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Sinnkrieger

Die sechs Stufen zu mehr Sinn bei der Arbeit

0917
2014
978-3-8649-6527-2
978-3-8676-4491-4
UVK Verlag 
Susanne Dietz

Eine Frage, die uns Menschen schon immer beschäftigt, ist die nach dem Sinn im Sein und Tun - nicht mehr (nur) im privaten Kontext, sondern gerade auch im beruflichen. In einer Kultur des täglichen Krieges zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind die Sinnsucher in Unternehmen schnell frustriert. Angesichts vieler Sinnlosigkeiten in Unternehmen packen sie demotiviert ihre Sachen und wandern zum nächsten Arbeitgeber - in der Hoffnung dort Sinn zu finden. Denn die Zeiten, da man zur Arbeit geht, um allein sein Geld zu verdienen, sind vorbei. Unternehmen, die morgen noch erfolgreich sein wollen, müssen vor allem eines leisten: Raum für Sinn geben, um so das wertvolle Potenzial der sinnsuchenden Mitarbeiter auszuschöpfen und für unternehmerischen Erfolg nutzbar zu machen.

<?page no="2"?> Susanne Dietz Sinnkrieger <?page no="3"?> Dr. Susanne Dietz ist seit ihrem Studium (Psycholinguistik, Soziologie und Theaterwissenschaft) in unterschiedlichen Branchen als Business-Expert, Unternehmensberaterin, Personalentwicklerin und Dozentin tätig. Ihre Projekte, stets mit Sinn im Fokus, haben vielfach und höchst erfolgreich sinnstiftende Kultur etabliert. Ihr Glaubenssatz für alle Entwicklungsmaßnahmen lautet: Wenn es für den Einzelnen persönlich eine gewinnbringende Investition an Lebenszeit darstellt, dann macht es Sinn - für das ganze System. <?page no="4"?> Susanne Dietz Sinnkrieger Die sechs Stufen zu mehr Sinn bei der Arbeit UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz und München <?page no="5"?> A Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 978-3-86764-491-4 (Print) ISBN 978-3-86496-526-5 (EPUB) ISBN 978-3-86496-527-2 (EPDF) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2014 Einband: Susanne Fuellhaas, Konstanz Layout: Horst Bachmann, Weinheim Satz und Seitengestaltung: Petra Bachmann, Weinheim Redaktion: Annette Güthner Einbandfoto: © hoodesigns, iStockphoto LP Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24, 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0, Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="6"?> ? WDJhF+,)M.cMIfJDI, WDJhF+,)M.cMIfJDI, 41.(1.+ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 ! IDFMI+*DK: ! IDM DM*M `.h . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 { Die Relevanz von Kaffeestehpausen - Ein Erfahrungsbericht über klassische Sinnlosigkeit . . . . . . . . . 10 { Ein neues Zeitalter der Arbeitswelt - Warum Arbeitgeber und Arbeitnehmer umdenken müssen, um morgen noch erfolgreich zu sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 [ 7IDD I,+ IEEM. MIDM WD)M,+I+I1D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 { Missbrauch von Lebenszeit - Warum Zeit ein Geschenk ist, das es sinnvoll einzusetzen gilt . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 { Wer Sinn will, muss geben - Über die Notwendigkeit von aktivem Handeln . . . . . . . . . . . . . . . 27 { Für ein Eis mach ich fast alles! - Wie uns uralte Erziehungsmodelle prägen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 { Panem et circences - Warum Sättigung unser größtes Motivationsproblem ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 { Warum Sinn immer eine Investition ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Z 7IDD I,+ Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 { Der Bushman von San Francisco - Der gute Grund, jeden Tag aufzustehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 { Gute Gründe sind nichts anderes als Werte - Über die Definition des Wertebegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 { Wofür wir zu sterben bereit sind, dafür leben wir - Über die Identifikation von Werten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 { Die Konstruktion der Wirklichkeit - Wie Perspektiven unsere Werte definieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 { Warum Sinn harte Arbeit mit Werten ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 <?page no="7"?> > WDJhF+,)M.cMIfJDI, B 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 { Vertrauen ist Sinn, Kontrolle ist Un-Sinn? - Über Vertrauen als Vorschuss für Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 { Wer vertraut, hat zwei Hände frei - Warum Vertrauen ein Erfolgsfaktor ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 { Drei Säulen: Gerechtigkeit, Transparenz und Ehrlichkeit - Die Ursachenidentifikation von Sinnlosigkeiten . . . . . . . . . . . . . 72 { Hinken Arbeitgeber hinterher? - Warum Mitarbeiter mehr Sinn fordern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 { Warum Sinn immer Vertrauen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 A 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ 91 { Blindes Fischen nach Talenten - Warum es die richtigen Werte für die richtigen Mitarbeiter braucht . . . . . . . . 92 { Sich gegenseitig die besten Seiten spiegeln - Warum Sinn ein Du braucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 { Rosarote Brillen und Spielerfrauen - Warum es Sinn macht, wenn man Werte teilt . . . . . . . . . . . . . . . . 102 { Wertekollision - Die Schwierigkeit, in einer freien Welt Sinn zu stiften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 { Warum Sinn Bestätigung im Du ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 ? 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK . . . . . . . . . . . 123 { Sinn hat in der Regel Verspätung - Über den Glauben an Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 { Antworten geben, bevor die Frage gestellt wird - Warum Sinn die wertvollste Ausschüttung jeder Investition ist . . . . . . 128 { Gestalten wollen, Endlichkeit überwinden - Warum alle Menschen Sinnkrieger sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 { Burnout und andere Krankheiten - Warum Sinnlosigkeit uns Gesundheit und Leben kostet . . . . . 137 { Warum Sinn eine großartige Ausschüttung ist . . . . . . . . . . . . . . . 143 <?page no="8"?> = WDJhF+,)M.cMIfJDI, > 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 { Hier bin ich richtig - Wie Wertetreue unsere Entscheidungen unterstützt . . . . . . . . . 148 { Beibehalten, erhöhen oder verringern? - Warum wir stets drei Möglichkeiten haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 { Freiheit bedingt Verantwortung - Warum wir Sinn selbst in der Hand haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 { Job-Hopper und Sinnverschieber - Wenn Freiheit, Gestaltungsspielraum und Verantwortung fehlen . . . . . . . . . . . . 164 { Warum Sinn eine Entscheidung ist, jeden Tag aufs Neue . . . . . 170 = 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" . . . . . . . . . . 173 { Hop oder top - Warum manche erfolgreich werden müssen und andere scheitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 { Vertrauenskultur und Wertebewusstheit - Ausbruch aus der negativen Sinnspirale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 { Helden, Affen und Burnout - Was man über Kultur wissen muss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 { „… selbst Sterne knallen manchmal aufeinander“ - Herausforderungen sinnambitionierter Unternehmen . . . . . . 193 { Win-win - Was Mitarbeiter glücklich und Unternehmen erfolgreich macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 9*MFFMD)M.cMIfJDI, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 <?page no="9"?> < 41.(1.+ 41.(1.+ „Daß das Leben des Menschen nur ein Traum sei, ist manchem schon so vorgekommen, und auch mit mir zieht dieses Gefühl immer herum. Wenn ich die Einschränkung ansehe, in welcher die tätigen und forschenden Kräfte des Menschen eingesperrt sind; wenn ich sehe, wie alle Wirksamkeit dahinaus läuft, sich die Befriedigung von Bedürfnissen zu verschaffen, die wieder keinen Zweck haben, als unsere arme Existenz zu verlängern; und dann, daß alle Beruhigung über gewisse Punkte des Nachforschens nur eine träumende Resignation ist, da man sich die Wände, zwischen denen man gefangen sitzt, mit bunten Gestalten und lichten Aussichten bemalt - das alles, Wilhelm, macht mich stumm. Ich kehre in mich selbst zurück, und finde eine Welt! Wieder mehr in Ahnung und dunkler Begier als in Darstellung und lebendiger Kraft. Und da schwimmt alles vor meinen Sinnen, und ich lächle dann so träumend weiter in die Welt.“ Johann Wolfgang von Goethe: „Die Leiden des jungen Werther“ (22. Mai) 1 Die Idee, dieses Buch zu schreiben, entstand weniger aus Un- Sinn als vielmehr aus einem tiefen Verlangen nach Sinn. Lange Erfahrungsepisoden von Sinnlosigkeiten, welche ich selbst erleben und beobachten durfte, haben mich schlussendlich dazu gebracht, dem Thema Sinn eine zentrale Bedeutung meiner Profession zuzuschreiben. Zu oft habe ich mich über ineffiziente Meetings, ungerechte Strukturen oder Intrigen der Belegschaft geärgert und mich dabei stets gefragt: „Wie kann man eigenverantwortlich etwas an diesen Sinnlosigkeiten der Arbeit ändern? Sind wir alle diesen Sinnlosigkeiten wirklich ausgeliefert? Und wie kann ich endlich mehr Sinn in der Arbeit erfahren und weniger frustriert am Feierabend nach Hau- <?page no="10"?> ; 41.(1.+ se kommen? “ Ja, ich wollte endlich wieder mit Freude und Sinn zur Arbeit gehen. Ich wollte einfach, dass es Sinn macht. So habe ich in Zeiten der Sinnlosigkeiten sehr viel beobachtet, wissenschaftlich recherchiert und eine kleine eigene Studie zu den Sinnlosigkeiten der Arbeitswelt initiiert. Aus dieser intensiven und langen Arbeit sind „Die sechs Stufen zu mehr Sinn“ entstanden: ein Modell, das aufzeigt, wie es gelingen kann und was es braucht, damit jeder von uns Sinn im Sein und Tun erfährt; ein Modell, das sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber erfolgreich macht; ein Modell, das uns schlussendlich zur eigenen Sinnerfahrung und zu einem zufriedeneren und glücklichen Leben führen wird. Im Folgenden möchte ich mit Ihnen gerne eine Reise in unsere moderne Arbeitswelt machen und in die Welt des Sinns und Un-Sinns in Unternehmen. Ich möchte aufzeigen, wie einfach es in sechs Stufen gelingen kann, Sinn zu finden, welcher Voraussetzungen es bedarf und welches Hintergrundwissen man benötigt. Jeder Stufe zu mehr Sinn habe ich ein eigenes Kapitel gewidmet, in welchem eigene Beobachtungen, Problemstellungen, Hypothesen, weiterhin wissenschaftliche Begründungen und auch Grenzen, Risiken und Gefahren Platz finden. Am Ende eines jeden Kapitels ist immer Raum und Zeit für eine kompakte Zusammenfassung sowie eine Einladung an Sie, sich anhand der gestellten Reflexionsfragen auf eine ganz persönliche Reise zu mehr Sinn zu begeben. „Sinnkrieger“ soll zeigen, wie einfach es gelingen kann, Sinn zu erfahren, was man braucht und selbst tun kann, um Sinn zu finden, und wie man die wertvolle Erkenntnis erlangt, wie das Prinzip „Sinn“ funktioniert. Wer es einmal im Kern verstanden hat, kann damit nahezu jede verzwickte Situation im Arbeitsalltag auflösen. Ich möchte Sie einladen, sich anhand von anspruchsvollen Modellen, Überlegungen und <?page no="11"?> [\ ! IDFMI+*DK Impulsen auf die ganz individuelle Reise nach mehr Sinn zu begeben und damit mehr Freude und Inhalt in der Arbeit, im Leben und im Sein zu erfahren. Gleichzeitig kann es so gelingen, einen wesentlichen Beitrag zu einem sinnvolleren Arbeitsalltag und damit zu einer modernen Unternehmenskultur zu leisten sowie eine sinnstiftende und zeitgemäße Kultur in Unternehmen zu etablieren. Ohne große Anstrengung werden wir so zu selbstmotivierten Leistungsträgern, die ein Unternehmen erst erfolgreich machen und auszeichnen. Mein Buch soll Plädoyer und gleichzeitig Chance sein, sowohl für Mitarbeiter als auch für Arbeitgeber, um endlich Sinn im Arbeitsalltag zu finden, Sinnlosigkeiten Adieu zu sagen und erfolgreich, sinnerfüllt und glücklich zu werden. ! IDM DM*M `.h "IM <MFM*eD` *2D UeLLMM-,MJ1e+-MD R ! ID ! / LeJ/ +DK-dM/ IcJ, @dM/ GFe--I-cJM ; IDDF2-IKGMI, f5MI,21,IEIM/ ,MO SI"eK-1e+-MD „Fiiiep! “ Ein gellender Piepton schallt durchs Treppenhaus, in einem ganz gewöhnlichen Bürogebäude, an einem ganz gewöhnlichen Tag, mit ganz gewöhnlichen Mitarbeitern. Völlig außer Rand und Band sieht man vier Personen zur Ausgangstüre hasten, welche zuvor noch ganz entspannt die Treppe herunterschlenderten, gemütliche Zwischenstopps auf der Toilette einlegten und hier und da auf dem Weg nach unten ein Schwätzchen hielten. Nein - es ist kein Feueralarm, der diese vier Mitarbeiter derart in Panik versetzt. Es ist ein schwarzes Kästchen an der Wand, vor welchen alle vier Ge- <?page no="12"?> [[ ! IDFMI+*DK ! IDM DM*M `.h stalten schnell hintereinander weg einen Chip halten, bevor sie zum Ausgang stürzen. Es ist die Zeiterfassungsuhr, die diesen schrillen Ton beim Ausstempeln erzeugt und damit den Beginn der Mittagspause einläutet. Ein alltägliches Szenario, pünktlich zur Mittagszeit, gegen 11: 50 Uhr: Völlig abgehetzt laufen unsere vier Mitarbeiter ins Freie und zur benachbarten Kantine. Dort angekommen, wirft sich der Erste wagemutig durch die Drehtür, und wie in einer abgesprochenen Choreografie rasen die anderen drei hinterher, werden auf der Innenseite des Gebäudes wieder ausgespuckt. Würden Sie die Truppe fragen, warum sie denn so hetzen, würden Sie wohl nur zur Antwort bekommen: „Es geht um kostbare Zeit.“ Man schnappt sich schnell ein Tablett (um diese Uhrzeit ist die Schlange an der Essensausgabe noch am kürzesten), entscheidet sich gegen das Tagesangebot, das „ja so überteuert“ ist, und wählt lieber die „Trick 17-Variante“: das Büffet. Hier gibt es kleine und große Teller. Natürlich nimmt man die kleinen günstigeren Teller und schichtet Bratwurst, Ananas, Salat, Erbsenpüree übereinander. Wer ganz clever ist, versteckt noch vom teuren Antipasti-Büffet ein paar Artischocken oder getrocknete Tomaten unter der Wurst. Diesen schwindelerregenden Turm an Essensvariationen balancieren unsere vier Mitarbeiter gekonnt zur Kasse, an der selbst der freundliche Kassierer mit keinem Wort beachtet wird. Denn man muss schleunigst weiter. Schnell suchen sich alle einen Platz, und jeder schlingt dann sein Essen hinunter. Während dieser Zeit fallen genau zwei Sätze: Der Letzte, der sich setzt, sagt „Guten Appetit“, was die anderen mit einem grummeligen „Guten“ erwidern. Und der Letzte, der mit Schlingen fertig ist, gibt das Zeichen zum Aufbruch: „Wir können“. In Windeseile packen dann alle vier gleichzeitig ihre Mäntel und balancieren gekonnt ihre leeren Tabletts über die Köpfe der anderen Kantinengäste hinweg. Das Tablett entsorgt, <?page no="13"?> [Z ! IDFMI+*DK nehmen die vier wieder Anlauf durch die Drehtür, als wollten sie den Schwung nutzen, um extra schnell wieder zurück ins Bürogebäude zu kommen. Dort im Laufschritt angekommen, winkt endlich Erlösung von der wilden Hetzerei: Die Zeiterfassungsuhr ist in Sicht. Schnell halten die vier ihren Chip wieder hintereinander vor das Gerät, und das schrille Fiiiep! , das die wilde Raserei in Gang gesetzt hat, erlöst unsere vier Ritter der kostbaren Zeit von ihrer Hetze. Es ist jetzt etwa 12: 17 Uhr. Man kann ein leichtes Schnaufen und Röcheln hören - eine Stimmung der Erleichterung macht sich breit. Ein Kollege schleicht nun erst einmal in die Cafeteria im Erdgeschoss und holt sich etwas kostenloses Obst oder etwas Süßes, auch in der Hoffnung, dort jemanden zum Plausch zu treffen, der einen noch länger von der Arbeit abhält. Der andere Teil des Vierergestirns schlendert in Zeitlupe die zwei Stockwerke nach oben. Jetzt geht erst wieder jemand auf die Toilette, jemand anders holt sich einen Kaffee. Und nun folgt der wichtigste Part der Mittagspause und damit der erholsame Teil: die sogenannte Kaffeestehpause. Hier geht es nun nicht mehr um kostbare Zeit, die man auf seinem Zeiterfassungskonto vermehren muss. Man gesellt sich im Stehen - weil das gut für den Rücken ist - mit der eigenen Kaffeetasse um einen Bistro-Tisch, ein Kollege präsentiert vielleicht eine der Büro-Yoga-Übungen aus seinem aktuellen Kurs. Um die Stimmung etwas anzuheizen, echauffiert man sich gleich einmal über einige Kollegen, besonders über diejenigen, welche doch die Frechheit besitzen, am Nachmittag 10 Minuten lang Kicker in der Cafeteria zu spielen, OHNE vorher an der Zeiterfassung auszustempeln. Wir wissen ja: Tratsch und Klatsch verbindet. Diese Kaffeestehpause dauert im Schnitt bis ca. 13: 00 Uhr und damit knapp 45 Minuten. Die Länge der Kaffeestehpause ist von einer abhängigen Variable bestimmt, die da lautet: „Anwesenheit Chef “. Ist der <?page no="14"?> [B ! IDFMI+*DK ! IDM DM*M `.h Chef nicht im Büro, dauert die Pause auch schon mal länger als bis 13: 00 Uhr; ist er allerdings im Haus, hört man ihn „dank“ seines lauten Gangs bereits eine halbe Minute vor seinem Eintreffen im Büro. So haben die vier genügend Zeit, ihre Stehpause aufzulösen und sich schnell beschäftigt an den Schreibtisch zu setzen. Manchmal aber sind die vier Ritter der kostbaren Zeit derart in ihre Lästereien und Yoga-Übungen vertieft, dass sie den Chef erst bemerken, wenn der schon im Raum steht. Sofort verstummt das Gespräch, und jeder der vier setzt sich brav und leicht verstört von der plötzlichen Unterbrechung an den eigenen Schreibtisch, glotzt dann apathisch und zugleich angestrengt auf den Bildschirm - wo man News der BILD-Zeitung oder Gala lesen kann. 6e- L@/ MIDM ! DM/ KIM*M/ -cJ)MDb+DK8 Als ich dieses Szenario in einem meiner Angestelltenverhältnisse tagtäglich beobachten konnte, hatte ich nicht nur viele Fragezeichen im Kopf, nein: ich war regelreicht erschöpft. Wie anstrengend muss es sein, all die Energie aufzuwenden, nur um am Ende des Tages sagen zu können „Dem Laden habe ich’s wieder gezeigt! Ich habe kostbare Zeit gesammelt und möglichst wenig gearbeitet.“? Wie viel Energie kostet es Mitarbeiter, den Arbeitgeber nach Strich und Faden auszunutzen? Angesichts von „zeitoptimierten“ Mittagspausen und ähnlichen Arbeitsvermeidungsstrategien in deutschen Unternehmen macht sich in mir ein ungutes Gefühl breit. Alleine wenn ich sehe, wie verkrampft und leidvoll viele ihren Arbeitstag verbringen und laut durchschnaufen, sobald sie das Fiepen der Stechuhr am Abend hören, dann verkrampfe ich selbst. Wie viel Kraft und Energie da aufgewendet werden, um den Arbeitgeber auszutricksen und ein Gefühl der Überlegenheit mit nach Hause zu nehmen! Ist es das wert? Warum nur? Das macht doch keinen Spaß. Und es macht auch keinen Sinn. <?page no="15"?> [A ! IDFMI+*DK 9ELMFb bM- SI--,/ e+MD- Ich frage mich, wie ein Arbeitgeber das ertragen kann: zu wissen, dass die Mitarbeiter nur deshalb ihren Job machen - und den nicht einmal besonders gut -, weil das Unternehmen ein ausgewiesenes Kontroll- und Überwachungssystem etabliert hat. Das muss ein ähnliches Gefühl sein, als würde man nur wegen seines Geldes geliebt werden. Wenn ich sehe, wie verbittert und verkniffen, mit fahlen grauen Gesichtern und zugekniffenen Äuglein manche Mitarbeiter durch die grauen Gänge deutscher Unternehmen schleichen und hinter jedem Aktenschrank eine Gemeinheit des Arbeitgebers vermuten, dann blutet mir fast das Herz. Wie schlimm muss es sein, den Großteil der eigenen kostbaren Lebenszeit in einem Umfeld zu verbringen, in dem man nur Schlechtes gegen die eigene Person vermutet? Wie schlimm muss es sein, in einer Umgebung zu arbeiten, welche nur aus Regeln, Verboten und Misstrauen besteht? Wie anstrengend muss das alles sein? Und dabei sollte doch die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine symbiotische sein: zwei Lebensformen, die sich gegenseitig bedingen und durch die Existenz des anderen erst kraftvoll werden. ! ID DM+M- 5MI,eF,M/ bM/ %/ dMI,-)MF, R 6e/ +E %/ dMI,KMdM/ +Db %/ dMI,DMJEM/ +EbMDGMD E@--MD_ +E E2/ KMD D2cJ M/ L2FK/ MIcJ `+ -MID Y+,M %/ dMI,-G/ .L,M LMJFMD Die aktuellen Zahlen des Bundesinstituts für Arbeit sind alarmierend: Zwischen 2010 und 2030 werden geschätzt 19 Millionen Arbeitnehmer aus dem Berufsleben ausscheiden. Die Zahl der Berufseinsteiger hingegen liegt bei nur 15,5 Millionen (Stand Dezember 2012) 2 . Auf dem deutschen <?page no="16"?> [? ! IDFMI+*DK ! IDM DM*M `.h Arbeitsmarkt fehlen Fachkräfte, auch heute schon. Der War for Talents hinterlässt nicht erst seit gestern tiefe Spuren auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Und das ist erst der Anfang. Der Kampf um die besten Köpfe auf dem Markt wird härter, rauer, ausnahmslos. Demografiewandel, Fachkräftemangel und Wirtschaftskrisen leisten dazu ihren Beitrag. Um an der Spitze der Top-Performer deutscher Unternehmen bestehen zu können, gilt es für Arbeitgeber, nicht nur ihre Strategien zur Erhöhung der eigenen Arbeitgeberattraktivität umzustellen, sondern vor allem tief im Wesenskern umzudenken. XeF,+DK bM- YMKMDMIDeDbM/ - +Db bM/ U2D,/ 2FFM Die Realität lässt vielerorts Zeichen des Umbruchs und des Umdenkens vermissen. Blickt man derzeit in deutsche Unternehmen, so sind deren Kulturen geprägt von strengen Kontrollapparaten und überwachendem, autoritärem Führungsstil, so wie das auch schon vor Jahrzehnten war. Gleichzeitig können Sie aufseiten der Mitarbeiter eine Söldner- und Schmarotzer-Mentalität erkennen sowie eine Kultur unzähliger Sinnlosigkeiten. Das macht auf Dauer schlechte Stimmung und ist wenig zeitgemäß. Die Mitarbeiter sind frustriert, verärgert und gelangweilt. Da haben Sie Pausenzeiten-Optimierer, Büro-Yoga-Verfechter, Kaffee-Feen, Intrigen-Spinner, Selbst- Beweihräucherer, Berufsautomaten und all die anderen Kollegen, die den Anschein machen, als würden sie den lieben langen Tag nichts weiter tun, als entweder in ihrer „selbstbestimmten“ Rolle aufzugehen oder aber neue Beschäftigungen zu suchen, die sie von der Arbeit abhalten. Aber wirklich arbeiten für das, wofür man laut Arbeitsvertrag bezahlt wird, tut hier niemand. Stattdessen werden Unternehmen mit Sinnlosigkeiten verpestet und auch der letzte motivierte Mitarbeiter frustriert. Sowohl auf Arbeitgeberals auch auf Arbeitnehmerseite wird damit viel zu viel Energie aufgewendet, um einen <?page no="17"?> [> ! IDFMI+*DK Krieg gegeneinander auszutragen, einen Krieg frei nach dem Motto: „Wer kann den anderen besser ausnutzen? “, einen sinnlosen Krieg, der weder Mitarbeiter noch Unternehmen voranbringt. Die Arbeit scheint hier längst in den Hintergrund getreten zu sein. Frustration und hohe Fluktuationsraten kosten deutsche Unternehmen jährlich Summen in Millionenhöhe. 9D,M/ DMJEMD J.DKMD ID eF,MD S2bMFFMD R 6e- -IcJ *M/ .DbM/ , Je, Was steckt hinter diesem Krieg? Manche sprechen davon, die Mitarbeiter von heute hätten an ihre Arbeitgeber und an den deutschen Arbeitsmarkt zu hohe Erwartungen. Das mag vielleicht in manchen Bereichen richtig sein. Doch haben sich die Menschen, die Gesellschaft und auch die Technologie angepasst an Globalisierung und Lessons Learned der letzten Jahrhunderte, gewandelt und vor allem weiterentwickelt. Da gibt es nicht nur die Arbeitsvermeider in Form von Selbstbeweihräucherern oder Berufsautomaten oder in welcher Form sie auch immer daher kommen mögen. Es ist nicht so, dass diese nie arbeiten wollten. Vielmehr ist es häufig so, dass die Sinnlosigkeiten des Arbeitsalltags sie in diese Rollen der Sinnlosigkeit und Arbeitsvermeidung getrieben haben. Aber vor allem gibt es da auch diejenigen, welche im Grunde gerne arbeiten gehen, dafür jedoch ein sinnvolles Arbeitsleben, ohne Misstrauen und Überwachung fordern. 6e/ D`MIcJMD M/ GMDDMD +Db +EbMDGMD Wenn ich sehe, wie deutsche Unternehmen mit einer derartigen Unterfütterung interner Sinnlosigkeiten schnurstracks und ähnlich einer Horde Lemminge auf den Abgrund zulaufen, wird mir ganz angst und bang. Die Warnzeichen des demografischen Wandels werden übersehen, und der War for Talents wird in Pantoffeln vom Sofa aus geführt. Geld wird <?page no="18"?> [= ! IDFMI+*DK ! IDM DM*M `.h sinnlos zum Fenster hinausgeworfen, unfähige Mitarbeiter werden bis zur Grenze ihrer eigenen Kompetenz hoch- und wegbefördert, und jeder Funke Motivation wird durch andere Sinnlosigkeiten im Keim erstickt. Die Konsequenz solcher Sinnlos-Kulturen wird nicht selten Burnout genannt oder einer Wirtschaftskrise zugeschrieben. Aber an der Ursache der ganzen Misere mag keiner so recht arbeiten, sprich: Sinnlosigkeiten hinterfragen und vielleicht das System so zumindest etwas bereinigen. Wenn deutsche Unternehmen weitermachen wie bisher, ist der Abgrund schneller da, als Prognosen dies hochrechnen. Um morgen noch erfolgreich zu sein, muss das Bewusstsein für die Hauptressource Mensch verstärkt werden. Eine neue Komponente kommt ins Spiel, die den heutigen Arbeitsmarkt in Deutschland prägt; eine Komponente, die alle Menschen teilen und ihre je individuelle Motivation definiert; eine Komponente, die in der modernen Gesellschaft der Sättigung mehr und mehr Platz für sich beansprucht und die neue Entwicklungsstufe dominiert; eine Komponente, die darüber entscheiden wird, welches Unternehmen die besten Mitarbeiter gewinnen, Krisen überstehen und in Zukunft weiter existieren wird: eine Komponente namens Sinn. ; IDDG/ IMKM/ *M/ EMJ/ MD -IcJ In den letzten Jahren konnte man beobachten, dass eine neue Spezies Mitarbeiter deutsche Unternehmen regelrecht stürmt. Es sind dies Mitarbeiter mit hohem Potenzial, mit unglaublicher Energie, Mitarbeiter, die nicht nur Entlohnung für ihre Leistung fordern, sondern vor allem eines wollen: Sinn. Ich nenne sie die Sinnkrieger. Es sind Menschen, die bereit sind zu geben, die leidenschaftlich in dem sind, was sie tun und für wen sie es tun, die für Sinn kämpfen und Sinn kriegen wollen. Die Frage nach Sinn ist es, die uns Menschen nicht erst seit gestern beschäftigt: Sinn im Sein und Tun, im beruflichen <?page no="19"?> [< ! IDFMI+*DK Umfeld und nicht mehr (nur) im privaten Kontext. In einer Kultur des täglichen Krieges zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und der Sinnlosigkeit sind die Sinnkrieger in deutschen Unternehmen schnell frustriert. In den meisten Fällen sind Unternehmen nicht auf Sinnkrieger vorbereitet, woraufhin diese ihre Sachen packen und zum nächsten Arbeitgeber wandern, in der Hoffnung, dort Sinn zu finden. In einem Arbeitnehmermarkt kann man sich das als Sinnkrieger und Potenzialträger leisten. Unternehmen, die morgen noch erfolgreich sein wollen, müssen vor allem eines bieten können: Raum für Sinn geben und damit das Potenzial der zunehmenden Anzahl von Sinnsuchern in Unternehmen ausschöpfen. "IM S2,I*e,I2D bM/ ; IDDG/ IMKM/ Warum gibt es immer mehr Sinnkrieger? Der Mensch heute in Deutschland hat ganz andere Motive, arbeiten zu gehen, als noch vor 30 Jahren. Wir befinden uns auf einer ganz anderen gesellschaftlichen Entwicklungsstufe. Denn wir leben in einer Gesellschaft der Sättigung, in einer Gesellschaft, in welcher keiner Angst haben muss zu verhungern. All die „niederen“ Bedürfnisse sind längst befriedigt. Rasante Technologien, Innovationen und nicht zuletzt die Globalisierung stellen sich in den Vordergrund und prägen den Arbeitsmarkt. Die Menschen in Deutschland müssen nicht mehr nur arbeiten, um zu überleben. Nein, sie wollen mehr, denn sie fordern Sinn: Sinn in ihrem Sein und Tun. Menschen heute suchen und finden Sinn mehr und mehr auf der Professionsbühne, also in der Arbeit. Sie verbringen mehr Zeit auf dieser Bühne als ihre Vorfahren. Sinn wird daher nicht mehr ausschließlich im Privaten, in der Familie oder im Glauben gefunden. Gerade weil immer mehr Menschen mehr Zeit in der Arbeit verbringen und auch den Lebensschwerpunkt auf ihren Job legen, erwarten die Menschen vehementer <?page no="20"?> [; ! IDFMI+*DK ! IDM DM*M `.h als je zuvor, dass diese Zeit, ihre Tätigkeit im Job auch Sinn macht. Sinnfindung ist ein zentrales Thema der Unternehmensstrategie von heute und im Rahmen einer zeitgemäßen, erfolgsorientierten Führung nicht mehr wegzudenken. Menschen, die Sinn in ihrem Sein und Tun erfahren, werden nicht auf die Uhr sehen und kleinlich Stunden dokumentieren, um am Ende des Monats die Hand aufzuhalten und € 73,48 mehr ausbezahlt zu bekommen. Diese sinnerfüllten Menschen erhalten einen viel höheren Wert, nämlich Sinn und eine glückliche Bilanz ihrer Investition an Lebenszeit am Ende des Tages. Viele Unternehmen haben es bisher nicht geschafft, sich an die Neuerungen mit all ihren Dynamiken bzw. an diese neue Entwicklungsstufe der deutschen Gesellschaft anzupassen. Sinn lässt sich an jeder Ecke schmerzlich vermissen. Stattdessen unterstützt man weiter eine Kultur der Sinnlosigkeit. Das System Unternehmen stellt womöglich auf neue Technologien um, spielt das Spiel mit Social Media & Co. mit, um auch sagen zu können: „Wir tun etwas fürs Employer Branding.“ Unternehmen halten jedoch im Wesenskern an den alten Regeln fest, denen zufolge die Menschen nur da sind, um Geld für ihren Lebensunterhalt zu bekommen. Doch heute geht es vielen Mitarbeitern nicht mehr darum, sondern um mehr. Arbeitgeber hinken ihren Mitarbeitern, den Sinnkriegern, hinterher. Sie leben immer noch nach Auslaufmodellen der Mitarbeitergewinnung und -motivation und wundern sich, warum sie nicht erfolgreicher am Markt und auch bei ihren Mitarbeitern werden. Arbeitgeber verharren nicht selten in ihren alten Systemen, mit ihren alten Regeln, die schon lange nicht mehr passen. Interessenskonflikte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entstehen, es kommt gehäuft zu Reibereien bis hin zu tiefen Verletzungen im System. Unternehmen, welche weiter in ihren alten Modellen und ihrer alten Rolle als reiner Geldgeber leben, müssen zwangsläufig scheitern. <?page no="21"?> Z\ ! IDFMI+*DK ; ,e,+- =+2> ; ,+bIM `+ ; IDD +Db 9D]; IDD Aufgrund von eigenen Sinnlosigkeitserfahrungen in Unternehmen, aufgrund von Neugier und zahlreichen Beratungsanliegen habe ich 2012 eine eigene Studie zu Sinn und Un-Sinn in Unternehmen aufgestellt und Mitarbeitern unterschiedlichster Branchen die Aufgabe gegeben, über einen Zeitraum von zwei Wochen alles aufzuschreiben, was in ihrem Arbeitsalltag sinnvoll oder sinnlos war. Ziel war es, einen Überblick zu schaffen über das, was Mitarbeiter in ihrem Arbeitsalltag als sinnvoll und als sinnlos erachten, aber auch gleichzeitig einen Einblick in die Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit deutscher Unternehmen zu erhalten. Hier ein kleiner Auszug unterschiedlicher Aussagen der Studienteilnehmer: Was sinnvoll ist (Auszug aus den Nennungen) { Möglichkeit zur Arbeit aus dem Home-Office { Flurfunk - Informationsaustausch unter Arbeitskollegen { Sauberes Organigramm mit Beschreibung von Prozessen und Verantwortlichkeiten { Kantine mit günstigem bzw. kostenlosem Essen { Bonuszahlungen, Gehaltserhöhungen und Prämien { Belohnung für Mitarbeiter, die über das Jahr gesehen kaum bis gar nicht krank sind { Flexible Arbeitszeitgestaltung { Die eigene Kaffeemaschine im Büro { Weiterentwicklungsmöglichkeiten/ Qualifizierungsmaßnahmen { Reduzierung des Personals auf wenige kompetente Entscheidungsträger Was sinnlos ist (Auszug aus den Nennungen) { Zu viele Stabsabteilungen und zu viele Hierarchien { Große Emailverteiler, CC-Kultur und Anhänge { Infoveranstaltungen, obwohl jeder Bescheid weiß <?page no="22"?> Z[ ! IDFMI+*DK ! IDM DM*M `.h { Ständige Zufriedenheitsbefragungen, die nur Zeit kosten und keine Veränderung bringen { Schlecht vorbereitete Besprechungen { Unangemessene Kleidung (z. B. Anzug in Abteilung ohne Kundenkontakt) { Online shoppen und dabei so tun, als würde man arbeiten { Unflexible Arbeitszeiten { Lange und umfangreiche Abstimmungsprozesse, bei denen viel Zeit verloren geht { Meetings zur Selbstbeweihräucherung { Auf technischen Support warten (Laptop, Drucker …) { Neue Termine vereinbaren, weil alte nicht eingehalten wurden { Von Entscheidungsträger zu Entscheidungsträger laufen, um eine Entscheidung zu bekommen, für die die Verantwortlichkeit hin- und hergeschoben wird Sicher finden Sie sich in der ein oder anderen Aussage wieder. Was im ersten Moment auffällig ist: Die Liste der sinnlosen Dinge war auch in der Gesamtauswertung sehr viel länger. Was zum einen darauf zurückzuführen ist, dass Menschen unseres Kulturkreises viel mehr die Dinge wahrnehmen, die nicht funktionieren, als die Dinge, die funktionieren. Man denke an die IT-Abteilung eines Unternehmens, welche in der Regel immer schlechte Bewertungen in Mitarbeiterbefragungen erhält, da die IT-Abteilung meist nur dann kontaktiert wird, wenn etwas nicht funktioniert. Dass PC, Betriebssysteme, Software u. Ä. jeden Tag tadellos arbeiten und damit ein reibungsloser technischer Support gewährleistet ist, wird selten bis nicht wahrgenommen. Was in dieser Studie weiter interessant ist: Die sinnvollen Aspekte sind erstens rar und zweitens nicht sehr gehaltvoll. Da geht es hauptsächlich um Essen, Geld und allgemeines <?page no="23"?> ZZ ! IDFMI+*DK Wohlbefinden. Ist das alles, was deutsche Unternehmen an Sinnvollem für ihre Mitarbeiter zu bieten haben? Und trägt das dann wirklich zu einem sinnvollen Arbeitsleben bei? Macht das Mitarbeiter wirklich erfüllt und glücklich? 6M"dM)M/ d-*2/ ,MIFM b+/ cJ ; IDD -IcJM/ D In Zeiten des zunehmenden Wachstums der Anzahl der Sinnkrieger in Unternehmen wird gleichzeitig unglaubliches Potenzial für all diejenigen Unternehmen offengelegt, welche die Chance nutzen, ihren Mitarbeitern den Raum für wahren Sinn zu geben. Die Herausforderung, mit welcher deutsche Unternehmen konfrontiert sind, geht mit den folgenden Fragen einher: Wie können Arbeitgeber in Zeiten von Fachkräftemangel gute Mitarbeiter gewinnen und langfristig fürs Unternehmen begeistern? Wie können Mitarbeiter auch in schwierigen Krisenzeiten motiviert werden? Wie gelingt es, dass Mitarbeiter am Ende eines langen Arbeitstages sagen können: „Das hat heute Sinn gemacht für mich! “? Unternehmen, welche es nicht schaffen werden, auf diese Entwicklung des Arbeitsmarktes erfolgreich zu reagieren, werden nicht nur den War for Talents verlieren, sondern zwangsläufig an ihrem selbst gebauten Auslaufmodell scheitern. XM/ e+-L2/ bM/ +DKMD eD 9D,M/ DMJEMD Damit wir alle unserer Suche nach Sinn nachgehen können, braucht es auf Arbeitgeberwie auf Arbeitnehmerseite den Willen zu verstehen, warum wir jeden Tags aufs Neue im Unternehmen erscheinen und zur Arbeit gehen. Wir alle müssen an einem Strang ziehen, müssen umdenken und gemeinsam den Sinnlosigkeiten den Kampf ansagen, um eine neue Entwicklungsstufe der Arbeitswelt zu erklimmen, die Entwicklungsstufe Sinn. Erst dann sind persönliches Glück und Erfolg möglich. <?page no="24"?> 1 7IDD I,+ IEEM. MIDM WD)M,+I+I1D <?page no="25"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK ZA SI--d/ e+cJ *2D TMdMD-`MI, R 6e/ +E 5MI, MID YM-cJMDG I-,_ be- M- -IDD*2FF MID`+-M,`MD KIF, "M/ / 2,M UD21L Ich hatte einmal eine Kollegin, im Grunde war sie eine ganz Nette. Sie kam mit jedem wunderbar aus, machte ihren Job als Sachbearbeiterin, so gut sie es konnte, und brachte manchmal sogar Kuchen mit. Eigentlich musste man diese Frau mögen. Aber ich hasste sie. Und ich hasste mich gleichzeitig dafür, dass ich sie hassen „musste“. Es war aussichtslos. Ich konnte nichts dagegen tun. Sie hatte meinen roten Knopf gefunden. Den roten Knopf, der mich schier wahnsinnig machte. Und sie drückte diesen roten Knopf jeden Tag aufs Neue. Das Ganze lief dann in etwa so ab: Immer wenn ich sie kurz vor Feierabend in der Kaffeeküche traf, seufzte sie: „Ach, Gott sei Dank, wieder ein Tag vorbei und damit näher am Wochenende! “ Und dabei lächelte sie mich auch noch an. Wieder ein Tag vorbei? Und darüber sollte ich froh sein? Wieder ein Tag vorbei, den sie und ich unwiederbringlich verloren hatten? YF@cG-KML@JF b+/ cJ ; IDDM/ FMdMD Ja, jeder Tag war verloren für sie, denn sie sah keinen Sinn darin, in diesem grauen Kasten täglich ihrem Job nachzugehen. Aber sie musste es ja tun, weil man es eben tut, als nette Frau mittleren Alters, die Arbeit hat. In ihrer Freizeit half sie ehrenamtlich in einem Altersheim aus. Nicht selten sprach sie über ihre besondere Freizeitaktivität und auch darüber, dass diese Tätigkeit ihr wirklich Sinn gab und sie erfüllte. Sie war jedes Mal wie ausgewechselt, wenn sie davon erzählte. Ihre Gesichtszüge wurden dann ganz weich, ihre Augen leuchteten, ja, man hatte den Eindruck, sie strahlte von innen heraus. Sie war dann völlig sie selbst und mit der Welt im Reinen. Ich fragte mich bei diesen Gelegenheiten immer wie- <?page no="26"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK Z? 1 7IDD I,+ IEEM. MIDM WD)M,+I+I1D der aufs Neue, warum sie nur zögerte, genau das zu tun, was ihr Spaß machte. Und das, nebenbei bemerkt, wo im Pflegesegment jede helfende Hand gebraucht wird. 5MI, *M/ KM+bMD Dabei ging es mir ähnlich. Ich persönlich sah keinen Sinn darin, den Tag zu füllen mit nutzlosen Tätigkeiten wie Kaffee trinken, wichtig aussehend am Schreibtisch sitzen, angestrengt und nachdenklich aus dem Fenster starren oder privat online shoppen. (Zwar hatte ich damals einen ausgesprochen gut ausgestatteten Kleiderschrank. Aber nicht einmal der konnte mir ein Lächeln auf die Lippen zaubern.) Ich war ein klassischer Recruiting-Fehler - zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich war nutz- und sinnlos für dieses Unternehmen. Das bemerkte jedoch niemand außer mir. Und das ging an meinen Selbstwert. SI-M/ edMF ID*M-,IM/ , Bei aller Sinnlosigkeit, die ich Tag für Tag ertrug, verlor ich das Wertvollste, das ein Mensch besitzt: Lebenszeit. Ich investierte meine Lebenszeit, ohne einen Mehrwert zu generieren - weder für das Unternehmen noch für mich. Ich war zu dieser Zeit ein schlechter Investor. Würde man Lebenszeit mit Geld aufwiegen, so wäre meine Bilanz die, dass ich jeden Tag riesige Geldsummen mit vollen Händen zum Fenster hinauswarf. Es war frustrierend. Jeden Abend kam ich verstimmt und traurig nach Hause. Wieder ein Tag meines Lebens vorbei, den mir keiner zurückbringen konnte! Wieder nur gegeben und nichts dafür bekommen! Wieder ein bisschen mehr Leben verloren! $IFeD` eE TMdMD-MDbM Meine Fehlinvestition von damals war nichts anderes als ein Missbrauch von Lebenszeit. Es machte mich wahnsinnig, und gleichzeitig fühlte ich mich schuldig: vor dem Unternehmen, <?page no="27"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK Z> vor der Gesellschaft, vor mir selbst. Ich investierte so schlecht, dass ich nicht nur keinen Gewinn im Leben hatte; nein: ich hatte sogar enorme Verluste: den Verlust an endlicher Lebenszeit und an Lebensfreude. Welche Bilanz würde ich an meinem Lebensende ziehen? Was hätte ich aus der mir geschenkten Lebenszeit gemacht? Dass ich jeden Abend froh war, dass wieder ein Tag vorüber war? Wie deprimierend! U2/ / MG,+/ *2D hMJFID*M-,I,I2DMD Nach einigen Wochen beschloss ich, Verantwortung für diese Situation und damit für mich zu übernehmen. Ich zog die Konsequenzen und tat das einzige Sinnvolle, das ich tun konnte - ich präsentierte dem Vorstand eine neue Idee, eine Idee, die wirklich Sinn machte: Ich rationalisierte meine eigene Stelle weg. Der Vorstand war begeistert und ich glücklich. Das war der Tag, der endlich eine gelungene Investition für mich mit sich brachte. Ich ging mit der Kündigung in der Tasche und endlich wieder mit einem Lächeln auf den Lippen (und im Herzen) nach Hause. Die nette Kollegin sitzt noch heute an ihrem Platz und ist vermutlich froh über jeden Tag, der vorbei ist. $MK/ MD`,M TMdMD-`MI, Erfahrungen von Lebenszeit-Missbrauch und schlechten Investitionen für uns selbst machen wir Menschen dann, wenn wir den Kontakt zu uns selbst verloren haben; wenn wir gar nicht mehr wissen, wofür wir das alles tun; wenn uns gar nicht mehr klar ist, was wirklich wichtig ist in unserem Leben. Leider kommt das gar nicht mal so selten vor. Unser Budget an Lebenszeit ist begrenzt. Wir alle sind es uns schuldig, jeden Tag neu zu rechnen und zu entscheiden, wie wir unsere Zeit sinnvoll investieren möchten. Die Uhr läuft, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde. <?page no="28"?> Z= Xd01+JM,M 1 7IDD I,+ IEEM. MIDM WD)M,+I+I1D 6M/ ; IDD )IFF_ E+-- KMdMD R 4dM/ bIM Q2,)MDbIKGMI, *2D eG,I*ME XeDbMFD YMdMD_ +E `+ dMG2EEMD Sinn gibt es nicht umsonst. Wer Sinn im Leben finden möchte, muss vorher investieren und etwas tun, um Sinn zu erfahren. Das heißt, jeder muss erst einmal etwas geben - sei es Engagement im Ehrenamt, gute Nerven für ein langwieriges Studium oder aber einfach Zeit. Wer Sinn erfahren möchte, investiert in erster Linie Zeit, und zwar eigene Lebenszeit und eigene Energie. Das ist für niemanden eine neue Erkenntnis, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wir denken über unsere tagtäglichen Investitionsmodelle gar nicht mehr nach. Im Grunde sind wir alle von Natur aus kluge Investoren. Wir investieren in der Regel nur dann, wenn es für uns Sinn macht. Das bedeutet: Wir sind erst dann bereit, etwas zu geben, wenn wir uns von unserer Investition ein für uns sinnvolles Ergebnis versprechen. %G,I* +Db Ne--I* Wir müssen zuerst aktiv werden, um dann passiv sein zu können. Wir müssen zunächst Sport machen, um danach fit zu sein. Wir müssen zuerst auf gesunde Ernährung achten, um hinterher länger leben zu können. Wir müssen zunächst ein Studium absolvieren, um danach unseren Traumjob zu bekommen. Aktivität steht zeitlich gesehen vor Passivität, Spannung vor Entspannung. Der alte Spruch „Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt“ ist daher nicht einmal so verkehrt, um sich der eigenen Sinnsuche zu nähern. Die Investition muss jedoch nicht immer schwer sein, wie es die Redewendung suggeriert. Wenn eine Investition für uns Sinn macht, können wir sogar Freude beim Geben empfinden - schließlich sind wir vom bevorstehenden Output beflügelt. <?page no="29"?> Z< Xd01+JM,M TMdMD-`MI,]YMdM/ +Db ; IDD]QMJEM/ Wenn der Mitarbeiter Sinn erfahren möchte, muss er etwas dafür geben. In der Regel ist dies Lebenszeit - und die ist das Kostbarste, das wir haben. Wichtig ist, sich immer bewusst zu machen, ob und in welchem Maße unsere Investitionen Sinn machen: Jeder sollte sich im Klaren sein, ob eine Investition an Lebenszeit auch eine gute, weil sinnvolle Investition ist. Somit sind wir Lebenszeit-Geber und Sinn-Nehmer. W/ / ML@J/ MDbM- 62/ bIDK Wenn wir es mit unserem Begriffsverständnis von „Arbeitnehmer“ einmal ganz genau nehmen, könnten wir uns fragen: Nimmt denn hier jemand Arbeit? Und wenn er sie nimmt: Wohin nimmt er sie dann mit? Der Wortbaustein „nehmen“ ist gerade im Rahmen der Sinnfindung leicht irreführend, wenn wir „nehmen“ wörtlich verstehen und also nur den Aufforderungs-, Appell- oder Signalcharakter wahrnehmen. Daher ist es gar nicht verwunderlich, dass sich bei einigen Arbeitnehmern das Nehmen im Laufe vieler Jahre in den Vordergrund gedrängt hat: Nehmen ist zur impliziten „Aufgabe“ des Mitarbeiters geworden. Aber „Arbeit nehmen“, das geht ja wohl schlecht. Also nimmt man in seiner Verzweiflung alles andere: Kugelschreiber, Kaffee und Klopapier. "M/ dFe+M X+Db Jeder Mitarbeiter ist in seiner Rolle innerhalb einer Organisation aktiv. Er muss etwas geben, um etwas zu bekommen - egal ob Geld, Sicherheit, Spaß, soziale Kontakte oder Sinn. Es müsste sich daher in der Nomenklatur etwas verändern, damit sich die Einstellung zu Arbeit und Sinn verbessern kann. Denn Worte prägen uns. Sprache und Zeichen sind so viel stärker, als wir denken. Denken Sie in diesem Augenblick einmal nicht an einen blauen Hund. Und: Hat’s funktioniert? <?page no="30"?> Z; $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 1 7IDD I,+ IEEM. MIDM WD)M,+I+I1D h@/ MID ! I- EecJ IcJ Le-, eFFM-8 R 6IM +D- +/ eF,M ! / `IMJ+DK-E2bMFFM 1/ .KMD U2-,MD]Q+,`MD]<McJD+DK +Db ; MFd-,M/ JeF,+DK Der Mensch ist von Natur aus nicht nur Investor, sondern auch Ökonom. Das heißt, jede Handlung, jedes Verhalten ist - bewusst oder unbewusst - von einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung bestimmt. Diese Kosten-Nutzen-Rechnung und der egozentrische Selbsterhaltungstrieb beeinflussen uns seit der frühen Kindheit. Da haben wir sie erlernt im Zusammenhang mit der Belohnungsaussicht: „Wenn du brav deine Suppe aufisst, bekommst du hinterher ein Eis.“ Wir haben gelernt: Wenn wir etwas Bestimmtes tun, das von uns im jeweiligen Kontext erwartet wird, wenn wir also bereit sind zu investieren, dann werden wir - meist zeitversetzt - dafür belohnt und bekommen etwas dafür. Diese Dynamik begleitet uns von Kindheit an und bis an unser Lebensende, tagtäglich: „Wenn ich Sport mache, dann werde ich fitter und lebe länger.“ „Wenn ich Schokolade esse, bin ich glücklicher.“ „Wenn ich nett zu meiner Chefin bin, dann fällt die Bonuszahlung im nächsten Monat höher aus.“ Dabei entscheiden wir selbst, ob wir investieren und folglich eine Belohnung dafür erhalten oder nicht. ! D,-cJMIb+DK-L/ MIJMI, Doch diese Freiheit der Entscheidung ist uns in vielen Fällen gar nicht bewusst. Oftmals findet sich in unserem Sprachgebrauch das Wörtchen „müssen“ wieder, das doch in vielen Kontexten fehl am Platz ist: „Ich muss heute zum Sport.“ „Ich muss eine Diät machen.“ „Ich muss jeden Tag zur Arbeit gehen.“ Betrachten wir viele Muss-Annahmen genauer, so erkennen wir sehr schnell, dass wir im Grunde gar nichts müssen. Wir haben immer die Freiheit, etwas zu tun. Das Müssen kommt vielmehr von der Zwanghaftigkeit des Wunsches nach <?page no="31"?> B\ $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK einer bestimmten Ausschüttung: „Ich will endlich schlanker sein.“ „Ich will ein festes Einkommen.“ Dieser Wunsch mag vielleicht so stark sein, dass sich das Wort „müssen“ in die vorhergehende Handlung, die Investition einschleicht. Wir wollen etwas so sehr, dass wir die Investition unbedingt tätigen müssen, damit wir uns nicht selbst enttäuschen und damit sich vor allem unser innigster Wunsch erfüllt: „Ich muss Sport machen, weil ich unbedingt schlanker werden will.“ Richtiger wäre es aber zu sagen: „Wenn ich schlanker werden will, muss ich Sport machen.“ Wir sollten uns daher bewusst machen, dass wir jeden Tag aufs Neue frei entscheiden können, ob wir eine Investition für einen bestimmten Output tätigen wollen. T2JDMD-)M/ ,M WD*M-,I,I2DMD Die Freiheit der Investition erfordert es, dass sich der Einzelne klar darüber wird, ob er eine bestimmte Belohnung, einen bestimmten Output überhaupt möchte. Es ist wichtig herauszufinden und zu wissen, ob das, was über eine Investition an Ausschüttung vorgesehen ist, für das eigene Leben wichtig und wertvoll ist. Wenn ein Kind kein Eis mag, dann wird es auch die Suppe nicht aufessen. Stattdessen könnte eine Stunde Fußballspielen die viel passendere Belohnung sein. Jeder hat daher die Pflicht, für sich selbst abzuwägen und zu eruieren, was wirklich wichtig ist in seinem Leben: Wofür bin ich bereit zu investieren und wofür nicht? Wann und wo investiere ich, damit für mich persönlich ein sinnvoller Output generiert wird, und wann und wo nicht? $IFeD`IM/ +DK R 6e- ; IDD EecJ, Streichen Sie die für Sie sinnlosen Investitionen sofort aus Ihrem Leben. Seien Sie egoistisch, investieren Sie nur, wenn es für Sie Sinn macht, wenn also ein für Sie sinnvoller Output generiert wird. Aber seien Sie bei dieser Bilanzierung kritisch <?page no="32"?> B[ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 1 7IDD I,+ IEEM. MIDM WD)M,+I+I1D und vorsichtig zugleich. Es gibt oftmals sehr viele versteckte Sinnerfahrungen: Wenn Ihnen die Arbeit keinen Spaß bereitet, so kann die Lebenszeit, die Sie in diese Arbeit investieren, dennoch sinnvoll angelegt sein. Denn auf diese Weise können Sie Ihre Familie ernähren oder Ihrer kleinen Tochter das lang ersehnte Fahrrad zum Geburtstag schenken. Die leuchtenden Kinderaugen sind möglicherweise die für Sie wertvolle Ausschüttung, für die es sich lohnt zu investieren. NeDME M, cI/ cMD-M- R 6e/ +E ; "IK+DK +D-M/ K/ C',M- S2,I*e,I2D-1/ 2dFME I-, %D/ MI`-a-,MEM +Db bIM G+/ `M h/ M+bM be/ @dM/ Vielleicht waren Sie schon einmal in Situationen, da Ihnen gerade nicht die gebratenen Tauben in den Mund geflogen sind. Denken Sie an Ihr erstes kleines WG-Zimmer oder an Ihr erstes Auto. Heute würde Sie das nicht zu Luftsprüngen animieren - doch damals war es das Größte für Sie. Ähnlich verhält es sich mit vielen Anreizsystemen in Unternehmen. Die meisten Anreize motivieren nur kurz und dienen häufig dazu, Mitarbeiter ins Unternehmen zu locken, sie aber nicht länger zu binden bzw. zu begeistern. Wenn ein Mitarbeiter nichts dafür tun muss, ist ein Anreiz wenig oder sogar gar nichts wert. Sinn erfährt dadurch keiner. Ich durfte einmal in einem Unternehmen arbeiten, in welchem Anreizsysteme ganz großgeschrieben waren und leider verwechselt wurden mit Mitteln zur Steigerung von Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit. So wunderte man sich auf Führungsebene sehr, warum denn trotz der Anreize eine so große Unzufriedenheit im Unternehmen herrschte. Es war auf den ersten Blick das reinste Schlaraffenland: Da gab es kostenlos Joghurt, Obst, Tee und Kaffee in allen möglichen Varianten und an Weihnachten sogar Ge- <?page no="33"?> BZ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD bäck. Aber glauben Sie, es hätte sich jemand darüber gefreut? Im Gegenteil! Es gab vielmehr Beschwerden, wenn einmal ein unförmiger Apfel im Körbchen lag oder der Kaffeeautomat nicht funktionierte. Die einzigen, die sich freuten, wenn auch nur für kurze Zeit, waren die neuen Mitarbeiter mit einer Betriebszugehörigkeit von weniger als drei Monaten. ; "IK+DK eF- "ME2,I*e,I2D-LeG,2/ Betrachten wir die Ursachen unmotivierter Mitarbeiter und wenig erfolgreicher Unternehmen, so sind es weniger die fehlenden Benefits wie Kindertagesstätten, Kantinen, Gesundheitsprogramme, welche die Mitarbeiter in ihrem Tatendrang hemmen; vielmehr liegt es meist genau andersherum: Die Mitarbeiter sind in ihrer Motivation gedrosselt durch ein Zuviel, durch eine Kultur der Sättigung. Die Menschen sehen irgendwann nicht mehr das Besondere - weil es dann eben normal ist und weil man vor allem auch nichts dafür tun bzw. investieren muss. Stattdessen fordern Mitarbeiter immer mehr. Geld und materielle Benefits sind nur sehr kurzfristige Motivatoren. Sie führen rasch zu jenem Grad der Sättigung, der in unseren Kulturkreisen an jeder Ecke lauert. Die Gefahr ist: Wir müssen im Grunde gar nichts mehr investieren, um etwas zu bekommen. Wir erhalten vieles einfach so. Ungefragt. Im Überfluss. Und ohne etwas dafür zu tun. ! ID 5+*IMF dMJIDbM/ , Wir tragen eine Menge sinn- und wertlosen Ballast mit uns herum, den wir weder wollen noch brauchen, der uns behindert und sogar handlungsunfähig macht. Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Man schenkt Ihnen einen wertvollen Sportwagen. Das Gefährt verlangt Ihnen einiges an Zeit, Pflege, Aufmerksamkeit und sicherlich auch monetärem Aufwand ab. Und dabei haben Sie vielleicht gar keinen Führerschein … Din- <?page no="34"?> BB 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 1 7IDD I,+ IEEM. MIDM WD)M,+I+I1D ge, die wir bekommen, ohne sie zu wollen oder zu brauchen, behindern uns bei unserer Sinnsuche, auf dem Weg, den wir als Kind noch klar vor uns gesehen haben, der über die Jahre und Jahrzehnte aber immer nebeliger geworden ist und unser Ziel verschwinden ließ. Wie sehr müssen wir uns inzwischen um Dinge kümmern, die wir gar nicht brauchen auf dem Weg zu uns selbst, zu Zufriedenheit und Sinn in unserem Leben. ; cJEe/ 2,`M/ ,+E ID 9D,M/ DMJEMD In einer Gesellschaft der Sättigung haben viele Mitarbeiter ihren eigenen Sinn und Zweck im Unternehmen verloren. Im Strudel der „Mitarbeitermast“ halten viele nur die Hand auf, wollen immer mehr. Mitarbeiter spielen das Spiel mit, gehen auf Weiterbildungen des guten Essens wegen und mokieren sich hinterher womöglich, wenn sie auch noch etwas hätten lernen sollen. Viele Mitarbeiter befüllen ihre Taschen gierig mit Büromaterial, etwa Kugelschreibern, Post-its und Briefkuverts; andere sonnen sich im Licht der Lifestyle-Marke eines Unternehmens, weil sie selbst weder „Style“ noch ein besonderes „Life“ haben. <+JIK-,MFF+DK b+/ cJ 4dM/ LF+-- Es wäre zu einseitig, den Mitarbeitern die alleinige Schuld dafür zu geben, wenn sie ein Unternehmen ausnutzen, sich gierig und unverschämt verhalten. Häufig ist festzustellen, dass Unternehmen sogar bewusst eine Kultur des Nehmens etablieren - und das womöglich nicht ganz uneigennützig. Ein bisschen fühlt man sich erinnert an die kluge Strategie der römischen Herrscher, die den Pöbel mit Brot und Spielen - panem et circenses - ruhig hielten. Auf diese Weise war die Stimmung im Imperium stets positiv, das Volk gesättigt, abgelenkt und damit nicht gefährlich für die Machthaber, die „in aller Ruhe“ regieren konnten. Heutzutage mag einem so mancher Versuch ei- <?page no="35"?> BA 8I,IGMD *De YMLhJ.MD nes Konzerns, Mitarbeiter über Geldprämien, teure Firmenwagen oder schicke Büros zu locken, wie Bestechung vorkommen; oder darauf abzielen, die Mitarbeiter „ruhig zu stellen“, damit diese keine kritischen oder missliebigen Fragen stellen. Echte Mitarbeitermotivation hat in diesen Fällen keiner im Blick. h/ MIJMI, eF- S2,I*e,I2D-LeG,2/ Kennen Sie den Film „Braveheart“? Sicher ein Paradebeispiel für Werte und Sinnfindung im Leben! William Wallace, die Hauptfigur des Films, kämpft für die Freiheit, seine und die seines Volkes - bis zum bitteren Ende. Besonders eine Szene ist ganz bezeichnend für die echte Motivation des schottischen Freiheitskämpfers: König Edward I., ein grausamer und skrupelloser Zeitgenosse, schickt seine attraktive Schwiegertochter zu Wallace - mit einem Angebot, durch welches das Land wieder zur Ruhe kommen soll und er, König Edward, nicht länger in seiner Macht bedroht ist. Die Prinzessin bietet Wallace Titel, Ländereien und Gold an, damit er und seine Männer ihren Widerstand gegen den König einstellen. Doch Wallace lehnt ab: „Was will ich mit Titeln, Ländereien und Gold, wenn ich nicht frei bin? ! “ Darauf erwidert die Prinzessin: „Frieden wird eben so gemacht! “ Und Wallace kontert: „Sklaven werden so gemacht! “ Die Parallelen zur Gegenwart sind bemerkenswert: In vielen Unternehmen gibt es wunderbare Dinge für die Mitarbeiter - vom kostenlosen Kaffee über Sachprämien bis hin zum Firmenwagen. Wirklich motivieren können derartige Incentives aber niemanden. Warum? Weil dadurch keiner frei ist. Frei zu entscheiden, was, wofür oder für wen er etwas tut. Mitarbeiter werden dadurch „fett und faul“ und sind ruhig gestellt. Ihre Grundbedürfnisse, auch die Bedürfnisse des Egos werden befriedigt, die Menschen selbst werden aber unfrei. Doch nur wer frei ist, kann auch frei entscheiden und wird Sinn finden. <?page no="36"?> B? 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 1 7IDD I,+ IEEM. MIDM WD)M,+I+I1D <e+E L@/ ; IDDL/ eKMD Es wäre unsachlich zu behaupten, dass sämtliche Anreizsysteme von Unternehmen das Ziel „moderner Sklaverei“ verfolgen und die Mitarbeiter faul werden lassen, sie handlungsunfähig machen oder betäuben. Doch Tatsache ist, dass die „Mast“ von Mitarbeitern auf Kosten der Zufriedenheit dieser Mitarbeiter geht, ja regelrecht Unzufriedenheit entstehen lässt. Denn durch oberflächliche Bedürfnisbefriedigung erfährt kein Mensch Sinn. Jeder, der die Maslow‘sche Bedürfnispyramide kennt, weiß, dass ein Mensch, sobald seine niederen Bedürfnisse wie Nahrung, Sexualität und Sicherheit sowie soziale Kontakte befriedigt sind, nach mehr strebt: Der Mensch tritt dann ein in eine neue Dimension der Bedürfnisse, er bekommt Tiefgang und beginnt, die Dinge zu hinterfragen. In einem Zustand der materiellen Sättigung haben die Menschen Zeit, sich mit abstrakten, tiefgründigen Themen zu beschäftigen. Nahrungsbeschaffung oder die eigene Sicherheit sind ja gesichert. ; IDDL2/ bM/ +DK eF- 4dM/ L2/ bM/ +DK Das bedeutet für Unternehmen: In einer Gesellschaft, in welcher Mitarbeiter in ihren Grundbedürfnissen mehr als gesättigt sind, werden die Mitarbeiter nicht zufriedener, sondern vielmehr rast- und ruhelos. Die Mitarbeiter suchen nach Selbstverwirklichung, hinterfragen sich und das Umfeld. Sie suchen dann vor allem und in erster Linie nach Sinn: Sinn in dem, was man ist und tut. Mit dieser Forderung nach Sinn sind sodann die Arbeitgeber konfrontiert und gefordert - und nicht selten überfordert. Die vehementen Sinnsucher unter den Mitarbeitern werden mehr und mehr in deutschen Unternehmen - das ist seit Jahren zu beobachten. Wenn Sinn fehlt im täglichen Sein und Tun, ist Frustration schnell an der Tagesordnung. Das Spiel zwischen Schmarotzer und Ausbeuter beginnt. <?page no="37"?> B> 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK 6e/ +E ; IDD IEEM/ MIDM WD*M-,I,I2D I-, Unsere Lebenszeit ist begrenzt. Wir schenken unserem Arbeitgeber jeden Tag eine große Menge unserer Lebenszeit - vielleicht sogar den Großteil unseres Lebens. Jeder muss Verantwortung für seine Lebenszeit übernehmen, eben weil diese endlich ist. Jeder muss selbstbestimmt und eigenverantwortlich entscheiden, ob er seine Lebenszeit richtig investiert. Stellen Sie Ihre persönliche Lebenszeitbilanz auf - listen Sie dazu einmal Ihren normalen Tagesablauf auf. > 3MFfJM 2MI+MD ME0LIDeMD 7IM hF, ,IDD)1FF% 3h.*E% > 3MFfJM 2MI+MD ,IDe eMEKMKMD@gM. ,IDDF1, L@. 7IM% 3h.*E% > 31.hD EhK M, FIMKMDa eh" M, )M.EMID+FIfJ ,IDDF1,M 2MI+MD KIg+% Wer Sinn im Leben erfahren möchte, muss investieren, muss etwas geben, damit er auch etwas bekommt. Jeder Mitarbeiter findet sich - entgegen dem Begriff „Arbeitnehmer“ - in einer aktiven Rolle. Denn erst wenn ein Mitarbeiter aktiv gegeben hat, kann er zu Passivität übergehen und etwas bekommen. Nach seinem Einsatz bekommt der Mitarbeiter etwas für ihn Sinnvolles. Die eigene Investition ist dann eine gute Investition, wenn sie für den Einzelnen Sinn macht und ihm Lebensfreude beschert. Überprüfen Sie Ihre Investitionen. > 3IM )IMF hD WD)M,+I+I1D L@. WJ.MD $.gMI+KMgM. ,IDe 7IM (IFFMD, c* KMgMD% > WD (MFfJMD 7I+*h+I1DMD R ,MI M, 0.I)h+ 1eM. gM.*LFIfJ R ,IDe 7IM gM.MI+ c* ID)M,+IM.MD% > 3MFfJMD P*+0*+ M.JhF+MD 7IM eM.cMI+ )1D WJ.ME $.gMI+_ KMgM. L@. WJ.M WD)M,+I+I1D hD TMgMD,cMI+% <?page no="38"?> 1 7IDD I,+ IEEM. MIDM WD)M,+I+I1D B= 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK Die Belohnungsaussicht ist etwas, das wir schon früh in unserer Kindheit erlernen. Wenn wir etwas unbedingt wollen, dann müssen wir etwas dafür tun. Dieser Zusammenhang führt jedoch nicht selten zum Zustand innerer Zwänge: Wir müssen Sport machen, wir müssen eine Diät machen, wir müssen arbeiten. Die Müssen-Annahmen aber stiften wenig Sinn, dafür Zwang und Druck. Wirklich müssen müssen wir nicht. Es ist unsere freie Entscheidung und unser unbedingter Wille, etwas zu bekommen - wir glauben nur, etwas tun zu müssen. Das Tun erfolgt stets aus freien Stücken. Streichen Sie von nun an alle Investitionen, die keinen Sinn für Sie machen. Tun Sie sich und Ihrem Umfeld den Gefallen. Jeder sollte sich selbst bewusst sein, welche Belohnung er oder sie für eine bestimmte Investition erwartet, und jeder sollte selbst stets frei entscheiden, ob er oder sie dafür die Investition auch tätigen möchte. Kommunizieren Sie Ihrem Arbeitgeber gegenüber, was Ihnen wichtig ist - nur so können Sie Sinn in Ihrer Investition erfahren. > UMDD+ WJ. $.gMI+KMgM. WJ.M WD)M,+I+I1D,K.@DeM% UhDD M. 7IM L@. WJ.M WD)M,+I+I1DMD @gM.Jh*0+ ,IDD)1FF gMF1JDMD% > ! .IDDM.D 7IM ,IfJ: 3h, Jh+ WJDMD hF, UIDe *De V*KMDe_ FIfJM. )IMF 70h& *De k.M*eM gM.MI+M+% > 3h, E"MD 7IM (I.GFIfJ% 3hDD *De (1 ,IDe 7IM L.MIa MIDM WD)M,+I+I1D c* +-+IKMD% ! .,M+cMD 7IM *DKM.MfJ+LM.+IK+M S"_$DDhJEMD e*.fJ iWfJ ECfJ+Ma (MIF IfJ eIM L.MIM ! D+,fJMIe*DK JhgM jO > 3MFfJM WD)M,+I+I1DMD GCDDMD 7IM h*, WJ.ME TMgMD ,+.MIfJMDa (MIF ,IM L@. 7IM 0M.,CDFIfJ GMIDMD (M.+)1FFMD P*+0*+ KMDM.IM.MD *De ehEI+ GMIDMD 7IDD EhfJMD% 3MFfJM DIfJ+ *De (h.*E% / "IM $D+(1.+ KIg+ WJDMD MIDMD XID(MI, h*L WJ.M YFh*gMD"-+cM *De h*L )1D h*&MD KM,+MFF+M ! .(h.+*DK,JhF+*DKMDa )1D eMDMD 7IM ,IfJ ECKFIfJM.(MI,M )M.hg,fJIMeMD GCDDMD^b <?page no="39"?> B< 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK Die Unzufriedenheit und das Gefühl der Sinnlosigkeit vieler Mitarbeiter ist gerade in Unternehmen, welche ihren Mitarbeitern großzügige Benefits gewähren, ein immer größer werdendes Problem. Denn wer Sinn erfahren will, muss vorher investieren, muss aktiv sein. Ein Sinnsucher muss die Freiheit haben, etwas zu geben, das ihm wichtig ist. In übersättigten Organisationen hingegen erhalten Mitarbeiter Dinge, die sie erstens womöglich gar nicht brauchen oder möchten, für die sie zweitens nichts tun müssen und für die sie sich drittens gar nicht bewusst und aus freien Stücken entschieden haben. So werden diese - überspitzt ausgedrückt - nicht selten zu „faulen und fetten Mitarbeitern degradiert“ und damit ruhig gestellt. Wer aber in seinen Grundbedürfnissen befriedigt ist, will mehr, strebt nach Höherem und stellt sich abstraktere Fragen wie die nach dem Sinn seines Seins und Tuns: > 3MFfJM "IDKM ID IJ.ME TMgMD g.h*fJMD *De (1FFMD 7IM (I.GFIfJ% > 3MFfJM "IDKM M.JhF+MD 7IM MIDLhfJ ,1 gc(^ gMJIDeM.D 7IM ehgMIa eh, c* +*Da (h, WJDMD (IfJ+IK I,+% > WD (MFfJMD 7I+*h+I1DMD gM,I+cMD 7IM eIM k.MIJMI+a gM"+ c* ID)M,+IM.MDa ,1eh" MID L@. 7IM ,IDD)1FFM. P*+0*+ KMDM.IM.+ (I.e% > WD (MFfJME Sh&M ,IDe 7IM gM.MI+a ,IfJ )1D *DDC+IKME #hFFh,+ c* +.MDDMDa )1D "IDKMDa eIM 7IM (MeM. g.h*fJMD D1fJ (1FFMD D1fJ ,IfJ L.MI ehL@. MD+,fJIMeMD JhgMD% <?page no="40"?> 2 7IDD I,+ Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD <?page no="41"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK A\ "M/ $+-JEeD *2D ; eD h/ eDcI-c2 R "M/ K+,M Y/ +Db_ HMbMD : eK e+L`+-,MJMD ! IDM -IDD-,IL,MDbM : 2+/ I-,MDe"/ eG,I2D Jeden Morgen begibt sich David Johnson zum Fisherman’s Wharf in San Francisco. Dort, am kleinen Hafenabschnitt dieser besonderen kalifornischen Stadt, findet man vor allem eines - Touristen. Neben Fischbuden, Souvenirläden und Seelöwen, welche es sich auf Bootsstegen gemütlich machen, können Sie David treffen. Er ist einer der vielen Homeless in San Francisco: ohne Arbeit, ohne Geld, ohne Wohnung. Hinter einem Eukalyptusbusch am Straßenrand wartet David tagtäglich auf Passanten, um dann mit „seinem Eukalyptusbusch“ aufzuspringen und die Ahnungslosen mit Gebrüll zu erschrecken. Daneben stehen erwartungsvoll die Touristen, um von den kreischenden „Opfern“ Fotos oder Filme zu machen. Und von David Johnson, der sich jedes Mal kaputt lacht - seit mehr als dreißig Jahren. SI, h/ M+bM -MID YMFb *M/ bIMDMD Als „The Bushman“ ist David Johnson bekannt und inzwischen sogar berühmt geworden: mit einem eigenen Wikipedia-Eintrag und in vielen Reiseführern als Attraktion gelistet. David erheitert als „Bushman“ Menschenmassen, die ihm gerne ein paar Dollar zustecken. In einem guten Jahr erwirtschaftet er so einen Betrag von $ 60 000 3 . Trotz seiner schwierigen Situation als Obdachloser hat David Johnson einen Sinn in seinem Leben gefunden, einen Grund, jeden Morgen aufzustehen und auf seine ganz individuelle Art einen Wertbeitrag an die Gesellschaft zu leisten. Damit sorgt er für seinen Lebensunterhalt und schenkt seinen Zuschauern eine unvergessliche Episode während ihres San-Francisco-Besuches. David Johnson hat nicht nur einen guten Grund gefunden, <?page no="42"?> A[ 2 7IDD I,+ IEEM. Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD warum es sich für ihn lohnt, jeden Morgen aufzustehen und an seinem „Arbeitsplatz“ am Fisherman’s Wharf zu erscheinen; er hat auch das gefunden, was ihm Freude macht: eine Tätigkeit, die es für ihn wert ist, Zeit zu investieren. Und dafür bekommt David auch noch Geld. Das ist wirklich die Idealform eines sinnerfüllten Arbeitslebens. Y/ @DbM -IDb -MJ/ IDbI*Ib+MFF Wenn wir Sinn in unserem Arbeitsleben finden möchten, dann müssen wir uns fragen: Was ist mein Grund, jeden Tag aufzustehen? Und wann macht es für mich Sinn, Lebenszeit, Energie und Ideen für einen Arbeitgeber zu investieren? Die Rechnungen können ganz unterschiedlich ausfallen: Der eine Mitarbeiter steht jeden Tag auf, geht zur Arbeit und investiert seine Zeit, weil er schlichtweg Geld dafür bekommt. Mit diesem Geld kann er wieder in andere Dinge investieren, die ihm Freude bereiten und für ihn Sinn machen. Der Kollege hingegen investiert auch Lebenszeit, aber macht sich nichts aus Geld. Viel wichtiger ist es für ihn, jeden Tag nette Leute zu treffen. Und einem dritten sind die netten Leute womöglich total egal - für ihn zählen nur Anerkennung und Lob, die er durch seine Arbeit bekommt. Für jeden von uns gibt es eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Gründe, warum es sich lohnt, am Morgen aufzustehen und zur Arbeit zu gehen. Y+,M Y/ @DbM -IDb DIcJ,eDbM/ MeF- 6M/ ,M R 4dM/ bIM "M3DI,I2D bM- 6M/ ,MdMK/ ILL- 6e- +DeD,/ MId, Auf dem Weg der Sinnfindung braucht es die Erkenntnis: „Wer Sinn haben möchte, muss Lebenszeit investieren! “ Es braucht aber noch etwas Zweites: Es muss einen Grund geben, Xd01+JM,M <?page no="43"?> AZ Xd01+JM,M weshalb wir jeden Tag aufs Neue aufstehen und investieren, einen Grund, der für uns ganz persönlich wichtig ist, etwas, das uns antreibt und uns in Bewegung setzt - bildlich gesprochen die Karotte, die dem Esel vor die Nase gehalten wird. Man nennt das Motivation. Und Motivation (lat. movere = „bewegen“) ist nichts anderes als das Wissen um den Grund, für den wir bereit sind, uns zu bewegen, etwas zu tun, zu investieren. Denn dann wissen (oder glauben zu wissen oder zumindest hoffen) wir, dass am Ende des Tages etwas Wertvolles und damit Sinnvolles für uns herauskommt. UIDbM/ GMDDMD IJ/ M Y/ @DbM Meine kleine Nichte von knapp einem Jahr kennt ihre Gründe ganz genau. Wenn sie durch die Wohnung krabbelt, dann tut sie das nur, weil sie etwas wirklich interessant findet und nicht etwa, weil sich das Krabbeln für ein Baby in diesem Alter eben nun mal „gehört“. Sie ist von innen heraus motiviert und tief in ihrem Herzen dazu bewegt: eben weil sie zu ihrem Lieblings-Stoffhund Wau möchte oder aber neugierig auf die Welt um sie herum ist. Sie alleine kennt den Grund. Ihr Tun ist für sie in diesem Moment dann auch nicht anstrengend. Denn sie krabbelt ja aus freiem und eigenem Willen- in der Hoffnung, am Ende das zu bekommen, was sie sich vor ihrer Krabbelreise durch die Wohnung „ausgerechnet“ hat. Und ganz wichtig: Sie investiert niemals kostbare Energie grundlos. Warum auch, das würde ja keinen Sinn für sie machen. ! be/ L e+cJ FMIcJ, KMJMD Investitionen müssen nicht immer schwer sein. Wenn wir nur das tun, was uns Spaß macht, dann empfinden wir dies nicht als Anstrengung. Denn dann sind wir völlig bei uns, handeln aus unserem Innersten heraus. Wir kennen den Grund für unser Tun. Das Ziel, der Output beflügelt uns. <?page no="44"?> AB Xd01+JM,M 2 7IDD I,+ IEEM. Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD "M/ K/ 2'M 6M/ ,MdMK/ ILL Jeder von uns braucht einen Grund im Leben, ein Warum: warum er jeden Tag aufsteht, warum er zur Arbeit geht, warum er vieles einfach so aushält. „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“, hat Friedrich Nietzsche einmal formuliert. Und dieses Warum ist nichts anderes als das, was die Werte eines Menschen ausmachen. Wir sind bereit zu investieren, wenn das, was dabei herauskommt, einen Wert für uns hat. Werte - ein Wort, das oft missbraucht wird oder auch verbraucht ist. Eine allgemeingültige Erklärung für Werte abzugeben, ist nicht leicht. Eine „Kurzdefinition“ wäre etwa: „Strukturen normativer Erwartungen, die sich im Zuge reflektierter Erfahrung (Tradition, Sozialisation, Entwicklung einer Weltanschauung) herausbilden“. 4 6M/ ,M 2bM/ S2/ eF& Beleuchtet man einmal die Diskussionen über Werte - sei es auf gesellschaftlicher Ebene, in Unternehmen oder im politischen Kontext -, dann kann man häufig einen kleinen Fehler in der Denkweise der Verfechter erkennen: Da wird über Werte wie Integrität, Fairness, Gerechtigkeit diskutiert; und da ist davon die Rede, die Gesellschaft leide am Werteverfall, Unternehmen müssen neue Werte einführen und Ähnliches. Hier zeigt sich, dass Werte häufig mit überindividuellen Moralvorstellungen verwechselt werden. Unter Bezugnahme auf die gerade zitierte Definition ist ganz klar: Ein Wert hat etwas mit „Erwartungen“ zu tun und gleichzeitig mit „reflektierter Erfahrung“. Sowohl Erwartungen als auch Erfahrungen aber sind zutiefst individuell und subjektiv und verweisen auf die konnotative Komponente eines Wortes, also all das, was wir persönlich aus unserem Erfahrungsschatz heraus mit einem Wort verbinden. Werte sind also die Gründe, für die wir bereit sind zu investieren: Geld, Herzblut oder Lebenszeit. <?page no="45"?> AA Xd01+JM,M 6M/ ,M -IDb -MJ/ IDbI*Ib+MFF Man kann in Werte-Diskussionen nicht davon ausgehen, dass es die guten oder die schlechten Werte gibt. „Gut“ und „schlecht“ ergibt sich jeweils aus der Perspektive, aus welcher der Einzelne den Wert betrachtet. Werte sind abhängig von ihrem „Wahrnehmer“ und damit sehr individuell. Jeder definiert sein eigenes Wertesystem, indem er Erwartungen und Erfahrungen zusammenbringt und sie bewertet. Niemand kann einem anderen Werte aufzwingen - der andere muss überzeugt davon sein, dass ihm dieser Wert wichtig ist. Was für den einen von Wert ist, ist für den anderen womöglich völlig wertlos. Der Werte-Begriff ist denotativ betrachtet - von seinem Bedeutungskern her - erst einmal gänzlich wertungsfrei: weder gut noch schlecht. Es sind die individuellen Bewertungen des Einzelnen, die einen Wert für diesen Einzelnen wertvoll machen oder eben nicht. Ein positiver Wert ist dann der, für den der Einzelne bereit ist zu investieren. Auch wenn es von außen manchmal irrational, ja sinnlos aussieht. h/ MEbKM-,M+M/ , Tagtäglich tun wir eine Unsumme sinnloser Dinge, weil wir unseren wahren Grund, unsere Werte nicht mehr kennen und den Kontakt zu uns selbst verloren haben. Wir tun diese sinnlosen Dinge auch deshalb, weil wir durch viele äußeren Einflüsse in unserem Handeln geprägt sind. Nicht selten sind gesellschaftliche Erwartungshaltungen und damit sozialer Druck ein Grund dafür, warum wir etwas machen, in dem wir eigentlich keinen Sinn sehen: „Was würden denn die Leute von mir sagen, wenn ich auf einmal nur noch das tun würde, was mir Spaß macht? “ Aber auch innere Glaubenssätze, die uns möglicherweise von den Eltern oder unserem sozialen Umfeld vermittelt wurden, lassen uns Dinge tun, die im Grunde für uns persönlich sinnlos sind. „Arbeit muss eben schwer <?page no="46"?> A? Xd01+JM,M 2 7IDD I,+ IEEM. Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD sein“ oder „Ein Job macht nun mal keinen Spaß und ist nur zum Geldverdienen da“ - wir alle kennen derartige Glaubenssätze, die wir uns zu eigen gemacht haben. Das Phänomen der gesellschaftlichen Erwartungshaltung und inneren Glaubenssätze lässt sich mit extrinsischer Motivation bezeichnen: Es sind dies die Gründe, die uns von außen vorgegeben werden, die aber nicht unser Innerstes spiegeln und das, was jedem von uns persönlich wichtig ist. Doch alle uns von außen aufgezwungenen Werte sind keine wahren Werte. VMbM/ Je, -IM\ VMbM/ d/ e+cJ, -IM\ Ue+E MIDM/ GMDD, -IM\ Aber welches sind die eigenen Werte? Was ist mir persönlich wichtig im Leben? Was sind meine Gründe dafür, dass ich jeden Morgen aufs Neue aufstehe? Im Gegensatz zu den Kindern haben wir Erwachsene diese Gründe oftmals aus den Augen verloren: weil wir uns uns selbst entfremdet haben und den wahren Grund für unser Tun nicht mehr kennen. Wir tun tagtäglich Dinge, die für uns keinen Sinn machen, für die wir kein Warum haben: Wir wissen nicht mehr, warum wir uns ins Fitness-Studio quälen, obwohl uns die eintönigen Übungen an den Geräten zu Tode langweilen; wir wissen nicht mehr, warum wir nur Fastfood essen, obwohl es uns nicht schmeckt; wir wissen nicht mehr, warum wir im Vertrieb arbeiten, wo uns doch das Verkaufen gar keinen Spaß macht. Kurzum: Wir kennen unsere Werte nicht - und leben dann traurig vor uns hin und kennen den Grund für diese Traurigkeit gar nicht. Der Hintergrund: Wir haben uns selbst verloren. Auf dem Weg zum eigenen, zum persönlichen Glück haben wir uns ablenken lassen von gesellschaftlichen Erwartungen oder selbst konstruierten Annahmen, die es zu erfüllen gilt. So stehen wir im dichten Wald der Ablenkungen, des Müssens und Sollens und haben ganz den Weg des Wollens und Dürfens aus den Augen verloren. <?page no="47"?> A> $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 62L@/ )I/ `+ -,M/ dMD dM/ MI, -IDb_ beL@/ FMdMD )I/ R 4dM/ bIM WbMD,I3Ge,I2D *2D 6M/ ,MD "IM )eJ/ MD 6M/ ,M FMdMD 2L, IE "+DGMFD Die wenigsten von uns kennen ihre eigenen Werte. Und doch sind sie immer da. Wir tun Dinge, die wir gar nicht wollen, und bekommen Dinge, die wir gar nicht brauchen. Da weiß kaum einer mehr, wer er ist und wofür oder warum er etwas tut. Das ist keine Erscheinung der Neuzeit, sondern vielleicht eine grundlegend menschliche. Johann Wolfgang von Goethe hat dies bereits in seinem Werk „Die Leiden des jungen Werther“ festgehalten: „Daß die Kinder nicht wissen, warum sie wollen, darin sind alle hochgelehrten Schul- und Hofmeister einig; daß aber auch Erwachsene gleich Kindern auf diesem Erdboden herumtaumeln und wie jene nicht wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen, ebensowenig nach wahren Zwecken handeln, ebenso durch Biskuit und Kuchen und Birkenreiser regiert werden: das will niemand gern glauben, und mich dünkt, man kann es mit Händen greifen.“ (Johann Wolfgang von Goethe „Die Leiden des jungen Werther“, 22. Mai) 5 So geht es nicht nur Mitarbeitern, nein auch vielen Unternehmen ergeht es so. Nicht wenige Unternehmen haben ihre Unternehmensleitbilder und Werte vorbildlich ausformuliert und aufgeschrieben. In großen Buchstaben begegnen sie den Mitarbeitern in der Cafeteria, auf Fluren und in Foyers; oder sie richten sich in Hochglanz-Broschüren an attraktive Kunden und interessierte Bewerber. Wenn Sie aber einmal die Menschen innerhalb eines Unternehmens befragen, welches denn die Werte des Unternehmens eigentlich sind, so erhalten Sie nicht selten recht magere Aussagen wie: „Ja, so etwas wie Werte haben wir schon, aber kennen tut die keiner.“ So <?page no="48"?> A= $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 2 7IDD I,+ IEEM. Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD hart es klingen mag: Dann kann man auch nicht von wahren Werten sprechen. Vielmehr handelt es sich dann lediglich um traurige, leere Worthülsen. Was uns wichtig ist, das kennen wir. Das müssen wir nicht lange auswendig lernen oder in Seminaren einüben. Wir müssen ja auch nicht wirklich lange darüber nachdenken, welches unsere Lieblingsbeschäftigung in der Freizeit oder unser Lieblingsessen ist. Dinge, die uns wichtig sind, sind uns präsent. Im eben zitierten Beispiel aber leben und arbeiten Mitarbeiter und Unternehmen nebeneinander her, ohne die wahren Werte zu kennen, ohne darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist. XMFbMD GMDDMD IJ/ M 6M/ ,M Helden kennen ihre Werte ganz genau. Hans und Sophie Scholl demonstrierten mit Flugblättern an der Universität München gegen die Diktatur Hitlers. Die Geschwister waren Mitglieder der Weißen Rose, einer Gruppe von Münchener Studenten, die mit Herzblut für ihre Ideale und furchtlos und tapfer gegen den Nationalsozialismus kämpften. Hans und Sophie Scholl kannten ihre Gründe: Sie wussten, wofür sie investierten, und gaben alles für ihre Werte. Sogar das eigene Leben. 6M/ ,M )2JDMD EI"MD IE XM/ `MD Die Kenntnis der Werte, die Werttreue, das ist es, was Helden in unserer Gesellschaft ausmacht. Betrachtet man die Mitarbeiter eines Unternehmens, was glauben Sie: Wofür würde der eine und andere den „Märtyrertod sterben“? Sind es seine Kinder, sein Partner, sein Hund? Ist es der Job, der ihm Spaß macht, eine Aufgabe, die erfüllt und die einen Tag lebenswert macht? All die Antworten, die Sie auf diese Fragen erhalten, verweisen Sie auf die individuellen Werte eines Menschen und beinhalten seine wahre Motivation. Jeder Mensch vereint in sich ein Konglomerat an persönlichen Wertvorstellungen. <?page no="49"?> A< $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK In der Summe definieren die Werte des Einzelnen den Sinn, warum es sich für diesen Einzelnen lohnt, jeden Tag aufzustehen. Diese Werte und dieser Sinn machen einen Menschen ganz individuell aus. Sie sind sein Grund, für den sich stark zu machen es sich lohnt. "IM "Q% bM- ; MID- Die Werte eines Menschen definieren sein Selbst, sind gewissermaßen die DNA seines Innersten, seines Herzens. Die Werte des Einzelnen sind quasi der Spiegel seines Selbst. Vor allem bei Kindern zeigen sich diese Werte deutlich erkennbar. Daher geben uns Erwachsenen die Dinge, die uns in Kindheit und Jugend besonders wichtig waren, immer einen Hinweis darauf, für was wir wirklich bereit sind, Energie und Lebenszeit zu investieren. Werte sind all das, was mitten in unserem Herzen wohnt. Und bei einem Angriff auf unsere Werte werden wir selbst zum zähnefletschenden Wachhund dieser Werte. Besonders gut erkennen Sie Ihre Werte, wenn Sie hoch emotional agieren und reagieren - sei es freudig, traurig, betroffen oder wütend, wenn Sie lachen, toben oder weinen. Je stärker ein Wert ist, desto höher ist Ihre persönliche, emotionale Regung. 6M/ ,M +Db ! E2,I2DMD Stellen Sie sich vor, Sie bekommen mit, dass ein netter Kollege stets von Ihrem Chef benachteiligt wird - bei Gehaltserhöhungen wird der Kollege „übersehen“, in Meetings bloßgestellt, und hinter seinem Rücken wird schlecht über ihn gesprochen. Diese offensichtliche Ungerechtigkeit mag sie wütend machen oder traurig. Dass Sie emotional reagieren, ist auf jeden Fall ein Indikator für den Wert Gerechtigkeit, den Sie möglicherweise in sich tragen. Immer dann, wenn Sie in einer Situation emotional reagieren, hat etwas oder jemand ihre Werte berührt. Für die eigenen Werte haben sich manche <?page no="50"?> A; $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 2 7IDD I,+ IEEM. Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD Menschen ans Kreuz nageln, verbrennen und hängen lassen - weil es eben für sie Sinn gemacht hat. ; MFd-,/ MLFM(I2D_ ! J/ FIcJGMI, +Db S+, Egal ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber - jeder sollte seinen ganz individuellen Wertekatalog aufstellen und damit für sich selbst, sein Innerstes Verantwortung übernehmen. Dies erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion, an Ehrlichkeit und an Mut. Denn oftmals ist es gar nicht so einfach für uns zuzugeben (nicht einmal vor uns selbst), was uns persönlich wichtig ist. Wenn jeder seine Werte kennen und nach ihnen leben würde, dann würde jeder in seiner individuellen Investition an Lebenszeit Sinn erfahren. Dann hätten wir - davon bin ich überzeugt - eine leistungsfähigere und zugleich glücklichere Gesellschaft. Ich glaube hierbei an ein ausgleichendes Prinzip im Universum und der Natur, dass die Lieblingsaufgaben so verteilt sind, dass alles zusammen ein in sich stimmiges ganzes System ergibt. Ein System, in dem jeder symbiotisch mit seinem Umfeld zusammenleben kann und für sich den höchstmöglichen Nutzen daraus zieht. Klar, es gibt immer auch das Schlechte im Menschen, das vermutlich auch mitten im Herzen wohnt. Aber womöglich ist es gerade das Schlechte im Menschen, das es braucht, damit eine Gesellschaft im Gleichgewicht bleiben kann. "IM #JeDcM L@/ %/ dMI,KMdM/ Mit dem Wissen um die Kraft der Werte und um den Zusammenhang mit den Emotionen können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter nachhaltig motivieren. Sobald das eigene Wertesystem gesehen und angesprochen wird, agiert der Mensch und Mitarbeiter nämlich von ganz alleine und in seinem ganz persönlichen Stil - weil es dann eben Sinn für ihn macht. <?page no="51"?> ? \ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD Doch aufoktroyieren können Arbeitgeber ihren Mitarbeitern ein bestimmtes Wertesystem nicht. Denn jeder Mensch ist selbst der Gestalter seines Wertesystems, weil jeder Mensch für sich alleine bewertet, was gut und schlecht ist. Jeder füllt und bewahrt seine eigene Schatzkiste im Leben: was wertvoll ist für ihn und was nicht. "IM U2D-,/ +G,I2D bM/ 6I/ GFIcJGMI, R 6IM NM/ -1MG,I*MD +D-M/ M 6M/ ,M bM3DIM/ MD ! ID <MD2I/ L@/ -IMdMD "2FFe/ Es ist ein Flohmarkt wie jeder andere im US-Staat Virginia. Buntes Treiben, potenzielle Käufer auf der Suche nach Schnäppchen, Sammlerstücken, Raritäten. Die Hoffnung aller Flohmarktgänger ist es, das zu finden, was einem selbst viel wert und dem Verkäufer so gut wie nichts wert ist. Eine Frau schlendert vorbei an Kleiderständern, Kommoden, Kisten, vollgestopft mit alten Schallplatten. Es riecht nach feuchtem Papier, ganz herb nach rostigem Metall. Inmitten des wilden Treibens entdeckt die Frau zwischen Hüten und Schals, Zinnkännchen und Kristallkelchen eine Kiste - darin eine alte Puppe, eine Plastikkuh und ein Bild in einem goldfarbenen Barockrahmen. Die Frau hebt das Bild auf, streicht vorsichtig über den Rahmen. Der Rahmen gefällt ihr sehr, und sie fragt den Verkäufer: „Was soll der denn kosten? Der Rahmen, meine ich.“ Der Verkäufer antwortet: „Geben Sie mir $ 10, dann kriegen Sie die ganze Kiste: Puppe, Plastikkuh und Bild.“ „Ja, aber ich bräuchte ja nur den Rahmen“, erwidert die Frau. „Ich gebe Ihnen $ 7 dafür. Wie wäre das? “, feilscht sie. Der Verkäufer entgegnet: „In Ordnung, abgemacht! “, und reicht ihr die Hand, um das Kaufgeschäft zu besiegeln. „Die Plastikkuh und die Puppe bekommen Sie trotzdem dazu. Nehmen Sie die <?page no="52"?> ? [ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 2 7IDD I,+ IEEM. Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD komplette Kiste, das ist einfacher zu transportieren. Außerdem bin ich froh, wenn das Zeug endlich weg ist.“ %+L bIM NM/ -1MG,I*M G2EE, MeD Zu Hause packt die Frau ihre neu erworbenen Schätze aus. Ihre Mutter kommt hinzu. Als sie das Bild aus dem Rahmen nehmen möchte, um es zu entsorgen, rät ihr die Mutter, es doch von einem Experten prüfen zu lassen. Und siehe da: Ein Auktionshaus in Virginia kommt nach der Prüfung des Bildes im September 2012 zu einem ganz verblüffenden Ergebnis: Das Bild ist gut 15 000-mal so viel wert wie der Einkaufspreis der Kiste mit Puppe, Kuh und Bild! Gemalt hat es Pierre- Auguste Renoir, Vertreter des französischen Impressionismus: Seine „Landschaft an der Seine“ hat einen Wert von gut $ 100 000. Unklar bleibt, wie das Bild auf den Flohmarkt kam. 6 Sicher ist wohl, dass sich der ursprüngliche Eigentümer zeitlebens ärgern wird. Plötzlich können Dinge, die vorher keinen Wert hatten, etwas wert sein, nur weil ein anderer aus einer fremden Perspektive daraufschaut. So bewegen wir uns tagtäglich auf dem Flohmarkt unseres Lebens. Was für den einen Wert hat, ist für den anderen Plunder und Müll. Wert definiert sich immer durch den Blickwinkel. Die eigenen Werte mögen für den anderen sinnlos sein - für einen selbst sind sie maßgeblich für ein glückliches Leben. "IM MIKMDMD 6M/ ,M @dM/ 1/ @LMD Wichtig ist, dass wir flexibel in unseren Perspektiven bleiben: Was uns heute etwas wert und wichtig ist, kann morgen schon gänzlich wertlos sein für uns, weil sich beispielsweise unsere Lebensumstände verändert haben. Es gilt also, zunächst die eigene Wertehierarchie aufzustellen und die persönlichen Werte zu identifizieren, sie sodann und in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, dabei alte, weil überholte Werte los- <?page no="53"?> ? Z 8I,IGMD *De YMLhJ.MD zulassen und im Gegenzug neue anzunehmen und in unser Wertesystem zu integrieren. Die Gefahr besteht sonst, dass wir an einem alten Wertesystem festhalten, das schon lange nicht mehr zu unserer Lebenssituation und zu uns selbst passt. Statt beispielsweise über Neujahrsvorsätze nachzudenken, die Mitte Januar nach viel Frust schon wieder vergessen sind, könnte ein jeder von uns an Silvester ein paar Minuten investieren, um seine eigene Wertehierarchie zu überprüfen. Das wäre eine sehr viel sinnvollere Investition an Zeit auf dem Weg zu einem glücklichen Leben, statt sich ein neues Muss aufzubürden, das nicht dem eigenen Selbst entspricht. ! IDM h/ eKM bM- ; ,eDb1+DG,M- Die Perspektive entscheidet, welche Gewichtung ein Wert im eigenen System findet: Für den Familienmenschen beispielsweise ist die Kindertagesstätte ein sehr großer Wert und damit wesentlich für Sinnfindung. Für den 55-jährigen Abteilungsleiter dagegen mag die Vergünstigung im Golf-Club ein attraktiver Mehrwert sein. Wir Menschen haben also nicht nur unterschiedliche Wertesysteme, nein: wir gewichten die Werte in diesem System auch je eigen - selbst wenn uns womöglich grundsätzlich die gleichen Dinge wichtig sind. Die Gewichtung, die wir innerhalb unseres Wertesystems jeweils vornehmen, hängt dabei von unserer Religion, unserer Kultur, unserer Bildung ab, vor allem auch von unserem Lebensalter. %F,M/ -cJ@,`, *2/ 6M/ ,MD DIcJ, Vor kurzem hatte ich ein interessantes Gespräch mit einem ehemaligen Kollegen. Er stand kurz vor der Rente und freute sich auf seinen wohl verdienten Ruhestand. In unserem Gespräch wanderte er mit mir durch die letzten Jahrzehnte seines Lebens. Und natürlich gab es nicht nur Sonnenseiten. Doch prägnant in seinen Erzählungen war: Die Prioritäten in <?page no="54"?> ? B 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 2 7IDD I,+ IEEM. Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD seinen jeweiligen Lebensphasen und damit auch seine Sichtweisen hatten sich immer wieder verschoben. In seinen Zwanzigern wollte er die Welt verändern, es war ihm wichtig, einen guten Status innerhalb des Unternehmens zu haben, Ergebnisse zu generieren. Das Privatleben interessierte ihn weniger - dafür hatte er keine Zeit. Doch dann lernte er mit 32 Jahren seine Frau kennen, und alles änderte sich für ihn. Nach kurzer Zeit hatte er viele zusätzliche, zeitintensive Rollen in seinem Leben auszufüllen, etwa Ehemann und Vater. Plötzlich konnte er sich nicht mehr über nicht eingehaltene Deadlines in seinem Job als Projektleiter aufregen. Es schien ihm geradezu banal. Er hatte für ihn Wichtigeres im Kopf: nämlich die Masern seiner kleinen Tochter oder den Kredit für sein neues Eigenheim. Da war kein Platz für sinnlose Keilereien im Unternehmen. Er bewegte sich in dieser Zeit mehr auf der Privatbühne als im Job: Das private Leben war sein Fixstern, alles andere musste sich darum herum anordnen. Es fiel ihm leicht damals, so sagte er, Kränkungen, Kriege und Sinnlosigkeiten im Job zu ertragen. Denn sein Fokus galt seiner Familie. Doch irgendwann waren die Kinder aus dem Haus, und der Kredit war abbezahlt. Nun gab es eine spannende Wendung: Der Job konnte wieder mehr Raum und Aufmerksamkeit einnehmen. Plötzlich ärgerte sich mein ehemaliger Kollege wieder über die Intrigen der anderen, die ineffizienten Prozesse und all die Sinnlosigkeiten, die ihm die letzten Jahre nicht mehr aufgefallen waren. Er konnte dies alles nun auch nicht mehr so leicht ertragen. Denn er sah keinen Sinn darin, das so hinzunehmen. Etwa des Geldes wegen? Warum? Schließlich waren seine Kinder versorgt. Er hatte kein Warum mehr, das sinnlose Wie in diesem Unternehmen zu ertragen. Sein Schwerpunkt hatte sich erneut verschoben, und so entschloss er sich mit Mitte 50, als freier Berater in die Selbstständigkeit zu gehen. Und wurde mit dieser Entscheidung glücklich. <?page no="55"?> ? A 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 6IM ID bM/ S2bM)MF, g Sinn ändert sich für uns, je nach Lebensalter, und damit auch unsere Perspektiven: Was heute noch schön und wichtig ist, ist morgen womöglich schon wieder hässlich und unwichtig - und vielleicht übermorgen erneut schön und wichtig. Die Modewelt lebt von diesem Prinzip: Denken wir nur an Schlaghosen und Schnurrbärte - wie konnte man damals nur! Unternehmen, die Sinn stiften wollen, stehen vor der großen Herausforderung, nebst mannigfaltiger Werte auch noch die unterschiedlichen Lebensphasen ihrer Mitarbeiter in eine effektive Sinnstiftung zu integrieren. %G,I* bIM MIKMDM NM/ -1MG,I*M *M/ .DbM/ D Jeder von uns kann seine Perspektive aktiv verändern. Wir können uns ganz bewusst für bestimmte Standpunkte entscheiden und auf diese Weise unsere Werte und Sinnfindung bewusst beeinflussen. Das ist eine tolle Sache: Wir selbst sind dafür verantwortlich, wie wir die Welt sehen möchten. Damit sind wir auch verantwortlich, was in unserem Wertesystem Bestand hat und was uns Sinn gibt. Wir können selbst entscheiden, durch welche Brille wir die Welt sehen wollen, welche Brille auf der Suche nach Sinn wir aufsetzen und welche wir absetzen. 6eJ/ DMJE+DK-d/ IFFMD e+L] +Db ed-M,`MD Im Grunde hat jeder von uns auf seinem Weg durchs Leben verschiedene Brillen im Gepäck, Brillen, die uns die Welt auf diese und jene Art wahrnehmen lassen. Weil wir Menschen aber die Tendenz zu Bequemlichkeit haben, tragen wir meist unsere Lieblingsbrille, mit der wir die Welt auf die eine Weise ansehen: der Pessimist die Pessimistenbrille, der Optimist die Optimistenbrille oder der Naive die Naivitätsbrille. Unsere Perspektiven und die echten Brillen haben etwas gemeinsam: <?page no="56"?> ? ? 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 2 7IDD I,+ IEEM. Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD Sie passen nicht immer, nicht auf jede Nase und auch nicht für jede Situation. Manche sind für die Weite ganz gut, andere für die Ferne. Eine Brille, die mir heute noch gute Dienste leistet, kann dies nicht mehr, wenn sich morgen meine Sehleistung verändert. Ähnlich verhält es sich mit unseren Wahrnehmungsbrillen: Die eine passt im Job vielleicht ganz gut, dafür aber nicht im Privatleben. Oder aber: Die eine passt für die Projekttätigkeit, aber dafür nicht für konzeptionelles Tun. Wir brauchen einen großen Fundus an Brillen, durch die wir die Welt sehen und mittels derer wir unsere Perspektiven ändern können. Denn wir können unsere Werte nur erkennen und eigenverantwortlich unseren Sinn finden, wenn wir je nach Situation die richtige Brille aufsetzen. hIF,M/ L@/ 6M/ ,IKGMI, Die Wahrnehmungsbrillen muss man sich wie einen Filter vorstellen: einen Filter, der eine Vorentscheidung trifft, was wir von der Welt scharf sehen sollen und was nicht, ob die Welt in hellem Gelb leuchtet oder in tristem Grau. Es ist für uns Menschen wichtig, diese Filter zu haben. Denn die Komplexität an Informationen, die auf uns in jeder Millisekunde einströmt, ist enorm. Das könnte kein Gehirn dieser Welt bewusst verarbeiten. Daher fokussiert sich unsere Wahrnehmung auf die für den Einzelnen individuell wichtigen und wertigen Informationen. Diese Filter, die über wichtig und wertig entscheiden, sind bei jedem Menschen unterschiedlich. Sie verändern sich täglich. Entsprechende Einflüsse sind biografischer (Schicksalsschläge, Erziehung …), kultureller (Dorfgemeinschaft, Religion …) oder professioneller (Ausbildung, Studium, Beruf …) Art. Diese Filter sind wiederum durch unsere je eigenen, individuellen Wertvorstellungen definiert: „Was ist für mich wertvoll genug, dass ich es wahrnehme? “ „Welche Information ist für mich sinnvoll, da sie meinen <?page no="57"?> ? > 8I,IGMD *De YMLhJ.MD eigenen Werten entspricht? “ Sie bestimmen darüber, was in unser Bewusstsein dringt und was nicht, was uns wichtig ist und was nicht. So sieht ein griechischer Elektrotechniker mit 60 Jahren die Welt ganz anders als ein norwegischer Straßenmusiker mit gerade einmal 21 Jahren. 6MDD ; IDDKMd+DK @dM/ FMdMD-D2,)MDbIK )I/ b Jeder Mensch konstruiert sich seine eigene Wirklichkeit. Jeder Mensch ist damit für seine Sicht der Dinge verantwortlich und damit auch dafür, ob eine Situation für ihn wertig ist und er darin Sinn erfahren kann oder eben nicht. Es gibt Situationen, in denen Menschen unbedingt und unmittelbar Sinn erleben müssen. Weil die Situation sonst unerträglich wäre und wir daran zugrunde gehen würden. Dann ist es höchste Zeit für uns, eine andere Brille aufzusetzen: Wir sind angehalten, der Situation, dem Schicksalsschlag aktiv Wert zu geben, indem wir unsere Perspektive, unseren Blick auf die Welt und damit unsere Rolle verändern. Ich möchte Ihnen als Beispiel eine sehr unschöne Episode aus meinem Leben schildern, in welcher ein Kollege - nennen wir ihn Helmut - mit seinem ganzen Hass auf mich ein Team um mich herum infizierte. Er mochte mich vom ersten Tag an nicht, das wusste ich von meinem Chef. Helmut hatte sich, bevor ich überhaupt meinen ersten Arbeitstag antrat, aktiv bei meinem Chef gegen meine Einstellung ausgesprochen. Dennoch wurde ich eingestellt und erledigte meinen Job zur höchsten Zufriedenheit. Ich ließ mir nichts zuschulden kommen, war nett, höflich und freundlich. Trotzdem ging das Team jeden Tag mit neuen Sticheleien auf mich los. Und ich fragte mich: „Welchen Sinn macht es, jeden Tag zur Arbeit zu gehen? Dorthin, wo dir so viel Ungerechtigkeit widerfährt, obwohl du ja nichts falsch machst und nichts dagegen tun kannst.“ Die Frage nach dem Sinn konnte ich nur so beant- <?page no="58"?> ? = 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 2 7IDD I,+ IEEM. Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD worten: Ja, es machte Sinn - für die Kollegen. Für das Team hatten die Angriffe gegen mich eine hohe Wertigkeit - mit dem neuen Feindbild festigte sich die Gruppe, Bindung wurde hergestellt. Sie hatten jemanden, gegen den sie sich abgrenzen konnten. Der Teamgedanke wurde stärker. Leider half mir diese Erkenntnis in meinem Unglück nicht wirklich weiter. Im Gegenteil: Die Ungerechtigkeit, die mir tagtäglich widerfuhr, wurde so nur noch plastischer für mich, machte mich traurig und wütend. <2FFMD)McJ-MF GeDD ; IDD -,IL,MD Und so entschied ich eines Tages - ich hatte zwar schon gekündigt, musste aber die restlichen drei Monate noch hinter mich bringen -, einen Rollenwechsel vorzunehmen. Ich ging nicht mehr als Personalentwicklerin ins Unternehmen, sondern als Feldforscherin: Denn ich hatte doch nun die einmalige Gelegenheit, am eigenen Leib mitzuerleben, wie es ist, gemobbt zu werden und was in einer Gruppe passiert, die ein Feindbild ausgemacht hat. So schrieb ich meine Beobachtungen auf, wertete sie aus, analysierte und interpretierte sie, las dazu viel Sekundärliteratur. Mein Schmerz über die Ungerechtigkeiten bekam in meiner neuen Rolle und mit der Brille der Feldforscherin auf einmal einen Wert und folglich einen Sinn. Dies ließ mich nach vorne blicken und die restlichen drei Monate gut überstehen. Das Beispiel zeigt: Sinngebung kann aktiv und unmittelbar funktionieren. Es erfordert meist „nur“ einen Rollen- oder Perspektivenwechsel. <?page no="59"?> ? < 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK 6e/ +E ; IDD Je/ ,M %/ dMI, EI, 6M/ ,MD I-, Jeder Mensch hat seine ganz eigenen Gründe, warum es sich für ihn lohnt, jeden Tag aufzustehen. Und jeder hat seine ganz eigenen Gründe, warum er Zeit investiert. Unsere individuellen Gründe sind der Kern dessen, was zu tun uns wirklich Freude bereitet und uns leicht von der Hand geht. Machen Sie sich Ihre Gründe bewusst. > 3h, I,+ WJ. Y.*Dea L@. eMD M, ,IfJ F1JD+a HMeMD 6hK h*Lc*,+MJMD% > 3MFfJM. Y.*De gM.MI+M+ WJDMD gM,1DeM., )IMF k.M*eM% Wer in das investiert, was für ihn persönlich wichtig ist, wird Sinn erfahren. Es gibt für jeden von uns ganz individuelle Gründe, warum es sich lohnt zu investieren. Diese Gründe sind nichts anderes als unsere Werte. Werte stehen für all das, was uns wichtig ist, und sie dürfen nicht mit Moralvorstellungen verwechselt werden, denn diese skizzieren ein Idealbild des guten Handelns und beinhalten auf diese Weise schon eine Bewertung. Was dagegen Wert hat und wertig ist für jeden von uns, das bewertet jeder Einzelne selbst und ganz individuell. Anders als Moralvorstellungen sind Werte also etwas zutiefst Individuelles. Die eigenen Werte kann jeder nur für sich selbst ermitteln und definieren. Doch nur die wenigsten von uns kennen ihre wahren Werte. Nicht selten sehen wir unsere Werte nicht mehr, weil sie überlagert sind von gesellschaftlichen Erwartungshaltungen oder inneren Glaubenssätzen. Doch nur wer nach seinem eigenen Wertesystem investiert, wird Sinn erfahren und wird seine Investition nicht als Anstrengung, sondern sogar als Freude empfinden. Darum ist es so wichtig, seine eigenen Werte zu kennen. <?page no="60"?> 2 7IDD I,+ IEEM. Jh.+M $.gMI+ EI+ 3M.+MD ? ; 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK Werden Sie sich klar über Ihre Werte und überprüfen Sie Ihre Glaubenssätze sowie die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, an denen Sie sich orientieren. > 3h, I,+ WJDMD (I.GFIfJ (IfJ+IK IE TMgMD% > 3MFfJM ! .(h.+*DKMD ,+MFFMD 7IM ,MFg,+ hD ,IfJ% 5De (MFfJM ! .(h.+*DK,JhF+*DKMD (M.eMD )1D WJ.ME 5ELMFe / h*fJ h*, eM. 4M.KhDKMDJMI+a c^ #^ ! F+M.Db gc(^ )1D h*&MD hD 7IM JM.hDKM+.hKMD% > ShfJMD WJ.M YFh*gMD"-+cM *De ! .(h.+*DK,JhF+*DKMD L@. 7IM 7IDD% > 3MFfJM YFh*gMD"-+cM ,IDe D@+cFIfJ L@. 7IMa (MFfJM gMJIDeM.D 7IMa *De )1D (MFfJMD GCDDMD 7IM ,IfJ )M.hg_ ,fJIMeMD% Werte erkennen Sie zum einen daran, dass es um etwas geht, das Ihnen bereits in der Kindheit wichtig war. Zum anderen zeigen sich Werte in Reinform, wenn Sie emotional reagieren. Immer dann wenn Emotionen im Spiel sind, ist ihr Wertesystem aktiviert. Eine hohe emotionale Regung lässt folglich auf einen starken Wert zurückschließen. Identifizieren Sie ihr eigenes Wertesystem. > 31L@. ,+MJMD 7IM% > 31L@. ,IDe 7IM gM.MI+ c* ID)M,+IM.MD / TMgMD,cMI+a WeMMDa YMFe jb% > 31L@. (@.eMD 7IM ,1Kh. eMD S-.+d.M.+1e ,+M.gMD% > WD (MFfJMD 7I+*h+I1DMD FMgMD 1eM. JhDeMFD 7IM (IeM. WJ.M 3M.+M% > 3hDD ,IDe 7IM ME1+I1DhF hDK.MILgh.% Wert definiert sich immer aus dem Blickwinkel heraus, aus dem wir ihn betrachten. Was dem einen viel wert ist, mag für den anderen womöglich Plunder sein. Und was heute Wert hat, mag morgen schon wertlos sein - oder andersherum. <?page no="61"?> >\ 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK Daher gilt es, nicht nur eine eigene Wertehierarchie aufzustellen, sondern auch in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob die Werte noch zum eigenen Leben passen und ob neue Werte hinzugekommen sind. Stellen Sie daher jährlich Ihre Wertehierarchie auf den Prüfstand. > 3MFfJM, ,IDe WJ.M eM.cMI+IKMD 3M.+M% > 3MFfJM eh)1D ,IDe hE (IfJ+IK,+MD L@. 7IMa (MFfJM ,IDe (MDIKM. (IfJ+IK% > WD (MFfJM. 8hDK1.eD*DK ,+MJMD WJ.M 3M.+M% > Nh"+ eIM,M XIM.h.fJIM D1fJ c* WJ.ME HM+cIKMD TMgMD% > 3h, I,+ DM* gc(^ (h, 0h"+ DIfJ+ EMJ. ID WJ. TMgMD% Jeder Mensch konstruiert sich seine eigene Wirklichkeit. Wir sind selbst dafür verantwortlich, wie wir die Welt erleben, durch welche Brille wir die Welt sehen und ob wir dabei Sinn erfahren. Durch das Wahrnehmen von für uns wertigen Sachverhalten erfahren wir schlussendlich Sinn. Jeder sollte daher grundsätzlich flexibel sein und öfter einmal die eigene Brille ab- und eine andere dafür aufsetzen, um auf diese Weise neue Perspektiven zu erproben. Wenn wir aktiv die Perspektive wechseln, können wir den Dingen einen Wert geben, den sie aus der ursprünglichen Perspektive heraus nicht hatten. Damit gelingt es uns, auch leidvolle Phasen im Leben leichter zu ertragen. Überprüfen Sie Ihre Perspektive. > Xh+ M+(h, h*, eM. HM+cIKMD NM.,0MG+I)M MIDMD 3M.+ L@. 7IM% > 3MDD DMID: 3h, GCDDMD 7IM hG+I) +*Da *E MIDMD 3M.+ L@. ,IfJ c* ,+IL+MD% > 3MFfJM hDeM.M NM.,0MG+I)M GCDD+MD 7IM MIDDMJEMD gc(^ (MFfJM. 81FFMD(MfJ,MF (@.eM WJDMD JMFLMDa *E eIM 7I+*h+I1D h*Lc*(M.+MD *De ,IDD)1FF c* KM,+hF+MD% > 3MFfJM #.IFFMD GCDD+MD 7IM h*,0.1gIM.MDa ehEI+ eIM 3MF+ M+(h, g*D+M. *De ehEI+ (M.+IKM. h"IMJ+% <?page no="62"?> 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD <?page no="63"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK >Z 7M/ ,/ e+MD I-, ; IDD_ U2D,/ 2FFM I-, 9D]; IDD& R 4dM/ 7M/ ,/ e+MD eF- 72/ -cJ+-- L@/ ; IDD "IM Y/ +DbFeKM MIDM/ HMbMD WD*M-,I,I2D 2013 lassen die Meldungen über sinkende Zahlen von Organspendern die Öffentlichkeit aufhorchen. Grund für die sinkenden Zahlen: Die jüngsten Skandale über Ärzte, welche - vermutlich bestochen - die Reihenfolge der Empfänger für Organspenden auf den einschlägigen Wartelisten manipuliert und so dem einen und anderen durch eine vorgezogene Transplantation (Lebens-)Vorteile verschafft hatten. Vertrauen wurde missbraucht, Vertrauen wurde erschüttert. Wenn aber das Vertrauen in jemanden oder etwas fehlt, erfolgt keine Investition (mehr). So erklären sich die rückläufigen Zahlen. 7 Wir alle wissen, dass wir investieren müssen, um Sinn bei unserer Arbeit zu erfahren. Und wir kennen auch den Grund, unsere eigenen Werte, für die es sich für uns lohnt zu investieren. Aber dass wir überhaupt investieren, setzt nichts anderes voraus als: Vertrauen. ! ID S2bMFF 2JDM ; IcJM/ JMI, Vertrauen ist die Basis eines jeden Deals. Wer vertraut, der investiert - aber auch erst einmal ohne Sicherheit - und ist damit ein Risiko-Anleger. Jemand, der vertraut, der investiert: Zeit, Ressourcen, Ideen, Liebe und vieles mehr - ohne dabei die Sicherheit zu haben, dass für ihn auch ein Mehrwert entsteht. Doch Fakt ist: Jemand, der vertraut, der ist bereit zu geben. Das zu erkennen und zu wissen, ist ganz wesentlich für die Führung von Mitarbeitern in Unternehmen. Zum Zeitpunkt der Investition können Sie sich nie zu 100% sicher sein, ob diese Investition auch Sinn macht. Zu mannigfaltig sind die Gründe dafür, dass Ihre Investition keinen Sinn machen könnte: Ihre Werte könnten sich während des Inves- <?page no="64"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK >B 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD tierens verändern, was bedeutet, dass sie dann etwas bekämen, das sie gar nicht mehr brauchen, nicht mehr wollen. Oder aber sie bekommen trotzdem nicht das, was Sie sich errechnet haben: Ihr Chef verspricht Ihnen beispielsweise einen Zielbonus von € 10 000, wenn Sie die Verkaufszahlen innerhalb eines Jahres um 20 % steigern. Doch dann kann es sein, dass Sie am Jahresende trotz Erfüllung Ihrer Ziele nur die Hälfte des Bonus bekommen oder womöglich gar nichts - vielleicht weil das Unternehmen kurz vor dem Aus steht oder aber Ihr Chef ein Lügner ist. So bitter die Wahrheit erst einmal ist: Wenn Sie Sinn erfahren möchten, haben Sie keinerlei Sicherheit, dass Sie auch Sinn bekommen werden. Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als in Vorleistung zu treten mit Ihrer Investition und also einen Vorschuss zu gewähren, und zwar einen Vertrauensvorschuss: Sie müssen blind vertrauen - darauf, dass Sie auch das bekommen, was Ihnen wichtig ist, und dass Ihre Investition Sinn macht. <@cG-cJ/ I" b+/ cJ SI--,/ e+MD Unser Arbeitsalltag ist von Misstrauen geprägt: Da setzen Arbeitgeber ihren Mitarbeitern riesige Kontrollapparate, Zeiterfassungssysteme oder Compliance-Abteilungen vor die Nase und behindern sie so auch noch bei ihrer eigentlichen Tätigkeit. Vertrauen strahlt das nicht aus. Und wieso sollte ein Mitarbeiter Vertrauen aufbringen, wenn ihm tagtäglich Misstrauen entgegengebracht wird? Im Februar 2013 macht die neue Chefin eines riesigen Internet-Unternehmens Schlagzeilen - sie schafft als Erstes Heimarbeit ab. Eine Freiheit wie das Home-Office, wie sie früher noch zum positiven Arbeitgeber-Image beigetragen hat, ist fortan gestrichen. Die Begründung seitens der Unternehmerin: Man holt ihre Mitarbeiter deshalb ins Büro zurück, weil sie die Faulenzer ausmisten will; und weil ihr hand- <?page no="65"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK >A feste Beweise dafür vorliegen, dass ihre Mitarbeiter während des Home-Office für eigene private Projekte arbeiten und eben nicht fürs Unternehmen. Diese Beweise haben sich aus dem Umstand ergeben, dass die Mitarbeiter unwissentlich überwacht worden sind: Man hatte die Logins überprüft und auf diese Weise festgestellt, wer wann wie viel gearbeitet hatte. War es wirklich notwendig, erst zu überwachen und dann zu sanktionieren? Legitimiert Fehlverhalten Misstrauen und damit Überwachung? Ist Freiheitsentzug der wahre Weg zu mehr Produktivität? 7M/ ,/ e+MD-*2FFM TMdMD-L2/ E> bIM ; aEdI2-M Die Sinnfindung von Mitarbeitern nimmt in einer Kultur des fehlenden Vertrauens zunehmend ab. Denn wer investiert schon gerne für jemanden, der ihm im Gegenzug misstraut? Würden Sie Ihrem Lebenspartner sämtliche Freiheiten gewähren, ihn mit Geschenken überhäufen, während er versucht, Sie zu Hause einzusperren und zu sanktionieren? In der Natur finden Sie viele vertrauensvolle Lebensformen. Da gibt es in Afrika beispielsweise diesen kleinen Vogel, der wagemutig in das Maul des Krokodils klettert und dort immer wieder aufs Neue die Speisereste aus den Zahnzwischenräumen der gewaltigen Panzerechse pickt. Das Krokodil verharrt still mit offenem Maul, denn es weiß, dass es für ihn einen größeren Mehrwert bedeutet, ein sauberes und gesundes Gebiss zu haben, als dieses kleine Vögelchen zu verschlucken. Und dieses kleine Vögelchen vertraut dem Krokodil - auf dass jenes auch morgen noch kraftvoll zubeißen kann. h/ M--MD +Db KML/ M--MD )M/ bMD In vielen Unternehmen hüpfen die „Mitarbeiter-Vögelchen“ ins „Maul“ der Unternehmen, werden aber sogleich gefressen und die kläglichen Überreste vom System achtlos ausge- <?page no="66"?> >? 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD spuckt. Den „Überlebenden“ bleibt nur noch Angst, Enttäuschung und Misstrauen. Alternativen auf der Suche nach Nahrung - um im Bild vom Vögelchen zu bleiben - werden gesucht und gefunden. Und diese gehen zulasten des Arbeitgebers: Da klaut man Toilettenpapier, telefoniert privat oder schwindelt bei der Zeiterfassung. Im Gegenzug werden Kontrollapparate verschärft und Gehälter gekürzt. ; aEdI2-M -,e" Ne/ e-I,I-E+- Aber funktioniert ein Miteinander eigentlich nicht ganz leicht? Die natürliche Form der Arbeitgeber-Mitarbeiter-Beziehung ist nicht der Parasitismus, bei dem jeder versucht, den anderen für seine Vorteile auszunehmen. Vielmehr ist diese Beziehung in ihrem Ursprung eine Symbiose, also eine Beziehung, in der Mitarbeiter und Arbeitgeber jeweils das bekommen, was ihnen wichtig ist. Es ist sogar eine Beziehung, in der jeder den anderen zur Erreichung seiner Ziele braucht: Der Arbeitgeber ist angewiesen auf die Arbeitskraft und Leistung der Mitarbeiter, um die Produktivität und damit den Unternehmenserfolg zu steigern; und der Arbeitnehmer ist abhängig vom Arbeitgeber, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Damit eine symbiotische Beziehung funktioniert, braucht es vor allem eines, und das ist Vertrauen. 6M/ *M/ ,/ e+,_ Je, `)MI X.DbM L/ MI R 6e/ +E 7M/ ,/ e+MD MID ! / L2FK-LeG,2/ I-, 7M/ ,/ e+MD -cJeLL, 72/ -1/ +DK Laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts YouGov haben sich 21% der 29 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in 2012 ohne Grund krankgemeldet. Das beschert der deutschen Wirtschaft hochgerechnet einen Xd01+JM,M <?page no="67"?> >> Xd01+JM,M Schaden von € 5 bis 10 Milliarden jährlich. 8 Doch damit nicht genug: Zur physischen Abwesenheit kommen noch all die sinnlosen Kosten hinzu, die entstehen durch die Anwesenheit der Mitarbeiter, welche das Vertrauen verloren haben. Ein Mitarbeiter, der den ganzen Tag damit beschäftigt ist, Möglichkeiten des Nichtstuns zu finden und kostenlose Benefits für sich abzustauben, der kostet nämlich richtig viel Geld. Er verbraucht Wasser, Strom oder Toilettenpapier - ganz abgesehen davon, dass er mit seiner unmotivierten Art Kollegen von der Arbeit abhält. SI--,/ e+MD L/ I--, <M--2+/ cMD Vertrauen ist aber nicht nur unabdingbar für die eigene Sinnfindung („Ich investiere im Vertrauen darauf, dass eine für mich wertige Ausschüttung erfolgt.“), sondern auch ganz wesentlich für den kontinuierlichen Erfolg eines Unternehmens. Misstrauen kostet - sei es Energie, seien es aufwändige „Misstrauensapparate“. Unternehmen, die eine Kultur des Misstrauens leben, müssen nicht nur erhöhte Fehlzeiten ihrer Mitarbeiter kompensieren, sondern auch ein hohes Maß an Ressourcen aufwenden zur Kontrolle der Mitarbeiter: Da braucht es etwa Mitarbeiter, die Richtlinien formulieren, nach denen sich die Mehrzahl der Mitarbeiter zu halten hat; da braucht es Mitarbeiter, die die Einhaltung der Richtlinien überwachen; da braucht es nicht zuletzt langwierige Prozesse und Genehmigungsverfahren, die alle ihren eigenen personellen Aufwand erfordern und der Kontrolle der anderen dienen. Natürlich gibt es auch die Zeiterfassung, ein recht kostspieliges System mit aufwändiger Bedienung. Deutlich wird an dieser Stelle: Ein Unternehmen mit Misstrauenskultur braucht eine Vielzahl an Mitarbeitern, deren Funktion allein darin besteht, die anderen Mitarbeiter zu überwachen. Das kostet jedes Jahr Millionen! <?page no="68"?> >= Xd01+JM,M 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD U2D,/ 2FFM Je, +D,M/ -cJIMbFIcJM 7M/ GFMIb+DKMD Es schwirren in deutschen Unternehmen Mitarbeiter durch die Gänge, deren einzige Funktion es ist, andere zu kontrollieren und zu überwachen - seien es Manager, Compliance Officer oder Sachbearbeiter im Personal. Würde man allen Mitarbeitern den Raum für Vertrauen bieten und damit eine Kultur der Sinnfindung etablieren, sprich: jeder würde seine Arbeit deshalb verrichten, weil es für ihn Sinn macht und Wert hat, so könnte man definitiv und gänzlich auf Kontrollinstanzen verzichten und dabei sehr viel Geld einsparen. 7M/ ,/ e+MD -1e/ , YMFb Ließe man den Kontrollapparat in Unternehmen weg, so könnte man gut und gerne 25 % der Mitarbeiter oder Personal-Ressourcen einsparen. Bei einem Unternehmen mit 1 000 Mitarbeitern würde dies bedeuten, dass 250 Köpfe nur dazu da sind, die anderen 750 zu überwachen. Und nehmen wir einmal an - eben weil sehr viele Führungskräfte in diese Kontrollprozesse involviert sind -, jeder dieser Mitarbeiter erhält ein Brutto-Jahresgehalt von € 50 000, so belaufen sich die einzusparenden Kosten auf etwa € 12,5 Mio im Jahr. Dabei sind in diesem Betrag Kosten für Laptops, Handys, Versicherungen, Firmenwagen oder Verpflegung noch gar nicht berücksichtigt. Auch nicht berücksichtigt sind die Ressourcen der 750 Mitarbeiter, die durch langwierige Prozesse wie Genehmigungsverfahren, Abstimmungsmeetings oder Richtlinienlektüre beansprucht werden. Man kann sich in etwa ausmalen, in welcher Milliardenhöhe sich die Kosten der Sinnlosigkeiten in Großkonzernen bewegen mögen. Und wir lassen einmal all die Verluste außen vor, die entstehen, weil eine Belegschaft qua Überwachung in ihrer Produktivität gedämpft ist. Demgegenüber würde diese Belegschaft in einer freien Organisation sehr viel produktiver arbeiten, das Unternehmen nicht <?page no="69"?> >< Xd01+JM,M für die eigenen Interessen ausnutzen und auf diese Weise auch weniger Kosten verursachen. Im Beispiel könnte man also 250 Arbeitsplätze einsparen und damit schon einmal mindestens € 12,5 Mio von der Gehaltsliste streichen. Würde man diese 250 Mitarbeiter jenseits von aller Kontrolle und Überwachung sinnvoll einsetzen - etwa für den Kundensupport oder Serviceleistungen, so könnten auf diese Weise erhebliche Wettbewerbsvorteile entstehen. 6M/ F2-F.--,_ Je, `)MI X.DbM L/ MI Mitarbeiter, welche vertrauen, können sich ganz und gar ihrer eigentlichen Aufgabe widmen. Die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist im Grunde eine zwischenmenschliche Beziehung. Wenn Sie stets das Gefühl haben, Ihr Partner könnte Sie hintergehen, anlügen oder betrügen, haben Sie den Kopf nicht frei für die wesentlichen Dinge in Ihrem Leben. Sie sind permanent in Abwehrhaltung, ständig auf der Hut und vermuten hinter allem das Schlimmste. Sie können nicht im Hier und Jetzt agieren und einfach sein. Ihr Gemütszustand wird zunehmend düster. Eine Beziehung ohne Vertrauen funktioniert nicht. Und das gilt auch für Mitarbeiter in Unternehmen. Wenn diese den lieben langen Tag darüber nachdenken, was denn „der fiese Arbeitgeber“ wieder anstellen könnte, um die eigenen Mitarbeiter zu sanktionieren oder zu überwachen, dann werden sich diese Mitarbeiter nicht auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können. Denn dann sind sie nicht in der Gegenwart, sind nicht präsent, sondern wabern mit ihren Gedanken in Vergangenheit oder Zukunft umher. Mitarbeiter in der Haltung des Misstrauens sind dauerhaft negativ eingestellt, können nichts mehr positiv betrachten und vermuten hinter allem und jedem eine Gemeinheit der Unternehmensleitung. Sie haben weder Energie noch Zeit für die eigentliche Tätigkeit, ganz abgesehen davon, dass sie <?page no="70"?> >; Xd01+JM,M 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD keinerlei Möglichkeit wahrnehmen, Sinn zu finden. Alles versinkt für sie in Misstrauen. Und das gilt andersherum genauso: Ein Arbeitgeber oder eine Führungskraft, der/ die in einer permanenten Hab-Acht-Stellung gegenüber den Mitarbeitern lebt, wird nie wirklich erfolgreich sein können - denn eine Konzentration auf das Wesentliche, auf die Kernkompetenz ist dann nicht möglich. Delegieren fällt schwer, man verliert sich in Details und geht auf und unter in der Kontrolle. Misstrauen frisst dann nicht nur Zeit, Geld, Kraft und Energie, sondern auch jede Freude an der Arbeit. Wer misstraut, hält fest und ist starr, bewegungsunfähig und verkrampft, nicht zuletzt feige und permanent in Abwehrhaltung. Am Ende dieses immensen, sinnlosen Energieverlusts geht gar nichts mehr. Wenn Sie fehlendes Vertrauen in einer Organisation erkennen, so können Sie ziemlich sicher sein, dass das Unternehmen bei Weitem nicht das Potenzial ausschöpft, welches eigentlich vorhanden wäre. Denn jede Partei - ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber - ist damit beschäftigt, der anderen einen Schritt voraus zu sein. Arbeiten kann kaum einer - und so wird eine kontinuierliche Steigerung des Unternehmenserfolges erst recht unmöglich. Im Gegenteil: Der Unternehmenserfolg wird durch eine Misstrauenskultur sukzessive geschmälert, da sich niemand mehr auf das Wesentliche konzentriert. ! LLI`IMD` dMIE Se/ e,J2D Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, Sie möchten Marathon laufen. Sie wollen Bestzeit - nicht zuletzt für sich persönlich - und gleichzeitig den Weltrekord brechen. Für die Erreichung dieses großen Ziels brauchen Sie Training, gute Kondition und etwas sportliches Talent. Stellen Sie sich nun weiter vor, die Regeln würden geändert werden und Sie müssten nicht nur schnell laufen, sondern müssten auch noch versuchen, <?page no="71"?> =\ Xd01+JM,M Ihre Mitläufer auszutricksen: Wassereimer während des Laufens umschubsen, damit den Mitläufern die Möglichkeit fehlt, Flüssigkeit zu sich zu nehmen, Turnschuhe verstecken, den anderen auf die Füße treten, sie an den Haaren ziehen und vieles mehr. Sie müssten also zusätzlich zu der Riesenmenge an Energie, die Sie für Ihren eigenen Lauf benötigen, viel Energie aufwenden, um die anderen Mitläufer zu manipulieren. Dass ihr Kontingent an Energie begrenzt ist, müssen Sie sich dabei auch erst einmal klar machen. Derjenige, der die fiesesten Attacken auf Lager hat, wird vielleicht erfolgreich sein und als Erster in diesem Rennen durchs Ziel laufen. Aber sicherlich wird er nicht den Weltrekord knacken - das wäre ihm nur möglich gewesen, wenn er alle seine Kräfte in dieses Ziel investiert hätte und nicht in die Manipulation seiner Mitstreiter. Wer immer nur damit beschäftigt ist, andere zu behindern, behindert in erster Linie sich selbst. Denn wir haben nur ein begrenztes Kontingent an Zeit und Energie. Und es liegt an uns selbst, wie wir dieses Kontingent einteilen und investieren: für den für uns wichtigen Sinn, den wir individuell verfolgen, oder aber für Nebenkriegsschauplätze, die uns nicht nur vom eigentlichen Ziel ablenken, sondern uns auch unglaublich viel Kraft kosten. Wer auf Nebenkriegsschauplätzen unterwegs ist, wird aber nicht Mitarbeiter des Monats und erst recht nicht Weltmarktführer einer Branche. 7M/ ,/ e+MD EecJ, dM)MK+DK-L.JIK Dabei wäre es doch so viel einfacher, weil zielführender, miteinander zu arbeiten und einander zu vertrauen: Vertrauen macht frei und handlungsfähig. Wer vertraut, ist bereit zu geben - großzügig und nicht geizig. Wer vertraut, hat zwei Hände frei, kann auf diese Weise anpacken und gestalten. Wer vertraut, ist frei in seinen Gedanken, die durch nichts Negatives blockiert werden. Wer vertraut, für den besteht <?page no="72"?> =[ Xd01+JM,M 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD keine Notwendigkeit, das eigene Seelenheil und die eigenen Werte zu beschützen - vielmehr können diese Werte in einer Atmosphäre des Vertrauens gelebt werden: Der Einzelne kann sich ganz auf das für ihn Wesentliche konzentrieren; seine positive Einstellung fördert seine Produktivität, eben weil er Sinn findet in seinem Tun, und das lässt jeden Tag für ihn zu einer guten Investition an Lebenszeit werden. ! ID -IcJM/ M/ WDbIGe,2/ Der eine und andere wird die Frage, ob er in einem Unternehmen arbeitet, das jeglichen Sinn bei der Arbeit vermissen lässt, sicher mit einem deutlichen Ja beantworten - kein Wunder angesichts der unzähligen Sinnlosigkeiten in Unternehmen. Doch sieht man genauer und ehrlich hin, so sind Aktivitäten wie Rauchen, Ratschen, Rumnörgeln „nur“ Symptome, die auf Sinnlosigkeit hindeuten können. Und wie es sich mit Symptomen nun einmal verhält: Sie können, müssen aber nicht ein eindeutiges Indiz sein für die Ursache einer Krankheit oder von Beschwerden. Ein recht zuverlässiger Indikator für Sinnlosigkeit ist sicher eine Kultur des Misstrauens. Sie können davon ausgehen, dass Sinnlosigkeit in der Arbeitswelt in der Regel auf fehlendes Vertrauen zurückzuführen ist - so wie in den meisten Beziehungen, die nicht funktionieren. Doch was macht Vertrauen eigentlich aus? Wer wirklich sinnstiftende Kultur in Unternehmen etablieren möchte, der muss sich klar sein, dass Vertrauen durch drei ganz wesentliche Komponenten gestützt wird: Gerechtigkeit, Transparenz und Ehrlichkeit. Wenn Vertrauen fehlt, dann mangelt es meist auch an Gerechtigkeit, Transparenz und Ehrlichkeit. Umgekehrt herrscht da, wo Gerechtigkeit, Transparenz und Ehrlichkeit gelebt werden, meist auch eine von Vertrauen bestimmte Atmosphäre. <?page no="73"?> =Z $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK "/ MI ; .+FMD> YM/ McJ,IKGMI,_ : / eD-1e/ MD` +Db ! J/ FIcJGMI, R "IM 9/ -ecJMDIbMD,I3Ge,I2D *2D ; IDDF2-IKGMI,MD "IM ; .+FM fYM/ McJ,IKGMI,O Ein ehemaliger Chef - ein älterer Herr mit außerordentlich guten Manieren und hohem Ansehen in der Firma - sagte einmal zu mir: „Wenn ich eines in meiner langen Berufslaufbahn gelernt habe, dann dies: Es ist Gerechtigkeit, die eine erfolgreiche Führungspersönlichkeit ausmacht. Wenn ein Chef stets versucht, gerecht zu sein, wird er als erfolgreicher Chef angesehen, und seine Mitarbeiter vertrauen ihm - auch in schwierigen Zeiten.“ "M/ "#' &! ($% bM/ QM+`MI, L@/ ; IDDM/ LeJ/ +DK Die alten Römer hatten seinerzeit mit dem Bild des vir bonus einen ganz ähnlichen Ansatz, verkörperte doch der vir bonus das gesellschaftliche Ideal des guten Menschen, dessen Verhalten tugendhaft, tadellos und sittlich sein sollte. An diesem Ideal sollte sich jeder Bürger orientieren und sein Tun danach ausrichten. Meines Erachtens gibt es so einige Parallelen zwischen dem römischen vir bonus und der Führungspersönlichkeit, die gerecht sein muss, um Erfolg zu haben. Was nun aber ist gerecht und was nicht? 9DKM/ McJ,IKGMI, *M/ KIL,M, KeD`M P/ KeDI-e,I2DMD Beispiele für Ungerechtigkeit finden Sie unzählige in Unternehmen. Besonders Gehaltsunterschiede offenbaren Ungerechtigkeit und lassen bei den Betroffenen das Gefühl von Sinnlosigkeit entstehen. Verstärkt wird dies oft noch dadurch, wenn das „Lieblingskind“ des Chefs nicht nur mehr verdient, weniger tun muss und weniger kann, sondern auch noch einen besseren Arbeitsplatz oder den größeren Schreibtisch <?page no="74"?> =B $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD bekommt. Warum sich also „krummschuften“, wenn einem doch keine gerechte Behandlung widerfährt? An dieser Stelle möchte ich Ihnen ein Beispiel aus meinem Arbeitsleben schildern, das deutlich macht, was mit Organisationen passieren kann, denen Gerechtigkeit abhanden gekommen ist: Es war dies ein Vorfall aus der Nachbarabteilung, in welcher ein externer Trainer in großem Maße ungerecht behandelt wurde. Seine Evaluationsergebnisse waren stets hervorragend, seine Trainings inhaltlich und didaktisch exzellent, die Teilnehmer von ihm und seinen Trainings begeistert. So wählte man ihn für ein Pilotprojekt aus. Intern war dieses Projekt rein themenbezogen ein heißes Eisen mit vielen Gegnern. Nun war es aber so, dass diese Gegner den Großteil der Pilotteilnehmergruppe ausmachten. Innerhalb eines halben Tages infizierten die „Feinde“ des Projektes die ganze Gruppe. Die logische Konsequenz war: Der Trainer erhielt katastrophales Feedback - trotz seiner objektiv sehr guten Leistung - und wurde aus dem Trainerpool entfernt. Unverschuldet war er so zwischen die Fronten geraten - mit für ihn gravierenden Folgen: von enormen finanziellen Einbußen bis hin zur Schädigung seines Renommees. Eine in das Projekt involvierte Mitarbeiterin erzählte mir Jahre später, dass dieser Vorfall sie an den Punkt in ihrer beruflichen Laufbahn brachte, da sie fast gekündigt hätte. Denn die Ungerechtigkeit, die zwar nicht ihr selbst, aber einem anderen innerhalb der Organisation widerfahren war, sprach so gegen ihr Verständnis von Gerechtigkeit, dass sie selbst die Frage stellte, ob sie für einen solchen Arbeitgeber weiter tätig sein wollte. Sie hatte das Vertrauen in den Arbeitgeber verloren, ihre Motivation sank, wie auch die Stimmung in der ganzen Abteilung zunehmend schlecht wurde. Ungerechtigkeit ist wie ein Virus: Sie schädigt nicht nur die Betroffenen, sondern steckt das ganze System an, sickert durch alle Ebenen und kann zur „Kultur“ <?page no="75"?> =A $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK werden - wie ein fauler Apfel im Obstkörbchen, der nach und nach alle anderen verdirbt. "IM $MbM+,+DK bM/ %D,)2/ ,MD e+L be- 6e/ +E Viktor Frankl merkt in seinen Aufzeichnungen zu seinem Aufenthalt im KZ „…trotzdem Ja zum Leben sagen“ zum Thema „Gerechtigkeit“ an, dass es nicht so sehr die körperlichen Misshandlungen waren, die die Häftlinge in den Arbeitslagern zermürbt und in vielen Fällen in den Selbstmord getrieben hatten. Sehr viel schmerzhafter war die Ungerechtigkeit, die den Menschen widerfahren war: nicht zu wissen, wofür man geschlagen wird, wofür man tagtäglich getreten wird, warum man überhaupt im KZ ist; misshandelt zu werden und eingesperrt zu sein ohne Grund - es ist die Ungerechtigkeit, die die Menschen kaputt macht. 9 Warum muss ich eine Aufgabe erledigen? Welchen Sinn macht es letztlich für mich? Auf dieses „Warum“ brauchen wir Menschen eine zufriedenstellende Antwort, die uns beruhigt. Als Arbeitgeber und Führungskraft kann man nicht immer auf alles Antworten geben und auch nicht immer gerecht sein. Gerechtigkeit ist auch hier eine Frage der Perspektive. Was für den einen gerecht ist, ist für den nächsten ungerecht. Niemand kann es jedem recht machen. Sogar Jesus verlor einen seiner zwölf Jünger. Dennoch: Ungerechtigkeiten können einen werteorientierten Menschen zerstören. Ein Mensch wie der vir bonus, der immer tugendhaft, tadellos und sittlich spricht und handelt, wird in einer Organisation, in der Ungerechtigkeiten kulturprägend sind, komplett verzweifeln, seine Werte infragestellen und das Vertrauen in andere und in sich selbst verlieren. Er wird instabil und in die Defensive gehen, schlussendlich daran zugrunde gehen. Der Mensch wird seiner Seele, seiner Werte beraubt und verliert das Warum seines Tuns. Er hat aufgehört zu vertrauen. <?page no="76"?> =? $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD Wenn Menschen Ungerechtigkeit empfinden, dann schwindet das Vertrauen in denjenigen, von dem die Ungerechtigkeiten ausgehen. Mitarbeiter in Kulturen der Ungerechtigkeit stellen sich innerlich auf Verteidigung ein, manchmal auch auf Angriff, manchmal gehen sie sogar in die innere Emigration - was konkret heißen kann, dass man die eigenen Belange priorisiert, nur ein Minimum an Leistung erbringt oder gänzlich frustriert und unzufrieden wird. Die Investition schrumpft, und Sinn kann dann nicht mehr erfahren werden. Das System, von dem die Ungerechtigkeiten ausgehen, wird damit unberechenbar und gleichzeitig intransparent. "IM ; .+FM f: / eD-1e/ MD`O Erst wenn ein Mensch Transparenz erfährt und damit die Freiheit hat, selbst zu entscheiden, wie er sein Leben gestalten möchte, wird er dem anderen vertrauen. Dieser Mensch fühlt sich dann auf Augenhöhe und in einer partnerschaftlichen, gleichgestellten Beziehung mit dem anderen. Er muss nicht spekulieren darüber, was der andere wohl mit ihm (Negatives) vorhaben könnte, spart so kostbare Zeit und Energie. Denn (negative) Spekulationen trüben die Stimmung, hemmen die Motivation, verhindern Vertrauen und damit die Bereitschaft, etwas zu geben. Daher bedingen Transparenz und Sinnfindung einander. hMJFMDbM : / eD-1e/ MD` -cJeLL, 9D-IcJM/ JMI, Lassen Sie mich von einem Unternehmen erzählen, das seit der Wirtschaftskrise 2008 ums blanke Überleben kämpft. Nur will das auf Führungsebene keiner so wirklich wahrhaben. Statt die Warnsignale der Sinnlosigkeiten ernst zu nehmen, werden weitere Sinnlosigkeiten ersonnen, um von der eigentlichen Misere abzulenken. So werden in besagtem Unternehmen beispielsweise in unregelmäßigen Abständen, meist im <?page no="77"?> => $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK Zeitraum zwischen 16 und 19 Uhr, zweistündige Meetings für die rund 2 000 Mitarbeiter angesetzt, ohne dass im Vorfeld klar ist, worum es eigentlich geht. Derartige „Mitarbeiterversammlungen“ haben in diesem Unternehmen meist wenig Inhalt, dienen vielmehr der Selbstbeweihräucherung profilierungswütiger Führungskräfte. Eine offene Kommunikation befördern sie hingegen nicht. Denn durch derartig undurchsichtige Meetings, die dem Gros der Mitarbeiter die Freiheit nimmt, über den Feierabend frei zu bestimmen bzw. kostbare Arbeitszeit sinnvoll zu nutzen, wird auch die Gerüchteküche so richtig angeheizt. Die Mitarbeiter sind schon Tage vor jedem dieser ominösen, namenslosen Meetings mit wilden Spekulationen beschäftigt, ob es denn schon wieder Entlassungen geben wird, wer diesmal „dran“ ist und Ähnliches. Dass in Zeiten der Spekulation nicht produktiv gearbeitet werden kann, versteht sich fast von selbst - und dies so lange nicht, wie das Damoklesschwert einer neuen Entlassungswelle über allen Mitarbeitern schwebt. Unsicherheit aufseiten der Mitarbeiter ist die Folge, ein Gefühl der Sinnlosigkeit macht sich breit, ebenso das Gefühl fehlender Wertschätzung und vor allem Misstrauen: Misstrauen gegenüber der Führungsriege, Misstrauen gegenüber dem ganzen Unternehmen. Und manch einer mag bei sich denken: „Wieso sollte ich jemandem vertrauen, der mir ohne Begründung Zeit stiehlt und der nicht mit offenen Karten spielt? “ Da klaut man als frustrierter Mitarbeiter doch lieber einen Kugelschreiber mehr - es könnte ja sein, dass man nach dem Meeting schon auf der Straße steht. : / eD-1e/ MD` -IKDeFI-IM/ , 6M/ ,-cJ.,`+DK In dieser Situation würde es nichts bringen, die sinnlosen Meetings umzustrukturieren oder Arbeitskreise zu bilden - der einzige Stellhebel, der hier Sinn schaffen würde, wäre es, Trans- <?page no="78"?> == $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD parenz in die gegenwärtige Situation zu bringen. Dies ginge einher mit einer Haltung, die den Mitarbeitern auf Augenhöhe begegnet und sie mit den Informationen versorgt, die ein vertrauensvolles und wertschätzendes Miteinander unterstützen. Auch hier zeigt das Thema des Gehaltssystems sehr deutlich, was Intransparenz machen kann. Gehälter bei gleicher Leistung fallen nicht selten verschieden aus - aus unterschiedlichen Gründen: Entweder man selbst hat gut bzw. schlecht verhandelt oder einfach zu wenig bzw. häufig genug „Hier“ geschrien beim Stichwort „Gehalt“. Und schon erhalten Menschen in gleicher Position mit gleichem Aufgabenspektrum und gleicher Leistung unterschiedliche Entlohnung. Die entsprechenden Differenzen bewegen sich im Jahresgehalt im vierbis sogar fünfstelligen Bereich. Unterschwellig weiß das auch jeder, aber in einer Unternehmenskultur der Intransparenz wird über entsprechende Abweichungen nicht gesprochen. Da geht man sogar so weit, Klauseln in die Arbeitsverträge zu setzen, dass es den Mitarbeitern nicht gestattet ist, mit Kollegen über ihr Gehalt zu sprechen - im Falle eines Verstoßes drohen sogar Sanktionen. Warum? Weil man denkt, man könne sich so vor einer „Mitarbeiterrevolution“ schützen? Doch ganz ehrlich: Derartige Intransparenz trübt nur weiter die Stimmung und führt dazu, dass sich Mitarbeiter bevormundet, nicht auf Augenhöhe behandelt und betrogen fühlen, und zwar ganz egal ob die Entlohnung gerecht oder ungerecht ist. Denn das System der Intransparenz suggeriert automatisch, dass man selbst dafür verantwortlich ist, die größtmögliche monetäre Ausschüttung zu erhalten oder eben nicht. "IM ; .+FM f! J/ FIcJGMI,O Was macht fehlende Ehrlichkeit mit uns? Sobald wir bemerken, dass es jemand nicht ehrlich mit uns meint, sind wir zunächst einmal verletzt. Wir fühlen uns hintergangen, herab- <?page no="79"?> =< $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK gesetzt, abgewertet, nicht gesehen, ja, wir werden vielleicht sogar zum trotzigen Kind. Warum jemandem vertrauen, der es nicht ehrlich mit einem meint? Warum jemandem vertrauen, der einen anlügt? Wieder einmal sind wir in der misslichen Lage, dass wir in Organisationen, in denen jegliche Form von Ehrlichkeit fehlt, nicht mehr bereit sind zu investieren und folglich keinen Sinn finden können. Da werden Boni versprochen, es wird einem ins Gesicht gegrinst, aber dann doch hinter dem Rücken gelästert. Man wird gelobt, und dennoch gibt es keine Entwicklung. Hier ist keiner bereit zu investieren, da keiner mehr vertraut in das, was gesagt wird. „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ lautet dann die Devise. Alles wird hinterfragt, man ist wiederum gehemmt, das zu tun, wofür man eigentlich bezahlt wird, weil man sich ja ständig Gedanken machen muss, ob man denn nicht wieder angelogen wurde. Bei all den Sinnlosigkeiten wird Sinn einmal mehr schmerzlich vermisst. 9DMJ/ FIcJGMI, -2/ K, L@/ SI---,IEE+DK Wenn Ehrlichkeit fehlt, können Unternehmen noch so attraktive Benefits für ihre Mitarbeiter etablieren: Wirklich wahrgenommen werden diese nicht. Auch andere Maßnahmen helfen da nicht - wie beispielsweise der Versuch in einem Unternehmen, sogenannte „Eltern-Info-Abende“ zu etablieren: Da gibt es dann gesunde Fruchtsäfte, üppig belegte Vollkornbrote und sogar Kontakte zu vielen wichtigen Unternehmensvertretern, um zu signalisieren, dass dem Arbeitgeber die Mitarbeiter in Mutterschutz und Elternzeit am Herzen liegen und man diese auch während dieser Zeit an sich binden möchte. Wenn aber jeder gleichzeitig weiß, dass das Unternehmen ganz froh ist, gerade nicht auch noch junge Mütter und Väter integrieren zu müssen, da ja ohnehin Personal abgebaut werden muss, dann hat das Ganze doch einen sehr <?page no="80"?> =; $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD faden Beigeschmack. Problematisch ist die Wirkung, die solch sinnlose Veranstaltungen nach innen in die Organisation haben. Unehrlichkeit sickert durch alle Ebenen, ob der Einzelne nun betroffen ist oder nicht. Und Unehrlichkeit sorgt für schlechte Stimmung und prägt die Unternehmenskultur äußerst negativ: Eine Kultur des Misstrauens entsteht. Denn wo keine Ehrlichkeit herrscht, da gibt es auch kein Vertrauen. Dann helfen auch keine gesunden Fruchtsäfte und üppig belegten Vollkornbrote mehr. YM/ McJ,IKGMI,_ : / eD-1e/ MD`_ ! J/ FIcJGMI,> NFe,`JeF,M/ L@/ ; IDD Nur wenn Unternehmen offen agieren und ihre Mitarbeiter partnerschaftlich behandeln, kann ein Miteinander entstehen und können symbiotische Arbeitsformen generiert werden. Die Sinnerfahrung kommt meist erst später, zeitversetzt, aus einer anderen Perspektive - dann wenn wir die Ausschüttung erhalten und sehen, dass sich das Vertrauen gelohnt hat. Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Transparenz und Vertrauen sind damit die Platzhalter für Sinn. Arbeitgeber können mit einer Unternehmenskultur, die geprägt ist von Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Transparenz und damit Vertrauen ihren Mitarbeitern die Sicherheit vermitteln, dass ihre Investition Sinn machen wird. Dass jeder das bekommen kann, was er sich errechnet hat. Die Investition wird von diesen drei Platzhaltern bekräftigt. Sie geben uns Sicherheit, dass unsere Investition auch lohnenswert und wertig ist. Sie helfen uns, die Durststrecke vom Zeitpunkt der Investition bis zur Ausschüttung durchzustehen und die Frage nach dem Sinn erst einmal zu „ent-wichtigen“: Die Frage nach dem Warum kann durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit automatisch beantwortet werden. Und es ist klar, dass sich Mitarbeiter dann mit ihrem eigentlichen Job beschäftigen, darin Sinn finden können, anstatt <?page no="81"?> <\ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD sich mit all den Sinnlosigkeiten wie Selbstprofilierungsmeetings, frustrierenden Boni-Runden und unfairem Umgang mit Mitarbeitern beschäftigen zu müssen. XIDGMD %/ dMI,KMdM/ JID,M/ JM/ & R 6e/ +E SI,e/ dMI,M/ EMJ/ ; IDD L2/ bM/ D ; IDDG/ IMKM/ L@/ +D,M/ DMJEM/ I-cJMD ! / L2FK Immer mehr Sinnsucher, ja Sinnkrieger tauchen in Unternehmen auf: Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz Sinn suchen und kriegen wollen. Diese Mitarbeiter leisten dem Unternehmen gegenüber damit einen Vertrauensvorschuss, den es nicht zu enttäuschen und den es auch sinnvoll zu entlohnen gilt. Solche Sinnkrieger sind sehr positiv für ein Unternehmen, da sie in der Regel besonders leistungsstark und hochmotiviert sind. Doch müssen sich Unternehmen auch auf die Forderungen der Sinnkrieger einstellen, damit diese im Unternehmen bleiben und auch weiter ihren leistungsstarken Beitrag zum unternehmerischen Erfolg erbringen. Es gilt aufseiten der Unternehmen, den Vertrauensvorschuss der Sinnkrieger wertzuschätzen und den Sinnkriegern Raum für Sinnfindung zu geben. "IM 7M/ EMJ/ +DK bM/ ; IDDG/ IMKM/ Die Welt von heute ist geprägt von sich rasant entwickelnden Technologien. Neue Medien, Networking und Burnout führen dazu, dass sich der Einzelne in ganz anderen Strukturen und Rollen wiederfindet als noch vor einigen Jahren. In einem Sozialstaat, der uns zu jeder Zeit finanziell auffängt, vermittelt die Arbeit nicht mehr den Druck des Selbsterhalts, sondern bietet zunehmend eine Plattform zu Selbstverwirklichung und Selbstfindung. Auch ist eine Vielzahl von Kindern heutzutage <?page no="82"?> <[ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD längst nicht mehr notwendig, um Sicherheit im Alter zu erlangen. Im Gegenteil: Kinder werden heute geplant bzw. sind in vielerlei Hinsicht planbar geworden. Zeitpunkt der Geburt, nach neuen Studien in Zukunft wohl auch das Geschlecht des Kindes, können frei gewählt werden. Was weiterführt zum Problem des demografischen Wandels: Es gibt immer mehr ältere und immer weniger jüngere Menschen, die die Renten für die Erstgenannten aufzubringen haben. <2FFMD*M/ ,MIF+DK `)I-cJMD bMD YM-cJFMcJ,M/ D Noch vor gut 200 Jahren waren Rollen und Strukturen ganz anders definiert. Die wenigsten Menschen arbeiteten, weil es für sie um Selbstverwirklichung, Freude oder gar Sinnstiftung ging. Vielmehr diente Arbeit allein dem Zweck, sich selbst und seine Familie zu ernähren. Man arbeitete, um leben zu können und nicht aus Sinn-, Status- oder Prestigegründen. Anders als heute waren die Rollen zwischen Mann und Frau auch weiter so definiert wie seit vielen Tausend Jahren: Der Mann ging zur Arbeit und brachte Nahrung bzw. Geld mit nach Hause, die Frau kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Die Familie hatte einen wichtigen Stellenwert, denn Kinder waren automatisch die Rentenversicherung ihrer Eltern. Daher war die Anzahl der Kinder noch vor wenigen Jahrzehnten weitaus höher, als sie es in der heutigen Zeit ist, wo „Familienplanung“ das entscheidende Wort ist. Damals war das System „Familie“ Garant für die eigene Existenz. Die Familie stand damit über allem: Sinn und Wert hatte und bekam alles, was der Familie zugute kam. Dementsprechend war auch die Ehe, meist weniger aus Liebe geschlossen, als aus Vernunftgründen eingegangen bzw. arrangiert, eine Institution zur Sicherung von Lebensunterhalt und Auskommen. Von Geburt an wusste nahezu jeder, welche Aufgabe er in seinem Leben hatte. Der Mann sorgte für seine Familie, grün- <?page no="83"?> <Z 8I,IGMD *De YMLhJ.MD dete mit einer Frau eine neue; umgekehrt hatte die Frau einen Mann zu finden, der als „Ernährer“ auftrat, sodass sie sich um Haushalt und Kinder kümmern konnte. Erinnern Sie sich beispielsweise an folgendes Zitat von Rose‘ Mutter im Kinofilm „Titanic“: „Der Zweck einer Universität ist es, einen geeigneten Mann zu finden. Das hat unsere Rose geschafft.“ Radikal änderte sich die Rollenteilung der Geschlechter in Deutschland erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges: Viele Ehemänner und Familienväter kehrten nicht von den Schlachtfeldern der Welt zurück. So waren die Frauen nun in der Verantwortung, die Familie und sich zu ernähren, Deutschland wiederaufzubauen. Man denke nur an die sogenannten „Trümmerfrauen“ sowie all die alleinstehenden und alleinerziehenden Mütter, die nach 1945 mit unvorstellbarem Engagement für den Lebensunterhalt ihrer Familien und den Wiederaufbau des Landes sorgten. $M/ +L-)eJF ID 7M/ KeDKMDJMI, +Db YMKMD)e/ , Eine alleinstehende oder gar geschiedene Frau hatte vor Zeiten wahrlich schlechte Karten: Sie konnte nur niedere Tätigkeiten ausführen, denn die eigentliche Arbeitswelt war den Männern vorenthalten. War sie Tochter aus vermögendem Hause, so blieb ihr meist die Unterkunft bei einem männlichen Anverwandten. Lediglich das Klosterleben bot einer alleinstehenden Frau Sinn bzw. die Möglichkeit, „aus eigener Kraft“ Sicherheit für die eigene Existenz zu erlangen. Im Klosterkontext konnte sich so manche Frau einbringen, ja verwirklichen - man denke in diesem Zusammenhang nur einmal an die Bereiche Klostermedizin und Naturheilkunde. Bildung war anfangs ohnehin nur den Männern vorbehalten - denn diese mussten ja einen Beruf erlernen, arbeiten und die Familie ernähren. Allerdings war Bildung auch eine Frage des Geldes und konnte daher nur den wohlhabenden, <?page no="84"?> <B 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD männlichen Bürgern zugutekommen. Ansonsten folgte die Berufswahl der Männer in der Regel „ganz einfachen Gesetzen“: Man(n) wurde in eine Zunft hineingeboren, erbte vom Vater die Werkstatt, den Betrieb, die Arztpraxis und trat somit in die väterlichen Fußstapfen. Da stand nicht zur Debatte, in welchem Beruf der Einzelne wohl den größten Mehrwert für die Gesellschaft generieren oder welche Profession wohl der eigenen Bestimmung und Selbstverwirklichung am ehesten entsprechen könnte. h/ @JM/ Ked M- )MDIKM/ P1,I2DMD L@/ ; IDDLIDb+DK Die Religion hatte lange Zeit einen sehr starken Einfluss auf das tägliche Leben der Menschen, gab sie doch Normen und Werte vor - ohne Wenn und Aber. Die Religion bot mit ihren Glaubenssätzen Halt, auch bot sie Struktur, denn sie regelte den Tages-, Wochen und Jahresablauf nahezu aller Menschen. Wer sich gegen die Regeln der Kirche stellte, war automatisch ausgeschlossen aus der Gemeinschaft. Die Institution Kirche hatte damit sehr viel mehr Einfluss und sehr viel mehr Präsenz als heute. Kirche und Religion waren sinnstiftend für den Einzelnen - ebenso die eigene Familie. Alles andere - so auch die Arbeit - war Mittel zum Zweck - Stichwort „Sicherung des Lebensunterhalts“ -, aber keine Plattform für individuelle Sinnfindung wie heute. TMdMD-Ee(IEM JM+,M> ; IDD eE %/ dMI,-1Fe,` Die Menschen in Deutschland stecken heute nicht mehr im engen Korsett von Traditionen, Normen und Regeln, wie sie durch Religion und Gemeinschaft über Jahrhunderte vorgegeben wurden. Jeder hat nunmehr die Möglichkeit, seiner Bestimmung zu folgen und das „eigene Leben“ zu leben. Sich selbst zu verwirklichen, das Selbst zum Lebensinhalt zu machen, das ist heutzutage das Maß für individuelle Sinnfindung. <?page no="85"?> <A 8I,IGMD *De YMLhJ.MD Der Preis, den der moderne Mensch für diese Sinnsuche und -findung bezahlt, ist die Sicherheit, wie sie früher durch traditionelle Arbeitsformen und Erbfolgen, wie sie durch Normen und Regeln gegeben war. Nur wer die Sicherheit des „Alten und Vordefinierten“ aufgibt, hat die Möglichkeit, die Freiheit der Berufswahl wahr- und die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Die Suche nach Sinn freilich bleibt, denn jeder Mensch braucht Sicherheit. Und wenn Familie, Religion und Tradition diese Sicherheit nicht mehr bieten können, so muss sie der moderne Mensch mehr und mehr im Kontext seiner Arbeit suchen und finden. ; IDD-+cJM/ L@/ +D,M/ DMJEM/ I-cJMD ! / L2FK In einer Zeit, in der die Zahl der Sinnsucher, ja Sinnkrieger in Unternehmen zunimmt, müssen sich Arbeitgeber bewusst machen, welchen Vertrauensvorschuss ihnen diese in der Regel hochmotivierten und sehr engagierten Sinnsucher anbieten. Und welches Potenzial für unternehmerischen Erfolg sich den Unternehmen über die Sinnsucher bietet. Wer Sinn will, muss zuerst etwas geben - das haben die Sinnsucher verinnerlicht. Mitarbeiter erhoffen sich Sinn und investieren erst einmal viel an Lebenszeit, Ideen, Energie und vielem mehr - immer von der Hoffnung getragen und im Vertrauen darauf, dass die Investition am Ende für sie persönlich Sinn macht. Die große Gefahr: Mitarbeiter können durch erlebte Sinnlosigkeiten zunehmend enttäuscht, ernüchtert, ja frustriert werden. Aber so ist das: Wer vertraut, kann enttäuscht werden; wer misstraut, kann Recht behalten. Nicht selten führen Enttäuschung und Misstrauen der sinnsuchenden Mitarbeiter dazu, dass sie das Unternehmen rasch wieder verlassen - auf der Suche nach einem neuen, nach dem Unternehmen, das ihnen wirklich Sinn bietet. Unternehmen müssen sich klar machen, welches Potenzial sie verlieren; und dass sich die <?page no="86"?> <? 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD unternehmerische Entwicklung mit den das Unternehmen verlassenden Sinnsuchern nicht als Fortschritt, sondern als Rückschritt äußert. "e- MD,-cJMIbMDbM "IFMEEe Halten wir fest: Sinnsucher gehen mit ihrem Vertrauensvorschuss dem Unternehmen gegenüber deutlich in Vorleistung: Sie vertrauen darauf, über ihr Sein und Tun im Unternehmen Sinn zu erfahren - ohne die Gewissheit zu haben, dass dies auch eintreten wird. Aber nur über den erbrachten Einsatz wird der Sinnsucher erfahren, ob sich seine Investition für ihn lohnt oder nicht. Dramatisch wird das Ganze dadurch, dass viele Unternehmen - durch langjährige Erfahrungen vom leidigen Gegeneinander zwischen Mitarbeitern und Arbeitgeber, vom gelebten Schmarotzertum unter Mitarbeitern geprägt - gar nicht glauben können, dass es diese Sinnsucher tatsächlich gibt, die sich hochmotiviert für das Unternehmen einbringen wollen und den unternehmerischen Erfolg nur befördern können. Arbeitgeber sind aufgrund einschlägiger Erfahrungen zurecht misstrauisch. Und dabei sind sie da, die Mitarbeiter, die eine symbiotische Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber anstreben, die dafür im Gegenzug, Freiheit, Selbstbestimmung und Vertrauen seitens des Arbeitgebers erwarten. 5)I-cJMD bMD ; ,@JFMD Viele Arbeitgeber sitzen zwischen den Stühlen - haben es unter den Mitarbeitern gleichsam mit Schmarotzern wie mit „Symbiotikern“, den Sinnsuchern, zu tun. Die Vorstellungen kollidieren, das Gesamtsystem funktioniert nicht. Und in den meisten Fällen entscheidet sich so manches Unternehmen leider für die konservative, sichere Lösung: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Und so verbleibt es in eingefahre- <?page no="87"?> <> 8I,IGMD *De YMLhJ.MD nen Bahnen, nicht zuletzt deshalb, weil die Herausforderungen in einer sich verändernden Kultur enorm sind und es schwieriger denn je ist, Unternehmen erfolgreich zu steuern. Den Sinnsuchern bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder lassen sie sich desillusionieren, mutieren zum Schmarotzer und passen sich an gemäß den Spielregeln der Sinnlosigkeit - Sinn suchen sie dann auf einer anderen als der Jobbühne, etwa in Fußballverein, Familie oder Musikkappelle. Oder aber die Sinnsucher halten fest an ihrem Glauben, dass Sinnfindung auf der Professionsbühne möglich ist - in diesem Fall bleibt ihnen nichts anderes übrig, als schlussendlich das Unternehmen zu wechseln. %/ dMI,KMdM/ E@--MD e+LJ2FMD R 5MI,_ +E`+bMDGMD +Db `+ JeDbMFD Die meisten Unternehmen sind noch nicht so weit zu erkennen, dass es immer mehr Mitarbeiter gibt, die dem Unternehmen ihr höchstes Gut schenken: Vertrauen und Lebenszeit - und das nicht etwa selbstlos, sondern um für sich individuell Sinn in der Arbeit zu finden. Konfrontiert mit Fachkräftemangel, Wirtschaftskrisen und Stresskrankheiten müssen Unternehmen in Deutschland tatsächlich lernen umzudenken. In einer Zeit, da die Ressource Mensch zur Mangelware wird, müssen Unternehmen begreifen, dass es die Sinnsucher gibt, in zunehmendem Maße, und dass es wichtig ist, den Sinnsuchern Raum und Chancen zu geben. Denn Mitarbeiter, die ihren Sinn am Arbeitsplatz finden, sind erfüllt und motiviert, bringen ihr Knowhow und ihre Kreativität mit viel Engagement ein ins Unternehmen - und helfen so sukzessive mit, den Unternehmenserfolg zu steigern. Nur wer als Arbeitgeber auf Sinn umstellt, wird morgen noch erfolgreich existieren können. Dafür braucht es neben dem Vertrauensvorschuss der sinnsuchenden Mitarbeiter auch die Etablierung <?page no="88"?> <= 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD und kontinuierliche Festigung einer vertrauensvollen Kultur, in der Gerechtigkeit, Offenheit und Ehrlichkeit gelebt werden. Ein Vertrauensverhältnis, eine Beziehung auf Augenhöhe zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitern muss entstehen: Mitarbeiter sollten darauf vertrauen dürfen, dass Werte etwas gelten und Versprechen gehalten werden; und Arbeitgeber sollten darauf vertrauen dürfen, dass gerade wegen fehlender Kontrolle ein für das Unternehmen profitabler Mehrwert generiert werden kann. Wenn Mitarbeiter und Arbeitgeber an einem Strang ziehen und den Werten des anderen jeweils Raum bieten, sie bestätigen, dann kann jene Symbiose entstehen, von der alle Beteiligten nur profitieren werden. <?page no="89"?> << 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK 6e/ +E ; IDD IEEM/ 7M/ ,/ e+MD I-, Vertrauen ist die Basis jeder Sinnfindung. Nur wer bereit ist zu vertrauen, ist auch bereit etwas zu geben und kann demnach zeitversetzt Sinn erfahren. Jedoch: Eine Sicherheit, dass wir Sinn bekommen, haben wir zum Zeitpunkt der Investition nie. Unser Vertrauen kann missbraucht werden, unsere Investition macht keinen Sinn, und dann sind wir enttäuscht. Viele Unternehmen sind nicht selten von Misstrauenskulturen geprägt: Sie finden darin diverse Kontrollapparate vor, die nicht nur Zeit und Geld in Anspruch nehmen, sondern auch die Motivation der Mitarbeiter hemmen. Ein Gegeneinander zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entsteht, was Zeit, Energie, Geld und letztlich Sinn kostet. Beleuchten Sie für sich den Wert „Vertrauen“. > 3IM L@JF+ ,IfJ L@. 7IM 4M.+.h*MD hDa (IM L@JF+ ,IfJ LMJFMDeM, 4M.+.h*MD hD% > 3hDD ID WJ.ME TMgMD (*.eM 4M.+.h*MD EI"g.h*fJ+% > 3hDD )M.+.h*MD 7IMa *De (ME )M.+.h*MD 7IM% > #MLIDeMD 7IM ,IfJ ID MIDM. )M.+.h*MD,)1FFMD $.gMI+,G*F+*.% > 3MFfJM SM.GEhFM GMDDcMIfJDM+ eIM $.gMI+,G*F+*.a ID eM. 7IM FMgMD *De h.gMI+MD% Misstrauen kostet Unsummen von Geld und hemmt damit den Unternehmenserfolg. Arbeitgeber, die misstrauen, können gar nicht erfolgreich sein. Denn wie jede zwischenmenschliche Beziehung, so braucht auch die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in erster Linie eines: ein vertrauensvolles Miteinander. Wer vertraut, hat zwei Hände frei und ist handlungsfähig. Wer hingegen misstraut, ist statisch, starr vor Angst und muss sich neben seiner eigentlichen Aufgabe ständig darum Gedanken machen, nicht wieder vom anderen be- <?page no="90"?> 3 7IDD I,+ IEEM. 4M.+.h*MD <; 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK nachteiligt, enttäuscht oder ausgenutzt zu werden. Überprüfen Sie Ihre Arbeitssituation in puncto „Vertrauen“. > 3MFfJM U1D+.1FFh00h.h+M LIDeMD 7IM gMI WJ.ME $.gMI+KMgM. )1.% > 3MFfJM eIM,M. U1D+.1FFh00h.h+M JMEEMD 7IM ID WJ.M. S1+I)h+I1D% 3MFfJM $F+M.Dh+I)MD KIg+ M,% > 3@.eM M, WJDMD ,fJ(M. 1eM. FMIfJ+ LhFFMDa hg E1.KMD WJ.ME $.gMI+KMgM. K-DcFIfJ c* )M.+.h*MD% 3h.*E GCDDMD 7IM ,fJ(M. 1eM. FMIfJ+ )M.+.h*MD% Wenn Sie Sinnlosigkeiten in Organisationen langfristig und nachhaltig bekämpfen möchten, dann suchen Sie nach den Ursachen und vermeiden Sie es, nur an den Symptomen „herumzudoktorn“. Ursachen liegen meist in einer fehlenden Vertrauenskultur. Einen weiteren Hinweis können Ihnen die drei Säulen geben, auf denen Vertrauen fußt: Gerechtigkeit, Transparenz und Ehrlichkeit. Zusammen mit Vertrauen sind sie die entscheidenden Indikatoren, die als Garant für Sinn stehen und Sicherheit geben: Wer in einer Kultur des Vertrauens, der Gerechtigkeit, der Transparenz und der Ehrlichkeit lebt, der ist bereit zu investieren, denn er vertraut darauf, einen für sich wertvollen Output zeitversetzt zu erhalten. Untersuchen Sie wahrgenommene Sinnlosigkeiten auf diese vier Indikatoren hin und finden Sie auf diese Weise die Stellhebel, um effektiv zu mehr Sinn in Ihrem Arbeitsalltag ansetzen zu können. > 3IM ,MJMD 7IDDF1,IKGMI+MD ID WJ.ME $.gMI+,hFF+hK h*,% > 3MFfJM 7I+*h+I1DMD eM*+MD h*L LMJFMDeM, 4M.+.h*MD% > TMgMD 7IM ID MIDM. U*F+*.a ID eM. YM.MfJ+IKGMI+a 6.hD,0h_ .MDc *De ! J.FIfJGMI+ hgJhDeMD KMG1EEMD ,IDe% > "*.fJ (MFfJM Sh&DhJEMD GCDD+M eIM,M. ShDKMF gM,MI_ +IK+ (M.eMD% <?page no="91"?> ; \ 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK Menschen haben heute nicht mehr die Sicherheiten, wie sie früher durch Familie, Glaube oder Zunft gegeben waren. Menschen haben heutzutage mehr Freiheit in der Gestaltung ihres Lebens. Sicherheit und Sinn suchen folglich mehr und mehr Menschen am Arbeitsplatz. Sinnkrieger wissen: Um Sinn zu erfahren, müssen sie erst einmal investieren und ihrem Arbeitgeber gegenüber einen Vertrauensvorschuss leisten. Das mag schwierig sein gegenüber Arbeitgebern, die bis dato Gegeneinander und Kontrolle großgeschrieben haben und nicht an Mitarbeiter glauben, die das Unternehmen nicht ausnutzen, sondern mit ihm zusammen an einem Strang ziehen wollen - zum Zwecke des unternehmerischen Erfolgs. Unternehmen, welche morgen in einer Kultur der wachsenden Anzahl von Sinnsuchern noch erfolgreich sein und die leistungsstarken Sinnsucher nicht vertreiben wollen, müssen umdenken. Es gilt, eine Kultur des Vertrauens auf Augenhöhe zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu etablieren, um so den Sinnsuchern Lebensraum für Sinn zu geben. Überprüfen Sie das Vertrauensverhältnis zu Ihrem Arbeitgeber. > WD(IMLM.D FMI,+MD 7IM +-KFIfJ MIDMD 4M.+.h*MD,)1.,fJ" WJ.ME $.gMI+KMgM. KMKMD@gM.% > YIg+ WJ. $.gMI+KMgM. WJDMD eMD 8h*E L@. 4M.+.h*MD *De M.L@FF+ M. WJ.M ! .(h.+*DKMD% > 3h, GCDDMD 7IM c* MIDM. 4M.+.h*MD,G*F+*. h*L $*KMDJCJM HMD,MI+, )1D U1D+.1FFM *De SI"+.h*MD gMI+.hKMD% <?page no="92"?> 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* <?page no="93"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK ; Z $FIDbMhI-cJMD DecJ : eFMD,MD R 6e/ +E MbIM / IcJ,IKMD 6M/ ,M L@/ bIM / IcJ,IKMD SI,e/ dMI,M/ d/ e+cJ, "M/ dM-,M %/ dMI,KMdM/ Seit einigen Jahren gibt es im Zugzwang von Fachkräftemangel und im (Raub-)Zug des Themas „Employer Branding“ Bestrebungen, Bewerbern mehr Sicherheit zu geben, dass sie sich für den großartigsten Arbeitgeber der Branche entschieden haben. Die meisten Arbeitgeber haben inzwischen verstanden, dass es gar nicht so einfach ist, sehr gute Mitarbeiter fürs Unternehmen zu gewinnen und diese langfristig zu begeistern. So gibt es inzwischen mannigfaltige Optionen, die Großartigkeit eines Unternehmens nach außen zu transportieren. Eine davon ist von den Erfindern der Sache gar nicht mal so schlecht gemeint: Sie kennen sicher alle die Auszeichnungen und Awards, welche an Unternehmen verliehen werden und diese als „Besten Arbeitgeber“ adeln. 7IMF <e+E L@/ WD,M/ 1/ M,e,I2D In meiner Tätigkeit als Personalentwicklerin in einem Unternehmen, das einer Branche angehört, welche den Fachkräftemangel umfänglich schon früh zu spüren bekam, erhielt ich eines Tages den Auftrag, einen Fragebogen für eine Befragung zur Wahl des besten Arbeitgebers auszufüllen. Das Unternehmen hatte schon einige Male an diesem Wettbewerb teilgenommen und war auch als einer der besten Arbeitgeber ausgezeichnet worden. Ich sah mir zur Orientierung die Bögen der Vorjahre durch. Insgesamt 60 Seiten waren in jedem Jahr zu den für jeden Mitarbeiter attraktiven Themen wie „Gesundheit“, „Familie“, „Karriereperspektiven“, „Chancengleichheit“, „Training“ gefüllt. Bei der Lektüre dachte ich stets: „Was für ein toller Arbeitgeber, bei dem ich da arbeite! Schade <?page no="94"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK ; B 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* nur, dass es diesen so gar nicht wirklich gibt.“ Das Ganze las sich wie der Wunschzettel an den Weihnachtsmann. Zugleich enthielt dieser Fragebogen viele banale Inhalte wie: „Wir feiern gerne unsere Erfolge. So ist es Usus, dass wir am Freitag um 4 Uhr eine Flasche Sekt öffnen, um das Wochenende einzuläuten.“ Die eigentliche Motivation der Mitarbeiterin, welche jeden Freitag um 4 Uhr eine Sektflasche für die anderen öffnete, lässt Interpretationsspielräume offen. Unwahrscheinlich ist, dass sie nur deshalb eine Flasche Sekt köpfte, um das Arbeitsklima zu verbessern. Aber das bleibt Spekulation. Wie sich zeigte, gab es jedes Jahr von der Jury für derartige Rituale nicht wenige Punkte. Ein anderes Stichwort - und das bezog sich auf mich: „Mitarbeiter bereiten in ihrer Arbeitszeit Vorlesungen für Hochschulen vor, welche sie dann im renommierten Kontext abhalten.“ 6ebIM V+/ a DIcJ, )+--,M Wahr ist, dass ich Vorlesungen an Hochschulen halte - und auch gerne im renommierten Kontext. Damals bereitete ich diese jedoch in meiner Freizeit und an den Wochenenden vor; für die Vorlesungen selbst musste ich z. T. Urlaub nehmen oder durfte Zeit von meinem Überstundenkonto abzwacken. Ein wie oben postuliertes Engagement konnte sich das Unternehmen beim besten Willen nicht auf die eigenen Fahnen schreiben. Ebenso hätte man in Erwartung auf Zusatzpunkte in der Rubrik „Fitness und Gesundheit“ schreiben können, dass Paul Weber aus der IT-Abteilung mit seinem Fußballverein in die Regionalliga aufgestiegen ist. Die jeweilige Perspektive auf einen Sachverhalt und die Frage, ob ein Unternehmen einen Vorteil für seine Mitarbeiter auch wirklich ausweist - das können die auswertenden Institute meist nicht (er)kennen. So werden munter Punkte vergeben an die Unternehmen, welche sich wohlklingende Geschichten aus- <?page no="95"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK ; A denken. Die Belohnung dafür: Bei einer rauschenden Gala nehmen Unternehmensvertreter einen schönen, gläsernen Award entgegen, und man beweihräuchert sich gegenseitig ob der toll geleisteten Personalarbeit. Dass für die Nominierung zum besten Arbeitgeber aber nur die Unternehmen berücksichtigt werden, die sich aktiv für diesen Titel bewerben, nicht aber die vielen anderen, die den wirklichen Arbeitsmarkt ausmachen und insgesamt eine repräsentative, breit angelegte Befragung bedeuten würden, dies wird im Rahmen solcher Verleihungen gar nicht thematisiert. Mit anderen Worten: In der Auswahl der besten Arbeitgeber befinden sich ohnehin nur die Unternehmen, die diesen Award gerne hätten, um ihr Image aufzupolieren, weil sie möglicherweise sonst zu wenig Attraktivität, Renommee oder Unternehmenskultur ausstrahlen. Die wahren Champions unter den Arbeitgebern müssen bei diesem Kräftemessen in der Regel nicht mitmachen. Unter den Blinden ist der Einäugige König. Aus Mitarbeiterperspektive mag es einmal mehr frustrierend sein, mitzubekommen, wenn das Unternehmen wieder einmal einen Award bekommen hat, dabei jeder ganz genau weiß, dass so einiges im Argen liegt und diese Auszeichnung gar nicht gerechtfertigt ist. Da kommt man sich zu Recht ein wenig veralbert vor, was eine ehrliche, vertrauensfördernde Unternehmenskultur nicht wirklich befördert. N-M+b2]; IcJM/ JMI,MD KMDM/ IM/ MD Es gibt schlichtweg keine Sicherheit für potenzielle Bewerber, den für sich besten Arbeitgeber zu wählen. Und zu Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels darf und muss man sich als Arbeitnehmer die Frage stellen: Möchte ich überhaupt zu diesem Unternehmen? Möchte ich für diesen Arbeitgeber Lebenszeit investieren? Wird mein Investment durch Sinn und für mich individuellen Wert belohnt? Man weiß es nicht, <?page no="96"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK ; ? 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* man muss auf sein Gefühl vertrauen, sagen viele Bewerber. Und anstatt den Bewerbern entgegenzukommen und ihnen bereits im Auswahlverfahren Sinn oder zumindest Interesse an sinnhafter Zusammenarbeit zu signalisieren, ärgert so mancher Personaler vor allem die qualifizierten Bewerber mit Fragen wie: „Warum möchten Sie ausgerechnet zu uns? “ Warum? Das kann doch keiner vorher wissen! „Weil Sie ein tolles Auto produzieren oder weil ein absolutes Topmodel für Sie Werbung macht? “ Das sagt alles rein gar nichts aus über den wahren Alltag in diesem Unternehmen, über seine Kultur und vor allem darüber, ob es Sinn macht, Lebenszeit in dieses Unternehmen zu investieren. %+-)MDbIKFM/ DM/ JedMD MIDMD 72/ ,MIF In der Folge werden meist die Bewerber ausgewählt, die die besten Schulnoten vorweisen und am besten darlegen können, wie großartig das Unternehmen ist, in welchem der Personaler sitzt; oder die am besten die Inhalte der Imageseiten des Unternehmens herunterbeten können. Auswendig lernen ist das eine - aber erfolgreich im Leben sein? Im Grunde müsste es andersherum sein und der Personaler müsste die Antwort geben auf die Frage, warum ein Bewerber ausgerechnet in diesem Unternehmen arbeiten sollte. Doch hier taucht schon ein gravierendes Problem auf: Viele Unternehmen wissen überhaupt nicht, warum sie ein guter Arbeitgeber sind. Sie haben sich schlichtweg niemals damit auseinandergesetzt, was das Unternehmen im Wesenskern ausmacht, was ihm wirklich wichtig ist, welches seine Werte sind. %/ dMI,DMJEM/ JedMD bIM =+eF bM/ 6eJF Unternehmen werden künftig nicht mehr in der Position sein, freche Fragen zu stellen oder ihren Bewerbern - quasi von oben herab - das Gefühl zu geben: „Wenn du zu uns <?page no="97"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK ; > willst, dann musst DU uns erst einmal davon überzeugen.“ Angesichts junger, sinnsuchender Generationen und angesichts von Fachkräftemangel wird es genau andersherum sein: Die Bewerber haben die Wahl. SIE sind diejenigen, die sich die besonderen und vor allem sinnstiftenden Unternehmen herauspicken können, genauer: die, die zu ihnen und ihren Werten passen, ihr eigenes Wertesystem bestätigen und ihnen folglich Sinn in ihrem Sein und Tun ermöglichen. 6M/ 1e--, `+ EMIDMD 6M/ ,MD& Die Sinnkrieger oder Sinnsucher suchen bereits vor ihrem Eintritt in ein Unternehmen nach Sinn oder auch nach Sinnlosigkeiten, um sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Und Sinn macht es immer dann für einen Bewerber, wenn er seine eigenen Werte im Unternehmen bestätigt sieht. Aber aufgepasst! Vielerorts werden Sinnkrieger getäuscht - mit unaufrichtigen Floskeln, die darüber hinwegtäuschen, dass der Sinnkrieger in diesem Unternehmen nicht finden wird, was er für die richtige Entscheidung braucht: Und das wäre die Möglichkeit zu einem ehrlichen Abgleich der eigenen Werte mit den Unternehmenswerten. Im Nachhinein ist das für einen Bewerber fast ein bisschen so, als hätte er oder sie sich in einen wahnsinnig gutaussehenden Menschen verliebt: Ein paar Wochen lang hält die eigens konstruierte Illusion, und man schwebt auf Wolken, um sich dann einzugestehen, dass es sich bei dem anderen doch nur um eine geistlose Wurst handelt. ; IcJ KMKMD-MI,IK dM-,.,IKMD Im Wesentlichen geht es darum, auf beiden Seiten die wahren Werte zu identifizieren und den Bewerber bzw. das Unternehmen zu finden, welcher bzw. welches am besten zu den Werten des anderen passt, sodass es für beide Sinn macht. Stattdessen werden häufig Unsummen an Geldern für Em- <?page no="98"?> ; = 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* ployer-Branding-Projekte, Awards oder Assessment-Center ausgegeben und Pseudo-Sicherheiten generiert. Das kommt einmal mehr der Symptombehandlung gleich, nicht aber dem wirkungsvollen Stellhebel bzw. der eigentlichen Ursache: Wenn Unternehmen und Mitarbeiter sich in ihren Werten gesehen fühlen und sich gegenseitig bestätigen, dann erfahren beide Sinn und können leistungsfähig werden. Die Schwierigkeit liegt einmal mehr darin, dass sich weder Unternehmen noch Mitarbeiter ihrer Werte bewusst sind und bei Auswahlverfahren folglich völlig im Dunkeln tappen und konsequenterweise bei ihrer Entscheidung nicht bedenken, was wirklich wichtig ist, was sie wirklich ausmacht. Kaum einer achtet bei der Auswahl des Arbeitgebers darauf, ob die eigenen Werte Platz finden. Wie auch? Die meisten kennen ihre eigenen Werte überhaupt nicht und können sie deshalb auch nicht leben. Wenn Werte aber nicht gelebt werden, gibt es auch kein Vertrauen. Und eine Kultur ohne Vertrauen ist nicht wirklich sinnstiftend. Wie kann ein Bewerber denn wissen, ob die Werte des Unternehmens passen, wenn das Unternehmen nicht einmal die eigenen Werte kennt, geschweige denn aufrichtig kommuniziert? Klar ist: Bei den sinnsuchenden Potenzialträgern haben Unternehmen ohne ehrliche, offene Werte keine Chance - erst recht nicht, wenn sich wenig wertschätzende, langweilige Auswahlverfahren andeuten. ; IcJ KMKMD-MI,IK bIM dM-,MD ; MI,MD -1IMKMFD R 6e/ +E ; IDD MID "+ d/ e+cJ, ; 2 -MID Jeder tut meist nur das, was ihm oder ihr wichtig ist, weil es für ihn oder sie Sinn macht. Das kann sportliche Betätigung, Weingenuss, ein Kartenspiel oder eine Blutspende sein. Alles Xd01+JM,M <?page no="99"?> ; < Xd01+JM,M was wir tun, tun wir in erster Linie für uns. Es bestätigt unsere Werte und damit unseren Selbstwert. Wir fühlen uns dann gesehen und wahrgenommen. Wir umgeben uns gerne mit Menschen und begeben uns in Situationen, die uns in unserem Selbstwert bestätigen. Deshalb gehen wir in den Fußballverein, zum Strickkurs, treffen Menschen, die uns ähnlich sind oder bei denen wir das Gefühl haben, so sein zu können, wie wir sind. Ohne Schauspiel, ohne Irritationen, einfach nur Sein. 6M/ ,M `+E TMdMD M/ )McGMD Die Lösung auf die Frage, wann Werte, das was uns wichtig ist, gelebt werden können, liegt tief verwurzelt im Prozess des Bestätigens. Bestätigung, egal in welchem Kontext, braucht immer ein Gegenüber. Einen Spiegel, der uns authentisch, wahrhaft und wunderschön rückmeldet: „Ja, du bist hier richtig.“ Damit Werte lebendig werden können, brauchen wir ein Du 10 - damit beide Parteien die Möglichkeit haben, sich gegenseitig die besten Seiten zu spiegeln. Werte benötigen gewissermaßen einen „Wirt“, auf dem sie sich niederlassen können - durch seine Energie werden sie zum Leben erweckt. Wie Mistelzweige, die ohne einen Baum, ihr „Du“, nicht leben würden. Der Dünger dafür ist die Bestätigung der Werte durch ein Umfeld. Durch Familie, Freunde oder auch den Arbeitgeber. Fehlt dieses System der Bestätigung, so können Werte nicht kraftvoll werden und nicht gelebt werden. Viele Unternehmen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass in ihnen Werte nicht bestätigt werden. Die Unternehmen teilen nicht das Wertesystem ihrer sinnsuchenden Mitarbeiter - eine lebendige Wertekultur kann nicht entstehen. Oder aber, das Unternehmen hat nicht die richtigen Werte kommuniziert. Die wahren Werte schlummern irgendwo im Dunkeln. Auch in diesem Fall findet keine Bestätigung statt. Stellen Sie sich <?page no="100"?> ; ; Xd01+JM,M 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* dazu einfach einmal vor, sie spielen ihrem Lebenspartner zuliebe über Jahre hinweg vor, sie wären genau wie er Vegetarier. In Wirklichkeit mögen sie Gemüse überhaupt nicht und lieben herzhafte Steaks. Ihr Partner kocht tagtäglich all die vegetarischen Gerichte mit sehr viel Leidenschaft. Sie jedoch werden mit jedem weiteren Essen verstimmter. Es wird nicht ausbleiben: Ihr Partner wird schnell spüren, dass etwas nicht passt. Die Beziehung mag durch dieses Vorspielen sogar bröckeln - Ihr Lieblingsessen, einen deftigen Schweinebraten, erhalten Sie dadurch jedenfalls nicht. N2-I,I*M $M-,.,IK+DK ID bM/ YMEMID-cJeL, Werte sind zutiefst sozial. Sie brauchen die Gemeinschaft, um lebendig werden zu können: eine Organisation, einen anderen Menschen. Glaubensgemeinschaften, Vereine, auch Unternehmen leben davon. Die Kraft der Werte entfaltet sich immer erst am Punkt ihrer Entstehung: in der Gemeinschaft. Erst durch die Gemeinschaft und die damit einhergehende Bestätigung von Werten durch mehrere Personen wird Werten Kraft verliehen. Werte haben in einer bestimmten Gruppe Akzeptanz und werden als positiv bewertet - durchaus auch unabhängig von moralischen Vorstellungen. Dazu ein Beispiel: In einem Vertriebsteam hat derjenige, welcher die meisten Kaufverträge abschließt, einen hohen Stellenwert - und zwar ganz ohne Rücksicht darauf, ob man dafür Rentner übers Ohr hauen oder Heizdecken zu astronomischen Preisen verkaufen muss. Moralisch zweifelsohne bedenklich, aber in einer Gruppe Gleichgesinnter mag die Gewinnorientierung einen Wert abgeben, der geteilt wird, der Bindung schafft und der innerhalb der Gruppe gelebt wird. Ein solcher Wert gibt den Mitgliedern der Gruppe Sinn. <?page no="101"?> [\\ Xd01+JM,M N2-I,I*M U2/ / MFe,I2D Die Anzahl der Menschen, die Werte teilen, gibt den Ausschlag dafür, ob diese Werte leben können und ja: ob es sich lohnt, für diese Werte zu sterben. Und: Je größer die Menschenmenge, die die Werte bestätigen und leben, desto kraftvoller sind die Werte. Jeder einzelne Märtyrer hat eine Gruppe, der er sich zugehörig fühlt. Auch Jesus selbst, der wohl den schlimmsten Tod für Werte gestorben ist, auch er hatte Anhänger, sprich: zwölf Jünger hinter sich, die seine Werte bestätigten und stärkten. Dann macht vielleicht sogar der Tod Sinn - Sinn durch eine Vielzahl von mehreren Menschen, die Werte positiv bewerten und bestätigen. 7M/ FIMd, ID- WcJ R WD F2*M )I,J Ea-MFL Der Mensch ist von seiner Natur aus auf Gemeinschaft und das Rudeldasein hin ausgelegt. Er ist von Natur aus sozial. Logisch, dass er sich folglich gerne von anderen bestätigen lässt. Oder besser gesagt: Es ist für uns Menschen eine absolute Notwendigkeit - früher noch mehr als heute - sozial bestätigt zu werden. Denn nur so gehört man zu einer Gemeinschaft und kann auf diese Weise das eigene Überleben sichern. Die Bestätigung des eigenen Ichs, dessen also, was jedem Einzelnen persönlich wichtig ist und ihn ausmacht, ist für den Menschen lebensnotwendig: Die Bestätigung durch andere Systeme sichert unser Dasein. Nicht umsonst sind „Berufe“ wie Popstar, Model oder Profi-Fußballer sehr beliebt: Je mehr Fans, desto mehr Bestätigung fürs eigene Ego, desto mehr „Überlebenschancen“ - evolutionspsychologisch gesprochen. Bei Kindern können Sie die Dynamik der Rudelbildung noch in Reinform erkennen. Es gibt in Klassenverband meist ein „Oberhaupt“, einen „Bestimmer“, und andere, die diesem folgen. Außenseiter hingegen, die andere Werte leben, bleiben außen vor - sind draußen und nicht Teil der <?page no="102"?> [\[ Xd01+JM,M 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* Gemeinschaft, die nichts anderes ist als ein sich formendes Wertesystem, das sich täglich abgleicht und nach Bestätigung der Mehrheit sucht. YM-MJMD )M/ bMD Das Phänomen des Gesehenwerdens und Bestätigens finden Sie in den unterschiedlichsten Kontexten wieder. Beispielsweise bei Spendenaktionen in Funk und Fernsehen. Im Sommer 2013 etwa konnte man im Rahmen einer TV-Sendung für die Flutopfer der deutschen Krisengebiete spenden. Der moderierende Journalist sprach eine Stunde lang mit Betroffenen und Helfern. In der Zwischenzeit hatten Anrufer aus der ganzen Republik die Möglichkeit, einen selbst gewählten Geldbetrag zu spenden. Zuerst musste man zwar in der Hotline an einigen Promis vorbei, die die Spendenanrufe telefonisch entgegennahmen. Bald schon wurden dann die Namen der Spender und der Betrag am unteren Rande des Bildschirms eingeblendet: Das Ego wird gestreichelt, denn eine Vielzahl von Menschen vor den Bildschirmen bekommt so die eigene gute Tat mit. Ein weiteres Beispiel: Ein Unternehmen, das Öfen für Profiküchen herstellt, setzt das Prinzip der Namensnennung zum Zwecke der Mitarbeitermotivation ein. In jedem von diesem Unternehmen produzierten Ofen - egal wo auf der Welt er dann steht - findet man die Namen der Mitarbeiter, die an der Produktion dieses einen Ofens beteiligt waren. Das schafft Loyalität und Mitarbeiterstolz und bestätigt letztlich den Menschen als Individuum, in seinem Sein und Tun; als Teil einer Organisation, in der er einen wertvollen Beitrag für den Unternehmenserfolg leistet. Es geht hier ums Gesehenwerden - ob ganz konkret oder im übertragenen Sinn, also um das Erkanntwerden in seinem Wesenskern, um Bestätigung. Das ist Sinnerfahrung. <?page no="103"?> [\Z $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK <2-e/ 2,M $/ IFFMD +Db ; 1IMFM/ L/ e+MD R 6e/ +E M- ; IDD EecJ,_ )MDD EeD 6M/ ,M ,MIF, SMD-cJMFMI ID bM/ %/ dMI,KMdM/ ]%/ dMI,DMJEM/ ]$M`IMJ+DK In der Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist es wie in jeder anderen Beziehung auch, in der Menschen beteiligt sind: Wenn Sie nicht die Werte mit Ihrem Partner teilen, wenn Sie die Werte Ihres Partners nicht bestätigen können und sich von ihm auch nicht in Ihren eigenen Werten bestätigt fühlen, dann werden Sie nicht länger in diese Beziehung investieren. Weil es keinen Sinn für Sie macht. Sie werden sich nach erster Verliebtheit wieder trennen. Für jede funktionierende Beziehung braucht es die Bestätigung der Werte, wie auch immer diese ausfallen mögen. Wie können sich nun Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenseitig in ihren Werten bestätigen? Damit Mitarbeiter Sinn finden und motiviert werden und Unternehmen erfolgreich sind. Was bedeutet in diesem Kontext Bestätigung der Werte wirklich? Wie können wir herausfinden, ob sich die Werte des Mitarbeiters und die Werte des Unternehmens gegenseitig bestätigen? Wie können Arbeitgeber es schaffen, dem Mitarbeiter Raum zu geben, seine eigenen Werte zu leben? Und wie kann der Mitarbeiter Sinn in seiner Tätigkeit finden und damit zu Höchstform auflaufen? "/ MI h2/ EMD bM/ $M-,.,IK+DK Wie Werte bestätigt werden, das kann ganz unterschiedlich ausfallen. Es reicht nicht aus festzusetzen, dass Unternehmen und Mitarbeiter möglichst dieselben Werte haben sollten, um eine sinnstiftende Beziehung zu generieren. Nein, oftmals sind es ganz gegensätzliche Werte, die sich trotzdem bestätigen. Das Ziel sollte dabei sein: Jeder sieht seine Werte im anderen bestätigt und findet in seiner Investition Sinn. <?page no="104"?> [\B $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* Im Grunde gibt es drei Optionen, wie sich Werte im Du bestätigen können und wie damit Sinn erfahren wird: [\ Beide Systeme haben identische Werte. Das ist so gut wie unmöglich und meist nur mit rosaroter Brille möglich. Denn wir wissen: Werte sind wie die DNA eines jeden Systems. Und keine DNA ist identisch mit der anderen. Z\ Beide Systeme haben eine möglichst große Schnittmenge an Werten. Dies ist eine viel realistischere Form der Wertebestätigung. Und Sie finden sie in einer gut verhandelten Beziehung wieder, in welcher beide Seiten respektvoll und mit viel Akzeptanz miteinander umgehen. B\ Beide Systeme haben komplett unterschiedliche Werte. Diese Form der Bestätigung ist im ersten Moment vielleicht etwas irritierend. Doch gibt es durchaus sehr viele Beziehungen dieser Art, in welcher Symbiose funktionieren kann und sich beide in ihren Werten durch den anderen bestätigt sehen. P1,I2D [> WbMD,I-cJM 6M/ ,M Frisch verliebt zu sein ist schon etwas Tolles! Endlich hat man einen Menschen gefunden, der genauso tickt wie man selbst. Plötzlich findet sie sich am Sonntag Nachmittag am Spielfeldrand des Fußballfeldes in Hintertupfing wieder und liebt es, ihrem Traummann bei seinen sportlichen Heldentaten zuzusehen. Und er geht auf einmal gerne spazieren oder kocht Kaffee für die Freundinnen seiner Liebsten, auch wenn er das früher ganz furchtbar und uncool fand. Verliebt zu sein ist im Grunde nichts anderes, als die eigenen Werte in den Werten des anderen bestätigt zu sehen. Die rosarote Brille aber trickst: Das eigene Wertesystem wird etwas umgebaut; vielleicht werden auch Werte „entdeckt“, die letztlich gar nicht da sind - <?page no="105"?> [\A $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK nur um sich der gegenseitigen Bestätigung gewiss zu sein. Das Gute daran ist: Man ist in dieser gemeinsamen Wertegleichheit sehr, sehr glücklich. Der Selbstwert steigt durch die permanente Wertebestätigung ins Unermessliche. Das weniger Gute daran ist, dass auch diese Wertegleichheit in der Regel nach einigen Monaten nachlässt. Und man kehrt zum eigenen Wertesystem zurück. Jetzt nerven sie - um im obigen Beispiel zu bleiben - die Nachmittage am Fußballplatz genauso wie ihn die ausgedehnten Spaziergänge über blühende Wiesen. Der Einzelne kommt sich selbst wieder etwas näher und verhandelt dann die Existenz des eigenen Wertesystems neu. Nur gut, dass während der ersten Verliebtheit bereits genügend Bindung hergestellt wurde, um die beiden Verhandlungspartner kompromissbereiter zu machen. Liebe ist eben nichts anderes, als die eigenen Werte im Gegenüber gespiegelt zu sehen und im Idealfall sich gegenseitig die besten Seiten aneinander zu spiegeln. ! / D@cJ,M/ +DK EecJ, *M/ JeDbF+DK-dM/ MI, Nicht anders verhält es sich mit Mitarbeitern und ihrem Arbeitgeber. In der „ersten Verliebtheit“ ist noch alles toll. Man hat das Gefühl, dass die eigenen Werte zu 100 % deckungsgleich sind mit den Werten des Unternehmens. Das kostenlose Obst, die witzigen Kollegen und der schicke Firmenwagen machen uns glücklich. Doch irgendwann kann man das Obst nicht mehr sehen, der schicke Firmenwagen ist selbstverständlich geworden, und die witzigen Kollegen haben sich als nervige Querulanten entpuppt. Spätestens jetzt wird klar, ob Unternehmen und Mitarbeiter die Werte des jeweils anderen bestätigen können. Und es entscheidet sich, was jeder vom anderen erwarten kann und was nicht bzw. welche Kompromisse möglich sind. Wir gehen uns selbst gegenüber wieder eine stärkere Verpflichtung ein und verhandeln neu. <?page no="106"?> [\? $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* ! IDM M/ L@FF,M 7M/ -I2D *2D -IcJ -MFd-, Ein absolut deckungsgleiches Wertesystem zum eigenen Wertesystem gibt es nicht. In der ersten Verliebtheit meinen wir das manchmal, weil wir nur das sehen, was wir sehen wollen. Wir möchten uns in unserem Innersten, in unseren Werten bestätigt sehen. Doch wirklich gesund ist diese Verliebtheit auf Dauer nicht. Sie hat lediglich die Funktion, Türen zu öffnen und während der vermeintlichen Phase der Deckungsgleichheit der eigenen Werte mit dem anderen System Zeit zu gewinnen, um Bindung herzustellen. Nach der ersten Verliebtheit aber braucht es die wahre Bestätigung der eigenen Werte, die Besinnung auf das eigene Wertesystem, damit eine weitere Investition in die Beziehung Sinn macht. Und man schließlich eine erfüllte Version von sich selbst werden kann. Lifestyle-Marken oder Modelabels leben von diesem Verliebtheitsphänomen ihrer Mitarbeiter - bis hin zu deren Selbstaufgabe. Das mag positiv sein, da solche Unternehmen kein Geld für Employer Branding investieren müssen. Die Marke selbst hat schon Anziehungskraft genug. Ja, so viel Anziehungskraft, dass Mitarbeiter aus reiner Markenverliebtheit - von außen gesehen - ganz unverständliche Kompromisse eingehen. Se/ GMD*M/ FIMd,JMI, Da gibt es Kleidungsmarken mit einer Philosophie, die da in etwa lautet: „Nur äußerst gut aussehende, schlanke Mitarbeiter werden bei uns eingestellt.“ Das bedeutet im Umkehrschluss: Menschen, denen ihr Äußeres sehr wichtig ist, finden einen solchen Arbeitgeber durchaus attraktiv. Bei Unternehmen mit hohem Wert an Lifestyle tut das aber niemand. Denn die Marke bestätigt bei interessierten potenziellen Mitarbeitern zum einen den eigenen Wert, der da „Lifestyle“ heißt; zum anderen bekommt der Selbstwert der Bewerber einen großen Schub: „Wer bei uns eingestellt wird, hat automatisch <?page no="107"?> [\> $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK das Siegel erhalten ,Von uns als Modelabel als attraktiv eingestuft‘ und darf sich demnach in die Reihe der ‚Shopmodels‘ einreihen.“ Für junge Menschen, bei denen Attraktivität eine große Rolle spielt, stellt dies einen enormen Wert dar. Y/ MD`@dM/ -cJ/ MI,+DK g Die Markenverliebtheit junger Menschen wird - wie dieser Fall zeigt - von Unternehmen mitunter ganz massiv ausgenutzt. Und der eine und andere geht sogar so weit, für die Bestätigung der eigenen, ihm wichtigen Werte über demütigende Sanktionen hinwegzusehen - wie beispielsweise unzählige Liegestützen machen oder vor versammelter Mannschaft 10-mal „I’m shit“ sagen. Das zeigt, welch große, ja sehr große Kompromisse manch einer für die Bestätigung der eigenen Werte eingeht. g dI- JID `+/ ; MFd-,e+LKedM Es stellt sich jedem automatisch die Frage: Wieso lassen Mitarbeiter so etwas mit sich machen? Wieso arbeitet man für ein solches Unternehmen? Wie stark muss der Drang danach sein, den eigenen Wert (in unserem Beispiel Attraktivität, Lifestyle und „Dazugehören“) zu leben und bestätigt zu bekommen - bis hin zu Demütigungen, Selbstaufgabe und Preisgabe der eigenen Würde? Eines ist klar: Für Menschen mit derart ausgeprägten Werten macht ihre Investition Sinn und bestätigt einmal mehr den Satz von Nietzsche: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Andere Beispiele für derartige Demütigung bis hin zur Selbstaufgabe mögen jene Vorfälle bieten, bei denen Ehemänner ihre Frauen fast totprügeln und diese gepeinigten Frauen trotz aller Schmerzen ihre Männer nicht verlassen. Für Außenstehende ist das nicht zu begreifen. Es muss wohl Verliebtheit sein. <?page no="108"?> [\= $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* P1,I2D Z> 6M/ ,M]; cJDI"EMDKMD Nach der Verliebtheit kommt in jeder Beziehung die eigentliche Arbeit: die Besinnung auf sich selbst, auf die eigenen Werte und das Verhandeln der Bestätigung der Werte. In keiner Beziehung wird man alle Werte bestätigt sehen. Das wäre völlig ungesund - auch wenn die Erwartung mancher Menschen in diese Richtung geht und man dann das eigene Glück vom Sein und Tun eines anderen Menschen abhängig macht. Dafür haben Menschen unterschiedliche Bühnen im Leben, auf denen sie ihre Werte bestätigen und Sinn finden können: im Sportverein, in der Musikapelle, im Bauchtanzkurs oder beim Kinderbasteln. Und ebenso werden sinnsuchende Mitarbeiter auch nicht zu 100% Bestätigung ihrer eigenen Werte in einem Unternehmen finden. Aber es sollte zumindest ein für beide Seiten sauberer Kompromiss möglich sein, sodass die jeweils wichtigsten Werte für das Jobleben bestätigt werden. "IM dM-,MD ; MI,MD eDMIDeDbM/ -1IMKMFD Die Option der Werte-Schnittmengen ist die am weitesten verbreitete Möglichkeit von Wertebestätigung. Denn wir haben ja schon gehört: Niemand kann eins zu eins dasselbe Wertesystem wie ein anderer haben - genauso wenig, wie die DNA bei Menschen identisch ist, ein Fingerabdruck oder der Klang einer Stimme. Ziel kann es daher nur sein, eine möglichst große Schnittmenge an Werten zwischen zwei Systemen anzusteuern. Gleich und gleich gesellt sich gern, schafft gute Stimmung. In Teams beispielsweise macht es durchaus Sinn, gemeinsame Werte zu sammeln und zu formulieren. Das schafft Sympathien, gute Stimmung, Abgrenzung zu anderen Teams und damit Zusammenhalt. Die Erkenntnis, dass Menschen gleiche Werte haben, ist der Kit einer jeden guten Beziehung, so auch in Unternehmen. Es gilt daher, eine möglichst große Schnittmenge zwischen Unternehmenswerten und <?page no="109"?> [\< $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK Mitarbeiterwerten zu generieren. Dafür braucht es jedoch - wie schon mehrmals angedeutet - die Kenntnis der eigenen Werte: sowohl für Unternehmen als auch für Mitarbeiter. #+F,+/ eF hI, Das junge Tochterunternehmen eines großen deutschen Luftfahrtkonzerns hat sich die Generierung der größtmöglichen Schnittmengen zwischen den Unternehmenswerten und den Werten seiner künftigen Mitarbeiter vorgenommen und ein „Cultural Fit Interview“ entwickelt. Dieses Interview basiert auf den doch recht außergewöhnlichen und nicht alltäglichen Werten des Unternehmens und fordert die Bewerber dazu auf, über die eigenen Werte nachzudenken, damit im Vorfeld für sich selbst zu prüfen, ob das Unternehmen zu einem passt und man in seiner Tätigkeit dort Sinn findet. Im Idealfall ermittelt der Bewerber - auch in Eigenverantwortung - eine große Schnittmenge an Werten und bekommt so ein „Versprechen“ für ein sinnvolles Arbeitsumfeld. 9D,M/ -cJIMbFIcJM- YM)IcJ, Es gilt also die Regel: Je größer die Schnittmenge der Werte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausfällt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter Sinn in ihrem Sein und Tun in diesem Unternehmen finden und in der Folge zum Unternehmenserfolg beitragen. Doch eine Sache sei bedacht. Auch wenn wir Werte teilen, weisen wir diesen immer ganz individuelle Gewichtungen zu. Jeder hat seine eigene Wertehierarchie. Und auch wenn zwei Personen, zwei Systemen derselbe Wert zu eigen ist, so kann dieser eine ganz unterschiedlich ausgeprägte, weil eben individuelle Gewichtung aufweisen. Bei Kollege Huber etwa steht Gesundheit auf Platz 1 der Wertehierarchie, bei Kollege Meyer erst auf Platz 5. Doch findet sich der Wert „Gesundheit“ im Wertesystem beider wieder. <?page no="110"?> [\; $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* P1,I2D B> "ef; 1IMFM/ L/ e+MD]NJ.D2EMDO In den meisten sinnstiftenden Systemen - so behaupte ich - werden Werte nicht geteilt, sondern sind sogar völlig unterschiedlich. Und doch werden sie durch den jeweils anderen bestätigt. Es gibt sehr gut funktionierende Symbiosen, welche nicht das gleiche Ziel haben, und dennoch gut funktionieren. Denken wir noch einmal an das Beispiel mit dem Vögelchen und dem Krokodil: Das Vögelchen bekommt Nahrung aus den Zahnzwischenräumen, das Krokodil eine kostenlose Zahnpflege. Und so verhält es sich in vielen symbiotischen Beziehungen. Ein sehr plastisches Bild bietet das Spielerfrauen-Phänomen: Attraktive Frau sucht Mann mit Geld und Status, Mann mit Geld und Status sucht attraktive Frau. Beide Parteien haben völlig unterschiedliche Werte und damit völlig unterschiedliche Motive und Ziele im Hinblick auf eine Paarbeziehung. Sie weisen keine oder geringe Schnittmengen auf, was ihre Vorstellungen von den Werten in einer Beziehung angeht. Und dennoch funktioniert das System, da sich beide Parteien im anderen Wertesystem in ihren eigenen Werten bestätigt sehen. TMKI,IEM/ ! IKMDD+,` In Unternehmen ist diese Konstellation keine Seltenheit. So finden viele Mitarbeiter Sinn in ihrer Arbeit, ohne die Ziele des Unternehmens zu teilen: zum Beispiel der Wissenschaftler, weil er in einem Unternehmen das nötige Equipment für seine Experimente zur Verfügung gestellt bekommt und damit seinem Forscherdrang nachgehen kann; der Berufsschullehrer für Steinmetze findet Sinn in seiner Tätigkeit nicht aufgrund eines pädagogischen Auftrags, den er erfüllen möchte, sondern weil die Berufsschule innovative Gerätschaften bietet, die er auch für sich nutzen kann; oder der Investmentbanker, der sicher das Unternehmensziel der Gewinnmaximierung <?page no="111"?> [[\ $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK teilt, aber womöglich gerne auch Instrumente und Portale nutzt, um eigenen Aktiengeschäften nachzugehen. Es gibt mannigfaltige Beispiele, in denen Mitarbeiter Sinn finden, ohne sich mit den Werten des Unternehmens zu identifizieren. Wichtig ist dabei, dass sich die Werte beider Systeme im anderen bestätigt sehen. Denn dann macht die Beziehung für beide Parteien Sinn, und man ist auch weiterhin bereit, in die Beziehung zu investieren. Es ist ein Fehlschluss zu glauben, Mitarbeiter und Unternehmen müssten immer die gleichen Ziele haben oder die gleichen Werte teilen. Letzteres ist zwar erstrebenswert, jedoch nicht notwendig für sinnstiftendes Miteinander. Es genügt, die Werte zu bestätigen. (Man muss dafür ein wenig hinter die Fassade sehen und womöglich um die Ecke denken.) Dafür ist Voraussetzung, dass jeder die eigenen Werte kennt. Denn ohne diese Wertekenntnis bleibt die Suche nach Sinn im Leben und im Job erfolglos. Auf dem Weg zu einer sinnstiftenden Kultur steht die Erkenntnis der eigenen Werte am Anfang - das gilt sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer. Was ist mir wichtig? Wofür stehe ich jeden Tag auf ? Wofür lohnt es sich zu sterben? 6MIF MeFFM ,+D Inzwischen haben viele Unternehmen verinnerlicht, dass man Werte aufschreiben und kommunizieren sollte. Aber den eigentlichen Sinn, behaupte ich, haben die wenigsten verstanden. Man kommuniziert Werte, weil man das eben so macht als modernes Unternehmen und es zum guten Ton gehört. Und weil viele Unternehmen nicht wirklich Sinn im Thema „Werte“ sehen, holt man sich für diese leidige Pflichtübung gut bezahlte Berater ins Haus. Die ermitteln für nicht wenig Geld einen attraktiven Wertekanon, der sich häufig dann in großen Lettern in den Foyers oder auf der Firmenhomepage präsentiert. Gelebte Werte? Eher leere Worthülsen. <?page no="112"?> [[[ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* 6M/ ,MG2FFI-I2D R "IM ; cJ)IM/ IKGMI,_ ID MIDM/ L/ MIMD 6MF, ; IDD `+ -,IL,MD WE 6M/ ,Mb-cJ+DKMF Werte benötigen Bestätigung im anderen System, um Sinn zu stiften. Motivierte Mitarbeiter sind die, die in ihren Werten durch die Werte des Unternehmens bestätigt werden. Die Werte des Mitarbeiters müssen zu den Werten des Unternehmens passen. Allerdings bringt das Modell der Wertebestätigung eine wesentliche Herausforderung mit sich: Nicht nur, dass Arbeitgeber die Werte ihrer Mitarbeiter (er)kennen müssen, nein: jeder Arbeitgeber sieht sich einem unendlich dichten Wertedschungel seiner Mitarbeiter gegenüber. Jeder einzelne Mitarbeiter hat einen Wertekanon mit unterschiedlichen Wertehierarchien und -gewichtungen. Wie soll man die alle unter einen Hut bringen? Oder anders: Ist der Begriff „Wert“ überhaupt noch zeitgemäß? Sprechen wir nicht sogar vom Werteverfall der Gesellschaft? Wie sollen Unternehmen Werte bestätigen, wenn die Gesellschaft gar keine Werte mehr hat? 6M/ ,M*M/ LeFF bM/ YM-MFF-cJeL, Lassen Sie uns einen kurzen, aber notwendigen Blick auf das Thema „Werteverfall“ werfen: Im Zuge der Thematisierung des demografischen Wandels in Deutschland findet auch die Diskussion über den Werteverfall in den Medien wieder mehr Raum: Den Jugendlichen fehle es an Disziplin, Anstand und Ehrlichkeit, heißt es da. Die Tendenz zur Ein-Kind-Familie würde dies nur unterstützen, weil man kleine Prinzen und Prinzessinnen großziehe. Der Respekt vor dem Alter würde fehlen. Ja, und dann gebe es ja nun immer weniger Kinder und immer mehr Alte - wo solle das noch alles hinführen? Hinzu kommt, dass nach aktuellen Studien die Deutschen immer weniger nach den alten Tugenden Fleiß, Pünkt- <?page no="113"?> [[Z 8I,IGMD *De YMLhJ.MD lichkeit, Zuverlässigkeit streben und vielmehr persönliches Glück und Selbstverwirklichung an die oberste Stelle setzen. Sind wir denn alle Egoisten? Diese Diskussion, die wahrlich keine Erscheinung der Neuzeit ist, wie aus Texten der Antike hervorgeht, möchte ich an dieser Stelle gar nicht bewerten. Nur so viel: Ich glaube, dass es sich nicht um einen absoluten Werteverfall handelt. Für einige Lebensbereiche mag das sicherlich zutreffen - aber vielleicht handelt es sich da auch um die „Auslaufmodelle“ unter den Werten, die in unserer Gesellschaft womöglich keinen Sinn mehr machen. Die Diskussion über fehlende Werte unter Jugendlichen ist übrigens so alt wie die Menschheit selbst. Schon bei den alten Griechen haben sich die Älteren über die Untugenden der Jugend beschwert: Die Jugend von heute sei schlecht; es mangele ihr an Anstand und Tugend und Moral. Aus einer bestimmten Perspektive heraus mag das richtig sein - aber die Bezeichnung vom Werteverfall im absoluten Sinn greift sicher zu weit. S2/ eF -,e" 6M/ ,M Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in derartigen Diskussionen „Werte“ nicht selten mit „Moral“ verwechselt werden. Die Moral vieler Kinder hat möglicherweise abgenommen. Antiautoritäre Erziehungsmodelle machen sich breit, was in manchen Fällen zu einem lockereren und weniger mit Regeln und Normen bedachten Umgang mit Kindern beiträgt. Umfragen zeigen, dass sich Kinder in der Wahrnehmung vieler rücksichtsloser und womöglich egoistischer geben - eben weil sie in ihren Familien wie kleine Prinzen und Prinzessinnen behandelt werden. Aber sind das wirklich Werte, die hier kaputt gehen? Die Moral ist es, die abnimmt, und die moralischen Vorstellungen einer Gesellschaft werden infrage gestellt - aber die Werte selbst? <?page no="114"?> [[B 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* ! ID d+D,M/ $F+EMD-,/ e+' eD 6M/ ,MD Werte sind immer da und präsent. Jeder Mensch hat Werte, ob er will oder nicht. Sie sind das, was einen Menschen ausmacht. Daher scheint mir angesichts der angesprochenen Herausforderungen statt „Werteverfall“ ein anderer Begriff viel angemessener zu sein, nämlich „Werteexplosion“. Viele Wertesysteme existieren heute nebeneinander, müssen akzeptiert werden - rein nach dem Motto: alles kann, nichts muss. Die Welt ist bunter geworden. Noch vor wenigen Jahrzehnten war unsere Gesellschaft einfacher strukturiert und in ihrem Wertekanon homogener. Das bedeutet, mehr Menschen hatten dieselben Werte, und dadurch gab es in Summe sehr viel weniger Werte in einer Gesellschaft. Die Welt war dadurch weniger komplex und schien leichter handhabbar. Heute hingegen, in einer modernen Gesellschaft, hat der Mensch die Möglichkeit, aus einer Vielzahl von Werten frei auszuwählen. Diese Werte dürfen alle wertungsfrei nebeneinander stehen, und jeder hat seinen ganz eigenen, individuellen Wertekanon. Demgegenüber hatten früher immer mehrere Menschen in Sachen Werte einen gemeinsamen Nenner: Sie teilten die Werte, nach denen der Großteil der Gemeinschaft lebte, welche ihnen jedoch vielmehr aufgezwungen wurden als frei ausgewählt waren. In unseren Breitengraden wurde der Wertekanon stark von der Kirche geprägt: „Die zehn Gebote“, „Gut und Böse“, „Himmel und Hölle“ waren wichtige Meilensteine im kirchlichen Wertekanon. Wer den Geboten nicht folgte, wurde Außenseiter. Zu allen Zeiten fanden sich Gleichgesinnte, schlossen sich zusammen, teilten einen Wertekanon und bestätigten sich darin, was überlebensnotwendig war. Den Mitgliedern des Wertesystems gab der Wertekanon Sicherheit und gleichzeitig Sinn. <?page no="115"?> [[A 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 6M/ ,M -IDb ; IDD]9DI*M/ -eFIMD Viktor Frankl spricht im Zusammenhang mit den Werten auch von Sinn-Universalien. 11 Damit sind für ihn die Werte einer Gruppe übergeordnet, also ein Überbegriff für unterschiedliche Sinn-Erfahrungen. Den Sinn muss jeder individuell erkennen, aber alle Menschen einer Gruppe teilen sich dieselben Werte. Heutzutage führen Globalisierung, die Öffnung der Grenzen, infrastrukturelle Möglichkeiten, das multikulturelle Bild in Städten zu einer Durchmischung von Kulturen und Religionen. Anders als früher leben unzählige Menschen mit den unterschiedlichsten Glaubensrichtungen, Kulturen, Ideologien und Vorstellungen nebeneinander. Es gibt nun keinen gemeinsamen Nenner mehr, es gibt zu viele unterschiedliche Werte. Das Streben nach persönlichem Glück und Selbstverwirklichung leistet einen wesentlichen Beitrag zu einer Diversifizierung der individuellen Werte. In einer modernen Gesellschaft, in der jeder gleich zu behandeln ist, müssen diese mannigfaltigen Gruppen mit ihren noch mannigfaltigeren Werten nebeneinander bestehen. Zwar gibt es in jedem Land einen eigenen juristischen Apparat, der durch Gesetze, Regeln, Verbote das Zusammenleben der Menschen bestimmt. Nichtsdestotrotz hat jede Gruppe in einer demokratischen Gesellschaft die ihr eigenen Werte. Und die haben in einem gleichberechtigen Nebeneinander die unbedingte Berechtigung, gelebt zu werden, auch wenn sich die Werte mit den Werten eines anderen Systems nicht vertragen. Entscheidend ist: Jeder darf seine Werte leben und erfährt durch das Leben dieser Werte Sinn - ob als Einzelner oder in der Gruppe. "IM L/ MIM 6eJF bM/ 6M/ ,M Jeder Mensch ist immer Teil von mehreren Gruppen: Wir arbeiten bei einem Arbeitgeber, gehören einer Religion an, engagieren uns in einem Verein. Auf all diesen unterschiedlichen <?page no="116"?> [[? 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* Bühnen spielen wir in unterschiedlichen Stücken eine andere Rolle - mit jeweils anderem Drehbuch und damit anderen Werten und Regeln. Und mit all diesen unterschiedlichen Bühnen, Ensembles, Stücken teilen wir einen Großteil unserer Werte bzw. erfährt unser eigenes Wertesystem entscheidende Einflüsse. Wir lernen neue Werte kennen, integrieren diese in unser bestehendes Wertesystem und sortieren dafür vielleicht alte Werte aus. Mit den Möglichkeiten, verschiedene Werte aus verschiedenen Organisationen bei sich zu integrieren und der daraus resultierenden Wertekomplexität muss jeder für sich zurechtkommen. ; IDDF2- L@/ %+'MD-,MJMDbM Sehr wahrscheinlich ist, dass sich die Werte einer Gruppe einer anderen Gruppe nicht unbedingt erschließen und für diese keinen Sinn machen. Sinn machen Werte meist nur aus der Innenperspektive einer Gruppe, der Menschen also, die sich einen bestimmten Wertekanon teilen. Viele Großstadtmenschen beispielsweise schätzen die Anonymität: Da kennt keiner seinen Nachbarn, und jeder lebt vor sich hin. Menschen aus ländlichen Regionen hingegen fänden es ganz furchtbar, nicht zu wissen, was die Nachbarn tun oder wer die Nachbarn überhaupt sind. In der Dorfgemeinschaft gilt es zu integrieren und integriert zu sein. Anonymität wäre da undenkbar. Noch ein Beispiel: In meiner Tätigkeit als HR Generalist hatte ich es mit einem neuen Mitarbeiter zu tun, der mich bat, den Termin für die Unterzeichnung seines Arbeitsvertrages zu verschieben, da an jenem Tag die Sterne äußerst ungünstig stünden. Für jemanden, der sich nicht mit Astrologie beschäftigt und sich nicht damit identifizieren kann, ist die Bitte des Mannes nicht nachvollziehbar. Doch für denjenigen, der nach den Gesetzen der Astrologie lebt, ist die Terminverschiebung essenziell. Es ist immer eine Frage der Perspektive, <?page no="117"?> [[> 8I,IGMD *De YMLhJ.MD wie ein Sachverhalt bewertet wird. Erst dann, wenn Sie die Innenperspektive geprüft haben, können Sie eine Wertung vornehmen. 6M/ ,MG2FFI-I2D R ! ID U/ IMK bM/ ; +d]U+F,+/ MD In einer Welt der Koexistenz unterschiedlicher Wertesysteme prallen nicht selten Welten aufeinander, und es kommt zu Missverständnissen. Was im einen Wertesystem Sinn stiftet, erscheint im anderen Wertesystem völlig sinnlos - ein typischer Fall von Wertekollision. Wertekollision ist ein Phänomen, das es zuhauf in deutschen Unternehmen gibt. Denn eine Unternehmenskultur besteht meist aus verschiedenen Subkulturen mit je eigenem Wertekanon. Da bekriegt sich dann Hinz mit Kunz, die IT mit dem Vertrieb, der Bereichsleiter mit dem Lagerleiter. Die meisten Probleme im Arbeitsalltag sind auf Wertekollisionen zurückzuführen. Immer dann, wenn es Reibereien gibt, gilt es, die Wertesysteme abzugleichen und zu prüfen, ob sie Bestätigung finden. Das schafft zum einen Verständnis füreinander und trägt zugleich zu einer transparenten, nachvollziehbaren Problemlösung bei. S2ddIDK eF- ; aE1,2E L@/ 6M/ ,MG2FFI-I2D Mobbing-Fälle, die gar nicht mal so selten in Unternehmen vorkommen, sind meist nichts anderes als klassische Wertekollisionen. Dazu ein Beispiel: Ein junger Mitarbeiter kam neu in ein Team - gut ausgebildet, intelligent und durchsetzungsstark. Nach kurzer Zeit hatte er sich durch seine grandiosen Projektergebnisse im Unternehmen etabliert. Trotzdem wurde er eines Tages sehr krank. Man diagnostizierte Burnout bei ihm, und er fiel für sechs Monate aus. Doch tatsächlich handelte es sich gar nicht um Überbelastung. Ganz im Gegenteil: Seine Projekte hatten ihm vor seiner Erkrankung Energie, Lebensfreude und Sinn gegeben, stand Ergeb- <?page no="118"?> [[= 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* nisorientierung doch ganz weit oben auf seiner Werteskala. Was ihn letztendlich krank machte, war sein Umfeld. Seine Kollegen pflegten spätestens um fünf Uhr den Stift niederzulegen und die Zeit bis dahin nicht wirklich effektiv zu verbringen: mit zahllosen Kaffeepausen oder gar Nichtstun. Und so sah sich das etablierte Team durch das konträre Wertesystem des jungen Mitarbeiters bedroht und ging in die Offensive, um den eigenen Wertekanon des Nichtstuns und Kaffeetrinkens aufrechtzuerhalten. Man war sich einig: Die Bedrohung musste aus dem Team geschafft werden. So wurden Gerüchte über den jungen Mitarbeiter verbreitet, sein Arbeitsmaterial manipuliert, Dokumente gefälscht, er selbst in die soziale Isolation gedrängt, denn keiner sprach mehr mit ihm. Der junge Mitarbeiter, so stark er schien und so wenig er sich die Brisanz der Situation eingestehen wollte, wurde zunehmend schwächer bis hin zum Kollaps. Auch hier wird deutlich: Werte brauchen eine größere Gemeinschaft, um kraftvoll zu sein. Und eine solche hatte der junge Mann nicht hinter sich. Die konträren Wertesysteme der beiden Parteien prallten aufeinander, und das System, das weniger Bestätigung fand, hatte das Nachsehen. %11MFF eD bIM ! IKMD*M/ eD,)2/ ,FIcJGMI, Im Grunde gibt es heutzutage keine Instanz mehr in unserer Gesellschaft, die über Gut und Böse urteilt, wie dies die Kirche in früheren Zeiten tat. Wir haben auch nicht wirklich mehr ein Ideal vom guten Menschen, dem vir bonus der Römer etwa. Es fehlt augenscheinlich an gemeinsamen Moralvorstellungen. Es fehlt ein übergeordneter Wertekanon. Es fehlen die Sinn-Universalien, die den Menschen Orientierung und Halt geben und auf diese Weise das Tun und Sein in der Gemeinschaft sinnvoll machen. Halten wir fest: Wir haben es weniger mit einem Werteverfall in unserer Gesellschaft zu tun als viel- <?page no="119"?> [[< 8I,IGMD *De YMLhJ.MD mehr mit einer Vielzahl unterschiedlicher Wertesysteme. Diese schließen sich möglicherweise gegenseitig aus - alle aber wollen existieren und ringen um ihre Daseinsberechtigung. Aus der Perspektive des einen Wertesystems mögen die Werte eines anderen Systems einen Werteverfall ergeben - und umgekehrt. Fest steht: Jeder von uns ist für seine Sicht der Dinge verantwortlich. Nur man selbst kann den eigenen Standpunkt ändern und damit den Blickwinkel, aus dem man eine Situation betrachtet. Wir konstruieren uns selbst unsere Wirklichkeit und damit unsere Sicht auf die Dinge. N/ 2dFME M/ GeDD,> "I*M/ -I,a SeDeKMEMD, In Unternehmen wird das Thema der Wertevielfalt häufig unter dem Begriff „Diversity“ gefasst. Diversity Management als Bewusstsein für die Unterschiedlichkeit, als positive Bewertung der Unterschiede ist ein erster guter Ansatz. Jedoch werden hier nur offensichtlich zuordenbare bzw. sichtbare Unterschiede wie Rasse, Ethnie oder Sexualität diskutiert. Dass aber auch Deutsche, Homosexuelle oder Katholiken untereinander wiederum durch unterschiedliche Interessen und Freiheitsgrade geprägt je unterschiedliche Wertesysteme wie Freiheit, Gerechtigkeit, Leistungsorientierung usw. vertreten, bleibt in der Diversity-Diskussion unberührt. Die Vielzahl der sich ergebenden Wertesysteme wird dadurch nicht erfasst. In einem freien und demokratischen Land wie Deutschland dürfen unterschiedlichste Werte nebeneinander stehen, steht jedem freie Entfaltung der Persönlichkeit und freie Meinungsäußerung zu. Jeder hat das Recht, Sinn zu erfahren, indem er nach seinen je eigenen Werten lebt - vorausgesetzt sie verstoßen nicht gegen das Gesetz. Mögen sich die Werte vieler auch manchmal gegenseitig ausschließen und mag für den einen und anderen aus der Außenperspektive auf eine Gruppe deren Sein und Tun keinen Sinn machen - alle Menschen und <?page no="120"?> [[; 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* ihre Werte existieren nebeneinander. Als Angehörige einer Gruppe haben wir nur die Perspektive von außen auf andere Wertesysteme, die unserem nicht entsprechen, sogar von diesem ausgeschlossen werden. Und schnell urteilen wir aus unserem Kosmos heraus mit Werteverfall, statt die Wertepluralität zu betonen. Es ist eine bunte Gesellschaft - gebildet aus einer Vielzahl von Gruppen mit je individuellen Werten und noch individuelleren Sinn-Erfahrungen. Was mancheiner als bedrohlichen Werteverfall wahrnimmt, ist doch eigentlich und in Wirklichkeit eine Werteexplosion. Was es jetzt braucht, das ist Akzeptanz und Toleranz, damit alle Wertesysteme ohne Bewertung nebeneinander und gleichberechtigt existieren können - damit jedes Wertesystem für sich Sinn macht. „The idea if you want to work hard it doesn´t matter who you are or where you come from or what you look like or where you laugh. It doesn ’t matter what you ’re black or white or Hispanic or Asian or Native American. Or young or old, or rich or poor, abled, disabled, gay or straight. You can make it here in America if you want it to try.” (Barack Obama 7. 11. 2012 - aus der Rede anlässlich seiner Wiederwahl) <?page no="121"?> [Z\ 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK 6e/ +E ; IDD $M-,.,IK+DK IE "+ I-, In Zeiten des Fachkräftemangels einerseits, der steigenden Anzahl von Sinnsuchern in Unternehmen andererseits müssen Arbeitgeber umdenken, um auch morgen noch qualifizierte Mitarbeiter für sich zu finden und langfristig zu begeistern. Es ist wichtiger als je zuvor, die Mitarbeiter aus dem schrumpfenden Pool der Potenzialträger zu fischen, die auch wirklich zum Unternehmen passen. Doch viele Arbeitgeber wissen gar nicht, wen sie suchen. Es reicht eben nicht, diejenigen mit den besten Noten auszuwählen. Und langwierige Auswahlverfahren, die die Bewerber langweilen und ihnen nur Pseudo-Sicherheit vorgaukeln, werden zu Auslaufmodellen. Viel wichtiger ist es, die Mitarbeiter zu gewinnen, die zu den Werten des Unternehmens passen. Dafür müssen diese Werte identifiziert und kommuniziert werden. Überprüfen Sie die Werte Ihres Arbeitgebers. > 3MFfJM 3M.+M Jh+ eM. $.gMI+KMgM.a L@. eMD 7IM +-+IK ,IDe% > ShfJ+ M, L@. 7IM 7IDDa HMeMD 6hK L@. eIM 3M.+M WJ.M, $.gMI+KMgM., c* ID)M,+IM.MD% Mitarbeiter und Unternehmen passen dann zueinander, wenn sie sich in ihren Werten gegenseitig bestätigen. Beide sind sich ihrer Werte bewusst und finden in der Interaktion mit dem anderen den Raum, die eigenen Werte zu leben. Jeder kann dann so sein, wie er im Wesenskern ist. Jeder fühlt sich erfüllt, jeder fühlt sich gesehen und damit durch die Existenz des anderen bestätigt. Beide Systeme spiegeln sich dann die besten Seiten aneinander. Werte brauchen immer ein Du. Je größer das Du, das heißt je größer die Anzahl der Menschen, die sich Werte innerhalb einer Gemeinschaft teilen, desto höher ist die Identifikation in der Gruppe, und <?page no="122"?> 4 7IDD I,+ #M,+-+IK*DK IE "* [Z[ 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK desto stärker werden die Werte. Jede Revolution in der Geschichte der Menschheit konnte nur durch die Bestätigung eines Wertes durch die Masse überhaupt initiiert werden. Einer alleine mit seinem Wert wäre den Märtyrer-Tod gestorben. Eine Vielzahl Menschen macht Werte lebendig und stark. Durch die Existenz des anderen werden unsere Werte bestätigt und bekommen ihren Lebensraum. Wir sind bereit zu investieren und erfahren dann Sinn. Betrachten Sie Ihre Situation unter dem Stichwort „Bestätigung“. > 3M. 1eM. (h, +MIF+ *De gM,+-+IK+ WJ.M MIKMDMD 3M.+M% > WD (MFfJMD 7I+*h+I1DMD ,IDe 7IM K-DcFIfJ 7IM ,MFg,+ *De gMI ,IfJ% > 31 *De (hDD L@JFMD 7IM ,IfJ IE 3M,MD,GM.D M.GhDD+a IE WDDM.,+MD KM,MJMD% Der Schlüssel zur Sinnfindung in der Arbeitswelt liegt im Miteinander, in einer Beziehung aus mindestens zwei Parteien und der Kenntnis der je eigenen Werte. Unternehmen brauchen Werte, durch die sich die Mitarbeiter in ihren eigenen Werten bestätigt fühlen. Werte sind nicht von Natur aus lebensfähig. Werte brauchen ein anderes System, ein Du, um lebendig zu werden: ein Du, das entweder die Werte teilt, oder ein Du, das die eigenen Werte gerade durch die Andersartigkeit der je eigenen Werte bestätigt. Dabei sind drei Formen der Bestätigung zu unterscheiden: 1. identische Werte; 2. Schnittmengen an Werten; 3. gegensätzliche Werte, die sich in der jeweiligen Zielsetzung bestätigen. Überlegen Sie, welche Form der Bestätigung auf Sie zutrifft. > TMgMD 7IM ID MIDME $.gMI+,*ELMFea eh, WJ.M 3M.+M gM,+-+IK+% > 3MDD Hh: WD (MFfJM. k1.E (M.eMD WJ.M 3M.+M gM,+-+IK+ / IeMD+I,fJM 3M.+Ma 7fJDI++EMDKMDa KMKMD,-+cFIfJM 3M.+Mb% <?page no="123"?> [ZZ 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK > 3MDD DMID: WD (MFfJMD YMEMID,fJhL+MDa 4M.MIDMDa gMI (MFfJMD $.gMI+KMgM.D ,MJMD 7IM WJ.M 3M.+M gM,+-+IK+% 7IDe 7IM gM.MI+, 6MIF ,1FfJM. YMEMID,fJhL+MD% Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern Raum für Sinn geben und diese in ihren Werten bestätigen möchten, stehen vor der großen Herausforderung, die Vielzahl der Wertesysteme sinnbringend in die Unternehmenskultur zu integrieren. Durch die Freiheiten unserer Gesellschaft hat jeder die Möglichkeit, ein ganz individuelles Wertesystem zu leben und dadurch auf unterschiedlichste bzw. ganz eigene Weise Sinn zu finden. Wir stehen vor einer Vielzahl von Werten, die alle ihre Daseinsberechtigung haben. Nicht selten schließen sich die Wertesysteme gegenseitig aus, und es kommt zu Wertekollisionen, was meist große Emotionen auslöst. Es gilt daher, eine Einstellung zu erlangen, die Wertesysteme des Einzelnen nicht zu bewerten. Arbeitgeber müssen bewusst einen Raum für die wertungsfreie Koexistenz von Werten und deren Bestätigung schaffen. Im nächsten Schritt gilt es dann, jeden Wert zu respektieren und zu akzeptieren. Erst danach können Arbeitgeber reflektieren, wie sie diese Werte in der täglichen Arbeit bestätigen können. Betrachten Sie die Wertevielfalt in Ihrer Umgebung. > 3MFfJM 41.+MIFM gIM+M+ WJDMD ID WJ.ME eI.MG+MD $.gMI+,*E_ LMFe eIM 4IMFLhF+ *D+M.,fJIMeFIfJM. 3M.+M WJ.M. U1FFMKMD% > WD (MFfJMD 7I+*h+I1DMD JhgMD]Jh++MD 7IM eh, YML@JFa eh" WJ.M 3M.+M EI+ eMD 3M.+MD hDeM.M. G1FFIeIM.MD *De ehe*.fJ DIfJ+ gM,+-+IK+ (M.eMD GCDDMD% > 3IM GCDDMD 7IM .M,0MG+)1FFMD *De (M.+,fJ-+cMDeMD 8h*E L@. eIM U1M'I,+MDc )1D G1FFIeIM.MDeMD 3M.+MD ,fJhLLMD% <?page no="124"?> 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@+_ +*DK <?page no="125"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [ZA ; IDD Je, ID bM/ <MKMF 7M/ -1.,+DK R 4dM/ bMD YFe+dMD eD ; IDD "M/ <2JbIeEeD, Eine sehr schöne Sinnerfahrung lieferte mir einmal eine meiner ehemaligen Praktikantinnen. Sie war nicht sehr erfolgreich in ihrem Studium, hatte eher mittelmäßige Noten, und ambitioniert war sie so gut wie gar nicht. Ich stellte sie damals trotzdem ein, weil ich das Gefühl hatte, hier einen Rohdiamanten vor mir zu haben - zwar einen etwas trägen und unmotivierten, aber eben einen Rohdiamanten. Irgendetwas sagte mir, dass noch eine Überraschung auf mich warten würde. Denn ich dachte mir: „Einmal ins kalte Wasser geworfen, wird sie entweder schwimmen oder untergehen - und dann helfe ich ihr natürlich.“ Die ersten Wochen waren überaus mühsam. Ich gab ihr sehr detaillierte Arbeitsanweisungen, da ich ja wusste, dass sie nicht zu meinen Potenzialträgerinnen gehörte. Trotz genauer Anweisungen schlichen sich Fehler in ihre Ergebnisse ein. Ja, im Grunde hatte ich mehr Arbeit mit ihr, als ohne ihre „Hilfe“. Sie war gewiss keine Unterstützung. Und eigentlich war es zum Verzweifeln. Nach einigen Wochen war ich drauf und dran, an meiner Intuition zu zweifeln. Ich ertappte mich dabei, dass ich mit dem Gedanken spielte, eine neue Praktikantin zu suchen und das Projekt „Rohdiamant“ als gescheitert abzuhaken. Doch wider alle Skepsis startete ich einen letzten Versuch. Wir hatten ja nichts zu verlieren. Ich gab ihr ein komplett neues und eigenes Projekt, mit klarer Zielvorgabe - aber ohne jegliche Hilfsmittel wie Methoden, Instrumente, Kontaktdaten. Anfangs guckte sie mich entsetzt an mit ihren großen tiefblauen Augen. Doch da mussten wir beide durch: Ich musste der Versuchung widerstehen, sie an die Hand zu nehmen, und sie musste ins Tun kommen. <?page no="126"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [Z? 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK NFC,`FIcJM 6MDb+DK Und Sie vermuten ganz richtig: Die Geschichte nahm eine großartige Wendung. Denn eine Woche, nachdem ich ihr das neue Projekt gegeben hatte, lief sie zu Höchstform auf. Sie bastelte Projektpläne, wälzte Literatur und interviewte Schlüsselpersonen im Unternehmen. Das Projekt wurde ein riesiger Erfolg: Nach kurzer Zeit war ihr Thema derart hoch aufgehängt, dass sich sogar das obere Management für die Ergebnisse interessierte und sich später direkt im Projekt involvierte. Aus den ursprünglich sechs Monaten Praktikum wurde ein ganzes Jahr Projektarbeit. Sie war letztlich eine meiner besten Praktikantinnen. Im Abschlussgespräch fragte ich sie, was denn damals passiert sei, dass sie so plötzlich ihr Potenzial freisetzen konnte. Sie meinte schmunzelnd: „Ganz einfach, ich habe - auf mich ganz alleine gestellt - plötzlich gemerkt, dass mein Studium Sinn macht. All die Jahre wusste ich nicht, warum ich überhaupt dieses Fach studierte, warum ich so viel Zeit investierte und doch nichts dabei rumkam. Ich habe so viel gelernt, mich so angestrengt, aber nichts bekommen. Ich wusste nie, wofür die ganze Anstrengung gut sein sollte. Doch plötzlich, als ich völlig hilflos und gleichzeitig frei war mit der neuen Herausforderung, habe ich begriffen, dass ich mit meinem Wissen sogar einen Wertbeitrag für ein Unternehmen generieren kann. Ich erhielt durch das Praktikum einen ganz anderen Blickwinkel auf all das angehäufte Wissen der letzten Jahre, das mir so sinnlos erschienen war. Mein Wissen war mit dieser neuen Rolle plötzlich etwas wert. Und mein Studium, welches ich die Jahre vorher brav ertragen hatte, machte auf einmal Sinn für mich.“ <?page no="127"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [Z> ^/ KM/ FIcJM ; I,+e,I2D Zeitlich versetzte Sinnerfahrungen begegnen uns tagtäglich: Vorfälle, Situationen, Gegebenheiten, in denen wir im ersten Moment keinen Sinn erkennen und auch nicht daran glauben können, dass unser Tun irgendwann Sinn macht, Situationen, deren Sinn sich uns einfach erst sehr viel später erschließt. Die nicht bestandene Führerscheinprüfung ist wahrlich eine Katastrophe für jeden fast Achtzehnjährigen. Doch kann man es nicht auch so sehen, dass dieser vermeintliche Misserfolg dem Fahranfänger vielleicht sogar das Leben rettet, weil er am Abend nach der Prüfung dann eben nicht mit dem Auto unterwegs ist, folglich nicht auf der vereisten Straße von der Fahrbahn abkommt und der Baum am Straßenrand nicht zu seiner letzten Ruhestätte wird? Oder ein anderes Beispiel: das vergeigte Vorstellungsgespräch, das sich als vermeintlich sinnlos erweist und den ein oder anderen sogar in die nächste Sinnkrise stürzen würde. Doch einen Monat später wartet der Traumjob vielleicht wirklich um die Ecke. Wir werden es nicht sicher wissen. Aber der Gedanke und das Vertrauen, dass etwas Sinn macht, hilft uns, bestimmte Sachverhalte, Situationen, Schicksalsschläge besser zu ertragen und zu verarbeiten. "M/ +DdMI/ / de/ M YFe+dM eD ; IDD Wir alle möchten daran glauben, dass alles seinen Sinn hat. Auf diese Weise schützen wir unsere Investitionen, die eigenen Werte und damit unseren Selbstwert. Wir zahlen brav ein auf unser Schicksalskonto, und irgendwann erhalten wir die Zinsen: nämlich Sinn. Wer Sinn haben will, muss darauf vertrauen, dass seine Investition eine Ausschüttung ergibt. Dafür gibt es keine empirischen Beweise und leider auch kein Lieferdatum. Es braucht den starken, unbeirrbaren Glauben daran, dass alles irgendwie zusammenhängt, dass alles wichtig <?page no="128"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [Z= 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK ist für das Fortbestehen des Gesamtsystems. Wie bei einem Mobilé ist jede Bewegung ausschlaggebend für die Ordnung des ganzheitlichen Systems, und jede einzelne Komponente des Mobilés ist für das ganze Gefüge wesentlich. Alles hat Sinn - wir wissen vielleicht nicht immer, für wen und wofür. Und wenn es für uns selbst Sinn macht, erkennen wir diesen manchmal erst sehr spät: dann aus einer anderen Perspektive oder einem anderen Blickwinkel in der Zukunft. Wer Sinn erfahren möchte, muss daher auch seinen Blickwinkel, seine Perspektive ändern, aus dem und der er auf die gegenwärtige Situation blickt. Das kann eine räumliche, zeitliche oder persönliche Veränderung sein, und die neue Perspektive können wir bewusst aktiv einnehmen. Plötzlich macht es Sinn, dass wir links und nicht rechts abgebogen sind, denn wir sehen erst später, mit dem Blick auf das große Ganze, welche positiven Konsequenzen eine Entscheidung mit sich gebracht hat. Die Idee, die hinter dem Ganzen steckt, ist, dass wohl jede Sache, jede Situation, jeder Mensch in diesem Universum etwas Gutes in sich trägt. Nur sieht man das Gute nicht immer sofort; oder kann es erst zeitversetzt aus einer anderen Perspektive oder in einer anderen Rolle für sich als gut bewerten und damit Wert erhalten. ! - G2EE, D2cJ M,)e- $M--M/ M- Ich habe einmal gelesen - und dieser Gedanke gefällt mir in diesem Zusammenhang besonders gut: „Wenn etwas nicht sofort funktioniert, kann dies nur bedeuten, dass noch etwas Besseres nachkommt.“ Wenn wir vor einem Scherbenhaufen an Hoffnungen und Erwartungen stehen, dann fängt uns dieser Gedanke auf und trägt uns. Er lässt uns weiter an unseren Werten festhalten und an einen Sinn glauben. Dieser Gedanke stärkt unseren Selbstwert und rettet uns vor Resignation. Wir sind bereit, durchzuhalten und vieles zu ertragen. Dann <?page no="129"?> [Z< Xd01+JM,M macht womöglich auch so mancher Scherbenhaufen Sinn. Vielleicht sogar als Fundament für etwas ganz großartiges Neues. Vaclav Havel formulierte dies wunderbar, als er einmal sagte, Hoffnung sei nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgehe, sondern die Gewissheit, dass etwas einen Sinn habe, egal wie es ausgehe. %D,)2/ ,MD KMdMD_ dM*2/ bIM h/ eKM KM-,MFF, )I/ b R 6e/ +E ; IDD bIM )M/ ,*2FF-,M %+--cJ@,] ,+DK HMbM/ WD*M-,I,I2D I-, "IM )M/ ,*2FF-,M %+--cJ"+DK Jede Sinnerfahrung ist das Resultat, die Ausschüttung einer Investition, die wir im Vertrauen darauf tätigen, dass unsere Werte, also das, was uns wichtig ist, bestätigt werden. Und wie bei jeder Investition ist es so, dass der Sinn nicht unmittelbar zeitgleich zur Investition ausgeschüttet wird. Zwischen der Investition, der Bestätigung der Werte und schlussendlich der Ausschüttung kann ein sehr großer Zeithorizont liegen. Wochen, Monate, ja sogar Jahrzehnte. Wenn Sie in ein Unternehmen, in ein Haus, in ein Kind investieren, dann braucht es vor allem erst einmal eines, bevor Sie von einer ergiebigen „Ausschüttung“ sprechen können: Zeit. Es braucht einen bestimmten Zeitraum, in dem Investitionen Sinn machen können. Wie lange dieser Zeitraum ist, ist ganz unterschiedlich. Fest steht: Sinn ist zeitverzögert, findet nicht zeitgleich mit der Investition oder der Wertebestätigung statt. Sinn ist nicht unmittelbar greifbar. Wir erfahren ihn erst später, zeitversetzt zur Investition. Wenn wir dann aber Sinn erfahren, macht sich ein Gefühl von Leichtigkeit, von glasklarer Freude, von Vollkommenheit, von Ganz- und Ich-Sein in uns breit. Dann ist auf einmal alles richtig, fühlt sich alles gut an und fügt sich <?page no="130"?> [Z; Xd01+JM,M 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK im Nachhinein wie die Perlen zu einer Kette zusammen. Sinn zu erleben ist wie ein Puzzle, das man in seiner Ganzheit betrachtet, wenn man das letzte Teil an den richtigen Platz gesetzt hat. Erst dann erkennt man das Gesamtbild. Und manchmal dauert es sehr lange, bedarf es vielleicht sogar einiger Fehlversuche, bis das Bild vollständig und erkennbar ist. Für das ganze Bild lohnt es sich, auch schmerzhafte Umwege gegangen zu sein. Sinn ist die wertvollste und größte Ausschüttung, die wir für eine Investition erhalten können. "+/ -,-,/ McGMD @dM/ )IDbMD Das, was uns im „Wartezimmer“ des Sinns bei Laune hält, sind der Glaube an die Bestätigung der eigenen Werte und die Platzhalter für Sinn - Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Transparenz; vor allen Dingen das Vertrauen, weiter an den Sinn der Investition zu glauben. Erst die Bestätigung der eigenen Werte durch ein anderes System lässt uns Sinn erfahren, was manchmal eben recht lange dauern kann. Daher ist es so wichtig, sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber, sich auf die wahren Werte zu besinnen, diese zu kennen, wahrzunehmen und nach diesen zu leben. Denn offen kommunizierte Werte sind ein Versprechen, dass Sinn erfahren werden kann. Damit erhält der Mitarbeiter die wertvollste Ausschüttung, die er für seine Investition bekommen kann - frei nach dem Motto: „Wenn du hier in dieses Unternehmen Lebenszeit investierst, dann wird genau dieser Wert, der auch für uns selbst wichtig ist, für dich ausgeschüttet, lieber Mitarbeiter.“ 6M"dM)M/ d-*2/ ,MIFM D+,`MD Ein Unternehmen kann mit ehrlichen, offenen und gelebten Werten große Krisen überwinden und die Motivation und Loyalität der Mitarbeiter aufrechterhalten. Das schafft einen enormen Wettbewerbsvorteil. Unternehmen müssen sich da- <?page no="131"?> [B\ Xd01+JM,M her eines als Ziel setzen: Antworten geben, bevor die Frage gestellt wird. Das bedeutet, Arbeitgeber nehmen weit vor der Sinnausschüttung die Perspektive ein, was Mitarbeiter benötigen, um Sinn empfinden zu können, welche Fragen nach dem Warum sie stellen könnten - und richten ihr Handeln entsprechend danach aus. Sinnzentrierte Mitarbeiterführung heißt, vorausschauend alle Fragen der Mitarbeiter nach einem Warum vorab zu beantworten. So können sich Mitarbeiter voll und ganz auf ihre Tätigkeit, auf ihre Investition konzentrieren. Wenn dies gelingt, brauchen Unternehmer keine Motivationstools, keine attraktiven Gehaltsmodelle und keine überflüssigen Benefits, die mittelbis langfristig die Mitarbeiter zu trägen, unmündigen, bewegungsunfähigen Schmarotzern bzw. „Sklaven“ machen. Denn die Mitarbeiter erleben dann Sinn in ihrem Tun und fragen nicht nach dem Warum. Das Unternehmen hat die Antworten mit den Unternehmenswerten gegeben, bevor die Frage danach überhaupt gestellt wurde. Konkret finden wir alle diese Fragen nach dem Warum und dem Sinn in sämtlichen Bereichen des Arbeitsalltags. Dies beginnt bereits in der Gewinnung von Mitarbeitern und sinnstiftenden Employer-Branding-Tools. Ebenso wichtig sind durchdachte Recruiting-Prozesse, die potenzielle Mitarbeiter in ihren Werten und ihrem Selbstwert bestätigen und in der Folge Lust auf mehr machen. Auch Einarbeitungsphasen, Weiterbildungstools, Karriereplanungen sollten zu einer antwortreichen und sinnstiftenden Kultur beitragen und Hand in Hand mit dieser gehen. Und selbst in Phasen der Trennung ist es bedeutsam, einen wertschätzenden und sinnstiftenden Umgang mit den scheidenden Mitarbeitern zu pflegen. <?page no="132"?> [B[ Xd01+JM,M 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK %D,)2/ ,MD KMdMD Die Aufgabe, Antworten zu geben, bevor die Frage danach gestellt wird, Ausschüttung und Sinn damit greifbar zu machen, erweist sich in Zeiten des Fachkräftemangels und einer zunehmenden Partizipation der Generation Y, auch „Why“ genannt, am Arbeitsalltag als nicht zu unterschätzender Wettbewerbsfaktor - nicht nur im War for Talents, sondern auch mittelbis langfristig in Bezug auf das Unternehmensergebnis. Die Antworten auf ein Warum werden in den kommenden Jahren für unternehmerischen Erfolg wichtiger denn je. Mit der neuen Generation Y wird täglich eine neue Antwort auf ein neues Warum gefordert. Eine Generation, die es gewohnt ist, auf jede Frage eine Antwort zu erhalten, wird die Arbeitgeber wählen, die ihren Lebensvorstellungen und auch ihren Ansprüchen nach Antworten gerecht wird. In einer Generation Y, die kein besonderes Augenmerk mehr auf eine Führungsposition im persönlichen Karriereskript legt, werden beispielsweise Optionen der Fachlaufbahn immer attraktiver. Sie können jeden noch so kleinen Prozess mit dieser Brille untersuchen: Wenn Sie als Arbeitgeber präventiv Antworten geben auf potenzielle Fragen, erhöht sich die Chance der Sinnfindung aufseiten der Mitarbeiter und damit der Unternehmenserfolg um ein Vielfaches. Sinn ist daher das Wertvollste und Wichtigste, was sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenseitig schenken können. Sinn macht alle Beteiligten erfolgreich, beflügelt uns, macht uns lebendig. Sinn ist das Wichtigste, das wir für unsere investierte Lebenszeit bekommen können. Es ist das, was uns zu wahren Menschen macht. <?page no="133"?> [BZ $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK YM-,eF,MD )2FFMD_ ! DbFIcJGMI, @dM/ )IDbMD R 6e/ +E eFFM SMD-cJMD ; IDDG/ IMKM/ -IDb 6e- +D- *2E : IM/ +D,M/ -cJMIbM, Die höchste Ausschüttung, die wir Menschen für jede Art von Investition erhalten können, ist eben Sinn - Sinn, eine abstrakte und doch allgegenwärtige Komponente unseres Lebens. Kein Tier auf dieser Welt vermag wohl eigene Anstrengungen und die Ausschüttung in der Konsequenz mit Sinn und Glück zu reflektieren. Wir Menschen aber sind dazu in der Lage. Und wenn Sinn und Glück fehlen, fühlen wir uns nicht vollständig. Menschen stellen schon immer die Sinnfrage, suchen schon seit jeher nach Indizien, die die Spezies Mensch besonders machen, die ihre Andersartigkeit beschreiben. Und ich wage die These, dass allein diese Suche nach Antworten auf all diese Fragen den Menschen schon vom Tier unterscheidet. Es ist dies eine Suche nach dem Grund des menschlichen Seins. Die Suche nach Sinn. YM-,eF,MD )2FFMD Es gibt zwei wesentliche Komponenten, die den Menschen im Kontext „Sinn“ menschlich machen. Da ist zum einen der unbedingte Wille des Menschen, die Welt zu gestalten und etwas Sichtbares zu hinterlassen. Es ist der Wille, die eigenen Ideen und Werte, das Innerste im Herzen nach außen zu tragen, all dies physisch und plastisch werden zu lassen, um in der Folge von anderen im Wesenskern gesehen werden. Vielleicht hat die Fixierung auf Gestaltung und Sichtbarwerden damit zu tun, dass das am besten ausgeprägte Sinnesorgan des Menschen das Auge ist und dass der Mensch in erster Linie sehen muss, was er getan hat. Denn dann bekommt es im System einen Wert. Nicht umsonst erleben wir handwerkliche Tätigkeiten als so befriedigend. Denn da sieht man, was man ge- <?page no="134"?> [BB $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK schaffen und geschafft hat. Das Gestaltenwollen liegt in der Natur des Menschen, ist in ihm angelegt, wie ein Urinstinkt. Es ist der unbedingte Drang, die Welt zu gestalten, der den Menschen menschlich macht. Abgeleitet von lateinisch creare „(er)bauen“ ist damit jeder Mensch in seinem Ursprung kreativ: kreativ in seinem Schaffen, in seinem Sein und in seinen Entscheidungen. Und beim Betrachten des Geschaffenen empfindet der Mensch einen Wert - in erster Linie Selbstwert. Das Selbst, das Innerste im Herzen bekommt so eine sichtbare Form in der Welt. $M)+--,-MID bM/ MIKMDMD ! DbFIcJGMI, Das Prinzip des Gestaltenwollens und des Sichtbarwerdens gilt für jedweden Kontext: für Projektarbeit, deren Ergebnisse irgendwann in einer Veranstaltung sichtbar werden, fürs Bücherschreiben, bei dem Ideen regelrecht greifbar werden, letztlich auch fürs Kinderkriegen, da so das eigene Sein sichtbar werden kann und weiterlebt. Wichtig ist zu erkennen: Über das Gestalten und Sichtbarwerden überlebt das Ich die eigene Sterblichkeit. Durch das Gestalten der Welt versuchen wir, die Endlichkeit des Lebens zu überlisten. Und damit sind wir bei der zweiten Komponente, die den Menschen im Kontext „Sinn“ zum Menschen macht: das Bewusstsein über die Endlichkeit des eigenen Seins. Der Mensch strebt nach einer Form des Seins, die sein eigenes Leben überdauert: Der Versuch, sich selbst ein „Denkmal“ zu errichten, ist nichts anderes als der Versuch, die schreckliche Wahrheit zumindest ein Stück weit auszublenden, dass jeder von uns einmal sterben muss. <?page no="135"?> [BA $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK %+-FC-M/ L@/ bIM ; +cJM DecJ ; IDD Viktor Frankl schreibt einmal, dass das Bewusstsein, dass das Leben endlich ist, die Suche nach Sinn auslöst. Das Bewusstsein der Endlichkeit des Lebens ist damit die Voraussetzung und gleichzeitig die Ursache für die ständige Suche des Menschen nach Sinn. 12 Als Säugling oder Kleinkind ist uns die Endlichkeit des Lebens noch nicht bewusst. Wir verstehen schlichtweg nicht, dass es uns irgendwann einmal nicht mehr geben wird. Wir haben keine Vorstellung von Endlichkeit. Die Suche nach dem Sinn ist uns noch fern. Die Fragen eines kleinen Kindes dienen der Erkundung seines Umfeldes - die Selbstreflexion aber, die Reflexion über das eigene Dasein fehlt aufgrund der mangelnden Bewusstheit der Endlichkeit des Lebens. Mit den ersten Todesbegegnungen, wenn beispielsweise der Goldfisch stirbt und im Garten vergraben wird, wird auch dieser Bewusstseinsbereich im jungen Menschen aktiviert. Die Frage nach dem Warum des Seins ist unausweichlich. Irgendwann begreift der Heranwachsende, dass jedem nur eine endliche Anzahl an Jahren, an Monaten, Stunden, Minuten und Sekunden hier auf Erden bleibt. Wir reflektieren den Tod auf unser eigenes Dasein - das ist der Beginn der Sinn-Reise. Und was uns dabei zermürbt, ist die Ungewissheit, wie viel Zeit uns geschenkt wird - es kann ja in der nächsten Sekunde schon vorbei sein. Da stellen wir uns dann Fragen - typisch auch für die sogenannte Midlife-Crisis: Habe ich mein Leben so gelebt, dass es wertvoll war? Habe ich meine Zeit sinnvoll genutzt? Habe ich richtig investiert? Was bleibt übrig von mir? Die Endlichkeit und die Ungewissheit darüber, wie viel Zeit uns für die Gestaltung eines wertvollen Lebens bleibt, ist es, die uns antreibt, Sinn in allem zu finden, was wir tun und was wir sind. Denn jede Minute ist es wert, sinnvoll gelebt zu werden. <?page no="136"?> [B? $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK ; IDDF2-M 5MI, +Db *M/ `)MILMF,M ; +cJM Manch einer behauptet, Suizide seien darauf zurückzuführen, dass Menschen am Gedanken der Endlichkeit scheitern und keine Idee haben, wie sie mit der unbestimmt verbleibenden Zeit am Ende ihres Lebens gut Bilanz ziehen, wie sie ihre Zeit wertvoll gestalten können. Die Zeit erscheint sinnlos. Und letztlich weiß man ja nicht, wie viel Zeit man noch wertvoll gestalten muss. Das Streben nach Sinn wird übermächtig und lässt die Hoffnung auf ein wertvolles, sinnvolles Leben sterben. Und nach der Psyche stirbt die Physis, wenn auch manchmal sehr zeitversetzt. Es muss aber nicht gleich mit dem Tod enden. Wir sind tagtäglich mit der verzweifelten Suche nach Sinn konfrontiert. Wenn ich etwa sehe, wie einer meiner besten Studenten nach dem dritten Studiengang (wieder mit einem Eins-Komma-Abschluss) nun trotzdem keinen Sinn in seiner Marketing-Tätigkeit eines deutschen DAX-Unternehmens findet, treibt mir dies die Tränen in die Augen. Es ist seine verzweifelte Suche nach Sinn und danach, dem eigenen Tun und Sein Wert zu geben, die ihn nicht zur Ruhe kommen, ihn einen weiteren Studiengang absolvieren und ihn in seinem Marketing-Job vor den Trümmern seiner Werte stehen lässt. Denn für ihn ist nicht offensichtlich, welches einmal seine Werte waren. Nicht im Innersten gesehen werden, unsichtbar durchs Leben schleichen, quasi nicht existent sein - da wird auch ein weiterer Prädikatsabschluss Sinnerfahrung und Wertbestätigung für das eigene Leben kaum möglich machen. 6I/ eFFM -IDb ; IDDG/ IMKM/ Wir alle sind von Natur aus emsige Sinnsucher, ja Sinnkrieger: weil wir alle Sinn kriegen wollen und auch dafür kämpfen - stets auf der Suche nach dem, was für uns Sinn macht und einen Wert hat. Die Orte, da wir Sinn suchen, sind allerdings <?page no="137"?> [B> $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK sehr unterschiedlich und lassen sich auch nicht von einem außen stehenden System definieren - beispielsweise Sinn am Herd, im Hobbyraum, auf dem Fußballplatz oder im Job. Letzteres rückt immer stärker in den Fokus vieler Sinnkrieger. Nicht zuletzt deshalb, weil Menschen heute viel mehr Zeit mit ihrer Arbeit verbringen als früher. Auch wenn man physisch nicht 24 Stunden in der Firma sitzt, so ist so mancher mental doch rund um die Uhr am Arbeitsplatz. Daher drängt sich seit Jahren die Sinnfrage immer mehr in den Vordergrund der Unternehmensstrategien. Gleichzeitig wird die Sinnfrage als Auftrag formuliert - von den Arbeitnehmern an den Arbeitgeber. Unternehmen müssen begreifen, dass immer mehr Mitarbeiter nicht nur ihren „Überlebenstrieb“ befriedigt sehen, sprich: Geld zum Leben verdienen wollen. Nein, immer mehr Mitarbeiter wollen darüber hinaus Sinn in ihrem Sein und Tun (emp-)finden, während sie ihre Lebenszeit in den Arbeitgeber investieren. Sie wollen Sinn als Ausschüttung für die eigene Investition im Unternehmenskontext finden. ! IDM M/ L@FF,M 7M/ -I2D *2D -IcJ -MFd-, Das Suchen nach und Finden von Sinn macht den Menschen zum Menschen. So ist es nur menschlich, wenn wir die unbestimmte Zeit, die uns gegeben ist und deren Endlichkeit uns bewusst ist, bestmöglich nach den eigenen Werten leben und unser Leben damit für uns wertvoll, sinnvoll und lebenswert gestalten. Eine erfüllte Version von uns selbst ist es, wenn wir Sinn im Sein, in jeder Tätigkeit, in jedem Atemzug erfahren und spüren. Übertragen auf den Kontext „Arbeit“ wäre dies das Versprechen von Unternehmen bzw. die Erkenntnis von Mitarbeitern, dass die wertvoll investierte Lebenszeit in das Unternehmen in der persönlichen Lebensbilanz am Ende Sinn macht, sodass jeder Mitarbeiter eine erfüllte und sinnvolle Version von sich selbst werden kann. <?page no="138"?> [B= 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK 6MDD IcJ D2cJ EeF FMd,M g In einem wunderschönen Wellness-Hotel in Oberbayern, fernab der Zivilisation, habe ich ein sehr schönes Beispiel erlebt, warum es wichtig ist und Sinn macht, dass unser Leben endlich ist und wir Sinn erfahren können. Dort gibt es eine Tafel, auf die die Gäste schreiben können, was sie tun würden, wenn sie noch einmal leben würden. Da steht dann so etwas wie „Sex, Drugs and Rock’n Roll! “ oder „Wieder Anke heiraten und hierher fahren“. In der untersten Ecke habe ich einen knappen und zugleich doch sehr tiefgründigen Beitrag gefunden. Einen Beitrag, der das Verhältnis zwischen Endlichkeit und Sinnfindung nicht besser hätte zusammenfassen können: „Dann hätte mein Jetzt weniger Sinn … schade.“ $+/ D2+, +Db eDbM/ M U/ eDGJMI,MD R 6e/ +E ; IDDF2-IKGMI, +D- YM-+DbJMI, +Db TMdMD G2-,M, ; ,/ e,MKIMD_ +E ; IDDF2-IKGMI,MD `+ @dM/ )IDbMD Sie haben mit Sicherheit schon Situationen erlebt und werden auch weiter Situationen erleben, in denen Sie sag(t)en: „Das macht keinen Sinn. Wie ich es auch drehe und wende, egal welche Rolle oder welche Perspektive ich einnehme, ich kann keinen Sinn entdecken und werde auch niemals Sinn sehen können. Wo ist hier der Sinn? “ Wir sind nicht selten mit Sinnlosigkeiten, vor allem auch im Arbeitsalltag, konfrontiert, die uns lähmen, uns Energie abziehen, uns nerven. Doch unser Streben nach Sinn in unserer Rolle als Sinnkrieger lässt uns daran festhalten, dass wir Sinn erfahren wollen. Und es gibt zwei wesentliche Strategien, wie man Sinn vielleicht später erfahren kann. Zum einen ist es der unbedingte Glaube daran, dass alles seinen Sinn hat, man ihn mitunter aber erst spät <?page no="139"?> [B< 8I,IGMD *De YMLhJ.MD erkennt. Manchmal muss man diese Frage nach dem Warum „ent-wichtigen“, damit man zu einem späteren Zeitpunkt eine adäquate Antwort finden kann. Um die Durststrecke zur Erkenntnis des Sinns zu überstehen, braucht es neben Geduld vor allem eines: Vertrauen. Vertrauen in sich selbst und in die Tatsache, dass alles irgendwann oder für irgendwen Sinn hat. Zum anderen hilft oftmals auch ein Perspektivenwechsel, indem ich in eine andere Rolle gehe, mir den Sachverhalt aus einem anderen Blickwinkel betrachte. Schon bekommt etwas einen Sinn, den ich vorher nicht entdecken konnte. "IM ,/ e+/ IKM 6eJ/ JMI, Doch manchmal ist es einfach auch so, dass Sinn niemals ausgeschüttet wird. Und wir fragen uns im Arbeitskontext: „Wieso soll ich als Mitarbeiter weiter Lebenszeit und Energie in ein Unternehmen investieren, wenn ich den Sinn dahinter gar nicht sehe? “ Wir werden dann irgendwann aufhören, Lebenszeit und Energie für das Unternehmen aufzubringen, da wir ja keine für uns wertvolle Ausschüttung entdecken. Und das ist die traurige Wahrheit für jeden Sinnkrieger. Ja, es gibt auch Situationen im Leben, die keinen Sinn machen. Das sind die nie enden wollenden Meeting-Marathons, die doch kein Ergebnis bringen, die unzähligen Weiterbildungen ohne Inhalt oder das Getratsche der Kollegen, das nur schlechte Stimmung erzeugt. Sinn wird nicht immer ausgeschüttet, auch wenn es unserem menschlichen Grundbedürfnis nach Sinn entspricht und wir noch so sehr danach streben. Es gelingt nicht immer, Antworten zu geben, bevor die Frage gestellt wird. Und es gelingt auch nicht immer, Antworten zu finden, auch wenn Sie die Frage stellen. Manchmal ist die bittere Wahrheit einfach die, dass es keinen Sinn macht. Das zermürbt, lässt die Investition wertlos erscheinen, ja kann uns sogar krank machen. <?page no="140"?> [B; 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK 6e- +D- G/ eDG EecJ, Wenn kein Sinn ausgeschüttet wird, wenn Mitarbeiter keinen Sinn in ihrer Arbeit finden können, dann kann dies ganz fatale Folgen für den Betroffenen, aber auch für den Arbeitgeber haben. Mitarbeiter werden krank und/ oder hören auf, weiter zu investieren, und/ oder fangen an, ihre Arbeitszeit mit anderen Sinnlosigkeiten zu füllen. Mitarbeiter sind recht kreativ im Erfinden von Sinnlosigkeiten zum reinen Zeitvertreib. Aber auch Klassiker wie das Kaffeetrinken mit Kollegen, das Verbreiten von Klatsch und Tratsch in der Nachbarabteilung oder die Online-Lektüre der BILD-Zeitung sind stets beliebt. Dem Ganzen gibt man dann noch ein schönes Etikett wie Networking, rückenschonender Verdauungsspaziergang oder Aufbesserung der Allgemeinbildung. Dies schützt vor Rechtfertigung gegenüber dem Arbeitgeber und beruhigt das eigene Gewissen. Doch das Schlimmste an den Sinnlosigkeiten ist: Am Ende eines Tages sieht man kein Ergebnis - weder für das Unternehmen noch für sich selbst. Das Sein macht keinen Sinn im eigenen Bezugssystem, keinen Sinn auf dieser Welt. Man hat nichts Vorzeigbares geschaffen, nichts getan, um der Endlichkeit des Lebens zu entkommen. Ebenso gut hätte man zu Hause sitzen und stricken können, und das wäre für das Unternehmen womöglich noch viel kostengünstiger, weil ressourcensparender. Die Erkenntnis, ja sie ist besonders bitter: dass das Sein im Unternehmen und die leere Zeit keinerlei Mehrwert haben - weder für das Unternehmen noch für einen selbst. Diese Erkenntnis lässt den Selbstwert schrumpfen. Man fühlt sich unnütz, wird nicht gesehen, ist sinnlos im Unternehmen. Man fühlt sich minderwertig und ist der Depression dabei so nah. Neuhochdeutsch mag man das dann „Boreout“ oder „Burnout“ nennen. Die Symptome werden in etwa die gleichen sein. <?page no="141"?> [A\ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD ; 2DD,eK-DM+/ 2-M +Db %/ dMI,-F2-IKGMI,-DM+/ 2-M Die Verzweiflung am Nichtstun und die damit einhergehende Erkrankung von Menschen wurde bereits in den 1950er- Jahren von diversen Psychiatern festgestellt und in der Folge bekannt unter dem Begriff „Sonntagsneurose“. Immer mehr Menschen wussten nichts mit ihrer freien Zeit anzufangen und verfielen ins Grübeln und damit nicht selten in Depressionen. In den 1930er-Jahren war schon der Begriff „Arbeitslosigkeitsneurose“ 13 gefallen: Menschen wurden krank, weil sie in ihrer freien Zeit nichts mit sich anzufangen wussten. Sie verzweifelten an diesem Zustand und wurden zunehmend handlungsunfähig. Damals war besonders stark die Angst verbreitet, dass der Mensch aufgrund des technischen Fortschritts irgendwann einmal komplett seine Daseinsberechtigung und damit den Sinn in der Arbeitswelt verliert. TeDKL/ I-,IK *2/ dM+KMD L@/ MID KM-+DbM- TMdMD Es ist daher nicht nur für das Unternehmensergebnis wesentlich, dass die investierte Zeit der Mitarbeiter einen sinnvollen Output hat. Nein, vor allem ist es für die langfristige Motivation und damit auch die langfristige Gesundheit der Mitarbeiter selbst notwendig, dass ihr Sein im Unternehmen Sinn macht. Und es ist nicht abzustreiten, dass Mitarbeiter in Unternehmen, in welchen es an Vertrauen und Sinn mangelt, nicht nur vermehrt krank sind, sondern gerne auch mal blau machen, wie diverse Studien immer wieder zeigen - weil ja das Unternehmen „so gemein ist“. Im Falle meines Urgroßvaters war das Bedürfnis nach Gesehen- und Gebrauchtwerden die erfolgreiche Formel für ein gesundes Leben bis ins hohe Alter von 96 Jahren. Auch er hatte bis zuletzt eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: in einer kleinen Landwirtschaft zusammen mit seiner Schwiegertochter, <?page no="142"?> [A[ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK meiner Großmutter. Die Beine hochlegen und sich einen gemütlichen Lebensabend machen, das lag ihm mehr als fern. Jeden Morgen stand er bereits um 5 Uhr auf. Und wenn er einmal zu spät aufwachte, ärgerte er sich selbst am meisten über seine Verspätung - denn er hatte ja keine Zeit, wollte kein Bisschen von seiner begrenzten Lebenszeit verlieren. Sein Leben hatte auf diese Weise Struktur, Sicherheit und Sinn. ; IDDF2-IKGMI, G2-,M, be- TMdMD Sinnlosigkeit kostet uns nicht nur die Gesundheit - wie beim Thema Burnout, Boreout, Mobbing oder anderen stressbedingten Phänomenen deutlich wird. Wir werden krank, haben Rückenschmerzen, Magenprobleme, Schlafstörungen und Pickel im Gesicht. Nein, die Sinnlosigkeit kostet uns sogar das Leben! Und dies womöglich schleichend oder aber von jetzt auf gleich. Mit dem Tod des Sinns des Lebens stirbt nicht nur ein Teil von uns, nein, wir selbst sterben im Leben. Werte sind plötzlich nur noch schleierhafte Überbleibsel der Vergangenheit. Der Sinn verschwindet, und der Mensch ist leer. Ein Gefühl der Nutzlosigkeit macht sich in jedem von uns breit: „Die Welt dreht sich auch ohne mich weiter. Es gibt keinen Grund mehr für mich, jeden Morgen aufzustehen. Ich bin keine abhängige Variable mehr. Ich bin nicht mehr eines der wenn auch noch so kleinen Rädchen im System, ohne welches das System selbst nicht funktionieren könnte. Ich selbst bin in meinem Innersten, in meiner Identität wertlos und damit sinnlos geworden“. Bestimmt kennen Sie alle tragische Beispiele von Mitarbeitern, welche in Rente gehen und nur kurze Zeit darauf krank werden und sterben, eben weil Sinn und Struktur sodann in ihrem Leben fehlen. Oder im privaten Kontext: Oftmals, wenn der Lebenspartner stirbt, tut es der andere ihm kurze Zeit später gleich. <?page no="143"?> [AZ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD ; IDD EecJ, +D-M/ TMdMD )M/ ,IK Sinn im Unternehmen ist damit so etwas wie eine Selbstverpflichtung des Unternehmens - der eigenen Gesundheit gegenüber, aber auch der Gesundheit der Mitarbeiter gegenüber. Dass ungesunde Systeme Kosten verursachen, das kann man sich vorstellen: Die Leistungsfähigkeit wird vermindert, man hat mit Ausfällen zu rechnen, mit Wiedereingliederungen oder komplett neuen Recruiting-Verfahren. Meinem Eindruck nach sind die Mitarbeiter in manchen Unternehmen längst gestorben: gestorben wegen der unzähligen Sinnlosigkeiten, wegen fehlenden Vertrauens, wegen nicht vorhandener Strukturen. Die Mitarbeiter fühlen sich nicht gebraucht, nicht in ihren Werten gesehen - ihre Tätigkeit, ihr Sein macht in diesem System keinen Sinn. Es würde auch ohne sie funktionieren. Das Gefühl des Gebrauchtseins, der Wertschätzung und des in seiner Individualität Gesehenwerdens fehlt. Was übrig bleibt sind Körper ohne Leben, die einfach nur da sind. Aber das ist es sicher nicht, was Unternehmen erfolgreich macht. Denn sind die Mitarbeiter tot, ist auch das Unternehmen tot. Nur merken das manche erst zu spät. Sinn im Tun, im Sein gibt unserem Leben einen Wert. Sinn ist das Ergebnis unserer Funktion mit uns als abhängige Variable in einem menschlichen System - sei es in einem Unternehmen, in einem Sportverein, in einer Familienkonstellation. Wir sind wichtig, wir sind wertig, unser Leben ist wertig. Und es gibt etwas, wofür es sich lohnt, jeden Tag aufzustehen. <?page no="144"?> 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK [AB 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK 6e/ +E ; IDD MIDM K/ 2'e/ ,IKM %+--cJ"+DK I-, Alles hat seinen Sinn, auch wenn wir ihn manchmal erst spät erkennen. Sinn ist damit zeitversetzt und nur in ganz seltenen Fällen zum selben Zeitpunkt zu erkennen, zu welchem wir die Investition tätigen. Es ist der unbedingte Glaube an Sinn, in allem was wir sind und tun, der uns menschlich macht, der gleichzeitig unseren Selbstwert schützt. Denn durch den Glauben an den Sinn legitimieren wir unsere Investition und die Anstrengung, die wir getätigt haben - in erster Linie vor uns selbst. So sind wir gefestigt, die Durststrecke bis zur Sinnausschüttung durchzuhalten. Wir stärken unser Ego, weil wir den Glauben daran behalten, ein guter Investor zu sein und unsere begrenzte Lebenszeit sinnvoll investiert zu haben. Beleuchten Sie Ihre Erfahrungen mit der zeitversetzten Ausschüttung von Sinn. > WD (MFfJMD 7I+*h+I1DMD JhgMD 7IM M.,+ ,0-+ eMD 7IDD M.GhDD+% ! .GMDDMD 7IM eh.ID ,IfJ (IMeM.J1FMDeM S*,+M.% > WD (MFfJMD 7I+*h+I1DMD ME0LIDeMD 7IM KMKMD(-.+IK D1fJ GMIDMD 7IDD% 3MFfJMD 7IDD M.J1LLMD 7IM ,IfJ% > 3MFfJM 7+.h+MKIMD JhgMD 7IM IE Th*LM WJ.M, TMgMD, MD+(IfGMF+a *E eIM 2MI+ c(I,fJMD WD)M,+I+I1D hD TMgMD,_ cMI+ *De "fJ@++*DK hD 7IDDM.LhJ.*DK L.M*e)1FF c* @gM.g.@fGMD% ShfJMD 7IM ,IfJ eIM,M 7+.h+MKIMD gM"+ *De .*LMD 7IM eIM,M KMcIMF+ h*L "*.,+,+.MfGMD hga ID (MFfJMD 7IM GMIDMD 7IDD LIDeMD^ Sinn ist nicht unmittelbar greifbar. Wir müssen darauf vertrauen, dass unsere Investition Sinn macht, und dieses Vertrauen wird durch unsere Werte und unsere Treue zu diesen gestärkt: Wir glauben fest daran, dass unsere Werte Bestätigung finden. Sinn ist damit das Resultat der Bestätigung un- <?page no="145"?> [AA 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK serer Werte. Und das größte Geschenk, die wertvollste Ausschüttung, die ein anderes System - ein Arbeitgeber - einem Menschen machen kann, ist die Bestätigung der Werte und damit die Ausschüttung an Sinn. Wenn Arbeitgeber diese Dynamik verstanden haben, können sie sich Wettbewerbsvorteile sichern und ihre Mitarbeiter mit der wertvollen Ausschüttung „Sinn im Herzen“ motivieren. Dafür gilt es vorauszudenken: Arbeitgeber können Antworten geben, bevor die Frage nach dem Sinn, nach dem Warum gestellt wird. Sie können mit ihren Werten die Frage nach dem Warum entwichtigen. Wenn Mitarbeiter an die Bestätigung der Werte glauben und vertrauen, dann leisten sie weit mehr - auch in Krisenzeiten - und müssen sich nicht mit der Sinnfrage und dem Warum beschäftigen. Mitarbeiter sind dann bereit, weiter zu investieren, weil sie gefestigt sind im Vertrauen darauf, dass ihre Werte irgendwann - wenn auch nicht jetzt - bestätigt werden und Sinn ausgeschüttet wird. Überprüfen Sie Ihre Situation im Hinblick auf die Frage nach Wertebestätigung am Arbeitsplatz. > WD(IMLM.D (I.e ID IJ.ME $.gMI+,hFF+hK eIM k.hKM DhfJ eME 3h.*Ea eIM k.hKM ehDhfJa 1g IJ.M WD)M,+I+I1D hD TMgMD,_ cMI+ 7IDD EhfJ+a )1. eM. 7IDDh"fJ@++*DK gMhD+(1.+M+% > 3hDD KIg+ WJ. $.gMI+KMgM. gM.MI+, $D+(1.+MDa gM)1. 7IM eIM k.hKM DhfJ eME 3h.*E ,+MFFMD (@.eMD% 5De ID (MFfJMD 7I+*h+I1DMD LMJF+ WJDMD D1fJ eIM 7IfJM.JMI+a eh" WJ.M 3M.+M )1E $.gMI+KMgM. h*fJ gM,+-+IK+ (M.eMD% Das unbedingte Streben und die Suche nach Sinn sind es, die den Menschen menschlich machen. Zwei Komponenten gehen mit der Suche nach Sinn einher: Zum einen haben wir Menschen den unbedingten Wunsch, ja Drang, gestalten zu wollen und etwas physisch Greifbares zu hinterlassen. Unser Selbst wird so in der realen Welt sichtbar. Damit ergibt sich <?page no="146"?> 5 7IDD I,+ MIDM K.1&h.+IKM "fJ@++*DK [A? 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK zum anderen, dass wir Menschen in der Bewusstheit unserer eigenen Endlichkeit danach streben, diese Endlichkeit zu überwinden und etwas für die Ewigkeit zu schaffen. Diese beiden Bestrebungen machen uns menschlich und uns alle zu Sinnkriegern: Wir alle streben danach, Sinn zu bekommen und unsere Lebenszeit sinnvoll zu füllen. Wo wir unseren Sinn finden, bleibt ganz uns selbst überlassen: ob im Sportverein, in der Familie oder im Büro. So können wir eine erfüllte Version von uns selbst werden. Machen Sie sich Gedanken über die erfüllte Version Ihrer selbst. > 3h, G1DD+MD 7IM gM.MI+, ID WJ.ME TMgMD KM,+hF+MD% 2IMJMD 7IM #IFhDc^ > k@JFMD 7IM ,IfJ *D.*JIK *De .h,+F1, ID WJ.M. 81FFM hF, 7IDDG.IMKM.% PeM. ,IDe 7IM )IMFEMJ. ID #hFhDfM *De c*L.IMeMD EI+ WJ.M. hG+*MFFMD 7IDDgIFhDc% > 3MDD 7IM E1.KMD ,+M.gMD (@.eMDa J-++MD 7IM ehDD eh, TMgMD KMFMg+a *E ,hKMD c* GCDDMD: Vha IfJ (h. MIDM M.L@FF+M 4M.,I1D )1D EI. ,MFg,+% 3h, JhgMD 7IM )M.0h"+% Es gibt Situationen im Leben, in welchen wir leider niemals Sinn finden werden. Der unbedingte Glaube an Sinn und auch ein Perspektivenwechsel helfen uns dann nicht weiter. Wenn der Sinn fehlt, dann macht uns das traurig, die Energie schwindet stetig, und wir resignieren schlussendlich. Unsere Werte finden keinen Lebensraum, und auch wir selbst sind leer und ohne Leben. Die traurige Wahrheit ist: Wir füllen dann oftmals die verbleibende Zeit mit weiteren Sinnlosigkeiten aus. Das zieht uns Energie ab und lässt unsere Stimmung ins Bodenlose sinken. Wir sehen am Ende des Tages kein Ergebnis, nichts, das wir erschaffen hätten und mit dem wir die Endlichkeit des Lebens überwinden könnten. Das Sein findet keine Realität, wird nicht gesehen. Der Selbstwert schrumpft zusammen. Unsere Werte schwinden in die Unendlichkeit, <?page no="147"?> [A> 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK werden ungenau und lösen sich irgendwann auf. Wir selbst sind ohne unsere Werte nur noch ein Schatten unser selbst. Über längere Zeit gesehen machen uns Sinnlosigkeiten krank und können sogar lebensbedrohlich sein. Machen Sie sich einmal klar, wie Sie mit Sinnlosigkeiten umgehen. > 3IM GCDDMD 7IM WJ.ME 7MFg,+(M.+ IE $.gMI+,hFF+hK MID YM,IfJ+ KMgMD% > 7IDe h*fJ 7IM )1D 7IDDF1,IKGMI+MD IE $.gMI+,hFF+hK gM+.1LLMD% 3MDD Hha )1D (MFfJMD% 5De (IM GCDDMD 7IM 7+.h+MKIMD MD+(IfGMFDa .M"1*.fMD,fJ1DMDe R eh, JMI&+ 1JDM )IMF ! DM.KIMh*L(hDe WJ.M.,MI+, R ehEI+ *Ec*KMJMD% > 3IM GCDDMD 7IM 7I+*h+I1DMD @gM.(IDeMDa (MFfJM GMIDMD 7IDD M.KMgMD% > YMJMD 7IM MIDM 4M.0LFIfJ+*DK ,IfJ ,MFg,+ KMKMD@gM. MIDa 7IDDF1,IKGMI+MD c* @gM.(IDeMD *De 0.-)MD+I) ehL@. c* ,1.KMDa eh" eIM,M ,IM DIfJ+ G.hDG EhfJMD% <?page no="148"?> 6 7IDD I,+ MIDM ! D+_ ,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M <?page no="149"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [A< XIM/ dID IcJ / IcJ,IK R 6IM 6M/ ,M,/ M+M +D-M/ M ! D,-cJMIb+DKMD +D,M/ -,@,`, UFe/ JMI, b+/ cJ 6M/ ,M,/ M+M Zu Beginn meines Berufslebens erhielt ich innerhalb eines internationalen Konzerns mit etwa 3 000 Mitarbeitern die Leitung der strategischen Ausbildungsarbeit deutschlandweit. Ich hatte damals keine Ahnung von Ausbildungsstrukturen in Deutschland, IHK-Formularen, Prüfungsreglements, Korrigieren von Berichtsheften und allem, was zu einer erfolgreichen Ausbildung gehörte. Doch erinnere ich mich sehr genau an eine besondere Geschichte, die ich in dieser ersten Zeit der Ausbildungsleitung miterleben durfte. Ein junger Mann, gerade mal 16 Jahre alt, mit mittelmäßigen Noten und Hauptschulabschluss, bewarb sich auf eine Ausbildungsstelle als Fachlagerist. Er schien mir im Gespräch überaus clever und pfiffig. Und die Frage, ob er denn nicht einen weiterführenden Ausbildungszweig anstreben sollte, schwirrte mir ständig im Kopf umher. Vielleicht konnte er mit seinem IQ sogar das Abitur machen, dachte ich im Stillen. Nach dem angenehmen Gespräch gab ich ihm - wie den anderen Bewerbern auch - den Test zur Allgemeinbildung, welcher logisches Denken, Mathematik und auch Sprachkenntnisse prüfte. Das Ergebnis war beeindruckend: Dieser junge Mann absolvierte den Test mit null Fehlern. Besser als mancher Abiturient. So bot ich ihm aufgrund seines Potenzials eine Stelle im kaufmännischen Bereich an. Ich schilderte ihm den Aufgabenbereich und auch welche Perspektiven damit auf ihn warteten. Nach meinen Ausführungen bedankte er sich höflich mit einem Lächeln und sagte: „Das ist total nett von Ihnen, Frau Dietz. Doch ich möchte ins Lager, ich möchte dort arbeiten. Ich mag den Geruch dort, ich mag die Menschen dort. Und <?page no="150"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [A; 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M ich möchte vor allem anpacken. Können wir uns das Lager gleich ansehen? “ Und ohne weiter auf mein - wie ich fand - interessantes Angebot einzugehen, nahm er seine Tasche, stand auf und blickte mich erwartungsvoll an. Ich nickte, wir gingen die Treppe hinunter und ins Zentrallager, ich schob die schwere Feuerschutztür beiseite und betrat gemeinsam mit ihm die Lagerhalle. Staub und Lärm waren in der Luft. Wir standen in der Tür, er im Anzug, ich im Kostüm. Ich war fehl am Platze hier, er war es nicht. Plötzlich sah ich das Leuchten in seinen Augen. Er wusste genau, wie er seine Lebenszeit gestalten wollte. Ich habe selten einen Menschen erlebt, der so klar war, so bei sich und der so genau wusste, was er wollte. Er musste sich nicht entscheiden, er hatte sich längst entschieden. Er hatte sich für das entschieden, was ihm wichtig war und was ihn glücklich machte - auch wenn das von außen und für einen anderen nicht wirklich logisch bzw. nachvollziehbar war. Er sah in der Tätigkeit im Lager seine Werte bestätigt und fand darin Sinn - und ich sah es in diesem Moment in seinen Augen. 6M/ ; IDD JedMD )IFF_ E+-- MD,-cJMIbMD Jeder von uns muss für sich selbst die beste Entscheidung treffen, für wen oder was er investieren möchte. Und das wissen wir nur ganz alleine, tief in unserem Herzen. Unsere Werte sind einmal mehr wichtig und bei Weggabelungen im Leben die Wegweiser und Leitplanken, um die Entscheidungen zu treffen, die für uns letztlich dann auch Sinn und uns glücklich machen. Das ist das Praktische an unseren Werten: Unsere Werte geben uns die nötige Orientierung, um die Entscheidung zu treffen, die für uns persönlich am passendsten ist. Die Klarheit in der Entscheidung erhalten wir durch die Bewusstheit unsere eigenen Werte und gleichzeitig durch die Werte- <?page no="151"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [? \ treue. Wir haben es also selbst in der Hand, ob und wie wir Sinn finden. Wir müssen lediglich Entscheidungen treffen, die unsere Werte unterstützen. Und das tagtäglich. <IcJ,IK I-,_ -IcJ ,/ M+ `+ dFMIdMD Und klar ist auch, dass niemand von uns je die Sicherheit haben wird, ob eine Entscheidung richtig oder falsch ist. Dafür dreht sich die Erde viel zu schnell, und unser Umfeld, in das wir eingebettet sind, beeinflusst uns und verändert sich ständig. Vielmehr sollte man die Perspektive einnehmen, dass es kein richtig oder falsch gibt, sondern eben nur ein anders. Wer sich seiner Werte bewusst ist und sich gemäß diesen entscheidet, wird automatisch für sich selbst die richtige Entscheidung treffen. Es muss die Entscheidung sein, die wir ganz persönlich für uns finden, bei der wir ein gutes Gefühl haben und durch die wir uns jeden Morgen mit einem Lächeln im Spiegel begrüßen können. Wir müssen uns in diesen Entscheidungen selbst treu bleiben. Wir müssen sagen können: „Das ist der Grund, für den es sich lohnt, jeden Tag aufzustehen. Und ich habe mich frei entschieden, für wen oder was ich meine Lebenszeit investiere.“ Es muss eine Entscheidung sein, die unsere eigenen Werte unterstützt und uns dabei hilft, dass diese Werte Bestätigung finden. Nur dann können wir Sinn empfinden. Doch egal ob richtig oder falsch, Fakt ist: Wenn wir Sinn haben wollen, dann müssen wir uns entscheiden, jeden Tag aufs Neue. <?page no="152"?> [? [ Xd01+JM,M 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M $MIdMJeF,MD_ M/ JCJMD 2bM/ *M/ / IDKM/ D& R 6e/ +E )I/ -,M,b/ MI SCKFIcJGMI,MD JedMD 6M/ ,M +Db ; IDD dMMIDLF+--MD ! D,-cJMIb+DKMD Wir alle stehen tagtäglich vor der Aufgabe, uns so zu entscheiden, dass wir unser begrenztes Kontingent an Lebenszeit sinnvoll investiert sehen. Wir machen uns unsere Werte bewusst und entscheiden demnach, welchen Weg wir einschlagen werden. Wir entscheiden uns, welche Investitionen wir im Vertrauensvorschuss tätigen, damit die eigenen Werte Bestätigung finden und folglich Sinn für uns ausgeschüttet wird. Sobald dieser Zeitpunkt der Ausschüttung erreicht ist, gilt es, sich erneut zu entscheiden, ob und wie wir investieren möchten. Im Grunde ist eine zeitlich vorhergehende Sinn-Ausschüttung Dreh- und Angelpunkt dafür, wie wir uns künftig entscheiden werden, unsere Investition an Lebenszeit zu tätigen, und inwiefern unser Vertrauen gefestigt wird. Ob und wie wir unsere künftigen Investitionen tätigen, ist damit abhängig von der Bestätigung unserer Werte und der damit verbundenen Ausschüttung, welche wir uns im Vertrauen auf die Wertbestätigung ausmalen. Wenn wir schon einmal durch eine lohnenswerte Investition Sinn erfahren haben, sind wir weiter bereit zu investieren. "/ MI ! D,-cJMIb+DK-ECKFIcJGMI,MD Wenn es um Investitionen an Lebenszeit in einen Arbeitgeber geht, dann haben wir alle, jeder Einzelne von uns, genau drei Möglichkeiten, uns täglich zu entscheiden. Wir können unsere Investition an Lebenszeit, an Energie, an Ideen und an Herzblut: 1. beibehalten, 2. erhöhen oder 3. verringern. Es liegt bei jedem von uns allein, wie wir uns entscheiden. Wir haben wie sonst kaum in einer Lebenssituation nahezu die absolute Freiheit, den weiteren Verlauf unserer Investition zu <?page no="153"?> [? Z Xd01+JM,M bestimmen. Und wir haben somit gleichzeitig die Verantwortung für uns selbst, ob und wie wir Sinn in unserer Tätigkeit finden werden. ! ID 1M/ LMG,M/ ; ,e/ , Ich möchte Ihnen gerne eine beispielhafte Episode schildern, die Ihnen die drei Entscheidungsmöglichkeiten skizziert. Ausgangspunkt der Episode ist die folgende Vorgeschichte: „An einem wundervollen, sonnigen Frühlingsmorgen machte ich mich auf zu einem Vorstellungsgespräch. Ich war zugleich euphorisiert, angespannt und sehr glücklich, denn ich war von meinem Wunscharbeitgeber nach einem Telefoninterview zum ausführlichen Kennenlerngespräch eingeladen worden. An Ort und Stelle steckte ich mir die Sonnenbrille ins Haar, blinzelte noch einmal mit einem Lächeln in die warmen Sonnenstrahlen dieses Morgens, atmete tief durch und betrat die kleine Eingangshalle, die mit einem außergewöhnlich besonderen und riesigen Blumengesteck bewundernde und überwältigende Blicke auf sich zog. Die Mitarbeiter, welche meinen Weg kreuzten, waren jung, modisch, hip, attraktiv und schienen gut gelaunt. Von der Empfangsdame wurde ich in den Besprechungsraum gebracht, von dem aus man einen tollen Blick auf die wunderschöne Dachterrasse hatte, auf der Mitarbeiter gut gestimmt Besprechungen abhielten. Das Kennenlerngespräch dauerte fast vier Stunden. Drei Interviewpartner, darunter auch mein künftiger Chef und CEO des Unternehmens, nahmen sich viel Zeit. Man stellte mir die Firmenphilosophie genau vor, die Unternehmenskultur und auch kommende Projekte sowie die Erwartungen an meine Position. Ein perfekter Start in einen neuen Job, so schien es mir. Ein wunderschönes Wohlfühl-Arbeitsumfeld mit freundlichen Menschen in einem Tochterunternehmen - eingebettet in einen Großkonzern - mit eigenen Wertvorstellungen, mit <?page no="154"?> [? B Xd01+JM,M 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M denen ich mich prima identifizieren konnte. Und dann auch noch anspruchsvolle Aufgaben. Ich wollte diesen Job unbedingt. Und nach einem weiteren eintägigen Assessment-Center bekam ich ihn auch. Hocherfreut und grenzenlos motiviert begann ich meinen ersten Arbeitstag. Ich investierte viel Zeit und Energie während der ersten Monate.“ Von diesem Punkt aus gibt es nun eine Weggabelung zum weiteren Verlauf der Geschichte. Entweder die Werte werden bestätigt, das beschreibt Version 1, oder sie werden nicht bestätigt, was in Version 2 nachzulesen ist. 7M/ -I2D [> 6M/ ,M )M/ bMD dM-,.,IK, R fdMIdMJeF,MDO 2bM/ fM/ JCJMDO Version 1: „Meine Investition lohnte sich. Meine Werte spiegelten sich in den Werten des Unternehmens wider. Meine Kollegen waren nett, gut gelaunt, und die positive Grundstimmung übertrug sich auf die Projekte. Das Umfeld und auch die Firmenphilosophie passten zu dem, was mir wichtig war und für was ich bereit war, meine kostbare Lebenszeit zu investieren. Ich generierte nach kurzer Zeit großartige Projektergebnisse und hatte sowohl mit dem Chef als auch mit den Kollegen viel Spaß bei der Arbeit. Plötzlich machte alles Sinn. Jeder Tag war ein Gewinn für mein Leben. Jeder Tag brachte mir das Gefühl, die mir geschenkte Zeit, sinnvoll genutzt zu haben. Und nicht nur ich war erfolgreich, sondern auch das Unternehmen, und wir generierten großartige Ergebnisse. Mein Vertrauen wurde damals nicht enttäuscht. Zeitversetzt zu meiner Investition an Lebenszeit wurden meine Werte bestätigt, und ich erfuhr Sinn. Nach der ersten Sinnerfahrung stand ich vor der Entscheidung, erneut zu investieren.“ Wenn Werte bestätigt werden, dann ist es unausweichlich, dass Mitarbeiter das „Volumen“ ihrer Investition beibehalten, also ebenso viel investieren wie bei der ersten Investition, da <?page no="155"?> [? A Xd01+JM,M sie ja nun die Gewissheit haben, dass Vertrauen sich lohnt und eine gute Ausschüttung am Ende dabei für sie herauskommt. Oder sehr viel wahrscheinlicher ist es sogar, dass Mitarbeiter nach einer erfolgreichen Sinn-Ausschüttung und -Erfahrung ihre Investition sogar erhöhen. Sie entscheiden sich, noch mehr zu investieren, und erhoffen sich dabei auch eine größere Ausschüttung. 7M/ -I2D Z> 6M/ ,M )M/ bMD DIcJ, dM-,.,IK, R f*M/ / IDKM/ DO Die Episode kann nach den ersten Monaten jedoch auch anders verlaufen - dazu Version 2: „Meine Investition lohnte sich nicht. Irgendwann merkte ich, dass all das, was mich anfangs so begeistert und in meinen Werten bestätigt hatte, nur ein leeres Luftschloss war. Die versprochene Firmenphilosophie und die kommunizierten Unternehmenswerte waren nichts als leblose Worte auf Papier. Mein Vertrauen war im Innersten erschüttert. Meine Werte waren nicht bestätigt, und ich sah keinen Sinn - in nichts: weder in meiner Anwesenheit in diesem Unternehmen noch in meiner Tätigkeit. Die Projekte, welche man mir versprochen hatte, wurden aus irgendwelchen Ego-Befindlichkeiten des Managements heraus dann doch nie etabliert. Die jungen hippen Mitarbeiter waren fast allesamt vom Burnout bedroht. Und die Werte, die mühsam - und das muss man zugegeben - in langwierigen Workshops ermittelt nun von den Wänden herab die Belegschaft „überwachten“, hatten kein Leben im Alltag, sondern spiegelten lediglich das Wunschdenken des oberen Managements. All das, was man mir versprochen hatte, gab es in Wirklichkeit gar nicht. Zuerst fühlte ich Verzweiflung, irgendwann Traurigkeit, da mein Vertrauen in dieses Unternehmen und seine Werte enttäuscht worden war. Und schlussendlich war da nur noch Resignation, die irgendwann in Gleichgültigkeit überging.“ <?page no="156"?> [? ? Xd01+JM,M 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M An dieser Stelle kippt das Investitionsmodell: Wenn Werte nicht bestätigt werden, erfahren wir keinen Sinn. Wir verlieren das Vertrauen in den Arbeitgeber und auch in dessen Werte. In meiner damaligen Situation fing ich irgendwann an zu überlegen, wie man den Tag sinnvoll nutzen kann, wenn man schon über seine Arbeit keinen sinnvollen Output erhält. Die meisten Mitarbeiter „optimieren“ dann ihre Arbeitszeit, sortieren Stifte und erledigen privates Online-Banking. Irgendwann habe ich sogar angefangen, Kaffee zu trinken. Auch wenn ich gar keinen Kaffee mochte. Und das nur, weil ich erstens die Zeit totschlagen musste und zweitens der Kaffee umsonst war. „Wenn das Unternehmen schon so gemein zu mir ist, mich mit falschen Versprechungen anlockte und mir meine kostbare Zeit stiehlt, ja mich sogar anlügt, dann kann ich auch etwas dafür bekommen. Und wenn es Kaffee ist, der mir nicht mal schmeckt.“ Man mutiert zum trotzigen Kind, ohne Vertrauen, aber auch ohne Sinn - vielleicht auch ohne Verstand. ; CFbDM/ be-MID Es mag sein, dass wir uns nach einer negativen Sinnerfahrung ein- oder zweimal noch dafür entscheiden, die Investition an Lebenszeit, an Energie und an Herzblut beizubehalten - meist deshalb weil wir es nicht wahrhaben wollen, dass alles umsonst gewesen sein soll. Und auch weil wir dadurch unseren Selbstwert schützen möchten. Aber nach einiger Zeit resignieren wir, und früher oder später entscheiden wir uns dafür, da wir keine Sinnausschüttung erhalten, eben weniger bzw. nur noch ein Minimum zu investieren. Der Selbstwert ist erschüttert, und wir fühlen uns möglicherweise sogar klein und als Versager. Wir arbeiten sodann nur noch so, wie es von uns erwartet wird. Motiviert sind wir nicht mehr. Dafür sind wir leidenschaftslose Söldner geworden, die weder den eigenen Erfolg noch den Erfolg des Unternehmens steigern. <?page no="157"?> [? > Xd01+JM,M ; cJ+FbdM)+--,-MID Und das ist genau der Punkt, an dem wir als Mitarbeiter aufwachen sollten und Verantwortung für uns selbst übernehmen müssen. Auch wenn ich nicht der gläubigste Mensch bin, so habe ich doch in solchen Situationen der Sinnlosigkeit ein schlechtes Gewissen. Denn wenn ich einmal sterbe und der liebe Gott mich fragt, was ich denn mit meinem Leben angestellt habe, das er mir mit all den schönen Möglichkeiten auf dieser Welt geschenkt hat, dann finde ich die Vorstellung ganz unerträglich, sagen zu müssen: „Naja, irgendwie musste ich meine Zeit ja totschlagen.“ Der Schöpfer dieser schönen Welt wäre sicher nicht sehr erfreut über diese Antwort. 7M/ eD,)2/ ,+DK @dM/ DMJEMD Doch genau diese Geschichten spielen sich zuhauf in deutschen Unternehmen ab. Gerade anfangs motivierte Mitarbeiter haben irgendwann das Vertrauen in den Arbeitgeber und damit den Sinn ihres Seins im Unternehmen verloren und in der Folge ihre Leistungsfähigkeit auf ein Minimum reduziert. Sie mutieren zu regungslosen Zombies, die ihr tristes Dasein bedauern und ihren Job weder motiviert noch besonders leistungsstark absolvieren. Wir alle sind selbst aber verantwortlich für unsere Sinnerfahrung. Wir müssen uns tagtäglich entscheiden, wie wir unsere Lebenszeit investieren. Und wenn wir in einem System, bei einem Arbeitgeber bleiben, dann bedeutet dies oft, dass wir entscheiden müssen zwischen Beibehalten, Erhöhen oder Verringerung der Investition. Das Gute daran ist, wir sind völlig frei in der Entscheidung. Das eher Anstrengende dabei ist: Wir müssen Verantwortung übernehmen. Wir sind somit selbst verantwortlich für den Sinn, welchen wir in der Arbeit erfahren - und wenn es bedeutet, dass wir uns dafür entscheiden, unseren Arbeitgeber zu verlassen. „Die Freiheit ‚hat‘ man <?page no="158"?> [? = $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M nicht - wie irgendetwas, das man auch verlieren kann -, sondern die Freiheit ‚bin ich‘ “, hat es Viktor Frankl einmal so treffend formuliert. 14 h/ MIJMI, dMbIDK, 7M/ eD,)2/ ,+DK R 6e/ +E )I/ ; IDD -MFd-, ID bM/ XeDb JedMD "IM ! D,-cJMIb+DK_ HMbMD S2/ KMD e+L`+-,MJMD David Johnson, Homeless vom Fisherman’s Wharf in San Francisco, von welchem wir bereits in Kapitel 2 gelesen haben, hat in seiner Reinform des sinnstiftenden Arbeitsalltags vor allem eines gefunden: das Gefühl der unmittelbaren Freiheit. Er entscheidet selbst, jeden Tag neu, wie er jede Sekunde seines Lebens gestaltet. Er finanziert damit sein Leben, und als Nebeneffekt seiner freien Entscheidung erfährt er unmittelbar Sinn in dem, was er tut. Er entscheidet jeden Tag völlig frei und ohne Zwänge, ob er aufsteht, zum Fisherman’s Wharf geht und mit seinem Eukalyptus-Busch Menschen erschreckt. h/ MIJMI, eF- 72/ e+--M,`+DK L@/ ; IDD Natürlich kann nicht jeder wie David Johnson leben. Dafür braucht es neben der Abwendung vom „bürgerlichen Leben“ Mut und vielleicht auch ein bisschen Verrücktheit. Aber im Grunde ist uns allen ein Prinzip gemein: Damit der Mensch von sich auch im Innersten motiviert ist, ist es wichtig, neben dem Gefühl, die eigenen Werte leben zu können, das Gefühl der Freiheit zu haben, jeden Tag aufs Neue entscheiden zu können, wie er seine Lebenszeit investieren möchte. Dann macht es für uns Sinn. Jean-Jacques Rousseaus Definition von Freiheit ist hier recht passend: Freiheit bedeutet nicht, das tun und lassen zu können, was man will, sondern das nicht tun zu müssen, was man nicht will. Es geht Rousseau <?page no="159"?> [? < $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK dabei nicht um die absolute Freiheit - denn hätten wir keine Regeln und Normen, würde alles irgendwann belanglos und wertlos werden. Es geht hier vielmehr um die Entscheidungsfreiheit, die ein Mensch hat und die ihn zu einem sinnerfüllten Wesen machen kann, wenn er sich jeden Tag aufs Neue für sich und seine Werte entscheidet. h/ MIJMI, eF- ! / L2FK-LeG,2/ Ich wage zu behaupten, dass Menschen viel produktiver und ergebnisorientierter in ihrem Tun und ihrem Handeln sind, wenn ihnen Freiheiten gewährt werden. Dann, wenn es in ihrer Hand liegt zu bestimmen, wie die zeitliche Gestaltung ihrer Arbeit aussieht, ist jeder in seinem natürlichen Stil und kann seinem Bedürfnis nach Gestaltung nachgehen. Das Einzige, was wir als freie Mitarbeiter benötigen, ist das Wissen, dass Auftrag, Ziel sowie Liefertermin für das Ergebnis klar sind. Wie der Mitarbeiter letztendlich sein Ergebnis erreicht und die pünktliche Lieferung bewerkstelligt, spielt dabei keine Rolle. Ob er dies in Nachtarbeit bei einem Glas Rotwein tut, auf der Liegewiese im Freibad oder auf einem Strandtuch in der Karibik, ist nebensächlich. Das Ergebnis zählt, und dank der neuen Medien ist eine termintreue Übermittlung der Ergebnisse ohnehin leicht möglich. So ist der Mitarbeiter also zum einen frei in seiner Entscheidung, wie und ob er investiert, zum anderen frei darin, in welcher Form er seinem Drang nach Gestaltung nachgeht, wie er Ergebnisse generiert, sie übermittelt und kommuniziert. h/ MIJMI, dMbIDK, 7M/ eD,)2/ ,+DK Freiheit geht immer einher mit Verantwortung. Ein frei agierender Mitarbeiter muss nicht nur sich selbst steuern, nein, er hat auch die komplette Verantwortung für sein Tun: nicht nur die Verantwortung für das Ergebnis seiner Arbeit, sondern <?page no="160"?> [? ; $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M auch die Verantwortung für das Ergebnis seiner Investition und die Frage, ob diese Investition Sinn macht. Jeder ist selbst verantwortlich für den Sinn in seinem Leben. Wir müssen selbst ins Tun kommen und können nicht den Arbeitgeber für unsere Sinnfindung verantwortlich machen. Wir leben und arbeiten eigenverantwortlich und haben damit die Freiheit, eigene Kosten-Nutzen-Rechnungen unserer Lebenszeit anzustellen. Im Unternehmenskontext kennen Sie sicher die Dynamik von Aktivität und Betroffenheit von Mitarbeitern bei Entscheidungen, die im Team getroffen werden: Trifft ein Chef seine Entscheidungen alleine, werden diese Entscheidungen weit weniger leidenschaftlich und überzeugt von den Mitarbeitern getragen, als dies der Fall wäre, wenn der Chef die Mitarbeiter in den Entscheidungsprozess einbeziehen würde. Mitarbeiter sind in diesem Fall motivierter in der Umsetzung - weil sie zum einen Entscheidungen mitgestalten und zum anderen von Anfang an Verantwortung übernehmen. Das stärkt das Selbstwertgefühl von Mitarbeitern, und jede weitere Investition, die diese Entscheidung mit sich bringt, macht folglich Sinn für sie. Genau so verhält es sich mit Zielvereinbarungen in Unternehmen: Dem Mitarbeiter werden Ziele gesteckt, bei deren Erreichen ihm eine Prämie winkt. Der eigentliche Sinn von solchen Zielvereinbarungen aber ist: Der Arbeitgeber schenkt dem Mitarbeiter ein Stückchen Freiheit und die Verantwortung, es selbst in der Hand zu haben, was am Ende des Jahres für den Mitarbeiter ausgeschüttet wird. Der Mitarbeiter seinerseits kann damit etwas hinterlassen, was seinem Selbst entspricht: Er wird sichtbar in seinem Wesenskern durch sein Tun, das von seinen Werten geleitet ist. Was aber wiederum nur funktioniert, wenn eine wesentliche Komponente im Unternehmen etabliert ist: eine Kultur der Gerechtigkeit. Denn <?page no="161"?> [>\ $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK was nützt der größte Gestaltungswille, die größte Gestaltungsfreiheit und der größte Bonus, wenn am Ende aufseiten des Mitarbeiters das Gefühl steht, der Bonus sei so berechnet, dass er auch in die Jahresbilanz passt? WDDM/ M ; ,M+M/ +DK-EMcJeDI-EMD Eine weitere These möchte ich an dieser Stelle formulieren: Ein System der Freiheit wird in einem von Vertrauen bestimmten System nicht ausgenutzt werden. Arbeitgeber, die sich auf die Fahnen schreiben, dass ihre Mitarbeiter Sinn in ihrer Arbeit finden, geben ihren Mitarbeitern auch wirklich den Raum, frei zu agieren und frei darüber zu entscheiden, wie sie investieren. Ich behaupte, ein System der Freiheit wird dann nicht ausgenutzt werden, da ja jeder Mensch, der Verantwortung übernimmt, automatisch ein inneres Steuerungs- und Überwachungssystem in sich trägt. Er hat es selbst in der Hand zu entscheiden, wie sein Weg tagtäglich aussieht. Aber mit der Verantwortung MUSS er auch entscheiden. Er kann diese Aufgabe nicht abgeben. Der unbedingte Gestaltungswille ist es, welcher einem Mitarbeiter in dieser Entscheidungsfindung Steuerung und Orientierung gibt. Nicht nur die selbst erstellte Kosten-Nutzen-Rechnung über den Output der eigenen Investition lässt uns ins Tun kommen, sondern auch der Drang, die Welt gestalten zu wollen, etwas auf dieser Welt zu hinterlassen, das sogar den eigenen Tod überdauert. Etwas für die Ewigkeit. SeD E+-- M,)ebeL@/ ,+D Sobald uns Dinge einfach so und ohne Anstrengung zufliegen, sobald wir sie nicht selbst gestalten und uns nicht bewusst für sie entscheiden, haben diese Dinge weniger Wert und damit auch weniger Sinn für uns. Es bedarf einer bewussten Entscheidung für oder gegen eine Anstrengung - stets <?page no="162"?> [>[ $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M mit der Rechnung im Hinterkopf, was denn wohl das Ergebnis für uns sein wird. Das lernen wir bereits als kleine Kinder: Ein Eis schmeckt viel besser, wenn man es vom eigenen Geld gekauft hat, das man von der Oma fürs Gassigehen mit Bello bekommen hat. Und auch Studien belegen, dass Menschen, welche in Vollzeit arbeiten und mit dem gleichen Betrag entlohnt werden wie dem für sie gültigen Hartz IV-Satz, glücklicher und zufriedener sind. %G,I* +Db 1/ 2b+G,I* b+/ cJ h/ MIJMI, +Db 7M/ eD,)2/ ,+DK Wir Menschen brauchen das Gefühl, eigenständig und in erster Linie frei, aus eigenen Beweggründen heraus Entscheidungen treffen zu können und damit unser Umfeld zu gestalten. Ein gutes Gefühl macht sich dann breit, und wir stärken damit unseren Selbstwert. Wir übernehmen Verantwortung für uns selbst. Wer die Verantwortung für seine Entscheidung hat, kommt automatisch ins Tun und ist aktiv. Hilfsorganisationen triggern in ihren Werbebeiträgen diese Dynamik im Menschen an: „Wir sind alle verantwortlich für eine bessere Welt von morgen.“ Indem jeder von uns verantwortlich ist, hat jeder auch die Verpflichtung, etwas zu tun. Denn was passiert, wenn wir die uns übertragene Verantwortung nicht wahrnehmen? Uns plagt das schlechte Gewissen, wir haben das Gefühl, etwas sei noch offen, nicht erledigt. Also sind wir aktiviert und motiviert, etwas zu tun. Freiheit und Verantwortung tragen im Unternehmenskontext damit nicht nur zu einer sinnstiftenden Kultur bei, sondern machen Mitarbeiter aktiver und produktiver. Klar ist auch, dass es immer schwarze Schafe geben wird, die versuchen, ein System auszunutzen. Doch beschreibt Kultur - und so auch eine sinnstiftende Kultur - immer die Gesamtheit einer Gemeinschaft und keine Einzelfälle. Ich glaube fest, dass es auch das „Schlechte“ in jedem System braucht, um im Gleichgewicht zu bleiben. <?page no="163"?> [>Z $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK hM/ / e/ I EI, S21Mb]h@J/ M/ -cJMID Es ist die Freiheit, eine Entscheidung zu treffen, die Verantwortung ausmacht. Und es ist die Freiheit der Mitarbeiter, welche Arbeitgeber akzeptieren und respektieren sollten. Versprechen Arbeitgeber einem Top-Bewerber das Blaue vom Himmel - und das bereits in der Stellenausschreibung -, nur um diesen ins Team zu holen, so manipulieren sie in gewisser Weise die Entscheidung des potenziellen Mitarbeiters. Denn aufgrund der falschen, der vorgetäuschten Faktenlage kann der Bewerber seine Entscheidung nicht wirklich so treffen, dass sie der Realität gerecht wird, eben weil er gar nicht genau wissen kann, für wen oder was er da investieren wird. Noch vor seinem ersten Arbeitstag wird der neue Mitarbeiter damit seiner Freiheit beraubt, ein selbstbestimmtes (Arbeits-) Leben zu führen, und der Freiheit, für sich selbst gut zu sorgen. Das ist wieder ein bisschen so wie bei der ersten Verliebtheit: klar zeigt man sich anfangs nur von seiner besten Seite; doch ist man an einer längerfristigen Beziehung interessiert, sollte man ehrlich sein und auch die nicht so schönen Facetten durchblicken lassen. Lockt man einen Mitarbeiter mit falschen Versprechungen ins Unternehmen, so ist dieser Mitarbeiter schon bald enttäuscht, frustriert, nach kurzer Zeit ausgebrannt. Ich denke in solchen Situationen dann oft: „Man sollte einfach keinen Ferrari kaufen, wenn man nur einen Moped-Führerschein hat.“ ; IDD E+-- KML+DbMD )M/ bMD Arbeitgeber haben die riesige Chance, sich Wettbewerbsvorteile zu sichern sowie eine von Sinn geprägte Kultur zu etablieren, wenn sie ihren Mitarbeitern den Freiraum geben, selbst ihre Arbeit, ihren Arbeitsalltag zu gestalten und in der Folge Verantwortung für sich, ihr Leben, ihre persönliche Sinnfindung zu übernehmen. Wichtig ist es, den Mitarbeitern <?page no="164"?> [>B $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M einen fruchtbaren Boden zu geben, da sie so selbst entscheiden können, wie sie ihre kostbare Lebenszeit investieren. Kontraproduktiv sind dagegen alle sinnlosen Tätigkeiten, Prozesse oder Meetings, die den Einzelnen seiner wertvollen Lebenszeit berauben. Viktor Frankl bringt es auf den Punkt, wenn er formuliert, dass Sinn nicht gegeben werden kann, sondern gefunden werden muss. 15 Und dies gilt auch für den Unternehmenskontext: Arbeitgeber können keinen Sinn geben, vielmehr muss Sinn von den Mitarbeitern selbst gefunden werden. Arbeitgeber können nur - und dies ist entscheidend - den so wichtigen (Gestaltungs-)Raum und den Raum für Sinnfindung geben, damit die Mitarbeiter selbst entscheiden, in Entscheidungen einbezogen werden und Verantwortung übernehmen können. Für Arbeitgeber entscheidend ist es, die Werte ihrer Mitarbeiter zu kennen und so eine sinnstiftende Belohnungsaussicht zu etablieren. h/ MIJMI,MD KMdMD> 7M/ eD,)2/ ,+DK bM- %/ dMI,KMdM/ - Die Aufgabe moderner Arbeitgeber wird es sein, ihren Mitarbeitern die Freiheit zu geben, die eigenen Werte zu leben, und zugleich die Mitarbeiter erfahren zu lassen, dass ihre Werte akzeptiert sind, ja, sich im besten Falle in den Werten des Unternehmens bestätigen. Es geht darum, den Mitarbeitern den nötigen Freiraum zu geben, damit sie die Antworten auf die Frage nach dem Sinn finden und eigenverantwortlich die begrenzte Lebenszeit sinn- und wertvoll gestalten können. Am Ende eines Tages soll der Einzelne sagen können: „Das war eine gute Investition an Lebenszeit, das war ein wert- und sinnvoller Tag für mich. Ich habe gut auf mein Lebenskonto eingezahlt.“ <?page no="165"?> [>A 8I,IGMD *De YMLhJ.MD V2d]X211M/ +Db ; IDD*M/ -cJIMdM/ R 6MDD h/ MIJMI,_ YM-,eF,+DK--1IMF/ e+E +Db 7M/ eD,)2/ ,+DK LMJFMD ! D".+-cJ+DK bM/ ; IDDG/ IMKM/ So schön das mit der Freiheit und der Verantwortung auch klingen mag: In vielen deutschen Unternehmen finden Sie nicht selten ein anderes Bild vor. Die bittere Wahrheit zeigt sich häufig in Form eines bunten Potpourris an Einschränkungen, Bevormundungen und Sinnlosigkeiten. Auch wenn Maßnahmen des Employer Brandings noch so vielversprechend, sinnvoll und sinnstiftend erscheinen mögen: Nach kurzer Zeit schon stellt sich gerade für neue Mitarbeiter der traurige Alltag ein, und sie sehen sich konfrontiert mit zahlreichen Sinnlosigkeiten. Gute, qualifizierte Mitarbeiter sind frustriert und wenden sich schneller wieder ab vom Unternehmen, in das sie eben doch erst eingetreten sind. Auf einem Arbeitnehmermarkt, der wie in Deutschland von Themen wie Fachkräftemangel und Demografiewandel bestimmt wird, erweist sich diese Abwendung der Sinnsucher als fatal: Wenn Sinnsucher, Sinnkrieger keinen Sinn erfahren, dann bleiben ihnen zwei Möglichkeiten: Entweder sie verlassen nach kurzer Zeit das Unternehmen wieder und werden zu Job-Hoppern (Option 1), oder sie bleiben und werden zu Sinnverschiebern (Option 2). P1,I2D [> V2d]X211IDK R TMI-,+DK--12/ , L@/ XIKJ]N2,MD,IeF- Es gibt Sinnsucher im Job, die unbedingt daran festhalten und nichts anderes wollen, als Sinn in ihrer Tätigkeit, am Arbeitsplatz zu finden. Diese Sinnsucher sind die Ersten, die ihre sieben Sachen packen und zum nächsten Unternehmen ziehen, wenn sie das Gefühl haben, im bestehenden Unternehmen <?page no="166"?> [>? 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M keinen Sinn erfahren zu können - frei nach dem Motto: „Sucht ihr euch einen neuen Clown, ich such mir einen neuen Zirkus.“ Eine neue Leistungssportart für High-Potentials hat sich auf diese Weise entwickelt: das Job-Hopping. Gute Mitarbeiter haben eine kürzere Zündschnur, d. h. sie sind sich ihrer Kompetenzen bewusst und ungeduldiger im Umgang mit Sinnlosigkeiten. Schnell übernehmen sie die Verantwortung für sich selbst und wandern in der Hoffnung auf eine sinnvollere Arbeitszukunft zum nächsten Arbeitgeber - eine für Unternehmen katastrophale Entwicklung. Wi e fa tal e s fü r di e Exis te nz eine s Un te rn ehm en s s ei n kann, wenn Sinnkrieger frustriert werden und schnell wieder ihre Koffer packen, zeigt folgendes Beispiel: Da gibt es ein mittelständisches Unternehmen, das sich selbst von ganz oben nach ganz unten befördert hat und noch heute ums Überleben kämpft. Angefangen hat alles vor zwei Jahren. Das Unternehmen wuchs, war recht profitabel. In diesem Stadium des Erfolgs wurde es nicht nur immer attraktiver für High-Potentials auf dem Arbeitsmarkt, die nach Erfolg im Job gierten, sondern ebenso attraktiv für Käufer. Der Marktpreis des Unternehmens schnellte in die Höhe. Das rege Interesse der Käuferschaft sprach sich auch recht schnell bei den Mitarbeitern herum. Das Management fühlte sich geschmeichelt, dass plötzlich die ganz Großen der Branche Interesse am Unternehmen zeigten und nicht unerhebliche Summen dafür bezahlen wollten. Bei den Mitarbeitern hingegen nahm die Unsicherheit zu: Wer würde künftig bestimmen, wo es lang ging? Blieb das Arbeitsklima dann so unverwechselbar angenehm, wie es jetzt war? Würde es Entlassungen geben, da man ja im Falle einer Fusion vor allem in den Support-Abteilungen Personal einsparen könnte? Schnell verbreiteten sich die wildesten Spekulationen. Und schlussendlich machte - wie das eben so mit Gerüchten ist - die aufregendste und am meisten <?page no="167"?> [>> 8I,IGMD *De YMLhJ.MD Angst einflößende Geschichte das Rennen: Ein amerikanischer Großkonzern, der bekannt war für strenges Regiment und ökonomisches Denken und Handeln - Stichwort „Personalabbau“ -, sollte der neue Käufer sein. Das Management reagierte nur sehr vage auf die kursierenden Gerüchte, dementierte jedoch an keiner Stelle. Die logische Konsequenz daraus war, dass sich die ersten Arbeitnehmer aus den geschürten Ängsten heraus prophylaktisch auf dem Arbeitsmarkt umsahen und natürlich auch erste Angebote einholten. Das ließ die Produktivität und Leistungsbereitschaft bereits erheblich sinken. Im Kopf hatte man ja plötzlich nicht mehr nur die aktuellen Aufgaben, sondern musste sich mit Alternativen für seine berufliche Zukunft beschäftigen. Die ersten Mitarbeiter kündigten und wählten einen neuen sicheren Hafen. Und Sie vermuten schon richtig: Die, die als Erste gingen, waren die sehr guten Mitarbeiter, die auch schnell neue Jobs bekamen. Das waren die Mitarbeiter, die in ihrem Sein und Tun Sinn gefunden und das Unternehmen nach vorne gebracht hatten, an den Punkt, an welchem es gewesen war, als es attraktiv für Käufer wurde. Das Misstrauen durch mangelnde Kommunikation wuchs fast stündlich, und viele Sinnsucher standen vor der Entscheidung, weiter Lebenszeit, Energie und Ideen in ein Unternehmen zu investieren, dem sie immer weniger vertrauen konnten, oder eben nicht. Die meisten von ihnen entschieden sich dafür, bald auszusteigen und das Unternehmen zu verlassen, das menschlich so gar kein Interesse an den Mitarbeitern zu haben schien. Und so dünnten sich sukzessive die Reihen der qualifizierten Mitarbeiter aus, bis schlussendlich ein Rest übrig blieb: Diejenigen, die sich nicht für „Flucht“ entschieden hatten, verfielen in Stagnation und taten erst einmal gar nichts mehr, versuchten, die Sache auszusitzen und spekulierten auf üppige Abfindungen. Das waren die Sinnverschieber, die Mit- <?page no="168"?> [>= 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M arbeiter also, die Sinn nun nicht mehr im Job, sondern fortan im Privaten fanden und den Arbeitgeber als notwendiges Übel akzeptierten, um ihr Privatleben zu finanzieren. Das Unternehmen aus dem Beispiel ist bis heute nicht verkauft. Die Abwanderung der guten Mitarbeiter hatte hohe finanzielle Einbußen und damit einhergehend schrumpfenden Unternehmenserfolg zur Konsequenz. Das ließ auch interessierte Käufer abwandern. Heute hat dieses Unternehmen nicht nur den Kampf um neue gute Fachkräfte zu bestreiten, sondern auch den Kampf ums tägliche Überleben. P1,I2D Z> ; CFbDM/ EMD,eFI,., 2bM/ ; IDD*M/ -cJIMdM/ Wenn Sinnkrieger enttäuscht werden, dann bleibt ihnen neben der Kündigung noch die Option, ihren Sinn nicht mehr in der Arbeit zu suchen, sondern auf anderen Lebensbühnen. Sinnverschieber sind - wie eben schon angedeutet - Menschen, die Sinn nicht mehr im Job finden, sondern im Privaten. Im Unternehmen präsentieren sie sich verkleidet als Minderleister, Parasiten, Söldner und Sklaven des Systems. Diese allerdings bringen ein Unternehmen nicht wesentlich voran - im Gegenteil: Weil ihr Sinn-Ziel im Privaten liegt, kosten sie meist nur Geld, erbringen ein Minimum an Leistung und nutzen jede Gelegenheit, um nichts zu tun. Outperformance können Sie von Sinnverschiebern sicher nicht erwarten. Dabei müssen Sinnverschieber nicht schlechte bzw. unintelligente Mitarbeiter sein. In der Regel handelt es sich um ehemalige Sinnkrieger, die aber aus Frustration und enttäuschtem Vertrauen heraus irgendwann einmal beschlossen haben, zum „traditionellen Modell“ überzugehen, das da heißt: Die Arbeit dient lediglich dazu, Geld zu verdienen und den Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese Menschen finden sodann Sinn im Privaten und sind daher weniger intrinsisch für ihre Arbeit motiviert - das eigene Herz schlägt nicht (mehr) fürs Unter- <?page no="169"?> [>< 8I,IGMD *De YMLhJ.MD nehmen. Die Verliebtheit ist vorbei. Man hat sich wie ein altes Ehepaar arrangiert, das viel zu spät gemerkt hat, dass Scheidung auch keine Lösung ist. Denn im Grunde funktioniert das Miteinander ja und hat auch etwas Gutes. Auch wenn der Glaube an die ganz große Liebe längst verloren ist: Man schaut sich nicht einmal mehr auf dem Markt um nach Alternativen. Die Sinnverschieber, das sind die Mitarbeiter, die man mit ein wenig Aufmerksamkeit für eine „Liebes-Beziehung“ mit dem Arbeitgeber hätte motivieren können. Doch ist die Liebe erst einmal gegangen, kommt sie selten wieder. Lassen Sie mich ein Beispiel erzählen, von einem Sinnverschieber, den ich einmal während eines Beratungsprojekts zur Mitarbeitermotivation kennenlernte. Dieser Sinnverschieber schien mir ein cleveres Kerlchen zu sein, Mitte zwanzig, ganz pfiffig. Doch wirkte er ausgelaugt, und in seinen Augen konnte ich keine Begeisterung, keine Energie erkennen. Ich fragte ihn, welche Ziele er beruflich hätte und was wir von Unternehmensseite für seine Entwicklung tun könnten. Er schüttelte frustriert den Kopf, senkte den Blick und kramte seine Geldbörse heraus. Er klappte sie auf und zeigte mir ein Bild mit zwei netten kleinen Jungs, beide nicht älter als fünf Jahre. „Das ist der Grund, warum ich jeden Tag zur Arbeit gehe und mir das alles hier antue, die schlechten Arbeitsbedingungen, die ständige Überwachung.“ Er deutete auf die beiden Jungs auf dem Foto und fuhr fort: „Ich möchte, dass die beiden studieren und es einmal besser haben als ich.“ Er selbst hatte den Glauben an die große Liebe zum Arbeitgeber verloren. In seinen Augen war nur noch Traurigkeit. Ist der Glaube an die ganz große Liebe zur Arbeit aber erloschen, wird der Sinn nicht mehr in der Arbeit gefunden, sondern verschiebt sich in andere Lebensbereiche. Die eigenen Werte werden nicht durch die Werte des Unternehmens bestätigt, sondern im Privatleben. Die gute Nachricht dabei ist: Der Mitarbeiter inves- <?page no="170"?> [>; 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M tiert noch in das Unternehmen. Die schlechte Nachricht heißt: Er investiert lediglich das Minimum, um für sich selbst das Maximum herauszuholen. Und dies kann zwangsläufig zu einem Minusergebnis für das Unternehmen führen, wenn es bedeutet, dass die Investition des Mitarbeiters kleiner ist als das, was er für sich herausholt: Gehalt, sinnlos aufgebaute Überstunden, welche wieder abgebaut werden müssen, vermeintliche Krankheitsfehltage, schlechte Stimmung und Intrigen. Sinnverschieber suchen gar nicht mehr nach Sinn im Job, sondern sind Söldner geworden. Und ist der Punkt erst mal erreicht, da Mitarbeiter keinen Sinn mehr in ihrem Job, sondern auf anderen Bühnen suchen, sieht es für Unternehmen meist schlecht aus. Da helfen dann auch keine Benefits wie kostenloser Kaffee oder frisches Obst. Das nehmen die Mitarbeiter dann zwar gerne mit - man wäre ja sonst dumm, erhält so zumindest ein bisschen an Wert: „Schmerzensgeld“ nennt das so mancher Söldner unter den Mitarbeitern. Aber motiviert ist durch derartige Benefits sicherlich keiner. "M/ $FIcG DecJ *2/ DM Dabei wäre es mit ein bisschen gesundem Menschenverstand und weniger sinnlosen Aktionen oft schon getan, gute Mitarbeiter und Sinnsucher im Unternehmen zu halten. Manchmal tut es mir in der Seele weh zu sehen, wie man mit ein wenig Transparenz und guter Kommunikation vor allem die guten Mitarbeiter an sich binden könnte, es aber nicht tut. Für moderne Unternehmen wird es die wichtigste Aufgabe sein, Sinn zu stiften und Sinnkrieger gar nicht erst zu Job- Hoppern oder Sinnverschiebern mutieren zu lassen. Es gilt, eine Kultur des Freiraums und der Verantwortung, aber gleichzeitig der Orientierung durch gelebte Werte zu etablieren. Das Ziel muss es sein, offen und ehrlich von Anfang an in eine vertrauensvolle Beziehung zu starten. <?page no="171"?> [=\ 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK 6e/ +E ; IDD MIDM ! D,-cJMIb+DK I-,_ HMbMD : eK e+L- QM+M Wir alle müssen uns jeden Tag aufs Neue entscheiden, wie wir unsere Lebenszeit investieren möchten. Richtlinie für unsere Entscheidung sind dabei unsere eigenen Werte. Sie geben uns Orientierung für das, was uns wichtig ist und in welche Richtung unsere Entscheidung gehen soll, damit es für uns Sinn macht. Es gibt daher kein richtig oder falsch, sondern nur ein anders. Richtig ist für jeden persönlich jedoch immer das, was den eigenen Werten entspricht. Wesentlich ist dabei die Frage: Macht die Entscheidung für mich persönlich Sinn? Und das macht sie dann, wenn die eigenen Werte Bestätigung finden. Machen Sie sich einmal Ihre Entscheidungen bewusst. > WD(IMLM.D MD+,fJMIeMD 7IM HMeMD 6hK h*L, QM*Ma (IM 7IM WJ.M TMgMD,cMI+ ID)M,+IM.MD ECfJ+MD% > 7IDe 7IM ,IfJ eIM,M. ! D+,fJMIe*DK gM"+% > 6.MLLMD 7IM eIM ! D+,fJMIe*DK WJ.MD 3M.+MD KME-&a ,1eh" eIM WD)M,+I+I1D L@. 7IM 7IDD EhfJ+% kIDeMD WJ.M 3M.+M ID WJ.M. ! D+,fJMIe*DK hD TMgMD,cMI+ 8h*E% Unsere tagtäglichen Entscheidungen dafür, wie und ob wir unsere Lebenszeit investieren möchten, sind nicht nur geprägt durch unseren Wertekanon, sondern auch durch unsere Erfahrungen. Die Erfahrung, ob eine vorhergehende Investition an Lebenszeit Sinn ausgeschüttet hat, ist maßgeblich dafür, ob wir weiter vertrauen können und weiter investieren. Nach der Ausschüttung von Sinn oder auch Un-Sinn haben wir demnach drei Optionen: Wir können unser Maß an Lebenszeit-Investition beibehalten, wir können es erhöhen oder wir können es verringern. Ausschlaggebend für die Wahl der Op- <?page no="172"?> 6 7IDD I,+ MIDM ! D+,fJMIe*DKa HMeMD 6hK h*L, QM*M [=[ 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK tion ist das Vertrauen und die eigene Kosten-Nutzen-Rechnung, inwiefern Sinn für uns ausgeschüttet wird. Betrachten Sie Ihre persönliche Sinnbilanz. > 3IM ,IMJ+ eIM G1DG.M+M 7IDDgIFhDc WJ.M, hG+*MFFMD #M.*L,_ FMgMD, h*,% ! .LhJ.MD 7IM eMD 7IDDa (MFfJMD 7IM L@. WJ.M WD)M,+I+I1D hD TMgMD,cMI+ L@. hDKMEM"MD JhF+MD% > XhF+MD 7IM WJ.M WD)M,+I+I1D hD TMgMD,cMI+ eM.cMI+ G1D,+hD+a M.JCJMD 7IM eIM,M ,+M+IK 1eM. )M..IDKM.D 7IM eIM,M% > 3MDD 7IM eIM,M )M..IDKM.Da (h, I,+ eM. Y.*De L@. eIM SIDIEIM.*DK hD ! DKhKMEMD+ ID WJ.ME V1g% 3h, GCDDMD 7IM ,MFg,+ +*Da *E 7IDD ID WJ.ME V1g c* M.LhJ.MD *De ehEI+ eIM WD)M,+I+I1D (IMeM. c* M.JCJMD% Wir sind gänzlich frei in der Entscheidung, wie wir unsere Lebenszeit investieren möchten. Im Grunde kann nichts und niemand uns dahingehend beeinflussen, und wir werden dann Sinn erfahren, wenn wir die Entscheidung gemäß unseren eigenen Werten treffen. Der Gestaltungswille ist es, der in uns angelegt ist, der uns diese Freiheit ausnutzen lässt. Denn wenn wir gestalten und etwas in dieser Welt hinterlassen können, sehen wir unmittelbar Sinn und werden aktiv. Wir sind dann bereit, Leistung zu erbringen. Die Freiheit, die wir besitzen, bringt jedoch gleichzeitig Verantwortung mit sich. Wir sind daher ganz allein verantwortlich, ob und wie wir Sinn erfahren. Wir haben es selbst in der Hand, ob wir Sinn im Job erleben oder nicht. Unser Arbeitgeber kann uns keinen Sinn geben, wir müssen Sinn selbst und eigenverantwortlich finden. Die Verantwortung, die der Arbeitgeber hat, ist, den Freiraum zu bieten, dass Mitarbeiter eigenverantwortlich Entscheidungen gemäß ihren eigenen Werten treffen können. Betrachten Sie Ihre Situation unter dem Stichwort „Freiheit und Verantwortung“. <?page no="173"?> [=Z 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK > ! .JhF+MD 7IM eIM k.MI.-*EM )1D WJ.ME $.gMI+KMgM.a *E ! D+,fJMIe*DKMD KME-& WJ.MD 3M.+MD c* +.MLLMD% > WD(IMLM.D D*+cMD 7IM eIM k.MIJMI+a HMeMD 6hK h*L, QM*M c* MD+,fJMIeMDa (IM 7IM WJ.M TMgMD,cMI+ ID)M,+IM.MD (1FFMD% > WD (MFfJMD 7I+*h+I1DMD GCDDMD ,IM D1fJ gM"+M. ! D+,fJMIe*DKMD WJ.MD 3M.+MD KME-& +.MLLMD% > WD(IMLM.D @gM.DMJEMD 7IM E1EMD+hD 4M.hD+(1.+*DK L@. MID ,IDD)1FFM, $.gMI+,FMgMD% 31 LMJF+ eIM,M 4M.hD+(1._ +*DKa (1 DMJEMD 7IM eIM,M 4M.hD+(1.+*DK ,fJ1D .IfJ+IK (hJ. *De +.hKMD c* MIDME ,IDD)1FFMD $.gMI+,FMgMD gMI% In vielen Unternehmen finden Sie die Freiheiten, die Sie für ein sinnvolles Arbeitsleben benötigen, nicht vor. Da herrschen Kontrollapparate, Überwachungsinstrumente und Misstrauen. Mitarbeiter, denen die Freiheit genommen wird, fehlt es sodann an Eigenverantwortlichkeit. Sie können und dürfen dann nicht mehr selbst entscheiden, wie sie Ihre Lebenszeit gestalten wollen. Sinnkrieger mutieren sodann entweder zu Job-Hoppern, indem sie das Unternehmen verlassen und hoffnungsvoll zum nächsten Arbeitgeber wandern, oder aber zu Sinnverschiebern und werden dadurch zu Söldnern, die ihren Sinn im Privatleben suchen und den Arbeitgeber lediglich als Geldgeber betrachten. > WD (MFfJMD 7I+*h+I1DMD ,IDe 7IM ID WJ.M. k.MIJMI+ MIDKM_ ,fJ.-DG+% 3MFfJM, YML@JF EhfJ+ ,IfJ ID ,1FfJMD 7I+*h+I1_ DMD eM. ! ID,fJ.-DG*DK gMI WJDMD g.MI+% > 3h.MD 7IM ,fJ1D ID 7I+*h+I1DMDa ID (MFfJMD 7IM MD+(MeM. c*E V1g_X100M. 1eM. 7IDD)M.,fJIMgM. E*+IM.+ ,IDe% 3h, Jh+ eIM,M 7I+*h+I1DMD h*,KMEhfJ+a (IM JhgMD 7IM ,IfJ ehEhF, KML@JF+% > 3IM ,fJ-+cMD 7IM ,IfJ ,MFg,+ MID: 7IDe 7IM MJM. MID V1g_X100M. 1eM. MID 7IDD)M.,fJIMgM.% YIg+ M, ID WJ.M. TMgMD,JI,+1.IM MID S*,+M.a eh, ,IfJ hgcMIfJDM+% <?page no="174"?> 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" <?page no="175"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [=A X21 2bM/ ,21 R 6e/ +E EeDcJM M/ L2FK/ MIcJ )M/ bMD +Db eDbM/ M -cJMI,M/ D E@--MD %E 6MDbM1+DG, bM/ WD*M-,I,I2D Sie haben - anhand eines eigenen konkreten Beispiels bzw. mithilfe der Lektüre dieses Buches - die sechs Stufen zu mehr Sinn bei der Arbeit durchlaufen. Wenn Sie nun zurückblicken, werden Sie erkennen: Sie haben Ihre Lebenszeit wohlbedacht und im Vertrauen darauf investiert, dass es für Sie persönlich Sinn macht. Sie sind jeden Tag in ein Unternehmen gegangen, haben dort Projekte erfolgreich vorangetrieben, haben zum positiven Arbeitsklima beigetragen, haben gute Ergebnisse für sich und das Unternehmen erzielt und all das tun können, was Ihnen persönlich wichtig ist. Sie konnten das tun, was ihren ganz individuellen Werten entspricht. Somit hat ihr Arbeitgeber ihre Werte bestätigt, und Ihre Investition macht nun Sinn. Sie fühlen sich in Ihrem Tun, in Ihrem Sein und auch in Ihrem Vertrauen, das Sie Ihrem Arbeitgeber ohne jegliche Sicherheiten entgegengebracht haben, bestätigt. Sie stehen jetzt auf der obersten Stufe der Sinnfindung und damit vor der Entscheidung: Möchten Sie erneut Lebenszeit investieren? Sie blicken zurück und prüfen, ob die Investition Sinn gemacht hat. Und Sie müssen nun entscheiden, ob Sie weiter investieren, ob Sie Ihre Investition beibehalten oder ob Sie sie erhöhen. Sie werden jedoch nicht auf der obersten der sechs Stufen stehen bleiben und die einmalige Sinnfindung genießen. Vielmehr werden Sie merken, dass Sie hier mit Ihrer Entscheidung, die Investition beizubehalten, zu erhöhen oder zu verringern, an einem Wendepunkt stehen: Aus den sechs Stufen der Sinnfindung (2D) wird nun die Sinnspirale (3D) - es eröffnet sich gewissermaßen eine dritte Dimension vor Ihnen. <?page no="176"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [=? 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" ! IDM b/ I"M "IEMD-I2D R "IM ; IDD-1I/ eFM Sie werden bemerken: Die sechs Stufen verlaufen nicht linear, nein, vielmehr werden sie zu einer Spirale. Zu einer Spirale ins Unendliche, welche sich sowohl nach oben als auch nach unten drehen kann. Mit Ihrer Entscheidung haben Sie es in der Hand, ob Sie sich in der Sinnspirale nach oben bewegen, weiter investieren und Ihre Investition erhöhen, auf Stufe eins wieder einsteigen, nur auf einem höheren Level und noch mehr Sinn finden; oder ob Sie Ihre Investition verringern, ebenfalls wieder auf Stufe eins einsteigen, sich aber nach unten bewegen und kontinuierlich keinen Sinn finden. Die Richtung der Sinnspirale ist nicht nur maßgeblich für Ihre persönliche Sinnfindung. Sie ist auch maßgeblich für den Erfolg des Unternehmens. In einer Welt, in der die Arbeit einen zunehmend höheren Stellenwert bekommt, die Zahl der Sinnkrieger in Unternehmen zunimmt und der Anspruch an eine sinnvolle Tätigkeit wächst, entscheidet (Nicht-)Sinn über Erfolg oder Misserfolg. Dann, wenn wir die eigenen Werte bestätigt sehen, wenn auch eine Sinnausschüttung für uns als Mitarbeiter erfolgt, dann denken wir weiter ökonomisch. Wir wollen den höchstmöglichen Benefit für uns erhalten. Wir werden in der Regel ohne jegliches Zutun von außen unsere Investition beibehalten oder sogar erhöhen. Nach jeder Wertebestätigung sind wir bereit, erneut zu investieren, weil unsere Investition an Zeit, Herzblut und Ideen in das Unternehmen zu einer sinnvollen Investition geworden ist, weil wir Sinn erfahren haben. SMJ/ WD*M-,I,I2D eF- %+--cJ"+DK Wir befinden uns so in der positiven Spirale, die Mitarbeiter und Unternehmen gemeinsam nach oben führt - nach oben zu mehr Erfolg und mehr Sinn, solange auf beiden Seiten Vertrauen existiert. Wir als Mitarbeiter investieren in dieser <?page no="177"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [=> Weise kontinuierlich Zeit in für uns Wert- und damit Sinnvolles, für das, was zugleich das Unternehmen voranbringt. In der positiven Sinnspirale ist die darauffolgende Investition des Mitarbeiters immer größer als das, was das Unternehmen aktiv an Benefits und monetären Zulagen ausgeschüttet hat. Wir brauchen damit keine Belohnung durch kostenlosen Kaffee, Firmenwagen oder Gratis-Obst. Wir belohnen uns selbst, indem wir clever investieren und damit einen für uns wertvollen Zins bekommen, nämlich Sinn erfahren. Und indem wir selbst unser Leben gestalten, übernehmen wir Verantwortung für uns, sind in einem unserer Ur-Instinkte befriedigt. Das Ganze wird zum Selbstläufer, im besten Falle zu einem Selbstläufer mit überproportionaler Erfolgssteigerung. 9Ded)MDbde/ M/ ! / L2FK In Unternehmen, in welchen sich Mitarbeiter auf der positiven Sinnspirale stetig nach oben bewegen und damit Sinn in ihrem Sein und Tun erfahren, können die Mitarbeiter nur glücklich und Unternehmen nur erfolgreich werden. Die Mitarbeiter werden in einer sinnstiftenden Kultur ihre Investition an Lebenszeit beibehalten, wenn nicht sogar erhöhen. Denn sie haben hier die Freiheiten und Gestaltungsspielräume, die sie benötigen, um Sinn zu finden. Mitarbeiter erhöhen dann kontinuierlich und eigenverantwortlich, ohne Druck und Anstrengung von außen, ihre Investition ins Unternehmen, um für sich selbst höheren Output zu generieren. Das bedeutet: Unternehmen, in welchen Mitarbeiter Sinn erfahren, können gar nicht schlechter werden. Sie befinden sich in einer spiralförmigen Aufwärtsbewegung, in welcher die Mitarbeiter konstant gleich viel Lebenszeit und Leistung investieren oder sogar kontinuierlich mehr investieren. Mitarbeiter können sich damit selbst aus ökonomischer Perspektive ihren sinnvollen Output errechnen, ihren Input dadurch regulieren. Sie han- <?page no="178"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [== 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" deln auf diese Weise als eigenverantwortliches Individuum in einem freien System, das Werte bestätigt und in welchem Vertrauen die Basis aller Beziehungen bietet. Hier finden Sinnkrieger nicht nur fruchtbaren Boden für ihr Bedürfnis und ihren Anspruch nach Freiheit, Vertrauen und Gestaltungsspielraum, sondern auch ein gemeinschaftliches Miteinander auf Augenhöhe in einer wertschätzenden Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung. Unternehmen, welche sich in der positiven Sinnspirale befinden und damit sinnstiftende Kultur etabliert haben, können in Zeiten des zunehmenden Wachstums der Zahl an Sinnkriegern am Arbeitsplatz nur erfolgreich werden. Das ist die wirklich gute Nachricht. <M`I1/ 2`I,.,-1/ ID`I1 +Db EMD-cJFIcJM- YM)I--MD Das ganze Konstrukt der positiven Sinnspirale verhält sich im Grunde wie eine einfache Zinsrechnung. Die wesentliche, ja unabdingbare Komponente in der spiralförmigen Aufwärtsbewegung ist dabei Vertrauen. Das Vorhandensein von Vertrauen in der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung ist die Variable, die über Auf oder Ab entscheidet. Wenn Vertrauen vorhanden ist, wird der Mitarbeiter seine Investition beibehalten oder sogar erhöhen, und zwar nicht nur, weil er sich dadurch einen kontinuierlich höheren Output verspricht. An dieser Stelle kommen nämlich zwei wichtige Aspekte ins Spiel. Zum einen ist es das Reziprozitätsprinzip, das besagt: Wenn wir etwas bekommen, fühlen wir uns automatisch dazu verpflichtet, auch etwas zurückzugeben. Das heißt, wenn wir durch den Arbeitgeber Sinn erfahren, sind wir auch bereit, wieder zu geben. Zum anderen spielt hier auch das menschliche Gewissen eine ganz wesentliche Rolle: Jeder von uns weiß, wie schmerzhaft es ist, Vertrauen zu verlieren. Jeder von uns ist daher bedacht darauf, funktionierende, auf Vertrauen basierende Beziehungen zu schützen. Wenn Ver- <?page no="179"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [=< trauen einmal zerstört ist, bröselt das ganze Konstrukt auseinander. Mitarbeiter hören auf zu investieren, und eine Talfahrt in den Untergang des Systems beginnt. QMKe,I*M ; IDD-1I/ eFM R <+,-cJdeJD ID- QIcJ,- So wie es Plus und Minus, Gut und Böse, Hässlich und Schön gibt, so gibt es auch zur positiven Sinnspirale ein Gegenstück: die negative Sinnspirale. Das bedeutet: Mitarbeiter befinden sich dann in der negativen Sinnspirale, wenn sie investieren und ihr Vertrauen in die sinnvolle Investition in ein Unternehmen enttäuscht wird oder schlichtweg fehlt. Mitarbeiter, die sich belogen und betrogen, ausgenutzt und vielleicht sogar verraten fühlen, erfahren keinen Wert und damit keinen Sinn. Sie minimieren schlussendlich irgendwann ihre Investition. Alles andere wäre aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht auch recht unvernünftig. Denn die Unternehmenswerte und die Werte der Mitarbeiter stehen teilnahmslos nebeneinander und finden im anderen System keine Bestätigung. Aber es sind nicht nur die Werte, die nicht bestätigt werden, sondern es fehlt auch das Vertrauen. Und fehlendes Vertrauen frisst sich wie ein Virus durch die Belegschaft: Mitarbeiter identifizieren sich nicht mit dem Unternehmen und umgekehrt. Es kommt zur Sinnverschiebung. ; @'IKGMI,MD]"+E1IDK]N/ MI-M Ich arbeitete eine Zeit lang in einem auf den ersten Blick sehr familiären Unternehmen. Man duzte sich bis nach oben zum Vorstand, es gab eine riesige Kaffeelounge mit braunen Ledermöbeln, und im Sommer grillte man gemeinsam auf der sonnigen Dachterrasse. In der großen Kaffeeküche, ausgestattet mit Kickertischen, gemütlichen Sitzbänken und einer kommunikativen Esstheke mit Barhockern, gab es ein zwei Meter langes Regal an der Wand, das nur mit Süßigkeiten be- <?page no="180"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [=; 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" füllt war. Dort fanden Naschkatzen alles, was das Herz begehrt und das zu Einkaufspreisen aus dem Großmarkt. So kostete ein großer Schokoriegel gerade einmal 20 Cent. Eigenverantwortlich konnte man diese Cent-Beträge dann direkt in ein Schüsselchen neben dem Regal werfen oder sich in einer Liste am Kühlschrank eintragen und am Monatsende seine Schulden begleichen. Es kam, wie es kommen musste: Bald stimmten die Bargeld-Beträge aus dem Schüsselchen und die Striche auf der Kühlschrank-Liste immer weniger mit den tatsächlich verzehrten Süßigkeiten überein. Auf gut Deutsch: Es wurde mehr konsumiert als bezahlt. Die ersten Monate schrieb die Geschäftsführung noch nette Mails mit dem Hinweis, wenn jemand vergessen haben sollte, seinen Strich zu machen, dann möge er das doch auch gerne anonym nachholen. Aber nachdem keine Besserung eintrat und sogar noch mehr Striche fehlten, wurde der Ton der Mails rauer, und aus einem „versehentlich vergessen“ wurde „Diebstahl“. Die Konsequenz war: Diese auf Vertrauen basierende Institution der günstigen Süßigkeiten wurde abgeschafft. Ein Stück Freiheit und ein großes Stück Vertrauen wurden den Mitarbeitern entzogen. Zwischenzeitlich wurde nun ein sperriger Automat in der Küche aufgestellt - mit horrenden Preisen. Und die Mitarbeiter schimpften auf den fiesen Arbeitgeber, weil er ihnen das Schlaraffenland der Dumping-Süßigkeiten-Preise genommen hatte. In einer Kultur der Sinnverschieber, des Misstrauens und der negativen Sinnspirale wirtschaftet jeder nur für seinen eigenen Erfolg: Die Mitarbeiter nutzen dann bei der kleinsten sich bietenden Gelegenheit das Unternehmen aus, und Arbeitgeber wiederum etablieren Überwachungssysteme, die das Misstrauen schüren. Mit der einen Verhaltensweise wird jeweils die Verhaltensweise des anderen legitimiert. Und das ist das Fatale daran, denn wir befinden uns damit in einem sich <?page no="181"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [<\ gegenseitig bedingenden Konstrukt, einem Kreislauf, aus dem wir nur schwer aussteigen können, einer sich nach unten drehenden Spirale, der negativen Sinnspirale. In Unternehmen mit negativer Sinnspirale sitzen wir auf einer Rutschbahn ins Nichts, in ein tristes Dasein beider Systeme - Arbeitgeber und Arbeitnehmer -, die nur auf das erlösende Ende dieser sinnlosen Beziehung warten. Sinn ist damit nicht nur wichtig für den Mitarbeiter. Nein, Sinn ist auch wichtig für den Arbeitgeber: Denn Sinn, den Mitarbeiter erfahren, ist der Erfolgsfaktor Nummer eins in langfristig erfolgreichen Unternehmen. Q2,)MDbIKM 9/ -ecJMDeDeFa-M Kann es gelingen, aus der Rutschbahn ins Nichts auszusteigen, das Blatt zu wenden und die Unternehmenskultur zur positiven Sinnspirale hinzuwenden? Dafür müssen Sie Ursachenanalyse betreiben. Die Antworten können sein: 1. Das Vertrauen der Mitarbeiter in das Unternehmen und darin, dass die eigene Investition gewinnbringend ist, fehlt - sei es durch Kommunikation falscher (Wunsch-)Werte oder durch fehlende Vorgabe von Werten. Oder, und dies führt uns zu 2.: Mitarbeiter und Unternehmen haben gänzlich unterschiedliche Werte, die sich nicht im anderen System bestätigen. Mitarbeiter erhalten keine sinnvolle Ausschüttung und reduzieren in der Folge ihre Investition auf ein Minimum, minimieren ihre Investition also so weit, dass ihre Daseinsberechtigung im Unternehmen bestehen bleibt und sie sich dabei nichts zuschulden kommen lassen, was eine Entlassung legitimieren würde. Automatisch werden diese Mitarbeiter auf anderem Wege versuchen, Wert zu erhalten und Sinn zu finden, etwa beispielsweise unnötige Überstunden aufbauen, Reisekostenabrechnungen fälschen, Büromaterial klauen oder Intrigen spinnen. Sinn wird dann nicht mehr in der eigentlichen Arbeitstätigkeit erfahren, sondern auf Nebenkriegsschauplät- <?page no="182"?> #M1ghfJ+*DK *De N.1gFME,+MFF*DK [<[ 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" zen, welche das Unternehmen letztlich viel Energie und Geld kosten und einen großen Kontrollapparat für die Sinnverschieber zur Folge haben. 6MKMD ; IDD*M/ -cJIMd+DK `+E ; cJMI,M/ D *M/ +/ ,MIF, Unternehmen, die nicht den nötigen Raum für Sinn bieten, die ihre Mitarbeiter mit Sinnlosigkeiten quälen und gleichzeitig langweilen, die sich also in der negativen Sinnspirale befinden, sind zum Scheitern verurteilt. Wenn nämlich ein Mitarbeiter in der Dynamik der negativen Sinnspirale eingestiegen ist, Sinnverschiebungen stattfinden und das einzige Ziel heißt, das Unternehmen auszunutzen und zu schröpfen, bleibt überhaupt keine Zeit für konstruktive Arbeit: für die Arbeit, für die der Mitarbeiter eigentlich bezahlt wird und die er gemäß seinem Arbeitsvertrag zu erfüllen hat. Unzählige Mitarbeiter konnte ich dabei beobachten, wie sie sich jenseits ihrer eigentlichen Aufgabe den Tag über in den unterschiedlichsten Facetten beschäftigt haben: Kicker spielen, Kaffee trinken, Intrigen spinnen, chatten, Zeit und Fliegen totschlagen, Krieg gegen die Nachbarabteilung führen - man tat alles außer dem, wofür man eigentlich bezahlt wurde. Wenn ein Unternehmen hier nicht eingreift, rutscht es „dank“ der frustrierten Sinnverschieber sehenden Auges und kontinuierlich ins Minus - mit den gesamten Unternehmensergebnissen und damit auch finanziell. Das Aus ist besiegelt, der Zeitpunkt bleibt fraglich. $M/ +L-e+,2Ee,MD +Db : e-cJMDb+/ cJ-+cJM/ Nicht umsonst ist in vielen Unternehmen das Thema Compliance relevant. Mitarbeiter werden so beispielsweise zu internen Taschendurchsuchern in der Produktion, um Diebstähle zu minimieren, oder vielleicht auch zu „Berufsautomaten“, die keine andere (anspruchsvollere) Aufgabe erhalten als etwa die <?page no="183"?> [<Z Xd01+JM,M Überwachung der Zeiterfassung. Die Vielzahl der Positionen, welche nur aus einer Kultur des Misstrauens entstanden sind, scheint unendlich. Im Grunde sind dies alles sinnlose Positionen und Tätigkeiten, die gestrichen werden könnten, wenn Vertrauen etabliert wäre. Ich behaupte, wenn jeder Mitarbeiter Sinn in seinem Tun und Sein im Unternehmen finden würde, bräuchte man keine Compliance-Abteilungen. Die Nebenkriegsschauplätze würden fast gänzlich entfallen. Das System würde sich selbst regulieren. Das bedeutet für Arbeitgeber: Wenn Mitarbeiter ein Unternehmen ausnutzen, dann kann es nur bedeuten, dass keine Vertrauenskultur etabliert ist und/ oder es keine Bestätigung der Werte beider Parteien im anderen gibt. Denn in einer natürlichen, einer gesunden Symbiose schaden sich die beiden Systeme nicht, da sie sich gegenseitig fürs Überleben brauchen. Das Krokodil würde niemals das Vögelchen fressen. 7M/ ,/ e+MD-G+F,+/ +Db 6M/ ,MdM)+--,JMI, R %+-d/ +cJ e+bM/ DMKe,I*MD ; IDD-1I/ eFM QM+M 6MKM KMJMD Nur Unternehmen, in denen Mitarbeiter Raum für Sinn haben, können erfolgreich werden. Unternehmen voller Sinnlosigkeiten dagegen werden in einer Welt der Sinnkrieger früher oder später untergehen. Doch wie kommt man zu einer sinnstiftenden Unternehmenskultur? Was können Arbeitgeber und Arbeitnehmer tun, um mehr Sinn im Arbeitsalltag zu finden und damit in die positive Sinnspirale zu unaufhaltsamem Erfolg einzusteigen? Auf dem Weg zu einer sinnstiftenden Kultur gilt es dreierlei zu beachten: 1. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich der Dynamik der Sinnspirale bewusst sein. 2. Es muss <?page no="184"?> [<B Xd01+JM,M 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" auf beiden Seiten die Bereitschaft vorhanden sein, den Kreislauf der negativen Sinnspirale zu durchbrechen. 3. Vertrauen muss als Grundlage für Sinnerfahrung erkannt und damit in die Kulturentwicklung integriert werden. Ohne Vertrauen gibt es keinen Sinn! "MD M/ -,MD ; cJ/ I" )eKMD Bei der Etablierung von Vertrauen kann das Reziprozitätsprinzip hilfreich sein und demjenigen Sicherheit geben, welcher es als Erster wagt, Vertrauen zu schenken: Indem der Arbeitgeber gibt, also Vertrauen schenkt, hat der Mitarbeiter automatisch das Gefühl, etwas zurückgeben zu müssen. Wenn der Mitarbeiter etwas bekommt, fällt es ihm schwerer, den Arbeitgeber weiter zu schröpfen, weiter von diesem nur zu nehmen. (Natürlich gibt es immer diese Spezies, die das Unternehmen weiter und ohne Gewissensbisse schädigt.) Eine menschliche Verpflichtung des Gebens tritt in den Vordergrund, und zwar in Form von Vertrauen, folglich Leistung, woraufhin das Unternehmen wiederum das entgegengebrachte Vertrauen und die erbrachte Leistung belohnt. Die positive Ausschüttung, die Belohnung motiviert den Mitarbeiter, wiederum etwas zurückzugeben - in Form von Vertrauen und Leistung. Wir können so zurück in die Dynamik der positiven Sinnspirale gelangen. Und wie bereits auf Stufe 3 der Sinnfindung erläutert braucht Vertrauen vor allem eines: Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Transparenz. Das sind die Platzhalter für Sinn. Sie helfen uns, die Zeit der Kulturentwicklung zu überstehen, also nicht den Glauben und den Mut zu verlieren, an den Werten festzuhalten und darauf zu vertrauen, dass ein Miteinander zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglich, ja sogar unabdingbar ist für ein sinnerfülltes Arbeitsleben. Weg vom Gegeneinander, hin zum Miteinander sollte das Motto lauten. <?page no="185"?> [<A Xd01+JM,M 6M/ ,MdM)+--,JMI, In einem weiteren parallelen Schritt in der Vertrauensentwicklung geht es um die Bewusstheit der eigenen Werte und deren Kommunikation. Die Werte sind ein Versprechen dafür, dass Vertrauen sich lohnt und eine sinnvolle Ausschüttung generiert wird. Denn nur so haben beide Parteien einen Fixstern, auf den hin die gemeinsame Abenteuerreise „Arbeit“ ausgerichtet werden kann. Der Mitarbeiter muss stets die Möglichkeit haben, die Unternehmenswerte mit seinen eigenen Werten abzugleichen, um dann feststellen zu können, ob es eine Schnittmenge der Werte gibt und/ oder ob die eigenen Werte im System bestätigt werden. Schlussendlich ist es wichtig, die Gewissheit zu haben, dass man am richtigen Platz ist, dass Sein und Tun in diesem Unternehmen Sinn machen. Nur so kann der Mitarbeiter für sich klären, ob sich seine Investition rechnet und sinnvoll ist. Und wenn dem so ist, wird er auch langfristig ein wertvoller Bestandteil des unternehmerischen Systems sein. U2EE+DIGe,I2D bM/ 6M/ ,M Mitarbeiter und besonders Unternehmen müssen so ehrlich sein und die wahren Werte kommunizieren. Das Frustrationspotenzial ist gerade für einen neuen Mitarbeiter besonders hoch, wenn er zu dem Schluss kommen muss, dass die ihm vom Unternehmen versprochenen Werte nur bunte Seifenblasen waren - wahrlich ein Motivationskiller. Ein Mitarbeiter mit hoher Leistungsorientierung beispielsweise wäre besonders irritiert, wenn er plötzlich bemerkt, dass die für ihn wichtigen Werte Leistung und Zuverlässigkeit überhaupt keine Werte des Unternehmens sind. Denn wenn stattdessen die Werte des Unternehmens Miteinander, strategisches Denken bis hin zur Ellbogen-Mentalität heißen, können sich diese Werte alles andere als mit dem <?page no="186"?> [<? Xd01+JM,M 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" Wertepool des Mitarbeiters decken. Der Mitarbeiter fühlt sich in einem solchen Fall betrogen, ausgenutzt, und sein Vertrauen ist enttäuscht. Die Werte des Unternehmens entsprechen im Beispiel nicht den Werten des Mitarbeiters, finden keine Bestätigung. Was auch möglich ist: Der Mitarbeiter kennt und erfährt die Werte des Unternehmens gar nicht, muss dann mit mehreren unbekannten Variablen rechnen: dem Wert des Unternehmens x und dem Zins y, den er nach erfolgreicher Investition erhält. So oder so wird der Mitarbeiter seine Investition verringern und steigt spätestens dann in den Kreislauf der negativen Sinnspirale ein. "ME eDbM/ MD bMD hMIDb DMJEMD Ich möchte Arbeitgeber und Arbeitnehmer ermutigen, den ersten Schritt zu gehen in eine Kultur des Vertrauens - weg von einer Kultur des täglichen Krieges zwischen Mitarbeitern und Arbeitgebern. Ich möchte beide Seiten motivieren, einen Vorschuss an Vertrauen zu geben für eine Zukunft in Richtung Sinn. Michail Gorbatschow hat 1987 am Ende des kalten Krieges einem amerikanischen Diplomaten gegenüberüber formuliert: „Wir tun euch gerade das Schlimmste an, was man seinem Gegner antun kann. Wir nehmen euch euren Feind.“ 16 Aber erst dann ist ein Miteinander möglich. Einer muss den ersten Schritt tun und aus dem Rollenkonstrukt „Täter und Opfer“ aussteigen, einer muss als Erster dem alltäglichen Gegeneinander eine Absage erteilen und eine neue Rolle annehmen, die ein Miteinander und gemeinsame Sinnstiftung zulässt. <?page no="187"?> [<> $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK XMFbMD_ %LLMD +Db $+/ D2+, R 6e- EeD @dM/ U+F,+/ )I--MD E+-- "M/ $MK/ ILL fU+F,+/ O Um eine sinnstiftende und vertrauensvolle Kultur in Unternehmen zu etablieren, eine Kultur also, in der jeder Sinn findet und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer erfolgreich sein können, bedarf es des Bewusstseins, wie schwer es ist, Kultur zu ändern, entstehen und wachsen zu lassen. Daher ist es unabdingbar, sich einmal Gedanken darüber zu machen, sich Klarheit darüber zu verschaffen, was Kultur überhaupt ist. Kultur ist letztlich das, was ein System ausmacht und dieses System beschreibt. Ich möchte Sie hier nicht mit Definitionen von Kultur langweilen oder allzu sehr ausführen, was Kultur und die Entwicklung von Kultur in Unternehmen bedeutet. Vielmehr geht es mir darum, das Bewusstsein für wichtige Eckpunkte der Kulturentwicklung zu schärfen. [\ U+F,+/ I-, G2D,M(,edJ.DKIK Kultur ist kontextabhängig, d. h. Bedeutung und Inhalte verstehen in der Regel nur die Mitglieder einer Kultur. Es braucht die Innenperspektive einer Gruppe und die Zughörigkeit, um Regeln verstehen und nach diesen leben zu können. Das Kontextabhängige von Kultur ist mir bei einem Salzburg-Besuch besonders eindrücklich vor Augen geführt worden: Ein meterhohes Kruzifix mit einer leidenden, gegeißelten Christusfigur stand direkt vor einem Beauty-Salon. Die religiöse Darstellung des leidenden Christus wäre mir wahrscheinlich nicht aufgefallen - denn sie ist ja normal und nicht irritierend in unser Kultur. Augenfällig wurde sie dadurch, dass ein fremder Kontext wie beispielsweise der Beauty-Salon hinzugefügt war. Die Darstellung der Jesusfigur am Kreuz gehört zu unserer Kultur, egal ob wir religiös sind oder nicht. <?page no="188"?> [<= $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" Wir kennen dieses Bild und kennen seinen symbolischen Wert. Irritierend wird es erst dann, wenn das eigentliche Symbol aus dem kulturellen Kontext herausgelöst und wieder in eine objektive Realität zurückversetzt wird. Das kann dadurch geschehen, dass ein anderer Bezugsrahmen gegeben wird so wie durch das Schild des Beauty-Salons. Das eigentliche Grauen, das Leiden, das ein Kruzifix ausstrahlt, sehen wir dann wieder. Ein Mitglied eines fremden Kulturkreises hätte womöglich eine ganz andere Sicht: Ihm würde die Darstellung vom leidenden Christus in jedem Fall auffallen, ob mit oder ohne Beauty-Salon. Übertragen auf den Unternehmenskontext bedeutet dies: Unternehmen auf dem Weg zu einer sinnstiftenden Kultur muss es gelingen, den Kontext stets bewusst zu machen, zu schärfen und damit Sinn als eine Selbstverständlichkeit und Sinnlosigkeiten als irritierendes Element der Kultur zu etablieren. Z\ U+F,+/ Je, <MKMFD_ bIM HMbM/ GMDD, Kultur bedarf keiner Erklärungen. Alle Mitglieder einer Kultur kennen die Regeln, Normen und Werte und verhalten sich danach. In Kulturen tut man oft Dinge, von denen keiner weiß, warum. Kultur hat eigene Regeln, Rituale und vor allem Raum im alltäglichen Leben. Kultur braucht Werte, welche nicht hinterfragt werden, sondern einfach da sind. Wie Kultur und deren Regeln entstehen, veranschaulicht folgendes Experiment mit Schimpansen sehr schön: Man sperrte fünf Schimpansen zusammen in ein Gehege. In dieses Gehege hängte man von der Decke herab eine Banane. Darunter stellte man eine Leiter, die so positioniert war, dass man die Banane leicht von der obersten Stufe der Leiter hätte erreichen und sich schnappen können. Es dauerte nicht lange, und der erste Schimpanse machte sich auf zur Leiter, um sich <?page no="189"?> [<< $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK die Banane zu holen. Als er auf die erste Stufe der Leiter stieg, bespritzte das Versuchsteam das Tier mit einem Wasserschlauch, sodass der wagemutige Schimpanse schnell das Interesse an der Banane verlor. Und so ging man mit jedem Tier vor, das die Banane über die Leiter erreichen wollte. Nach kurzer Zeit startete keiner der Schimpansen mehr den Versuch, die Banane zu ergattern. Die fünf Schimpansen saßen gemeinsam mit einer Banane im Käfig, ohne die Leckerei nur eines Blickes zu würdigen. Das ist bereits Etablierung von Kultur. Ein Motiv, das im Grunde sehr stark ist, wird aufgrund sinnloser oder nicht mehr sinnvoller Regeln ausgeschaltet. Und plötzlich tut man Dinge, die man von Natur aus, aufgrund eigener Motive, Werte sonst nicht tun würde. Wir haben Regeln gelernt und akzeptieren sie, auch wenn sie wider unseren Anspruch, wider unsere Werte und damit sinnlos für uns sind. Das Experiment ging aber noch weiter. Nachdem die fünf Schimpansen nun die neue Regel gelernt hatten, die Leiter zur Banane nicht zu erklimmen, fing man an, die Schimpansen nach und nach auszutauschen. Einer der Schimpansen wurde aus dem Käfig genommen und durch einen neuen, „unwissenden“ ersetzt. Diesmal wurden die Affen, die die Leiter hinaufsteigen wollten, nicht mit Wasser bespritzt. Man wollte sehen, wie sich die Gruppe selbst mit der neuen Regel organisieren würde. Der Neue rannte zur Leiter und wollte diese erklimmen, um sich die Banane am oberen Ende zu schnappen. Doch so weit kam er gar nicht, denn die anderen Affen, welche bereits nass gespritzt worden waren und damit das Regelsystem kannten, hielten ihn mit großem Gekreische davon ab, gingen auf ihn los und wurden sogar handgreiflich. Dem neuen Affen war nicht klar, wie ihm geschah: Jedes Mal, wenn er sich auf den Weg zur Leiter machte, wurde er von den Mitinsassen zurückgehalten. Irgendwann akzeptierte er <?page no="190"?> [<; $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" die Regel, ohne auch nur ein Mal nassgespritzt worden zu sein, aber mit einigen Blessuren. So erging es den vier anderen neuen Schimpansen auch, die nacheinander die Ursprungsriege ersetzten. Zum Schluss saßen fünf ganz andere Schimpansen als am Anfang in einem Gehege mit einer Leiter, an deren oberem Ende eine Banane befestigt war, und keiner dieser Schimpansen machte sich auf den Weg, die Leiter zu erklimmen und die Banane genüsslich zu verspeisen. Keiner dieser Schimpansen wusste, warum man die Leiter nicht erklimmen durfte, keiner hatte jemals nur einen Tropfen Wasser abbekommen. Doch jeder akzeptierte die sinnlose Regel, ohne eine Antwort auf ein Warum zu erhalten. Wir kennen dies, wenn wir neu in ein Unternehmen kommen und dann für uns sinnlose Prozesse, Regeln, Policies kennenlernen. Am Anfang sträubt man sich noch gegen diese häufig offensichtlichen Sinnlosigkeiten, holt sich seine Pflichtohrfeige ab. Doch schon nach einem halben Jahr hat man sich angepasst. Man spielt das Spiel mit, auch wenn es noch so sinnlos erscheint - man ist nun Teil der Kultur. Dabei wären gerade neue Mitarbeiter wertvoll für ein Unternehmen, um Prozesse zu optimieren und eine sinnstiftende Kultur zu festigen. Der unverbrauchte Blick der Neuen müsste viel mehr genutzt und ernst genommen werden, damit bestehende Sinnlosigkeiten gnadenlos identifiziert werden können. Stattdessen werden neue Mitarbeiter oft gezwungen, sich schnellstmöglich anzupassen. Warum? Na, weil man das eben schon immer so gemacht hat. 17 B\ U+F,+/ d/ e+cJ, SMID+DK-L@J/ M/ +Db 72/ dIFbM/ In einer Kultur finden wir für alle Mitglieder erstrebenswerte Werte vor, die keines der Mitglieder anzweifelt. Denn sobald diese angezweifelt werden, ist der Zweifler nicht (mehr) Teil der Kultur. Diese erstrebenswerten Werte sind daher sozial <?page no="191"?> [; \ $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK anerkannte Werte. Sie werden von vielen geteilt und bringen diesen Nutzen. Denken Sie einmal an Superhelden wie Batman, an Aragon aus „Der Herr der Ringe“ oder an James Bond - all diese Storys funktionieren nach demselben Prinzip: Ein Held, der die personifizierte Form der Werte einer Gesellschaft ist und für diese kämpft, vertreibt das Böse, was der Gesellschaft einen hohen Nutzen und gleichzeitig kaum Schaden bringt. Ich behaupte, von diesen Helden können gerade die Führungsmannschaften einer sinnstiftenden Unternehmenskultur viel lernen. Helden definieren sich ganz einfach: Sie zeichnen sich nicht nur durch die Personifizierung von Werten einer möglichst großen Menschenmenge aus; was Helden zu Helden macht, ist auch ihre Wertetreue. Die Werte sind transparent, damit in einem Personenkreis bekannt, und der Held zeichnet sich dadurch aus, diesen Werten stets treu zu sein. Das schafft Verlässlichkeit, und diese Verlässlichkeit wiederum schafft Vertrauen in einem System. Wenn Manager es schaffen, Werte nicht nur zu leben, sondern diese Werte bedingungslos und vor allem auch treu zu leben, dann werden sie als verlässlich wahrgenommen. Das ist die Voraussetzung, um das Vertrauen der Mitarbeiter zu gewinnen. Und Vertrauen ist nun mal der wichtigste Faktor in einer sinnstiftenden Kultur. Unternehmen brauchen wieder Helden, die Vertreter der wahren Werte sind und als Multiplikatoren dieser Werte agieren, Helden, die Werte verlässlich und ehrlich leben und damit eine Kultur des Vertrauens schaffen. Eine Kultur in der Mitarbeiter bereit sind, für die Erfüllung der eigenen Werte zu investieren, Sinn in ihrem Sein und Tun zu finden und damit den Unternehmenserfolg zu steigern. <?page no="192"?> [; [ $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" A\ U+F,+/ I-, 2EDI1/ .-MD,_ b+/ cJb/ IDK, eFFM- Kultur ist allumfassend, omnipräsent, alles und irgendwie auch nichts, schwer greifbar. Ist Kultur erst einmal etabliert - und jedes System hat irgendeine, egal wie bewertete Kultur -, dann ist diese stark, stärker als man sich das unter diesem trockenen Begriff vorstellen kann. Kultur durchdringt alles: Personen, Prozesse, Ergebnisse, Beziehungen, Kommunikation usw. Wie stark Kultur wirken kann, habe ich einmal in einem vordergründig harmoniesüchtigen Unternehmen erlebt. Oberflächlich gesehen zeigte sich ein nettes Miteinander, ein Miteinander, das geprägt war von Konfliktscheue. Konflikten wurde aus dem Weg gegangen, Konflikte wurden unter den Teppich gekehrt. Doch man hätte es nicht wagen dürfen, einmal unter diesen Teppich zu sehen, um zu erkennen, was sich dort über die Jahre angestaut hatte. Unterschwelliger Druck, Machtkämpfe, Gegeneinander, Intrigen waren Charakterzüge, die dieses nach Blümchen duftende Unternehmen mit lustigen und stets gut gelaunten kleinen „Lemmingen“ definierte. Burnout war keine Seltenheit, und auch das passte zusammen mit dem restlichen Kehrricht an Konflikten unter den Teppich. Es war ein gigantischer Teppich. Das größte Kulturmerkmal war aus heutiger Sicht wohl „Gefälligkeit“. Ziel eines jeden war es, gefallen zu wollen. Und das kann in einer Kultur schwierig werden, in welcher Offenheit ein Fremdwort ist. Klar hatte man auch Werte, die in großen Lettern und mit imposanten Bildern traurig an den Wänden klebten. Aber gelebt wurden diese nicht, sie waren nicht einmal bekannt, sie wurden ignoriert. Stattdessen herrschte unter der Oberfläche ein heilloses „Gemetzel“, gab es Kriege, die still ausgetragen wurden, dafür aber umso „tödlicher“ ausgingen. Und was kann man schon dagegen tun, wenn es doch eigentlich keine Anhaltspunkte für Missstände gibt? Letztendlich hat diese Kultur viele Menschen krank gemacht, ohne dass die Mitarbeiter es <?page no="193"?> [; Z $.K*EMD+h+I1D *De #MK.@De*DK merkten. Dabei war die schleichende Vergiftung infolge des Drucks auf allen Hierarchieebenen präsent und betraf Manager gleichermaßen wie den Hausmeister, der wegen Burnouts für ein Jahr ausfiel, oder die Fachkraft für das Meeting-Catering, die eine Psychotherapie machen musste. Das ist leider kein schlechter Witz, sondern die traurige Wahrheit und ein Beispiel dafür, wie stark, wie zermürbend Kultur in einem Unternehmen sein kann. Vor allem zeigt das Beispiel: Kultur ist allumfassend und betrifft jeden von uns. ? \ U+F,+/ d/ e+cJ, 5MI, Werte und Sinn in Unternehmen zu etablieren, bedeutet eine Kultur von Vertrauen aufzubauen. Und wir wissen alle, dass das nicht von heute auf morgen geht. Kulturentwicklung, egal ob sinnstiftend oder unsinnig, braucht vor allem eines: Zeit. Ich behaupte sogar, dass dies die wichtigste Erkenntnis bei der Etablierung einer Kultur ist: Kulturentwicklung benötigt Zeit - wir müssen geduldig sein und den Entwicklungsprozess hegen wie ein zartes Pflänzchen, das vom Samenkorn zum starken Baum heranwachsen soll. Und Vertrauen, das unabdingbar für die Sinnfindung ist, braucht noch mehr Zeit. Jeder, dessen Vertrauen bereits einmal missbraucht wurde, weiß, wie lange es dauert und wie viel Sicherheit es braucht, neues Vertrauen aufzubauen. Jedem Misstrauen gehen Enttäuschungen voraus. Wir wurden getäuscht, das bedeutet belogen, betrogen oder verraten. Wir benötigen erst wieder einen Beweis, eine positive Erfahrung, dass Vertrauen sich lohnen kann. Dass uns nichts genommen wird, sondern dass wir etwas bekommen. Wir müssen demnach die sechs Stufen des Sinns erst durchlaufen, um in unserem Vertrauen gefestigt zu werden. Jedoch braucht jede Investition Vertrauen. Ohne Vertrauen werden wir nicht investieren. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz. <?page no="194"?> [; B 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" fg -MFd-, ; ,M/ DM GDeFFMD EeDcJEeF e+LMIDeDbM/ O R XM/ e+-L2/ bM/ +DKMD -IDDeEdI,I2DIM/ ,M/ 9D,M/ DMJEMD U+F,+/ I-, baDeEI-cJ Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die sich entschlossen haben, den Weg zu mehr Sinn im Arbeitsalltag zu gehen, stehen neben der Herausforderung einer komplexen Kulturentwicklung, auch vor den Herausforderungen einer modernen, sich wandelnden Welt. Es ist wichtig, sich auf diese Herausforderungen vorzubereiten, diese ernst zu nehmen und neue Herausforderungen stets gewinnbringend, auch mit Freude und damit sinnstiftend in die Unternehmenskultur zu integrieren. Kultur ist nichts Statisches, sondern etwas sich stets Wandelndes - und das ist ja auch das Schöne daran. Einige Herausforderungen, die Sinn an Unternehmen stellt und die bei Weitem keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sollten nicht unerwähnt bleiben. Denn es geht in erster Linie um die Wertevielfalt, um die sinnstiftende Integration einer Vielzahl von Werten und darum, warum es für größere Unternehmen sehr viel schwieriger ist, Sinn in der Arbeit zu stiften als für Unternehmen mit einer eher recht übersichtlichen Mitarbeiteranzahl. 6M/ ,M*IMFLeF, Bereits beim Kennenlernen der sechs Stufen der Sinnfindung haben wir erfahren, dass wir Menschen es heute durch Globalisierung, Toleranz unterschiedlicher Glaubensrichtungen, Öffnung von Landesgrenzen und vielem mehr mit einer Vielzahl an nebeneinander existierenden Werten zu tun haben. Neben der Schwierigkeit für jeden Mitarbeiter, stets eine Schnittmenge zwischen den eigenen Werten und den Unternehmenswerten zu generieren, steht die Tatsache, dass meh- <?page no="195"?> [; A 8I,IGMD *De YMLhJ.MD rere Wertesysteme nebeneinander existieren (müssen), die sich gegenseitig womöglich ausschließen. An der Oberfläche wird dieses Problem in einigen Unternehmen durch den Bereich Diversity Management abgedeckt, jedoch aus meiner Sicht dabei selten in der Tiefe erfasst. Man bleibt vielmehr bei den sichtbaren Unterschieden wie Geschlecht, Rasse, Sexualität. Die Werte und das, was Menschen wichtig und oftmals nicht „sichtbar“ ist, bleiben vom Diversity Management unberührt. Ein recht einfaches Beispiel dazu: Vielleicht haben zwei Kollegen den Wert „Ergebnisorientierung“ gemeinsam, teilen diesen auch mit dem Unternehmen. Doch der eine ist - und jetzt mal ganz banal gesprochen - eingefleischter FC- Bayern-Fan, der andere ein treuer 1860er-Fan: beides Münchner-Vereine, beides Fußball-Vereine, aber mit ganz anderen Prinzipien. Es mag dadurch in der Folge vielleicht eine Grund-Antipathie zwischen den beiden Kollegen vorherrschen, was gegebenenfalls Arbeitsabläufe, Prozesse, Kommunikation u. Ä. der beiden stören könnte. Es kann aber auch konstruktiv wirken, weil beide über das Thema Fußball in Kontakt kommen und so die Kommunikation zwischen beiden gefördert wird. : / .KM <IM-MD -,2F1M/ D -cJDMFFM/ Mir geht es darum zu zeigen, dass wir Menschen so vielen unterschiedlichen Wertesystemen angehören, zumal in der Welt von heute - sei es nun kulturell, religiös, beruflich, familiär, interessenbedingt, freiwillig oder obligatorisch. Jeder von uns hat einen absolut individuellen, eigenen Wertekanon, der keinem anderen gleicht, über den wir nur als Individuum Sinn finden können. Augenscheinlich ist: Je größer die Mitarbeiteranzahl eines Unternehmens ist, desto schwieriger wird es, einen gemeinsamen Nenner zwischen Unternehmenswerten und Mitarbeiterwerten zu finden, weil sich der direkte <?page no="196"?> [; ? 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" Kontakt und die permanente Anpassung aufgrund des hohen Volumens herausfordernd gestalten. Und gleichzeitig: Je höher die Mitarbeiteranzahl in einem Unternehmen ausfällt, desto mehr Werte müssen nebeneinander bestehen, welche sich möglicherweise gegenseitig ausschließen. Große Unternehmen haben es damit schwerer, für alle Mitarbeiter gleichermaßen Sinn im Tun und Sein zu stiften, was zu tun hat mit der nahezu unüberschaubaren Anzahl von individuellen Wertesystemen, die im Idealfall eine möglichst große Schnittmenge mit den Werten des Unternehmens aufweisen. Je mehr Mitarbeiter ein Arbeitgeber beschäftigt, desto mehr Werte existieren, stehen damit nebeneinander innerhalb des Unternehmens. Die Schnittmengen zwischen Unternehmenswerten und individuellen Werten der Mitarbeiter gestalten sich schwieriger. Es ist wesentlich einfacher, als Geschäftsführer von zehn Mitarbeitern ein Augenmerk auf die Personalauswahl zu legen und bewusst zu entscheiden, ob ein Bewerber zu den Werten des Unternehmens passt, als dies bei 10 000 Mitarbeitern möglich wäre. Und sollten sich Werte ändern - sei es auf Unternehmens-, sei es auf Mitarbeiterseite -, so kann in kleinen Unternehmen schneller reagiert werden, um zu klären: Passen unsere Werte noch zueinander? Haben wir noch gemeinsame Schnittmengen? Wenn ja: Welches wären die konkreten strategischen nächsten Schritte? Wenn nein: Macht eine weitere Zusammenarbeit auf beiden Seiten Sinn? 7M/ ,/ e+MD-de-I- Alle Unternehmen, vor allem diejenigen mit steigender Mitarbeiterzahl, sehen sich mit der Herausforderung des flächendeckenden und bereichsübergreifenden Vertrauens konfrontiert. Je mehr Mitarbeiter in einem Unternehmen tätig sind, desto schwieriger wird es sein, Kontakt zu jedem Einzelnen zu halten, Vertrauen aufzubauen und zu festigen. Wem vertrauen <?page no="197"?> [; > 8I,IGMD *De YMLhJ.MD wir am meisten? Klar, den Menschen, die wir kennen. Den Menschen, denen wir in die Augen blicken. Das geschieht bereits in den ersten Sekunden eines jeden Neugeborenen: Es sucht Blickkontakt zur Mutter, stellt dadurch Bindung und Ur- Vertrauen her. Wir leiten in unserem Kulturkreis aus diesem direkten Blickkontakt Integrität, Ehrlichkeit und Glaubhaftigkeit ab, was wiederum Platzhalter für Sinnfindung ist. Je größer jedoch ein Unternehmen wird, desto weniger werden Sie den Repräsentanten der Werte, der Geschäftsführung unmittelbar in die Augen blicken können. Sie werden einfach keine Gelegenheit dazu haben. Die Chefetagen sind oft streng bewacht, und Vorstände sieht man einmal im Jahr bei Investoren-Konferenzen. Bei Unternehmen mit wenig greifbarer Unternehmensführung ist auffällig, dass diese dann vielmehr über Produkte und Dienstleistungen erfolgreich sind. Mitarbeiter erfahren Sinn, wenn die Produkte und Dienstleistungen auf der eigenen Werteskala sehr weit oben stehen. Das macht Werte dann sicht- und greifbar - denken wir nur an Automobilhersteller, Technologie- und Mode-Unternehmen oder Fluggesellschaften. Bei Großkonzernen kennen die meisten Mitarbeiter den CEO nur aus dem Fernsehen oder der Mitarbeiterzeitschrift. Einer abstrakten Person werden wir in der Regel weniger Glauben und Vertrauen schenken, dass es sich lohnt, die eigene Zeit und das eigene Herzblut ins Unternehmen zu investieren. Genauso gut könnten bekannte Werbeträger zu uns sprechen und uns um ihr Vertrauen bitten. Obwohl: Im Falle eines Telekommunikationsunternehmens hat diese Strategie ganz gut funktioniert, denn die Kunden hatten ihren ganzen Frust über mangelhaften Service, der in aufwändigen Fernsehwerbungen versprochen wurde, an dieser armen Werbefigur ausgelassen, ihm Mails geschrieben - weil Versprechen des Unternehmens als nicht eingelöst betrachtet wurden. <?page no="198"?> [; = 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" h@J/ +DK eF- S+F,I1FIGe,2/ L@/ 6M/ ,M +Db 7M/ ,/ e+MD Damit Werte in großen Unternehmen mit hoher Anonymität der Geschäftsführung wirken können, braucht es starke Führungsarbeit. Das bedeutet, dass Führungskräfte - durch alle Ebenen hindurch - die Werte der Geschäftsführung teilen und leben müssen. Sie sind im Grunde das Interface zwischen abstrakter Geschäftsführung einerseits und den Mitarbeitern andererseits. Ich finde hier das englische Wort Interface überaus passend: inter = „zwischen“ und face = „Gesicht“. Also ein Gesicht, das das Bindeglied zu einer anderen Komponente des Systems darstellt. Der Führungskraft sieht man in die Augen und entscheidet dann: Verdient es dieses Unternehmen, dass ich mein Vertrauen, meine Lebenszeit, meine Ideen, mein Herzblut investiere? Doch es gestaltet sich schwierig, beispielsweise eine Führungsmannschaft von mehreren Tausend Mitarbeitern weltweit unter dem einen Hut des Wertekanons zu vereinen. Hier spielen mit Sicherheit kulturelle Gepflogenheiten eine zentrale Rolle. Nicht selten bilden sich einzelne Teams, Bereiche, Niederlassungen mit ganz eigenen Werten heraus, die aber nichts mit den Werten des Unternehmens gemein haben. Diese kleinen „Fürstentümer“ funktionieren in sich ganz gut, aber sobald es darum geht zu kooperieren, gestaltet sich Schnittstellenabstimmung fast als Katastrophe. Ich möchte nicht behaupten, dass diese Führungskräfte in ihren in sich gut funktionierenden „Fürstentümern“ und mit ihrem eigenen, von den Unternehmenswerten abweichenden Wertesystem aus reinem Machtmotiv heraus diese Untergruppen bilden. Oftmals liegt es an der fehlenden oder mangelnden Kommunikation von Unternehmenszielen und auch Unternehmenswerten. Oder aber die Werte werden von oben nach unten nicht einheitlich in die Führungsebenen weitergetragen, und wir haben das Phänomen der „stillen Post“ im Wer- <?page no="199"?> [; < 8I,IGMD *De YMLhJ.MD tesystem: Die ursprünglichen Werte werden aufgrund nicht selten hoher Interpretationsspielräume verschwommen oder sogar falsch wiedergegeben. Einzelne Untereinheiten mit eigenem Wertesystem entstehen. Die Zusammenarbeit zwischen diesen „Fürstentümern“ ohne gemeinsames Ziel und ohne gemeinsames Wertesystem gestaltet sich dadurch mehr als schwierig. Und bereits bewährte Werte in so einem Sub- System inklusive der Mitarbeiterschaft auszutauschen, ist nicht nur sehr zeit- und kostenaufwändig, sondern auch fast ein Ding der Unmöglichkeit. WD,MD-I,., bM/ ; IDD-1I/ eFM Für die Riesen unter den deutschen Unternehmen ist ein Punkt ganz entscheidend - es geht dabei um die Intensität der Sinnspirale: Je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen beschäftigt, desto größer fällt die Intensität der Sinnspirale aus, sowohl negativ als auch positiv. Auch wenn es für große Unternehmen schwieriger ist, mit den vielen unterschiedlichen Werten ihrer Mitarbeiter zu jonglieren, Werteschnittmengen zu generieren und in einer einheitlichen Führungsmannschaft Vertrauen zu schaffen, so haben diese Unternehmen doch einen ganz klaren Vorteil, wenn sie sich erst einmal in der positiven Sinnspirale wiederfinden. Hat es ein großes Unternehmen nämlich geschafft, die positive Sinnspirale zu etablieren, indem die Werte der Mitarbeiter bestätigt, indem Sinnschnittmengen generiert und indem Investitionen der Mitarbeiter erhöht werden und Mitarbeiter damit Sinn finden, so ist der Erfolg unaufhaltsam. Je mehr Mitarbeiter Sinn finden, desto größer wird der Unternehmenserfolg. Und das Wachstum wird multipliziert mit der Anzahl eines jeden Mitarbeiters, der Sinn in seiner Tätigkeit findet. Immer mehr Mitarbeiter investieren, vertrauen und erfahren Wert und damit Sinn. Dann erhöhen sie ihre Investition, und je mehr die Mitarbei- <?page no="200"?> [; ; 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" ter ihre Investition erhöhen, desto größer wird der Unternehmenserfolg. Das Ich wächst hier am Du - und dann überproportional. Riesen stolpern zwar schneller in die negative Sinnspirale. Doch wenn sie sich erst einmal auf den Weg nach oben begeben haben, den Gipfel der positiven Sinnspirale erklimmen, dann schreiten sie mit größeren Schritten auf die Spitze des Erfolgs zu. ; IDD*M/ -cJIMdM/ )I/ b M- IEEM/ KMdMD Wer Sinn in die Arbeit integrieren will, muss sich einer Tatsache bewusst sein: Auch wenn es so scheint, als würden die Sinnkrieger in Unternehmen immer weiter zunehmen und auch Gehör finden, so wird es immer - gestern, heute wie morgen - Menschen geben, die eben keinen Sinn in der Arbeit suchen, Menschen, die gerne von ihrem Arbeitgeber nach dem Motto „Brot und Spiele“ der alten Römer ruhig gestellt werden. Die niederen Bedürfnisse sind befriedigt, man muss sich keine großen Sorgen machen und auch keine Verantwortung übernehmen. Herausforderungen und Sinn sucht man ohnehin nicht im Unternehmen, sondern fernab und außerhalb. Und das ist auch in Ordnung so. Das Söldnerdasein muss nicht immer negativ sein und gleichzeitig Gegeneinander zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedingen, bis hin zum hinterhältigen Ausnutzen und Vermeidungsverhalten. Die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung kann sich bei Söldnern sehr friedlich verhalten. Sinnverschieber sind damit zufrieden, ein Minimum zu investieren und dadurch einfach nur ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die Herausforderung für moderne, sinnstiftende Unternehmen wird es sein, die Sinnverschieber und die Sinnkrieger zu integrieren, sodass beide Mitarbeitertypen weiter motiviert sind, in ihrem Tempo und Stil arbeiten können und ihre Werte bestätigt sehen. Denn auch ein Sinnverschieber, <?page no="201"?> Z\\ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD der womöglich weniger motiviert ist und kaum Zusatzleistung erbringt, kann wichtig sein fürs Unternehmen. Sinnverschieber nörgeln vielleicht nicht ständig, wollen nicht immer die Welt verbessern, haben sich mit dem Gegebenen arrangiert. Das gibt Konstanz und Stabilität, was vielen Unternehmen richtig gut tut. Wir müssen bei sinnstiftender Kulturentwicklung der Wahrheit ins Auge sehen: In Unternehmen werden Sie immer Mitarbeiter mit unterschiedlichen Werten haben, die sich gegenseitig ausschließen und gegeneinander kämpfen. Und ein bisschen Gegeneinander schadet nicht, im Gegenteil: Ein gemeinsamer „Feind“ schweißt eine Gruppe auch zusammen und macht sie im Team erfolgreicher. Da „kämpft“ die Buchhaltung gegen den Vertrieb, weil das „ja alle so schludrige Kasperl“ sind, und der Vertrieb gegen die Buchhaltung: „Diesem Beamtenhaufen werden wir‘s schon zeigen, wer die Kohle nach Hause bringt! “ Wichtig ist nur, dass das Gesamtergebnis nicht darunter leidet. 9E "e-MID-dM/ McJ,IK+DK G.E1LMD Nicht selten ergeben sich Probleme, wenn Sinnkrieger und Sinnverschieber integriert werden müssen. Denn beide stellen nicht selten genau die gegenteiligen Bedürfnisse jeweils für sich in den Vordergrund: Sinnkrieger wollen in der eigenen Individualität wahrgenommen und bestätigt werden und sich damit selbst verwirklichen, sie wollen die Dinge vorantreiben und verändern, brauchen Bewegung; Sinnverschieber hingegen sind interessiert an Konstanz, wenig Aufregung, aber auch an einem pünktlichen Feierabend. Treffen die beiden Gruppierungen aufeinander, kommt es nicht selten zum Tumult, manchmal sogar zum Krieg. Denn beide Parteien versuchen, an ihren Werten festzuhalten, dafür zu kämpfen bis zum Schluss, für ihre eigene Überzeugung den Märtyrertod zu sterben, wenn es sein muss. In einem sinnlosen Krieg, <?page no="202"?> Z\[ 8I,IGMD *De YMLhJ.MD 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" der keinen Mehrwert für den Unternehmenserfolg hat, gibt es selten wahre Gewinner. Ein Krieg für die eigenen Werte kostet Energie, hinterlässt aber auch Verletzungen im ganzen System, die über Jahre das Arbeitsklima beeinflussen können. Denn kollidieren Wertesysteme, werden wertvolle Energien regelrecht verschwendet: Die Sinnverschieber sind verletzt, fühlen sich bestätigt im Ausnutzen des Unternehmens, und die Sinnkrieger packen einmal mehr ihre Sachen nach dem Motto: „Sucht ihr euch einen anderen Clown, ich such mir einen anderen Zirkus! “ <M-1MG,*2FFM- SI,MIDeDbM/ Auf derartigen Kriegsschauplätzen will jede Partei das eigene Wertesystem beschützen, es verteidigen bis zum bitteren Ende. „Gewinnen“, wenn man es überhaupt so nennen kann, werden in der Regel diejenigen, die zahlenmäßig überlegen sind. Denn Werte brauchen die Masse, und letztlich erhalten diejenigen Wertesysteme Unterstützung seitens der Unternehmenskultur, welche die meisten Anhänger haben. Das ist auch bei jeder Revolution so. Unternehmen stehen in den nächsten Jahren vor der großen Herausforderung, eine Generation der Sinnkrieger mit ihren Werten gewinnbringend und wertschätzend in das Unternehmen zu integrieren und dabei den Spagat zu schaffen, sowohl die Werte der Sinnsucher als auch die Werte der Sinnverschieber zu bestätigen, sodass beide Seiten Sinn in ihrer Tätigkeit finden. Ziel muss es sein, den Unternehmenserfolg zu steigern, indem alle unterschiedlichen Wertesysteme wettbewerbsfrei und respektvoll nebeneinander existieren dürfen und die Mitarbeiter zudem in ihren Werten bestätigt werden. Arbeitgeber haben es damit selbst in der Hand, welcher Mitarbeitertyp die Unternehmenslandschaft prägen wird: die Sinnkrieger oder die Sinnverschieber. <?page no="203"?> Z\Z 8I,IGMD *De YMLhJ.MD ! ,)e- QM+M- Das Gute an der Wertekollision, wie sie tagtäglich zwischen Mitarbeitern und Arbeitgebern, auch unter Kollegen, geschieht, ist, dass dadurch etwas ganz Neues entstehen kann. „… denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinander, und es entstehen neue Welten. Heute weiß ich: Das ist das Leben.“ So treffend formulierte es bereits Charlie Chaplin 1959 anlässlich seines 70. Geburtstags in seinem Text über Selbstliebe, Verantwortung und Wertetreue „Als ich mich selbst zu lieben begann“ (im Original: As I began to love myself). Und egal, was bei der Kollision unterschiedlicher Wertesysteme herauskommt - ob Sinnverschiebung oder Ausstieg aus dem System: Die Hauptsache ist, dass man ins Tun kommt. Manchmal ist ein schneller Schlussstrich besser als ein langsames Dahinvegetieren und ein schleichendes Sichselbstvergiften. Was bringt ein Leben, das eigentlich längst beendet ist? Wir alle sollten uns frei machen und nicht bewerten, was richtig oder falsch ist, was die wahren oder falschen Werte sind. Denn Werte werden immer über die individuelle Perspektive definiert. Und wenn wir die Situation verbessern können, umso besser. Es gilt für jeden Mitarbeiter, eigenverantwortlich ins Tun zu kommen, d. h. einen Standortwechsel zu vollziehen, eine andere Perspektive einzunehmen, in der die Welt etwas besser aussieht; auch besser mit sich selbst umzugehen, für sich zu sorgen und Verantwortung zu übernehmen; schließlich seinem inneren Impuls nachzugehen, Sinn zu finden und ein wert- und sinnvolles Leben zu leben. Aus der Arbeitgeberperspektive wäre zu nennen: Raum geben, Sinnfindung ermöglichen, eine werteorientierte Kultur etablieren - und das nicht nur des Profits oder Unternehmenserfolges wegen, sondern als Beitrag zu einer besseren Welt: einer wert- und sinnvollen Welt, einer liebevollen Welt, einer Welt voller Liebe zu anderen und vor allem zu sich selbst. <?page no="204"?> Z\B 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK Z\B 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" 6ID])ID R 6e- SI,e/ dMI,M/ KF@cGFIcJ +Db 9D,M/ DMJEMD M/ L2FK/ MIcJ EecJ, "IM h2/ EMF L@/ MID KF@cGFIcJM- TMdMD Die Suche nach der Formel für ein glückliches Leben ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Und kein Wunder, dass wir in einer Zeit, in der der Job nicht nur zum Selbsterhalt dient, auch den Anspruch entwickeln, glücklich bei der Arbeit zu sein. Der Harvard-Professor George E. Vaillant ist Leiter der wohl umfangreichsten Studie zum Thema Glück. Seit 1938 begleitet er Absolventen der Universität Harvard mit mehreren Interviews in unterschiedlichen Lebensphasen, um wirklich herauszufinden, was glücklich macht. Nach seinen Ergebnissen verändert sich Glück im Laufe des Lebens und ist im Grunde nichts anderes als Zufriedenheit. Und neben erfüllten Beziehungen zu Familie, Partner und Freunden, neben der Fähigkeit lieben, geben und genießen zu können, gehört zum Glück nach Vaillant auch das Suchen und Finden einer sinnvollen Arbeit. 18 ; IDD EecJ, KF@cGFIcJ Wir versuchen ein Leben lang glücklich zu sein, wissen aber oft gar nicht mehr, was uns eigentlich glücklich macht. Ich behaupte, wenn etwas Sinn macht, dann macht es automatisch glücklich. Das klingt sehr einfach, und vielleicht ist es das auch. Warum macht Sinn also glücklich? Zum einen weil ich einen für mich vorab definierten Wert erfahre und damit Werte, welche in mir bestehen, bestätigt werden. Dadurch wird wiederum mein Selbstwert bestätigt, was mich zu einem erfüllteren Leben führt. Mein Sein hat Wert, mein Sein macht Sinn. Was uns etwas wert ist und was uns glücklich macht, auch wie viel Geld wir zum Glücklichsein brauchen, das müssen wir ganz alleine bestimmen. Das kann uns niemand sa- 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK <?page no="205"?> Z\A 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK gen. Es wird nicht funktionieren, dass wir zu einem Guru laufen und fordern „Hej, sag mir mal, wie ich glücklich werde. Verrate mir dein Geheimnis.“ Wir tragen alle selbst die Formel zum Glücklichsein in uns. Es braucht nur wenig, um die Formel zu füllen, die uns dahin bringt, dass wir Glück erfahren und ein erfülltes Leben führen können. Die entscheidende Komponente für ein glückliches Leben besteht aus meiner Sicht darin, dass wir Sinn erfahren. Es handelt sich um einen Selbstläufer, wenn wir erst einmal anfangen, uns mit den für uns wichtigen Dingen zu beschäftigen. Das Wichtigste und Grundlegendste, das wir zu einem glücklichen Leben brauchen, ist die Kenntnis der eigenen Werte, der Werte also, die unser Leben lebenswert machen, das, was uns wichtig ist im Leben. Und wenn Werte leben können, verspüren wir in der Sinnerfüllung Zufriedenheit. TMdMD DecJ bMD MIKMDMD 6M/ ,MD Ich glaube, die häufigste Ursache des Unglücklichseins liegt darin, dass man die eigenen Werte gar nicht kennt. Folglich können wir nicht danach leben und erfahren auch keine Bestätigung im Sein und Tun und dadurch wiederum keine Bestätigung in unserem Selbstwert. Das ist es, was uns unglücklich macht. Wir müssen unser Leben eigenverantwortlich in die Hand nehmen, uns auf unseren Hosenboden setzen und wertvolle Zeit investieren, um unsere eigenen Werte zu definieren, ja sie vielleicht sogar erst kennenzulernen und ihnen liebevoll Hallo zu sagen. Es erfordert Eigenverantwortung, um glücklich zu werden. Wir sind es uns und unseren Werten schuldig, dass wir sie erkennen und in unser Leben integrieren, ja unser Leben danach ausrichten. Dann erst erfahren wir Sinn, dann erst können wir glücklich sein. Werte sind stille und passive Lebewesen. Sie können ein Leben lang in uns schlummern, ohne sich großartig zu Wort zu melden. <?page no="206"?> Z\? 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK 7 3h.*E 7IDD M.L1FK.MIfJ EhfJMD E" Und wenn wir sie nicht erkennen, leben wir ein wertloses Leben, um an unserem Lebensabend zu merken, dass wir das Leben eines anderen gelebt haben, dass wir nicht eine erfüllte Version von uns selbst geworden sind, dass wir unsere wertvolle Lebenszeit nicht sinnvoll genutzt haben. Leben wir aber nach unseren ganz individuellen Werten, stoßen wir die Formel zu einem glücklichen Leben an. Dazu gehört, dass wir uns unserer Werte bewusst sind, dass wir Wert erfahren, dass wir spüren, dass uns etwas wert ist und vor allem dass wir uns selbst etwas wert sind. Ganz automati sc h suc he n wi r un s ein e Ge mei ns ch af t od er ein S yst em , in dem diese Werte bestätigt werden. Eine Gemeinschaft oder ein System, das die Werte mit uns teilt, das die gleichen Werte besitzt. Es hat seine Richtigkeit, dass wir nach diesen Werten leben und so einen Mehrwert zu einer besseren Welt schaffen - zumindest aus unserer Perspektive. Durch den Mehr-Wert wird jeder in seinem Selbst-Wert bestätigt. Das eigene Sein und Tun macht plötzlich Sinn und man spürt: „Ich erfahre Sinn im Sein und Tun und bin damit ein wertvoller Bestandteil zur Erreichung einer besseren Welt. Ich fühle mich glücklich damit.“ Und glückliche Menschen bedingen im Unternehmenskontext eine positive Arbeitsatmosphäre und über kurz oder lang Unternehmenserfolg. N2-I,I*M U2/ / MFe,I2D `)I-cJMD 6M/ , +Db ; IDD +Db YF@cG Ganz wesentlich ist die Dynamik der positiven Sinnspirale: Wir haben eine positive Korrelation zwischen Wert und Sinn und folglich auch Glück. Das bedeutet, je höher der Wert einer Investition ist, desto größer ist der Sinn, den wir erfahren und desto glücklicher sind wir also. Es ist ein ganz einfaches Rechenexempel: Ich investiere in der Hoffnung und im Vertrauen auf einen hohen Wert. Wird mein Vertrauen nicht enttäuscht und werden damit meine Werte bestätigt, erhalte <?page no="207"?> Z\> Z\> 2*,hEEMDLh"*DK *De ! E0LMJF*DK ich Sinn. Das Ausmaß des Sinns richtet sich nach der Höhe der Variable „Wert“. Machen Sie sich auf die Suche nach Sinn, lernen Sie Ihre Werte kennen und lieben. Machen Sie sich bewusst, welche Werte Sie im Leben haben. Stellen Sie sich die Frage, warum Sie diese Werte haben. Und als Nächstes fragen Sie sich: Wie kann ich diese Werte leben, und wie können diese Werte bestätigt werden? Wenn wir unsere Werte kennen und nach diesen leben können - egal wie diese Werte sind: dann geht alles ganz von alleine; dann werden wir ein sinnvolles Leben erreichen; dann ist ein erfülltes, wertvolles, glückliches Leben voller Sinn nicht mehr aufzuhalten. <?page no="208"?> 7 9*MFFMD)M.cMIfJDI, Z\= 9*MFFMD)M.cMIfJDI, =+MFFMD*M/ `MIcJDI- : M(,0+MFFMD Nachfolgend sind die wichtigsten Textquellen genannt, denen die Autorin wesentliche Hinweise verdankt. Frankl, Viktor E.: …trotzdem Ja zum Leben sagen. 3. Auflage. München: Kösel-Verlag 2012 Frankl, Viktor E.: Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. 23. Auflage: München: Piper Verlag 2010 Frankl, Viktor E.: Das Leiden am sinnlosen Leben. 21. Auflage. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag 2011 %DEM/ G+DKMD 1 (S. 8): Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werther. Stuttgart: Reclam Verlag 2001, S. 13. 2 (S. 14): IZA - Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit 3 (S. 40): Edwards, Erica (April 2003): „Spookster more than a sidewalk spectacle“. The Lowell. Retrieved 2007-02-16. 4 (S. 43): Gabler Wirtschaftslexikon online: Werte http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ Archiv/ 17293/ werte-v8.html 5 (S. 46): Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werther. Stuttgart: Reclam Verlag 2001, S. 12. 6 (S. 51): Die Welt online 12.09.2012: „Frau kauft Renoir-Gemälde für sieben Dollar“ http: / / www.welt.de/ vermischtes/ kurioses/ article109127967/ Frau-kauft-Renoir-Gemaelde-fuer-sieben-Dollar.html 7 (S. 62): Die Zeit online 12.11.2013: „Deutsche geizen mit ihren Organen“ http: / / www.zeit.de/ wissen/ gesundheit/ 2013-11/ Organspenden-Zahlen-sinken 8 (S. 66): Institut YouGov 2012: Umfrage Krankmeldungen in 2012. Und: Bild online 19.02.2013 „Jeder Fünfte macht blau“ http: / / www.bild.de/ geld/ wirtschaft/ krank/ jeder-fuenfte-deutsche-macht-blau-2012-28580886.bild.html 9 (S. 74): Frankl, Viktor E.: …trotzdem Ja zum Leben sagen. 3. Auflage. München: Kösel-Verlag 2012, S. 45. <?page no="209"?> Z\< 9*MFFMD)M.cMIfJDI, 10 (S. 98): Frankl, Viktor E.: Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. 23. Auflage: München: Piper Verlag 2010, S. 199 ff. 11 (S. 114): Ebd., S. 237. 12 (S. 134): Ebd., S. 245 ff. 13 (S. 140): Frankl, Viktor E.: Das Leiden am sinnlosen Leben. 21. Auflage. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag 2011, S. 33. 14 (S. 157): Frankl, Viktor E.: Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. 23. Auflage: München: Piper Verlag 2010, S. 218. 15 (S. 163): Frankl, Viktor E.: Das Leiden am sinnlosen Leben. 21. Auflage. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag 2011, S. 28. 16 (S. 185): Gorbatschow, Michail, in: brandeins, Heft Oktober 2011, Wolf, Lotter: Selbst-Bestimmung, S. 54. 17 (S. 189): http: / / www.wirtschaft-mediation.net/ level9_cms/ download_user/ das-affenexperiment.pdf 18 (S. 203): Die Zeit online 12.07.2010: „Glück ist nicht wichtig“ http: / / www.zeit.de/ zeit-wissen/ 2010/ 04/ Psychologie- Leben-Vaillant ; 2D-,IKM =+MFFMD Bezug genommen wird im Text auf die folgenden Filme: S. 34: Film „Braveheart“ (USA, 1995) S. 82: Film „Titanic“ (USA, 1997) Auf die Recherche und Ermittlung der Inhaber von Urheberrechten wurde größtmögliche Sorgfalt verwendet. Sollten dennoch Rechtsansprüche offen sein bzw. bestehen, bittet der Verlag die Rechteinhaber darum, ihm ihre Rechtsansprüche mitzuteilen.