und Silbergefäße lagen auf dem Schlachtfeld herum. Der Schatz versetzte die Augenzeugen in Staunen, den Basler Hauptmann Meltinger derart stark, dass ihm in einem Brief vom 3. März angeblich die Worte in der Feder stecken blieben. So kostbar sei der Schatz gewesen, dass er es nicht wage, ihn zu beschreiben. 6 Doch was war politisch-militärisch überhaupt vorgefallen? Kurz nach der Belagerung von Neuss 1474/ 75 geschah etwas für die adlige europäische Welt Unvorstellbares: Die Eidgenossen und ihre Verbündeten besiegten den ambitionierten Burgunderherzog Karl den Kühnen gleich mehrmals. In Grandson verlor er dem Sprichwort zufolge sein Gut, also seine Schätze. Wenig später erlitten Karl und seine Truppen in Murten eine erneute Niederlage; Karl dem Kühnen soll dabei der Mut abhanden gekommen sein. In Nancy verlor Karl durch lothringisch-eidgenössische 5 F LORENS D EUCHLER , Die Burgunderbeute. Inventar der Beutestücke aus den Schlachten von Grandson, Murten und Nancy 1476/ 1477, Bern 1963, 15-18 und 32f.; R UDOLF F. B URCKHARDT , Über vier Kleinodien Karls des Kühnen, in: Anzeiger für schweizerische Altertumskunde N.F. 33 (1931), 247-259; den Chroniken folgend: G ERRIT H IMMELSBACH , Die Renaissance des Krieges. Kriegsmonographien und das Bild des Krieges in der spätmittelalterlichen Chronistik am Beispiel der Burgunderkriege, Zürich 1999, bes. 166-181. 6 Schlachtbericht des Basler Hauptmanns Ulrich Meltinger an Johann Friedrich von Munderstadt, in: Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft bis zum Abschluss der mailändischen Kriege (1516). Darstellung und Quellenberichte, E RNST G AGLIARDI (Hrsg.), Leipzig 1912, 130. Michael Jucker 62 Truppen sein Leben, respektive sein Blut. Für die oberrheinischen Städte war dies eindeutig eine Befreiung. Für den Adel Europas war es trotz aller Antipathie gegen den aufstrebenden Herzog ein Schock, dass einer der Ihren von Nicht-Adligen besiegt wurde. 7 Das Herzogtum Burgund zerfiel, die aufstrebende Macht zwischen dem Reich und Frankreich zersetzte sich, das Territorium und die ihm innewohnenden Rechte fielen später mehrheitlich an Habsburg. Damit sind die politische und militärische Ausgangssituation skizziert und die mentalen Auswirkungen auf die Adelswelt angesprochen. Doch die politischen und militärischen Ursachen und Folgen, die den Historiker sonst meist interessieren, sollen hier nicht im Zentrum stehen. Vielmehr soll nach dem Schicksal des geraubten Schatzes gefragt werden. 8 Was passierte mit dem Schatz? Wohin gelangte er? Von Interesse sind darüber hinaus die Diskurse und Wertvorstellungen, welche sich um solche Plünderungsvorgänge rankten. 3. Der Umgang mit Beutestücken Schätze lösen in allen Epochen Begehrlichkeiten und Phantasien von ökonomischer Bereicherung aus. 9 In der mediävistischen Forschung ist bekannt, dass Kirchenschätze und Reliquien sehr begehrt waren und dementsprechend gerne geraubt, verkauft und wieder in den sakralen Bereich integriert wurden. Weit weniger gut erforscht sind die Schicksale und Wege von geraubten Schätzen und Beutestücken und vor allem die dabei stattfindenden Umwandlungen von Werten und Bedeutungen. Die Erforschung geraubter Schatzkomplexe ermöglicht nicht nur einen vertieften Einblick in den individuellen wie kollektiven Umgang mit Schätzen, sondern auch in die rechtlichen, ökonomischen und symbolischen Wertvorstellungen der direkt oder indirekt involvierten Akteure. 10 Die geraubten Dinge gehen durch viele 7 Vgl. unter anderem: C LAUDIUS S IEBER -L EHMANN , Spätmittelalterlicher Nationalismus. Die Burgunderkriege am Oberrhein und in der Eidgenossenschaft, Göttingen 1995; K ARL B ITTMANN , Ludwig XI. und Karl der Kühne. Die Memoiren des Philippe de Commynes als historische Quelle, II/ 1, Göttingen 1970, bes. 273-891; P ETRA E HM , Burgund und das Reich. Spätmittelalterliche Außenpolitik am Beispiel der Regierung Karls des Kühnen (1465-1477), München 2002; R ICHARD V AUGHAN , Charles the Bold, Woodbridge 2002. 8 Das Schicksal der Burgunderbeute wurde historisch noch nicht ausreichend behandelt. D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5) hat die Quellen zusammengestellt und aus kunsthistorischer Perspektive kommentiert. Einzelne Aspekte werden in einer geplanten Monographie des Autors abgehandelt. 9 Vgl. Le trésor au Moyen Âge. Questions et perspectives de recherche - Der Schatz im Mittelalter. Fragestellungen und Forschungsperspektiven, L UCAS B URKART / P HILIPPE C ORDEZ / P IERRE A. M ARIAUX / Y ANN P OTIN (Hrsg.), Neuchâtel 2005. 10 Die Literatur zur Beute ist älteren Datums oder behandelt lediglich Einzelaspekte. Vgl. F RITZ R EDLICH , De Praeda Militari. Looting and Booty 1500-1815, Wiesbaden 1956. Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen 63 Hände und gelangen dadurch in andere Regionen oder soziale Kontexte. Sie sind deshalb auch Zeichen kultureller Transferprozesse. Die Beute- und Schatzstücke finden nach den Plünderungen oft Eingang in zirkuläre Vorgänge. Zirkulär meint hier beispielsweise, dass geraubte Objekte wieder in das Kriegswesen integriert werden oder der Erlös aus der Beute in die Kriegsfinanzen zurückfließen kann. Als einen weiteren Kreislauf könnte man die Zirkulation von geraubten und begehrten Luxusgütern innerhalb der europäischen Oberschicht beschreiben. Wiederum andere Objekte aus Schatz- und Beutekomplexen wurden insbesondere nach gewonnenen Schlachten zu profanen und sakralen Triumphzeichen und Trophäen stilisiert. Die Akkumulation geraubter Dinge bedingte stets die Möglichkeit der erneuten Distribution und der semantischen Umwandlung der Beutestücke. Sowohl die zirkulären Vorgänge wie die semantischen Verschiebungen, die durch die Erbeutung von Schätzen und Objekten erst ausgelöst wurden, stehen im Zentrum der vorliegenden Untersuchung. Die gute und dichte Überlieferung sowie die Einzigartigkeit der Burgunderbeute machen sie zu einem idealen Untersuchungsgegenstand eines geraubten Schatzes. Der Schatz des Burgunderherzogs, aus dem Teile in ganz Europa verhökert wurden, soll als Fallbeispiel dienen, das jedoch exemplarischen Charakter für das spätmittelalterliche Kriegswesen hat. Anhand von drei ausgewählten Objekten aus dem geraubten Schatzkomplex werde ich die Wege und Irrwege des Schatzes verfolgen und erste Spuren für eine kulturhistorisch angelegte Geschichte der Plünderungen und des Raubes von Schätzen im Krieg legen. Die Objekte stehen dabei stellvertretend für verschiedene Aspekte eines geraubten Schatzes: ökonomisierte Sakralität, Gabentausch und Zerfall von ökonomischen Werten. Obwohl sich diese Aspekte in der kriegerischen Praxis nicht immer so klar trennen lassen, sollen sie hier gesondert an einzelnen Objekten aufgezeigt werden. Die zeitgenössischen Wert- und Bedeutungs- Grundlegend jetzt: M ALTE P RIETZEL , Kriegführung im Mittelalter. Handlungen, Erinnerungen, Bedeutungen, Paderborn / München / Wien / Zürich 2006, bes. 109-118; M ICHA- EL J UCKER , Plünderung, Beute, Raubgut. Überlegungen zur wirtschaftlichen und symbolischen Ordnung des spätmittelalterlichen Krieges 1300-1500, in: Kriegswirtschaft, Wirtschaftskriege, S EBASTIEN G UEUX / V ALENTIN G ROEBNER / J AKOB T ANNER (Hrsg.), Zürich 2007, 51-69. Zum Frühmittelalter: P ATRICK J. G EARY , Furta Sacra. Thefts of Relics in the Central Middle Ages, Princeton 1978; T IMOTHY R EUTER , Plunder and Tribute in the Carolingian Empire, in: Transactions of the Royal Historical Society, 5 th Series 35 (1985), 75-94; M YRIAM C ZOCK , Wo gesündigt wird, kann der Sieg nicht gewonnen werden - Plünderung von Kirchen im Krieg in den Werken Gregors von Tours (538-594), in: Blicke auf das Mittelalter. Aspekte von Lebenswelt, Herrschaft, Religion und Rezeption. Festschrift für Hanna Vollrath zum 65. Geburtstag, B ODO G UNDELACH / R ALF M OLKENTHIN (Hrsg.), Herne 2004, 13-23; H EATHER S USANNE B ARKLEY , Exchange and Ritualized Violence. Cattle Raiding and the Spoils of Battle in early Celtic and Anglo-Saxon Literature, New Haven 1995. Michael Jucker 64 zuschreibungen an die Objekte waren immer an spezifische Kontexte gebunden und erfolgten hauptsächlich durch Rituale oder symbolische Kommunikationsvorgänge. 4. Wirtschaftlichkeit, Symbolik und Recht Um das Phänomen des geraubten Schatzes im historischen Kontext genauer umreißen zu können, erscheint es fruchtbar, sich kurz den ökonomischen, den symbolischen sowie den rechtlichen Aspekten des Plünderns zu widmen, um vor diesem Hintergrund die kulturellen Praktiken im Umgang mit dem geraubten Schatz sowie die Akkumulations- und Distributionsvorgänge zu verstehen. Der geraubte Schatz ist in dreifachem Sinne einzigartig: Erstens wurde der Schatz durch die räuberische Akkumulation in eine spezielle Situation gebracht. Er verlor seinen bisherigen kulturellen Kontext und wurde damit zumindest auf den ersten Blick funktionslos, weil der Schatz nicht mehr Reichtum oder Sakralität per se repräsentieren konnte. Zweitens handelte es sich um eine Einzigartigkeit, weil der geraubte Schatz ein Ausnahmefall der Beute war. Kriegszüge kamen selten überraschend, die Zivilbevölkerung war meist darauf vorbereitet. So wurden Schätze oder sonstige kostbare Güter üblicherweise in Sicherheit gebracht und möglichst gut versteckt oder vergraben. Im Krieg mitgeführte weltliche und kirchliche Schätze versuchte man normalerweise selbstverständlich zu retten. 11 Darüber hinaus sind drittens die Beute und der geraubte Schatz insofern ein Spezialfall, als es sich um einen als legal betrachteten Raub im Krieg handelte. 4.1 Die ökonomischen und symbolischen Ebenen des Plünderns Die in mittelalterlichen Kriegen nördlich der Alpen am häufigsten geraubten Güter waren Nutztiere, Getreide und Menschen. Menschenraub führte im Spätmittelalter jedoch nicht mehr zwingend zu Sklaverei. Vielmehr wurden entführte Krieger oder Nichtkombattanten als Geiseln wieder ausgelöst. 12 Dies geschah in der Regel im 11 W OLFGANG S CHMID , Die Jagd nach dem verborgenen Schatz. Ein Schlüsselmotiv in der Geschichte des Mittelalters? , in: Landesgeschichte als multidisziplinäre Wissenschaft. Festgabe für Franz Irsigler, D IETRICH E BELING u. a. (Hrsg.), Trier 2001, 347-400, hier 379-383. 12 M ARTIN K INTZINGER , Geiseln und Gefangene im Mittelalter. Zur Entwicklung eines politischen Instrumentes, in: Ausweisung und Deportation. Formen der Zwangsmigration in der Geschichte, A NDREAS G ESTRICH / G ERHARD H IRSCHFELD / H OLGER S ONNABEND (Hrsg.), Stuttgart 1995, 41-59; W ILLIAM C AFERRO , Italy and the Companies of Adventure in the Fourteenth Century, in: The Historian 58 (1996), 794-810; Medieval Warfare. A History, M AURICE K EEN (Hrsg.), Oxford 1999; R OGER S ABLONIER , Krieg und Kriegertum in der Crònica des Ramon Muntaner. Eine Studie zum spätmittelalterlichen Kriegswesen aufgrund katalanischer Quellen, Bern / Frankfurt a. M. 1971. Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen 65 Tausch gegen andere Geiseln oder gegen Geldsummen. 13 Bei Nutztieren ist die Situation schon vertrackter, da sie auch verschenkt oder verspeist werden konnten. 14 Zudem wurden nicht alle Nutztiere nur geraubt, um die Ernährung der Soldaten zu gewährleisten; bisweilen wurden beispielsweise geraubte Pferde wie Geiseln gehandelt. Viehraub konnte aber auch zur Provokation von Konflikten dienen. Wer eine Kuh raubte, konnte damit bewusst einen Krieg auslösen. Nutztiere, das wissen wir von verschiedenen Kulturen, sind mehr als rein ökonomisches Kapital. Sie können auch als heilig betrachtet werden oder symbolisches Kapital darstellen. Der Raub von Vieh führt folglich bisweilen zu einer Umwandlung von Kapitalsorten. 15 In der Forschung besteht Einigkeit darüber, dass das Beutemachen zur Selbstversorgung der Truppen im spätmittelalterlichen Kriegswesen unabdingbar war. 16 Ohne Beute keine Kriege, ohne Kriege keine Beute! Diese etwas verkürzte Formel sagt viel über das Grundübel des vormodernen Krieges aus. 17 Es handelt sich beim Raub von Nahrungsmitteln um einen primären, von den Bedürfnissen der Soldaten und Krieger gesteuerten Akkumulationsvorgang. Neben Nahrung und Geiseln waren Waffen und Rüstungen begehrtes Raubgut, welches es ebenfalls zu akkumulieren galt. Was auf dem Feld lag oder den Gefangenen und Leichen abgenommen wurde, gelangte wieder in die Kriegswirtschaft zurück und selten nach Hause. 18 Das Akkumulieren solcher Güter war folglich im- 13 P HILIPPE C ONTAMINE , The Growth of State Control. Practices of War, 1300-1800. Ransom and Booty, in: War and Competition between States, D ERS . (Hrsg), Oxford 2000, 163- 193; D ERS ., Rançon et butins dans la Normandie anglaise (1424-1444), in: La guerre et la paix. Frontières et violences au moyen âge (Actes du 101e Congrès national des Sociétés savantes, Lille 1976, Section de philologie et d'histoire jusqu’à 1610), Paris 1978, 241-270; N ICOLAS A. R. W RIGHT , ‘Pillagers’ and ‘Brigands’ in the Hundred Years War, in: Journal of Medieval History 9 (1983), 15-24. Vgl. Anm. 20 unten. 14 Zur Ambivalenz von Transferprozessen vgl. N ATALIE Z EMON D AVIS , Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance, München 2002. 15 P IERRE B OURDIEU , Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Soziale Ungleichheiten, R EINHARD K RECKEL (Hrsg.), Göttingen 1983, 183-198; D ERS ., Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis, in: D ERS ., Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a. M. 1997, 125-158. 16 A LDO A. S ETTIA , Rapine, assedi, battaglie. La guerra nel Medioevo, Rom 2003; S TEPHAN S ELZER , Deutsche Söldner im Italien des Trecento, Stuttgart 2001; D ERS ., Sold, Beute und Budget. Zum Wirtschaften deutscher Italiensöldner des 14. Jahrhunderts, in: Adel und Zahl. Studien zum adligen Rechnen und Haushalten in Spätmittelalter und früher Neuzeit, H ARM VON S EGGERN et al. (Hrsg.), Ubstadt-Weiher 2000, 219-246. 17 W ALTER S CHAUFELBERGER , Der Alte Schweizer und sein Krieg. Studien zur Kriegführung vornehmlich im 15. Jahrhundert, Zürich 1952, 166. 18 A RNOLD E SCH , Mit Schweizer Söldnern auf dem Marsch nach Italien. Das Erlebnis der Mailänderkriege 1510-1515, in: Alltag der Entscheidung: Beiträge zur Geschichte der Schweiz an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Festgabe zum 60. Geburtstag, D ERS . (Hrsg.), Bern / Stuttgart / Wien 1998, 249-328. Michael Jucker 66 mer mit einer raschen Distribution verbunden. Wer genügend plünderte, verteilte wieder oder re-investierte in den Krieg. Dabei handelte es sich um einen meist rein ökonomischen, zirkulären Vorgang, den man geradezu als Teufelskreis bezeichnen kann. Es wäre jedoch zu einfach, nur diesen einen Zirkel der Akkumulation und Distribution zu beobachten. Die Zirkulation der geraubten Dinge respektive ihre Re-Integration in das Kriegswesen waren zumindest nicht zwingend durch die Materialität der Beute bedingt. Geraubte Waffen wurden bisweilen auch als Triumphzeichen anderen Herrschern geschickt oder an sie verschenkt. Akkumuliertes Kriegsmaterial stellte bisweilen auch symbolisch wertvolles Kapital dar oder führte zum Potlatch: Wer Beute in Form von Waffen akkumulieren und verteilen konnte, war mächtig und konnte dies damit symbolisch demonstrieren, was zu noch mehr Plünderungsvorgängen führen konnte oder bisweilen musste. 19 Wer Beute einnahm, verteilte diese, war aber auf neue Beutezüge angewiesen, um seine Macht manifestieren und verstetigen zu können. Erbeutete Waffen konnten zu Schätzen oder Teilen davon werden, wie seit der Antike bekannt ist. Diese Schenk- und Verteilökonomie existierte im Spätmittelalter parallel zu einer marktorientierten oder militärisch-funktionalen Denkweise. 20 Andere symbolische Formen des Plünderns sind ebenfalls zu beachten. Ein besonders illustratives Beispiel sei hier erwähnt: Als eidgenössische Truppen 1499 das Städtchen Blumenfeld im Schwarzwald plünderten, raubten sie Beutegut im Wert 19 Zum Potlatch vgl. Z EMON D AVIS , Die schenkende Gesellschaft (wie Anm. 14), 13-16; G EORGES D UBY , Krieger und Bauern. Die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft im frühen Mittelalter, Frankfurt a. M. 1977; P RIETZEL , Kriegführung im Mittelalter (wie Anm. 10), 194f. und 205-216. 20 R ÉMY A MBÜHL , A Fair Share of Profits? The Ransoms of Agincourt (1415), in: Nottingham Medieval Studies 50 (2006), 129-150. Zur Kriegsökonomie vgl. die in Anm. 16 zitierte Literatur sowie P HILIPPE C ONTAMINE , War in the Middle Ages, Oxford 1984, bes. 150-171; D ERS ., La Guerre au moyen âge, Paris 1980; D ERS ., Guerre, état et société à la fin du Moyen Age. Études sur les armées des rois de France, 1337-1494, Paris / La Haye 1972; W ILLIAM C AFERRO , Mercenaries and Military Expenditure: The Costs of Undeclared Warfare in Fourteenth Century Siena, in: The Journal of European Economic History 23, 2 (1994), 219-247; Gente ferocissima. Mercenariat et société en Suisse (XVe-XIXe siècle). Solddienst und Gesellschaft in der Schweiz (15.-19. Jahrhundert), Festschrift für Alain Dubois, N ORBERT F URRER / L UCIENNE H UBLER / M ARIANNE S TUBENVOLL / D ANIÈLE T OSATO -R IGO (Hrsg.), Zürich 1997; H ANS C ONRAD P EYER , Die wirtschaftliche Bedeutung der fremden Dienste für die Schweiz vom 15. bis 18. Jahrhundert, in: Wirtschaftskräfte und Wirtschaftswege. Festschrift für Hermann Kellenbenz, J ÜRGEN S CHNEIDER (Hrsg.), 5 Bde., Stuttgart 1978, Bd. II: Wirtschaftskräfte in der europäischen Expansion, 701-716; vgl. auch H ERMANN R OMER , Herrschaft, Reislauf und Verbotspolitik. Beobachtungen zum rechtlichen Alltag der Zürcher Solddienstbekämpfung im 16. Jahrhundert, Zürich 1995. Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen 67 von angeblich 10.000 Gulden. 21 Doch die Plünderer waren nicht nur auf ökonomisch Verwertbares oder Essbares aus. Sie nahmen neben zahlreichem Kirchengerät auch einen Palmesel mit, den sie in Schaffhausen in einer Prozession herumführten. 22 Die Sakralität des Palmesels wurde dadurch pervertiert. 23 Nicht mehr Jesus‘ Einritt in Jerusalem am Palmsonntag sollte damit öffentlich nachgespielt werden, sondern der Sieg über Blumenfeld wurde nun als Triumphzug und als Schmach der Verlierer sichtbar inszeniert. 24 Besonders deutlich wird hier, dass die Umwertung respektive die semantische Verschiebung vom Sakralen zum Triumphalen durch die Praxis des Rituals vonstatten gehen. Die räuberische Akkumulation von Gütern im Krieg ist somit keine rein ökonomische Bereicherung. Festzuhalten ist, dass die Akkumulation nur als solche beschrieben werden kann, wenn auch die Distribution und die rituelle Umdeutung von Zeichen und Gütern immer mitgedacht werden. 4.2 Die rechtliche Situation des Plünderns Für die historische Einordnung der Beutenahme ist zudem kurz auf die rechtliche Situation einzugehen: Kirchenraub, Schatzraub, Grabplünderungen und ausgeraubte Reliquientransporte waren durchaus auch in Friedenszeiten oder während Fehden üblich. 25 Doch nur im Krieg waren sie zeitweise legitim. Zumindest war Plündern dann legal, wenn es sich um einen gerechten Krieg handelte. 26 Die Grenzen zwi- 21 P ETER N IEDERHÄUSER , Der Kampf ums Überleben. Die Grafen von Sulz und der Klettgau um 1499 (Typoskript). Ich danke Peter Niederhäuser für die Möglichkeit zur Einsichtnahme in sein Manuskript. 22 Staatsarchiv Schaffhausen (StaSH) Korrespondenzen 1499, Nr. 160. Freundlicher Hinweis Peter Niederhäuser. 23 Zum Ikonoklasmus an Palmeseln: C HRISTIAN VON B URG , ‚Das bildt vnsers Herren ab dem esel geschlagen’. Der Palmesel in den Riten der Zerstörung, in: Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, P ETER B LICKLE et al. (Hrsg.), München 2002, 117-141. 24 Vgl. auch G ABRIELA S IGNORI , Ritual und Ereignis. Die Straßburger Bittgänge zur Zeit der Burgunderkriege (1474-1477), in: Historische Zeitschrift 264 (1997), 281-328. 25 Vgl. Anm. 10 sowie C HRISTIAN S IEBER , Der Vater tot, das Haus verbrannt. Der Alte Zürichkrieg aus der Sicht der Opfer in Stadt und Landschaft Zürich, in: Ein „Bruderkrieg“ macht Geschichte. Neue Zugänge zum Alten Zürichkrieg, P ETER N IEDERHÄUSER / C HRIS- TIAN S IEBER (Hrsg.), Zürich 2006, 65-88; sowie neuerdings M ICHAEL J UCKER , Die Norm der Gewaltbilder. Zur Darstellbarkeit von Opfern und Tätern kriegerischer Gewaltexzesse in Bilderchroniken des Spätmittelalters, in: Kriegs/ Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit, B IRGIT E MICH / G ABRIELA S IGNORI (Hrsg.), Berlin 2009, 121-153. 26 Vgl. F RÉDÉRIC -H. C OMTESSE , Marode, Plünderung und Kriegsraub nach schweizerischem Militärstrafrecht, Heidelberg 1938, bes. 5-25; H ANNES H ARTUNG , Kunstraub in Krieg und Verfolgung. Die Restitution der Beute- und Raubkunst im Kollisions- und Völkerrecht, Diss. Universität Zürich 2004. Zum arabischen Bereich grundlegend: A VINOAM S HALEM , Michael Jucker 68 schen Legalität und Illegalität betrafen sowohl das ius ad bellum als auch das ius in bello. Im gerechten Krieg war das Beutenehmen im Prinzip legal. 27 Extreme Gewaltformen oder Plünderungsexzesse gegenüber der Zivilbevölkerung wurden hingegen stets als gegen die rechtliche und somit gottgewollte Ordnung verstoßend sanktioniert. 28 In Kriegsordnungen wie beispielsweise im eidgenössischen Sempacherbrief von 1393 wurde festgelegt, dass das Plündern von kirchlichen Gebäuden nicht erlaubt sei. Kirchenschätze unterlagen einem Anspruch auf rechtlichen Schutz. 29 Gerade weil Vergehen gegen die Kirche und die Zivilbevölkerung zunehmend belangt wurden und eine stärker werdende Kontrolle und Sanktionierung individueller Bereicherung zu beobachten sind, lassen sich Plünderungen im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit im Gegensatz zum Frühmittelalter vermehrt auch aus Gerichtsakten erschließen. Die Zahl normativer Texte, die individuelle Plünderungen als nicht erlaubt deklarieren, steigt ebenfalls an. So war es beispielsweise nach bereits vereinbarten Friedensschlüssen oder während der Geltungsdauer von Waffenstillstandsverträgen verboten zu plündern. In Friedenszeiten war das Plündern ebenfalls nicht erlaubt und wurde als Raub geahndet. 30 Allgemein lässt sich beobachten, dass im Spätmittelalter das räuberische Akkumulieren von Gütern im Krieg verstärkt geregelt wurde. Ob die Güter nun symbolisch, ökonomisch oder sakral gewertet wurden, spielte hierbei eine untergeordnete Rolle. Die distributive Funktion der akkumulierten Beute als Herrschaftsmittel wandelte sich grundlegend. Zunehmend sollten die meisten Güter nun in die allgemeine Beute, also in eine Art kollektive Sammlung gelangen. Wer sich nicht an diese Normen hielt, wurde gleichfalls bestraft. 31 Listen, welche die einzelnen Beutestücke und bisweilen sogar die Namen der illegalen Plünderer verzeichneten, wurden aber nur bei groß angelegten Plünderungsvorgängen wie beispielsweise der Beute von Grandson nachträglich angefertigt. 32 The Fall of al-Mada’. Some Literary References Concerning Sasanian Spoils of War in Mediaeval Islamic Treasuries, in: Iran 32 (1994), 77-81. 27 Vgl. F REDERICK H. R USSEL , The Just War in the Middle Ages, Cambridge 1975. 28 J OSEF F LECKENSTEIN , Vom Rittertum im Mittelalter. Perspektiven und Probleme, Goldbach 1997, 9 und 66; J OHAN H UIZINGA , Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart 1987, 111-118; A RNO B ORST , Das Rittertum im Mittelalter, in: D ERS ., Das Rittertum im Mittelalter, Darmstadt 1976, 212-246, bes. 222f. 29 Vgl. C ZOCK , Wo gesündigt wird (wie Anm. 10); J UCKER , Die Norm (wie Anm. 25); P RIET- ZEL , Kriegführung (wie Anm. 10), 110; R EDLICH , De Praeda (wie Anm. 10); C ONTAMINE , Rançons (wie Anm. 13), 241-246. 30 Vgl. C OMTESSE , Marode (wie Anm. 26), 10-25; S CHAUFELBERGER , Der Alte Schweizer (wie Anm. 17), 180. 31 Vgl. H ERMANN R OMER , Kriegerehre und Rechtsdiskurs. Die Funktion des Ehrencodes in den zürcherischen Reislaufprozessen des 16. Jahrhunderts, Zürich 1997, 205-215. 32 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 75-91. Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen 69 5. Der Schatz des Burgunderherzogs Kehren wir nun zur Ausgangssituation in Grandson vom 1. März 1476 zurück. Allein die Tatsache, dass es dem Burgunderherzog nicht gelang, seine Schätze vorzeitig in Sicherheit zu bringen, deutet auf eine ziemlich chaotische und somit ungeplante Flucht der burgundischen Truppen hin. Karl hatte wohl schlicht nicht mit einem Sieg der Eidgenossen gerechnet. Chaotisch muss die Situation aber auch auf Seiten der Eidgenossen und der mit ihnen verbündeten Truppen gewesen sein, 33 denn die Beutestücke wurden nicht geregelt abtransportiert und der allgemeinen Beute zugeführt. Eine ungeplante, spontane Akkumulation war die Folge. Schnell kursierten auch Gerüchte von nie geahnten Bereicherungsmöglichkeiten respektive einer unglaublich kostbaren Beute. Von einem zuvor mittellosen Fridolin Runtschau erzählte man, dass er ein mit Seide, Gold und Geld beladenes Pferd hinweggeführt habe. 34 Die Eidgenossen hätten, so die Gerüchte und Diskurse, viele wertvolle Objekte zu Billigstpreisen verhökert. Wie Bauern und Wölfe 35 hätten sie sich auf die Beute gestürzt und keinerlei Kunstverständnis an den Tag gelegt. La rotta e state la piu ville cosa fosse mai al mondo, die schlimmste Sache der Welt, schrieb der Gesandte Panigarola an den Herzog von Mailand. 36 Schnell verteilte sich die Beute in alle Himmelsrichtungen. Auch Frauen und fahrendes Volk sowie Spielleute hätten sich im Feld bereichert. Dies wiederum war den Obrigkeiten der eidgenössischen Orte ein Dorn im Auge, sah man doch auch die eigene Distributionsmacht und Bereicherungsmöglichkeit unterlaufen: Bereits Anfang März 1476 erließen die Eidgenossen Beuteverordnungen, die ein Verhökern der Beute verboten. Explizit wurde darin auch auf den Schatz Bezug genommen. Unter Androhung der Todesstrafe sollten alle Raubgüter bei der allgemeinen Beute in Luzern abgeliefert werden. Nur geringe Teile der zahlreichen Kostbarkeiten gelangten jedoch tatsächlich in die allgemeine Beute. Der Schatz war aufgelöst und in alle Winde zerstreut. Erst dadurch, dass in Luzern und in anderen Orten kurze Zeit später Beutelisten erstellt wurden und aufgeschrieben wurde, wer welche Objekte gestohlen und später in die allgemeine Beute zurückgebracht hatte, wissen wir mehr über den überlieferten Schatzkomplex. Erst das Aufschreibesystem Beuteliste machte den disparaten Schatz also wieder zum akkumulierten Gegenstand. Das erneute Einschätzen ließ die ver- 33 Vgl. R UDOLF W ACKERNAGEL , Der Antheil Basels an der Burgunderbeute, Basel 1888; H ANS S IGRIST , Solothurns Anteil an den Burgunderkriegen. Zur 500-Jahr-Feier der Schlacht bei Murten, 22. Juni 1976, Solothurn 1976; A UGUST B ERNOULLI , Basels Anteil an den Burgunderkriegen, Bd. I-III, Neujahrsblatt Basel 76-78 (1898-1900). 34 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 29. 35 Panigarola an den Herzog von Mailand 4. März 1476: si stima sviceri sviano avolupati ad ricolgiere e partire il botino, zitiert nach D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Am. 5), 17. 36 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 17. Michael Jucker 70 streuten Beutestücke zum ökonomisch wertvollen Schatz werden, der mehrheitlich in Luzern, vermutlich im Rathaus, thesauriert wurde. 37 Die Wertzuschreibung erfolgte somit durch die Praxis des Verfassens von Listen und das vorangehende Einschätzen der einzelnen Objekte. Der Wert derselben hatte jedoch nichts mit einem tatsächlichen Marktwert zu tun. Von der bekannten akkumulierten Beute möchte ich nunmehr das Schicksal von drei Objekten genauer verfolgen, um anhand des Umgangs mit diesen drei Gegenständen auf die Charakteristik des Schatzes und die Wertezuschreibungen schließen zu können. Dies ist erstens ein Goldtäfelchen, das zum Reliquienschatz des Herzogs gehörte; zweitens interessiert uns das Schicksal eines schon damals hoch geschätzten Diamanten, der durch die Eidgenossen verkauft wurde und im Laufe der Zeit in zahlreiche europäische Herrscherhäuser gelangte. Das dritte Beispiel kommt aus dem Bücherschatz und wurde weder verkauft noch verehrt, sondern als Geschenk verwendet. Welche Zirkulationen, Akkumulations- und Distributionsvorgänge sowie Wertzuschreibungen lassen sich an diesen drei Objekten aufzeigen? Der Fokus wird hier auf den Umgang mit den Objekten und auf ihre durch die Praxis erfolgenden semantischen Zuschreibungen gerichtet. Es geht folglich um eine praxeologische Perspektive und nicht um eine kunsthistorische Einordnung der Objekte, die Florens Deuchler, Hugo van der Velden und andere bereits geleistet haben. 38 5.1 Die diplomatische Lösung: Das Goldtäfelchen Aus noch darzustellenden Gründen existiert dieses Objekt nicht mehr. Es gibt auch keine zeitgenössischen Abbildungen. Man muss sich eine Art goldenes Portativreliquiar vorstellen, das in der Beuteliste als köstlich guldin taffel, also als eine kostbare goldene Tafel beschrieben wurde. Die Tafel war zudem mit Edelsteinen besetzt, unter denen sich Rubine und drei Saphire befanden. Sie enthielt außerdem verschiedene Reliquien, die in Behälter eingelassen waren. 39 Beim Erstellen der Beutelisten taxierte man den Wert dieser sakralen Tafel. 40 Diese Einschätzung ihrer ökonomischen Wertigkeit erfolgte erkennbar, bevor man sich genau über den Umgang mit der Tafel im Klaren zu sein schien. Für diesen 37 S CHMID , Jagd (wie Anm. 11), 377. Erwähnenswert ist, dass weder in den Listen in Luzern noch auf den bildlichen Darstellungen der Chroniken eine Trennung zwischen sakralem und profanem Schatz vorgenommen wurde. 38 Vgl. D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5); H UGO VAN DER V ELDEN , The Donor’s Image. Gerad Loyet and the Votive Portraits of Charles the Bold, Turnhout 2000. 39 Staatsarchiv Luzern (StaLU), Luzerner Abschiede B, fol. 65 v, teilweise ediert in: D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 149. 40 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 85, datiert den bereinigten Rodel bereits auf den 15. Mai 1476. Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen 71 Vorgang wurden offensichtlich Spezialisten herangezogen. 41 Nur so ist zu erklären, dass der genaue Silberwert und die Goldkarate sowie ein Näherungswert der Edelsteine bereits so früh verzeichnet wurden. Deutlich wird hier die rasche Umwertung von heiligen Gegenständen in ökonomisches Potenzial. Berns Obrigkeit wollte die Tafel baldmöglichst den anderen Eidgenossen abkaufen, vor allem, um eine geplante Romfahrt symbolisch zu erhöhen. Wenn Deuchler meint, diese Romfahrt sei primär als Dankeszug für die gewonnene Schlacht geplant gewesen, so würde ich ergänzen wollen, dass Bern eine aggressive Akkumulationspolitik bei verschiedensten Reliquien attestiert werden kann, wie Beat Immenhauser am Beispiel des von Bern veranlassten Raubs des Hauptes des Heiligen Vinzenz aus Köln gezeigt hat. 42 Es ging den Bernern dabei vor allem um die rasche Aneignung von Heil durch neue Reliquien - dies wohl auch, weil man in Bern ein eigenes Bistum plante und dies nur durch möglichst viele Reliquien hätte begründen können. Die übrigen Kriegsteilnehmer lehnten die Angebote Berns und weitere Lösungsvorschläge allerdings ab. Das Schicksal der Tafel und anderer Schatzteile blieb über Jahre hinweg ungewiss. Einmal sollte das Kloster Einsiedeln damit beschenkt werden, ein anderes Mal bewarb sich das Kloster Wettingen um eine Schenkung. Dies wiederum macht deutlich, dass neben der ökonomischen Einschätzung - im Laufe der Jahre sank der Preis der Tafel sowie weiterer Reliquien beträchtlich - die Heiligkeit der Objekte für die Klöster fortbestand. 43 Doch die Eidgenossen waren stets auf Verkaufen aus. Darüber hinaus spielte die politische Ebene in diesem Fall eine Rolle. Eine Schenkung an ein Kloster wäre vorderhand am wenigsten konfliktträchtig gewesen. Insbesondere das Kloster Einsiedeln hätte sich als geeignet erwiesen, da es als eidgenössischer Pilgerort galt und bisweilen auch als Versammlungsort für Tagsatzungen fungierte. Politisch ließ sich dies jedoch nicht durchsetzen. Eine ziemlich radikale Lösung wurde erst rund sechs Jahre nach Karls Tod angestrebt. Am 17. März 1483 erwogen die eidgenössischen Gesandten auf einer Tagsatzung, die Tafel und die Reliquien in zehn Teile zu zerteilen und unter den am Krieg betei- 41 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 29 und 120. Dabei handelte es sich vermutlich um Goldschmiede aus der Eidgenossenschaft oder angrenzenden Gebieten. Vgl. U LRICH B ARTH , Zur Geschichte des Baseler Goldschmiedehandwerks (1261-1820), Basel 1978; E VA -M ARIA L ÖSEL , Zürcher Goldschmiedekunst vom 13. bis zum 19. Jahrhundert. Mit Beiträgen von Jürg A. Meier und Dietrich W. H. Scharz, Zürich 1983; M ARIE R OOSEN - R UNGE , Die Goldschmiede der Stadt Bern. Aufträge, Arbeiten und Merkzeichen, Bern 1951. 42 Seit dem 13. Jahrhundert war die St. Vinzent-Kirche Patrozinium. Vgl. B EAT I MMENHAU- SER , Hans Bäli - Schulmeister, Diplomat und Reliquienvermittler, in: Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt, E LLEN J. B EER / N ORBERTO G RAMACCINI / R AINER C. S CHWINGES (Hrsg.), Bern 1999, 157-160, hier 157. Vgl. S CHMID , Jagd (wie Anm. 11), 370f. 43 Zu frühmittelalterlichen Schenkungen: P RIETZEL , Kriegführung (wie Anm. 10), 181-184. Michael Jucker 72 ligten Orten zu verteilen. 44 Dieser Plan wurde dann in die Tat umgesetzt. Dazu war ein Ritual vonnöten: In der St. Peterskapelle in Luzern wurde ein Hochamt gehalten und anschließend das zersägte Heiltum per Los von einem sechsjährigen Knaben auf dem Altar der Kapelle aufgeteilt. Jeder am Krieg beteiligte Ort hatte seinen eigenen Priester bei diesem Ritual dabei, und der Anteil an der heiligen Beute wurde danach würdig nach Hause geleitet. Weiterhin beschlossen die Gesandten, dass Gott zum Dank in den einzelnen Orten Prozessionen veranstaltet werden sollten. 45 Der Schatz, respektive das Täfelchen, wurde somit nicht nur physisch zerteilt, sondern erneut unter den eidgenössischen Beutenehmern verteilt. Das mit starker Symbolik befrachtete religiöse Ritual und die anschließenden lokalen Prozessionen dienten folglich einer neuen Bedeutungszuschreibung der Beute: Es fand eine Resakralisierung statt. Nur so konnten die Einzelteile der Beute Heilswirkung in den lokalen Kirchen erlangen. Deutlich wird, dass der Gedanke der Akkumulation und Distribution von Heil und Gnade hier eine wichtige Rolle spielte. Erst durch das christliche Teilungsritual auf dem Altar und die lokalen Prozessionen wurden die sakralen Werte wieder hergestellt. 5.2 Diplomatische Uneinigkeit führt zu Preisverfall Ein anderes Schicksal ereilte einen der Diamanten aus Karls Schatz. Es handelte sich bei diesem heute verschollenen Objekt um den sogenannten Florentiner, einen außergewöhnlich großen und dementsprechend wertvollen Diamanten. Die Geschichte des Diamanten nach der Schlacht von Grandson beginnt sagenumwoben: Ein Knabe soll ihn auf dem Schlachtfeld gefunden und dafür von den Eidgenossen 10 Gulden bekommen haben. Im bereits erwähnten Beuteinventar finden wir den Diamanten dann wieder. Er wird dort auf genau 20.000 Gulden geschätzt. 46 Doch im Gegensatz zu Reliquienschreinen lassen sich Diamanten schlecht zersägen und teilen. Dies hätte zudem zu einem starken Wertverlust geführt, dessen sich die Eidgenossen offensichtlich bewusst waren. 47 Die Materialität verhinderte somit eine unmittelbare Distribution. Ein sakraler oder symbolischer Wert wurde dem Stein indessen nie zugeschrieben. Es gab deshalb nur folgende Möglichkeiten: Entweder den Stein gemeinsam zu thesaurieren oder ihn zu verkaufen. Die erste Lösung wäre wohl politisch schwer durchsetzbar gewesen. Darüber, dass der Diamant verkauft werden müsse, gab es unter den Gesandten offensichtlich einen Konsens. Wie im Falle der Goldtafel ver- 44 Staatsarchiv Zürich (StaZH), BVII 81, fol. 65f. (17.3.1483). Nur teilweise ediert in: D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 40. 45 StaZH, BVII 81, fol. 65. 46 StaLU, Luzerner Abschiede B, fol. 66r; zitiert in: D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 85f. 47 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 125-129. Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen 73 liefen die Diskussionen darüber jedoch zäh. Der Stein wurde deshalb lange in Luzern aufbewahrt. Es boten sich zwar immer wieder Käufer an, so das Haus Savoyen, der Herzog von Mailand und der ungarische König, aber auch die Stadt Lyon. Der Preis blieb anfänglich bei 20.000 Gulden, ja die eidgenössischen Gesandten auf den Tagsatzungen und ihre Obrigkeiten in den Orten hofften sogar etwas mehr herauszuschlagen. Im Laufe der Jahre wandten sich zudem undurchsichtige Vermittler an die Eidgenossen. Leider nicht mehr nachvollziehbar sind die gescheiterten Verhandlungen mit einem Mailänder Händler, der den wertvollen Stein für besagte Summe im Juli 1481 gekauft hätte. 48 Im Nachhinein rauften sich die eidgenössischen Ratsherren und Tagsatzungsgesandten wohl die Haare, denn ein solcher Preis wurde ihnen nie wieder geboten. Da überdies das Geld, um die Söldner zu bezahlen, langsam knapp wurde, wären die Einnahmen bitter nötig gewesen. Ende 1482 sank der Preis bereits auf 10.000 Gulden, wobei in diesem Angebot sogar noch ein Degen Karls inbegriffen war. 1490 war der Diamant nur noch 5.000 Gulden wert. Der Preis war nun so niedrig, dass selbst wohlhabende Zürcher Bürger mitbieten konnten. 49 Der Diamant wurde schließlich am 12. Juni 1492 dem Berner Kaufmann und Vermittler Bartholomäus May für nur 5.000 Gulden verkauft. 50 Über Genueser Kaufleute gelangte der Stein wieder in adlige Hände, nämlich an den Sforza-Herzog Lodovico il Moro in Mailand. Nach dessen Sturz 1499 stieg der Preis erneut: Papst Julius II. kaufte ihn für 20.000 Dukaten. Über Leo X. kam er später nach Florenz in den Besitz der Medici. Durch die Heiratsverbindungen der österreichischen Habsburger gelangte er schließlich in die kaiserliche Schatzkammer nach Wien. In diesem Schatzkomplex ruhte er angeblich bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 1918 wurde er vermutlich mit anderen privaten Kleinodien der Schatzkammer entnommen und in die Schweiz „geflüchtet“, also dorthin, wo das Schicksal des Steins in den Händen eines jungen Söldners begonnen hatte. 51 Deutlich wird am Beispiel des Diamanten, dass die Materialität durchaus bestimmend sein konnte für den pragmatischen Umgang mit einem Objekt aus dem Schatzkomplex. Der Weg des Objekts macht darüber hinaus deutlich, dass ursprünglich wertvolle Gegenstände in adligen Kreisen begehrter waren als im städtischen Milieu, was mit der hohen ökonomischen Potenz der adligen Käufer zusammenhing, aber sicher auch damit, dass das Akkumulieren von Schatzobjekten in reichen adligen und klerikalen Kreisen gebräuchlicher war. 48 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 127. 49 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 128. 50 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 127f. 51 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 128. Michael Jucker 74 5.3 Eine geschickte diplomatische Gabe: Das Gebetbuch Schätze umfassten oft auch kostbare Bücher. So hatte Karl der Kühne zahlreiche Bücher in seine Schlachten mitgenommen. Der Basler Chronist Johannes Knebel warf Karl sogar vor, dass er die falschen Bücher gelesen habe, nämlich diejenigen über die heidnischen Helden wie Alexander den Großen und die Trojaner, und gerade deshalb solch schreckliche Kriegsniederlagen erlitten habe. Die antiken Bücher seien ihm ein falsches Vorbild gewesen, denn Karl habe nicht gemerkt, dass diese Helden alle im besten Mannesalter gestorben seien. 52 Tatsächlich fanden die Eidgenossen im eroberten Zeltlager von Grandson weltliche und geistliche Bücher vor. Knebels Vorwurf, dass Karl nur antiken und somit heidnischen Vorbildern nacheiferte, war klerikal motivierte Herrschaftskritik, die insofern nicht ganz berechtigt war, als sich im Zeltlager durchaus auch Bibeln und Gebetbücher fanden. 53 Einen für die Schatz- und Beutegeschichte aussagekräftigen Weg nahm ein Gebetbuch Karls, über dessen ursprüngliche Herkunft leider wenig bekannt ist. Erwähnt wird es erstmals in der Luzerner Beuteliste als klein, köstlich, gefloriert bett buoch, das auf einen Marktwert von 60 Gulden geschätzt wurde. Ein Käufer konnte allerdings nicht gefunden werden, und gemeinsames Thesaurieren war auch in diesem Fall ausgeschlossen. Das Gebetbuch gelangte auf ungeklärten Wegen nach Bern. Schneller als bei der Goldtafel und dem Diamanten war jedoch eine Lösung in Sicht, die einen weiteren Aspekt des geraubten Schatzes aufscheinen lässt. Das geraubte Objekt wurde nämlich am 3. Dezember 1479 an Papst Sixtus IV. verschenkt. In der päpstlichen Urkunde ist zu lesen: Res quidem pretiosa est et digna quam nos eo gratiore animo suscepimus [...]. 54 Über die Gründe der Schenktransaktion dieses Objekts aus dem Burgunderschatz schweigt die Urkunde leider. Wie so oft bei Geschenken verbarg sich jedoch eine politische Absicht hinter der schönen Gabe. 55 Die Hintergründe werden erst durch die Chronik des Diebold Schilling deutlich. Er berichtet, dass eine päpstliche Ablassbulle, die Bern erwerben wollte, eine beträchtliche Summe kostete, so dass die Berner einem Vermittler namens Burkart 52 Vgl. dazu K LAUS O SCHEMA , Des Fürsten Spiegel? Anmerkungen zu den Bibliotheken der burgundischen Herzöge im 14. und 15. Jahrhundert, in: Buchkultur im Mittelalter. Schrift - Bild - Kommunikation, A DRIAN M ETTAUER / M ICHAEL S TOLZ (Hrsg.), Berlin / New York 2006, 177-192. 53 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 348f. Das Gebetbuch Philipps des Guten überlebte die Plünderungen und gelangte über Umwege wieder nach Bern. Es befindet sich heute in der Burgerbibliothek: O SCHEMA , Fürsten Spiegel (wie Anm. 52); A NTOINE DE S CHRYVER , Das Gebetbuch Karls des Kühnen. Ein flämisches Meisterwerk für den Hof von Burgund, Regensburg 2007. 54 Staatsarchiv Bern, Fach Rom, zitiert in: D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 349. 55 Vgl. V ALENTIN G ROEBNER , Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter am Beginn der Neuzeit, Konstanz 2000. Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen 75 das kostbare Buch übergaben, um es dem Heiligen Vater zu schenken. 56 Um wie viel günstiger der Ablass durch das Geschenk wurde, lässt sich leider nicht nachvollziehen. Eine ältere Forschungsmeinung behauptet, dass die Stadt Bern durch das Geschenk den päpstlichen Segen für die St. Vinzenz-Kirche und die Erlaubnis für eine Prozession erhalten habe. Dies wäre eine noch brisantere Geschichte, denn das Vinzenzhaupt war bekanntlich eine geraubte Reliquie aus Köln. Vermutlich steckten aber hinter dem nach außen hin großzügig wirkenden Schenkungsakt auch Berns kirchenpolitische Pläne zur Errichtung eines eigenen Bistums. 57 Die sakrale Gabe an den Papst wird somit zum Tauschakt der Heilsvermittlung. Das Beispiel des verschenkten Gebetbuchs zeigt deutlich, dass auch sakrale Objekte aus dem Schatzkomplex in die Geschenkökonomie einflossen und Gegengaben wiederum symbolischer und sakraler Natur sein konnten. Die Listen und Urkunden allerdings sprechen nur die Marktbeziehungen an, die symbolischen Ebenen des intendierten Gabentausches und die semantischen Zuschreibungen werden dort verschwiegen. 6. Zusammenfassung Die Schicksale der Beutestücke lösen immer wieder neue Akkumulationsvorgänge, Distributionsprobleme und Konflikte unter den Beutenehmern aus. Es lohnt sich, den Schatz als Beute genauer zu betrachten und die Wege und Bedeutungen der einzelnen Objekte zu verfolgen. Denn dadurch erhält man Einblicke in zeitgenössische Umgangsformen mit Schätzen sowie Einsichten in Praktiken des Schenkens, Verkaufens und der Zirkulation von Objekten. Der Sonderfall des geraubten Schatzes kann nur erklärt werden, wenn wir neben der Akkumulation auch die Distribution und die diplomatischen Machtkonstellationen untersuchen. Das heißt methodisch konsequent, dass stets auch der historische und politische Kontext analysiert werden muss. Die während und nach der Beutenahme erfolgenden Wertzuschreibungen können ökonomisch, sakral oder symbolisch gelagert sein. Der geraubte Schatz ist deshalb vielschichtig und in seiner Bedeutung variabel. Geraubte Gegenstände können Triumphzeichen für den erfolgreich geführten Kampf sein; eroberte Fahnen oder einzelne Waffen erlangten quasi-sakralen Charakter, wenn sie in den Kirchen als Zeichen des Sieges gesegnet und aufgehängt wurden. 58 Die Geschichte des ge- 56 D EUCHLER , Burgunderbeute (wie Anm. 5), 349: merglich gros gelt. Zur Praxis der Buchgeschenke vgl. das Projekt B7 am SFB 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“ an der Universität Münster. 57 Ich danke Prof. Guy Marchal für diese Anregung. 58 Vgl. J UCKER , Plünderung (wie Anm. 10), 51-69. Michael Jucker 76 raubten Palmesels zeigt dies in umgekehrter Weise: Seine sakrale Zeichenhaftigkeit wird durch das Ritual der Prozession zum Zeichen des Triumphes umgewertet. Andere Objekte wie Reliquien und ihre kostbaren Behältnisse konnten ihre sakrale Aura zwischenzeitlich ebenfalls verlieren, oder es konnten kultische Veränderungen vonstatten gehen. 59 An den aus dem Burgunderschatz geraubten Objekten werden die Verschiebungen zwischen akkumulierter Symbolik und Ökonomie besonders deutlich. Wenn Karl der Kühne Gebetbücher, Reliquien und Monstranzen mit in den Krieg nahm, so hatten diese Objekte primär eine heilige Aura. Sie sollten gegen die anzugreifenden Feinde wirken oder in der Messe vor der Schlacht verwendet werden. 60 Durch den Raub im Krieg verloren sie ihre Sakralität und Heilswirkung: Sie wurden einerseits aus ihrem sakralen Funktionszusammenhang herausgerissen. Andererseits glaubten die eidgenössischen Krieger auch nicht mehr so stark an die Rache Gottes oder der Heiligen. 61 Ohne Ehrfurcht vor dem Heiligen wurden die Stücke unverzüglich ökonomisch eingeschätzt und wie die profanen Beutestücke in die Beutelisten eingegliedert. 62 In den Verhandlungen über die Aufteilung der Beute spielten zuerst vor allem ökonomische Überlegungen wie der Preis und potenzielle Käufer eine Rolle. Gleichzeitig war die sakrale Aura aber immer noch von Bedeutung. An ein Einschmelzen beispielsweise der Goldtafel wurde angesichts der Reliquien offenbar nie gedacht. Dass die Zerstückelung der Votivtafel mit einem kirchlichen Ritual und einer Teilung durch das Los auf einem geweihten Altar verbunden war, macht deutlich, dass das geteilte Raubgut nun seine Sakralität neu erhalten sollte. Das Ökonomische wie auch das glanzvoll Triumphale mussten durch ein ritualisiertes Verfahren überdeckt respektive abgestreift werden. 63 Die 59 Vgl. G IA T OUSSAINT , Die Sichtbarkeit des Gebeins im Reliquiar - eine Folge der Plünderung Konstantinopels? , in: Reliquiare im Mittelalter, B RUNO R EUDENBACH / G IA T OUS- SAINT (Hrsg.), Berlin 2003, 89-106. 60 Für das Früh- und Hochmittelalter: G ERD A LTHOFF , ‚Besiegte finden selten oder nie Gnade’, und wie man aus dieser Not eine Tugend macht, in: Schlachtfelder. Codierung von Gewalt im medialen Wandel, S TEFFEN M ARTIUS / M ARINA M ÜNKLER / W ERNER R ÖCKE (Hrsg.), Berlin 2003, 131-145, bes. 143f. 61 Vgl. O LIVER L ANDOLT , ‚wider christenliche ordnung und kriegsbruch ...’ Schwyzerische und eidgenössische Kriegsverbrechen im Spätmittelalter, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde 22 (2005), 91-121. 62 Zur Schriftlichkeit und den diplomatischen Verhandlungen auf den Tagsatzungen: M ICHA- EL J UCKER , Gesandte, Schreiber, Akten. Politische Kommunikation auf den Tagsatzungen im Spätmittelalter, Zürich 2004. Zur Schriftlichkeit: H AGEN K ELLER , Schriftgebrauch und Symbolhandeln in der öffentlichen Kommunikation. Aspekte des gesellschaftlich-kulturellen Wandels vom 5. bis zum 13. Jahrhundert, in: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), 1-24. 63 Grundlegend: G ERD A LTHOFF , Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003; B ARBARA S TOLLBERG -R ILINGER , Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe - Thesen - Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31, 4 (2004), 489-527; Symbolic Communication in Late Medieval Towns. Tradition, Innovation and Perception, J ACQUELINE J. V AN L EUVEN (Hrsg.), Löwen 2006. Raub, Geschenke und diplomatische Irritationen 77 goldene Tafel, wenn auch zerstückelt, war nun wieder verstärkt der sakralen Sphäre zugeordnet und diente an neuen Orten der Akkumulation göttlicher Gnade. Anhand des Wegs des Diamanten zeigt sich eine ganz andere Akkumulationsgeschichte: Hier bleibt der ökonomische Wert stets ausschlaggebend, auch bedingt durch die Materialität dieses Luxusobjektes, denn ein zersägter Diamant wird wertlos. Doch durch die zähen diplomatischen Verhandlungen und die Uneinigkeit der Eidgenossen sank der Preis beträchtlich. Die Hoffnung, den Diamanten teuer verkaufen zu können, scheiterte an den politischen Umständen und an Querelen unter den Eidgenossen. Am Weg des Diamanten lässt sich ein anderer zirkulärer Vorgang von Luxusgegenständen beobachten, denn er gelangte, wenn auch über Umwege, wieder in die Schatzkammern der wichtigsten europäischen Adelshäuser. Schätze scheinen Luxusgüter oder wertvolle Schatzstücke anzuziehen, und die adligen Häupter Europas wussten, wo was auf dem Markt zu kaufen war. Vermutlich gelangten sie über diplomatische Kontakte und Vermittler an solche Informationen. Bücher wiederum hatten unterschiedliche Schicksale. Am Gebetbuch Karls lässt sich anschaulich zeigen, dass die Geschenkpraxis der Diplomatie eine ebenso wichtige Rolle wie das Verteilen und Verkaufen spielte und die Gegengabe durchaus auch symbolischer Natur sein konnte. Gabe und Gegengabe funktionierten nicht nur auf der Basis materieller Reziprozität. Vielmehr konnte eine Gegengabe auch immaterieller Art sein. Durch das geschenkte Buch erhielt Bern Seelenheil respektive Gnade in Form eines Ablasses. Raubgut wurde so zum schnell weitergegebenen diplomatischen Geschenk. Der Gabentausch macht solche Wertumdeutungen und vielleicht auch Wertwidersprüche erst sicht- und kommunizierbar. Grundlegend und sicher auch charakteristisch für praktisch alle hier beschriebenen Vorgänge wie der Plünderung von Schätzen und des diplomatischen Umgangs mit Schatzobjekten ist der Umstand, dass die Wertzuschreibungen und die häufigen Umschreibungen stets mit symbolischen Akten oder Ritualen verbunden waren. Kollektive Wertvorstellungen und Wertwidersprüche, ob sie nun selbst symbolischer, ökonomischer oder sakraler Natur waren, wurden erst durch symbolische Handlungen und Praktiken der Zuschreibung hervorgebracht oder dadurch erfahrbar manifestiert. Diese wiederum wurden von einer etablierten diplomatischen Praxis geprägt. Den historischen und kulturwissenschaftlichen Blick auf die Praxis, die Rituale und den Umgang mit Beutestücken und Schätzen zu richten, erweist sich deshalb als besonders ergiebig, weil dadurch gesellschaftliche Wertzuschreibungen erst sichtbar bzw. sichtbar gemacht werden. Vgl. auch C HRISTOPH D ARTMANN , Urkunde und Buch in der symbolischen Kommunikation mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften und Herrschaftsverbände. Münsteraner Sonderforschungsbereich 496, Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution, Teilprojekt A1, Projektleitung: Prof. Dr. Hagen Keller, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, Berichtsjahr 2004, München 2005, 41-51. Fürstliche Gaben? Schenkakte als Elemente der politischen Kultur im Alten Reich Harriet Rudolph Innerhalb des diplomatischen Verkehrs im frühneuzeitlichen Europa waren Schenkakte eine gängige und in bestimmten Kontexten als unverzichtbar betrachtete soziale Praktik. 1 Materielle Zuwendungen, ob nun in Form von finanziellen Leistungen oder Gütern, betrachtete insbesondere die politische Elite des Fürstenstandes als wichtiges Mittel zur Verfolgung ihrer politischen Interessen. Geschenke wurden von Hof zu Hof gesandt oder auch persönlich bei Herrschertreffen überreicht. Bei politischen Großereignissen, wie etwa Reichstagen, führten bedeutende Reichsfürsten nicht selten ganze Wagenladungen von als Geschenken gedachten Gegenständen mit. Diese Praxis fand ihren Niederschlag in der archivalischen Überlieferung von Reichsfürsten in Form von Begleit- und Dankschreiben oder in den extra angelegten Schenkverzeichnissen der Reichsstädte sowie im Bestand fürstlicher Bibliotheken und Kunstkammern. Geschenke stellten dabei einerseits selbst Medien der politischen Kommunikation dar; andererseits sollten derartige Praktiken über sich hinausweisend politische Kommunikation erst ermöglichen, fördern und im Interesse des Gebers steuern. Schenkungen unter politischen Akteuren erweisen sich damit als zentrales Element der politischen Kultur im Alten Reich. Unter diesem Begriff hat einer der Gründerväter der Erforschung politischer Kulturen, Sidney Verba, ein System von Glaubenssätzen, Repräsentationsformen und Werten verstanden, die jede Situation determinieren, in der politisch agiert wird, und damit bestimmte Handlungsmuster präfigurieren. 2 Im vorliegenden Kontext bedeutet dies zum Beispiel, dass die Zeit- 1 Allgemein zum Problem der Gabe in Mittelalter und Früher Neuzeit vgl. M AURICE G ODE- LIER , Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, heilige Objekte, München 1999; N ATALIE Z EMON D AVIS , Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance, München 2000; Negotiating the Gift. Pre-Modern Figurations of Exchange, G ADI A LGAZI / V ALENTIN G ROEBNER / B ERNHARD J USSEN (Hrsg.), Göttingen 2003. 2 S IDNEY V ERBA , Political Culture and Political Development, Princeton 1965, 513. Vgl. dazu auch die Definition von D AVID J. E LKINS / R ICHARD S IMEON , A Cause in Search of Its Effect, or What Does Political Culture Explain? , in: Comparative Politics 11 (1978), 127-145. Dort heißt es: „Political culture consists of assumptions about the political world. […] Assumptions about the political world focus attention on certain features of events, institutions, and behavior, define the realm of the possible, identify the problems deemed pertinent, and set the range of alternatives among which members of the population make decisions.” Ebd., 128. Harriet Rudolph 80 genossen Gabenakte offenbar als erfolgversprechende Strategie bewerteten, um ihre politischen Interessen im Rahmen von Entscheidungsprozessen durchsetzen zu können. Außerdem verknüpften sie mit ihnen bewusst oder unbewusst bestimmte Ausdrucksformen und Werte, deren Verwendung bzw. Einhaltung sie als wichtige Voraussetzungen für ein im Hinblick auf die von ihnen verfolgten politischen Ziele erfolgreiches Agieren betrachteten. Die politische Kultur im Sinne eines überindividuellen mind set 3 steht jedoch - und das wurde in der kritischen Diskussion dieses Konzeptes mehrfach herausgestellt - in einem Wechselverhältnis zur Handlungsweise der politischen Akteure, zu den beteiligten Institutionen im Sinne von organisatorisch und normativ verfestigten Handlungskodifizierungen und zu den konkreten Handlungssituationen, in denen politisch agiert wird. 4 Genau dieses Wechselverhältnis gilt es zu analysieren, will man die sozialen und politischen Logiken von Schenkakten unter politischen Akteuren im Alten Reich verstehen. Karl Rohe betonte zudem die verhaltensnormierende Dimension politischer Kulturen, ihre Qualität als ungeschriebene Verfassung einer Gesellschaft. 5 Daraus leitete er die für den vorliegenden Kontext wichtige Forderung ab, den Verpflichtungscharakter politischer Praktiken zu analysieren. Für das Schenken unter politischen Akteuren lassen sich dabei drei Sachverhalte unterscheiden: erstens das Schenken als Akt, zu dem sich der Geber aufgrund geltender Normvorstellungen verpflichtet fühlt, etwa im Kontext von Besuchen, bei denen Gast und Gastgeber traditionell Geschenke austauschen; zweitens das Schenken als Akt, mit dem der Geber den Empfänger den eigenen politischen Zielen zu verpflichten und dessen politisches Handeln zu steuern gedenkt; und drittens das Ausmaß, in dem sich der Empfänger infolge der Asymmetrie der einseitigen Leistung des Gebers diesem nun seinerseits durch die Annahme des Geschenkes verpflichtet fühlt und gegebenenfalls danach handelt - falls er die gewünschte Handlung nicht bereits vor der Schenkung vollzogen hatte. Je nach der Wertrelation zwischen den von beiden Seiten erbrach- 3 E LKINS / S IMEON , Cause (wie Anm. 2), 128. 4 Siehe dazu M AX K AASE , Sinn oder Unsinn des Konzepts „Politische Kultur“ für die Vergleichende Politikforschung, oder auch, Der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln, in: Wahlen und politisches System, Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1980, D ERS . (Hrsg.), Opladen 1983, 144-171, hier 156; ferner G ABRIEL A. A LMOND , Politische Kultur - Forschung - Rückblick und Ausblick, in: Politische Kultur in Deutschland. Bilanz und Perspektiven der Forschung, D IRK B ERG -S CHLOSSER / J AKOB S CHISSLER (Hrsg.), Opladen 1987, 27-38; D IRK B ERG -S CHLOSSER , Erforschung der Politischen Kultur - Begriffe, Kontroversen, Forschungsstand, in: Politische Bildung 36 (2003), 7-20; B IRGIT S CHWELLING , Politische Kulturforschung als kultureller Blick auf das Politische. Überlegungen zu einer Neuorientierung der Politischen Kulturforschung nach dem „cultural turn“, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 11 (2001), 601-629. 5 K ARL R OHE , Politische Kultur. Zum Verständnis eines theoretischen Konzepts, in: Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland, O SKAR N IEDERMAYER / K LAUS VON B EYME (Hrsg.), Opladen 1996, 1-21, hier 1. Fürstliche Gaben? 81 ten materiellen oder immateriellen Leistungen entstehen auf Seiten von Geber und Empfänger der Gabe Erwartungshaltungen oder Verpflichtungsgefühle. Versteht man Schenkakte unter politischen Akteuren als Element der politischen Kommunikation, so ist vor allem zu fragen, welche unterschiedlichen Dimensionen von Politik hier überhaupt zum Tragen kamen. Grundsätzlich ist auch hier zwischen jenen drei Politikbereichen zu differenzieren, welche die neuere Politikwissenschaft methodisch und analytisch unterscheidet: die instrumentelle Dimension (polity) im Sinne der existenten Institutionen, Normen und Traditionen; die prozessuale Dimension von Politik (politics) im Sinne der angewandten politischen Verfahren und der Strategien, die Akteure im Kampf um politische Macht einsetzten; die inhaltliche Dimension von Politik (policy) im Sinne einer Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen. 6 Wie stark bestimmte die instrumentelle Dimension von Politik, der auch die politische Kultur zuzuordnen ist, den Ablauf von Schenkungen? In welcher Weise nahmen Schenkakte auf die hier unterschiedenen drei Politikbereiche Einfluss? Welche politischen Inhalte wurden qua Schenkakt eigentlich kommuniziert? Zu welchen Verständigungsproblemen führte diese politische Sprache und mit welchen Strategien sollten Fehlinterpretationen vermieden werden? Diesen Fragen werde ich im Folgenden anhand einer Betrachtung der Gabenpraxis bei Kaisereinzügen im Heiligen Römischen Reich nachgehen. Als Beispiele dienen mir dabei Schenkakte aus dem Zeitraum zwischen 1400 und 1650. Zunächst sollen die Spezifika der Handlungssituation des Kaisereinzugs herausgearbeitet werden, da diese die Art und Weise von Schenkakten wesentlich beeinflussten. Anschließend betrachte ich vergleichend kaiserliche Einzüge in Reichsstädte und in fürstliche Residenzen, weil sich durch den Vergleich der Akteurstypen Reichsstadt und Reichsfürst besonders gut die Handlungslogiken politisch motivierter Gaben aufzeigen lassen. 1. Der Herrschereinzug als spezifische Handlungssituation Der Kaisereinzug erscheint als eine spezifische Handlungssituation, deren politischer, sozialer und ökonomischer Kontext die Praxis des Gabentauschs wesentlich beeinflusste. 7 Bei einem Kaisereinzug weilte der Kaiser in seiner Funktion als 6 Dazu mit weiterführender Literatur K ARL R OHE , Politik. Begriffe und Wirklichkeiten, Stuttgart 1994, 61-67. 7 Vgl. dazu H ARRIET R UDOLPH , Das Reich als Ereignis. Formen und Funktionen der Herrschaftsinszenierung bei Kaiserauftritten im Reich (1558-1618), Köln / Weimar / Wien 2011. Allgemein zum Herrschereinzug G ERRIT J ASPER S CHENK , Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich, Köln 2002; R AINER R OY / F RIEDRICH K OBLER , Festaufzug, Festeinzug, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Stuttgart 1987, Bd. 8, 1417-1519; K LAUS T ENFELDE , Adventus. Zur historischen Ikonologie des Harriet Rudolph 82 Reichsoberhaupt bei einem ihm untergebenen Akteur. Daraus resultierten besondere Rahmenbedingungen der hier zu beobachtenden Schenkakte: Erstens bestand eine rangmäßige Asymmetrie zwischen Geber und Nehmer, die sich auf die Art, den Wert und die Darbietungsform der Geschenke auswirken musste. Dies betraf vor allem die Hauptakteure Kaiser, Reichsfürst und städtischen Rat. Da aber nicht nur diese als Geber oder Nehmer auftraten, sondern auch Akteure unterhalb dieser Rangstufen bzw. Institutionen, kam es mitunter vor, dass Schenkakte nicht nur vertikal über eine oder mehrere Rangstufen hinweg, sondern auch horizontal innerhalb einer Rangstufe erfolgten. Allerdings gab es auch innerhalb von Rangstufen vielfach diffizile Feinabstufungen, so dass sich politische Akteure in der Regel nicht als völlig gleichwertig wahrnahmen. 8 Zweitens kam es zu einer Interferenz zwischen Individuen, sozialen Gruppen und Institutionen. Die Akteure handelten als individuelle Person, als Vertreter einer sozialen Gruppe oder - und dies war häufig der Fall - als Vertreter einer Institution. Jede dieser Rollen, die sich situativ überlagern konnten, eröffnete spezifische Handlungsspielräume, wobei diese im letzten Fall am geringsten waren. Institutionen „als organisatorisch und normativ verfestigte[n] Handlungskodifizierungen“ 9 gaben bestimmte Handlungsmodi vor, welche die sie vertretenden Individuen in der Regel als bindend empfanden und deshalb kaum ignorieren konnten. 10 Allerdings waren institutionell verankerte Handlungsmodi nicht in jedem Fall eindeutig bestimmbar. Außerdem mussten die politischen Akteure sich diese erst aneignen und der konkreten Situation anpassen, so dass auch hier Handlungsspielräume entstanden. Drittens waren bei derartigen Schenkakten Geber und Nehmer in der Regel persönlich anwesend. Daraus resultierte die Notwendigkeit eines ausformulierten Schenkverfahrens sowie eines Zeremoniells, die ihrerseits zu Trägern politischer Aussagen werden konnten, indem sie das Rangverhältnis, aber auch die aktuelle Qualität der Beziehungen zwischen beiden Seiten zum Ausdruck brachten. 11 Ge- Festzugs, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), 45-84; M ICHAIL A. B OJCOV , Ephemerität und Permanenz bei Herrschereinzügen im spätmittelalterlichen Deutschland, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 24 (1997), 87-107. 8 Der kaiserliche Obersthofmarschall etwa sah sich nicht auf einer Ebene mit dem Inhaber desselben Amtes an einem Fürstenhof, weil der Kaiser selbst bereits über dem Fürsten stand. 9 K AASE , Sinn (wie Anm. 4), 156. 10 Vgl. dazu den institutionenkritischen Ansatz des sogenannten Neo-Institutionalismus etwa bei J OHN W. M EYER / B RIAN R OWAN , Institutionalized Organizations. Formal Structures as Myth and Ceremony, in: American Journal of Sociology 83 (1977), 340-363; L YNNE G. Z UCKER , The Role of Institutionalization in Cultural Persistence, in: American Sociological Review 42 (1977), 726-743; W. R ICHARD S COTT , Institutions and Organizations, Thousand Oaks 1995. 11 Zu den vier Komponenten des Schenkens (das Geschenk, die Handlungssequenz des Gebens und Nehmens, Deutungsprozesse und Gefühlsnormen) vgl. H ELMUTH B ERKING , Schenken. Zur Anthropologie des Gebens, Frankfurt a. M. 1996, 19. Fürstliche Gaben? 83 schenke wurden zeitgenössisch nicht zufällig als Verehrungen bezeichnet, wobei sowohl das Schenken als Akt der Ehrerweisung verstanden wurde als auch das Geschenk dem sozialen Stand des Empfängers angemessen sein musste, um seine Statuszuschreibung nicht ins Gegenteil zu verkehren und vielmehr als symbolische „Entehrung“ zu wirken. Außerdem bestand die Möglichkeit eines direkten Feedbacks durch den Empfänger, was die Wahl der Geschenke im Vorfeld nicht unwesentlich beeinflusst haben dürfte. Viertens war die Schenkung zumeist durch ein hohes Maß an Öffentlichkeit gekennzeichnet. 12 Sie fand zwar nicht - wie etwa die politische Aufführung des Herrschereinzugs - im öffentlichen Raum der Stadt statt, sondern in den Reichsstädten in der Herberge des Kaisers sowie in fürstlichen Residenzen im Schloss des Fürsten. Dennoch war hier zumeist eine vergleichsweise große Zahl von Menschen anwesend, welche Informationen über die Art und den Wert des Geschenkes sowie über das Verfahren seiner Übergabe nach außen tragen konnte. Damit besaßen die im Zuge des Schenkaktes vorgenommenen Zuschreibungen von Rang sowie andere politische Aussagen eine potentiell hohe öffentliche Wirksamkeit. 13 Fünftens überschnitten sich bei Schenkungen im Rahmen von Herrschereinzügen mehrere Schenkanlässe und Schenkmotive. Dabei bot bereits der Herrscherbesuch als solcher einen Anlass für Schenkakte von Gast und Gastgeber, weil Besuchshandlungen in den meisten Kulturen mit dem Austausch von Gaben verbunden sind. 14 Außerdem konnten weitere Schenkanlässe hinzukommen, wie etwa bestimmte Festivitäten oder auch bestimmte Leistungen, die im Vorfeld und während des Kaiserbesuches erbracht worden waren und ebenfalls mit einem Geschenk honoriert werden konnten. 15 Geschenkt wurde sowohl, weil man davon ausging, dass der 12 Zu Öffentlichkeitskonzepten vgl. J ÜRGEN H ABERMAS , Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied 1962; A NDREAS G ESTRICH , Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1994; V OLKER B AUER , Höfische Gesellschaft und höfische Öffentlichkeit im Alten Reich. Überlegungen zur Mediengeschichte des Fürstenhofs im 17. und 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 5 (2003), 29-68; Öffentlichkeit. Geschichte eines kritischen Begriffs, U WE H OHENDAHL (Hrsg.), Stuttgart 2000. 13 Es war ein Unterschied, ob etwa der Kurfürst von Sachsen - was er des Öfteren mit oder ohne besonderen Anlass tat - Bier, Arzneimittel oder seltene Pflanzen an den Kaiserhof schickte, oder ob er dem Kaiser bei einem Besuch in der eigenen Residenz ein Geschenk überreichen ließ. 14 Vgl. dazu allgemein M ARCEL M AUSS , Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1994; L EWIS H YDE , The Gift. Imagination and the Erotic Life of Property, New York 1983; D AVID C HEAL , The Gift Economy, New York 1998. 15 Schenkanlässe waren etwa auch kaiserliche Geburten oder Hochzeiten. Dazu allgemein: Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, M ICHAEL M AURER (Hrsg.), Köln u. a. 2004; Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes, Harriet Rudolph 84 Empfänger ein Geschenk erwarten würde, als auch, weil man damit bestimmte politische Ziele verknüpfte. Sechstens kam es bei Herrschereinzügen regelmäßig nicht nur zu einer, sondern zu einer ganzen Serie von Schenkhandlungen, die entweder einseitig oder in reziproker Form vollzogen wurden und darüber hinaus häufig weitere Schenkakte auslösten. In ihrem Ergebnis entstanden mehrdimensionale, teilweise sehr komplexe Schenkbeziehungen zwischen den beteiligten Personen, die durch andere Formen der politischen Kommunikation gefestigt oder auch konterkariert werden konnten. Ich möchte die Auswirkungen dieser Faktoren nun zunächst für den Akteurstypus der Reichsstadt untersuchen. 2. Die Reichsstadt als Akteur In den Reichsstädten hatte sich infolge des mittelalterlichen Reisekaisertums eine Schenktradition herausgebildet, welche die Stadtschreiber seit dem 15. Jahrhundert in sogenannten Schenkbüchern festhielten. 16 Diesen zunächst nach dem Geschlecht und danach nach dem Rang des Empfängers gegliederten Aufzeichnungen kam ein quasi normativer Status zu. Denn die Kaiser leiteten aus der schriftlich fixierten Gewohnheit einen Anspruch auf ein Geschenk in einem bestimmten Wert ab, wodurch sich der Rat der Stadt nicht nur sozial, sondern auch rechtlich verpflichtet fühlen musste. Dies galt in besonderem Maße bei Ersteinzügen, die zumeist zeitlich, auf jeden Fall aber ideell im Kontext einer Herrschererhebung standen. Schenkanlass war damit nicht nur der Besuch, sondern auch die Herrscherinvestitur und konkret die Huldigung. 17 Die Gabe verkörperte hier eine Art materielle Huldigung an den neu- D ETLEF A LTENBURG / J ÖRG J ARNUT / H ANS -H UGO S TEINHOFF , Sigmaringen 1991; J AMES R. M ULRYNE / E LIZABETH G OLDRING , Court Festivals of the European Renaissance, Burlington 2004; M ICHAIL A. B OJCOV , Feste und Feiern, Festliche Anlässe und Festformen, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich, 3 Bde., W ERNER P ARAVICINI / J ÖRG W ETTLAUFER (Hrsg.), Ostfildern 2005, Bd. 2.1, 483-495. 16 Für die Reichsstadt Nürnberg: Staatsarchiv Nürnberg (StaN), Reichsstadt Nürnberg (Rst. N.) Amts- und Standbücher (A.St.B.) 312, 314, 316, 318, 321. Gesonderte Verschriftlichungen der Schenkpraxis sind auch für Augsburg oder Regensburg erhalten, aber auch andere Reichsstädte hielten ihre Schenkakte in der Regel seit dem Spätmittelalter schriftlich fest. An fürstlichen Höfen scheint dies in systematisierter Form mit Ausnahme des Hofes von Ludwig XIV. nicht üblich gewesen zu sein. Vgl. den Beitrag von C ORINNE T HÉPAUT - C ABASSET in diesem Band. 17 Zur Herrschererhebung allgemein: Krönungs- und Investiturrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, S TEFAN W EINFURTER / M ARION S TEINICKE (Hrsg.), Köln 2005; Herrscherweihe und Königskrönung im frühneuzeitlichen Europa, H EINZ D UCH- HARDT (Hrsg.), Wiesbaden 1983; Wahl und Krönung, B ERND H EIDENREICH / F RANK - Fürstliche Gaben? 85 en Herrscher. Mit ihr demonstrierte die Reichsstadt diesem ihre Ergebenheit und versuchte zugleich, ihn für die Durchsetzung eigener Interessen zu gewinnen. Erwünscht waren damit primär nichtmaterielle Gegengaben, die sich unter der Formel „Schutz und Schirm“ zusammenfassen lassen. 18 Sie konnten sich konkret auf die Bestätigung der reichsstädtischen Privilegien sowie allgemein auf die Unterstützung gegen benachbarte Reichsfürsten, welche zum Beispiel die Rechte der Reichsstadt zu ihren eigenen Gunsten zu beschneiden versuchten, beziehen. 19 Deshalb beschenkte die Reichsstadt den Kaiser, nicht aber der Kaiser die Reichsstadt. Durch die fehlende Reziprozität akzeptierte dieser die im Zuge des Schenkaktes von der Reichsstadt verbalisierte Verpflichtung zu deren Schutz. Außerdem brachte er dadurch zum Ausdruck, dass die Reichsstadt aufgrund ihres rechtlichen Status’ - anders als ein Reichsfürst - zur Aufnahme des Kaisers verpflichtet war. Denn der Kaiser besuchte die Reichsstadt nicht nur in seiner Funktion als Reichs-, sondern auch als Stadtoberhaupt. Diese besondere Rahmenbedingung prägte das Verfahren der Geschenkübergabe. So überbrachten hochrangige Vertreter des Ratsregiments die Schenk in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Einzug, wobei man in einem feierlichen Sprechakt erneut um „Schutz und Schirm“ und um die gnädige Annahme des Geschenkes bat. 20 Vor allem wirtschaftlich starke Reichsstädte wie Nürnberg oder Augsburg investierten erhebliche Summen in Geschenke bei Kaiserbesuchen. 21 Das mit Abstand L OTHAR K ROLL (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2006; Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle, 1356-1806. Ausstellungskatalog, E VELYN B ROCKHOFF / M ICHAEL M AT- THÄUS (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2006. 18 Vgl. dazu D IETMAR W ILLOWEIT , Art. Schutz und Schirm, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, Berlin 1990, 1528f. 19 Dies betraf etwa das häufig strittige Geleitsrecht, vgl. zum Beispiel StaN, Rst. N., SIL 135 Nr. 5, fol. 12-25. 20 Siehe den Sprechakt des Nürnberger Rates in: StaN, Rst. N., SIL 135, Nr. 6, 69’-70’ und 77f. 21 Da nicht nur der Kaiser selbst, sondern auch die kaiserliche Familie und die Inhaber der aus der Perspektive der Stadt wichtigsten Hofämter bedacht wurden, stiegen die Summen mit Beginn der Neuzeit deutlich an. Zum einen kamen die späteren Kaiser zumeist mit Familienangehörigen, zum anderen differenzierte sich der Kaiserhof als soziales System stärker aus, so dass immer mehr Personen als Geschenkempfänger berücksichtigt werden mussten. Vgl. dazu V OLKER P RESS , The Imperial Court of the Habsburgs from Maximilian I to Ferdinand III, 1493-1657, in: Princes, Patronage and the Nobility. The Court at the Beginning of the Modern Age 1450-1650, R ONALD G. A SCH / A DOLF M. B IRKE (Hrsg.), Oxford 1991, 289- 312; J EROEN D UINDAM , Vienna and Versailles. The Courts of Europe’s Major Dynastic Rivals, c. 1550-1780, Cambridge 2003; sowie die Überblicksartikel für die Höfe Ferdinands I., Rudolfs II. und Matthias’ von E RNST L AUBACH , Ferdinand I. (1531-1564), in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, W ERNER P ARAVICINI / J ÖRG W ETTLAUFER (Hrsg.), 3 Bde., Ostfildern 2003, Bd. 1, 373- Harriet Rudolph 86 wertvollste Geschenk erhielt der Kaiser, der in der Regel mit einem mit Münzen gefüllten Pokal bedacht wurde. Die Münzgabe stand möglicherweise zeichenhaft für die Bereitschaft der Reichsstädte, auch dem neuen Kaiser Steuerzahlungen zu leisten. Im 16. Jahrhundert gingen vor allem größere Reichsstädte dazu über, extra aus diesem Anlass Münzen zu prägen, wodurch sie ihr Recht auf Münzprägung als wichtiges Hoheitsrecht zur Schau stellten. Betrachtet man die Gaben der Reichsstadt Nürnberg im Spätmittelalter, so lässt sich feststellen, dass die Art des Geschenkes und sein Wert bei Ersteinzügen von Sigismund bis zu Maximilian I. im Wesentlichen gleich blieb. Alle Kaiser erhielten bei ihren Ersteinzügen einen Doppelpokal, in dem 1.000 Nürnberger Stadtgulden lagen. 22 Auch der Wert der aus massivem, vergoldetem Silber bestehenden Pokale veränderte sich zunächst nur unwesentlich. 23 Dies zeigt die hohe Bedeutung der Tradition als Richtschnur für das aktuell gewählte Verfahren. Beschenkt wurde nicht die individuelle Person des Kaisers, sondern die Institution des Kaisertums. Erst im 16. Jahrhundert stieg der Wert der verwendeten Pokale, was allerdings auch an der Inflation der Edelmetallpreise sowie an gestiegenen ästhetischen Ansprüchen und dem damit verbundenen handwerklichen Aufwand gelegen haben dürfte. Karl V. wurden 1541 außerdem nicht mehr 1.000, sondern nun auf einmal 2.000 Stadtgulden überreicht. 24 Verantwortlich für die Änderung der Summe dürfte die außerordentliche Machtfülle dieses Kaisers gewesen sein. Außerdem hoffte der Nürnberger Rat durch die Höhe der Gabe sicher das seit Einführung der Reforma- 381, H EINZ N OFLATSCHER , Rudolf II. (1576-1612), ebd., 388-397; und M ARK H ENGE- RER , Matthias (1612-1619), ebd., 397-404. 22 StaN, Rst. N., A.St.B. 316, fol. 3-9, sowie 318, fol. 26’. Vgl. außerdem die Aufstellung in R UDOLPH , Reich als Ereignis (wie Anm. 7), 235. Bei Kaiser Friedrich III. handelte es sich 1471 um einen Pokal, in den ein Straußenei eingearbeitet war, das angeblich vom „heiligen“ Kaiser Karl dem Großen stammte; StaN, Rst. N., A.St.B. 316. 23 Er lag zwischen etwa 80 und 170 Gulden pro Objekt, wobei der Wert auch vom augenblicklichen Amt des Gastes als Römischer König oder Kaiser abhing; R UDOLPH , Reich als Ereignis (wie Anm. 7), 565. 24 Karl V. hatte bereits 1532 einen Doppelpokal mit 2.000 Gulden erhalten, der mit den Wappen der sieben Kurfürsten verziert war. Dass der Kaiser die Stadt auf seinem Weg zum Regensburger Reichstag von 1532 mied, betrachtete der Nürnberger Rat zu Recht als Zeichen kaiserlicher Ungnade, die er mit der Überreichung seiner Gabe in Regenburg zu mindern hoffte; StaN, Rst. N., SIL 150, Nr. 1, ohne Folierung; A.St.B. 318, fol. 26’. Dass das Design des Pokals dem Kaiser, der gleichzeitig spanischer König war, den grundsätzlich anderen Status seines Kaisertums vor Augen stellen sollte, ist möglich, aber gerade vor dem Hintergrund, dass der Schenkende hier eine Reichsstadt war, eher wenig wahrscheinlich. Vgl. zum Folgenden U RSULA T IMANN , Goldschmiedearbeiten als diplomatische Geschenke, in: Quasi Centrum Europae. Europa kauft in Nürnberg 1400-1800. Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, 20. Juni bis 6. Oktober 2002, H ERMANN M AUÉ / T HOMAS E SER / S VEN H AUSCHKE / J ANA S TOLZBERGER (Hrsg.), Nürnberg 2002, 216-239, hier 223. Fürstliche Gaben? 87 tion in Nürnberg sehr gespannte Verhältnis zwischen beiden Seiten günstig zu beeinflussen. 25 Zudem ließ sich auf diese Weise zwischen Kaiser und König differenzieren, denn Ferdinand I. hatte bei seinem Ersteinzug 1540 1.000 Stadtgulden erhalten. 26 Unüblicherweise erhielt König Ferdinand I., als er 1542 erneut in Nürnberg einzog, nochmals 1.000 Stadtgulden als Geschenk des Nürnberger Rates. 27 Dabei stellte dieser jedoch explizit fest, dass dies nicht auf der Grundlage der Gewohnheit geschehe, um mögliche königliche Ansprüche auf eine solche Gabe mit dem Hinweis auf das Herkommen in Zukunft von vornherein zu unterbinden. Vielmehr sollte die unübliche Schenkung den wegen eines verweigerten Darlehens verärgerten König besänftigen. 28 Auf diese Weise kommunizierte die Stadt das intensive Bemühen um gute Beziehungen zum Kaiserhaus, auch wenn sich in diesem Fall die finanziellen Interessen beider Seiten nicht auf einen Nenner bringen ließen. Ausschlaggebend für den Schenkakt waren damit nicht mehr allein Tradition und Institution, sondern auch dessen aktuelle politische Rahmenbedingungen. Der Prozess der Individualisierung des Schenkens setzte sich in der Folge fort. So erhielt Kaiser Maximilian II. 1570 zwar wieder 1.000 Gulden - allerdings handelte es sich hier erstmals um Goldgulden, die den Wert der Stadtgulden zu diesem Zeitpunkt um ein Viertel überstiegen - dazu jedoch ein kostbares silbernes Schreibzeug mit einem Uhrwerk in einem mit Blumen gefüllten Krug im Wert von über 2.000 Gulden. 29 Dieser Bruch mit der bisherigen Schenktradition resultierte aus mehreren Faktoren. So hatte die Stadt seit 23 Jahren keinen Kaiserbesuch mehr erlebt, denn sowohl Ferdinand I. als auch Maximilian II. hatten ihren ersten Reichstag trotz der Bitte des Nürnberger Rates in Augsburg abgehalten und die Stadt auch auf dem Rückweg von ihren Erhebungsakten 1558 und 1562 nicht besucht. Maximilian II. brachte man zudem aufgrund seiner offeneren konfessionellen Haltung deutlich stärkere Sympathien entgegen als seinen Vorgängern. Außerdem versuchte die Reichsstadt offenbar, mit ihrem künstlerisch hochstehenden und wertvollen Geschenk fürstliche Schenkpraktiken zu kopieren. Auf diese Weise sollte die Rangdifferenz zwischen dem Reichsfürstenstand und den Reichsstädten symbolisch 25 Dazu G ÜNTER V OGLER , Erwartung - Enttäuschung - Befriedigung. Reformatorischer Umbruch in der Reichsstadt Nürnberg, in: Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1996, S TE- PHEN E. B UCKWALTER (Hrsg.), Gütersloh 1998, 381-406; G OTTFRIED S EEBASS , The Importance of the Imperial City of Nuremberg in the Reformation, in: Humanism and Reform. The Church in Europe, England, and Scotland, 1400-1643. Essays in Honour of James K. Cameron, J AMES K IRK (Hrsg.), Oxford 1991, 113-127. 26 StaN, Rst. N., SIL 150, Nr. 1, ohne Folierung; 318, fol. 26’. 27 StaN, Rst. N., SIL 150, Nr. 1, ohne Folierung; 318, fol. 26’. 28 Der König hatte um ein Darlehen von 15.000 Gulden gebeten; StaN, Rst. N., Stadtrechnungen, Rep. 54, Nr. 183, fol. 181’. 29 StaN, Rst. N., SIL 134, Nr. 26, ohne Folierung. Harriet Rudolph 88 negiert werden. Es handelte sich somit nicht nur um ein „fürstliches“ Geschenk im Hinblick auf seinen hohen Wert, sondern auch im Hinblick auf seinen politischen Aussagegehalt. Dies gilt auch für die wertvolle Prunkkassette, welche der Nürnberger Rat 1570 Kaiserin Maria verehrte. 30 Beide Werke stammten aus der Hand des Nürnberger Goldschmiedes und Hauptlieferanten für Nürnberger Kaisergeschenke Wenzel Jamnitzer. Der Rat, der zu diesem Zeitpunkt dazu übergegangen war, Geschenke auf Vorrat zu beschaffen, hatte beide Artefakte schon 1556 von Jamnitzer angekauft und erstmals 1565 - offenbar im Vorfeld des am Ende nicht in Nürnberg, sondern in Augsburg abgehaltenen ersten Reichstags Kaiser Maximilians II. - mit den Wappen der Empfänger aktualisiert. 31 Sie waren also nicht explizit für die späteren Empfänger geschaffen worden. Allerdings spricht die Höhe des Preises dafür, dass sie von vornherein als Kaisergeschenke angekauft worden waren. Möglicherweise hatte die absehbare Abdankung Karls V., welche den Herrschaftsantritt eines neuen Kaisers notwendig machte, den Rat zu diesem Vorratskauf bewogen. 32 Während über die Gestaltung des Schreibzeugs für den Kaiser nur spekuliert werden kann, hat sich die Prunkkassette für die Kaiserin erhalten. 33 Ihr ikonographisches Programm weist keinen zwingenden Bezug zum Geschlecht der Empfängerin auf. Als Füße der mit vergoldetem Silber verkleideten Truhe aus Nuss- und Ebenholz fungieren täuschend echt gestaltete Naturabgüsse von Schnecken und Eidechsen. Sie lassen an eine durch eigene Beobachtung geschulte Erforschung der Natur denken, für die gerade Maximilian II. ein starkes Interesse aufbrachte. Das Podest tragen wie auch bei anderen, ähnlichen Truhen Jamnitzers Kristallkugeln, 30 StaN, Rst. N., SIL 134, Nr. 26, ohne Folierung. Davor findet sich im Schenkbuch unter der Rubrik Kaiserinnen und Römische Königinnen nur ein Eintrag für den Ersteinzug der Gemahlin Kaiser Sigismunds 1414, welche einen Pokal mit Geld inliegend für insgesamt 510 Gulden erhalten hatte; StaN, Rst. N., A.St.B. 321, fol. 15’. Vgl. dazu K ARIN T EBBE , Sakrales Gerät und fromme Stiftungen, in: M AUÉ / E SER / H AUSCHKE / S TOLZBERGER , Quasi Centrum Europae (wie Anm. 24), 198-215, hier 201f.; T IMANN , Goldschmiedearbeiten (wie Anm. 24), 223f. Die Truhe wog ca. 15 kg, wobei schon allein der Edelmetallanteil 12,8 kg (54 Mark a 233,84 g + 12 Lot a 14,62 g) Silber betrug. 31 Auch 1570 wurden sie nochmals aufgearbeitet, vgl. zum Folgenden V IOLA E FFMERT , „...ein schön kunstlich silbre vergult truhelein ...“. Wenzel Jamnitzers Prunkkassette in Madrid, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums (1989), 13-158. 32 Die erste Rechnung für Jamnitzer datiert vom 6. Juni 1556; T IMANN , Goldschmiedearbeiten (wie Anm. 24), 223. Bereits im Januar 1556 hatte Karl V. als König von Spanien abgedankt, wenig später sollte er dies im Reich tun. 33 Es ist vorstellbar, dass das Äußere des Schreibzeugs dem 1562 von Wenzel Jamnitzer für August von Sachsen geschaffenen Schreibzeug ähnelte. Das ikonographische Programm verbildlichte hier ein Lob humanistischer Wissenschaft im Sinne einer Wiedererweckerin der Vergangenheit; vgl. die Abbildung in: Das Grüne Gewölbe zu Dresden. Führer durch seine Geschichte und seine Sammlungen, D IRK S YNDRAM (Hrsg.), Leipzig 1997, 77. Fürstliche Gaben? 89 die neben unterschiedlichen symbolischen Deutungsweisen auf die sich entwickelnde Wissenschaft der Mineralogie verweisen. Die zentrale Aussage dieses Artefaktes wird jedoch durch die Darstellung von 20 Tugendpersonifikationen in Kombination mit 35 lateinischen Versen formuliert. 34 Bekrönt wird es durch eine als Allegorie der Caritas interpretierte Gruppe von drei weiblichen Gestalten auf dem Deckel der Truhe, die aufgrund ihrer vollplastischen Ausführung, ihres Anbringungsortes und ihrer Größe alle anderen Tugenden als nachrangig qualifiziert. 35 In den zehn von dorischen Halbsäulen gerahmten Arkaden des Truhenkastens findet sich jeweils eine weitere Tugendpersonifikation, deren Bedeutung durch Sockelinschriften und weitere Sinnsprüche in unmittelbarer Nähe erläutert wird. Dabei werden die beiden christlichen Tugenden Spes und Fides durch die vier Kardinaltugenden Justitia, Prudentia, Fortitudo und Temperantia sowie die nicht zum klassischen Kanon der Herrschertugenden gehörenden Tugenden der Fortuna, Sapientia, Potentia und Immortalitas im Sinne ewigen Ruhmes ergänzt. Der Immortalitas ist die zentrale Arkade der Schauseite vorbehalten. Sie erscheint in Gestalt einer weiblichen Figur, die in ihren Händen ein Zepter und einen Reichsapfel trägt und von einem Adler begleitet wird. Durch das Attribut des Adlers in Kombination mit den Herrschaftsinsignien Reichsapfel und Zepter ist die Figur als Sinnbild des Heiligen Römischen Reiches wie des habsburgischen Kaisertums lesbar. Als Folge der Anordnung in vertikaler Linie zur Caritasgruppe des Deckels wird der ewige Ruhm des Reiches bzw. der habsburgischen Kaiser inhaltlich direkt auf diese christliche Tugend bezogen. Flankiert wird Immortalitas nicht etwa, wie man dies erwarten könnte, durch Justitia, Fortitudo oder Potentia, sondern durch Modestia und Sapientia, die nicht im engeren Sinne Herrschertugenden verkörpern. Dies gilt auch für weitere, in kleinen Relieffiguren auf dem Deckel angebrachte Tugenden wie etwa Mansuetudo, Gratia, Laetitia, Probitas und Humanitas, die weniger ein Herrscherideal, sondern vielmehr ein Menschenideal formulieren. 36 Gleich 34 Die Verse stammten wahrscheinlich von dem Nürnberger Magister Johann Heller, der 1557 im Zusammenhang mit beiden Geschenken als Verfasser einiger Verse bezahlt wurde. Zur folgenden Beschreibung vgl. E FFMERT , Jamnitzer (wie Anm. 31), 151-153. Allerdings ist die Rekonstruktion des ikonographischen Programms nicht mit Sicherheit möglich, da sich die ursprüngliche Anordnung der Tugenden nicht in jedem Fall zweifelsfrei rekonstruieren lässt. So auch E FFMERT , Jamnitzer (wie Anm. 31), 138. 35 Auch bei anderen Werken Jamnitzers, die für den Kaiser bestimmt waren, ist das Motiv der Caritas stark präsent. Vgl. dazu K LAUS P ECHSTEIN , Der Goldschmied Wenzel Jamnitzer, in: Wenzel Jamnitzer und die Nürnberger Goldschmiedekunst 1500-1700. Katalog der Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg vom 28. Juni bis zum 15. September 1985, G ERALD B OTT (Hrsg.), München 1985, 63. 36 Mit der Darstellung der Gratia wurde Maria zudem die angemessene innere Reaktion auf das Geschenk nahegelegt. Harriet Rudolph 90 vier Tugenden - Prudentia, Cognitio, Doctrina und Sapientia - verweisen auf die hohe Bedeutung von Gelehrsamkeit und Erkenntnis. 37 Die Verkörperung dieses Tugendideals wird der Empfängerin durch heraldische Zeichen sowohl zugeschrieben als auch von ihr eingefordert. 38 Dabei sind auffälligerweise alle Aussagen der Ikonographie, die sich auf die christliche Religion beziehen lassen, von solcher Allgemeinheit, dass sie keine konfessionelle Aussage erlauben. Auf diese Weise wurde offenbar ganz bewusst die prekäre konfessionelle Differenz zwischen dem Geber, der protestantischen Reichsstadt Nürnberg, und dem Empfänger, der katholischen Kaiserin Maria, durch die Gestaltung der Gabe negiert. Nicht zuletzt erinnert ihre architektonische Gliederung an den Aufbau des dreitorigen ephemeren Triumphbogens, der in Nürnberg ab 1541 für Kaisereinzüge verwendet wurde. 39 So wurde zumindest für die Augenzeugen auch die Erinnerung an die ungemein prächtige Inszenierung des kaiserlichen Einzugs am 7. Juni 1570 fixiert. 40 Diese Kassette verdeutlicht somit in einzigartiger Weise die sehr komplexe Symbolik und damit verbunden die Multifunktionalität derartiger Gaben. Sie sollte Nürnberg als Heimstadt des Humanismus präsentieren sowie die finanzielle Leistungskraft der Stadt und ihre enge Bindung an das Herrscherhaus zur Schau stellen. Sie sollte Verhaltenserwartungen an den Empfänger formulieren, den Schenkanlass memorieren und darüber hinaus den technischen und künstlerischen Stand des lokalen Handwerks demonstrieren, um die Empfänger zum Kauf weiterer Artefakte zu motivieren. 41 37 Sapientia war hier womöglich als Sinnbild von individueller Bildung gemeint, wohingegen Prudentia die göttliche Weisheit bzw. die Staatsklugheit verkörpern sollte. 38 Links unter der Caritasgruppe befindet sich der Wappenschild Maximilians II. als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Ehegatte der Empfängerin, rechts jener Kaiser Karls V. als Verweis auf ihre Abstammung in männlicher Linie. Damit wurden die hier verkörperten Tugenden implizit auch diesen beiden Herrschern zugeschrieben. Siehe zur Heraldik: E FF- MERT , Jamnitzer (wie Anm. 31), 140. 39 Zum Einzug von 1541 siehe die Aquarelle in: StaN, Bildsammlung, Nr. 35.62-65, sowie den Bericht in: Handschriften Rep 52a, Nr. 181, fol. 18-20; außerdem die zeitgenössischen Drucke: Vonn Römischer Kayserl. Mayestat Caroli V. Ehrlich einreitten in des Heyligen Reichs Stat Nürmberg den 16. Februarii, Anno 1541, Würzburg: Balthasar Müller 1541; H ANS S ACHS , Kaiserlicher Mayestat Karoli der 5. einreyten zu Nürnberg, in des heyligen Reychs Stat, Den 16. tag Februarij des 1541. jars, Nürnberg [1541]. 40 Dazu ausführlich R UDOLPH , Reich als Ereignis (wie Anm. 7); F RANZ L UDWIG F REIHERR VON S ODEN , Kaiser Maximilian II. in Nürnberg. Zur Geschichte des 16. Jahrhunderts, Erlangen 1866. 41 1570 bestimmte die Reichsstadt Nürnberg extra vor dem Kaisereinzug, dass Kaufleute und Handwerker alle künstlerisch herausragenden Objekte zurückhalten sollten, weil dem Kaiser ein Vorkaufsrecht gebühre. T HEODOR H AMPE , Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler, 2 Bde., Wien 1904, Nr. 4270-72. Fürstliche Gaben? 91 Die Prunkkassette diente jedoch nicht nur der Repräsentation der Reichsstadt, sondern auch jener des Künstlers, der allein auf diesem unter seinen erhaltenen Werken mit vollem Namen signierte und hinzusetzte, er habe diese Truhe Aeterni fecit ductus amore boni, womit er nicht zuletzt seinen eigenen Anspruch auf Immortalitas formulierte. 42 In diesem Fall brachte die Gabe ihrem Schöpfer, der bereits bei der Lieferung darauf hingewiesen hatte, dass der berechnete Edelmetallwert deutlich unter dem eigentlichen Wert der Truhe läge, allein bis 1576 kaiserliche Aufträge im Wert von über 8.500 Gulden ein. 43 Über die Steuerleistung Jamnitzers profitierte auch die Reichsstadt Nürnberg kräftig von diesen Aufträgen. Bemerkenswerterweise schenkte der Nürnberger Rat schon beim nächsten Besuch eines Kaiserpaares 1612 keine Nürnberger Arbeiten mehr, weil man offenbar der repräsentativen Wirkung einheimischer Produkte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vertraute. Damit fiel die Funktion des kaiserlichen Geschenkes als Werbeträger für das lokale Gewerbe weg. Dabei löste die Gabe der Reichsstadt an die Kaiserin einen weiteren Gabenakt aus. Denn diese stiftete das Geschenk des Nürnberger Rates sofort gemeinsam mit Reliquien des Hl. Victor dem Monasterio de las Descalzas Reales in Madrid. Das Geschenk wurde durch ihre Tochter Anna, die zukünftige Gemahlin König Philipps II., überbracht, wobei die Reliquien kurz nach der Ankunft in einer solemnissima procesión von dem bisherigen Behältnis in die prächtige Truhe Jamnitzers übertragen wurden. 44 Aus dem Geschenk des protestantischen Nürnberger Rates wurde so ein katholischer Reliquienbehälter. Damit kam die streng katholische Kaiserin der durch das ikonographische Programm der Truhe erhobenen Aufforderung zur Wohltätigkeit und Freigebigkeit demonstrativ nach, wenn auch nicht in einer Weise, welche den Nürnberger Rat sonderlich beglückt haben dürfte. Die Zweckbestimmung demonstriert dennoch die außerordentliche Wertschätzung der Kaiserin für dieses Geschenk, denn das beschenkte Kloster war genau jenes, das ihre eigene Schwester Johanna, Witwe des Thronfolgers Johann Manuel von Portugal, 1557 gegründet hatte und in das sich Kaiserin Maria nach dem Tod ihres Gatten bis zu ihrem eigenen Lebensende 1603 zurückziehen sollte. 42 Transkription nach E FFMERT , Jamnitzer (wie Anm. 31), 140. 43 Darunter befand sich etwa der im 18. Jahrhundert eingeschmolzene monumentale Silberbrunnen für das Schloss Neugebäude bei Wien. Aufgrund des künstlerischen Wertes der Geschenke hatte Jamnitzer das Doppelte des üblichen Silberwertes in seiner Rechnung veranschlagt; T IMANN , Goldschmiedearbeiten (wie Anm. 24), 223, 229. Außerdem fehlen von der ursprünglichen Silbermenge heute ca. 2 kg, ohne dass Teile der Truhe entfernt worden zu sein scheinen. Möglicherweise hatte Jamnitzer den Rat bei der Angabe des Silbergewichtes ohnehin übervorteilt. Zum Silberbrunnen vgl. S VEN H AUSCHKE , Es muß nicht immer Gold und Silber sein. Messingguß und Eisenschnitt aus Nürnberg, in: M AUÉ / E SER / H AUSCHKE / S TOLZBERGER , Quasi Centrum Europae (wie Anm. 24), 240-271, hier 250f. 44 Zitat nach E FFMERT , Jamnitzer (wie Anm. 31), 141. Harriet Rudolph 92 Die Reichsstadt beschenkte darüber hinaus auch die anwesenden Mitglieder des kaiserlichen Hofstaates und die im Gefolge des Kaisers reisenden Fürsten und Botschaften. 45 Wert und Art der Geschenke richteten sich nach dem Rang und auch nach dem Amt der Empfänger. Geschenke Nürnbergs an Maximilian II. und sein Gefolge 1570 (Auswahl) 46 Empfänger Geschenkart Stadtgulden Kaiser Schreibzeug/ Viktualien 4.156 Kaiserin Prunkkassette 1.997 Erzherzogin Anna Trinkgeschirr 304 Erzherzog Matthias Trinkgeschirr 137 Vizekanzler 47 Trinkgeschirr/ Viktualien 303 Obersthofmeister 48 Trinkgeschirr/ Viktualien 171 Reichssekretär 60 Goldgulden 75 Hoffurier 12 Goldgulden 15 Zwerg 4 Goldgulden 5 Anna von Bayern 49 Trinkgeschirr/ Viktualien 170 Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg Trinkgeschirr/ Viktualien 98 Päpstliche Botschaft Viktualien 15 So verdeutlicht die starke Wertdifferenz zwischen dem Geschenk für den Kaiser und anderen Gästen seine Position an der Spitze der Rangpyramide, aber auch seine Funktion als Stadtoberhaupt. Erzherzogin Anna von Österreich erhielt ein deutlich wertvolleres Geschenk als ihr Bruder Matthias, da sie als zukünftige Königin von Spanien beschenkt wurde. 50 Der Rang wurde darüber hinaus durch Art und Material des Geschenkes symbolisch zum Ausdruck gebracht, da sich hier ebenfalls eine soziale Hierarchie solcher Artefakte feststellen lässt. Generell gilt: Je höher der Rang, desto größer die Varianz. Die größte Varianz und künstlerische Bedeutung wiesen deshalb die Geschenke für den Kaiser und seine Gemahlin auf. Andere hochrangige Empfänger wie weitere Fürsten oder die Inhaber der kaiserlichen Obersthofämter 45 StaN, Rst. N., SIL 135, Nr. 5, fol. 221-225. 46 StaN, Rst. N., SIL 134, Nr. 36, ohne Folierung. 47 Johann Baptist Weber. 48 Hans Trautson. Der Name wird in der Quelle fälschlich mit Trauttesheim angegeben. StaN, Rst. N., SIL 134, Nr. 26, ohne Folierung. 49 Die Gemahlin Albrechts V. von Bayern und Tochter Kaiser Ferdinands I. war extra aus München angereist, um ihren Bruder und dessen Familie zu sehen. 50 Ihre Schwester, Erzherzogin Elisabeth, erhielt ein Geschenk von etwas geringerem Wert als Anna, da sie jünger war und zudem die Braut des französischen Königs, der aus habsburgischer Perspektive dem König von Spanien nachzuordnen war. Fürstliche Gaben? 93 erhielten Trinkgeschirre, deren Wert im Wesentlichen in ihrem Edelmetallgehalt bestand. Aufgrund ihrer Einflussmöglichkeiten wurden auch nichtadlige Hofbeamte recht großzügig bedacht, besonders dann, wenn sie sich beim Kaiser oder anderen einflussreichen Reichsfürsten für die Belange der Reichsstadt eingesetzt hatten. Die Beamten der Hofkanzlei, welche für die Ausstellung von Privilegien zuständig waren, erhielten ebenfalls recht wertvolle Gaben, untere Hofchargen dagegen lediglich Geld, weil dies die am wenigsten ehrenvolle Gabe verkörperte. 51 Außerdem wurde hier zumeist dilatorisch verfahren: Geschenke gab es nur auf Nachfrage. Bei jedem Besuch stellte die Reichsstadt dem Kaiser und ausgewählten Würdenträgern außerdem traditionell Wein, Fische und Hafer zur Verfügung. Diese Praxis kann zum Teil aus der mittelalterlichen Königsgastung hergeleitet werden. 52 Allerdings wurden mit derartigen Gaben als Ausdruck der Gastfreundschaft wie als Instrument der politischen Beziehungspflege regelmäßig auch unabhängig vom Kaiser in Nürnberg eintreffende ranghohe Besucher bedacht. Der Umfang der an den Kaiser gereichten Viktualien war gerade in größeren Reichsstädten erheblich, reichte aber ganz bewusst nicht für den völligen Unterhalt des Kaiserhofes aus, damit der Kaiser aus diesem Sachverhalt für die Zukunft keinen Anspruch auf Gastfreihaltung ableiten konnte. 53 Mit über 8.800 Gulden machten die Ausgaben der Stadt für Geschenke beim Einzug von 1570 zwei Drittel der Gesamtausgaben für den Kaiserbesuch aus. 54 Beim Aufenthalt des Kaisers auf dem Rückweg vom Speyrer Reichstag wurden nochmals Geschenke im Wert von knapp 1.800 Gulden überreicht. 55 Auch in Speyer hatten die Nürnberger Reichstagsgesandten dem Kaiser und den wichtigsten Personen seines Hofes Geschenke präsentiert. 56 Darunter befanden sich nicht zuletzt künstlerische Darstellungen der Festivitäten anlässlich des kurz zuvor abgehaltenen Kaisereinzuges in Nürnberg, durch welche die Stadt die von ihr veranstalteten Inszenierungen dauerhaft im sozialen Gedächtnis von Reichsstadt und Reich veran- 51 Auch hier ließen sich über den Geldwert und das Material (Gold, Silber, Kupfer) Aussagen zur sozialen und politischen Bedeutung des Empfängers machen. 52 Dazu H ANS C ONRAD P EYER , Das Reisekönigtum des Mittelalters, in: D ERS ., Könige, Stadt und Kapital. Aufsätze zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters, Zürich 1982, 98-115, 286-290; A LOIS N IEDERSTÄTTER , Königseinritt und -gastung in der spätmittelalterlichen Reichsstadt, in: A LTENBURG / J ARNUT / S TEINHOFF , Feste und Feiern (wie Anm. 15), 491-500; S CHENK , Zeremoniell und Politik (wie Anm. 7), 391f. 53 Für Nürnberg ist diese Praktik erstmals für den Einzug Erzherzog Ferdinands I. 1521 nachweisbar. 1570 gab der Nürnberger Rat 900 Gulden dafür aus; 1612 waren es 1.300 Gulden; StaN, Rst. N., A.St.B. 318, fol. 7’-8. 54 Die Gesamtsumme belief sich auf 13.594 Gulden; StaN, Rst. N., SIL 134, Nr. 26, ohne Folierung. 55 StaN, Rst. N., SIL 134, Nr. 28, ohne Folierung. 56 StaN, Rst. N., SIL 150, Nr. 3, ohne Folierung. Harriet Rudolph 94 kern wollte. 57 Auch hier ging es um die Anhäufung und Fixierung symbolischen Kapitals, denn die Drucke wurden auch anderen Reichsfürsten überreicht. Insgesamt dürfte der Wert der dem Kaiser und seinem Hofstaat überreichten Geschenke die Summe von 12.000 Gulden überschritten haben, was selbst für eine Reichsstadt wie Nürnberg eine ganz erhebliche Investition darstellte. 58 Dies belegt die hohe Bedeutung, welche der Nürnberger Rat Schenkakten dieser Art zuschrieb. In gewissem Ausmaß trat auch der Kaiser in Reichsstädten als Geber auf. Allerdings waren die Empfänger hier in der Regel einzelne Personen, die während oder im Vorfeld des Kaiserbesuches konkrete Leistungen erbracht hatten, indem sie etwa Wohnräume und Stallungen hergerichtet, Botendienste verrichtet oder den Kaiser und seinen Hof mit Darbietungen ihres Könnens unterhalten hatten. 59 Jedoch übertraf der Wert des ihnen zugedachten Geschenkes als Ausdruck kaiserlicher Freigebigkeit häufig den Wert der Dienstleistung, so dass auch diese Gaben letztlich mehr als reine Entgelte darstellten. Als Ausdruck seiner herrscherlichen Caritas ließ der Kaiser Almosen an Bedürftige verteilen. Als imaginierte Gegenleistungen fungierten Fürbitten für sein Seelenheil, aber auch eine emotionale Bindung der Untertanen an den Herrscher als Mittel zur Stabilisierung von Herrschaft. Hier und vereinzelt bei Geschenken als Dank für Dienstleistungen kam es zu spontanen Schenkaktionen, wohingegen alle übrigen Schenkakte in der Regel geplant abliefen. 57 Stellvertretend für die Vielzahl an Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex: J AN A SSMANN , Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992; Medien des Gedächtnisses, A LEIDA A SSMANN (Hrsg.), Stuttgart 1998; Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung, H ARALD W ELZER (Hrsg.), Hamburg 2001; Cultural Memory and Historical Consciousness in the German-speaking World since 1500. Papers from the Conference ‘The Fragile Tradition’, Cambridge 2002, C HRISTIAN E MDEN / D AVID R. M IDGLEY (Hrsg.), Oxford 2004; P AUL R ICŒUR , La mémoire, l’histoire, l’oubli, Chicago 2004. 58 Während all diese Schenkakte durch die Institution des städtischen Rates als Repräsentant der Reichsstadt erfolgten, gab es durchaus auch solche unterhalb dieser offiziellen Ebene, die aber deutlich schlechter dokumentiert sind. So erhielt der Kaiser auch Geschenke von Patriziern, die über besonders gute Beziehungen zum Kaiserhaus verfügten oder diese anstrebten. Die Untertanen des besuchten Territoriums nutzten die Anwesenheit des Kaisers, um diesem bestimmte Gegenstände als Verehrung zu präsentieren. Hier handelte es sich zumeist um selbst gefertigte oder gehandelte Waren. Als Geschenke deklariert und so ihres Warencharakters entkleidet, verlangten solche Gaben im Falle ihrer Akzeptanz eine finanzielle Gegenleistung des Kaisers. Der Akt des Schenkens diente hier als erfolgversprechende Strategie für solche Personen, die sonst keine Gelegenheit hatten, sich Zugang zum Kaiserhof zu verschaffen. In diesem Fall verkörperte der Schenkakt allerdings kein Element der politischen, sondern der ökonomischen Kommunikation. 59 Siehe etwa Hofkammerarchiv (HKA) Wien, Hofzahlamtsbuch (HZB) 1570, fol. 383f. Fürstliche Gaben? 95 3. Reichsfürst und Kaiser Bei Einzügen in fürstliche Residenzen bildete der Besuch in der Regel den alleinigen Anlass für Schenkakte. Dabei sollte die Gabe des Reichsfürsten an den Kaiser seine Dankbarkeit für die außerordentliche Ehre eines Kaiserbesuches zum Ausdruck bringen, jene des Kaisers hingegen den Dank für die gewährte Gastfreundschaft, denn finanzstarke Reichsfürsten wie etwa der Kurfürst von Sachsen oder der Herzog von Bayern hielten anders als die Reichsstädte zumeist das gesamte kaiserliche Gefolge für die Dauer des Aufenthaltes frei. Zwar gab es hier keinerlei rechtliche Verpflichtung zum Schenken oder gar zu einem bestimmten Geschenk, wohl aber eine soziale, denn ein Verzicht auf den Schenkakt hätte einen immensen Affront gegenüber dem Gast bedeutet. Dies galt genauso umgekehrt: Der Reichsfürst erwartete ein kaiserliches Geschenk. Als Ausdruck seines unterlegenen Ranges schenkte jedoch zuerst der Fürst dem Kaiser. Erst danach erwiderte der Kaiser die Gabe. Dabei fanden die Schenkakte regelmäßig erst am Ende des kaiserlichen Aufenthaltes statt, wodurch der Akt des Schenkens von den zuvor verhandelten politischen Materien ideell entkoppelt und damit als scheinbar frei von politischen Interessen deklariert wurde. Bei Herrscherbesuchen in Fürstenresidenzen erweisen sich die Schenkbeziehungen als noch komplexer als im Fall der Reichsstädte. Als Fallbeispiele sollen die Kaiserbesuche in der kurfürstlichen Residenz Dresden von 1575 und 1617 dienen, die beide im Zusammenhang mit der Nachfolge auf dem Kaiserthron im Reich standen. 60 Maximilian II. warb bei August von Sachsen und Johann Georg von Brandenburg, der aus Anlass des Kaiserbesuches extra in die sächsische Residenz gereist war, für seinen Sohn Erzherzog Rudolf als Nachfolger im Reich. Außerdem wollte er die Verlegung des Erhebungsaktes nach Regensburg mit den beiden Kurfürsten abstimmen. Kaiser Matthias, der selbst keine Nachkommen hatte, setzte sich für seinen Cousin, den böhmischen König Ferdinand II., ein. Beide Kandidaten waren aufgrund ihrer konfessionellen Haltung, aber auch ihrer Persönlichkeit als Nachfolger auf dem Kaiserthron umstritten. 61 August von Sachsen ging es 1575 60 Hauptstaatsarchiv München (HStaM), Kasten schwarz 3731, fol. 2-17. Zum Ablauf dieser Herrscherbesuche vgl. H ARRIET R UDOLPH , Stadtliche gemeinde und gewohnlich hofflager. Das Verhältnis zwischen Fürstenhof und Stadt bei Herrscherbesuchen in der kursächsischen Residenz Dresden, in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration im Verhältnis von Hof und Stadt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, 9. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Halle an der Saale 25.-28. September 2004, W ERNER P ARAVICINI / J ÖRG W ETTLAUFER (Hrsg.), Ostfildern 2006, 261-280. 61 Vgl. dazu A LBRECHT P IUS L UTTENBERGER , Kurfürsten, Kaiser und Reich. Politische Führung und Friedenssicherung unter Ferdinand I. und Maximilian II., Mainz 1994, 146-164. Zu 1617 Hauptstaatsarchiv Dresden (HStaDD), Obersthofmeisteramt (OMaA) F. 1, fol. 31. Harriet Rudolph 96 zudem auch darum, beim Kaiser die Belehnung seiner Söhne mit dem Vogtland durchzusetzen. Während die Kaiser die Reichsstädte in der Neuzeit in der Regel nur auf dem Zug zu Reichs- oder Wahltagen besuchten, fanden die hier betrachteten Residenzbesuche zwar im weiteren Kontext bevorstehender politischer Großereignisse statt, aber die Kaiser reisten extra in die kursächsische Residenz, was die hohe politische Bedeutung zeigt, die sie diesen Aufenthalten beimaßen. Schema der Schenkbeziehungen bei Kaisereinzügen in Dresden 1575 und 1617, Gastgeber an Gast (vereinfacht) 62 Kaiser Reichsfürst Familie Familie Räte Räte Obersthofämter Obersthofämter Kanzleibeamte Kanzleibeamte Hoffuriere andere Fürsten Botschaften hofferne Untertanen Auffällig ist die Dichte der Schenkbeziehungen, die mit abnehmendem Rang sank. Als Hauptgeber auf Seiten der Gastgeber fungierte der gastgebende Reichsfürst. Geschenke machten jedoch auch die Mitglieder seiner Familie, sowohl innerhalb von Geschlechtergrenzen als auch diese überschreitend. So beschenkten sich etwa Kaiserin und Kurfürstin gegenseitig mit Kleinoden; außerdem erhielten auch die anwesenden Kinder Geschenke. 63 Dabei mussten die Gaben der eigenen sozialen Position und der Bedeutung des Gastes angemessen erscheinen. Die Kurfürsten versuchten, über die Art und den künstlerischen Wert der Geschenke den eigenen Reichtum und Kunstsinn sowie ihre Interessen zu demonstrieren. So schenkte der Kurfürst dem Kaiser 1575 neben weiteren Artefakten einen Handstein und eine Erzstufe, die in die kaiserliche Kunstkammer aufgenommen wurden. 64 Da der Kaiser eine Vorliebe für naturwissenschaftliche Objekte hatte, erschienen gerade diese Gaben besonders dazu geeignet, die persönliche Bindung zwischen beiden Seiten zu festigen. 65 62 Gepunktete Linien stellen Schenkungen dar, die eher auf freiwilliger Basis und zumeist anlassbezogen stattfanden. 63 Die Kurfürstin verehrte der Kaiserin etwa das von ihr selbst hergestellte Heilwasser aqua vitae. 64 HStaDD, Loc. 8488/ 8, fol. 55. Vgl. dazu R UDOLPH , Reich als Ereignis (wie Anm. 7), 244, außerdem G. B RÜCKNER , Die zu Dresden im April 1575 zu Ehren des Kaisers Maximilian II. veranstalteten Festlichkeiten, in: Archiv für die Sächsische Geschichte 4 (1866), 225-241, hier 239. 65 Vgl. dazu N ICOLETTE M OUT , „Dieser einzige Wiener Hof von Dir hat mehr Gelehrte als ganze Reiche anderer“. Späthumanismus am Kaiserhof in der Zeit Maximilians II., in: Spät- Fürstliche Gaben? 97 Geschenke Johann Georgs I. 1617 an das kaiserliche/ königliche Gefolge (Auswahl) 66 Empfänger Geschenk Gulden 67 Oberstkämmerer des Kaisers Kleinod 500 Reichsvizekanzler goldene Kette 500 Obersthofmeister des Königs Kleinod 500 andere Obersthofämter des Kaisers Kleinod a 400 Geheimer Rat des Kaisers Kleinod 400 Reichshofratspräsident Kleinod 400 Hofkammerrat des Kaisers goldene Kette 300 Obershofkämmerer des Königs Kleinod 300 Sekretäre des Kaisers Becher a 100 Hofkanzler des Königs Becher 100 Hofzahlamtsmeister des Kaisers Becher 80 Sekretär des Königs Becher 80 Die sächsischen Kurfürsten beschenkten auch das Gefolge ihres Gastes, jedoch vor allem diejenigen Personen, von denen man sich in naher Zukunft einen konkreten Nutzen versprach, der auch explizit verbalisiert wurde. 68 Die in der Tabelle für den Kaiserbesuch von 1617 aufgeführten Schenkungen dokumentieren zudem den Aufstieg des Obersthofkämmerers zum wichtigsten Hofamt am kaiserlichen Hof im 17. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert waren diesem die Ämter des Obersthofmeisters und des Obersthofmarschalls noch klar übergeordnet gewesen. 69 Da auch die Hofoffiziere König Ferdinands II. mit wertvollen Gaben bedacht wurden, bemaß der humanismus, N OTKER H AMMERSTEIN / G ERRIT W ALTHER (Hrsg.), Göttingen 2000, 46- 64. 66 Angaben aus HStaDD, OMaA F. 1, fol. 28’. Kaiser Matthias war mit seinem eben zum Böhmischen König gekrönten Cousin Ferdinand II. in Dresden erschienen, der ebenfalls ein eigenes Gefolge mitgebracht hatte. 67 Der Wert dieser meißnischen Gulden liegt über dem der rheinischen (1 rheinischer Gulden = 16/ 21 meißnische Gulden). 68 So versuchte August von Sachsen im Vorfeld des Besuches von 1575 etwa, sich den böhmischen Kanzler Wratislaw von Pernstein durch das Geschenk einer goldenen Kette gewogen zu machen, damit dieser beim Kaiser für die Verpfändung Sagans an Kursachsen und die Belehnung mit dem Vogtland warb, auch wenn dies zunächst nicht zum Erfolg führte; HStaDD, Loc. 9635, 18f. 69 Vgl. auch die Aufstellung der Gaben Augusts für kaiserliche Bedienstete während seines Besuches in Wien 1573; HSta DD, Loc. 10289/ 29, fol. 141. Laut dieser erhielt 1575 der Obersthofmeister Hans Trautson das wertvollste Geschenk (Becher zu 8 Mark und 9,5 Lot), alle anderen Ämter wurden diesem nachgeordnet, selbst der Reichsvizekanzler Johann Baptist Weber (Becher zu 6 Mark und 10 Lot). Der Geldwert ist hier nur bei den reinen Geldgaben vermerkt, so dass der genaue Wert der Gaben nicht ohne weiteres feststellbar ist. Harriet Rudolph 98 Kurfürst den Wert der Geschenke offenbar schon im Hinblick auf die zukünftige Funktion des Königs als Reichsoberhaupt. 70 Damit brachte er sein Einverständnis mit der Kandidatur Ferdinands II. für den Kaiserthron auch in symbolischer Form zum Ausdruck. In fürstlichen Residenzen trat auch der Kaiser als Geber stark in Erscheinung, wie dieses Schema der kaiserlichen Schenkungen an den gastgebenden Hof demonstriert. Schema der Schenkbeziehungen bei Kaisereinzügen in Dresden 1575 und 1617, Gast an Gastgeber (vereinfacht) Kaiser Reichsfürst Familie Familie Räte Räte Obersthofämter Obersthofämter Kanzleibeamte Kanzleibeamte Hoffuriere Leistungserbringer Botschaften andere Fürsten Bedürftige Dabei zeichneten sich die kaiserlichen Geschenke durch ihre große Varianz, ihren künstlerischen wie materiellen Wert und ihren stark repräsentativen Charakter aus. So schenkte Maximilian II. 1575 August von Sachsen eine zweite Fassung der „Vier Jahreszeiten“ von Giuseppe Arcimboldo, die dieser 1574 angefertigt hatte. Außerdem erhielt der Kurfürst ein überreich mit Verzierungen und Edelsteinen geschmücktes Rapier, das der Goldschmied der Kaiserin, Pery Juan Parkh, hergestellt hatte. 71 Kurz vor der Ankunft des Kaisers trafen Wein und für die Kurfürstin eine Truhe mit seltenen Samen und Pflanzen ein. Kurfürstin Anna erhielt außerdem ein reich verziertes Schreibzeug im Wert von 4.306 rheinischen Gulden, das Abbildungen der sieben Tugenden sowie der habsburgischen Kaiser von Albrecht II. bis Maximilian II. zierten. 72 Anwesende am Dresdner Hof schätzten dieses Objekt sogar 70 In diesem Kontext ist es bezeichnend, dass dem ebenfalls anwesenden Kardinal Klesl, den Ferdinand II. wenig später festsetzen ließ, trotz seines hohen Ranges als Bischof von Wien, seit 1616 auch Kardinal und federführender kaiserlicher Rat nur ein Kleinod zu 300 Reichstalern geschenkt wurde. 71 Das Rapier Augusts von Sachsen wurde erst 1576 verrechnet; HKA Wien, HZB 1576, fol. 230. Es ist erhalten, siehe die Abbildung in: Dresdner Rüstkammer. Meisterwerke aus vier Jahrhunderten, S TAATLICHE K UNSTSAMMLUNGEN D RESDEN (Hrsg.), Dresden 1992, 30, 50. Der zukünftige Römische König schenkte dem sächsischen Kurfürsten vier spanische Reitpferde. 72 HKA Wien, HZB 1575, fol. 202’. Außerdem befand sich auf dem Deckel ein Uhrwerk mit Darstellungen der sieben Planeten. Den beiden noch am Hof lebenden Töchtern des Kur- Fürstliche Gaben? 99 auf 6.000 rheinische Gulden - eine Bewertung, die auf jeden Fall im Sinne des Gebers gelegen haben dürfte. 73 Die außerordentliche Wertschätzung, welche auch der Kurfürst diesem Geschenk beimaß, zeigt die Tatsache, dass er es nach dem Tod seiner Frau in seinem Arbeitszimmer, dem sogenannten Reißgemach, aufstellen ließ. Im Inventar der Kunstkammer von 1587 wurde dieser Gegenstand bezeichnenderweise als erster überhaupt aufgeführt. Kaiser Matthias überreichte Johann Georg I. 1617 eine prunkvolle türkische Rüstung samt Reitzeug. 74 Außerdem schickte der Kaiser dem Kurfürsten im selben Jahr fünf gefangengenommene Türken, deren Kleidung später in der sächsischen Kunstkammer ausgestellt wurde. 75 Mit diesen Artefakten waren zugleich politische Botschaften an den Empfänger verknüpft. Während etwa August 1575 sächsische Artefakte verschenkte, demonstrierte Maximilian über die italienische, spanische und deutsche Herkunft der Schöpfer der Geschenke seinen reichsweiten und im Falle Spaniens über das Reich hinausweisenden Herrschaftsanspruch. Mit der Reihe habsburgischer Kaiser wurde in symbolischer Form implizit ein dynastisch begründeter Anspruch der Habsburger auf das Kaisertum formuliert, auch wenn der Kurfürst diesem niemals zugestimmt hätte. Matthias ging es bei der Auswahl seiner Gaben dagegen vor allem um die eigene Inszenierung als Türkenbezwinger, obwohl die aktuelle Bedrohung durch die Türken aufgrund der inneren Probleme im Osmanischen Reich begrenzt war. Während Maximilian II. und August von Sachsen 1575 mit ihren auf individuelle Vorlieben des Empfängers ausgerichteten Gaben die Idee einer Fürstenfreundschaft zu kommunizieren versuchten, ist dies 1617 nicht mehr zu beobachten, zumal Johann Georg I. ganz anders als August von Sachsen im Vorfeld versucht hatte, den Kaiserbesuch in seiner Residenz zu vermeiden. fürstenpaares schenkte der Kaiser Halsbänder im Wert von 2.000 und 1.900 Gulden. Auch die Kaiserin ließ beiden Töchtern Schmuckstücke im Gesamtwert von 1.200 Gulden reichen; HKA Wien, HZB 1575, fol. 203. 73 Die Schätzung findet sich bei P AUL R ACHEL , Fürstenbesuche in Dresden, in: Dresdner Geschichtsblätter 17 (1908), 229-250, hier 241, Anm. 58. Auch andere Geschenke wurden von den Anwesenden viel zu hoch geschätzt, so wurde etwa das Halsband im Wert von 3.400 Gulden, das die Kurfürstin von Brandenburg erhielt, auf 6.000 Taler (= 6.780 Gulden bei dem vom Hofzahlamtsmeister benutzten Umrechnungskurs von 1: 1,13) geschätzt und damit auf etwa das Doppelte seines eigentlichen Wertes. Zum Folgenden vgl. E LISABETH T ILLER , Räume, Raumordnungen und Repräsentation. Dresden und seine Kunstkammer als Exempel frühneuzeitlicher Fürstensammlungen (1560-1630), in: Kunst und Repräsentation am Dresdner Hof, B ARBARA M ARX (Hrsg.), München 2005, 40-71, hier 46f. Hier wird das Objekt allerdings als Geschenk für August und als „Schreibetisch“ bezeichnet. 74 H OLGER S CHUCKELT , Kaisergeschenke an Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen. Kunstwerk des Monats in der Dresdener Rüstkammer, in: Dresdener Kunstblätter 38 (1994), 114-116, hier 115. 75 S CHUCKELT , Kaisergeschenke (wie Anm. 74), 115. Harriet Rudolph 100 Der Kaiser beschenkte auch die Mitglieder des kursächsischen Hofstaates, vor allem jene, die ihm während seines Besuches in irgendeiner Form aufgewartet hatten. So erhielten etwa die kurfürstlichen Räte und obersten Hofoffiziere Ketten oder Trinkgeschirre im Wert zwischen 150 und 350 rheinischen Gulden. 76 Küche, Keller und Silberkammer erhielten zum Beispiel insgesamt 600 Gulden, die kurfürstlichen Jäger, die für die Organisation zahlreicher Jagden während des kaiserlichen Aufenthaltes verantwortlich gewesen waren, bekamen 200 Gulden und die Kantorei, Instrumentalisten und Trompeter wurden mit 250 Gulden bedacht. Gelegentlich handelte es sich dabei auch um Gegengaben für erhaltene Geschenke: So bekam etwa der kursächsische Stallmeister für einige Pferde, die er dem kaiserlichen Stall präsentiert hatte, goldene Ketten im Wert von knapp 500 Gulden. Die Gesamtsumme der kaiserlichen Geschenke belief sich für den Besuch von 1575 auf die Summe von ca. 30.000 rheinischen Gulden. 77 Dabei sind in dieser Summe gar nicht alle Gaben enthalten. Aber auch so wird deutlich, welche hohen Ausgaben bei Kaiserbesuchen in den Residenzen bedeutender Reichsfürsten entstanden. Nimmt man das gesamte Jahr 1575, so standen einem nachgewiesenen Einkommen des Kaisers von 1.049.011 Gulden Ausgaben für Verehrungen von 50.952 Gulden gegenüber. 78 Auch wenn diese Zahlen aufgrund der nicht verlässlichen Buchführung nur ungefähre Anhaltspunkte bieten, so wird doch deutlich, welche hohe Bedeutung materiellen Gaben von Seiten des Kaisers beigemessen wurde. 79 Die Summen, welche die Kurfürsten für ihre Gäste ausgaben, lagen dagegen regelmäßig deutlich darunter. Diese Asymmetrie spiegelt die Rangdifferenz zwischen beiden Seiten wider: Die Kaiser mussten aufgrund ihrer besonderen Magnifizenz größere Werte verschenken, obgleich sie anders als die sächsischen Kurfürsten notorisch an Geldnot litten. So wurden die benötigten Geschenke durch die kaiserliche Hofkammer nicht selten auf Kredit beschafft. 76 Alle Nachweise zum Folgenden: HKA Wien, HZB 1575, fol. 203’-220’. 77 Nachgewiesen sind für 1575 21.285 Gulden, wobei das Rapier des sächsischen Kurfürsten und auch jenes des brandenburgischen noch nicht enthalten sind. Das Erstere wurde erst im Hofzahlamtsbuch des folgenden Jahres verrechnet; HKA Wien, HZB 1576, fol. 230. 78 Damit wurden ca. 5 Prozent der Summe für Geschenke ausgegeben. 79 Allerdings fielen in das Jahr 1575 mit der Reise nach Dresden, dem Wahltag in Regensburg und dem geplanten Erwerb der polnischen Krone auch ausgesprochen ‚verehrungsintensive’ Ereignisse.1576 wurden zum Beispiel den Mitgliedern der polnischen Gesandtschaft goldene Ketten und Trinkgeschirre im Wert von 25.053 Gulden verehrt; HKA Wien, HZB 1576, fol. 230’-234. Die Gesamtsumme war hier aus diesem Grund mit rund 65.000 Gulden bei nur rund 880.000 Gulden Einnahmen ebenfalls wieder sehr hoch. Fürstliche Gaben? 101 4. Zusammenfassung Die Schenkpraxis bei Herrscherbesuchen verdeutlicht die Komplexität und die Mehrdimensionalität von Schenkakten im Rahmen der politischen Kommunikation zwischen dem Kaiser und den Reichsstädten sowie Reichsfürsten. Dabei zeigen sich im Hinblick auf die Akteurstypen Kaisertum, Fürst und Reichsstadt erhellende Unterschiede. Die Ergebnisse sind hinsichtlich der eingangs umrissenen drei Dimensionen von Politik zu differenzieren. Die instrumentelle Dimension von Politik wurde vor allem im Zusammenhang mit Schenkakten bei Kaisereinzügen in Reichsstädten deutlich, denn Geber und Empfänger handelten hier als Vertreter von Institutionen, die ihnen bestimmte Handlungsmodi vorgaben. Ihr Agieren bestimmte in starkem Maße das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsstadt, das in actu zugleich bestätigt wurde. Im Hinblick auf die normativen Dimensionen von Schenkakten lässt sich feststellen, dass der Grad, in dem die in ihnen formulierten Verhaltensanforderungen als verbindlich galten, von der spezifischen Qualität der Normen abhing. Als in hohem Maße verbindlich wurden offenbar die gewohnheitsrechtlichen Normen bei Schenkakten in Reichsstädten betrachtet. Erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts wurden die Geschenke zunehmend durch die aktuellen politischen Rahmenbedingungen und die individuelle Person des Beschenkten bestimmt, was zeigt, dass auch institutionalisierte und durch die Tradition legitimierte Praktiken den sie anwendenden Akteuren Handlungsspielräume bieten konnten. Allerdings scheint es diese lediglich für Wertkorrekturen nach oben gegeben zu haben. Der Gabentausch bei Residenzbesuchen basierte hingegen auf sozialen Normen, die größere Handlungsspielräume für die jeweiligen Geber boten. Dennoch mussten auch deren Gaben den Erwartungen des Beschenkten und der höfischen Öffentlichkeit entsprechen, um nicht als Verstoß gegen die Etikette gewertet zu werden. Eine entscheidende Bedeutung kam der prozessualen Dimension von Politik zu. Dabei sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Zum einen ging es um eine langfristig ausgerichtete Positionierung der Akteure im politischen Feld (strategisch). So ließ sich durch repräsentative Gaben und die den Schenkakten beigelegten Bedeutungen soziales und symbolisches Kapital generieren. Vor allem die individualisierten Gaben der Reichsfürsten sollten der Intensivierung sozialer Bindungen zwischen Geber und Nehmer dienen. Bei August von Sachsen zielte die Schenkpolitik auch darauf ab, einen Anspruch auf die Stellung als zweitmächtigster Reichsfürst nach dem Kaiser zu formulieren und die Kurwürde der Albertiner zu zementieren. In welcher Weise qua Schenkakt symbolische Macht angehäuft werden sollte, zeigt aber auch die auf Rangebenbürtigkeit mit dem Reichsfürstenstand zielende Schenkpolitik der Reichsstadt Nürnberg am Ende des 16. Jahrhunderts. Sie kann als eine auf politische Partizipation ausgerichtete Strategie gedeutet werden, mit der sich die Reichsstadt als ein Akteur minderer politischer Bedeutung zukünftig eine Teilhabe an politischen Ent- Harriet Rudolph 102 scheidungen sichern wollte. Zum anderen sollte durch Geschenke auch direkt in aktuelle Entscheidungsprozesse eingegriffen und damit kurzfristige Erfolge erzielt werden (operativ). Dieser Strategie sind die Geschenke an jene Personen im engen Umfeld von Herrschaftsträgern zuzurechnen, denen der Geber einen hohen politischen Einfluss zuschrieb: die fürstlichen Räte oder die Inhaber der Obersthofämter, die den Zugang zum Herrscher ermöglichen oder blockieren konnten. Das Geschenk sollte hier eine soziale und/ oder ökonomische Verpflichtung des Empfängers bewirken, damit dieser in Zukunft die politischen Interessen des Gebers vertrat. Am schwächsten ausgeprägt scheint im Zuge von Schenkakten hingegen die inhaltliche Dimension von Politik gewesen zu sein. Allerdings ist diese Ebene in der Regel auch am schwersten nachweisbar, da das Geschenk ja zumindest offiziell nicht an entsprechende Gegenleistungen des Empfängers gekoppelt wurde. Obwohl Reichsstädte und Fürsten mit einem Kaiserbesuch zumeist konkrete politische Ziele verbanden, wurden diese im Kontext des Schenkaktes aufgrund der geltenden sozialen Normen eben gerade nicht artikuliert. Das Schenkverfahren in Residenzen negierte sie symbolisch sogar, weil die politischen Verhandlungen diesem regelmäßig vorausgingen. Selbst wenn es im Ergebnis von Schenkungen zu bestimmten politischen Entscheidungen gekommen wäre oder diese zumindest durch materielle Gaben beeinflusst worden wären, so hätten die politischen Akteure diesen Sachverhalt kaum schriftlich fixiert, weil ihnen dann der Vorwurf der Käuflichkeit gedroht hätte. Allerdings wurde die politische Kommunikation zwischen beiden Seiten nach dem Herrscherbesuch fortgesetzt und zumeist sogar intensiviert, wobei es nicht selten zu weiteren Schenkakten kam, was zeigt, dass die Geber mit einer positiven Wirkung der Gaben rechneten. Insgesamt ist davon auszugehen, dass das Heilige Römische Reich nicht nur einen lehnsrechtlichen Herrschaftsverband verkörperte. Vielmehr lässt es sich auch als Schenkraum definieren, in dem die politischen Beziehungen zwischen den einzelnen Herrschaftsträgern durch Akte des Gabentausches intensiviert und gesteuert werden sollten. Dabei erwiesen sich die Grenzen dieses Schenkraumes im 16. Jahrhundert noch als vergleichsweise fest, denn es war im Wesentlichen der Kaiser, der Schenkbeziehungen mit Herrschaftsträgern außerhalb des Reiches unterhielt. Die Dichte der Schenkakte vor allem innerhalb der Fürstengesellschaft des Reiches war zweifellos hoch und dürfte damit in gewissem Maß auch konstitutiv für den Zusammenhalt des fragilen Herrschaftsgebildes Altes Reich gewesen sein. Erst mit einer zunehmend eigenständigeren Außenpolitik ausgewählter Reichsfürsten ab dem 17. Jahrhundert wurden diese Grenzen durch die politische Elite des Reiches mehr und mehr ausgehöhlt, während sich gleichzeitig die Schenkbeziehungen minderbedeutender Reichsstände regionalisierten. Damit verlor der Schenkraum Altes Reich sowohl von den äußeren Rändern her gesehen als auch im Hinblick auf die innere Vernetzung durch Akte des Schenkens an Bindekraft. Geschenke im Kontext von Diplomatie und symbolischer Kommunikation. Der Besuch Heinrichs III. in Venedig 1574 Evelyn Korsch Geschenke fungierten als Medium zur Etablierung und Konsolidierung sozialer und politischer Beziehungen. Sie waren somit konstitutiv für die Höfe des Mittelalters und der frühen Neuzeit. 1 Innerhalb der Hofgesellschaften wurden anhand der Geschenkbeziehungen die asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen dem Fürsten und den Hofmitgliedern deutlich, wobei der Wert des Geschenks und die Häufigkeit des Gunstbeweises dem Einzelnen seinen Rang in der Hofhierarchie zuwiesen. Im zwischenhöfischen Austausch dienten sie der fürstlichen Repräsentation und politischen Kommunikation. Anstelle einer Hierarchisierung prägte hier die Reziprozität, welche zunehmend obligatorisch wurde, das Geschenksystem. Da Geschenke auf eine Visualisierung symbolischer Kommunikation zielten, musste ihre Übergabe in der Öffentlichkeit erfolgen und war in das Zeremoniell integriert. Aufgrund der mit dem Schenkungsakt implizierten magnanimitas und conspicuous consumption gehörten sie zusammen mit Festen und Kunstpatronage zu den primären fürstlichen Repräsentationsstrategien und bildeten einen integralen Bestandteil von Staatsbesuchen. 2 Venedig als Adelsrepublik mit einem Dogen an der Spitze 1 Der vorliegende Beitrag beruht auf Forschungen, die im Rahmen einer Dissertation mit dem Titel „Das Bild Venedigs nach Lepanto - Der Einzug Heinrichs III. als nonverbales Kommunikationssystem“ (Universität Zürich 2009) durchgeführt wurden. Zum System von Gabe und Gegengabe immer noch grundlegend: M ARCEL M AUSS , Essai sur le don. Forme et raison de l’échange dans les sociétés archaïques, in: D ERS ., Sociologie et anthropologie, eingeleitet von C LAUDE L EVI -S TRAUSS , Paris 1966, 3. Aufl. Aus der neueren Literatur seien genannt: N ATALIE Z EMON D AVIS , Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance, München 2002; V ALENTIN G ROEBNER , Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit, Konstanz 2000; F RANZ T INNEFELD , Mira varietas. Exquisite Geschenke byzantinischer Gesandtschaften in ihrem politischen Kontext (8.-12. Jh.), in: Mitteilungen zur spätantiken Archäologie und byzantinischen Kunstgeschichte 4 (2005), 121-137. 2 Die Thematik steht im Kontext des troc, bei dem ökonomisches Kapital in symbolisches umgewandelt wird. Vgl. M ICHAEL B AXANDALL , Ursachen der Bilder. Über das historische Erklären von Kunst, Berlin 1990, 88-91. Es handelt sich nicht um eine Erfindung der frühen Neuzeit, denn das geschätzte, aber auch kritisierte Phänomen der Verschwendung zeigt Parallelen zum Potlatch, der unter anderem für einige Ethnien Polynesiens signifikant ist und zwar bis hin zur ökonomischen Selbstzerstörung. In diesem Sinn definiert es M AUSS , Essai (wie Anm. 1), 153, als „prestations totales de type agonistique“. Siehe zudem Die schöne Evelyn Korsch 104 nahm hierbei eine Sonderstellung ein. Das venezianische Staatsoberhaupt, das sich auf europäischer Ebene gerne als gleichberechtigte Macht neben Kaiser und Papst präsentierte, 3 wurde staatsintern als primus inter pares definiert, der zumindest der verfassungsrechtlichen Theorie nach keine Privilegien genoss. 4 Aufgrund der mit einem Geschenk intendierten Schaffung eines Loyalitätsverhältnisses und als Prävention gegen Korruption war es allen venezianischen Amtsträgern - den Dogen eingeschlossen - verboten, Präsente von ausländischen Fürsten anzunehmen. Falls Gaben in Empfang genommen worden waren, um keine Ehrverletzung zu begehen, mussten diese dem Senat vorgelegt werden, der über ihren weiteren Verbleib entschied. Auch im umgekehrten Fall war ein Beschluss erforderlich: der Consiglio di Dieci bestimmte, ob ein venezianischer Staatsbürger einem fremden Fürsten ein Geschenk überreichen durfte. 5 1. Die Reise Heinrichs III. durch Italien Am 30. Mai 1574 starb Karl IX., König von Frankreich, und sein Bruder Heinrich (1551-1589) wurde zum Thronfolger proklamiert. Heinrich war am 11. Mai 1573 zum König von Polen gewählt worden und hatte am 18. Februar 1574 seinen Ein- Kunst der Verschwendung. Fest und Feuerwerk in der europäischen Geschichte, G EORG K OHLER (Hrsg.), Zürich 1988. 3 Basis dieses Machtanspruchs bildete der sogenannte Mythos Venedigs, der ein komplexes System an Selbstdarstellungsstrategien umfasste, zu denen unter anderem die Papst- Alexander-Legende, der Markuskult, die Sensa und die Definition als altera Roma gehörten. Vgl. A GOSTINO P ERTUSI , Quedam regalia insignia. Ricerche sulle insegne del potere ducale a Venezia durante il Medioevo, in: Studi veneziani 7 (1965), 3-123; E DWARD M UIR , Civic Ritual in Renaissance Venice, Princeton 1981; D AVID R OSAND , Venezia figurata. The Iconography of a Myth, in: Interpretazioni veneziane. Studi di storia dell’arte in onore di Michelangelo Muraro, D ERS . (Hrsg.), Venedig 1984, 177-196; Venise 1500. La puissance, la novation et la concorde: le triomphe du mythe, P HILIPPE B RAUNSTEIN (Hrsg.), Paris 1993; L IONELLO P UPPI , Nel mito di Venezia. Autocoscienza urbana e costruzione delle immagini, saggi di lettura, Venedig 1994; W OLFGANG W OLTERS , L’autocelebrazione della repubblica nelle arti figurative, in: Storia di Venezia, Bd. 6: Dal Rinascimento al Barocco, G AETANO C OZZI / P AOLO P RODI (Hrsg.), Rom 1994, 469-513; Venice Reconsidered. The History and Civilization of an Italian City-State 1297-1797, J OHN M ARTIN / D ENNIS R OMANO (Hrsg.), Baltimore / London 2000; G INO B ENZONI , Venezia: tra mito e realtà, in: Il mito di Venezia. Una città tra realtà e rappresentazione, P ETER S CHREINER (Hrsg.), Rom / Venedig 2006, 1-23. 4 Zu den Restriktionen siehe E UGENIO M USATTI , Storia della Promissione Ducale, Padua 1888. 5 So im Fall von Marino Capello, dem am 30.7.1574 die Genehmigung erteilt wurde, dem Herzog von Savoyen eine carrucola (ein für Venedig typisches Flaschenzugsystem) zu schenken, die dieser zuvor kaufen wollte. Vgl. Archivio di Stato Venezia (ASV), Capi del Consiglio di Dieci, Licenze visitar ambasciatori, 1574-1608, unnummeriert. Geschenke im Kontext von Diplomatie und symbolischer Kommunikation 105 zug in Krakau gehalten, wo drei Tage später die Krönung stattgefunden hatte. 6 Da die polnischen Stände seiner Abreise nicht zustimmen wollten, flüchtete er am 18. Juni aus Krakau. Um seine Flucht nicht zu gefährden, hatte Heinrich nur wenige Vorkehrungen im Geheimen treffen können. Juwelen und andere persönliche Wertsachen hatte er dem französischen Botschafter in Polen, Pomponne de Bellièvre, anvertraut, der kurz zuvor nach Paris abgereist war. Zugleich hatte er per Kurier Schreiben an seine Mutter Caterina de’ Medici gesandt, sie möge ihm so schnell wie möglich finanzielle Mittel zukommen lassen. Sein Weg führte ihn zunächst nach Wien an den kaiserlichen Hof, wo er sich vom 25. bis 29. Juni aufhielt. 7 Zusammen mit Maximilian II. entschied Heinrich über den weiteren Verlauf der Reise. Er beschloss, sich über Oberitalien nach Lyon und von dort nach Paris zu begeben. Die Wahl dieser Reiseroute bot zwei Vorteile. Einerseits wurde ein Durchzug durch protestantisches Reichsgebiet vermieden, was aufgrund der Auseinandersetzungen mit den Hugenotten ein gewisses Sicherheitsrisiko barg. Andererseits konnte die Reise nach Paris somit als eine kontinuierliche via triumphalis inszeniert werden. Die Festeinzüge, die dem König in Wien, in den italienischen Städten und in Lyon bereitet wurden, waren das Präludium für seinen triumphalen Einzug in Paris. Jeder Schritt, mit dem sich Heinrich der französischen Kapitale näherte, war begleitet von Ehrenbezeugungen und trug zur Repräsentation sowie zur Visualisierung seiner neuen Funktion als König von Frankreich bei. Die einzelnen Zeremonien und rituellen Handlungen waren integraler Bestandteil und conditio sine qua non eines rite de passage, 8 den es zu manifestieren galt und der seinen formalen Abschluss - in ritueller und rechtlicher Hinsicht - in der Krönung Heinrichs III. am 13. Februar 1575 in Reims und seinem Einzug in Paris am 27. Februar 1575 fand. 9 6 Siehe E MILIO M ARIA M ANOLESSO , La fausta, et felice elettione in Re di Polonia, del Seren.mo et valorosiss.mo Henrico di Valois, Duca d’Angiò, fratello di Carlo IX Christianiss. Re di Francia […], Venedig [Pietro Dehuchino] 1573; A NONYM , Le allegrezze et solennità fatte in Cracovia città principale del regno de Polonia, nella Coronatione del Serenissimo Re Enrico di Valois fratello di Carlo IX. Christianissimo Re di Francia, o. O. 1574; G IOVANNI A NDREA V ISCARDO , La Coronatione d’Henrico Duca d’Angiò a Re di Polonia con la sua partita in Francia l’anno 1575 [sic], Bergamo [Comino Ventura] 1592. 7 Zum Besuch in Wien siehe A NONYM , La reception du Roy par l’Empereur Maximilian, & l’Archiduc Ferdinand, & les Venitiens, avec les preparatifs pour l’Entree du Roy Treschrestien à Venise, Paris [Denis du Pré] 1574. 8 Zum Konzept der rites de passage siehe A RNOLD VAN G ENNEP , Les rites de passage. Études systematiques des rites, Paris 1909; V ICTOR T URNER , The ritual process. Structure and antistructure, London 1969; M ARY D OUGLAS , Natural symbols. Explorations in cosmology, London 1970. 9 Siehe A LESSANDRO P OMELLI , Avvisi particolari della felice, et gloriosa incoronatione, di Henrico III. Re di Francia, et IIII. di Polonia, fatta nella città di Reins, et del maritaggio di sua Maestà Christianissima, con la figliuola del Marchese di Vaidament di casa di Lorena, Venedig [Bartolomeo de’ Valenti] 1575. Evelyn Korsch 106 Am 30. Juni 1574 überreichte der französische Botschafter in Venedig, Arnaud Du Ferrier, dem Senat die Briefe Heinrichs, in denen dieser den Wunsch äußerte, durch venezianisches Staatsgebiet zu reisen, und um Ausstellung der erforderlichen Papiere bat. Zugleich deutete er an, dass der König einen Besuch in der Lagunenstadt sehr schätzen würde, da er von deren unvergleichlicher Schönheit gehört hätte. 10 Die Signoria stellte den Passierschein aus und begann mit den Vorbereitungen für den Aufenthalt Heinrichs, der vom 17. bis zum 27. Juli 1574 dauerte. 11 Die Reiseroute führte von Pontebba über Venzone, San Daniele, Spilimbergo, Sacile, Conegliano, Treviso und Mestre nach Venedig. Innerhalb des Gesamtkomplexes der Feierlichkeiten bildete der Festeinzug in Venedig am 18. Juli 1574 den symbolischen und medienpolitischen Höhepunkt auf venezianischem Staatsgebiet. 12 Die Weiterreise des Königs erfolgte über Padua und Rovigo in Richtung Ferrara, um von dort über Mantua, Cremona und Turin französischen Boden zu erreichen. 2. Die Hintergründe des Staatsbesuchs Selbstverständlich kam Heinrich nicht nur nach Venedig, um die Schönheit der Stadt zu bewundern. Auch die angeblich höhere Sicherheit der Reiseroute war kein Grund, denn 1573, und damit zeitlich näher zur Bartholomäusnacht gelegen, reiste er ungehindert durch die deutschen Territorien, um den Thron in Krakau zu besteigen. Die protestantischen Fürsten hatten ihm seinerzeit freies Geleit zugesichert, und dieses war auch 1574 garantiert. Die Wegstrecke durch das Reich war wesentlich kürzer und hätte ihn schneller zu den in Paris wartenden dringenden politischen Aufgaben gebracht. Heinrichs Aufenthalt in Venedig dauerte elf Tage, was der Kon- 10 Vgl. ASV, Collegio, Esposizioni Principi 179, unnummeriert, Espositione del magnifico Ambasciator del Re Christianissimo, 30.6.1574. 11 Vgl. ASV, Senato, Secreta, Deliberazioni, reg. 79, fol. 129v-130v; ASV, Senato, Deliberazioni, Terra, reg. 50, fol. 25r-27r. 12 Zum Ablauf des Staatsbesuchs im Einzelnen vgl. ASV, Collegio, Cerimoniali I, fol. 43r-45r; M ARSILIO D ELLA C ROCE , L’historia della publica et famosa entrata in Vinegia del Serenissimo Henrico III. Re di Francia, et Polonia, con la descrittione particolare della pompa, e del numero, et varietà delli Bregantini, Palaschermi, et altri vaselli armati, con la dechiaratione dell’edificio, et arco fatto al Lido, Venedig 1574; R OCCO B ENEDETTI , Le feste, et trionfi fatti dalla Sereniss. Signoria di Venetia nella felice venuta di Henrico III. Christianiss. Re di Francia, et di Polonia, Venedig 1574; T HOMASO P ORCACCHI , Le attioni d’Arrigo terzo Re di Francia, et quarto di Polonia, descritte in dialogo, nelquale si raccontano molte cose della sua fanciullezza, molte imprese di guerra, l’entrata sua al Regno di Polonia, la partita, et le pompe, con le quali è stato ricevuto in Vinetia, et altrove, con essempi d’Historie in paragone, et massimamente de’ Principi di Corona, ch’altre volte sono stati ricevuti in Vinetia, Venedig 1574; P IERRE DE N OLHAC / A NGELO S OLERTI , Il viaggio in Italia di Enrico III re di Francia e le feste a Venezia, Ferrara, Mantova e Torino, Rom / Turin / Neapel 1890 (sehr ausführlich, aber teilweise fehlerhaft). Geschenke im Kontext von Diplomatie und symbolischer Kommunikation 107 vention zufolge die angemessene Länge eines Staatsbesuchs bei weitem überschritt, und somit bei den auswärtigen Mächten größte Befürchtungen hinsichtlich einer geheimen Allianzbildung zwischen Venedig und Frankreich auslöste. 13 In Anbetracht der politischen Vorgeschichte, nämlich der Rolle, die Frankreich 1573 beim Abschluss des Separatfriedens zwischen der Serenissima und der Hohen Pforte gespielt hatte, waren diese Verdachtsmomente nicht unbegründet. Doch die Motive, die den König ohne Eile reisen ließen, waren von profanerer Art. Heinrich bemühte sich um ein Darlehen. Bereits von Paris aus hatte Caterina de’ Medici verschiedene Kontakte geknüpft, um einen Kredit in Höhe von 200.000 Dukaten zu einem günstigen Zinssatz, womit 10 Prozent gemeint waren, zu erhalten. 14 Ein wochenlanger Briefwechsel belegt ihren verzweifelten, aber vergeblichen Einsatz. 15 Selbstverständlich hatte sie sich auch an ihren Vetter Francesco de’ Medici gewandt, um von Florentiner Bankiers einen positiven Bescheid zu bekommen. Allerdings waren diese nach schlechten Erfahrungen mit der französischen Krone zu Verhandlungen nur bereit, falls Francesco selbst oder andere Banken, zum Beispiel die Bankhäuser in Lyon, dafür bürgten. Doch der Großherzog entzog sich mit Höflichkeitsfloskeln einer verwandtschaftlichen Verpflichtung und vermied es sogar, Heinrich in Italien zu treffen. Selbst Papst Gregor XIII. hatte sich persönlich für die Unterstützung eines Darlehens ausgesprochen, da er es zur Bekämpfung der Hugenotten angewandt wissen wollte. Aber auch die Fürsprache des vicarius Dei konnte den Bankiers nicht die Fakten beschönigen. So richtete sich der Blick des Königs auf Venedig. Zum Mythos der Serenissima gehörte nicht nur ihre einzigartige Schönheit, sondern auch ihr ostentativer Wohlstand. Für das erfolgreiche Funktionieren dieses Mythos spricht, dass das Bild eines florierenden Handels und verschwenderischer Prachtentfaltung auch in äußersten Krisenzeiten aufrechterhalten werden konnte. So sprach der französische Botschafter Du Ferrier mehrmals in der finanziellen Angelegenheit vor, aber der Signoria gelang es, einer konkreten Behandlung des Themas bis zur Abreise des Königs auszuweichen. Von Venedig hoffte die französische Krone ein zinsloses Darlehen in Höhe von 100.000 Dukaten zu erhalten. 16 Die Serenissima war jedoch keineswegs gewillt, einen solchen Betrag zu gewähren, von dem sie bereits ahnen konnte, dass er nie zurückgezahlt werden würde. Es bestanden ohnehin noch Altschulden in Höhe von 200.000 Dukaten, die Karl IX. 1568 gegen Hinterlegung von zwei Diamanten und einer seltenen Perle aufgenommen hatte. Der Kredit sollte in sieben Jahresraten zu 30.000 Dukaten getilgt werden, doch aufgrund 13 Vgl. Archivio di Stato di Firenze (ASF), Mediceo del Principato, fil. 663, fol. 355r, Brief von Michele Urbani an Francesco I. de’ Medici vom 23.7.1574 aus Mantua. 14 Vgl. Bibliothèque Nationale de France (BNF), Cinq Cents de Colbert 366, fol. 678, Brief von Caterina de’ Medici an Arnaud Du Ferrier vom 29.6.1574 aus Paris. 15 Vgl. BNF, Cinq Cents de Colbert 366, fol. 636-699. 16 Vgl. ASV, Collegio, Esposizioni Principi 179, unnummeriert, Ragionamento del Serenissimo Principe fatto col Re christianissimo, 29.7.1574, fol. 9-10. Evelyn Korsch 108 der aufwendigen militärischen Unternehmungen gegen die Hugenotten war bisher keine Zahlung geleistet worden. 17 Bereits im ersten Gespräch des Botschafters mit der Signoria, als er den Besuch des Monarchen ankündigte, soll das Thema eines Darlehens angesprochen worden sein, und der König fragte zudem im Senat persönlich nach. 18 Aber die Venezianer blieben unnachgiebig. Das Gesuch wurde durch diplomatische Unverbindlichkeit und aufwendig inszenierte Festlichkeiten überformt, in deren Verlauf ein reger Austausch von Geschenken erfolgte. Der Besuch Heinrichs III. ereignete sich zu einem Zeitpunkt, als für die Serenissima nicht nur Handlungsbedarf in politischer Hinsicht bestand, um nach dem Separatfrieden mit den Türken ihr Image innerhalb des europäischen Mächtesystems zu verbessern, sondern er traf auch auf eine wirtschaftlich und finanziell angespannte Lage. Das Jahr 1574 war für den venezianischen Staatshaushalt das Jahr mit der höchsten Verschuldung im gesamten 16. Jahrhundert. Es bildete somit den Höhe- und zugleich Wendepunkt der Krisensituation. Die Ausgaben in Höhe von 1.942.401 Dukaten übertrafen die Einnahmen, die nur einen Betrag von 1.484.537 Dukaten aufwiesen. Dies entspricht einem Defizit in Höhe von 457.864 Dukaten. 19 80 Prozent der Einnahmen, nämlich 1.138.306 Dukaten, wurden für militärische Zwecke aufgewandt. Das ist nicht verwunderlich angesichts des Verlustes von Zypern im Jahr 1573 und des darauf folgenden Versuchs, zumindest die verbliebenen Besitzungen im Mittelmeerraum zu halten. Vor dem Hintergrund dieser prekären Finanzsituation sind die extrem hohen Aufwendungen für den Staatsbesuch zu betrachten, um dessen Bedeutung für Venedig zu begreifen. 20 3. Geschenke der Republik Venedig an Heinrich III. Zu den konventionellen, als presente definierten Ehrenbezeugungen bei Besuchen von Fürsten, geistlichen Würdenträgern und Botschaftern gehörte die Ausrichtung eines festlichen Empfangs für den Gast, die sogenannten refrescamenti. Die Kosten der Empfänge betrugen etwa 30 Dukaten bei Botschaftern und circa 100 Dukaten bei Fürsten und päpstlichen Legaten. 21 Im Sinne eines solchen Ehrengeschenks 17 Vgl. Biblioteca del Museo Correr Venezia (BMCV), Cod. Gradenigo-Dolfin 191, vol. II, fol. 33r. 18 Vgl. ASF, Mediceo del Principato, fil. 2983, fol. 47r-48r und fol. 72r-74r. 19 Vgl. Bilanzen des Consiglio di Dieci in: Biblioteca Marciana Nazionale di Venezia (BMNV), Cod. It. VI 80 (5767), fol. 200r-204v. 20 Einen Einblick in den enormen Kostenaufwand gibt die seitenlange Aufstellung der gekauften Luxusartikel zur Ausstattung der Gebäude und des Bucintoro; vgl. ASV, Ufficiali alle Rason vecchie, fil. 379, unnummeriert, 9.8.1574. 21 Vgl. ASV, Senato, Terra, filza 64, unnummeriert, zum Beispiel B. am 13.4.1574, 28.4.1574 und 19.7.1574. Geschenke im Kontext von Diplomatie und symbolischer Kommunikation 109 muss der Gesamtkomplex der Feierlichkeiten für den König verstanden werden. Fast einen Monat lang befanden sich Heinrich und sein Gefolge auf venezianischem Territorium und waren somit Gäste der Republik. Diese Gastfreundschaft soll die Signoria etwa 100.000 Dukaten gekostet haben, was genau dem Betrag entspricht, den der König als Kredit erbeten hatte. Eine Abrechnung, die die im Zeitraum vom 5. bis 27. Juli 1574 im Kontext des Staatsbesuchs angefallenen Ausgaben umfasst, weist eine Gesamtsumme von ca. 21.000 Dukaten auf. 22 Sie stellt aber nur einen Teil der Aufwendungen dar. Bei einer der Zusammenkünfte zwischen Heinrich und der Signoria übergab der Doge Alvise I. Mocenigo dem Monarchen im Namen der Republik ein wertvolles Manuskript: das Original der Statuten des Ordens vom Heiligen Geist, 23 der im Jahr 1352 von Ludwig I. von Anjou, dem König von Jerusalem, Neapel und Sizilien, gegründet worden war und von Heinrich am 31. Dezember 1578 erneuert werden sollte. Das Pergament umfasst neun Folioblätter und ist mit kunstvollen Miniaturen illuminiert. 24 Dieses Geschenk galt nicht nur als einzigartig und als besonders kostbar, sondern stellte zugleich einen Bezug zu einem Vorfahren aus dem Hause Anjou sowie eine Verbindung auf spiritueller Ebene her, denn Heinrich war bekannt für seine tiefe Religiosität. Es sind keine Dokumente überliefert, die sich zum Auswahlverfahren für das zu schenkende Manuskript äußern. So lässt sich nicht belegen, ob der Signoria die besondere Bedeutung des Pfingstfestes für Heinrichs persönlichen Werdegang bewusst war und die Wahl deshalb auf die Statuten des Heilig-Geist-Ordens fiel: 1573 war er zu Pfingsten zum polnischen König gewählt worden, und an Pfingsten 1574 wurde er zum französischen Thronfolger ernannt. 25 Außerdem stellen die Statuten das diplomatischste aller diplomatischen Geschenke dar, indem die implizierte Ausgießung des Heiligen Geistes eine Anspielung auf die Völkerverständigung bildet. 22 Vgl. BMCV, Cod. Cicogna 3281, filza 4, Nr. 53: Spese fatte in Ca’ Foscari per la venuta della Maestà del Re di Francia e Polonia Henrico 3. Zu den größten Einzelposten gehören die Ausstattung von 13 Gondeln (1.304 Dukaten), drei goldene Baldachine (1.288 Dukaten) und das Bankett im Dogenpalast (1.031 Dukaten). 23 Nachdem das Manuskript mehrfach den Besitzer gewechselt hatte, wurde es 1784 für die königliche Bibliothek in Paris erworben; vgl. L ÉOPOLD V ICTOR D ELISLE , Le Cabinet des Manuscripts de la Bibliothèque Imperiale, Paris 1868, Nachdruck 1978, Bd. 1, 191f. Heute befindet es sich in der BNF als Fonds français 4274: Statuts de l’ordre du Saint-Esprit du droit Désir ou du Noeud, institué à Naples en 1352, par Louis d’Anjou, premier du nom, roi de Jérusalem, de Naples et de Sicile. 24 Vgl. BMCV, Cod. Gradenigo-Dolfin 191, vol. II, fol. 75r. 25 Für Heinrich war der Heilig-Geist-Orden so wichtig, dass er als dessen ursprünglicher Gründer gelten wollte und daher die Vernichtung des Manuskripts anordnete. Seine Überlieferung verdankt es dem umsichtigen Kanzler Philippe Hurault (1528-1599), comte de Cheverny, der es heimlich verwahrte. Vgl. D ELISLE , Cabinet (wie Anm. 23), 192. Die Strategie Heinrichs war erfolgreich, denn in der Literatur gilt er noch heute als Ordensgründer. Evelyn Korsch 110 Das Collegio beschloss am 23. Juli 1574, die Sonderbotschafter, die Heinrich durch das gesamte venezianische Territorium begleiteten, mit dem Kauf einer prachtvoll ausgestatteten Kutsche zu beauftragen, die als Geschenk für den König gedacht war. Da sie seiner Weiterreise dienen sollte, sollten die Pferde nicht nur besonders schön, sondern auch an das Gespann einer Kutsche gewöhnt sein. Um in der Kürze der Zeit den Auftrag ausführen zu können, wurde den Botschaftern gestattet, ohne Rücksicht auf Person oder Stand Pferde beschlagnahmen zu lassen. Anschließend sollten die Eigentümer angemessen bezahlt werden. 26 Die Order wurde an den capitano von Padua, Vettor Bragadin, weitergeleitet, der sich sofort die prächtigsten Kutschen der Stadt vorführen ließ. Bereits am 24. Juli teilte dieser den Sonderbotschaftern mit, dass er eine Kutsche des condottiere Pio Enea degli Obizzi ausgewählt habe, die vergoldet und innen mit grünem Samt ausgeschlagen sei. Für das Gespann stellte Bragadin zwei seiner eigenen Pferde zur Verfügung und ergänzte sie mit einem Paar der Familie Pisani, das ästhetisch besonders gut harmonierte. Zugleich bat er um Zusendung einer Vorlage, um die königlichen Wappen von Frankreich und Polen aufmalen lassen zu können. 27 Die Prunkkutsche wurde zur Schiffsanlegestelle an der Porta Portello 28 in Padua gebracht, wo Heinrich am späten Abend des 27. Juli ankam. Der König lehnte den vorbereiteten Baldachin ab und bediente sich der Kutsche für seinen Einzug in die Stadt. 29 4. Geschenke im Namen des Königs Eine von Botschafter Du Ferrier am 31. Juli 1574 erstellte Abrechnung verzeichnet die während des königlichen Besuchs vorgenommenen Einnahmen und Ausgaben. 30 Am 23. Juli tätigte Heinrich Einkäufe am Rialto und in der Merceria, 31 wobei er den berühmten Juwelier Antonio della Vecchia aufsuchte, um Schmuck und Gold- 26 Vgl. ASV, Collegio, Notatorio, filza 51, Nr. 1. 27 Vgl. ASV, Archivio Proprio Francia, b. 7 bis, unnummeriert, Briefe von Vettor Bragadin an die Sonderbotschafter vom 24.7.1574 und 26.7.1574 aus Padua. 28 Der Portello galt als der wichtigste Flusshafen Venedigs. Ein imposantes Portal aus istrischem Marmor und eine Freitreppenanlage bildeten den adäquaten Rahmen für festliche Empfänge. 29 Vgl. N ICOLÒ L UCANGELI , Successi del viaggio d’Henrico III. Christianiss.mo Re di Francia, e di Polonia, dalla sua partita di Craccovia fino all’arrivo in Turino, Venedig 1574, 43. 30 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 19r-21v. 31 Die Merceria führt als „Geschäftsstraße“ vom Rialto zum Markusplatz und war auf Anordnung der Signoria für die Zeit des Staatsbesuchs mit einem besonders reichhaltigen Warenangebot ausgestattet. Geschenke im Kontext von Diplomatie und symbolischer Kommunikation 111 ketten im Wert von etwa 12.000 Dukaten zu kaufen. 32 Einen Teil gedachte er am Ende seines Aufenthaltes als Geschenke an die von der Serenissima zu seinem Dienst abgeordneten Personen und andere Würdenträger zu verteilen. Für Schmiedearbeiten an den Ketten entstanden Kosten in Höhe von 586 Dukaten. 33 Heinrich gewährte in Venedig zahlreiche Audienzen, da alle Botschafter ihre Aufwartung machten, um dem König zur Thronfolge zu gratulieren. Zwischen Heinrich und dem Gesandten der Hohen Pforte fand eine Begegnung statt, die nicht in den diplomatischen Akten, sondern nur in der Abrechnung Du Ferriers erwähnt ist. Während der Audienz überreichte der Botschafter dem König als Geschenk verschiedene Balsame und terre sigillée. Bei dieser sogenannten versiegelten Erde handelt es sich um ein tonhaltiges Präparat, das als Medizin - insbesondere gegen Fäulnis - verwandt wurde. Die Bezeichnung resultiert aus dem Brauch, das Namenszeichen des Sultans (tughra) darauf einzuprägen. Terra sigillata stellte nicht nur ein gefragtes Heilmittel dar, sondern repräsentierte zudem ein beliebtes Kunstkammerobjekt, wodurch sich sein Wert als Geschenk sowohl symbolisch als auch materiell steigerte. 34 Der Monarch bedankte sich bei dem türkischen Gesandten mit einer Goldkette im Wert von 300 Dukaten. 35 Am Tag der Abreise, dem 27. Juli, ließ Heinrich 39 junge Adlige, die zu seinem Dienst abgeordnet gewesen waren, zu sich rufen und bedankte sich bei ihnen. 36 Die Signoria hatte ursprünglich 40 Männer gewählt, von denen jedoch einer während der gesamten Dauer des Staatsbesuchs krank war. Du Ferrier veranlasste, dass ihnen im Namen des Königs jeweils eine Goldkette im Wert von 100 Dukaten überreicht wurde, und ließ über einen Kurier bei Heinrich anfragen, ob es nicht eine großzügige Geste wäre, auch den Erkrankten mit einer Kette zu bedenken. Ob der König dem Vorschlag noch zugestimmt hat, geht aus der Abrechnung nicht hervor, da diese nur den Betrag für 39 Ketten belegt. 37 Die jungen Adligen beabsichtigten, dem französischen Edelmann, der ihnen die Goldketten überbracht hatte, ebenfalls 32 Vgl. ASF, Mediceo del Principato, filza 2983, fol. 65r-v, Brief von Orazio Urbani an Francesco I. de’ Medici vom 31.7.1574 aus Venedig, hier fol. 65v; D ELLA C ROCE , Historia (wie Anm. 12), 22; P ORCACCHI , Attioni (wie Anm. 12), fol. 32v. 33 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 21v. 34 Kaiser Rudolf II. verwahrte in seiner Kunstkammer 21 Tiegel mit terra sigillata; vgl. Das Kunstkammerinventar Kaiser Rudolfs II. 1607-1611, R OTRAUD B AUER / H ERBERT H AUPT (Hrsg.), in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien N.F. 36 [72] (1976), 1- 140, hier 56f.; im Original fol. 113r-116r, Nr. 1061-1081. 35 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 21r. 36 Der König hatte die Dienste der jungen Adligen aus Sicherheitsgründen nicht in Anspruch nehmen wollen und sich dafür bei der Signoria entschuldigt. Vgl. BNF, Cinq cents de Colbert 366, fol. 685, Brief von Heinrich III. an Du Ferrier vom 10.7.1574 aus Pontebba. 37 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 20r. Evelyn Korsch 112 ein Geschenk zukommen zu lassen, und sandten eine wertvolle Silberschale, die mit Zuckerwerk gefüllt war. Das Präsent wurde jedoch höflich abgelehnt. 38 Der Doge begleitete den König in einer Gondel bis Lizzafusina. Dort angekommen führte er Heinrich zu einer piatta, 39 die ihn auf dem Brenta nach Padua bringen sollte. Es folgte eine längere Abschiedszeremonie, bei der sie sich gegenseitig der Wahrung der freundschaftlichen Verbundenheit beider Staaten versicherten. Dann fuhr der König ab. Als der Doge das Boot besteigen wollte, um nach Venedig zurückzukehren, wurde er von De Villequier, 40 dem engsten Berater des Königs, aufgehalten. De Villequier sprach ihn auf Französisch an, so dass Alvise Mocenigo Schwierigkeiten hatte, ihn zu verstehen. Er überreichte im Namen des Monarchen einen Ring mit einem großen Diamanten und bat den Dogen, diesen zum Gedenken an Heinrich zu tragen. Mocenigo machte zwei bescheidene Versuche, das Geschenk zurückzuweisen. Als De Villequier insistierte, dass es der ausdrückliche Wunsch und Wille des Königs sei, nahm der Doge den Ring an, küsste diesen und versprach, der Bitte zu entsprechen. Heinrich hatte den Diamanten zu diesem Zweck in Venedig erworben und als Ring einfassen lassen. In der Abrechnung Du Ferriers wird der Kaufpreis mit 1.050 Dukaten angegeben, was dem Gegenwert des Banketts entspricht, das zu Ehren des Königs für 3.000 Gäste veranstaltet wurde. 41 Die Übergabe des Geschenks fand nicht unmittelbar zwischen den beiden Fürsten statt, sondern durch einen Mittelsmann. Daraus folgern die Autoren der Festbeschreibungen, Heinrich habe zunächst vergessen, den Ring zu überreichen, sich aber daran erinnert, bevor der Doge abfuhr. Es kann nicht geklärt werden, ob der Monarch sich tatsächlich nicht an das Geschenk erinnerte oder ob er auf diese Weise dem Dogen die Annahme des Ringes erleichtern wollte, da er um die venezianische Gesetzeshürde wusste. Da er jedoch eine indirekte Geschenkübergabe auch für die Aushändigung der Goldketten an die jungen Adligen sowie an die Sonderbotschafter und ihre Sekretäre wählte, ist eine Intention wahrscheinlich. 38 Vgl. P ORCACCHI , Attioni (wie Anm. 12), fol. 39r. 39 Schiffstyp, der einem Bucintoro, das heißt der vergoldeten Staatsgaleere, in Kleinform ähnelt. 40 Im Bericht des Dogen wird De Villachler angegeben, aber in der Liste des königlichen Gefolges erscheint ein solcher Name nicht. Dort wird an erster Stelle De Villequier genannt und als camerier maggior betitelt. Es handelt sich um René de Villequier, baron de Clairvaux, der als premier Gentilhomme de la chambre du Roi zum Kreis der engsten Vertrauten Heinrichs gehörte und 1578 bei der Neugründung des Heilig-Geist-Ordens in diesen aufgenommen wurde. Vgl. ASV, Archivio Proprio Francia, b. 7 bis, unnummeriert, Brief von Bortholoto Bidernuzi an Girolamo Mocenigo vom 6.7.1574 aus Villach. 41 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 19v und BMCV, Cod. Cicogna 3281, fil. 4, Nr. 53, fol. 1r. Geschenke im Kontext von Diplomatie und symbolischer Kommunikation 113 5. Symbolik und Problematik der königlichen Gastgeschenke Auf Wunsch des Senats übergab der Doge am 29. Juli 1574 einen Abschlussbericht. 42 Zunächst geht er darin auf seine Unterredungen mit dem König ein, die vorrangig vom Austausch von Höflichkeitsfloskeln bestimmt waren, aber auch den Rat beinhalteten, sich in Frankreich um den inneren Frieden zu bemühen. Des Weiteren betont er die von Heinrich zum Ausdruck gebrachte Dankbarkeit für die zahlreichen Ehrbezeugungen sowie dessen Begeisterung am Tage des Einzuges, den dieser als der Welt schönstes Spektakel lobte. Dann beschreibt Mocenigo die physischen Anstrengungen, die ihm der Besuch abverlangt und die er im Dienste des Staates gehorsam auf sich genommen habe. Schließlich kommt er auf das Geschenk zu sprechen. Er erwähnt, einen an einer Kordel befestigten Ring am Hals des Königs gesehen zu haben, als sie die Gondel nach Lizzafusina bestiegen. Wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich um den Diamanten, der als Geschenk für den Dogen gedacht war. Mocenigo beschreibt den Ring als besonders schön aufgrund des großen Diamanten und macht dem Senat einen konkreten Vorschlag, wie mit dem Geschenk verfahren werden könne. Sowohl zur Ehre der nachfolgenden Dogen als auch zur Erinnerung an die Schenkung durch Heinrich sollte der Ring innen mit einer Inschrift versehen und danach entweder im Sanktuarium von San Marco oder im Schrein des procurator cassier der Kirche aufbewahrt werden. Bei festlichen Anlässen sollte der Prokurator dem Dogen den Ring aushändigen, damit er diesen zur Würde und Ehre seines Amtes sowie zum ewigen Gedenken an den Monarchen tragen könnte. 43 Mocenigo betont die politische Symbolik des Ringes, denn dieser sollte nicht nur als Ehrbezeugung für den französischen König fungieren, sondern in der Öffentlichkeit als sichtbares Zeichen der ottima intelligentia zwischen beiden Staaten präsentiert werden, was heutzutage als „beste bilaterale Beziehungen“ bezeichnet wird. Das Geschenk an den Dogen löste eine lebhafte Diskussion aus, über die Du Ferrier in einem Brief an den König berichtet. Die einen wollten den Diamantring sofort der Schatzkammer zuweisen, die anderen befürworteten, dass er im Besitz von Alvise Mocenigo und seiner Familie bliebe. Allerdings irrte sich Du Ferrier, als er mitteilte, es sei entschieden worden, den Diamantring dem Dogen zu belassen, 42 Vgl. ASV, Collegio, Esposizioni Principi 179, unnummeriert, Ragionamento del Serenissimo Principe fatto col Re christianissimo, 29.7.1574. 43 Vgl. ASV, Collegio, Esposizioni Principi 179, unnummeriert, Ragionamento del Serenissimo Principe fatto col Re christianissimo, 29.7.1574, fol. 12: Questa cosa credemo, che sarebbe con dignità, et honore del Principe, che li fosse veduta così bella, et honorevol giogia, et di gran satisfattione della Maestà Christianissima quando intendesse, che con questo mezo si [13] havesse voluto conservar in questo stado una perpetua memoria del Christianissimo nome suo […]. Evelyn Korsch 114 solange er lebe, und ihn erst nach seinem Tod der Schatzkammer zu übereignen. 44 Dies war vermutlich noch eine der Optionen, als der Botschafter Ende Juli den Brief schrieb. Am 16. September 1574 erging im Senat ein fast einstimmiger Beschluss. Die Prokuratoren von San Marco wurden beauftragt, für den Diamanten eine angemessen große Lilie aus Gold anfertigen zu lassen, in deren Mitte der Stein gefasst werden sollte. Unter dem Diamanten sollte eine gut lesbare Inschrift angebracht werden, die an den Besuch Heinrichs in Venedig erinnerte. 45 Der Text der Inschrift verdeutlicht, dass der Diamant zwar vom Dogen Alvise Mocenigo empfangen wurde, aber zum ewigen Gedenken an das Wohlwollen des Königs gegenüber der Republik diente. 46 Es handelte sich nicht um ein persönliches Geschenk, sondern um ein offizielles an den Staat. Folglich sollte der Diamant bei den Preziosen in der Schatzkammer von San Marco aufbewahrt und bei festlichen Anlässen zusammen mit diesen auf dem Hauptaltar der Basilika ausgestellt werden. 47 Von November 1574 bis März 1575 wurden die Goldschmiedearbeiten durchgeführt und ein wertvolles Futteral angefertigt. 48 Seit dem 31. März 1575 befand sich der in der Lilie eingefasste Diamant nachweislich im Sanktuarium. 49 Im Jahr 1599 hat Heinrich Schickhardt (1558-1635), der als fürstlicher Baumeister Herzog Friedrich von Württemberg und Teck begleitete, den grossen köstlichen Diamanten in der Schatzkammer von San Marco bewundert. 50 Das Geschenk war Medium einer symbolischen Kommunikation und präsentierte sich der Öffentlichkeit als Zeichen der freundschaftlichen Verbundenheit zweier Staaten. Eine analoge Kontextualisierung erfuhren die Gaben an die Sonderbotschafter. Am 29. Juli verabschiedeten sich die vier Gesandten vom König in Rovigo, dem letzten Ort auf venezianischem Territorium. Nach einer Dankesrede wurde Giaco- 44 Vgl. BNF, Cinq cents de Colbert 366, fol. 697-700, Brief von Arnaud Du Ferrier an Heinrich III. vom 31.7.1574 aus Venedig, hier fol. 699. 45 Vgl. ASV, Senato, Terra, Deliberazioni, reg. 50, fol. 46v. 46 Vgl. ASV, Senato, Terra, Deliberazioni, reg. 50, fol. 46v: Henrici III. Francorum, et Poloniae Regis per hanc urbem e Polonia in Gallias redeuntis munus Aloysio Mocenigo Duci; perpetuum eius benevolentiae in Remp.cam testimonium. Millesimo Quingentesimo Septuagesimo quarto, mense Iulio. 47 Vgl. ASV, Senato, Terra, Deliberazioni, reg. 50, fol. 46v. 48 Vgl. ASV, Procuratori di San Marco de supra, Chiesa, scontro, reg. 28, unnummeriert. Zahlungen erfolgten am 4.11.1574, 5.11.1574, 23.12.1574, 24.3.1575 und 31.3.1575. 49 Vgl. ASV, Procuratori di San Marco de supra, Chiesa, scontro, reg. 28, unnummeriert. 50 Vgl. H EINRICH S CHICKHART VON H ERRENBERG , Beschreibung einer Reiß / Welche der Durchleuchtig Hochgeborne Fürst und Herr / Herr Friderich Hertzog zu Würtemberg unnd Teck […] Im Jahr 1599, Selb neundt / auß dem Landt zu Würtemberg / in Italiam gethan, Mömpelgard [Jacob Foillet] 1602, 164. Eine Überprüfung der in der Schatzkammer von San Marco befindlichen Exponate ergab, dass sich keines der Objekte erhalten hat. N OLHAC / S OLERTI , Viaggio (wie Anm. 12), 169, vermerken, dass die Goldlilie nach 1797 in der Münze von Venedig eingeschmolzen und der Diamant zusammen mit anderen Preziosen aus der Schatzkammer im Jahr 1821 an die Juweliere Biscetti-Lambranzi & C. verkauft wurde. Geschenke im Kontext von Diplomatie und symbolischer Kommunikation 115 mo Foscarini von Heinrich zum Ritter geschlagen, da er als einziger der vier Botschafter noch nicht diesen Titel trug. 51 Noch am selben Tag schrieb ihr Sprecher Andrea Badoer an den Dogen, um einen ersten Bericht zum offiziellen Abschluss der Gesandtschaft zu erstatten. 52 Er erwähnt, dass der König kurz vor der Abreise einen Edelmann zu ihrer Unterkunft gesandt hatte, um den vier Botschaftern jeweils eine Goldkette im Wert von 500 Dukaten und den beiden Sekretären je eine zu 200 Dukaten zu überreichen. Außerdem ließ er Oberst Stella, der die Vorhut befehligt hatte, 200 Dukaten aushändigen. Der beauftragte Edelmann erklärte, Heinrich hätte bewusst keine wertvollen Geschenke übersandt, da ihm bekannt wäre, dass sie diese laut Gesetz zurückweisen müssten. Folglich beabsichtigte der König, mit diesen Objekten von eher geringem Wert seine Dankbarkeit für die erwiesenen Dienste zum Ausdruck zu bringen, und bat darum, sie zu seinem Gedenken anzunehmen. Nach einer bescheidenen, förmlichen Weigerung wurden die Geschenke angenommen, um dem Wunsch des Monarchen zu entsprechen. Als sich Heinrich kurz darauf zur Anlegestelle am Po begab, begleiteten ihn die Botschafter und erhielten somit Gelegenheit, sich beim Abschied persönlich für das Geschenk zu bedanken. 53 Zurückgekehrt nach Venedig legten die vier Sonderbotschafter dem Senat ebenfalls einen Bericht vor. 54 Zunächst beschreiben sie, wie sie sich darum bemüht haben, dieses Amt mit hohem persönlichem Einsatz und unter Aufwendung privater finanzieller Mittel so ehrenvoll wie möglich zu erfüllen. Ihr in der Öffentlichkeit bewundertes fürstliches Auftreten habe allein die Steigerung des Ansehens und der Würde des Staates zum Ziel gehabt. 55 Dann gehen die Botschafter auf ihr eigentliches Anliegen ein, nämlich das Geschenk des Königs, und stellen den Antrag, die Goldketten behalten zu dürfen. In ihrer Begründung heben sie hervor, dass sie mit den Ketten nicht ihre eigene Person schmücken wollen, sondern dass das Tragen des Geschenks ein für die gesamte Welt sichtbares Zeichen der Dankbarkeit des Monarchen gegenüber der Republik sei, und zwar weniger für den Dienst, den die Sonderbotschafter geleistet haben, als vielmehr für die Ehrbezeugungen, die Heinrich durch den Dogen und den Senat erfahren habe. 56 Das Objekt wird von der Person 51 Vgl. D ELLA C ROCE , Historia (wie Anm. 12), 28 und G REGORIO M ANZINI , Il Gloriosissimo Apparato fatto dalla Serenissima Republica Venetiana per la Venuta, per la Dimora, et per la Partenza del Christianissimo Enrico III. Re di Francia et di Polonia, Venedig 1574, fol. 9v. 52 Vgl. ASV, Senato, Dispacci, Ambasciatori, 44, fol. 51r-52v. 53 Vgl. ASV, Senato, Dispacci, Ambasciatori, 44, fol. 52r-v. 54 Vgl. ASV, Senato, Terra, filza 63, unnummeriert. 55 ASV, Senato, Terra, filza 63, fol. 1r: […] la corte et casa nostra et per qualità, et quantità tenesse stato di Principe, non senza admiratione di tutti quelli luochi, per dove siamo passati: tutto per honore et grandezza [1v] di Vostra Serenità et di questa Eccellentissima Republica essendo questo stato il fine et scopo nostro. Et havendo a questo solo per publica dignità havuto riguardo. 56 ASV, Senato, Terra, filza 63, fol. 2r: […] anzi a tutto’l mondo un segno visibile, non meno della gratitudine di sua Maestà ricevuta del servitio et assistentia nostra appresso di lei, che di Evelyn Korsch 116 des Trägers abstrahiert und als symbolische Kommunikation auf die Ebene der Repräsentation, der Visualisierung von Ehre und Prestige des Staates gehoben. Das Tragen der Ketten bedeutet demnach einen Staatsdienst, den die Botschafter in Demut der Republik erweisen. Zudem hatte der König die Ketten zur perpetua memoria 57 überreicht. Sie stehen somit im Kontext einer ars memoriae und bezeugen die hervorragenden diplomatischen Beziehungen. Diese auf der pubblica dignità beruhenden Argumentationsstrategien sind die einzig möglichen, die zum Ziel - dem Behalten des Geschenks - führen können. In ihrem Bericht für den Senat vermeiden die Botschafter eine Wertangabe der Goldketten, wohingegen in der Korrespondenz an den Dogen der Wert auf jeweils 500 Dukaten geschätzt wird. Diese Summe wird durch die Abrechnung Du Ferriers bestätigt und entspricht keineswegs einer Geringfügigkeit, denn die meisten anderen Würdenträger erhielten Goldketten im Wert von 100 Dukaten. 58 Die Brisanz der Entscheidung, die der Senat hinsichtlich der Geschenke fällen musste, wird durch diesen Diskurs deutlich. Am 28. August 1574 erging der Beschluss: In Anerkennung ihrer zahlreichen Verdienste in der Vergangenheit und ihres hohen persönlichen Einsatzes beim Besuch des Königs durften die Botschafter die von Heinrich überreichten Goldketten behalten - allerdings mit dem Zusatz, dass dieses Urteil keinen Präzedenzfall schaffen dürfe. Der Senat begründet seine Entscheidung als eine Demonstration von Güte (benignità) und Freigebigkeit (munificentia) gegenüber verdienstvollen Untertanen. 59 Die staatliche Institution beruft sich demnach explizit auf die Herrschertugend der magnanimitas und eignet sich die damit verbundene maiestas an. Daraus resultiert einer der monarchischen Züge, die das Bild der Republik prägten. 6. Gaben durch den französischen Botschafter Der König beauftragte Du Ferrier, in seinem Namen an zahlreiche Personen und Institutionen, die mit dem Besuch in Venedig in Verbindung standen, Geld, Ketten und andere Geschenke zu verteilen. 60 Scipio Costanzo, der die Leibwache befehligt hatte, die den König durch venezianisches Gebiet begleitete, wurde mit einer silbernen Garnitur, bestehend aus einer Schale und einem Krug, im Wert von 300 Dukaquella, che ne è più cara, et stimamo molto più della Serenità Vostra et delle Signorie Vostre Eccellentissime […]. 57 ASV, Senato, Terra, filza 63, fol. 1v. 58 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 20v. 59 Vgl. ASV, Senato, Terra, Deliberazioni, reg. 50, fol. 38r. 60 Vgl. D ELLA C ROCE , Historia (wie Anm. 12), 28 und M ANZINI , Apparato (wie Anm. 51), fol. 9v. Geschenke im Kontext von Diplomatie und symbolischer Kommunikation 117 ten bedacht. 61 Goldketten waren das am weitesten verbreitete Geschenk, wobei sich ihr Wert nach dem Rang des Empfängers richtete. So ließ Heinrich III. an den Admiral des Bucintoro eine Kette im Wert von 100 Dukaten überreichen. Giovanni Battista Rodengo, der Haushofmeister, den der König zum Ritter geschlagen hatte, erhielt ebenfalls eine Kette für 100 Dukaten. An Andrea Boldù, der für die persönlichen Belange des Monarchen zuständig gewesen war, wurde eine Kette im Wert von 200 Dukaten gesandt. Antonio da Canale hatte als governatore generale del trionfo für den Festeinzug verantwortlich gezeichnet. In Anerkennung seiner Verdienste wurde er vom König zum Ritter geschlagen und mit einer Goldkette im Wert von 300 Dukaten beschenkt. Bei Alvise Foscari, in dessen Palazzo Heinrich logiert hatte, bedankte er sich ebenfalls mit einer Goldkette zu 300 Dukaten. 62 Auch die anderen Personen, die im Verlauf der Reise zu Rittern geschlagen wurden, bekamen Goldketten: Bartolomeo Lippomano, der podestà von Treviso, Vettor Bragadin, der capitano von Padua, sowie Zuane Foscarini, der podestà von Murano. Der Wert dieser Ketten wird in einer venezianischen Chronik mit jeweils 300 Dukaten angeführt. 63 Antonio Roncalli, in dessen Palazzo der König in Rovigo übernachtete, erhielt den Ritterschlag und eine Goldkette im Wert von 100 Dukaten. 64 Geschenke begleiten diese rites de passage der Standeserhöhung, wobei Ketten die neu geschaffene Bindung besonders sinnfällig zum Ausdruck bringen. Sie werden daher traditionellerweise bei Aufnahme in einen Ritterorden überreicht und erinnern die einzelnen (Mit-)Glieder an ihre Verantwortung, einen festen Zusammenschluss zu gewährleisten, da ihre Funktion nur als Einheit wirksam werden könne. Ebenso üblich waren Geldgeschenke. Die Empfänger können in fünf Kategorien unterteilt werden. Zum einen handelt es sich um Personal, das entweder militärische Aufgaben erfüllte oder zumindest in deren weiterem Kontext stand. Dazu gehören die vom König besichtigte Rüstkammer, das Arsenal, die Leibgarde, Trommler, Trompeter sowie die verschiedenen Schiffsmannschaften. 65 Zudem wurden Personen beschenkt, die dem König und seinem Gefolge gedient hatten und Hofämtern vergleichbare Aufgaben verrichteten: die Truchsesse, Speisemeister, Küchenverwalter, Sommeliers, Köche, Kellermeister und Hausdiener. 66 Des Weiteren wurde das Personal des Dogen bedacht, das an der Ausrichtung des Banketts und des Balls im Dogenpalast sowie an zeremoniellen Akten beteiligt war: der Ze- 61 Vgl. L UCANGELI , Successi (wie Anm. 29), 42 und D ELLA C ROCE , Historia (wie Anm. 12), 29. 62 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 20r-21r sowie D ELLA C ROCE , Historia (wie Anm. 12), 12 und 28f. 63 BMCV, Cod. Correr 1427, Cronica veneta, fol. 530r. 64 Vgl. BNMV, Cod. It. VII 164 (7306), Memorie del passaggio per lo stato veneto di Principi e soggetti esteri, fol. 60 und N OLHAC / S OLERTI , Viaggio (wie Anm. 12), 165. 65 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 19v-20r: insgesamt 1.763 Dukaten. 66 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 20r-v: insgesamt 578 Dukaten. Evelyn Korsch 118 remonienmeister, ein Truchsess, die Kammerdiener, Schildknappen, Türsteher, der Siegeldiener, Kommandeure, Pfeifer, Bläser sowie die Organisten und Sänger von San Marco. 67 Eine vierte Gruppe bilden die Personen, die zu Ehren des Königs künstlerisch tätig geworden waren. In der Mehrheit handelt es sich um Oratoren, die Heinrich ihre Werke widmeten. Aber es wurden auch der Hersteller der vergoldeten Zuckerfiguren, ein Sängerpaar sowie Jacopo Tintoretto bedacht. 68 Der Maler hatte für den König drei Porträts angefertigt, von denen Heinrich III. eines Alvise Mocenigo schenkte. 69 Da es als Geschenk nicht in den offiziellen Verzeichnissen aufgeführt ist, bedeutete es eher einen Ausdruck persönlicher Verbundenheit für die Gastfreundschaft, die der Doge dem König und insbesondere dessen Onkel Emanuel Philibert von Savoyen, der im Palazzo Mocenigo logierte, erwiesen hatte. Die fünfte Kategorie umfasst Gaben für kirchliche und karitative Zwecke, wozu auch die Kleriker zählen, die während des Besuchs die Messen gehalten hatten. 70 In der Rechnungsaufstellung vom 31. Juli gibt Du Ferrier den Aufwand für Geschenke mit 13.216 Dukaten an. Es kann davon ausgegangen werden, dass in Du Ferriers Abrechnung noch nicht alle Ausgaben berücksichtigt sind, da diese nicht immer sofort notiert, sondern - wie mehrfach von ihm erwähnt - auch aus der Erinnerung aufgeschrieben wurden. Viele Personen, die dem König in irgendeiner Form dienstbar waren und dafür sicherlich belohnt wurden, erscheinen in dieser Aufstellung nicht, wie zum Beispiel die Theatergruppe I Gelosi, die auf Wunsch Heinrichs nach Venedig gekommen war, zahlreiche Dichter und Oratoren, Musiker, die sich in Dichterkreisen bewegende Kurtisane Veronica Franco, die dem König zwei selbstverfasste Sonette und ein Porträt schenkte, 71 die Gewinner des Faustkampfes oder auch viele Amtsträger von geringerem Rang. Ein Gesamtbetrag von 16.000 Dukaten, wie er von Della Croce genannt wird, ist daher wahrscheinlich. 72 Nach der Abreise des Monarchen verbreitete sich in Venedig das Gerücht, die von ihm verteilten Geschenke wären wesentlich geringwertiger ausgefallen als erwartet. Der ferraresische Botschafter in der Serenissima, Claudio Ariosto, gab diese Meinung in einem Schreiben an den Herzog wieder, fügte jedoch selbst hinzu, er bräuchte für ein Urteil genauere Informationen. Er hätte gehört, dass die Gesamtsumme 4.000 Dukaten nicht überschreite, wobei der Diamantring für den Dogen 67 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 21r: insgesamt 335 Dukaten. 68 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 20v-21v: insgesamt 365 Dukaten. 69 Vgl. C ARLO R IDOLFI , Le maraviglie dell’arte ovvero le vite degli illustri pittori veneti e dello stato, D ETLEV VON H ADELN (Hrsg.), Berlin 1924, Bd. 2, 36f. Im Palazzokomplex der Mocenigo bei San Samuele war das Porträt Heinrichs zusammen mit einem Bildnis des Dogen, ebenfalls von Tintoretto gemalt, gehängt. 70 Vgl. BNF, Fonds français 3321, fol. 21r-v : insgesamt 700 Dukaten. 71 Vgl. Catalogo di tutte le principal et più honorate cortigiane di Venetia, eingeleitet von Silvio Ceccato, M IRELLA T OSO A MBROSINI (Hrsg.), Venedig 1984, 60. 72 Vgl. D ELLA C ROCE , Historia (wie Anm. 12), 29. Geschenke im Kontext von Diplomatie und symbolischer Kommunikation 119 bereits eingeschlossen sei. 73 Dieser Betrag wäre tatsächlich zu niedrig gewesen, um dem Prestige eines Königs gerecht werden zu können. Aber bereits drei Tage später korrigierte Ariosto das Bild. Er hatte inzwischen von Du Ferrier erfahren, dass zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich erst Geschenke im Wert von 4.000 Dukaten verteilt worden waren, aber der König genaue Anordnungen hinterlassen hatte, weitere 10.000 Dukaten auszugeben, und demnach mit einer Gesamtsumme von ungefähr 14.000 Dukaten zu rechnen wäre. 74 7. Schluss Die Verteilung der Geschenke war integraler Bestandteil der während des Staatsbesuchs vollzogenen rites de passage. Erst mittels der rituellen Handlung des Schenkens wandelte sich der gütige und menschenfreundliche Fürst in einen glorreichen König, der sich durch Großzügigkeit auszeichnet. Mit diesem Schritt wurde die magnificentia principis erzielt, die für das Prestige eines Herrschers erforderlich war und in diesem Fall Heinrich für seinen künftigen Rang konditionierte. Es galt einen polnischen Wahlkönig auf die Ebene eines von Gott berufenen Königs von Frankreich anzuheben und seine Funktion als vicarius Dei zu manifestieren. In seiner Eigenschaft als Stellvertreter Gottes auf Erden besaß der Monarch das Privileg, den sozialen Status von Personen zu verändern, indem er sie zum Ritter schlug. Heinrich vollzog diesen zeremoniellen Akt an jedem Ort, an dem er als König empfangen wurde. Da mit dem Ritterschlag wiederum die Übergabe eines Geschenks verbunden war, besiegelte der König kontinuierlich seine Funktion als imago Dei. Die Reise von Krakau nach Paris, die Heinrich als via triumphalis zur Thronbesteigung gestaltete, diente der Legitimierung und Repräsentation seiner neuen Herrscherrolle als rex christianissimus. Der Aufenthalt des Königs in Venedig wurde als aufwendiges „Multimediaspektakel“ inszeniert, mit dem vordergründig der Ehrengast gefeiert wurde, das sich aber im Detail betrachtet als eine Strategie politischer Repräsentation zur Glorifizierung und Legitimierung des venezianischen Staates erwies. Erstmals zog ein französischer Monarch in die Stadt ein und bot damit Venedig eine willkommene Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Die Rolle der Serenissima als Verfechterin des christlichen Glaubens, die 1571 mit Hilfe der Heiligen Allianz die Türken bei Lepanto besiegt hatte, wurde seit 1573, als sie einen Separatfrieden mit dem Osmanischen Reich schloss, von den europäischen Mächten in Frage gestellt. Der Besuch des rex christi- 73 Vgl. Archivio di Stato Modena (ASMo), Cancelleria ducale, Avvisi e notizie dall’estero, b. 8, unnummeriert, Brief von Claudio Ariosto vom 28.7.1574 aus Venedig. 74 Vgl. ASMo, Cancelleria ducale, Avvisi e notizie dall’estero, b. 8, unnummeriert, Brief von Claudio Ariosto vom 31.7.1574 aus Venedig. Evelyn Korsch 120 anissimus konnte zur systematischen Imagepflege eingesetzt werden, um Gerüchten auf politischer Ebene zu begegnen und das Bild Venedigs als christlichen, von Gott begnadeten Staat in der Öffentlichkeit neu erstrahlen zu lassen. So betrachtet war der Besuch Heinrichs ein göttliches Geschenk, auch wenn es die Staatskasse den Gegenwert eines Kriegszuges gekostet hat. II. Akteure Ein Hofnarr als Agent. Zum diplomatischen Geschenkwesen am Hof Philipps II. Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons Der spanische König Philipp II. ist nicht nur als strenger Herrscher und tief gläubiger Verfechter des Katholizismus im Zeitalter der Gegenreformation in die Geschichte eingegangen, sondern auch als leidenschaftlicher Förderer und Liebhaber der Künste. 1 Das eindrucksvollste Zeugnis seiner Kunstpatronage ist der seit den 1580er Jahren errichtete und aufwendig ausgestattete Escorial, ein riesiger Gebäudekomplex, der die Funktionen eines Klosters und einer Herrscherresidenz in sich vereinte. Inventare bezeugen, dass der Monarch in diesem Bau eine Sammlung von geradezu unvorstellbaren Ausmaßen zusammentrug. Diese umfasste, entsprechend der Tradition der Kunst- und Wunderkammern, nicht nur Gemälde und Skulpturen, sondern auch liturgisches Gerät, wissenschaftliche Instrumente, Landkarten, Bücher, Münzen und Medaillen, Möbel, Wandteppiche, Musikinstrumente und zahlreiche weitere wertvolle Artefakte und Raritäten. 2 Nur der geringere Teil dieser vielen Objekte war eigens für die königliche Sammlung angekauft worden, die weitaus meisten waren als diplomatische Geschenke in den Besitz des Hofes gelangt. Mit der Einführung des ständigen Gesandtschaftswesens in ganz Europa ab dem 15. Jahrhundert war der regelmäßige und umfangreiche Austausch von Geschenken ein fester Bestandteil der diplomatischen Beziehungen zwischen den Fürstenhöfen geworden. Dieser Beitrag setzt sich mit einer Reihe von Staatsgeschenken auseinander, die in den 1580er Jahren aus Italien - und insbesondere aus Florenz - an den spanischen Hof gesandt wurden. Dabei geht es nicht in erster Linie um eine objektorientierte Untersuchung der einzelnen Geschenke, sondern vielmehr um die Betrachtung der mit dem Gabentausch verknüpften sozialen Prozesse und kulturellen Praktiken. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei den Modalitäten der Übersendung diplomatischer Geschenke, der Rolle der Mittlerfiguren und dem Spannungsver- 1 Der vorliegende Beitrag ist eine leicht veränderte und ins Deutsche übertragene Version des folgenden Artikels: S USANNE K UBERSKY -P IREDDA / S ALVADOR S ALORT P ONS , Travels of a Court Jester. Gonzalo de Liaño, Art Agent at the Court of King Philip II of Spain, in: Double Agents. Cultural and Political Brokerage in Early Modern Europe, M ARIKA K EBLUSEK / B ADELOCH V ERA N OLDUS (Hrsg.), Leiden 2011, 213-232. Der Aufsatz entstand im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts der beiden Autoren, welches durch das Medici Archive Project und das Getty Grant Program großzügig gefördert wurde. 2 Zu Philipp II. als Kunstmäzen vgl. bes. F ERNANDO C HECA C REMADES , Felipe II: Mecenas de las Artes, Madrid 1993, und R OSEMARY M ULCAHY , Philip II of Spain: Patron of the Arts, Dublin 2004. Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 124 hältnis zwischen Entstehungskontext und Zielkontext der verschickten Gaben zu widmen. Dazu wird von folgenden wiederkehrenden Merkmalen des diplomatischen Geschenkwesens ausgegangen: 1. Der Gabentausch diente der Festigung von politischen Bündnissen, sollte Loyalität und gegenseitigen Respekt unterstreichen, verfolgte aber auch konkrete Repräsentations- und Machtstrategien. 2. Diplomatische Geschenke dienten der Übermittlung nonverbaler Botschaften. Kunstgegenstände eigneten sich besonders gut dazu, sie inhaltlich mit Bedeutung zu befrachten und sie individuell auf einen konkreten Anlass zuzuschneiden. 3. Bei der Auswahl, Darbringung und eventuellen Erwiderung von Geschenken mussten politische Hierarchien ebenso berücksichtigt werden wie die höfische Etikette. 4. Der Impuls für die Vergabe eines diplomatischen Geschenks ging nicht immer vom Geber aus, sondern häufig auch vom Empfänger. Einflussreiche Machthaber konnten es sich leisten, von ihren Untergebenen und Verbündeten konkrete Geschenke einzufordern und dabei gezielt ihre Sammlerinteressen zu bedienen. 5. Um die Auswahl, den Transport und die Übergabe von Geschenken, die zwischen Fürstenhöfen ausgetauscht wurden, kümmerten sich nicht nur Diplomaten, sondern auch andere, inoffizielle Mittlerfiguren aus dem Umkreis des Hofes. 3 In den 1580er Jahren setzte Philipp II. einen äußerst kuriosen Agenten für die Beschaffung diplomatischer Geschenke aus Italien ein, nämlich seinen kleinwüchsigen Hofnarren und Kammerdiener Gonzalo de Liaño, welcher aufgrund seiner kleinen Statur meist nur Gonzalillo gerufen wurde. 4 Dieser unternahm innerhalb 3 Zum diplomatischen Geschenkwesen zwischen Italien und Spanien im 16. und 17. Jahrhundert vgl. E DWARD L. G OLDBERG , Artistic Relations between the Medici and the Spanish Courts, 1587-1621, Part 1, in: The Burlington Magazine 138 (1996), 105-114; Part 2, in: ibid., 529-540; Arte y diplomacia de la Monarquía Hispánica en el siglo XVII, J OSÉ L UIS C OLOMER / S YLVAINE H ÄNSEL (Hrsg.), Madrid 2003; L’Arte del dono. Scambio culturale tra Italia e Spagna, 1550-1650, M ARIEKE VON B ERNSTORFF / S YBILLE E BERT -S CHIFFERER / S U- SANNE K UBERSKY -P IREDDA (Hrsg.), Akten einer Tagung an der Bibliotheca Hertziana, Rom, 14.-15. Januar 2008, (in Vorbereitung, erscheint voraussichtlich 2012). Zum diplomatischen Geschenkwesen am brandenburgischen-preußischen Hof vgl. mit umfangreicher Bibliographie J EANNETTE F ALCKE , Studien zum diplomatischen Geschenkwesen am brandenburgisch-preußischen Hof im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2006. 4 Obwohl kein Dokument dies ausdrücklich belegt, können wir davon ausgehen, dass es sich bei Gonzalo um einen der zahlreichen am spanischen Hof lebenden Zwerge handelte. Die meist gebrauchte Verkleinerungsform seines Namens, Gonzalillo („der kleine Gonzalo“), wie auch seine Bezeichnung als buon huomaccino („guter kleiner Mann“) in einem Brief, legen seine Kleinwüchsigkeit nahe; Archivio di Stato di Firenze (ASF), Mediceo del Principato (MDP) 5113, Bd. 2, fol. 558v, Giulio Battaglini (Monzón) an Piero Usimbardi, 25. August 1585. Auch Bouza nimmt an, dass es sich bei Gonzalillo um einen Hofzwerg handelte; vgl. Cartas de Felipe II a sus hijas, F ERNANDO B OUZA (Hrsg.), Madrid 2005, 125, Anm. 297. Ein Hofnarr als Agent 125 eines Jahrzehnts insgesamt fünf mehrmonatige Reisen nach Italien und importierte von dort alles, was er an Kunstwerken, Kuriositäten und Informationen nur bekommen konnte. Zu seinen Reisezielen gehörten Genua, Turin, Venedig, Mantua, Bologna, Livorno und Rom, besonders lange jedoch hielt er sich am Hof der toskanischen Großherzöge in Florenz auf. Verstreut über verschiedene italienische und spanische Archive haben sich über 150 Briefe erhalten, die Gonzalo de Liaño an Mitglieder der Familie Medici und zahlreiche andere hochgestellte Persönlichkeiten in Italien geschrieben hat. Dieses bislang unbekannte Quellenmaterial bietet faszinierende Einblicke in die Hofkultur und Diplomatiegeschichte der frühen Neuzeit. Äußerlich fällt an den Briefen zunächst Gonzalos große, etwas ungelenke Unterschrift ins Auge, die beweist, dass er selbst - möglicherweise aufgrund körperlicher Missbildungen - des Schreibens nicht mächtig war und seine Briefe einem Schreiber diktieren musste (Abb. 1). Wohl aus diesem Grund reiste Gonzalo 1588 in Begleitung von Fray Pedro Gonzalez durch Italien, wahrscheinlich ein Dominikanermönch, der ihm als Sekretär diente. 5 Stilistisch zeichnen sich die Schriftstücke durch einen überraschend persönlichen Tonfall aus, den der spanische Narr selbst Fürsten gegenüber anschlug. Im Gegensatz zu den sonst üblichen offiziellen und förmlichen Grußformeln verwendet er beispielsweise für Großherzog Francesco I. de’ Medici die schlichte Anrede Serenissimo Granduca y especial amigo. 6 Aufgrund ihrer vielfach anekdotenhaften Züge und ihrer erheiternden und oft derben Inhalte gleichen die Briefe eher Fazetien als diplomatischen Schriftstücken. Zu Zeiten Philipps II. war das Hofnarrenwesen ein seit Jahrhunderten verbreitetes Phänomen. 7 Alle Fürsten, aber auch zahlreiche Adelige und Kleriker hielten einen oder mehrere Narren in ihrem Haushalt, und nicht selten gehörten diese zum engsten Gefolge ihres Herrn. Ebenso scheinen die zahlreichen archivalischen Hinweise auf Gonzalillos enge Freundschaft mit anderen Zwergen des spanischen Hofes, wie beispielsweise Magdalena Ruiz, genannt Madalenica, und Nicolás Castellanos, genannt Arandilla, diese These zu bestätigen; vgl. zum Beispiel ASF, MDP 779, fol. 640, Gonzalo de Liaño (Madrid) an Arandilla, 2. November 1585; ASF, MDP 773, fol. 3, Gonzalo de Liaño (Barcelona) an Francesco I. de’ Medici, 30. Mai 1585; ASF, MDP 781, fol. 126, Gonzalo de Liaño (Monzón) an Francesco I. de’ Medici, 24. August 1585. 5 ASF, MDP 798, fol. 683, Pedro González (Venedig) an Ferdinando I. de’ Medici, 10. Juni 1588. In diesem Brief erwähnt González, dass er in dem venezianischen Dominikanerkloster Santi Giovanni e Paolo untergebracht ist. 6 Vgl. ASF, MDP 760, fol. 43, Gonzalo de Liaño (Madrid) an Francesco I. de’ Medici, 28. März 1583, aber ähnliche Formulierungen auch in zahlreichen anderen Briefen. 7 Zur Geschichte des Hofnarrenwesens vgl. insbesondere W ERNER M EZGER , Hofnarren im Mittelalter: Vom tieferen Sinn eines seltsamen Amts, Konstanz 1981, und M AURICE L EVER , Zepter und Narrenkappe. Geschichte des Hofnarren, München 1983. Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 126 Abb. 1: Brief aus dem Jahr 1584 von Gonzalo de Liaño an Bianca Cappello. Archivio di Stato di Firenze, Mediceo del Principato 5937, f. 70v. (Archivio di Stato, Florenz) Unterschieden wurde zwischen natürlichen Narren und künstlichen Narren, sogenannten Schalksnarren. 8 Zur ersten Gruppe zählten Personen, die körperliche oder geistige Defekte aufwiesen, deren Torheit also krankheitsbedingt war. Als Schalksnarren hingegen bezeichnete man Menschen, die die Narrenrolle auf überzeugende Weise schauspielerisch darstellten, die jedoch in Wirklichkeit nicht geistesgestört 8 Vgl. M EZGER , Hofnarren (wie Anm. 7), 60. Ein Hofnarr als Agent 127 waren. Während die mittelalterliche Narrenidee vornehmlich von echten Verrückten geprägt war, wurden an den Höfen der Renaissance die sogenannten Schalksnarren bevorzugt, die eine geistvollere Unterhaltung des Fürsten garantieren konnten. Über das reine Divertimento seiner Tätigkeit hinaus erfüllte der Hofnarr auch die typologische Funktion eines tragikomischen Gegenbildes des Fürsten. Sein lächerliches Erscheinungsbild trug dazu bei, die Pracht und die Würde seines Herrn besonders herauszustellen. 9 Von den zahlreichen am Ende des 16. Jahrhunderts in spanischen Hofkreisen lebenden Unterhaltungskünstlern, den sogenannten hombres de placer, sind einige auf Einzel- oder Gruppenporträts verewigt worden. Genannt seien beispielsweise zwei Gemälde von Alonso Sánchez Coello, Die Infantin Isabel Clara Eugenia mit der Zwergin Magdalena Ruiz aus dem Prado und die Junge Dame mit Zwerg aus einer spanischen Privatsammlung, aber auch Anthonis Mors Zwerg des Kardinals Granvelle aus dem Louvre (Abb. 2-4). Der hier untersuchte Gonzalo de Liaño konnte bislang mit keinem erhaltenen Bildnis identifiziert werden, doch die erwähnten Darstellungen seiner Zeitgenossen zeugen von dem durchaus ehrwürdigen Erscheinungsbild kleinwüchsiger Höflinge. Neben derartigen offiziösen Porträts finden sich auch intimere Darstellungen, welche Zwerge und Narren in einer Art Momentaufnahme in ihrem privaten Umfeld zeigen, wie beispielsweise das Doppelporträt eines Zwergen und eines Narren aus dem Detroit Institute of Arts (Abb. 5), bei dem die linke Figur offensichtlich identisch ist mit dem Zwerg des Kardinals Granvelle. Obwohl mehrere Forscher den am spanischen Hof lebenden Zwergen und Narren ausführliche Studien gewidmet haben, darunter allen voran José Luis Moreno Villa und Fernando Bouza, ist die Person Gonzalo de Liaños bislang fast vollkommen unbeachtet geblieben. 10 Dies mag auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass die meisten Quellen, in denen er Erwähnung findet, sich in italienischen Archiven befinden, während er in spanischen Dokumenten nur sporadisch genannt wird. Über Gonzalos familiären Hintergrund ist wenig bekannt. Er selbst beansprucht in einem seiner Briefe eine adlige Abstammung, doch stützt keine weitere Quelle diese Behauptung. 11 Wenn auch sein Wirken archivalisch nur von 1579 bis zu seinem 9 M EZGER , Hofnarren (wie Anm. 7), 15-23. 10 Vgl. J OSÉ M ORENO V ILLA , Locos, enanos, negros y niños palaciegos. Gente de Placer que tuvieron los Austrias en la Corte Española desde 1563 a 1700, Mexico 1939; F ERNANDO B OUZA , Locos, enanos y hombres de placer en la corte de los Austrias. Oficio de burlas, Madrid 1996; F ERNANDO B OUZA / J OSÉ L UIS B ETRÁN , Tinieblas vivientes. Enanos, bufones, monstruos y otras criaturas del Siglo de Oro. Magos brujos y hechiceras en la España moderna, Barcelona 2005. Bouza erwähnt Gonzalillo lediglich in einer Fußnote seiner Quellenedition der Briefe Phillipps II., vgl. B OUZA , Cartas (wie Anm. 4), 125, Anm. 297. Mulcahy behandelt Gonzalos Agententätigkeit, jedoch nicht seine Rolle als Hofnarr, vgl. R OSEMARIE M ULCAHY , El arte religioso y su función en la corte de Felipe II, in: Felipe II, un monarca y su época (Ausstellungskatalog), Madrid 1998, 159-183. 11 […] por venir mi hijo de gran linaje como yo vengo; ASF, MDP 5943, fol. 4, Gonzalo de Liaño (Madrid) an Bianca Cappello, 19. August 1586. Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 128 Abb. 2: Die Infantin Isabel Clara Eugenia mit der Zwergin Magdalena Ruíz, Alonso Sánchez Coello, um 1586, 207 x 129 cm, Museo del Prado, Madrid (Museo Nacional del Prado, Madrid) Ein Hofnarr als Agent 129 Abb. 3: Junge Dame mit Zwerg, Alonso Sánchez Coello, um 1580/ 90, Öl auf Leinwand, 149 x 129 cm, Privatsammlung, Madrid (Oronoz, Madrid) Todesjahr 1588 belegt ist, muss sich Gonzalillo bereits in den 1550er Jahren in höfischen Kreisen bewegt haben, denn eine seiner Enkelinnen bezeugt nach seinem Tod, dass er der spanischen Krone mehr als dreißig Jahre lang gedient habe. 12 Ein 12 Doña Mariana de Liaño nieta de Don Gonçalo de Liaño portero de camara que fue del Rey Nuestro Señor Felipe segundo que este en gloria a quien sirbio mas de treinta años en diferentes jornadas; Archivo General de Palacio (AGP), Exp. personales 549, ins. 16, Mariana de Liaño (Madrid) an den Herzog von Nájera, Jaime Manuel Manrique de Lara y Cárdenas, 26. November 1647. Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 130 Abb. 4: Der Zwerg des Kardinals Granvelle, Anthonis Mor, um 1550-60, Öl auf Holz, 162 x 92 cm, Musée du Louvre, Paris (Foto Ojéda, RMN, Paris) Ein Hofnarr als Agent 131 Abb. 5: Zwerg und Narr, Flämisch, um 1550-1575. Öl auf Holz, 64,8 x 53,3 cm, Detroit Institute of Arts (Detroit Institute of Arts) Empfehlungsschreiben des kaiserlichen Botschafters am spanischen Hof, Hans Khevenhüller, an die Kaiserin Maria von Habsburg suggeriert, dass Gonzalo nicht nur für Philipp II. tätig war, sondern zuvor bereits in den Diensten des zukünftigen Kaisers Rudolf II. gestanden hatte, während dieser sich in jungen Jahren in Spanien Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 132 aufhielt. 13 Die beiden Söhne Maximilians II., Ernst und Rudolf, waren von 1563 bis 1571 zu Erziehungszwecken an den spanischen Hof geschickt worden. Wir können annehmen, dass auch Gonzalo zu jener Zeit noch sehr jung war. Ab 1579 wird er in der diplomatischen Korrespondenz zwischen Florenz und Spanien vielfach erwähnt, zunächst als Hofnarr (bufón) des spanischen Königs und später als dessen Kammerdiener (portero de cámara). Philipp II. erhob Gonzalo 1583 anlässlich dessen Hochzeit mit Isabel de Contreras in dieses Amt. 14 Einem Bericht des Medici-Agenten Luigi Dovara zufolge erhielt er als Kammerdiener ein Jahresgehalt von 60 Scudi. Diese Aussage findet Bestätigung in den Rechnungsbüchern des Hofes, in denen sich ab 1583 regelmäßige Zahlungen von rund 20.000 Maravedis pro Jahr als quitación und ayuda de costa nachweisen lassen, eine Summe, die dem besagten Betrag von 60 Scudi entsprach. 15 In den 1580er Jahren verbrachte Gonzalillo viel Zeit in Italien, wo er insbesondere mit dem toskanischen Großherzog Francesco I. de’ Medici und dessen Frau Bianca Cappello enge freundschaftliche Beziehungen pflegte. Neben zahlreichen Geschenken, darunter einer Goldkette im Wert von 50 Scudi, 16 erhielt der Hofnarr während seiner letzten Lebensjahre eine beträchtliche finanzielle Abfindung (provisione) im Wert von circa 100 Scudi pro Jahr von den Medici 17 und wurde von deren Hofschneider komplett neu eingekleidet. 18 Während Gonzalos letzter Italienreise in den Jahren 1587/ 88 sorgte Bianca Cappello zudem dafür, dass 13 El personage que la presente darà a V. Magd. es don Gonçalico, gran criado de su Magd. Cathólica [Philipp II.] y que lo fue tanbién de su Magd. Cesárea [Rudolph II.] al tiempo que estuvo en estos regnos. Suplico a Vuestra Magestad lo conozca por tal y para mandarle tratar por esto y las otras buenas partes que le sopbran y faltan como él merece; Universitätsbibliothek Wien (UBW), Ms./ II 409, Korrespondenz Hans Khevenhüller, Hans Khevenhüller an Maria von Habsburg, fol. 102r, veröffentlicht bei B OUZA , Cartas (wie Anm. 4), 125, Anm. 297. 14 Il buon Gonzaniglio prese moglie, come l’Altezza Vostra facilmente haverà inteso da lui. Et Sua Maestà [Philipp II.] gli ha fatto mercede d’uno officio di portiere di camera, che ne caverà da’ sessanta scudi; ASF, MDP 4914, fol. 717r, Luigi Dovara (Madrid) an Francesco I. de’ Medici, 18. Juli 1583. 15 Vgl. Archivo General de Simancas (AGS), Exp. Personales, 549, exp. 16; AGS, Cuentas de los maestros de cámara 6723; AGS, Casa y Sitios Reales 89, fols. 35-38; AGS, Casa y Sitios Reales 90, fols. 29-30; AGS, Casa y Sitios Reales 110, fols. 24-25. 16 Sempre che Gonzalo de Liaño sia in ordine per mettersi in camino per Italia et che voi ne siete certificato, daretegli una catena di cinquanta scudi a nome nostro; ASF, MDP 5042, ohne Nr., Bianca Cappello (Florenz) an Bongianni di Piero Gianfigliazzi, 30. Oktober 1586. 17 Pagherete a Gonzalo de Liano spagnuolo, et per lui al signor Baldassar’ Suares, scudi cento di moneta l’anno, li quali paghiamo al detto Gonzalo per una provisione assegnatali da noi a beneplacito nostro; ASF, Depositeria Generale 1000, ohne Nr., Zahlungsanweisung von Bianca Cappello an Napoleone Cambi, 30. November 1586. 18 ASF, Guardaroba Medicea (Guard. Med.) 131, fols. 6r und 7v, 6.-9. Februar 1588. Gonzalo erhält sei camice, uno ferraiuolo, una casacca, uno paro di calzoni, una camiciuola und mehrere cappelli. Ein Hofnarr als Agent 133 seiner in Spanien verbliebenen Ehefrau ein täglicher Unterhalt von vier Reali ausgezahlt werde, damit sie die Familie während seiner Abwesenheit ernähren könne. 19 Auch der spanische König war um das Wohlbefinden von Gonzalillos Angehörigen bemüht. Nach dem Tod des Narren im Jahr 1588 bestimmte er, dass dessen Frau sein volles Gehalt noch für weitere zehn Jahre empfangen möge. 20 Die außergewöhnlich privilegierte Stellung Gonzalos in Hofkreisen wird zudem durch die Tatsache belegt, dass der spanische König selbst, aber auch die Kaiserin Maria von Habsburg, Großherzog Francesco de’ Medici und Herzog Vincenzo Gonzaga Patenschaften für seine zwei zwischen 1584 und 1586 geborenen Kinder übernahmen. 21 Gonzalo de Liaño starb am 23. Juni 1588 in Scarperia bei Florenz, wahrscheinlich an den Folgen einer Krankheit, über die er in seinen letzten Briefen bereits klagt. 22 Zum Zeitpunkt seines Todes befand er sich als Begleiter von Herzog Vincenzo Gonzaga und dessen Frau auf dem Weg von Mantua nach Florenz. 23 Wie alle Zwerge und Narren genoss auch Gonzalo de Liaño zahlreiche Freiheiten innerhalb der höfischen Hierarchie und konnte es sich erlauben, die strengen Regeln der Etikette und des Dekorums schlichtweg zu ignorieren. Während andere monatelang auf eine Audienz mit dem König warten mussten, verbrachte er täglich mehrere Stunden alleine mit ihm und seinen Kindern und sorgte für ihr Amüsement mit Spielen und Scherzen, vor allem aber mit ausführlichen Berichten über seine Italienaufenthalte. Philipp II., der als junger Mann selbst durch Italien gereist war, wollte detailliert informiert werden über Kunst und Architektur, über Flora und Fauna, über politische und gesellschaftliche Ereignisse und über das Alltagsle- 19 […] et egli mi ha ricerco che la sua moglie si paghino quattro reali il giorno, perché possa viverne; ASF, MDP 5945, fol. 566r, Vincenzo Alamanni (Madrid) an Bianca Cappello, 19. September 1587; Alla moglie di det[t]o Gonzalo havete fatto bene a dare assegnamento di quattro reali il giorno a conto di que’ cinquanta scudi che vi ordinammo che se gli sborsassero al suo partire; ASF, MDP 5042, ohne Nr., Bianca Cappello (Florenz) an Vincenzo Alamanni (Madrid), 7. Oktober 1587. 20 AGP, Exp. Personales 549, ins. 16, ohne Nr., Zahlungsanweisung von Philipp II., Escorial, 3. September 1588. 21 Philipp II. und die Kaiserin waren die Paten des ersten Sohnes, Felipe, geboren am 3. Mai 1584, vgl. ASF, MDP 5943, fol. 4, Gonzalo de Liaño (Madrid) an Bianca Cappello, 19. August 1586. Für das zweite Kind, geboren am 15. August 1586, übernahmen Francesco I. de’ Medici und Vincenzo Gonzaga die Patenschaft, vgl. ASF, MDP 5046, fol. 509, Francesco I. de’ Medici (Florenz) an Bongianni di Piero Gianfigliazzi, 17. Juli 1586; Archivio di Stato di Mantova (ASMn), Gonzaga 600a, ohne Nr., Priore Cavriano (Madrid) an Vincenzo Gonzaga, 22. August 1587. 22 Für Gonzalos Sterbeurkunde vgl. AGP, Exp. Personales 549, ins. 16. Bezüglich seiner Krankheit vgl. ASF, MDP 796, fol. 248, Gonzalo de Liaño (Florenz) an Ferdinando I. de’ Medici, 14. März 1588. 23 Die Nachricht über seinen Tod in ASF, MDP 5042, ohne Nr., Ferdinando I. de’ Medici (Florenz) an Vincenzo di Andrea Alamanni (Madrid), 28. Juni 1588. Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 134 ben bei Hofe. Mithilfe eines großen Stadtplanes von Florenz illustrierte Gonzalo seine Reiseberichte: Jeden Tag mache ich nichts anderes, als dem König vom Großherzog [Francesco I. de‘ Medici] und der Großherzogin [Bianca Cappello] zu erzählen, und ich berichte ihm genau über die Zeit, die ich dort verbracht habe. Abends vergnügen wir uns mit dem gemalten Florenz, das Ihr mir gegeben habt. Mit einem Stock erläutere ich die Paläste und die Straßen der Stadt, und der König und die Infantin sind darüber so erfreut, dass sie am liebsten selbst dort leben würden. 24 Die sehr intimen Einblicke, die Gonzalillos Korrespondenz in die privaten Mußestunden Philipps II. bietet, lassen den von der Historiographie traditionell als frommen, strengen und humorlosen Menschen charakterisierten Herrscher in einem völlig neuen Licht erscheinen. Deutlich wird zudem, dass ein Hofnarr trotz aller Freiheiten, über die er verfügte, seine Reden den jeweiligen situativen Gegebenheiten und den Erwartungen seines Gesprächspartners anpassen und daher die höfischen Normen des geselligen Gesprächs nicht nur kennen, sondern sie ebenso beherrschen musste wie die Höflinge. Mit seinen Reiseberichten tritt der Narr hier als narratore auf und bedient sich der Kunst des Fazetierens, genauer gesagt, der bei Castiglione als urbanità bezeichneten Form der facezia. 25 Den Infanten vertrieb der Zwerg die Zeit mit Brett- und Kartenspielen, und in mehreren Briefen beschwert er sich über seine daraus resultierenden Spielschulden: Verdammt sei der Diener [...], der ein teuflisches Spiel namens gioco dell’oca [Gänsespiel] mitgebracht hat, das man mit zwei Würfeln spielt […]. Es ist ein Spiel, das man in der Toskana kennt, und Gott gebe, dass der, der es erfunden hat, verbrenne, denn ich habe 40 Golddukaten an den Prinzen, die Infantin und Luis Tristán verloren. 26 Indem Gonzalillo klagend die Figur des ewigen Verlierers mimt, stellt er sich in eine be- 24 Cada dia no trato antél otra cosa sino del granduque [Francesco I. de’ Medici] y la granduquesa [Bianca Cappello]. [...] Florençia que medistes pintada a las tardes nos entretenemos yo con un palo señalo las casas y calles della que rrecibe tanto contento el Rey [Philipp II.] y la Ynfanta [Isabel Clara Eugenia] que les toma gana de bibir en ella; ASF, MDP 775, fol. 504, Gonzalo de Liaño (Monzón) an Francesco I. de’ Medici, 20. Juli 1585. 25 Ma io ho detto nelle facezie non esser arte, perché di due sorti solamente parmi che se ne trovino: delle quali l’una s’estende nel ragionar lungo e continuato; come si vede di alcun’omini, che con tanto bona grazia e cosí piacevolmente narrano ed esprimono una cosa che sia loro intervenuta, o veduta o udita l’abbiano, che coi gesti e con le parole la mettono inanzi agli occhi e quasi la fan toccar con mano; e questa forse, per non ci aver altro vocabulo, si poria chiamar ‚festività‘, o vero ‚urbanità‘; B ALDESAR C ASTIGLIONE , Il libro del Cortegiano, W ALTER B ARBERIS (Hrsg.), Turin 1998, 180f. (II, 43). 26 Yo he hechado maldiçiones a un criado de Luys Dobada [Luigi Dovara] que ha traydo un juedo [juego] endimoniado que se llama el juego de la occa que se juega con dos dados […]. Es juego que se juega en la Toscana que plegue a Dios que quien le hizo yo le vea quemado porque me anganado el Principe [Philipp] y la infanta [Isabel Clara Eugenia] y Luis Tristan quarenta escudos; ASF, MDP 781, fol. 126, Gonzalo de Liaño (Monzón) an Francesco I. de’ Medici, 24. August 1585. Der erwähnte Luis Tristán war ein weiterer Zwerg aus dem Gefolge des Königs, vgl. auch B OUZA / B ETRÁN , Tinieblas vivientes (wie Anm. 10), 81-83. Ein Hofnarr als Agent 135 wusst antithetische Beziehung zum Fürsten. Ein verbreiteter Topos des Narrenwesens bestand darin, das Unglück, die Hässlichkeit oder Dummheit des Spaßmachers so hervorzukehren, dass daneben die Magnifizenz und Würde seines Herrn besonders zur Geltung kamen. 27 Tatsächlich trug Gonzalos selbstmitleidige Theatralik zur Erheiterung Philipps II. bei: Den König amüsiert es, mich verlieren zu sehen. 28 Die Rede- und Handlungsfreiheit der Narren erlaubte ihnen auch einen freizügigen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Gonzalillos Briefe sind gespickt mit Berichten über sein ausschweifendes Liebesleben und mit anderen erotischen Anspielungen. Zuweilen stellt er sich selbst als begehrten Frauenheld dar und schreibt beispielsweise an Francesco I., er habe gerade keine Zeit, einen ausführlichen Brief zu verfassen, da vor der Tür die Damen bereits Schlange stünden. 29 Zugleich schlüpft er immer wieder selbstironisch in die Rolle des unglücklichen Betrogenen. So beschreibt er die Rückkehr von einer seiner Italienreisen nach Spanien folgendermaßen: Am Samstag um acht Uhr traf ich am Hofe ein und wünschte mir nichts sehnlicher, als meine Dame und meine Freunde wiederzusehen, doch passte ich nicht durch die Tür wegen der großen Hörner, die ich bekommen hatte. 30 An die für ihre Schönheit bekannte Großherzogin Bianca Cappello sandte er sogar geheimnistuerische Liebesbriefe, für die jeder andere wohl den Galgen riskiert hätte: Dieses Geschenk kommt von Gonzalico, eurem Geliebten, der überall eure Güte […] rühmt, denn ich bin verliebt in Euch und das bleibe zwischen mir und Euch, und der Großherzog erfahre nichts davon, denn Liebschaften, die nicht geheim sind, sind wertlos. 31 Im Zuge seiner vielen Reisen wurde Italien zu einer zweiten Heimat für Gonzalillo. Sooft er nach Spanien zurückkehrte, schickte er seinen italienischen Freunden Briefe voll schwärmerischer Erinnerungen, beispielsweise an den toskanischen Großherzog: Und wenn ihr mich locktet mit einem Leckerbissen, käme ich zu euch geflogen wie ein Falke, denn ich kann euch sagen, ich sehne mich nach jenen Rotweinen und den Köstlichkeiten, die ihr mir vorsetztet, denn hier wissen wir nicht zu leben. Und ich erinnere mich an den Pilzsalat und an Eure Offenheit und an den Phantasiereich- 27 Zur typologischen Gegenüberstellung von König und Narr vgl. M EZGER , Hofnarren (wie Anm. 7), 15. 28 [...] y gusta el Rey de verme picado; ASF, MDP 781, fol. 126, Gonzalo de Liaño (Monzón) an Francesco I. de’ Medici, 24. August 1585. 29 Esta es toda mi jornada y hago aqui tantas visitas de damas y señoras que por esto no tengo mas lugar para escriviros; ASF, MDP 5036, ohne Nr., Gonzalo de Liaño (Madrid) an Francesco I. de’ Medici, 15. Januar 1583. 30 El sabado a las ocho llegue a esta corte con mas desseo de ver mi dama que no mis amigos, aunque no pude entrar por la puerta por los grandes cuernos que avia; ASF, MDP 5036, ohne Nr., Gonzalo de Liaño (Madrid) an Francesco I. de’ Medici, 15. Januar 1583. 31 Este presente es de Gonzalico vuestro amado que syempre va publicando vuestro valor […] questoy enamorado de vos y esto lo digo entre mi y vos y no lo sepa el Granduque porque los amores sy no son secretos, no son estimados; ASF, MDP 5933, fol. 171, Gonzalo de Liaño (Madrid) an Bianca Cappello, 24. April 1583. Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 136 tum, den es in jenem Land gibt, und an eine meiner vergangenen Liebschaften. 32 Gonzalillos Enthusiasmus ging sogar so weit, dass er nach seiner Hochzeit kurzfristig überlegte, ob er seine frischgebackene Ehefrau nicht lieber in ein Kloster einweisen solle, um nach Italien fliehen zu können. 33 Trotz seiner wahrscheinlich vorhandenen körperlichen Behinderungen ist Gonzalo de Liaño nicht als ein sogenannter natürlicher Narr anzusehen, sondern als Schalksnarr, der entsprechend den an seine Figur traditionell gestellten Erwartungen eine Rolle mimte. Der wichtigste Aspekt war dabei die demonstrative und geradezu penetrante Herausstellung seiner eigenen Lasterhaftigkeit. In bewusster Anlehnung an den christlichen Tugendkodex stellt er sich seinem Publikum als Inkarnation der Sünde dar. Alle sieben Hauptlaster, Superbia, Avaritia, Invidia, Ira, Luxuria, Gula und Acedia, können ihm mühelos nachgewiesen werden. Seine vorherrschenden Eigenschaften sind eine ausgeprägte Spielsucht, eine begeisterte Vorliebe für die Wirtshausfreuden und ein ungezügelter Hang zu erotischen Ausschweifungen. Prahlerisches Eigenlob und eine maßlose Selbstüberschätzung charakterisieren sein Auftreten. In seiner Rolle als Hofnarr unterschied sich Gonzalo de Liaño nicht wesentlich von anderen Vertretern seiner Zunft. Seine Hauptaufgabe bestand im divertimento des Fürsten und des Hofstaats. Zugleich erfüllte er typologische Funktionen, denn durch sein lächerliches Erscheinungsbild und die bewusste Herausstellung seiner Laster verkehrte er die Tugendhaftigkeit des Fürsten ins Gegenteil und machte sich selbst zur Karikatur des idealen Hofmanns. Doch über diese Tätigkeiten hinaus reiste Gonzalo de Liaño auch als Agent und Informant durch italienische Lande, und es stellt sich die Frage, welche Qualifikationen er für eine solche Rolle aufwies. Für Zwerge und Narren waren häufige Ortswechsel eigentlich nichts Ungewöhnliches. Viele von ihnen waren selbst fremdländischer Herkunft 34 und begleiteten ihren Herrn auf dessen Reisen ins In- und 32 Y si me llamays con algun bocado de alla bolaré come açor que yo os prometo que suspiro por aquellos vinos rojos y bocadicos que me davades porque aca no savemos bivir y acordandome de la ensalade de los hongos y de la llaneza que ay por alla y la mucha fantasia que ay en esta tierra y unos amores viejos que yo tengo; ASF, MDP 759, fol. 277, Gonzalo de Liaño (Madrid) an Francesco I. de’ Medici, 15. Februar 1583. 33 Et Sua Maestà gli ha fatto mercede d’uno officio di portiere di camera, che ne caverà da’ sessanta scudi, dove Gonzaniglio, che si vede una spesa continua alle spalle, è già pentio del casamento et tratta di mettere sua moglie in un monistero et venirsene a Italia; ASF, MDP 4914, fol. 712, Luigi Dovara (Madrid) an Francesco I. de’ Medici, 18. Juli 1583. 34 Im Gefolge Philipps II. befanden sich eine deutsche Zwergin namens Catalina la Alemana, nachweisbar von 1577 bis 1603, und eine portugiesische Närrin, die Catalina la Portuguesa genannt wurde, nachweisbar von 1593 bis 1603; vgl. M ORENO V ILLA , Locos (wie Anm. 10), 45f. Der berühmte Zwerg Estanislao nachweisbar vor 1580, war polnischer Herkunft; ebd., 55. Daneben lassen sich dokumentarisch auch Zwerge aus Frankreich, England und Italien am spanischen Hof nachweisen; ebd., 57. Ein Hofnarr als Agent 137 Ausland. 35 Zudem konnte es vorkommen, dass sie für eine begrenzte Zeit alleine an einen anderen Hof geschickt wurden, um dem dortigen Fürsten wie ein Objekt aus dem Bereich der Kuriositäten und Naturwunder vorübergehend zur Verfügung zu stehen. Mit seinem jovialen Charakter und seiner Leidenschaft für Spiele und Scherze war auch Gonzalillo ein willkommener Gast an fremden Höfen und Adelshaushalten, den seine Gastgeber oft nur ungern wieder ziehen ließen. Zahlreiche Briefe belegen die große Beliebtheit des Narren in der italienischen High Society. 36 Fulvia Sforza, Contessa di Santa Fiora, bedauert in einem Brief ausdrücklich, dass der höchst liebenswerte Gonzalillo sich nur einen einzigen Tag in ihrer Villa della Sforzesca aufgehalten habe. 37 Bianca Cappellos Tochter Pellegrino schreibt aus Bologna, dass der Narr für Unterhaltung im ganzen Haus sorge und am liebsten jeden Abend Bälle organisiere. 38 In Rom spielte Gonzalo mit Kardinal Ascanio Colonna und Clelia Farnese, der hübschen Frau Giovanni Giorgio Cesarinis und Geliebten Ferdinando de’ Medicis, ein Kartenspiel namens Piquet. 39 Auch in Turin vertrieb er dem Herzog Carlo Emanuele II. von Savoyen und dessen Frau, der spanischen Infantin Catalina Micaela, die Zeit mit Spielen. 40 Die toskanische Großherzogin Bian- 35 Die Zwergin Magdalena Ruiz beispielsweise war während des Portugal-Aufenthalts des spanischen Königs von 1581 bis 1583 immer an seiner Seite, vgl. B OUZA / B ETRÁN , Tinieblas vivientes (wie Anm. 10), 83, und mehrere andere Zwerge begleiteten ihn auf seiner Fahrt nach England anlässlich seiner Hochzeit mit Mary Tudor, vgl. B OUZA , Locos (wie Anm. 10), 57. 36 Vgl. zum Beispiel ASF, MDP 5930, fol. 261, Giovanni Giorgio Cesarini (Roma) an Bianca Cappello, 4. Mai 1582. 37 Con l’occassione del presente Gonzaniglio gentilissimo, che n’ha favorito in questa nostra Villa della Sforzesca, mi è parso debito mio far riverenza a Vostra Altezza Serenissima per ricordarle la molta divotione et osservanza ch’io le porto, acciò si degni favorirmi de’ suoi commandamenti. [...] Il detto Gonzaniglio non ha voluto star da noi se non un giorno et questo con gran prieghi, et questo per grande ansietà c’haveva di venire da loro Altezze perché altrimente vi sarebbe stato un mese, con gran piacere di tutti; ASF, MDP 5930, fol. 263, Fulvia Sforza (Villa Sforzesca, Provincia di Grosseto) an Bianca Cappello, 7. Mai 1582. 38 Se ne sta qui Gonzalo chon desiderio di vedere Vostra Altezza [...] et oggi a visto giostrare al saracino et l’altra sera si fecie un pocho di festino chon questi di chasa dove Gonzaliglio vorrebbe che ogni sera si ballassi; ASF, MDP 5932, fol. 305, Pellegrina Cappello Bentivoglio (Bologna) an Bianca Cappello, 7. Januar 1584. 39 Yo y el Cardenal Colona [Ascanio Colonna] jugamos al piquete, y ganamos a Zangaleto [Guglielmo Sangalletti] ocho escudos y tan bien jugue con la señora Cleria [Clelia Farnese] aquel mismo dia, y le gane siete escudos que los estime mas que favores de damas; ASF, MDP 5936, fol. 948, Gonzalo de Liaño (Rom) an Bianca Cappello, 15. Juni 1584. 40 Entretengo a Sus Altezas (Carlo Emanuele di Savoia e Catalina de Austria) con jugar a los çientos y como marido y muger se aconsejan y haçen los trampas que pueden me gana mi dinero haçen me mucha merced y regalos; ASF, MDP 797, fol. 104r, Gonzalo de Liaño (Turin) an Ferdinando I. de’ Medici (Florenz), 6. April 1588; Y veo que cada dia a la comida y çena del Granduque gustan de jugar conmigo a los dados y haçenme muchas tranpas y haçenme rapiar y Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 138 ca Cappello fieberte jedem Besuch Gonzalillos schon lange zuvor entgegen und reagierte höchst verärgert, sobald sich seine Anreise verzögerte. 41 Gonzalo de Liaños Aufgaben während seiner Reisen erschöpften sich jedoch durchaus nicht in seiner Rolle als Spaßmacher. Tatsächlich schickte Philipp II. ihn als Beschaffer von Kunstwerken und Kuriositäten nach Italien, die er - nach Möglichkeit in Form von diplomatischen Geschenken - diskret an den spanischen Hof vermitteln sollte. Zudem wurde er als Informant eingesetzt. Für beide Aufgaben kam ihm sein durch die Narrenrolle garantierter Zugang zur höheren Gesellschaft in Italien in jeder Hinsicht zugute. Wenn Gonzalillos offizielle Amtsbezeichnung also die des Hofnarren war, so agierte er hinter den Kulissen zugleich als Mittelsmann. Im Unterschied zu anderen Agenten und Gesandten im zwischenhöfischen Verkehr war Gonzalillo kein sonderlich gelehrter Mann. Er verfügte weder über besondere Erfahrungen im diplomatischen Dienst noch über eine humanistische Bildung. Seine Stärken lagen vielmehr in seiner Menschenkenntnis, seinem freundschaftlichen Verhältnis zur spanischen Königsfamilie, aber auch zu Höflingen, Ministern, Botschaftern und Bediensteten aller Rangstufen. Er kannte deren Geschmack und künstlerische Vorlieben und wusste genau einzuschätzen, welche Kunstwerke oder Luxusartikel bei Hof Gefallen erregen könnten. Auf diese Weise konnte er gezielt in Italien nach angemessenen Objekten Ausschau halten und diese mehr oder weniger direkt als diplomatische Gaben anfordern, wohl wissend, dass die italienischen Verbündeten des spanischen Königs diesem sowieso regelmäßige Tribute zollten und möglicherweise dankbar für Hinweise darauf waren, welche Gaben besonders gerne gesehen waren. Besonders intensiv war Gonzalo de Liaño in den 1580er Jahren in die Beziehungen zwischen der Familie Medici und dem spanischen Königshof involviert, ja er lässt sich in jener Zeit sogar als der Hauptverantwortliche für die Auswahl und Übermittlung von diplomatischen Gaben in beide Richtungen bezeichnen. Seine Beratertätigkeit in Geschenkfragen erschließt sich exemplarisch aus einem Brief von 1583 an Kardinal Ferdinando de’ Medici in Rom: Ich glaube [...], mein Freund Kardinal, dass Ihr mit mir über die Dinge sprechen solltet, die der Herr Giulio [Battaglini] als Geschenke mitbringen soll, denn ich bin ein großer Kenner der Vorgänge am Hof. 42 diçenme palabras descomedidas; ASF, MDP 756, fol. 63v, Gonzalo de Liaño (Florenz) an Kardinal Ferdinando de’ Medici, 7. Juli 1582. 41 La stanza costà di Gonzaliglio hormai è troppa, perché purgandosi hora la Granduchessa mia Signora [Bianca Cappello] conviene, che lui sene ritorni subito, conforme alla promessa che fece al Gran Duca [Francesco I.]; ASF, MDP 5109, Bd. 1, fol. 23r, Antonio Serguidi (Florenz) an Ferdinando I. de’ Medici, 20. April 1582. 42 Pareceme a mi, amigo cardenal, que las cosas que el señor Julio trae para presentar, que lo comunicase conmigo como con hombre que save los negocios de la corte; ASF, MDP 5107, „Gonzalo de Liano“, ohne Nr., Gonzalo de Liaño (Toledo? ) an Kardinal Ferdinando de’ Medici, 14. Januar 1583 (Brief Nr. 2). Giulio Battaglini war Ferdinando de’ Medicis Agent in Madrid. Ein Hofnarr als Agent 139 Das Spektrum der von den Medici nach Spanien geschickten Waren reichte von Gemälden, Skulpturen und anderen Kunstobjekten über Reliquien und Devotionalien bis hin zu Pflanzen, Tieren, wissenschaftlichen Geräten und Medikamenten. Einige der in Gonzalos Korrespondenz erwähnten Objekte können mit heute noch existierenden Stücken in spanischen Sammlungen identifiziert werden. Dazu gehören beispielsweise einige Bilder des Florentiner Hofmalers Alessandro Allori, darunter die im Prado ausgestellte Heilige Familie mit den Heiligen Anna und Franziskus von Paola (Abb. 6) sowie die für den Escorial angefertigte Kopie des wundertätigen mittelalterlichen Verkündigungsfreskos aus der Florentiner Servitenkirche SS. Annunziata (Abb. 7). 43 Ein Brief aus dem Jahr 1582 erwähnt ein Porphyrrelief der Madonna mit dem Kind und ein Ziborium aus Alabaster, die sich beide im Escorial befinden. 44 Das Relief ist dem großen Florentiner Porphyrspezialisten Francesco Ferrucci, genannt Il Tadda, zuzuschreiben (Abb. 8), während das Ziborium wohl aus Volterra stammt, möglicherweise aus der Werkstatt Bartolommeo Rossettis (Abb. 9). Die an ihm angebrachten, in Hinterglasmalerei ausgeführten vier Evangelistenfiguren wurden wahrscheinlich erst in Florenz hinzugefügt. Stilistisch stehen sie dem Maler Francesco Brina nahe. 45 Auch Antonio Santuccis große Armillarsphäre aus der Bibliothek des Escorial erreichte Spanien durch die Vermittlung Gonzalo de Liaños (Abb. 10). 46 Sowohl Francesco de’ Medici als auch Philipp II. hegten ein starkes Interesse für Botanik und züchteten in ihren Gärten seltene und exotische Pflanzen aus aller Welt. Auf Anraten Gonzalillos übersandte der toskanische Großherzog dem spanischen König 1582 eine Reihe von botanischen Zeichnungen von der Hand eines als exzellent geschätzten Malers, 47 identifizierbar wohl mit Jacopo 43 Vgl. S ALVADOR S ALORT / S USANNE K UBERSKY -P IREDDA , Art Collecting in Philip II’s Spain: the Role of Gonzalo de Liaño, King’s Dwarf and Gentleman of the Bedchamber: Part I, in: The Burlington Magazine 148 (2006), 660-665, hier 661-664. 44 Vgl. S ALVADOR S ALORT / S USANNE K UBERSKY -P IREDDA , Art Collecting in Philip II’s Spain: the Role of Gonzalo de Liaño, King’s Dwarf and Gentleman of the Bedchamber: Part II, in: The Burlington Magazine 149 (2007), 224-231, hier 224-227; D IES ., ‘Se bene è cosa ordinaria [...], sarà gratissimo’. Un ciborio di alabastro in dono a Filippo II di Spagna, in: Rassegna Volterrana 84 (2007), 235-248. 45 Die Autoren danken Alessandro Nesi für seine freundlichen Auskünfte bezüglich der Zuschreibungsfrage. 46 Vgl. S ALORT / K UBERSKY , Art collecting, part II (wie Anm. 44), 227. Zur Armillarsphäre vgl. auch M ARIA L UISA R IGHINI B ONELLI , The Armillary Sphere in the Library of the Escorial in Madrid, in: Vistas in Astronomy, A RTHUR B EER (Hrsg.), Oxford / New York 1968, Bd. 9, 35-40. 47 ASF, MDP 259, fol. 32v-33r, 24. Oktober 1582, Francesco I. de’ Medici (Florenz) an Luigi Dovara: […] alcune piante ritratte al naturale fatte per mano d’un nostro dipintore, che è tenuto eccellente; ASF, MDP 760, fol. 584, Gonzalo de Liaño (Madrid) an Francesco de’ Medici, 25. April 1583. Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 140 Abb. 6: Die Heilige Familie mit den Heiligen Anna und Franziskus von Paola, Alessandro Allori, 1585, Öl auf Leinwand, 263 x 201 cm, Museo del Prado, Madrid (Museo Nacional del Prado, Madrid) Ein Hofnarr als Agent 141 Abb. 7: Kopie des Verkündigungsfreskos aus der Florentiner Kirche SS. Annunziata, Alessandro Allori, 1584, Öl auf Leinwand, 263 x 345 cm, Oberer Kreuzgang, Escorial (Patrimonio Nacional, Madrid) Ligozzi, der in jener Zeit als Hofmaler in Florenz beschäftigt und als solcher insbesondere mit der graphischen Dokumentation von Pflanzen und Tieren beauftragt war. Während die nach Spanien versandten Zeichnungen verloren gegangen zu sein scheinen, haben sich im Florentiner Gabinetto dei Disegni e delle Stampe zahlreiche Blätter mit naturwissenschaftlichen Darstellungen aus Ligozzis Werkstatt erhalten (Abb. 11). 48 Bei der bereits erwähnten Karte von Florenz, die Gonzalillo 1585 verwendete, um seine italienischen Reiseberichte vor Philipp II. anschaulich zu illustrieren, handelte es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um ein Exemplar des sogenannten Buonsignori-Plans, der in Florenz nur wenige Monate zuvor erstmals erschienen war und sich durch die detailgetreue axonometrische Abbildung zahlrei- 48 Vgl. zu Ligozzis Zeichnungen: I ritratti di piante di Iacopo Ligozzi, L UCIA T ONGIORGI T OMASI / S ARA F ERRI (Hrsg.), Pisa 1993, und Ligozzi (Ausstellungskatalog, Musée National du Louvre, Paris, 26.1.-25.6.2005), L UCILLA C ONIGLIELLO (Hrsg.), Mailand 2005. Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 142 Abb. 8: Madonna mit Kind (Kopie nach Donatello), Francesco Ferrucci del Tadda, vor 1582, Porphyr, 91 x 84 cm, Sala Capitular Prioral, Escorial (Patrimonio Nacional, Madrid) Ein Hofnarr als Agent 143 Abb. 9: Ziborium mit den vier Evangelisten, vor 1582, Alabaster, teilweise vergoldet, Höhe 85 cm, Escorial (Patrimonio Nacional, Madrid) Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 144 Abb. 10: Armillarsphäre, Antonio Santucci delle Pomarance, 1582, Holz, Metall, Papier, Gips, Blattgold, Höhe 230 cm, Bibliothek, Escorial (Patrimonio Nacional, Madrid) Ein Hofnarr als Agent 145 Abb. 11: Digitalis Purpurea, Jacopo Ligozzi, um 1583, Aquarell auf Papier, 67,5 x 46 cm, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe degli Uffizi, Florenz (Soprintendenza Speciale per il Polo Museale Fiorentino, Florenz) Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 146 cher Florentiner Bauwerke auszeichnete (Abb. 12). 49 Durch die Vermittlung Gonzalillos gelangten zudem zahlreiche Reliquien und Reliquiare aus Italien an den spanischen Hof. Philipp II. war bekannt für seine tiefe Gläubigkeit, und Francesco I. versuchte, dessen Interesse für Devotionalien aller Art mit prunkvollen Erzeugnissen aus den Florentiner Goldschmiedewerkstätten zu befriedigen. Eines der bedeutendsten Stücke war ein wertvolles Reliquiar aus Lapislazuli und Gold, das circa 20 verschiedene Reliquien enthielt. 50 Das Stück ging verloren, doch können einige Bernardo Buontalenti zugeschriebene Entwurfszeichnungen (Abb. 13 und 14) mit diesem Geschenk ebenso in Verbindung gebracht werden 51 wie eine Reihe von Zahlungen an den Florentiner Goldschmied Cencio della Nera. 52 Zudem wird das Reliquiar in den zeitgenössischen Inventaren des Escorial präzise beschrieben. 53 Die 49 Vgl. S ALORT / K UBERSKY , Art collecting, part II (wie Anm. 44), 228f. Zum Buonsignori- Plan vgl. A MELIO F ARA , Stefano Buonsignori, in: Magnificenza alla corte dei Medici. Arte a Firenze alla fine del Cinquecento (Ausstellungskatalog, Palazzo Pitti, Museo degli Argenti, Florenz, 24.9.1997-6.1.1998), Florenz 1997, 305-307. 50 Si come non ho altro oggetto, che di tener viva continuamente la memoria della mia servitù con V. M.tà, così piglio volentieri ogni occasione che mi si presenti per minima che sia, come questa del reliquario, che le mando per il Barbiero di Don Pietro mio fratello [Felice Gattai], non perché io lo stimi degno di V. M.tà, ma perché ella lo tenga come opera fabricata in questa sua casa. Io ci ho accomodato molte reliquie conforme alla nota qui inclusa, et V. M.tà può credere che l’ho cavate di luogo, che son tutte sicure et approvate, et meritano d’essere conservate fra l’altre sue di San Lorenzo; AGS, Estado, Leg. 1451, fol. 131r, Francesco I. de’ Medici (Florenz) an Philipp II., 30. September 1581. Vgl. auch ASF, MDP 321, fol. 121, Francesco I. de’ Medici (Florenz) an Luigi Dovara, 2. März 1580 (moderne Zeitrechnung 1581); ASF, MDP 257, fol. 68r, Zolldokumente für Transport des Reliquiars, 1. Oktober 1581; ASF, MDP 4914, fol. 26v, Luigi Dovara (Lisbon) an Francesco I. de’ Medici, 29. Januar 1582; ASF, MDP 754, fol. 291v, Felice Gattai (Lissabon) an Francesco I. de’ Medici, 14. Februar 1582; AGS, Estado 1451, fol. 154, Francesco I. (Florenz) an Philipp II., 8. September 1583. Einige dieser Quellen wurden bereits veröffentlicht bei M ULCAHY , El arte religioso (wie Anm. 10), 177 und Anm. 51 Gabinetto dei Disegni e delle Stampe degli Uffizi (GDSU) 6880 A (r.), 6881 A und 680 Orn. Vgl. Disegni di architetti fiorentini 1540-1640 (Ausstellungskatalog, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi), A NDREW M ORROGH (Hrsg.), Florenz 1985, 147-149. 52 ASF, Guard. Med. 98, fol. 393v; ASF, Depositeria Generale (Dep. Gen.) 784, fol. 56v; ASF, Dep. Gen. 784, fol. 57v; ASF, Dep. Gen. 784, fol. 60r. 53 Un relicario hecho a manera de humilladero seysabado, con su peana que asienta sobre seys tortugas, y sobre ella otra peana, que assienta sobre seys harpías, y en cada seysabo una piedra lapisláçuli, de dos dedos y medio de largo y medio de ancho [...], y sobre esta peana asientan seys columnas de dicho lapis lázuli, con vasas y capiteles de plata dorada, con arcos del mesmo lapislázuli, con frisso y cornixa, y un zimborio seysabado de plata dorada, y en cada seysabo del zimborrio un óbalo, y en cada óbalo una piedra lapizlázuli [...], y en lo alto del cimborrio por remate la figura de Sanct Lorenço con las parrillas en la mano hizquierda y una palma en la derecha, y en medio de la peana, debaxo del çimborrio, una peana de seys gradas seysabada de plata dorada, y ençima della una buxeta de lapislázuli con peana y tapador de oro esmaltado de diversas colores, y por remate del tapador una cruçetica de christal [...] Tiene de alto hasta la figura media vara [...] El Ein Hofnarr als Agent 147 Abb. 12: Stadtplan von Florenz (Detail), Stefano Buonsignori, 1584, Gravierung, 126,5 x 137,0 cm, Gabinetto delle Stampe e degli Uffizi, Florenz, Inv.nr. 2614 st.sc. (Foto: Pier Gianni Piredda) Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 148 Abb. 13: Entwurf für ein Reliquiar, Bernardo Buontalenti, vor 1581, Feder, Pinsel in Rosa und Gelb, schwarzer Stift auf weißem Papier, 26,8 x 19,4 cm, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe degli Uffizi, Florenz, Inv.nr. 6881 A (Soprintendenza Speciale per il Polo Museale Fiorentino, Florenz) Ein Hofnarr als Agent 149 Abb. 14: Entwurf für ein Reliquiar, Bernardo Buontalenti, vor 1581, Feder, Pinsel in Gelb, schwarzer Stift weißem Papier, 29,8 x 19,8 cm, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe degli Uffizi, Florez, Inv.nr. 6880 A (Soprintendenza Speciale per il Polo Museale Fiorentino, Florenz) Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 150 Liste der von Gonzalillo vermittelten Waren könnte noch lange fortgesetzt werden. Unter anderem umfasste sie auch so kuriose Dinge wie lebendige Krabben, einen Jagdleoparden und ein aus Kräutern hergestelltes Mundwasser. 54 An die Versendung derartiger Arzneimittel von Florenz nach Spanien erinnern einige noch erhaltene und mit dem spanischen Königswappen dekorierte Porzellanampullen aus florentinischer Manufaktur (Abb. 15). 55 In ihrer Gesamtheit bilden die mediceischen Geschenke an Philipp II. einen repräsentativen Querschnitt durch die aktuelle Florentiner Kunstproduktion des späten 16. Jahrhunderts, die sich durch den oft experimentellen Umgang mit verschiedensten handwerklichen Techniken und Materialien auszeichnete. Besondere Berühmtheit erlangten die großherzoglichen Werkstätten aufgrund ihrer Arbeiten in Pietra Dura, ihrer Goldschmiedekunst, aber auch der Glas- und Porzellanherstellung sowie der Teppichwirkerei. Die Geschenkpolitik Francescos spiegelte somit seine eigenen Sammlerinteressen wider, die darauf abzielten, naturalia, artificialia und scientifica als Bestandteile eines universellen Wissenssystems zusammenzustellen und miteinander in Beziehung zu setzen. Mit seinem Studiolo verfügte Francesco de’ Medici in den 1580er Jahren über eines der berühmtesten Kunstkabinette Europas. Auch die zu jener Zeit gerade im Bau befindliche Tribuna der Uffizien sorgte bereits über die Landesgrenzen hinweg für Aufsehen ebenso wie die Villen und Gartenanlagen der Medici. Die an den spanischen Hof versandten Kunstwerke und Luxusartikel waren explizit darauf angelegt, liberalitas, magnificentia und splendor des Medici- Hofes wirkungsvoll in Szene zu setzen und zugleich die Bedürfnisse Philipps II. nach innovativen und prächtigen Sammlerstücken aus Italien für seinen neu errichteten Escorial zu befriedigen. 56 Werfen wir nun abschließend noch einmal einen genaueren Blick auf die Methoden, derer Gonzalo de Liaño sich im Rahmen seiner Agententätigkeit bediente. Wie bereits erwähnt, war die Vergabe eines diplomatischen Geschenks durchaus nicht immer ein freiwilliger Akt. Der Hofnarr ersann schlaue Strategien, um Adelige, qual dicho relicario envió a su Magestad el Duque de Florencia; Inventario de las alhajas, pinturas, y objetos de valor y curiosidad donados por Felipe II al Monasterio de El Escorial (1571-1598), J ULIAN Z ARCO C UEVAS (Hrsg.), Madrid 1930, 84, no. 476. 54 Zum Mundwasser vgl. unter anderem ASF, MDP 4913, fol. 39, Luigi Dovara (Gelves) an Francesco I. de’ Medici, 20. Januar 1580; MDP 259, fol. 32, Francesco I. de’ Medici (Florenz) an Luigi Dovara, 24. Oktober 1582. Zu den Krabben vgl. unter anderem ASF, MDP 5022, fol. 328, Luigi Dovara (Madrid) an Francesco I. de’ Medici, 1. Oktober 1583. Zum Jagdleoparden vgl. unter anderem ASF, MDP 265, fol. 29, Francesco I. de’ Medici (Florenz) an Diego de Cordova, 22. Januar 1584 (moderne Zeitrechnung 1585). 55 Zu den Ampullen vgl. Villa Medici. Il sogno di un cardinale. Collezionisti e artisti di Ferdinando de’ Medici (Ausstellungskatalog), M ICHEL H OCHMANN (Hrsg.), Rom 1999, 218. 56 Zu den mediceischen Sammlerinteressen vgl. bes. Magnificenza alla corte dei Medici (wie Anm. 49). Ein Hofnarr als Agent 151 Abb. 15: Eckige Flasche, Medici-Manufaktur, 1581, Porzellan, 27 x 11 cm, Musée National de Céramique, Sèvres, inv. 5778 (1) (Beck-Coppola, RMN, Paris) Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 152 Kardinäle und Fürsten zur Übersendung bestimmter Gaben nach Spanien zu verpflichten: Oft informierte er nämlich einen auserwählten Schenker vollkommen unvermittelt darüber, dass er dem Empfänger das baldige Eintreffen eines bestimmten Geschenks bereits angekündigt habe, so dass ersterer sich gezwungen sah, das Versprechen tatsächlich zu halten, wenn ihm an seinem guten Ruf gelegen war. Nur eines von vielen Beispielen aus der Medici-Korrespondenz sei an dieser Stelle zitiert. Im Februar 1586 wurde Ferdinando de’ Medici von einem seiner Agenten nahegelegt, der Infantin Isabel Clara Eugenia ein Reliquiar und ein kleines Kruzifix zu schenken. 57 Zwei Monate später bat der Agent erneut, und dieses Mal insistierend, um die Übersendung von Geschenken an die Königstochter. Gonzalillo hatte nämlich bei der Empfängerin bereits Vorfreude auf deren bevorstehende Ankunft erweckt. Der Agent schreibt: Es erscheint mir, dass Gonzalillo uns in die Notwendigkeit versetzt, die Infantin zu beschenken, so wie ich es Euch bereits geraten hatte, denn er hat mittlerweile mit ihr und mit der königlichen Hoheit eine Art Vertrag darüber abgeschlossen […]. 58 Kurze Zeit später erhielt die Prinzessin, gemäß dem unfreiwilligen Versprechen, ein diamantbesetztes Reliquiar und ein goldenes Kreuz. 59 Es ist evident, dass jedes diplomatische Geschenk mit bestimmten Intentionen verknüpft war, nicht selten mit Hoffnungen auf eine Gegengabe oder eine Gegenleistung, doch besagte eine ungeschriebene Regel der Diplomatie, dass diese niemals explizit geäußert werden durften. Francesco de’ Medici ließ sich einen groben Verstoß gegen die höfische Etikette zuschulden kommen, als er im Jahr 1585 ein Staatsgeschenk für den ranghöheren spanischen König mit einer konkreten Forderung einhergehen ließ. Er schickte Philipp II. einen aufwendig gearbeiteten und reich verzierten Kunstschrank aus Ebenholz mit Einlegearbeiten in Pietra Dura, erbat sich jedoch zugleich als Gegenleistung Rohedelsteine, wie sie die Spanier aus der Neuen Welt regelmäßig importierten, offensichtlich um sie anschließend in den Florentiner Hofwerkstätten bearbeiten zu lassen. 60 Seinem Bittschreiben legte er gar 57 Per esempio alla Infante lodariò che si mandasse un reliquiario piccolo da portar sopra di poca spesa ma di bello artificio et con reliquie [Wort unleserlich]. Item alcuna imagine o [über der Zeile: croce o] quadretto esquisito; ASF, MDP 5113, Bd. 2, fol. 692v, Giulio Battaglini (Valencia) an Piero Usimbardi (Rom), 2. Februar 1586. 58 Parmi che Gonzaliglio ci metta in necessità di regalare l’Infante [Isabel Clara Eugenia de Austria], come avisai, perchè è trascorso a stipolarne con lei quasi un contratto et con l'autorità reale, come mi dice di avisare nell'alligata. Già dissi quanto mi pare bene impiegato simil complimento et la qualità di esso. Confirmo il medesimo et a Gonzalo si deve agradire l'officio con l'occasione del compatraggio che offerisce. È buono huomaccino, fa qual cosa et desidera servire, entra per tutto et assai domesticamente; ASF, MDP 5113, Bd. 2, fol. 715v, Giulio Battaglini (Madrid) an Piero Usimbardi (Rom), April (Gründonnerstag) 1586. 59 Vgl. ASF, MDP 4921, fol. 211r, Francesco Lenzoni (Madrid) an Ferdinando de’ Medici, 15. Mai 1591; zitiert bei M ULCAHY , El arte religioso (wie Anm. 10), 174. 60 Für den wahrscheinlich ähnlichen, aber etwas später entstandenen Kunstschrank, den Francesco I. für die Tribuna der Uffizien herstellen ließ, ist immer noch Heikamps Beitrag von Ein Hofnarr als Agent 153 eine Liste der bevorzugten Steinsorten bei: Rubine, Diamanten, Perlen, Spinelle und Saphire. 61 Der Hofnarr Gonzalo de Liaño und der Agent Luigi Dovara erhielten die unangenehme Aufgabe, die vermessene Bitte an den Monarchen heranzutragen. Wohl wissend, dass sie damit einen diplomatischen Zwischenfall riskierten, versuchte Dovara zunächst, Francesco de’ Medici behutsam von seinem Vorhaben abzubringen. Er habe, so schreibt er, Philipp II. in scherzhaftem Ton vorgeschlagen, er solle dem Großherzog etwas zum Arbeiten, das heißt unbearbeitete Edelsteine, schicken, da dieser bekanntlich kein Müßiggänger sei, doch könne der König, der sich zur Zeit auf Reisen befinde, eine adäquate Gegenleistung erst nach seiner Rückkehr an den Madrider Hof erbringen. Zudem sei die Liste mit den erwünschten Steinen auf unerklärliche Weise verloren gegangen. 62 Doch Francesco I. wollte den evidenten Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstehen und beharrte auch nach Erhalt dieses Schreibens weiter auf seinen Forderungen. Das Thema der Gegengabe für den Kunstschrank durchzieht den Briefwechsel zwischen Florenz und Madrid über mehrere Jahre hinweg, bis Gonzalillo schließlich 1587 die Verhandlungen endgültig für gescheitert erklären musste und den Florentinern eine abschlägige Antwort des indignierten spanischen Königs überbrachte: Zwischen Königen und Fürsten ist es nicht üblich, Tauschgeschäfte abzuschließen, war die lapidare Erklärung. 63 Als Beweis seiner Überlegenheit und zugleich Großzügigkeit schickte Philipp II. in der Folgezeit den- 1963 grundlegend: D ETLEF H EIKAMP , Zur Geschichte der Uffizien-Tribuna und der Kunstschränke in Florenz und Deutschland, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 26 (1963), 193- 265. Vgl. auch D ETLEF H EIKAMP , ‘Lo Studiolo Nuovo’, ovvero il tempietto della Tribuna degli Uffizi, in: Splendori di Pietre Dure. L’arte di corte nella Firenze dei Granduchi (Ausstellungskatalog, Palazzo Pitti, Florenz, 21.12.1988-30.4.1989), A NNAMARIA G IUSTI (Hrsg.), Florenz 1988, 53-56; A NNA M ARIA M ASSINELLI , Magnificenze medicee: gli stipi della Tribuna, in: Antologia di Belle Arti 35-38 (1990), 111-134. Den verlorenen Kunstschrank für Philipp II. behandeln kurz A LVAR G ONZÁLEZ -P ALACIOS , Las Colecciones reales españolas de mosaicos y piedras duras (Ausstellungskatalog, Museo Nacional del Prado 2001), Madrid 2001, 20-22, und M ORROGH , Disegni di architetti fiorentini (wie Anm. 51), 148f. 61 ASF, MDP 265, fol. 28, Francesco I. de’ Medici (Florenz? ) an Sebastiàn de Santoyo, 22. Januar 1584 (moderne Zeitrechnung 1585). 62 Sebastiano de Santoio mi dice che il Re gl’ha detto che non vede di poter fare la feria dello scrittoio a suo modo, sino che non sia in Castiglia, cioè a Madrid, che con l’occhio procurerà di contentarsi lui, perché la feria sia a suo modo, havendo là il ricapito per simili affari. Dice Santoio che, se bene hebbe una lista delle cose che disegnava V. A. havere, che quella nota la diede al Re et che non la trovano, che saria bene che V. A. ne mandasse un’altra […]. Io ho detto al Re in burla che mandi cose da lavorare a V. A., acciò il tempo si vadia consumando in far qualcosa, non essendo amico V. A. d’otio; ASF, MDP 5048, fol. 465, Luigi Dovara (Monzón) an Francesco I. de’ Medici, 27. Juli 1585. 63 Las ferias del escritorio del Granduque temo que no se hara, porque entre reyes y principes no se husan ferias; ASF, MDP 5944, fol. 411, Gonzalo de Liaño (Madrid) an Bianca Cappello, 2. Mai 1587. Susanne Kubersky-Piredda / Salvador Salort Pons 154 noch einen wertvollen Smaragd als Geschenk nach Florenz, jedoch ausdrücklich nicht an Francesco de’ Medici, sondern an dessen Frau Bianca Cappello. 64 Neben den diplomatischen Gratwanderungen, die mit dem Gabentausch verbunden waren, beleuchtet diese Episode auch die Bedeutung der für Geschenke verwendeten Materialien. Der Kunstschrank bestand aus Halbedelsteinen, während als Gegenleistung echte Edelsteine verlangt wurden. Die Vermessenheit des Florentiner Großherzogs bestand damit nicht nur in dem Vorschlag eines Tauschgeschäfts, sondern auch in der Missachtung der mit der Materialhierarchie verknüpften semantischen Konnotationen. Gonzalo importierte jedoch nicht nur Waren aus Italien, sondern fungierte zugleich auch als Berichterstatter. Als Hofnarr verkehrte er mit zahlreichen hochstehenden Persönlichkeiten und gelangte dadurch ständig an Informationen, die über offizielle diplomatische Kanäle nicht zu erhalten waren. Alle brisanten Neuigkeiten, derer er habhaft werden konnte, seien es gesellschaftliche Ereignisse, politische Intrigen oder künstlerische Errungenschaften, leitete er an Philipp II. und seine Minister weiter. In einem Brief aus dem Jahr 1587 warnt der Mantuaner Botschafter in Spanien vor Gonzalillos Spionagetätigkeit und empfiehlt Herzog Vincenzo Gonzaga, den Narren durch Überreichung eines Präsents günstig zu stimmen. 65 Auch Antonio Serguidi, Sekretär am Hof der Medici, beschreibt Gonzalo als unsympathischen Intriganten: Gonzadillo ist hier noch nicht eingetroffen, obwohl er bereits sehnsüchtig erwartet wird, und zwar mehr, als er es meiner Ansicht nach verdient. Auch Ihr werdet ihn als schmierigen und geizigen Kerl kennengelernt haben, der sich mit Geheimniskrämerei an den Mann zu bringen weiß. 66 Nur schwer lässt sich beurteilen, inwieweit Philipp II. seinen Hofnarren gezielt auf das Ausspionieren bestimmter Sachverhalte ansetzte. Gonzalillos Reiseberichte schlossen jedenfalls durchaus auch Nachrichten über militärische Errungenschaften der Medici ein, so beispielsweise den Bau neuer Festungen und die Zusammensetzung der großherzoglichen Flotte. So schreibt er 1583: Ich habe ihm [Philipp II.] über die Stadt Livorno erzählt und wie Eure Hoheit [Francesco I.] sie befestigt hat, und wie Eure Hoheit zwölftausend Türken beschäftigt, um zwölf Galeeren zu bewaffnen, und der König drehte sich zu mir um und 64 Uno bello smeraldo di Rocca nuova, il quale l’anno stimato [...] da’ 3 a’ 4 mila scudi; ASF, MDP 1199, ins. 16, fol. 1510, Don Pietro de’ Medici (Madrid) an Antonio Serguidi, Duplikat eines Briefes vom 31. Juli 1587. Wegen ihres unerwarteten Todes am 20. Oktober 1587 konnte Bianca Cappello den Edelstein allerdings nicht mehr in Empfang nehmen. 65 Sarà bene regalarlo, perché a dirlo a Vostra Altezza liberamente, io credo ch’egli venga piutosto per spiare che per altre cose come egli dice. Questo solo dirò a Vostra Altezza che Sua Maestà [Philipp II.] gli crede assai, e ragiona con esso longamente e d’ogni sorta di cose; ASMn, Gonzaga 600a, ohne Nr., Priore Cavriano (Madrid) an Vincenzo Gonzaga, 22. August 1587. 66 Dico a V. S. che Gonzadillo non è ancora comparso, se bene è stato desiderato, più di quello che mi paia revochi la qualità sua, elle lo haranno conosciuto per un sudicio fante, avaro, et che col parlar’ in secreto sa vendere la sua mercantia, la quale si spacua qua troppo; ASF, MDP 5109, Bd. 1, fol. 45, Antonio Serguidi (Livorno) an Kardinal Ferdinando de’ Medici, 9. Mai 1582. Ein Hofnarr als Agent 155 fragte, ob es tatsächlich zwölftausend Türken waren, und ich antwortete ihm, dass es genauso sei, wie es ich gesagt hatte. [...] Und ich habe ihm auch über Elba berichtet und über die Festungen, die Ihr dort besitzt, und über deren Bedeutung für die gesamte Christenheit. 67 Gonzalo de Liaños Korrespondenz verdeutlicht, dass es nicht immer nur Diplomaten waren, die als Agenten beim Austausch von Staatsgeschenken tätig waren, sondern auch andere Persönlichkeiten aus dem höfischen Kreis. Gonzalo de Liaño gehört mit seinen unterschiedlichen Funktionen als Hofnarr, Zwerg, Kammerdiener und Kurier zu den in der neueren Forschung als double agents bezeichneten Figuren, Agenten also, die sich gerade durch ihre vielfältige Einsetzbarkeit auszeichneten. Viele seiner Charakteristika stimmen mit denen überein, die Keblusek zufolge das Profil des frühneuzeitlichen Agenten überhaupt ausmachen: eine gewisse Ausstrahlung, organisatorische und soziale Fähigkeiten, gute Fremdsprachenkenntnisse, aber auch Mobilität sowie die Bereitschaft, unterschiedliche Aufgaben gleichzeitig zu erledigen. 68 Als kultureller Mittler zwischen Italien und Spanien kann Gonzalillo in dreierlei Hinsicht gesehen werden: Zum ersten kümmerte er sich um die Beschaffung, den Transport und die Überbringung von diplomatischen Geschenken in beide Richtungen, wobei ihm seine Narrenqualitäten, insbesondere sein Witz und seine Menschenkenntnis, sehr zugute kamen. Zum zweiten übermittelte Gonzalo de Liaño neben Gütern auch Informationen. Aufgrund seines persönlichen Verhältnisses zu zahlreichen hochstehenden Persönlichkeiten konnte er Europas mächtigsten Herrscher darüber auf dem Laufenden halten, was in Italien hinter den Kulissen und außerhalb der offiziellen diplomatischen Berichterstattung vor sich ging. Ob er über toskanische Gesellschaftsspiele, Vogelfangmethoden, Rezepturen zur Medikamentenherstellung oder die Brunnenanlagen der Medici-Gärten berichtete, immer beeinflusste er mit seinen Importen auch die spanische Hofkultur. Zum dritten schließlich fungierte Gonzalo nicht nur als Vermittler von Kulturemen, sondern war selbst auch ein Objekt des kulturellen Austausches, wenn er nämlich als Hofnarr und menschliche Kuriosität gleichsam selbst wie ein Sammlerstück aus der Welt der Mirabilia von einem Hof zum anderen geschickt wurde. 67 [H]e dado tan buena relaçion al rrey [Philipp II.] que esta espantado, dijele della ciudad de Liorne [Livorno] y como Vuestra Alteza [Francesco I. de’ Medici] la fortaleçe y como tiene Vuetra Alteza docemille turcos para armar doce galeras y bolviome el rey a rretificar si eran docemill turcos y yo le respondi que era como le abia dicho. [...] Y tanbien le conte de la Helba [Elba] y de los castillos que tiene y de la ynportancia que son para toda la xpianidad [cristiandad]; ASF, MDP 760, fol. 423, Gonzalo de Liaño (Madrid) an Francesco I. de’ Medici (Florenz), 4. April 1583. 68 M ARIKA K EBLUSEK , Introduction. Profiling the Early Modern Agent, in: Your Humble Servant: Agents in Early Modern Europe, H ANS C OOLS / M ARIKA K EBLUSEK / B ADELOCH N OLDUS (Hrsg.), Hilversum 2006, 9-16, hier 11. Diplomatische Agenten und der europäische Luxuswarenhandel im späten 17. Jahrhundert 1 Corinne Thépaut-Cabasset J’aime le luxe, et même la mollesse, Tous les plaisirs, les arts de toute espèce, La propreté, le goût, les ornements: Tout honnête homme a de tels sentiments. Il est bien doux pour mon coeur très immonde De voir ici l’abondance à la ronde, Mère des arts et des heureux travaux, Nous apporter, de sa source féconde, Et des besoins et des plaisirs nouveaux. L’or de la terre et les trésors de l’onde, Leurs habitants et les peuples de l’air, Tout sert au luxe, aux plaisirs de ce monde. Voltaire, Le Mondain, 1736. 1. Einführung Das Jahrzehnt zwischen 1670 und 1680 war die Zeit der Entwicklung und Verbreitung der „neuen französischen Mode“, die durch die Presse, 2 durch Adressbücher 3 sowie Reiseführer 4 bekannt wurde, da diese entsprechende Werbung enthielten und die Adressen von Händlern und Handwerkern in Paris angaben. Die Veränderung der Mode und die Entwicklung der Luxusindustrie waren auf vielfältige Weise mit einer allgemeinen Verfeinerung der Lebensführung verbunden; das Verlangen nach Neuem und der Überfluss traten an die Stelle der unentbehrlichen und notwendigen Dinge und begannen die sozialen Hierarchien zu markieren. Technische Innovationen, der Reichtum der Materialien, hervorragende Fachkenntnisse sowie die vorzügliche Qualität des Gewerbes ließen Frankreich und insbesondere Paris zu einer Hochburg der Herstellung von Luxuswaren und des Luxuswarenhandels werden. Dies gilt insbesondere für Textilien und Bekleidung, 1 Der Text wurde von Tanja Metzger, Mark Häberlein und Christof Jeggle aus dem Französischen übertragen. 2 C ORINNE T HÉPAUT -C ABASSET , L’Esprit des modes au Grand Siècle, Paris 2010. 3 T HÉPAUT -C ABASSET , L’Esprit des modes (wie Anm. 2). 4 G ILLES C HABAUD , Images de la ville et pratiques du livre: Le genre des guides de Paris (XVIIe- XVIIIe siècle), in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 45, 2 (1998), 323-344. Corinne Thépaut-Cabasset 158 Möbel und Karossen, aber auch für die Weiterentwicklung des Kunsthandwerks und der gewerblichen Produktion im Allgemeinen. In seinem Buch „Spione und Botschafter“ hebt Lucien Bély im Kapitel über den passeport hervor, dass der Bereich der Kleidermode und der Bekleidungsgewerbe der dynamischste Sektor in Paris zu Beginn des 18. Jahrhunderts war. Seine Auswertung der passeports, die für Handwerker ausgestellt wurden, welche sich im Jahre 1712 nach Paris begaben, zeigt, dass das Schneiderhandwerk die wichtigste Gruppe bildete; dies lässt die Annahme zu, dass ein Aufenthalt in Paris eine notwendige Etappe während der Ausbildung in einem Modegewerbe darstellte. 5 Die Errichtung königlicher Manufakturen sollte die Vorrangstellung französischer Waren sowie die Ausschaltung ausländischer Konkurrenz durch das Bemühen um die Sicherung und Verbesserung der auf dem Markt erhältlichen Produkte gewährleisten. 6 Die Verbreitung dieser Erzeugnisse in Europa profitierte von den internationalen Handelsnetzwerken, den finanziellen Kreisläufen und den zwischenstaatlichen politischen Kanälen, in denen Mittelsmänner, insbesondere diplomatische Agenten als autorisierte Vertreter ihrer jeweiligen Höfe, eine zentrale Rolle spielten. Die Fürsten zögerten nicht, ihre Bankiers, Gesandten, Agenten und Botschafter in Paris damit zu beauftragen, ihnen möglichst genaue Auskünfte über die Neuheiten, die am Hof von Versailles und in der Stadt Paris erschienen, zu senden und vollständige Garderoben sowie alle möglichen Luxuswaren zu liefern. Die königlichen und fürstlichen Sammlungen, die bis heute in Schweden, Dänemark und in Sachsen aufbewahrt werden, legen davon ein eindrucksvolles Zeugnis ab. 7 Für das Königreich Frankreich ist dieser Zeitraum durch die Bildung mehrerer dynastischer Allianzen geprägt, darunter jene des Kronprinzen Louis (1661-1711) mit der bayerischen Prinzessin Maria Anna Christina (1660-1690). Der im Januar 1680 abgeschlossene Heiratsvertrag besiegelte zugleich den letzten Verhandlungspunkt des Vertrages von 1670 zwischen Frankreich und Bayern. 8 Die Aushandlung der Verbindung zwischen der Schwester des späteren Kurfürsten Max Emanuel 5 L UCIEN B ÉLY , Espions et ambassadeurs au temps de Louis XIV, Paris 1990, 649. 6 P IERRE D EYON , La production manufacturière en France au XVIIe siècle et ses problèmes, in: XVIIe siècle 70-71 (1966), 47-63. 7 L ENA R ANGSTRÖM , Modelejon Manligt Mode 1500-tal 1700-tal, Stockholm 2002. Siehe auch den Ausstellungskatalog Fastes de cour et cérémonies royales. Le costume de cour en Europe 1650-1800, P IERRE A RIZZOLI -C LÉMENTEL / P ASCALE G ORGUET B ALLESTEROS (Hrsg.), Paris 2009. 8 Die Heirat der erstgeborenen Prinzessin von Bayern und des französischen Kronprinzen war Bestandteil des Vertrags von 1670 zwischen Ludwig XIV. und Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern; vgl. France-Bayern. Bayern und Frankreich: Wege und Begegnungen. 1000 Jahre bayerisch-französische Beziehungen / France-Bavière : allers et retours. 1000 ans de relations franco-bavaroises, Austellungskatalog, Waakirchen / Paris 2006; T HOMAS N ICKLAS , Unir de cœur et d’interest. La Bavière, la Savoie, la France et le choix des princesses au XVIIe siècle, in: XVIIe siècle 243 (2009), 257-266. Diplomatische Agenten und der europäische Luxuswarenhandel 159 (1662-1726) und dem Sohn Ludwigs XIV. sowie die sich anschließende Heirat bildeten den Höhepunkt der Beziehungen zwischen beiden Mächten. Der vorliegende Aufsatz nimmt dieses Ereignis und die Verbindung zwischen seinen Protagonisten zum Ausgangspunkt einer Untersuchung der Rolle diplomatischer Agenten beim Ankauf und Transport von Luxusgütern an einen ausländischen Hof. Die Wahl des Fallbeispiels Bayern war aufgrund der Entdeckung reichhaltigen Quellenmaterials und außergewöhnlicher Dokumente nahe liegend. 9 Dabei handelt es sich einerseits um politische Dokumente rund um die fürstliche Eheschließung, die in den Archiven des Außenministeriums in Paris überliefert werden, und andererseits um die Korrespondenz des ständigen Gesandten des bayerischen Kurfürsten in Paris, Martin Mayr, welche im Hauptstaatsarchiv München aufbewahrt wird. Die Erforschung politischer Korrespondenzen ist für die Analyse des kulturellen und wirtschaftlichen Austauschs zwischen Höfen von großem Nutzen. Auf der Basis der Korrespondenz diplomatischer Agenten, insbesondere jener des schwedischen Gesandten Daniel Cronström mit dem Hofarchitekten Nicodemus Tessin d. J., untersuchte Roger-Armand Weigert beispielsweise die künstlerischen Beziehungen zwischen Frankreich und Schweden. 10 Diese Fallstudie konzentriert sich auf mehrere Verzeichnisse von Kleidungsstücken, die für Kurfürst Max Emanuel von Bayern bestimmt waren und sich unter den politischen Unterlagen befinden. Diese Aufstellungen demonstrieren den Einfluss der französischen Kleidermode und den Erfolg dieser Güter an einem ausländischen Hof. Die Dokumente liefern präzise quantitative und qualitative Nachweise und informieren uns über die Zusammensetzung der fürstlichen Garderobe, die ansonsten nur sehr selten überliefert ist und für die mit Ausnahme einzelner Konten oder Auszüge von Lieferantenquittungen, die in den Archiven verstreut sind, häufig keine Inventare mehr existieren. Die Korrespondenz Martin Mayrs von Oberschellang, des ständigen Vertreters des bayerischen Kurfürsten in Frankreich von 1673 bis 1689, 11 mit Caspar Hueber, dem Rat und Sekretär des Kurfürsten in München, sowie jene des französischen 9 Ich danke dem Centre Interdisciplinaire d’Études et de Recherches sur l’Allemagne und Herrn P. Arizzoli-Clémentel für die Möglichkeit, 2008 in den Archiven in München die notwendigen Recherchen durchführen zu können. 10 R OGER -A RMAND W EIGERT / C ARL H ERNMARCK , Les relations artistiques entre la France et la Suède, 1693-1718. Nicodème Tessin le jeune et Daniel Cronström. Correspondance (extraits), Stockholm 1964. Vgl. auch den Beitrag von Martin Pozsgai in diesem Band. 11 Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Geheimes Hausarchiv (im Folgenden BayHStA, GHA), Kasten schwarz (im Folgenden KS), 6470. Meyer, envoyé, qui avait eut sa première audience le [...] prit audience de congé le 25 février 1677; Liste des ambassadeurs français à l’étranger et étrangers en France, Bibliothèque Nationale de France (im Folgenden BnF), naf 5217. Corinne Thépaut-Cabasset 160 Botschafters in München, De la Haye-Vantelt, 12 mit Ludwig XIV. und dem Staatssekretär des Außenministeriums in Paris bereichern die in den überlieferten passeports enthaltenen Informationen in besonderer Weise. Das Korpus von mehreren hundert Briefen, das während der vierzehnjährigen Tätigkeit Mayrs in Paris als Gesandter des bayerischen Kurfürsten entstand, kommentiert ebenso detailliert wie farbig den Luxuswarenhandel im Paris des späten 17. Jahrhunderts. Über weite Strecken geht es um Aufträge des Kurfürsten, die Durchführung von Einkäufen, Verhandlungen mit Kaufleuten und Handwerkern, Interventionen der Dauphine, die administrative und finanzielle Praxis der Deklarierung der von Paris nach München übersandten Gegenstände sowie die Erlangung der notwendigen passeports. 2. Kleiderlisten: Die zur Ausfuhr der Luxusgüter erforderlichen Dokumente Die in den Akten als königliche und fürstliche Sachen bzw. Kleidungsstücke genannten Güter bezeichnen dem Wörterbuch Antoine Furetières zufolge Gewänder und tragbare Möbel, [...] die man auf Reisen als Gepäck mit sich führt. 13 Wenn solche Gebrauchsgegenstände aus dem Königreich exportiert werden sollten, mussten sie deklariert werden und unterlagen Bestimmungen hinsichtlich ihrer Gebührenfreiheit. Sie durften nur mit entsprechenden Zollpapieren, einer Art Geleitschein, oder passeports gehandelt werden. Diese passeports oder Passierscheine wurden nicht systematisch aufbewahrt. Obwohl diese Dokumente die Waren begleiteten und die ganze Ausfuhr von Luxusgütern regulierten, sind sie nur sehr selten untersucht worden. 14 Das Fallbeispiel Bayerns ist außergewöhnlich, da in den diplomatischen Archiven zehn passeports aufbewahrt werden, die zwischen 1680 und 1687 ausgestellt wurden und die Versendung von Waren betreffen, welche vom Kurfürsten in Paris bestellt wurden. Es handelt sich um summarische Listen von Gewändern, Stoffen, Accessoires (Perücken, Schuhe, Handschuhe, Strümpfe, Stöcke, Kämme, Rasiermesser, Scheren), Kosmetik- und Pflegeartikeln (Scheren, Nadeln, Puder, Essenzen, 12 De la Haye de Ventelet war Botschafter in Konstantinopel gewesen und wurde im März 1675 zum außerordentlichen Gesandten in München ernannt. Der König gewährte ihm dafür monatlich 1.000 Livres reguläre Einkünfte, weitere 6.000 Livres als außerordentliche Einkünfte und häufige Gratifikationen. Er blieb bis 1684 dort, dann wurde er zum Botschafter in Portugal ernannt; Liste des ambassadeurs français à l’étranger et étrangers en France, BnF, naf 5217. 13 […] habits & meubles portatifs, [...] & dont on fait des paquets, lorsqu’on voyage […]; Hardes, in: A NTOINE F URETIÈRE , Dictionnaire universel contenant tous les mots François, tant vieux que modernes, 3 Bde., Den Haag 1690, Bd. 2, o. S. 14 Vgl. B ÉLY , Espions et ambassadeurs (wie Anm. 5), Teil 3, Kap. IV, 610-653. Diplomatische Agenten und der europäische Luxuswarenhandel 161 ungarisches Wasser), aber auch Kunstgegenständen (Gemälde und Porträts), Objekten der Goldschmiedekunst (Toilettengarnituren und Möbel aus Silber, goldene Dosen, Uhren und Juwelen), Möbeln, Equipagen (Karossen, Pferdegeschirre), Jagd- und Zierwaffen (Messer, goldene Degen), Kästchen und Kassetten, Etuis in verschiedenen Formen und Größen, Musiknoten und Musikinstrumenten, Büchern, Lebensmitteln (Schokolade, Konfitüren) und der Rest alter Kleidungsstücke. 15 Diese Aufstellungen deklarieren und führen die beschriebenen Waren, abgesehen von ihrer Menge, Anzahl, Qualität, Material und Farbe, lediglich summarisch auf. Lucien Bély bemerkt, dass „der passeport politischen oder polizeilichen, aber keinen wirtschaftlichen Kontrollen diente“, 16 und in der Tat ist in den vorliegenden Dokumenten kein monetärer Wert angegeben. In den hier ausgewerteten passeports stellt die Kleidung den wichtigsten Teil der übersandten Gegenstände dar. Zum großen Teil handelt es sich um Männerkleidung, aber es wird auch Frauen- und sogar Kinderkleidung genannt. Es handelt sich um vollständige Gewänder, Westen, enge Überröcke, Mäntel, Röcke, Vorder- und Rückenteile sowie Strümpfe (im Dutzend), Schuhe (mehrere Paare), Hüte (ebenfalls im Dutzend), Stiefel (mehrere Paare) und Handschuhe (mehrere Dutzend Paare), ferner um Accessoires und Kleiderzierrat (wie Besatzstücke, Spitzen, Faltenbesatz und Bänder). Hinzu kommen Hutschmuck aus Federn, Mützen und Hauben sowie Morgenmäntel aus Indiennestoff, gros de Tours, Brokat oder chinesischem Satin, 17 weiterhin Stoffbahnen für die Anfertigung von Kleidung, zum Beispiel Tuch für enge Überröcke, mit dem man die Empfänger entsprechend der örtlichen Gewohnheiten einkleiden konnte, anstatt sie fertig aus Paris kommen zu lassen, sowie Krawatten und Schleifen aus Bändern, Fransen und Borten, Schals und Stolen und schließlich große bekleidete Puppen, die als Spielzeug, aber auch als Kleidermodelle dienten. 18 Die in diesen Kleiderlisten genannten Materialien sind ausgesprochen kostbar: Vorherrschend sind Stickereien, Gold und gesponnenes Silber sowie Seide, Brokat oder Wolle, ferner Hüte aus Biberpelz, feine Spitze aus Flandern, Verzierungen mit französischen und metallische Spitzen mit spanischen Stickmustern. Die Stoffe hatten verschiedene Farben, von denen manche besonders kostbar waren. Vieles war in Weiß und Schwarz (mit Goldknöpfen), aber auch in Grau gehalten, und es zeigen sich Vorlieben für bestimmte Farben: die Feuerfarben Rosa und Scharlachrot für Futterstoffe, Violett für Westen, Blau für enge Überröcke, Streifenmuster für Krawatten sowie Blau, Grau, Grün, Weiß und Schwarz für Damenbekleidung. 15 Archives des Affaires Étrangères Paris (im Folgenden AAE), C.P. Bavière supplément 1, f. 209. 16 B ÉLY , Espions et ambassadeurs (wie Anm. 5), 643. 17 Siehe das Glossar in T HÉPAUT -C ABASSET , L’Esprit des modes (wie Anm. 2), 128. 18 Vgl. Barbara S PADACCINI -D AY , La poupée, premier mannequin de mode, in: Fastes de cour et cérémonies royales (wie Anm. 7), 226-230. Corinne Thépaut-Cabasset 162 Schließlich werden auch große Mengen an losem Zubehör wie Ärmeln und Manschetten sowie bestickte Gegenstände wie Wehrgehänge, Sättel und Satteldecken genannt. 3. Sicheres Geleit und Zollfreiheit als königliche Gunst: Die Kontrolle der Waren Der Vertrieb dieser kostspieligen und wertvollen Güter außerhalb des Königreichs stand unter strenger Aufsicht der königlichen Behörden und erforderte ein durch diese Behörden ausgestelltes Dokument. Antoine Furetière definiert den passeport als den „Brief oder das Patent eines Fürsten oder kommandierenden Offiziers, um einer Person auf Reisen Freiheit, Sicherheit und sicheres Geleit zu geben, damit diese sich in ihrem Land ungehindert bewegen, es verlassen und wieder betreten kann.“ 19 Diese Warenverzeichnisse können als passeports oder Passierscheine für Waren und Gepäck des Königs gelten, es handelte also um behördliche Zertifikate für den freien Warenverkehr mit offizieller Genehmigung. Die Aufstellung der Waren wurde von einem Kommissar der Pariser Zollbehörde inspiziert und ihre Echtheit bestätigt; es handelte sich demnach um ein Zolldokument für die Ausfuhr von Waren, die eine Zollerklärung erforderten. Das durch die Behörden autorisierte Dokument stellt „einen souveränen Akt, einen Ausdruck des königlichen Willens“ dar, 20 welcher es gestattete, dass die im Dokument angegebenen Güter, die von Paris nach München geliefert wurden, „in aller Sicherheit passieren“ konnten. Allen Gouverneuren wurde damit befohlen, die Durchfuhr nicht zu behindern, und die Grenzbeamten wurden angewiesen, keine Gebühren auf die Ein- und Ausfuhr der beschriebenen Objekte zu erheben. 21 Man kann diese Aufstellungen also als eine Art Gepäcklisten betrachten, die durch den Umstand der Befreiung von Abgaben den Status von Diplomatengepäck erhielten - frei von rechtlichen Verpflichtungen und frei beweglich innerhalb und außerhalb des Königreiches. Nach Prüfung und Bestätigung durch den Zollverantwortlichen wurden die Listen dem König zur Unterschrift vorgelegt. Die für einen ausländischen Fürsten bestimmten Kleidungsstücke, bei denen es sich um wahre Luxusgegenstände handelte, entgingen auf diese Weise und durch ihren besonderen Status dem Zoll. 22 Diese Freistellung stellte einen königlichen Gunsterweis dar, der auf den Kreis der souve- 19 […] Lettre ou brevet d’un Prince ou d’un Commandant, pour donner liberté, seureté, & saufconduit à quelque personne pour voyager, entrer, & sortir librement sur ses terres [...]; Passeport, in: F URETIÈRE , Dictionnaire universel (wie Anm. 13), Bd. 2, o. S. 20 B ÉLY , Espions et ambassadeurs (wie Anm. 5), 611. 21 AAE, C.P. Bavière, suppléments 1 et 2. 22 Dieselbe Beobachtung findet sich bei B ÉLY , Espions et ambassadeurs (wie Anm. 5), 635. Diplomatische Agenten und der europäische Luxuswarenhandel 163 ränen Herrscher, ihrer nahen Angehörigen und Vertreter beschränkt war. Sie sollte ein Zeichen des Wohlwollens und Ausweis internationaler Verpflichtungen sein, denn die Gebührenbefreiung wurde auf Rechnung des Königs erteilt. 23 Diese königliche Gunst stellte nach Aussage des bayerischen Gesandten in Paris im Jahr 1685 eine Ersparnis von sechs Prozent des Warenwerts der übersandten Güter und damit eine beträchtliche Summe dar. 24 Martin Mayr verwandte seine Sorgfalt und seinen Fleiß darauf, um Seiner Kurfürstlichen Hoheit die beträchtlichen Gebühren zu ersparen, die man ansonsten für alle Einkäufe bezahlen müsste, 25 denn ohne königlichen passeport wären Zollgebühren an die Generalpächter der Zolleinnahmen zu entrichten gewesen. Sobald der Inhalt beim Zoll deklariert worden war, garantierte der passeport, dass die versiegelten Kisten, Ballen und Pakete unterwegs nicht geöffnet wurden. Die Dauphine kümmerte sich beständig darum, dass die ihrem Bruder, dem Kurfürsten, zugesandten Pakete oder Gepäckstücke nicht nach der Versiegelung nochmals geöffnet wurden. Der bayerische Vertreter wies in seiner Korrespondenz wiederholt darauf hin, dass dies ein besonderes Anliegen der Dauphine war. Nachdem er im Februar 1686 die Kleidungsstücke, welche die Dauphine nach München schicken ließ, vom zuständigen Zollbeamten hatte untersuchen lassen, verpflichtete sich Mayr, dafür Sorge zu tragen, dass keinerlei Öffnung erfolgt. 26 Der durch seinen diplomatischen Status geschützte und dank der Dauphine bestens am Hof eingeführte bayerische Gesandte bediente sich eines ganzen Netzwerks, dessen Funktionsweise er genau kannte, um die Befehle, die er von seinem Fürsten erhielt, so gut wie möglich auszuführen. So schreibt er über die täglichen Schritte, die sich nicht ohne Ausgaben für Kutschen tun lassen, um einen passeport für Kleidungsstücke zu erhalten […], um dafür Sorge zu tragen, dass die Kleidung von den Zöllnern versiegelt wird, und von den damit befassten Herren die notwendigen passeports zu erlangen. Damit die Ausfuhr der Kleidungsstücke aus dem Königreich in keiner Weise behindert wird, haben sie durch meinen Kredit mein ergebenes Angebot erhalten, den erforderlichen königlichen passeport zu ihrer Entlastung zu besorgen, wovon ich glaube, Ihnen Rechenschaft schuldig sein. Wenn Seine Kurfürstliche Hoheit einmal andere Personen von Rang entsendet, soll sie auf meine Informationen zurückgreifen, wenn Seine Kurfürstliche Hoheit der Meinung sind, dass meine Dienste erforderlich seien. 27 23 B ÉLY , Espions et ambassadeurs (wie Anm. 5), 636; E ZÉCHIEL S PANHEIM , Relation de la cour de France, o. O. 1689, 213f. 24 BayHStA, GHA, KS 6471/ 1, fol. 128, Brief Martin Mayrs an Caspar Hueber, Paris, 22. Mai 1685. 25 BayHStA, GHA, KS 6471, fol. 127r. 26 BayHStA, GHA, KS 6480, fol. 18, 5. Februar 1686. 27 […] les démarches des journées qui ne se font pas sans dépenses de voiture pour solliciter un passeport pour les hardes […] ayant eu soin de faire plomber de la douanes les hardes et de prendre de messieurs les intéressés leurs passeports nécessaires afin que les hardes n’aient aucun empêchement à Corinne Thépaut-Cabasset 164 Mayr kümmerte sich bei den mit dem Zoll befassten Herren 28 intensiv darum, die Kleidungsstücke inspizieren und versiegeln zu lassen, damit sie bei der Ausfuhr aus dem Königreich nicht behindert und bei erster Gelegenheit zusammen mit einem vom Zoll ausgestellten passeport versandt wurden. 29 Er berichtet, dass die Abordnung eines Zollbediensteten zur Inspektion und Versiegelung der Kleidungsstücke ein Botschaftern und ständigen Gesandten vorbehaltenes Privileg darstellte. 30 4. Versand und Transport der Güter Die Kleidungsstücke reisten in einem verpackten und versiegelten Koffer, der dem Botendienst anvertraut und auf eine Karosse geladen wurde, frankiert bis Straßburg. Danach übernahm ein örtlicher Korrespondent, möglicherweise ein Bankier, die Aufgabe, die Kleiderkoffer und -ballen zu übernehmen und sie zuverlässig mit der Expresspost 31 von Straßburg nach München zu senden. 32 Einem Pariser Adressbuch aus dem Jahre 1692 zufolge befand sich der Botendienst der deutschen Karossen in der Rue Jean Robert. 33 Die Beförderung der Pakete konnte auf mehreren Wegen erfolgen: durch die königliche Post - so wurden zwei Perücken für den Kurfürsten in eine Kiste gepackt, die dem Postmeister Rouillier zur Beförderung anvertraut wurde -, durch die reguläre Post, 34 über Kölner Kaufleute - in der Korrespondenz wird ein Monsieur Vampl genannt -, mit den Karossen nach Straßburg, mit heimkehrenden Gesandten oder mit speziellen Kurieren des bayerischen Kurfürsten in Frankreich. In die Verla sortie du royaume, par mon crédit ils ont reçu ma soumission de fournir le passeport nécessaire du Roi pour leurs décharges, ce que j’ai cru être obligé de vous rendre compte afin qu’une autre fois SAE envoie quelques personnes de qualité que l’on le charge de prendre mes informations si SAE juge que mes services soient nécessaires; BayHStA, GHA, KS 6470, fol. 102, Mayr an den Kurfürsten, Paris, 11. Mai 1680. 28 BayHStA, GHA, KS 6471, fol. 18, 27. September 1681. 29 BayHStA, GHA, KS 6470, fol. 364v, 5. April 1681; fol. 377, 26. April 1681. 30 BayHStA, GHA, KS 6479, fol. 67r, 21. Juni 1684. 31 [U]ne expresse commodité. 32 BayHStA, GHA, KS 6480, fol. 13, 29. Januar 1686. 33 N ICOLAS DE B LÉGNY , Le livre commode contenant les adresses de la ville de Paris, et le trésor des almanachs pour l’année bissextile 1692, avec les séances et les vacations des tribunaux, l’ordre et la discipline des exercices publics, le prix des matériaux et des ouvrages d’architecture, le tarif des nouvelles monnoyes, le départ des courriers […], Paris 1692; É DOUARD F OURNIER , Le livre commode des adresses de Paris pour 1692 par Abraham du Pradel, 2 Bde., Paris 1878, Bd. 2, 172. 34 [L’]ordinaire; siehe E UGÈNE V AILLÉ , Histoire générale des postes françaises. Bd. IV: Louvois, surintendant général des postes, 1668-1691, Paris 1950; V IDA A ZIMI , Un modèle administratif de l’ancien régime: les commis de la Ferme général et de la régie générale des aides, Paris 1987. Diplomatische Agenten und der europäische Luxuswarenhandel 165 antwortung des ständigen Gesandten, zu der die Bezahlung der Portogebühren gehörte, fiel nur der Streckenabschnitt auf französischem Territorium. Hatten die Güter einmal die Grenze passiert, waren die Bankiers, die als Korrespondenten fungierten, für alles Übrige verantwortlich. 35 Die Transportdauer mit der Karosse von Paris bis nach Straßburg wurde auf zwölf Tage geschätzt. 36 5. Die saisonalen Neuheiten: Der Rhythmus der Sendungen Die Erneuerung der Garderobe folgte dem Lauf der Jahreszeiten, das heißt zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst folgte die Entwicklung der Mode diesen saisonalen Neuheiten. Dieser Rhythmus ergibt sich aus den Kleiderlisten bzw. den erhaltenen passeports, die aus dem September 1681, 37 Dezember 1682, 38 April und November 1683, 39 April 1684, 40 Mai und Dezember 1685 41 sowie Januar und Oktober 1687 42 stammen. Das Eintreffen der Modeneuheiten war unter anderem von den Einkaufsvorschlägen abhängig, die der Gesandte dem bayerischen Kurfürsten unterbreitete. Mayr schreibt: Im Laufe der vier Jahreszeiten hat man hier Neuheiten von den köstlichsten und schönsten Bändern, von denen man verschiedene Arten schöner Kleiderzierden macht; wenn ich wüsste, dass Seine Kurfürstliche Hoheit es gut fänden, würde ich ihm etwas davon schicken. 43 In einigen Fällen ergriff er selbst die Initiative: Ich ließ eine Garnitur der neuesten Bänder nach der Mode der Saison zusammenstellen, welche ich in drei Tagen senden werde; was die Muster der Bänder anbelangt, werde ich etwas davon senden, wenn man es mir befiehlt, von der Sorte und Farbe die Seiner Kurfürstlichen Hoheit belieben; aber ich sage Ihnen, dass man sie nicht so gut zusammenstellen kann, als wenn man die ganzen Stücke sieht. 44 35 BayHStA, GHA, KS 6471, fol. 77. In Straßburg fungierte der Bankier Isaac Commerell als Korrespondent, der die Pakete entgegennahm und für den Weiterversand nach München sorgte. 36 BayHStA, GHA, KS 6479, fol. 75v, 4. Juli 1684. 37 AAE, C.P. Bavière supplément 1, fol. 192v-193r. 38 AAE, C.P. Bavière supplément 1, fol. 195r. 39 AAE, C.P. Bavière supplément 1, fol. 209r, 219r-220r. 40 AAE, C.P. Bavière supplément 1, fol. 227r-229r. 41 AAE, C.P. Bavière supplément 1, fol. 239r-240v, 262r-262v. 42 AAE, C.P. Bavière supplément 2, fol. 20r-20v, 58r-58v. 43 Les quatre saisons de l’année on a ici des nouveautés des plus riches et des plus beaux rubans dont on fait différentes sortes de belles garnitures, si je savais que SAE le trouverait bon j’en enverrai; BayHStA, GHA, KS 6471, fol. 27, 1. November 1681. 44 J’ai fait faire une garniture de rubans des plus nouveaux et à la mode selon la saison, laquelle j’enverrai dans trois jours, quant à ce qui regarde les échantillons de rubans, j’en enverrai si l’on me l’ordonne, mais je vous dirai que l’on ne les peut pas si bien assorti que quand on voit les pièces Corinne Thépaut-Cabasset 166 Die Analyse der übersandten Waren müsste weiter vertieft werden, aber der Versand von Kleidung aus Paris an den bayerischen Hof scheint zwischen 1680 und 1688 sehr regelmäßig von statten gegangen zu sein, und dieser Befund stimmt mit den passeports überein, die in den Archiven aufbewahrt wurden. Es handelt sich um konkrete Aufträge und reguläre Einkäufe, die sicherlich der saisonalen Erneuerung der Garderobe dienten; andere könnten Geschenke der Dauphine an ihren Bruder gewesen sein, der auf diesem Weg Gelegenheit erhielt, neue französische Waren kennen zu lernen, und zu weiteren Bestellungen angeregt wurde; andere wiederum waren außergewöhnliche Aufträge für eine Opernaufführung und für die Hochzeit des Kurfürsten. Im Jahre 1685 wurde der erste Kammerdiener Pistorini nach Paris geschickt, um die Einkäufe für die Hochzeit des Kurfürsten mit der ältesten Tochter des Kaisers Leopold I., Marie-Antoinette (1669-1692), zu tätigen. 45 Die Aufstellung enthält eine beeindruckende, vier Seiten lange Liste einer sehr großen Anzahl ausgesprochen kostbarer Kleidungsstücke, die wahrscheinlich für die Fürsten und ihr Gefolge bestimmt waren, sowie Accessoires und diverse Toiletten- und Körperpflegeartikel. Außerdem wird eine große Karosse mit Fahrgestell aufgeführt, die geschnitzt, bemalt, vergoldet und mit gold- und silberbesticktem Samt ausgeschlagen war; dazu sechs Pferdegeschirre, eine gleichermaßen reich geschmückte Sänfte, zwei große, in falsche Seide gekleidete Puppen - vielleicht um als Modell zu dienen - und die Ausstattung eines Himmelbetts mit Steppdecke, Bettgestell, zusammenfaltbaren Sitzen, Sesseln und Vorhang, alles aus karmesinrotem Brokat mit Gold- und Silberblumenmustern, bereichert mit Stickereien, Fransen, Kordeln und gemustertem Kordelbesatz, Bukets und Troddeln aus Gold und Silber. 46 6. Die Rolle des Gesandten Die Korrespondenz des ständigen Gesandten Mayr informiert uns über seine Einkäufe für den Kurfürsten und seine durchaus heiklen Aufgaben im Bereich der öffentlichen Repräsentation und des Erscheinungsbilds des Herrschers, wobei er die politische mit der privaten Sphäre verknüpfte. Er schrieb: Ich wünschte, das Glück zu haben, in das Wohlwollen seiner Kurfürstlichen Hoheit eingeschlossen zu sein, und dass er mich nur ein Mal durch seine Aufträge ehren wird. 47 Der ständige Gesandte beanspruchte eine strategische Position, indem er dem Kurfürsten empfahl, sich eher entières, de sorte que si SAE l’agréait de mander les couleurs qu’il souhaite; BayHStA, GHA, KS 6471, fol. 36v, 2. Dezember 1681. 45 BayHStA, GHA, KS 6471, fol. 127v, 22. Mai 1685. 46 AAE, C.P. Bavière supplément 1, fol. 239r-240v. 47 Je souhaiterai d’avoir le bonheur d’être dans les bons sentiments de SAE et qu’il m’honorera une seule fois de ses commissions; BayHStA, GHA, KS 6470, fol. 291, 19. Januar 1681. Diplomatische Agenten und der europäische Luxuswarenhandel 167 direkt an ihn zu wenden, als andere Gesandte seine Einkäufe tätigen zu lassen, da er die Netzwerke vor Ort besser kenne und es ihm daher möglich sei, Zeit und Geld beim Kauf dieser kostspieligen Güter einzusparen. Er kritisierte auch die Gerüchte, die unter den Pariser Händlern zirkulierten, wo man sage, dass es einige Personen gibt, die nach Bayern gegangen sind, um sich am Hof Seiner Kurfürstlichen Hoheit zu empfehlen, und darum nachsuchten, mit Besorgungen beauftragt zu werden, die Seine Kurfürstliche Hoheit nötig hat […] und es gibt sogar einen, der geschrieben hat, dass man ihn beauftragt habe, eine Diamantgarnitur für einen engen Überrock machen zu lassen. Diese Personen haben bereits mehrere Händler darüber unterrichtet, so dass vollkommen offensichtlich ist, dass sie dort beträchtliche Summen gewinnen, die man einsparen könnte. Mayr zweifelt nicht, dass, wenn Seine kurfürstliche Hoheit und die Kammer darüber unterrichtet wären, man sich nur seiner eigenen Diener bedienen würde, die seit langem in seinem Dienst sind, 48 wodurch ein Überangebot an Waren vermieden werden könnte. Im Jahr 1679 wurden in Paris Gewänder für den Fürsten und die bayerische Prinzessin bestellt. Um sie auszuwählen, wandte sich der bayerische Hof an den französischen Botschafter in Bayern und insbesondere an dessen Frau, die in Paris geblieben war und in derartigen Angelegenheiten sogar besser unterrichtet war als ihr Mann. Ein Kammerdiener der kurfürstlichen Hoheit namens Pistolin, 49 der im Dezember 1679 nach Frankreich gesandt wurde, um für die Hochzeitsfeierlichkeiten die Gewänder und andere Sachen für die Prinzessin und für den Kurfürsten nach München zu bringen, erhielt den Befehl, sich an Madame de la Haye, die Frau des französischen Botschafters in Bayern, zu wenden, um die Stoffe für die künftige Dauphine auszusuchen. 50 Der Mercure galant berichtete im März 1680, dass der König darüber informiert gewesen sei und befohlen habe, dass man dabei sehr umsichtig vorgehen solle. 51 Im Jahr 1680 hatte ein von der Dauphine gesandtes Gewand den Kurfürsten stark beeindruckt. 52 Im Herbst desselben Jahres beabsichtigte die Dauphine, zwei weitere zu senden, und der Page Rivera […] der von Madame la Dauphine zu dem Herrn Kurfürsten geschickt worden war, […] muss zwei Gewänder für seinen Herrn, 48 […] qu’il y a quelques personnes qui sont allées en Bavière pour s’insinuer à la cour de SAE pour solliciter d’être employé aux commissions que SAE aura besoin […] et même il en a un qui a écrit qu’on lui a donné ordre de faire faire une garniture de diamants pour un justaucorps. Ils ont déjà averti plusieurs marchands avec tant d’intrigues qu’il est très évident qu’ils y gagneront des sommes considérables dessus qu’on pourrait ménager. [Je] ne doute pas que si SAE et la chambre en étaient informé, on ne se servirait que de ses propres domestiques qui sont il y a longtemps dans son service; BayHStA, GHA, KS 6471, fol. 102r-102v, 27. März 1685. 49 Pistolin könnte mit dem bereits erwähnten Pistorini identisch sein. 50 AAE, C.P. Bavière 30, fol. 236v, De la Haye an den König, München, 22. Dezember 1679. 51 Mercure galant, März 1680, II, 62. 52 AAE, C.P. Bavière 33, fol. 257r, De la Haye an den König, München, 17. Juli 1680. Corinne Thépaut-Cabasset 168 einige Kleinigkeiten und Verzierungen für Röcke zurückbringen, die, wie ich glaube, für das Fräulein Praising sein werden, die der Herr Kurfürst beständig liebt. 53 Die Frau des Botschafters fungierte noch einmal als Vermittlerin, und muss[te] alles auf einer Liste auswählen, die dem Pagen - entsprechend den Instruktionen der Dauphine - gegeben worden war. 54 Am 23. Oktober 1680 berichtet de la Haye, dass der Kurfürst ihm bei einer Audienz die zwei großartigen Gewänder gezeigt habe, welche die Frau des Botschafters für ihn anfertigen ließ, und mit denen er sehr zufrieden schien. Der ständige Gesandte des Kurfürsten versuchte also zu beweisen, dass er ein gut unterrichteter und gut positionierter Mittelsmann war, der all seine Kompetenzen und Kenntnisse auf diesem Feld zum Einsatz brachte, um den Kurfürsten davon zu überzeugen, ihm seine Besorgungen anzuvertrauen. Im Oktober 1680 ließ Martin Mayr Muster nach München schicken, die dort inspiziert und beurteilt werden sollten. Er erhoffte sich, dadurch die Zustimmung dafür zu erlangen, sich um diese Art von Besorgungen zu kümmern: Es ist einen Monat her, dass ich an Herrn Baron von Rechberg einen kleinen Ballen sandte, in dem sich zwei sehr schöne und passende Gewänder befanden, die es in Paris mit allem notwendigen Zubehör gibt. 55 Mayr zweifelt nicht daran, dass, wenn er jene zwei Gewänder eines Tages anlegt und damit bei Hofe erscheint, er sich sehr von den anderen abheben wird, denn es gibt nichts so Passendes, so Neues und Schönes, was so gut gemacht ist. 56 Er deutete zudem an, dass andere Herrscher bereits eigene Aufträge für ihre Garderobe nach Paris geschickt hätten, und wenn Seine Kurfürstliche Hoheit Gewänder wünsche, man sie senden könnte. Seine Hoheit von Sachsen hat dafür gesorgt, dass man ihm welche sendet. 57 53 [...] le page Rivera […] envoyé à Monsieur l’électeur par Madame la dauphine […] doit rapporter deux habits pour son maître, quelques bagatelles et des enjolivements pour des jupes qui seront comme je crois pour la demoiselle Praising que Monsieur l’électeur aime toujours; AAE, C.P. Bavière 34, fol. 345v-346r, De la Haye an den König, München, 28. September 1680. 54 AAE, C.P. Bavière 34, fol. 345v-346r, De la Haye an den König, München, 28. September 1680. 55 Il y a un mois que j’envoyai à Monsieur le baron de Rechberg une petite balle dans laquelle il y a deux très jolis et des plus propres habits qu’il y aient à Paris avec tous les assortiments nécessaires; BayHStA, GHA, KS 6470, fol. 255, 14. Oktober 1680. 56 […] ne doute pas que s’il a mis le jour de l’an ces deux habits et qu’il aie paru en Cour il aura été discerné des autres, il n’y a rien de si propre de si nouveau et de si beau et bien fait; BayHStA, GHA, KS 6470, fol. 291, 19. Januar 1681. 57 […] si SAE souhaite des habits l’on les pourrait envoyer. SA de Saxe en a fait faire ici qu’on lui envoie; BayHStA, GHA, KS 6471/ 1, fol. 89v, 27. Mai 1682. Diplomatische Agenten und der europäische Luxuswarenhandel 169 7. Auswahl und Auftragsvergabe Der ständige Gesandte bemühte sich, den Geschmack des Kurfürsten kennen zu lernen, um diesen umso besser zufrieden stellen zu können, indem er auf eigene Initiative Muster oder, auf Anweisung des Barons Rechberg, des Oberkämmerers des Kurfürsten, verschiedene Arten von Entwürfen für Karossen schickte. 58 Die Auswahl an Bändern, die in großer Zahl für die Verzierung der Gewänder verwendet wurden, erschien besonders wichtig und erhielt dementsprechend große Aufmerksamkeit. Mayr schreibt: man macht gerade jetzt sehr schöne, köstliche und modische Bänder, so gut dass, sofern sie nicht allzu viel Platz einnehmen, ich mir die Freiheit nehmen werde, einige Muster davon mit der ersten Post zu schicken. 59 Außerdem bat er um nähere Erläuterungen, um je nach Geschmack die besten Vorschläge machen zu können. Der Händler, der mich unterrichtet hatte, dass er alle möglichen schönen Bänder von der köstlichsten, neuesten und modischsten Art habe, sagte mir, dass er davon keine Muster abschneiden könne, weil er sie nicht so lange behalten könne, denn bevor er eine Antwort erhielte, seien sie bereits verkauft und man fertige alle Tage neue an. Wenn jedoch Seine Kurfürstliche Hoheit die Güte hätten, die Farben zu ordern, die Ihr am angenehmsten sind, und wenn es für Gewänder wie eine Ringrave oder unten gerafftes ist, würde man sie zusammenstellen und davon verschiedene Garnituren machen. 60 Schließlich rechtfertigte der Gesandte seine Auswahl damit, dass Personen, die man trifft, mir gesagt haben, dass es keine schöneren und besser ausgesuchten gebe, als jene, die ich Seiner Kurfürstliche Hoheit sende. Sie werden mit der Karosse, die nach Straßburg geht, von Paris abgeschickt werden. 61 Sobald die Aufträge des Kurfürsten für die Bestellung von Kleidungsstücken und Gewändern eintrafen, widmete der ständige Gesandte ihnen seine ganze Sorgfalt. So schrieb Mayr am 24. Mai 1681: was dasjenige betrifft, was mir befohlen wurde an Seine Kurfürstliche Hoheit zu senden, so habe ich darauf besondere Achtung, etwas 58 BayHStA, GHA, KS 6470, fol. 346r, 15. März 1681. 59 On fait présentement des très beaux rubans riches et à la mode si bien que s’ils ne font point trop grand volume je prendrai la liberté d’en envoyer quelques échantillons par le premier ordinaire; BayHStA, GHA, KS 6471/ 1, fol. 50v, 18. März 1682. 60 Le marchand qui m’avait averti qu’il avait toutes sortes de beaux rubans des plus riches des plus nouveaux et à la mode m’a dit qu’il n’en pouvait point couper d’échantillon parce qu’il ne les pouvait pas garder si longtemps car devant qu’il eusse réponse ils seraient vendus et l’on en fait tous les jours des nouveaux mais si SAE avait la bonté de mander les couleurs lesquelles lui sont les plus agréables et si c’est pour habits à la Reingrave, ou à bas retroussé l’on les assortirait et en ferait différentes garnitures; BayHStA, GHA, KS 6471/ 1, fol. 60, April 1682. Als Reingrave bzw. ringrave wurden reich mit Bändern und Schnüren geschmückte Hosen bezeichnet. 61 […] des personnes qui l’on vu m’on dit qu’il n’y avait pas des plus belles et mieux assorties que celles que j’envoie à SAE. Elles partiront par le carrosse de Paris qui va à Strasbourg; BayHStA, GHA, KS 6471/ 1, fol. 89v, 27. Mai 1682. Corinne Thépaut-Cabasset 170 Schönes und Neues auszusuchen, das Seine Kurfürstliche Hoheit zufrieden stellen wird. 62 Eine Woche später berichtete er: Heute werden die zwei Westen und die vier verschiedenen Bändergarnituren gekauft, die Seine Kurfürstliche Hoheit mir befohlen haben ihm zu senden; ich hoffe, dass Seine Kurfürstliche Hoheit sie schön gemacht und nach seinem Geschmack finden werden. 63 Und in einem Brief vom 6. Dezember 1681 heißt es: die Bändergarnitur, die Seine Kurfürstliche Hoheit mir aufgetragen haben, ist eine der köstlichsten, die derzeit modern sind; ich habe empfohlen, dass man sie eigens mit der Karosse sendet, die direkt nach Straßburg fährt, und von dort mit der ersten Gelegenheit, die sich dort finden wird, weiter. Ich zweifle nicht, dass Seine Kurfürstliche Hoheit damit sehr zufrieden sein und mir die Ehre erweisen werden, mich auch mit anderen Dingen zu beauftragen. 64 Aber es ist hauptsächlich die Dauphine, die der Kurfürst darum bat, für ihn die Schmuck- und Kleidungsstücke auszuwählen, die an seinen Hof gesandt wurden, 65 während der ständige Gesandte Mayr die Zahlungsanweisungen erhielt, was die Gewänder kosten, welche Seine Kurfürstliche Hoheit Madame la Dauphine gebeten hat, für ihn machen zu lassen. 66 Alles was „neu“ oder „in Mode“ war, konnte dank der Bemühungen seines Vertreters in Paris, seines Netzwerks und desjenigen der Dauphine, welche die Qualität garantierte, gekauft und aus Frankreich an den Kurfürsten geschickt werden. Da sie sich in der Umgebung des Königs - eines echten Vorreiters der französischen Mode - befand, war es an der Dauphine, die Auswahl der Kleidung des Kurfürsten zu treffen. Martin Mayr sah sich weitgehend darauf beschränkt, sich um die Ausführung der Bestellungen, ihre Beförderung und die Begleichung der Rechnungen zu kümmern. 8. Lieferanten und Rechnungsführung Die auf den Handel mit Kleidung spezialisierten Pariser Händler befanden sich im Hallen-Viertel sowie im Viertel Saint-Honoré, und die Händler, die Bändergarnitu- 62 […] quant à ce qui regarde ce qu’il m’a été donné ordre d’apporter à SAE j’en ai un soin particulier de choisir quelque chose de beau et de nouveau que SAE aura satisfaction; BayHStA, GHA, KS 6471, fol. 4v. 63 Aujourd’hui les deux vestes et les 4 différentes garnitures de rubans que SAE m’a ordonné de lui apporter seront achetées, j’espère que SAE les trouvera tout à fait belle et à son gré; BayHStA, GHA, KS 6471, fol. 6, 31. Mai 1681. 64 […] la garniture de rubans que SAE m’a ordonné est une des plus riches à la mode, je l’ai recommandé qu’on l’envoie à part par les carrosses, qui vont droitement à Strasbourg, et de là par la première commodité que l’on trouvera. Je ne doute pas que SAE n’en soit bien contente et qu’elle me fasse l’honneur de me charger pour d’autres choses; BayHStA, GHA, KS 6471, fol. 38v. 65 BayHStA, GHA, KS 6471/ 1, fol. 275r. 66 […] billets de ce que coûteront les habits que SAE a prié Madame la dauphine de lui faire faire; BayHStA, GHA, KS 6471/ 1, fol. 235r, 6. April 1683. Diplomatische Agenten und der europäische Luxuswarenhandel 171 ren machten, hatten ihre Geschäfte in den Höfen, Sälen und Galerien des Palais Royal. 67 Der berühmte Bänderhändler Perdrigeon, Kaufmann des Palais, den Molière in der neunten Szene seiner Komödie Les précieuses ridicules erwähnt, 68 hatte dort sein Geschäft unter der Anschrift Aux quatre vents 69 und lieferte einen Teil der Dinge, die für den bayerischen Kurfürsten eingekauft wurden. Der Schneider Lalande, den Mayr für den Dienst des Kurfürsten auswählte, gehörte zu den Herrenschneidern, die nach Blégny wegen ihrer guten Arbeit sehr renommiert waren. 70 Der ständige Gesandte war stets darauf bedacht, die Herkunft der ausgewählten Lieferanten zu erläutern. Die Erwähnung eines königlichen Kaufmanns oder Hoflieferanten stellte dabei ein Gütezeichen dar. Mayr fügte einem seiner Briefe ein Muster bei, das ein Händler, der die Garderobe des Königs liefert, 71 ihm gegeben hatte, um es dem Kurfürsten zu übermitteln, und wenn sie ihm gefalle, könne man zwei Westen davon anfertigen lassen. Mayr, der sich stets der sorgfältigsten Kontrolle versicherte, ließ die Dauphine das Muster begutachten, die es sehr schön gefunden habe. 72 Die Korrespondenz Martin Mayrs liefert uns eine summarische Aufstellung der Händler, bei denen 1683 Einkäufe für die Dauphine und den bayerischen Kurfürsten getätigt wurden. 73 Auf ihr stehen die Juweliere und Goldschmiede Poirier, 74 Fertullier, Catillon, 75 Seheult 76 und Delafresnay; 77 der auf Fächer spezialisierte Lesgut; 78 der Schneider Lalande; 79 der Handschuhmacher Maillard; 80 ferner Perdrigeon, 81 von dem Seidenstrümpfe bezogen wurden; Pasquier, Bänderhändler für die 67 B LÉGNY , Le livre commode (wie Anm. 32), Kap. XII, 24. 68 M OLIÈRE , Les précieuses ridicules, Paris 1659, 9. Szene. 69 F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), II, 29. 70 F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), II, 59. 71 Vgl. C ORINNE T HÉPAUT -C ABASSET , Le service de la Garde robe: une création de Louis XIV, in: Fastes de cour et cérémonies royales (wie Anm. 7), 28-33. 72 BayHStA, GHA, KS 6479, fol. 84r, 18. Juli 1684. 73 BayHStA, GHA, KS 4671/ 1, fol. 275, Juli 1683. 74 près la Croix du Tiroir; F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), I, 247. 75 quai de l’Horloge; F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), I, 247. 76 les frères Sehut, rue Dauphine, ont un particulier talent pour les petits ouvrages et bijouterie d’or; F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), I, 247. 77 La Fresnaye, rue Saint-Honoré; F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), I, 237. 78 Laisgu, rue Saint-Honoré; F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), I, 237. Les éventails à la mode sont de taffetas de différentes couleurs, et argentés. Il sont fort légers, semés de fleurs naturelles, et montés de bois de calambourg. On les appelle les éventails à la dauphine. On y met au lieu de rubans, des chaînes d’or comme on a fait autrefois. On les trouve chez Monsieur Lesgut; Mercure galant, Mai 1681. Vgl. T HÉPAUT -C ABASSET , L’Esprit des modes (wie Anm. 2), 129. 79 F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), II, 59. 80 Maillard, rue Saint-Mederic; F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), II, 36. 81 F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), II, 29. Corinne Thépaut-Cabasset 172 Garderobe des Königs; 82 Lecler(c), 83 der Spitzen verkaufte; der Knopfmacher Gueret; Marcelin Charlier, 84 von dem goldene und silberne Seiden bezogen wurden; und schließlich Gaultier, 85 bei dem man Seidentücher einkaufte. Diese Aufstellung der Rechnungen der Händler, die Juwelen und Kleidungsstücke geliefert haben, welche Seine Kurfürstliche Hoheit von Bayern die Dauphine gebeten hat für ihn auszusuchen und welche dann mit dem Chevalier Operti versandt wurden, 86 ist eines der seltenen Dokumente, die sich unter der Korrespondenz Mayrs befinden, welches die Kosten der Waren im Einzelnen aufführt. Es ergibt sich hier ein Gesamtbetrag von 7.332 Livres und 4 Sous, darunter 171 Livres für die Anfertigung von Gewändern, 166 Livres für Seidenstrümpfe, 58 für die Handschuhe, 569 für Bänder, 616 für goldene und silberne Spitzen, 730 für Knöpfe, 731 für Gold- und Silberseiden und 1.495 für Seidentuche. Der Rest entfiel auf Gold- und Diamantobjekte. 87 Der passeport, der diese Waren begleitete, führte diese Artikel beschreibend auf, ohne indessen ihren finanziellen Wert wiederzugeben: ein rosafarbenes Gewand auf goldenem Untergrund, mit Gold und Silber durchwirkt; ein Gewand aus grauem Wollstoff, das mit einer kleinen silbernen Tresse verziert war; eine Satinweste mit Silberknöpfen; ein anderes Gewand mit silbernem Untergrund, der mit spanischem Stichmuster in Gold und Silber bestickt war; fünf Paar Seidenstrümpfe, mit Gold und Silber durchwirkt; ein Paar bestickte Ärmel; ein gold- und silberfarbener Muff; drei Schachteln mit Fliegen; dreizehn Etuis mit Scheren und Zahnstochern; eine Tabakdose; ein kleiner Spiegel; zwei kleine Fläschchen und eine Kassette aus Gold, sowie zwei weitere davon, die mit kleinen Diamanten besetzt waren. An Seidenkleidung finden sich ein Wams; zwei Kniehosen und eine gewirkte Weste aus Seidenstoff; ein Paar Handschuhe mit Seidenfransen; vier weitere Paare mit Fransen und feiner Spitze; eine Livree aus Spitze, mit einer Goldborte versehen; sechs Bänder; fünf Paar Seidenstrümpfe; und verschiedene Stoffe. 88 Die Korrespondenz des 82 Pasquier, marchand rubanier de la garde robe du Roi; BayHStA, GHA, KS 4671/ 1, fol. 275, Juli 1683. 83 Leclerc, rue Saint-Denis, Aux Balances; F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), II, 20. 84 Il y a une fabrique royale établie nouvellement à Saint-Maur près Paris par le sieur Charlier, où l’on fait des étoffes d’or, d’argent et de soie, et des draps d’or à la façon des Perses, et d’autres à la manière d’Italie; des velours, satins, damas, et de toutes sortes de draps d’or et de soie de qualités extraordinaires que l’on peut acheter de la première main, en allant à son magasin à Paris rue de la Coutellerie, au Cerceau d’or, où il débite lesdits ouvrages; Mercure galant, Oktober 1678; T HÉPAUT -C ABASSET , L’Esprit des modes (wie Anm. 2), 108f. 85 Monsieur Gaultier « de la Couronne » rue des Bourdonnois; Mercure galant, Oktober 1678, und F OURNIER , Le livre commode (wie Anm. 32), II, 14. Vgl. T HÉPAUT -C ABASSET , L’Esprit des modes (wie Anm. 2), 106f. 86 mémoire des billets des marchands qui ont fourni les bijoux et hardes que SAE de Bavière a prié Madame la dauphine de luy choisir lesquelles ont esté envoyé par Mr le chevalier Operti. 87 BayHStA, GHA, KS 4671/ 1, fol. 275, Juli 1683. 88 AAE Paris, C.P. Bavière supplément 1, fol. 209. Diplomatische Agenten und der europäische Luxuswarenhandel 173 ständigen Gesandten, die die Rechnungsbelege enthält, vermittelt uns zusammen mit dem überlieferten passeport eine ebenso umfassende wie anschauliche Vorstellung von den gekauften und versandten Gegenständen wie von ihrem Marktwert und den konsultierten Lieferanten. Der Kurfürst erteilte Mayr den Befehl, die Gewänder zu bezahlen und die Lieferscheine der Händler über die Kosten der Gewänder entgegen zu nehmen, welche er die Dauphine gebeten hatte, für ihn anfertigen zu lassen. Mayr begab sich nach Versailles, um die Lieferscheine bei der Dauphine abzuholen, und obwohl er weder Kenntnis hat noch gesehen hat, was geliefert worden ist, befand er es für gut, eine verbesserte Aufstellung derjenigen Artikel anzulegen, die man seiner Ansicht nach vernünftiger Weise bezahlen konnte. Die besonders drängenden Verbindlichkeiten wurden von ihm beglichen. 89 Mayr schlug jedoch vor, einige Einsparungen vorzunehmen: Er empfahl dem Kurfürsten, wenn dieser vorhabe, einige Käufe durch die Dauphine tätigen zu lassen, dass sie sich diese durch [ihn selbst] oder eine von ihm damit beauftragte Person bringen lasse, um sie für ihn auszusuchen und danach den Handel abzuschließen, denn alle Händler, die ihre Waren selbst befördern müssen, können diese Reise zum Hof nicht unternehmen, ohne große Ausgaben dafür in Rechnung zu stellen. 90 9. Schluss Die Vielfalt, Qualität und Neuheit der von den Händlern bereitgestellten Waren war entscheidend für den Erfolg des Pariser Marktes verantwortlich. Die Anschaffungen für den Kurfürsten waren eine Staatsangelegenheit, die nur einem treu ergebenen Gesandten anvertraut werden konnte, der sich für die finanzielle Abwicklung der Besorgungen und ihre sichere Beförderung ebenso verantwortlich fühlte wie für die Auswahl der einzukaufenden Artikel. Die besonderen Verbindungen, die zwischen dem bayerischen Kurfürsten und seiner Schwester, der Dauphine, bestanden, ermöglichten es ihm, sich auf ein Netzwerk von Händlern, Handwerkern und exklusiven Lieferanten zu stützen, die oft Hoflieferanten waren, und sich bei der Beschaffung von Luxusgütern bestimmte Privilegien und Vorteile zu sichern. Der Bedeutung, die dem Erscheinungsbild der Kleidung des Fürsten und seiner öffentlichen Repräsentation beigemessen wurde, 91 entsprach ein zunehmender Kon- 89 BayHStA, GHA, KS 4671/ 1, fol. 256r, 11. Mai 1683. 90 [...] enverra faire quelques emplettes par Madame la dauphine qu’elle donne de les porter [par lui] ou par celui qu’il commettra pour les lui faire choisir et après en avoir fait faire le marché car tous les marchands qui sont obligés de conduire leurs marchandises eux-mêmes ne peuvent pas faire ce voyage en cour sans faire de grande dépense qu’ils mettent en compte; BayHStA, GHA, KS 4671/ 1, fol. 256v, 11. Mai 1683. 91 P HILIP M ANSEL , Dressed to Rule: Royal and Court Costume from Louis XIV to Elizabeth II, New Haven / London 2005. Corinne Thépaut-Cabasset 174 sum von Luxusgütern, der die Gesellschaft beeindrucken sollte. 92 Der mit einer Zollbefreiung verbundene passeport stellte ein System dar, das sowohl den Luxuswarenhandel stärkte als auch den Vorrang der französischen Waren und den Vertrieb Pariser Waren an ausländischen Höfen sicherte. Aber so wertvoll die hier vorgestellten Dokumente auch sind, ist ihr Informationsgehalt doch begrenzt; glücklicherweise wird dieser manchmal durch Informationen vervollständigt, die in der Korrespondenz zwischen dem ständigen Gesandten am Hof und seinem Herrscher enthalten sind. Die Korrespondenz Martin Mayrs enthält weder die Rechnungen noch die erwähnten Muster noch die in seinen Briefen erwähnten Zeichnungen, sondern rekapituliert und erläutert die Aufträge des Kurfürsten, die Mengen und die zu begleichenden Beträge. Sie gewährt Einblicke in den monetären Wert der Waren sowie in die Handelskreisläufe und nennt die Adressen der Lieferanten, die nicht in den passeports erscheinen. Die vorliegende Studie, die sowohl die passeports als auch die Korrespondenz des bayrischen Gesandten auswertet, hat diejenigen Einkäufe nicht berücksichtigt, die für den Kurprinzen durchgeführt wurden, da Martin Mayr sie zwar in seinen Briefen erwähnt, für sie jedoch kein passeport im Archiv aufbewahrt wurde. Dies lag wahrscheinlich daran, dass keine königliche Zollbefreiung gewährt worden war und daher die staatliche Verwaltung auch kein Interesse an der Dokumentation des Warenverkehrs hatte. Die Pariser Adressbücher und die zeitgenössische Presse wie der Mercure galant erschließen einen repräsentativen Überblick zum Luxuswarenhandel der französischen Hauptstadt im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts, auch wenn es sich dabei mehr um Werbeanzeigen als um eine erschöpfende Darstellung der Pariser Händler handelt. 93 Im Anschluss an diese erste skizzenhafte Fallstudie zur Rolle diplomatischer Agenten im europäischen Luxuswarenhandel gilt es, die ausgewählten und übersandten Waren genauer zu analysieren und umfassende Recherchen im zentralen Pariser Notariatsarchiv, im Handelsarchiv der Stadt Paris und im Archiv des Außenministeriums durchzuführen. Eine umfassende Darstellung des von Paris ausgehenden Luxusgüterverkehrs, seiner Handelsnetze und des höfischen Konsums in Europa am Ende des 17. Jahrhunderts könnte die Grundlage einer breit angelegten vergleichenden Studie sowie einer eingehenden Analyse modischer Entwicklungen bilden. 92 F ERNAND B RAUDEL , Civilisation matérielle, économie et capitalisme XVe-XVIIIe siècle, Paris 1979, 3 Bde., hier Bd. 1. 93 Vgl. N ATACHA C OQUERY , Qu’est-ce que le « remarquable » en économie ? La boutique dans le paysage urbain à Paris d’après les guides du XVIIIe siècle, in: Les guides imprimés du XVIe au XXe siècle. Ville, paysages, voyages, G ILLES C HABAUD / D IES . / J ÉRÔME P ENEZ (Hrsg.), Paris 2000, 419-428; Fashioning Old and New: Changing Consumer Patterns in Western Europe (1650-1900), B RUNO B LONDÉ u. a. (Hrsg.), Turnhout 2009. Siehe auch C AROLYN S ARGENTSON , Merchants and Luxury Markets. The Marchands Merciers of Eighteenth-century Paris, London / Malibu 1996; Le Commerce du luxe à Paris aux XVIIe et XVIIIe siècles, S TÉPHANE C ASTELLUCCIO (Hrsg.), Bern u. a. 2009. Die Gesandten am französischen Hof als Kunstagenten. Daniel Cronström aus Schweden und Ernst Ludwig Carl aus Brandenburg-Ansbach Martin Pozsgai 1. Einleitung Im Herbst 1699 schickte der schwedische Hofarchitekt Nicodemus Tessin d. J. dem Gesandten am französischen Hof, Daniel Cronström, einen Brief, dem er einige Zeichnungen beilegte. Er bat Cronström, die Entwürfe für Deckenmalereien, die er in seinem Haus in Stockholm ausführen lassen wollte (Abb. 1), durch Jules Hardouin-Mansart, den Oberintendanten und Ersten Architekten des Königs, begutachten zu lassen. Einige Zeit später berichtete Cronström in einer Antwort, Hardouin-Mansart habe die Blätter ausführlich studiert und sie insbesondere für ihre Komposition gelobt. 1 Dies war nicht das erste Mal, dass der Gesandte den Wünschen Tessins nachkam und Rat bei prominenten Künstlern am Hofe Ludwigs XIV. einholte. Die über 500 erhaltenen Briefe zwischen Cronström und Tessin aus den Jahren 1693 bis 1718 belegen darüber hinaus, dass der Gesandte - in der Funktion eines Agenten 2 - Luxusprodukte aus Paris nach Schweden schickte, dass er Zeichnungen und Drucke übermittelte, um in der Heimat über aktuelle Entwicklungen zu informieren, und dass er französische Künstler engagierte, die nach Norden ge- 1 Cronström berichtete über seinen Besuch bei Hardouin-Mansart: Il s’y arresta [...] longtemps [...], disant que la maniére dont vous avez disposé et entremeslés les parties ou grouppes solides et fortes avec celles qui sont légères [...] estoit très judicieuse et marquoit vostre beau génie; Les relations artistiques entre la France et la Suède 1693-1718. Nicodème Tessin le jeune et Daniel Cronström Correspondance (extraits), R OGER -A RMAND W EIGERT / C ARL H ERNMARCK (Hrsg.), Stockholm 1964, 251, Cronström an Tessin, 20./ 10. November 1699. 2 Zu den Bedingungen der Agententätigkeit im 18. Jahrhundert siehe neuerdings den Sammelband: Johann Georg Wille (1715-1808) et son milieu. Un réseau européen de l’art au XVIIIe siècle, É LISABETH D ÉCULTOT u. a. (Hrsg.), Paris 2009; Besprechung der vorausgegangenen Konferenz durch T HOMAS W. G AEHTGENS , Ein deutscher Aufklärer in Paris. Zu einer Tagung über den Zeichner und Stecher Jean-Georges Wille, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. Januar 2007, N3. Siehe weiterhin für das Beispiel des kursächsischen Hofes V IRGINIE S PENLÉ , Der Monarch, seine Agenten und Experten. Institutionelle Mechanismen des Kunstankaufes unter August II. und August III., in: Kunst und Repräsentation am Dresdner Hof, B ARBARA M ARX (Hrsg.), München / Berlin 2005, 228-260. Martin Pozsgai 176 hen und dort zumindest vorübergehend arbeiten sollten. 3 Bisweilen erhielt er ausdrückliche Bestellungen vom schwedischen Hof, die er in Paris zu besorgen respektive in Auftrag zu geben hatte. Der umfangreiche künstlerische Austausch war vor allem aufgrund der wirtschaftlichen Stärke des Königreichs im Norden möglich. Eine unmittelbare Voraussetzung lag allerdings in der Wertschätzung, die Tessin der französischen Ausstattungskunst entgegenbrachte, während er sich bei der Außenarchitektur von den Leistungen italienischer Baumeister inspirieren ließ. 4 Auf langen Studienreisen hatte Tessin Europa und die Errungenschaften in Kunst und Architektur in unterschiedlichen Ländern kennen gelernt. 5 Ein solcher Austausch war jedoch nicht allein mit dem hohen wirtschaftlichen Potential einer Großmacht möglich, sondern konnte auch die Kunst- und Luxusproduktion in einem relativ kleinen Fürstentum wie der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach beeinflussen. Das zeigt ein zweiter im Folgenden herangezogener Briefwechsel. Obgleich sich darin geringere Dimensionen des Auftragsvolumens offenbaren, zählten die gezielte Vermittlung von Technologien und die Beschaffung von Modellen für die Künstler am heimischen Hof zu den Kernaufgaben, die der fränkische Chargé d’affaires Ernst Ludwig Carl in Paris zu erledigen hatte. Die mit ihm geführte Korrespondenz des Ansbacher Hofes, die - immerhin für einen Zeitraum von drei Jahren erhalten - im Staatsarchiv Nürnberg liegt, ist dazu besonders aufschlussreich. 6 In Brandenburg-Ansbach basierte der Austausch auf ähnlichen 3 Die Bedeutung Cronströms wurde von der schwedischen Forschung bereits früh erkannt. Viele der auf seine Vermittlungstätigkeit zurückgehenden Kunstwerke lassen sich in Stockholmer Sammlungen identifizieren. Als grundlegend dazu können folgende neuere Publikationen genannt werden: Versailles à Stockholm (Ausstellungskatalog), Stockholm 1985; Kung Sol i Sverige (Ausstellungskatalog), Stockholm 1986; Versailles: The View from Sweden (Ausstellungskatalog), New York 1988; Le Soleil et l’Étoile du Nord. La France et la Suède au XVIIIe siècle (Ausstellungskatalog), Paris 1994. Zuletzt J EROME DE L A G ORCE , La correspondance entre Tessin et Cronström et les collections du Nationalmuseum de Stockholm, in: Konsthistorisk tidskrift 72, 1/ 2 (2003), 82-90. De La Gorce arbeitet an einer kommentierten Neuedition des Briefwechsels. Zu den Lebensumständen Cronströms siehe R AGNAR J OSEPHSON , Daniel Cronström, in: Svenskt biografiskt lexikon, Bd. 9, Stockholm 1931, 376-382; sowie R OGER -A RMAND W EIGERT , La demeure parisienne de Daniel Cronström, in: Opuscula in honorem Carl Hernmarck, Stockholm 1966, 273-276. 4 Tessin schrieb einmal, dass er im Bereich der Innendekorationen den goust der Franzosen bevorzuge, ou leur génie et gentillesse s’est fort estendu de sorte que tout ce que je pourrois avoir d’ingénieux pour la décoration intérieure me sera fort agrèable, mais, pour les dehors, je ne m’en soucie aucunement; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 209f. (30. November 1698). 5 Dies geht unter anderem aus seinen jüngst detailliert veröffentlichten Reisenotizen hervor: Nicodemus Tessin the Younger. Sources, Works, Collections - Travel Notes 1673-77 and 1687-88, M ERIT L AINE / B ÖRJE M AGNUSSON (Hrsg.), Stockholm 2002. 6 Staatsarchiv Nürnberg (StAN) Rep. 105a Nr. 7 (Briefe von Zocha an Carl), Rep. 105a Nr. 6 (Briefe von Brehmer an Carl) sowie Rep. 105a Nr. 17 (betreffend die Einforderung von Die Gesandten am französischen Hof als Kunstagenten 177 Voraussetzungen wie in Schweden: Sowohl der Hofarchitekt Carl Friedrich von Zocha als auch Markgraf Carl Wilhelm Friedrich hatten sich für einige Zeit in Paris aufgehalten und den französischen Ausstattungsluxus kennen und schätzen gelernt. 7 2. Schweden Als Nicodemus Tessin sich in den 1680er Jahren in Paris aufhielt, konnte er nach seiner eigenen Aussage Jean I Berain als Freund gewinnen, der Dessinateur de la Chambre et du Cabinet du Roi und unter anderem für die Bühnendekorationen am Hof zuständig gewesen war. 8 Wie sich im Folgenden zeigen wird, war insbesondere Carls Ausständen beim Markgrafen). Leider sind im Gegensatz zur Cronström-Tessin- Korrespondenz zumeist die Briefe aus Ansbach erhalten und nur wenige von Carl selbst. Der Verfasser des vorliegenden Beitrags bereitet eine kommentierte Edition des Briefwechsels vor. Zu Ernst Ludwig Carl siehe K ARL K UNZE , Ernst Ludwig Carl. Ein fränkischer Chargé d’affaires und Kameralist an Höfen des europäischen Absolutismus, Nürnberg 1966, bes. 214-231; sowie D ERS ., Der Ansbachische Hofrat E. L. Carl als Kameralist, Literat und Agent im Paris des frühen 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken 84 (1967/ 68), 40-59. Vgl. auch D ERS . / T HOMAS L AMBERTZ , Die „Abhandlung über den Reichtum der Fürsten und ihrer Staaten“ des Ansbachischen Hofrats Ernst Ludwig Carl. Übersetzung und Kommentar, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken 94 (1988/ 89), 77-117. Zuletzt ist C HRISTOPH G RAF VON P FEIL , Die Möbel der Residenz Ansbach, München / London / New York 1999, 13f. auf die Einkäufe eingegangen und publizierte eine Transkription der Verzeichnisse Carls über dessen für den Ansbacher Hof getätigte Ausgaben: ebd., 286-288. 7 Zum Aufenthalt des Markgrafen (noch als Erbprinz) im Sommer 1728 vgl. K UNZE , Chargé d’affaires (wie Anm. 6), 198-213. Carl Wilhelm Friedrich besuchte unter anderem den König in Fontainebleau und die Königin in Versailles. Siehe auch G ÜNTHER S CHUHMANN , Markgraf Carl Wilhelm Friedrich, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken 90 (1980), 209-219. Über Zocha, einen der Korrespondenzpartner Carls in Ansbach, vgl. F RITZ S CHOLL , Leopoldo Retti. Ein Beitrag zur Baugeschichte des 18. Jahrhunderts in Franken und Württemberg, Ansbach 1930, 12-18; G ÜNTHER S CHUHMANN , Ansbacher Bibliotheken vom Mittelalter bis 1806, Kallmünz 1961, 189-191; sowie zuletzt zusammenfassend A LEXANDER B IERNOTH , Karl Friedrich von Zocha. Herkunft, Leben und Werk, in: Frankenland 61 (2009), 398-400. Eine Reise Zochas in die französische Metropole wird allgemein angenommen und ist aufgrund der Formensprache seines architektonischen Werkes mehr als plausibel. Es scheint jedoch kein archivalischer Beleg zu existieren. Zu seinem Werk zählt unter anderem die Orangerie in Ansbach. Siehe zu dieser: W ILHELM B AUMANN , Die Orangerie zu Ansbach, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken 79 (1960/ 61), 163-184. 8 Nach Nicodemus Tessin den Yngres studieresor i Dankmark, Tyskland, Holland, Frankrike och Italien, O SVALD S IRÉN (Hrsg.), Stockholm 1914, 107, erwähnte Tessin in seinem Reisebericht 1687/ 88 seine Besuche bei Monsieur Berain: Wie er sehr mein Freundt wahr, hat er mir fast alle seine sachen gewiessen. Der Aufenthalt in Paris ist ausführlich dokumentiert bei Martin Pozsgai 178 Abb. 1: Sébastien Le Clerc nach René Chauveau, Decke im Saal des Palais Tessin in Stockholm, Kupferstich, April 1702. Meister des Ornamentstichs. Eine Auswahl aus vier Jahrhunderten, Peter Jessen (Hrsg.), Berlin o. J. [1922], 4 Bde., Bd. 2, Tf. 185. diese Verbindung in späteren Jahren für den schwedisch-französischen Austausch von Bedeutung und trug zahlreiche Früchte. Sie sei daher an den Beginn der Betrachtungen gestellt. Immerhin suchte Cronström nach Ausweis der Briefe Jean I Berain häufiger auf als den eingangs erwähnten Oberintendanten der Bâtiments du Roi, Hardouin-Mansart. Berain war es auch, der Jacques de Meaux empfahl, als Tessin via Cronström einen geeigneten Ornamentmaler für die Ausführung der L AINE / M AGNUSSON , Travel Notes (wie Anm. 5). Zu Berain grundlegend: R OGER - A RMAND W EIGERT : Jean I Berain. Dessinateur de la Chambre et du Cabinet du Roi (1640- 1711), 2 Bde., Paris 1937; sowie J EROME DE L A G ORCE : Berain. Dessinateur du Roi Soleil, Paris 1986. Die Gesandten am französischen Hof als Kunstagenten 179 Deckenmalereien in seinem Palais (Abb. 1) suchte. Bevor Jacques de Meaux nach Schweden verpflichtet wurde, hatte Cronström deswegen mehrmals Berain konsultiert und ließ sich die von diesem vorgeschlagenen Maler vorstellen. 9 Eine in diesem Zusammenhang niedergeschriebene Briefstelle zu den Fertigkeiten von Ornamentmalern im Allgemeinen und von de Meaux im Besonderen sei hier zitiert, weil sie ein aufschlussreiches Schlaglicht auf die Umstände der Personalsuche Cronströms in Paris wirft. Cronström, der sichtlich unsicher war, welche Ansprüche Tessin an den auszuwählenden Maler stellen würde, schrieb 1694 an diesen: Ich habe Ihnen Monsieur de Meaux vorgeschlagen, der 2000 Livres verlangt hat, versprach Ihnen aber damals, andere zu suchen, die billiger wären. Jedoch hat mich die Sache in Verlegenheit gebracht, denn ich war mir nicht sicher, was Sie mit Ornamentmaler meinen. Ein Ornamentmaler ist erstens jemand, der sich Ornamente ausdenkt und sie arrangiert. Manche arrangieren, ohne zu malen und umgekehrt. Zu berücksichtigen sind zweitens die Teile des Ornaments - die Figur, die Groteske usw. Dann gibt es das Ornament selbst - das Blatt, die Ranke. Seien Sie versichert: Monsieur de Meaux, der hier als einer der besten gilt [...] lässt sich für diesen letzten Teil von anderen unterscheiden. Und er fuhr fort: Eigentlich lassen Künstler ihre Werke durch sieben oder acht Mitarbeiter ausführen - welchen dann auswählen? Ich hatte Ihnen einen Mann versprochen; ich weiß aber nicht, wo ich einen finden kann, der alle Teile kennt. Auch wenn ich zwei oder drei solche Maler gefunden habe, habe ich schnell bemerkt, dass sie versucht haben, mich darin zu täuschen. 10 9 Am 27. Januar 1697 schrieb Tessin an Cronström: Mr. Berain pourroit bien donner quelque eclaircissement pour sa choix [des Ornamentmalers]; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 160. Cronström berichtete Tessin, dass Jacques de Meaux einer der geeignetsten wäre, und nahm ihn schließlich unter Vertrag; ebd., 165 (22. März 1697). 10 Je vous ay proposé Mr. de Meaux demandant 2000 livres de gages, avec promesse d’en chercher pourtant d’autres à meilleur marché, mais plus j’ay approfondy cette matière et plus je m’n suis trouvé embarassé, et moins j’ay esté certain de ce que vous demandiez precisement par un peintre d’ornemens. Il se trouve que ce qu’on appelle un peintre d’ornemens, c’est, en premier lieu, un homme qui invente et dispose des desseins d’ornemens. Il y a de ceux lá qui ne font que disposer et dessigner sans peindre [...]. Il y a en suitte les parties qui entre dans l’ornement comme la Figure, l’Architecture, la Perspective, l’Allégorie, la Grotesque, les Animaux, les Oiseaux, les Fleurs, les Masques, etc. Et, puis ce qu’on appelle proprement l’ornemens, qui est la feuille de refand, les rinceaux, etc. Croiriez-vous bien, Monsieur, que ce Mr. de Meaux, qui passe incontestablement pour des meilleurs d’icy [...], ne possède que cette derniere partie [...]. A la vérité, la pluspart des autres en sont aussi logés là et tous les ouvrages qui portent leur noms sont faits par 7 ou 8 hommes différens; que faire donc parmy tout cela? Je vous avois promis un homme; cepandant, je ne scais ou en trouver un qui sache toutes les parties de l’ornemens, ny en ayant icy que 2 ou 3 qui les possédent toutes, ce que je n’ay decouvert qu’a force d’approfondir tout cela, qu’a force de voir, de demander, de raisonner, et de faire dessigner en ma présence, car leur parolle n’est que trompeuse; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 52f. (2. Juli 1694). Martin Pozsgai 180 Abb. 2: René Chauveau, Figurengruppe an der Decke des Paradeschlafzimmers im Stockholmer Schloss, 1698. Martin Olsson u. a., Stockholms Slotts Historia. Bd. 2: Det Tessinska Slottet, Stockholm 1940, Tf. 93. Neben Jacques de Meaux wurden in den Jahren um 1700 noch zahlreiche andere Dekorationskünstler nach Schweden gerufen. Unmittelbarer Anlass war der Neubau des Stockholmer Schlosses, für dessen Ausstattung sie herangezogen werden sollten. 11 Neben dem Maler Jacques Foucquet waren es der Bronzegießer Jean Hubault, der Bildhauer in Holz Claude Henrion und der Bildhauer in Stein René Chauveau, denen die prominentesten Arbeiten übertragen wurden. Sie alle hatte Cronström ausgewählt und unter Vertrag genommen. René Chauveau schuf etwa die Figurengruppen im Audienz- und im Paradeschlafzimmer des Schlosses (Abb. 2), zeichnete aber nach Tessins Vorgaben auch die Entwürfe für die Plafonds in dessen Palais (Abb. 1). Die bereits zitierten lobenden Worte von Jules Hardouin-Mansart über deren gelungene Komposition trugen wohl zu einem gewissen Stolz Tessins über diese Erfindung bei. Denn der schwedische Hofarchitekt ließ die beiden Grotesken- Plafonds mit Historien nach ihrer Fertigstellung bei Sébastien Le Clerc in Paris in 11 Zur Geschichte von Bau und Ausstattung noch immer grundlegend: M ARTIN O LSSON / J OHN B ÖTTIGER / R AGNAR J OSEPHSON , Stockholms Slotts Historia. Bd. 2: Det Tessinska Slottet, Stockholm 1940. In den nächsten Jahren soll eine neue dreibändige Monographie über das Stockholmer Schloss in der Reihe „De Kungliga Slotten“ erscheinen. Die Gesandten am französischen Hof als Kunstagenten 181 Kupfer stechen. Tessin schickte Cronström die von René Chauveau gefertigten Vorzeichnungen. Im Herbst 1699 verhandelte der Gesandte mit Le Clerc und verlangte 200 Exemplare pro Plafondstich. Der Kupferstecher aber wollte für den angebotenen Preis nur 100 Drucke ausführen. 12 Am 13. April 1702 waren sie fertig gestellt und käuflich erhältlich (Abb. 1). Je trouve, berichtete Cronström damals, les ombres un peu noires, mais Mr. Le Clerc est un peu obstiné et comme la planche est à luy, il prétend estre le maistre. Il se lamente fort sur la perte, qu’il a fait sur ces deux planches; en effet, le temps est stricte pour le négoce des estampes. Selten lassen sich druckgraphische Produkte derart präzise datieren. 13 Der Groteskendekor mit Bandwerk, wie ihn Tessin auch in seine Decken einfließen ließ, war eine Spezialität von Jean I Berain. Er findet sich daher auch in einem Entwurf Berains für die Bordüren einer Folge von Tapisserien, die die Siege des schwedischen Königs Karl XI. verherrlichen sollten (Abb. 3). 1695 äußerte Tessin zum ersten Mal die Idee, die in Schloss Drottningholm bereits vorhandenen großformatigen Schlachtengemälde von Johann Philipp Lemke 14 als Wandbehänge für eine Galerie im Stockholmer Schloss wirken zu lassen. Cronström sollte Berain beauftragen, Vorschläge für die Bordüren auszuarbeiten. 15 Nachdem Cronström im Mai 1697 dessen Entwurfszeichnungen nach Stockholm gesandt hatte, 16 wurde dort die Entscheidung zugunsten einer pompöseren Variante Berains getroffen. 17 Im Sinne der Visualisierung militärischer Stärke fiel die Wahl auf die Alternative mit dorischen Vollsäulen, die ein Gebälk mit klassischem Triglyphen- und Metopenfries tragen (Abb. 4). Weiter wurde beschlossen, die Tapisserien in französischen Werkstätten ausführen zu lassen, unter anderem in den Ateliers von Philippe Béhagle und Louis Hinart in Paris. Cronström erteilte auch hierzu den Auftrag. 18 Die Belagerung von Malmö wurde 1699 als erster Behang fertig gestellt und noch im selben Jahr nach Stockholm geliefert (Abb. 4). Jean-Baptiste Martin hatte den Karton für das 12 Vgl. den Bericht Cronströms, 27. Oktober / 6. November 1699; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 248. 13 Cronström an Tessin, 13. April 1702; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 314. Siehe dazu auch Inventaire du fonds français. Graveurs du XVIIe siècle, Bd. 8 und Bd. 9: Sébastien Leclerc, M AXIME P REAUD (Bearb.), Paris 1980, Bd. 8, 249-251. 14 Zu diesen grundlegend W ILHELM N ISSER , Bataljmålningarna i Carl X Gustafs och Carl XI: s gallerier på Drottningholms slott, Stockholm 1929. 15 Tessin an Cronström, 10. Juli 1695; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 84. 16 Cronström an Tessin, 3. Mai 1697; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 167. 17 Diese ist abgebildet in U RSULA S JÖBERG , Krig och Kärlek på tapeter. En unik samling vävda tapeter från 1500och 1600-talet, Stockholm 2002, 105. 18 Cronström an Tessin, 21./ 11. Februar 1698; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 188f. Martin Pozsgai 182 Abb. 3: Jean I Berain, Entwurf einer Bordüre für eine Folge von Tapisserien mit den Schlachten Karls XI., 1697, Nationalmuseum Stockholm. Versailles: The View from Sweden (Ausstellungskatalog), New York 1988, 38. Die Gesandten am französischen Hof als Kunstagenten 183 Abb. 4: Philippe Béhagle, Die Belagerung von Malmö, Tapisserie, 1697-1699. Ursula Sjöberg, Krig och Kärlek på tapeter. En unik samling vävda tapeter från 1500och 1600-talet, Stockholm 2002, 108. Bildfeld nach dem Gemälde von Lemke gemalt, während Guy Vernansal denjenigen für die Bordüre nach dem ausgewählten Entwurf Berains schuf. Der Fortgang der Arbeiten lässt sich in allen Details anhand der Korrespondenz zwischen Cronström und Tessin nachvollziehen. 19 Waren die Tapisserien nahezu ausschließlich von Franzosen in Paris hergestellt worden, so ist der Krönungswagen für Karl XI. ein Beispiel dafür, wie die französischen Künstler in Stockholm nach Entwürfen ihres Pariser Kollegen Jean I Berain arbeiteten. Die Prachtkarosse war ein Gemeinschaftsprojekt der beteiligten Spezialisten, bei dem Cronström die Koordinierung übernahm. 20 Zunächst schickte er im 19 Vgl. zuletzt S JÖBERG , Tapeter (wie Anm. 17), 100-127, bes. 108-111 zum Teppich mit der Belagerung von Malmö. 20 Ausführlich analysiert durch A STRID T YDÉN -J ORDAN , Kröningsvagnen. Konstverk och Riksklenod. En Studie i barockens Karossbyggnadskonst, Stockholm 1985. Martin Pozsgai 184 Abb. 5: Jean I Berain, Entwurf für den Krönungswagen Karls XI., 1696, Nationalmuseum Stockholm. Astrid Tydén-Jordan, Kröningsvagnen. Konstverk och Riksklenod. En Studie i barockens Karossbyggnadskonst, Stockholm 1985, 58. Mai 1696 als angemessenes Vergleichsbeispiel Zeichnungen eines Wagens, der bei der Hochzeit des Duc de Chartres, des Herzogs von Orléans und späteren Regenten, benutzt wurde, nach Schweden. Cronström schrieb dazu, die Ornamente an diesem Wagenkasten seien von besonders gutem Geschmack und mit der größt- Die Gesandten am französischen Hof als Kunstagenten 185 Abb. 6: Claude Henrion, Detail des Krönungswagens Karls XI., Livrustkammaren Stockholm. Tydén-Jordan, Kröningsvagnen, 58. möglichen Schönheit ausgeführt worden. 21 Am Stockholmer Hof hat man sich vom französischen Modell augenscheinlich überzeugen lassen, denn kurz darauf bat Tes- 21 Cronström an Tessin, 10. Mai / 30. April 1696; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 123. Die Zeichnung bewahrt das Nationalmuseum in Stockholm auf, vgl. Versailles à Stockholm (wie Anm. 3), 212f. Martin Pozsgai 186 sin Cronström, Kontakt mit Jean I Berain aufzunehmen und ihn mit einem Plansatz für eine Krönungskutsche zu beauftragen. 22 Einige Zeit später konnte Cronström die Entwürfe nach Schweden schicken. 23 Berain hatte jeden Wandaufriss gezeichnet sowie einige separate Blätter mit Details der Wagenkonstruktion (Abb. 5). Nach diesen wurde die Krönungskarosse nahezu vollständig in Schweden ausgeführt - unter maßgeblicher Beteiligung der sich dort aufhaltenden französischen Künstler. Ein exemplarischer Vergleich der Zeichnung mit der Ausführung des Wagenrahmens zeigt die relative Entwurfstreue der ausführenden Künstler (Abb. 6). Zwar entsprechen die Grundzüge in konstruktiver und formaler Hinsicht dem Entwurf Berains, aber der Bildhauer in Holz Claude Henrion hat, wie unschwer zu erkennen ist, wesentliche Veränderungen beim figürlichen Beiwerk vorgenommen. Inwieweit dies auf Wunsch des schwedischen Hofes geschah oder ob er die Modifikationen eigenständig vorgenommen hat, lässt sich heute nicht mehr verifizieren. Immerhin ist erstaunlich, dass auf die Königskrone verzichtet wurde. Eine möglicherweise unerwartete Aufgabe kam Cronström schließlich zu Beginn des Jahres 1699 zu. Am 11. Januar schrieb ihm Tessin, der jüngst gekrönte König Karl XII. sei sehr interessiert daran, ausführlich über alle Angelegenheiten am Hofe Frankreichs informiert zu sein. Insbesondere wäre er zunächst neugierig zu erfahren, wie die Uniformen im königlichen Hause aussähen, und bat darum, man möge ihm Zeichnungen en grand et en couleurs zukommen lassen, wie des Grands Musquetairs et des Gardecorps eingekleidet seien. 24 Wie einige heute in Stockholm liegende Blätter zeigen (Abb. 7), kam Cronström dem Wunsch nach und ließ solche Zeichnungen anfertigen. 25 Kurze Zeit später ordnete Karl XII. an, dass die Pendants der schwedischen Armee nach dem Vorbild der französischen Livrées zu gestalten seien. Daniel Cronström starb 1719. Seine hinterlassene Korrespondenz lässt, von ihrem ohnehin hohen Quellenwert für verschiedenste kunsthistorische Fragestellungen abgesehen, auf eindrucksvolle Weise die Wege und Möglichkeiten des Kunsttransfers in der Zeit um 1700 erkennen. Nahezu eine Generation später fand ein ähnlich intensiver Austausch zwischen dem Ansbacher Hof und seinem Agenten Ernst Ludwig Carl in Paris statt, der analoge Aufgaben und Ziele verfolgte. Allerdings waren in diesem Fall die Bedingungen für die Umsetzung der aus Frankreich importierten Ideen am heimischen Hof anders. 22 Tessin an Cronström, 12. Mai 1696; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 126. 23 Cronström an Tessin, 24./ 14. August 1696; W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 138. 24 W EIGERT / H ERNMARCK , Correspondance (wie Anm. 1), 216. 25 Vgl. zu diesem Vorgang auch Versailles à Stockholm (wie Anm. 3), 214-216. Die Gesandten am französischen Hof als Kunstagenten 187 Abb. 7: Grand Mousquetaire en Sentinelle, Zeichnung, wohl 1699, Nationalmuseum Stockholm. Versailles à Stockholm (Ausstellungskatalog), Stockholm 1985, 214. Martin Pozsgai 188 3. Brandenburg-Ansbach Der Jurist Ernst Ludwig Carl, 1682 im hohenlohischen Öhringen geboren und bis 1706 an der Universität Halle immatrikuliert, hielt sich von Ende 1719 bis 1731 als außerordentlicher Gesandter der Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth in Paris auf. Am Ansbacher Hof korrespondierten sowohl der Hofarchitekt Karl Friedrich von Zocha als auch der Erzieher des Erbprinzen, Johann von Brehmer, mit Carl. Zur Zeit des nachweisbaren Briefwechsels mit Zocha war dieser in den Jahren 1728/ 29 gerade damit beschäftigt, einige Räume in der Ansbacher Residenz umzugestalten. 26 Zwei Appartements wurden im Hinblick auf die sich anbahnende Hochzeit des Erbprinzen mit der preußischen Prinzessin Friederike Luise neu dekoriert. 27 Mit diesen Ausstattungsvorhaben ist sehr wahrscheinlich eine Bestellung von Tapisserien in Zusammenhang zu bringen, die Johann von Brehmer im Juli 1728 in einem Brief an Carl erwähnte. Denn pour les tapisseries a faire faire au Gobelins ou Bauvois werde er la messure d’Anspac bald nach Paris übermitteln können. 28 Diese Bestellung durch den Hofmeister des Erbprinzen könnte für das erbprinzliche Appartement selbst bestimmt gewesen sein, aber auch die Räume der künftigen Gemahlin kämen natürlich in Frage. Ob die königlichen Manufakturen in den Gobelins oder in Beauvais sie schließlich ausgeführt haben, ist nicht bekannt. Vielleicht war die Angelegenheit zu kostspielig, denn Carl wurde nur wenige Monate später - nun durch Karl Friedrich von Zocha - beauftragt, in der königlichen Manufaktur in Paris neun verschiedene Sorten Wolle nach einer genauen Auflistung einzukaufen. Mit dieser sollten die Teppichwirker in der eigenen markgräflichen Manufaktur in Schwabach arbeiten, die zwei Generationen zuvor gegründet worden war. 29 Bei dieser Gelegenheit, so Zocha, solle sich Carl gleich in den Gobelins umsehen, ob er dort auch Kanapees, Sofas und Stühle mit gewirkten Bezügen entdecke, die er in gutem Geschmack gestaltet finde und schicken könne. Jedes solle d’un dessein different gearbeitet sein, denn die Stücke seien sämtlich als Modelle für die Künstler am heimischen Hof vorgesehen. 30 Wie die Forschungen von Christoph 26 Von ihnen sind nur noch spärliche Reste erhalten. Einen relativ authentischen Eindruck vermittelt lediglich das Kabinett an der Bildergalerie (Raum 27). Vgl. H EINRICH K REISEL , Die Ausstattung der Markgräflichen Wohn- und Festräume in der Ansbacher Residenz, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 6 (1939), 50-86, bes. 52-54; sowie J OSEF M AIER , Residenzschloss Ansbach. Gestalt und Ausstattung im Wandel der Zeit, Ansbach 2005, 152-155. 27 G RAF VON P FEIL , Möbel der Residenz Ansbach (wie Anm. 6), 13. 28 StAN Rep. 105ad, Nr. 6, fol. 32r. 29 StAN Rep. 105ad, Nr. 7, fol. 23r; vgl. K UNZE , Chargé d’affaires (wie Anm. 6), 217, Anm. 16. Zur Schwabacher Manufaktur vgl. zuletzt H ELGA R OßMEIßL , Die Gobelinwirkerei in Schwabach, in: 600 Jahre Stadt Schwabach 1371-1971, H EINRICH S CHLÜPFINGER (Hrsg.), Schwabach 1971, 323-332. 30 StAN Rep. 105ad, Nr. 7, fol. 23v. Mit ähnlicher Wortwahl sollte besorgt werden: une couple de lanternes de differentes façons pour modelles d’en faire d’autres icy; vgl. StAN Rep. 105ad, Nr. 6, fol. 56r. Die Gesandten am französischen Hof als Kunstagenten 189 Graf von Pfeil ergeben haben, sind in Ansbach tatsächlich Möbel erhalten, welche aus Paris übersandte Originale zum Vorbild haben. Exemplarisch sei auf zwei Konsoltische hingewiesen, von denen der eine in Frankreich eingekauft und der andere in der Markgrafschaft geschaffen wurde (Abb. 8 und 9). 31 Ein ähnlicher Ansatz der Rezeption französischer Vorbilder ist in einer Bemerkung von Ernst Ludwig Carl festzustellen, der in einem Brief vom 26. April 1730 schrieb, der nunmehrige Markgraf könne die unlängst übersandten Gemälde Jean-Baptiste Oudrys (Abb. 10) zusätzlich als gewirkte Wandbehänge ausführen lassen, und zwar in Schwabach (faire mettre les deux tableaux de chasse en Tapisserie a Swobac). 32 Noch als Erbprinz hatte der Markgraf während seines Aufenthaltes in Paris bei Oudry zwei Gemälde mit Jagdszenen gesehen, sich dann aber erst später entschlossen, diese noch erwerben zu wollen, womit einmal mehr Carl beauftragt wurde. Neben dem Kauf von Luxusprodukten mit unmittelbarer Vorlagefunktion wurden in Ansbach regelmäßig die neuesten Kupferstichpublikationen über Möbel bezogen, und es ist überliefert, dass der Markgraf diejenigen zur Ausführung bestimmte, die ihm am besten gefielen. 33 So hatte Zocha Druckwerke bei Jean Mariette in Paris subskribiert. Carl holte sie ab, bezahlte für Zocha und schickte sie nach Ansbach. 34 Häufig kam Carl auch die Aufgabe zu, für Zocha künstlerische Techniken zu ermitteln. Am 20. Juli 1728 bat der Hofarchitekt darum, ein Rezept für einen dauerhaften weißen Anstrich für Holzvertäfelungen ausfindig zu machen, 35 und im Oktober 1728 wollte Zocha mehr über la science de mettre le bronze en couleur d’or erfahren. 36 Nur in den Bereichen der Ansbacher Kunstproduktion, in denen weder die Übermittlung von Technologien noch die Übersendung von Vorlagen möglich war und ausreichte, bemühte man sich intensiv, Künstler aus Paris nach Ansbach zu verpflichten. Das betraf etwa einen Fondeur und einen Ziseleur sowie einen Bildhauer in Holz, der dann allerdings in München gefunden wurde. 37 31 G RAF VON P FEIL , Möbel der Residenz Ansbach (wie Anm. 6), 14 sowie 85-87, Kat.-Nr. 14; K UNZE , Chargé d’affaires (wie Anm. 6), 217, Anm. 15 hat erstmals auf gekaufte Möbel als Modelle hingewiesen. 32 StAN Rep. 105ad, Nr. 7, fol. 53v-54r. 33 Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 6 Bü 91, Brief des Mitglieds der herzoglichen Baudeputation, Jacquin de Betoncourt, an Eberhard Ludwig von Württemberg vom 27. Juni 1733: Leopold Retti m’a dit que Monsg. le Margraff d’Anspach son maitre faisoit venir regulierement tous ces nouveaux desseins de France, pour avoir le choix de ce qui luy plait le mieux, afin se le faire executer chez luy. 34 StAN Rep. 105ad, Nr. 7, fol. 11r. 35 StAN Rep. 105ad, Nr. 7, fol. 5r. 36 StAN Rep. 105ad, Nr. 6, fol. 53r. Vgl. zur Besorgung von Rezepten bereits K UNZE , Chargé d’affaires (wie Anm. 6), 215, Anm. 2f. 37 StAN Rep. 105ad, Nr. 7, fol. 12v, 36v; vgl. auch K UNZE , Chargé d’affaires (wie Anm. 6), 223, Anm. 36. Martin Pozsgai 190 Abb. 8: Residenz Ansbach, Konsoltisch, Frankreich, um 1728/ 30. Christoph Graf von Pfeil, Die Möbel der Residenz Ansbach, München / London / New York 1999, 87. Abb. 9: Residenz Ansbach, Konsoltisch, Ansbach, um 1728/ 30. Graf von Pfeil, Die Möbel der Residenz Ansbach, 86. Die Gesandten am französischen Hof als Kunstagenten 191 Abb. 10: Jean-Baptiste Oudry, Wolfsjagd, datiert 1722, Residenz Ansbach. Christoph Graf von Pfeil, Residenz Ansbach. Amtlicher Führer, München 2005, 85. Dieser Bildhauer - ein Franzose - war Zocha zufolge von Kurfürst Max Emanuel - und damit unter der Ägide des Hofarchitekten Joseph Effner, der selbst seine Ausbildung in Paris erhalten hatte - nach Bayern geholt worden. Auch die besondere Technik des Lackierens war einen solchen Aufwand wert. So sollten Jacques Dagly durch Vermittlung Carls in Paris engagiert und mit ihm auch dessen Lackrezept - son secret - erworben werden. 38 Der Entrepreneur des ouvrages chinois du Roy aux Gobelins besaß unter anderem das Monopol für die Herstellung eines besonderen Lacks, der - als vernis de Gobelins bezeichnet - für den Überzug von flexiblen Materialien wie Leinen, Seide und Leder geeignet war. 39 Ein Schlaganfall, der am 20. Dezember 1728 zum Tod Daglys führte, verhinderte jedoch seine Reise nach Ansbach und die Aufnahme der Arbeit. Sicherlich war es für die vorgesehene Abwerbung des Künstlers aus Paris von nicht unerheblicher Bedeutung, dass er zuvor von 38 StAN, Rep. 105ad, Nr. 6, fol. 42r-42v und fol. 61r; vgl. bereits K UNZE , Chargé d’affaires (wie Anm. 6), 224f. mit Anm. 42. 39 Zu Jacques Daglys Pariser Jahren vgl. H ANS H UTH , Lacquer of the West, Chicago / London 1971, 88f. Martin Pozsgai 192 1689 bis 1713 bei den hohenzollerischen Verwandten in Berlin als Leiter einer Lackfabrik tätig gewesen war und sich dort bewährt hatte. 40 4. Zusammenfassung Die Auswertung der erhaltenen Briefe des schwedischen Gesandten am französischen Hof, Daniel Cronström, und des fränkischen Chargé d’affaires Ernst Ludwig Carl, ebenfalls zeitweise nach Paris entsandt, ermöglichte es, das Phänomen der diplomatischen Agententätigkeit in vergleichender Perspektive zu beleuchten. Der Blick auf die Korrespondenz Cronströms mit dem nordischen Königshof, deren zeitlicher Schwerpunkt in den 1690er Jahren liegt, zeigte, dass der Gesandte Luxusprodukte nach Schweden schickte und - auf ausdrücklichen Wunsch wie aus eigenem Antrieb - Zeichnungen und Drucke übermittelte. Er bestellte Textilien in den königlich-französischen Manufakturen und erledigte viele weitere Aufträge. Für den Hofarchitekten Tessin und die Ausstattungsvorhaben in Schweden suchte er die geeignetsten Dekorationskünstler unterschiedlichster Profession und schloss mit ihnen die Verträge ab. Sein Wirken wird dadurch besonders anschaulich, dass nicht wenige der durch ihn vermittelten Kunstwerke noch heute in Stockholmer Sammlungen erhalten sind. Auch die etwa eine Generation später entstandene Korrespondenz des Gesandten Ernst Ludwig Carl mit dem Hof in Brandenburg-Ansbach weist ähnliche Ausgangsbedingungen und Strukturen der Vermittlung auf. Während es sich der schwedische Königshof allerdings leistete, französische Künstler nahezu aller Gattungen und Arbeitsbereiche nach Stockholm zu holen, beschränkte man sich in Ansbach - sicher auch aus wirtschaftlichen Gründen - auf solche, deren Technik man in Franken nicht beherrschte oder für die der Einkauf von Modellen nicht ausreichte. Während also im Norden französisches Personal vorhanden war, das die aus Paris übersandten Zeichnungen mühelos umzusetzen und sogar noch zu modifizieren in der Lage war, sind echte Transferprozesse in weit größerem Umfang in Ansbach zu beobachten, wo nahezu ausschließlich mit einheimischem Personal gearbeitet wurde, das seine Formbildung an den Modellen schulen und verfeinern sollte. Neben der geringeren Zahl der Briefe liegt darin auch der Grund, warum die für die Kunstgeschichte so wichtigen Aussagen über Arbeitsprozesse in der französischen Kunstproduktion eher bei Cronström zu finden sind. Beide Korrespondenzen bringen jedoch in gleichermaßen eindrucksvoller Weise zeitgenössische Wertungen des künstlerischen Geschehens am französischen Hof zum Ausdruck. 40 Aus Berlin wechselte Jacques Dagly nach dem Tod König Friedrichs I. in Preußen 1713 unmittelbar in die Gobelins in Paris. Siehe dazu W INFRIED B AER , Die Lackmanufaktur der Gebrüder Dagly in Berlin, in: Japanische und europäische Lackarbeiten, M ICHAEL K ÜHLEN- THAL (Hrsg.), München 2000, 288-330, bes. 294f. Gesandte für die Kunst - Die Bedeutung von Gesandten für die Brühlschen Sammlungen Ute Christina Koch Unmittelbar nach dem Tod von Heinrich Graf von Brühl, dem ehemaligen Premierminister unter König August III. von Polen bzw. Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen, erfolgte in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober 1763 die Versiegelung sämtlicher gräflicher Güter in Kursachsen. 1 Zudem wurden verschiedene Vertraute des Grafen wie sein Sekretär Carl Heinrich von Heineken verhaftet und die vorgefundenen Papiere eingezogen. Auf Veranlassung von Prinz Franz Xaver, der als Administrator die Regierungsgeschäfte für den noch unmündigen Sohn seines verstorbenen Bruders Friedrich Christian wahrnahm, wurde am 8. Februar 1764 eine Untersuchungskommission eingerichtet. Sie hatte die Ursachen des bei dem Regierungsantritt Ihro Königl. Hoheit des Kurfürsten in allen landesherrlichen Kassen vorgefundenen Geldmangels zu untersuchen. Nach Durchsicht aller Akten und der Vernehmung der Verhafteten kam diese Kommission im Februar des Jahres 1765 zu dem Schluss, dass Brühl des Vergreifens an landesherrlichen Cassen sowie der Anmaßung und der Majestätsbeleidigung zu beschuldigen sei. 2 Es folgten die Sequestration sämtlicher Besitztümer des Grafen und eine langwierige Prüfung aller Unterlagen, die schließlich der Prozessvorbereitung gegen den Grafen Brühl dienen sollten. Am 24. Februar 1768 kam es allerdings überraschend zur Aufhebung des fiscalischen Anspruch[s] wieder der Cabinets-Ministre Heinrich Grafen von Brühl Erben. 3 Prinz Franz Xaver hatte erkannt, dass gegen Brühl nichts zu unternehmen war, ohne den verstorbenen König ebenfalls zu beschuldigen. Er einigte sich mit den Brühlschen Erben auf einen Vergleich, der zwar den Verzicht der erhobenen fiscalischen Klage und die Aufhebung der verfügten Sequestration bewirkte, dagegen aber aus der Erbschaftsmasse ein Aequivalent von mehr als 6 Tonnen Goldes [zu] verwilligen beinhaltete. 4 Der Tod des Grafen sowie die sich daran anschließende Sequestration markieren einen Wendepunkt in der Geschichte der Brühlschen Sammlungen. Diese waren von Heinrich Graf von Brühl in einem Zeitraum von rund dreißig Jahren angelegt worden. Am Ende seines Lebens war Brühl damit nicht nur im Besitz einer Gemäldesammlung und eines Kupferstichkabinetts, sondern auch einer Bibliothek, 1 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (SächsHStA) 10047 Amt Dresden, Nr. 3382, fol. 1r. 2 Zitiert in: W ALTER F ELLMANN , Heinrich Graf von Brühl, Würzburg 2000, 4. überarb. Aufl., 376. 3 SächsHStA 10047 Amt Dresden, Nr. 3572, fol. 1r. 4 Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB), Handschriftenabteilung, Mscr. Dresd. 514 B I b 3, fol. 3v. Ute Christina Koch 194 eines Naturalienkabinetts, einer Skulpturensammlung und einer Sammlung mathematischer und physikalischer Instrumente. Darüber hinaus verfügte er über einen außergewöhnlichen Bestand an Porzellanen und über zahlreiche Preziosen, darunter über 800 Tabatieren. Im Folgenden wird die Bedeutung von Gesandten beim Aufbau und Verkauf der Brühlschen Sammlungen untersucht, da diese beim Erwerb der einzelnen Kunstwerke, Bücher, Instrumente und Preziosen eine wichtige Rolle spielten. Während unter August II. vor allem Diplomaten sowie einige Händler und Künstler mit dem Ankauf von Kunstwerken betraut waren, hatte sich während der Regierungszeit von August III. ein dauerhaftes Netz von Kunstagenten in ganz Europa etabliert. 5 Unter diesen Agenten waren zahlreiche Diplomaten, die von ihrem Dienst befreit worden waren, um sich ganz auf den Ankauf von Kunstwerken zu konzentrieren. Dabei waren sie auch für den Grafen Brühl tätig. Jedoch korrespondierten sie bei diesen Ankäufen nicht mit dem Grafen selbst, sondern mit dessen Sekretär Carl Heinrich von Heineken. Brühl teilte diesem allgemein seine Wünsche mit, Heineken hatte sie dann zu spezifizieren und an die Gesandten weiterzugeben. Während also zahlreiche sächsische Gesandte und Agenten für den Aufbau der Brühlschen Sammlungen tätig waren, waren es europäische Gesandte in Dresden, die den Verkauf der Brühlschen Sammlungen in ihren Heimatländern verkündeten und dadurch zu ihrer Zerstreuung beitrugen. Mit Hilfe der offiziellen Gesandtschaftskorrespondenzen sowie der Brühlschen Sequestrationsakten kann somit der Ankauf der Brühlschen Gemäldesammlung durch die russische Zarin Katharina II. vorgestellt werden, der vom russischen Gesandten in Dresden, Fürst Andrej Michajlovi Belosel’skij, geleitet wurde. Darüber hinaus werden die Korrespondenzen weiterer Gesandter in Dresden ausgewertet, um zu prüfen, wie weit die jeweilige Kontaktaufnahme reichte. Mit einbezogen werden der englische, der französische sowie der preußische Hof. 5 V IRGINIE S PENLÉ , Die Dresdner Gemäldegalerie und Frankreich. Der ‚Bon Goût’ in Sachsen, Beucha 2008, 154; zu den Kunsterwerbungen für Dresden siehe unter anderem: G IAN- CARLO R OVERSI , Il commercio di quadri a Bologna nel settecento, in: Archiginnasio 60 (1965), 446-506; L UBOR M ACHYTKA , Zum Verkauf Waldsteinischer Bilder nach Dresden im Jahr 1741, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 18 (1986), 67-73; J OHANNES W INKLER , Der Verkauf an Dresden: Dresden und Modena aus der Geschichte zweier Galerien, Modena 1989; G IOVANNA P ERINI , Dresden and the Italian Art Market in the Eighteenth Century: Ignazio Hugford and Giovanni Ludovico Bianconi, in: Burlington Magazine 135 (1993), 550-559; G REGOR J. M. W EBER , Italienische Kunsteinkäufer im Dienst der Dresdner Galerie, in: Dresdner Hefte 40 (1994), 32-425; S TEFANIA P ARNIGOT- TO , Venedig und das „augusteische“ Dresden: Tendenzen des Sammlergeschmacks an der Elbe 1699-1756, ungedr. Tesi di Laurea an der Universität Venedig 1994/ 1995; V IRGINIE S PENLÉ , Les achats de peintures d’Auguste III sur le marché de l’art parisien, in: Bulletin de la Société de l’Histoire de l’Art français 2002 (2003), 93-134. Gesandte für die Kunst 195 1. Die Rolle von Gesandten beim Aufbau der Brühlschen Sammlungen Heinrich Graf von Brühl konnte beim Aufbau seiner Sammlungen auf das umfangreiche Agentennetz Augusts III. zurückgreifen. Als Oberkammerherr hatte Brühl im Jahr 1738 auch die Direktion der königlichen Sammlungen übernommen. 6 Damit war er unter anderem für die Koordinierung aller Bildankäufe für die königliche Gemäldegalerie verantwortlich. In der Folge korrespondierte Brühl mit Gesandten unter anderem in Paris, Madrid, Rom und Venedig wegen der Erwerbung von Kunstwerken, Büchern oder auch Pferden für den König. Paris war als wichtiger Kunstmarkt sowie für den Erwerb zahlreicher Luxusgegenstände von besonderer Bedeutung. Hier hatte sich als Kunsteinkäufer der Legationssekretär Samuel De Brais bewährt. 7 Seit dem Beginn der 1740er Jahre gehörte er zwar formal noch zur sächsischen Gesandtschaft, war jedoch von seinen diplomatischen Pflichten befreit worden, um sich auf den Erwerb von Gemälden zu konzentrieren. Allerdings konnte er dieser Aufgabe nur rund ein Jahr nachkommen, da er Ende 1742 verstarb. In seiner Funktion folgte ihm sein Sekretär Théodore Le Leu, der auf die Verbindungen seines Vorgängers zurückgreifen konnte. In Spanien hatte sich der sächsische Gesandtschaftssekretär Louis Talon um verschiedene Gemäldeerwerbungen, aber auch zum Beispiel um Buchankäufe zu kümmern. In Italien waren sowohl Agenten als auch Diplomaten als Ankäufer tätig. Als berühmtestes Beispiel eines Agenten soll hier der Graf Francesco Algarotti erwähnt werden. Er wurde im Jahr 1743 nach Italien gesandt, um dort sowohl Werke alter Meister zu erwerben als auch Werke bei zeitgenössischen italienischen Meistern, wie Pittoni, Piazetta oder Tiepolo, zu bestellen. 8 In Rom kümmerte sich der sächsische Gesandte Alessandro Roccatoni um Gemäldeankäufe. Alle diese Diplomaten und Agenten tätigten sowohl für König August III. von Polen als auch für Heinrich Graf von Brühl verschiedenste Erwerbungen. Von großer Wichtigkeit war dabei, die königlichen und die Brühlschen Geschäfte nicht miteinander zu vermischen. Immer wieder wurden die Diplomaten darauf hingewiesen, dass sie sich wegen der Ankäufe für die Brühlschen Sammlungen an Carl Heinrich von Heineken, den Sekretär des Grafen, zu wenden hatten. Entsprechend 6 G ERALD H ERES , Dresdener Kunstsammlungen im 18. Jahrhundert, Leipzig 2006, 2. Aufl., 121. 7 Dazu siehe unter anderem: S PENLÉ , „Bon Goût“ (wie Anm. 5), 154-156, 161f. 8 Zu Algarottis Tätigkeit als Kunstagent für den Dresdner Hof siehe unter anderem: H ANS P OSSE , Die Briefe des Grafen Francesco Algarotti an den sächsischen Hof und seine Bilderkäufe für die Dresdner Galerie, in: Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 52 (1931), 1-73; J AYNIE A NDERSON , Count Francesco Algarotti as an Advisor to Dresden, in: Il collezionismo a Venezia e nel Veneto ai tempi della Serenissima, B ERNARD A IKEMA (Hrsg.), Venedig 2005, 275-286. Ute Christina Koch 196 schrieb Brühl im Jahr 1742 an Samuel De Brais in Paris: Je seroÿ même bien aise, que par rapport à de pareilles curiosités et autres, vous voulussiés entrer en commerce de lettres avec mon secrétaire le Sr. Heinicke [...]. 9 Den Gesandtschaftssekretär in Madrid, Louis Talon, machte Carl Heinrich von Heineken darauf aufmerksam, dass Brühl ne conviendroit pas que vous eussiez melé les affaires du Roy et les siennes ensemble. C’est pourquoi je vous prie d’etablir une Correspondance avec moi sur ce qui regarde S.E. le Ministre, et de mander tout ce qui est pour S.M. le Roi au Ministre même. 10 Talon verhandelte zu diesem Zeitpunkt über den Ankauf der Sammlung von Diego de Molena für den Grafen Brühl. Als Talon jedoch berichtete, dass sich in der Sammlung Gemälde bedeutender italienischer Meister wie Raffael befänden, wurde die Sammlung von König August III. angekauft. In der Folge sollte Talon mit Brühl wegen der Gemälde korrespondieren. Es stellte sich aber nach der Ankunft der Sammlung in Dresden heraus, dass es sich um wertlose Kopien handelte. Von dem Briefwechsel Carl Heinrich von Heinekens mit den Gesandten über die gräflichen Ankäufe haben sich nur drei Briefe des Gesandtschaftssekretärs in Rom, Alessandro Roccatoni, an Brühls Sekretär erhalten. In ihnen spricht Roccatoni ausschließlich von Gemäldeankäufen und ihrer Abwicklung. So berichtet er zum Beispiel von verschiedenen Gemälden, die er begutachten ließ: prima di far qui il Negozio l’ho fatti vedere e osservare a più professori e specialmente al Signor Battoni. 11 Mit „Battoni“ ist der Maler Pompeo Batoni gemeint, der Roccatoni beim Erwerb von Gemälden für den sächsischen Hof half. In diesen Briefen zeigt sich, dass Roccatoni immer wieder auf die Hilfe Batonis zurückgriff, um angebotene Kunstwerke zu überprüfen. Darüber hinaus wird deutlich, wie sich Roccatoni beim Gemäldeerwerb zu verhalten hatte. So musste er zum Beispiel ein weniger gutes Gemälde überteuert erwerben, da nur so ein begehrtes qualitätvolles Werk zu einem guten Preis zu erhalten war: non potevo avere quello del Cigniani per il prezzo che L’ho avuto, se non prendero l’altro . 12 Leider sind in den Briefen Roccatonis Beschreibungen der Gemälde zu ungenau, um sie in der Brühlschen Gemäldesammlung identifizieren zu können. Somit können auch keine Aussagen zur Qualität der von ihm getätigten Ankäufe gemacht werden. In Paris wurden nicht nur Gemälde, sondern auch verschiedene Gebrauchsgegenstände erworben. Thèodore Le Leu war nach dem Siebenjährigen Krieg beauf- 9 Heinrich Graf von Brühl an Samuel De Brais, 8. April 1742; SächsHStA 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 2736/ 2, fol. 9r, zitiert in: S PENLÉ , Les achats de peintures (wie Anm. 5), 109. 10 Carl Heinrich von Heineken an Louis Talon, 27. März 1744, SächsHStA 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 3064, unpaginiert, zitiert in: S PENLÉ , „Bon Goût” (wie Anm. 5), 184. 11 Alessandro Roccatoni an Carl Heinrich von Heineken (? ), 21. August 1756, SächsHStA 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 451/ 2, fol. 94v. 12 Alessandro Roccatoni an Carl Heinrich von Heineken (? ), 3. Juli 1756, SächsHStA 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 451/ 2, fol. 92v. Gesandte für die Kunst 197 tragt worden, verschiedene Möbel und Kunstgegenstände zur Wiederherstellung der Schlösser zu kaufen, welche durch preußische Truppen geplündert worden waren. Darunter waren Sieben Trumeaux Spiegel-Gläßer, Zwölf Duzend Stühle, und Zwölf Supra-Portes. 13 Jedoch war der Graf verstorben, ehe diese Gegenstände Dresden erreichten, so dass uns die Sequestrationsakten über das Problem der Bezahlung und des Verkaufs unterrichten. Der Gesandtschaftssekretär Talon in Madrid war dringend angewiesen, unter allen Umständen eine vollständige Ausgabe von Lope de Vega zu besorgen. Mehrfach schrieb Heineken diesbezüglich an Talon; notfalls solle er sich an Gelehrte, Klosterbibliotheken oder den Bibliothekar des spanischen Königs wenden. 14 Darüber hinaus solle er auch wissenschaftliche spanische Zeitschriften für die Brühlsche Bibliothek erwerben. Die Fäden für die verschiedenen Erwerbungen liefen also bei Carl Heinrich von Heineken zusammen. Er hatte über die Qualität der Kunstwerke zu befinden und somit auch über den Ankauf zu entscheiden. Brühl war sich dieses Umstandes sehr wohl bewusst, wie aus dem Zitat des Grafen an seinen Sekretär hervorgeht: La Gallerie est votre production et j’en ay que l’honneur, mais à vous appartient la gloire. 15 2. Vermittlung durch Gesandte - Der Verkauf der Gemäldesammlung Die Ehre, die Brühl hier ansprach, war jedoch nicht von Dauer. Wie eingangs erwähnt, wurde nach seinem Tod sein gesamter kursächsischer Besitz sequestriert, also beschlagnahmt. Die Aufhebung der Sequestration im Jahr 1768 hatte große Bedeutung für die Brühlschen Erben, denn nur so konnten sie Teile des Besitzes verkaufen und ihre Schulden bezahlen. Graf Brühl hatte vor seinem Tod verschiedene testamentarische Verfügungen zur Verwendung seiner Besitztümer und damit auch seiner Sammlungen getroffen. Ein Teil seines Besitzes sollte zu einem Majorat gehören, welches er mit Erlaubnis Augusts III. errichtet hatte. 16 Dazu zählten unter anderem auch die Bibliothek, das Kupferstichkabinett und das Naturalienkabinett. Die Ge- 13 SächsHStA 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 950/ 11, fol. 54r. 14 SächsHStA 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 3064; vgl. dazu O TTO E DUARD S CHMIDT , Minister Graf Brühl und Karl Heinrich von Heinecken. Briefe und Akten, Charakteristiken und Darstellungen zur Sächsischen Geschichte (1733-1763), Leipzig 1921, 332. 15 Heinrich Graf von Brühl an Carl Heinrich von Heineken, 23. November 1748 (Brief Nr. 42), zitiert in: S CHMIDT , Graf Brühl und Heinecken (wie Anm. 14), 86. 16 E BL ., Des Königl. Pohln. und Churfürstl. Sächs. Premier=Ministers Heinrichs Grafens von Brühl Testament, d.d. Warschau den 9. Aug. 1762. nebst dazu gehörigen Codicillen, in: Musäum für die Sächsische Litteratur und Staatskunde, 1795, Zweyten Bandes zweytes Stück, 41-103, hier 57. Ute Christina Koch 198 mälde der Brühlschen Galerie im Garten auf dem Walle sowie jene aus dem Bilderkabinett im Dresdner Palais beabsichtigte der Graf höchstdenenselben und Deroselben Königl. Hause, allerunterthänigst zu Füßen zu legen und zu übergeben. 17 Allerdings wurden die testamentarischen Wünsche des Grafen nur bedingt befolgt. In verschiedenen Verträgen verfügten die Erben die Verwendung einiger zum Fideicommiß bestimmten Stücke zur Schuldentilgung zu zulassen. Damit wurde der Verkauf sämmtliche[r] zum Fideicommiß bestimmte[r] Mobilien ermöglicht, so zum Beispiel auch der Bibliothek. 18 Warum die Brühlschen Erben jedoch die Gemäldesammlung veräußern konnten, obwohl sie dem Kurfürsten zugedacht worden war, konnte bislang nicht geklärt werden. Es war wohl auch von Seiten des kurfürstlichen Hofes ein Verkauf der Sammlungen einschließlich der Gemäldegalerie beabsichtigt, wie einer Notiz des Oberamtmanns Jacob Heinrich Reinhold aus dem Jahr 1764 zu entnehmen ist. Reinhold bezweifelte allerdings, dass sich für die durch den Krieg beschädigten Sammlungen zahlreiche Käufer finden würden: Und da das Porcelaine durch öftere Transportierung in dem nemlichen Krieg sehr defect worden, von der Bibliothec vieles verbrannt, und von dem was man noch salviret verschiedenes schad- und mangelhafft ist; hiernechst die Schildereÿen ebenfalls vieles gelitten, und daher sowohl hiervon, als von der Bibliothec und sonderlich von dem Naturalien-Cabinet zu vermuthen, dass sich nicht leicht Liebhaber darzu, die es nach Würden bezahlen, finden dürfften. 19 Die Brühlschen Erben bemühten sich jedoch, sowohl am kurfürstlichen Hof in Dresden als auch im Ausland Käufer für die Sammlungen zu finden. Inwieweit sie in Abstimmung mit der Sequestrationskommission handelten, als sie 1765 den Sekretär Johann Gottlieb Pfaltz mit der Erstellung eines Catalogue raisonné der Brühlschen Gemäldegalerie beauftragten, ist nicht bekannt. Nach Pfaltz’ Aussage waren die Hoch Reichs Gräfl. Brühlschen Erben gesonnen […] die vorhandenen Schildereyen mit hoher Geheimhaltung zu verkauffen. 20 Ein Verkauf der Kunstwerke ohne die Einwilligung des kurfürstlichen Hofs vor der Aufhebung der Sequestration ist jedoch unwahrscheinlich, zumal sämtliche Gebäude der Familie versiegelt waren. Aktenkundig wurde die Angelegenheit durch den Umstand, dass sich Pfaltz nach der Anfertigung dieses bislang nicht wieder gefundenen Katalogs an die Sequestrati- 17 E BL ., Testament (wie Anm. 16), 56. 18 Archiwum Pa stwowe w Zielonej Górze, Zespół podworski rodz. Brühlow w Brodach i Zasiekach, Nr. 636, fol. 20. 19 Ohngefehrer Überschlag von dem Betrag der Verlaßenschaft des seel. Herrn Cabinets- Ministre, Grafens v. Brühl nach Abzug derer Passiviorum (durch die nachfolgende Erläuterung auf den 25. Juli 1764 zu datieren), SächsHStA 10047 Landesregierung, Nr. 3390, fol. 9r. 20 SächsHStA 10047 Landesregierung, Nr. 3451: Acta Commissionis. Die gnädigst angeordnete Sequestration des von dem Herrn Cabinets Ministre Heinrich Grafen von Brühl hinterlaßenen im Churfürstl. Sächß. Territorio gelegenen Vermögens insonderheit die von dem Secretair Pfaltz wegen des über die Gräfflich Brühlsche Bilder-Gallerie gefertigten Catalogue gesuchte Vergütung betr., fol. 3r. Gesandte für die Kunst 199 onskommission wandte, um von den Brühlschen Erben eine angemessene Bezahlung für die geleistete Arbeit zu erhalten. Der preußische Gesandte in Dresden, Adolf Friedrich von Buch, berichtete bereits Anfang des Jahres 1764 über die Brühlsche Gemäldegalerie: Sire, La Galerie de tableaux du Comte de Brühl doit se vendre, mais en entier; on dit, que le Roi d’Angleterre est en marché là dessus avec les heritiers. Il ne s’est vendu jusqu’ici rien des autres effets appartenant au dit heritage; des que cela se fera, je ne manquerai pas d’en faire mon très humble rapport à Votre Majesté, suivant se qu’Elle m’a ordonné. 21 Das hier erwähnte Gerücht, dass die Erben mit dem englischen König in Verhandlungen standen, lässt sich durch die Gesandtschaftskorrespondenz der Zeit nicht bestätigen. Der britische Gesandte Philip Stanhope berichtete sogar erst Ende 1767 von dem möglichen Verkauf der Sammlungen. Dabei betonte er, dass er gebeten worden sei, den englischen König darüber zu informieren und nachzufragen, ob er Interesse an der gesamten Sammlung oder nur an einzelnen Stücken habe. Zwar nennt er die Auftraggeber nicht namentlich, doch ist anzunehmen, dass es sich dabei entweder um den Bevollmächtigten der Brühlschen Erben, Baron Johann Gustav von der Osten-Sacken, oder um die Brühlschen Erben selbst handelte: His Gallery of pictures and collection of prints will likewise be disposed of soon, and I have been desired to inform myself whether His majesty would choose to purchase either of them, collectively, or by distinct lots. They will be appraized separately, and the lowest price set upon each of them. The collection of prints is as fine a one as any in Europe, and there are six or seven very fine pictures in his Gallery. His Majesty had a mind for any of them, and would intrust me with the choice. I flatter myself though no great Connoisseur, I would acquit myself of that commission to the King’s satisfaction. 22 Leider ist zu beiden Berichten, sowohl zum preußischen als auch zum englischen, keine Antwort erhalten. Stanhope erhielt wohl auch keine weiteren Befehle bezüglich der Sammlungen, da erst der neue Gesandte William O’Carroll im Juli 1768 auf den Verkauf der Gemäldegalerie an Katharina II. von Russland eingeht: Two days ago the Russian Minister at this Court purchased in the name of the Empress his Souvereign, the whole Collection of pictures belonging to the Bruhl family for seventy five thousand Rix Dollars. I am assured by a painter of great Understanding in his Art, and a very honest man that these pictures have been fully paid for at that price, and if the Bruhls had not found this opportunity, they would hardly have got them off so advantageously. 23 21 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), I. HA Rep. 96 Geheimes Zivilkabinett, ältere Periode (bis 1797), Nr. 64 E vol. II (1764/ 1765 (Januar)) geprüft, fol. 130r. 22 Brief Stanhopes an unbekannten Empfänger, 2. November 1767, The National Archives, London (TNA), SP88/ 95, unpaginiert. 23 Brief von William O’Carroll an William Frazer vom 5. Juli 1768, TNA, SP88/ 97, unpaginiert. Ute Christina Koch 200 Die russischen Gesandtschaftsberichte sind Ende des 19. Jahrhunderts in der Zeitschrift „Sbornik imperatorskago russkago istori eskago obš estva“ publiziert worden. 24 Sie belegen, dass der Gesandte Fürst Andrej Michajlovi Belosel’skij spätestens im März 1768 Zarin Katharina II. von Russland über die Verkaufsabsichten der Brühlschen Familie informierte. So berichtete Belosel’skij am 1. März 1768 dem russischen Minister für Äußeres, Graf Nikita Ivanovi Panin, von einem möglichen Verkauf der Gemäldesammlung, des Naturalienkabinetts und der Waffensammlung des Grafen. 25 Eine Notiz Katharinas am Rand des Briefes zeigt, dass sie die Kataloge dieser Sammlungen zu sehen wünschte. Belosel’skij konnte Mitte April lediglich den Katalog der Gemäldesammlung nach Petersburg schicken, da ihm die anderen beiden nicht zur Verfügung standen. In diesem Katalog, der bis heute nicht gefunden werden konnte, waren anscheinend nicht alle Brühlschen Gemälde verzeichnet, denn wie Katharina bemerkte, il y a plus de six cents pièces, dont deux cent quatrevingts sont seulement médiocres mais jolis. 26 Im Brühlschen Nachlassverzeichnis sind jedoch knapp 1.000 Gemälde aufgeführt, und weitere Akten legen nahe, dass rund 300 Werke in dieser Aufzählung fehlten. Vermutlich wurden qualitativ unbedeutende Werke sowie jene Gemälde, die als feste Ausstattung zum Beispiel in Form von Supraporten zum Brühlschen Palais gehörten, nicht in den Verkaufskatalog aufgenommen. Ob bei diesem Katalog auf die Arbeit des Sekretärs Pfaltz zurückgegriffen wurde, kann nicht gesagt werden. Falls eine Versteigerung nicht zu vermeiden sei, wünschte die Zarin jene Bilder, welche sie mit einem Kreuz im Katalog markiert habe. Katharina betonte aber, dass sie eigentlich die gesamte Sammlung haben wolle - auch wenn ihrer Meinung nach viele Werke nur mittelmäßig waren. Dass dieses Urteil der Sammlung nicht gerecht wird, zeigt eine Aufstellung von über 600 Gemälden aus der Brühlschen Sammlung, in der sich zahlreiche Meisterwerke holländischer, flämischer, französischer und italienischer Künstler finden. 27 Belosel’skij berichtete in den nachfolgenden Berichten über die Fortschritte seiner Verhandlungen. 28 So konnte er den Preis der Sammlung bei den Verhand- 24 A NONYM , Priloženie IX, in: Sbornik imperatorskago russkago istori eskago obš estva XVII (1876), 388-394, siehe auch: N INA S. N EMILOVA , Contemporary French Art in Eighteenth- Century Russia, in: Apollo (Juni 1975), 428-442, hier 442, Anm. 30. Für den Hinweis auf die Gesandtschaftsberichte danke ich Herrn Dr. Dimitri Ozerkov, der eine Publikation dieser Quellen in englischer Sprache plant. 25 Bericht des Gesandten am Dresdner Hof, des Prinzen A.M. Belosel’skij an den Grafen N. I. Panin, 1. (12.) März 1768, in: A NONYM , Priloženie IX (wie Anm. 24), 388. 26 B) Kopie eines Briefes Ihrer kaiserlichen Hoheit an den Grafen Panin, 10. Mai 1768, in: A NONYM , Priloženie IX (wie Anm. 24), 389 27 Siehe dazu U TE C HRISTINA K OCH , Maecenas in Sachsen. Höfische Repräsentationsmechanismen von Favoriten am Beispiel von Heinrich Graf von Brühl, Diss. TU Dresden 2010. 28 ) Bericht des Prinzen Belosel’skij an den Grafen N. I. Panin, 19. (30.) April 1769, in: A NONYM , Priloženie IX (wie Anm. 24), 391f, das hier angegebene Datum kann dem Inhalt Gesandte für die Kunst 201 lungen mit dem Brühlschen Nachlassverwalter Johann Gustav Baron von der Osten-Sacken noch unter die Vorgabe der Zarin drücken. Insgesamt sollten 180.000 Gulden über Kaufleute in Holland bezahlt werden. Dabei versicherte der Gesandte, dass man dies in Dresden für günstig halte. Zudem hatte er zwei miteinander verfeindete Kunstprofessoren beauftragt, die Sammlung zu begutachten, um die Sicherheit der Zuschreibungen zu erhöhen. Des Weiteren hatte er den Direktor der kurfürstlichen Gemäldegalerie um eine Überprüfung gebeten: deux professeurspeintres d’ici, que j’ai choisis exprès, ennemis, entre eux, pour mieux savoir la vérité. Im Juli 1768 konnte Belosel’skij vermelden, die Zahlungsanweisungen der Zarin erhalten zu haben, und den Grafen Panin über die Versendung der Gemälde über Magdeburg und Lübeck nach Petersburg informieren. 29 Es ist nicht klar, zu welchem Zeitpunkt der sächsische Hof über die Verkaufsverhandlungen der Brühlschen Erben unterrichtet wurde. Die Verkaufsvorbereitungen konnten jedoch nicht ohne das Wissen des Hofes abgewickelt worden sein. Am 22. Juli 1768 wurde der Hof durch den sächsischen Legationssekretär in Petersburg Christian Benjamin Klinckicht von Clingenau informiert. Er schrieb verschlüsselt an den Kabinettsminister Leopold Nicolaus von Ende in Dresden über diesbezügliche Anweisungen Katharinas an Belosel’skij: Man hat mir dabeÿ nur noch dieses versichert, dass Ihro Königl. Mjt., […] dem HRn. Pr. v. Beloselski als genauesten Befehl zukommen laßen, ohne weiteren Verzug das Verzeichnis von derjenigen Bilder Gallerie einzuschicken, wofür die Gräfl. Brühlsche Familie in Dreßden zu verkauffen Willens wäre, […]. 30 Im August 1768 wurden die Gemälde in Kisten verpackt, was zahlreiche Arbeitskräfte in Anspruch nahm. So konnte von der Osten-Sacken eine Anfrage wegen des Verkaufs der mathematischen und physikalischen Instrumente des Grafen Brühl nicht beantworten, da er weder heute noch morgen dazu Zeit hätte, weil alle Seine Leüthe mit einpacken der Bilder, welche nach Russland verschicket werden sollen, vollauf zuthun hätte. 31 Im Sommer 1769 kamen die rund 450 erworbenen Gemälde offenbar in einem sehr schlechten Zustand in Petersburg an. Anscheinend hatte der aus Ulm stammende Hofrestaurator der Zarin, Lucas Conrad Pfandzelt, mehrere Jahre mit deren Restaurierung zu tun. 32 Mindestens 346 dieser Gemälde gelangten in die Eremitage, wie uns ein Verzeichnis von Jakob Stählin, dem „Direktor aller Künste“ an der Petersburger Akades Briefes nach nicht stimmen; wahrscheinlich wurde er im Frühsommer 1768 geschrieben. Das nachfolgende Zitat ebd. 29 E) Bericht des Prinzen Belosel’skij an den Grafen N. I. Panin, 29. Juli (9. August) 1768, in: A NONYM , Priloženie IX (wie Anm. 24), 393. 30 SächsHStA 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 3042/ 3, fol. 46r. 31 SächsHStA 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 895/ 13, fol. 192v-193r. 32 G IANNI S TILLITANO , Caterina di Russia. L’Imperatrice e le Arti, Mailand 1998, 73. Ute Christina Koch 202 demie, unterrichtet. 33 Einige dieser Werke wurden später in andere Schlösser, wie Carskoe Selo oder Pavlovsk, gebracht. 34 Ende des 19. Jahrhunderts wurden verschiedene Gemälde aus der Brühlschen Galerie und anderen Sammlungen in das Rumjancev-Museum nach Moskau überführt. Später kam ein großer Teil in das dortige Puškin-Museum. So befinden sich die meisten Werke der Brühlschen Sammlung heute in der Eremitage in Petersburg und im Puškin-Museum in Moskau. Katharina II. kaufte allerdings nicht alle Gemälde der Brühlschen Sammlung. Zwischen einem Drittel und der Hälfte blieben zunächst im Besitz der Familie. Insgesamt 174 Gemälde wurden im März 1770 bei Christie’s in London versteigert; ihr Verbleib sowie derjenige der meisten restlichen Gemälde konnte nicht ermittelt werden. 3. Der Verkauf weiterer Sammlungen Beim Verkauf der weiteren Sammlungen lässt sich die Beteiligung von Gesandten nicht mehr nachvollziehen, aber auch diese Verkäufe waren von diplomatischen Beziehungen und Erwägungen beeinflusst. Das Brühlsche Kupferstichkabinett gelangte, allerdings über Umwege, ebenfalls in den Besitz von Katharina II. 35 Die Brühlschen Erben hatten diese Sammlung noch im April 1768 zusammen mit der Bibliothek, dem Naturalienkabinett, der Skulpturensammlung, Tapeten, einer Porte-Chaise, einem in Paris gefertigten sehr wohl gearbeiteten Surtoût sowie einer Quantität Ungarischen und Rhein Wein angeboten. 36 Die Verhandlungen zu den unterschiedlichen Sammlungen zogen sich bis August 1768 hin. Dabei wies der Nachlassverwalter von der Osten-Sacken verschiedentlich darauf hin, dass man wegen der Sammlungen auch mit anderen Interessenten in Kontakt sei. So erwähnte er in einem Gespräch mit Heinrich von Hagedorn, der als Akademiedirektor in 33 J AKOB S TÄHLIN , Verzeichniß der vornehmsten Gemählde in der von Ihro Maj[estät] der Kayserin Catharina II. im neuen Winter-Palais zu Petersburg angelegten Galerie als ein Auszug. (: 1769) NB. Die hier nach Alphabet verzeichneten Stücke sind alle aus der gräfl[ich] Brühls[chen] Galerie in Dresden, ins Russische übersetzt und kommentiert von Konstantin Malinovskij, in: Zapiski Jakoba Štelina ob izjaš 2 nych iskusstvach v Rossii, K ONSTANTIN M A- LINOVSKIJ (Hrsg.), 2 Bde., Moskau 1990, Bd. 2, 105-126; vgl. auch T OBIAS B URG , Von Paris über Dresden nach St. Petersburg und weiter - Zwei Hauptwerke Chardins in der Sammlung des Grafen Heinrich Graf von Brühl, in: Dresdner Kunstblätter 51, 1 (2007), 4- 15. 34 S TÄHLIN , Verzeichniß der vornehmsten Gemählde (wie Anm. 33), Bd. 2, 149, Anm. 38. 35 D IMITRI O ZERKOV , Das Grafikkabinett Heinrich Brühls, in: Bilder-Wechsel. Sächsischrussischer Kulturtransfer im Zeitalter der Aufklärung, V OLKMAR B ILLIG / B IRGIT D ALBAJEWA / G ILBERT L UPFER (Hrsg.), Köln 2009, 151-183. 36 SächsHStA 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 895/ 13, fol. 27v. Gesandte für die Kunst 203 Dresden die Ankäufe von der kurfürstlichen Seite aus leitete, dass die Brühlschen Erben mit dem Ruß. Kayserl. Ministre wegen besagten [Kupferstich-] Cabinets ebenfalls verhandeln würden. Da die Erben weder bereit waren, einzelne Kupferstichwerke aus der Sammlung zu verkaufen noch die ganze Sammlung zu einem günstigen Preis abzugeben, wurde der Ankauf von Prinz Franz Xaver Ende Juli 1768 abgelehnt. Die Verhandlungen mit Katharina bezüglich der Gemäldesammlung waren zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Allerdings lassen sich in den Berichten Belosel’skijs keine Nachrichten vom Kupferstichkabinett finden. Hatte die Zarin auf anderem Wege von diesem Verkauf erfahren? Oder wurde hier von den Erben ein Kaufinteressent erfunden, um sich eine bessere Verhandlungsposition zu sichern? Da schon die Gemäldesammlung von Belosel’skij gekauft wurde, war es nicht unwahrscheinlich, dass er auch an dem Kupferstichkabinett interessiert war. Dies lässt sich jedoch, wie erwähnt, durch die offiziellen Gesandtschaftsberichte nicht bestätigen. Somit ist auch der genaue Hergang der Verhandlungen über das Kupferstichkabinett heute nicht mehr zu rekonstruieren. Dimitri Ozerkov vermutet, dass das Kabinett zunächst nicht von Katharina II. angekauft wurde, sondern von den Brüdern Orlov, die sich zum Jahreswechsel 1768/ 69 in Dresden aufhielten. 37 Einige der Kupferstichalben, aus denen das Kabinett bestand, tragen nämlich noch heute Siegel mit dem Wappen der Familie Orlov. Allerdings ist auch ein Geschenk Katharinas II. an Orlov, wie schon im Fall der Gemälde, vorstellbar. Die Kupferstichsammlung kam nach dem Tod Orlovs zusammen mit den Gemälden wieder in den Besitz Katharinas. Bei den Verhandlungen mit dem Dresdner Hof bezüglich der Skulpturensammlung führten die Brühlschen Erben gleich mehrere Interessenten ins Feld. So gab es anscheinend eine Anfrage aus England wegen zweier sehr wertvoller Alabasterskulpturen: Unter der Hand vernahm ich bald darauf, daß aus Engelland Vorschläge wegen Dahinsendung der beyden so genannten Vestalen sollten eingelaufen seyn. 38 Dies berichtete Hagedorn dem Administrator Franz Xaver am 3. Juli 1768 nach einer Anfrage wegen einiger Skulpturen der Brühlschen Sammlung. Desgleichen gab es anscheinend auch aus Preußen Interesse an Brühlschen Skulpturen: So begegnete der Oberste von Sacken meiner wegen etwaiger Vereinzelung gethaner Anfrage sogleich mit Verlesung eines Briefes von dem Herrn preussischen Galerie-Inspector Oesterreich, worinnen für einen von den Gräfl. Brühlischen Erben selbst zu bestimmenden und auf die Embellage mit zu richtenden Preis, diese Sammlung ohne weitere Umstände von Sr. K. M. von Preußen verlangt wird. 39 37 O ZERKOV , Das Grafikkabinett Heinrich Brühls, in: B ILLIG / D ALBAJEWA / L UPFER , Bilder- Wechsel (wie Anm. 35), 170f. 38 Vortrag von Hagedorn, 3. Juli 1768, mit Resolutio Xavers, 26. Juli 1768, SächsHStA 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 895/ 13, fol. 139r. 39 Bericht von Heinrich von Hagedorn an Franz Xaver, 25. Mai 1768, SächsHStA 11126 Kunstakademie Dresden, Nr. 005; das nachfolgende Zitat ebd. Ute Christina Koch 204 Der preußische Galeriedirektor Matthias Oesterreich war den Brühlschen Erben wohlbekannt. Er war ein Neffe Carl Heinrich von Heinekens, des engsten Vertrauten Brühls. Zudem hatte er verschiedene Aufträge für den Grafen Brühl ausgeführt, wie zum Beispiel die Herausgabe eines Galeriestichwerks der Brühlschen Sammlung von Zeichnungen. Vermutlich fiel ihm aufgrund seiner Kenntnisse der Brühlschen Verhältnisse die Vermittlerrolle in dieser Angelegenheit zu. Wiederum konnten weder für die Anfragen von preußischer noch von englischer Seite Nachweise in den Archiven gefunden werden. Die Skulpturen wurden zusammen mit den Kunstwerken des Naturalienkabinetts und den mathematischen und physikalischen Instrumenten sowie der Bibliothek von Franz Xaver für die kurfürstlichen Sammlungen angekauft. Hagedorn hatte bezüglich der Skulpturen immer wieder darauf hingewiesen, welchen Nutzen sie für die Akademie hätten. Sie könnten auch verschiedene Lücken in der eigenen Sammlung schließen, die durch Kriegsschäden entstanden waren. Zudem wollte er die Skulpturen nicht in Preußen wissen, da es gewiß für Sächsische Freunde der Kunst gar schmerzlich seyn müßte, wenn jene Vestale und solange in Sachsen gewesene Vasen dahin kämen woher dißeitige Marmorbilder=Sammlung am meisten gelitten hat. 4. Zusammenfassung Wie gezeigt werden konnte, spielten Diplomaten eine wichtige Rolle in der Geschichte der Kunstsammlungen. Der Aufbau der Galerien und Kabinette lag in der Hand des Sekretärs des Grafen, Carl Heinrich von Heineken. Dieser konnte dabei Kontakte nutzen, die durch die umfangreichen Ankäufe des polnischen Königs August III. entstanden waren. Zwar gab Brühl die grobe Richtung seiner Sammlung vor, wie zum Beispiel die Gemälde einer bestimmten Schule oder die Bücher eines bestimmten Autors. Es oblag jedoch Heineken, diese Wünsche an die jeweiligen Diplomaten und Agenten weiterzugeben und zu spezifizieren. Die sächsischen Gesandten berichteten ihrerseits, welche Möglichkeiten sich zum Ankauf von Kunstwerken boten. Dabei arbeiteten sie in der Regel, wie bei Roccatoni zu sehen war, eng mit einheimischen Künstlern und Experten zusammen. Die so entstandenen Sammlungen waren nicht lange im Brühlschen Palais, der Galerie oder der Bibliothek ausgestellt. Bereits kurze Zeit nach dem Tod des Grafen war beschlossen worden, einen großen Teil zu verkaufen, um die Schulden des Grafen und die Forderungen der kurfürstlichen Familie zu begleichen. Dabei nutzte die Brühlsche Familie verschiedene Kontakte, um die ererbten Sammlungen möglichst vorteilhaft zu veräußern. So wurden die ausländischen Gesandten am Dresdner Hof von ihnen beziehungsweise ihrem Nachlassverwalter über den bevorstehenden Verkauf der Sammlungen in Kenntnis gesetzt. Sie sollten die Nachricht an ihren Hof weiterleiten und eventuelle Erwerbswünsche in Erfahrung bringen. Die weiteren Gesandte für die Kunst 205 Abläufe dürften von Fall zu Fall unterschiedlich gewesen sein. Der Ankauf der Gemäldesammlung wurde, wie wir sehen konnten, konsequent über den russischen Gesandten Belosel’skij in Dresden abgewickelt. Dieser setzte zur Beurteilung der Sammlung verschiedene Experten ein. Im Fall eines Ankaufs von englischer Seite wäre das Verfahren vermutlich ähnlich abgelaufen, denn dort bot sich der Gesandte selbst als Vermittler an. Allerdings sind hier bislang keine konkreten Verkaufsverhandlungen bekannt. Ob es Anfragen von preußischer Seite wegen der Skulpturen gab, konnte aufgrund der Aktenlage nicht geklärt werden, doch scheint der preußische Galeriedirektor Oesterreich ein entsprechendes Kaufinteresse übermittelt zu haben. Seine Kenntnisse der Brühlschen Sammlungen sowie seine Bekanntschaft mit der Brühlschen Familie machten die Vermittlung des Gesandten in diesem Fall vermutlich obsolet. In den untersuchten Quellen zeigte sich außerdem, dass die Brühlschen Erben mit Hilfe der verschiedenen Kaufangebote versuchten, ihre eigene Verhandlungsposition gegenüber dem kurfürstlichen Hof zu verbessern. In diesem Sinne war vor allem das preußische Interesse hilfreich, da man in Dresden auf keinen Fall dem ehemaligen Kriegsgegner die wertvollen Sammlungen überlassen wollte. In den Berichten des Akademiedirektors Hagedorn an Franz Xaver wird deutlich, dass die kurfürstliche Seite ebenfalls darauf bedacht war, ihren Vorteil zu wahren: Es wurde gefeilscht und getrickst wie auf einem Basar. Wichtige Informationen bezüglich des Wertes der Kunstwerke wurden den Erben bewusst vorenthalten. So zum Beispiel in Bezug auf die beiden erwähnten Vestalinnen. Im Nachlassverzeichnis wurden sie auf 800 Taler geschätzt. Allerdings war Hagedorn bekannt, dass sie einen deutlich höheren Wert hatten: wenn, wie der Inspector Wacker auch für gewiß versichert, und vielleicht den Gräfl. Brühlischen Erben nicht so genau bekannt, die beyden gar vortreflichen Vestale, von orientalischem Alabaster in der Sammlung für zwanzigtausend Thaler erstanden seyn sollen. 40 Auch in den Gesandtschaftsberichten zeigt sich immer wieder, wie ungenau die Gesandten über die eigentlichen Vorgänge informiert waren. Sehr oft geben sie Gerüchte weiter, die sich heute als unwahr herausstellen, oder ihre Informationen waren zum Zeitpunkt des Berichts bereits veraltet bzw. griffen den Ereignissen voraus. Gerade durch diese Spekulationen wird jedoch sehr anschaulich die angespannte und ungewisse Situation in Dresden nach 1763 deutlich. 40 Bericht von Heinrich von Hagedorn an Franz Xaver, 25. Mai 1768, SächsHStA 11126 Kunstakademie Dresden, Nr. 005. III. Objekte Bilder auf Stein als Diplomatengeschenke und ihre Verbreitung in Europa durch den diplomatischen Verkehr Johanna Beate Lohff Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden Bilder, die auf unterschiedlichen Steinen gemalt waren, zu beliebten Sammlerobjekten. 1 Auch im diplomatischen Austausch waren Bilder auf Stein beliebte Geschenke. Ein Beispiel aus der Zeit des Pontifikats von Paul V. Borghese (1605-1621) wird ihre Funktion als Diplomatengeschenk beleuchten. Anschließend wird die Verbreitung der Steinmalerei im Zuge der diplomatischen Verbindungen Francesco Barberinis nach Frankreich, Spanien und England vorgestellt. Es zeigt sich dabei, dass ihre Eignung als diplomatisches Geschenk zur Verbreitung dieser Kunstgattung in Europa geführt hat. Die Bildträger bestanden aus kostbaren Steinen wie Lapislazuli, Achat oder Jaspis, schwarzen Steinen wie Schiefer, dem sogenannten Prüfstein, auch pietra paragone genannt, oder ungewöhnlich gemusterten Steinen wie Marmor, Alabaster oder dendritischen Steinen. Viele der Künstler, die auf Stein malten, waren in Italien tätig, so dass verschiedene italienische Städte, darunter Rom, Florenz und Verona als Zentren der Steinmalerei gelten können. Das Interesse für kostbare Steine wurde zunächst durch Objekte aus Halbedelsteinen ins Leben gerufen und weiterhin durch Buntmarmorinkrustationen, mit denen man zeitgleich Kapellen ausstattete. Dass diese Dekorationsform auch Einfluss auf die Steinmalerei genommen haben dürfte, soll das folgende Beispiel zeigen. 1 Der folgende Aufsatz stammt aus den Recherchen zu meiner Dissertation, welche sich exemplarisch mit den Bildern auf Stein Antonio Tempestas beschäftigt. Zur Steinmalerei vgl. weiterhin: Bizzarie di Pietre dipinte dalle collezioni dei Medici (Ausstellungskatalog), M ARCO C HIARINI / C RISTINA A CIDINI L UCHINAT (Hrsg.), Mailand 2000; Pietra dipinta. Tesori nascosti del ‘500 e del ‘600 da una collezione privata milanese (Ausstellungskatalog), M ARCO B ONA C ASTELLOTTI (Hrsg.), Mailand 2000; A NNE -L AURE C OLLOMB , La peinture sur Pierre en Italie 1530-1630, Diss. Genf 2006; H ANA S EIFERTOVÁ , Malby na kameni: um 0 lecký experiment v 16. a na za 2 átku 17. století / Painting on Stone: an Artistic Experiment in the 16th and Early 17th Centuries, Prag 2007. Der Schwerpunkt der folgenden Untersuchung liegt auf der italienischen Steinmalerei. Die Bilder auf Stein der Rudolfinischen Hofkünstler in Prag, die auch als diplomatische Präsente verschenkt wurden, werden hier ausgeklammert. Vgl. dazu unter anderem Jutta Kappel, Ein ‚commesso in pietre dure’ aus der Hofwerkstatt Kaiser Rudolfs II. zu Prag um 1600, in: Dresdener Kunstblätter 34, 4 (1990), 104-109. Johanna Beate Lohff 210 1. Antonio Tempestas Perlenfischer auf Lapislazuli als Geschenk von Pier Vincenzo Strozzi an Cosimo II. de’ Medici Am 14. Februar 1618 schrieb Andrea Cioli, Sekretär Cosimos II. de’ Medici, an den Florentiner Botschafter in Rom, Piero Guicciardini, dass sich zwischen den Geschenken von Piero Strozzi an Cosimo II. ein schönes Bild auf Lapislazuli befunden habe, welches die Perlenfischer zeige, von Tempesta gemalt sei und dem Großherzog sehr gefiele. 2 Alessandro Cecchi hat die Quelle mit einem Bild identifiziert, das sich heute im Louvre befindet, und es daraufhin dem Florentiner Maler und Graphiker Antonio Tempesta (ca. 1555-1630) zugeschrieben. 3 Tempesta, der zu den wichtigsten Vertretern der Steinmalerei gezählt werden kann, war unter dem Pontifikat Gregors XIII. (1572-1585) nach Rom gekommen, wo er sich bis zu seinem Lebensende aufhielt. 4 Das erwähnte Bild (Abb. 1) zeigt eine orientalisch anmutende Szene, in welcher Männer in Booten nach Muscheln tauchen, aus denen Frauen die kostbaren Perlen entnehmen. Während die Landschaft und der Horizont des Meeres nur durch zarte Pinselstriche angedeutet sind, werden Meer, Himmel und Wolken durch den mit gelben Einsprengseln durchsetzten Lapislazuli gestaltet. Das Erstaunliche an dem Bild ist somit das auf den ersten Blick kaum voneinander zu trennende Zusammenspiel von Malerei und mineralischem Bildträger. Mit ihren Maßen von 42,5 x 60 cm ist die Lapislazulitafel im Vergleich zu anderen Bildern auf demselben Stein ungewöhnlich groß, was das Bild besonders kostbar erscheinen lässt. 5 Noch 2 Illustrissimo e Eccellentissimo mio Signore Osservandissimo, Essendo il Serenissimo padrone stato oggi fra gli altri regali presentato da monsignore Piero Strozzi d’un bel quadro di lapislazzeri figurato di pescagioni e fatto per mano del Tempesta, a Sua Altezza è piaciuto estremamente e non si è saziata di considerarlo e di lodarlo, et io ho voluto significarlo a Vostra Eccellenza, perché, intendo io ch’ella ha veduto il detto quadro, sappia in quanta stima è tenuto da Sua Altezza. Zitiert nach P AOLA B AROCCHI / G IOVANNA G AETA B ARTELÀ , Collezionismo mediceo e storia artistica, 6 Bde., Florenz 2002, Bd. 1, 154. Piero Giucciardini war 1611-1621 Botschafter in Rom, vgl. G INO C ORTI , Registro de mandati dell’Ambasciatore Granduca Piero Guicciardini e la committenza fiorentina a Roma nel secondo decennio del Seicento, in: Paragone 473 (1989), 108-146. Zu Cioli vgl. Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 25, Rom 1981, 666-669. 3 Antonio Tempesta, Die Perlenfischer, Lapislazuli, 42,5 x 60 cm, Louvre, Paris, Inv. MR Suppl. 243. Vgl. zu dem Bild den grundlegenden Aufsatz von A LESSANDRO C ECCHI , Le pêche des perles aux Indes. Une peinture d’Antonio Tempesta, in: La Revue du Louvre 36, 1 (1986), 45-57. 4 Zu Tempesta vgl. insbesondere E CKHARD L EUSCHNER , Antonio Tempesta. Ein Bahnbrecher des römischen Barock und seine europäische Wirkung, Petersberg 2005; zu Tempesta als Steinmaler vgl. im Überblick C OLLOMB , La peinture (wie Anm. 1), 16-19; S EIFERTOVÁ , Malby na ameni (wie Anm. 1), 116-124. 5 Zum Vergleich sei hier ein weiteres Tempesta zugeschriebenes Bild auf Lapislazuli genannt, das nur etwa halb so groß ist: Antonio Tempesta, Moses stößt Wasser aus dem Felsen, Lapis- Bilder auf Stein als Diplomatengeschenke und ihre Verbreitung in Europa 211 Abb 1: Antonio Tempesta, Die Perlenfischer, Öl auf Lapislazuli, 42,5 x 60 cm, Musée du Louvre, Paris, Inv. MR Suppl. 243, © bpk / RMN / Paris, Musée du Louvre / Gérard Blot u. Jean Schormans heute ist es mit seinem originalen Rahmen aus emailliertem Silber umfasst, der mit Granaten und Smaragden geschmückt ist. Bereits am 31. März 1618 wurde das Bild in der Guardaroba Medicea verzeichnet. 6 Ab 1635 wurde es in der Uffizien-Tribuna in einer Schachtel aus schwarzem Samt neben einer Perlmuttarbeit aufbewahrt. 7 Wie Cecchi bereits anmerkte, war lazuli, 33 x 24,5 cm, Privatsammlung, Mailand. Die meisten bekannten Bilder auf Lapislazuli weisen Formate für eine miniaturhafte Malerei auf, wie etwa zwei ebenfalls Tempesta zugewiesene Bilder mit Szenen aus dem Leben Moses, 15 x 25 cm, Privatsammlung, Mailand. Vgl. B ONA C ASTELLOTTI , Pietra dipinta (wie Anm. 1), Kat.-Nr. 51 und 52; L EUSCH - NER , Antonio Tempesta (wie Anm. 4), 477. 6 Un quadro bello di lapislazaro dipintovi dentro a olio più figurine e paesini che pescono le perle, di mano del Tempestino, con adornamento piano e scorniciato, di piastra d’argento e dorato in parte e smaltato di più colori, con granati grossi nelli angoli delle cantonate e smeraldini e altre pietre, largo braccia ¼ e alto braccia 7/ 8, incassato in una cassa coperta di velluto nero. Zitiert nach B AROCCHI / G AETA B ERTELÀ , Collezionismo mediceo (wie Anm. 2), Bd. 1, 154. 7 C ECCHI , Le pêche (wie Anm. 3), 46. Johanna Beate Lohff 212 Tempestas Bild ein willkommenes Geschenk für den Großherzog, weil es sich an einen Kenner richtete. 8 Dieser wusste das kostbare Material in Kombination mit der feinen Malerei sehr zu schätzen; außerdem fügte sich das Bild gut in seine Sammlung ein, da sich das Motiv mit dem Interesse der Medici an Entdeckungsreisen deckte, von denen exotische Objekte mitgebracht und in der Tribuna präsentiert wurden. 9 Im Folgenden sollen Auftraggeberschaft und Bedeutung des Geschenks genauer definiert werden. Der Geldgeber unseres Bildes, Piero Vincenzo Strozzi (1569- 1625), ein Spross der weit verzweigten Florentiner Patrizierfamilie, war um 1600 von Florenz nach Rom gekommen, wo er ab 1605 unter Paul V. Borghese als Orientalist, Theologe und Kunstsachverständiger tätig wurde und in die Ausstattung der Cappella Paolina in S. Maria Maggiore involviert war. 10 An der Stirnseite der Kapelle befindet sich ein mit großflächigen Lapislazuli-Inkrustationen verzierter Altar, auf dem vergoldete Bronzeengel das als Salus Popoli Romani bekannte Kultbild Mariens empor tragen. 1613 war der Altar der Kapelle fertig gestellt, die Altararbeiten dauerten jedoch noch bis 1615 an, weil die Lapislazuli-Inkrustation nicht halten wollte und mehrfach ausgewechselt werden musste. 11 Strozzi hatte in dieser Zeit den gesamten Vorrat an Lapislazuli für den Altar verwaltet. Damit war er der Einzige, der in Rom über so große Mengen des Halbedelsteins verfügte. 12 Verschiedene Streitigkeiten zwischen ihm und anderen an der Ausführung beteiligten Personen sowie nicht geklärte Ausgaben für den Lapislazuli führten letztendlich zu seiner Suspendierung von den Arbeiten in der Kapelle, woraufhin Strozzi um 1617 in seine Heimatstadt Florenz zurückkehrte. 13 Dort verfasste er ein Memoriale, aus dem hervorgeht, dass er aus dem für die Kapelle bestimmten Lapislazuli Bildträger angefer- 8 C ECCHI , Le pêche (wie Anm. 3), 52. 9 C ECCHI , Le pêche (wie Anm. 3), 52. 10 1600 oder 1601 von Florenz nach Rom gekommen, erhob ihn Leo XI. de’ Medici am 22. April 1605 zum Segretario dei Brevi de’ Principii, ein Amt, welches er unter Paul V. bis 1617 weiterführte. Zur Vita Strozzis vgl. Un memoriale di Piero di Vincenzo Strozzi, I SABELLA B IGAZZI (Hrsg.), Florenz 1986, 73, Anm. 1; 101, Anm. 33; C ECCHI , Le pêche (wie Anm. 3), 57, Anm. 87, 88; G ERHARD W OLF , Regina Coeli, Facies Lunae, „et in terra pax“. Aspekte der Ausstattung der Cappella Paolina in Maria Maggiore, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 27/ 28 (1991/ 92), 283-336, hier 320, Anm. 117; M ARIA B ARBARA G UERRIERI B ORSOI , Gli Strozzi a Roma: mecenati e collezionisti nel Sei e Settecento, Rom 2004, 53f.; L EUSCHNER , Antonio Tempesta (wie Anm. 4), 484; 515, Anm. 46. 11 Vgl. B IGAZZI , Un memoriale (wie Anm. 10), 90, Anm. 21. 12 W OLF , Regina Coeli (wie Anm. 10), 320, Anm. 117. 13 Seine Erinnerungen sind von einem späterem Leser mit der Überschrift Motivi del Signor Piero del Signor Vincenzio Strozzi Segretario de Brevi de Principi di Papa Paolo V di lasciare la Corte di Roma e di tornare a Firenze scritto da lui e sono di sua mano propria betitelt worden; B IGAZZI , Un memoriale (wie Anm. 10), 17. 1605 trat Strozzi für 12 Jahre in die Dienste Pauls V., so dass die Datierung seiner Rückkehr nach Florenz um 1617 wahrscheinlich ist. B IGAZZI , Un memoriale (wie Anm. 10), 77, Anm. 3. Bilder auf Stein als Diplomatengeschenke und ihre Verbreitung in Europa 213 tigt hatte und diese bemalte, wobei seinen Aufzeichnungen nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob er selbst als Maler tätig wurde oder die Malereien in Auftrag gab. 14 So hatte ein von Strozzi nicht weiter benannter flämischer Architekt, mit dem vermutlich der unter den Borghese tätige Jan van Santen gemeint war, bei ihm zwei Bilder auf Lapislazuli für seine Landsleute in Auftrag gegeben, weil diese gern etwas „Schönes und Außergewöhnliches“ besitzen wollten. 15 Strozzi war dem Wunsch des Flamen nachgekommen und hatte für die beiden Bilder 500 Scudi verlangt. Ferner fertigte er zwei Bilder auf besagtem Stein für den Kardinalnepoten Scipione Borghese an. Hinzu kamen zwei weitere ovale Lapislazulitafeln, die noch bemalt und gerahmt werden sollten und als Geschenke an den Arciduca Alberto et all’Infanta di […] Fiandra vorgesehen waren, mit denen Albrecht VII. von den Niederlanden und seine Frau, die Infantin Isabella Clara Eugenia, gemeint waren. 16 Bilder auf Lapislazuli waren somit gern gesehene Geschenke, die der Papst für die politischen Machthaber Europas in Auftrag gab. Die Nachfrage van Santens belegt, dass sie nun auch bei Edelleuten aus Flandern zu begehrten Sammelobjekten wurden. Wenngleich Strozzi in seinem memoriale Tempestas Bild nicht nannte, ist die Annahme nahe liegend, dass er auch diesen Bildträger aus dem Vorrat an Lapislazuli für die Altar-Inkrustationen entnahm und ihn Tempesta zum Bemalen gab, da er den Lapislazuli bereits mehrfach für die Anfertigung von Bildträgern verwendet hatte. Laut Baglione hatte Tempesta für den Ingenieur und Goldschmied Pompeo Targone (1575-ca. 1630) eine Reinzeichnung des Altarentwurfs angefertigt und war auf diese Weise ebenfalls für die Einrichtung der Kapelle herangezogen worden; 14 Un giorno dopo pranzo venne da me l’Architetto fiammingo a domandarmi se io havevo quadretti che io ne avessi fatt<o> qualche bazzaro o ritratto. Perché certi gentili huomini fiamminghi amici suoi haverebbero havuto voglia di haver qualche cosa di bello non ordinaria […] Sospettai che questi quadretti li volessi chi ne aveva avuto più d’uno da me in dono. Et così anche io mostrato di non me ne accorgere, se bene senza palarci il Fiammingo et io ci intendevamo dissi che farei il bizzarro particolarmente di due ovati grandi di lapis lazero dipinti legati in argento. De’ quali simili ne avevo già donati legati e dipinti due al Signor Cardinale Borghese et due altri ultimamente gli havevo donato le pietre senza la dipintura che servirono per donarsi ornati et dipinti all’Arciduca Alberto et all’Infanta di […] Fiandra, me ne volevo scudi cinquecento almeno […] Nell’andare innanzi e indietro questi due ovati […] seppi che eran i fiamminghi gentiluomini et dove stavano a casa […]; B IGAZZI , Un memoriale (wie Anm. 10), 46f. In einer leicht divergierenden Fassung von Strozzis Memoriale heißt es: ne havevo donati già due dipinti al Signor Cardinali Borghesi, un de quali aveva l’ornamento fatto dall’istesso fiammingo et due altri ovati da dipingere delle medesime grandezze e qualità, che dipinti et ornati poi, gli aveva il Signor Cardinale donati uno all’Arciduca Alberto, et l’altro all’Infanta di Fiandra sua moglie: ma ne volevo scudi cinquecento almeno; ebd., 47, Anm. 1. 15 Zur Identifizierung mit Jan van Santen vgl. B IGAZZI , Un memoriale (wie Anm. 10), 96, Anm. 27. 16 Vgl. B IGAZZI , Un memoriale (wie Anm. 10), 43, 107, Anm. 48 und 108, Anm. 49. Johanna Beate Lohff 214 außerdem widmete Tempesta Strozzi eine radierte Schlachtenserie. 17 Der Beweggrund Strozzis für das Bildgeschenk könnte darin bestanden haben, dass er hoffte, in Florenz auf eine geeignete Position zu gelangen, nachdem er Rom den Rücken gekehrt hatte. 18 Strozzis Tätigkeit als Orientalist unter Paul V. legt außerdem die Wahl des Bildmotivs nahe. An dieser Stelle seien erstmals als mögliche Quellen für das Bild zwei Reiseberichte venezianischer Juweliere vorgestellt, namentlich die Viaggi alle Indie Orientali (1587) des Cesare Federici, der zwischen 1563 und 1581 den Orient bereiste, und der Viaggio dell’Indie Orientali von Gasparo Balbi, der sich zwischen ca. 1576 und 1588 dort aufhielt. 19 Die Reiseberichte fanden schnell Verbreitung, wobei Tempestas Lehrer Jan van der Straet bereits um 1596 Balbis Beschreibung als Vorlage für eine Zeichnung eines Perlenfischzugs verwendet hatte, welche um 1600 von Philippe Galle in Antwerpen gestochen werden sollte. 20 In beiden Quellen wird in ähnlicher Weise beschrieben, wie die Perlen aus dem Wasser gefischt werden, wobei sich einzelne Details in Tempestas Darstellung auf Lapislazuli wieder finden lassen. 21 Federici stellte besonders anschaulich dar, wie sich das Geschehen in einem Gewässer nahe der Küste des heutigen Sri Lanka abspielte, welches er sogar als Pescaria delle Perle benannte. 22 Während der 50 Tage, die jährlich für das Perlenfischen vorgesehen waren, bauten sich die Perlenfischer ein Hüttendorf auf einer der dort lie- 17 Vita di Pompeo Targone, in: G IOVANNI B AGLIONE , Le vite de’ pittori, scultori ed architetti, Rom 1642, Nachdruck 1995, 330; L EUSCHNER , Antonio Tempesta (wie Anm. 4), 486. 18 Litta zufolge ernannte der Großherzog 1625 Strozzi zum Lektor der Philosophie an der Universität Pisa, vgl. P OMPEO L ITTA , Famiglie celebri di Italia, 7 Bde., Mailand 1839, Bd. 4, Tafel XVI. Es müsste sich dabei bereits um Ferdinando II. de’ Medici gehandelt haben, der 1621 die Regierungsgeschäfte übernahm. 19 Viaggi di C. Federici e G. Balbi alle Indie Orientali, O LGA P INTO (Hrsg.), Rom 1962, XXII- XXVII. 20 D ORINE VAN S ASSE VAN Y SSELT , Una Composizione di Giovanni Stradano identificata: La pesca delle perle nel Golfo persico, in: ‘Aux Quatre Vents’. A Festschrift for Bert W. Meijer, A NTON W. A. B OSCHLOO / E DWARD G RASMAN / J AN VAN DER S MAN (Hrsg.), Florenz 2002, 237-242, hier 237. 21 P INTO , Viaggi (wie Anm. 19), 26-28, 120-122. Zur Technik des Perlenfischens vgl. auch R OBERT A. D ONKIN , Beyond Price. Pearls and Pearl-Fishing: Origins to the Age of Discoveries, Philadelphia 1998, 127f. 22 PESCARIA DELLE PERLE / Il mare che giace tra la costa che si distende da Cao Comeri alle Basse di Chilao e l’isola di Seilan [Ceylon, heute: Sri Lanka], si chiama la Pescaria delle Perle, qual pescaria si fa ogn’anno cominciando di marzo i d’aprile e dura cinquanta giorni; nè ogni anno si pesca in un istesso luoco, ma un anno in un luoco e l’altro in un altro di detto mare; quando s’avicina il tempo di pescare mandano buoni nuotatori sott’acqua a scoprire ove è maggior quantità d’ostreghe e su la costa all’incontro piantano una villa di case bazarri di paglia che tanto dura quanto dura il tempo del pescare e la forniscono di quanto è necessario, ed hora si fa vicino a i luochi abitati, hora lontano, secondo il luoco ove vogliono pescare; P INTO , Viaggi (wie Anm. 19), 26 und 266, Anm. 285. Bilder auf Stein als Diplomatengeschenke und ihre Verbreitung in Europa 215 genden Inseln. Federici berichtete ferner, dass beim Perlentauchen ein Stein, der an einem Seil angebunden war, ins Wasser geworfen wurde, an dem sich der Taucher hinab und anschließend wieder hinauf zog. 23 Um den Hals hatte dieser eine Tasche gebunden, oder er hielt in seinem linken Arm einen Korb, um vom Meeresboden die Muscheln einzusammeln. Nachdem die Muscheln geborgen waren, wurde deren Wert geschätzt, während Kaufleute bereits darauf warteten, die Perlen für einen angemessen Preis zu erstehen. 24 Entsprechende Details sind auch in Tempestas Bild dargestellt: So etwa der Stein, der an ein Seil gebunden auf dem Rand eines Bootes ruht, ein Taucher, der einem rot gewandeten Mann Muscheln aus einem um den Hals gebundenen Sack anbietet, und schließlich die in edle Stoffe gehüllten Kaufleute, die auf dem mittleren Inselvorsprung verhandeln. Auch eine der Hütten, in denen die Perlenfischer während der Zeit des Fischens schliefen, ist auf dem links dargestellten Felsvorsprung zu sehen. Das Motiv der Perlenfischer passte folglich vorzüglich in die Sammlung Cosimos II.: Es verwies nicht nur auf die Perlmuttarbeiten in der Sammlung, sondern auch auf die Uffizien-Tribuna, in welcher das Bild untergebracht und deren Gewölbe mit Perlmutt inkrustiert war. Der indische Perlenfischzug bot dafür einen gleichermaßen gelehrten wie aktuellen Hintergrund, welcher sich aus Beschreibungen zeitgenössischer Expeditionen speiste, und stellte damit ein passendes Geschenk für den Großherzog dar. 2. Steinmalereien als diplomatische Geschenke in Europa Die meisten Bilder auf Stein wurden in Italien produziert, während sich im übrigen Europa - abgesehen von Prag - keine nennenswerten Zentren für Steinmalerei herausgebildet zu haben scheinen. Die Verbreitung von Steinbildern in Europa dürfte daher weniger aufgrund eigener Produktionsstätten, sondern vielmehr durch die 23 […] ed holle viste la mattina a partire in grandissimo numero ed andare a sorgere in quindici sina dicidotto passa d’acqua, che tale è il fondo di tutto quel contorno; sorti che sono, gittano una corda in mare, nel capo della quale è ligato un buon sasso ed un huomo havendosi ben stretto il naso con una molleta ed ontosi con oglio il naso e l’orecchie, con un carniero al collo, overo un cesto al braccio sinistro, giù per quella corda si calla, e quanto più presto può empie il carniero o il cesto d’ostreghe, che trova in fondo del mare e indi scorla la corda ed i compagni che stanno attenti in barca, tirano su ditta corda in pressa, e con essa anche l’huomo, e così vanno d’uno in uno a vicenda, finchè la barca è carica d’ostreghe e poi la sera vengono alla villa e cadauna compagnia fa il suo monte d’ostreghe e in terra distinti uno dall’altro, di modo che si vede una fila molto lunga di monti d’ostreghe, nè si toccano fin che la pescaria non è compita ed all’hora si acconciano ogni compagnia attorno il suo monte ad aprirle; P INTO , Viaggi (wie Anm. 19), 26f. 24 Messo il prezzo, vi sono tanti mercandanti di diverse parti che con dinari stanno aspettando, che in pochi giorni ogni cosa si compra a prezzo aperto, secondo la carratà di dette perle; P INTO , Viaggi (wie Anm. 19), 27. Johanna Beate Lohff 216 Geschenkdiplomatie erfolgt sein. Dies soll beispielhaft anhand der in Archivalien genannten Bilder auf Stein aufgezeigt werden, die von Francesco Barberini als diplomatische Präsente verschenkt wurden. Nachdem Urban VIII. (1623-1644) im Jahre 1625 Francesco Barberini zu seinem Kardinalnepoten bestimmt hatte, betraute er ihn mit diplomatischen Aufgaben und sandte ihn noch im selben Jahr auf Legationsreise nach Paris und ein Jahr später nach Madrid. 25 Francesco Barberini sollte den Abzug der Franzosen aus dem von ihnen besetzten Veltlin erreichen und einen Frieden zwischen Frankreich und Spanien unter päpstlicher Aufsicht vermitteln. Der Humanist Cassiano Dal Pozzo führte auf den Reisen Tagebuch und schilderte die Ereignisse vor allem aus der Sicht des Antiquars, Naturwissenschaftlers und Kunstkenners. 26 Die Durchsicht von Dal Pozzos Legationsberichten zeigt, dass auch einige Bilder auf Stein zu den diplomatischen Geschenken gehörten. Francesco Barberini war mit cinque balli di quadri in Frankreich eingetroffen, die er als potentielle Geschenke mit sich geführt haben dürfte. 27 So wurden am 24. Juli 1625 von Seiten des Kardinallegaten der Königs- 25 Zur Legationsreise Francesco Barberinis nach Paris vgl. G EORG L UTZ , Rom und Europa während des Pontifikats Urbans VIII. Politik und Diplomatie - Wirtschaft und Finanzen - Kultur und Religion, in: Rom in der Neuzeit. Politische, kirchliche und kulturelle Aspekte, R EINHARD E LZE / H EINRICH S CHMIDINGER / H ENDRIK S CHULTE N ORDHOLDT (Hrsg.), Wien / Rom 1976, 72-167, hier 76f.; M ARKUS V ÖLKEL , Römische Kardinalshaushalte des 17. Jahrhunderts. Borghese, Barberini, Chigi, Tübingen 1993, Kap. XII; F RANCIS H ASKELL , Maler und Auftraggeber. Kunst und Gesellschaft im italienischen Barock, Köln 1996, 73; S IMONE Z URAWASKI , Connections Between Rubens and the Barberini Legation in Paris in 1625 and their Influences on Roman Baroque Art, in: Revue Belge d’Archéologie et d’histoire de l’art 58 (1989), 23-50; C LEMENT P IEYRE , La légation du cardinal Francesco Barberini en France en 1625, insuccès de la diplomatie du pape Urbain VIII, in: I Barberini e la cultura europea del Seicento, L ORENZA M OCHI O NORI / S EBASTIAN S CHÜTZE / F RAN- CESCO S OLINAS (Hrsg.), Rom 2007, 87-94. Zum politischen Einfluss Barberinis in Frankreich vgl. L UDWIG VON P ASTOR , Storia dei papi nel periodo della restaurazione cattolica e della Guerra dei Trent’anni: Gregorio XV (1621-1623) ed Urbano VIII (1623-1644), Nachdruck 1961, 285-297; B IRGIT E MICH , Kardinal Francesco Barberini. Ein Papstneffe zwischen Kunst und Politik, in: M OCHI O NORI / S CHÜTZE / S OLINAS , I Barberini (wie Anm. 25), 111-116. 26 Zur Legationsreise Francesco Barberinis nach Frankreich 1625 wurde die Abschrift des Tagebuchs Dal Pozzos, Biblioteca Apostolica Vaticana (BAV), Barb.Lat.5688, konsultiert. Das Tagebuch der Frankreichreise Cesare Magalottis, BAV, Barb.lat. 5686, wie auch andere dazugehörige Dokumente aus der Vatikanischen Bibliothek konnten aufgrund der dreijährigen Schließung der BAV nicht mehr eingesehen werden. Entsprechende Dokumentenverweise finden sich bei P IEYRE , La légation (wie Anm. 25) und bei I NGO H ERKLOTZ , Cassiano Dal Pozzo und die Archäologie des 17. Jahrhunderts, München 1999, 38-40. Das Tagebuch der Legationsreise nach Spanien 1626 wurde publiziert von A LESSANDRA A NSELMI , Il diario del viaggio in Spagna del cardinale Francesco Barberini scritto da Cassiano del Pozzo, Aranjuez 2004. 27 Zitiert nach P IEYRE , La légation (wie Anm. 25), 88. Bilder auf Stein als Diplomatengeschenke und ihre Verbreitung in Europa 217 mutter Maria de’ Medici und der Gattin Ludwigs XIII., Anna von Österreich, Bildgeschenke überreicht. Die regina madre Maria de’ Medici erhielt Bildgeschenke namhafter zeitgenössischer Künstler, die nicht auf Stein gemalt waren: Eine „Darstellung der Madonna mit dem Hl. Franziskus“ von Domenichino in einem Rahmen aus Pietre Dure, eine „Madonna mit Engeln“ von Francesco Albani sowie zwei Bilder Antonio Tempestas, eine „Jagd“ und eine „Schlachtdarstellung“. 28 Der regnante Anna von Österreich wurde hingegen ein Bild auf Lapislazuli geschenkt, welches die Flucht nach Ägypten zeigte. 29 Es handelte sich dabei um das einzige Bild auf Stein, das Dal Pozzo in seinem Reisebericht aus Frankreich explizit erwähnte. 30 Während Maria de’ Medici die Kunstwerke namhafter Künstler erhielt, bekam Anna von Österreich zusammen mit dem Bild auf Lapislazuli eine corona aus demselben Stein, einen Rosenkranz aus Granaten sowie einige Gold- und Silbermedaillen, also Dinge, die sich ebenfalls vor allem durch ihr Material auszeichneten. 28 Furono in d[etto] giorno portate da parte del Leg[at]o le due Regine alle quali portò i [di]pinti il S.re Nari quel della Reg[in]a m[ad]re fù un Quadro di Dom[eni]co Zampieri da Bologna d[etto] altri[ment]i Domenichino allievo di Caracci ch d’una Mad[onn]a che con una man d’Angeli appare Franc[esco] che di fresco aveva ric[evtu]to le stigmate d’altezza d’un palmo e mezo, e di larghezza di un o poco più, con sua cornice di serpentario incastrata con pietre dure, un altro dell’istessa grand[ezz]a di mano dell Albano, nel quale era finta una Mad[onn]a con gloria d’Angeli con cornice simile. Due quadri del Tempesta, uno cioe d’una caccia et l’altro d’una battaglia con la cornice nera arabescata con fogliami d’oro; BAV, Barb.lat.5688, f. 225r- v. Zu dem Bild Domenichinos vgl. S TEPHANE L OIRE , Paris, Musée du Louvre: ‘La Vierge à l’Enfant avec saint François’ du Dominique; un tableau du Louvre perdu et retrouvé, in: La revue des musées de France 57, 4 (2007), 12-15. Zu den Bildern Tempestas vgl. E CKHARD L EUSCHNER , Aux sources de l’art de Déruet: Antonio Tempesta, in: Amazones et cavaliers. Hommage à Claude Déruet (v. 1588-1660) (Ausstellungskatalog), Nancy 2009, 11-17, hier 16. 29 La regnante fù regalata d’un Quadro in Lapis Lazuli nel qual era finta l’andata della Mad[onn]a in Egitto, una corona dell’istessa pietra, un Rosario di Granati, un baccile d’Agnus Dei dentrovi molte medaglie d’oro et Arg[en]to, altre corone e molti dei guanti; BAV, Barb.lat. 5688, f. 225r. 30 Beispielhaft sei hier auf eine vergleichbare Darstellung der Flucht nach Ägypten auf Lapislazuli verwiesen, die sich heute in einer Privatsammlung befindet, deren Provenienz jedoch nicht einwandfrei nachgewiesen werden kann: Flucht nach Ägypten, Lapislazuli, ca. 23 x 28 cm, Privatsammlung, Mailand. Auch Tempesta, von dem zwei Arbeiten an Maria de’ Medici verschenkt wurden, hat laut eines Zahlungsbelegs aus der Sammlung des Kardinals Alessandro Montalto eine Flucht nach Ägypten gemalt: Adi detto [18. Mai 1615] 30 moneta ad Antonio Tempesta per il prezzo di una pittura fatta in doi pezzi di lapis lazzoli, cioè una Madonna assunta in cielo, et altro quando andava in Egitto per servizio nostro. 1615; B ELINDA G RANATA , Appunti e ricerche d’archivio per il Cardinal Alessandro Montalto, in: Decorazione e collezionismo a Roma nel Seicento, F RANCESCA C APPELLETTI (Hrsg.), Rom 2003, 37-63, hier 52. Wenngleich sich Tempesta im Umkreis Dal Pozzos aufhielt, ist es unwahrscheinlich, dass es sich bei dem Geschenk um ein Bild Tempestas handelte, da der Künstler sicher auch hier namentlich genannt worden wäre. Johanna Beate Lohff 218 Das Bild auf Stein wurde den religiösen und luxuriösen Gebrauchsgegenständen aus kostbaren Materialien zugeordnet, die der regnante angemessen waren. Nachdem Francesco Barberini im Dezember 1625 aus Frankreich zurückgekehrt war, brach er bereits im Frühling des folgenden Jahres nach Spanien auf. Am Morgen des 21. Juni 1626 besichtigte der Kardinallegat den mit Teppichen geschmückten Kreuzgang des Konvents der Kirche Santísima Trinidad in Madrid, wo auf drei Altären zahlreiche Kunstgegenstände und Reliquiare aufgebaut waren, unter denen sich auch eine Darstellung der Sintflut auf Pietra Alberese von Tempesta befand. 31 Zu Beginn seiner Nuntiatur in Madrid im Jahre 1624 hatte der päpstliche Nuntius Giulio Sacchetti dem spanischen König Philipp IV. das Bild mitgebracht, über den es in den Konvent gelangt sein muss. 32 Die Durchsicht von Dal Pozzos Tagebuch zeigt, dass noch weitere Bilder auf Stein verschenkt wurden. Diese Werke blieben ohne Nennung des Künstlers, waren im Gegensatz zu Tempestas Bild jedoch auf Halbedelsteinen gemalt, was ihnen einen höheren Materialwert verlieh. In seinem Eintrag vom 12. Juni 1626 vermerkte Dal Pozzo, dass gleich „eine Handvoll“ Bilder auf Achat und Jaspis an die Königin Isabella von Bourbon verschenkt worden seien, die von einer „recht guten Hand“ gemalt seien und sich als Geschenke für hoch stehende Damen eigneten, die sie als Kleinode oder als Reliquiare benutzten. 33 Der Wert eines solchen Bildes begründete sich vor allem aus der Preziosität der Halbedelsteine, welche durch die Bilder zu einem kostbaren Schmuckstück wurden. Solche Objekte nahmen eine Zwischenstellung zwischen Kunstwerk und Luxusartikel ein, wobei je nach künstlerischer Ausarbeitung und Materialwert der eine oder andere Aspekt mehr in den Vordergrund treten konnte. Der Besuch Francesco Barberinis bei dem Herzog und der Herzogin von Albuquerque in Madrid am 2. August 1626 zeigt, dass Bilder auf Stein als typisch italienische Produkte bekannt waren. Im Salon der Herzogin von Albuquerque, Ana Enríquez de Cabrera y Colonna, waren aus Italien importierte Bilder - wie es ausdrücklich heißt - und außerdem Möbel und Uhren zu sehen, darunter auch ein Pietra Dura-Schreibtisch und kleinformatige Bilder auf Stein. 34 Francisco Fernández 31 Vi si vidde tra altre pitture un quadro del Tempesta, che era un diluvio fatto in pietra albaresa con un’infinità di figurine, che fù donato nel principio della nunciatura del Sacchetti a S.M.tà [...]; A NSELMI , Il diario (wie Anm. 26), 165. Der besagte Konvent wurde 1562 im Auftrag Philipps II. errichtet, im Laufe des folgenden Jahrhunderts jedoch wieder zerstört, vgl. ebd., 164, Anm. 362. 32 Zur Nuntiatur Giulio Sacchettis in Madrid vgl. I RENE F OSI , All’ombra dei Barberini. Fedeltà e servizio nella Roma barocca, Rom 1997, Kap. II. 33 Un mano di quadrettini piccoli, sopra diaspri e agate dipinte d’assai buona mano che s’usavano in Spagna dalle dame in luogo di gioelli ò reliquiarii; A NSELMI , Il diario (wie Anm. 26), 148. 34 [...] s’andò vedere nel solito modo la Duchessa d’Alburquerque, a chi si viddero le stanze parate benissimo di quadri portati d’Italia, scrittoi accomodati con pietra, quadretti dipinti sù pietra, horologi diversi, e trà gli altri uno fatto a galera, che fù del S.r Card.le Borghese [...]; A NSELMI , Il Bilder auf Stein als Diplomatengeschenke und ihre Verbreitung in Europa 219 de la Cueva, Herzog von Albuquerque, war von 1619 bis 1623 spanischer Botschafter in Rom, so dass angenommen werden kann, dass das Diplomatenpaar die Steinbilder von Rom nach Madrid mitgenommen hatte und dort in den exklusiven Kreisen bekannt machte. 35 Wie Susan Madocks Lister gezeigt hat, gelangten durch die diplomatischen Aktivitäten Francesco Barberinis auch zwei Steinbilder nach England. 36 1635 sandte der Kardinalnepot den Agenten Gregorio Panzani nach London, um die Stimmung am Hof Karls I. zu sondieren. Dazu trat er mit zwei hohen Staatsdienern, Sir Francis Lord Cottington und Sir Francis Windebank, in Kontakt. 37 Panzani forderte bei Francesco Barberini Bildgeschenke für die beiden Staatsdiener an, ohne jedoch anzugeben, welche Kunstwerke er für geeignet hielt. Francesco Barberini sah sich daraufhin gezwungen, eine Auswahl zusammen zu stellen, die auf jede der potentiellen Zielgruppen passen konnte, und sandte sowohl großformatige Bilder und Kopien nach Bildern bekannter Künstler als auch kleinformatige Bilder auf Stein nach London. Es handelte sich bei letzteren zum einen um eine Darstellung der Madonna mit der Hl. Katharina auf Lapislazuli, zum anderen um eine weitere Madonnendarstellung auf einer oktogonalen Tafel aus Pietra Paragone, die beide von dem französischen Maler Jacques Stella ausgearbeitet waren. 38 Beide Bilder waren in kostbaren Ebenholzrahmen gefasst, die mit vergoldetem Kupfer bzw. Silbereinlagen und Edelsteinen verziert waren. Francesco Barberini betonte in seinem Schreiben an Panzani, dass Stella der Erste gewesen sei, der Bilder dieser Art herstellte, es jedoch schwierig geworden sei, an die Bilder heranzukommen, weil der Maler inzwischen nicht mehr diario (wie Anm. 26), 259. Noch im Inventar der Herzogin von 1658 sind zahlreiche Bilder auf Stein aufgeführt, von denen einige sicherlich denjenigen entsprechen, die Dal Pozzo bei ihr gesehen hat. Das Inventar enthält keine Künstlernamen oder Spezifizierungen der mineralischen Bildträger, dafür Angaben zum Verkaufspreis, der von dem Florentiner Künstler Angelo Nardi geschätzt wurde und sich für die Steinbilder zwischen 154 und 726 Reales bewegte. Die Bilder auf Stein zeigten ausnahmslos religiöse Motive; vgl. M ARCUS B. B URKE / P ETER C HERRY , Spanish Inventories. Collections of Paintings in Madrid 1601-1755, Ann Arbor 1997, Bd. 1, 550-567. 35 A NSELMI , Il diario (wie Anm. 26), 62. 36 Die folgenden Ausführungen orientieren sich an S USAN M ADOCKS L ISTER , “Triumpheries Brought from Rome”: Barberini Gifts to the Stuart Court in 1635, in: The Diplomacy of Art: Artistic Creation and Politics in Seicento Italy. Papers from a Colloquium held at the Villa Spelman, Florence, 1998, E LIZABETH C ROPPER (Hrsg.), Mailand 2000, 151-176. 37 M ADOCKS L ISTER , Barberini Gifts (wie Anm. 36). 38 Una Madonnina di tre quarti di p.mo con Santa Caterina fatto del Stella in Lapis da Lazaro intonno con cornice di Ebano et un filo di Rame indorato [...] 1. / Un altra Madonna di Mezzo p.mo in paragoni in ottangolo con cornice di Ebano et fregio da pietre diverse [...] con attacaglia di Argento [...] 1.; vgl. M ARYLIN A RONBERG L AVIN , Seventeenth-Century Barberini Documents and Inventories of Art, New York 1975, 11 und M ADOCKS L ISTER , Barberini Gifts (wie Anm. 36), 176. Johanna Beate Lohff 220 in Rom weilte. 39 Da ihm keine konkreten Informationen über die zu beschenkenden Personen vorlagen, hatte er die Bilder Stellas auf Stein vermutlich auch ausgewählt, weil es sich um eine künstlerische Innovation handelte und die Bilder schon deshalb unterschiedliche Personenkreise zufrieden stellen konnten. Die nach London gesandten Geschenke wurden nochmals in einer Liste aufgeführt, aus der hervorgeht, dass die Steinbilder nicht im Zusammenhang mit den großformatigen Bildern der Sendung genannt wurden, 40 sondern im Kontext kleinerer Geschenke luxuriösen Charakters wie parfümierten Handschuhen, Seidenblumen und Kunstfrüchten. 41 Sie müssen daher primär als luxuriöse Objekte und nicht als Meisterwerke der Malerei aufgefasst worden sein. Im Juli 1635 schrieb Francesco Barberini an Kardinal Mazarin, dass er dessen Meinung, was am besten an bagatelle, also an Kleinigkeiten, zu verschenken sei, sehr schätze. 42 Mazarin, der neben seiner politischen Tätigkeit auch als Kunstkenner galt und die königliche Sammlung verwaltete, hatte verschiedentlich den Ratschlag erteilt, dass Geschenke an weniger kunstinteressierte Personen zwar nicht unbedingt von besonders hohem künstlerischem, dafür aber von materiellem Wert sein sollten. 43 Ob Mazarin dem Kardinal zu den Steinbildern geraten hat, ist nicht bekannt; dem Anspruch an die sogenannten bagatelle konnten Steinbilder jedoch unzweifelhaft gerecht werden. 3. Eine Anbetung der Hirten für Philipp IV. von Spanien Nachdem Urban VIII. 1644 verstorben war, flohen die Barberini-Nepoten nach Frankreich ins Exil, kehrten jedoch bereits unter Urbans Nachfolger Innozenz X. 39 Brief Francesco Barberinis an Gregorio Panzani, 11. April 1635: Intanto Le mando quelli, che vedrà nella congiunta lista, non essendo se non artifici stimati. L’Abbani, e Alessandro Veronese e lo Stella non far male anzi era il primo in simili lavori piccoli, che pero l’ha condotto seco il Duca di Chrichi; zitiert nach M ADOCKS L ISTER , Barberini Gifts (wie Anm. 36), 167. 40 Dazu gehörten eine Darstellung Adams und Evas von Francesco Romanelli, die Kopie einer Madonnendarstellung Correggios, die evtl. von Antonio Grimani stammte, zwei Bilder Albanis, davon eine noli me tangere-Darstellung, und ein ‚Christus und die Samariterin‘ eventuell von Alessandro Turchi; vgl. M ADOCKS L ISTER , Barberini Gifts (wie Anm. 36), 168f. 41 Die von Francesco Barberini erwähnte Liste wird in Zusammenhang gebracht mit dem Dokument aus den Barberini-Akten vom 30. März 1635; vgl. A RONBERG L AVIN , Barberini Documents (wie Anm. 38), 11; M ADOCKS L ISTER , Barberini Gifts (wie Anm. 36), 176. 42 Francesco Barberini an Mazarin: Troppo mi dà animo VS nelle cose d’Inghliterra, vorrei sempre il giuditio suo per scegliere le bagatelle; zitiert nach M ADOCKS L ISTER , Barberini Gifts (wie Anm. 36), 169. 43 M ADOCKS L ISTER , Barberini Gifts (wie Anm. 36), 170. Vgl. dazu ferner M ADELEINE L AU- RAIN -P ORTEMER , Mazarin Militant de l’art baroque au temps de Richelieu (1634-1642), in: Bulletin de la Société de l’Histoire de l’Art Français (1976), 65-100. Bilder auf Stein als Diplomatengeschenke und ihre Verbreitung in Europa 221 Pamphilj (1644-1655) nach Rom zurück und standen ab 1654 wieder an der Spitze der römischen Familienpolitik. 44 Die diplomatischen Kontakte, die Francesco Barberini während seiner Zeit als Papstnepot geknüpft hatte, führte er weiter und griff auch die Verbindungen mit Spanien wieder auf. 45 Der nach Spanien gesandte Nuntius Francesco Maria Mancini und der Agent Niccolò Ricci berichteten in ihren Briefen an Francesco Barberini wiederum von den Geschenken, die sie mit nach Spanien brachten. 46 Darunter befand sich auch eine Anbetung der Hirten, die heute im Prado in Madrid aufbewahrt wird (Abb. 2). 47 Die Anbetungsszene ist im unteren Teil des Bildes dargestellt: Die Hirten nähern sich von links, wobei der Betrachter durch eine kniende Rückenfigur in die Szene eingeführt wird. Unter der Geburtshütte sind Maria und Joseph mit zwei weiblichen Assistenzfiguren dargestellt. Der Himmel ist durch eine Wolke angedeutet, in der zwei Putti das Spruchband Gloria in excelsis Deo halten. Der Bildhintergrund wird von einer spiegelblanken rotbraunen Oberfläche bestimmt, die bei Beleuchtung golden schimmert und glitzert. In der gängigen Literatur zu dem Bild wird meist angegeben, es sei auf Aventurin, einer mit Kristallen durchsetzten und dadurch glitzernden Quarzvariante, gemalt. Die letzte Restaurierung des Bildes hat jedoch ergeben, dass es sich tatsächlich um eine künstlich hergestellte Glaspaste handelt, die mit Kupfersplittern durchsetzt ist und dadurch ihren glitzernden Schimmer erhält. 48 Auf einer Schiefertafel sind entsprechend der 44 Vgl. dazu U LRICH K ÖCHLI , Die Krise nach dem Papsttod. Die Barberini zwischen Rom und Frankreich 1644-1654, in: Modell Rom? Der Kirchenstaat und Italien in der Frühen Neuzeit, D ANIEL B ÜCHEL / V OLKER R EINHARDT (Hrsg.), Köln / Weimar / Wien 2003, 63-80. 45 J OSÉ L OUIS C OLOMER , Arte per la riconciliazione: Francesco Barberini e la corte di Filippo IV, in: M OCHI O NORI / S CHÜTZE / S OLINAS , I Barberini (wie Anm. 25), 95-110, hier 95f. 46 Vgl. C OLOMER , Arte (wie Anm. 45), 101-106. 47 Pietro da Cortona, Anbetung der Hirten / Geburt Christi, Öl auf Venturina, 41 x 50 cm, Prado, Madrid. Inv. P00121; vgl. A LFONSO E. P EREZ S ANCHEZ , Museo del Prado. Pitture Italiane del Siglo XVII, Madrid 1970, Kat.-Nr. 57. Zu diesem Werk als diplomatischem Geschenk vgl. J ENNIFER M ONTAGU , Un dono del Cardinale Francesco Barberini al Re di Spagna, in: Arte Illustrata 43/ 44 (1971), 42-51; E MICH , Kardinal Francesco Barberini (wie Anm. 25), 102; J OSÉ L UIS C OLOMER , Regalos artísticos de Francesco Barberini a Felipe IV: La Adoración de los pastores de Pietro da Cortona, in: Boletín del Museo del Prado 26, 44 (2008), 6-21. 48 Es wurde vorher nie bezweifelt, dass es sich um einen mineralischen Bildträger handelt. Der Bildträger wurde meist als venturina, dt. Aventurin angegeben; vgl. The Prado Museum (Katalog), Madrid 1996, 266 (Nr. 335). Lediglich Briganti gab den Stein als rötlichen Achat an: G IULIANO B RIGANTI , Pietro da Cortona o della Pittura Barocca, Florenz 1962, 263 (Abb. 286, Nr. 21). Der Begriff venturina wird weiterhin, auch für die Glaspaste, in der Materialangabe zum Bild verwendet. Es handelt sich um eine technische Erfindung aus Italien, deren ästhetischer Reiz demjenigen der Bilder auf Stein entspricht. Zu den Ergebnissen der letzten Restaurierung siehe E LENA C ENALMOR B RUQUETAS / E LISA M ORA S ÁNCHEZ , La Adoración de los pastores de Pietro da Cortona, in: Boletín del Museo del Prado 26, 44 (2008), 23-33. Johanna Beate Lohff 222 Abb. 2: Pietro da Cortona / Ciro Ferri (? ), Anbetung der Hirten / Geburt Christi, Öl auf Venturin und Schiefer, 41 x 50 cm, Museo Nacional del Prado, Madrid, Inv. P00121, © Museo Nacional del Prado, Madrid Bilder auf Stein als Diplomatengeschenke und ihre Verbreitung in Europa 223 Bildkomposition zurechtgeschnittene Schieferstücke aufgeleimt, auf welche die Anbetungsszene im unteren Bildteil, das Hüttendach und die Wolke gemalt sind. 49 Lediglich der Hintergrund wurde mit der Paste aufgefüllt, so dass hier nicht die materielle Kostbarkeit eines besonderen Steins, sondern der ästhetische Reiz einer stark funkelnden und dabei spiegelblank polierten Oberfläche das Bild zu einem exklusiven Kunstwerk macht. Das Motiv wurde von einer Zeichnung übernommen, die heute dem Cortona- Schüler Ciro Ferri zugeschrieben wird. 50 Dass die graphische Vorlage dem Bild vorausgegangen sein muss, ist deswegen anzunehmen, weil der Bildträger entsprechend der Komposition aus den Schieferstücken zusammengesetzt wurde. In den Quellen erscheint das Werk sowohl unter dem Namen Ciro Ferris als auch unter demjenigen Pietro da Cortonas: Während in den Ausgangsbüchern der Barberini- Guardaroba ein entsprechendes Bild von Ciro giovane aus der Werkstatt Cortonas genannt ist, berichtete der Agent Niccolo Ricci in einem Brief an Francesco Barberini vom 7. April 1659: Poi discorse [Luigi Almero] sopra il regalo della Pittura di Cortona, dicendome che cosa simigliante non poteva star meglio. 51 Eine deutliche Unterscheidung zwischen Cortona selbst und seiner Werkstatt wurde daher schon im zeitgenössischen Kontext nicht getroffen. Das Bild wird seit Giulio Brigantis Einschätzung traditionell Pietro da Cortona zugeschrieben. 52 Es könnte sich jedoch ebenso um eine Arbeit Ciro Ferris handeln, der das Bild entsprechend seiner zeichnerischen Vorlage ausgeführt hat. 53 Doch liegt der Reiz des Bildes, welcher es zu einem geeigneten diplomatischen Präsent werden 49 C ENALMOR B RUQUETAS / M ORA S ÁNCHEZ , La Adoración (wie Anm. 48), 24-26. 50 Briganti schrieb die Zeichnung (Musée du Louvre, Inv. 500, Recto) Cortona zu; inzwischen wird sie Ciro Ferri zugeordnet. Vgl. Le dessin a Rome au XVII siècle (Ausstellungskatalog), Paris 1988, 53f. (Nr. 63). 51 Brief Niccolò Riccis vom 7. April 1659, BAV, Barb.lat. 9854, f. 44r. Vgl. M ONTAGU , Un dono (wie Anm. 47), 46, Anm. 40b; C OLOMER , Regalos artísticos (wie Anm. 47), 14. Die Zuschreibung des Bildes von Perez Sanchez an Cortona bezieht sich auf dieses Dokument, vgl. P EREZ S ANCHEZ , Museo del Prado (wie Anm. 47), 196. Als Werk Ciro Ferris: Ausgang aus der Barberini-Guardaroba, Januar 1659; vgl. A RONBERG L AVIN , Barberini Documents (wie Anm. 38), 3, doc. 18a: Un quadretto di p.mi dui e mezzo et largo un ¾ depinto sopra a Pietra venturnina (? ) la Natività di N.S. dal Ciro giovane del Pietro da Cortona, costo sc. 52 Bereits Voss hatte in einer mündlichen Mitteilung die Zuschreibung des Bildes auf Stein an Cortona in Frage gestellt und es für eine Kopie gehalten, was Briganti jedoch zurückwies, vgl. B RIGANTI , Pietro da Cortona (wie Anm. 48), 314 (Nr. 500). Perez Sanchez schrieb das Bild ebenfalls Cortona zu; seitdem wird diese Zuschreibung weitestgehend übernommen. Vgl. A LFONSO E. P EREZ S ANCHEZ , Pintura Italiana del Siglo XVII en España, Madrid 1965, 264. 53 Maurizio Fagiolo dell’Arco hat bereits aufgrund eines stilistischen Vergleichs eine Zuschreibung an Ciro Ferri vorgeschlagen. M AURIZIO F AGIOLO DELL ’A RCO , Pietro da Cortona e i ‚cortoneschi’. Gimignani, Romanelli, Baldi, il Borgognone, Ferri, Mailand 2001, 150. Zur strittigen Zuschreibung vgl. auch C OLOMER , Regalos artísticos (wie Anm. 47), 14. Johanna Beate Lohff 224 ließ, wohl weniger in der Frage nach der Eigenhändigkeit des Meisters, sondern vor allem im Zusammenspiel von feiner Malerei, einer zweifelsohne hohen Qualität und der Steinimitation, die den gesamten Hintergrund mit ihrer funkelnden Oberfläche ersetzt und das Bild so besonders kostbar erscheinen lässt. Zusätzlich war es ursprünglich mit einem aufwendigen Silberrahmen eingefasst, der mit Lapislazuli- Intarsien geschmückt war. 54 Das auf diese Weise wertvoll gerahmte Bild wurde an Don Luis de Haro (1603-1661), einen der Günstlinge Philipps IV., verschenkt, der sowohl von den Franzosen als auch von den Spaniern als dessen Erster Minister bezeichnet wurde. 55 Don Luis tätigte zahlreiche Kunstankäufe für Philipp IV. und besaß selbst eine beachtliche Kunstsammlung. Das Steinbild war somit nicht als Geschenk an den König persönlich vorgesehen, sondern an seinen Ersten Minister, der als Kunstkenner galt und für die meisten Werke, die er selbst erwarb, zusätzlich Expertisen verlangte. 56 Philipp IV. erhielt indessen ein Bassorelievo, eine Kopie in Silber nach Alessandro Algardis Relief aus St. Peter in Rom mit der Darstellung der „Begegnung von Leo dem Großen mit Attila“, welches „gezielt auf die traditionelle und bewährte Rolle des Papsttums als Friedensvermittler hinweisen“ sollte. 57 Hingegen kann das Motiv mit der Anbetung der Hirten nur schwer als direkter Hinweis auf den aktuellen politischen Kontext verstanden werden. Vielmehr eignete es sich durch seine besondere Materialität in Kombination mit einer feinen künstlerischen Ausführung als Geschenk für verschiedenste Gelegenheiten. 54 Vgl. dazu die von Montagu publizierten Zahlungsbelege, welche sie mit dem Bild in Zusammenhang bringt: Io infra scritto Felice Leonini ho ricevuto dal Sig.r Nicolò Cavalini scudo undici p. prezzo cosi dacordo di un quadro in Avventurina […], datiert 6. Dezember 1658, und L’Emm.mo et Rev.mo Sig.o Cardinale Barberini deve dare p. la valuta di libre dicinove once nove, di argento lavorato in una Cornice di un quadro fatto su la Aventurina, e fregio lapizzlar […], datiert 25.(? ) November 1659; zitiert nach M ONTAGU , Un dono (wie Anm. 47), 46, Anm. 40b. Der Rahmen ist heute leider nicht mehr erhalten, vgl. ebd., Anm. 40a und 40b. 55 C OLOMER , Arte (wie Anm. 45), 102. Zu de Haro vgl. M ARCUS B. B URKE , Luis de Haro as Minister, Patron and Collector of Art, in: The Sale of the Century. Artistic Relations between Spain and Great Britain, 1604-1655 (Ausstellungskatalog), London / Madrid 2002, 87-105. 56 B URKE , Luis de Haro (wie Anm. 55), 104. 57 R ALPH M IKLAS D OBLER , in: Barock im Vatikan. Kunst und Kultur im Rom der Päpste II. 1572-1676 (Ausstellungskatalog), Bonn 2005, 157. Vgl. dazu besonders M ONTAGU , Un dono (wie Anm. 47) und R UDOLF P REIMESBERGER , Eine Peripetie in Stein? Bemerkungen zu Alessandro Algardis Relief der Begegnung Leos des Großen mit Attila, in: Festschrift für Hermann Fillitz zum 70. Geburtstag. Aachener Kunstblätter des Museumvereins 60 (1994), 397-422. Im Inventar des Alcázar 1686 wurde das Relief als Pax Christiana suviecit bezeichnet, vgl. Y VES B OTTINEAU , L’Alcázar di Madrid et l’inventaire di 1686, in: Bulletin Hispanique 60 (1958), 450-483, hier 451; C OLOMER , Arte (wie Anm. 45), 101. Bilder auf Stein als Diplomatengeschenke und ihre Verbreitung in Europa 225 4. Schlussbemerkung Bilder auf Stein eigneten sich aus verschiedenen Gründen als diplomatische Geschenke: Durch ihre Kombination aus preziösem Material und kunstvoller Malerei konnten sie vielfältigen Erwartungshaltungen gerecht werden. Je nach Kostbarkeit des Materials und Namhaftigkeit des Künstlers konnten sie als hochrangige Kunstgeschenke Verwendung finden, die an Kenner gerichtet waren, wie auch als Luxusgüter, die als bagatelle, galanterie oder cosuccie bezeichnet und verschenkt wurden. Die Steinbilder der Barberini waren mit religiösen Szenen bemalt, die so allgemein gehalten waren, dass sie nicht zwangsläufig auf eine bestimmte politische Situation hin gedeutet werden mussten. Trotz ihres allgemeinen religiösen Sujets verwiesen sie auf ihren Schenker, da von Seiten der Kirche meist Objekte von besonderer Kostbarkeit und mit spiritueller Bedeutung verschenkt wurden. 58 Bilder auf Stein entsprachen so in vielerlei Hinsicht den Ansprüchen an ein besonderes Geschenk, das zu verschiedenen Gelegenheiten aus der Hand gegeben werden konnte. Da die Steinmalerei vornehmlich in Italien vertreten war, legen die geschilderten Beispiele nahe, dass sich Bilder auf Stein vor allem durch den diplomatischen Verkehr in Europa verbreiteten. 58 S USAN M ADOCKS , Arte e diplomazia. Aspetti dei rapporti diplomatici e culturali fra Italia e Inghilterra tra Cinque e Seicento, in: Amici dei Musei 35 (1986), 3-7, hier 3. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit Magdalena Bayreuther 1. Einführung: Repräsentative Pferdehaltung in der frühen Neuzeit Es ist ausser allem Zweiffel / daß unter allen unvernünfftigen Thieren das Pferd das allernutzbarste und edelste sey / dessen sich die Menschen in Schimpff und Ernst / in aller Noth / auf das allerbeste bedienen / und so viel grosse und stattliche Werck damit ausrichten können / daß ihm kein anders Thier auf der Welt dißfalls zu vergleichen / vielweniger vorzustellen. [...] Ohne dessen Beystand / man keinen stattlichen prächtigen Einzug anstellen / keine Schlacht gewinnen / keine ferne Reyse mit Gelegenheit / noch Turnier / noch Ringelrennen / noch Quintana verrichten; durch die Posten keine Zeitung schneller / als durch die Pferde / haben kann. 1 Das mit Pferden verbundene Potential konnte dieser Feststellung von Wolf Helmhardt von Hohberg zufolge in vielfacher Hinsicht von großem Nutzen für den Besitzer eines oder mehrerer solcher Tiere sein. Vor allem die Träger von Herrschaft profitierten von den genannten Vorteilen. Dies betraf zum Beispiel ihre Position innerhalb der Hierarchie europäischer Herrscher, denn bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde territoriale Politik gewissermaßen auf dem Rücken von Pferden ausgetragen. Die Größe der Kavallerie und die Qualität der Kriegspferde entschieden über Aufstieg und Niedergang, waren Indikator für das außenpolitische Ansehen und Hemmschwelle für kriegerische Vorhaben. Infolgedessen trifft man auf diplomatischer Ebene zwischen den europäischen Herrschern, ob im Bereich des Handels, bei Kauf- oder Tauschgeschäften, bei Schenkanlässen oder auch als Kriegsbeute, also überall dort, wo es um die Pflege diplomatischer Beziehungen ging, auf Pferde. Ein Grund hierfür war, dass Pferde aktiv in das Herrschaftsprogramm der Aristokratie eingebunden waren. Schon seit der Domestizierung als Reittier war das Pferd durch seine Symbolik als „beweglicher Thron“ ein Statussymbol der herrschenden Eliten. 2 Mit der Entfaltung frühneuzeitlicher höfischer Kultur erfuhr es in dieser Funktion eine stetig zunehmende Bedeutung, aus der sich eine repräsentative 1 W OLF H ELMHARDT VON H OHBERG , Die vollkommene Pferd- und Reit-Kunst samt ausführlichem Unterricht der Edlen Stutery, Nürnberg 1689, Digitalisat der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel <Xb 4 o 357>, 1. Das Quintanrennen, ital. Quintana, ist ein aus dem Mittelalter stammendes Reiterspiel, bei dem vom Pferd aus in vollem Galopp mit der Lanze auf eine bewegliche Attrappe gezielt wird. 2 Vgl. M ARLENE B AUM , Das Pferd als Symbol. Zur kulturellen Bedeutung einer Symbiose, Frankfurt a. M. 1991. Magdalena Bayreuther 228 Pferdehaltung und Reitkultur entwickelte, die bald ein fester und unabdingbarer Bestandteil des Selbstverständnisses und der Legitimation eines Herrschers war. 3 Der grundlegende Impuls lag hierbei in der Adaption und Weiterentwicklung der von dem griechischen Reiteroberst Xenophon überlieferten antiken Reitlehre. 4 Von Italien ausgehend verbreitete sich seit dem 16. Jahrhundert in ganz Europa eine verfeinerte Art des Reitens, die eine subtile Abstimmung der Hilfen zwischen Pferd und Reiter erforderte. Die Ausführung graziler Figuren und Sprünge innerhalb einer Reitbahn kann als Teil des höfischen Ästhetisierungsprozesses der frühen Neuzeit gesehen werden. Folglich etablierte sich diese zeitgenössisch als „Schulreiterei“ oder „Reutt-Kunst“ 5 bezeichnete Art des Dressurreitens als grundlegendes Element höfischer und adliger Erziehung und wurde an den sich ausbreitenden Ritterakademien im Rahmen eines höfischen Tugend- und Verhaltenskodex’ und der entsprechenden Regeln des Hofzeremoniells unterrichtet. 6 Sie wurde auch durch die bekannten italienischen und später französischen Reitmeister der Zeit verbreitet, die ihr Wissen vor Ort an zukünftige Lehrer, die unter anderem aus dem Ausland angereist kamen, weitergaben. Die akademische Reitkunst verdrängte außerdem mit der Zeit die mittelalterlichen Turniere, an deren Stelle Reiterspiele und symmetrisch choreografierte „Rossballette“ bzw. carrousels traten. 7 Analog zu dieser Entwicklung erfolgte auch die Verbreitung theoretischer Reflexionen in einschlägigen Fachbüchern. Auf dem literarischen Markt waren zahlreiche, von namhaften Reitmeistern verfasste Ausführungen über die Reitkunst zu finden, die durch ein großes Format und ihre Ausstattung mit zahlreichen Drucken oder Kupferstichen vor allem ein begütertes Lesepublikum ansprachen. 8 Ausschließ- 3 Vgl. T REVA T. T UCKER , Eminence over Efficacy: Social Status and Cavalry Service in Sixteenth-Century France, in: Sixteenth Century Journal XXXII, 4 (2001), 1057-1095 und K ATE VAN O RDEN , From Gens d’armes to Gentilshommes: Dressage, Civility, and the Ballet à Cheval, in: The Culture of the Horse. Status, Discipline, and Identity in the Early Modern World, K AREN R ABER / T REVA T. T UCKER (Hrsg.), New York 2005, 197-222. 4 Vgl. X ENOPHON , Reitkunst. Griechisch und Deutsch von Klaus Widdra, Berlin 1965. 5 Heute Klassische Reitkunst oder Hohe Schule genannt. Es bezeichnet das „Dressurreiten in höchster Vollendung [...]. Ein Pferd, das die Hohe Schule beherrscht, ist in bester Weise gymnastiziert [...] und erreicht einen überdurchschnittlich hohen Grad der Versammlung“. Das heißt, die Kraft für die Übungen kommt aus der Hinterhand des Pferdes, was durch eine leichte und feine Hilfengebung ermöglicht wird. Es wird unterteilt in die ‚Schulen auf der Erde’, also Figuren auf dem Boden, und in die ‚Schulen über der Erde’, also Sprünge in der Luft; E DEL M ARZINEK -S PÄTH , Hohe Schule, in: D IES ., Pferde A-Z. Rassen, Reitlehre, Pferdesport, Haltung und Pflege, München 1988, 165f. 6 Vgl. N ORBERT C ONRADS , Ritterakademien der frühen Neuzeit. Bildung als Standesprivileg im 16. und 17. Jahrhundert, Göttingen 1982. 7 Vgl. H ELEN W ATANABE -O’K ELLY , Triumphall Shews. Tournament at German-speaking Courts in their European Context 1560-1730, Berlin 1992. 8 Vgl. F EDERICO G RISONE , Ordini di cavalcare, Neapel 1550; P ASQUAL C ARACCIOLO , La gloria del cavallo, Venedig 1566; S ALOMON DE L A B ROUE , La Cavalerice François, Paris Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 229 lich diese Gesellschaftsschicht war es auch, die sich auf Basis ihrer materiellen Verhältnisse Anschaffung, Ausbildung und Unterhalt geeigneter Pferde sowie das dazugehörige Personal leisten konnte, um repräsentative Pferdehaltung zu betreiben. Dabei gab es zu Beginn der frühen Neuzeit noch das Problem eines Mangels an für die Reitkunst geeigneten Pferden, denn die Kriegsrosse der mittelalterlichen, stark gepanzerten Ritter waren hinsichtlich ihres Körperbaus, ihrer Beweglichkeit und ihres Charakters dafür ungeeignet. 9 In der Pferdezucht wurden nun neue Akzente gesetzt, indem eine immer systematischere und selektivere Auslese praktiziert wurde, wobei Hengste aus Nordafrika, Spanien, Italien, später auch aus dem Orient zur Veredlung eingesetzt wurden. Die Zucht eines edlen Reitpferdes, die Einrichtung von Gestüten zu diesem Zweck und Diskussionen darüber unter Gleichgesinnten entwickelten sich mit der Zeit zu einer ausschließlich aristokratischen Beschäftigung. Auch die architektonische Manifestation der Reitkunst fehlte nicht: Die Unterbringung der Tiere erfolgte zunehmend in prächtigen barocken Marställen, 10 und für das Reiten im Winter und bei schlechtem Wetter standen ab dem 17. Jahrhundert teilweise sehr imposante Reithäuser, wie zum Beispiel die Spanische Hofreitschule in Wien, zur Verfügung. 11 An den Höfen gewann auch das Amt des Oberstallmeisters an Bedeutung, da es einen engen Kontakt zum Herrscher und einen erheblichen Prestigegewinn mit sich brachte. Der Fürst wiederum benutzte das Pferd im Rahmen seines Selbstverständnisses und Selbstdarstellungsprogramms in unterschiedlichen Funktionen: als „beweglichen Thron“, als Protagonist in Malerei und Plastik oder als diplomatisches Geschenk. 12 2. Die Exklusivität der „Ware“ Pferd Die kurze Einführung in diese umfangreiche Repräsentationskultur um das Pferd und die Reitkunst lässt einen ersten Eindruck davon entstehen, welche Bedeutung diesem Tier im höfischen Kontext zukommen konnte. Durch eine nähere Betrachtung der praktischen Umstände, mit denen Fürst und Stallpersonal zu tun hatten, 1593; G EORG E NGELHARD L ÖHNEYSEN , Della Cavalleria. Gruendtlicher Bericht von allem was zu der Reutterei gehoerig, Remlingen 1609; A NTOINE DE P LUVINEL , L’instruction du roy en l’exercise de monter à cheval, Paris 1625; W ILLIAM C AVENDISH OF N EWCASTLE , Nouvelle Méthode pour dresser les chevaux, Antwerpen 1658 und F RANÇOIS R OBICHON DE L A G UERINIERE , École de Cavalerie, Paris 1729. 9 Vgl. C HARLES G LADITZ , Horse Breeding in the Medieval World, Dublin u. a. 1997. 10 Vgl. W OLFGANG G ÖTZ , Deutsche Marställe des Barock, München / Berlin 1964. 11 Vgl. L ILIANE S KALECKI , Das Reithaus. Untersuchungen zu einer Bauaufgabe im 17. bis 19. Jahrhundert, Hildesheim / New York / Zürich 1992. 12 Vgl. W ALTER L IEDTKE , The Royal Horse and Rider. Painting, Sculpture and Horsemanship 1500-1800, [New York] 1989 und den Ausstellungskatalog: G LORIOUS H ORSEMEN . Equestrian Art in Europe, 1500-1800, Springfield, Mass. 1981. Magdalena Bayreuther 230 wenn es um den speziellen Einsatz von Pferden in der Diplomatie ging, wird deutlich, wie Pferde als exklusive „Ware“ wahrgenommen und gebraucht wurden. 2.1 Das Auffinden geeigneter Pferde Bereits das Auffinden guter Pferde, das heute durch nationale und internationale Leistungsschauen und Wettbewerbe, öffentlich zugängliche Zuchtregister und die Möglichkeiten der neuen Kommunikationsmedien erheblich erleichtert wird, stellte in der frühen Neuzeit eine Herausforderung dar. Es war nicht ausreichend, das beste Pferd auf einem lokalen Pferdemarkt zu kaufen, zumindest nicht, wenn ein besonderes Tier gefragt war. Vielmehr wurden möglichst kompetente und vertrauenswürdige Personen aus dem Personal, zum Beispiel der Stallmeister oder der Bereiter, mit der Suche nach außergewöhnlichen Tieren im In- und Ausland beauftragt. Häufig fungierten auch Kaufmanns- und Händlerfamilien, die im Herkunftsland der gesuchten Pferde eine Niederlassung hatten, aufgrund ihrer Ortskenntnis und ihres Insiderwissens als Kaufvermittler oder Importeure. Daneben gab es noch andere Möglichkeiten, wertvolle Pferde aufzuspüren: Über verwandtschaftliche Beziehungen, über Hinweise weit gereister Gäste, die man beherbergte oder traf, oder über Angehörige der Armee, die hippologisch versiert und informiert waren. Es ist davon auszugehen, dass ein gut funktionierendes hippologisches Netzwerk bestand, das vor allem die direkt Beteiligten, also (Ober)Stallmeister, Bereiter, Reitmeister und Pferdehändler, umfasste und verband. Eine weitere Gelegenheit zum Erwerb bot ein gutes Gestüt mit einem weithin bekannten Ruf, wobei vor allem in diesem Fall verwandtschaftliche, persönliche oder fachliche Beziehungen von Vorteil waren. Besonders begehrt und berühmt waren in der frühen Neuzeit Pferde aus den Zuchteinrichtungen des spanischen Königs, der Markgrafen von Mantua, der habsburgischen Kaiser, der Herzöge von Oldenburg und der Fürsten von Liechtenstein. Die Tiere von Karl Eusebius von Liechtenstein (1611-1684) waren sehr gefragt, so dass der Fürst Kauf- oder Tauschanfragen sogar dann ablehnen musste, wenn sie von Verwandten kamen. Sein Vetter Hartmann von Liechtenstein (1613-1686) ließ 1675 fragen, ob er einige Zuchthengste aus dem Gestüt Karl Eusebius’ für seinen ältesten Sohn Maximilian eintauschen könnte; als Gegenwert bot er ein wertvolles Gemälde an. Der Gestütsbesitzer musste jedoch eine Absage erteilen, da er einen zug braun zerreissen und solche [...] herausnehmen müsste und er außerdem mit gemählen also überheüfft 13 sei. 13 Zit. nach H ERBERT H AUPT , Rara sunt cara. Kulturelle Schwerpunkte fürstlichen Lebensstils, in: Der ganzen Welt ein Lob und Spiegel. Das Fürstenhaus Liechtenstein in der frühen Neuzeit, E VELIN O BERHAMMER (Hrsg.), München 1990, 115-137, hier 116. [E]inen zug braun zerreissen meint, einen Vierer- oder Sechserzug gleichfarbiger (in diesem Fall brauner) Kutschpferde durch das Herausnehmen eines oder mehrerer Tiere nicht mehr gleichfarbig zusammenstellen zu können. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 231 2.2 Der Transport von Pferden Doch mit dem Auffinden allein war die aufwendige Erwerbspraxis noch nicht abgeschlossen. Oftmals fiel noch ein langer Transportweg an, vor allem aus dem europäischen Süden in nördlichere Gebiete. William Cavendish (1592-1676), Herzog von Newcastle, ein englischer Hippologe des 17. Jahrhunderts, machte auf die Nebenwirkungen eines Pferdekaufs in Spanien aufmerksam: Hieraus siehet man / daß ein schönes und gutes Spanisches Pferd gar eine theuere Waar ist; dann wann man die Reis- Unkosten von Andalusien nach Bilbao, oder Sanct Sebastian (welches der nächste Port nach Engeland ist / und zum wenigsten vier hundert Meilen sich erstrecket) zehlen will / so kann es nicht fehlen / das Pferd muß theuer werden / weil man zur Fürsichtigkeit einen Huffschmid / und Reit-Knecht darbey haben / und das Pferd in einem Tag über zehen Meilen nicht treiben muß. 14 Bei der Reiseplanung ergaben sich also mehrere Probleme: Zunächst musste die Route bestimmt werden, die entweder den Land- oder den Seeweg oder eine Kombination aus beidem darstellte. Der Seeweg wurde hier normalerweise bevorzugt, da er meist schneller, durch den Wegfall von Zollgebühren billiger und im Gegensatz zu den schlechten Straßen bequemer war. Auf dem Landweg dagegen mussten natürliche geographische Hindernisse, wie zum Beispiel die Pyrenäen oder die Alpen, überwunden werden und es bestand die Gefahr eines Überfalls oder, in Ermangelung diplomatisch erwirkter Geleitbriefe, der Gefangennahme und Festsetzung. Dies berichtet der kaiserliche Botschafter in Spanien, Hans Khevenhüller (1538-1606), 1580 in seinem Tagebuch über den Transport der für Kaiser Rudolf II. (1552- 1612) bestimmten spanischen Pferde nach Prag: Adi andern juli hab ich meinen stalmaister Garcia Ferre neben meinen diener Wolf von Asch nach K.Mt und den bayrischen hof mit vierzehen spanischen pferden por la via de Biscaya expediert, welcher hernach, als sie sich zue Sant Sebastian in klaine schiff, Azabras genennt, imbarkiert haben, durch ungewitter a la Roxela angefarn sein, daselbs si durch die Hugenotten von dem könig von Navarra und monsur Dangiu dependierent, sonderlich aber von dem monsur Rouan bis über ain halb jar aufgehalten und feindlich moulestiert worden, hernach über vilfeltigen müehe und arbait auch schreiben, so ich dem könig aus Frankreich, vermeldten von Navarra, monsur Dangiu und monsur de Rouan gethan, widerumben entledigt worden und sein bei ainem gueten jar, ehe si K.Mt hof erraicht haben, unterwegen gewest. 15 Das Wetter auf dem Seeweg barg tatsächlich enorme Risiken. Khevenhüller 14 W ILLIAM C AVENDISH OF N EWCASTLE , Neu-eröffnete Reit-Bahn. Ins Deutsche übertragen von Johann Philipp Ferdinand Pernauer. Nouvelle Méthode pour dresser les chevaux. Traduction nouvelle sur l’Original par Monsieur de Solleysel, Hildesheim / New York 1973, Faksimile der Ausgabe Nürnberg 1700 [Erstausgabe Antwerpen 1658], 43. 15 H ANS K HEVENHÜLLER , Kaiserlicher Botschafter bei Philipp II., Geheimes Tagebuch 1548- 1605, G EORG K HEVENHÜLLER -M ETSCH (Hrsg.), Graz 1971, 107. Magdalena Bayreuther 232 schrieb im Februar 1589, dass sechs der zwölf spanischen pferd, so ich I.Mt geschickt, wegen ungestuemb ins meer geworfen 16 worden waren. Wie viel Zeit man für den Transport benötigte, unterlag vielen Faktoren, beispielsweise der Jahreszeit. Am besten war es, die Pferde auf dem frieling hinaus zu schikhen, da si sich mit dem gras wider erholen khinden. Wenn sie auf halben Augusto verrukhen, khunden si bei der naht raisen, bis si die khuele eraihen, womit sie dann die Reise vor dem Herbst beginnen könnten, eher die bosen weg angen. 17 Die Reisegeschwindigkeit hing von der Jahreszeit, dem Zustand der Straßen bzw. den Wetter- und Windverhältnissen auf See und den freiwilligen oder erzwungenen Zwischenpausen ab. Durchschnittlich schaffte man bei einem mehrwöchigen Pferdetransport über Land eine Strecke von 30 bis 60 Kilometern pro Tag. 18 Der Transport von Pferden von Spanien nach Wien oder Prag dauerte ohne Zwischenfälle ab dem Zeitpunkt der Verschiffung drei Monate. Manchmal musste jedoch erst längere Zeit auf ein geeignetes Schiff gewartet werden. Auch die Beschaffung der Pferde vor Ort konnte viel Zeit in Anspruch nehmen: Es dauerte von Juli 1564 bis Oktober 1565, um in Spanien geeignete junge Pferde für den Kaiser zu finden und nach Madrid zu bringen, obwohl man extra ain aignen menschen in Andaluzía abgefertigt und gelt geben, damit er die bosten, so zu bekhumen, khauf und zusamenbring. 19 Da es dann so spat nun am jar und die bosist zeit zum raisen ainget 20 , wurden die Tiere erst im Februar 1567 auf die Weiterreise geschickt. Schließlich muss auch noch der hohe finanzielle Aufwand bedacht werden, durch den die Reise überhaupt erst ermöglicht wurde. Bei einem Transport von acht Pferden von Spanien nach Wien im Jahr 1580 wurden die Begleiter mit 700 Dukaten ausgestattet. 21 Daneben bestand auch noch das Risiko, aufgrund von schlechten Ernten extrem hohe Preise für Futter bezahlen zu müssen oder Pferde durch Krankheit und Tod zu verlieren. 22 Aus all diesen Gründen erscheint es daher naheliegend, dass sich Fürsten persönlich um den Transport von verschenkten oder verkauften Pferden kümmerten, um deren sichere Ankunft zu gewährleisten. Dies geschah seitens des spanischen 16 K HEVENHÜLLER , Tagebuch (wie Anm. 15), 173. 17 Zit. nach Die Korrespondenz der Kaiser mit ihren Gesandten in Spanien, Bd. 1: Der Briefwechsel zwischen Ferdinand I., Maximilian II. und Adam von Dietrichstein 1563-1565, F RIEDRICH E DELMAYER (Hrsg.) / A RNO S TROHMEYER (Bearb.), Wien / München 1997, 240. 18 Vgl. N ORBERT O HLER , Reisen im Mittelalter, Düsseldorf / Zürich 2004, 109-112. 19 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 369. 20 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 453. 21 Zit. nach M ARIA S TIEGLECKER , „Was ich eingethan und erkhauft, wille ich mit erster gelegenheit überschickhen.“ Zum Gütertransfer von Spanien an den Kaiserhof, in: Hispania - Austria II. Die Epoche Philipps II. (1556-1598), F RIEDRICH E DELMAYER (Hrsg.), Wien / München 1999, 234. 22 Vgl. S TIEGLECKER , „Was ich eingethan [...]“ (wie Anm. 21), 228. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 233 Königs Philipps II. (1527-1598) im Fall einer Herde von 43 Hengsten, die zu Verwandten nach Italien und Österreich gebracht werden sollten. Zunächst kümmerte sich Philipps Oberstallmeister Diego de Haro persönlich um die Details der Reise: [L]os [die Pferde] enviéis, con persona de recaudo a Cartagena, donde he mandado que se flete un navío en que se embarquen y lleven a Génova. Y las personas que los llevaren ahí, los entregarán a Decio Rucio, si estuviere allí [in Cartagena], que por la experiencia que tiene de ello, por haber traído algunas veces caballos de Nápoles, he acordado que los lleve él por mar. 23 Am gleichen Tag wies Philipp II. seinen Lieferanten (proveedor) Cristobal de Heredia in Cartagena an, das für die Reise angemessenste und für die Tiere bequemste Schiff vor Ort bereitzustellen, es ausreichend mit Stroh und Gerste zu versehen und ihm nach Erledigung dieses Auftrags Rückmeldung zu geben, da er schon [...] escrito a Córdoba que partan sin perder tiempo. 24 Als der König dann erfuhr, dass die Pferde in Córdoba ausgesucht und bereit zum Aufbruch waren, ließ er Ende September eine Urkunde ausfertigen, die der für den Landtransport nach Cartagena zuständige Juan Bautista mit sich führen sollte und die den sicheren Weg durch alle Städte, Dörfer und Orte auf dem Weg garantierte. Außerdem beinhaltete sie die Aufforderung an die jeweiligen Bewohner, das benötigte Futter für die Pferde zu den ortsüblichen Preisen zu verkaufen und keinen Wucher zu betreiben. 25 Ebenfalls am 29. September 1593 richtete Philipp II. über die Junta de obras y bosques einen Brief an seinen corregidor in Murcia, der dafür zu sorgen hatte, dass die Pferde ohne Hindernisse Spanien verlassen konnten und der innerhalb von dreißig Tagen der Inquisition in Murcia über das Ausschiffen der Tiere Meldung machen sollte, damit der König über den Stand der Dinge unterrichtet werden konnte. Als die Pferde bereits auf dem Weg nach Cartagena waren, schrieb Philipp II. noch an Juan Giner, seinen pagador de las armadas in Cartagena. Dieser sollte von den 600 Dukaten, die der König für den Transport zur Verfügung gestellt hatte, pro Monat 15 Dukaten an die Begleitpersonen Juan Bautista Danza und Andrea Pietro, den Hufschmied, zahlen. 26 23 Zit. nach J UAN C ARLOS A LTAMIRANO , Caballo Español. Las Caballerizas Reales de Córdoba (1567-1800), Málaga 1998, 66, Ergänzungen von der Verfasserin, Übersetzung: Ich schicke sie euch mit einem Boten nach Cartagena, wo ich befohlen habe, dass ein Schiff angeheuert wird, auf das sie verladen und nach Genua gebracht werden. Und die Personen, die sie dorthin bringen, händigen sie an Decio Rucio aus, wenn er dort ist, denn durch die Erfahrung die er hat, da er schon einige Male Pferde aus Neapel gebracht hat, habe ich beschlossen, dass er sie übers Meer bringt. 24 Zit. nach A LTAMIRANO , Caballo Español (wie Anm. 23), 68. 25 Zit. nach A LTAMIRANO , Caballo Español (wie Anm. 23), 68. 26 Zit. nach J UAN C ARLOS A LTAMIRANO , Las Primeras Exportaciones de Caballos Pura Raza Españoles, URL: www.jcaltamirano.com/ artespanol.htm#La+primeras+exportaciones+de+ caballos+pura+raza+espa%F1oles (Zugriff: 13.12.2010). Magdalena Bayreuther 234 2.3 Die Preise von Pferden Neben dem ideellen Wert eines Pferdes, der nach Herkunft und Qualität bemessen wurde, zählte auch der reale Marktwert zu den Kriterien für ein außergewöhnliches Tier. Marx Fugger (1529-1597), der das erste deutsche hippologische Werk der frühen Neuzeit veröffentlichte, schrieb, dass er Anno 1551 in Córdoba ein Pferd, so ein Apffelgrawer Schimmel gewest, gesehen habe, darauff sol der alt Principe de Salerno, der hernach in Türckey kommen, geritten sein. Für dieses Pferd habe man 1.500 Dukaten geboten. 1563 sah er in Madrid, wie ein gantz weiß Roß / unn dann ein dunckelfuchsen alle beide umb zwey tausent zwey hundert Ducaten verkauft wurden. Allgemein beobachtete er, dass es in Spania unn Neaples nit selten [sei] / daß man die Roß zu 1000. unn noch vil mehr Ducaten verkaufft. 27 Dies scheinen Preise für Ausnahmetiere und Zuchtpferde der obersten Qualitätsklasse gewesen zu sein. Der kaiserliche Gesandte Hans Khevenhüller operierte ein bis zwei Preisstufen darunter. Er berichtete in seinem Tagebuch über zwei sehr gute Pferde, für die ihm 1579 zusammen 800 Dukaten geboten worden waren. 28 Die sechs Hengste auf einer Ankaufsliste für Erzherzog Karl II. von Innerösterreich (1540-1590) aus dem Jahre 1581 lagen im mittleren Preisniveau und überstiegen einen Einzelpreis von 235 Dukaten nicht. 29 Dagegen besaß Khevenhüller einen Hengst, den ihm der spanische König Philipp II. gegen vier Pferde aus seinem Gestüt eintauschen wollte. Das Pferd war von form, gestalt, guete und aller perfection also beschaffen gewest, das ich darumben oftermals über aintausend goldcron haben mögen. 30 Auch ein gutes Jahrhundert später wurde ein hohes Preisniveau bei spanischen Pferden angesetzt, denn Wolf Helmhardt von Hohberg (1612-1688) erwähnte 1689 in seinem posthum erschienenen Werk sechs spanische Hengste für zusammen 6.000 Dukaten, die der Marchese de Grana importiert hatte. 31 3. Das Pferd in der frühneuzeitlichen Diplomatie Preislich und qualitativ hochwertige Pferde dieser Art wurden auf unterschiedliche Art und Weise und innerhalb verschiedener Kontexte bei diplomatischen Bemü- 27 M ARCUS F UGGER , Von der Gestüterey. Das ist ein gründtliche beschreibung wie unnd wa man ein Gestüt von guten edlen Kriegsrossen auffrichten und erhalten und wie man die jungen von einem Jar zu dem anderen erziehen soll, Nieuwkoop 1968, Faksimile der Ausgabe Frankfurt 1584, Erstausgabe 1578, 15. 28 Vgl. K HEVENHÜLLER , Tagebuch (wie Anm. 15), 102. 29 Zit. nach W OLFDIETER B IHL / G EORG K UGLER , Die Lipizzaner der Spanischen Hofreitschule, Wien 2002 , 60f. 30 K HEVENHÜLLER , Tagebuch (wie Anm. 15), 234. Mit goldcron ist der escudo d’oro, die höchste spanische Währung gemeint. 31 Vgl. H OHBERG , Pferd- und Reit-Kunst (wie Anm. 1), 9. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 235 hungen eingesetzt. Behandelt werden im Folgenden die Bereiche Handel, Kriegsbeute, Kauf, Tausch und Geschenk. Je nach Intention waren Pferde Mittel zur Kontaktaufnahme, zur Kommunikation, zur Demütigung und Erniedrigung, zur Bereicherung, zur Einflussnahme, zur Repräsentation oder zu freundschaftlichem Austausch. 3.1. Der Handel mit Pferden Über den wirtschaftlichen Umfang des Pferdehandels in der frühen Neuzeit und seine Bedeutung für das jeweilige Land liegen bislang kaum Veröffentlichungen vor, da dieses Thema, insbesondere in Deutschland, noch wenig erforscht wurde. 32 Es gibt allerdings vereinzelte Beispiele, die den Handel von Pferden zwischen zwei Nationen außerhalb der bedeutenden Adelshäuser veranschaulichen - ohne jedoch Aussagen zu den wirtschaftlichen Aspekten zu enthalten -, wie zum Beispiel der Handelsverkehr zwischen Nordafrika und den norditalienischen Städten. Schon seit dem Mittelalter bestanden Handelsverträge zwischen der islamischen Hafsiden- Dynastie, die große Teile Nordafrikas beherrschte, und Venedig, Pisa, Florenz und Genua, die sich bis ins 16. Jahrhundert hinein fortsetzten. Aus dem Gebiet des heutigen Tunesien kamen farbige Keramik, Korallen, Salz, Gewürze, Kamele, Maultiere und Pferde, während aus Europa Öl und Getreide exportiert wurden. Um mit ihren europäischen Handelspartnern weiterhin gute Beziehungen zu unterhalten, schenkten die Hafsiden-Herrscher ihnen berberische Zuchtpferde. 33 Umgekehrt schickten zum Beispiel die Herzöge von Mantua Gesandte nach Nordafrika, um sich Ausfuhrgenehmigungen für Berberhengste, die sie für Pferderennen verwendeten, zu erhandeln. 34 Als 1574 die Türken das nordafrikanische Gebiet eroberten, gelang es den Herzögen trotz der politischen und religiösen Differenzen zwischen Europa und dem Osmanischen Reich, durch geschickte Verhandlungen wiederholt türkische Pferde für ihr Gestüt zu bekommen. 35 32 Ausnahmen bilden zum Beispiel die Erforschung des Pferdehandelsmonopols, das Portugal im späten 15. Jahrhundert in Asien und dem Indischen Ozean aufbauen und bis ins 16. Jahrhundert hinein halten konnte; vgl. J ERRY B ROTTON / L ISA J ARDINE , Global Interests: Renaissance Art between East and West, Ithaca 2000, 146f., und P ETER E DWARDS , The Horse Trade of Tudor and Stuart England, Cambridge u. a. 1988, wo insbesondere der Pferdehandel innerhalb Englands auf der Basis eines reichen Quellenmaterials, vor allem der toll books, behandelt wird. 33 Das Berberpferd ist eine sehr alte Pferderasse des westlichen Nordafrika. 34 Vgl. E LIZABETH T OBEY , The Palio Horse in Renaissance and Early Modern Italy, in: R ABER / T UCKER , The Culture of the Horse (wie Anm. 3), 63-90, hier 71. 35 Vgl. T OBEY , Palio Horse (wie Anm. 34), 72. Der Herzog von Mantua half zum Beispiel dem Gesandten des Sultans Bayezid II., der auf einer diplomatischen Mission nach Rom ausgeraubt worden war. Der Sultan schickte dem Herzog als Dank eine Schiffsladung türkischer Pferde; dieser revanchierte sich wiederum mit einer Schiffsladung mit mantuanischem Käse. Magdalena Bayreuther 236 Auch von England aus fand während des 17. und 18. Jahrhunderts Pferdehandel mit Nordafrika statt. Die begehrten Berberpferde wurden als beliebtes Handelsgut in das Angebot einiger großer englischer Kaufmannsfamilien aufgenommen und Teil eines Handelsverkehrs, dessen Durchführung auf diplomatischer Vorarbeit basierte. 36 Weniger durch Diplomatie als durch die gleiche Stammesgeschichte entfaltete sich der Pferdehandel zwischen Irland und Spanien. Vom frühen Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein wurden spanische Pferde zwischen den keltischstämmigen Nordspaniern und der irischen Insel getauscht. Die Iren exportierten Wolle, Häute, Butter und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse und erhielten im Gegenzug Wein, Gewürze, Tuche und Pferde. Diesen Handel betrieben vor allem die reichen Kaufleute der irischen Hafenstadt Galway. Bis heute kann man die Folgen dieser ausgeprägten und langlebigen Handelsbeziehung an den iberischen Merkmalen des Connemara-Ponys und des Irish Draught Horse erkennen. 37 Vor allem der Pferdeexport Italiens und auch Spaniens dürfte, wenn nicht schon im Mittelalter, dann spätestens in der Neuzeit, eine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Bedeutung besessen haben, da südeuropäische Pferde sehr häufig und innerhalb eines langen Zeitraums zur Veredlung anderer Zuchten eingesetzt wurden. Grundlage des equinen Austauschs, bedingt durch den hohen Einzelwert der Ware Pferd, war stets eine gute diplomatische Beziehung zwischen den Handelspartnern. 3.2 Kriegsbeute Ganz anders als im Handel gestaltete sich der Erwerb fremder Pferde im Kriegsfall. Während der vom späten 15. bis ins 19. Jahrhundert andauernden Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich kam eine große Anzahl an Pferden von dort nach Westeuropa. Wenn überhaupt, waren gute türkische Pferde nur über diplomatische Beziehungen und damit verbundene kaufmännische Aktivitäten zu bekommen, da die Osmanen ihre qualitativ guten Pferde nur ungern westlichen Besitzern überließen. Dies lag auch daran, dass die guten Roß bey den Türcken gleich so wol Wildtpret worden / als bey uns, wie Marx Fugger anmerkte. Das heißt, dass es auch im Osmanischen Reich nicht einfach war, sehr gute Pferde zu bekommen und es auch dort viel guts und böß durcheinander gab. 38 Die zahlreichen Tiere, die während der Türkenkriege von den westlichen Mächten im Fall eines Sieges erbeutet wurden, setzte man in ganz Europa zur Zucht ein. Dennoch waren sie im Vergleich zu den 36 Vgl. R ICHARD N ASH , “Honest English Breed”: The Thoroughbred as Cultural Metaphor, in: R ABER / T UCKER , The Culture of the Horse (wie Anm. 3), 245-272, hier 248. Ausführlicher zum diplomatischen Aspekt siehe Punkt 3.5 Das Verschenken von Pferden. 37 Vgl. J ASPER N ISSEN , Enzyklopädie der Pferderassen, 3 Bde., Stuttgart 2003, 2. Aufl., Bd. 2, 287f. 38 F UGGER , Gestüterey (wie Anm. 27), 29r. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 237 anderen zeitgenössisch begehrten Rassen relativ selten und schwer zu erlangen. Dementsprechend stieg ihr Wert als Geschenk- oder Tauschware. In einem Bericht an das Haus Fugger von 1594 erfolgte eine Aufzählung der im Zuge der Schlacht von Weißenburg während des „Langen Türkenkriegs“ (1593- 1606) erbeuteten Gegenstände. Darunter befanden sich auch drei türkische Pferde mit samtbeschlagenen, vergoldeten Sätteln, deren Zaumzeug war aus Silber und vergoldet. Die zwei erstgeführten Pferde [waren] für die römisch-kaiserliche Majestät, und das dritte für den Erzherzog Mathias bestimmt. 39 Auch der Markgraf und spätere Herzog von Mantua, Federigo II. Gonzaga (1500-1540), kam durch das Kriegsgeschehen zu türkischen Pferden. Sein Söldnerheer unterstützte die kaiserlichen Truppen im Kampf gegen Suleyman den Prächtigen (ca. 1495-1566), der 1521 im Rahmen seiner Westexpansion Belgrad eingenommen hatte. Einer der militärischen Befehlshaber Federigos II. schrieb 1525 in einem Brief, dass er von türkischen Gefangenen einige Pferde beschlagnahmt habe, die er an seinen Herzog schicken werde. 40 Auch schon vor dem Beginn eventueller militärischer Auseinandersetzungen konnte es um Pferde als eine Art Kriegsbeute gehen. Dies zeigt ein Brief, den der Straßburger Humanist und Pädagoge Johannes Sturm (1507-1589) 1584 an Königin Elisabeth I. von England (1533-1603) schrieb. Englands Kavallerie befand sich in einem sehr schlechten Zustand und hatte schon in den Militärkampagnen gegen Frankreich unter Heinrich VIII. versagt. 41 Das Aufkommen der leichten Kavallerie in Zentraleuropa musste zu einem Umdenken und einer Neuorganisation der englischen Kavallerie sowie der englischen Pferdezucht führen. Um dies zu erreichen, riet Sturm, that gradually a few stallions could be brought from Germany and Friesland, unknown to the enemy or those who may be enemies in the future. Diese Hengste würden die schwachen, kriegsuntauglichen Pferde Englands kräftiger und robuster machen. Was die neue Ausrüstung der leichten Pistoliere betraf, schlug Sturm vor to invite secretly a few German saddlers and makers of greaves and shoes, not heads of households […] but their serving men, who […] would be their own masters, for moderate pay. 42 Diese offensichtliche Aufforderung zur Militärspionage verdeutlicht einmal mehr die große Bedeutung geeigneter Kriegspferde und des zur Verfügung stehenden Nachschubs in der Zucht eines Landes. Ob Elisabeth diese Ratschläge in die Tat umsetzte, ist nicht bekannt. Dem Problem der schwachen englischen Pferde begegnete sie aber tatsächlich mit der Einkreuzung vor allem spanischer Pferde, die sie wohl auch im seit 1585 von England unterstützten Unabhängigkeitskrieg der Niederlande gegen Spanien erbeuten konnte. Bei dieser militärischen Hilfsaktion 39 Fugger-Zeitungen. Ungedruckte Briefe an das Haus Fugger aus den Jahren 1568-1605, V ICTOR K LARWILL (Hrsg.), Wien / Leipzig / München 1923, 176. 40 Vgl. T OBEY , Palio Horse (wie Anm. 34), 73. 41 Vgl. E DWARDS , Horse and Man (wie Anm. 32), 169f. 42 Zit. nach B ROTTON / J ARDINE , Global Interests (wie Anm. 32), 157. Magdalena Bayreuther 238 schickte man dann auch nur die englischen Reiter in die Niederlande, die Pferde und die Ausrüstung wurden vor Ort gekauft. Die während des Achtzigjährigen Kriegs (1568-1648) zwischen den Niederlanden und der spanischen Krone eingesetzten und teilweise von den Niederländern erbeuteten hochwertigen spanischen Kriegs- und Paradepferde beeinflussten nicht nur die niederländische Friesenzucht nachhaltig, sondern hinterließen auch in diversen anderen europäischen Gestüten ihre Spuren. Exemplarisch kann hier das Dillenburger Gestüt der Grafen von Nassau angeführt werden. Als Prinz Wilhelm I. von Oranien (1533-1584), geboren als Wilhelm von Nassau-Dillenburg, der aus Protest gegen die autoritäre Hand der spanischen Statthalterschaft in den Niederlanden 1565 aus dem Staatsrat ausgetreten war, vor der 1567 von Philipp II. entsandten Strafexpedition unter dem hart durchgreifenden neuen Statthalter Fernando Alvarez de Toledo (1507-1582), 3. Herzog von Alba, nach Dillenburg floh, nahm er einige spanische Hengste für das dortige Gestüt mit. 43 Gepaart mit den ebenfalls spanisch beeinflussten Frederiksborger- und Holsteiner-Stuten entstand die „Dillenburger Ramsnase“, ein kräftiges und schönes Pferd, das sich zu einem gefragten Reitpferd entwickelte. Auch noch unter Wilhelms Sohn Moritz von Oranien (1567-1625), der von 1584 bis 1625 Statthalter von Holland, Seeland und Utrecht war, erfolgten Importe spanischer Hengste nach Dillenburg, die wahrscheinlich aus den zurückgelassenen oder erbeuteten Beständen der spanischen Armee stammten. 44 Das Aussehen dieser Beutepferde kann anhand des Gemäldes eines spanischen Hengstes mit dem Titel „Spanisches Streitroß mit Knecht“ von Jacob de Gheyn II., das im Rijksmuseum in Amsterdam ausgestellt ist, nachempfunden werden. Es zeigt das Reitpferd Erzherzog Albrechts VII. von Österreich (1559-1621), der in der Schlacht von Nieuwpoort 1600 die spanische Armee angeführt und gegen die niederländische Streitmacht verloren hatte. Sein Schimmelhengst wurde erbeutet und dem niederländischen Statthalter Moritz von Oranien geschenkt. 45 Neben der außergewöhnlichen Schönheit des Pferdes besticht das Gemälde vor allem durch die Tatsache, dass das Pferd ungesattelt und ohne Reiter, nur mit einem Knecht, der es führt, abgebildet ist, wodurch der vorangegangene ‚Fall’ des Erzherzogs vom Pferd und die Niederlage seiner Streitmacht symbolisiert werden sollte. Verbunden mit der Porträtierung und Präsentation eines von einer hochgestellten Persönlichkeit erbeuteten, reiterlosen Pferdes liegt hier ein charakteristisches Exempel der politischen Intention erbeuteter Ware vor: Der Raub militärisch und symbolisch wichtiger Werkzeuge führt zur Schwächung und Demütigung des Feindes und demonstriert dadurch eigene Macht und Überlegenheit. Das Pferd fungiert 43 Vgl. G ÜNTER V OGLER , Europas Aufbruch in die Neuzeit 1500-1650, Stuttgart 2003, 91f. 44 Vgl. N ICOLE K RIER -B ADILA , Spaniens Pferd der Könige. Herkunft, Geschichte und Zucht des ältesten europäischen Edelpferdes, Gelting 2001, 85. 45 Vgl. K RIER -B ADILA , Spaniens Pferd (wie Anm. 44), 40. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 239 in diesem Fall nicht als Indikator für eine gute diplomatische Beziehung wie beim Handel, sondern als Symbol für ein deutlich manifestiertes Hierarchieverhältnis. 3.3 Der Kauf einzelner Pferde Die gewöhnlichste Methode, ein Pferd zu erwerben, dürfte der individuelle Kauf gewesen sein. Anhand aussagekräftiger Beispiele zum Kauf einzelner Tiere aus dem Ausland kann hier beobachtet werden, dass die Nachfrage nach exklusiven Tieren für den repräsentativen Bedarf groß war, das Angebot sich jedoch in Grenzen hielt, so dass man auf vermittelnde Hilfe angewiesen war. Der Herzog von Newcastle nennt in seiner Nouvelle méthode pour dresser les chevaux zum Beispiel einen gewissen Benjamin Wright, ein Englischer Kauffmann, der ein Liebhaber der Pferde war und spanische Pferde nach England verkaufte. 46 Bei Newcastle erfährt man unter der Beschreibung der einzelnen Pferderassen oftmals, wo und für welchen Preis man diese erwerben konnte; zudem gab er Tipps gegen Rosstäuschertricks und Routenbeschreibungen für die Heimreise. Er erwähnte als Bezugsquellen für berberische Pferde Edelleute in der Provence und im Languedoc, die zwey / drey / und vierjährige Barbarische Pferde zu Frontignan, Marseille, und andern See-Häven kauffen / selbige zwey oder drey Jahre behalten / und dann wieder verkauffen. 47 Außerdem ist von drei türkischen Pferden die Rede, die von Kaufleuten nach Antwerpen gebracht wurden, und von einem arabischen Pferd, das zu dieser Zeit eine absolute Rarität war. Es war vom englischen Kaufmann John Markham mitgebracht worden und das einzige, das Newcastle mit eigenen Augen gesehen hatte. 48 Einiges deutet darauf hin, dass auch deutsche Kaufmannsfamilien wie die Fugger Pferde nach Deutschland brachten, wenigstens zum persönlichen Gebrauch. 49 Eine genauere Untersuchung dieser Aktivitäten würde sicherlich interessante Aufschlüsse über Pferdehandel und Kaufmöglichkeiten im mitteleuropäischen Raum liefern. Eine bemerkenswerte Verkaufsaktion fand 1579 in Spanien statt. Zu dieser Zeit hatte Philipp II. beschlossen, Tiere aus dem königlichen Gestüt in Córdoba, das aus circa 900 Pferden bestand und zu dieser Zeit bedeutende Zuchterfolge verbuchen konnte, nicht nur für sich zu verwenden, sondern die „schlechten“ Tiere an das Militär, die spanische Hocharistokratie oder andere Interessenten zu verkaufen. Sein Oberstallmeister, Diego de Haro, teilte den Beschluss des Königs dem kaiserlichen Gesandten Hans Khevenhüller mit und bot diesem an, ihm die besten Exemp- 46 N EWCASTLE , Reit-Bahn (wie Anm. 14), 42. 47 N EWCASTLE , Reit-Bahn (wie Anm. 14), 44. 48 Vgl. N EWCASTLE , Reit-Bahn (wie Anm. 14), 53, 55. 49 Einschlägige Hinweise bei: Die Korrespondenz Hans Fuggers von 1566 bis 1594. Regesten der Kopierbücher aus dem Fuggerarchiv, C HRISTL K ARNEHM (Bearb.), 2 Bde. in 3 Teilbänden, München 2003. Magdalena Bayreuther 240 lare aus den Ausmusterungen und Verkäufen zu sichern. Dieses „Vorkaufsrecht“ für den kaiserlichen Hof stellte eine außerordentliche Möglichkeit dar, spanische Pferde direkt aus dem Gestüt des Königs zu bekommen, und konnte von Khevenhüller nicht ausgeschlagen werden. Im Gegenzug erwartete der Oberstallmeister natürlich entsprechende Gunstbeweise seitens des Kaiserhofes. 50 Hans Khevenhüller war im späten 16. Jahrhundert eine Schlüsselfigur, wenn es um die Beschaffung und Übersendung von Raritäten, Luxusgütern und Tieren von der iberischen Halbinsel nach Zentraleuropa ging; 51 daher lässt sich anhand dieser Begebenheit zeigen, über welche hochrangigen Beziehungen Interessenten verfügen mussten, um in den Besitz besonders begehrter und wertvoller Pferde zu gelangen. Eine andere Art der Vermittlung eines Pferdekaufs wurde im Fall des Adelsgeschlechts der Schönborn praktiziert. Der Mainzer Kurfürst und Bamberger Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn (1655-1729) empfahl seinem Neffen Johann Philipp Franz (1673-1724), seit 1719 Fürstbischof von Würzburg, den aufstrebenden jungen Architekten Balthasar Neumann (1687-1753), der daraufhin den Posten des fürstbischöflichen Baudirektors in Würzburg erhielt. Der junge Ingenieur und Architekt wurde 1723 von Schönborn auf eine Studienreise nach Paris geschickt, wo er in einem Gespräch mit dem Kardinal Rohan erfuhr, dass die Equipage der Herzogin von Orléans, Elisabeth Charlotte („Liselotte“) von der Pfalz (1652- 1722), zum Verkauf stand. Die im Dezember des vorangegangenen Jahres verstorbene Herzogin war die „Erste Dame“ am französischen Hofe gewesen, da ihr Sohn Philipp II. von Orléans (1674-1723) für den noch minderjährigen Ludwig XV. (1710-1774) regierte. 52 Diesem Stand angemessen prachtvoll und teuer waren auch Kutsche und Pferde, die Neumann vom Oberstallmeister der Verstorbenen, dem Marquis de Poulpry, gezeigt wurden: [D]ie großen kutschen ist 7 sch[uh] 10 zoll lang in der Mitte und 4 sch[uh] 10 zoll weith, 6 personen, gar reich von golt ahn fransen, crepinen, der aussere deckh oder imperial ist mit rodem sammet undt auch mit frantzen, der breis aber 50 000 livres, 8 pferdt schwartz graue mit grauen extremitäten pro 14 000 franckh, 8 grapfnete schimel mit weißen extremitaeten vor 10 000 franckh, lauter grosse frißladen von 5 jahren, ich halte die einen aber 7 jahr. 53 50 Vgl. S TIEGLECKER , „Was ich eingethan […]“ (wie Anm. 21), 229f. 51 Vgl. A NNEMARIE J ORDAN G SCHWEND / A LMUDENA P ÉREZ DE T UDELA , Luxury Goods for Royal Collectors: Exotica, Princely Gifts and Rare Animals Exchanged Between the Iberian Courts and Central Europe in the Renaissance (1560-1612), in: Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums Wien 3 (2001), 1-127. 52 Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Bd. 6, 28-34. 53 Zit. nach Quellen zur Geschichte des Barocks in Franken unter dem Einfluss des Hauses Schönborn. 1.Teil: Die Zeit des Erzbischofs Lothar Franz und des Bischofs Johann Philipp Franz von Schönborn (1693-1729), Zweiter Halbband, M AX H. VON F REEDEN (Bearb.), Würzburg 1955, 814f. Als extremitaeten wurden Mähne und Schweif der Tiere bezeichnet. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 241 Neumann erbat sich vom Marquis eine Frist, um seinem Herrn Johann Philipp Franz schreiben und dessen Antwort abwarten zu können. Diese ist nicht überliefert; es ist aber fraglich, ob sich der Fürstbischof, der bereits große Summen in den Neubau der Residenz und die urbanistische Erneuerung Würzburgs investierte, diesen zusätzlichen Aufwand leisten konnte. Immerhin hätte die Galakutsche umgerechnet ca. 25.000 fl. gekostet, und auch für die friesischen Kutschpferde wurde mit je 625 fl. bzw. 875 fl. ein extrem hoher Preis angesetzt. Die umständlichen und langen Wege, auf denen ausländische Rassepferde bezogen wurden, und die zwischenmenschlichen Beziehungen, derer man sich bedienen musste, um die gewünschten Tiere erwerben zu können, zeigen, dass landesherrlicher Pferdekauf zu repräsentativen Zwecken in der frühen Neuzeit keine simple Aufgabe war. Umso einfacher war es, wenn man sich, wie im Fall des Botschafters Khevenhüller und des spanischen Oberstallmeisters, innerhalb eines guten diplomatischen Verhältnisses bewegte. 3.4 Tausch Ähnliche Konstellationen lassen sich beim Tausch von Pferden feststellen. Der Austausch von Gütern zwischen Fürstenhäusern wurde in der frühen Neuzeit häufig praktiziert und sicherte den Erwerb seltener und kostbarer Objekte zu beiderseitigem Vorteil. Durch die Exotik des Fremden im eigenen Marstall erhoffte man sich einen Prestigezuwachs für den eigenen Hof. Auch wenn Pferde im Rahmen dieser Tauschgeschäfte häufig gegen andere Luxusartikel oder andere Tiere getauscht wurden, ist vor allem die Betrachtung des Tausches von Pferden gegeneinander interessant, da sich hier Qualität und Wertschätzung der jeweiligen Exemplare besonders deutlich zeigen. Darüber hinaus stellte ein Tauschhandel meist auch einen Indikator für das Verhältnis zweier Landesherren dar, da er nur auf einer gewissen Vertrauensbasis möglich war. Falls ein ungleicher Tausch stattfand und man minderwertigere Pferde weggab, nachdem man selbst die besten Pferde aus dem Stall des Tauschpartners bekommen hatte, konnte man seine Reputation und damit politische und diplomatische Beziehungen riskieren. Ein Beispiel für eine solche Tauschbeziehung stellen die Transaktionen zwischen König Heinrich VIII. von England (1491-1547) und dem Markgrafen von Mantua, Gianfrancesco II. Gonzaga (1484-1519), dar. Heinrich VIII., der erste englische Monarch der frühen Neuzeit, der sich mit Interesse und Erfolg den Pferdebeständen in seinen Marställen widmete und in größerem Maßstab ausländische Zuchthengste importieren ließ, erhielt zunächst im Frühjahr 1514 durch den mantuanischen Gesandten Giovanni Ratto von dessen Herrn mehrere Pferde zum Geschenk. Der Markgraf wollte sich der Freundschaft und des Beistandes des englischen Herrschers während der anhaltenden Kriege um die Vorherrschaft in Italien versichern. Erst ein Jahr zuvor war der Krieg der „Heiligen Liga“ (1511-1513) zu Magdalena Bayreuther 242 Ende gegangen und Mailand in französischer Hand geblieben. 54 Das bedeutend kleinere Markgrafentum Mantua musste sich der Unterstützung mächtiger Freunde vergewissern, um nicht mit seinem Nachbarn Mailand das Schicksal einer Okkupation durch Frankreich zu teilen. Darüber hinaus bestand ein Teil des Einkommens der Gonzaga, ebenso wie das der Este aus dem benachbarten Herzogtum Ferrara, in der Bereitstellung von Söldnerheeren, weshalb zu den potentiellen „Kunden“ aus den Reihen der europäischen Großmächte gute Beziehungen unterhalten werden mussten. 55 Dass das Verschenken von Pferden als Mittel zur Verfolgung der politischen Absichten einer Herrscherfamilie mit einem kleinen Fürstentum in diplomatischer Hinsicht erfolgversprechend war, zeigt die Begeisterung, mit der die Pferde aus Mantua von Heinrich VIII. von Anfang an begutachtet wurden. In den mantuanischen Ställen fand sich eine außergewöhnliche Zucht, die einen sehr guten Ruf im Ausland genoss, denn die Gonzaga unterhielten rege Handelsbeziehungen in den Orient und nach Nordafrika, von wo aus sie Zuchtpferde importierten. Dem Bericht zufolge, den Ratto anlässlich der Übergabe an Gianfrancesco II. schrieb, war der englische König über die Pferde sehr erfreut: Had the marquis given him a kingdom he could not have been more delighted, and went from one nobleman to another saying, „What think you of these mares? They were sent to me by my cousin the Marquis of Mantua”. 56 Ein Hengst, den Ratto Heinrich VIII. und seiner Gemahlin vorführte, wäre einem italienischen Kaufinteressenten sein Gewicht in Silber wert gewesen, doch der Markgraf von Mantua habe es bevorzugt, das Tier an Heinrich VIII. zu verschenken. Laut Ratto befanden sich in den Ställen seines Herrn außerdem noch zahlreiche Pferde aus eigener Zucht - berberische Stuten, spanische Kutschpferde und schwerere Kriegspferde - die er dem König anbiete, together with his territories and children, and his own person. 57 Als sich Heinrich VIII. erkundigte, über welches Gegengeschenk sich der Herzog freuen würde, verwies Ratto auf die für ihre Schnelligkeit berühmten irischen hobbies, in Italien ubini genannt, die sich ideal für die italienischen palio-Rennen eigneten, und einige englische Jagdhunde. 58 Dieses Ereignis legte den Grundstein für einen regelmäßigen Pferdetausch zwischen England und Mantua. An einem der Dankesbriefe, die Heinrich VIII. an den Markgrafen schrieb, wird die dem Austausch zugrunde liegende freundschaftliche Beziehung deutlich: We have learnt from our intimate friend, Thomas Cene, with what affection, magnificence, and expression of singular favour and regard towards us he has 54 Vgl. V OGLER , Europas Aufbruch (wie Anm. 43), 122f. 55 Vgl. T OBEY , Palio Horse (wie Anm. 34), 74. Die Gonzaga verschenkten auch Pferde aus ihrem Gestüt an den König von Frankreich (Franz I.), den König von Spanien (Ferdinand II.) sowie an türkische und ungarische Herrscher. 56 Zit. nach B ROTTON / J ARDINE , Global Interests (wie Anm. 32), 152. 57 Zit. nach B ROTTON / J ARDINE , Global Interests (wie Anm. 32), 152. 58 Vgl. B ROTTON / J ARDINE , Global Interests (wie Anm. 32), 153. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 243 been entertained by your Excellency; and that your very noble stables were thrown open to him, and that he was most earnestly requested to choose for us what horses he most approved of. […]. But, foremost, we thank you most heartily for that your supreme good will towards ourselves […] and for your exceeding desire of deserving well at our hands, as well as for those most beautiful, high-bred, and surpassing horses just sent for us. These we hold highly welcome and acceptable, as well because they are most excellent, as that they have been sent from the very best feeling and intention. 59 Die Herzlichkeit des Briefes war Ausdruck einer Wechselbeziehung, die beiden Seiten Nutzen bringen und deswegen aufrecht erhalten werden sollte. Auf der Ebene des Pferdetausches bestand sie im Austausch der in England hoch geschätzten mantuanischen Kriegs- und Paradepferde gegen die in Italien wegen ihrer Schnelligkeit gefragten hobbies; auf der politischen Ebene suchte Mantua neben einem möglichen Abnehmer seiner Söldnerheere vor allem nach Unterstützung eigener Interessen, die von Heinrich VIII. zugesichert wurde. 60 Im Herbst desselben Jahres tauschten der englische König und der Markgraf weitere Pferde, vier Hengste und zwei spanische Kutschpferde, gegen einige englische Pferde, die durch einen persönlichen Diener Heinrichs VIII. überbracht wurden und mit Sätteln und Rüstungen ausgestattet waren. Die Tauschgeschäfte wurden auch aufrecht erhalten, als Gianfrancesco II. 1519 starb und sein Sohn Federigo II. Gonzaga Herr des Markgrafentums wurde. Unter diesem erlebte die mantuanische Pferdezucht ihren Höhepunkt, und als Heinrich VIII. 1532 nach einigen Pferden für eine neue Gestütsgründung suchte, schickte ihm Federigo, mittlerweile Herzog, neben einigen berberischen Zuchtstuten einen Hengst namens Argentino, der die Zucht in den englischen Stallungen nachhaltig beeinflusste. Diese Tauschgeschäfte zwischen zwei Akteuren von ungleichem fürstlichem Rang zeigen, dass das Verschenken und Tauschen begehrter Pferde ein effektives Mittel sein konnte, um die Gunst mächtiger europäischer Herrscher auf diplomatischem Weg zu erlangen. 61 Aber nicht immer garantierte ein Pferdetausch mit Heinrich VIII. von England eine freundschaftliche Folgebeziehung. Als König Karl I. von Spanien (1500-1558) 1519 zum neuen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewählt wurde und als Karl V. zugleich das Reich und Spanien regierte, sah sich Frankreich von zwei Seiten eingekreist und suchte nach Verbündeten. Deswegen hofierte der französische König Franz I. (1494-1547), ebenso wie Kaiser Karl V., den englischen Monarchen. Nach einer Begegnung mit Karl V. in den Niederlanden traf sich der Franzose 1520 mit Heinrich VIII. auf dem sogenannten „Field of the Cloth of Gold“ (dt. „Güldenes Feld“, frz. „Le Camp du Drap d’Or”) bei Calais. 62 Die Begegnung zwischen den 59 Zit. nach B ROTTON / J ARDINE , Global Interests (wie Anm. 32), 153. 60 Vgl. E DWARDS , Horse and Man (wie Anm. 32), 12. 61 Vgl. T OBEY , Palio Horse (wie Anm. 34), 75. 62 Vgl. B ROTTON / J ARDINE , Global Interests (wie Anm. 32), 153. Magdalena Bayreuther 244 beiden etwa gleichaltrigen Königen sollte eine Versinnbildlichung des Herrschaftsverständnisses der Renaissance werden, und zwar sowohl hinsichtlich der diplomatischen als auch der repräsentativen Möglichkeiten. Es wurde nicht nur ein eigener provisorischer Palast errichtet, sondern zusätzlich ein Hügel abgetragen, damit sich die Herrscher auch im geographischen Sinn auf gleicher Ebene gegenüber stehen konnten. Der Prachtaufwand war immens und sollte den Glanz und die Überlegenheit des jeweiligen Hofes demonstrieren. 63 Als die beiden Könige zum ersten Mal aufeinander zuritten, saß Heinrich in prachtvoller Robe auf einem braunen, auffällig herausgeputzten neapolitanischen Pferd, das bereits 1514 auf einer Einkaufsreise in Italien mit neun anderen Neapolitanern für den englischen Marstall angekauft worden war. Franz I. war nicht weniger eindrucksvoll ausstaffiert und ritt ebenfalls ein braunes, qualitativ allerdings besseres Pferd, das er im Vorjahr aus dem Gestüt des Herzogs von Mantua erhalten hatte. Laut dem venezianischen Gesandten, einem Beobachter der Ereignisse, saß der französische König auf dem most beautiful bay horse, which, as it surpasses all the others in beauty, so did the appearal and caparisons of rider and horse exceed all others in magnificence. 64 Wie bei Monarchenbegegnungen üblich, tauschte man als Geste der Freundschaft die Pferde untereinander. Das bedeutete, dass Heinrich VIII. in den Besitz des mantuanischen Hengstes kam und Franz I. sich mit dem etwas minderwertigeren Pferd des englischen Herrschers begnügen musste. Das hielt den französischen König aber nicht davon ab, bei dem nächsten Treffen mit Pferdetausch am 18. Juni, also gut eine Woche später, Heinrich sechs erlesene Zuchtpferde zu geben, wovon vier aus Mantua stammten und eine Stute, Mozaurcha genannt, mehr wert war als alle Pferde, die ihm Heinrich zum Gegentausch gab. Den Bemühungen von Heinrichs Waffenmeister Edward Guildford, der noch Anfang des Jahres nach Den Haag, Brüssel, Delft, Arras, Lille und Seeland reisen musste, um extra für dieses Treffen geeignete Pferde zu kaufen, war nicht der gewünschte Erfolg beschieden gewesen. 65 Politisch war die Begegnung für Frankreich zunächst nicht sehr ergiebig, da Heinrich ein Jahr später im Vertrag von Brügge vom 25. August 1521 Kaiser Karl V. seine Unterstützung im Fall eines Krieges mit Franz I. zusicherte. Doch schon 1526 standen England und Frankreich wieder auf derselben Seite, denn mit dem Eintritt in die Liga von Cognac stellte sich Heinrich VIII. zusammen mit Franz I., Papst Clemens VII., Florenz, Genua, Venedig und Mailand gegen den übermächtigen Karl V. 66 Auf der symbolischen Ebene steckte noch mehr hinter dem Pferdetausch der beiden Monarchen, denn „[s]uch exchanges reflected the claims of both 63 Vgl. E DWARDS , Horse and Man (wie Anm. 32), 28. 64 Zit. nach E DWARDS , Horse and Man (wie Anm. 32), 28. 65 Vgl. B ROTTON / J ARDINE , Global Interests (wie Anm. 32), 153f. 66 Vgl. V OGLER , Europas Aufbruch (wie Anm. 43), 153. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 245 the Tudor and Valois dynasties to imperial authority defined in both aesthetic and military terms through access to and possession of carefully selected and trained horses.” 67 Solche Tauschhandlungen erfolgten nicht ausschließlich zwischen (konkurrierenden) Dynastien. Die Habsburger zum Beispiel praktizierten einen ausgeprägten und ausgedehnten Tauschhandel auf der Grundlage verwandtschaftlicher Beziehungen. Im März 1564 schrieb Erzherzog Ferdinand II. von Tirol (1529-1595), zu diesem Zeitpunkt böhmischer Statthalter in Prag, an den kaiserlichen Gesandten in Spanien, Adam von Dietrichstein (1527-1590), ob dieser, wenn hiertzu guete occasion und gelegenhait sei und etwo die rede von rossen oder das fürfiele, bei dem freundtlichen, lieben herrn und vettern König Philipp II. vorschlagen könnte, […] ob es seiner kgl. W. annemblich und gelegen, wann wir derselben alle zway jar ainmal, wills Gott, acht oder zehen zelt- und paßgeunde roß hineinshickheten, das sy uns allwegen hern wider mit so vil jungen spannischen rossen, etwo dreyen jaren alt, versehen wollten. 68 Der Gesandte wurde zur Eile gedrängt, und bei Gelingen des Austausches sollte er gebührliche Anerkennung erfahren. Kaiser Maximilian II. (1527-1576), der Bruder von Ferdinand, schien kurz darauf dieselbe Idee gehabt zu haben, wie ein Brief von Dietrichstein im Juni des gleichen Jahres vermuten lässt. Dieser merkte an, dass er [d]er 10 oder 12 spanyschen vollen [Fohlen] halben, darumb ich dem khunig in euher Mt. Namen ansprehen soll, das er die alle zwai jar von hinen hinaus schikhen soll, 69 noch nichts unternehmen konnte, dass aber Maximilians II. Bruder Ferdinand bereits seit längerem denselben Wunsch geäußert habe. Falls der Kaiser etwas dagegen habe, werde er das Geschäft mit dem Erzherzog nicht vorschlagen. Er habe ihm in dieser Angelegenheit noch nicht geschrieben und will auch nix schreiben, bis ich euher Mt. Halben beschaidt hab. 70 Dies verdeutlicht die Rangunterschiede zwischen den Brüdern und damit den Vorrang des Kaisers, der auf möglichst diplomatischem Weg, trotz des früher vorgebrachten Vorschlags des Erzherzogs, den Erstanspruch auf das Geschäft erhalten sollte. Im Postskriptum desselben Briefes scheint der Tauschhandel zwischen Kaiser und König schon unter Dach und Fach zu sein, denn Philipp II. stimmte zu, alle zwei Jahre zwölf dreijährige Spanier nach Wien zu schicken; den Gegenwert werde er sich noch überlegen. Auch sei wegen dieser Sache schon ein Brief nach Andalusien, in das cordobesische Gestüt, geschickt worden. 71 Der Tauschhandel mit Erzherzog Ferdinand II. wurde ebenfalls bewilligt. Die Beschaffung der gewünschten Pferde in Südspanien gestaltete sich sehr zeitaufwendig. Erst im Oktober 1565, weit über ein Jahr später, konnten sie an den 67 B ROTTON / J ARDINE , Global Interests (wie Anm. 32), 155. 68 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 178f. 69 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 283; Ergänzung der Verfasserin. 70 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 283. 71 Vgl. E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 239. Magdalena Bayreuther 246 Kaiserhof geschickt werden. Die vom spanischen König eingeforderten Pferde aus Österreich trafen teilweise schon eher ein. Bereits im März 1565 befanden sich laut Maximilian II. die zwölf Zelter, die Erzherzog Ferdinand II. eintauschte, auf ihrer Reise nach Spanien. 72 Ferdinand schickte acht Tiere an Philipp II. und drei an den Grafen von Feria und bat Dietrichstein, sich des begleitenden hofdiener[s] von adel, Anthoni Stangenhaimb, anzunehmen. 73 Für den Fall, dass Philipp II. mit einigen der Pferde unzufrieden sein sollte, schlug der Erzherzog eine andere Verwendung vor: Woferr du auch vermerckhest, das ainer oder mer derselben zelter nit allerdings irer kgl. W. gefellig und annemblich sein möchte, so erachten wir doch, das mit denselben ire L., baide junge erzherzogen, unser freündtliche, liebe vettern, zu versehen weren, und du sy [...] für ire L. bey irer kgl. W. auspitten möchtest [...]. 74 Der Kaiser tat sich dagegen etwas schwerer mit der Suche nach guten Pferden, denn diese saind glaichwol gar hart zue bekumen. 75 Als Dietrichstein erfuhr, dass die Pferde des Erzherzogs schon auf dem Weg waren, mahnte er Maximilian II., die seinigen baldmöglichst loszuschicken. 76 Nach viermonatiger Reise traf Ferdinands Tauschgut im August 1565 am spanischen Hof ein, 77 während der Transport des Kaisers sich weiterhin verzögerte. Im September schrieb er, dass er schan 24 [Zelter] baiainander, glaichwol der Hg. von Ferrara 2 dervon bekumen, doch will ich sehen, dass ichs wider erschtat. 78 Im Oktober konnte Maximilian II. seine Pferde endlich nach Spanien schicken, 79 nachdem Dietrichstein bemerkt hatte, dass sie mit grossen verlangen erwartet würden und ist furwar vonnotten, das si nit lang ausbeleiben, dan ier Dltt. numer nix nit zu raiten hätte. 80 Es zeigt sich hier, mit welchem Organisationsaufwand und in welchen zeitlichen Dimensionen dieser Tauschhandel, der in den folgenden Jahren fortgesetzt wurde, vonstatten ging und mit wie viel Engagement sich der Gesandte Dietrichstein im Interesse des Kaisers und des Erzherzogs für das Geschäft einsetzen musste. Unter Dietrichsteins Nachfolger Hans Khevenhüller erweiterte sich das Betätigungsfeld, da der Gesandte sich nicht mehr nur um die Tauschangelegenheiten seines Dienstherren kümmern musste, sondern auch von spanischen Adligen um Pferde aus dem Reich gebeten wurde. So hatte Khevenhüller oftmals einzuwilligen, im 72 Vgl. E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 359. Zelter beherrschten die Gangart Tölt, der vor allem für Frauen, die im Seitsattel reiten mussten, im Gegensatz zum Trab sehr angenehm war. Sie wurden vor allem auf langen Strecken als Reisepferde eingesetzt. 73 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 375. 74 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 376. 75 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 359. 76 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 391f. 77 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 414. 78 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 421. 79 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 439. 80 Zit. nach E DELMAYER , Korrespondenz (wie Anm. 17), 452. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 247 Gegenzug für den Kauf oder den Erhalt von spanischen Pferden des am Hof verkehrenden Adels geeignete Äquivalente vom Wiener Hof anzufordern, wovon die Korrespondenz zwischen ihm und Kaiser Rudolf II. Zeugnis ablegt. 81 Der Tausch von edlen Zucht- und Reitpferden auf der höchsten Ebene der europäischen Aristokratie kann somit als Ausdruck eines gemeinsamen lebhaften Interesses an Zucht und Verwendung ausgesuchter Tiere innerhalb eines Zirkels sozial Gleichgestellter und Gleichgesinnter gewertet werden. Er brachte den Anspruch zum Ausdruck, zur herrschenden Elite Europas zu gehören, und zeigt, dass die diplomatische Freundschaft eine Voraussetzung für einen solchen Austausch war. Diese Freundschaft stellte einen festen Bestandteil der zwischenstaatlichen Beziehungen dar und wurde durch die Zirkulation und Wertschätzung der eingetauschten Pferde untermauert. 3.5 Das Verschenken von Pferden Auf ähnliche Weise wie der Tausch ging das Verschenken von Pferden vor sich, wobei sich diese Praxis nicht nur auf eine persönliche oder symbolische Ebene konzentrieren konnte, sondern auch die „offizielle“ Diplomatie mitbestimmte. Bereits in der Antike pflegte man einem Gesandten nach Beendigung seiner Mission ein Geschenk zu überreichen. Diese Praxis setzte sich auch in der frühen Neuzeit fort und war an den meisten Höfen Brauch. 82 Die Antritts- und Abschiedsgeschenke wurden in ihrem Wert und ihrer Anzahl nach dem Rang des Gesandten und seines Herrn, der Dauer des Aufenthaltes oder den Absichten verteilt und bestanden normalerweise aus Naturalien (Wein, Speisen), Pferden, Kutschen und höfischen Galanteriewaren wie Schmuck, Münzen oder Porzellan. 83 In Spanien war es üblich, ranghohen Botschaftern Juwelen mitzugeben, außerdem konnte man Adelstitel, Ämter, die königliche Patenschaft für den eigenen Sohn und Lederhandschuhe aus Córdoba (neben anderen Luxusartikeln) geschenkt bekommen. 84 Pferde nahmen dabei eine wichtige Rolle ein. Sie wurden oft zusammen mit einer Kutsche für den Heimweg an die Botschafter verschenkt. Dies wird am Beispiel Freiherr Sigmunds von Herberstein (1486-1566), der sich als kaiserlicher Gesandter unter Kaiser Ferdinand I. (1503-1564) im Moskowiterreich aufgehalten hatte, deutlich. Beim Abschied in Moskau erhielt er neben Pelzen und einem Schlitten 81 Vgl. S TIEGLECKER , „Was ich eingethan […]“ (wie Anm. 21), 229. 82 Vgl. P IETRO G ERBORE , Formen und Stile der Diplomatie, Reinbek 1964, 181. 83 Vgl. J EANNETTE F ALCKE , Studien zum diplomatischen Geschenkwesen am brandenburgpreußischen Hof im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2006, 205. 84 Vgl. M ANFRED M ERKES , Belohnungen und Gunstbeweise in der spanischen Politik des 17. Jahrhunderts, in: Spiegel der Geschichte. Festgabe für Max Braubach zum 10. April 1964, K ONRAD R EPGEN / S TEPHAN S KALWEIT (Hrsg.), Münster 1964, 429-455, hier 438, 441, 447. Magdalena Bayreuther 248 mehrere russische Pferde. Christian II. (reg. 1513-1523), König von Dänemark, Norwegen und Schweden, war mit Herbersteins Diensten nach dessen Aufenthalt so zufrieden, dass er am Sattel des Hengstes, den er ihm verehrte, von Messing ein frauen Pilld, das khert die Press, darinn ain Herz lag 85 , befestigen ließ. Auch in England, dem Osmanischen Reich und Spanien war es üblich, die scheidende Gesandtschaft mit Pferden zu beschenken. 86 Dies geschah zum Teil aus rein pragmatischen Gründen, wenn etwa Pferde (und eventuell eine Kutsche bzw. ein Schlitten) für den Rückweg benötigt wurden. Allerdings besaßen die meisten Botschafter für die Unterhaltung ihrer großen Hofhaltung, die dem Rang ihres Heimathofes gerecht werden und diesen repräsentieren musste, selbst eine große Anzahl von Pferden. In Polen benötigte ein Gesandter im 17. Jahrhundert mindestens 25 Pferde mit entsprechendem Personal, in London verfügte der französische Gesandte Colbert de Croissy sogar über 65 Tiere. 87 Aber ein verschenktes, am Besten selbst gezüchtetes Pferd konnte im Ausland durch seine Qualität auch das Ansehen des Ursprungslandes steigern. Als alltäglich gebrauchtes Reit- und Kutschtier hielt es das Andenken an das besuchte Land und dessen Absichten oder Forderungen im Gedächtnis des beschenkten Landesherrn aufrecht. Umgekehrt war ein mitgebrachtes Pferd Statussymbol im eigenen Land, weil Pferde aus dem Ausland grundsätzlich einen hohen Exklusivitätsgrad besaßen. In diesem Sinn hatte das Verschenken der Tiere eine bildliche Ebene, da das Pferd in seiner Symbolik als beweglicher Thron Herrschaftsansprüche und Rangordnung kommunizierte. Häufig wurden geschenkte Pferde vom Gesandten an seinen Fürsten weitergegeben. Dies konnte entweder mit den ursprünglichen Absichten des Schenkers zusammenhängen oder mit den Regeln der zeremoniellen Rangordnung, die es einem Botschafter geboten, wertvolle Pferde an seinen Herrn abzutreten. In Hans Khevenhüllers Tagebuch finden sich zwei Einträge, die diese Praxis belegen. Im April 1594 schenkte ihm der spanische König Philipp II. zwei gar schöne und guete spanische pferd, die er hernach dem kaiser mit andern zwaien geschickt und verehrt hat. 88 In diesem Fall hatte es vielleicht schon in der Absicht Philipps II. gelegen, dass Khevenhüller die Pferde weitergab. Etwas anders liegt der Fall im zweiten Beispiel, bei dem er ein weiß feldpferd [...] zusambt ainem andern spanischen gar guetem pferd vom Grafen von Barajos und vom Herzog von Arcos geschenkt bekommen hatte. Khevenhüller unterstreicht, dass er beide Pferde für gut 800 Dukaten hätte verkaufen können, sie aber lieber an den Kaiser weitergegeben habe. Die Gaben wurden ver- 85 Zit. nach B ERTOLD P ICARD , Das Gesandtschaftswesen Ostmitteleuropas in der Frühen Neuzeit. Beiträge zur Geschichte der Diplomatie in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts nach den Aufzeichnungen des Freiherrn Sigmund von Herberstein, Graz / Wien / Köln 1967, 119. 86 Vgl. G ERBORE , Diplomatie (wie Anm. 82), 181. 87 Vgl. G ERBORE , Diplomatie (wie Anm. 82), 195f. 88 K HEVENHÜLLER , Tagebuch (wie Anm. 15), 217. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 249 mutlich im Rahmen des Zeremoniells und der damit verbundenen Schenkverpflichtungen an den kaiserlichen Gesandten übergeben, da Khevenhüller erwähnt, er sei den gedachten herrn mit solchen presenden widerumb entgegen gangen, dardurch beruerte pferd wol bezalt worden sein. 89 Natürlich lässt sich daraus nicht direkt ersehen, ob die beiden Adligen im Austausch für die Pferde darüber hinaus weitere Gefälligkeiten von Khevenhüller erwarteten. Eine klare Schenkabsicht lässt sich an einem Beispiel aus dem Herzogtum Oldenburg erkennen. Die Pferdezucht erfuhr hier unter Graf Anton Günther von Oldenburg (1583-1667) im 17. Jahrhundert ihre Blütezeit. Um den Bekanntheitsgrad und das Ansehen seiner Tiere zu steigern, verschenkte er schon zu Beginn seiner Regierungszeit (1603) Pferde an die hohe Aristokratie und ihre Gesandten, so dass die gute Qualität der Zucht bald europaweit bekannt wurde. Kaiser Leopold I. (1640-1705) ritt 1667 während seines ersten Hochzeitszuges auf einem Oldenburger Rappen durch Wien, während seine Gemahlin in einer Karosse mit sechs hermelinfarbenen 90 Oldenburgern saß. Auch Königin Christine von Schweden (reg. 1632-1654) besaß einen Achterzug mit oldenburgischen Wagenpferden. 91 Der Ruf seiner Pferde und die gute Zucht retteten sogar die gesamte Herrschaft Oldenburg, die im Dreißigjährigen Krieg von den Truppen der Liga unter dem Befehlshaber Johann t’Serclaes von Tilly bedroht war. 92 Dank politisch und taktisch kluger Verhandlungen, die von dem Verschenken einer Vielzahl oldenburgischer Pferde aus dem gräflichen Gestüt begleitet wurden, zog Tilly, dessen Heer schon einige Kilometer südlich von Oldenburg zum Sturm der Residenzstadt bereit gestanden hatte, weiter. Auch bei den Friedensverhandlungen in Münster konnte sich Oldenburg, obwohl es keine kriegführende Macht gewesen war, durch ausgesuchte Pferdegeschenke an die Gesandten der verhandelnden Länder zu seinem Vorteil behaupten. 93 Ein Verzeichnis der Pferde, so ihre hochgeborenen Gnaden während der Jahre zwischen 1648 und 1650 zu des Landes Bestem weggegeben haben, 94 zählt 206 Pferde im Wert von insgesamt 23.560 Reichstalern auf. Andere deutsche Landesherren benutzten ebenfalls Pferde als Geschenk, um die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges von ihrem Land fernzuhalten. Schon am Anfang der Kampfhandlungen in Westfalen im Jahr 1621 konnte Graf Simon VII. zur Lippe (1587-1627) durch das Überreichen von zwei Sennerpferden aus seinem halbwilden Gestüt den jungen Feldherrn Christian von Braunschweig, der kurz 89 K HEVENHÜLLER , Tagebuch (wie Anm. 15), 102. 90 Gemeint sind Pferde mit schneeweißem Fell und weißem oder gelblichem Langhaar. Sie kommen sehr selten vor. Man beachte in der früheren Bezeichnung den Bezug zur ausschließlich königlichen Verwendung des Hermelinpelzes. 91 Vgl. R OLAND R AMSAUER , Das Oldenburger Sportpferd, Friedberg 1978, 13. 92 Vgl. V OGLER , Europas Aufbruch (wie Anm. 43), 63f. 93 Vgl. N ISSEN , Pferderassen (wie Anm. 37), 127. 94 Zit. nach R AMSAUER , Oldenburger Sportpferd (wie Anm. 91), 13. Magdalena Bayreuther 250 zuvor die Burg Lipperode eingenommen hatte, dazu bringen, sein Territorium zu verschonen. 95 Bei den drei Jahre dauernden Verhandlungen um die Bedingungen des Westfälischen Friedens in Münster versuchte man sich die Gesandten durch das Verschenken von mittlerweile durch den Krieg selten gewordenen Zucht- und Reitpferden gewogen zu machen. Die Stadtobersten von Münster beschlossen, den Botschafter des Kaisers für sich zu gewinnen, und verehrten ihm ein Pferd: Da ihre Excellenz Herr Graf von Lamberg, Römisch-Kaiserlicher Majestät gevollmechtigter Abgesandter wiederumb von hinnen nach Wien verreisen wolle, in Erwegung, daß dieselbe bei ihrer Kaiserlichen Majestät in besonderen Gnaden sei, ward beschlossen, daß ihme eines der besten Pferde vom Reisigen Stalle undertenig präsentiert werden solle. 96 Mit diesem Geschenk wollte die Stadt Münster Fürsprecher in Wien gewinnen, um ihre Unabhängigkeit gegenüber dem fürstbischöflichen Landesherrn zu bewahren und sich die Option für den Status einer freien Reichsstadt offen zu halten. Am Dreißigjährigen Krieg und den westfälischen Friedensverhandlungen lässt sich nachvollziehen, wie wirkungsvoll das Verschenken von Pferden an diplomatische Gesandte und militärische Befehlshaber war. Wenn dadurch die Gunst einer militärisch oder politisch wichtigen Person erlangt wurde, konnten Vorteile für die gesamte Herrschaft erwirkt werden. Beim Verschenken von Pferden unter Landesherren steht ein anderer Aspekt im Mittelpunkt. Das Pferd in seiner Funktion als Medium der Repräsentation diente hier der wechselseitigen Anerkennung des Rangs, und das Geschenk sollte bestehende Beziehungen aktualisieren oder neue Allianzen anbahnen. Ein wichtiger Beweggrund für diplomatische Schenkaktionen war die Suche nach Verbündeten im Kriegsfall. England beispielsweise war in zahlreichen frühneuzeitlichen Konflikten ein gefragter Bündnispartner. In den 1620er Jahren wandte sich der marokkanische Herrscher an Karl I. von England (1600-1649), damit dieser ihm im Kampf gegen die Korsaren-Republik Bou-Regreg beistand. Bou-Regreg war ein Piratenstaat, der die Städte Salé und Rabat umfasste und 1627 von rebellierenden spanischen Morisken, die sich das seit dem Tod des Sultans Ahmad al- Mansur (1578-1603) bestehende innenpolitische Vakuum Marokkos zunutze gemacht hatten, gegründet worden war. Der marokkanische Botschafter brachte berberische Pferde und wertvolle Sättel als Geschenke an den englischen Hof. Es gelang ihm, Karl I. davon zu überzeugen, sich zum ersten Mal in der Geschichte Englands mit einer afrikanischen Macht zu verbünden. Ob dies vor allem an den Gastgeschenken, die mit großem Wohlwollen aufgenommen worden waren, oder aber an den bereits bestehenden guten Handelsbeziehungen und der Überzeugungskunst des 95 Vgl. M ICHAEL S TOFFREGEN -B ÜLLER , Westfalen - Land der Pferde. Ein Streifzug durch die Jahrhunderte, Münster 1995, 91. 96 Zit. nach S TOFFREGEN -B ÜLLER , Westfalen (wie Anm. 95), 107. Mit „Reisigen Stall“ ist hier der städtische Stall mit den Reitpferden gemeint. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 251 Gesandten lag, lässt sich nicht endgültig feststellen. Auf jeden Fall sandte England Infanteristen zur Rückeroberung Salés nach Marokko. Marokko revanchierte sich allerdings nicht für diese Hilfeleistung, als Karl später mit Bürgerkriegen im eigenen Land konfrontiert war. 97 Bereits Karls Vorgänger Jakob I. (1566-1625) hatte wenig Glück in einer Angelegenheit von mindestens ebenso großer Bedeutung gehabt, nämlich der Frage der Verheiratung des Thronfolgers. Um Englands Position in Europa zu stärken, versuchte Jakob jahrelang, eine Ehe zwischen der spanischen Infantin und einem seiner Söhne zu arrangieren. Im Zuge der diplomatischen Anstrengungen schickte er 1614 seinen Master of Ceremonies, Sir John Finet, an den Hof in Madrid, um für ein englisch-spanisches Heiratsprojekt zu werben. Zur Bekräftigung seiner Absichten stattete er seinen Gesandten mit einer großen Anzahl prächtiger Geschenke aus. Neben Hunden, Kühen, Kormoranen und Koffern voller Kuriositäten erhielten die Spanier auch eine Reihe der besten englischen Streitrosse und Kutschpferde. Das Gegenpräsent des spanischen Hofes dagegen demonstrierte geradezu höhnisch das Desinteresse an einer derartigen dynastischen Verbindung zwischen den beiden Ländern: Eine Kette im Wert von 200£ und einige Geldbeträge für den Botschafter und seinen Stab. 98 Die Verhandlungen zogen sich trotz des wenig erfolgversprechenden Auftakts über weitere neun Jahre hin, bevor sie nach einem Besuch des englischen Thronfolgers Karl und des Master of the Horse George Villiers, Duke of Buckingham (1592-1628), 1623 aufgrund religiöser Differenzen endgültig beendet wurden. Ungeachtet der gescheiterten Gespräche konnte Buckingham jedoch eine große Anzahl spanischer Pferde als Geschenke mit nach England bringen. Seine persönlichen Beziehungen zu Spanien waren bis zu seinem Tod so gut, dass die in Madrid weilenden englischen Gesandten zahlreiche Ausfuhrgenehmigungen für spanische Pferde an den englischen Hof und an englische Privatzüchter veranlassen konnten. 99 Manchmal war allein schon die Erlaubnis, Pferde aus einem fremden Land in das eigene zu importieren, ein Gunstbeweis und somit ein Indiz für das Verhältnis zwischen zwei Herrschern. Heinrich VIII. zum Beispiel durfte als Verbündeter des römischen Kaisers gegen Frankreich in den 1540er Jahren Kutschpferde aus Flandern beziehen. 1544 kam es jedoch zu einem diplomatischen Eklat, als der Agent Heinrichs 200 Stuten ohne die Erlaubnis der niederländischen Regentin Maria von Ungarn (1505-1558) ankaufte. Um den Fauxpas wieder auszugleichen und die Wogen zu glätten, musste der englische Monarch Doggen, Windhunde, Kutschpferde und hobbies an Maria verschenken, um 1546 ihr erneutes Wohlwollen zu 97 Vgl. N ASH , “Honest English Breed” (wie Anm. 36), 249. 98 Vgl. E DWARDS , Horse and Man (wie Anm. 32), 13. Ausführlich zu diesem Heiratsprojekt: G LYN R EDWORTH , The Prince and the Infanta. The Cultural Politics of the Spanish Match, New Haven 2003. 99 Vgl. S YLVIA L OCH , The Royal Horse of Europe. The Story of the Andalusian and Lusitano, London 1986, 187. Magdalena Bayreuther 252 erlangen. Da allein schon das Fehlen einer Ausfuhrerlaubnis für Pferde derartige Fehltritte verursachen konnte, musste das Verschenken der Tiere mit umso größerer Sorgfalt vonstatten gehen. Jakob I. von England wollte ganz sicher gehen, als er 1605 vier große Schlachtrosse an seinen Schwiegervater, König Christian IV. von Dänemark (1577-1648), sandte. Denn er beschränkte sich nicht nur auf die Pferde, sondern ließ für jedes einzelne Tier prunkvolle Sättel, Zaumzeuge und Satteldecken anfertigen. Die Kosten für Samt, seidene Borten, Stickereien und die Herstellung betrugen verschwenderische 144£ 8s. 4d. 100 Das Beispiel Englands zeigt somit die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten des Pferdes für militärische, dynastische und diplomatische Zwecke. Dieser Befund eines vielschichtigen und flexiblen Einsatzes als Mittel zur Erreichung bestimmter politischer Ziele lässt sich auf den gesamteuropäischen Kontext übertragen. Parallel zu Ausfuhrgenehmigungen gab es Ausfuhrverbote, zum Beispiel in Spanien. Sie bestanden dort schon seit dem Mittelalter und wurden immer wieder erneuert. Die Verbote sollten den Nachschub an Pferden für die spanische Kavallerie und den königlichen Marstall gewährleisten und verhinderten gleichzeitig, gewollt oder ungewollt, eine Übersättigung des europäischen Marktes, so dass die Pferde Spaniens als exklusives Geschenk über eine lange Zeit ihren Reiz behalten konnten. Der bis 1615 in Paris weilende spanische Botschafter Iñigo de Cárdenas bedauerte, dass ihm so wenige spanische Pferde zur Verfügung stünden, denn er hätte gerne mehr von ihnen verschenkt, um die Dankbarkeit der prunkliebenden Empfänger besser ausnutzen zu können. Der englische König Jakob I. hingegen beschwerte sich scherzhaft beim spanischen Gesandten, dass Philipp III. (1578- 1621) die in Madrid weilenden englischen Botschafter mit überaus wertvollen Gunsterweisen und Geschenken bestechen würde, wie zum Beispiel den Gesandten Francis Cottington mit einem spanischen Pferd. 101 Philipp II. von Spanien, unter dem die Zucht im königlichen Gestüt in Córdoba gedieh, nutzte die zahlreich vorhandenen Pferde, um sie mit jeweils spezifischen Intentionen an in- und ausländische Herrscher und Hochadelige, insbesondere die habsburgische Verwandtschaft, zu verschenken. Dies belegt ein Brief, den Philipp II. am 28. August 1593 an seinen Oberstallmeister Diego de Haro schrieb: Don Diego de Haro a cuyo cargo esta la raza, y caballeriza que tenemos en la ciudad de Córdoba, sabed que yo he tenido por bien que de los caballos que hay en esa caballeriza, se den al emperador mi sobrino doce caballos, al archiduque Ernesto, su hermano, seis, al archiduque Fernando, cuatro y a Maximiliano y Matías, cada otros cuatro, al duque de 100 Vgl. E DWARDS , Horse and Man (wie Anm. 32), 12. 101 Vgl. M ERKES , Belohnungen (wie Anm. 84), 445. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 253 Saboya diez, al duque de Mantua dos, y a don José de Acuña uno, que todos son cuarenta y tres caballos, y han de ser muy buenos, y de edad de cuatro hasta seis años. 102 30 der 43 Pferde gingen an verwandte Habsburger, davon zwölf an Philipps pferdebegeisterten „Neffen“ Kaiser Rudolf II. Gute Verbindungen zur Familie waren für Spanien nicht nur politisch und wirtschaftlich von Vorteil, sondern auch gewissermaßen zwingend nötig, da seit der Teilung der Habsburgerdynastie in eine spanische und eine österreichische Linie nach dem Tod Kaiser Karls V. 1558 der Rechtscharakter als dynastisches Gesamthaus nur durch innerfamiliäre Verbindungen, also Heiraten zwischen den beiden Linien, gesichert werden konnte. 103 Das gegenseitige Schenken von Pferden reihte sich in den häufigen und regelmäßigen Austausch von Luxusgütern und seltenen Kostbarkeiten zwischen den habsburgischen Herrscherhäusern ein, denn „[n]ot only did grandiose gifts intensify kinship and affiliations, but also they endorsed a member’s reputation and social position within the family hierarchy.“ 104 Gleichwohl behielt Philipp II. die besten Pferde für sich selbst: Obwohl die zu verschenkenden Zuchttiere muy buenos sein sollten, ermahnte er seinen Oberstallmeister im obigen Brief, die besten Exemplare herauszusuchen und an ihn selbst und seinen Sohn, Prinz Philipp, nach Madrid zu schicken. 105 Der equine Schenkungsverkehr zwischen den spanischen und den österreichischen Habsburgern hielt bis zum Beginn der bourbonischen Herrschaft Spaniens im Jahr 1700 an. Schon 1594, nur ein Jahr nach dem großen Pferdeexport an die habsburgischen Verwandten, verschenkte Philipp II. zwei gar schöne und guete spanische pferd 106 an den Gesandten Khevenhüller, der sie an Rudolf II. weiterleitete. Die meisten und vor allem besten der geschenkten Pferde dürften wohl als Kutsch- und Reitpferde in die kaiserlichen Stallungen gekommen und dort zum höfischen Gebrauch verblieben sein, einige von ihnen wurden aber auch weiterverschenkt. Auf diese Weise kamen der König von Dänemark (1605) sowie die Herzöge von Bayern (1605 und 1625) und Sachsen (1625) in den Genuss spanischer Pferde als kaiserli- 102 Zit. nach A LTAMIRANO , Caballo Español (wie Anm. 23), 66. Übersetzung: Wisset, Don Diego de Haro, der die Leitung innehat über die Rasse und das Gestüt, das wir in der Stadt Córdoba haben, dass ich es für gut halte, dass von den Pferden, die sich in diesem Gestüt befinden, zwölf Pferde an den Kaiser, meinen Neffen, gegeben werden, an den Erzherzog Ernst, seinen Bruder, sechs, an den Erzherzog Ferdinand vier und an Maximilian und Matthias je weitere vier, an den Herzog von Savoyen zehn, an den Herzog von Mantua zwei, und an Don José de Acuña eines, das sind insegsamt 43, und sie müssen sehr gut sein, und zwischen vier und sechs Jahren. Zur Organisation des Transports dieser Pferde nach Wien siehe oben unter 2.2 Der Transport von Pferden. 103 Vgl. H EINZ -D IETER H EIMANN , Die Habsburger. Dynastie und Kaiserreiche, München 2004, 2. Aufl., 62. 104 J ORDAN G SCHWEND / P ÉREZ DE T UDELA , Luxury Goods (wie Anm. 51), 5. 105 Zit. nach A LTAMIRANO , Caballo Español (wie Anm. 23), 66. 106 K HEVENHÜLLER , Tagebuch (wie Anm. 15), 217. Magdalena Bayreuther 254 ches Präsent. Außerdem erhielten 1627 Wallenstein und 1693 der König von Schweden sowie der Herzog von Sachsen durch die Vermittlung des Kaisers eine Ausfuhrgenehmigung für spanische Pferde. 107 Ein weiterer Begünstigter, der Pferde aus dem kaiserlichen Marstall erhielt, war Friedrich Wilhelm (1640-1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen. Seit der Kaiserwahl von 1658 bestand ein gutes Verhältnis zwischen ihm und Kaiser Leopold I. (1640-1705), da Brandenburg entscheidend zur Wahl des Habsburgers beigetragen hatte. Zum 20-jährigen kaiserlichen Thronjubiläum wurde die Freundschaft zwischen beiden Herrschern mit einem wertvollen Bernsteinstuhl seitens des Kurfürsten bekräftigt. Als Gegenpräsent schickte der Kaiser, nachdem er durch seinen Oberststallmeister Graf von Harrach erfahren hatte, daß Eure Churfürstl. Durchl. auß dero Kayl. Gestuett, einige roß zubeschellen vor daß Ihrige verlangten, vier Hengste. 108 Sie waren mit Hilfe des kaiserlichen Oberstallmeisters und der brandenburgischen Gesandten von Krockow und Froben ausgewählt worden. Im Begleitschreiben zeigt sich der Botschafter Froben davon überzeugt, dass die Tiere dem Kurfürsten [...] ohne zweiffel höchst contentieren werden, nemblich einen schwartzen Spanier, ein Boehmisch, so schwartzbraun, u[n]d dann zwey Carsterpferdt ein Rapp u[n]d ein apfelgrau, alle vier dier hengst, u[n]d können Ewer Churfürstliche Durchlaucht sich allergnädigst versichern, d[ass] nach dreyen so Ihr May. Selbsten zureiten pflegen, u[n]d deß wegen niemandten verschenket worden, eß die besten von allen kayserlichen pferdten. 109 Die Besonderheit dieses Pferdegeschenks, das auf den ersten Blick im Vergleich zu einem extra angefertigten und überaus prächtigen Bernsteinstuhl weniger wertvoll erscheint, offenbart sich in der Tatsache, dass es sich bei den verehrten Pferden nicht um beliebige Tiere aus dem Besitz des Kaisers handelte, sondern um seine persönlichen Reitpferde, zu denen nur die besten und wertvollsten Tiere zählten. Der Kurfürst wurde vor allen anderen Beschenkten ausgezeichnet, indem die direkte, persönliche Beziehung, die Leopold zu diesen Pferden besessen hatte, auf Friedrich Wilhelm übertragen wurde. Wenn man das Pferd außerdem als symbolischen Thron betrachtet, gestand der Kaiser dem Kurfürsten denselben Herrschaftsanspruch über ein Territorium zu wie sich selbst. Der Kreis schließt sich auf der Bedeutungsebene, da die Symbolik des Pferdes als Thron der des Bernsteinstuhls als ebenfalls thronartigem Präsent entsprach. Das Verschenken von Pferden zwischen Landesherren folgte somit nicht ausschließlich konkreten Zwecken, sondern manifestierte in symbolischer Hinsicht auch die Anerkennung von Rang und Loyalität zwischen Herrscherhäusern. 107 Vgl. M ERKES , Belohnungen (wie Anm. 84), 445. 108 Zit. nach F ALCKE , Geschenkwesen (wie Anm. 83), 120. 109 Zit. nach F ALCKE , Geschenkwesen (wie Anm. 83), 120. Pferde in der Diplomatie der frühen Neuzeit 255 4. Schluss Die hier präsentierten exemplarischen Untersuchungen zeigen, dass wertvolle Pferde im Rahmen der sich entwickelnden equinen Repräsentationskultur eine wichtige Rolle in der frühneuzeitlichen Diplomatie einnahmen. Sie waren in den Rahmen der diplomatischen Gepflogenheiten eingebettet und können als deren fester Bestandteil angesehen werden. Ähnlich wie andere Luxusgüter, Exotika und seltene Tiere besaßen sie einen hohen Exklusivitätsgrad, so dass kein Aufwand gescheut wurde, um außergewöhnliche Exemplare aufzuspüren und sie über weite Strecken zu transportieren. Es wurden hohe Preise und Transportkosten, organisatorische und personelle Höchstleistungen, bürokratische Hindernisse sowie Risiken wie Unwetter, schlechte Transportwege, mangelnde Futterversorgung und sogar Geiselnahmen in Kauf genommen, um die Tiere an ihr Ziel zu bringen. Um in ihren Besitz zu gelangen, wurden politische und persönliche Beziehungen aktiviert, so dass Händler, Stallmeister, Offiziere, Diplomaten, Agenten, Adlige, Hofleute und nicht zuletzt die Herrscher selbst in den Beschaffungsprozess involviert waren. Aus den unterschiedlichsten Beweggründen heraus wurden hochwertige Pferde in Handels-, Kauf- und Tauschgeschäften, im Krieg oder im Bereich des diplomatischen Schenkens eingesetzt. Bis heute stellen Pferde eine symbolische Gabe dar und werden noch vereinzelt in der Diplomatie eingesetzt, vor allem wenn bekannt ist, dass ein Staatsoberhaupt ein großer Pferdeliebhaber ist, wie beispielsweise Königin Elisabeth II. von England. Sie erhielt anlässlich des Besuchs des sowjetischen Regierungschefs Chruschtschow in London 1957 zwei russische Pferde der Achal-Tekkiner-Rasse als Staatsgeschenk. 110 1986 gab eine portugiesische Reitergruppe anlässlich der Feier des Vertrags von Windsor aus dem Jahr 1386 eine Vorstellung der Hohen Schule in Windsor, womit der älteste und dauerhafteste Staatsvertrag zwischen zwei Ländern zelebriert wurde. 111 Im folgenden Jahr konnte nicht einmal der eiserne Vorhang verhindern, dass sich die Königin im sächsischen Landgestüt Moritzburg mit Hilfe diplomatischer Verhandlungen zehn schwere Warmbluthengste für ihre Garde in London erkaufte. Ein noch aktuelleres Beispiel für die Symbolkraft des Pferdes in der Diplomatie findet sich im Zusammenhang mit den terroristischen Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. Als Saudi-Arabien, langjähriger Bündnispartner der Vereinigten Staaten, kritisiert wurde, da einige beteiligte Terroristen saudi-arabischer Herkunft waren, versuchte der Scheich die Wogen zu glätten, 110 Vgl. E RNST B ILKE , Pferdepassion. Von Pferdezucht und Pferdeschönheit. Eine Sammlung von Aufsätzen, Hildesheim / New York 1976, 143. 111 Vgl. S YLVIA L OCH , Reitkunst im Wandel. Von der klassischen Lehre zum Dressursport, Stuttgart 1995, 79. Magdalena Bayreuther 256 indem er den Hinterbliebenen der Opfer des Anschlags eines seiner besten Rennpferde als Geste des Mitgefühls anbot. Der in Amerika gezüchtete Rapphengst War Emblem hatte im Mai desselben Jahres als erstes Pferd eines arabischen Besitzers das Kentucky Derby, Amerikas bedeutendstes Galopprennen, gewonnen. 112 112 Vgl. T OBEY , Palio Horse (wie Anm. 34), 63. Der Tausch von Objekten in der indianischeuropäischen Diplomatie in Nordamerika im 18. Jahrhundert Ulrike Kirchberger In den diplomatischen Beziehungen zwischen nordamerikanischen Indianern und europäischen Kolonisten spielten Gaben eine wichtige Rolle. Nicht nur in der europäischen, sondern auch in der indianischen Diplomatie wurden Verhandlungen vom Tausch von Objekten begleitet. Aufgrund der traditionellen Schriftlosigkeit der indianischen Diplomatie wurden an bestimmten Punkten im Verlauf wichtiger Unterredungen symbolträchtige Dinge überreicht. Auf diese Weise konnte dem gesprochenen Wort Dauer verliehen werden. Durch die Übergabe bestimmter Gegenstände wurden mündlich geschlossene Abkommen ratifiziert. Die Gabe eines Objekts ersetzte die schriftliche Urkunde, mit der in europäischen Kulturen Recht gesetzt wurde. Ferner half der Bezug auf symbolbehaftete Objekte, Sprachgrenzen zu überwinden, und zwar nicht nur im indianisch-europäischen Kontext, sondern auch zwischen unterschiedlichen indianischen Ethnien. In der Forschung wurde der Aspekt des Gabentausches in der indianischeuropäischen Diplomatie bislang wenig beachtet. Zwar liegen einige Aufsätze vor, doch fehlt eine dem gegenwärtigen Forschungsstand entsprechende neuere Monographie, die sich mit diesem wichtigen Thema der indianisch-europäischen Beziehungen beschäftigt. 1 Im Folgenden werden einige Bereiche des Forschungsfeldes vorgestellt. Zunächst wird die indianische Tradition des Tauschens von Objekten im diplomatischen Kontext geschildert, in einem zweiten Teil die Übernahme dieser Tradition durch die Europäer untersucht und drittens die Ausweitung der europäischen Geschenkpraxis an die Indianer in der Zeit des Siebenjährigen Krieges betrachtet werden. 1 Maßgeblich sind immer noch die Arbeiten von Wilbur R. Jacobs aus den fünfziger Jahren, so zum Beispiel W ILBUR R. J ACOBS , Diplomacy and Indian Gifts: Anglo-French Rivalry Along the Ohio and Northwest Frontiers, 1748-1763, Stanford / London 1950. An neueren Aufsätzen sind zu nennen: G REGORY E VANS D OWD , “Insidious Friends“: Gift Giving and the Cherokee-British Alliance in the Seven Years’ War, in: Contact Points: American Frontiers from the Mohawk Valley to the Mississippi, 1750-1830, A NDREW R. L. C AYTON / F REDERIKA J. T EUTE (Hrsg.), Chapel Hill / London 1998, 114-150; C ORNELIUS J. J AENEN , The Role of Presents in French Amerindian Trade, in: Explorations in Canadian Economic History. Essays in Honour of Irene M. Spry, D UNCAN C AMERON (Hrsg.), Ottawa 1985, 231-250; zur Geschichte des Schenkens im globalen Kontext siehe die neue Arbeit von H ARRY L IEBERSOHN , The Return of the Gift. European History of a Global Idea, Cambridge 2010. Ulrike Kirchberger 258 1. Die indianische Tradition des Gabentausches Die diplomatischen Beziehungen zwischen den indianischen Ethnien Nordamerikas waren streng geregelt. Wenn eine ethnienübergreifende Ratsversammlung abgehalten wurde, mussten die Delegierten genau festgelegten Regeln folgen. Der Ablauf einer Versammlung war von der Ankunft am Versammlungsort über das Procedere der diplomatischen Verhandlungen bis hin zur Art und Weise, wie Verträge geschlossen wurden, einem festen zeremoniellen Protokoll unterworfen. Auch der Aufbau der offiziellen Reden, die im Zuge der Verhandlungen vor den versammelten Delegationen gehalten wurden, musste einem vorgegebenen Muster folgen. Die Reden waren ganz auf die mündliche Überlieferung zugeschnitten. Sie wurden in einem bestimmten rhetorischen Stil vorgetragen, damit sich die Zuhörer den Inhalt leicht einprägen konnten. Die protokollarischen Vorgaben mussten immer eingehalten werden, sonst waren die Absprachen nicht gültig. 2 In der indianischen Diplomatie hatten bestimmte Handlungen wie auch bestimmte Gegenstände eine starke Symbolkraft. So brannte während der Ratsversammlungen immer ein Feuer, um das sich deren Mitglieder versammelten. Das Feuer gab Wärme und Licht, es stand für den Wunsch nach Klarheit in der Beschlussfassung, und man verband damit die Hoffnung, die Aufmerksamkeit göttlicher Mächte auf die Versammlung zu ziehen, was deren Bedeutung erhöhen sollte. Eine symbolträchtige Handlung war beispielsweise das gemeinsame Rauchen des Kalumet. Es stand für Werte wie Einheit, Frieden und Gemeinsamkeit. Die religiöse Bedeutung lag darin, dass man sich über den zum Himmel steigenden Rauch mit den Göttern verbunden sah. Der Tausch von bestimmten Objekten war Teil einer festgefügten, immer gleichen Zeremonie. Das Übergeben eines Gegenstands konnte eine Metapher für eine Grußformel, einen Wunsch oder eine Forderung sein. Zum Beispiel deutete das Überreichen eines Holzstücks zur Begrüßung auf ein hell brennendes Ratsfeuer und die Hoffnung auf transparente, intelligente Beschlüsse hin. Das Geben von Tabak signalisierte Friedensbereitschaft. Das Schenken von geflochtenen Matten war ein Ausdruck von Gastfreundschaft. Eine Gabe gegnerischer Skalps an alliierte Parteien sollte die Bündniszuverlässigkeit bekräftigen. Ebenso betonte das Geben von Stöckchenbündeln die gegenseitige Verbundenheit und bestätigte militärische Bündnisse. Jedes Stöckchen stand für eine bestimmte Ethnie innerhalb eines Bundes. 3 2 Zur indianischen Rhetorik und zur Problematik der europäischen Überlieferung indianischer Reden in diplomatischen Verhandlungen siehe J AMES H. M ERRELL , “I desire all that I have said ... may be taken down aright”: Revisiting Teedyuscung’s 1756 Treaty Council Speeches, in: William and Mary Quarterly 63, 4 (2006), 777-826. 3 The History and Culture of Iroquois Diplomacy: An Interdisciplinary Guide to the Treaties of the Six Nations and their League, F RANCIS J ENNINGS (Hrsg.), Syracuse, NY 1985, 115- 124. Der Tausch von Objekten in der indianisch-europäischen Diplomatie 259 Besonders wichtig für das diplomatische Prozedere war das sogenannte Wampum. Es handelte sich dabei um Ketten (strings of wampum) oder breitere, gürtelartige Bänder (belts of wampum), die aus auf Schnüren aufgezogenen Muschelketten bestanden. Wampum war in der offiziellen Kommunikation zwischen den Ethnien, bei der Übermittlung von Nachrichten und beim Abschließen von Verträgen von entscheidender Bedeutung. Nur wenn eine Rede durch die Gabe eines Wampum begleitet wurde, hatte sie offiziellen Charakter. Ohne Wampum galt sie als Gerücht oder als irrelevantes Geschwätz, das im diplomatischen Rahmen keine Rolle spielte. Ein Bote oder Gesandter, der vor einer fremden Ethnie sprach, musste Wampum in Händen halten, damit die Gegenseite seine Rede anhörte. Nach Abschluss der Rede bot er den Zuhörern das Wampum an. Wurde es abgelehnt, war damit auch der Inhalt der Rede abgelehnt; wurde es angenommen, war man bereit, über die Botschaft zu beraten. Wenn das Wampum und die damit verbundene Mitteilung akzeptiert worden war, dann musste über selbige beraten und ein Beschluss gefasst werden, wie man auf die Botschaft reagieren sollte. Das Ergebnis der Beratungen wurde dem Boten in einer Antwortrede mitgeteilt, die ebenfalls von einem Wampum begleitet wurde. Anschließend brachte der Bote das Wampum zusammen mit der Nachricht zu seiner Ethnie zurück, wo er es der jeweiligen Ratsversammlung aushändigte und den ihm aufgetragenen Text wiederholte. Manchmal symbolisierten die Form, Farbe oder Musterung des Wampum den Inhalt der Rede, was dem Boten und dem Empfänger als Erinnerungshilfe diente. Das überbrachte Wampum wurde an einem speziellen Ort aufbewahrt, so dass man immer wieder darauf zurückkommen und sich den damit verbundenen Inhalt ins Gedächtnis rufen konnte. Im 18. Jahrhundert wurde Wampum zunehmend durch schriftliche Aufzeichnungen ergänzt oder gar ersetzt. 4 Das Geben von Wampum war Teil eines dichten Kommunikationssystems der nordamerikanischen Indianer. Von europäischer Seite wurde und wird dies oft unterschätzt. Manche Historiker bezeichnen die indianische Diplomatie etwas abwer- 4 M ICHAEL K. F OSTER , Another Look at the Function of Wampum in Iroquois-White Council, in: J ENNINGS , History and Culture (wie Anm. 3), 99-114. Das Geben von Wampum war auch außerhalb des diplomatischen Kontextes von Bedeutung. Im wirtschaftlichen Bereich wurde Wampum als Zahlungsmittel eingesetzt. Da sich dieser Aufsatz auf den diplomatischen Zusammenhang konzentriert, soll hierauf nicht weiter eingegangen werden. Zur allgemeinen Bedeutung siehe F RANK G OULDSMITH S PECK , The Functions of Wampum among the Eastern Algonkian, Millwood, NY, 1974; G REGORY S CHAAF , Wampum Belts and Peace Trees: George Morgan, Native Americans and Revolutionary Diplomacy, Golden, CO 1990; R ON W ELBURN , Roanoke and Wampum: Topics in Native American Heritage and Literature, New York 2001; C LAUDIA S CHNURMANN , Wampum as a Cultural Broker in Northeastern North America, 1620-1660, in: Cashless Payment and Transactions from the Antiquity to 1914, S USHIL C HAUDHURI / M ARKUS A. D ENZEL (Hrsg.), Stuttgart 2008, 107- 129. Ulrike Kirchberger 260 tend als „forest diplomacy“, obwohl die Verhandlungen nur äußerst selten im Wald stattfanden. Es handelte sich um komplexe Netzwerke, die nicht zuletzt aufgrund ihrer an bestimmte Objekte gebundenen Kommunikation gut funktionierten. Immer wieder geht aus den europäischen Verhandlungsprotokollen hervor, dass indianische Delegationen über die Stimmungslage in anderen Ethnien, über den Stand der Dinge an entfernten Kriegsschauplätzen und sogar über transatlantische Entwicklungen gut informiert waren. Dass die Europäer die indianischen Kommunikations- und Verhandlungsstrukturen unterschätzten, wurde bereits im 18. Jahrhundert von indianischen Sprechern festgestellt. Bei einer Ratsversammlung in Onondaga, dem zentralen Verhandlungsort der Irokesenliga, wollte der Sohn des Predigers Eleazar Wheelock die Anwesenden davon überzeugen, dass die indianische Jugend ihren vermeintlich lokal begrenzten Erfahrungshorizont und ihre Unkenntnis der größeren Zusammenhänge nur durch den Besuch einer europäischen Indianerschule überwinden könne. Die empörten Ratsmitglieder verwiesen daraufhin auf ihre weit reichenden überregionalen Informationsnetzwerke: We understand affairs that are transacted at a great distance to the westward - they are all brought here; this is our centering council house. 5 2. Das Problem der Adaption durch die Europäer Die Europäer übernahmen einzelne Elemente der indianischen Diplomatie. Dies muss vor dem Hintergrund der im sogenannten „middle ground“ stattfindenden gegenseitigen Adaptionsprozesse verstanden werden. Vor allem in der frühen Zeit der Besiedlung waren die europäischen Kolonisten in vieler Hinsicht auf die Indianer angewiesen. Dies galt für den Bereich der Wirtschaft und des Handels ebenso wie für die Kriegführung, zu der man die Indianer als Bündnispartner benötigte. Ferner mussten die Europäer bei der territorialen Erschließung auf das lokale Knowhow der Indianer zurückgreifen. Sie machten sich die geographischen, astronomischen und medizinischen Kenntnisse der Indianer zunutze und übernahmen sie. Sie trugen Leggins und jagten mit Pfeil und Bogen. So waren es nicht nur die Indianer, die sich an die europäische Kultur anpassten. Die Europäer adaptierten in gleicher Weise indianische Lebensformen. 6 5 Newberry Library, Chicago, Wheelock Papers (Mikrofilm-Edition), Indian Lords’ Speech to Dr. Wheelock & Mr Avery in the Spring D 1772. 6 Grundlegend für das Konzept des „middle ground“ ist R ICHARD W HITE , The Middle Ground: Indians, Empires and Republics in the Great Lakes Region, 1650-1815, Cambridge 1991; zum gegenwärtigen Stand der Diskussion der These siehe das Themenheft der Zeitschrift William and Mary Quarterly 63, 1 (2006), 3-96. Zur gegenseitigen Adaption in der frühen Phase der europäischen Expansion in Nordamerika siehe K AREN O RDAHL K UP- PERMAN , Indians and English: Facing Off in Early America, Ithaca / London 2000, und Der Tausch von Objekten in der indianisch-europäischen Diplomatie 261 Dieser Austauschprozess lässt sich auch im Bereich der diplomatischen Verhandlungen nachvollziehen. Einerseits übernahmen die Indianer Elemente aus der westlichen Diplomatie. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass im 18. Jahrhundert den Boten, die Wampum überbrachten, manchmal ein begleitender schriftlicher Text mitgegeben wurde, wie sich überhaupt die europäische Schriftkultur langsam in der indianisch-europäischen Diplomatie verbreitete. Andererseits passten sich die europäischen Kolonisten an das indianische Zeremoniell an. Dies taten sie ganz bewusst. Der pennsylvanische Unterhändler George Croghan berichtete von einer Situation, in der es darum ging, eine indianische Delegation auf die britische Seite zu ziehen. Französische Abgeordnete hatten bereits mit den Indianern verhandelt und ihnen Geschenke gemacht. Die Briten befürchteten nun, dass sie auf die französische Seite überlaufen würden. Sie bemühten sich deshalb, den indianischen Ratsmitgliedern entgegenzukommen, indem sie die Rituale der indianischen Diplomatie so weit wie möglich übernahmen: On the twenty sixth the French called the Indians to Council and made them a present of Goods. […] On the twenty-seventh We called the Indians to Council and cloathed the Two Shawonese according to the Indian Custom, and delivered them up in Council with your Honour’s Speeches […] which Mr. Montour adapted to Indian Forms as much as was in his Power or mine. On the twentyeighth We called the Indians to Council again, and delivered them a large Belt of Black and White Wampum in Your Honour’s and the Governor of Virginia’s Name, by which we desired they might open their Minds to your Honour, and speak from their Hearts and not from their Lips […]. 7 Die britischen „go-betweens“ übernahmen Bestandteile der indianischen Rhetorik in ihre eigenen Reden vor den indianischen Delegationen. Sie verwendeten die metaphorischen Anredeformen der Indianer und sprachen sie gemäß ihrem Rang innerhalb der Hierarchie der interkulturellen Beziehungen als „brethren“, „children“ oder „younger brothers“ an. Auch die plastische Bildsprache und die Technik der Wiederholung fanden Eingang in die Reden europäischer Delegierter. Ferner nahmen die Europäer an den Zeremonien teil, die die Ratsversammlungen begleiteten. Sie beteiligten sich an den Reinigungsritualen zur Eröffnung von Verhandlungen, sie übergaben Holzstücke, Stöckchenbündel und andere symbolbehaftete Objekte, vor allem aber machten sie reichlichen Gebrauch von der Praxis des Wampum- Gebens. Wie die Indianer gaben sie an bestimmten Stellen des Verhandlungsprotokolls Wampumgürtel oder -ketten und unterstrichen wichtige Kernaussagen ihrer Reden durch das Überreichen von Wampum. Die Übergabe oder Annahme von J OYCE E. C HAPLIN , Subject Matter: Technology, the Body, and Science on the Anglo- American Frontier, 1500-1676, Cambridge, MA / London 2001. 7 George Croghan’s Journal, 1754, in: Early Western Travels 1748-1846, R EUBEN G OLD T HWAITES (Hrsg.), New York 1966, Bd. 1, 76f. Ulrike Kirchberger 262 Wampum sowie die Art und die Anzahl des ausgetauschten Wampum wurden in den europäischen Aufzeichnungen zu den Verhandlungen minutiös registriert. Da Wampum nicht nur vertragsratifizierende Bedeutung hatte, sondern auch Teil der indianischen Erinnerungskultur war, spielten einzelne Wampumgürtel, die von den Europäern anlässlich wichtiger Vertragsabschlüsse an die Indianer überreicht worden waren, in späteren Verhandlungen eine wichtige Rolle. Sie wurden von den Indianern vorgezeigt, wenn sie lange bestehende gute Kontakte betonen wollten, und tauchten in den Verhandlungsprotokollen immer wieder auf. So berichtete Conrad Weiser, der Indianerbeauftragte der Kolonie Pennsylvania, über ein Wampum, das die mit den Briten verbündeten Wyandot vom Gouverneur von New York erhalten hatten und auf dem die „chain of friendship“ zwischen Wyandot, Irokesenliga und britischer Regierung dargestellt war. Dieses Wampum hatten die Wyandot aufbewahrt und präsentierten es bei späteren Verhandlungen immer dann, wenn sie sich auf ihr gutes Einvernehmen mit Irokesen und Briten beriefen: That above fifty Years ago they made a Treaty of Friendship with the Governor of New York at Albany, & shewed me a large Belt of Wampum they received there from the said Governor as from the King of Great Britain; the Belt was 25 Grains wide & 265 long, very Curiously wrought, there were seven Images of Men holding one another by the Hand, the 1st signifying the Governor of New York (or rather, as they said, the King of Great Britain), the 2d the Mohawks, the 3rd the Oneidos, the 4th the Cajugas, the 5th the Onondagers, the 6th the Senekas, the 7th the Owandaets [Wyandots], the two Rows of Black Wampum under their feet thro’ the whole length of the Belt to signify the Road from Albany thro’ the five Nations to the Owendaets; That 6 Years ago, they had sent Deputies with the same Belt to Albany to renew the Friendship. 8 Eine nicht nur im Hinblick auf den Gabentausch wichtige indianische Zeremonie, in die sich die europäischen „go-betweens“ integrierten, war die sogenannte „condolence ceremony“. In dieser Zeremonie wurde um die verstorbenen Mitglieder einer Ethnie getrauert. Wenn es sich bei den Toten um wichtige Krieger, Ratsmitglieder oder andere einflussreiche Persönlichkeiten gehandelt hatte, dann wurden im Rahmen der „condolence ceremony“ auch Nachfolgefragen besprochen und damit wichtige politische Entscheidungen getroffen. Die „condolence ceremony“ hatte einen hohen Stellenwert im politischen und sozialen Leben vieler Ethnien. In Kriegszeiten wurden fast alle Ratsversammlungen mit einer „condolence ceremony“ eingeleitet. In vielen Fällen verstanden es europäische Delegierte, sich mit ihren Anliegen und Forderungen in diese Trauerzeremonien einzufügen. Beispielsweise nahm 1757 George Croghan an einer „condolence ceremony“ der Delaware-Indianer teil. Als die Ratsversammlung um die Toten saß und die üblichen Rituale vornahm, beteilig- 8 Conrad Weiser’s Journal of a Tour to the Ohio August 11-October 2, 1748, in: T HWAITES , Early Western Travels (wie Anm. 7), 30. Der Tausch von Objekten in der indianisch-europäischen Diplomatie 263 te sich Croghan, indem er symbolisch Blut aufwischte, Tränen trocknete und den Toten Decken beigab: I with these strouds wrap up the bodies of your deceased friends and bury them decently, covering their Graves with those blanketts and half-thicks. Die Delaware-Indianer signalisierten daraufhin, dass sie Croghans Beteiligung an den indianischen Riten zu schätzen wüssten: we thank our brother [...] who wisely considered the Antient Custom of our Forefathers in condoling with us and mixing your grief with ours. 9 Croghan überreichte mit den Decken eine Gabe, die nicht nur symbolische Bedeutung hatte, sondern auch von materiellem Wert war. Sowohl für die britischen Kolonisten als auch für die Indianer waren Decken von wirtschaftlichem Interesse. Dennoch dankten die Delaware Croghan nicht für die Decken, sondern dafür, dass er die indianischen Zeremonien respektierte. Es blieb offen, ob die Briten mit diesem Geschenk die Erwartung einer Gegenleistung verknüpften. Keine der beiden Parteien nahm darauf Bezug. Die Gabe der Decken wurde als Geste der Anteilnahme interpretiert und zog zunächst keine konkreten Verpflichtungen nach sich. Den britischen „go-betweens“ diente das Geben von Gaben in den den eigentlichen Verhandlungen vorausgehenden „condolence ceremonies“ dazu, sich in die indianische Diplomatie einzubinden und eine Vertrauensbasis zu schaffen. Teure Geschenke wurden von britischen Unterhändlern häufig im Rahmen der „condolence ceremony“ überreicht, nicht nur in Verhandlungen mit den nördlichen, sondern auch mit den südlichen Ethnien. Beispielsweise machten Abgeordnete der Regierung von Virginia den Twightwee-Indianern 1753 ein „condolence gift“ im Wert von 200 Pfund. 10 Wenn die Europäer ihre Geschenke im Rahmen des diplomatischen Zeremoniells der Indianer offerierten, dann hatten sie die größten Chancen, dass ihr Angebot überhaupt zur Kenntnis genommen und eventuell auch akzeptiert wurde und damit einen wie auch immer gearteten Einfluss ausüben konnte. Wenn sie außerhalb des diplomatischen Kontextes Geschenke ankündigten, also beispielsweise eine Kolonialregierung einen Boten in indianisches Gebiet entsandte, der eine Lieferung in Aussicht stellen sollte, dann konnte es geschehen, dass das Angebot auf indianischer Seite keine Beachtung fand, der Bote niemanden antraf oder sein Angebot abgelehnt wurde. Dies soll allerdings nicht heißen, dass im diplomatischen Kontext überreichte Gaben automatisch angenommen wurden. Vor allem wenn sich an die gegebenen Geschenke Bedingungen oder Gegenleistungen knüpften oder die Verhandlungsergebnisse nicht den Erwartungen der beteiligten Indianer entsprachen, konnten sie abgelehnt oder auch nach der Annahme vernichtet werden. So berichtete Benjamin Franklin nach problematischen Friedensverhandlungen zwischen den 9 Zitiert nach J ANE T. M ERRITT , At the Crossroads: Indians and Empires on a Mid-Atlantic Frontier, 1700-1763, Chapel Hill / London 2003, 218. 10 J ACOBS , Diplomacy and Indian Gifts (wie Anm. 1), 128. Ulrike Kirchberger 264 Delaware-Indianern und der pennsylvanischen Kolonialregierung im August 1756 an George Washington, dass die Delaware die im Vorfeld der Verhandlungen gegebenen Gaben inzwischen verbrannt hätten: We have just receiv’d News, that the Delaware Indians with whom we treated lately at Easton, have burnt the Goods they receiv’d as Presents, and resolv’d to continue the War. 11 Obwohl die britischen Kolonisten einzelne Elemente der diplomatischen Praktiken der Indianer übernahmen, prägten Missverständnisse und Situationen des Nicht-Verstehens die britisch-indianische Diplomatie. Den bei den Ratsversammlungen anwesenden britischen Unterhändlern gelang es zwar, gewisse Elemente vor allem der non-verbalen Kommunikation zu entschlüsseln und zu übernehmen, doch waren nur sehr wenige „go-betweens“ dazu imstande, die indianischen Sprachen zu verstehen. Den Inhalt der Reden, die die Indianer in ihrer eigenen Sprache hielten und die oft mehrere Stunden dauerten, konnten die bei den Ratsversammlungen anwesenden Europäer kaum nachvollziehen. He spoke like a Demosthenes for more than half an hour, but I lost all the good of it for want of an interpreter, fasste der Missionar Samuel Kirkland seine diesbezüglichen Erfahrungen bei den Seneca zusammen. 12 Die Teilnahme an den Versammlungen wurde nicht selten als langweilig empfunden, und die europäischen Teilnehmer bedauerten sich gegenseitig: The Indians adhere so closely to their Tedious Ceremonies that I am sensible you must have had a most fatiguing time of it. 13 Die Beurteilung des Gabentausches, wie er unter solchen Umständen stattfand, wird durch den Begriff des Schenkens, der von den Akteuren im 18. Jahrhundert gebraucht und von den Historikern unhinterfragt übernommen wurde, sehr erschwert. Das Wort „Geschenk“ lässt Raum für einen breiten Deutungshorizont, und auch durch die Festlegung von Kriterien wie Freiwilligkeit, Reziprozität oder die Relevanz hierarchischer Ordnungen lässt sich der Begriff nicht klar definieren. Das konsequente Festhalten am Terminus „Geschenk“ verschleiert den Umstand, dass man genauso gut von Gegenleistungen für Land, von Bezahlung für Loyalität im Krieg, von Sold für die beteiligten Krieger oder schlichtweg von Bestechung sprechen könnte. 14 Da der Geschenkbegriff sehr vage war, sorgte er für Unklarheiten und Missverständnisse, die sich auch in der gegenwärtigen Forschung niederschlagen. So mutmaßt der Historiker Francis Jennings, dass die Indianer die britischen 11 Benjamin Franklin an George Washington, 19.8.1756, zitiert nach: http: / / franklinpapers. org (Zugriff: 13.3.2010). 12 The Journals of Samuel Kirkland: Eighteenth-century Missionary to the Iroquois, Government Agent, Father of Hamilton College, W ALTER P ILKINGTON (Hrsg.), Clinton, NY 1980, 7. 13 Zitiert nach M ERRITT , At the Crossroads (wie Anm. 9), 213f. 14 Zur Abgrenzung des Begriffs „Geschenk“ von anderen Formen des Gütertausches siehe C HARLES H. H INNANT , Gifts and Wages: The Structures of Exchange in Eighteenth- Century Fiction and Drama, in: Eighteenth-Century Studies 42, 1 (2008), 1-18. Der Tausch von Objekten in der indianisch-europäischen Diplomatie 265 Lieferungen nicht für Geschenke hielten, sondern für Entschädigungsleistungen, die ihnen dafür zustünden, dass sie den Europäern erlaubten, ihre Forts auf indianischem Land zu bauen und ihre Truppen durch indianisches Siedlungs- und Jagdgebiet zu führen. Die Europäer dagegen hätten ihre Gaben an die Indianer für freiwillige, sporadisch gemachte Geschenke gehalten. 15 Im Gegensatz dazu argumentiert Richard White bezüglich der französischen Geschenkepolitik gegenüber den Algonkin, dass die Franzosen versuchten, ihre Geschenke nicht beliebig zu übergeben, sondern sie an eine spezifische und unmittelbar erfolgende Gegenleistung zu knüpfen. Die Indianer dagegen hätten die französischen Geschenke als Teil der mit dem Verhältnis zwischen „father“ und „children“ einhergehenden allgemeinen Fürsorgepflicht verstanden. 16 Die Unbestimmtheit des Geschenkbegriffs sorgte nicht nur für Missverständnisse, sondern eröffnete den beteiligten Verhandlungspartnern auch Raum für Manipulationen und Täuschungsmanöver. Als sich Mitte der fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts die Situation im Ohio-Tal immer weiter zuspitzte und die Briten in der unübersichtlichen Gemengelage immer verzweifelter versuchten, mit immer größeren Mengen an Gütern indianische Ethnien an sich zu binden, gelang es den indianischen Sprechern nicht selten, die britischen Delegationen im Hinblick auf die Lieferungen zu verunsichern und die Bündnisverhältnisse zusätzlich zu verunklären. So machten sie immer wieder Andeutungen, dass sie von französischer Seite bessere Geschenke bekommen würden, was auf britischer Seite einen Zugzwang auslöste, der die staatlichen Finanzen erheblich belastete. Auch der Vorwurf an einzelne britische Delegierte, sie hätten für die Indianer bestimmte Geschenklieferungen unterschlagen, trug dazu bei, die britische Seite aus dem Konzept zu bringen. George Washington reagierte in einer solchen Situation, indem er sich einerseits für die geringe Menge an Geschenken entschuldigte, gleichzeitig aber weitere Zuwendungen in Aussicht stellte, falls entsprechende Kriegsdienste geleistet würden: The Present, my Brethren, I offer you is not so considerable as I could wish, but I expect in a short Time a Quantity of Goods, which are to be at my Disposal, in order to reward those who shall have shewn themselves brave and active on this Occasion [...]. 17 Ungefähr zur gleichen Zeit geriet die Regierung von Pennsylvania anlässlich der Verhandlungen von Easton im Sommer 1756, in deren Folge die Delaware die erhaltenen Geschenke verbrannten, in vergleichbare Schwierigkeiten. Sie befand sich in einer Krise und musste zur Finanzierung der Geschenke an die Delaware die Hilfe der Quäker annehmen, die die Summe für die Geschenke aus ihren eigenen Mitteln 15 F RANCIS J ENNINGS , Empire of Fortune: Crowns, Colonies, and Tribes in the Seven Years War in America, New York / London 1988, 441. 16 W HITE , The Middle Ground (wie Anm. 6), 112f. 17 Bericht George Washingtons, in: The Papers of George Washington Digital Edition, T HEO- DORE C RACKEL (Hrsg.), Charlottesville 2007, http: / / rotunda.upress.virginia.edu/ pgwde/ search-Dia01ch4m2 (Zugriff: 25.5.2008). Ulrike Kirchberger 266 aufstockten. Auf den Zuschuss der Quäker, denen viele britische Kolonisten nicht nur im Hinblick auf die Indianerpolitik misstrauten, hätte man gerne verzichtet, nahm ihn jedoch nach einer Phase des Zögerns an, weil der Sprecher der Delaware, Teedyuscung, bei den Verhandlungen eine subtile Drohkulisse aufbaute: I will do my Share. Whatever kindness you do to me or my People, shall be published to ten Indian Nations; we won’t hide any Presents you shall give us. 18 Wenn die Geschenklieferung allzu kärglich ausgefallen wäre, so die Befürchtung der pennsylvanischen Gesandten, dann hätten die Berichte an zehn weitere indianische Ethnien kaum friedensfördernd gewirkt. In einem anderen Verhandlungszusammenhang wurde Conrad Weiser von einem Unterhändler der Seneca-Indianer, Tanaghrisson, angeklagt, er habe die Geschenke, die der König und die Kolonie Virginia für die Indianer bestimmt hätten, nicht ausgeliefert, sondern sie für sich behalten und nach Pennsylvania abgeführt. 19 Das unspezifische Geben und Versprechen von Geschenken ließ genügend Raum für Anspielungen und Verdächtigungen und trug zur Verunklärung der aus britischer Sicht ohnehin schon diffusen Lage im Ohio-Gebiet bei. Die sogenannten Geschenke bestanden im Wesentlichen aus Nahrungsmitteln, Waffen und Munition sowie aus Stoffen, Decken und Tuchen in verschiedenen Varianten. Am gängigsten waren verschiedene Arten von Wolldecken; es wurden aber auch Tuche aus Leinen, Baumwolle und Seide gegeben. Neben diesen nützlichen Gebrauchsgegenständen war der Alkohol eine weit verbreitete, aber auch eine sehr umstrittene Gabe. Politiker und Missionare kritisierten das Verteilen von Rum an die Indianer zwar heftig, es wurde aber trotzdem sehr häufig eingesetzt. Des Weiteren wurden im 18. Jahrhundert in zunehmendem Maße europäische Konsum- und Luxusgüter geschenkt, die sich bei den Indianern wachsender Beliebtheit erfreuten. Schmuckstücke wie silberne Ringe und Armreifen, Strumpfwaren, Westen in bunten Farben, mit Rüschen besetzte Hemden, modische Hüte, Spiegel und europäisches Geschirr waren bei den indianischen Delegationen sehr gefragt. 20 Die Europäer versuchten, ihre Gaben so zielgerichtet wie möglich bei den Ethnien zu plazieren. Indianer, die man für Führungspersönlichkeiten hielt, weil sie in den Verhandlungen hervortraten, beschenkte man mit besonders wertvollen Dingen. Auch fiel europäischen Beobachtern auf, dass bei den Irokesen einzelne Frauen in den Ratsversammlungen Reden hielten und offenbar politischen Einfluss nahmen. Ihnen und denjenigen Frauen, die man als Ehefrauen wichtiger Männer einstufte, machten die Europäer Geschenke, von denen sie dachten, dass sie Frauen 18 Zitiert nach J ENNINGS , Empire of Fortune (wie Anm. 15), 275. 19 J ENNINGS , Empire of Fortune (wie Anm. 15), 38. 20 J ACOBS , Diplomacy and Indian Gifts (wie Anm. 1), 46-60; T IMOTHY J. S HANNON , Dressing for Success on the Mohawk Frontier: Hendrick, William Johnson, and the Indian Fashion, in: William and Mary Quarterly 53 (1996), 13-42. Der Tausch von Objekten in der indianisch-europäischen Diplomatie 267 besonders gefallen würden, so zum Beispiel Schmuck, Hacken für die Feldarbeit, Nähnadeln, Kupferkessel oder Petticoats. Bei dieser Strategie erwies es sich allerdings als hinderlich, dass die Europäer ihre eigenen sozialen Hierarchien auf die indianischen Gesellschaften übertrugen. Sie setzten voraus, dass es in den indianischen Gesellschaftsordnungen einen hochrangigen Anführer geben müsse, der mit einem europäischen Staatsoberhaupt vergleichbar sei. Diese Position war in den indianischen Ethnien aber nicht unbedingt vorhanden. Es konnte geschehen, dass die Güter, die man einem vermeintlichen „chief“ überreichte, anschließend innerhalb der Ethnie neu verteilt wurden. Trotzdem achteten die Europäer nicht nur in der innereuropäischen Geschenkdiplomatie, sondern auch beim interkulturellen Schenken sehr auf soziale Rangordnungen, die sie bei den Ethnien zu erkennen glaubten. 21 In der Forschung wird der Gabentausch im Kontext der indianischeuropäischen Diplomatie unterschiedlich bewertet. Richard White führt im Rahmen seines Konzepts vom „middle ground“ das Geben von Geschenken als Teil des gegenseitigen Adaptionsprozesses an, mittels dessen indianisch-europäische Allianzen gefestigt werden konnten, wobei er sich hauptsächlich auf Schenkakte im Kontext des wirtschaftlichen Austauschs, insbesondere des Handels mit Pelzen, bezieht. 22 Hingegen spricht sich Gregory E. Dowd gegen die These aus, dass durch das Geben von Geschenken an die Indianer kulturelle Grenzen überwunden wurden. Vielmehr sei durch die Missverständnisse und Vieldeutigkeiten, die mit den „Geschenken“ der Europäer verbunden waren, die Kluft zwischen Indianern und Europäern noch vergrößert worden („they could establish no middle ground“). 23 Historiker wie Dowd, die die Schwierigkeiten beim Tausch von Objekten in der interkulturellen Diplomatie in den Vordergrund stellen, beziehen sich dabei häufig auf die klassischen Arbeiten des Anthropologen Marcel Mauss, der sich mit Formen und Systemen des Gabentausches in urproduktiven Gesellschaften beschäftigte. 24 Aufbauend auf Mauss wirft beispielsweise Peter Burschel in einer Fallstudie zu Schenkakten in der habsburgisch-osmanischen Diplomatie des 17. Jahrhunderts die Frage auf, ob es sich dabei um einen „Potlatsch“ gehandelt habe, und vertritt die These, dass sowohl die osmanische als auch die habsburgische Seite ein eigenes, für die jeweilige Kultur typisches „Gabensystem“ gehabt hätte, das für die jeweils andere Kultur nur sehr schwer oder gar nicht zu durchschauen gewesen sei, was zu vielerlei 21 J ACOBS , Diplomacy and Indian Gifts (wie Anm. 1), 46-51; zur Umverteilung innerhalb der Ethnien siehe W HITE , The Middle Ground (wie Anm. 6), 182. 22 W HITE , The Middle Ground (wie Anm. 6), 88f. 23 D OWD , “Insidious Friends” (wie Anm. 1), 410. 24 M ARCEL M AUSS , Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1990. Ulrike Kirchberger 268 diplomatischen Verwerfungen geführt habe. 25 Die Frage, ob einzelne Objekte in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich behandelt und wahrgenommen wurden, wird in einem weiteren Rahmen auch von postkolonialen Theoretikern diskutiert. Relevant für den interkulturellen Gabentausch in der frühneuzeitlichen Diplomatie erscheint vor allem die These Arjun Appadurais, dass einzelne Güter in unterschiedlichen Kulturen verschiedene Bedeutungen hatten und mit unterschiedlichen Wertigkeiten besetzt waren. 26 Was den speziellen Fall des indianisch-europäischen Gabentausches im 18. Jahrhundert angeht, so hatten die Europäer in der Tat Schwierigkeiten, die politischen Interessen ihrer indianischen Verhandlungspartner zu durchschauen. Allerdings zeigen die Aufzeichnungen über die interkulturellen Zusammentreffen, dass die europäischen „go-betweens“ gerade die nonverbale Kommunikation, die in der indianischen Diplomatie eine wichtige Rolle spielte, sehr schnell übernahmen. Noch bevor sie die Sprache ihrer Verhandlungspartner verstanden, begannen sie, das diplomatische Zeremoniell und den Tausch von Objekten wie das Geben von Wampum zu praktizieren. Die These von zwei gegensätzlichen und unüberwindbaren Systemen des Gabentauschs lässt sich deshalb nur bedingt auf die indianischeuropäische Diplomatie des 18. Jahrhunderts übertragen. Gerade was den an die Verhandlungen gebundenen Gabentausch angeht, so scheint das Bild vom „middle ground“ und den in diesem Raum stattfindenden Adaptionsprozessen das bessere Erklärungsmodell zu sein. Für einen entsprechenden theoretischen Ansatz könnte man auch das viel zitierte Konzept Homi Bhabhas von der „Mimikry“ in einem „Dritten Raum“ heranziehen, welches davon ausgeht, dass in einer Kontaktzone Verhandlungs- und Interaktionsprozesse stattfinden, über die sich Kulturen aneinander anpassen und Hybriditäten bilden. Die Gegensätze zwischen Kulturen, so Bhabha, würden sich dadurch aufheben und eine neue, spezifische Form der Kommunikation entstehen. 27 Etwas weniger abstrakt und auf die konkrete Situation der Indianer und Europäer in Nordamerika zugeschnitten vertritt Nancy Shoemaker eine ähnliche These. Sie postuliert, dass die kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und Indianern im 18. Jahrhundert in vielen Bereichen nicht so groß waren wie allgemein angenommen und sich stattdessen zahlreiche Parallelen und Gemeinsamkeiten feststellen lassen. 28 25 P ETER B URSCHEL , Der Sultan und das Hündchen. Zur politischen Ökonomie des Schenkens in interkultureller Perspektive, in: Historische Anthropologie 15, 3 (2007), 408-421. 26 The Social Life of Things: Commodities in Cultural Perspective, A RJUN A PPADURAI (Hrsg.), Cambridge 1986. 27 H OMI B HABHA , Of Mimicry and Man: The Ambivalence of Colonial Discourse, in: Tensions of Empire: Colonial Cultures in a Bourgeois World, F REDERICK C OOPER / A NN L AURA S TOLER (Hrsg.), Berkeley / Los Angeles / London 1997, 152-161. 28 N ANCY S HOEMAKER , A Strange Likeness: Becoming Red and White in Eighteenth-Century North America, Oxford 2004. Der Tausch von Objekten in der indianisch-europäischen Diplomatie 269 Das Konzept von der Angleichung der Kulturen in einem „middle ground“ oder „Dritten Raum“ ist auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedeutungen von Gütern in verschiedenen Kulturen relevant. Appadurais raum- und epochenübergreifender Befund von der verschiedenen Wertigkeit von Gütern wäre für den Fall der indianisch-europäischen Diplomatie in zweierlei Hinsicht zu relativieren. Erstens hatten viele der Gaben, die von den Europäern an die Indianer gegeben wurden, so zum Beispiel die großen Mengen an Decken, für beide Seiten einen hohen wirtschaftlichen Wert. Auch die Luxusartikel galten beiden Verhandlungspartnern als hochwertig und prestigeträchtig. Sie waren für die europäischen Geber, für die die Herbeischaffung der Waren oft mit hohen Kosten verbunden war, nicht weniger wert als für die indianischen Empfänger. Zweitens war eine unterschiedliche Bewertung von Kulturgrenzen überquerenden Gaben nicht immer die Folge verschiedener kultureller Zugehörigkeit. Vielmehr konnten innerhalb eines Kulturkreises verschiedene Sichtweisen auf die an die andere Seite gegebenen Güter herrschen, woraus eine unterschiedliche Wertschätzung derselben resultierte. So wurden beispielsweise die Luxusgüter, die sowohl die indianischen als auch die europäischen Verhandlungspartner als Kostbarkeiten bewerteten, von Benjamin Franklin als Plunder bezeichnet. 29 Eine weitere problematische Frage bezüglich des interkulturellen Gabentausches besteht darin, inwieweit die Europäer durch das Geben von Geschenken die Indianer zivilisieren, sie also durch das Schenken europäischer Kleidung, Werkzeuge und Konsumgüter dazu führen wollten, die europäische Lebensweise zu übernehmen. In der Tat war die Zivilisierung der Indianer ein immer wieder postuliertes Ziel der britischen Politik und der religiösen Gemeinschaften. Die Indianer galten als wilde Heiden, denen die Segnungen der westlichen Zivilisation nahezubringen waren. Die Hauptinstrumente zur Verbreitung britischer Werte unter den Indianern sah man allerdings vor allem in der Schulerziehung indianischer Kinder und in der Bekehrung zum protestantischen Glauben durch Missionare und Geistliche. Hin und wieder gaben die Missionare auch Geschenke wie beispielsweise Kleinvieh, über das sie die Indianer zur Landwirtschaft im europäischen Stil führen wollten. 30 Mit den Objekten, die die Unterhändler im Rahmen diplomatischer Verhandlungen an die Indianer gaben, verbanden sie jedoch keine unmittelbaren Zivilisierungsabsichten. Sie hatten vielmehr den Zweck, die Indianer auf der Suche nach Verbündeten gegen Frankreich auf die britische Seite zu ziehen. Die Art der Gaben, die an die Indianer gegeben wurden, war nicht zuletzt das Ergebnis der Nachfrage auf indianischer Seite. Damit sie nicht zu den Franzosen überliefen, schenkten die Briten den 29 C OLIN G. C ALLOWAY , The Scratch of a Pen: 1763 and the Transformation of North America, Oxford 2006, 67. 30 D AVID J. S ILVERMAN , ”We chuse to be bounded“: Native American Animal Husbandry in Colonial New England, in: William and Mary Quarterly 60, 3 (2003), 511-548. Ulrike Kirchberger 270 Indianern, was diese haben wollten. Erzieherische Intentionen spielten dabei kaum eine Rolle. 3. Die britische Geschenkpolitik im Siebenjährigen Krieg Das Geben von Gaben an die Indianer nahm in der Mitte des 18. Jahrhunderts drastisch zu. Diese Entwicklung lag in den Verhältnissen im Ohio-Tal begründet, wo sowohl die Briten als auch die Franzosen seit den vierziger Jahren versuchten, ihre Einflusszonen zu erweitern. Zur Kontrolle von Territorium war es nötig, sich der Loyalität der dortigen indianischen Ethnien zu versichern, dessen waren sich Briten und Franzosen gleichermaßen bewusst. 31 Auch die Indianer, die im Ohio- Gebiet siedelten, erkannten schnell, dass beide Kolonialmächte zur Realisierung ihrer Expansionspläne indianische Unterstützung benötigten, und verstanden es, die Situation geschickt auszunutzen. Sie versuchten, die europäischen Verhandlungspartner gegeneinander auszuspielen und sie hinsichtlich ihrer Bündnisabsichten zu verwirren. Die indianischen Ethnien waren untereinander in komplizierten, sich ständig verändernden Beziehungsgeflechten verbunden. Manche Ethnien sympathisierten mit den Franzosen, andere mit den Briten, wieder andere bemühten sich, solange wie möglich neutral zu bleiben. In vielen Ethnien bildeten sich Fraktionen, die bezüglich der Frage, wie man sich gegenüber den Kolonialmächten verhalten sollte, unterschiedliche Positionen vertraten. Die Lage im Ohio-Tal war in diesen Jahren sehr angespannt. Es kam immer wieder zu Überfällen und kleinen Scharmützeln. 32 Die indianischen Ethnien versuchten, sich zwischen den beiden Kolonialmächten zu behaupten und den eigenen Lebensraum im Ohio-Tal so lange wie möglich zu erhalten. Franzosen und Briten mussten also um die Gunst jeder einzelnen Ethnie konkurrieren. Vor diesem Hintergrund versuchten die rivalisierenden Kolonialmächte, sich gegenseitig mit immer teureren Geschenklieferungen zu überbieten. Die Briten transportierten in den fünfziger Jahren gewaltige Mengen an Gütern zu den Verhandlungen mit den Indianern. Zu einer Ratsversammlung in Logstown, Virginia, im Mai 1752 brachten die britischen Gesandten auf vier großen Kanus Geschenke des Königs im Wert von 1.000 Pfund mit. 33 Die staatlichen Ausgaben für Gaben an die Indianer stiegen in den Jahren 1748 bis 1760 in nie gekannte Höhen und strapazierten die Kriegskasse gewaltig. Es kam immer wieder zu Unklarheiten, welche staatliche Instanz die Kosten zu tragen habe und wer für den Transport, die Zölle 31 Programmatisch dazu A RCHIBALD K ENNEDY , The Importance of Gaining and Preserving the Friendship of the Indians to the British Interest Considered, New York 1751. 32 F RED A NDERSON , Crucible of War: The Seven Year’s War and the Fate of Empire in British North America, 1754-1766, London 2001. 33 J ENNINGS , Empire of Fortune (wie Anm. 15), 38. Der Tausch von Objekten in der indianisch-europäischen Diplomatie 271 und die Versicherung aufkommen müsse. Finanziert wurden die Geschenke letztlich von den Kolonialregierungen und der Krone, wobei die Krone in dieser Angelegenheit von ihren beiden Indianerbeauftragten in Nordamerika vertreten wurde. Kolonialregierungen und königliche Indianerbeauftragte arrangierten sich so gut es ging und nahmen die hohen Kosten in Kauf, weil sie überzeugt waren, auf diese Weise Einfluss nehmen zu können. 34 Der Aspekt des Gebens von Gütern an die Indianer spielte auch in den Auseinandersetzungen um das Verhältnis zwischen Mutterland und Kolonien während und nach dem Siebenjährigen Krieg eine wichtige Rolle. Anfang der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts, als sich das Kriegsglück gerade zugunsten der Briten gewendet hatte, griff die anglikanische Geistlichkeit in London das Thema auf. Die anglikanische Kirche war seit jeher um ihren Status in den nordamerikanischen Kolonien besorgt und betrachtete die anderen protestantischen Glaubensrichtungen, die sich dort entfalteten, mit großer Skepsis. Die Furcht, in den Kolonien an Einfluss zu verlieren, bezog sich nicht zuletzt auf die Indianermission, in der sich mehrere protestantische Konfessionen betätigten. Als zu Beginn der sechziger Jahre in Boston eine von London unabhängige nonkonformistische Gesellschaft zur Christianisierung der Indianer gegründet wurde, nahmen die anglikanischen Bischöfe dies zum Anlass, sich grundsätzlich mit der Indianerproblematik auseinanderzusetzen. Der Geschenkpolitik maßen sie dabei eine wichtige Bedeutung zu. Es wurde gefordert, dass alle Indianerangelegenheiten, einschließlich des Gebens von Gaben, über die beiden von der Krone eingesetzten Indianerbeauftragten koordiniert werden müssten. Kritisiert wurden in diesem Zusammenhang vor allem die Quäker. Ihnen wurde vorgeworfen, dass sie die Indianer mit Geschenken überhäuften, um sie auf ihre Seite zu ziehen, und dadurch die indianische Loyalität gegenüber ihren britischen Verbündeten unterwanderten. Die anglikanischen Bischöfe beriefen sich auf William Johnson, den Indianerbeauftragten der Krone für die nördlichen Kolonien, und verlangten, dass Geschenke an die Indianer ausschließlich Sache der königlichen Indianerbeauftragten sein sollten: [...] he [William Johnson] declared that, as Agent for the Crown, he could suffer no private Society to have any Management of Indians [...] nor would suffer Presents to be made to the Indians through any other Channel but that appointed by the Crown nor in the Name of any private Society, but in the Name of the Government only. 35 Die Forderungen der anglikanischen Geistlichkeit zeigen, dass das Geben von Geschenken an die Indianer noch in den frühen sechziger Jahren eine wesentliche Rolle in den Londoner Überlegungen zur Zentralisierung der Verwaltung des Kolo- 34 J ACOBS , Diplomacy and Indian Gifts (wie Anm. 1), 61-75. 35 Lambeth Palace Library, MS 1123/ 3, American Colonies, Remarks on an Act lately passed in the Massachusetts Government, erecting and incorporating a New Society for Propagating Christian Knowledge among the Indians in North America, 1762. Ulrike Kirchberger 272 nialreiches spielte. Man hielt es in London für einen so wichtigen Kontrollfaktor in der Indianerpolitik, dass man eine Monopolstellung der Krone verlangte. Die britische Geschenkpolitik änderte sich nach dem Siebenjährigen Krieg. Nachdem die Briten 1763 den Krieg siegreich beendet hatten, stellte sich die Frage, ob es wirklich nötig sei, den Indianern weiterhin teure Geschenke zu machen. Vor allem der damalige Oberkommandierende der britischen Truppen in Nordamerika, Jeffrey Amherst, setzte sich für die Einstellung des Gabentransfers an die Indianer ein. Amherst war Ende der fünfziger Jahre nach Nordamerika gekommen und hatte wichtige Siege für die britische Seite errungen. Den Indianern trat er arrogant gegenüber. Sein Indianerbild trug menschenverachtende Züge. Amherst argumentierte, dass man sich nach dem kostspieligen Krieg die Güterlieferungen an die Indianer nicht mehr leisten könne. Die Indianer müssten lernen, für sich selbst zu sorgen und wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen. 36 Amhersts Entscheidung, die Lieferung von Geschenken an die Indianer einzustellen, war sehr umstritten. Kritisiert wurde sie vor allem von William Johnson, der während des Krieges ein kleines Vermögen an staatlichen Geldern für Gaben an die Indianer ausgegeben hatte. Auch Benjamin Franklin war besorgt über die Folgen dieses Schritts und kritisierte Amhersts harte Haltung: The Indians think us so wealthy and we have such plenty of everything valuable to them, that if we omit so essential and so establish’d a Ceremony, it must proceed from Contempt. 37 Amhersts neuer Kurs hatte in der Tat gravierende Folgen. Durch den Krieg bedingt litten die indianischen Ethnien in den frühen sechziger Jahren große Not. Ihre Lage wurde nun dadurch erschwert, dass die britischen Lieferungen von Nahrungsmitteln, Decken und Munition für die Jagd ausblieben. Neben den wirtschaftlichen Folgen war es vor allem der psychologische Effekt, der die Indianer empörte und zum Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft veranlasste. Die mit den Briten verbündeten Indianer hatten erwartet, dass die Briten sich nach dem gewonnenen Krieg um ein gutes Verhältnis bemühen würden. Dies konnte in der indianischen Tradition im Rahmen einer „condoling ceremony“ getan werden. Durch das Überbringen von Gaben wurden zum einen die Seelen der gefallenen Krieger versöhnt; zum anderen zeigte der Sieger, dass er daran interessiert war, gute Beziehungen herzustellen. Er signalisierte Wohlwollen und seine Bereitschaft, die Rolle des „benevolent father“ im indianischen Sinne zu übernehmen. Geschenke waren in diesem Zusammenhang nicht nur wirtschaftliche Unterstützung, sondern symbolisierten auch den Wunsch zur Versöhnung nach dem Krieg. All dies blieb 1763 aus. Stattdessen wurden weitere Truppen in indianisches Gebiet entsandt. Beim Abschluss des Friedensvertrags in Paris verhandelten die 36 E LIZABETH A. F ENN , Biological Warfare in Eighteenth-Century North America: Beyond Jeffrey Amherst, in: Journal of American History 86, 4 (2000), 1552-1580. 37 Zitiert nach C ALLOWAY , The Scratch of a Pen (wie Anm. 29), 67. Der Tausch von Objekten in der indianisch-europäischen Diplomatie 273 europäischen Mächte über indianisches Territorium, ohne den Indianern ein Mitspracherecht zuzugestehen. Die Indianer sahen sich in ihrem nicht ganz unbegründeten Verdacht bestätigt, dass die Briten sie unterwerfen und von ihrem Land verdrängen wollten. Während den Briten der Krieg mit dem Frieden von Paris als abgeschlossen galt und gefeierte Kriegshelden wie Jeffrey Amherst nach getaner Arbeit so schnell wie möglich ins heimatliche England zurückkehren wollten, war für die Indianer der Krieg keineswegs beendet. Ein Repräsentant der Chippewa erklärte die indianische Sicht auf die Dinge folgendermaßen: your king has never sent us any presents, nor entered into any treaty with us, therefore he and we are still at war; and until he does these things, we must consider that we have no other father, nor friend among the white man, than the king of France. 38 Die Folge der rigorosen britischen Politik und nicht zuletzt der Einstellung der Güterlieferungen war der Ausbruch von Pontiac’s War, eines Aufstands, mit dem die Briten nicht gerechnet hatten und der den britischen Erfolg im Siebenjährigen Krieg etwa zwei Monate lang ins Wanken brachte. In Pontiac’s War gelang es den Indianern innerhalb kürzester Zeit und über riesige Entfernungen hinweg, einen ethnienübergreifenden Aufstand zu koordinieren. Auf welche Art und Weise dies genau gelang, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Offensichtlich eilten Boten mit Wampum, in diesem Fall waren es „war belts“, von Dorf zu Dorf. Der „war belt“ konnte angenommen oder abgelehnt werden. Wenn eine Ethnie ihn annahm, dann musste sie sich am Aufstand beteiligen und ihrerseits Läufer entsenden, die „war belts“ in die benachbarten Dörfer brachten. Über dieses Schneeballsystem organisierte man wohl den Aufstand. Im Mai und Juni 1763 wurden von der Gegend um Detroit ausgehend alle wichtigen britischen Forts um die große Seenplatte belagert oder erobert. 39 Pontiac’s War wurde unter der Führung Amhersts mit großer Härte niedergeschlagen. Rückblickend kann er als gescheiterter Aufstand der ohnehin zum Niedergang verdammten Ureinwohner bewertet werden. Gleichzeitig zeigt diese Erhebung jedoch, wie gut die traditionellen indianischen Diplomatie- und Kommunikationsnetzwerke mit ihren typischen Informationsträgern funktionieren konnten. Pontiac’s War war nicht zuletzt ein Aufstand, der denjenigen indianischen Sprechern Recht gab, die den Europäern immer wieder vorgeworfen hatten, dass sie die Möglichkeiten der indianischen Kommunikationssysteme gewaltig unterschätzten. Da der Siebenjährige Krieg in der Forschung derzeit eine deutliche Aufwertung erfährt und in verschiedenen Kontexten als Epochenzäsur interpretiert wird, soll 38 Zitiert nach D ANIEL K. R ICHTER , Native Americans, the Plan of 1764, and a British Empire That Never Was, in: Cultures and Identities in Colonial British America, R OBERT O LWELL / A LAN T ULLY (Hrsg.), Baltimore 2006, 269-292, hier 273. 39 Siehe dazu G REGORY E VANS D OWD , War under Heaven: Pontiac, the Indian Nations, and the British Empire, Baltimore / London 2002. Ulrike Kirchberger 274 auch im Zusammenhang mit Amhersts „Geschenkestopp“ die Frage gestellt werden, ob diese Politik einen Umschwung von der frühneuzeitlichen Geschenkdiplomatie hin zu einer modernen, ins 19. Jahrhundert weisenden Form der Diplomatie und des Umgangs mit den Indianern markierte. Für den nordafrikanischen Bereich wurde der Bedeutungswandel des Schenkens im diplomatischen Kontext vom 18. zum 19. Jahrhundert bereits untersucht, und zwar in einer Studie von Christian Windler über die französischen Konsuln, die an den Höfen der maghrebinischen Herrscher tätig waren. Die französischen Konsuln hätten, so Windler, im 18. Jahrhundert die nordafrikanische Kultur des Gebens von Geschenken akzeptiert, um überhaupt eine Grundlage zu schaffen, auf der verhandelt werden konnte. Der Tausch von Gaben wurde als wichtiges diplomatisches Mittel gesehen. Nicht zuletzt hätte er für ein fragiles Machtgleichgewicht zwischen den beiden Parteien gestanden. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begannen die französischen Konsuln, den Brauch des Schenkens zu hinterfragen. Sie bezeichneten ihn als rückständig und orientalisch und maßen ihm nur noch geringe Bedeutung bei. Gleichzeitig wollte die Regierung in Paris die hohen Kosten für die Gaben nicht mehr übernehmen. Im 19. Jahrhundert wurden den afrikanischen Verhandlungspartnern nur noch Dinge gegeben, die die eigene technische und zivilisatorische Überlegenheit symbolisierten, in der Regel Uhren, Waffen und Bibeln. Die Entwicklung sei von einem Verhandeln auf gleicher Augenhöhe in der frühen Neuzeit hin zur Überlegenheit der Europäer und der Abhängigkeit der Nicht-Europäer im 19. Jahrhundert verlaufen. 40 Diesen für Afrika beschriebenen Umbruch kann man bis zu einem gewissen Grad auch für die indianisch-europäische Diplomatie in Nordamerika nachvollziehen. Verkörpert wird er durch Jeffrey Amherst, der die Praxis des Schenkens aufgab. Im Siebenjährigen Krieg waren die Indianer wichtige Verbündete der europäischen Kriegsparteien gewesen. Die Europäer respektierten deshalb deren kulturelle Gepflogenheiten und beschenkten sie bei diplomatischen Verhandlungen. Nach dem Sieg über Frankreich brauchten die Briten die Indianer nicht mehr zur Sicherung ihrer Macht in Nordamerika und behandelten sie in der Folge des Krieges mit großer Rücksichtslosigkeit. Es handelte sich in Nordamerika jedoch um keinen einheitlichen, eindeutigen Umschwung. Amhersts Politik war nicht repräsentativ für die britische Politik insgesamt und wurde von seinen Zeitgenossen kritisiert. Ferner stellt sich die Frage, inwieweit das Phänomen des Austauschs von Gaben in der indianisch-europäischen Diplomatie und die damit verbundene europäische Anpassung an indianische Gebräuche wirklich die Machtverhältnisse und -perzeptionen zwischen Europäern und Indianern im 18. Jahrhundert repräsentiert. Trotz der Adaptionsbereitschaft in den diplomatischen Verhandlungen herrschte unter den Europäern ein ausgeprägtes 40 C HRISTIAN W INDLER , La diplomatie comme éxperience de l’autre. Consuls français au Maghreb (1700-1840), Genf 2002, 485-548. Der Tausch von Objekten in der indianisch-europäischen Diplomatie 275 Überlegenheitsgefühl gegenüber den Indianern. Das Bewusstsein, die Indianer lägen in der zivilisatorischen Entwicklung weit hinter den Europäern zurück, war bereits im 18. Jahrhundert vorhanden und entstand nicht erst im 19. Jahrhundert. Selbst William Johnson, der die frühneuzeitliche Akkulturation im „middle ground“ verkörperte, äußerte sich immer wieder abwertend über die Indianer. Auch hörte das Beschenken der Indianer nach dem Siebenjährigen Krieg keineswegs auf. Während Amherst die Lieferungen einstellte, machten britische Kolonialpolitiker andernorts weiterhin diplomatische Geschenke an die Indianer. Im 19. Jahrhundert lieferte die US-amerikanische Regierung nach wie vor Wirtschaftsgüter an die Indianer, die von Geberwie von Empfängerseite als „gifts“ bezeichnet wurden. Eine Untersuchung der Historikerin Jacki Thompson Rand über die Zirkulation von Gütern in einem Reservat der Kiowa-Indianer in der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt die vielfältigen Erwartungen, Selbstdefinitionen und unterschiedlich interpretierten Machtpositionen auf, die antagonistische Interessengruppen innerhalb des Reservats und die amerikanische Politik um die „Geschenke“ der Regierung an das Reservat aufbauten. 41 Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass das Geben von Gaben an die Indianer im 18. wie auch im 19. Jahrhundert viel Raum für Manipulationen und ebenso zahlreiche Deutungsmöglichkeiten der damit verbundenen Machtverhältnisse zuließ. 4. Resümee Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei diplomatischen Verhandlungen zwischen Europäern und Indianern im 18. Jahrhundert die europäische Seite die indianischen Gepflogenheiten weitgehend respektierte und in einzelnen Facetten übernahm. Was den Gabentausch innerhalb des diplomatischen Zeremoniells anbetraf, so übergaben die Europäer sowohl Objekte von symbolischer Bedeutung wie Tabak, Stöckchenbündel oder Wampum als auch Güter, die von materiellem Wert waren und den Indianern im Rahmen diplomatischer Verhandlungen als Geschenke gegeben wurden. Ob durch das Geben von Objekten kulturelle Grenzen überwunden wurden, ist nicht eindeutig zu beantworten. Obwohl sich einige Historiker mit guten Gründen dagegen aussprechen, scheint doch einiges dafür zu sprechen. Nicht zuletzt konnten in der konkreten Verhandlungssituation die sprachlichen Barrieren durch den Tausch von Objekten umgangen werden. Trotz aller interkulturellen Verständnisschwierigkeiten war es für die Europäer eine Möglichkeit, sich an die indianische Seite anzunähern. Indianer und Europäer standen sich nicht als mono- 41 J ACKI T HOMPSON R AND , Primary Sources: Indian Goods and the History of American Colonialism and the 19th-Century Reservation, in: Clearing a Path: Theorizing the Past in Native American Studies, N ANCY S HOEMAKER (Hrsg.), London 2002, 137-157. Ulrike Kirchberger 276 lithische Blöcke gegenüber, und man kann nicht von zwei hermetisch voneinander abgeschlossenen „Gabensystemen“ sprechen, die in der Kontaktzone aufeinandergeprallt wären. Es herrschte trotz aller Missverständnisse eine gewisse Durchlässigkeit, und es lassen sich Prozesse der wechselseitigen Angleichung im „middle ground“ nachweisen. Jede neue Verhandlung konnte, was die interkulturelle Verständigung durch Gabentausch anbelangte, unterschiedlich verlaufen und war abhängig von den jeweiligen Interessenlagen und Ausgangsbedingungen der beteiligten Geber und Empfänger. Ähnlich vielschichtig gestaltet sich das Problem, inwieweit soziale und ethnische Hierarchien und Machtgefälle in der Geschenkdiplomatie zwischen Europäern und Indianern zum Ausdruck kamen. Sowohl im imperialen Zentrum in London als auch an der kolonialen Peripherie wurde das Geben von Geschenken an die Indianer als wichtiges Kontrollinstrument betrachtet, mit dem das Bündnisverhalten der indianischen Seite beeinflusst werden sollte. Vor Ort spielten hierarchische Gesichtspunkte eine Rolle, wenn europäische „go-betweens“ versuchten, ihre Geschenke auf ihnen einflussreich erscheinende Persönlichkeiten zu fokussieren. Andererseits war das Geschenkegeben oft vage und vieldeutig und ließ auf indianischer Seite Handlungsspielräume offen, die ausgenutzt wurden, um die rivalisierenden Kolonialmächte gegeneinander auszuspielen und Geschenklieferungen in die Höhe zu treiben. Mit dem Schenken verbundene Machtverhältnisse wurden von Gebern und Nehmern unterschiedlich interpretiert. Register Kursiv gesetzte Seitenzahlen beziehen sich auf Anmerkungen. Personen - A - Ahmad al-Mansur (Sultan): 250 Albani, Francesco: 217, 220 Albrecht II. (Kaiser): 98 Albrecht VII. (Erzherzog, Statthalter in den Niederlanden): 213, 238 Alexander der Große: 34, 74 Algardi, Alessandro: 224 Algarotti, Francesco: 195 Algazi, Gadi: 15 Allori, Alessandro: 139f. Almero, Luigi: 223 Alvise I. Mocenigo (Doge von Venedig): 109, 112-115, 118 Amherst, Jeffrey: 29, 272-275 Ana Enriquez de Cabrera y Colonna (Herzogin von Albuquerque): 218 Anconitano, Marcello: 14 Anna (Erzherzogin von Österreich): 92 Anna (Kürfürstin von Sachsen): 45, 96, 98 Anna von Bayern: 92 Anton Günther (Graf von Oldenburg): 249 Appadurai, Arjun: 268f. Arcimboldo, Giuseppe: 98 Ariosto, Claudio: 118f. Asch, Wolf von: 231 August (Kurfürst von Sachsen): 88, 95, 97, 98-101 August d. J. (Herzog von Braunschweig-Lüneburg): 21 - B - Badoer, Andrea: 115 Balbi, Gasparo: 214 Barberini, Francesco: 28, 209, 216, 218-221, 223 Batoni, Pompeo: 196 Beaufort, Thomas (Herzog von Exeter): 33f. Becagut, Alexis: 14 Béhagle, Philippe: 181, 183 Bellièvre, Pomponne de: 105 Belosel’skij, Andrej Michajlovi 2 : 25, 194, 200f., 203, 205 Bély, Lucien: 158, 161 Benedikt XIII. (Papst): 44 Berain, Jean I: 24, 177f., 181-184, 186 Berry, Johann von (Herzog): 37, 43, 49f. Bhabha, Homi: 268 Boldù, Andrea: 117 Bologna, Giovanni (Giambologna): 27 Borghese, Scipione: 213, 218 Bouza, Fernando: 127 Bragadin, Vettor: 110, 117 Brais, Samuel De: 195f. Brehmer, Johann von: 25, 188 Brigantis, Giulio: 223 Brina, Francesco: 139 Brühl, Heinrich von (Graf): 25, 193- 205 Personen 278 Buch, Adolf Friedrich von: 199 Buontalenti, Bernardo: 146, 148f. Burschel, Peter: 17, 267 - C - Canale, Antonio de: 117 Cappello, Bianca: 23, 126, 132, 134f., 137f., 154 Cárdenas, Iñigo de: 252 Carl Wilhelm Friedrich (Markgraf von Brandenburg-Ansbach): 177 Carl, Ernst Ludwig: 25, 175f., 186, 188-192 Carlo Emanuele II. (Herzog von Savoyen): 137 Castiglione, Baldassare / Baldesar: 134 Catalina Micaela (Infantin von Spanien): 137 Caterina de’ Medici: 105, 107 Catillon (Juwelier und Goldschmied): 171 Cavendish, William (Herzog von Newcastle): 231 Cecchi, Alessandro: 210f. Cellini, Benvenuto: 26 Cene, Thomas: 242 Cesarini, Grovanni Giorgio: 137 Charlier, Marcelin (Seidenhändler): 172 Chauveau, René: 178, 180f. Christian II. (König von Dänemark): 248 Christian IV. (König von Dänemark): 252 Christian von Braunschweig: 249 Christine (Königin von Schweden): 249 Christodoulos (Erzbischof von Athen): 60 Cioli, Andrea: 210 Clemens VII. (Papst): 44, 244 Coello, Alfonso Sánches: 127f. Colonna, Ascanio (Kardinal): 137 Contreras, Isabell de: 132 Cortona, Pietro da: 222f. Cosimo II. de’ Medici (Großherzog der Toskana): 28, 210, 215 Cottington, Francis: 219, 252 Croghan, George: 261f. Cronström, Daniel: 24, 159, 175- 186, 192 Croissy, Colbert de: 248 - D - Dagly, Jacques: 191f. Dal Pozzo, Cassiano: 216f. Danza, Juan Bautista: 233 Delafresnay (Juwelier und Goldschmied): 171 Della Croce, Marsilio: 106, 118 Della Nera, Cencio: 146 Deschamps, Eustache: 45 Deuchler, Florens: 70f. Dietrichstein, Adam von: 21, 245f. Domenichino: 217 Dovara, Luigi: 132, 134, 153 Dowd, Gregory E.: 267 - E - Effner, Joseph: 191 Ehrenberg, Richard: 11 Elisabeth I. (Königin von England): 237 Elisabeth II. (Königin von England): 255 Elisabeth Charlotte von der Pfalz: 240 Emanuel Philibert (Herzog von Savoyen): 118 Ende, Leopold Nicolaus von: 201 Personen 279 - F - Farnese, Clelia: 137 Federigo II. Gonzaga (Markgraf von Mantua): 14, 237, 243 Federici, Cesare: 214f. Ferdinand I. (Kaiser): 87, 247 Ferdinand II. (Erzherzog von Tirol): 26, 245f., 253 Ferdinand II. (König von Böhmen): 95, 97f. Ferdinando de’ Medici (Kardinal): 137f., 152 Ferdinando I. de’ Medici (Großherzog der Toskana): 27 Fernando Álvarez de Toledo (Herzog von Alba): 238, 252 Ferre, Garcia: 231 Ferri, Ciro: 222f. Ferrier, Arnaud du: 106f., 110-113, 116, 118f. Ferrucci, Francesco: 139, 142 Fertullier (Juwelier und Goldschmied): 171 Finet, John: 251 Foscari, Alvise: 117 Foscarini, Giacomo: 114f. Foscarini, Zuane: 117 Foucquet, Jacques: 180 Fouquet, Jean: 49 Francesco I. de’ Medici (Großherzog der Toskana): 23, 27, 107, 125, 132-135, 138f., 146, 150, 152- 155 Francesco Gonzaga (Markgraf von Mantua): 14 Francisco Fernández de la Cueva (Herzog von Albuquerque): 218f. Franco, Veronika: 118 Franklin, Benjamin: 263, 269, 272 Franz I. (König von Frankreich): 26, 242f. Franz Xaver (Prinz von Sachsen): 193, 203f. Friederike Luise (Prinzessin von Preußen): 188 Friedrich August II. (Kurfürst von Sachsen und König von Polen als August III): 25, 193, 195, 197, 204 Friedrich Christian (Kurfürst von Sachsen): 25, 193 Friedrich Willhelm (Kurfürst von Brandenburg): 254 Fugger, Familie: 11, 20, 22, 237, 239 Fugger, Anton: 16f. Fugger, Jakob (der Reiche): 20 Fugger, Marx: 234, 236 Furetière, Antoine: 160, 162 - G - Galle, Philippe: 214 Gaultier (Seidenhändler): 172 Gheyn, Jacob II. de: 238 Gianfrancesco II. Gonzaga (Markgraf von Mantua): 241f. Giner, Juan: 233 Gloucester, Humphrey, Graf von: 33 Gonzaga s. Federigo II., Francesco, Gianfresco II., Vincenzo Gonzalez, Fray Pedro: 125 Granvelle, Antoine Perenot de (Kardinal): 127, 130 Gregor XIII. (Papst): 107, 210 Gueret (Knopfmacher): 172 Guicciardini, Piero: 210 Guildford, Edward: 244 Guyenne, Ludwig von: 33 Personen 280 - H - Hagedorn, Heinrich von: 202-205 Hainhofer, Philipp: 20f. Hardouin-Mansart, Jules: 175, 178, 180 Haro, Diego de: 233, 239, 252f. Haro, Luis de: 224 Haye-Vantelt / Haye de Ventelet, de la (Botschafter): 160, 168 Haye, Madame de la (Ehefrau des Botschafters): 167 Heineken, Carl Heinrich von: 25, 193-196, 204 Heinrich III. (König von Frankreich): 19, 103-120 Heinrich III. (König von Kastilien und Léon): 44 Heinrich IV. (König von England): 40 Heinrich V. (König von England): 17, 33f., 37, 49, 56 Heinrich VIII. (König von England): 237, 241-244, 251 Heller, Johann: 89 Henrion, Claude: 180, 185f. Herberstein, Sigmund Freiherr von: 247f. Heredia, Cristobal de: 233 Hinart, Louis: 181 Hohberg, Wolf Helmhardt von: 227, 234 Hörmann, Christoph: 23 Hubault, Jean: 180 Hueber, Caspar: 159 - I - Innozenz X. Pamphilj (Papst): 220 Isabeau de Bavière (Königin von Frankreich): 40, 44 Isabella Clara Eugenia (Infantin von Spanien): 213 Isabella von Bourbon (Königin von Spanien): 218 Isabella von Frankreich: 39 - J - Jakob I. (König von England): 251f. Jamnitzer, Wenzel: 88f., 91 Jennings, Francis: 265 Jiechi, Yang: 59 Johann Georg (Kurfürst von Brandenburg): 95 Johann Georg I. (Kurfürst von Sachsen): 97, 99f. Johann Manuel von Portugal: 91 Johann Ohnefurcht (Herzog von Burgund): 42f. Johann von Bedford (Regent von Frankreich): 33 Johannes Paul II. (Papst): 60 Johnson, William: 271f., 275 Jolanthe von Aragon: 43 Joseph II. (Patriarch von Konstantinopel): 59 Julius II. (Papst): 73 - K - Karl der Kühne (Herzog): 18, 61f., 69, 71-74, 76f. Karl IV. (Kaiser): 49 Karl V. (Kaiser): 86, 88, 243f., 253 Karl I. (König von England): 250f. Karl V. (König von Frankreich): 49 Karl VI. (König von Frankreich): 34, 37, 40, 43, 51 Karl VII. (Konig von Frankreich): 35 Karl IX. (König von Frankreich): 19, 26, 104, 107 Karl XI. (König von Schweden): 181- 185 Karl XII. (König von Schweden): 186 Personen 281 Karl II. (Erzherzog von Innerösterreich): 234 Katharina II. (Zarin): 25, 194, 199- 203 Keblusek, Marika: 155 Khevenhüller, Hans: 21f., 131, 231, 234, 239f., 246, 248f., 253 Kirkland, Samuel: 264 Klesl, Melchior: 98 Klinckicht von Clingenau, Christian Benjamin: 201 Knebel, Johannes: 74 - L - Lalande (Schneider): 171 Le Clerc, Sébastien: 178, 180f. Leclerc (Spitzenhändler): 172 Le Leu, Théodore: 195f. Lemke, Johann Philipp: 181, 183 Leo VI. von Lusignan (König von Armenien): 44 Leo X. (Papst): 73 Leopold I. (Kaiser): 166, 249, 254 Leopold IV. (Herzog von Österreich): 43 Lesgut (Kaufmann, Fächer): 171 Liaño, Gonzalo de (Gonzalillo): 23, 124-127, 129, 131-139, 141, 149f., 152-155 Liechtenstein, Hartmann von: 230 Liechtenstein, Karl Eusebius von (Fürst): 230 Ligozzi, Jacopo: 141, 145 Lipomano, Bartolomeo: 117 Lodovico il Moro (Herzog von Mailand): 173 Lope de Vega (Lope Félix de Vega Carpio): 197 Louis (Sohn Ludwigs XIV., Kronzprinz von Frankreich): 158 Ludwig (Herzog von Orléans): 44 Ludwig I. von Anjou: 109 Ludwig II. von Anjou: 43 Ludwig XI. (König von Frankreich): 46 Ludwig XIII. (König von Frankreich): 217 Ludwig XIV. (König von Frankreich): 84, 158f., 175 Ludwig XV. (König von Frankreich): 240 - M - Maillard (Handschuhmacher): 171 Mancini, Francesco Maria: 221 Manuel II. Palaioligos (byzantinischer Kaiser): 42 Maria Anna Christina (bayerische Prinzessin): 24, 158 Maria de’ Medici: 217 Maria von Habsburg (Kaiserin): 88- 91, 131, 133 Maria von Ungarn: 251 Marie-Antoinette (Königin von Frankreich): 166 Mariette, Jean: 189 Markham, John: 239 Martin (König von Aragon): 43 Martin, Jean-Baptiste: 181 Matthias (Erzherzog von Österreich und Kaiser): 92, 95, 97, 99 Mauss, Marcel: 15, 267 Max Emanuel (Kurfürst von Bayern): 24, 158f., 191 Maximilian I. (Herzog von Bayern): 21 Maximilian I. (Kaiser): 86 Maximilian II. (Kaiser): 21, 87f., 90, 92, 95, 98f., 105, 132, 245f. May, Bartholomäus: 73 Personen 282 Mayr, Martin: 24, 159f., 163-174 Mazarin, Jules (Kardinal): 220 Meaux, Jacques de: 178f. Medici (Familie): 27, 73, 125, 132, 138f., 150f., 152, 154f., 212 Medici, s. Caterina de’, Cosimo II. de’, Ferdinando de’ (Kardinal), Ferdinando I. de’ (Großherzog der Toskana), Maria de’ Meltinger, Ulrich: 61 Meuting, Anton: 23 Molena, Diego de: 196 Molière: 171 Mor, Anthonis: 127, 130 Moritz von Oranien: 238 - N - Neumann, Balthasar: 240f. Neville, Ralph (Graf von Westmoreland): 33 Neville, Richard (Graf von Warwick): 33 - O - O’Carroll, William: 199 Oesterreich, Matthias: 203f. Orlov (Familie): 203 Osten-Sacken, Johann Gustav Baron von der: 199, 201-203 Oudry, Jean-Baptiste: 189 Ozerkov, Dimitri: 203 - P - Panigarola: 69 Panin, Nikita Ivanovi : 200f. Panzani, Gregorio: 219 Parkh, Pery Juan: 98 Pasquier (Kaufmann, Bänder): 171 Paul V. (Papst): 28, 210, 212, 214 Perdrigeon (Kaufmann): 171 Pernstein, Wratislaw von (Böhmischer Kanzler): 97 Peter von Genf: 44 Pfaltz, Johann Gottlieb: 198, 200 Pfandzelt, Lucas Conrad: 201 Philipp der Kühne (Herzog von Burgund): 40, 43f. Philipp II. (Herzog von Pommern- Stettin): 21 Philipp II. (König von Spanien): 21f., 91, 123f., 131-141, 146, 150, 152-155, 218, 233f., 238f., 245f., 252f. Philipp II. von Orleans: 240 Philipp IV. (König von Spanien): 218, 224 Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg: 92 Phillipp III. (König von Spanien): 252f. Piazetta, Giovanni Battista: 195 Pietro, Andrea: 233 Pisan, Christine de: 35 Pisani (Familie): 110 Pistolin (Kammerdiener): 167 Pistorini (Kammerdiener): 166, 167 Pittoni, Giovanni Battista: 195 Poirier (Juwelier und Goldschmied): 171 - R - Raffael: 196 Ranke, Leopold von: 11 Ratto, Giovanni: 241f. Rechberg (Baron): 168f. Reinhold, Jacob Heinrich: 198 Ricci, Niccolò: 221, 223 Richard II. (König von England): 34, 39f., 43 Roberti, Ugo: 43 Personen 283 Roccatoni, Alessandro: 195f., 204 Rodengo, Giovanni Battista: 117 Rodrigues, Johann: 45 Roeck, Bernd: 21 Rohan (Kardinal): 240 Rohr, Julius Bernhard von: 14 Roncalli, Antonio: 117 Rossetti, Bartolommeo: 139 Rouillier (Postmeister): 164 Rudolf II. (Kaiser): 21, 95, 111, 131f., 231, 247, 253 Ruiz, Magdalena (Zwergin): 125, 127f., 137 Runtschau, Fridolin: 69 - S - Sacchetti, Giulio (päpstlicher Nuntius): 218 Saint Laurent, Yves: 59 Santen, Jan van: 213 Santucci, Antonio: 139, 144 Schickhardt, Heinrich: 114 Schilling, Diebold: 74 Schönborn, Johann Philipp Franz von: 240f. Schönborn, Lothar Franz von: 240 Schweigger, Salomon: 17 Seheult (Juwelier und Goldschmied): 171 Serguidi, Antonio: 154 Sforza, Fulvia: 137 Shakespeare, William: 17, 33, 35, 49, 51, 56 Sigismund (Kaiser): 86, 88 Simon VII. (Graf zur Lippe): 249 Sixtus IV. (Papst): 18, 74 Stählin, Jacob: 201 Stanhope, Philip: 199 Stella (Oberst): 115 Stella, Jacques: 219f. Straet, Jan van der: 214 Strozzi, Piero Vincenzo: 27, 210, 212f. Sturm, Johannes: 237 Suleyman der Prächtige (Sultan): 237 Syropoulos, Sylvestros: 59 - T - Talon, Louis: 195f. Tanaghrisson: 266 Targone, Pompeo: 213 Teedyuscung: 266 Tempesta, Antonio: 28, 212f., 217f. Tessin, Nicodemus d. J.: 24, 159, 175-181, 183, 186, 192 Tiepolo, Giovanni Battista: 195 Tilly, Johann t’Serclaes von: 249 Tintoretto, Jacopo: 118 Trautson, Hans: 92, 97 Tristán, Luis (Zwerg): 134 - U - Urban VIII. (Papst): 28, 216, 220 - V - Valois, Katharina von: 34 van der Velden, Hugo: 70 Veblen, Thorstein: 37 Vecchia, Antonio della: 110 Verba, Sidney: 79 Vernansal, Guy: 183 Villa, José Luis Moreno: 127 Villequier, René de: 112 Villeroy, Jean de: 40 Villiers, George (Herzog von Buckingham): 251 Vincenzo Gonzaga (Herzog von Mantua): 133, 154 Personen 284 - W - Wacker (Inspektor): 205 Wallenstein, Albrecht von: 254 Washington, George: 264f. Weber, Johann Baptist (Reichsvizekanzler): 92, 97 Weigert, Roger-Armand: 159 Weiser, Conrad: 262, 266 Wheelock, Eleazar: 260 White, Richard: 265, 267 Wilhelm I. (Herzog von Bayern): 43 Wilhelm I. von Oranien: 238 Windebank, Francis: 219 Windler, Christian: 16, 274 Wright, Benjamin: 239 - X - Xaver (Prinz von Sachsen) s. Franz Xaver Xenophon: 228 - Z - Zocha, Karl Friedrich von: 25, 177, 188f., 191 285 Geographische Namen - A - Alexandria: 43 Amerika: 23, 26, 29, 256, 275 Amsterdam: 238 Andalusien: 231, 245 Ansbach: 24f., 176, 186, 188-192 Antwerpen: 214, 239 Armenien: 44 Arras: 244 Asien: 23, 235 Augsburg: 17, 21, 23, 84f., 87f. Avignon: 43f. Azincourt: 34 - B - Bamberg: 240 Bayern: 23f., 95, 158f., 166f., 191, 253 Belgrad: 237 Berlin: 192 Bern: 18, 71, 74f., 77 Blumenfeld: 66f. Bologna: 125, 137, 217 Boston: 271 Brügge: 244 Brüssel: 244 Burgund: 35, 43f., 62, 69 - C - Calais: 243 Cartagena: 233 Ceylon, s. a. Sri Lanka: 27, 214 China: 14, 26f., 59f., 161 Conegliano: 106 Cordoba: 233f., 239, 247, 252f. Cremona: 106 - D - Dänemark: 158, 253 Delft: 244 Den Haag: 244 Detroit: 127, 131, 273 Dillenburg: 238 Dresden: 25, 27, 95-98, 100, 194, 196-199, 201-205 - E - Easton: 264f. Eidgenossenschaft s. a. Schweiz: 15, 18, 61, 69-74, 77 Einsiedeln: 71 England: 25, 33f., 39f., 42, 50, 137, 194, 203f., 209, 219, 236-239, 242f., 248, 250f., 273f. Eremitage: 201f. Escorial: 23, 123, 139, 141-144, 146, 150 - F - Ferrara: 59, 106, 242, 246 Flandern: 161, 213, 251 Florenz: 27, 73, 107, 123, 125f., 132f., 139, 141, 145f., 150, 152f., 209, 212, 214, 235, 244 Franken: 192 Frankreich: 15f., 19, 24, 33-39, 42f., 44f., 51, 56f., 62, 105f., 110, 113, 136, 157f., 163, 165f., 170, 174f., 177f., 181 186, 189f., 192, 194, 209, 216f., 220, 231, 237, 240, 242f., 251, 269, 274 Frantignan: 239 Friesland: 237 Geographische Namen 286 - G - Galway: 236 Genua: 73, 125, 233, 235, 244 Grandson: 18, 61, 68f., 72, 74 Großbritannien: 29, 199, 261-266, 269-275 - H - Halle: 188 Hohe Pforte, s .a Osmanisches Reich: 17, 27, 107, 111 Holland: 201 - I - Iberische Halbinsel: 22, 240 Irland: 236 Italien: 14, 22f., 27f., 42, 105, 107, 123f., 127, 132f., 135f., 138, 141, 149f., 154f., 195, 209, 215, 218, 221, 225, 228f., 233, 235f., 241- 244 - J - Jerusalem: 67 - K - Köln: 71, 75, 164 Konstantinopel: 14, 18, 42, 59f., 160 Krakau: 19, 105f., 119 Kreml: 27 - L - Languedoc: 239 Lepanto: 119 Lille: 244 Lipperode: 250 Livorno: 125, 154f. Lizzafusina: 112f. Logstown: 270 London: 28, 190, 202, 219f., 248, 255, 271f., 276 Louvre: 127, 130, 210f. Lübeck: 201 Luzern: 18, 69f., 72f. Lyon: 73, 105, 107 - M - Madrid: 24, 28, 91, 128f., 138, 140- 144, 153, 195f., 216, 218f., 221f., 232, 234, 251f. Magdeburg: 201 Maghreb: 16, 274 Mailand: 69, 73, 242, 244 Malmö: 181, 183 Mantua: 28, 106, 125, 133, 230, 242f., 253 Marokko: 250f. Marseille: 16, 239 Mestre: 106 Moskau: 202, 247 München: 24, 92, 159f., 162-165, 167f., 189f. Münster: 249f. Murano: 117 Murcia: 233 Murten: 62 - N - Nancy: 61 Neapel: 109, 233f. Neuss: 61 New York: 255, 262 Niederlande: 213, 237f., 243 Nieuwpoort: 238 Nordafrika: 28, 229, 235f., 242, 274 Nordamerika: 28, 257f., 268, 271f., 274 Nürnberg: 18f., 85-88, 90-94, 101, 175 Geographische Namen 287 - O - Ohio-Tal: 265f., 270 Öhringen: 188 Oldenburg: 28, 230, 249 Onondaga: 260 Osmanisches Reich, s. a. Hohe Pforte: 14, 17, 19. 99, 119, 235f., 248, 267 Österreich: 73, 233, 246, 253 - P - Padua: 106, 110, 112 Paris: 19, 24, 28, 34, 44, 59, 105f., 109, 119, 130, 151, 157-170, 172-177, 179f., 183, 186, 188f., 191f., 195f., 202, 211, 216, 240, 252, 272f. Peking: 59 Pennsylvania: 262, 265f. Pisa: 214, 235 Polen: 19, 105, 110, 148 Pontebba: 106 Portugal: 26, 137, 160, 235 Prado: 127f., 139f., 221f. Prag: 215, 231f., 245 Preußen: 194, 203f., 254 Provence: 239 Puškin-Museum: 202 - R - Rabat: 250 Regensburg: 21, 84, 86, 95, 100 Reims: 105 Rom: 27, 71, 125, 137f., 195f., 209f., 212, 214, 219f., 221, 224, 235 Rovigo: 106, 114, 117 Rumjancev-Museum: 202 Russland: 201 - S - Sachsen: 27, 95-100, 158, 193, 196f., 201, 204, 253, 255 Sacile: 106 Salé: 250f. San Daniele: 106 San Sebastian: 231 Saudi-Arabien: 255 Scarperia: 133 Schaffhausen: 67 Schwabach: 188f. Schwarzwald: 66 Schweden: 24f., 158f., 175-180, 184, 186, 192, 248 Schweiz s. a. Eidgenossenschaft: 73 Seeland: 238, 244 Sizilien: 109 Spanien: 21f., 26, 28, 99, 123f., 127, 131f., 135f., 138f., 141, 149f., 152, 154f., 195, 209, 216, 218, 221, 229, 231-234, 236-239, 243, 245-248, 251f. Speyer: 93 Spilimbergo: 106 Sri Lanka, s. a. Ceylon: 214 St. Petersburg: 25 Stockholm: 24, 175f., 178, 180-187, 192 Straßburg: 164f., 169f. - T - Toskana: 23, 27, 134 Treviso: 106, 117 Troyes: 35 Tunesien: 16, 235 Tunis: 16 Turin: 106, 125, 137 Türkei: 99, 108, 119, 235 Geographische Namen 288 - U - Uffizien: 150, 152, 211, 215 Ulm: 201 Utrecht: 238 - V - Veltlin: 216 Venedig: 19, 59f., 104-112, 114- 120, 125, 195, 235, 244 Venzone: 106 Verona: 210 Versailles: 24, 27, 158, 173, 177 Vincennes: 34, Virginia: 261, 263, 266, 270 Vogtland: 96f. Volterra: 139 - W - Weißenburg: 237 Wettingen: 71 Wien: 20, 73, 91, 98, 105, 229, 232, 245, 247, 249f. Würzburg: 240f. - Z - Zypern: 19, 108 289 Sachregister - A - Achat: 27, 209, 218, 221 Adelsrepublik: 19, 103, 109, 114f. Agent, s. a. Diplomat, Vermittler: 14, 23f., 124, 127, 132, 136, 138, 150, 152f., 155, 158f., 174f., 186, 192, 194f., 204, 219, 221, 223, 251, 255, 271 Alabaster: 139, 143, 203, 205, 210 Amethyst: 27 Aquamanile: 40 Atlas (Textil): 14 Audienz: 33, 111, 133, 168, 180 - B - Bekleidung, Accessoires: 99, 157-164, 166, 169f., 172f., 269 Beute: 18, 59, 61-72, 74-77, 227, 235-238 Bildhauer: 24, 180, 186, 189, 191 Bote s. Diploma Botschafter s. Diplomat Brokat: 14, 161, 166 Bronzefigur: 27, 59, 212 Bronzegießer: 24, 180 Bündnis: 15, 38, 45, 52, 107, 119, 124, 158, 250, 255, 258, 260, 265, 267, 270, 276 Burgunderschatz: 18, 61f., 69-77 - C - Christie’s (Auktionshaus): 202 - D - Damast: 14 Delegation: 258, 260f., 265f. Diamant: 18, 44, 61, 70, 72f., 77, 107, 112f., 118, 152f., 167, 172 Diplomat, s. a. Agent, Vermittler: 12- 17, 19-25, 27f., 33f., 37, 40f., 43, 45, 49, 59, 61, 69, 71f., 93f., 100 105-108, 110f., 114-118, 123f., 131, 138, 154f., 158f., 160, 163- 171, 173f., 181, 188, 192, 194- 197, 199-205, 210, 216, 218f., 231 233f., 239, 241, 244-255, 259, 261, 263f., 266, 269f., 273f. Dreißigjähriger Krieg: 249f. - E - Edelmetall s. Gold, Silber Elfenbein: 26 Erinnerungskultur: 262 Exotica: 16, 22f., 26f., 139, 212, 241, 255 - F - Fürstenspiegel: 14 - G - Gabe, s. a. Geschenk: 13-16, 18f., 28f., 37, 41-45, 57f., 63, 74f., 77, 80f., 83-86, 90f., 93-102, 104, 114, 118, 123f., 138, 152f., 248, 255, 257f., 262-272, 274f. Gefolge: 19, 33, 92, 95, 97, 109, 112, 117, 125, 134, 136, 166 Gemälde: 24f., 123, 127, 139, 161, 181, 183, 189, 193-205, 230, 238 Gesandter, Gesandtschaft, s. Diplomat Geschenk, s. a. Gabe: 13-20, 23f., 26f., 29, 34-58, 70, 74f., 77, 79f., 82-89, 91-104, 108-120, 123f., Sachregister 290 132, 135, 138, 149f., 152, 154f., 166, 203, 209f., 212-221, 224f., 229, 235, 237, 241f., 247, 249- 252, 254f., 257, 261, 263-267, 269-272, 274-276 Gold: 14, 17f., 20, 24, 26, 34, 37, 40, 42f., 50, 56, 61, 69-72, 74, 76f., 87, 92f., 97, 100, 109-112, 114- 118, 132, 134, 143f., 146, 150, 152, 161, 166, 172, 193, 212, 217, 219, 234, 237 Granat: 211, 217 - H - Heirat: 20, 23f., 35, 39f., 52, 73, 83, 132, 136f., 158f., 166f., 184, 188, 249, 251, 253 Herrschereinzug: 18f., 81, 83-87, 90, 93, 95f., 98, 101, 105f., 110, 113, 117, 227 Hinterglasmalerei: 139 Historismus: 11, 30 Hochzeit, s. Heirat Hundertjähriger Krieg: 33, 35, 39 - I - Ikone: 60 Indianer: 28f., 257-275 interkulturelle Beziehungen: 14, 22, 29, 261, 267f., 276 - K - Kabinettschrank: 21 Kardinalnepot: 28, 213, 216, 219 Kirchenschatz: 62, 68 Konsul, s. Diplomat Korrespondenz: 22-25, 116, 132, 134, 139, 152, 155, 159, 163f., 166, 171f., 174, 176f., 183, 186, 192, 194, 199, 247 Kulturtransfer: 21f., 24 Kunsthandwerker: 22, 27 Kunstkammer: 79, 96, 99, 111, 123 Künstler: 24f., 27f., 91, 127, 175f., 179f., 183, 186, 188f., 191f., 194, 200, 204, 209, 217f., 225 Kupferstich: 178, 189, 203, 228 Kupferstichkabinett: 193, 197, 202f. Kurier, s. Diplomat Kuriositäten: 16, 125, 137f., 150, 155, 251 - L - Lapislazuli: 27, 146, 209f., 212f., 217, 219, 224 Legat, Legation s. Diplomat Luxuswaren: 17, 21-24, 26f., 36f., 40f., 45f., 51, 54, 57f., 63, 77, 138, 150, 157-160, 162, 173- 177, 189, 192, 195, 218, 225, 240f., 247, 253, 255, 266, 269 - M - magnificentia principis: 19, 119 Maler: 118, 139, 141, 179f., 196, 210, 213, 219 Meißner Porzellan: 26f. middle ground: 260, 267f., 275f. Mittelsmann: 112, 138, 158, 168 - N - Norm: 46, 49, 54, 57, 68, 80f., 84, 101f., 134 Nuntius: 218, 221 - O - Öffentlichkeit: 19f., 26, 49, 60, 67, 83, 101, 104, 113f., 120, 166, 173 Ornamentmaler: 24, 178f. Sachregister 291 - P - Pala d’Oro: 59f. passeport: 24, 158, 160-166, 172f. Perlmutt: 211, 215 Pietra Dura: 150, 152, 218 Plünderung: 18, 59f., 62f., 66f., 74, 77 Pontiac’s War: 29, 273 Porträt, s. Gemälde Porzellan, s. a. Meißner Porzellan: 14, 26f., 150f., 194, 198, 247 Prestige: 36, 49f., 54, 116, 119, 229, 241, 269 - R - Ratsherr: 20, 73 Raubtierfelle: 16 Regierungslehre, s. Fürstenspiegel Reichsstadt: 18f., 79, 81, 83-87, 90- 96, 101f., 250 Reichstag: 21, 79, 86f., 93 Relief: 89, 139, 224 Reliquien: 18, 24, 61f., 67, 70f., 75f., 91, 139, 146 Repräsentation: 17, 19, 26, 28, 45, 57f., 79, 91, 98, 101, 103, 105, 116, 119, 124, 166, 173, 227, 229, 235, 239, 241, 244, 250, 255 Rites de passage: 117, 119 Ritual: 19, 64, 67, 72, 76f., 105, 119, 261f. Rubin: 40, 70, 153 - S - Saliera: 26 Samt: 14, 110, 166, 211, 237, 252 Saphir: 44, 70, 153 Schatz: 18, 21, 34, 36, 61-77 Schenkbuch, -verzeichnis: 14, 79, 84, 88, 118 Schenkraum: 19, 30, 102 Schenkung: 15, 19, 47, 54, 71, 75, 79-85, 87, 94-97, 101-104, 113, 250, 253, 267 Siebenjähriger Krieg: 25, 29, 196, 257, 271-275 Silber: 14, 17, 26, 61, 71, 86f., 91, 93, 112, 116, 161, 166, 172, 211, 217, 219, 224, 237, 242, 266 Skulptur: 24, 59, 123, 139, 194, 202- 205 Smaragd: 154, 211 Spieltheorie: 17, 46f., 50 Steinmalerei: 209f., 215, 225 - T - Tausch: 13-16, 19, 22, 24, 27-30, 36f., 39-47, 51, 57, 63, 65, 75, 77, 80f., 83, 101f., 108, 113, 123f., 153f., 159, 176, 178, 186, 227, 230, 234-237, 241-247, 249, 253, 255, 257f., 261-264, 267f., 274f. Tribut: 16, 138 Triumphzug: 67 - U - Unterhändler s. Diplomat - V - Veblen-Effekt: 36f. Verhandlung: 12, 18, 21, 23, 25, 29, 38, 45, 73, 76f., 95, 102, 107, 153, 158, 160, 181, 196, 199- 203, 205, 215, 235, 249f., 255, 257f., 260-266, 268f., 272, 274f. Vermittler, s.a. Agent, Diplomat: 21, 23, 73f., 77, 155, 168, 204f., 230 Sachregister 292 Vertrag: 16, 29, 35, 68, 152, 158, 179f., 192, 198, 235, 244, 255, 258f., 262, 272 via triumphalis: 19, 105, 119 Votivtafel: 18, 76 - W - Wampum: 29, 259, 261f., 268, 273, 275 Westfälischer Friede: 250 - Z - Zeichnung: 24, 139, 141, 146, 174f., 181, 184-187, 192, 204, 213f., 223 Zeremoniell: 13, 16, 18, 28f., 82, 103, 105, 112, 117, 119, 228, 248f., 258, 261f., 268, 275 Ziborium: 139, 143 Zucker: 112, 118 Autoren und Herausgeber M AGDALENA B AYREUTHER , Doktorandin, Otto-Friedrich-Universität Bamberg PD D R . U LF C HRISTIAN E WERT , Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte P ROF . D R . M ARK H ÄBERLEIN , Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Lehrstuhl für Neuere Geschichte PD D R . J AN H IRSCHBIEGEL , Akademie der Wissenschaften zu Göttingen/ Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Projekt „Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)“ C HRISTOF J EGGLE , Bamberg D R . M ICHAEL J UCKER , Universität Luzern, Kultur- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Historisches Seminar PD D R . U LRIKE K IRCHBERGER , Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Neueste Geschichte D R . U TE C HRISTINA K OCH , Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister E VELYN K ORSCH , Venedig D R . S USANNE K UBERSKY -P IREDDA , Bibliotheca Hertziana, Max- Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom J OHANNA B EATE L OHFF M.A., Castrop-Rauxel D R . M ARTIN P OZSGAI , Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln/ Schweiz P ROF . D R . H ARRIET R UDOLPH , Universität Regensburg, Lehrstuhl für Neuere Geschichte D R . S ALVADOR S ALORT P ONS , Detroit Institute of Arts C ORINNE T HÉPAUT -C ABASSET , Victoria & Albert Museum London, HERA research project „Fashioning the Early Modern: Creativity and Innovation in Europe 1500-1800“