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Jugenddelinquenz

Die Produktivität eines Problems in den USA der späten 1940er bis 1960er Jahre

0917
2014
978-3-8649-6551-7
978-3-8676-4559-1
UVK Verlag 
Nina Mackert

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkte sich in den USA die Wahrnehmung, dass Jugenddelinquenz ein äußerst gravierendes Problem darstellte und die Gesellschaft in ihren Grundfesten gefährdete. Nina Mackert untersucht die Ausmaße dieser »Delinquency Scare« und zeigt, wie sie weit über Sorgen um Jugendliche hinausging und die soziale Ordnung in den USA mitgestaltete. Zu ihren Auswirkungen gehörten Veränderungen im Jugendstrafsystem, in der Sozialarbeit sowie in Schul- und Familienpolitik. Die Beschäftigung mit Delinquenz war Teil von Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Hierarchien, um Bürgerrechte, gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung. Die Autorin kann insbesondere zeigen, wie während der »Delinquency Scare« gerade Erwachsene für eine scheinbar in Unwucht geratene soziale Ordnung verantwortlich gemacht wurden.

<?page no="2"?> Nina Mackert Jugenddelinquenz <?page no="3"?> Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven Herausgegeben von Martin Dinges · Joachim Eibach · Mark Häberlein Gabriele Lingelbach · Ulinka Rublack · Dirk Schumann · Gerd Schwerhoff Band 30 Wissenschaftlicher Beirat: Richard Evans · Norbert Finzsch · Iris Gareis Silke Göttsch · Wilfried Nippel · Gabriela Signori · Reinhard Wendt Die Einbandvorderseite zeigt eine Collage folgender Quellen: Gonas, John S.: The Child and the Court. St. Joseph County, Indiana: Eigenverlag, 1951. | Individual Psychology Association New York: Youth in Danger Becomes a Danger. New York City: Eigenverlag, 1956. | Kvaraceus, William C.: „Delinquency Proneness Check List“, in: ders.: What Research Says to the Teacher. Juvenile Delinquency. O. O.: National Education Association, 1958 | Morrison, Chester: „The Case of the Brooklyn Thrill Killers: Could This Happen to Your Boy? “, in: LOOK 18/ 22 (1954). - New York State Youth Commission: Teamwork Can Prevent Delinquency. A Guide for Community Action to Prevent Juvenile Delinquency, überarb. Auflage. New York: New York State Youth Commission, 1953. - Pollack, Jack Harrison: „Should Parents Be Punished For Their Children’s Wrong Doing? “, in: Parents’ Magazine 30/ 3 (1955). <?page no="4"?> Nina Mackert Jugenddelinquenz Die Produktivität eines Problems in den USA der späten 1940er bis 1960er Jahre UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz und München <?page no="5"?> Dissertation der Universität Erfurt Mündliche Prüfung: 13. November 2012 Erstgutachter: Prof. Dr. Jürgen Martschukat Zweitgutachter: Prof. Dr. Norbert Finzsch Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1437-6083 ISBN 978-3-86764-559-1 (Print) ISBN 978-3-86496-917-1 (ePub) ISBN 978-3-86496-551-7 (ePDF) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2014 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Printed in Germany UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="6"?> 5 Inhalt I Einleitung ..................................................................................... 7 1 Die historische Bedeutung von Jugend und Jugenddelinquenz................................................. 13 2 Forschungsstand ............................................................................ 32 3 Jugenddelinquenz als produktiver Signifikant................................. 39 4 Aufbau der Arbeit .......................................................................... 52 II „High ideals and harsh realities“: Delinquenz und das Jugendstrafsystem ...................................... 55 1 Jugenddelinquenz zwischen „silly pranks“ und „juvenile crime“ ............................................................................. 59 2 „The condition of being a boy does not justify a cangaroo court“: Jugendgerichte und das Gault-Urteil .................................. 64 3 Krupke vs. Ray? Die Polizei und ihr Umgang mit Jugendlichen............................................................................ 79 4 „The goal ist to change an attitude“: Jugendstrafanstalten und die Frage der Rehabilitation .................................................... 88 5 Fazit............................................................................................. 100 III Gangs, Street Workers, Sozialreform: Delinquenz und die Ambivalenzen Sozialer Arbeit ..................103 1 Von Gangs und Clubs: Die Polyvalenz der Gang ......................... 104 2 „Being in Between“: Die Subjektivierung von Sozialarbeitern....................................................................... 115 3 Delinquenzprävention als Sozialreform? Mobilization for Youth und Soziale Arbeit im War on Poverty ............................ 124 3.1 Delinquenzprävention durch Freizeitgestaltung und Partizipation................................................................. 129 3.2 „The World of Work“: Sozialer Aufstieg in der Culture of Poverty ................................................................. 135 3.3 Die Ambivalenz von Community Action ............................... 141 4 Fazit............................................................................................. 153 <?page no="7"?> 6 IV Der Kampf um die Highschool: Delinquenz und die Schulkrise ............................................... 155 1 Schulische Gewalt und die Ausdifferenzierung der Schulkrise ............................................................................. 158 2 Die Kriminalisierung von Dropouts ............................................. 171 3 „Teachers of Stubborn Virtue“ und Special Education: Effekte des schulischen Delinquenzdiskurses ................................ 180 3.1 „Baby-sitters or Policemen“: Die Subjektivierung von Lehrkräften ................................... 181 3.2 Meeting the Crisis: Schulische Reformen............................... 192 4 Fazit............................................................................................. 202 V „The trouble with kids who get into trouble is their parents“: Delinquenz und die Regierung von Familien ........... 205 1 Elterliche Krisen und Therapeutic Motherhood .............................. 207 2 It’s in the Family: Väter, Mütter und delinquente Jugendliche ................................. 214 2.1 „Inadequate parents produce inadequate children“: Delinquente Eltern .............................................................. 214 2.2 Familiar Problems: Delinquente Jugendliche ........................ 227 3 Erziehen und Strafen: Formen der Regierung von Eltern.............. 244 4 Juvenile Delinquency als Subjektivierungswissen............................ 259 4.1 „You must think us teenagers have rocks in our heads“: Jugendliche Äußerungen...................................................... 264 4.2 Acting Parenthood: Elterliche Äußerungen............................ 272 5 Fazit............................................................................................. 279 VI Fazit: Das Politische der Delinquenz ...................................... 283 VII Anhang ................................................................................... 301 Quellenverzeichnis ....................................................................... 301 Literaturverzeichnis ...................................................................... 312 Danksagung ................................................................................. 331 Register........................................................................................ 332 <?page no="8"?> 7 I Einleitung Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges waren in den Vereinigten Staaten sehr viele Menschen davon überzeugt, dass Jugenddelinquenz eines der drängendsten gesellschaftlichen Probleme darstellte - drängender noch als Atomtests, Korruption und Segregation, wie Umfragen ergaben. 1 Allerortens sprach man darüber; zu Hochzeiten des Kalten Krieges machte Jugenddelinquenz wöchentlich Schlagzeilen in der Tagespresse, prägte die Berichterstattung von Nachrichtenmagazinen und populärkulturellen Zeitschriften. 2 Unzählige private und staatliche Einrichtungen beschäftigten sich mit dem Problem und Expert_innen jeglicher Couleur entwarfen Handlungsstrategien zu dessen Bekämpfung. 3 Das Aufkommen von „delinquency films“ als Genre in den 1950er Jahren verdeutlicht, dass auch die Filmindustrie jugendliche Delinquenz als Thema entdeckte, das in aller Munde war und die Menschen in die Kinos zog. 4 Und nicht zuletzt das Senate Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency in the United States zeigt das Ausmaß dieser Dynamik. 5 Der Ausschuss hatte sich 1953 gegründet, um 1 Elmo Roper u. a.: The Public’s View of Television and Other Media: 1959-1964. New York: Television Information Office, 1965, S. 6; James Gilbert: A Cycle of Outrage. America’s Reaction to the Juvenile Delinquent in the 1950s. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 1986, S. 63. 2 Gilbert: Cycle of Outrage; Sebastian Kurme: Halbstarke. Jugendprotest in den 1950er Jahren in Deutschland und den USA. Frankfurt a.M./ New York: Campus, 2006; Lukas Waltzer: An Uneasy Idealism. The Reconstruction of American Adolescence from World War II to the War on Poverty. Unveröff. Diss. City University of New York, 2009; William S. Bush: Who Gets a Childhood? Race and Juvenile Justice in Twentieth-Century Texas. Athens: Univ. of Georgia Press, 2010. 3 Bei der Bezeichnung von Personengruppen verwende ich im Anschluss an Steffen Kitty Herrmann einen Unterstrich, um a) auf die Möglichkeit geschlechtlich uneindeutiger Identifizierungen hinzuweisen, denen in einer nur über dichotome Bezeichnungen operierenden Sprache kein Raum gegeben wird, und b) damit den prozessualen Charakter geschlechtlicher Zuschreibungen zu betonen (Steffen Kitty Herrmann: „Queer(e) Gestalten. Praktiken der Derealisierung von Geschlecht“, in: Elahe Haschemi Yekani/ Beatrice Michaelis [Hg.]: Quer durch die Geisteswissenschaften. Perspektiven der Queer Theory, Berlin: Querverlag, 2005, S. 53-72). Die dabei entstehende Irritation bei den Lesenden ist dabei durchaus beabsichtigt. Allerdings bringt eine solche Bezeichnungspraxis in historischen Arbeiten auch Probleme mit sich. Wenn ich etwa durchgängig von Jugendrichter_innen spräche, würde ich damit verschleiern, dass dieser Beruf in meinem Untersuchungszeitraum eine Männerdomäne und in seinen Anforderungen deutlich männlich kodiert war. In solchen Fällen verwende ich daher die männliche Form oder weise gesondert auf meine Bezeichnungspraxis hin. 4 Dazu z. B. Peter Biskind: Seeing Is Believing. How Hollywood Taught Us To Stop Worrying and Love the Fifties. London: Bloomsbury 2001 [1983], S. 197-227; Gilbert: Cycle of Outrage, S. 178-195; Leerom Medovoi: Rebels. Youth and the Cold War Origins of Identity. Durham: Duke Univ. Press, 2005. 5 Records of the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency, Committee on the Judiciary, 1953-1961 (National Archives, Washington, DC, Record Group 46). <?page no="9"?> 8 Umfang und Ursachen des Delinquenzproblems zu erörtern. Das ursprünglich zeitlich eng begrenzte Vorhaben - schon nach sechs Monaten sollte der Ausschuss seine Arbeit beendet haben - erwies sich als äußerst langwieriges Unterfangen, das mehrere Dekaden dauerte. 6 1955 zeichnete der ehemalige Vorsitzende des Subcommittee, der republikanische Senator Robert Hendrickson, ein düsteres Bild der Lage: „Not even the communist conspiracy could devise a more effective way to demoralize, disrupt, confuse and destroy our future citizens than apathy on the part of adult Americans to the scourge known as Juvenile Delinquency [sic].“ 7 Hendricksons Statement verweist auf zwei wesentliche Aspekte der dichten kulturellen Verhandlung jugendlicher Delinquenz, die zu den Grundannahmen dieser Studie zählen: Zum einen wurden Jugendliche als bedeutende gesellschaftliche Ressource, als „future citizens“ begriffen. Damit konnte Delinquenz sowohl die Gefährdung von Jugendlichen als auch eine Gefahr für die Gesellschaft ausdrücken. Zum anderen ergingen die Handlungsaufrufe in der Delinquency Scare nicht primär an Jugendliche, sondern an Erwachsene, deren Versäumnisse Hendrickson beklagte. 8 Prinzipiell wurden alle erwachsenen Amerikaner_innen dazu aufgefordert, sich verantwortungsbewusst gegenüber dem Problem zu verhalten. Besonders aber speziell mit Jugendlichen befasste Gruppen, wie Lehrkräfte, das Personal in Jugendgerichten und der Sozialen Arbeit sowie vor allem Eltern, sollten ihre Rolle in Bezug auf das Problem erkennen und Maßnahmen zur Bekämpfung jugendlicher Delinquenz ergreifen. Die vorliegende Studie untersucht die US-amerikanische Delinquency Scare als gesellschaftliche Problematisierungsweise, die über das Problem jugendlichen „Fehlverhaltens“ hinauswies und ein Element zentraler gesellschaftlicher Auseinandersetzungen in den Nachkriegsdekaden bildete. 9 Dabei geht es mir nicht darum, zu ermitteln, wie viele und welche Jugendliche warum „tatsächlich“ von gesellschaftlichen Normen abgewichen sind. Denn diese Fragen beruhen auf einem Verständnis von Delinquenz als „objektive Regelverletzung“ und sind aus meiner Perspektive Teil der Konstruktion von Jugenddelinquenz als Problem. 10 6 „Debate on Proposed Study of Juvenile Delinquency“, Congressional Record, 88th Cong., 1st Sess., 1953, XCIX, Part 5, S. 5800-5801, in: Robert H. Bremner (Hg.): Children and Youth in America: A Documentary History, Bd. 3. Cambridge: Harvard Univ. Press, 1974, S. 1122- 1125, hier S. 1123; Gilbert: Cycle of Outrage, S. 148. 7 Zit. nach ebd., S. 75. 8 Den Begriff der Delinquency Scare verwenden z. B. Andrew Hartman: Education and the Cold War. The Battle for the American School. New York: Palgrave Macmillan, 2008, S. 56; Tom Head/ David B. Wolcott: Crime and Punishment in America. New York: Infobase Publishing, 2010, S. 180. 9 Zum Foucaultschen Begriff der Problematisierungsweise Ulrike Klöppel: „Foucaults Konzept der Problematisierungsweise und die Analyse diskursiver Transformationen“, in: Achim Landwehr (Hg.): Diskursiver Wandel. Wiesbaden: VS, 2010, S. 255-263. 10 Dazu Bernd Dollinger: Jugendkriminalität als Kulturkonflikt. Wiesbaden: VS, 2010, S. 14f. <?page no="10"?> 9 Vielmehr analysiere ich die Art und Weise, in der diese Fragen zeitgenössisch gestellt und beantwortet wurden, und untersuche die Rolle der Delinquency Scare in der Konstitution der US-Nachkriegsordnung. Der Zeitraum zwischen den späten 1940er und späten 1960er Jahren bietet sich deshalb als fruchtbare Untersuchungsperiode an, weil sich in dieser Phase die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um jugendliche Delinquenz in den USA intensivierten. Dabei hatte die Sorge um jugendliches Verhalten schon vor und während des Zweiten Weltkrieges Expert_innen und die Öffentlichkeit beschäftigt. Gerade in der Nachkriegszeit verstärkte sich jedoch die Wahrnehmung, man habe es mit einem besonders akuten und gesellschaftsgefährdenden Problem zu tun. Juvenile delinquency wurde zu einem Kristallisationspunkt der sozialen Umbrüche und gesellschaftlichen Widersprüche der Zeit, von Bevölkerungswachstum, Migrationsbewegungen in die Städte, vom „white flight“ nach Suburbia und nicht zuletzt von einem Wirtschaftsboom, an dem längt nicht alle partizipieren konnten. Viele begriffen steigende Delinquenzraten als Resultat von familiärer Zerrüttung, bedingt durch den Krieg, das Leben in Armut und dicht gedrängten Innenstädten. 11 Wie ich zeigen werde, beförderten diese Faktoren zum einen die Wahrnehmung von Delinquenz als Symptom einer Krise der gesellschaftlichen Ordnung; zum anderen wirkte die Delinquency Scare auch auf diese Entwicklungen zurück, indem sie etwa dazu beitrug, die städtische Ordnung als problematisch kenntlich zu machen und zu regulieren. Das Senate Subcommittee war beileibe nicht die einzige Einrichtung, die sich in den Nachkriegsdekaden der Untersuchung jugendlicher Delinquenz widmete. Ab den späten 1940er Jahren befassten sich eine Vielzahl von Gruppen und Institutionen auf nationaler, bundesstaatlicher und lokaler Ebene mit der Ergründung und Bekämpfung von juvenile delinquency - von Senatsausschüssen und sozialpolitischen Einrichtungen über Jugend- und Wohlfahrtsorganisationen bis hin zu privaten Initiativen von Eltern. 12 Neben dieser institutionellen Verdichtung intensivierte sich in diesem Zeitraum auch die wissenschaftliche Forschungstätigkeit. Kriminologie, Soziologie und Psychologie waren nur einige der Disziplinen, in denen sich Expert_innen ausgiebig mit jugendlicher Delinquenz befassten. 13 Das Problem fand überdies Eingang in erziehungswissenschaftliche und sozialarbeiterische Debatten und wurde zu einem Kernthema von Diskussionen um Familie, Jugendarbeit, Schulpolitik und das Jugendstraf- 11 Gilbert: Cycle of Outrage; Waltzer: An Uneasy Idealism; Bush: Who Gets a Childhood; Malinda Alaine Lindquist: Race, Social Science and the Crisis of Manhood, 1890-1970. We Are the Supermen. New York/ Abingdon: Routledge, 2012, Kap. 5. 12 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 37-39, 64, 198. 13 Z. B. Albert K. Cohen: Delinquent Boys. The Culture of the Gang. Glencoe: Free Press, 1955; William W. Wattenberg/ James Balistrieri: „Automobile Theft: A ‘Favored Group’ Delinquency“, in: American Journal of Sociology 57/ 6 (1952), S. 575-579; Fredric Wertham: Seduction of the Innocent. New York/ Toronto: Rinehart & Co., 1954. <?page no="11"?> 10 recht. Jugendgerichte, Behörden und lokale Diskussionsgruppen beispielsweise produzierten Broschüren, die vor allem Lehrer_innen und Eltern aufklären und mit detaillierten Handlungsempfehlungen versorgen sollten. 14 Und wöchentlich oder monatlich erscheinende beliebte Magazine wie LOOK, Ebony und freilich das Parents’ Magazine informierten ihre Leser_innen regelmäßig über die Ausmaße von „J. D.“, wie das Problem auch kurz genannt wurde, und darüber, was jede_r Einzelne tun könne und müsse. 15 Vor diesem Hintergrund ließe sich annehmen, dass den Zeitgenoss_innen klar gewesen sein müsste, was juvenile delinquency war. Daher ist es zunächst überraschend, dass keinesfalls so eindeutig gewesen zu sein scheint, was damit eigentlich bezeichnet wurde: Hendricksons Kollege etwa, Senator Thomas Hennings, betonte schon beim ersten Zusammentreffen des Subcommittee, jugendliche Delinquenz sei ein Begriff, der vielfältig interpretiert werden könne. 16 Unklarheit und Uneindeutigkeit gehörten zu den, auch von Zeitgenoss_innen diagnostizierten, zentralen Charakteristika der Auseinandersetzungen um jugendliche Delinquenz. 17 Wenn in den Nachkriegsdekaden von juvenile delinquency gesprochen wurde, ging es längst nicht nur um Gesetzesbrüche, die auch für Erwachsene als Straftaten galten. Vielmehr fungierte Jugenddelinquenz als Sammelbegriff für eine ganze Reihe unterschiedlicher Verhaltensweisen von Jugendlichen, die als Abweichungen von zeitgenössischen Normen begriffen wurden. Dazu gehörten sogenannte Statusdelikte, die nur für Minderjährige einen Gesetzesbruch darstellten, also etwa Alkoholkonsum, sexuelle Handlungen, die Verletzung von Ausgangssperren und Schulschwänzen. Überdies markierte der Begriff einen großen Bereich dessen, was als „ungehöriges“ und „aufsässiges“ Benehmen verstanden und etwa an Kleidung oder Sprachstil Jugendlicher festgemacht wurde. 18 Dabei waren die unterschiedlichen Verständnisse von Jugenddelinquenz, wie in dieser Arbeit deutlich werden wird, nicht nur von der 14 Z. B. New York State Youth Commission: Teamwork Can Prevent Delinquency. A Guide for Community Action to Prevent Juvenile Delinquency, überarb. Auflage. New York: New York State Youth Commission, 1953; William C. Kvaraceus: What Research Says to the Teacher. Juvenile Delinquency. O. O.: National Education Association, 1958, nachgedruckt in: U.S. Congress, Senate, Committee on Labor and Public Welfare: Juvenile Delinquency Prevention and Control. Hearings before the Subcommittee on Juvenile Delinquency of the Committee on Labor and Public Welfare, 86th Cong., 1st Sess., 27./ 28. April, 4.-6. Mai, 4. Juni 1959. Washington, DC: Government Printing Office, 1959, S. 325-357 (alle zukünftigen Referenzen auf diesen Text beziehen sich auf den Nachdruck). 15 Ruth Carson: „What has J. D. to Do With You? “, in: Parents’ Magazine 31/ 3 (1956), S. 40, 76-78. 16 U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies). Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 83rd Cong., 1st Sess., Part 1, 19./ 20., 23./ 24. November 1953. Washington, DC: Government Printing Office, 1954, S. 9. 17 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 28; Kurme: Halbstarke, S. 111f. 18 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 69; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 7f.; Kurme: Halbstarke, S. 19. <?page no="12"?> 11 Kategorie Alter, sondern auch in hohem Maße durch unter anderem „Rasse“, Klasse, Sexualität und Raum reguliert. 19 Obwohl in der Delinquency Scare universell von Jugendlichen gesprochen wurde, ging es in der Regel vordergründig um männliche Jugendliche. Gleichwohl schien gerade weibliche Delinquenz immer wieder als ernstes Problem auf, das vor allem über sexuelle Delikte konturiert wurde. Was als delinquent galt, und wie mit delinquenten Jugendlichen umgegangen werden sollte, wurde zudem in Bezug auf etwa afroamerikanische und sozial benachteiligte Jugendlichen anders gedacht als für weiße Jugendliche aus den bürgerlichen Vorstädten. 20 Und nicht zuletzt veränderte sich im Laufe des Untersuchungszeitraumes dieser Studie das Sprechen über jugendliche Delinquenz, wurde das Problem in den frühen 1950er Jahren anders diskutiert als etwa Mitte der 1960er Jahre, auch wenn sich hier ebenfalls Kontinuitäten nachzeichnen lassen. 1960 konstatierte ein Bericht von Children’s Bureau und National Institute of Mental Health: „Juvenile delinquency is not a simple term. It means different things to different individuals, and it means different things to different groups. It has meant different things in the same group at different times.“ 21 Gerade deshalb fungierte Jugenddelinquenz aber als äußerst wirkmächtiges Bedrohungsszenario, das dazu beitrug, die US-amerikanische Gesellschaft zu ordnen. Über die Delinquency Scare wurden Fragen von gesellschaftlicher Beteiligung ausgehandelt und Ressourcen reguliert. Um dies zu zeigen, untersuche ich den Umfang und die Effekte des Delinquenzdiskurses in Bezug auf vier 19 Ich setze „Rasse“ in Anführungszeichen, um auf den Konstruktionscharakter dieser Kategorie zu verweisen. Prinzipiell müssten aus dem gleichen Grund auch etwa Geschlecht, Klasse, Sexualität und Raum auf diese Weise geschrieben werden, denn auch diese Kategorien begreife ich als diskursiv konstruiert. Das würde die Lesbarkeit dieses Textes allerdings meines Erachtens zu stark beeinträchtigen. Dabei möchte ich keine Hierarchisierung von Unterdrückung andeuten. Ich verzichte auch zugunsten der Lesbarkeit darauf, die Klassifikationen „weiß“ und „schwarz“ in Anführungszeichen zu setzen. Es geht mir vielmehr darum, den historisch so gewaltvoll aufgeladenen Begriff „Rasse“ auf eine Weise hervorzuheben, die auch bei flüchtigem Lesen nicht normalisierend wirkt. Ich habe mich gleichwohl für die Verwendung des Begriffes (statt etwa race) entschieden, denn: „Das Wort ist böse, es sticht, es tut weh - kein anderes Zeichen, das besser passte.“ (Paul Mecheril: „Rassismuserfahrungen von Anderen Deutschen - eine Einzelfallbetrachtung“, in: ders./ Thomas Teo [Hg.]: Psychologie und Rassismus. Reinbek: Rowohlt, 1997, S. 198, zit. nach Eske Wollrad: Weisssein im Widerspruch. Feministische Perspektiven auf Rassismus, Kultur und Religion. Königstein i. Taunus: Ulrike Helmer, 2005, S. 18). 20 Rachel Devlin: „Female Juvenile Delinquency and the Problem of Sexual Authority in America, 1945-1965“, in: Sherrie A. Inness (Hg.): Delinquents and Debutantes. Twentieth- Century American Girls’ Cultures. New York: New York Univ. Press, 1998, S. 83-106; Bush: Who Gets a Childhood. 21 U.S. Congress, House of Representatives, Committee on Appropriations: Report on Juvenile Delinquency. Hearings before the Subcommittee of the Committee of Appropriations, 86th Cong., 2nd Sess., 10. März 1960. Washington, DC: Government Printing Office, 1960, S. 4. <?page no="13"?> 12 Felder, die im Mittelpunkt der Verhandlungen jugendlicher Delinquenz standen: Jugendstrafsystem, Sozialarbeit, Schule und Familie. Die Delinquency Scare hatte Anteil an bedeutenden Veränderungen des Jugendstrafsystems und sozialarbeiterischer Techniken. Sie bildete ein zentrales Narrativ sozialpolitischer Gesetzgebungen und spielte eine wichtige Rolle in den schulpolitischen Kämpfen der Nachkriegszeit. Nicht zuletzt stand sie in enger Verbindung mit der Regierung von Familien. Das heißt, Delinquenz fungierte als Begründung, korrektiv in Familien einzugreifen und hielt diese gleichzeitig dazu an, sich selbst gemäß zeitgenössischem Erziehungswissen zu führen. 22 Vor dem Hintergrund dieser enormen Produktivität des Delinquenzdiskurses verwundert es, dass die bisherige historische Forschung die Delinquency Scare der US-Nachkriegszeit hauptsächlich als repressive Reaktion Erwachsener auf ein verändertes Verhalten Jugendlicher gedeutet und weniger ihre politischen Auswirkungen analysiert hat. 23 Ich drehe diese Perspektive um und betrachte sie als produktiven Diskurs und damit nicht primär als Reaktion auf, sondern als Katalysator von historischem Wandel und historischer Ordnung. Welche unterschiedlichen Vorstellungen von Delinquenz lassen sich in der synchronen und diachronen Perspektive nachzeichnen? Um wen ging es und um wen ging es nicht, wenn von „young hoodlums“ und „teen-age rebels“ die Rede war? Und wie veränderte der Delinquenzdiskurs den Umgang mit Jugendlichen, aber auch Erwachsenen? Wie lässt sich die gesellschaftliche Wirkungsmacht des Problemnarratives vor dem Hintergrund von dessen Unbestimmtheit fassen? Wie verschränkte sich der Delinquenzdiskurs mit zeitgenössisch ebenfalls dicht verhandelten Fragen von Bürgerrechten, Armut und Sexualität? Auf welche Weise informierte das Wissen, das hier bereitgestellt wurde, Individuen und Gruppen über ihre Rolle im Umgang mit diesem Problem? Was wurde darüber ins Werk gesetzt; welche Maßnahmen, Institutionen und Gesetze, aber auch Subjekte können als Effekte der Delinquency Scare verstanden werden? Und schließlich: Wer geriet dadurch ins Zentrum, wer wurde an die Ränder verwiesen und wie wurde diese Zuteilung vielleicht auch aufgebrochen? Mit Blick auf diese Fragen untersuche ich unterschiedliche Mechanismen kultureller Sinnproduktion rund um jugendliche Delinquenz als zentrales Problemszenario der USamerikanischen Gesellschaft in den späten 1940er bis späten 1960er Jahren. 22 Zu Regierung als Führung der Selbstführungen Michel Foucault: „Subjekt und Macht“ [1982], in: ders.: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. 4, 1980-1988. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2005 [1994], S. 269-295, hier S. 286f. 23 Z. B. Gilbert: Cycle of Outrage; Kurme: Halbstarke; Waltzer: Uneasy Idealism. <?page no="14"?> 13 1 Die historische Bedeutung von Jugend und Jugenddelinquenz Um die enorme Bedeutung zu verstehen, die juvenile delinquency in den US- Nachkriegsdekaden annehmen konnte, ist es notwendig, zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurückzugehen. Nicht zufällig war es auch hier eine Phase gesellschaftlichen Umbruchs, in der eine veränderte Vorstellung von Jugend und Delinquenz entstand und zum Problem wurde. Um die Jahrhundertwende begaben sich die USA auf eine „search for order“, wie es der Historiker Robert Wiebe in seiner klassischen Studie nennt. 24 Einwanderung, Hochindustrialisierung und Verstädterung schufen eine besondere Problemwahrnehmung und verlangten in den Augen der Zeitgenoss_innen grundlegende gesellschaftliche Reformen. In der Progressive Era wurden Expert_innen zu besonderen gesellschaftlichen Autoritäten. Man erhoffte von ihnen Auskunft darüber, wie sich das soziale und ökonomische Leben in einer modernen Gesellschaft verbessern ließe. Überdies versprach neues Wissen über den Körper und die menschliche Entwicklung Erkenntnis darüber, was „richtig“, „gesund“ und „normal“ war. Dass dieses Wissen drastische Konsequenzen für die gesellschaftliche Ordnung haben konnte, zeigt etwa die Verbindung von wissenschaftlich argumentierenden Rassentheorien mit den kolonialen Politiken der Vereinigten Staaten nach innen und außen. 25 In diesem biopolitischen Setting entstand mit Adoleszenz eine neue Konzeption von Jugend und Jugenddelinquenz, die zu einer zentralen Einschreibefläche für die zeitgenössischen Such- und Abgrenzbewegungen wurde. 26 24 Robert H. Wiebe: The Search for Order, 1877-1920. New York: Hill and Wang, 1967. 25 Gail Bederman: Manliness & Civilization. A Cultural History of Gender and Race in the United States, 1880-1917. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 1995; Norbert Finzsch: „Wissenschaftlicher Rassismus in den Vereinigten Staaten - 1850 bis 1930“, in: Heidrun Kaupen-Haas/ Christian Saller (Hg.): Wissenschaftlicher Rassismus. Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften. Frankfurt a.M./ New York: Campus, 1999, S. 84- 110.; F. James Davis: Who is Black? One Nation’s Definition. University Park: Pennsylvania State Univ. Press, 2002 2 [1991]; T. J. Jackson Lears: Rebirth of a Nation. The Making of Modern America, 1877-1920. New York: Harper Collins, 2009. 26 Mit dem Begriff der Biopolitik oder Biomacht bezeichnet Michel Foucault einen neuzeitlichen Machttypus, der auf die Regierung von Bevölkerung und individuellen Körpern ausgerichtet ist, diese vermisst, klassifiziert und damit zugleich erst als Objekte des Regierens und der steten Optimierung hervorbringt (Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit, Bd. 1. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1977 [1976]; ders.: In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France (1975-76). Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1999 [1997]; ders.: Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2004). <?page no="15"?> 14 1904 publizierte der Psychologe Granville Stanley Hall ein zweibändiges Werk mit dem Titel Adolescence. Its Psychology and Its Relations to Physiology, Anthropology, Sociology, Sex, Crime, Religion, and Education. 27 Hall verband in seiner Arbeit biologisches und psychologisches Wissen mit Jugendvorstellungen des 19. Jahrhunderts und erweiterte diese damit wesentlich. 28 Dabei „erfand“ Hall Jugend nicht. Vorstellungen etwa einer spezifisch jugendlichen Instabilität und Unreife, die im Prozess des Erwachsenwerdens überwunden werden sollten, waren schon seit der Amerikanischen Revolution tradiert und wurden etwa in Erziehungsratgebern aufgerufen. 29 Bis ins späte 19. Jahrhundert hatte Jugend aber primär als Marker einer moralisch-emotionalen Reifung fungiert. 30 Nun riefen Hall und das von ihm mitbegründete Child Study Movement diese Vorstellungen auf und gaben ihnen eine neue Qualität, indem sie mit Adoleszenz eine Kategorie etablierten, die biologisch fundiert wurde. Man begann, eine geistig-moralische jugendliche Instabilität als Ausdruck biologischer Prozesse zu konzipieren und zu erforschen. 31 Jugend als Potenzial und Problem Hall konzipierte Adoleszenz als spezifische, konstitutiv turbulente Phase zwischen Kindheit und Erwachsensein. Im Unterschied zu vorherigen Konzeptionen von Jugend war die Unreife, die Jugendlichen nun zugewiesen wurde, eine biologisch-evolutionär begriffene Unreife. Hall verstand Adoleszenz als letztes Übergangsstadium der individuellen Rekapitulation menschlicher Evolution. Jedes Individuum, so folgte Hall der Rekapitulationstheorie des Zoologen Ernst Haeckel, wiederhole in seinem Aufwachsen sämtliche Stadien der tierischen und menschlichen Entwicklungsgeschichte. Demnach durchliefen Jugendliche gera- 27 G. Stanley Hall: Adolescence. Its Psychology and its Relation to Physiology, Anthropology, Society, Sex, Crime, Religion and Education, 2 Bde. New York: Appleton and Co., 1904. 28 Bederman: Manliness & Civilization, Kap. 3; Nancy Lesko: Act Your Age! A Cultural Construction of Adolescence. New York/ London: Routledge, 2001, v. a. Kap. 2. 29 Steven Mintz: Huck’s Raft. A History of American Childhood. Cambridge: Belknap Press/ Harvard Univ. Press, 2004, S. 196; Joseph Kett: Rites of Passage. Adolescence in America, 1790 to the Present. New York: Basic Books, 1977, z. B. S. 113-119; André Richter: Die Erziehung des Sozialen. Über die Entwicklung von Bildungslandschaften und Jugendhilfestrukturen in den USA. Weinheim/ München: Juventa, 2006, S. 67f.; Jürgen Martschukat: Die Ordnung des Sozialen. Väter, Familien und die Geschichte der USA seit 1776. Frankfurt/ New York: Campus, 2013, S. 324. 30 John Demos/ Virginia Demos: „Adolescence in Historical Perspective“, in: Paula S. Fass/ Mary Ann Mason (Hg.): Childhood in America. New York/ London: New York Univ. Press, 2000, S. 132-138. 31 Kett: Rites of Passage, v. a. Kap. 8; Olaf Stieglitz: 100 Percent American Boys. Disziplinierungsdiskurse und Ideologie im Civilian Conservation Corps, 1933-1942. Stuttgart: Steiner, 1999, S. 55f.; Lesko: Act Your Age, S. 30ff. <?page no="16"?> 15 de die Phase „primitiver“ Menschheitsformen - auf diese Weise erklärte Hall ein spezifisch jugendliches, irrationales Verhalten und markierte es als zentrales Charakteristikum der Adoleszenz. 32 Besonderes biopolitisches Gewicht erhielt diese Konzeptualisierung von Adoleszenz in ihrer Verbindung mit der Great Chain of Being. In dieser seit dem 16. Jahrhundert kursierenden Symbolisierung von historischem Fortschritt wurden verschiedene Phasen der Entwicklung von Lebewesen klassifiziert und hierarchisch arrangiert. Am höchsten Punkt der Fortschrittsleiter und damit an der Spitze zivilisatorischer Errungenschaften st and „der Mensch“. 33 In der Rekapitulationstheorie wurden Adoleszente nun auf einer niederen Stufe der Great Chain of Being angeordnet und mit Angehörigen „primitiver Rassen“ gleichgesetzt. Im Gegensatz zu jenen, deren Entwicklung als auf niedrigem Niveau stagnierend begriffen wurde, standen Jugendliche dort nach Hall aber nur temporär auf dem Weg zum „zivilisierten“ Menschen. 34 Hier wird deutlich, dass dieser Entwurf von Adoleszenz als Keimzelle „zivilisierter“ Gesellschaften in hohem Maße weiß, bürgerlich und männlich konturiert war. Denn zum einen war die vermeintlich universelle Gruppe derjeniger, die die Fortschrittsleiter anführen sollten, äußerst partikular strukturiert: Vorstellungen von Zivilisation waren durch Qualitäten wie Vernunft und moralischer Zurückhaltung kodiert, die wiederum nahezu exklusiv mit weißer, bürgerlicher Männlichkeit verknüpft wurden. 35 Zum anderen war es gerade das erklärte Ziel jugendlicher Reifung, die Irrationalität und Instabilität zu überwinden, die Adoleszenten generell, aber besonders auch den „primitiven Rassen“ zugeschrieben wurde. Hall entwarf männliche Jugendliche als zivilisatorische Hoffnung, die nicht nur die höchste Stufe der Fortschrittsleiter erklimmen, sondern auch zur steten Weiterentwicklung der „Rasse“ beitragen sollten. Wenn männliche Jugendliche die als natürlich betrachtete adoleszente Wildheit angemessen auslebten und überwänden, könnten sie der vermeintlich „effeminierenden“ Tendenz der modernen Zivilisation entgegenarbeiten und im Erwachsenenalter umso gefestigter sein. 36 Nicht-weiße Jugendliche wurden als generell unfähig betrachtet, sich zur höchsten zivilisatorischen Stufe zu entwickeln. 37 Gerade weil es um die Entwicklung rechter Männlichkeit ging, wurden auch weiße Mädchen vom zivilisatorischen Potenzial von Adoleszenz diskursiv ausgeschlossen. Weib- 32 Bederman: Manliness & Civilization, insbes. S. 91-99; Lesko: Act Your Age, S. 54ff. 33 Ebd., S. 19-48. 34 Ebd., S. 33f.; Bederman: Manliness & Civilization, S. 93. 35 Ebd. 36 Damit fungierte Adoleszenz, wie Bederman gezeigt hat, als Antwort auf die zeitgenössisch diagnostizierte Krise weißer, bürgerlicher Männlichkeit (ebd., S. 97). Dazu auch Felix Krämer/ Nina Mackert: „Wenn Subjekte die Krise bekommen. Hegemonie, Performanz und Wandel am Beispiel einer Geschichte moderner Männlichkeit“, in: Landwehr: Diskursiver Wandel, S. 265-279, hier insb. S. 271-175. 37 Bederman: Manliness & Civilization, S. 93. <?page no="17"?> 16 lichkeit galt im Gegensatz zu Männlichkeit als passiv, unkontrolliert und weniger flexibel in der Ausbildung von evolutionären Weiterentwicklungen. Zudem zeichnete sich zivilisatorischer Fortschritt in diesen Konzepten gerade durch eine deutliche Differenzierung der Geschlechter aus, die gleichzeitig nicht-weißen Gesellschaften abgesprochen wurde. 38 Auf diese Weise trug die rekapitulationstheoretische Konstruktion von Adoleszenz zur Jahrhundertwende dazu bei, rassistisch-koloniale Politiken diskursiv zu legitimieren. Wenn Adoleszente in der evolutionären Leiter auf einer Stufe mit „primitiven Rassen“ standen, so die Logik dieses Narratives, dann waren auch die Erwachsenen dieser Gruppen wie Jugendliche und mussten als solche behandelt und diszipliniert werden. 39 Diese Vorstellung fungierte als diskursive Grundlage für den Ausschluss von weiblichen und nicht-weißen Jugendlichen aus dem Sprechen über Adoleszenz, der sich als äußerst langlebig erwies und noch zur Jahrhundertmitte eine bedeutende Rolle spielte. Außerdem konnte das vermeintlich irrational-wechselhafte Verhalten von Jugendlichen nun biologisch fundiert als zentrales Charakteristikum dieser Phase erklärt werden. 40 Auf der einen Seite bot dies eine Grundlage, Jugendliche nicht als vernunftbegabte Subjekte zu klassifizieren, daher nicht ernst zu nehmen und als „irregeleitete“ Individuen zu konturieren. Instabilität und Irrationalität wurden mit der Rekapitulationstheorie tief in adoleszenten Körpern verankert und konnten als „normales“ Verhalten erklärt werden. 41 Andererseits nahm man die gesellschaftliche Rolle von Jugendlichen sehr wohl ernst, denn Jugendliche wurden nun buchstäblich als Keimzelle der Gesellschaft gedacht. Mit ihrer entwicklungsbiologischen Einbettung in die Great Chain of Being schien Adoleszenz eine fruchtbare Quelle von Wissen über die Vergangenheit und Zukunft der Menschheit darzustellen. 42 Expert_innen unterschiedlicher Disziplinen begannen, Jugendliche als Forschungsobjekte zu untersuchen und durch statistische Erhebungen und Studien Wissen über diese so bedeutsame, gesellschaftliche Gruppe zu erschaffen. 43 Zu einem Zeitpunkt, an dem etwa die ökonomische Produktion in kleinteilige Abschnitte unterteilt und das gesellschaftliche Leben an Vorstellungen zeitlicher Abläufe geknüpft wurde, erschien auch die menschli- 38 Bederman: Manliness & Civilization, S. 107; Lesko: Act Your Age, S. 25, 62. 39 Dazu Anne McClintock: Imperial Leather. Race, Gender, and Sexuality in the Colonial Contest. New York/ London: Routledge, 1995, S. 42-51; Ann Laura Stoler: Race and the Education of Desire. Foucault’s History of Sexuality and the Colonial Order of Things. Durham/ London: Duke Univ. Press, 1995. 40 Bederman: Manliness & Civilization, S. 94; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 18. 41 Joan Costello u. a.: „How History, Ideology, and Structure Shape the Organizations That Shape Youth“, in: Peter L. Benson/ Karen Johnson Pittman (Hg.): Trends in Youth Development. Visions, Realities and Challenges. Norwell u. a.: Kluwer, 2001, S. 191-229, hier S. 193. 42 Lesko: Act Your Age, S. 33, 49-90. 43 Stieglitz: 100 Percent American Boys, S. 55f.; Lesko: Act Your Age, S. 30ff. <?page no="18"?> 17 che Entwicklung natürlicherweise an Alter und spezifische Alterungsstufen gekoppelt. In dieser Formation entwickelte sich Alter zu einer naturalisierten Kategorie, die scheinbar objektiv Auskunft über eine angemessene Entwicklung gab. Zeit und Entwicklung konnten als zentrale gesellschaftliche Kategorien über das vermeintlich machtfreie, weil „natürliche“ Phänomen der Jugend mit rassistischen, sexistischen und imperialen Politiken verbunden werden. 44 Dieses Wissen stellte überdies Ansatzpunkte für Interventionen bereit. Denn über den Erfolg der adoleszenten Entwicklung entschied in den zeitgenössischen Narrativen nicht nur eine mutmaßlich natürliche Disposition Jugendlicher. Auch denjenigen Jugendlichen, die als prinzipiell fähig zur höchsten Entwicklung galten, lauerten eine Reihe von Gefahren auf dem Weg zur Reife: „[E]very step of the upward way“, warnte Hall, „is strewn with wreckage of body, mind, and morals. There is not only arrest, but perversion, at every stage, and hoodlumism, juvenile crime, and secret vice seem not only increasing, but develop in earlier years in every civilized land“. 45 Jugendliche Delinquenz konnte vor diesem Hintergrund gleichzeitig als natürliche Gefahr adoleszenten Aufwachsens und als höchst interventionsbedürftiges gesellschaftliches Problem konturiert werden. Dass gerade die moderne Zivilisation also auch eine Bedrohung für Jugendliche darstellte, verlangte nach Hall die sorgfältige Führung von Jugendlichen, damit diese ihre zukünftige Rolle als Träger zivilisatorischer Entwicklung ausüben konnten und nicht auf dem „primitiven“ Entwicklungsstadium stehen blieben. Gerade die konstitutive Instabilität, die adoleszenten Körpern und Psychen zugeschrieben wurde, barg also Hoffnung und Gefahr gleichermaßen. In dieser Ambivalenz wurde Adoleszenz, wie Nancy Lesko schreibt, zu einem „äußerst nützlichen öffentlichen Problem“, über das Fragen von Fortschritt und sozialer Teilhabe verhandelt werden konnten. 46 Indem Adoleszente als zentrale, aber konstitutiv krisenhafte gesellschaftliche Ressource konstruiert wurden, geriet Jugend ins Zentrum der Reformbewegungen zur Jahrhundertwende. Adoleszenz katalysierte die diskursiven Verhandlungen von etwa Sexualität und Familie und trug zur Bestimmung dessen bei, was als geistig, moralisch und körperlich „normal“ und „gesund“ galt. Durch die Analogie von Individualentwicklung und zivilisatorischem Fortschritt bildeten adoleszente Körper eine Schnittstelle biopolitischer Techniken, die auf die Regierung von individuellen Körpern und Bevölkerungskörper ausgerichtet war. 44 Howard Chudacoff: How Old Are You? Age Consciousness in American Culture. Princeton: Princeton Univ. Press, 1989, S. 29-64; Lesko: Act Your Age, S. 4, 122. Zum Begriff des Dispositivs Abschnitt 1.3 dieser Einleitung. 45 Hall: Adolescence, I, S. xiv, zit. nach Waltzer: Uneasy Idealism, S. 19. 46 Lesko: Act Your Age, S. 6. <?page no="19"?> 18 Die Regierung von Adoleszenz und Delinquenz zum Beginn des 20. Jahrhunderts Laut Hall hatten Erziehungsinstitutionen die unbedingte Pflicht, als korrektive Kräfte auf Jugendliche einzuwirken und dazu beizutragen, den Verlauf der Adoleszenz in rechte Bahnen zu lenken. 47 Über ihre entwicklungsbiologische Konstruktion wurden jugendliche Körper und Psychen zu Zugriffsobjekten einer Reihe von Regierungstechnologien, die auf eine Verlängerung der Jugendphase und die angemessene Führung jugendlichen Aufwachsens entlang den Anforderungen von guter Staatsbürgerschaft und gesellschaftlichem Fortschritt zielten. Die Entstehung von Jugendgerichten, neue Formen der Jugend(sozial)arbeit, Veränderungen des Schulwesens und ein spezifischer Fokus auf Kernfamilien gehörten zu den zentralen Feldern, in denen regulierend auf Adoleszenz zugegriffen wurde. 48 Auch in diesen Programmen und Praktiken standen weiße Jungen im Vordergrund. Über diesen Fokus auf werdende Männlichkeit wurde gleichwohl Weiblichkeit und Non-Whiteness stets mitverhandelt. 49 Jugendgerichte Die oben geschilderte Konzeption von Adoleszenz als konstitutiv krisenhaft und der Führung bedürftig gehörte zu den zentralen Gründungserzählungen von Jugendgerichten. Bis zur Jahrhundertwende waren straffällig gewordene Kinder und Jugendliche nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt und inhaftiert worden. Die neuen Jugendgerichte, die ab 1899 entstanden, sollten dieses Vorgehen entscheidend ändern. Sie beruhten auf der Annahme, dass die profunde Instabilität Jugendlicher einen anderen juristischen Umgang mit ihnen erfordere als mit Erwachsenen. Jugendgerichte sollten den „adversarialen“ Charakter von Kriminalprozessen durch formlose Verfahren ersetzen und die psychosoziale Rehabilitation jugendlicher Angeklagter in den Vordergrund stellen. 50 In diesem 47 Lesko: Act Your Age, S. 57ff. 48 Kett: Rites of Passage, S. 215. 49 Lesko: Act Your Age, S. 78. 50 Das erste Jugendgericht wurde 1899 im Cook County, Illinois, gegründet und 1917 hatten nahezu alle Bundesstaaten solche Einrichtungen etabliert (Steven Mintz: „Regulating the American Family“, in: Joseph M. Hawes/ Elizabeth I. Nybakken [Hg.]: Family and Society in American History. Urbana: Univ. of Illinois Press, 2001, S. 9-36, hier S. 22). Zur Geschichte US-amerikanischer Jugendgerichte existieren zahlreiche Studien, z. B. Anthony M. Platt: The Child Savers. The Invention of Delinquency. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 1977 2 [1969]; Robert M. Mennel: Thorns and Thistles. Juvenile Delinquents in the United States, 1825-1940. Hanover: Univ. Press of New England, 1973; Steven L. Schlossman: Love and the American Delinquent. The Theory and Practice of “Progressive” Juvenile Justice. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 1977; Sealander: The Failed Century of the Child, insbes. Kap. 1. David Tanenhaus hat anhand von Gerichtsakten die Arbeitsweise von <?page no="20"?> 19 Kontext gelangte auch der Terminus juvenile delinquency zu signifikanter Bedeutung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts war er höchst unterschiedlich sowohl zur Kennzeichnung individueller „badness“ als auch von durch Armut hervorgerufener Devianz verwendet worden. 51 Nun wurde der Begriff zu einer zentralen juristischen Kategorie, die einen Unterschied zwischen jugendlichen Straftaten und Erwachsenenkriminalität hervorheben sollte. 52 Man nahm an, dass eine korrektive Intervention des Staates erforderlich sei, um die spezifisch jugendliche Launenhaftigkeit einzuhegen und schädliche Einflüsse durch etwa Stadtleben oder schlechte Familienverhältnisse zu begrenzen. „In theory, this court is parental, a court of guardianship“, konstatierte etwa die Sozialarbeiterin Miriam Van Waters. 53 Ihr Kommentar verweist auf zweierlei: Erstens operierten Jugendgerichte unter der parens patriae-Doktrin und sollten als Vertretung eines wohlmeinenden Staates nicht primär eine strafende Funktion, sondern die Obhut über diejenigen übernehmen, die als delinquent, abhängig oder vernachlässigt klassifiziert wurden. Damit wurden auch jugendliche Straftäter_innen als instabile, der Fürsorge bedürftige Jugendliche betrachtet. In Jugendgerichtsverfahren sollten nun „liebevolle“ Richter die „Bedürfnisse“ von Delinquent_innen herausfinden und sie nötigenfalls aus ihrem familiären Umfeld herausnehmen und in Pflegefamilien, Erziehungsanstalten oder separaten Jugendstrafeinrichtungen unterbringen. 54 Zweitens impliziert Van Waters‘ Zusatz „[i]n theory“ eine Kluft Jugendgerichten erforscht und deren Verschränkung mit Wohlfahrtspolitiken und der Erschaffung von Communities untersucht (David S. Tanenhaus: Juvenile Justice in the Making. New York/ Oxford: Oxford Univ. Press, 2004). Eine machtkritische Analyse, die die interdependente Konstruktion vor allem weiblicher Delinquenz hervorhebt, bietet diesbezüglich Ann Meis Knupfer: Reform and Resistance. Gender, Delinquency, and America’s First Juvenile Court. New York/ London: Routledge, 2001. Dazu auch Ruth M. Alexander: The Girl Problem. Female Sexual Delinquency in New York, 1900-1930. Ithaca/ New York: Cornell Univ. Press, 1995. Zum Verhältnis von Jugendgerichten und Familien bzw. Eltern Mary E. Odem: Delinquent Daughters. Protecting and Policing Adolescent Female Sexuality in the United States, 1885-1920. Chapel Hill/ London: Univ. of North Carolina Press, 1995. Insbesondere auf die rassistischen Dimensionen der Jugendgerichte verweist Geoff K. Ward: The Black Child-Savers. Racial Democracy and Juvenile Justice. Chicago: Univ. of Chicago Press, 2012. 51 Platt: The Child Savers, S. 15-45; Peter Conrad/ Joseph W. Schneider: Deviance and Medicalization. From Badness to Sickness. Philadelphia: Temple Univ. Press, 1992, S. 146-150; Stieglitz: 100 Percent American Boys, S. 63ff. 52 Platt: The Child Savers, S. 46-74. 53 Zit. nach Odem: Delinquent Daughters, S. 131. 54 Die parens patriae-Doktrin entstammte der englischen Gerichtsbarkeit und ermöglichte es in den Vereinigten Staaten seit 1838, Jugendliche aus ihren Familien herauszunehmen und in Besserungsanstalten unterzubringen (Barry C. Feld: Bad Kids. Race and the Transformation of the Juvenile Court. New York/ Oxford: Oxford Univ. Press, 1999, S. 52). An der Wende zum 20. Jahrhundert wurde die Doktrin zum zentralen Prinzip einer separaten Jugendgerichtsbarkeit (Platt: The Child Savers, S. 46-74; Schlossman: Love and the American Delinquent, S. 8-17). <?page no="21"?> 20 zwischen der Konzeption von Jugendstrafverfahren und ihrer sozialen Realität. Bereits zeitgenössische Kritiken bemängelten, dass Gerichtsverfahren für Jugendliche in der Praxis eine ebenso punitive, freiheitsberaubende Funktion ausübten wie die für Erwachsene. 55 In der historischen Forschung ist dieser Umstand ausführlich aufgegriffen und die Rolle von Jugendgerichten als Sanktionsmechanismus für Abweichungen herausgestellt worden. Dabei haben die Arbeiten zum einen hervorgehoben, dass Jugendgerichte über die Diagnose der Vernachlässigung disziplinarisch auf sozial benachteiligte, migrantische und afroamerikanische Jugendliche und Familien zugreifen konnten. 56 Zum anderen zeigen die Studien, dass auch gerade Mädchen besonders häufig vor die Jugendgerichte gebracht und bestraft worden sind, in der Regel unter der Anklage sexueller Delinquenz. 57 Die historische Legitimation für den unterschiedlichen Umgang mit männlichen und weiblichen Jugendlichen wurde in deren vermeintlich unterschiedlichen Dispositionen gefunden: Delinquente Handlungen weiblicher Jugendlicher seien prinzipiell schlimmer, weil sie auf eine „Gefahr“ hinwiesen, in der sich das Mädchen befände, schrieben etwa zwei Sozialarbeiterinnen 1912, und fuhren fort: „The delinquent boy, on the other hand, is frequently only a troublesome nuisance who needs discipline but who [...] is ‘not really a bad boy’ and ‘with a little watching he is sure to come out right’.“ 58 Hier wird die Rolle der geschlechtsspezifischen Konstruktion von Adoleszenz deutlich: Obwohl etwa eine sexuelle Triebhaftigkeit nach Hall zu den zentralen Elementen von Adoleszenz gehörte, wurde deren „unkontrolliertes“ Ausleben gerade bei Mädchen als gefährliche Transgression von Geschlechternormen verstanden. Dagegen betrachtete man delinquente Aktivitäten von Jungen eher als notwendiges Übel einer adoleszenten Entwicklung, der ein angemessener Raum gegeben werden sollte. 59 Dies war ein Grund dafür, dass Mädchen erst ab einem höheren Alter als Jungen Sex 55 Zur zeitgenössischen Kritik an Jugendgerichten Platt: The Child Savers, S. 158f. 56 Ebd.; Eric C. Schneider: In the Web of Class. Delinquents and Reformers in Boston, 1810s- 1930s. New York/ London: New York Univ. Press, 1992, S. 151ff.; Meda Chesney- Lind/ Randall G. Shelden: Girls, Delinquency, and Juvenile Justice. Belmont: Wadsworth, 2004 3 , S. 159. 57 Z. B. Steven L. Schlossman/ Stephanie Wallach: „The Crime of Precocious Sexuality. Female Juvenile Delinquency and the Progressive Era“, in: Harvard Educational Review 48/ 1 (1978), S. 65-94; Knupfer: Reform and Resistance. Odem zeigt unter anderem, dass Mädchen in den Prozessen ausgiebigen körperlichen und psychischen Untersuchungen ausgeliefert und häufiger in Jugendstrafeinrichtungen untergebracht wurden (Odem: Delinquent Daughters, S. 114f.). Außerdem beleuchtet sie die Verknüpfung von Diskursen zu weiblicher Sexualität mit der Sorge vor Geschlechtskrankheiten und einer Beeinträchtigung US-amerikanischer Wehrhaftigkeit im Ersten Weltkrieg (ebd., S. 121-127). 58 Sophonisba P. Breckinridge/ Edith Abbott: The Delinquent Child and the Home. New York: Russell Sage Foundation Charities Publication Committee, 1912, zit. nach ebd., S. 115. 59 Lesko: Act Your Age, S. 82. <?page no="22"?> 21 haben, aber früher als jene heiraten durften. 60 Überhaupt war es äußerst umkämpft, wer wann als jugendlich galt. So veränderten sich die juristischen Definitionen von Jugendlichkeit und Reife, die die Zuständigkeit von Jugendgerichten regelten, nicht nur im Laufe der Zeit, sondern waren auch von Bundestaat zu Bundesstaat unterschiedlich. 61 Die Kategorie der Jugend musste offensichtlich juristisch stabilisiert werden. Nicht zufällig wurden die USA genau zu dem Zeitpunkt von einer Welle der Angst vor jugendlicher Delinquenz erfasst, zu dem abweichendes Verhalten von Jugendlichen als natürliches Element der Adoleszenz konzipiert und eine separate Jugendgerichtsbarkeit eingeführt wurde. Die Adoleszenz-Theorien der Jahrhundertwende waren von einer scheinbar folgerichtigen Verknüpfung von jugendlicher Gefährdung und Delinquenz gekennzeichnet, die nicht nur durch Jugendgerichte eingehegt werden sollten, sondern auch in neuen Formen von Jugend- und Sozialarbeit eine zentrale Rolle spielten. 62 Jugendarbeit Die in Adoleszenztheorien propagierte angemessene jugendliche Entwicklung schien in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts vielfältig gefährdet zu sein. Zeitgenoss_innen beobachteten etwa hohe Einwanderungszahlen und eine anhaltende Migration vor allem von African Americans in die Städte des Nordens mit der Sorge, dass die Verdichtung und „ethnische“ Heterogenität urbaner Zentren schädliche Auswirkungen auf Jugendliche habe. 63 Städtische Jugendgangs und jugendliche Vergnügungskulturen schienen deutliche Anzeichen dafür zu sein, dass gerade Jugendliche der Arbeiterklasse in ungeordneten Verhältnissen aufwachsen und ihre vermehrte Freizeit auf zweifelhafte Weise nutzen würden. 64 Und während der Great Depression befürchtete man, Jugendarbeitslo- 60 Kelly Schrum: Some Wore Bobby Sox. The Emergence of Teenage Girls’ Culture, 1920-1945. New York: Palgrave Macmillan, 2004, S. 11. Zu den Auseinandersetzungen um das sexuelle Mündigkeitsalter bei Mädchen Odem: Delinquent Daughters, v. a. S. 8-37. 61 Odem: Delinquent Daughters, v. a. S. 30f. Die kulturelle Wirkmächtigkeit und gleichzeitige Kontingenz dieser Entwicklungslogik zeigt sich auch darin, dass etwa der Historiker Thomas Hine gegenwärtige juristische Festlegungen von Altersgrenzen als altmodisch klassifiziert (Thomas Hine: The Rise and Fall of the American Teenager. New York: Avon, 1999, S. 45). 62 Zur Ähnlichkeit der Regierungslogiken von Jugendstrafsystem und Sozialarbeit Dollinger: Jugendkriminalität als Kulturkonflikt, S. 145-147. 63 Dazu Stieglitz: 100 Percent American Boys, S. 76f.; David B. Wolcott: Cops and Kids. Policing Juvenile Delinquency in Urban America, 1890-1940. Columbus: Ohio State Univ. Press, 2005, S. 96f., 118f.; Ward: The Black Child-Savers. 64 Kett: Rites of Passage, S. 255-260; Stieglitz: 100 Percent American Boys, S. 70. Vgl. Frederic Milton Thrasher: The Gang. A Study of 1313 Gangs in Chicago. Chicago: Univ. of Chicago Press, 1927. Zur Freizeitgestaltung von Jugendlichen der Arbeiterklasse Kathy Lee Peiss: Cheap Amusements. Working Women and Leisure in Turn-of-the-Century New York. <?page no="23"?> 22 sigkeit und die damit einhergehende „idleness“ Jugendlicher sei ein Einfallstor für Delinquenz. 65 In diesen Bedrohungsszenarien spielten durch Klasse, Geschlecht und Raum geprägte Vorstellungen von ungesunder Entwicklung eine bedeutetende Rolle, wie Lesko herausstellt: „The composite portrait of urban laggards - sullen, nonvirile youth who smoked cigarettes, masturbated, and lived in unhealthy conditions - threatened the further evolution of the race and the material growth of the nation.“ 66 Die Formen von Jugend- und Sozialarbeit, die sich um die Jahrhundertwende entwickelten, reagierten auf das Wissen von einer angemessen ausgelebten Jugendphase. In Zeltlagern, auf Spielplätzen und etwa beim Wandern sollten Jugendliche sich in der Natur austoben und dabei Charakter- und Körperbildung betreiben. 67 In der muscular christianity, einem zentralen Leitbild von Jungenarbeit in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts, wird die diskursive Verbindung von geistiger, moralischer und körperlicher Gesundheit mit gesellschaftlicher Produktivität deutlich. 68 Reformbewegungen wie das Playground Movement und die Praktiken von Organisationen wie Boy Scouts und YMCA zeigen, wie vor allem männliche Jugendliche entlang dieser Logik zu produktiven Staatsbürgern ausgebildet werden sollten. 69 Auch für Mädchen wurden Camps und andere Freizeitaktivitäten, auch sportlicher Natur, angeboten. Diese hatten aber nicht das Ausleben „primitiver“ Triebe zum Ziel, sondern sollten über die Ausbildung „gesunder“ Körper primär deren zukünftige Reproduktionsfähigkeit sicherstellen. 70 Philadelphia: Temple Univ. Press, 1986. 65 Hine: Rise and Fall of the American Teenager, S. 204-211; Olaf Stieglitz: „‘We may be losing this generation’: Talking about Youth and the Nation’s Future during the New Deal Era“, in: Norbert Finzsch/ Hermann Wellenreuther (Hg.): Visions of the Future in Germany and America. Oxford/ New York: Berg 2001, S. 403-429. 66 Lesko: Act Your Age, S. 55f. 67 Abigail Van Slyck: A Manufactured Wilderness. Summer Camps and the Shaping of American Youth, 1890-1960. Minneapolis: Univ. of Minnesota Press, 2006; Dominick Cavallo: Muscles and Morals. Organized Playgrounds and Urban Reform, 1880-1920. Philadelphia: Univ. of Pennsylvania Press, 1981. Außerdem Kenny Cupers: „Governing Through Nature: Camps and Youth Movements in Interwar Germany and the United States”, in: Cultural Geographies 15/ 2 (2008), S. 173-205, der auch zeigt, wie diese Praktiken von imperialen Narrativen der westlichen Expansion der frontier und ambivalenten Bezügen auf Native Americans durchzogen waren. 68 Clifford Putney: Muscular Christianity. Manhood and Sports in Protestant America, 1880- 1920. Cambridge: Harvard Univ. Press, 2001; Lesko: Act Your Age, S. 56, 62. 69 David I. Macleod: Building Character in the American Boy. The Boy Scouts, YMCA, and their Forerunners, 1870-1920. Madison: Univ. of Wisconsin Press, 1983; Stieglitz: 100 Percent American Boys. Zur Frage, wie sich afroamerikanische Jugendorganisationen in diese Narrative einschrieben s. z. B. Lesko: Act Your Age, S. 84. 70 Stieglitz: 100 Percent American Boys, S. 85; Susan A. Miller: Growing Girls. The Natural Origins of Girls’ Organizations in America. New Brunswick: Rutgers Univ. Press, 2007. Zu den <?page no="24"?> 23 Schule Auch der zeitgenössische Ausbau und die Umgestaltung des Schulwesens reflektierte das Narrativ einer zu schützenden und zu formenden Adoleszenz. 71 Diese Logik fungierte als zentrale Begründung in Diskussionen um die Abschaffung von Kinderarbeit und trug dazu bei, dass weiterführende Schulen zur Jahrhundertwende zum privilegierten Aufenthaltsort Jugendlicher erklärt wurden. 72 1903 hatten 31 Bundesstaaten die Schulpflicht eingeführt und in den folgenden Jahrzehnten wurde die Altersgrenze für den obligatorischen Schulbesuch in vielen Staaten nach oben gesetzt. 73 Darüber hinaus wurden Alter und Zeit zunehmend bedeutende Kategorien auch in der Organisation von Schulen. Vor dem Hintergrund der Vorstellung einer phasenhaften jugendlichen Entwicklung teilte man Schülerinnen und Schüler nun anhand von Altersklassen ein. 74 Standardisierte Tests versprachen, objektiv Auskunft über die schulische Leistung und damit den zukünftigen gesellschaftlichen Erfolg der Jugendlichen zu geben. Klassenstruktur und curriculare Gestaltung von Schulen spiegelten die tayloristische Organisation der Fabriken und verdeutlichen die Funktion von Schule als Disziplinartechnik. 75 Dabei zeigte der Raum Schule trotz dessen vermeintlich universeller Funktion, alle Jugendlichen auszubilden, nicht zufällig eine höchst interdependente Struktur. Zum einen stellte die Highschool zur Jahrhundertwende eine gesellschaftliche Ressource dar, die fast nur weißen Jugendlichen zugänglich und überdies von Klasse und Geschlecht reguliert war. 76 Zum anderen propagierten unterschiedlichen Logiken von Jugendarbeit für Jungen und Mädchen Melanie Henne: Training Citizenship. Ethnizität und Breitensport in Chicago, 1920-1950. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2014 (i. E.). 71 Zur Geschichte der Highschool David Nasaw: Schooled to Order. A Social History of Public Schooling in the United States. New York/ London: Oxford Univ. Press, 1979; Lawrence A. Cremin: American Education. The Metropolitan Experience, 1876-1980. New York: Harper and Row, 1988; Thomas S. Popkewitz: Cosmopolitanism and the Age of School Reform. Science, Education, and Making Society by Making the Child. New York/ London: Routledge, 2008. 72 Hine: Rise and Fall of the American Teenager, S. 157f., 170ff.; Viviana A. Zelizer: Pricing the Priceless Child. The Changing Social Value of Children. Princeton: Princeton Univ. Press, 1994 [1985], S. 56-112. 73 Cremin: American Education, S. 297f.; Gerald L. Gutek: „Compulsory Attendance“, in: Richard J. Altenbaugh (Hg.): Historical Dictionary of American Education. Westport: Greenwood, 1999, S. 95-96; Costello u. a.: „How History, Ideology, and Structure Shape the Organizations That Shape Youth“, S. 199. 74 Lesko: Act Your Age, S. 121; Chudacoff: How Old Are You, S. 91. 75 Ebd., S. 78ff.; Costello u. a.: „How History, Ideology, and Structure Shape the Organizations That Shape Youth“, S. 199; Thomas S. Popkewitz: „Curriculum History, Schooling and the History of the Present“, in: History of Education 40/ 1 (2011), S. 1-19. 76 Stieglitz: 100 Percent American Boys, S. 61; Victoria Bissell Brown: „The Fear of Feminization: Los Angeles High Schools in the Progressive Era“, in: Feminist Studies 16/ 3 (1990), S. 493- <?page no="25"?> 24 Expert_innen nach Alter, Geschlecht und Fähigkeiten differenzierte Curricula. Unter anderem Hall hatte davor gewarnt, Jugendliche in den Schulen intellektuell zu sehr zu beanspruchen. 77 Durch eine geschlechterdifferenzierte Social und Vocational Education sollten Jugendliche sich in ihre jeweilig zugewiesenen, gesellschaftlichen Rollen „hineinlernen“. Dabei wurde der Werkunterricht etwa als „outlet for boys’ energies“ begründet. 78 Zudem funktionierten die neuen Curricula als klassen- und geschlechterdifferenzierende Technologie, die Jungen der Mittelklasse von Jungen der Arbeiterklasse separieren und Mädchen aller Schichten auf ihre Rolle als Mutter vorbereiten sollte. Die Historikerin Victoria Bissell Brown hat gezeigt, dass eine „Angst vor der Feminisierung“ der Highschool diese curricularen Veränderungen katalysierte und beispielsweise als Begründung fungierte, die Gehälter männlicher Lehrkräfte deutlich anzuheben. 79 Familie Nicht zuletzt bildete die evolutionsbiologische Konstruktion von Adoleszenz auch einen Anknüpfungspunkt für die Zentrierung von Familien in den Reformbemühungen des frühen 20. Jahrhunderts. Die weiße, heterosexuellreproduktive Mittelklassefamilie wurde als natürlicher Ort jugendlicher Sozialisation betrachtet. 80 Dabei trug die Vorstellung abhängiger Jugendlicher zur Entwicklung eines therapeutischen Familienideals bei, das zunehmend Fragen von erzieherischer Eignung fokussierte und Eltern in die Pflicht nahm, sich gemäß pädagogischem Wissen angemessen um ihre Kinder zu kümmern. 81 Expert_innen statteten Eltern mit Erziehungsratgebern aus, in denen sie zur Beachtung und Begleitung spezifischer Phasen kindlicher und jugendlicher Entwicklung aufriefen. 82 Gleichzeitig fungierte die Diagnose adoleszenter Abhängigkeit und Delinquenz als Legitimation, Jugendliche aus den Familien heraus zu nehmen und in die Obhut staatlicher Einrichtungen zu geben. Diese Interventionen wurden mit den Mängeln „inadäquater“ Familien begründet. 83 In der parens 518, hier S. 494. 77 Lesko: Act Your Age, S. 57. 78 Bissell Brown: „The Fear of Feminization“, S. 509. Dazu auch Lesko: Act Your Age, S. 70ff. 79 Bissell Brown: „The Fear of Feminization“. 80 Mintz: „Regulating the American Family“, S. 19; Julian B. Carter: The Heart of Whiteness. Normal Sexuality and Race in America, 1880-1940. Durham/ London: Duke Univ. Press, 2007. 81 Mintz: „Regulating the American Family“, S. 10. 82 Julia Grant: Raising Baby by the Book. The Education of American Mothers. New Haven: Yale Univ. Press, 1998, v. a. Kapitel 1; Kathleen W. Jones: Taming the Troublesome Child. American Families, Child Guidance, and the Limits of Psychiatric Authority. Cambridge: Harvard Univ. Press, 1999; Ann Hulbert: Raising America. Experts, Parents, and a Century of Advice About Children. New York: Alfred A. Knopf, 2003. 83 Odem: Delinquent Daughters, S. 107; Lesko: Act Your Age, S. 76; Nancy Fraser/ Linda <?page no="26"?> 25 patriae-Doktrin der Jugendgerichte sollte der Staat die erzieherische Führung derjenigen Jugendlichen übernehmen, deren Eltern als nicht in der Lage galten, ihre Aufsichts- und Erziehungspflichten wahrzunehmen. Eine Reihe von Historiker_innen hat gezeigt, dass mit diesem Narrativ vor allem nicht-weiße, migrantische und sozial benachteiligte Familien als mangelhafte Sozialisationsinstanzen hervortraten, deren eigentliche Funktion daher von externen Einrichtungen erfüllt werden sollte. 84 Dass auf diese Weise erzieherische Aufgaben zum Teil an andere private oder staatliche Institutionen übergingen, musste keinen Bedeutungsverlust der Familie mit sich bringen. 85 Denn zum einen sollten auch die vom Jugendgericht verurteilten Jugendlichen in Pflegefamilien oder familiär organisierten Einrichtungen untergebracht werden. 86 Zum anderen wurde diese Intervention in Familien mit deren vermeintlichen Mängeln begründet und so die prinzipielle Zentralität „guter“ Familien aufrechterhalten. Das sozialpolitische Gewicht von solchen Familienkonstruktionen wird nicht zuletzt deutlich im 1935 verabschiedeten Social Security Act. Hier wurde die Abhängigkeit von Kindern und Jugendlichen von ihren Eltern, vor allem von Müttern, in Gesetzesform gegossen. Das Aid to Dependent Children-Programm legte fest, dass die Phase kindlicher und jugendlicher Abhängigkeit bis zum vollendeten 17. Lebensjahr dauerte. 87 Gerade auch im Kontext der Regierung von Familien zeigt sich die biopolitische Rationalität und diskurs ive Einsetz barkeit von Adoleszenz. So entst and beispielsweise die Vorstellung eines „generation gaps“, darauf weist die Historikerin Sarah Chinn hin, in migrationspolitischen Aushandlungen. Während den Kindern von Migrant_innen aufgrund ihrer vermeintlich hohen Beeinflussbarkeit eine größere kulturelle Anpassungsfähigkeit bescheinigt wurde, schienen ihre Eltern in der Heimatkultur verhaftet zu bleiben und weder die Sprache noch die kulturellen Codes der amerikanischen Gesellschaft lernen zu können. 88 Gordon: „A Genealogy of Dependency: A Keyword of the U.S. Welfare State”, in: Signs. A Journal of Women in Culture and Society 19/ 2 (1994), S. 309-36. 84 Odem: Delinquent Daughters; Platt: The Child Savers; Schneider: In the Web of Class; Schlossman: Love and the American Delinquent. 85 Stieglitz: 100 Percent American Boys, S. 69f. 86 Schlossman: Love and the American Delinquent, S. 38-41; Odem: Delinquent Daughters, S. 116ff. 87 Kriste Lindenmeyer: „Meet the Parents: Embracing an Ideal of Modern American Childhood“, in: Gerd Hurm/ Ann Marie Fallon (Hg.): Rebels Without a Cause? Renegotiating the American 1950s. Oxford u. a.: Peter Lang, 2007, S. 143-155, hier S. 149. 88 Sarah E. Chinn: Inventing Modern Adolescence. The Children of Immigrants in Turn-of-the- Century America. New Brunswick: Rutgers Univ. Press, 2009. <?page no="27"?> 26 Jugend wurde also zum Beginn des 20. Jahrhunderts als biologisches und soziales „Faktum“ etabliert. Adoleszenz stellte ein diskursives Terrain dar, auf dem die Verbindung von Fähigkeiten der Selbstführung und einer modernen Ordnung besonders deutlich artikuliert werden konnte. 89 Die spezifische Instabilität und das zukünftige Werden, durch das Jugendliche gekennzeichnet wurden, bildete eine Grundlage dafür, Jugend als verheißungsvolle, aber inhärent gefährdete und gefährliche gesellschaftliche Ressource zu verhandeln. Das Paradox, die Quelle gesellschaftlicher Stabilität gerade in den mutmaßlich konstitutiv instabilen Adoleszenten zu lokalisieren, wurde unter anderem mit dem Fokus auf die Rolle von Erwachsenen eingehegt. An diese erging die Aufforderung, Jugendliche auf dem Weg in die Reife zu begleiten und, wenn nötig, zu disziplinieren. Die vielfältige Regierung von Jugendlichen und Erwachsenen über Adoleszenz war Teil eines biopolitischen Zugriffs auf Individuen und den Bevölkerungskörper, der eine neue, verwissenschaftlichte „Objektivität des Sozialen“ erschuf. 90 Dabei lösten sich Adoleszenztheorien zwar in den 1920er und 1930er Jahren von evolutionsbiologischen Axiomen, erwiesen sich aber als kulturell äußerst wirkmächtige Narrative. 91 Über die Konstruktion von Jugend und Delinquenz wurden in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts gesellschaftliche Wahrheiten produziert und Regierungspraktiken ins Werk gesetzt, die in der Delinquency Scare der Nachkriegszeit unmittelbar aufgegriffen und erneuert, aber auch herausgefordert werden konnten. Zeitliche Rahmung der Studie Private Wohlfahrtsorganisationen und staatliche Instanzen verstärkten bereits in den letzten Kriegsjahren ihre Aktivitäten zur Bekämpfung jugendlicher Delinquenz. 92 Vor allem aber gegen Ende der 1940er Jahre begann das, was historiographisch als Delinquency Scare diskutiert wird. Hier setzt meine Studie also ein. Zu diesem Zeitpunkt wurde jugendliche Delinquenz mehr und mehr zu einem häufigen Thema in Zeitungen und populären Zeitschriften. 93 Wohlfahrts-, Jugend- und Elternorganisationen schoben Delinquenz auf ihrer Agenda nach 89 Lesko: Act Your Age, S. 9, 82. 90 Fabian Kessl: Der Gebrauch der eigenen Kräfte: Eine Gouvernementalität Sozialer Arbeit. Weinheim/ München: Juventa, 2005. Zur Verwissenschaftlichung des Sozialen Kerstin Brückweh u. a. (Hg.): Engineering Society. The Role of the Human and Social Sciences in Modern Societies, 1880-1980. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2012. 91 Marianne N. Bloch: „Becoming scientific and professional: Historical Perspectives on the Aims and Effects of Early Education and Child Care“, in: Thomas S. Popkewitz (Hg.): The Formation of School Subjects. The Struggle for Creating an American Institution. Philadelphia: Falmer Press, 1987, S. 25-62. 92 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 24-40. 93 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 30-72. <?page no="28"?> 27 oben. 94 Auch auf der Ebene der Bundesregierung spielte das Problem eine zunehmend größere Rolle. Das Children’s Bureau etwa richtete 1952 einen gesonderten Arbeitsbereich dazu ein, der alleine in diesem Jahr vier Fachtagungen organisierte und bis 1954 neun Broschüren herausgab, die lokalen Gruppen Handreichungen für deren Aktivitäten geben sollten. Außerdem versorgte die Behörde die Regierungen der Bundesstaaten und Gemeinden nicht nur mit Delinquenzstatistiken, sondern auch mit Empfehlungen darüber, wie Jugendgerichte, Polizei, Jugendstrafanstalten und Fürsorgeprogramme sowie die Ausbildung von etwa sozialarbeiterischem Personal gestaltet werden sollten. 95 Die Einrichtung des Senate Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass der Kongress einen gesteigerten Handlungsbedarf bezüglich jugendlicher Delinquenz sah. 96 Das Subcommittee sollte laut Senatsauftrag eine „vollständige und lückenlose Untersuchung“ jugendlicher Delinquenz in den USA durchführen. 97 Der Ausschuss veranstaltete über die 1960er Jahre hinaus Anhörungen in nahezu jedem Bundesstaat, bereitete Gesetzesvorlagen vor und berührte dabei eine große Bandbreite von Fragen: von einer Bestandsaufnahme des Jugendstrafsystems über die Erörterung der Rolle von Filmen und Comics, bis hin zu Untersuchungen jugendlicher Gangs, der Arbeit von Jugendorganisationen sowie von sozialarbeiterischen und schulpsychologischen Projekten. 98 Schon zu Beginn der Untersuchungen betonten die Senatoren und die von ihnen befragten Expert_innen die Ernsthaftigkeit des Problems. FBI-Direktor Edgar Hoover etwa forderte in der ersten Sitzung des Ausschusses ein „nationales Erwachen“ angesichts der hohen Delinquenzraten. 99 Im Laufe der Zeit schien Jugenddelinquenz eine immer größere Gefahr für die amerikanische Gesellschaft darzustellen. Hatten Sheldon und Eleanor Glueck von der Harvard Law School 94 Stellungnahme von Oveta Culp Hobby in: U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies). Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 83rd Cong., 2nd Sess., Part 2, 14.-16. Januar 1954. Washington, DC: Government Printing Office, 1954, S. 394. 95 Stellungnahme von Martha Eliot in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 2, S. 402. Zum Children’s Bureau Kriste Lindenmeyer: “A Right to Childhood”. The U.S. Children’s Bureau and Child Welfare, 1912-1946. Urbana: Univ. of Illinois Press, 1997. 96 Moore: „Controlling Delinquency“, S. 111. 97 „Debate on Proposed Study of Juvenile Delinquency“, S. 1122. 98 Zu den Gesetzen, die der Ausschuss vorbereitete, gehörte der Juvenile Delinquency and Youth Offenses Control Act des Jahres 1961, der das erste Gesetz auf nationaler Ebene bildete, das sich explizit der Ursachenforschung und Prävention jugendlicher Delinquenz widmete (Shahid M. Shahidullah: Crime Policy in America: Laws, Institutions, and Programs. Lanham: Univ. Press of America, 2008, S. 124). 99 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 118. <?page no="29"?> 28 noch 1934 von One Thousand Juvenile Delinquents geschrieben, legte der Journalist Benjamin Fine gut zwanzig Jahre später nach: Dessen Buch hieß 1,000,000 Delinquents. 100 Fines Diagnose, Jugenddelinquenz sei eine „nationale [Krebs-]Epidemie“, die die „guten Zellen [der] Gesellschaft [kontaminiert]“, war paradigmatisch für die Verhandlung von Delinquenz als gesellschaftliche Krankheit. 101 US-Präsident Dwight D. Eisenhower beispielsweise artikulierte das Interesse seiner Regierung an der Bekämpfung jugendlicher Delinquenz erstmals in einer 1955 vor dem Kongress gehaltenen Rede zur Gesundheitspolitik. 102 Wenn Jugendliche scheinbar epidemisch „krank“ wurden, was sagte das dann über die Lage der Gesellschaft aus? Jugenddelinquenz wurde zu Beginn der 1950er Jahre als innere Bedrohung empfunden, die es ebenso wie die Herausforderungen des Kalten Krieges erforderte, alle gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren. Damit intervenierte die Delinquency Scare in die intensiven Kämpfe um Beteiligung in den US-Nachkriegsjahrzehnten. Gerade in jüngerer Zeit haben Historiker_innen die Pluralität der „langen 195 0er J ah re“ h er vor ge ho be n. 103 Demnach lässt sich dieser Zeitraum nicht schlicht als Dekade von stabil-repressivem „constraint“ und „containment“ begreifen, sondern muss in seiner Komplexität und Brüchigkeit untersucht werden. 104 Ein solcher Zugriff betont, dass gerade die Performanz nationaler Geschlossenheit auf dem fortwährenden - und prekären - Ausschluss von Individuen und Gruppen beruhte, die nicht als legitime Teile von Gesellschaft kon- 100 Sheldon Glueck/ Eleanor Touroff Glueck: One Thousand Juvenile Delinquents. Their Treatment by Court and Clinic. Cambridge: Harvard Univ. Press, 1934; Benjamin Fine: 1,000,000 Delinquents. Cleveland/ New York: The World Publishing Company, 1955. Freilich handelte das Buch der Gluecks von einem Forschungssample, während Fines Titel eine pointierte Aussage über die Gesamtzahl von Delinquent_innen treffen sollte. Dennoch verdeutlichen die Titel die Wahrnehmung eines gravierenden Anstiegs jugendlicher Delinquenz in der Nachkriegszeit. 101 Fine: 1,000,000 Delinquents, S. 25f., zit. nach James T. Patterson: America’s Struggle Against Poverty in the Twentieth Century. Cambridge: Harvard Univ. Press, 2003 3 [1995/ 1981], S. 98. 102 James L. Sundquist: Politics and Policy. The Eisenhower, Kennedy, and Johnson Years. Washington, DC: The Brookings Institution, 1970 3 [1968], S. 115. 103 Mit dem Begriff der „langen 1950er Jahre“ bezeichnet etwa Keith Booker den Zeitraum zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und Mitte der 1960er Jahre. Er argumentiert, dass sich der Zeitraum mit diesem Begriff besser charakterisieren lässt als durch die Einteilung in Dekaden. 1964 bildet für ihn das Ende der „long 1950s“, weil sich zu diesem Zeitpunkt die „Hysterie“ des Kalten Krieges in den USA gelegt habe (M. Keith Booker: Monsters, Mushroom Clouds, and the Cold War. American Science Fiction and the Roots of Postmodernism, 1946-1964. Westport: Greenwood, 2001, S. 3). 104 Joanne Meyerowitz (Hg.): Not June Cleaver. Women and Gender in Postwar America, 1945- 1960. Philadelphia: Temple Univ. Press, 1994; Joel Foreman (Hg.): The Other Fifties. Interrogating Midcentury American Icons. Chicago: Univ. of Illinois Press, 1997; Peter J. Kuznick/ James Gilbert (Hg.): Rethinking Cold War Culture. Washington, DC: Smithsonian Institution Press, 2001; Joanne Meyerowitz: „Transnational Sex and U.S. History“, in: American Historical Review 114/ 5 (2009), S. 1273-1286. <?page no="30"?> 29 turiert wurden. 105 Der viel beschworene Aufschwung der Nachkriegszeit bedeutete zum einen keinen Aufschwung für alle. Ein Haus in den Vorstädten sowie der Besuch von Highschool und Universität etwa waren nicht für jede_n ohne weiteres zugänglich. Sie signalisierten in der Regel die Domäne einer Mittelklasse, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hatte und in die sich ehemals als ethnisch Andere gekennzeichnete Gruppen erfolgreich einschreiben konnten. 106 Die symbolische Bedeutung von Suburbia ging daher weit über den Wohnraum, dessen Ausstattung und das Auto vor der Tür hinaus. Vielmehr stand diese Formation für einen begehrten Subjektstatus und gesellschaftliche Partizipation, die zur Mitte des Jahrhunderts stärker als zuvor durch Whiteness kodiert und aggressiv verteidigt wurde. 107 1944 hatte Gunnar Myrdal dem zeitgenössischen Anderen in An American Dilemma einen Namen gegeben: „Underclass“. 108 Dieser Begriff kennzeichnete eine spezifisch afroamerikanisch konnotierte, großstädtische Armut von Familien, die scharf von den weißen und bürgerlichen Vorstädten abgegrenzt wurde. Familien bildeten eine Instanz, über die diese Abgrenzungskämpfe in den US-Nachkriegsdekaden besonders wirkmächtig ausgetragen werden konnten. Historiker_innen haben hervorgehoben, dass das Ideal der Kernfamilie eine privilegierte Funktion an der home front des Kalten Krieges einnahm und sich darüber der Zusammenhalt einer demokratischen Gesellschaft inszenieren ließ. Heterosexuell-reproduktive, bürgerliche Kernfamilien aus Vater, Mutter und Kindern erschienen als antikommunistisches Bollwerk eines „straight state“ und versprachen beste Bedingungen für die rechte Erziehung zukünftiger Staatsbürger_innen. 109 In diesem Kontext wurde das Konzept der Adoleszenz zur Mitte des 20. Jahrhunderts von der Figur des Teenagers ergänzt, das stark durch Konsumkultur und ein behütetes Aufwachsen in der weißen Mittelklasse kodiert 105 Alan Brinkley: „The Illusion of Unity in Cold War Culture“, in: Kuznick/ Gilbert: Rethinking Cold War Culture, S. 61-73. Grundsätzlich dazu auch Carter: Heart of Whiteness, etwa S. 58. 106 Lizabeth Cohen: Making a New Deal. Industrial Workers in Chicago, 1919-1939. Cambridge/ New York: Cambridge Univ. Press, 1990; Noel Ignatiev: How the Irish Became White. New York/ London: Routledge, 1995; Lizabeth Cohen: A Consumers’ Republic. The Politics of Mass Consumption in Postwar America. New York: Vintage Press, 2003, S. 112-165. 107 Ira Katznelson: „Public Policy and the Middle-class Racial Divide After the Second World War“, in Olivier Zunz u. a. (Hg.): Social Contracts Under Stress. The Middle Classes of America, Europe & Japan at the Turn of the Century. New York: Sage, 2002, S. 157-177; Suzanne Mettler: Soldiers to Citizens. The G.I. Bill and the Making of the Greatest Generation. New York/ Oxford: Oxford Univ. Press, 2005. 108 Gunnar Myrdal: An American Dilemma. The Negro Problem and Modern Democracy. New York: Harper & Brothers, 1944. 109 Elaine Tyler May: Homeward Bound: American Families in the Cold War Era. New York: Basic Books, 2008 [1988]; Stephanie Coontz: The Way We Never Were. American Families and the Nostalgia Trap. New York: Basic Books, 2000 [1992]; Margot Canaday: The Straight State. Sexuality and Citizenship in Twentieth-Century America. Princeton: Princeton Univ. Press, 2009; Martschukat: Die Ordnung des Sozialen. <?page no="31"?> 30 war. 110 Der Prozess der Zentrierung von Kernfamilien funktionierte dabei deshalb so gut, weil er vom Narrativ vielfältiger Bedrohungen begleitet war, die unter anderem über die Delinquency Scare artikuliert werden konnten. Denn erstens sah man zeitgenössisch in „dysfunktionalen“ Familien paradigmatische „Brutstätten“ jugendlicher Delinquenz. Vor allem afroamerikanische, sozial benachteiligte Familien aus den städtischen Gettos wurden als vaterlos und zutiefst „zerrüttet“ beschrieben. 111 Zweitens schienen auch weiße und bürgerliche Familien nicht vom Delinquenzproblem verschont zu bleiben. Expert_innen diagnostizierten im Laufe der 1950er Jahre, dass das Problem jugendlicher Delinquenz nicht mehr wie zuvor auf Jugendliche der großstädtischen Gettos beschränkt sei, sondern die Vorstädte und damit „gute“ Familien der Mittelklasse erreicht habe. 112 Die empfundene Gefährdung des Teenagers wird besonders deutlich in der Aufregung um Rock‘n‘Roll, der symbolisch für das Überschreitung von Klassen-, „Rassen“- und sexuellen Grenzen stand und einer jugendlichen rebel culture Vorschub zu leisten schien. 113 Indem nun auch den hegemonialen Subjekten ein Delinquenzproblem bescheinigt wurde, verdichtete sich die Regierung von Familien in den US-Nachkriegsdekaden. Die enge Verknüpfung von Delinquenz und Familienverhältnissen ermöglichte es, dem Ideal der Kernfamilie einen umso zentraleren Platz in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der Zeit zuzuweisen. Jugenddelinquenz funktionierte also gleichzeitig als Bedrohungsszenario und Stabilisierungsmechanismus für die Kernfamilie. Ich analysiere die Verhandlungen jugendlicher Delinquenz als Teil der US- Nachkriegsgeschichte, in der die gesellschaftliche Zentrierung einer weiß und männlich kodierten Mittelklasse auf dem mehrfachen Ausschluss vom Anderen beruhte; einem Anderen, das diese exklusive Gemeinschaft gleichzeitig permanent herausforderte. Die in den 1960er Jahren zunehmend sichtbaren sozialen 110 Grace Palladino: Teenagers. An American History. New York: Basic Books, 1996; Hine: Rise and Fall of the American Teenager; Schrum: Some Wore Bobby Sox. 111 Vgl. z. B. den sogenannten Moynihan-Report: U.S. Department of Labor: The Negro Family: The Case for National Action. Washington, DC: Department of Labor, Office of Policy Planning and Research, 1965; abgedruckt in: Lee Rainwater/ William L. Yancey (Hg.): The Moynihan Report and the Politics of Controversy. Cambridge: MIT Press, 1967, S. 41-124 (alle zukünftigen Verweise auf den Bericht beziehen sich auf diesen Nachdruck). Dazu Norbert Finzsch: „Gouvernementalität, der Moynihan-Report und die Welfare Queen im Cadillac“, in: Jürgen Martschukat (Hg.): Geschichte schreiben mit Foucault. Frankfurt a.M./ New York: Campus, 2002, S. 257-282; Steve Estes: I Am a Man! Race, Manhood, and the Civil Rights Movement. Chapel Hill: Univ. of North Carolina Press, 2005, Kap. 5; Kevin J. Mumford: „Untangling Pathology: The Moynihan Report and Homosexual Damage, 1965-1975“, in: Journal of Policy History 24/ 1 [2012], S. 53-73. 112 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 138; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 44f. 113 Glenn C. Altschuler: All Shook Up. How Rock ‘n’ Roll Changed America. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2003; Kurme: Halbstarke, Kap. 5; Matthew F. Delmont: The Nicest Kids in Town. American Bandstand, Rock ‘n’ Roll, and the Struggle for Civil Rights in 1950s Philadelphia. Berkeley/ Los Angeles: Univ. of California Press, 2012. <?page no="32"?> 31 Bewegungen wie das Civil Rights Movement und die Women’s Liberation, hatten bereits Jahre zuvor begonnen, die weiße und männliche Vorherrschaft in Frage zu stellen. 114 Mit dem Begriff der „langen 1950er Jahre“ soll daher auch der vermeintlich so drastische Gegensatz von 1950er und 1960er Jahren durch die Linse der Delinquency Scare kritisch befragt werden. Während Keith Booker die Periode bis 1964 als „long 1950s“ bezeichnet, geht mein Untersuchungszeitraum etwas darüber hinaus und endet erst in den späten 1960er Jahren. 115 Dafür sind zwei Gründe ausschlaggebend: Zum einen zeigen sich bis zu diesem Zeitpunkt Kontinuitäten im Sprechen über juvenile delinquency. In den 1950er und 1960er Jahren blieb jugendliche Delinquenz ein zentrales Thema in den Vereinigten Staaten. Zum anderen endet mein Untersuchungszeitraum zum Ende der 1960er Jahre, weil in dieser Phase die Rede von Jugenddelinquenz schließlich abebbte und sich auch das Sprechen über Jugend veränderte. Zuvor über juvenile delinquency verhandelte jugendliche Verhaltensweisen konnten nun auf andere Weise beschrieben werden und eine transformierte Bedeutung erhalten. Wie ich im Ausblick dieser Arbeit anreißen werde, war es beispielsweise um 1968 möglich, von „race riots“ und „Studentenunruhen“ nicht als Jugenddelinquenz zu sprechen, sondern die Proteste über Konzepte von Armut und Reife zu deuten und voneinander abzugrenzen. 116 Diese Begriffe waren im Delinquenzdiskurs symbolisch aufgeladen worden und konnten nun offenbar abgekoppelt von diesem benutzt werden. 114 Zum Civil Rights Movement diesbezüglich Jack M. Bloom: Class, Race, and the Civil Rights Movement. Bloomington: Indiana Univ. Press, 1987; Peter J. Ling/ Sharon Monteith (Hg.): Gender and the Civil Rights Movement. New York: Garland, 1999. Zu frühem feministischem Aktivismus Meyerowitz: Not June Cleaver; Benita Roth: Separate Roads to Feminism. Black, Chicana, and White Feminist Movements in America’s Second Wave. Cambridge, UK: Cambridge Univ. Press, 2004. Zur Zentrierung bürgerlicher, heterosexueller Männlichkeit in den 1950er Jahren James Gilbert: Men in the Middle. Searching for Masculinity in the 1950s. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 2005; Martschukat: Ordnung des Sozialen, Kap. 10. 115 Booker: Monsters, Mushroom Clouds, and the Cold War, S. 3. 116 Die Verwendung des Begriffes „race riot“ ist nicht unproblematisch. Erstens wurde er zeitgenössisch sehr breit benutzt, um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen African und Anglo Americans, aber auch Aufstände von African Americans in den Städten zu beschreiben. Zweitens war er symbolisch durch Konzepte von vermeintlich „gesetzlosen“ African Americans aufgeladen (Philipp H. Herbst: The Color of Words. An Encyclopaedic Dictionary of Ethnic Bias in the United States. Yarmouth: Intercultural Press, 1997, 192f.). Ich verwende den Begriff als kulturelles Zitat, um dessen kriminalisierenden diskursiven Einsatz zu verdeutlichen. <?page no="33"?> 32 2 Forschungsstand Der Historiker Lukas Waltzer bezeichnet die immense Sorge um Jugenddelinquenz in der US-Nachkriegszeit als „familiar element of the nation’s popular memory“. 117 In der Tat kommen weder jugendgeschichtliche Arbeiten zum 20. Jahrhundert noch historische Überblicksdarstellungen der US-Nachkriegsdekaden ohne die Erwähnung aus, dass es in diesem Zeitraum intensive Debatten um jugendliche Delinquenz gab. 118 Angesichts dessen ist es überraschend, dass die Delinquency Scare historiografisch kaum ausführlich untersucht worden ist. Während die zu Beginn des Jahrhunderts geführten Verhandlungen jugendlicher Delinquenz vergleichsweise viel Aufmerksamkeit erfahren haben, zeigt sich eine deutliche Lücke in Bezug auf den Zeitraum zwischen den späten 1940er und 1960er Jahren. 119 Beispielsweise geht John Suttons Studie Stubborn Children. Controlling Delinquency in the United States, 1640-1981 faktisch über die Dekaden der Jahrhundertmitte hinweg und setzt erst Ende der 1960er Jahre wieder ein. 120 Und Wini Breines Buch Young, White, and Miserable. Growing Up Female in the Fifties erwähnt die Delinquency Scare lediglich kursorisch. 121 Bis 2010 lag lediglich eine veröffentlichte historische Monographie vor, die sich dezidiert auf die Wahrnehmung von Jugenddelinquenz in der Nachkriegszeit konzentrierte: James Gilberts 1986 erschienene sozial- und kulturgeschichtliche Studie A Cycle of Outrage. America’s Reaction to the Juvenile Delinquent in the 1950s bildet hier nach wie vor den zentralen Referenzpunkt. 122 Allerdings reduziert Gilbert die Geschichte jugendlicher Delinquenz auf die kulturellen Verhandlungen von Massenkultur, deren vermeintlich schädlicher Einfluss auf Jugendliche zur Jahrhundertmitte intensiv problematisiert wurde. Obschon er 117 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 3, Anm. 3. 118 John Modell: Into One’s Own. From Youth to Adulthood in the United States. Berkeley: Univ. of California Press, 1989; Mintz: Huck’s Raft, S. 293; David Halberstam: The Fifties. New York: Fawcett Columbine, 1994, S. 485, 516; Pete Daniel: Lost Revolutions. The South in the 1950s. Chapel Hill: Univ. of North Carolina Press, 2000, S. 184, 242; Hartman: Education and the Cold War, S. 56f. 119 Zu Delinquenzdebatten in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts Mennel: Thorns and Thistles; Alexander: The Girl Problem; Odem: Delinquent Daughters. 120 John R. Sutton: Stubborn Children. Controlling Delinquency in the United States, 1640-1981. Berkeley: Univ. of California Press, 1988. Etwas ausführlicher, aber immer noch sehr knapp wird die Delinquency Scare behandelt in Jon Savage: Teenage. The Creation of Youth Culture. New York: Viking, 2007, Kap. 29. 121 Wini Breines: Young, White, and Miserable. Growing Up Female in the Fifties. Boston: Beacon Press, 1992. Im Gegensatz zu Breines geht Rachel Devlin ausführlicher auf die Delinquency Scare ein (Rachel Devlin: Relative Intimacy. Fathers, Adolescent Daughters, and Postwar American Culture. Chapel Hill: Univ. of North Carolina Press, 2005, S. 48-77). 122 Gilbert: Cycle of Outrage. <?page no="34"?> 33 am Rande auch andere zeitgenössische Erklärungsmuster jugendlicher Delinquenz aufführt, konzentriert Gilbert sich auf die öffentliche Kritik an massenmedialen Produkten wie Comics und Filmen, aber auch etwa an Rock‘n‘Roll- Musik. Er platziert das zeitgenössische Unbehagen vor einer sich entwickelnden Jugendkultur, die als „Unterklassenkultur“ begriffen wurde, im Zentrum der Kontroverse um jugendliche Delinquenz. Vor diesem Hintergrund kann er zu dem Ergebnis kommen, dass die Aufregung über jugendliche Delinquenz zum Ende der 1950er Jahre mit der Entdeckung von Jugendlichen als marktwirtschaftliche Zielgruppe und ihrer Integration in eine bürgerliche Konsumkultur abebbte. 123 Ebenfalls zentral für die veränderlichen und auch widersprüchlichen Konstruktionen von Jugenddelinquenz ist Lukas Waltzers Studie An Uneasy Idealism. The Reconstruction of American Adolescence from World War II to the War on Poverty. Die leider unveröffentlichte Dissertation untersucht, unter anderem am Beispiel jugendlicher Delinquenz, wie sich die Vorstellungen von Adoleszenz in den Nachkriegsdekaden wandelten. Im Laufe der 1950er und 1960er Jahre sei jugendliche Delinquenz weniger als Ausdruck innerer, psychischer Prozesse und mehr als Produkt der sozialen Situation Jugendlicher begriffen worden, schreibt Waltzer. 124 Sowohl Gilberts als auch Waltzers Thesen geraten in Widerspruch zu den Ergebnissen von William Bush. Dessen 2010 veröffentlichte Studie Who Gets a Childhood? Race and Juvenile Justice in Twentieth Century Texas widmet sich zu einem Gutteil der Geschichte von Jugendstrafanstalten der Nachkriegsdekaden. Bush zeigt, dass Jugendliche in der Delinquency Scare als Straftäter_innen pathologisiert werden konnten, indem die Aufmerksamkeit eben nicht auf etwa gesellschaftliche Diskriminierung, sondern auf vermeintliche psychologische Defizite von Individuen und Gruppen gelenkt wurde. Im Gegensatz zu Gilbert zeigt er, dass es so möglich war, jugendliche Kriminalität gerade auch in den 1960er Jahren zu skandalisieren. 125 Das unterschiedliche Ergebnis, zu dem Gilbert, Waltzer und Bush kommen, wird nachvollziehbar bei einem genaueren Blick auf die Perspektive und die Subjekte der Studien. Gilbert spricht universal von einer Jugendkultur der Nachkriegszeit. Zwar macht er deutlich, dass hier Klassenunterschiede eine große Rolle spielten; indem er aber diagnostiziert, dass die Sorge in Bezug auf diese Jugendkultur zum Ende der 1950er Jahre abebbte, bezieht er sich lediglich auf die Verknüpfung von Delinquenz mit weißen, bürgerlichen Jugendlichen. 126 Auch Waltzer verliert mit seiner Analyse, Adoleszenz sei in den 1960er Jahren mehr über soziale als psychologische Faktoren erklärt worden, die neuen Ränder aus den Augen, die die Delinquency Scare in diesem Zeitraum schuf. Jene kann 123 Gilbert: Cycle of Outrage, z. B. S. 195. 124 Waltzer: Uneasy Idealism, z. B. S. 5f. 125 Bush: Who Gets a Childhood. 126 Gilbert: Cycle of Outrage, z. B. S. 18, 195, 211. <?page no="35"?> 34 dagegen Bush überzeugend zeigen. Ihm gelingt, auch aufgrund seines Sujets, ein interdependenterer Blick auf den Diskurs: Er zeigt, dass hier vor allem nichtweiße Jugendliche - und im Besonderen afroamerikanische Mädchen - in den Fokus strafender staatlicher Zugriffe gerieten. Damit betont Bush auch, dass die Pathologisierung jugendlicher Straftäter_innen dazu diente, einen härteren Umgang mit diesen zu legitimieren. 127 Was diese Arbeiten zu wenig berücksichtigen, ist die unterschiedliche Bedeutung, die juvenile delinquency nicht nur in der diachronen Analyse, sondern auch im synchronen Schnitt einnehmen konnte. Da die Vorstellungen von Jugend und Jugenddelinquenz höchst unterschiedlich durch „Rasse“, Klasse, Geschlecht, Sexualität, Raum und Alter strukturiert waren, müssen unterschiedliche Geschichten jugendlicher Delinquenz erzählt werden. So konnte, wie Gilberts, Bushs und Waltzers Arbeiten zusammengenommen nahelegen, delinquentes Verhalten Jugendlicher etwa zu Beginn der 1960er Jahre sowohl als „normales“ jugendliches Aufbegehren als auch als Ausdruck sozialer und psychischer Pathologien erklärt werden. Dass eine kaum interdependent argumentierende Analyse zu positivistischen Schlüssen führen kann, zeigt eine der wenigen deutschsprachigen Untersuchungen von Jugenddelinquenz in der Nachkriegszeit: Sebastian Kurme hat mit Halbstarke. Jugendprotest in den 1950er Jahren in Deutschland und den USA im Jahre 2006 eine Studie vorgelegt, die die Verhaltensweisen der bundesrepublikanischen „Halbstarken“ mit denen der juvenile delinquents in den USA vergleicht. 128 Kurme betrachtet diese Jugendlichen als „Impulsgeber“ historischen Wandels. 129 Er argumentiert für die USA, dass Delinquenz eine Form des sozialen Protests war, der Jugendlichen Freiräume geschaffen habe. Es ist eine Stärke von Kurmes Studie, dass sie den Handlungen Jugendlicher einen politischen Charakter zuweist und die gesellschaftliche Verhandlung von Jugend damit explizit als politischen Prozess analysiert. Gleichwohl berücksichtigt Kurme nicht die unterschiedlichen sozialen Realitäten Ju- 127 Bush: Who Gets a Childhood, z. B. S. 208. Dazu auch Feld: Bad Kids, der diese Geschichte bis in die 1980er Jahre strafrechtshistorisch weitererzählt. 128 Wie Kurme bemerkt, haben historische Studien zu jugendlicher Delinquenz in den USA selten einen nationalgeschichtlichen Rahmen verlassen (Kurme: Halbstarke). Ein neuer Sammelband verspricht, die Analyse der Auseinandersetzungen um jugendliche Delinquenz in den westlichen Staaten stärker zu verflechten und in Bezug zur Konstruktion des globalen „Westens“ und „Ostens“ zu setzen (Heather Ellis [Hg.]: Juvenile Delinquency and the Limits of Western Influence, 1850-2000. New York: Palgrave Macmillan, 2014). Zur Geschichte von Jugendkulturen und jugendlicher Delinquenz in der Bundesrepublik bzw. zur vergleichenden Perspektive auf Deutschland und die USA Uta G. Poiger: Jazz, Rock, and Rebels. Cold War Politics and American Culture in a Divided Germany. Berkeley: Univ. of California Press, 2000; Detlef Briesen/ Klaus Weinhauer (Hg.): Jugend, Delinquenz und gesellschaftlicher Wandel. Bundesrepublik Deutschland und USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Essen: Klartext, 2007. 129 Kurme: Halbstarke, S. 10, 15, 350. <?page no="36"?> 35 gendlicher in der Nachkriegszeit. Er postuliert, jugendliche Rebellion habe zur Entstehung liberalerer gesellschaftlicher Normen beigetragen, durch die soziale Abhängigkeitsverhältnisse, wie etwa das zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, an Bedeutung verlieren konnten. 130 Diese Diagnose macht deutlich, dass Kurme in seiner Analyse ein Kollektivsubjekt Jugend konstruiert, über das er die Polyvalenz von Jugenddelinquenz und die unterschiedlichen Ein- und Ausschlussdynamiken des Delinquenzdiskurses nicht erfassen kann. Genau genommen spricht Kurme in seiner Arbeit implizit von männlichen und weißen Jugendlichen, die in der Delinquency Scare ermächtigt wurden, als jugendliche Rebellen verstanden zu werden. Die Inszenierung jugendlicher Rebellion und der positive Bezug auf gesellschaftliche „Outsider“, das haben Leerom Medovoi und Grace Hale überzeugend gezeigt, übernahm in den USA des Kalten Krieges eine wichtige Funktion in der Reproduktion einer weiß, männlich und bürgerlich kodierten gesellschaftlichen Ordnung. 131 Neben Gilbert und Kurme haben sich eine Reihe von Historiker_innen mit einer jugendlich kodierten Popkultur der Nachkriegszeit beschäftigt, etwa Kinofilme und die Kontroverse um Rock‘n‘Roll untersucht, und deren Zusammenhang mit der Sorge um jugendliches Verhalten aufgezeigt. 132 Gerade die Auseinandersetzungen um Comics sind in kommunikations- und kulturwissenschaftlichen, aber auch historischen Arbeiten recht häufig untersucht worden. 133 Im Zentrum der historischen Studien zu Jugendkultur und Delinquenz steht eine Deutung, die die Delinquency Scare der Nachkriegszeit als Reaktion der Erwachsenenwelt auf ein verändertes Verhalten Jugendlicher erklärt. Laut Gilbert etwa beruhte die Sorge vor jugendlicher Delinquenz darauf, dass Erwachsene die sich in der Nachkriegszeit entwickelnde Jugendkultur nicht verstehen konnten und sie daher abgelehnt hätten. 134 Auch die Historiker William Graebner und Ronald Cohen argumentieren, dass sich in der Aufregung um steigende 130 Kurme: Halbstarke, S. 341. 131 Medovoi: Rebels; Grace Elizabeth Hale: A Nation of Outsiders. How the White Middle Class Fell in Love with Rebellion in Postwar America. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2011. 132 Z. B. William Graebner: Coming of Age in Buffalo. Youth and Authority in the Postwar Era. Philadelphia: Temple Univ. Press, 1990; Thomas Doherty: Teenagers and Teenpics. The Juvenilization of American Movies in the 1950s. Boston: Unwin Hyman, 1988; Palladino: Teenagers; Medovoi: Rebels; Petula Iu: „Making Good-Time Girls. Die Gefahren weiblicher Sexualität in den amerikanischen ‚Delinquency Films‘ der 1950er Jahre“, in: Briesen/ Weinhauer: Jugend, Delinquenz und gesellschaftlicher Wandel, S. 153-174. 133 Amy Kiste Nyberg: Seal of Approval. The History of the Comics Code. Jackson: Univ. Press of Mississippi, 1998; John A. Lent: Pulp Demons. International Dimensions of the Postwar Anti- Comics Campaign. Madison u. a.: Fairleigh Dickinson Univ. Press/ Associated Univ. Press, 1999; Bradford W. Wright: Comic Book Nation. The Transformation of Youth Culture in America. Baltimore: Johns Hopkins Univ. Press, 2001; Bart Beaty: Fredric Wertham and the Critique of Mass Culture. Jackson: Univ. Press of Mississippi, 2005. 134 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 195, 215. <?page no="37"?> 36 Delinquenzraten der Versuch von Erwachsenen zeigte, Jugendliche zu kontrollieren. 135 Diese Deutung der Delinquency Scare ist meines Erachtens aus mehreren Gründen problematisch. Erstens werden dadurch die enormen gesellschaftlichen Konsequenzen des widersprüchlichen Sprechens über jugendliche Delinquenz in der Nachkriegszeit nicht fassbar. Nahezu alle der hier ausführlicher diskutierten Studien verweisen darauf, dass die aufgeregte Sorge um juvenile delinquency nicht im Einklang mit der Realität stand und die Delinquenzraten gar nicht so stark angestiegen seien. 136 Zur Erörterung dieses Widerspruchs führt etwa Gilbert an, zeitgenössische „Beobachter“ hätten das Problem „übertrieben“ oder „fehlinterpretiert“. Er kommt zu dem Schluss, dass dies auf das politische Kalkül und das berufliche Interesse von Politiker_innen und Expert_innen zurückzuführen sei. 137 Einerseits legt Gilbert damit den Finger auf einen entscheidenden Aspekt: Jugenddelinquenz war in den Nachkriegsdekaden offensichtlich ein Thema, über das Politik gemacht und Wissen verkauft werden konnte. Andererseits verbleibt auch hier eine Lücke: Obschon Gilbert betont, dass die Ausmaße des Problems auch zeitgenössisch unterschiedlich beurteilt wurden, vermag er nicht die enormen Effekte zu erfassen, die das Narrativ entfalten konnte. Wenn die Verhandlungen jugendlicher Delinquenz als Übertreibung und „Missverständnis“ begriffen werden, lässt sich nicht erklären, warum sie einen derartigen diskursiven Sog entfalten und sich für Zeitgenoss_innen als dringendes Problem manifestieren konnten. 138 Zweitens nimmt die Analyse einer panischen Reaktion Erwachsener auf ein verändertes Verhalten Jugendlicher eine grundsätzliche Andersartigkeit und prinzipielle Konflikthaftigkeit von Jugendlichen und Erwachsenen an. Gilbert 135 Graebner: Coming of Age in Buffalo; Ronald D. Cohen: „The Delinquents: Censorship and Youth Culture in Recent U.S. History“, in: History of Education Quarterly 37/ 3 (1997), S. 251- 270. Ähnlich argumentiert auch Kurme: Halbstarke. 136 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 71; Kurme: Halbstarke, S. 350; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 28. Diese Deutung erinnert an das Konzept der „moral panics“, das sich aus den Cultural Studies entwickelt hat und interdisziplinär zur Charakterisierung von kulturellen Ängsten um abweichendes Verhaltens angewandt wird (vgl. Stanley Cohen: Folk Devils and Moral Panics. The Creation of the Mods and Rockers. London: MacGibbon & Kee, 1972; Leslie G. Roman: „Spectacle in the Dark: Youth as Transgression, Display, and Repression“, in: Educational Theory 46/ 1 [1996], S. 1-22). Das Problematische an diesem Ansatz besteht darin, dass moralische Bedrohungsszenarien als unverhältnismäßige Reaktion auf eine eigentlich vergleichsweise geringe Gefahr analysiert werden (vgl. Erich Goode/ Nachman Ben-Yehuda: Moral Panics. The Social Construction of Deviance. Malden/ Oxford, UK: Blackwell, 1994, S. 11). Auf diese Weise gerät die kulturelle Wirkungsmacht solcher Inszenierungen in den Hintergrund (zu einer Kritik an „moral panic“-Konzepten David Garland: „On the Concept of Moral Panic“, in: Crime, Media, Culture 4/ 1 [2008], S. 9-30, hier S. 21ff.). 137 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 14, 56, 138-142. 138 Vgl. ebd., S. 195. Zum Begriff des diskursiven Sogs Ulrich Bröckling: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2007, z. B. S. 38. <?page no="38"?> 37 etwa geht explizit von gleichsam natürlich rebellischen Jugendlichen aus, wenn er schreibt: „[T]he control of youth is, even in the best of times, problematic [...].“ 139 Und Kurme wie Waltzer betonen, dass sich Erwachsene „schon immer“ Sorgen um Jugendliche gemacht hätten; Waltzer prognostiziert sogar, dass dies immer so sein werde. 140 Alter fungiert hier als vermeintlich objektive Kategorie, die zur Erklärung historischer Phänomene herangezogen wird. 141 Die oben skizzierte Konstruktion von Adoleszenz zur Jahrhundertwende zeigt dagegen bereits, dass Jugend keinesfalls als natürlich gegebenes, ahistorisches Erklärungsmuster betrachtet werden kann, sondern von historisch spezifischen Machtverhältnissen durchdrungen ist. In der vorliegenden Arbeit beziehe ich mich auf körper- und diskursgeschichtliche Ansätze, die diese machtdurchsetzte Konstruktion von Jugend anerkennen und auf ihre Effekte hin untersuchen. Hier zu nennen ist vor allem Nancy Lesko, die mit Act Your Age! A Cultural Construction of Adolescence ein wichtiges und originelles Buch vorgelegt hat, das Adoleszenz radikal historisiert. 142 Drittens befördern Annäherungen an Delinquenzdebatten, die Delinquenz als soziale Tatsache begreifen, eine unkritische Übernahme historischer Erklärungsmuster. Dies wird etwa in Eric Schneiders Studie Vampires, Dragons and Egyptian Kings. Youth Gangs in Postwar New York deutlich. Schneider erklärt hier die Entstehung von Gangs damit, dass Jungen dort eine bedeutungsvolle Bestätigung ihrer Männlichkeit fanden. 143 Auch Kurme fragt in seiner Studie, warum Jugendliche delinquent wurden. 144 Indem diese Arbeiten zu ergründen suchen, was Delinquenz „eigentlich“ war, reproduzieren sie historische Fragestellungen, etablieren jugendliche Delinquenz als objektives Problem und verlieren dabei die gesellschaftliche Funktion von Delinquenznarrativen aus dem Blick. Im Gegensatz dazu zeigen Studien aus der jüngeren historischen Kriminalitätsforschung und Kritischen Kriminologie, welche gesellschaftlichen Dynamiken sichtbar werden, wenn Kriminalität und Delinquenz als historisch wandelbare, diskursive Konstruktionen analysiert werden. 145 Mimi Ajzenstadt etwa hat ge- 139 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 4. 140 Kurme: Halbstarke, S. 9; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 1. 141 Vgl. Kurme: Halbstarke, S. 332. 142 Lesko: Act Your Age. Unbedingt zu beachten ist auch Bederman: Manliness & Civilization. Diesbezügliche Anregungen finden sich auch in Nancy Lesko/ Susan Talburt (Hg.): Keywords in Youth Studies. Tracing Affects, Movements, Knowledges. New York/ London: Routledge, 2012. 143 Eric C. Schneider: Vampires, Dragons and Egyptian Kings. Youth Gangs in Postwar New York. Princeton: Princeton Univ. Press, 1999, S. 106-136. 144 Kurme: Halbstarke, S. 324-340. 145 Einen Überblick über die deutschsprachige historische Kriminalitätsforschung bietet Gerd Schwerhoff: Aktenkundig und Gerichtsnotorisch. Einführung in die historische Kriminalitätsforschung. Tübingen: edition diskord, 1999. Konzeptionell zu einer kritischen Kriminologie im Anschluss an Foucault David Garland: The Culture of Control. Crime and Social Order in Contemporary Society. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 2001; <?page no="39"?> 38 zeigt, dass Delinquenzdiskurse eine bedeutende Rolle im israelischen nation building zwischen 1948 und 1970 spielten. 146 Arbeiten wie diese beziehen beispielsweise die Sorgen vor steigenden Kriminalitätsraten nicht primär auf die mutmaßlichen Täter_innen, sondern untersuchen, welche historischgeographisch spezifischen Wahrheitsvermutungen und Hierarchien der Inszenierung von Kriminalität zugrunde liegen. 147 Die Stärke solcher Ansätze ist, dass die Konstruktion von Delinquenz und gesellschaftliche Praktiken zur Bekämpfung des Problems als Regierungstechnologien betrachtet werden können. Viertens schließlich verstellt die Konzeption der Delinquency Scare als Reaktion der Erwachsenenwelt auf außer Kontrolle geratene Jugendliche den Blick auf die Effekte des Delinquenzdiskurses auf Erwachsene selbst. Waltzer stellt in seiner Arbeit richtig fest, dass jugendliche Delinquenz eine diskursive Konstruktion war, die „Interventionen in das Leben“ Jugendlicher ermöglichte. Er fragt aber nicht danach, auf welche Weise der Delinquenzdiskurs in das Leben Erwachsener intervenierte. Indem Waltzer und auch Gilbert von einem Prozess ausgehen, in dem Erwachsene Jugendliche zu kontrollieren versuchten, verlieren sie aus dem Blick, dass erstere ebenfalls im Delinquenzdiskurs regiert wurden. 148 Was wird aber sichtbar, wenn wir die Delinquency Scare nicht als Ausdruck, sondern als Katalysator von historischem Wandel betrachten? Wenn wir jugendliche Delinquenz nicht als objektive Tatsache, sondern diskursive Problematisierungsweise denken, eröffnet sich der Blick für die Produktivität der Verhandlungen jugendlicher Delinquenz auch über Jugendliche hinaus. Die Frage lautet dann nicht mehr primär, worauf Erwachsene reagierten und was mit jugendlichen Delinquent_innen gemacht wurde. Vielmehr untersuche ich, wie über die Konstruktion von juvenile delinquency sowohl Jugendliche als auch Erwachsene als solche hervorgebracht und regiert werden konnten. Welchen Rahmen stellte der Delinquenzdiskurs bereit, in dem Individuen und Gruppen Wandel wahrnehmen und mit Handlungsmöglichkeiten ausgestattet werden konnten? Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Unterscheidung von Erwachsenen und Jugendlichen befragen. Inwiefern war die Annahme einer grundsätzlichen Konflikthaftigkeit von Jugendlichen und Erwachsenen Teil des zeitgenössischen Delinquenznarrativs? Wurden in diesem Kontext alle Erwachsenen als fähig Susanne Krasmann: Die Kriminalität der Gesellschaft: Zur Gouvernementalität der Gegenwart. Konstanz: UVK, 2003. 146 Mimi Ajzenstadt: „Crime, Social Control, and the Process of Social Classification: Juvenile Delinquency/ Justice Discourse in Israel, 1948-1970“, in: Social Problems 49/ 4 (2002), S. 585-604. 147 Z. B. Peter Becker: Verderbnis und Entartung. Eine Geschichte der Kriminologie des 19. Jahrhunderts als Diskurs und Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002; ders./ Richard F. Wetzell (Hg.): Criminals and their Scientists. The History of Criminology in International Perspective. Cambridge/ New York: Cambridge Univ. Press, 2006. 148 Waltzer: Uneasy Idealism, z. B. S. 7. <?page no="40"?> 39 begriffen, mit der ihnen zugewiesenen Verantwortung umzugehen? Oder wurden nicht vielmehr sowohl Jugendliche als auch Erwachsene an unterschiedlichen Orten der gesellschaftlichen Hierarchie platziert, so dass sich die strikte Trennung beider Gruppen verkompliziert? Meine Arbeit untersucht die Konstruktion von Subjektpositionen als elementaren Bestandteil der diskursiven Aushandlung jugendlicher Delinquenz in den Feldern Jugendstrafsystem, Sozialarbeit, Schule und Familie. Damit erweitert sie die Geschichte der Delinquency Scare unter anderem um eine subjektanalytische Dimension, die einen Erkenntnisgewinn über den historischen Wandel der US-Nachkriegszeit verspricht. 3 Jugenddelinquenz als produktiver Signifikant Die bereits betonte Uneindeutigkeit im US-amerikanischen Delinquenzdiskurs bestand vor allem auf drei Ebenen. Erstens war unklar, was juvenile delinquency umfasste. „There is no clear line between delinquents and non-delinquents“, mahnte etwa eine Broschüre für Lehrer_innen 1958. Das Büchlein gibt auch ein Beispiel für die nahezu universelle Einsetzbarkeit des Begriffes: Jugendliche Delinquent_innen seien unter anderem all jene, „who are wayward or habitually disobedient, the habitually truant from home or school, and the children who habitually behave so as to impair or endanger the morals or health of self or others“. 149 Solche und ähnlich weit gefasste Definitionsversuche waren typisch für die zeitgenössische Diskussion jugendlicher Delinquenz und machen deutlich, dass nahezu alle mit Jugendlichen verknüpften Verhaltensweisen potenziell mit Delinquenz in Verbindung gebracht werden konnten. Gleichzeitig bemühten sich zahlreiche Expert_innen, das Phänomen durch die Auflistung detaillierter Verhaltensmuster einzugrenzen, die sie mal als delinquent, mal als typischer jugendlicher Überschwang klassifizierten. Zweitens herrschte eine Unsicherheit über das Ausmaß jugendlicher Delinquenz und in diesem Zusammenhang darüber, wie schlimm die Lage überhaupt war. Die von FBI und Children’s Bureau erhobenen Delinquenzstatistiken wurden bereits zeitgenössisch als ungenau und übertrieben kritisiert. Expert_innen bemängelten, dass sie in der Intention entstanden seien, die Öffentlichkeit zu alarmieren. 150 Gleichzeitig warnten andere, dass nur ein kleiner Teil der delinquenten Jugendlichen in den Statistiken erfasst sei, und wiesen auf eine hohe Dunkelziffer, auf „hidden delinquency“ hin. 151 Wieder andere betonten dagegen, dass nur ein Bruchteil Jugendlicher delinquent sei und sich die junge Generation prinzipiell „normal“, „intelligent“ und „verantwortlich“ verhalte. 152 Drittens schließlich gehörte es zum guten Ton in 149 Kvaraceus: Juvenile Delinquency, S. 331. 150 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 66f.; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 47f. 151 Kvaraceus: Juvenile Delinquency, S. 331. 152 Z. B. Mary Dabney: „Youth Serves the Community“, in: Parents’ Magazine 22/ 3 (1947), S. <?page no="41"?> 40 der Delinquency Scare, immer wieder zu betonen, wie unklar die Ursachen von Jugenddelinquenz seien. Große Widersprüche bei der Nennung von Gründen finden sich nicht selten in ein und derselben Äußerung. Der Bericht der Midcentury White House Conference on Children and Youth beispielsweise konstatierte, ohne Zweifel kämen die meisten jugendlichen Delinquent_innen aus „armen“ Familien, in denen sich die Eltern nicht um ihre Kinder kümmerten. Nur zwei Zeilen später argumentierte der Report allerdings, dass „broken homes“ nicht verantwortlich für Delinquenz und bei delinquenten und nichtdelinquenten Jugendlichen nahezu gleich häufig anzutreffen seien. 153 Die Gluecks destillierten 1953 nicht weniger als 28 biologische, psychologische und soziale Faktoren aus dem zeitgenössischen Wissen über die Entstehung von Delinquenz heraus und fanden in allen ein „Körnchen Wahrheit“. Ebenso mannigfaltig waren die Vorschläge zur Bekämpfung des Problems. 154 Wie war es möglich, dass ein offensichtlich so uneindeutiges diskursives Phänomen die Zeitgenoss_innen davon überzeugte, die Zukunft der USamerikanischen Gesellschaft zu gefährden? Ich betrachte diese Unbestimmtheit nicht als Gegensatz, sondern als wichtigen Bestandteil des diskursiven Sogs, den die Delinquency Scare zu erzeugen vermochte. Gerade weil der Begriff imstande war, so viele und so unterschiedliche Bedeutungen mit sich zu tragen, konnte juvenile delinquency zu einem zentralen Knotenpunkt werden, über den Individuen und Gruppen sich verständigen und verstehen konnten. Und in dieser Funktion war Jugenddelinquenz außerordentlich produktiv, weil darüber eine Reihe von Veränderungen ins Werk gesetzt und die Ordnung der US- Nachkriegsgesellschaft (mit)gestaltet wurde. Um diese Funktionsweise genauer zu fassen, verstehe ich juvenile delinquency als produktiven Signifikanten. Mit diesem Begriff, den ich im Folgenden klären werde, verknüpfe ich Hegemonietheorie mit der Analyse von Subjektivierungsprozessen. 155 34f., 175-177, hier S. 35. 153 Helen L. Witmer/ Ruth Kotinsky (Hg.): Personality in the Making. The Fact-Finding Report of the Midcentury White House Conference on Children and Youth. New York: Harper & Brothers, 1952, S. 408. Die in diesem Bericht enthaltenen Texte sind nicht namentlich gekennzeichnet. Sie wurden von einem sogenannten „Fact Finding Committee“ zusammengestellt und verfasst, das aus rund 40 Expert_innen aus Medizin, Psychiatrie und Sozialwissenschaften bestand, darunter E. Franklin Frazier, Margaret Mead und Benjamin Spock. 154 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Part 1, S. 74f. 155 Dazu auch Nina Mackert: „‘But recall the kind of parents we have to deal with’: Juvenile Delinquency, Interdependent Masculinity and the Government of Families in the Postwar U.S.“, in: Isabel Heinemann (Hg.): Inventing the Modern American Family. Family Values and Social Change in 20th Century United States. Frankfurt a.M./ New York: Campus, 2012, S. 196-219, hier S. 204-206. <?page no="42"?> 41 Kontingenz und Hegemonie Ernesto Laclau und Chantal Mouffe legen das Augenmerk ihrer Hegemonietheorie darauf, wie trotz einer prinzipiellen Kontingenz des Sozialen gesellschaftliche Ordnungen entstehen und sich verändern. 156 Stark beeinflusst ist ihr Ansatz von den Überlegungen Antonio Gramscis, der Mitte des 20. Jahrhunderts das ökonomisch-deterministische Marxismus-Modell ergänzte und durchkreuzte. Für Gramsci war eine Gesellschaftsordnung kein zwangsläufiges Resultat objektiver Faktoren, sondern das Ergebnis eines Prozesses, durch den partikulare Interessen klassenübergreifend als alternativlos und allgemeingültig erscheinen können. Gramsci betonte den konsensualen Charakter von Hegemonie gegenüber der Aufrechterhaltung einer Ordnung durch Zwang. Aber auch er wies schon darauf hin, dass diese Hegemonien notwendig instabil sind, weil sie auf dem Ausschluss anderer Deutungen und Ordnungen beruhen. 157 Laclau und Mouffe haben Gramscis Theorie aufgegriffen und poststrukturalistisch sowie diskurstheoretisch gewendet. Dabei folgen sie Jacques Derridas Kritik an Ferdinand de Saussures semiotischem Konzept. Saussure unterteilte sprachliche Zeichen in Signifikant, das Bezeichnende, und Signifikat, das Bezeichnete. Das Besondere an diesem Verhältnis war für ihn, dass die Bedeutung der Signifikanten nicht durch das Signifikat bestimmt wird, sondern durch ihre Differenz zu anderen Zeichen. Jacques Derrida brachte dieses Verständnis nun sozusagen in Bewegung. Mit dem Begriff der différance betonte er, dass auch diese Differenzen nicht gleichbleibend sind, sondern sich zeitlich verschieben, etwa wenn Signifikanten in neuen Kontexten angewandt werden. Weil Zeichen ihre Bedeutung nur vorläufig erhalten, wird ein Stillstellen von Sinn unmöglich. 158 Dieses permanente Verschieben von Bedeutungen, das Gleiten der Signifikanten, übertragen Laclau und Mouffe auf gesellschaftliche Ordnungen. Dabei schließen sie 156 Der Klassiker der postmarxistischen Hegemonietheorie ist Ernesto Laclau/ Chantal Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics. London/ New York: Verso, 1985. Für eine subjektorientierte Hegemonietheorie empfehlen sich allerdings eher die späteren Arbeiten Laclaus, darunter Ernesto Laclau: New Reflections on the Revolutions of Our Times. London/ New York: Verso, 1990; ders.: Emanzipation und Differenz. Wien: Turia + Kant, 2002 [1996]; ders.: On Populist Reason. London/ New York: Verso, 2005. Ebenfalls aufschlussreich sind Judith Butler/ Ernesto Laclau/ Slavoj Žižek: Contingency, Hegemony, Universality. Contemporary Dialogues on the Left. London/ New York: Verso, 2000; Oliver Marchart (Hg.): Das Undarstellbare der Politik. Zur Hegemonietheorie Ernesto Laclaus. Wien: Turia + Kant, 1998. 157 Zu Gramsci bzw. Laclaus und Mouffes Kritik an dessen Hegemoniekonzept s. Laclau/ Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy, etwa S. 66-71. 158 Jacques Derrida: „Semiologie und Grammatologie. Gespräch mit Julia Kristeva“, in: Jacques Derrida: Positionen. Wien: Passagen 1986, S.52-82; Jacques Derrida: Randgänge der Philosophie. Wien: Passagen, 1988 [1972], S. 29-52. Zu Laclaus Kritik an Derrida siehe Ernesto Laclau: „The Time Is out of Joint“, in: Diacritics 25/ 2 (1995), S. 85-96. <?page no="43"?> 42 an den Diskursbegriff Michel Foucaults an, machen aber keinen Unterschied zwischen einer diskursiven und einer nicht-diskursiven Ebene. Das bedeutet nicht, dass für sie alles sprachlich ist, wie diese Ineinssetzung häufig missverstanden wird. Vielmehr gehen sie davon aus, dass soziale Wirklichkeit in diskursiven Operationen, also über Systeme von Differenzen, hervorgebracht wird. 159 In Bezug auf historische Ordnungen bedeutet das, dass diese nicht alternativlos sind, sondern kontingent, also nicht auf einen letzten Grund zurückzuführen. Dennoch kann trotz des unablässigen Gleitens der Signifikanten so etwas wie allgemein anerkannter Sinn und gesellschaftliche Ordnung entstehen. Solche Ordnungen haben bedeutende Konsequenzen, indem sie Gesellschaften hierarchisch strukturieren und regulieren, wer als Teil von ihnen anerkannt wird und auf ihre Ressourcen zugreifen kann - und wer nicht. 160 Ein eindrucksvolles Beispiel ist hier etwa „Rasse“: „Race does not exist. But it does kill people“, fasst die Soziologin Collette Guillaumin das Paradox dieser Konstruktion zusammen. 161 Damit verweist sie auf den Konstruktionscharakter, die historisch variable Bedeutung von „Rasse“ und damit die ontologische Leere des Begriffs. Gleichzeitig verdeutlicht sie aber die drastischen materiellen Konsequenzen der Kategorie, die als machtvolles Vehikel für die Hierarchisierung von Menschen fungiert und buchstäblich töten kann. Rassistische Unterdrückung, aber auch die Ermäch tigun g von Subjekt en durch „ Rass e“, etwa durch d eren Kons truk tion als weiß, kann somit nicht in der Betonung spielerischer Zeichen untergehen, sondern muss als zumindest vorläufige Naht im Sozialen analysiert werden. 162 Ich interessiere mich in dieser Arbeit dafür, wie diese Nähte ins Soziale eingezogen werden. Wie können trotz der Unfixierbarkeit von Bedeutung vermeintlich stabiler Sinn und materielle Ordnungen entstehen? Und wie werden diese Provisorien wieder aufgebrochen? Laclau und Mouffe beschreiben Hegemoniebildung als Prozess, in dem partikulare Elemente miteinander in Verbindung gebracht, zueinander ins Verhältnis gesetzt und mit dem Anschein universeller Gültigkeit ausgestattet werden. 163 Diesen Vorgang nennen sie Artikulation. 164 Am Beispiel von Delinquenz lässt sich dies gut verdeutlichen. Juvenile delinquency wurde artikuliert, indem eine Reihe partikularer Differenzen wie etwa Jugend, Blackness, Innenstadt, Armut und „dysfunktionale“ Familien miteinan- 159 Laclau/ Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy, S. 107f. 160 Andreas Reckwitz: Subjekt. Bielefeld: transcript, 2008, S. 70. 161 Collette Guillaumin: Racism, Sexism, Power and Ideology. New York/ London: Routledge, 1995, S. 107. 162 Dazu konzeptionell Felix Krämer/ Nina Mackert: „Plessy revisited: Skizzen dekonstruktivistischer Körpergeschichte(n) von den Vereinigten Staaten der Segregation“, in: AG Queer Studies (Hg.): Verqueerte Verhältnisse. Intersektionale, Ökonomiekritische und Strategische Interventionen. Hamburg: Männerschwarm, 2009, S. 66-81. 163 Ernesto Laclau: „Von den Namen Gottes“, in: Marchart: Das Undarstellbare, S. 265-281, hier S. 277. 164 Laclau/ Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy, S. 113. <?page no="44"?> 43 der verknüpft wurden. Diese Elemente waren zwar sehr unterschiedlich, weil sie aber alle als Gegensatz zu etwas Anderem verstanden werden konnten, war es möglich, sie als typische Merkmale von Delinquenz zu etablieren und sie also im Prozess der Verknüpfung zu modifizieren. Weil diese Elemente diskursiv als äquivalent im Verhältnis zu einem Anderen, zu einem Gegensatz arrangiert werden, bezeichnen Laclau und Mouffe dies als Äquivalenzkette. 165 Und hier haben wir es mit einer entscheidenden Operation von Hegemonie zu tun, denn über Äquivalenzketten können Bedeutungen provisorisch fixiert werden. An dieser Stelle kommt der Signifikant Jugenddelinquenz ins Spiel, der sich sozusagen an die Spitze der Äquivalenzkette setzt und die differenten Elemente unter seinem Dach miteinander verklammert. Die vermeintliche Kohärenz von Bedeutung, die so entsteht, lässt sich nach Laclau und Mouffe mit Foucaults Konzept der diskursiven Formation vergleichen: eine relative Häufung und Ordnung gestreuter Aussagen. 166 Leere Signifikanten umfassen die Äquivalenzkette(n) unter einem Zeichen, was es ihnen ermöglicht, Bedeutung einerseits zu stabilisieren, andererseits aber auch wieder zu unterlaufen. Beginnen wir mit der stabilisierenden Funktion des Signifikanten. Wir haben bereits gesehen, dass Jugenddelinquenz beispielsweise sowohl mit Armut, Blackness und vermeintlich desorganisierten Innenstädten, als auch über eine Äquivalenzkette von Bürgerlichkeit, Whiteness und geordneten Vorstädten artikuliert werden konnte. Diese Offenheit hat übrigens eine ganz konkrete Konsequenz, denn sie fordert dazu auf, ein besonderes Augenmerk auf die kategorialen Zuweisungen und auf den partikularen Charakter zu legen, die die Konstruktion jugendlicher Delinquenz in ihren spezifischen diskursiven Einsätzen strukturieren. Zur machtkritischen Analyse dieser Verhältnisse hat sich in den kritischen Kulturwissenschaften der Ansatz der Intersektionalität oder Interdependenz herausgebildet. 167 Das Interessante an der Hegemonie- 165 Laclau/ Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy, S. 112, 127-130. 166 Ebd., S. 105; Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M. 1981 [1969], S. 58. 167 Eine gesellschaftliche Gruppe, mit der das Konzept genealogisch in Verbindung gebracht werden muss, sind Women of Color, die bereits seit den 1970er Jahren explizit darauf hingewiesen haben, dass etwa Geschlecht, „Rasse“ und Klasse keine homogenen Kategorien sind, sondern sich wechselseitig durchdringen und modifizieren. Als paradigmatische Texte gelten hier etwa: The Combahee River Collective: „A Black Feminist Statement“ [1977], in: Joy James/ Tracey Denean Sharpley-Whiting (Hg.): The Black Feminist Reader. Malden: Blackwell 2000, S. 261-270; Kimberlé Crenshaw: „Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color“, in: Stanford Law Review 43/ 6 (1991), S. 1241-1299. Für einen Überblick und eine Kritik von Intersektionalitätskonzepten siehe Leslie McCall: „The Complexity of Intersectionality“, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 30/ 3 (2005), S. 1771-1800; Umut Erel u. a.: „Intersektionalität oder Simultaneität? ! - Zur Verschränkung und Gleichzeitigkeit mehrfacher Machtverhältnisse“, in: Jutta Hartmann u. a. (Hg.): Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht. Wiesbaden: VS, 2007, S. 239-250; Katharina Walgenbach u. a. (Hg.): Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. <?page no="45"?> 44 bildung ist nun, wie diese interdependente Struktur verallgemeinert wird. Das, was juvenile delinquency nun zu so einem mächtigen Signifikanten machte, war die Fähigkeit, diese so unterschiedlichen partikularen Elemente und auch mehrere Äquivalenzketten unter einem Dach zu verbinden. Es ist davon auszugehen, dass Jugenddelinquenz für unterschiedliche US-Amerikaner_innen etwas gänzlich anderes bedeuten konnte. Gleichwohl - oder hegemonietheoretisch gedacht: gerade deshalb - war es möglich, dass juvenile delinquency als universales Problem verstanden wurde. In hegemonialen Prozessen werden Signifikanten zur Einschreibefläche von mannigfaltigen, teilweise widersprüchlichen Bedeutungen. 168 Auf diese Weise gefüllt, entleeren sich die Signifikanten jedoch zunehmend, denn sie haben immer weniger ein bestimmbares Signifikat. Daher nennt Laclau sie „tendenziell leere Signifikanten“. 169 Gerade diese Entleerung ist es, die den Signifikanten die Möglichkeit gibt, vermeintliche Kohärenz zu symbolisieren und als Ausdruck des Allgemeinen und Objektiven verstanden zu werden. In unserem Kontext heißt das: Gerade indem juvenile delinquency zur Einschreibefläche höchst unterschiedlicher Bedeutungen wurde, konnte dessen partikularer Charakter in den Hintergrund treten. Es war möglich, die divergenten Konzepte zu einem universellen Problem zusammenzufassen, ihre Differenzen zu verwischen und dem Signifikanten den Anschein universaler Gültigkeit und Stabilität zu verleihen - eine „Metaphysik der Substanz“, wie es sich mit Judith Butler ausdrücken lässt. 170 Hegemonie ist demnach das „Verhältnis, in dem ein partikularer Inhalt in einem bestimmten Kontext die Funktion übernimmt, eine abwesende Fülle zu inkarnieren“. 171 Mit dem Begriff der „abwesenden Fülle“ rekurriert Laclau auf die Unmöglichkeit, alle Differenzen zu repräsentieren. Erfolgreiche hegemoniale Operationen schaffen es, dieses unmögliche Projekt zumindest vorzugeben und das Spiel der Differenzen vorübergehend zu fixieren. Leere Signifikanten bringen nach innen und außen eine imaginäre Stabilität in das System, führen „Knotenpunkte“ ein, unter denen die äquivalenziellen Ketten und verstreuten Bedeutungen versammelt werden. 172 Sie sind also mehr als „nur“ Begriffe, und zwar Elemente der diskursiven Praxis, Gesellschaft zu verstehen und zu ordnen und als solche immer wieder hervorzubringen - aber auch zu unterlaufen. Opladen: Verlag Barbara Budrich, 2007; Helma Lutz/ Maria Teresa Herrera Vivar/ Linda Supik: Framing Intersectionality. Debates on a Multi-Faceted Concept in Gender Studies. Franham/ Burlington: Ashgate, 2011. 168 Welche Signifikanten dies sind, ist freilich ebenso kontingent und wird in hegemonialen Kämpfen - vorübergehend - entschieden. 169 Laclau: On Populist Reason, S. 70f.; ders.: „Structure, History and the Political“, in: Butler/ Laclau/ Žižek: Contingency, Hegemony, Universality, S. 182-212, hier S. 185. 170 Judith Butler: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin: Berlin Verlag, 1998, S. 56. 171 Laclau: „Von den Namen Gottes“, S. 277. 172 Laclau/ Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy, S. 112, 127-130. <?page no="46"?> 45 Damit kommen wir nun zur destabilisierenden Funktion des leeren Signifikanten, die nicht getrennt von dessen Ordnungsfunktion diskutiert werden kann, weil sie eben darauf beruht. Denn warum ist eine gesellschaftliche Objektivität nicht herstellbar? Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung, dass ein Signifikant immer auf etwas anderes verweist, das er nicht ist: auf eine Differenz, die als Gegensatz explizit ausgeschlossen ist, oder auf etwas, das gar nicht erst benannt werden kann, weil es buchstäblich unsagbar ist. 173 Dabei ist dieses Außen keine weitere Differenz, denn sonst wäre es Teil des Diskurses. Es ist vielmehr eine Grenze, die das Feld der Differenzen nach außen hin zu schließen versucht und von Laclau und Mouffe antagonistisch genannt wird. 174 Der Antagonismus spielt eine wichtige Rolle in der Hegemoniebildung, da er einerseits die Grundbedingung für Ordnung darstellt: Wir haben gesehen, dass Äquivalenzketten die relative Stabilität ihrer Verklammerung nur um den Preis der gemeinsamen Abgrenzung zu einem Außen unter dem Dach leerer Signifikanten erhalten. Andererseits ist genau dies der Grund, warum eine vollständige Schließung der Differenzen nicht möglich ist. Weil die Bedeutung auf der Abgrenzung beruht, auf dem permanenten Verweisen auf etwas Anderes, ist die Ordnung, die der Antagonismus herstellt, konstitutiv bedroht. 175 Dieses Außen wird zur Störung der Kohärenz im Inneren des Diskurses und sorgt damit für die grundsätzliche Instabilität der Ordnung. Noch einmal anders gesagt: Dass die Bedingung der Stabilität von juvenile delinquency gleichzeitig der Grund für deren Unmöglichkeit ist, macht dieses Phänomen zu einem radikal historischen. Hegemoniale Prozesse sind nach Laclau und Mouffe Kämpfe um die Produktion und Besetzung von leeren Signifikanten. 176 Hegemonien werden etabliert durch permanente Versuche, eindeutige und stabile Grenzmarkierungen im Politischen zu verankern und somit zu Sedimenten des Sozialen zu machen. 177 Diese Hegemoniebildung wird in meiner Arbeit in Bezug auf die Delinquency Scare untersucht. Welche partikularen Elemente wurden unter dem Dach Jugenddelinquenz verklammert? Wo zeigen sich Verschiebungen und Brüche? Welche anderen Signifikanten werden in diesem Zusammenhang mit Bedeutungen versehen und wie? Vor allem aber steht die Frage im Vordergrund, was über diesen Angstdiskurs ins Werk gesetzt, veranlasst und realisiert wurde. Es geht um die Produktion vermeintlich universeller Wahrheiten über jugendliche Delinquenz, die überregionale Bedeutung erlangen und sich in lokalen Prakti- 173 Laclau: New Reflections on the Revolutions of Our Times, S. 17ff. 174 Laclau/ Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy, S. 122f. 175 Laclau: New Reflections on the Revolutions of Our Times, S. 20f. 176 Laclau/ Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy, z. B. S. 96, 177. 177 Laclau beschreibt das Politische als das Feld, auf dem Antagonismen artikuliert werden und Kämpfe um die Besetzung der Signifikanten stattfinden. Das Soziale ist für ihn der Bereich sedimentierter, also stärker materiell realisierter hegemonialer Verhältnisse, deren politische Etablierung bisweilen nicht mehr erkennbar ist (Laclau: On Populist Reason, S. 154). <?page no="47"?> 46 ken manifestieren konnten. 178 Ich habe Laclaus Begriff des leeren Signifikanten durch den des produktiven Signifikanten ersetzt, um auf dessen enormes Potenzial in der Hervorbringung von Wissen, materiellen Ordnungen und Subjekten hinzuweisen. 179 Subjektivierung Wenn kulturelle Hegemonien Ergebnis unablässiger Aushandlungen sind, was bedeutet das dann für die Subjekte? Die kulturwissenschaftliche Subjektanalyse beruht auf der Annahme, dass auch Subjekte keine Realitäten an sich darstellen, sondern nur in diesem diskursiven Geflecht Bedeutung erlangen. „Indem [kulturelle] Codes sich auf Praktiken auswirken und in das implizite Wissen der sie tragenden Subjekte eingehen“, so beschreibt es der Sozialwissenschaftler Andreas Reckwitz, „regulieren sie die Subjektivierung“. 180 Damit produzieren Signifikanten historisch spezifische Weisen, in denen Individuen und Gruppen sich selbst und Gesellschaft verstehen. Foucault hat den „Modus der Subjektivierung“ bezeichnet als „die Art und Weise, wie das Individuum sein Verhältnis zur Regel einrichtet und sich für verpflichtet hält, sie ins Werk zu setzen“. 181 Sein Verständnis von Subjektivierung ist eingebettet in die Analyse einer liberalen Machtform, die besonders darauf ausgerichtet ist, Subjekte als rational handelnde, sich selbst führende Individuen zu konstituieren und zu regieren. 182 Foucaults Konzept der Gouvernementalität hat eine Grundlage für sozialwissenschaftliche und mittlerweile auch historische Arbeiten geliefert, Geschichten liberaler Gesellschaften als Geschichten der Subjektivierung zu erzählen. 183 Das 178 Dass der Delinquenzdiskurs dabei auch immer wieder über nationale Grenzen hinauswies und etwa ein sowjetisches Delinquenzproblem konstruierte, zeige ich in Nina Mackert: „Danger and Progress: White Middle-Class Juvenile Delinquency and Motherly Anxiety in the Post-War United States, 1945-1965“, in: Ellis: Juvenile Delinquency and the Limits of Western Influence, S. 199-224. 179 Dazu auch Mackert: „Juvenile Delinquency, Interdependent Masculinity and the Government of Families“. 180 Reckwitz: Subjekt, S. 136. 181 Michel Foucault: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit, Bd. 2. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1986 [1984], S. 38. 182 Foucault: In Verteidigung der Gesellschaft; ders.: Die Geburt der Biopolitik. Überblickshaft dazu: Thomas Lemke/ Susanne Krasmann/ Ulrich Bröckling: „Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologie: Eine Einleitung“, in: dies. (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2000, S. 7-40. 183 Z. B. Nikolas Rose: Governing the Soul. The Shaping of the Private Self. New York/ London: Routledge, 1990; Bröckling: Das unternehmerische Selbst; Jürgen Martschukat: „‘The Necessity for Better Bodies to Perpetuate Our Institutions, Insure a Higher Development of the Individual, and Advance the Conditions of the Race.’ Physical Culture and the Shaping of the Self in Late 19th and Early 20th Century America“, in: Journal of Historical Sociology <?page no="48"?> 47 rationale Subjekt wird in diesen Arbeiten nicht als Ausgangspunkt, sondern als Effekt dieser Ordnungen dekonstruiert. Sie fragen danach, welches historischgeographisch spezifische Wissen Individuen und Gruppen bereitgestellt wird und ihnen ermöglicht oder auch verwehrt, sich als kulturell lesbare, legitime Subjekte hervorzubringen. Diese Studien haben insbesondere darauf hingewiesen, dass auf diese Weise spezifische, besonders begehrte Subjektpositionen erschaffen werden, die Individuen permanent dazu aufrufen, sich entlang hegemonialer Normen zu führen, um gesellschaftliche Anerkennung als Subjekt zu erlangen. 184 Dass solche Prozesse prinzipiell an begehrten Subjektpositionen ausgerichtet sind, bedeutet aber nicht, dass negativ konnotierte Signifikanten kein wirkungsvolles Subjektivierungswissen bilden können. Auch Signifikanten wie etwa Kriminalität, die ein gesellschaftliches Problem markieren, funktionieren identitätsstiftend. Sie dienen als Gegensatz, als Anderes zu einem Ideal. Die Konstruktion von Kriminalität ist notwendig, um das nicht-Kriminelle, das Legale und das Normale zu konstituieren. Deshalb muss auch das Identitätsversprechen, das produktive Signifikanten geben, nicht als positives verstanden werden, um Subjektwerdung zu ermöglichen. Foucault hat betont, dass Subjektivierung nicht ohne die Unterwerfung unter gesellschaftliche Normen funktioniert, der Akt der Unterwerfung aber gleichzeitig einen ermächtigenden Charakter hat, weil er Individuen mit kultureller Sichtbarkeit und damit Sprechpositionen ausstattet. 185 Als Subjekt anerkannt zu werden und Handlungsmacht zu erlangen, heißt also nicht einfach, einem spezifischen Rahmen des Denk-, Sag- und Machbaren unterworfen zu sein. Das Handlungsvermögen kulturell lesbarer Subjekte ergibt sich eben aus dieser gleichzeitigen Unterwerfung und Anerkennung. Das bedeutet, dass der Signifikant Kriminalität, indem er Menschen oder Gruppen als Kriminelle konstruiert und damit gesellschaftlich lesbar macht, auch solche Identifikationsangebote und damit potenzielle Sprechpositionen im Diskurs bereithält, die nicht als gesellschaftlich begehrt gelten. Die antagonistische Struktur des Politischen bedeutet auch, dass bestimmten Anderen, allerdings nur den diskursiv sichtbaren Anderen, eine Position zugewiesen wird, die mit Selbsterkenntnis und Handlungsmacht verknüpft ist, wenn auch nur als „,Verhinderer‘ des Allgemeinen“. 186 24/ 4 (2011), S. 472-93; Sabine Maasen u. a. (Hg.): Das beratene Selbst. Zur Genealogie der Therapeutisierung in den „langen“ Siebzigern. Bielefeld: transcript, 2011. Das DFG- Graduiertenkolleg „Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung“ an der Universität Oldenburg verweist darauf, wie dynamisch das Feld der Subjektivierungsstudien derzeit ist (URL: http: / / www.uni-oldenburg.de/ graduiertenkolleg-selbst-bildungen/ [30.12.2013]). 184 Z. B. Friederike Habermann: Der homo oeconomicus und das Andere. Hegemonie, Identität und Emanzipation. Baden-Baden: Nomos, 2008; Martschukat: Die Ordnung des Sozialen. 185 Foucault: „Subjekt und Macht“, S. 275. 186 Martin Nonhoff: Politischer Diskurs und Hegemonie. Das Projekt „Soziale Marktwirtschaft“. <?page no="49"?> 48 Das Subjektivierungswissen, das produktive Signifikanten zur Verfügung stellen, ist ein zentrales Element bei der Erklärung ihres diskursiven Sogs, der kulturellen Attraktivität ihrer Signifikationsarbeit. Dieser Sog besteht in entscheidender Weise darin, Individuen einen Rahmen zur Verfügung zu stellen, sich selbst und andere zu verstehen und als Subjekte anerkannt zu werden. Reckwitz bezeichnet Hegemonien als „kulturelle Versuche, die Identitätshoffnungen des Subjekts zu befriedigen, sie stülpen ihm nicht nur gesellschaftliche Subjektivationszumutungen über, sondern erweisen sich als attraktive [...] Projektionsflächen von Subjekten“. 187 Die Konstruktion von Subjektpositionen lässt sich somit als zentrales Element hegemonialer Prozesse untersuchen, weil sie darüber Auskunft gibt, welche Subjekte in einem historisch spezifischen Moment begehrt oder zumindest kulturell lesbar waren. Kriminalitätsarbeit Die Delinquency Scare als hegemonialen Prozess, als Kampf um Subjektivierungswissen, zu begreifen, bedeutet dann, die unermessliche kulturelle Arbeit hervorzuheben, die erforderlich ist, um die Fiktion stabiler Wahrheiten und Einheitsversprechen aufrechtzuhalten. Diskurse zu Jugendkriminalität werden vom Soziologen Bernd Dollinger als „Kriminalitätsarbeit“ bezeichnet. 188 Ich verwende Delinquenz gerade wegen der Offenheit des Signifikanten nicht als Synonym für Kriminalität, halte Dollingers Begriff aber trotzdem für äußerst fruchtbar, weil er das Augenmerk auf den prozessualen, aufwendigen Charakter von Delinquenzbehauptungen richtet. Kriminalisierung wird erfassbar als Problematisierungsweise, die Arbeit macht. Es ist aufwendig, die fluiden Bedeutungskonstruktionen stets imaginär stillzustellen. Die stete Wiederholung von Sinn- und Differenzbehauptungen, die notwendig ist, um diese diskursiv zu festigen, bedeutet zudem gleichzeitig ihre Destabilisierung: Dabei passieren Fehler, da es kein positives Signifikat gibt, das zitiert werden kann. 189 An der Kriminalitätsarbeit sind viele Elemente beteiligt, sowohl diejenigen, die innerhalb des diskursiven Feldes Bedeutung erlangen, als auch diejenigen, die als grundsätzlich Andere das Außen des Antagonismus bilden. Die Bedeutung, die juvenile delinquency erhält, konstituiert sich demnach durch die Kämpfe darum, was Delinquenz „ist“ oder wie mit Delinquent_innen umgegangen werden soll, sowie durch die davon abgegrenzte Normalität und das Verworfene. 190 Der Begriff der Kriminalitätsarbeit betont also den enormen Aufwand, der Bielefeld: transcript, 2006, S. 167. 187 Reckwitz: Subjekt, S. 80. 188 Dollinger: Jugendkriminalität als Kulturkonflikt, S. 165. 189 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1991, S. 203. 190 Vgl. ebd., S. 161ff. <?page no="50"?> 49 betrieben werden muss, um das Arrangement imaginär stabil zu halten. In Anlehnung an Renate Lorenz, Brigitta Kuster und Pauline Boudry lässt sich der Begriff zudem in doppeltem Sinne nutzen: Zum einen berücksichtigt er die Produktion von Waren oder Dienstleistungen, dass also Expert_innen Bücher verkaufen und Sozialarbeiter_innen und Polizist_innen eine entlohnte Arbeit verrichten. Zum anderen umfasst er die Produktion von Subjekten, die auf eine bestimmte Art und Weise im Feld handeln, die in eine bestimmte Beziehung zum Problem Jugenddelinquenz gesetzt werden. 191 Um dieses Netz von Bedeutungszuweisungen, Praktiken, Subjekten und Institutionalisierungen zu fassen, das in der Kriminalitätsarbeit produziert wird und über das diese operiert, ist Foucaults Begriff des Dispositives fruchtbar. Foucault hat Dispositive als „Netzwerke“ bezeichnet, die „Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze [...] umfass[en]“. 192 Damit verknüpfen sich in Foucaults Dispositiv-Begriff sprachliche Praxen mit materiellen Elementen, die ihrerseits als Effekte von Bezeichnungsprozessen verstanden werden können. Es lässt sich also davon sprechen, dass juvenile delinquency das Delinquenzdispositiv produzierte und bündelte. Dabei ist Kriminalitätsarbeit ein Prozess, der sowohl die Einschränkung als auch den Gebrauch von Freiheit verdeutlicht. Einerseits ist er nicht freiwillig, im Sinne von nicht intentional gelenkt. Diese Perspektive erlaubt es, die historiografisch als interessengeleitete Übertreibungen abgetanen Äußerungen im Delinquenzdiskurs daraufhin zu untersuchen, wie sie sich als diskursive Aussagen, also als lagerübergreifende Wahrheiten generierten und darüber gesellschaftliche Wirkungsmacht entfalteten. Damit erweist sich Kriminalitätsarbeit als in dem Sinne freiwillig, als dass sie nicht über Repression funktioniert. Weil produktive Signifikanten das Versprechen von Fülle und universaler Repräsentation mit sich tragen, funktionieren Hegemonien auch nicht über Zwang, sondern als weithin konsensuales Projekt, dessen Wahrheitspolitiken jedoch stets umkämpft sind. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Terrain der Kriminalitätsarbeit 191 Zum Begriff der Arbeit und des Aufwandes Renate Lorenz/ Brigitta Kuster: sexuell arbeiten. eine queere perspektive auf arbeit und prekäres leben. Berlin: b_books 2007; Pauline Boudry/ Brigitta Kuster/ Renate Lorenz (Hg.): Reproduktionskonten fälschen! Heterosexualität, Arbeit & Zuhause. Berlin: b_books, 1999; Renate Lorenz: „Scham. Pervers sexuell arbeiten im Kontext neoliberaler Ökonomie“, in: AG Queer Studies: Verqueerte Verhältnisse, S. 131-147. 192 Michel Foucault: Dispositive der Macht. Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin: Merve, 1978, S 119f. Interessant zur Weiterentwicklung des Dispositiv-Begriffs ist Giorgio Agamben: Was ist ein Dispositiv? Zürich/ Berlin: Diaphanes, 2008. Schneider/ Bührmann nehmen dagegen eine grundsätzliche Trennung von Diskursivem und Nicht-Diskursivem an und operieren mit einem sehr mechanischen Dispositivbegriff (Andrea Bührmann/ Werner Schneider: Vom Diskurs zum Dispositiv. Einführung in die Dispositivanalyse. Bielefeld: transcript, 2008). <?page no="51"?> 50 als kulturelle Matrix, in der unterschiedliche Subjekt- und damit Sprechpositionen „vergeben“ werden. Ich zeige, welches Wissen die Delinquency Scare für Individuen bereitstellte, sich in Relation zu dem Problem zu verstehen. Dafür erweitere ich den Blick über die Untersuchung der Konstruktionen von Jugendlichen hinaus auf die anderen Protagonist_innen der Kriminalitätsarbeit und beziehe Jugendrichter, Polizist_innen, Street Workers, Lehrkräfte und Eltern in die Subjektivierungsanalyse mit ein. Forschungsfragen und Quellenkorpus Zusammenfassend heißt das: In dieser Arbeit wird erstens danach gefragt, wie jugendliche Delinquenz zum „Erkenntnisgegenstand“ gemacht wurde. 193 Wie funktionierte das Sprechen über dieses Problem als hegemonialer Prozess? Mit anderen Worten: Auf welche Weise ließ sich in den US-Nachkriegsdekaden eine sinnvolle, kulturell lesbare Bedeutung von juvenile delinquency aufbauen? Zweitens untersuche ich Subjektivierungsweisen über die Konstruktion jugendlicher Delinquenz. Das bedeutet, dass ich das Subjektivierungswissen und die Praktiken rekonstruiere, die in der Delinquency Scare erschaffen, distribuiert, umkämpft und umgesetzt wurden. Außerdem analysiere ich, wie sich Individuen in Bezug zu diesem Wissen und ihrer gesellschaftlichen Anrufung setzten, sich als Subjekte in den Diskurs einschrieben. Drittens schließlich betrachte ich die Rolle des produktiven Signifikanten Jugenddelinquenz nicht nur in Bezug auf Subjektivierungsprozesse, sondern auch hinsichtlich der Entstehung, Reproduktion und des Wandels anderer Institutionalisierungen, wie sie etwa Strafpraktiken und Gesetze darstellen. So ermöglicht mir die Untersuchung des Delinquenzdispositivs einen dichten Blick auf die Art und Weise, wie gesellschaftliche Hegemonien entstehen, brüchig sind und sich transformieren. Um mich diesen Fragen zu nähern, stützt sich diese Arbeit auf Quellenbestände, die das umfangreiche Archiv des Wissens über Jugenddelinquenz verdeutlichen. Hier zu nennen sind zunächst Anhörungsprotokolle und weitere Akten vor allem des Senate Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency, die in den National Archives in Washington, DC, eingesehen wurden. Das Senate Subcommittee befasste sich mit Jugenddelinquenz als „nationalem Problem“. 194 Es befragte in seinen Hearings bundesweit, regional und lokal agierende Organisationen und Expert_innen zu einer weiten Bandbreite an Themen und erlangte dabei eine große öffentliche Aufmerksamkeit: Tageszeitungen und populäre Zeitschriften berichteten darüber und einige davon gehörten zu den ersten Se- 193 Dollinger: Jugendkriminalität als Kulturkonflikt, S. 17. 194 Z. B. Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1 und Pt. 2. <?page no="52"?> 51 natshearings, die im Fernsehen übertragen wurden. 195 Der Senatsausschuss kam vor allem in Washington, DC, zusammen, reiste aber auch in eine Vielzahl von Bundesstaaten, um die Situation dort vor dem Hintergrund des bundesweiten Problems zu begutachten. 196 Ergänzt wird die Rekonstruktion zeitgenössischen Wissens über jugendliche Delinquenz durch die Untersuchung von wissenschaftlichen Texten, aber auch an ein breiteres Publikum gerichteten Magazinen. Zu letzteren zählen die Erziehungszeitschriften Parents’ Magazine und National Parent-Teacher (ab 1961 The P.T.A. Magazine), das Organ der National Parent-Teacher Association. Auch das populäre Magazin LOOK und die explizit an ein afroamerikanisches Publikum gerichtete Ebony wurden herangezogen, um zu analysieren, welche Annahmen über Jugenddelinquenz zeitgenössisch distribuiert wurden. Dabei betrachte ich die Anhörungen, wissenschaftlichen Texte und Zeitschriftenartikel nicht als einheitliches Diktat von Ideen, sondern als Schmelztiegel der Bedeutungsproduktion. Ich lese diese Quellen als performative Akte, in denen Wissen aufgebaut, unterlaufen und erneuert wurde. Während dieser Quellenkorpus bereits Aussagen über die zeitgenössischen Anforderungen an Subjekte in der Delinquency Scare zulässt, wird dieser Frage zusätzlich mit Hilfe von Material nachgegangen, das deren Einschreibungen in diesen Diskurs sichtbar machen kann. Meine Arbeit untersucht textuelle Äußerungen derjeniger, die im Delinquenzdiskurs zum Handeln aufgerufen wurden, als Subjektivierungsdokumente. Zu diesen Quellen gehören etwa Erfahrungsberichte von einem Sozialarbeiter und einem Lehrer, vor allem aber Briefe, die Lehrkräfte, Eltern und Jugendliche an Magazine, das Senate Subcommittee und Delinquenzexpert_innen geschrieben haben. 197 Dafür wurden zum einen die Leserbriefspalten der oben aufgeführten Magazine gesichtet; vor allem NPT und Parents’ Magazine haben eine Reihe von Briefen von Lehrkräften und Eltern 195 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 145. 196 Vgl. etwa U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency (Denver, Colo.). Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 83rd Cong., 1st Sess., 14. Dezember 1953. Washington, DC: Government Printing Office 1954; U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency (Boston, Mass.). Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 83rd Cong., 2nd Sess., 28.-30. Januar 1954. Washington, DC: Government Printing Office, 1954. 197 George Allen: Undercover Teacher. New York: Doubleday and Company, 1960; Vincent Riccio/ Bill Slocum: All the Way Down. The Violent Underworld of Street Gangs. New York: Simon and Schuster, 1962; Records of the Senate Subcommittee; Fredric Wertham Papers, 1895-1981 (Rare Books and Special Collections Division, Library of Congress, Washington, DC). Einige der für diese Arbeit untersuchten Briefe entstammen auch den Nachlässen der Gluecks (Eleanor T. and Sheldon Glueck Papers, 1911-1972 [Harvard Law School Library, Cambridge]) sowie Benjamin Spocks (Benjamin Spock Papers, 1903-1998 [Special Collections Research Center, Syracuse University Library, Syracuse]). <?page no="53"?> 52 erhalten und abgedruckt. Zum anderen finden sich in den Aktenbeständen des Senate Subcommittee und im Nachlass des Delinquenzexperten Fredric Wertham eine Vielzahl von Briefen, anhand derer untersucht werden kann, wie sich Jugendliche und Eltern zum Problem jugendlicher Delinquenz verhielten und darüber auch als solche verstanden. 4 Aufbau der Arbeit Für die Gliederung dieser Arbeit habe ich eine heuristische Trennung von vier sich eng überlappenden Bereichen des Delinquenzdispositives vorgenommen: Jugendstrafsystem, Soziale Arbeit, Schule und Familie. Aus den Quellen wird ersichtlich, dass diese vier Bereiche als primäre Handlungsfelder in Bezug auf die Bekämpfung jugendlicher Delinquenz begriffen wurden. Die Kapitel werfen einen schlaglichtartigen Blick auf zentrale Ereignisse, Phänomene oder Entwicklungen in der Delinquency Scare und betten diese in eine Skizze der jeweiligen Grundzüge des Feldes ein. Hier wird sowohl die Heterogenität des Diskurses aus der synchronen als auch dessen Wandel aus der diachronen Perspektive berücksichtigt. Ein Schwerpunkt liegt dabei darauf, welche Individuen und Gruppen wie als verantwortlich konturiert wurden, dem Problem jugendlicher Delinquenz zu begegnen. Die Frage, auf welche Weise sich die so Angerufenen ins Verhältnis zu Jugenddelinquenz und ihrer gesellschaftlichen Aufgabe setzten, wird in den einzelnen Kapiteln immer wieder behandelt, vor allem aber im letzten Kapitel zum Feld Familie ausführlich am Beispiel von Briefen von Jugendlichen und Eltern ausgelotet. Darüber hinaus fokussiere ich in den einzelnen Kapiteln exemplarisch Gerichtsurteile, Strafmaßnahmen und sozialarbeiterische, schulische sowie sozialpolitische Programme als Regierungstechnologien und materielle Effekte des Delinquenzdiskurses. Das auf diese Einleitung folgende zweite Kapitel beleuchtet das Delinquenzdispositiv als Terrain, auf dem Kritik an Jugendgerichten, Polizei und Jugendstrafanstalten artikuliert und deren gesellschaftliche Funktion aktualisiert werden konnte. Vor dem Hintergrund einer Unterscheidung von Delinquenz und Kriminalität untersuche ich, wie gefährdete oder gefährliche Jugendliche, und ideale bzw. an ihrer Aufgabe scheiternde Jugendrichter und Polizist_innen konturiert wurden. Das Supreme Court-Urteil im Fall In Re Gault von 1967 und ein Modellprojekt in einer Jugendstrafanstalt bilden zwei zentrale Beispiele für die Neuordnungen, aber auch Kontinuitäten von Jugendgerichtsverfahren, Verhaftungslogiken und Strafpraktiken. Es wird deutlich, dass der Umgang mit delinquenten Jugendlichen von demokratischen und therapeutischen, aber auch sicherheitspolitischen Narrativen geprägt war. Im dritten Kapitel widme ich mich dem Feld der Sozialen Arbeit, die sich im Laufe der 1950er Jahre stark auf großstädtische, jugendliche Gangs konzentrierte. Ich zeige zunächst, auf welche unterschiedliche Weise die Konstruktion von <?page no="54"?> 53 Gangs vor allem durch „Rasse“, Klasse, Geschlecht und Raum strukturiert war und hebe damit die Ambiguität von juvenile delinquency, die gleichzeitige Pathologisierung und Normalisierung jugendlichen Verhaltens hervor. Anhand eines Erfahrungsberichtes des Sozialarbeiters Vincent Riccio analysiere ich die Verhandlungen der neuen Figur des Street Worker und zeige, wie Riccio sich in diese Anforderungen einschreiben, sie aber auch stellenweise unterlaufen konnte. Das zu Beginn der 1960er Jahre in New York City gestartete Projekt Mobilization for Youth (MFY), das eine Modellfunktion im War on Poverty einnahm, dient mir anschließend als Beispiel für die weitreichenden Effekte des Delinquenzdiskurses. Ich zeige, wie MFY Teil hegemonialer Prozesse war, in denen über Jugenddelinquenz Fragen von gesellschaftlicher Partizipation und Zugehörigkeit sozial benachteiligter Gruppen verhandelt wurden. Das vierte Kapitel folgt dem Journalisten George Allen, der Ende der 1950er Jahre undercover als Aushilfslehrer in einer „Problemschule“ in Brooklyn gearbeitet und seine Erfahrungen publiziert hat. Ich untersuche die Verknüpfung von Delinquenznarrativen mit zeitgenössischen Proklamationen einer Krise der Highschool. Im Zusammenbringen von Allens Buch, den Auseinandersetzungen um Brown v. Board of Education und dem Film Blackboard Jungle zeige ich, wie innerstädtische Schulen im Delinquenzdiskurs als gefährliche Räume konstruiert wurden und welche Rolle dies in den Kämpfen um schulische Desegregation spielte. Anschließend widme ich mich der Weise, in der jugendliche Dropouts als paradigmatische Verkörperung schulischer Delinquenz und als zunehmende Gefährdung der gesellschaftlichen Ordnung aufgebaut wurden. Im letzten Teil des Kapitels steht die Frage nach den Effekten schulischer Delinquenzinszenierungen im Vordergrund. Ich zeige den Zusammenhang der Delinquency Scare mit der Verhandlung von Lehrkräften. Außerdem untersuche ich schulische Strukturreformen und verdeutliche anhand von sonderpädagogischen Maßnahm en, wie jugendliche Delinquent_innen als behindert konstruiert und segregierte Schulformen aufrechterhalten werden konnten. Abschließend fragt das fünfte Kapitel nach der Verknüpfung von jugendlicher Delinquenz mit Familien und vor allem Eltern. Einleitend untersuche ich die Art und Weise, in der Familien als zentrale Sozialisationsinstanzen konstruiert und darüber die elterliche Verantwortung für jugendliche Delinquenz aufgebaut wurde. Ich analysiere die diskursive Produktion spezifischer problematischer Vater- und Mutterfiguren sowie Vorstellungen familiär hervorgebrachter juvenile delinquency. Dabei frage ich danach, welche Konfigurationen von Elternschaft und Familie als besonders schädlich für Jugendliche galten. Hier zeigt sich zudem in besonderem Maße, dass nicht alle Formen von Jugenddelinquenz als gesellschaftsgefährdend betrachtet wurden: Spezifische, vor allem weiß, bürgerlich und männlich kodierte Verkörperungen jugendlicher Rebellion fungierten in den USA des Kalten Krieges als Zeichen demokratischen Fortschritts. Anschließend untersuche ich verschiedene Formen des disziplinarischen und gouvernementalen Zugriffs auf Eltern als wirkmächtige Effekte des Delinqenz- <?page no="55"?> 54 diskurses. Dieses Kapitel fällt aus zwei Gründen relativ lang aus. Erstens bündeln sich auf dem diskursiven Terrain Familie viele zentrale Narrative des Delinquenzdiskurses; mit anderen Worten: Der Diskurs verwies auch in den anderen Feldern zentral auf die Bedeutung von Familie. Zweitens beschäftigt sich der letzte Abschnitt des Kapitels systematisch mit der in der gesamten Arbeit immer wieder aufgerufenen Frage, wie sich die im Delinquenzdispositiv angerufenen Individuen und Gruppen als verantwortliche Subjekte verstanden. Anhand von privaten Briefen von Jugendlichen und Eltern an das Senate Subcommittee, Magazine und den Psychiater Wertham untersuche ich exemplarisch, wie sich Individuen in Bezug zu hegemonialen Entwürfen von Delinquenz und Familie setzten. Es wird gezeigt, dass die Ambiguität des Delinquenzdiskurses einen Rahmen schuf, innerhalb dessen Jugendliche und Eltern hegemoniales Wissen bestätigen oder unterlaufen, und auf diese Weise diskursive Sprechpositionen reklamieren konnten. <?page no="56"?> 55 II „High ideals and harsh realities“: Delinquenz und das Jugendstrafsystem Im September 1955 erhielt das Senate Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency Post von Lawrence Janiec, einem Insassen des New Jersey State Prison. Seit seinem elften Lebensjahr, berichtete der Mittvierziger dem Ausschuss, habe er wiederholt Haftstrafen abgesessen, zunächst in Jugendstrafanstalten, später in Erwachsenengefängnissen. Seine kriminelle Laufbahn resultierte laut Janiec daraus, dass sich in seiner Jugend niemand für die Gründe seines Verhaltens interessiert habe. „[D]o you think anyone took the trouble to find out why I played ‘hooky’ at the tender age of 11? “, fragte er das Senate Subcommittee rhetorisch und fuhr fort: „Absolutely not. Do you think that anyone took the trouble to find out why I broke into a store at the age of 17? Absolutely not? “ 198 Janiec führte seine wiederholten Straftaten und Gefängnisaufenthalte als Beleg für die schädlichen Konsequenzen einer Strafpraxis an, die nicht auf die Rehabilitation Jugendlicher ausgerichtet sei. Das war eine Kritik, die zeitgenössisch von vielen geteilt wurde. Eng verknüpft mit der Infragestellung der rehabilitativen Qualitäten des Jugendstrafsystems war ein zweiter Vorwurf, der im Laufe der 1950er und 1960er Jahre vermehrt geäußert wurde: Viele sahen die Rechte Jugendlicher durch die Polizei sowie in Jugendgerichtsverfahren und Strafeinrichtungen verletzt. Diese Kritik wird etwa deutlich in einem weiteren Brief, der im Januar 1954 an das Subcommittee geschickt wurde: Earl MacDonald berichtete dem Ausschuss hier, dass sein 7-jähriger Sohn Robert wegen des Diebstahls einer Flasche Tonic vor das Jugendgericht gekommen sei. Bei der anschließenden Gerichtsverhandlung sei Robert zu einem Jahr Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 30 Dollar verurteilt worden. MacDonals Kritik entzündete sich unter anderem daran, dass das Jugendgericht Roberts Fall zusammen mit einer Reihe von Fällen verhandelt habe, in denen es um wirklich „kriminelle“ Delikte gegangen sei. Außerdem empörte er sich darüber, dass er als Elternteil der Urteilsfindung nicht beiwohnen durfte: „The parents are then told to leave the room while the Judge [sic], police and probation officers […] vote, behind closed doors, wether [sic] or not your child is a Juvenile Delinquent [sic]. The doors are then reopened and the parents are invited back in to hear the results of the election.“ 199 198 Lawrence Janiec, Trenton, NJ, an Senator William Langer, Senate Subcommittee, 7. September 1955, Records of the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency, Box 63. 199 Earl L. MacDonald, Malden, MA, an Robert C. Hendrickson, Senate Subcommittee, 28. Januar 1954, Records of the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency, Box 61. <?page no="57"?> 56 MacDonalds Brief zeigt, wie absurd und undemokratisch er das Vorgehen fand und wie gering sein Vertrauen gegenüber dem juristischen Apparat war. Dieser war in den Nachkriegsdekaden zudem aus einer dritten Perspektive in die Kritik geraten, die häufig parallel zu therapeutischen und demokratischen Einwänden geäußert, diesen aber auch entgegengehalten wurde. Unter dem Eindruck zunehmend schwerer Straftaten Jugendlicher und einer steigenden Zahl von Wiederholungstäter_innen betonten viele die Aufgabe von Jugendgerichten, Polizei und Jugendstrafanstalten, die öffentliche Ordnung und den Schutz der Gesellschaft zu sichern. 200 Angesichts der Diagnosen von wachsenden Raten jugendlicher Delinquenz, lastete in den Nachkriegsdekaden ein beträchtlicher Reformdruck auf dem Jugendstrafsystem. Schon zur Mitte der 1940er Jahre hatten sich viele Menschen Sorgen über eine Zunahme von Jugenddelinquenz durch die schädlichen Auswirkungen des Krieges auf Jugendliche und Familien gemacht. 201 Und die Befürchtungen schienen sich zu betätigen. Vom U.S. Children’s Bureau und vom FBI erstellte Statistiken zeigten ein starkes Ansteigen der Delinquenzraten während des Krieges und - nach einem kurzen Abfallen - vor allem in der ersten Hälfte der 1950er Jahre. 202 Dabei diskutierten schon Zeitgenoss_innen, ob diese Zahlen auf eine tatsächliche Zunahme von Jugenddelinquenz hindeuteten, denn die absolute Zahl delinquenter Jugendlicher war allein durch das Bevölkerungswachstum in die Höhe gegangen. Allerdings legten die Statistiken nahe, dass die Zahl der Verhaftungen von Jugendlichen unter 18 Jahren dreimal so stark gestiegen war wie diese Bevölkerungsgruppe. 203 Einen weiteren Hinweis auf den problematischen Charakter der Statistiken bietet die Art der Erhebung. Das FBI zählte die Verhaftungen Jugendlicher und das Children’s Bureau wertete Daten der Jugendgerichte aus. Es lässt sich somit spekulieren, dass eine erhöhte Alarmbereitschaft bei Polizei und Justiz dazu beitrug, die Zahl der Verhaftungen und Prozesse zu erhöhen. 204 Überdies wurden in der Delinquency Scare auch neue sanktionierbare Delikte geschaffen, wie etwa Ausgangssperren für Jugendliche, deren Verletzung in die Statistiken mit einging. 205 Die Frage statistischer Evi- 200 Z. B. Janiec an Langer, S. 1; President’s Commission on Law Enforcement and Administration of Justice: The Challenge of Crime in a Free Society. Washington, DC: U.S. Governement Printing Office, 1967, S. 81. 201 Z. B. Ernest W. Burgess: „The Effect of War on the American Family“, in: American Journal of Sociology 48/ 3 (1942), S. 343-352. Dazu Waltzer: Uneasy Idealism, S., 46ff. 202 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 67f. 203 Children’s Bureau: Some Facts About Juvenile Delinquency. Washington, DC: Government Printing Office, 1953, S. 3. Ausführlich dazu Gilbert: Cycle of Outrage, S. 66-71. 204 Zur Kritik an Kriminalstatistiken Moritz Rinn: Aktivieren und Strafen. Integrative und ausschließende Strategien gegenwärtiger Arbeitsmarkt- und Kriminalpolitik. Oldenburg: BIS- Verlag der Univ. Oldenburg, 2009, S. 92f.; Dollinger: Jugendkriminalität als Kulturkonflikt, S. 41-44. 205 Sealander: The Failed Century of the Child, S. 33. <?page no="58"?> 57 denz für ein Ansteigen von juvenile delinquency ist also streitbar - aber auch wenig gewinnbringend. Entscheidend ist, dass Delinquenz in den Augen vieler Menschen ein äußerst ernstzunehmendes Problem war und die Jugendgerichte mit einem deutlich erhöhten Fallaufkommen zu tun hatten. Die Sorge vor einer Zunahme jugendlicher Delinquenz korrespondierte mit demographischen Prozessen, die das Problembewusstsein verstärkten und Delinquenz im Kontext größerer gesellschaftlicher Konflikte sichtbar werden ließen, in denen sich Fragen von „Rasse“ und Klasse eng miteinander verschränkten. 206 Ein zweiter Schub der Great Migration brachte in den 1940er Jahren Millionen von African Americans in die großen Städte des Nordens. Nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen außerdem die Zahlen von Einwanderer_innen aus mittel- und lateinamerikanischen Gebieten wie Mexiko und Puerto Rico deutlich an. 207 Gleichzeitig wanderten vor allem Weiße in einer zweiten massiven, inneren Migrationsbewegung in die Vorstädte ab, die sich als neue Zentren einer weißen Mittelklasse etablierten. Dieser Wandel veränderte die demographische Zusammensetzung der Städte so drastisch, dass die Historiker Robert Self und Thomas Sugrue von einer „virtual racial apartheid“ sprechen, die tendenziell auch eine ökonomische bedeutete. 208 Flankiert wurde der „white flight“ von einer ökonomischen Dezentralisierung. Viele Betriebe verlagerten ihre Produktionsstätten aus den Stadtzentren heraus in Klein- oder Vorstädte. Im städtischen Raum sank daher die Zahl der Fabrik- und Lagerjobs drastisch - eine Entwicklung, die durch Automation und Kriegsende verstärkt wurde und vor allem African Americans und weiße „working poor“ hart traf. Diese Entwicklungen beförderten die Bildung von „Problemvierteln“ und Gettos, die von Arbeitslosigkeit und Armut geprägt waren. 209 Innenstädte traten als problematische Räume hervor und in ihrem Gegensatz zu den Vorstädten wurden die wachsenden gesellschaftlichen Widersprüche besonders sichtbar. Vor diesem Hintergrund verstanden viele Zeitgenoss_innen ein Ansteigen jugendlicher Delinquenz. Und vor diesem Hintergrund rangen sie miteinander um die Richtung notwendiger Reformen des Jugendstrafsystems. Mutmaßlich steigende Delinquenzraten schienen auf ein Scheitern von Jugendgerichten, Polizei und Jugendstrafanstalten hinzuweisen und deren Reform dringend erfor- 206 Sealander: The Failed Century of the Child, S. 48; Robert O. Self/ Thomas Sugrue: „The Power of Place: Race, Political Economy, and Identity in the Postwar Metropolis“, in: Jean Christophe Agnew/ Roy Rosenzweig (Hg.): A Companion to Post-1945 America. Malden: Blackwell, 2002, S. 20-43. 207 Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, S. 38; Michael Flamm: Law and Order. Street Crime, Civil Unrest, and the Crisis of Liberalism in the 1960s. New York: Columbia Univ. Press, 2005, S. 14; Lilia Fernandez: Brown in the Windy City. Mexicans and Puerto Ricans in Postwar Chicago. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 2012. 208 Self/ Sugrue: „The Power of Place“, S. 23. 209 Ebd., S. 20-25; Lindquist: Race, Social Science and the Crisis of Manhood, S. 158-161. <?page no="59"?> 58 derlich zu machen. Dass dabei die Forderung, die Gesellschaft müsse stärker vor jugendlichen Straftätern geschützt werden, keinen Widerspruch zu Postulaten von Rehabilitation und demokratischer Kritik darstellte, hat mit dem besonderen Charakter von Institutionen des Strafystems zu tun. Das Justizsystem operiert auch in liberalen Gesellschaften stärker als andere Regierungstechnologien über souverän-repressive Mechanismen. Trotz der Betonung einer auf Rehabilitation ausgerichteten Jugendstrafpraxis beruht die strafrechtliche Logik darauf, einen gesellschaftlichen Ausschluss von Individuen unmittelbar wirksam zu machen. 210 Dass sie in liberalen Ordnungen gleichzeitig auf die Führung der Subjekte ausgerichtet ist, erzeugt eine zentrale Spannung, die die Verhandlungen des Jugendstrafsystems in den Nachkriegsdekaden prägte: die Spannung zwischen dem Schutz gerade des jungen Individuums und dem Schutz der Gesellschaft. Diese Spannung wurde, darum wird es in diesem Kapitel immer wieder gehen, zeitgenössisch unter anderem über die Differenzierung von Delinquenz und Kriminalität bearbeitet. In der Entstehungslogik der US-amerikanischen Jugendgerichte hatte der Begriff juvenile delinquency dazu gedient, die Delikte Jugendlicher von Erwachsenenkriminalität zu unterscheiden. Der juristische Umgang mit Delinquenz fußte auf einem Verständnis Jugendlicher, das diesen „something less than crime“ bescheinigte. 211 Zur Jahrhundertmitte wurde diese Unterscheidung aufgerufen, um die Schwere des Delinquenzproblems zu verdeutlichen. Und sie war einer der Aspekte, die in den Nachkriegsdekaden Bewegung in die verschiedenen Bereiche des Jugendstrafsystems brachten. Diese Bewegungen stehen im Folgenden im Vordergrund. Dabei betrachte ich zunächst die Weise, in der die Unterscheidung von harmloser und schwerer Delinquenz bzw. Kriminalität vollzogen wurde. Vor diesem Hintergrund widme ich mich im Anschluss den Auseinandersetzungen um Jugendgerichte, Polizei und Jugendhaftanstalten. Ich zeige, wie sich in zeitgenössischen Kritiken an den Einrichtungen Therapie-, Demokratie- und Sicherheitsdispositive miteinander verbanden und was das für die Subjektpositionen von Jugendlichen, Richter_innen und Polizist_innen sowie für Reformen des Jugendstrafsystems bedeutete. 212 210 Dollinger: Jugendkriminalität als Kulturkonflikt, S. 144f.; Susanne Krasmann/ Sven Opitz: „Regierung und Exklusion. Zur Konzeption des Politischen im Feld der Gouvernementalität“, in: dies./ Michael Volkmer (Hg.): Michel Foucaults „Geschichte der Gouvernementalität“ in den Sozialwissenschaften. Internationale Beiträge. Bielefeld: transcript, 2007, S. 127-155. 211 Paul Tappan: Comparative Survey of Juvenile Delinquency. New York: United Nations Dept. of Economic and Social Affairs, 1958, S. 14, zit. nach Robert G. Caldwell: „The Juvenile Court: Its Development and Some Major Problems“, in: The Journal of Criminal Law, Criminology, and Police Science 51/ 5 (1961), S. 493-511, hier S. 495. 212 In diesem Kapitel gehe ich unterschiedlich mit der geschlechtlichen Bezeichnung von Jugendrichtern und Jugendrichterinnen um. Zwar bestand formal die Möglichkeit für Frauen, als Richterinnen zu arbeiten, es arbeiteten aber äußerst wenige Frauen in diesem <?page no="60"?> 59 1 Jugenddelinquenz zwischen „silly pranks“ und „juvenile crime“ Im August 1954 erhob der Bezirksstaatsanwalt von Kings County, New York, Anklage gegen vier weiße Jungen aus Brooklyn, die einige Tage vorher verhaftet worden waren. Die 15bis 18-Jährigen gestanden, den afroamerikanischen Obdachlosen Willard Menter mit Zigaretten verbrannt, verprügelt und in den East River gestoßen zu haben. Vor Gericht erklärte Jack Koslow, der in den Medien als Anführer der Gruppe behandelt wurde, die Tat als „Abenteuer“ und „Gag“. 213 Das Fehlen eines triftigen Motivs und eines paradigmatischen delinquenten Werdegangs der Vier beschäftigte die Medien: Der Autor der New York Times fühlte sich „erschüttert und fassungslos“ und LOOK formulierte die dringende Frage „Could This Happen to Your Boy? “ 214 Artikel wie diese versuchten, die Taten zu erklären, fanden aber offenbar keine Hilfe in den etablierten Erklärungsmustern jugendlicher Delinquenz: „The usual motives seem to be absent. The usual explanations of home background do not sufficiently explain“, stellte etwa die New York Times konsterniert fest. 215 Zwar lebten die Jungen in der Innenstadt, kamen aber aus „gutem Hause“, wie vielfach betont wurde, und seien nicht für ihre Brutalität, sondern eher als schüchterne Bücherwürmer bekannt. 216 Jack Koslow wurde der Öffentlichkeit als hoch intelligenter, aber psychisch schwer gestörter Jugendlicher vorgestellt. 217 Viele begriffen die „Brooklyn Thrill Killers“, wie die Medien die Jungen nannten, als Beispiel einer besonders schweren Form von Delinquenz oder Kriminalität, die als neue Herausforderung des Jugendstrafsystems skizziert wurde. 218 Beruf. So gab es beispielsweise zu Beginn der 1970er Jahre lediglich zwei Jugendrichterinnen im Bundesstaat Kansas (Fred N. Six/ Kenneth W. Reeves: „Waiver of Juvenile Court Jurisdiction in Kansas“, in: University of Kansas Law Review 22/ 2 [1974], S. 193-216, hier S. 209). Die ausschließliche Nutzung der männlichen Nomenklatur würde daher auf die soziale Realität hinweisen, die wenigen Jugendrichterinnen aber zusätzlich unsichtbar machen. Gleichzeitig war Männlichkeit, wie ich im Abschnitt ab S. 70 zeigen werde, eine entscheidende Kategorie in der Konstruktion idealer Jugendrichter. Daher verwende ich in diesem Kapitel im Allgemeinen die Kollektivbezeichnung mit Unterstrich, in einzelnen Fällen und insbesondere im eben erwähnten Abschnitt aber nur die männliche Form, um auf die geschlechtliche Kodierung der verhandelten Subjektposition hinzuweisen. 213 Murray Schumach: „Alleged Slayer Linked to Sadism“, in: New York Times, 2. Dezember 1954, S. 35. 214 Chester Morrison: „The Case of the Brooklyn Thrill Killers: Could This Happen to Your Boy? “, in: LOOK 18/ 22 (1954), S. 126-129. 215 Anon.: „Crime Past Understanding“, in: New York Times, 19. August 1954, S. 1. 216 Schumach: „Alleged Slayer Linked to Sadism“. 217 Anon.: „Koslow, At 7, Was Psychiatric Case“, in: New York Times, 23. August 1954, S. 18. 218 Morrison: „The Case of the Brooklyn Thrill Killers“. <?page no="61"?> 60 „Who is delinquent? “ Rehabilitation und Rückfallkriminalität Ein gutes Jahr nach der Aufregung um die „Brooklyn Thrill Killers“ fragte der Psychoanalytiker Fritz Redl im National Parent-Teacher, welche Jugendlichen als delinquent bezeichnet werden könnten. Die meisten Delikte Jugendlicher, so Redl, seien eher „harmlos“, manchmal sogar „niedlich“ und oft einfach „typisch“ für bestimmte Entwicklungsstadien von Kindern und Jugendlichen. Redl bezog sich auf Adoleszenz als turbulente Lebensphase und versicherte seinen Leser_innen: „Most youngsters get involved in something like youthful mischief at one time or another.“ Diese „silly pranks“ dürfe man nicht sofort als delinquent bezeichnen, denn sie stünden in scharfem Kontrast zu tatsächlich ernstzunehmender „Jugendkriminalität“: „[T]he well-organized but extremely antisocial ‘young thug in the making’ […] is really a gangster or criminal who happens to start younger than most such people.“ 219 Damit rief Redl eine zeitgenössisch populäre Unterscheidung auf, mit der jugendliche Delinquenz stärker in den Bereich des „Normalen“ geschoben und von Kriminalität abgegrenzt wurde. 220 Letztere war für Redl unter anderem über die Schwere des Delikts erkennbar, mehr noch aber von der psychischen Disposition der Jugendlichen abhängig. Die gewalttätigen Ausbrüche jugendlicher Vergewaltiger und Mörder gehörten nicht in den Bereich von Delinquenz, sondern in ein „chapter on advanced pathology“, so der Psychoanalytiker. 221 Der Kriminologe Walter Reckless machte 1953 deutlich, worin die psychischen Störungen derjenigen bestünden, die als schwere Delinquent_innen oder jugendliche Kriminelle galten. So beschrieb er vor dem Subcommittee einen paradigmatischen „psychopathischen“ Delinquenten folgendermaßen: „He becomes inordinately egocentric and seems to be unable to relate himself properly to people or to ordinary social demands. He can be grossly unstable and irascible. He can be mean. He can be dangerous. He can harm and hurt, swindle and cheat, lie and steal without compunction - just for the hell of it. For he has little in the way of a conscience.“ 222 Die Beschreibung ähnelt der Charakterisierung Koslows und verdeutlicht das Gefahrenpotenzial, das diesen Jugendlichen zugewiesen wurde. Gerade die konstitutive Instabilität, durch die Adoleszenz gekennzeichnet wurde, fungierte in Darstellungen wie denen von Redl und Reckless nicht als Begründung des Schutzes junger Menschen, sondern als Element der Konstruktion „gefährlicher“ 219 Fritz Redl: „Who Is Delinquent? “, in: National Parent-Teacher 50/ 4 (1955), S. 4-7, hier S. 4. 220 Bush: Who Gets a Childhood, S. 95f. 221 Redl: „Who Is Delinquent“, S. 4. 222 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 222. <?page no="62"?> 61 Jugendlicher. 223 Ein zentraler Faktor bei der Unterscheidung von Delinquenz und Kriminalität war zudem die Frage, ob Jugendlichen die Fähigkeit zur eigenständigen oder angeleiteten Rehabilitation zugeschrieben wurde. Der Großteil von Redls Artikel handelt vom steinigen Weg, diejenigen jugendlichen Delinquent_innen zu therapieren, die er in der Mitte zwischen „silly pranks“ und „under-aged gangsters and severe mental cases“ ansiedelte. 224 Von letzteren sprach der Psychoanalytiker im weiteren Verlauf des Textes nicht mehr, sie fielen somit aus der Gruppe heraus, die er als therapierbar betrachtete. Die Rehabilitationsfähigkeit Jugendlicher war in den 1950er Jahren aufgrund des gestiegenen Einflusses von psychologischem Wissen ein als besonders wichtig erachteter Faktor in den Auseinandersetzungen um Delinquenz. Dabei gab es laut Expert_innen einmal die „pseudo delinquents“. Diese seien, wie ein Erziehungswissenschaftler 1958 konstatierte, recht gut „integriert“ und würden, sofern man sie in Ruhe ließe, sich gleichsam selbst therapieren oder schlicht erwachsen werden. 225 Eine „natürliche“ adoleszente Entwicklung wurde hier unmittelbar mit der Verbesserung individuellen Verhaltens verbunden; Strafen erschienen in diesen Fällen eher als hinderlich. Welchen Jugendlichen diese Fähigkeit zugetraut wurde, zeigt etwa eine Typologie jugendlicher Delinquenten, die der New Yorker Richter Ben Irving Cooper Mitte der 1950er Jahre entwarf. Leicht rehabilitierbare Jugendliche waren nach Cooper dadurch gekennzeichnet, dass sie eher zufällig und vereinzelt Gesetzesübertretungen begingen und nach der Tat eine große Einsicht und den unbedingten Willen zur Besserung zeigten. Zwar sei bisweilen noch Hilfe von außen nötig, die Jugendlichen hätten dafür aber auch den geeigneten Hintergrund: „A very large number of [these] cases come from good homes in good neighborhoods.“ Da „good homes in good neighborhoods“ zeitgenössisch für weiße Familien ab der Mittelklasse stand, erschienen bei Cooper vor allem Jugendliche aus solchen Familien fähig, sich eigenständig zu bessern oder nur eines leicht korrektiven Zugriffs zu bedürfen. Anders verhielt es sich laut Cooper mit einer zweiten Gruppe, die in jedem Fall Hilfe bei ihrer Rehabilitation benötigte. Der Richter stellte diese als führungslose und von den Eltern vernachlässigte Jugendliche dar, die in „deprivierten“ Verhältnissen leben und daher besonders hilfebedürftig seien. 226 Durch diesen Verweis klassifizierte er diese Gruppe Jugendlicher als nicht-bügerlich. Außerdem ließ es seine Abgrenzung zu familiär stabilen „good homes“ und „good neighborhoods“ zu, sie als nicht-weiß zu lesen, denn vor allem afroamerikanische Familien wurden zu diesem Zeitpunkt als sowohl emotional als auch 223 Vgl. auch Don J. Young: „The How and Why of the Juvenile Court“, in: The P.T.A Magazine 57/ 4 (1962), S. 7-9, hier S. 9. 224 Redl: „Who Is Delinquent“, S. 4. 225 Kvaraceus: Juvenile Delinquency, S. 335. 226 Ben Irving Cooper: „Dramatic Plight in the Courtroom. A Judge’s Plea to the Bar“, in: American Bar Association Journal 40/ 2 (1954), S. 118-120, hier S. 120. <?page no="63"?> 62 ökonomisch depriviert beschrieben. 227 Und schließlich sprach Cooper nur von männlichen Jugendlichen. Der zeitgenössische Rehabilitationsdiskurs zeigt eine deutliche Leerstelle in Bezug auf weibliche Delinquenz, die vor allem deshalb überrascht, weil Mädchen besonders häufig auch wegen geringer Delikte vor die Jugendgerichte gebracht und in Jugendstrafanstalten eingewiesen wurden. Die häufige Verurteilung und Institutionalisierung von Mädchen lässt sich als ein Verweis darauf lesen, dass ihnen eine geringere eigenständige Rehabilitationsfähigkeit zugesprochen wurde. 228 Coopers Typologie jugendlicher Delinquenten steht vor allem für zweierlei: Erstens privilegierte er den therapeutischen Zugriff auf Jugendliche gegenüber einer primär punitiven Kontrolle, indem er deren Handlungen nicht als Ausdruck jugendlicher „badness“, sondern als Produkt sozialer und psychischer Probleme begriff. 229 Zweitens ist Coopers Argumentationskette ein Beispiel dafür, auf welche Weise entlang von „Rasse“, Klasse und Geschlecht eine Hierarchie von Rehabilitationspotenzialen und damit eine besondere Risikogruppe jugendlicher Delinquenz konturiert wurde. 230 Dabei waren die Grenzen der therapeutischen Konzepte zeitgenössisch umkämpft und zeigten sich deutlich gerade im Umgang mit jungen Schwarzen. Als sich die Spannungen von Rassismus und ökonomischer Ungleichheit in den 1960er Jahren vermehrt in Aufständen in den städtischen Gettos entluden, schoben sich Bilder gefährlicher, nicht-weißer, urbaner Gewalttäter zunehmend vor Repräsentationen gefährdeter, sozial produzierter Delinquent_innen. 231 Wenn über die Aufstände gesprochen wurde, griff man häufig auf das Wissen und die Sprache des Delinquenzdiskurses zurück und klassifizierte junge schwarze Männer als Kriminelle. Zwar spielten auch hier immer wieder Narrative eine Rolle, in denen Lebensumstände und rassistische Diskriminierung als Erklärung für Gewalt angeführt wurden. Diese traten jedoch angesichts der Gefahr für die Gesellschaft, die dieser Figur des Gewalttäters zugeschrieben wurde, zunehmend in den Hintergrund. Diesen Diskurs dominierte nicht Rehabilitation, sondern containment, der akute, eindämmende Umgang mit jugendlicher Gewalt. 232 227 Dazu Kapitel V, dort insbes. Abschnitt 2.1. 228 Chesney-Lind/ G. Shelden: Girls, Delinquency, and Juvenile Justice, S. 167, 173; Bush: Who Gets a Childhood, v. a. Kap. 3. 229 Feld: Bad Kids, S. 202. 230 Dazu Bush: Who Gets a Childhood, Kap. 3. 231 Das Begriffspaar „gefährdeter“ und „gefährlicher“ Jugendlicher entstammt Dollinger: Jugendkriminalität als Kulturkonflikt, S. 22. 232 Feld: Bad Kids, insbes. S. 87-92; Sealander: The Failed Century of the Child, S. 48; Norbert Finzsch: „Die ‘National Advisory Commission on Civil Disorders’ und der Diskurs um Gewalt in den USA, 1968“, in: Amerikastudien/ American Studies 49/ 3 (2004), S. 329-348. <?page no="64"?> 63 Ein weiteres Element, anhand dessen die Rehabilitationsfähigkeit Jugendlicher verhandelt und damit die Bestimmung ihrer Gefährdung oder Gefährlichkeit reguliert wurde, war die Frage der Rückfallkriminalität, des recidivism. Bereits in den 1930er Jahren hatten die Gluecks konstatiert, dass fast 90 Prozent der von ihnen untersuchten Delinquenten weitere Straftaten begangen hätten - innerhalb von fünf Jahren, nachdem die vom Jugendgericht verordnete therapeutische Behandlung oder Freiheitsstrafe beendet worden sei. Vor allem schwere jugendliche Straftäter würden überproportional häufig rückfällig werden. 233 Recidivism war in der zeitgenössischen Logik die Konsequenz gescheiterter Rehabilitationsversuche. Das Problematische daran wurde unter Rückgriff auf Vorstellungen jugendlicher Delinquenten als potenziell zukünftige Kriminelle herausgestellt. So argumentierte etwa der Jurist Henry P. Chandler 1954 vor dem Senate Subcommittee, dass jugendliche Straftäter weit weniger kriminell „eingefahren“ seien als erwachsene. Sie hätten noch ihr ganzes Leben vor sich und seien einerseits durch sorgfältige Führung leichter zu rehabilitieren. Sollte dies nicht gelingen, könnten sie andererseits als Erwachsene ihre kriminelle Karriere fortsetzen und umso gefährlicher werden. Für Chandler standen Jugendliche permanent „auf der Kippe“: „But this I know: That youth is abounding in energy, and the same force that is used in shocking crimes may, if the right influence is brought to bear, in time be directed toward useful action.“ 234 Hier zeigt sich erneut, dass die konstitutive Instabilität, die mit Jugendlichkeit verknüpft wurde, eine wichtige Grundlage für die gleichzeitige Zuschreibung von Gefährdung und Gefährlichkeit bildete. Die Gefahr von recidivism wurde dabei nicht nur Jugendlichen während der Adoleszenz zugeschrieben, sondern auch als Element in der Konstruktion von Kriminalitätsbiographien benutzt. Die Children’s Bureau-Vorsitzende Martha Eliot stellte in einem zeitgenössisch weit verbreiteten Artikel fest, dass ungefähr die Hälfte aller erwachsenen Kriminellen schon in ihrer Jugend delinquent gewesen seien. 235 Und James V. Bennett vom US-Justizministerium betonte vor dem Subcommittee, „hinter jedem erwachsenen Kriminellen“ lasse sich die „schattenhafte Kontur“ jugendlicher Delinquenz finden. 236 Über Rückfallkriminalität wurde juvenile delinquency nicht nur als akute, sondern auch zukünftige Gefahr begriffen. 233 Glueck/ Glueck: One Thousand Juvenile Delinquents, S. 167 (die Gluecks hatten in ihrer Studie nur männliche Jugendliche untersucht). 234 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 2, S. 360, 367. 235 Martha M. Eliot: „A New Start on an Old Problem“, in: National Parent-Teacher 47/ 5 (1953), S. 11-13, hier S. 12; Eliots Artikel erschien ebenfalls in den Zeitschriften Federal Probation (17 [1953], S. 20-22), Juvenile Court Judges Journal (4/ 1 [1953], S. 32-34) und NASSP Bulletin (37/ 193 [1953], S. 148-152). 236 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 2, S. 325. <?page no="65"?> 64 Im Prozess der Kriminalisierung jugendlicher Delinquenz spielte recidivism also in mehrerer Hinsicht eine bedeutende Rolle. Erstens trug die Vorstellung eines drohenden Rückfalls in die Kriminalität dazu bei, bestimmte biografische Muster zu erzeugen, in denen eine potenziell „lebenslange“ Kriminalität vorausgesagt wurde. 237 Indem weißen Jugendlichen der Mittelklasse eine grundsätzlich bessere Rehabilitationsfähigkeit zugewiesen wurde, präsentierte man nicht-weiße und sozial benachteiligte Jugendliche als besonders rückfallgefährdet. Zweitens schien es umso dringlicher, jugendliche Delinquenz schon im Jugendalter zu bekämpfen, um der Herausbildung krimineller Karrieren vorzubeugen. 238 Zusammengenommen bildeten die Auseinandersetzungen um Rehabilitation und recidivism also Kriminalisierungslogiken, mit denen Aussagen über die potenzielle Gefährlichkeit von Individuen und Gruppen getroffen wurden. Einerseits begriffen Expert_innen jugendliche Delinquenz als natürliche jugendliche Instabilität. Andererseits wurde diese Vorstellung von gefährdeten Jugendlichen im Delinquenzdiskurs zunehmend von Vorstellungen gefährlicher Jugendlicher begleitet. Mit Begriffen wie „true type of delinquency“ oder „juvenile crime“ wurden jugendliche Handlungen belegt, die ein besonderes Problem in der Nachkriegsgesellschaft darzustellen schienen. 239 Dabei wurde das Ausmaß des Delikts in eine Beziehung mit der sozialen und psychischen Disposition der Jugendlichen gesetzt, um zu bestimmen, wie ernst das Problem im konkreten Fall war. Wie im weiteren Verlauf dieses Kapitels deutlich werden wird, hatte die Bestimmung des Rehabilitationspotenzials Jugendlicher bedeutende Konsequenzen für den Umgang mit ihnen durch Gericht, Polizei und in Jugendstrafanstalten. 2 „The condition of being a boy does not justify a cangaroo court“: Jugendgerichte und das Gault-Urteil Im Mai 1964 wurde der 15-jährige Gerald Francis Gault zusammen mit einem Freund im Haus der Gaults in Gila County, Arizona, verhaftet. Eine Nachbarin hatte sich über „anzügliche“ Telefonanrufe beschwert und diese mit dem jungen Gault in Verbindung gebracht. Weder Gault selbst noch seine Eltern, die zum Zeitpunkt der Festnahme nicht zu Hause waren, wurden über die Vorwürfe informiert. Nach einer informellen Anhörung am nächsten Tag wurde Gault, der sich gerade wegen eines anderen Delikts auf Bewährung befand, vom Ju- 237 Zur Konstruktion von Kriminalitätsbiographien in der Kriminalitätsarbeit Dollinger: Jugendkriminalität als Kulturkonflikt, S. 141. 238 Zur Präventionslogik Kap. III.3.1. 239 Sheldon Glueck, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 82. <?page no="66"?> 65 gendgericht zu sechs Jahren Jugendhaft - bis zu seiner Volljährigkeit - verurteilt. 240 Seine Eltern zogen mit dem Fall vor das oberste Gericht des Bundesstaates und nachdem dieser das Vorgehen des Jugendgerichts für rechtmäßig erklärt hatte, landete der Fall vor dem Supreme Court. In einem aufsehenerregenden Urteil befand dieser im Mai 1967, auch in den bis dato formlos ablaufenden Jugendgerichtsverhandlungen müssten die im 14. Verfassungszusatz festgelegten rechtsstaatlichen Prinzipien Anwendung finden: Die obersten Richter führten für Jugendgerichtsprozesse unter anderem das Recht auf anwaltlichen Beistand, auf die Konfrontation mit Zeug_innen, auf Schutz gegen Selbstbelastung und auf die zeitnahe Unterrichtung über die Anklagepunkte ein. 241 Das Urteil war unter anderem deshalb so bedeutend, weil das Verfahren des Jugendgerichtes in Arizona juristisch prinzipiell legitim gewesen war. Die seit der Jahrhundertwende in den Bundesstaaten eingeführten, separaten Jugendgerichte folgten zwar von Staat zu Staat unterschiedlichen Regularien, hatten aber ein zentrales Prinzip gemeinsam: Sie sollten dazu dienen, den juristischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen deutlich von dem mit Erwachsenen abzugrenzen. Mit dem Argument, vor allem junge Angeklagte müssten besonderen Schutz genießen und bedürften eher einer therapeutischen Behandlung als einer Strafe, galt der vergleichsweise formlose Vorgang von Jugendgerichtsprozessen als legitim und wünschenswert. Diese fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, selbst Eltern durften oft nicht anwesend sein oder wurden, wie bei den Gaults, nicht von den Vorwürfen in Kenntnis gesetzt. Die parens patriae- Doktrin operierte unter der Annahme, dass die Eltern delinquenter Jugendlicher ihre Aufsichtspflichten vernachlässigt hätten und daher der Staat diese Obhut übernehmen müsse. 242 Im Gegensatz zu regulären Strafverfahren waren Jugendgerichtsverfahren überdies so strukturiert, dass die Feststellung der Schuldfrage nicht das primäre Ziel der Prozesse war. In den Verhandlungen kamen weniger strenge Prinzipien der Beweisführung zur Geltung als bei Strafverfahren für Erwachsene. 243 Dass Jugendgerichte damit praktisch unter der impliziten Schuldvermutung operierten, war ein Effekt des therapeutischen Auftrags der Einrichtungen. Dieser verlangte danach, die Gründe für das delinquente Verhal- 240 In Re Gault, 387 U.S. 1 (1967), online verfügbar unter: U.S. Supreme Court Center: URL: http: / / supreme.justia.com/ cases/ federal/ us/ 387/ 1/ case.html [13.10.2011], Opinion, Abs. I. 241 Ebd., Syllabus. 242 Ebd., Abs. II; Spencer Coxe: „Lawyers in Juvenile Court“, in: Crime & Delinquency 13/ 4 (1967), S. 488-493, hier S. 489; Anthony M. Platt: „Saving and Controlling Delinquent Youth: A Critique“ [1970], in: Rose Giallombardo (Hg.): Juvenile Delinquency. A Book of Readings. New York: John Wiley & Sons, 1976 3 , S. 453-471; Tanenhaus: Juvenile Justice in the Making, S. 50ff. 243 In Jugendgerichtsverfahren galt das Prinzip der „preponderance of evidence“. Die Schuld der oder des Angeklagten musste danach nicht „beyond a reasonable doubt“ feststehen, sondern konnte darauf beruhen, dass die Anklagepunkte „wahrscheinlich“ zutrafen (Feld: Bad Kids, S. 103). <?page no="67"?> 66 ten der Jugendlichen in den Vordergrund zu stellen. Die primäre Aufgabe von als wohlmeinend und wissend konturierten Jugendrichter_innen sollte es sein, über die notwendige „Behandlung“ der Angeklagten zu entscheiden. 244 Damit wurde die Schuld der jugendlichen Angeklagten in der Praxis a priori angenommen. Diese Prinzipien von Jugendgerichtsverfahren wurden mit dem Urteil im Fall Gault nun abgelehnt: „The constitutional and theoretical basis for this peculiar system is - to say the least - debatable“, befanden die obersten Richter. 245 Vor allem in der strafrechtswissenschaftlichen Forschung, aber auch in den wenigen historischen Studien, die sich über eine kurze Erwähnung hinaus mit dem Fall befasst haben, wurde das Urteil des Supreme Court als neue Ära der Jugendgerichtsbarkeit und Zeichen für den Einzug demokratischer Rechte in Gerichtsverfahren diskutiert. 246 Es war Teil der „due process-revolution“, im Laufe derer seit den 1930er Jahren verstärkt Bürgerrechte und Minderheitenschutz im USamerikanischen Strafjustizsystem verankert wurden. 247 Der Oberste Gerichtshof hatte bereits 1966 im Fall Kent v. United States entschieden, dass Jugendgerichte Angeklagte nicht ohne ein rechtsstaatliches Verfahren an ein Erwachsenen- Gericht überstellen dürften. 248 Drei Jahre nach dem Gault-Urteil verfügten die obersten Richter im Fall In Re Winship zudem, dass in Jugendgerichtsverfahren, die sich um ein auch für Erwachsene strafbares Delikt drehten, strengere Prinzipien der Beweisführung Anwendung finden müssten. 249 244 Young: „The How and Why of the Juvenile Court“, S. 8. 245 In Re Gault, Opinion, Abs. II. 246 Z. B. Lemert: Social Action and Legal Change; Marc B. Stahl: „The Impact of Counsel on Juvenile Delinquency Proceedings“, in: The Journal of Criminal Law and Criminology 84/ 3 (1993), S. 642-668, hier S. 643; Bush: Who Gets a Childhood, S. 156-158; Ronald Banaszak (Hg.): Fair Trial Rights of the Accused. A Documentary History. Westport: Greenwood, 2002, S. xxx, 160-163. Zur Rolle der American Civil Liberties Union im Gault-Fall Sealander: The Failed Century of The Child, S. 39-42. Der Großteil der historischen Untersuchungen zu Jugendgerichten in den USA beschäftigt sich mit der Entstehung von Jugendgerichten zur Jahrhundertwende und in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts (s. Abschnitt I.1). Die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg stellen eine Leerstelle dar. Ausnahmen bilden Platt: The Child Savers, S. 161-172; Bush: Who Gets a Childhood, der sich aber vor allem auf Jugendstrafanstalten konzentriert. 247 Feld: Bad Kids, S. 94-97. Dazu auch Fred P. Graham: The Due Process Revolution. The Warren Court’s Impact on Criminal Law. New York: Hayden Books, 1970; Michael J. Klarman: From Jim Crow to Civil Rights. The Supreme Court and the Struggle for Racial Equality. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2004. Zu den Anfängen der „due process revolution“ Silvan Niedermeier: „Torture and ‘Modern Civilization’: The NAACP’s Fight against Forced Confessions in the American South (1935-1945)“, in: Thomas Welskopp/ Alan Lessoff (Hg.): Fractured Modernity - Essays on American Society and Culture, 1890s to 1940s. München: Oldenburg Verlag, 2012, S. 169-189. 248 Kent v. United States, 383 U.S. 541 (1966), online verfügbar unter: U.S. Supreme Court Center: URL: http: / / supreme.justia.com/ cases/ federal/ us/ 383/ 541/ case.html [14.10.2011]. 249 In Re Winship, 397 U.S. 358 (1970), online verfügbar unter: U.S. Supreme Court Center: <?page no="68"?> 67 Ist das Gault-Urteil also zweifellos im Kontext dieser Entwicklung zu betrachten, hebt der Soziologe und Kriminologe Edwin Lemert besonders den Problemdruck hervor, der in den Nachkriegsdekaden auf den Jugendgerichten lastete. Im Kontext von Migration und Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und steigenden Verhaftungszahlen hätten die Jugendgerichte mit einem deutlich höheren Fallaufkommen zu tun gehabt, das formalere Verfahren notwendig gemacht habe. 250 Es ist daher, darauf weist Dirk Schumann hin, bezeichnend, dass die Gault-Entscheidung etwa in Kalifornien schon zu Beginn der 1960er Jahre vorweggenommen wurde; in einem Bundesstaat, der in besonderem Maße von drastischen demographischen Veränderungen geprägt war. Bereits 1961 wurden hier prozedurale Schutzmechanismen in Jugendgerichtsverfahren eingeführt. 251 Die Reformen wurden auch auf Bundesebene vor dem Hintergrund steigender Delinquenz- und Rückfallquoten angetrieben, die Kritiker_innen auf demokratische, vor allem aber auf therapeutische Mängel der Jugendgerichte zurückführten. 252 Und da die Unterscheidung von „harmlosen“ Delinquent_innen und „härteren“ jugendlichen Straftäter_innen eine wichtige Grundlage dieser Kritik bildete, artikulierten sich in den Debatten über die Rolle von Jugendgerichten auch zunehmend Forderungen, diese dürften über ihrer therapeutischen Funktion nicht den Schutz der Gesellschaft vergessen. Dabei war das Gault-Urteil anschlussfähig für beide Seiten: für diejenigen, die nach einer verbesserten therapeutischen Funktion der Jugendgerichte strebten, ebenso wie für diejenigen, die deren punitiven Charakter betonten. Die therapeutische Qualität rechtsstaatlicher Verfahren Die Richter des Supreme Court hoben in ihrer Urteilsbegründung im Fall Gault steigende Raten jugendlicher Delinquenz und hohe Rückfallquoten hervor: Aufgrund dieser Zahlen könne man nicht davon ausgehen, dass die bisherigen Prozeduren erfolgreich in der Bekämpfung von Delinquenz und der Rehabilitation Jugendlicher gewesen seien. 253 Die Urteilsbegründung knüpfte an eine diskursive Entwicklung der Nachkriegsdekaden an, in der die Annahme eines therapeutischen Auftrages von Jugendgerichten wiederholt postuliert, deren Handeln nach diesen Grundlagen aber beständig in Zweifel gezogen wurde. URL: http: / / supreme.justia.com/ cases/ federal/ us/ 397/ 358/ case.html [14.10.2011]. 250 Lemert: Social Action and Legal Change, S. 27, 63, 90f. 251 Dirk Schumann: „Von der Strafe zur ‚Behandlung‘ (und zurück? ). Der Umgang mit delinquenten Jugendlichen in den USA von den 1960er bis zu den 1980er Jahren“, in: Traugott Jähnichen u. a. (Hg.): Neue Soziale Bewegungen als Herausforderung sozialkirchlichen Handelns. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2015 (i. E.), S. 153-169. Dazu auch Lemert: Social Action and Legal Change, S. 221. 252 Ebd., S. 28. 253 In Re Gault, Opinion, Abs. II. <?page no="69"?> 68 Die Jugendrichterin Elizabeth McCain beispielsweise erklärte den Leser_innen des NPT 1957, warum es so wichtig sei, dass Jugendgerichte nach den Gründen für delinquentes Verhalten fragten und eine individuelle „Behandlung“ verschrieben. Sie berichtete in ihrem Artikel vom 15-jährigen Joe, der seit seinem fünften Lebensjahr im Kinderheim lebe. Joe war vor das Jugendgericht gekommen, weil er ausgerissen und beim Stehlen erwischt worden sei. McCain mutmaßte: „He might have spent the remainder of his years of minority in a state institution, and many good people would have said, ‘That’s where he belongs.’“ Nicht so das Jugendgericht: Dieses sei an seiner Geschichte interessiert gewesen und habe den Jungen an Pflegeeltern vermittelt. Hier bekäme er nun die nötige Liebe, deren Fehlen seine delinquenten Handlungen ausgelöst habe. Das Urteil des Gerichts hatte Joe in McCains Darstellung therapiert: „[It] inspired him to better grooming, changed his attitude from one of resentment to one of cooperation and anticipation.“ 254 McCains Text ist nur eines von mehreren Beispielen dafür, dass die gesellschaftliche Aufgabe und Struktur von Jugendgerichtsverfahren in den US-Nachkriegsdekaden auch in populären Magazinen diskutiert wurde. Expert_innen verteidigten den therapeutischen Auftrag von Jugendgerichten und argumentierten, dass formale, festgelegte Verfahren bei diesem Vorhaben eher hinderlich seien. 255 An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass der therapeutische Anspruch der Gerichte dazu beitrug, dass ihre Urteile vor allem in zweierlei Hinsicht höchst unterschiedlich ausfielen. Erstens unterschied sich das Strafmaß in Jugendgerichtsprozessen von dem in Verfahren für Erwachsene. Wäre Gerald Gault als Erwachsener verurteilt worden, hätte er rund 50 Dollar zahlen und maximal 60 Tage im Gefängnis verbringen müssen. Das Jugendgericht verurteilte ihn aber zu sechs Jahren Haft in einer Jugendstrafanstalt. 256 Zwar bekamen Jugendliche häufiger Bewährungsstrafen, diese fielen aber in der Regel länger aus als die für Erwachsene. Begründet wurde dies mit der nötigen Rehabilitation der vermeintlich instabileren jugendlichen Angeklagten. 257 Zweitens konnten und sollten vor diesem Hintergrund auch unterschiedliche Jugendliche verschiedene Strafen für ähnliche Anklagepunkte erhalten, da nicht das Delikt, sondern das 254 Elizabeth McCain: „Getting Tough Doesn’t Help“, in: National Parent-Teacher 51/ 7 (1957), S. 5-7, hier S. 7. 255 Z. B. Louie Whitsitt: „A Lifer Discusses Juvenile Delinquency“, in: Parents’ Magazine 36/ 7 (1949), S. 24, 80; Joseph Lohman: „Maybe Delinquency Isn’t the Right Word“, in: National Parent-Teacher 52/ 7 (1958), S. 4-7; Young: „The How and Why of the Juvenile Court“; Monrad G. Paulsen: „Juvenile Courts: The Legacy of Gault“, in: The P.T.A Magazine 62/ 6 (1968), S. 6-8. 256 Bush: Who Gets a Childhood, S. 156. 257 Stellungnahme von Thomas Gill, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 40f.; Paul W. Tappan, Kriminologe und Mitarbeiter des Board of Parole im U.S. Department of Justice, in: ebd., Pt. 2, S. 338f. <?page no="70"?> 69 angeklagte Individuum im Vordergrund der Urteilsfindung und Strafbemessung stehen sollte. Es galt als Aufgabe des Bewährungshelfers, so viele Informationen wie möglich über die Angeklagten einzuholen, ihre Familien zu besuchen und mit ihren Eltern zu sprechen. Die gesammelten Informationen sollten dann die Grundlage des Urteils bilden. 258 Dabei war die Bandbreite der möglichen Urteile groß: „The permitted treatments“, so Jugendrichter Don Young, „range from a simple admonition to a child or his parents, or all three, through probation or placement in an institution, foster home, or forestry camp, to confinement in a reformatory“. 259 Welche dieser „treatments“ schließlich verhängt wurde, hing davon ab, wie die Jugendrichter_innen die psychosoziale Disposition der Angeklagten einschätzten. Damit wurden Jugendliche in der Konsequenz - darauf haben zahlreiche Arbeiten über die Geschichte der Jugendgerichte ihr Augenmerk gelegt - in Anlehnung an ihren gesellschaftlichen Status bestraft. 260 Wenn es nicht primär um die begangene Tat ging, befanden sich diejenigen im Nachteil, deren Lebensumstände herrschende Normen nicht erfüllten. Nicht-weiße und sozial benachteiligte Jugendliche wurden im Allgemeinen nicht nur häufiger als andere vor die Gerichte gebracht, sondern erhielten auch schwerere Strafen. 261 Trotz der - oder gerade durch die - therapeutische Rhetorik von Jugendstrafverfahren erfüllten diese damit eine Funktion der sozialen Kontrolle, die bereits zeitgenössisch kritisiert wurde: Kurz nach dem Gault-Urteil schrieb der Strafrechtler Monrad Paulsen, die Prozeduren vom Umgang mit jugendlichen Delinquent_innen hätten in der Vergangenheit von „[h]igh ideals and harsh realities“ gezeugt. 262 Viele sahen eine dieser „harten Realitäten“ von Jugendgerichtsverfahren darin, dass diese im Gegensatz zu ihren rehabilitativen Zielen schädliche Auswirkungen auf die jugendliche Psyche hätten. Joseph Lohman beispielsweise, ein Polizeichef aus Illinois, beklagte sich, dass „delinquent“ mittlerweile ein ebenso großes Stigma mit sich brächte wie „criminal“ oder „convict“. 263 Die Verurteilung Jugendlicher würde ihren Selbstrespekt verletzen und so delinquentes Verhalten nur noch verstärken. Vor diesem Hintergrund kritisierte Lohman den „negativen Kontakt“ von Jugendgerichten mit ihrer Klientel und forderte diese auf, vorsichtiger mit dem allzu uneindeutigen Label „delinquent“ umzugehen. 264 Lohman argumentierte hier im Einklang mit zeitgenössisch zunehmend verbreiteten Labeling-Theorien. In diesen wurde wiederholte jugendliche Delinquenz 258 Barry C. Feld: „Criminalizing the American Juvenile Court“, in: Crime and Justice. A Review of Research 17 (1993), S. 197-280, hier S. 204f. 259 Young: „The How and Why of the Juvenile Court“, S. 8. 260 Z. B. Platt: The Child Savers; Odem: Delinquent Daughters; Bush: Who Gets a Childhood. 261 Feld: Bad Kids, S. 14; Bush: Who Gets a Childhood, S. 108. 262 Paulsen: „Juvenile Courts: The Legacy of Gault“, S. 8. 263 Lohman: „Maybe Delinquency Isn’t the Right Word“, S. 4. 264 Ebd., S. 5. <?page no="71"?> 70 als Effekt ablehnender Reaktionen der Außenwelt konzipiert. Wenn etwa Jugendgerichte das Verhalten Adoleszenter als delinquent etikettieren würden, verstünden sich Jugendliche auch selbst so, was delinquentes Verhalten erst hervorbrächte bzw. festige. 265 Labeling-Theorien zeigen die Verschiebung von individualpsychologischen Erklärungsmustern hin zu einer stärker soziologisch orientierten Erklärung jugendlicher Delinquenz. Ihr Einfluss auf die therapeutische Kritik am Umgang mit Delinquenz ist deutlich zu sehen, nicht nur in den Diskussionen von Jugendgerichten, Polizei und Jugendstrafanstalten, sondern etwa auch in der Sozialarbeit. 266 Auch die Richter des Supreme Court sorgten sich um den stigmatisierenden Charakter der Bezeichnung delinquent. Sie befürworteten zwar deren weitere Verwendung, hoben aber die Notwendigkeit hervor, Jugendgerichtsverfahren zukünftig so zu gestalten, dass sie keine negativen Auswirkungen auf Jugendliche hätten. Die obersten Richter betonten, die Reformer_innen der Jahrhundertwende hätten ehrenwerte Absichten gehabt, die aber an der Realität gescheitert seien: „There is evidence“, zitierte die Urteilsbegründung aus der Entscheidung Kent, „that the child receives the worst of both worlds: that he gets neither the protections accorded to adults nor the solicitous care and regenerative treatment postulated for children“. Dabei bezweifelte der Supreme Court nicht, dass Jugendgerichtsverfahren einem therapeutischen Auftrag folgen sollten, im Gegenteil: Jener sollte gerade durch rechtsstaatliche Verfahren gewährleistet werden. „[T]he essentials of due process“, konstatierte die Urteilsbegründung, „may be a more impressive and more therapeutic attitude so far as the juvenile is concerned“. 267 Damit wurde in der Gault-Entscheidung die zeitgenössisch diagnostizierte Diskrepanz zwischen therapeutischen Idealen und problematischen Effekten von Jugendgerichtsprozessen als Begründung für die Einführung von Verfahrensrichtlinien aufgegriffen. Bisher sei es so gewesen, argumentierten die obersten Richter, dass Jugendliche nach einem „laxen“ Prozess mit der „strengen Disziplin“ in Jugendstrafanstalten konfrontiert worden seien und dann nicht selten das Gefühl entwickelt hätten, „getäuscht“ worden zu sein. Wenn nun aber nicht erst die Behandlung Jugendlicher nach dem Prozess, sondern bereits der Prozess selbst von einer nachvollziehbaren Strenge geprägt werde, sei der rehabilitative Effekt größer, weil die Verfahrensprinzipien von den Jugendlichen erkannt werden könnten. 268 Mit diesem Argument widersprachen die Richter explizit dem Urteil des Supreme Court von Arizona, das den Fall Gault zuvor verhandelt 265 Vgl. z. B. Frank Tannenbaum: Crime and the Community. New York: Columbia Univ. Press, 1938; Edwin M. Lemert: Social Pathology. Systemic Approaches to the Study of Sociopathic Behavior. New York: McGraw-Hill, 1951. 266 Dazu Kapitel III. 267 In Re Gault, Opinion, Abs. II. 268 Ebd. <?page no="72"?> 71 und das Vorgehen des Jugendgerichtes für rechtmäßig erklärt hatte. Jener hatte in therapeutischer Rhetorik auf einen gleichsam kathartischen Charakter jugendlicher Geständnisse hingewiesen: „The Supreme Court of Arizona […] asserted […] that […] confession is good for the child as the commencement of the assumed therapy of the juvenile court process, and he should be encouraged to assume an attitude of trust and confidence toward the officials of the juvenile process.“ 269 Daraus hatte das Gericht abgeleitet, dass Jugendliche nicht explizit auf das Recht zu schweigen hingewiesen werden müssten. Der U.S. Supreme Court kritisierte diese Schlussfolgerung und argumentierte, dass die so herbeigeführten Geständnisse von Jugendlichen in keiner Weise rehabilitativen Zwecken dienen, sondern lediglich zur Verbitterung der Angeklagten führen würden: „[T] the child may well feel that he has been led or tricked into confession and that despite his confession, he is being punished.“ Deshalb und weil die Aussagen von Jugendlichen überdies oft nicht vertrauenswürdig seien, müssten in Jugendgerichtsverfahren die Rechte auf Aussageverweigerung und anwaltlichen Beistand eingeführt werden. 270 Der Supreme Court erkannte also die Notwendigkeit einer besonderen juristischen Behandlung Jugendlicher an, urteilte aber, dass die formlosen Prozeduren von Jugendgerichtsverfahren diese Funktion nicht unterstützt, sondern in der Realität zu unfairen Verfahren geführt hätten. „The condition of being a boy does not justify a cangaroo court“, lautete das Verdikt der Richter. 271 Paradoxerweise wurde hier die Anpassung von Jugendgerichtsprozessen an reguläre Strafverfahren für Erwachsene mit den Besonderheiten von Jugendlichen begründet. Untermauert und ergänzt wurde die Kritik an der mangelnden therapeutischen Qualität von Jugendstrafprozessen, wie im folgenden Abschnitt ausgeführt wird, durch den Vorwurf, dass Jugendgerichte die fundamentalen Rechte jugendlicher Angeklagter verletzten. Jugendrichter und die demokratischen Rechte Jugendlicher Die obersten Richter zitierten in der Urteilsbegründung einen Schweizer Psychiater, der die zeitgenössische Vorstellung vom gütigen, therapeutisch agierenden Jugendrichter 1951 im Harvard Law Review in Frage gestellt hatte: „The judge as amateur psychologist, experimenting upon the unfortunate children who must appear before him, is neither an attractive nor a convincing figure.“ 272 Der 269 In Re Gault, Opinion, Abs. V. 270 Ebd. 271 Ebd., Abs. II. 272 Lucien Bovet: Psychiatric Aspects of Juvenile Delinquency. Genf: World Health Organization, <?page no="73"?> 72 Supreme Court war offenbar nicht überzeugt von Jugendrichtern, die zeitgenössisch doch als besonders wichtige Akteure im Umgang mit jugendlichen Delinquent_innen galten. 273 „Any consideration of the effectiveness of the juvenile court“, argumentierte Senator Hennings vom Senate Subcommittee, „must of necessity take notice of the judge“. Dieser sei in Jugendgerichtsverfahren eine „Schlüsselfigur“, auf die das Scheitern oder der Erfolg von Jugendgerichten zurückgeführt werden könnte. 274 Die parens patriae-Doktrin, darauf wies auch der Supreme Court hin, präsentierte Jugendrichter als väterlich-wohlmeinende staatliche Vertreter, die eine genaue Kenntnis der ihnen Anvertrauen besäßen. Sie sollten streng, aber gerecht urteilen und in „Extremsituationen“ die Obhut über Jugendliche an staatliche Institutionen übergeben. 275 Damit Richter diese Rolle adäquat ausführen konnten, sollten diese angemessen ausgebildet werden und darüber hinaus bestimmte charakterliche Qualitäten besitzen. Jugendrichter müssten, konstatierte etwa Eliot vor dem Subcommittee, neben einer juristischen Ausbildung auch psychologisches Wissen und ein allgemeines Verständnis gesellschaftlicher Probleme mitbringen. 276 Ersteres war dabei keine Selbstverständlichkeit: Ein Gegenstand zeitgenössischer Kritik war der Umstand, dass Personen ohne jegliche juristische Ausbildung zu Jugendrichtern ernannt und damit in ein Amt berufen werden konnten, dem eine hohe gesellschaftliche Bedeutung zugemessen wurde. 277 Ein noch entscheidenderer Aspekt schien allerdings die Frage der charakterlichen Disposition von Jugendrichtern zu sein. Gut informierte Bewährungshelfer_innen waren nach Ansicht von Expert_innen zwar prinzipiell nützlich, aber kein Ersatz für die „Weisheit“ der Richter. 278 Dabei wurde die therapeutischpädagogische Figur einer weisen, väterlich agierenden Person aufgerufen, die eine Grundlage dafür war, dass vor allem weiße Männer der Mittelklasse als Jugendrichter in Frage zu kommen schienen. Denn die geforderte Väterlichkeit - eine Kombination von Bildung, Charakterstärke, Weisheit und gerechter Strenge - war weiß, männlich und bürgerlich kodiert. Dabei war es Frauen und African Americans zwar formal möglich, Richter_innen zu werden, und einige wenige bekleideten auch juristische Positionen in den 1950er und 1960er Jahren. Ihre Zahl war allerdings äußerst gering. 279 1951, S. 79, zit. nach: ebd., Anm. 25. 273 Zur Bezeichnungspraxis in diesem Abschnitt Anm. 212. 274 Thomas C. Hennings: „Effectiveness of the Juvenile Court System“, in: Federal Probation 71/ 2 (1959), S. 3-8, hier S. 6. 275 In Re Gault, Opinion, Abs. II. Vgl. Lemert: Social Action and Legal Change, S. 29f., 73-77. 276 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 13. 277 Vgl. etwa Hennings: „Effectiveness of the Juvenile Court System“, S. 6f. 278 Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 427. 279 S. Anm. 212. Six und Reeves erwähnen zwar die geschlechtliche Verteilung von Richterposten, nicht aber die Zahl von afroamerikanischen Richter_innen (Six/ Reeves: <?page no="74"?> 73 Die Idealbeschreibungen von Jugendrichtern und Jugendgerichtsverhandlungen fungierten als diskursive Folie für die zunehmende Kritik an den Praktiken der Gerichte in der Realität. So machte es die Figur des „weisen Vaters“ diskursiv möglich, dass Zweifel am wohlmeinenden Charakter des Justizapparates als Zweifel an der Qualität von Jugendrichter_innen artikuliert werden konnten. In diese Kritik schrieben sich auch Jugendrichter selbst ein. Thomas Hennings vom Subcommittee etwa zitierte in seinem Bericht zur Effektivität von Jugendgerichten die Stellungnahme eines Jugendrichters aus Delaware: „There are too many honorable peacocks preening themselves on the juvenile court benches of this country... These judges bluster, pontificate and posture while youngsters slip deeper into trouble [...].“ 280 Außerdem kritisierten Expert_innen zum Ende der 1950er Jahre, dass Jugendgerichte mehr und mehr auf diejenigen Jugendlichen zugreifen würden, die dort eigentlich fehl am Platze seien. So kritisierte Paul Tappan, Kriminologe und Mitarbeiter des Department of Justice: „Our children’s courts have become overly ambitious in attempting to reach out and deal with youngsters who display all sorts of social and emotional problems, whether or not they have been involved in real violations of the law.“ 281 Durch diese Praxis seien, so sorgte man sich, Jugendrichter einer enormen Belastung ausgesetzt und hätten bis zu 70 Fälle am Tag zu bearbeiten. Jugendrichter wurden als bedeutendste Figuren im Bereich der Jugendgerichte aufgebaut, gleichzeitig aber als profilneurotische und überarbeitete Personen dargestellt, die die Bedürfnisse der Jugendlichen vernachlässigen würden. 282 Gerade angesichts überforderter Richter wurde im Übrigen auch der gängige Ausschluss von Eltern aus Jugendgerichtsverfahren problematisiert. 283 Die Gault-Entscheidung reflektierte diesen Kritikpunkt, indem sie Jugendgerichte dazu aufforderte, Eltern zeitnah über die Vorwürfe gegenüber ihren Kindern zu benachrichtigen. Dass dies der am we- „Waiver of Juvenile Court Jurisdiction in Kansas“, S. 209). Samuel Walker u. a. weisen darauf hin, dass zwar bereits 1852 der erste afroamerikanische Richter ernannt worden war, es aber noch in den 1950er Jahre „nur eine Handvoll“ afroamerikanischer Richter an bundesstaatlichen und bundesweiten Gerichten gab (Samuel Walker/ Cassia Spohn/ Miriam DeLone: The Color of Justice. Race, Ethnicity, and Crime in America. Belmont: Wadsworth, 2012 5 [2007], S. 323). Geoff Ward stellt die 1939 zur Richterin am Jugendgericht berufene Jane Matilda Bolin als erste schwarze Richterin vor (Ward: The Black Child-Savers, S. 188). Zu afroamerikanischen Richter_innen s. auch Geraldine R. Segal: Blacks in the Law. Philadelphia and the Nation. Philadelphia: Univ. of Pennsylvania Press, 1983; J. Clay Smith, Jr.: Emancipation. The Making of the Black Lawyer, 1844-1944. Philadelphia: Univ. of Pennsylvania Press, 1994. 280 Hennings: „Effectiveness of the Juvenile Court System“, S. 6. 281 Paul W. Tappan, zit. nach ebd., S. 4. 282 Vgl. z. B. die Stellungnahme von Marie Carter, Direktorin der Iowa Training School for Girls, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 131; Coxe: „Lawyers in Juvenile Court“, S. 489; Lemert: Social Action and Legal Change, S. 134. 283 Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 428. <?page no="75"?> 74 nigsten umstrittene Aspekt des Urteils war, verweist auf eine diskursive Entwicklung in der Nachkriegszeit, die über die Problematisierung von Jugendrichtern hinausging und Eltern delinquenter Kinder eine zunehmend größere Rolle im Rehabilitationsprozess zuwies. 284 Die Debatten um Jugendrichter zeigten außerdem Anzeichen einer fundamentalen Kritik an Jugendgerichten, die vor allem seit Beginn der 1960er Jahre und unter dem Einfluss von Bürgerrechtsdebatten häufiger artikuliert wurde. Der bereits erwähnte Jugendrichter Young berichtete 1962 entnervt: „Some lawyers, high-court judges, and writers whose knowledge and concern are more with theory than facts get themselves all wrought up about possible abuses of rights.“ In Reaktion auf diese als realitätsfern gezeichneten Kolleg_innen versicherte Young: „But it should be understood that injustices are actually very rare.“ 285 Offensichtlich war diese Beteuerung notwendig zu einem Zeitpunkt, als sich das institutionelle Arrangement des Jugendgerichtes als zutiefst problematisch und reformbedürftig präsentierte. So selten schienen Ungerechtigkeiten nämlich nicht zu sein. Die obersten Richter zitierten im Gault-Urteil einen 1965 erschienen Bericht der United States Commission on Civil Rights. Der Report belege für die Südstaaten zahlreiche Fälle von Missbrauch des Handlungsspielraumes der Jugendgerichte: „‘[L]ocal authorities used the broad discretion afforded them by the absence of safeguards [in the juvenile process]’ to punish, intimidate, and obstruct youthful participants in civil rights demonstrations.“ 286 Dieser Verweis zeigt, dass über die juristische Konstruktion von juvenile delinquency repressiv in Bürgerrechtsproteste eingegriffen werden konnte. 287 Darüber hinaus ist dies eine der wenigen Passagen in der Urteilsbegründung, in denen explizit darauf hingedeutet wurde, dass African Americans besonders im Fokus der Jugendgerichte standen. Die obersten Richter beriefen sich nicht nur auf Vorfälle in den Südstaaten, sondern berichteten etwa auch von einer Verhandlung in Ohio, in der ein Familiengericht einen schwarzen Jugendlichen auf Grundlage seines offensichtlich polizeilich erzwungenen Geständnisses verurteilt hatte. 288 Obwohl der Supreme Court diese Fälle mit Blick auf das Alter der Angeklagten und nicht als Frage von „Rasse“ diskutierte, konnten sie zeitgenössisch als Kritik an rassistischen Praktiken verstanden werden. 289 Angesichts der Missbrauchsfälle betrach- 284 Paulsen: „Juvenile Courts: The Legacy of Gault“, S. 7; Bush: Who Gets a Childhood, S. 97. 285 Young: „The How and Why of the Juvenile Court“, S. 8. 286 In Re Gault, Opinion, Abs. II, FN 24. 287 Dazu auch Feld: Bad Kids, S. 96; Anders Walker: „Blackboard Jungle: Delinquency, Desegregation, and the Cultural Politics of Brown“, in: Columbia Law Review 110/ 7 (2009), S. 1911-1953, hier S. 1946-1948; Bush: Who Gets a Childhood, S. 135. 288 In Re Gault, Opinion, Abs. V. 289 Tracey Maclin: „Terry v. Ohio’s Fourth Amendment Legacy: Black Men and Police <?page no="76"?> 75 tete die Urteilsbegründung rechtsstaatliche Verfahren als notwendiges Mittel der Beschränkung staatlicher Macht. 290 Damit schlossen die obersten Richter an die Bedenken von vielen an, die nicht nur an den Strukturen der Jugendgerichte zweifelten, sondern auch deren Recht - und damit das staatliche Recht - in Frage stellten, derart gravierend in die individuelle Freiheit von Jugendlichen einzugreifen. 291 „Who is to save the child from his saviors? “, formulierte etwa der Kriminologe Paul Tappan die demokratische Kritik an Jugendgerichten schon 1949 deutlich. 292 Gleichwohl artikulierte sich diese Kritik nicht als grundsätzliche Infragestellung von Jugendgerichten, denn das wäre vor dem Hintergrund der Delinquency Scare vermutlich gerade aus dem Mund eines Kriminologen kaum sagbar gewesen. Das Gault-Urteil stimmte Zeitgenoss_innen optimistisch, dass Jugendgerichte zukünftig gerechter urteilen würden: „The reality is that the state cannot be a good parent. If it cannot give love, it can at least give justice“, hoffte etwa der Anwalt Spencer Coxe von der American Civil Liberties Union (ACLU). 293 Coxes Hoffnungen sollten sich allerdings nur bedingt erfüllen. Paradoxerweise trug die Kombination von therapeutischen und demokratischen Argumenten, die der Entscheidung des Supreme Court zugrunde lag, dazu bei, jugendliche Delinquenz zu kriminalisieren und eine weiterhin höchst unterschiedliche Behandlung jugendlicher Angeklagter zu ermöglichen. Ambivalente Effekte: Gault, PINS und die Kriminalisierung von Delinquenz Die Zweifel daran, dass Jugendgerichte ihren gesellschaftlichen Auftrag adäquat erfüllten, wurden in den 1950er und vor allem 1960er Jahren noch aus einer weiteren Perspektive geäußert, die nicht den Schutz von Jugendlichen, sondern den der Gesellschaft in den Vordergrund stellte. Angesichts der mutmaßlich ansteigenden Zahl schwerer Fälle von Jugenddelinquenz bzw. -kriminalität befürchtete man, Jugendgerichte seien zu „Wohlfahrtseinrichtungen“ geworden und hätten ihre primäre Funktion - die Sicherung der öffentlichen Ordnung - vernachlässigt. 294 In den 1950er Jahren tauchte diese Kritik zunächst eher indirekt auf. So hielt es die Jugendrichterin McCain beispielsweise für notwendig, Discretion“, in: St. John’s Law Review 72/ 3 (1998), S. 1271-1321, hier S. 1318, online verfügbar unter: St. John’s Law Review: URL: http: / / scholarship.law.stjohns.edu/ lawreview/ vol72/ iss3/ 25/ [04.05.2012]. 290 In Re Gault, Opinion, Abs. II. 291 Feld: Bad Kids, S. 101f. 292 Paul W. Tappan: Juvenile Delinquency. New York: McGraw-Hill, 1949, S. 208, zit. nach Caldwell: „The Juvenile Court“, S. 506. 293 Coxe: „Lawyers in Juvenile Court“, S. 493. 294 Caldwell: „The Juvenile Court“, S. 497. <?page no="77"?> 76 nicht näher benannten Kritiker_innen im National Parent-Teacher entgegen zu halten: „Getting Tough Doesn’t Help“. 295 Auch Thomas Hennings, ab 1957 Vorsitzender des Senate Subcommittee, berichtete 1959 von lauter werdenden Vorwürfen, dass Jugendgerichte die Angeklagten „verhätschelten“. 296 Zunehmend sahen viele den Grund für das vermeintliche Ansteigen jugendlicher Delinquenz nicht in einem Mangel, sondern in einem Übermaß an Verständnis und Güte in Jugendgerichtsverfahren. 297 Auch die Diagnose überforderter Richter_innen konnte aus dieser Perspektive anders interpretiert werden. Weil diese sich zu stark auch mit leichten Fällen jugendlicher Delinquenz beschäftigten, fehle die Zeit für die gravierenden Fälle. Die öffentliche Ordnung sei bedroht, weil „schwere Straftäter“ überdies aufgrund des Platzmangels in Jugendstrafanstalten allzu oft wieder auf freien Fuß gesetzt werden müssten. 298 Gerade im Vorfeld der Gault-Entscheidung wurde diese Kritik expliziter formuliert. Zu diesem Zeitpunkt war die Delinquency Scare stärker als zuvor durch rassialisierte Bilder urbaner Jugendgewalt geprägt. Daher konnten die „race riots“ der 1960er Jahre weniger als politischer Protest und mehr als kriminelle Handlungen gelesen werden, die die öffentliche Ordnung bedrohten. 299 Der 1967 erschienene Bericht der President’s Commission on Law Enforcement and Administration of Justice bezeichnete die zeitgenössischen „ghetto riots“ etwa als „crime in its most aggravated form“. Er mahnte, dass die Gefahr, die von solchen Ereignissen ausging, weit größer sei als die Gesamtheit der Gewalttaten und Sachbeschädigungen im Laufe der Aufstände: „Riots are a mass repudiation of the standards of conduct citizens must adhere to if society is to remain not only safe, but civilized and free.“ Die President’s Commission hatte hauptsächlich junge, schwarze Männer als Träger der „riots“ ausgemacht. Und auch wenn der Bericht Rassismus, Polizeibrutalität und Armut als ihre Auslöser erwähnte, stand die Forderung nach der kompromisslosen Unterdrückung der Aufstände deutlich im Vordergrund. 300 So erinnerte der Report, auf den sich der Supreme Court in seiner Urteilsbegründung übrigens explizit bezog, die Jugendgerichte an ihre primäre Rolle. „The juvenile court is a court of law“, hieß es, und an diese Funktion müsse er seine Haltung anpassen: „[T]he guiding consideration for a court [...] that deals with threatening conduct is [...] protection of the communi- 295 McCain: „Getting Tough Doesn’t Help“, S. 7. 296 Hennings: „Effectiveness of the Juvenile Court System“, S. 3. 297 Z. B. Young: „The How and Why of the Juvenile Court“, S. 7. 298 Stellungnahme von Martha Eliot, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 13; Hennings: „Effectiveness of the Juvenile Court System“, S. 5. 299 Dazu Flamm: Law and Order; Jill A. Edy: Troubled Pasts. News And the Collective Memory of Social Unrest. Philadelphia, PA: Temple Univ. Press, 2006, v. a. S. 22-58; Finzsch: „Die ‘National Advisory Commission on Civil Disorders’ und der Diskurs um Gewalt in den USA, 1968“. 300 President’s Commission: The Challenge of Crime in a Free Society, S. 37f. <?page no="78"?> 77 ty.“ Dabei sei eine verständnisvolle und therapeutische Behandlung jugendlicher Angeklagter ohne Zweifel wichtig, habe sich aber angesichts der gesellschaftlichen Gefährdung durch jugendliche Gewalttäter als nicht immer durchhaltbar herausgestellt. Jugendgerichte müssten daher jedes Mittel ergreifen, um die Gesellschaft vor Kriminellen zu schützen, auch wenn dieses Ziel bisweilen die „Entmündigung“ Jugendlicher mit sich brächte. 301 Auf diese Weise räumte der Report der Sicherstellung der öffentlichen Ordnung Priorität gegenüber dem therapeutisch angelegten und verfahrensrechtlich abgesicherten Umgang mit Jugendlichen ein. Dass der Supreme Court sich in diesem gesellschaftlichen Klima auf die Einführung von Verfahrensrechten festlegte, ist bemerkenswert, kam aber dennoch auch denjenigen entgegen, die eine „get tough policy“ im Umgang mit jugendlichen Straftäter_innen forderten. Denn vor dem Hintergrund der Unterscheidung von eher harmloser und schwerer Delinquenz erfüllten die Verweise auf den freiheitsberaubenden Charakter von Jugendgerichtsverfahren, wie sich im Folgenden zeigen wird, eine ambivalente Funktion. Die President’s Commission hatte in ihrem Bericht einen zweigleisigen Umgang mit Delinquent_innen empfohlen. Die Kommission konstatierte im Einklang mit zeitgenössischen Annahmen zur unterschiedlichen Rehabilitationsfähigkeit Jugendlicher, dass viele Jugendliche ihrer Delinquenz „normal entwachsen“ würden und es in diesen Fällen daher keiner „formalen Intervention“ bedürfe. Für solche Jugendlichen seien „außergerichtliche, informelle Methoden“ die bessere Alternative zu Gerichtsverfahren. 302 Schon seit Beginn der 1960er Jahre waren in einigen Bundesstaaten Gesetze erlassen worden, die den Umgang mit bestimmten Delinquent_innen noch formloser gestalten sollten, als es in Jugendgerichtsverfahren bis dato üblich war. Diese sollten fortan nicht mehr als delinquent gelten, sondern erhielten als „Persons in Need of Supervision“ (PINS) ein Label, mit dem sie aus dem Bereich jugendlicher Delinquenz herausgeschrieben wurden. 303 Die President’s Commission empfahl nun, dass sich Jugendgerichte stärker auf diejenigen Jugendlichen konzentrieren sollten, für die „strengere Maßnahmen“ notwendig seien. Während PINS also aus der Zuständigkeit der Jugendgerichte weitgehend herausfallen sollten, verlangte der Ausschuss für jugendliche „Kriminelle“ danach, den punitiven Charakter von Jugendgerichtsverfahren nicht zu „verschleiern“. 304 Dass hier - gerade vor dem Hintergrund der urbanen Unruhen - nicht-weiße Jugendliche und nicht zuletzt junge Bürgerrechtsaktivist_innen fokussiert wurden, ist wahrscheinlich. 305 Die 301 President’s Commission: The Challenge of Crime in a Free Society, S. 81. 302 President’s Commission on Law Enforcement and Administration of Justice: Task Force Report: Juvenile Delinquency and Youth Crime. Washington, DC: U.S. Government Printing Office, 1967, S. 2, zit. nach Feld: Bad Kids, S. 98. 303 Ebd., S. 100, 178. 304 President’s Commission: Task Force Report, S. 2, zit. nach ebd., S. 98. 305 Bush: Who Gets a Childhood, S. 135. <?page no="79"?> 78 Forderungen der President’s Commission waren Ausdruck der Differenzierung von jugendlicher Delinquenz und Kriminalität, die stärker als zuvor zwischen gefährdeten und gefährlichen Jugendlichen unterschied. Diese Unterscheidung lag auch dem Gault-Urteil zugrunde. Die obersten Richter folgten den Empfehlungen der President’s Commission insofern, als dass sie ihr Urteil explizit nur auf diejenigen Fälle bezogen, in denen Jugendliche zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden konnten. 306 Damit verstärkte das Urteil einerseits die Dekriminalisierung jugendlicher Delinquenz - eine Entwicklung, die sich laut dem Strafrechtler Barry Feld in den 1970er Jahren fortsetzte: Der 1974 verabschiedete Juvenile Justice and Delinquency Prevention Act beispielsweise verlangte, dass keine „status offender“ mehr in Jugendstrafanstalten untergebracht werden durften. 307 Andererseits hielt Gault explizit die Möglichkeit aufrecht, Freiheitsstrafen für schwere Delinquenz zu verhängen. Für die in der Jurisdiktion der Jugendgerichte verbleibenden Fälle forderte der Supreme Court gerade deshalb rechtsstaatliche Verfahren, weil hier die Freiheit der Angeklagten auf dem Spiel stand: Die mögliche Beschneidung von Freiheit mache Jugendgerichtsverfahren in der Praxis vergleichbar mit Strafverfahren und verlange daher die gleichen Rechte, die auch Erwachsenen in diesen Verfahren zugestanden würden. 308 An diesem Aspekt zeigt sich eine weitere ambivalente Konsequenz des Gault- Urteils. Die Anpassung von Jugendgerichtsverfahren an reguläre Strafprozesse bedeutete nicht nur mehr Verfahrensrechte für Jugendliche, sondern auch deren Kriminalisierung, indem die Bestimmung von Schuld in den Vordergrund der Prozesse rückte. Denn die Einführung der oben genannten Rechte veränderte das Ziel von Jugendgerichtsverfahren fundamental. Angesichts mutmaßlich unzuverlässiger jugendlicher Geständnisse und überarbeiteter Richter_innen verfolgten die neuen Rechte auch den Zweck, die Feststellung „objektiver“ Tatbestände zu erleichtern. 309 Damit verlagerte das Gault-Urteil das Erkenntnisziel der Prozesse weg von der Ergründung der Bedürfnisse der Angeklagten und hin zum Beweis, dass eine Straftat begangen worden war. Indem Jugendgerichtsverfahren auf diese Weise nun die Feststellung der Schuldfrage privilegierten, wurde die zentrale konzeptionelle Unterscheidung zwischen Jugend- und Erwachsenengerichtsprozessen aufgehoben und erstere auch als Kriminalverfahren festgeschrieben. 310 In dieser Konsequenz wurde das Narrativ, man müsse mit Jugendlichen juristisch anders umgehen, gebrochen. Obwohl Gault den therapeutischen Auftrag von Jugendgerichten aufrechtzuerhalten suchte, konnte dieser in den Hintergrund rücken. Feld hat für die Deka- 306 In Re Gault, Syllabus. 307 Feld: Bad Kids, S. 100, 173. 308 In Re Gault, Opinion, Abs. V. 309 Ebd., Abs. II. 310 Feld: Bad Kids, S. 3, 165. <?page no="80"?> 79 den nach dem Urteil ausführlich analysiert, dass die Konvergenz von Jugend- und Erwachsenenstrafverfahren dazu beitrug, Delinquenz zu kriminalisieren und die Verhängung schwererer Strafen für Jugendliche zu legitimieren. Dies deutet er als Beleg für die „unintendierten Konsequenzen“ der Gault-Entscheidung. 311 Ob von den obersten Richtern intendiert oder nicht - möglich wurden diese Praktiken durch die zunehmende Unterscheidung von Delinquenz und Kriminalität bzw. von leichten und schweren Fällen jugendlicher Delinquenz: Denn Zeitgenoss_innen, die sich über Jugendgerichte als „Wohlfahrtseinrichtungen“ beklagten, befürworteten gerade die Beschneidung von Freiheit, um die sich das Gault-Urteil wesentlich gedreht hatte, für als gefährlich betrachtete Jugendliche. Nach der Gault-Entscheidung wies der Strafrechtler Paulsen darauf hin, dass eine Reihe bedeutender Fragen noch offen geblieben seien. Weder die dem Prozess vorausgehenden polizeilichen Maßnahmen, noch die anschließende Behandlung jugendlicher Delinquent_innen seien durch das Urteil geregelt worden. 312 Wie die folgenden Abschnitte zeigen, prägten therapeutische und demokratische Kritiken sowie das Spannungsfeld zwischen dem Schutz von Jugendlichen und dem der Gesellschaft auch diese beiden Felder des Jugendstrafsystems. 3 Krupke vs. Ray? Die Polizei und ihr Umgang mit Jugendlichen Officer Krupke versteht keinen Spaß. „You wanna get your skull broke? “, poltert er und fuchtelt mit seinem Schlagstock vor der Nase eines Gangjungen herum. 313 Die Figur aus dem Musical West Side Story verkörpert einen autoritär auftretenden Polizisten, der allerdings weit davon entfernt ist, die jugendlichen Delinquenten disziplinieren zu können. Vielmehr machen sich diese über ihn lustig - hinter seinem Rücken, aber auch in seiner Gegenwart. Ein Gangmitglied parodiert Krupke etwa, indem er eine zusammengerollte Zeitung als Schlagstock benutzt und ruft: „Yeah you, give me one good reason for not draggin’ ya down the station house, ya punk! “ 314 In der gemeinsamen Opposition gegenüber der Polizei entsteht sogar ein Moment der Verbrüderung zwischen 311 Feld: Bad Kids, v. a. Kapitel 6. Dazu auch: Rodney K. Hopson/ Jennifer E. Obidah: „When Getting Tough Means Getting Tougher: Historical and Conceptual Understandings of Juveniles of Color Sentenced as Adults in the United States“, in: The Journal of Negro Education 71/ 3 (2002), S. 158-174. 312 Paulsen: „Juvenile Courts: The Legacy of Gault“, S. 7. 313 Im Folgenden beziehe ich mich auf die 1961 erschienene Filmversion des Musicals, das 1957 in New York uraufgeführt wurde (West Side Story. Regie: Jerome Robbins/ Robert Wise. Mirisch/ Seven Arts, 1961, hier Time Code: 00: 15: 02) 314 Ebd., TC: 01: 06: 19-01: 06: 23. <?page no="81"?> 80 den rivalisierenden Gangs, die einmütig behaupten, Polizisten hätten sie verprügelt. 315 Officer Krupke erscheint als ein zugleich schwacher und brutaler Polizist, der sich nur mit Hilfe seines Schlagstocks durchsetzen kann. Ganz anders wird dagegen Officer Ray Fremick inszeniert, ein Polizist aus dem Film Rebel Without a Cause. 316 Einige Jahre, bevor West Side Story uraufgeführt wurde, verkörperte Officer Ray, der bezeichnenderweise in der Regel nur mit seinem Vornamen auftritt, in vieler Hinsicht das genaue Gegenteil von Krupke: Nachdem Ray den zunächst aggressiv auftretenden Delinquenten Jim überwältigt hat, legt er demonstrativ seine Dienstwaffe in die Schreibtischschublade, setzt sich locker auf den Tisch und legt seine Stirn in verständnisvolle Falten. Väterlich-streng betrachtet er den weißen, gut gekleideten Jungen, der ihm kurz darauf vom schwierigen Verhältnis zu seinen Eltern berichtet. Schlussendlich bietet Ray dem Jungen an, ihn zukünftig bei Problemen jederzeit aufzusuchen: „If the pot starts boiling again, will you come and see me before you get yourself in a jam? “ 317 Die Darstellungen von Ray und Krupke lassen sich als Beispiele für die unterschiedlichen Repräsentationen von Polizist_innen und ihrer Klientel in der Delinquency Scare lesen. 318 In diesem Abschnitt analysiere ich diese Aushandlungen von Polizei und zeige die diskursiven Effekte des schon in Bezug auf Jugendgerichte analysierten Spannungsfelds von therapeutischem und repressivem Umgang mit Jugendlichen. Wie West Side Story verdeutlicht, war die Kritik an allzu autoritären, vorurteilsbehafteten und deshalb auch bisweilen als lachhaft gezeichneten Polizisten durchaus virulent. 319 Solche Repräsentationen von Polizisten, die brutal und ohne Empathie agierten und daher, so das Narrativ, an der Disziplinierung Jugendlicher scheiterten, fungierten als negative Folie zu Idealbeschreibungen therapeutisch agierender Polizist_innen, wie sie etwa Officer Ray verkörperte. Dieser bildet als „agent of the therapeutic state“ den Gegenpol für die in der Nachkriegszeit lauter werdenden Kritiken an polizeilichen Mängeln im Umgang mit den scheinbar immer mehr werdenden juvenile delinquents. 320 Dabei war es keine neue Idee der Nachkriegszeit, Polizist_innen auf das „Wohl“ Delinquenter anzusetzen. Wie Eric Monkkonen gezeigt hat, gehör- 315 West Side Story, TC: 00: 15: 39-00: 15: 45. 316 Rebel Without a Cause. Regie: Nicholas Ray. Warner Brothers, 1955. 317 Ebd., TC: 00: 11: 39-00: 16: 23. 318 Obschon gerade diese Repräsentationen männlich kodiert waren, verwende ich im Folgenden die geschlechtliche Kollektivbezeichung mit Unterstrich. Zum einen wurden Polizistinnen bereits seit den 1920er Jahren für die Arbeit mit jugendlichen Delinquentinnen eingesetzt (Odem: Delinquent Daughters, S. 110), zum anderen funktionierte die Konstruktion von therapeutisch agierenden Polizist_innen auch über Weiblichkeit. 319 David B. Wolcott: „‘The Cop Will Get You’: The Police and Discretionary Juvenile Justice, 1890-1940“, in: Journal of Social History 35/ 2 (2001), S. 349-371, hier S. 349. Vgl. auch Lemert: Social Action and Legal Change, S. 64. 320 Biskind: Seeing Is Believing, S. 202. Zu Officer Ray Bush: Who Gets a Childhood, S. 95. <?page no="82"?> 81 ten Wohlfahrtsdienste in den USA gerade zwischen der Mitte des 19. und dem frühen 20. Jahrhundert zu den zentralen Aufgaben der Polizei und waren in deren soziale Regulationsfunktion eingelassen. 321 Im Zuge der Therapeutisierung der US-Strafjustiz in der Nachkriegszeit wurde auch eine therapeutisch agierende Polizei verstärkt gefordert und diese Funktion schien in einen Widerspruch zur ihrer Rolle als Ordnungshüterin zu geraten, die gleichzeitig aufrechterhalten wurde. Im Gegensatz zu Jugendgerichten taucht die Polizei im Delinquenzdiskurs verhältnismäßig wenig explizit auf. Diese Schwerpunktsetzung reflektiert sich auch in der historischen Forschung zu Jugenddelinquenz: Den vielzähligen Studien zur Entstehung und zum Wandel von Jugendgerichten stehen wenige Arbeiten zum Kontakt von Polizei und Jugendlichen entgegen, die sich zudem schwerpunktmäßig mit den Dekaden vor 1940 beschäftigen. 322 Historiografische Arbeiten zu Jugenddelinquenz in der Nachkriegszeit haben die Polizei entweder vollkommen ignoriert oder nur am Rande erwähnt. 323 Die folgenden Ausführungen haben nicht zum Ziel, eine detaillierte Untersuchung von Polizeikontakten mit delinquenten Jugendlichen vorzunehmen. Ihnen liegt vielmehr die Frage nach dem Charakter und den Effekten der Debatte um den Umgang der Polizei mit Jugendlichen zugrunde. „I’m a cop. Nobody likes me“: Kritik an der Polizei Anhänger_innen eines therapeutischen Umgangs mit Jugendlichen fanden die Bedeutung der polizeilichen Rolle darin, dass die Polizei in der Regel den ersten Kontakt mit Delinquent_innen hätte. Die Children’s Bureau-Direktorin Eliot bezeichnete diesen Moment als „most critical time in the life of a young delin- 321 Eric H. Monkkonen: Police in Urban America, 1860-1920. Cambridge, UK/ New York: Cambridge Univ. Press 1981; ders.: „From Cop History to Social History: The Significance of the Police in American History“, in: Journal of Social History 15/ 4 (1982), S. 575-591. Explizit auf Foucault verweist Monkkonen in ders.: Crime, Justice, History. Columbus: Ohio State Univ. Press, 2002. Foucault hat sich in seiner Analyse von „Policey“ vor allem auf deutsche und französische Polizeitraditionen bezogen und herausgearbeitet, dass die Wohlfahrtsfunktion der Polizei einen integralen Bestandteil von deren Ordnungsfunktion bildete (Michel Foucault: „Die politische Technologie der Individuen“ [1988], in: Luther H. Martin/ Huck Gutman/ Patrick H. Hutton: [Hg.]: Technologien des Selbst. Frankfurt a.M.: Fischer, 1993, S. 168-187). Überblickshaft zur Polizeigeschichte in den USA Samuel Walker: A Critical History of Police Reform. Lexington: DC Heath, 1977; Craig D. Uchida: „A History of American Policing“, in: Mary Maguire/ Dan Okada (Hg.): Critical Issues in Crime and Justice. Thought, Policy, and Practice. Thousand Oaks: Sage, 2011, S. 184-196. 322 Wolcott: Cops and Kids; Escobar: Race, Police, and the Making of a Political Identity. 323 Eine Ausnahme bildet noch Schneider, der immer wieder, allerdings knapp, auf die Rolle der Polizei im Umgang mit Jugendgangs eingeht (Schneider: Youth Gangs in New York, S. 18ff., 123f., 204f.). <?page no="83"?> 82 quent“. 324 Wir haben bereits gesehen, dass Expert_innen Delinquenz verstärkt als stigmatisierendes Label kritisierten und befürchteten, die Urteile von Jugendgerichten könnten Jugendliche dazu bewegen, eine „kriminelle Karriere“ einzuschlagen. Einen potenziell ähnlich schädlichen Einfluss schrieben sie auch dem Moment der Verhaftung zu. Viele betrachteten die Art und Weise, in der Polizist_innen in dieser Situation mit Jugendlichen umgingen, als entscheidend dafür, ob Jugendliche wieder auf den „rechten Weg“ zurückgeführt werden könnten oder ob delinquentes Verhalten bestärkt werden würde. 325 Damit wiesen die Verhandlungen jugendlicher Delinquenz auch hier über Jugendliche hinaus und wurden als Frage polizeilichen Verhaltens diskutiert. Die Polizei sei, so befanden Expert_innen, in einer „strategischen Position“, akut oder auch potenziell delinquente Jugendliche und delinquenzfördernde Bedingungen in den Communities zu entdecken. 326 In der Delinquency Scare wurde auch die Polizei als hoffnungsvolle Kraft in der Delinquenzprävention aufgebaut. Der Journalist Albert Deutsch etwa, der eigentlich als ein scharfer Kritiker der Zustände in Jugendstrafanstalten bekannt war, lobte diese Entwicklung im Polizeiwesen 1954 vor dem Subcommittee: „[M]en who are imbued with special understanding of children [...] are taking their place beside social workers, psychologists, psychiatrists, schoolteachers, in a united, coordinated effort to combat the juvenile delinquency problem. I think this is certainly the most significant point of evolution in our police work from repression to prevention.“ 327 Dabei war die Annahme, Polizist_innen müssten eine therapeutische Rolle übernehmen, gerade zu Beginn der 1950er Jahre weit davon entfernt, eine eindeutige Forderung zu sein. Dies zeigen etwa die Ausführungen im bereits erwähnten Bericht der Midcentury White House Conference on Children and Youth. Kurz bevor es ausgiebig um die bedeutende Rolle der Polizei in der Prävention und Rehabilitation delinquenten Verhaltens ging, hieß es dort: „[A] police officer [...] cannot operate effectively as a psychotherapist, who must be able to hear of misdeeds without expressing blame, or as a recreation worker, who may disapprove but not report to the court.“ Der Bericht machte klar, dass Polizist_innen parteiisch sein, Gesetzesübertritte aufspüren und anzeigen und die „öffentliche Ruhe und Sicherheit“ wahren müssten. 328 Und Leroy Wike, Direk- 324 Eliot: „A New Start On An Old Problem“, S. 11. 325 Z. B. Lohman: „Maybe Delinquency Isn’t the Right Word“, S. 4. 326 Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 423; Lohman: „Maybe Delinquency Isn’t the Right Word“, S. 5. 327 U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies). Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 83rd Cong., 1st Sess., Pt. 3, 21./ 22. Januar, 9. April 1954. Washington, DC: Government Printing Office, 1954, S. 640. 328 Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 422f. <?page no="84"?> 83 tor der in Washington, DC, ansässigen International Association of Chiefs of Police, betonte 1954 vor dem Subcommittee, es gäbe keine gesetzliche Verpflichtungen für die Polizei, sich an rehabilitativen Programmen zu beteiligen. Daher dürfe man sie auch nicht für ein Scheitern in diesem Bereich kritisieren. Außerdem beschwerte sich Wike, dass der Polizei feindlich gegenüberstehende Jugendgerichte der Öffentlichkeit signalisieren würden, Jugendliche müssten vor der Polizei geschützt werden. 329 Auf diese Weise bekräftigte Wike die Funktion der Polizei als Ordnungshüterin, die er therapeutischen Programmen entgegensetzte. Seine Stellungnahme deutet überdies auf eine zur Mitte der 1950er Jahre zunehmend hörbare Kritik an der Polizei hin, in der Jugend- und Gesellschaftsschutz zueinander in Stellung gebracht wurden. Polizist_innen sahen sich in der Defensive angesichts vermeintlich gefährlicher Jugendlicher und einer Gesellschaft, die nur auf das Wohl der Jugendlichen bedacht zu sein schien. So zitierte der Report der Midcentury-Konferenz einen Polizisten, der seine gesellschaftliche „Isolation“ mit den Worten beklagte: „I’m a cop. […] Nobody likes me.“ 330 Diese Einschätzung wurde hier als typische Wahrnehmung von Polizist_innen vorgestellt und von der impliziten Aufforderung begleitet, die unabdingbare und äußerst schwierige Aufgabe der Polizei anzuerkennen. Tatsächlich verdichtete sich die Kritik an der Polizei in der Delinquency Scare, vor allem in den 1960er Jahren. Dabei wurde die Bedeutung der Polizei aber eher hervorgehoben als in Abrede gestellt. Ein Ansatzpunkt der Kritik bestand darin, dass der Umgang der Polizei mit Jugendlichen kaum formalen Regeln folgte und unter Ausschluss von kontrollierenden Instanzen stattfand. 331 Polizist_innen hatten einen relativ großen Handlungsspielraum im Umgang mit delinquenten Jugendlichen. Sie konnten sich zunächst für oder gegen eine Verhaftung entscheiden. Entschieden sie sich dagegen, konnten sie die betroffenen Jugendlichen laufen lassen oder an eine sozialarbeiterische Institution verweisen. 332 Auch im Falle einer Verhaftung war es ihnen möglich, über das weitere Vorgehen zu entscheiden; so konnten sie die Jugendlichen entweder direkt an das Jugendgericht überstellen oder noch für einige Tage oder gar Wochen inhaftieren. 333 Nach der Logik eines therapeutischen Zugriffs sollte bei der Bestim- 329 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 3, S. 645f. 330 Miriam Zeller Gross: „He Could be Your Child’s Best Friend“, in: Women’s Home Companion, December 1950, S. 41f., zit. nach: Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 425. 331 Z. B. Stellungnahme von Eliot in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 13. 332 Lemert: Social Action and Legal Change, S. 64f., 94f.; Wolcott: „The Police and Discretionary Juvenile Justice“, S. 351. Wolcott weist darauf hin, dass der Polizei überdies die Möglichkeit der Einschüchterung von Jugendlichen durch ihre Präsenz, Personenkontrollen und physische Gewalt gegeben war (ebd., S. 354). 333 Lohman: „Maybe Delinquency Isn’t the Right Word“, S. 6. Laut Wolcott war für die sofortige Inhaftnahme für einen längeren Zeitraum als 48 Stunden zwar die offizielle <?page no="85"?> 84 mung des polizeilichen Umgangs mit juvenile delinquents wie bei Jugendgerichtsprozessen die individuelle Geschichte des Jugendlichen im Vordergrund stehen. 334 Der so ermöglichte große Entscheidungsspielraum der Polizei wurde zeitgenössisch kritisiert, weil man in ihm eine Möglichkeit des Missbrauchs sah. 335 In der Realität, so befanden Expert_innen, dominierten oft nicht Verständnis, sondern Willkür, Vorurteile oder gar Gewalt den polizeilichen Umgang mit delinquenten Jugendlichen - eine Einschätzung, die etwa in der Darstellung Officer Krupkes ironisiert wird. 336 Die Soziologen Scott Briar und Irving Piliavin kamen 1964 zu dem Schluss, dass polizeiliche Entscheidungen über die Verhaftung Jugendlicher auf Grundlage von Stereotypen gefällt werden würden. Demnach seien Faktoren wie Hautfarbe, Alter, Kleidung und Benehmen ausschlaggebend für das Vorgehen der Polizei. Briar und Piliavin notierten, ältere Jugendliche und African Americans würden überproportional häufig verhaftet werden und eine härtere Behandlung erfahren als andere, oft auch ohne dass ein delinquenter Akt stattgefunden hätte. 337 In den 1960er Jahren wurde die Kritik an polizeilicher Willkür explizit in Bezug auf Rassismus diskutiert. Die „race riots“ zwischen 1965 und 1968 hatten sich an Vorfällen von Polizeibrutalität entzündet. 338 Dabei war die Interpretation der Aufstände ein äußerst umkämpftes Feld. In diesem spielte die Klassifizierung der „rioters“ als Kriminelle zwar eine dominante Rolle, gleichzeitig schufen Bürgerrechtsdiskurse und die zeitgenössische Kritik an polizeilichen Praktiken aber auch einen Rahmen, in dem der Rassismus der Polizei angegriffen werden konnte. 339 Die President’s Commission on Law Enforcement and Administration of Justice hielt es immerhin für notwendig, zu betonen, dass die Handlungen der Erlaubnis von Jugendgerichten vonnöten, diese seien aber in der Regel den Empfehlungen der Polizei gefolgt, sodass die Polizei solche Entscheidungen faktisch kontrolliert habe (Wolcott: „The Police and Discretionary Juvenile Justice“, S. 354, 359f.). 334 Irving Piliavin/ Scott Briar: „Police Encounters With Juveniles“, in: The American Journal of Sociology 70/ 2 (1964), S. 206-214, hier S. 208. 335 Z. B. Stellungnahme von Eliot, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 13. 336 Vgl. Joseph Lohman: „Maybe Delinquency Isn’t the Right Word“. Dazu Lemert: Social Action and Legal Change, S. 64. Zur Polizeibrutalität im Umgang mit jugendlichen Delinquent_innen Schneider: Youth Gangs in New York, S. 204f. 337 Piliavin/ Briar: „Police Encounters With Juveniles“, S. 210, 212. 338 Flamm: Law and Order, S. 59, 63, 84. 339 Edy: Troubled Pasts, S. 31ff. Laut Uchida war die Etablierung der President’s Commission on Law Enforcement and Administration of Justice durch Llyndon B. Johnson eine Reaktion auf die in einer Untersuchung der Aufstände hervorgetretenen Missstände der Polizei (Uchida: „A History of American Policing“, S. 193). Finzsch betont eher, dass die Aktivitäten der Bundesregierung in diesem Zeitraum auf den Ausbau des polizeilichen Repressionsapparates ausgerichtet waren (Finzsch: „Die ‘National Advisory Commission on Civil Disorders’ und der Diskurs um Gewalt in den USA, 1968“, S. 347). <?page no="86"?> 85 Polizei einen „riot“ auslösen konnten. 340 Auch im Kontext des Gault-Urteils wurde die Frage von polizeilichem Rassismus verhältnismäßig explizit verhandelt. Die Urteilsbegründung nahm direkten Bezug auf den Strafrechtler Paulsen, der vom Vorgehen der Polizei bei einer Bürgerrechtsdemonstration berichtete: Dort hätten Polizist_innen einige Jugendliche verhaftet und von diesen das Versprechen verlangt, von der Teilnahme an weiteren Aktionen abzusehen. Als sich einige von ihnen geweigert hätten, dieses zuzusagen, seien sie für mehrere Monate inhaftiert worden. 341 Mehr noch als Rassismus kritisierte die Urteilsbegründung aber den Umgang der Polizei mit jugendlichen Aussagen: „The ‘confession’ of Gerald Gault was first obtained by Officer Flagg, out of the presence of Gerald’s parents, without counsel and without advising him of his right to silence […].“ Die Anführungszeichen bei „confession“ sind ein Hinweis darauf, dass die Richter dieses Geständnis für juristisch ebenso problematisch hielten wie in anderen Fällen, auf die das Urteil Bezug nahm und in denen die Geständnisse Jugendlicher durch polizeilichen Druck erzwungen und deshalb für unwirksam erklärt worden waren. 342 Die zeitgenössische Kritik an der Polizei kombinierte demokratische Argumente mit den Besonderheiten Jugendlicher, für die nun explizit Rechte gegenüber den Polizist_innen eingefordert wurden. Es sei notwendig, so folgerten etwa Piliavin und Briar, auch in der Polizeiarbeit mehr Verfahrensrichtlinien zu etablieren, die die polizeiliche, vorurteilsbehaftete Willkür verhindern könnten. 343 1964 und 1966 urteilte der Supreme Court in Escobedo v. Illinois und Miranda v. Arizona, dass Verhaftete in Polizeiverhören das Recht auf die Anwesenheit eines Anwaltes und die Aufklärung über ihre Rechte hätten, und dass ihre Geständnisse nur dann vor Gericht verwendet werden dürften, wenn dies gewährleistet sei. 344 Während sich diese Fälle auf reguläre Strafprozesse bezogen, legte der Supreme Court 1967 mit der Gault-Entscheidung nach. Auch wenn Gault nicht den polizeilichen Umgang mit jugendlichen Verhafteten regulierte, unterstützte der Urteilsspruch eine Kritik an polizeilicher Willkür. Die Vorstellung schützenswerter jugendlicher Angeklagter trug dazu bei, demokratische Verfahrensrechte auch im ersten Polizeikontakt zu legitimieren. Diese Entwicklung zeigt, dass eine steigende Sensibilität für die Rolle der Polizei in der Delin- 340 President’s Commission: The Challenge of Crime in a Free Society, S. 10. 341 Monrad G. Paulsen: „Juvenile Courts, Family Courts, and the Poor Man“, in: California Law Review 54/ 2 (1966), S. 694-716, hier S. 708. Vgl. dazu auch den Verweis der Urteilsbegründung auf den Bericht der United States Commission on Civil Rights (In Re Gault, Opinion, Abs. II, Anm. 24). 342 Ebd., Abs. V. 343 Piliavin/ Briar: „Police Encounters With Juveniles“, S. 213f. 344 Escobedo v. Illinois, 378 U.S. 478 (1964), online verfügbar unter: U.S. Supreme Court Center: URL: http: / / supreme.justia.com/ cases/ federal/ us/ 378/ 478/ [14.10.2011]; Miranda v. Arizona, 384 U.S. 436 (1966), online verfügbar unter: U.S. Supreme Court Center: URL: http: / / supreme.justia.com/ cases/ federal/ us/ 384/ 436/ [14.10.2011]. <?page no="87"?> 86 quency Scare von anhaltenden Diskussionen um Reformen des Jugendstrafsystems gespeist wurde und diese wiederum beförderte. Dass sich dabei der therapeutische Anspruch an die Polizei vergrößerte, bedeutet aber nicht unbedingt, dass deren Ordnungsfunktion eine geringere Rolle spielte. Gerade durch die Kombination von Therapie- und Sicherheitsdispositiv, das wird im kommenden Abschnitt deutlich, konnten sich Polizist_innen auf die Grenzen ihrer therapeutischen Funktion beziehen. Polizeilicher Handlungsspielraum zwischen therapeutischen Zugriffen und Repression „We ain’t no delinquents. We’re misunderstood“, singen die Jets in West Side Story und tanzen dem hilflosen Krupke damit buchstäblich auf der Nase herum. 345 Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die polizeiliche Rolle ließ sich diese Szene zeitgenössisch unterschiedlich lesen: einerseits als Kritik an autoritären Polizisten, die sich auf ihren Schlagstock beriefen, statt mit psychologischem Wissen und angemessener, aber nicht übertriebener Strenge auf die Jugendlichen einzugehen; andererseits aber auch aus der Perspektive d er j en ig er, di e ei n härt eres Vo rgeh en m it d eli nqu en te n Ju ge ndli chen fo rdert en und psychologisierte Erklärungen von Jugenddelinquenz als wenig zielführend ablehnten. In der Kritik an den Praktiken der Polizei und in der Aushandlung ihrer gesellschaftlichen Funktion wurde ein Gegensatz zwischen dem therapeutischen Umgang mit Jugendlichen und der polizeilichen Ordnungsfunktion aufgebaut. Diese beiden Perspektiven erweisen sich aber nicht zwangsläufig als Widerspruch, denn die therapeutischen Narrative halfen auch dabei, repressive polizeiliche Praktiken zu legitimieren. Dies hat mit dem zeitgenössischen Wissen über bestimmte jugendliche Risikogruppen und dem Handlungsspielraum zu tun, den dieses Wissen schuf. Teil des therapeutischen Auftrages der Polizei war ähnlich wie bei Jugendgerichten der individuelle Umgang mit Delinquent_innen. Nicht das Delikt, sondern Situation und Umfeld der Jugendlichen sollten dabei im Vordergrund stehen. In diesem Zusammenhang erhielt die Frage, wie Polizist_innen die betreffenden Jugendlichen und ihr Rehabilitationspotenzial einschätzten, eine enorme Bedeutung. Daher forderte etwa der bereits zitierte Polizeichef Lohmann, dass Polizist_innen speziell für den Umgang mit Jugendlichen ausgebildet werden sollten. 346 Auf diese Weise, so hoffte er, würden Polizist_innen in die Lage versetzt werden, delinquente Jugendliche von denjenigen zu unterscheiden, die lediglich ein „normales“ adoleszentes Verhalten an den Tag legten. Die Ant- 345 West Side Story, TC: 01: 06: 45-01: 06: 49. 346 Lohman: „Maybe Delinquency Isn’t the Right Word“, S. 6. Dazu Gilbert: Cycle of Outrage, S. 35f. <?page no="88"?> 87 wort auf die Frage, wer die „wahren“ delinquenten Jugendlichen seien, fand Lohman im Wissen über sogenannte „Problemgebiete“: Er verortete den Ursprung von Delinquenz in dicht bevölkerten urbanen Communities, in denen zentrale Sozialisationsinstanzen wie Familie und Schule nicht funktionieren würden. 347 Mit dieser Beschreibung, bei der Zeitgenoss_innen vermutlich vor allem an sozial benachteiligte, nicht-weiße oder migrantische Jugendliche denken mussten, unterschied sich Lohmann von früheren Ansätzen, die weniger das soziale Umfeld der Jugendlichen betont hatten. Sein Artikel ist ein Beispiel dafür, wie auch gerade therapeutische Argumente den Fokus auf spezifische Risikogruppen reproduzierten. Mit der regelmäßigen, überproportional häufigen Verhaftung von nicht-weißen Jugendlichen wurden diese überdies wieder und wieder als gefährliche Gruppen konstituiert. Darüber konnten die Polizei und andere Expert_innen ihrerseits erneut die Sicherung der öffentlichen Ordnung als wesentliche Funktion der Polizeiarbeit sowie die Grenzen therapeutischer Zugriffe betonen und eine repressive Rolle ausüben. 1968 etwa entschied der Supreme Court in Terry v. Ohio, dass die Polizei Personen anhalten und durchsuchen dürfte, wenn sie den begründeten Verdacht habe, dass eine Person kriminell und/ oder gefährlich sein könnte. 348 Dass das Wissen über die Grenzen therapeutischer Bemühungen in die polizeiliche Ausbildung diffundierte, zeigt der bereits erwähnte Artikel über Polizeiarbeit, der im Midcentury Conference-Report abgedruckt wurde. Hier ging es unter anderem auch um eine Polizeischule am 1946 gegründeten Delinquency Control Institute (DCI) der University of Southern California. Der Text zitierte eine im DCI ausgebildete Polizistin mit den Worten: „I now know [...] that there are children beyond help from either me or the courts. The hours I used to waste on these cases I now spend aiding other children.“ 349 Dieses Beispiel ist bemerkenswert, denn es gibt einen Hinweis auf geschlechtsspezifische Logiken, die die Aushandlungen von Polizeiarbeit durchzogen. Laut dem Artikel sei das Problem eines männlichen Polizisten vor der DCI-Ausbildung nämlich gewesen, zu wenig Verständnis und Interesse für die jugendlichen Missetäter gehabt zu haben. Ganz im Gegensatz zu der zitierten Kollegin: Diese habe zuvor ein übermäßiges Verständnis gezeigt und sich auch in „hoffnungslosen“ Fällen zu sehr um die Jugendlichen gekümmert. 350 Das Narrativ des Artikels reproduzierte geschlechtsspezifische Zuweisungen von männlicher Härte und weiblicher Fürsorge, die aber in der Polizeischule „korrigiert“ werden konnten. Die zeitgenössische Kritik an polizeilicher Brutalität und mangelndem Verständnis mag ein 347 Lohman: „Maybe Delinquency Isn’t the Right Word“, S. 5f. Dazu auch Kap. III.1. 348 Terry v. Ohio, 392 U.S. 1 (1968), online verfügbar unter: U.S. Supreme Court Center: URL: http: / / supreme.justia.com/ cases/ federal/ us/ 392/ 1/ case.html [27.10.2011]. 349 Zeller Gross: „He Could be Your Child’s Best Friend“, S. 41f., zit. nach: Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 425. 350 Ebd. <?page no="89"?> 88 Grund für den seltenen Fall sein, dass hier eine Polizistin zu Wort kommt. Möglicherweise wäre dasselbe Zitat aus dem Mund eines Polizisten nicht abgedruckt worden, da es zu sehr an die scharf kritisierte mangelnde Empathie der Polizei erinnert hätte. Da Frauen aber eher ein Übermaß an Verständnis und Zuwendung zugeschrieben wurde, konnte die zitierte Polizistin ihre zumindest partielle Abkehr davon als erfolgreiches Ergebnis der polizeilichen Ausbildung inszenieren. Damit wird deutlich, dass sich auch die Entscheidung gegen einen wohlwollenden Umgang mit delinquenten Jugendlichen innerhalb des Ideals einer therapeutischen Funktion der Polizei befinden konnte. In den - durchaus auch kritischen - Aushandlungen des polizeilichen Umgangs mit juvenile delinquents zeigt sich eine nur vordergründig widersprüchliche Anrufung von Polizist_innen als therapeutische Akteur_innen und Ordnungsmacht. Die therapeutischdemokratischen Diskurse der US-Nachkriegszeit verlangten eine verstärkte Einbeziehung des Polizeiapparats in ein Behandlungsdispositiv und führten zu einer stärkeren Beachtung der polizeilichen Rolle. Officer Ray stand für einen Polizeiapparat , de r bu ch st äbl ic h au f di e Seele n deli nqu ent er Ju gend li cher au sge ri ch te t sein und sie durch einen streng-verständnisvollen Umgang führen sollte. Dies sollte aber vorrangig für diejenigen Jugendlichen gelten, die als leichte Fälle von schwerer Delinquenz oder Kriminalität unterschieden wurden. Das zeitgenössische Wissen über Problemgruppen und die Grenzen der Rehabilitationsbemühungen ermöglichte es, die Sicherung der öffentlichen Ordnung als wesentliche Funktion der Polizeiarbeit zu betonen. Diese Gleichzeitigkeit von Regierungstechnologien, die sowohl auf den Einschluss als auch Ausschluss von Jugendlichen ausgerichtet waren, wird ebenfalls deutlich in den Verhandlungen von Jugendstrafanstalten, die im folgenden Abschnitt im Vordergrund stehen. 4 „The goal ist to change an attitude“: Jugendstrafanstalten und die Frage der Rehabilitation „I never knew of this thing called duck walking […] until I came to the Illinois State Training School for Boys“, erinnerte sich der Autor und Journalist Albert Deutsch 1954 vor dem Senate Subcommittee: „Duck walking is the type of punishment where a boy is forced to grasp his ankles with his hands and waddle across a room for a stated period of time, or until he falls exhausted.“ Deutsch berichtete dem Ausschuss entsetzt von weiteren Formen der Bestrafung in Jugendstrafeinrichtungen - etwa von der „burlap party”, bei der Jugendliche einen überfluteten Kellerraum mit Leinensäcken reinigen mussten, oder der „hydrotherapy“, bei der sie nackt mit Handschellen gefesselt waren und ein Hochdruckwasserstrahl auf ihre Wirbelsäule gerichtet wurde. Der Autor resümierte: „I <?page no="90"?> 89 feel very strongly that these types of unusual punishment have no place even in an adult prison, much less in a juvenile institution.“ 351 Deutsch war vom Subcommittee eingeladen worden, weil er als scharfer Kritiker an den Bedingungen in Psychiatrien und Jugendstrafanstalten bekannt geworden war: In seinem Buch Our Rejected Children hatte er 1950 konstatiert, dass die Strafpraktiken in Jugendgefängnissen nicht zur Rehabilitation von Jugendlichen beitrügen. 352 Die Kritik von Deutsch fiel im „age of treatment“ auf fruchtbaren Boden. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Betonung von Behandlung statt Bestrafung wurden Strafformen und eine rigide Atmosphäre in Jugendstrafanstalten kritisiert, die dem eigentlichen therapeutischen Zweck der Einrichtungen entgegenstünden. 353 In diesem Abschnitt wird zunächst diese Kritik an Jugendstrafanstalten, an Juvenile Training Schools, analysiert und gezeigt, auf welche Weise sie von therapeutischen Narrativen, aber auch von Verweisen auf fundamentale Rechte Jugendlicher strukturiert wurde. 354 In einem weiteren Schritt verdeutliche ich, dass gleichzeitig die Notwendigkeit betont wurde, bestimmte Jugendliche zu inaftieren, um sie vor sich selbst und die Gesellschaft vor ihnen zu schützen. Abschließend zeige ich die Effekte dieser ambivalenten Anforderungen auf Jugendstrafeinrichtungen und untersuche ein Mitte der 1960er Jahre in Washington, DC, gestartetes Modellprojekt als Beispiel für Versuche ihrer Reformierung. Fences and Walls: Problematisierung von Jugendstrafanstalten In der US-Nachkriegszeit hatte sich ein „rehabilitatives Ideal“ als Ideal des Umgangs mit Strafgefangenen durchgesetzt. Statt primär bestraft, sollten Gefangene „behandelt“ und „geheilt“ werden. 355 Dabei verknüpften die Kritiker_innen der 351 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 3, S. 630, 640. 352 Albert Deutsch: Our Rejected Children. Boston: Little, Brown & Co, 1950; ders.: The Shame of the States. New York: Harcourt Brace, 1948. 353 Bush: Who Gets a Childhood, S. 42-70. 354 Der euphemistische Begriff der Juvenile Training School oder Reform School fungiert in den USA als Sammelbegriff für Jugendstrafanstalten. Eine explizite Trennung zwischen Jugendgefängnissen und Erziehungsheimen wird dort nicht vorgenommen, wohl aber hatten unterschiedliche Einrichtungen einen mal stärkeren, mal schwächeren punitiven Charakter. 355 Francis A. Allen: „The Decline of the Rehabilitative Ideal in American Criminal Justice“, in: Cleveland State Law Review 27/ 2 (1978), S. 147-156; Francis Edgardo Rotman: „The Failure of Reform, 1865-1965“, in: Norval Morris/ David J. Rothman (Hg.): The Oxford History of the Prison. The Practice of Punishment in Western Society. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 1998 [1995], S. 151-177, hier S. 169-171; Thomas G. Blomberg/ Karol Lucken: American Penology: A History of Control. New Brunswick: Transaction, 2010 [2000], S. 101- 122. Zur Entwicklung des Rehabilitationsgedankens für Erwachsenengefängnisse seit der Progressive Era Jonathan Simon: Poor Discipline. Parole and the Social Control of the Underclass, <?page no="91"?> 90 Jugendstrafanstalten therapeutische Argumente, ähnlich wie in der Diskussion von Jugendgerichten und der Polizei, mit dem Verweis auf jugendliche Rechte, wie Deutschs Ausführungen zeigen. Er berichtete dem Subcommittee etwa, der Direktor einer Einrichtung habe die tägliche körperliche Züchtigung der Jugendlichen damit gerechtfertigt, dass diese auch zu Hause ständig verprügelt worden wären. „The thought never occurred to this gentlemen“, empörte sich Deutsch, „to realize that the fact that [...] these boys came from homes where they were whipped was one indication of the fact that corporal punishment is never a deterrent to juvenile delinquency“. Darüber hinaus sei das Personal der Jugendstrafanstalten oft nicht speziell ausgebildet und bringe den Jugendlichen nicht nur Unverständnis, sondern sogar Hass entgegen. In einem solchen Umfeld, so Deutschs Resümee, sei keine Rehabilitation möglich. 356 Viele seiner Zeitgenoss_innen teilten Deutschs Einschätzung und befürchteten, inadäquate Jugendstrafanstalten würden die psychischen Störungen delinquenter Jugendlicher nur noch vergrößern. 357 In dieser Kritik gingen Labeling-Theorien und Konzeptionen einer zu schützenden, instabilen Jugend zusammen. „We do not have to be experts to know that a jail experience is not good for a child“, schrieb der National Parent-Teacher 1953 und argumentierte, „Kinder“ dürften nicht wie „Kriminelle” behandelt werden. Jugendgefängnisse, so die Schlussfolgerung des Artikels, würden solch eine „aggressive Rebellion“ produzieren, dass eine spätere Anpassung an ein „normales“ Leben in der Gesellschaft nicht mehr möglich sei. 358 Dies war zeitgenössisch aber per definitionem der Zweck von rehabilitativen Zugriffen auf jugendliche Delinquent_innen: „[T]he goal is to change an attitude“, fasste ein Kinderpsychologe das Ziel von Jugendstrafeinrichtungen 1954 zusammen. 359 Über diese Zielbestimmung artikulierte sich die Kritik an Jugendstrafanstalten in den Nachkriegsdekaden auch als demokratische Kritik. David Cayley argumentiert, dass die Konfrontation mit „totalitären“ Staaten und deren repressiven Strafpraktiken Mitte des 20. Jahrhunderts in „westlichen“ Gesellschaften zu einer zunehmenden Infragestellung der Strafpraktiken in Gefängnissen geführt habe. 360 Hinweise auf Mindeststandards einer demokratischen Gesellschaft 1890-1990. Chicago: Univ. of Chicago Press, 1993. David Garland zeigt, auch im Anschluss an Allen, wie die Konzentration auf Rehabilitation ab den 1970er Jahren punitiveren Strafpraktiken wich (Garland: The Culture of Control). 356 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 3, S. 630, 632. 357 Bush: Who Gets a Childhood, S. 43. 358 Eliot: „A New Start On An Old Problem“, S. 12. 359 Dr. Edward Greenwood, Menninger Clinic, Topeka, KS, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 202. 360 David Cayley: The Expanding Prison. The Crisis in Crime and Punishment and the Search for Alternatives. Toronto: Anansi, 1998, S. 17. <?page no="92"?> 91 kennzeichneten nun auch zunehmend die Auseinandersetzungen um den Jugendstrafvollzug in den USA und wurden etwa von der ACLU als Argument für eine Reform der Jugendgefängnisse aufgegriffen. 361 Grundlegend für diese Kritik war aber nicht allein die Verletzung von Gefangenenrechten, sondern die befürchteten Auswirkungen auf die demokratische Gesellschaft, sollten die Sträflinge nicht angemessen auf die soziale Reintegration vorbereitet werden. „You do not [...] get lads to adjust to a free democratic community by keeping them locked up day in and day out, night in and night out“, mahnte Deutsch und na hm d a m it d ie s pä te re Kr it ik e tw a Er vi n g G of f mans v or weg . 362 Die disziplinarische Logik, Jugendliche müssten in psychiatrischen Programmen behandelt, statt in punitiven Einrichtungen untergebracht werden, wurde in den 1950er und 1960er Jahren mit demokratischen Argumenten begründet und als „statesmenlike method“ angepriesen. 363 Dabei schien die freiheitsberaubende Funktion auch therapeutisch ausgerichteter Haftanstalten in den Hintergrund zu geraten. Marie Carter, die Direktorin der Iowa Training School for Girls, wand sich vor dem Subcommittee um das Eingeständnis herum, dass die primäre Aufgabe ihrer Institution die Ingewahrsamnahme Jugendlicher war. Sie berichtigte Senator Hennings, der von einer „custodial institution“ gesprochen hatte, mit den Worten: „We hardly call it custodial; we refer to it in a broader sense as an educational institution.“ Hennings hakte nach: „[W]hether there are walls or fences, or other restraining structures within the plant, basically the job is to keep them and hold them there, isn’t it? “ 364 Carter musste dies bejahen; die Tatsache, dass sich die Jugendlichen in einer Haftanstalt befanden, ließ sich nicht verleugnen. Mit der zunehmenden Unterscheidung von unterschiedlich schwerer Delinquenz und Kriminalität und mit dem Rückzug der Jugendgerichte aus dem Bereich bestimmter Delikte problematisierte man seit Mitte der 1950er Jahre die massenhafte Unterbringung Jugendlicher in Training Schools. Im Fokus standen dabei vor allem die Jugendlichen, die als aus eigener Kraft besserungsfähig galten und bei denen eine Rehabilitation in ihrem familiären Umfeld befürwortet wurde. Expert_innen forderten nun verstärkt, Jugendliche seltener zu Haftstrafen zu verurteilen und häufiger auf Bewährung freizulassen oder in Pflegefamilien unterzubringen. 365 Dies sollte jedoch beileibe nicht für alle Jugendlichen gelten. 361 Vgl. etwa vom ACLU-Anwalt Coxe: „Lawyers in Juvenile Court“. 362 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 3, S. 637. Vgl. Erving Goffmann: Asylums. Essays on the Social Situation of Mental Patients and Other Inmates. New York, NY: Doubleday, 1961. 363 Stellungnahme von Leonard D. Mayo, Leiter des Department of Social Welfare, National Council of Churches, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 3, S. 552. 364 Ebd., Pt. 1, S. 128. 365 Z. B. Stellungnahme von Jugendrichter Thomas Gill, in: ebd., S. 40f.; Stellungnahme von <?page no="93"?> 92 Trotz der Kritik an den Bedingungen und dem freiheitsberaubenden Charakter von Jugendstrafanstalten betonten Expert_innen in der Delinquency Scare nämlich zunehmend die Notwendigkeit, bestimmte Jugendliche zumindest temporär aus ihrem Umfeld heraus und an speziell dafür geschaffenen Orten in Gewahrsam zu nehmen. Dabei war es erneut das rehabilitative Ideal, das auch diese Freiheitsberaubung diskursiv legitimierte: „[T]here will always be certain boys and girls who must be placed under some sort of restraint if they are not to continue in a delinquent career“, stellte etwa der Bericht der Midcentury White House Conference on Children and Youth fatalistisch fest. 366 Im Gegensatz zu den Jugendlichen, denen man eine selbstständige Bewältigung ihrer Probleme zutraute, schien für andere eine Internierung unumgänglich. Der bereits zitierte Jugendrichter Young beschrieb in seinem NPT-Artikel beispielsweise einen Jungen, den er als dringend internierungsbedürftig betrachtete: „[His] mentality was too low to cope with his animal instincts. Unless constantly watched, he would attack any small girl he could reach.“ 367 Nicht nur körperliche und mentale „Defizite“ wurden in diesem Beispiel problematisiert: Die vermeintlich typische Instinkthaftigkeit von Jugendlichen war hier eindringlich mit Vorstellungen von unkontrollierbaren sexuellen Trieben verknüpft und suggerierte so die Gefährdung kleiner Mädchen durch „animalische“ männliche Jugendliche. Obwohl „Rasse“ hier nicht explizit markiert war, ist es möglich, dass dieser Junge von den Leser_innen des Textes als African American „erkannt“ werden konnte. Die Vorstellung einer besonders triebhaften, „tierischen“ Sexualität war ein wesentliches Element in der rassistischen Konstruktion schwarzer Männlichkeit. 368 Jugendliche wurden im Delinquenzdiskurs nicht selten mit Tieren verglichen: Nachdem ein Experte in den Anhörungen des Subcommittee berichtet hatte, ein internierter Jugendlicher koste den Staat jährlich 2000 Dollar, überlegte Senator Hennings beispielsweise: „It costs almost as much sometimes as it does to maintain a giraffe or elephant in a zoo [...].“ 369 Die Analogie zwischen Jugendlichkeit, „Rasse“ und triebhaftem, unkontrollierten Verhalten spielte eine wichtige Rolle bei der Frage, welche Jugendlichen in Institutionen untergebracht werden sollten und wie deren generelle Reformierbarkeit eingeschätzt wurde. 370 Zu den Konsequenzen dieser rassistischen Äquivalenzbeziehung gehörte unter anderem, dass nicht-weiße Jugendliche wie African und Mexican Americans Deutsch, in: ebd., Pt. 3, S. 631f. 366 Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 429. 367 Young: „The How and Why of the Juvenile Court“, S. 9. 368 Dazu Bederman: Manliness & Civilization; Sabine Sielke: Reading Rape. The Rhetoric of Sexual Violence in American Literature and Culture, 1790-1990. Princeton: Princeton Univ. Press, 2002. 369 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 2, S. 330. 370 Sealander: The Failed Century of the Child, S. 48. <?page no="94"?> 93 einen überproportional hohen Teil der inhaftierten Jugendlichen bildeten. 371 Dies wurde auch zeitgenössisch kritisiert, etwa in Ebony, einem afroamerikanischen Lifestyle- und Gesellschaftsmagazin. 372 Die Zeitschrift skandalisierte schon im Oktober 1948 den hohen Anteil inhaftierter schwarzer Jugendlicher, von denen zudem ein Fünftel nachgewiesenermaßen gar nicht delinquent, sondern wegen schlechter Familien- und Wohnverhältnisse in den Jugendstrafeinrichtungen gelandet sei. 373 Auch Mädchen machten einen relativ hohen Anteil der internierten Delinquent_innen aus. 374 Wie in anderen Feldern des Delinquenzdiskurses ging es in den Diskussionen um Jugendstrafanstalten ebenfalls selten explizit um weibliche Jugendliche. In den wenigen Fällen, in denen von inhaftierten Mädchen die Rede war, wurden ihnen in der Regel Statusdelikte wie sexuelle Delinquenz oder „incorrigibility“ zugeschrieben, wie erneut die Stellungnahme von Carter zeigt. Sie betrachtete die Insassinnen ihrer Institution en gros als frustrierte und instabile Mädchen, die sich zu Hause und in der Community abgelehnt fühlten und daher schwer erziehbar und sexuell auffällig, grundsätzlich aber nicht „bad“ seien. 375 Zeitgenössische Studien konstatierten, dass Statusdelikte bei Mädchen häufiger als bei Jungen zur Inhaftierung führten. 376 Dabei schienen vor allem sexuelle Normverletzungen und selbst verhältnismäßig geringfügige Delikte wie „incorrigibility“ - die bei Jungen eher für adoleszente Wildheit standen - bei Mädchen die Notwendigkeit einer Inhaftnahme zu legitimieren. Nach dieser Logik erschien weibliche Delinquenz stärker als Ausdruck einer profunden „Fehlentwicklung“, die durch entschiedene Eingriffe korrigiert werden sollte. Denn sexuelle Aktivitäten und etwa Aufsässigkeit weiblicher Jugendlicher markierten ein Übertreten von Geschlechter- oder „Rassen“grenzen. 377 Allerdings wurde diese Notwendigkeit für weiße und schwarze Mädchen unterschiedlich konzipiert. In Carters Beschreibung scheinen die Mädchen in erster Linie als 371 Bush: Who Gets a Childhood, S. 49, 115-119. 372 Dazu Todd Steven Burroughs: „Ebony“, in: Paul Finkelmann (Hg.): Encyclopedia of African American History, 1896 to the Present. From the Age of Segregation to the Twenty-First Century, Band 1. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2009, S. 119-121. Zu den anerkennungspolitischen Strategien von Ebony mit Blick auf die Bürgerrechtsbewegung Thaddeus Russell: „The Color of Discipline: Civil Rights and Black Sexuality“, in: American Quarterly 60/ 1 (2008), S. 101-128. 373 Anon.: „Reform Schools House Many Homeless Youngsters“, in: Ebony 3/ 12 (October 1948), S. 22-23. 374 Chesney-Lind/ Shelden: Girls, Delinquency, and Juvenile Justice, S. 173. 375 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 128ff. 376 William W. Wattenberg/ Frank Saunders: „Sex Differences Among Juvenile Offenders“, in: Sociology and Social Research 39/ 1 (1954), S. 24-31, hier S. 26; Don C. Gibbons/ Manzer J. Griswold: „Sex Differences among Juvenile Court Referrals“, in: Sociology and Social Research 42 (1957), S. 106-10, hier S. 109. 377 Devlin: „Female Juvenile Delinquency and the Problem of Sexual Authority in America“. <?page no="95"?> 94 eher „unschuldige“, weil von mangelnder familiärer Zuwendung in die Delinquenz getriebene Jugendliche. Zwar sprach Carter nicht explizit von „Rasse“, aber ihre Beschreibung der individuellen Probleme instabiler junger Mädchen ließ Zeitgenoss_innen vermutlich primär an weiße Mädchen denken. 378 In Bezug auf afroamerikanische Mädchen funktionierte das Narrativ etwas anders. Diese wurden, wie Bush argumentiert, häufiger inhaftiert, weil man ihnen ein aktiv-aggressives Verhalten zuwies und sie daher eher als gefährlich denn gefährdet begriffen wurden. 379 Freiheit im Knast? Neue Formen von Jugendstrafen Dass bestimmte Jugendliche inhaftiert werden mussten, war in der Delinquency Scare trotz der harschen Kritik an Jugendstrafanstalten weitgehend etabliert. Expert_innen hatten aber eine „statesmenlike method“ für den Umgang mit jugendlichen Strafgefangenen gefordert. 380 Wie sollte ein solcher Umgang nun realisiert werden, wenn gleichzeitig der Schutz der Gesellschaft vor jugendlichen Täter_innen immer dringlicher zu werden schien? Die therapeutisch-demokratische Kritik an Jugendstrafanstalten schuf die Grundlage für Reformen von Jugendgefängnissen, aus denen kleinere Institutionen mit Behandlungs- und Ausbildungsprogrammen werden sollten. 381 Seit den späten 1940er Jahren wurden etwa in New York zusätzliche psychiatrische und psychotherapeutische Einrichtungen für Jugendliche eröffnet, die direkt an die Gerichte gekoppelt waren. 382 Angesichts der unterschiedlichen Rehabilitationsfähigkeit, die Jugendlichen zugeschrieben wurde, sollten Institutionen unterschiedlichen Charakters und mit mehreren Sicherheitsstufen entstehen. In Texas beispielsweise arbeitete man seit 1949 daran, die Gatesville State School for Boys in mehrere getrennte Einrichtungen aufzuspalten. Die Jugendlichen, deren Rehabilitationspotenzial als besonders gut eingeschätzt wurde, sollten in einem offener gestalteten, weniger restriktiv organisierten Trakt untergebracht werden. Ein Hochsicherheitsbereich dagegen sollte diejenigen verwahren, die als unemp- 378 Dazu Kap. V.2.2. 379 Bush: Who Gets a Childhood, S. 71, 75. Zur rassistischen Konstruktion afroamerikanischer weiblicher Sexualität als gefährlich Rickie Solinger: Wake Up Little Susie. Single Pregnancy and Race Before Roe v. Wade. New York/ London: Routledge, 1992; Evelynn M. Hammonds: „Toward a Genealogy of Black Female Sexuality: The Problematic of Silence“, in: M. Jacqui Alexander/ Chandra Talpade Mohanty (Hg.): Feminist Genealogies, Colonial Legacies, Democratic Futures. New York/ London: Routledge, 1997, S. 170-182. 380 Stellungnahme von Mayo in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 3, S. 552. 381 Vgl. die Stellungnahme von Raphael Farrell, Leiter der State Training School, Red Wing, MN, in: ebd., S. 657. Dazu auch Bush: Who Gets a Childhood, S. 5, 115. 382 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 128. <?page no="96"?> 95 fänglich gegenüber therapeutischen Methoden galten. Eine weitere Einrichtung sollte eine segregierte Haftanstalt für afroamerikanische Jungen werden und ebenfalls einen Sicherheitsbereich beinhalten. 383 Die fortgesetzte Segregation der Jugendstrafanstalten wurde laut Bush unter anderem mit der vermeintlich geringeren Rehabilitationsfähigkeit afroamerikanischer Jugendlicher begründet. 384 Dieses Beispiel aus Bushs Studie stellt eine Seltenheit in den Auseinandersetzungen um Jugendstrafanstalten dar. In der Regel wurden nämlich vorrangig diejenigen Jugendlichen erwähnt, die man durch die Einweisung in therapeutisch agierende Institutionen zu rehabilitieren suchte. Was in den Planungen für Gatesville deutlich gemacht wurde, nämlich wie mit vermeintlich nicht rehabilitierbaren Jugendlichen umgegangen werden sollte, tauchte etwa in den Stellungnahmen vor dem Subcommittee oder in populären Magazinen nur bisweilen explizit auf. Reckless beispielsweise betonte in seinen Anmerkungen zu „gefährlichen“ jugendlichen Delinquent_innen, dass solche Jugendlichen selbst durch psychiatrische Zugriffe äußerst schwer zu erreichen seien. 385 Solche Äußerungen verwiesen auf die Ränder des Rehabilitationsdispositives und auf Konstruktionen „unheilbarer“ Jugendlicher, die das häufig unausgesprochene Andere zu therapeutischen Erfolgsgeschichten bildeten. In reformierten Jugendstrafanstalten wurde Rehabilitation zunehmend zu einer Frage der Selbstführung gemacht. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass restriktive Strukturen Delinquenz möglicherweise fördern und der angestrebten Anpassung an die Gesellschaft im Wege stünden, propagierten Expert_innen, Jugendlichen müsse in den Haftanstalten mehr Freiraum gegeben werden. Begeistert berichtete etwa Senator Hennings 1954 von Programmen, bei denen inhaftierte Jungen Freigang zu benachbarten Farmen erhielten. Obwohl hier unzählige Fluchtmöglichkeiten gegeben seien, würden diese von den Jungen nicht genutzt werden. Im Gegenteil: „[T]he least restraint rather than breed a looseness about an institution or general laxity, seems to result in a better ordered institution with far less tension, far less feeling of impending trouble such as riots or disorder, and certainly it does much for the rehabilitation of men.“ 386 Der therapeutische Trick dieser Programme war es, dass diese Jugendlichen sich besser führen würden, weil sie ihre zusätzliche Freiheit nicht wieder verlieren wollten. 387 383 Bush: Who Gets a Childhood, S. 114. 384 Ebd., S. 115ff. 385 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 222. 386 Ebd., Pt. 3, S. 637. 387 Vgl. auch Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 431. <?page no="97"?> 96 Auf dieser gouvernementalen Strategie des Regierens über Freiheit basierte ein zweiteiliges Modellprojekt, das das Institute of Behavioral Research an der National Training School for Boys (NTSB) in Washington, DC, umsetzte. Finanziert vom US-amerikanischen Gesundheits- und Sozialministerium startete im Februar 1965 das Projekt „Contingencies Applicable to Special Education of Delinquents“ (CASE). 388 Auf der Grundlage verhaltenspsychologischer Konzepte zielte das Programm darauf, durch die Schaffung von Freiräumen und besonderen Anreizen den Lernwillen und die Lernfähigkeit der inhaftierten Jungen zu verbessern. Der Leiter des Projektes, Harold Cohen, war bemerkenswerterweise kein ausgebildeter Psychologe, sondern Designer, und war zuvor als Direktor der Fakultät für Gestaltung an der Southern Illinois University tätig gewesen. 389 Innerhalb des Projektes lag ein deutlicher Schwerpunkt auf der Gestaltung des Raumes, in dem sich die Jungen bewegten. Das Folgeprojekt von CASE, das ein Jahr später begann, machte dies bereits in seinem Titel deutlich: CASE II wurde als „Motivationally Oriented Designs for an Ecology of Learning“ (MODEL) bezeichnet. 390 Die Versuchsgruppen von CASE und MODEL, im Folgenden gemeinsam als CASE-Projekte diskutiert, bildeten 16 bis 28 weiße und schwarze Jungen, wobei das Versuchsteam darauf achtete, eine „racial balance“ zu halten. Die Jungen waren zwischen zwischen 14 und 18 Jahren alt und für Delikte zwischen Autodiebstahl, Vergewaltigung und Mord inhaftiert worden. Außerdem galten sie als Wiederholungstäter: Vor der aktuellen Haftstrafe war der Großteil schon in Jugendstrafanstalten oder Psychiatrien gewesen. 391 Damit waren in dem Projekt viele derjenigen vertreten, die eher als kriminell statt als delinquent eingestuft wurden und überdies als schwer rehabilitierbar galten. Letzteres sollten die CASE-Projekte durchbrechen. Ein Vortrag des Leiters Cohen macht die Kombination von demokratischen und therapeutischen Argumenten deutlich, die dem Projekt zugrunde lag: Auf einer Konferenz der American Educational Rese- 388 Harold L. Cohen u. a.: „Contingencies Applicable to Special Education of Delinquents“, Report, 5. April 1966, in: U.S. Congress, House of Representatives, Committee on Education and Labor: The Juvenile Delinquency Prevention Act of 1967. Hearings before the General Subcommittee on Education of the Committee on Education and Labor, 90th Cong., 1st Sess., 2.-4., 10./ 11., 15., 22. Mai 1967, Washington, DC: Government Printing Office, 1967, S. 153-225, hier S. 156. 389 Harold L. Cohen: Homepage, online verfügbar unter: URL: http: / / haroldlcohen.com/ hlc- 20120303_004.htm [28.12.2011]. 390 Harold L. Cohen: „M.O.D.E.L.: ‘Motivationally Oriented Designs for an Ecology of Learning’“. Vortrag auf dem American Educational Research Association Symposium on Application of Reinforcement Principles to Education (New York, 17. Februar 1967), online verfügbar unter: Education Resources Information Center: URL: http: / / www.eric.ed.gov/ PDFS/ ED022802.pdf [12.01.2011]. 391 Ebd., S. 2. Vgl. auch die Stellungsnahme von Cohen in: General Subcommittee on Education: The Juvenile Delinquency Prevention Act of 1967, S. 146. <?page no="98"?> 97 arch Association im Februar 1967 wandte er sich gegen punitive Methoden bei der Verhaftung oder Inhaftierung Jugendlicher. Cohen kritisierte einen demokratischen Kongressabgeordneten, der den polizeilichen Einsatz von Betäubungsgeschossen gefordert hatte, um „Kriminelle“ an der Flucht zu hindern. Dem stellte Cohen eine verheißungsvolle therapeutisch-pädagogische Perspektive entgegen: „[A]n ounce of successful education is worth a pound of knock-out pellets.“ 392 Die Mitarbeiter der CASE-Projekte verstanden unter erfolgreicher Rehabilitation die Verbesserung schulischer Leistungen, die sie anhand vermeintlich objektiver Faktoren wie Intelligenzquotienten und den in USamerikanischen Schulen üblichen Stanford Achievement Tests (SAT) bewerteten. Zu Projektbeginn wurden die beteiligten Jugendlichen ausgiebig getestet, sowohl hinsichtlich ihrer schulischen Leistungen als auch in psychologischen Interviews, um im Laufe des Projekts Veränderungen in beiden Bereichen abschätzen zu können. 393 Die CASE-Projekte basierten auf dem Prinzip der Motivierung inhaftierter Jugendlicher durch Belohnungen und Bewegungsfreiheit. Die Planer_innen gingen davon aus, dass jugendliche Delinquenten durch eine Kombination „extrinsischer“ und „intrinsischer Anreize“ dazu motiviert werden könnten, sich analog zu gesellschaftlich anerkannten Normen zu verhalten. Sie wollten die ökonomischen Entscheidungs- und Möglichkeitsstrukturen der Gesellschaft im Gefängnis simulieren. 394 Zu diesem Zweck etablierten sie ein System, nach dem die Jungen für erbrachte Lernleistungen Punkte erhielten, mit denen sie sich zum Beispiel Freizeit im Aufenthaltsraum „kaufen“ konnten. Mit den „klassischen Anreizen“ von akademischem Erfolg könnten die Jungen, so die CASE- Planer_innen, bei Beginn des Projektes nichts anfangen. 395 Genau hier wurde deren Devianz unter anderem verortet, weil man im fehlenden Leistungswillen der Jugendlichen mangelnde Selbstführung fand. Das Projekt wurde deshalb als erfolgreich bewertet, weil die Verantwortlichen feststellten, dass die „extrinsische“ Motivation des Punktesystems planmäßig in einen „intrinsischen“ Anreiz durch Erfolgsgefühle übergegangen sei: „About midway through the project, half the students had earned enough points so that they did not need to work each day on mathematics and English. Instead, they could have gone into the lounge and slept [...]. However, they did not do so. This fact is an indication of the reinforcing effects of being correct, of new social reinforcement with peers and staff, of getting smarter, of being able to boast about getting 100 percent on an exam.“ 396 392 Cohen: „M.O.D.E.L.“, S. 2. 393 Cohen u. a.: „Contingencies Applicable to Special Education of Delinquents“, S. 160-166. 394 Ebd., S. 156; Cohen: „M.O.D.E.L.“, S. 3. 395 Cohen u. a.: „Contingencies Applicable to Special Education of Delinquents“, S. 167. 396 Ebd., S. 169f. <?page no="99"?> 98 Außerdem habe sich auch das Verhalten der Jungen in Bezug auf Konsumgüter geändert, die sie in einem kleinen Laden im Gebäude für Punkte erwerben konnten. Während zu Beginn des Projektes hauptsächlich Produkte zum unmittelbaren Konsum gekauft worden seien, hätten die Jungen nach einer gewissen Zeit begonnen, „beständigere Dinge“ wie Notizbücher und Zeitschriften oder Geschenke für die Familien zu kaufen. Ein Junge habe sogar mit seinem Geld die Gasrechnungen seiner Familie bezahlt. 397 Ohne dies an dieser Stelle explizit zu sagen, machten Cohen und seine Kolleg_innen hier deutlich, wie viel vernünftiger und verantwortungsbewusster die Jungen durch das Projekt geworden seien. Die architektonische Gestaltung der Einrichtung sollte den Jugendlichen eine freiere Bewegung ermöglichen und auf diese Weise Teil des therapeutischen Zugriffs sein. Nachdem die Jungen genügend Punkte gesammelt hatten, wurde es ihnen gewährt, sich freier im Gebäude zu bewegen und beispielsweise häufiger in ihren „privaten“ Räumen aufzuhalten. Was durch diese Bewegungsfreiheit gelehrt werden sollte, waren - und hier tut sich nur scheinbar ein Widerspruch auf - Gehorsam und Konformität mit gesellschaftlichen Werten. 398 Zeitgenössischen Subkulturtheorien zufolge kannten delinquente Jugendliche der unteren Schichten die Normen und Werte der Mittelklasse nur aus der Schule und aus Filmen. Deshalb wurde es als Aufgabe therapeutischer Reform Schools begriffen, diese als normal und erstrebenswert geltenden Codes zu vermitteln, wie beispielsweise den Wert schulischen Erfolgs. 399 In den CASE-Projekten materialisierte sich die Vorstellung einer für die Rehabilitation notwendigen Bewegungsfreiheit in der therapeutischen Durchdringung des gesamten Aufenthaltsbereichs: „It is, in effect, 24 hours of educational therapy“, erklärte Cohen: „Where and when a student sleeps, eats, makes contact with another student, with a machine, with a group, a program, or a teacher is part of the educational etiology.“ 400 Die Gewährung von Bewegungsfreiheit sollte dazu dienen, die Fähigkeit der Jugendlichen zur Selbstführung zu verbessern. Die CASE-Projekte sind ein Beispiel für die Überlegungen und Maßnahmen, die Expert_innen seit den späten 1950er Jahren unternahmen, um Jugendstrafeinrichtungen stärker zu therapeutischen Institutionen zu machen. 401 Sie verdeutlichen die Funktionsweise - und die Paradoxa - der Herstellung von Selbstständigkeit und Bewegungsfreiheit in einer Institution, deren primäre 397 Cohen u. a.: „Contingencies Applicable to Special Education of Delinquents“, S. 197f. 398 Cohen: „M.O.D.E.L.“, S. 3; Harold L. Cohen: „Educational Therapy“. Vortrag auf der Conference on Research in Psychotherapy (Chicago, Juni 1966), S. 22, online verfügbar unter: Education Resources Information Center: URL: http: / / www.eric.ed.gov/ PDFS/ ED 022803.pdf [12.01.2011]. 399 Vgl. Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 431f. 400 Cohen: „Educational Therapy“, S. 19f. 401 Zum Konzept des therapeutischen Umfelds auch Kap. III.3.3. <?page no="100"?> 99 Funktion in der Inhaftierung jugendlicher Delinquent_innen bestand. Die Maßnahme hatte eine nachhaltige Verhaltenskorrektur zum Ziel und lässt sich als eine Disziplinartechnik verstehen, die auf die Führung der Führungen ausgerichtet war. Die Jugendlichen sollten durch die Maßnahme lernen, sich aus sich selbst heraus „besser“, das heißt gemäß normativer, gesellschaftlicher Codes, zu verhalten. Dabei hatte der Raum, in dem sich die Jugendlichen bewegten, zweifelsohne einen Strafcharakter: Die Jungen konnten weder den Bereich des Projektes, noch die NTSB verlassen. Die Projektplaner bemühten sich jedoch, den Unterschied zu regulären Strafmethoden zu betonen: „CASE’s procedures were based upon immediate reinforcement and delayed punishment; NTSB’s procedures were based upon the standard penal system of immediate punishment and delayed reinforcement.“ 402 Dies impliziert, dass auch die Jugendlichen in den CASE-Projekten über ihre Gefängnisstrafe hinaus Strafen für non-konformes Verhalten erhielten - ein Umstand, der in der optimistischen Rhetorik der Projektvorstellungen gänzlich untergeht. Cohen und seine Mitarbeiter_innen verloren kein Wort darüber, ob sich Jugendliche dem Zugriff durch CASE entzogen oder etwa keine „Verbesserungen“ ihres Verhaltens gezeigt hatten. Die CASE-Projekte zeigen deutliche Zeichen einer gouvernementalen Straflogik, die sich nicht mehr auf Forderungen nach dem Wegsperren von Straftäter_innen reduzieren ließ, sondern diese durch die Simulation einer „freien“ Gesellschaft hinter Gittern zu rehabilitieren suchte. Aber auch hier war unbestritten, dass der Strafvollzug über seine therapeutisch-liberalen Aufgaben hinausgehen und als Ort der Verwahrung von Straftäter_innen fungieren sollte. An dieser Schnittstelle von Inklusion und Exklusion zeigte sich, dass die Grenzen des Rehabilitationsdispositives verschoben wurden: Während die CASE-Projekte auch diejenigen Jugendlichen inkludierten, die als nicht oder kaum rehabilitierbar galten, und so von umfassenderen Rehabilitationsmöglichkeiten ausgingen, wurden gleichzeitig diejenigen unsichtbar gemacht, die sich nicht in dieses Narrativ einordnen ließen. Denn dies konnte nun nicht mehr mit therapeutischdemokratischen Argumenten erklärt werden. Was mit den Jugendlichen geschah, die das neue, offenbar kaum mehr explizierbare Außen der Rehabilitationslogik bildeten, ist eine Frage, der in zukünftigen Arbeiten weiter nachgegangen werden sollte. An dieser Stelle lässt sich lediglich am Beispiel von CASE spekulieren, dass sich die nicht erfolgte Rehabilitation durch solche Programme stärker als zuvor als Merkmal individuellen Versagens lesen ließ. 402 Cohen u. a.: „Contingencies Applicable to Special Education of Delinquents“, S. 212. <?page no="101"?> 100 5 Fazit Das Jugendstrafsystem war also von einem zentralen Spannungsverhältnis geprägt. Zum einen folgte es dem Anspruch, Jugendliche vor sich selbst und einem problematischen Umfeld zu beschützen und ihnen die vermeintlich notwendige Behandlung zukommen zu lassen. Zum anderen war es seine Aufgabe, die Gesellschaft vor „gefährlichen“ jugendlichen Täter_innen zu schützen und die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. In den Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg trat diese Spannung besonders deutlich hervor. Die Analyse der Aushandlungen von Jugendgerichten, Polizei und Jugendstrafanstalten hat gleichwohl gezeigt, dass die ihnen zugewiesenen Aufgaben vom Schutz der Jugendlichen und der Gesellschaft keinen Gegensatz darstellen mussten. Erstens beinhaltete das Rehabilitationsdispositiv gerade das Versprechen, jugendliche Delinquent_innen (wieder) in die Gesellschaft zu integrieren und damit auch deren mutmaßliches Gefahrenpotenzial zu reduzieren. Dieses Narrativ stellte auch dem eingangs zitierten Lawrence Janiec einen Deutungsrahmen bereit. In seinem Schreiben an das Senate Subcommittee betonte er zwar, er sei nicht frei von Schuld. Indem sich Janiec aber in die Kritik an den therapeutischen und demokratischen Mängeln des Jugendstrafsystems einschrieb, konnte er sich als gleichsam schuldlos präsentieren. Er argumentierte, der punitive Umgang mit ihm habe seine psychische Notlage nicht gebessert, sondern Rebellion und Bitterkeit gefördert. „The real problem in criminal law isn’t the criminal at all“, beschloss Janiec seinen Brief: „Its [sic] the citizenry - the good people - who sway between sentimentalism and savagery.“ 403 Der Rehabilitationsdiskurs in der Delinquency Scare ermöglichte es ihm, trotz seines Status als Gefängnisinsasse eine intelligible Sprechposition einzunehmen. Der Fokus auf Rehabilitation bildete zudem den Rahmen für neue Strafpraktiken in Training Schools, die von einer sowohl disziplinarischen als auch gouvernementalen Logik geprägt waren. Zweitens hat sich die Unterscheidung von harmloser und schwerer Delinquenz bzw. Kriminalität als diskursives Mittel erwiesen, um sowohl therapeutische als auch punitive Praktiken zu legitimieren. Sie schuf den diskursiven Raum für Reformen des Jugendstrafsystems und ermöglichte es Jugendgerichten und der Polizei, Delinquent_innen entlang der Konstruktion von Risikogruppen unterschiedlich zu behandeln. So zeichnete sich in den Nachkriegsdekaden die Tendenz ab, Jugendliche, denen ein weniger schweres Delikt und ein gutes Rehabilitationspotenzial zugeschrieben wurde, aus dem Verantwortungsbereich von Jugendgerichten und Jugendstrafanstalten herauszuschreiben. Aber die Befähigung prinzipiell „harmloser“ Jugendlicher, sich selbst von der Delinquenz zu befreien, verlangte die Konstruktion einer Gruppe von Jugendlichen, die als 403 Janiec an Langer, S. 2f. <?page no="102"?> 101 nicht oder nur schwer rehabilitationsfähig galten und daher vor Jugendgerichte gebracht und in Gewahrsam genommen werden sollten. Obschon in diesen Differenzierungen selten explizit auf „Rasse“, Klasse und Geschlecht verwiesen wurde, waren sie in hohem Maße durch solche Kategorien reguliert. Die überproportional hohe Quote an nicht-weißen und weiblichen Jugendlichen in Strafanstalten legt nahe, dass vor allem für diese Gruppen eine Inhaftierung für notwendig befunden wurde, weil sie entweder als besondere Gefahr galten oder man ihnen einen besonderen Bedarf an intensiver therapeutischer Behandlung bescheinigte. Dass sich die Jugendgerichte gegen Ende der Delinquency Scare aus einem Bereich jugendlicher Delinquenz herausziehen konnten, lag für den Jugendhistoriker Anthony Platt darin begründet, dass sich in der Nachkriegszeit „informellere“ Systeme sozialer Kontrolle herausgebildet hatten. 404 Aus einer kulturgeschichtlichen Perspektive, die weniger den Aspekt der Kontrolle, als vielmehr eine weitgehend konsensual funktionierende Ordnung und die Rolle von Subjektivierungswissen hervorhebt, wird im folgenden Kapitel nach der Produktivität der Delinquency Scare im Bereich Sozialer Arbeit gefragt. 404 Platt: „Saving and Controlling Delinquent Youth“, S. 460. <?page no="104"?> 103 III Gangs, Street Workers, Sozialreform: Delinquenz und die Ambivalenzen Sozialer Arbeit „The Job Must Be Done - in a hostile and suspicious atmosphere… WHERE … the gang fills the need for ‘belonging’ and the security that home gives most of us.“ 405 Mit diesen Worten warb das Wharton Centre [sic], ein Settlement House in Philadelphia, für ein neues Programm zur Arbeit mit jugendlichen Gangs - die Operation Street Corner. Ein Beiratsmitglied der Einrichtung, Robert Rosenbaum, berichtete dem Senate Subcommittee 1954, nach sechs Jahren Forschung über den Charakter und die Aktivitäten von Gangs habe man 1950 mit einer neuen Methode zur Intervention in Straßengangs begonnen: Mitarbeiter des Wharton Centre sollten die Jugendlichen auf der Straße aufsuchen, ihr Vertrauen gewinnen und daran arbeiten, die Gangaktivitäten in „konstruktive“ Bahnen zu lenken. 406 Aus als schädlich und gefährlich empfundenen Gangs sollten demokratische „Clubs“ werden, die der Community auf vielerlei Arten dienten. Die Broschüre zur Operation Street Corner dockte an Vorstellungen über Jugendgangs an, die im Laufe der 1950er Jahre immer größeren Handlungsbedarf nahelegten. Mit der zunehmenden Sorge vor steigenden Raten jugendlicher Delinquenz dachten Expert_innen über neue sozialarbeiterische Strategien zur Bekämpfung von Delinquenz nach. Der Operation Street Corner ähnliche Projekte entstanden in den 1950er und frühen 1960er Jahren vielerorts; vor allem eine Reihe von Maßnahmen in New York City erlangte überregionale Aufmerksamkeit. 407 405 Wharton Centre: Operation Street Corner. Philadelphia: Wharton Centre, o. J. (vermutlich zwischen 1950 und 1954), in: Records of the Senate Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency, Box 66 (Großbuchstaben i. O.). 406 U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency (Philadelphia, Pa.). Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 83rd Cong., 2nd Sess., 14./ 15. April 1954. Washington, DC: Government Printing Office, 1954, S. 49. Zum Wharton Centre Elisabeth Lasch-Quinn: Black Neighbors. Race and the Limits of Reform in the American Settlement House Movement, 1890-1945. Chapel Hill/ London: Univ. of North Carolina Press, 1993, S. 32-39. Zur Operation Street Corner V. P. Franklin: „Operation Street Corner: The Wharton Centre and the Juvenile Gang Problem in Philadelphia, 1945-1958“, in: Michael B. Katz/ Thomas J. Sugrue (Hg.): W.E.B. DuBois, Race, and the City. The Philadelphia Negro and its Legacy. Philadelphia: Univ. of Pennsylvania Press, 1998, S. 195-215. 407 Vgl. U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency. Antisocial Juvenile Gangs in New York City. Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 86th Cong., 1st Sess., 23./ 24. September 1959. Washington, DC: Government Printing Office, 1959; U.S. Congress, Senate, Committee on Labor and Public Welfare: Extend the Juvenile Delinquency and Youth Offenses Control Act of 1961. Hearings before the Subcommittee on Employment and Manpower of the Committee on Labor and Public Welfare, 89th Cong., 1st Sess., 8./ 9. April 1965. Washington, DC: <?page no="105"?> 104 Ausgehend von einigen dieser lokalen Praktiken untersuche ich in diesem Kapitel Aushandlungen jugendlicher Delinquenz im Feld der Sozialen Arbeit. Welche Konzeptionen und Erklärungen jugendlicher Delinquenz entstanden in diesem Zusammenhang? Welche Effekte hatten die neu entstehenden Programme auf Vorstellungen von Jugenddelinquenz, die beteiligten Sozialarbeiter_innen und die soziale Ordnung der US-amerikanischen Gesellschaft? Um mich diesen Fragen zu nähern, verknüpfe ich im Folgenden drei Aspekte, die mir besonders aufschlussreich für eine Untersuchung des produktiven Signifikanten juvenile delinquency im Feld der Sozialen Arbeit erscheinen. Im ersten Unterkapitel steht die ambivalente Art und Weise im Vordergrund, in der jugendliche Gangs konturiert wurden. Obwohl diese gerade in den 1950er Jahren eine der paradigmatischen Verkörperungen von Jugenddelinquenz bildeten, galten spezifische Formen jugendlicher Gangs als natürliches und sogar sozialisatorisch notwendiges Verhalten Jugendlicher. Zusammen mit der auch von der Operation Street Corner praktizierten Gang-Sozialarbeit entstand überdies ein neuer Entwurf des Street Worker, der im zweiten Abschnitt untersucht wird. Den Schwerpunkt dieses Kapitels bildet der dritte Teil, in dem das New Yorker Projekt Mobilization for Youth (MFY) im Zentrum steht. Hier untersuche ich MFY als bedeutendes Beispiel für den Charakter neuer sozialarbeiterischer Zugriffe auf jugendliche Delinquenz. Außerdem wird deutlich werden, wie das Problem zu einer wichtigen Begründung sozialstaatlicher Bemühungen werden und in diesem Rahmen widersprüchliche Effekte erzeugen konnte. 1 Von Gangs und Clubs: Die Polyvalenz der Gang „[The fighting anti-social adolescent gang] is one of the principle social problems of our day. […] [T]he evil of its existence and the spread of its standards attract deep alarm“, verkündete der Journalist Harrison Salisbury 1958. Er bezeichnete jugendliche Gangs als „pitiful, tragic, and dangerous“ und als Symptom einer „shook-up generation“. 408 Bereits 1953 war mit Teen-Age Gangs eine Studie erschienen, die die Dramatik des Problems verdeutlicht hatte: „New York’s teen-age gangs (not mere street clubs) number in the hundreds. Their violent battles cause severe injuries and deaths.“ 409 Im Appendix versammelte das Autorenduo Dale Kramer und Madeline Karr eine Reihe von Zeitungsartikeln, die von der Gewalt von „teen-age terrorists“ und „trigger-happy hoodlums“ Government Printing Office, 1965. 408 Harrison E. Salisbury: „Gangs That Plague the City Take Toll in Talents“, in: New York Times, 24. März 1958, S. 1, 17, hier S. 17; ders.: The Shook-Up Generation. New York: Harper and Brothers, 1958. Zum Folgenden Mackert: „Juvenile Delinquency, Interdependent Masculinity and the Government of Families“. 409 Dale Kramer/ Madeline Karr: Teen-Age Gangs. New York: Henry Holt 1953, S. v, 208. <?page no="106"?> 105 berichteten. 410 Im Laufe der 1950er Jahre nahm das Gangproblem auch in den Anhörungen des Senate Subcommittee einen zunehmend großen Raum ein. 411 Vor allem in den großen Städten der USA, so die Diagnose, zögen jugendliche Zusammenrottungen marodierend durch enge Straßen, lieferten sich Kämpfe mit rivalisierenden Gangs und bedrohten unschuldige Passant_innen. Jugendgangs wurden als Gefahr für die öffentliche Ordnung und als paradigmatische Form jugendlicher Delinquenz aufgebaut. Unzählige soziologische, psychologische und kriminologische Publikationen suchten in diesem Zeitraum nach Erklärungen für das Gangphänomen. 412 Gleichzeitig ließ sich in Erziehungsratgebern und populären Magazinen beobachten, dass die Formierung von Gangs als adoleszentes Verhalten konzipiert wurde, das ganz normal und sogar zu begrüßen sei. So forderte der National Parent-Teacher eine besorgte Mutter im Oktober 1956 dazu auf, die Gang ihres Sohnes nicht abzulehnen, da Gangs unabdingbare sozialisatorische Funktionen hätten und die Identitätsbildung von Jugendlichen befördern würden 413 Und auch Rosenbaum und David Bernstein vom Wharton Centre betonten in ihrem Statement vor dem Subcommittee, dass Gangs „natürlich“ und kein neues Phänomen seien: „Even during that golden age prior to two World Wars, children became members of gangs and sought outlets for their pent-up energies.“ 414 Eingedenk dieser Erklärung stellt sich die Frage nach den Distinktionsmerkmalen von guten und schlechten Gangs, denn: Die positive Bewertung der identitätsfördernden Gang galt offensichtlich nicht für die „teen-age terrorists“. Und für den Umgang mit Gangs war es freilich entscheidend, ob sie als gefährliche 410 N.Y. World Telegram & Sun, 19. und 20. August 1952, zit. nach ebd., S. 195f. Kramer war als Journalist und Buchautor tätig, Madeline Karr war Sozialarbeiterin in New York (Edward C. Herr: „Review of Teen-Age Gangs, by Dale Kramer and Madeline Karr“, in: Books on Trial 11-12 [1952], S. 168). 411 Z. B. U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency. Community Programs in Chicago and the Effectiveness of the Juvenile Court System. Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 86th Cong., 1st Sess., 28./ 29. Mai 1959. Washington, DC: Government Printing Office, 1959; Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Antisocial Juvenile Gangs in New York City; U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency. Role of the Federal Government in Combating the Juvenile Delinquency Problem. Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 87th Cong., 1st Sess., 9./ 10. März 1961. Washington, DC: Government Printing Office, 1961. 412 Z. B. Cohen: Delinquent Boys; Richard Cloward/ Lloyd Ohlin: Delinquency and Opportunity. A Theory of Delinquent Gangs. Glencoe: Free Press, 1960; Howard L. Myerhoff/ Barbara G. Myerhoff: „Field Observation of Middle Class ‘Gangs’“, in: Social Forces 42/ 3 (1964), S. 328- 336. 413 Ralph H. Ojemann: „N.P.T. Quiz: A Family Counseling Service“, in: National Parent-Teacher 51/ 2 (1956), S. 15. 414 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Philadelphia, Pa.), S. 48. <?page no="107"?> 106 Zusammenrottungen inszeniert und verhaftet oder als vorstädtische Jugendgruppen mit Keksen und Softdrinks versorgt wurden. Kramer und Karr fanden diesen Unterschied in der Differenzierung von „social“ und „anti-social“ Gangs und „Straßenclubs“ bzw. „Straßengangs“. 415 Und auch der Erziehungspsychologe Walter Daniel stellte klar: „Although both types of boys are likely to form gangs, the delinquent-prone boy is likely to be a member of an anti-social gang.“ 416 „Gang“ erweist sich als polyvalenter Signifikant. Die folgende Analyse diskursiver Arrangements rund um jugendliche Gangs verdeutlicht Unterschiede in den Äquivalenzketten, die regulierten, ob eine Gang eher als delinquent oder als nützlich für die jugendliche Sozialisation betrachtet wurde. Obgleich sich einige Historiker_innen dem Phänomen jugendlicher Gangs in der Nachkriegszeit zugewandt haben, hat bisher keine_r diese Unterscheidung aufgegriffen und eingehender untersucht. 417 Narrative delinquenter Gangs Wichtig für die unterschiedliche Bewertung von Gangs war die Deutung ihres Entstehungsgrundes. In der Broschüre zur Operation Street Corner hieß es etwa: „The street corner group is a natural outgrowth of years of childhood association in an overcrowded area [...].The [...] horizons [of children] are limited by the street corner which eventually become their headquarters [sic] even after they are old enough to venture across thoroughfares.“ 418 Der Verweis auf die Beschaffenheit des Raumes ist hier besonders deutlich: Delinquente Gangs wurden als innerstädtische Phänomene konzipiert und ihre Entstehung zunehmend mit Armut verbunden. Das Wharton Centre skizziert den Einsatzort der Sozialarbeiter als Raum, „where children are born and bred in ugly houses along trash strewn streets. [Where] 35 renters may occupy a house with facilities for one average family. [Where] switch-blade knives are worn as casual as wrist watches“. 419 Dadurch wurden nicht nur Gangs als bedrohlich, sondern auch die Innenstadt als gefährlicher Raum hervorgebracht. Nach Kramer und Karr stand ohne Zweifel fest, dass die gewalttätigsten Gangs den „überbevölkerten, benachteiligten“ Gegenden entstammten. 420 Die Verknüp- 415 Kramer/ Karr: Teen-Age Gangs, S. 211. 416 Walter G. Daniel: „The Role of Youth Character-Building Organizations in Juvenile Delinquency Prevention“, in: The Journal of Negro Education 28/ 3 (1959), S. 310-317, hier S. 316. 417 Vgl. Graebner: Coming of Age in Buffalo; Schneider: Youth Gangs in Postwar New York; Robert W. Snyder: „A Useless and Terrible Death: The Michael Farmer Case, ‘Hidden Violence,’ and New York City in the Fifties“, in: Journal of Urban History 36/ 2 (2010), S. 226-250. 418 Wharton Centre: Operation Street Corner. 419 Ebd. 420 Kramer/ Karr: Teen-Age Gangs, S. 209. <?page no="108"?> 107 fung von jugendlicher Bandenbildung und Armut in urbanen Zentren begründete man mit Rückgriff auf eine in den 1920er Jahren entstandene Theorie sozialer „Desorganisation“. Der Chicagoer Soziologe Henry McKay stellte 1959 vor dem Senate Subcommittee fest: „[W]hen the rate of change is high, as in the modern American city, delinquency and other nonconforming behavior appear in such volume as to be highly destructive.“ Gesellschaftlicher Wandel wie Urbanisierung, Industrialisierung und Migration, so argumentierte McKay, beraube wichtige Sozialisationsinstanzen wie die Familie oder Schule der Fähigkeit, ihre Funktionen adäquat zu erfüllen. Die Lücke, die dadurch entstehe, würde von Gangs geschlossen werden. 421 Die zunehmende Verbreitung dieser unter dem Namen Social Disorganization Theory bekannt gewordenen Erklärung jugendlicher Gangbildung markierte den Beginn einer Verschiebung in den Delinquenzdebatten der Jahrhundertmitte. Zwar hatten bereits die Gangtheorien der 1920er Jahre soziale Faktoren in der Hervorbringung jugendlicher Delinquenz betont, in den stark psychologisierten Diskussionen der frühen 1950er Jahre waren diese allerdings in den Hintergrund geraten. 422 Nun änderte sich dies und der zunehmende Fokus auf soziale Bedingungen in der Analyse jugendlicher Gangs zeigte sich noch deutlicher in der Opportunity Theory der Kriminalsoziologen Richard Cloward und Lloyd Ohlin, die um 1960 zur theoretischen Grundlage groß angelegter Anti- Delinquenz-Programme wurde. 423 Cloward und Ohlin argumentierten, dass sich delinquente Gangs aus einer Kluft entwickelten, die zwischen gesellschaftlich propagierten Zielen und der Unmöglichkeit von Jugendlichen entstünde, diese Ziele tatsächlich zu realisieren. 424 Gangs wurden daher zeitgenössisch auch als Phänomen begriffen, das in städtischen, afroamerikanischen oder puertorikani- 421 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Community Programs in Chicago, S. 165. McKay hatte in den 1930er Jahren zusammen mit Clifford Shaw die Grundlagen für das Chicago Area Project erarbeitet, das in den 1950ern und frühen 1960er Jahren zunehmend zum Vorbild sozialarbeiterischer Interventionen wurde (Noel Cazenave: „Chicago Influences on the War on Poverty“, in: Martin V. Melosi [Hg]: Urban Public Policy. Historical Modes and Methods. University Park: Pennsylvania State Univ. Press, 2004 [1993], S. 52-68). Zum Chicago Area Project Steven L. Schlossman/ Michael W. Sedlak: The Chicago Area Project Revisited. Santa Monica: Rand, 1983; Tanenhaus: Juvenile Justice in the Making, S. 138-150. 422 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 252f. Zum „environmentalism“ der 1920er Jahre Paul S. Boyer: Urban Masses and Moral Order in America, 1820-1920. Cambridge: Harvard Univ. Press, 1992 [1978], v. a. Pt. 4. Vgl. zu Gangtheorien der Zeit Thrasher: The Gang. 423 Dazu Kap. III.3. 424 Cloward/ Ohlin: Delinquency and Opportunity. Zur Opportunity Theory Allen J. Matusow: Unraveling of America. A History of Liberalism in the 1960s. Athens, 2009 [1984], S. 119-115; Alice O’Connor: Poverty Knowledge. Social Science, Social Policy, and the Poor in Twentieth- Century U.S. History. Princeton: Princeton Univ. Press, 2001, S. 124-136; Noel Cazenave: Impossible Democracy. The Unlikely Success of the War on Poverty Community Action Programs. Albany: State Univ. of New York Press, 2007, S. 37-41. <?page no="109"?> 108 schen Gettos am stärksten aufträte. 425 Damit betrachtete die Opportunity Theory jugendliche Gangbildung stärker als zuvor als Resultat sozialer Ungleichheit. 426 Gleichzeitig war diese sozialreformerische Analyse aber eng mit psychobiologischem Wissen verknüpft und beruhte auf der Annahme einer distinkten Reaktion Jugendlicher auf fehlenden Möglichkeiten: „[I]n the full spirit of his youth [the child] will not accept it as his lot in life. He does what he can to make his resentment felt.“ 427 Vorstellungen jugendlicher Veranlagung verbanden sich also mit der Diagnose eingeschränkter gesellschaftlicher Beweglichkeit. Diese Annahme rief zu einer Intervention auf, die nicht an den sozialen Bedingungen, sondern an jugendlichen Köpfen ansetzen sollte: „Our American sociologists and group workers“, versicherte etwa der Kriminologe Reckless dem Subcommittee, „know how to develop [projects] which can effectively reorganize and restructure the value system of boys who have been processed by the delinquent subculture“. 428 Damit wurden zwar soziopolitische Faktoren auf den ersten Blick expliziter benannt, der Fokus lag aber auf der Reformierung Jugendlicher, nicht der Gesellschaft. Im Zentrum der Verhandlungen von Gangs standen dabei vor allem männliche Jugendliche. McKay betonte, dass vor allem junge Männer von gesellschaftlichen Veränderungen betroffen und gefährdet seien: „Deprived of a chance to be important in the family [...] and without any approved way of establishing his importance in the larger community, the adolescent male is without any significant role or without any device to prove that he is a man. The restlessness arising from this role deficiency [...] sets the stage for the delinquency problem as it is observed in the modern city.“ 429 Diese in hohem Maße vergeschlechtlichte Erklärung dominierte die zeitgenössischen Begründungen jugendlicher Gangbildung. Auch Bernstein und Rosenbaum etwa verknüpften in ihrem Statement vor dem Subcommittee Annahmen zu adoleszenter Entwicklung, Klasse und Stadt und betonten, Gangs gäben Jungen eine wichtige Bestätigung ihrer Männlichkeit. 430 Der Gang-Historiker Eric Schneider hat dieses Narrativ aufgegriffen und erzählt seine Geschichte von New Yorker Nachkriegsgangs als Geschichte der Aneignung und Demonstration 425 Vgl. z. B. die Stellungnahme der Sozialarbeiterin Helen Harris, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Antisocial Juvenile Gangs in New York City, S. 560. 426 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 252. 427 Kramer/ Karr: Teen-Age Gangs, S. 209. 428 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 222. 429 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Community Programs in Chicago, S. 165. 430 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Philadelphia, Pa.), S. 55. <?page no="110"?> 109 von Männlichkeit. 431 Problematisch an dieser Argumentation ist zum einen, dass sie kaum kritischen Abstand zu zeitgenössischen Diskursen erlaubt und es nicht zulässt, Männlichkeit als kontingente und interdependente historische Kategorie zu untersuchen. Zum anderen versperrt dieser Fokus den Blick auf weibliche Jugendliche, die in den Quellen überdies kaum dezidiert auftauchen. 432 Die Studie von Kramer und Karr ist ein seltenes Beispiel für die explizite Bezugnahme auf weibliche Gangs. Im Kapitel „The Gang Boy’s Attitude (Plus That of the Gang Girl)“ wird deutlich, dass Gangs weiblicher Jugendlicher als abhängige, nachgeordnete Gruppen begriffen wurden: „In the gang scheme the girls therefore play an inferior role. They are organized into gang auxiliaries, if the boys permit it.“ 433 Über die knappe Darstellung weiblicher Gangs wurden geschlechtsspezifische Unterschiede eingeführt, die für die Differenzierung von guten und schlechten Gangs von Bedeutung waren. Mädchengangs würden zwar auch ab und zu gegeneinander kämpfen, konstatierten Kramer und Karr, dabei aber nicht die „offene Gesetzlosigkeit“ von Jungengangs an den Tag legen. Zudem hätten sie weniger Freude an sinnlosen Sachbeschädigungen und bräuchten die Gang auch nicht, um sich zu beweisen: „It is up to the boys to steal cars for joyriding, and the status of the girl is not increased by a reputation for wild if ungallant fighting in a rumble.“ Analog dazu sei die Struktur dieser „gang auxiliaries“ wesentlich lockerer und weniger von der starken Gruppenloyalität geprägt, die Gangs männlicher Jugendlicher aufweisen würden. Männlichkeit wird hier mit einem starken Zusammenhalt verknüpft, der Gangs weiblicher Jugendlicher abgesprochen wurde. Gruppen von Mädchen galten, wie hier deutlich wird, weniger als Gang und eher als Club. Kramer und Karr betonten zudem, Eltern könnten weibliche Jugendliche leichter dazu bringen, früher nach Hause zu kommen, und verorteten diese Gruppen eher in „candy stores“ als auf der Straße. 434 Mädchenclubs wurden über diese normalisierende Bewegung eher in die häusliche, nach innen gerichtete Sphäre der Community verlagert. Gruppen männlicher Jugendlicher wurden dagegen Straßen, Straßenecken, öffentliche Plätze und, damit verbunden, gesellschaftliche Gefährdung zugeordnet. Dieses Konzept ging offenbar nicht immer auf, denn bisweilen wurden die weiblichen „gang auxiliaries“ doch im öffentlichen Raum verortet. Kramer und Karr berichteten beispielsweise, dass männliche Gangs häufig ihre Waffen von den Mädchen tragen ließen, weil jene nur von den wenigen weiblichen Polizis- 431 Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, S. 106-136. 432 Dazu Ramona Caponegro: „Where the ‘Bad’ Girls Are (Contained): Representations of the 1950s Female Juvenile Delinquent in Children’s Literature and Ladies’ Home Journal“, in: Children’s Literature Association Quarterly 34/ 4 (2009), S. 312-329. 433 Kramer/ Karr: Teen-Age Gangs, S. 216f. Vgl. auch das Statement von Carter in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 128. 434 Kramer/ Karr: Teen-Age Gangs, S. 216. <?page no="111"?> 110 tinnen durchsucht werden durften. Das Autorenduo charakterisierte die Bereitschaft der Mädchen, diese Waffen zu verstecken, aber nicht als deren aktive Entscheidung. Eher stellten sie sie als Resultat emotionaler Abhängigkeit dar, die daraus entstand, dass die Existenz der Mädchengang von der Erlaubnis der Jungen abhing. 435 Das möglicherweise befürchtete Überschreiten von Geschlechternormen durch weibliche Gangaktivität wurde überdies als sexuelle Ausbeutung charakterisiert: „Speaking generally, the girl is interested in a particular boy, while a boy is interested chiefly in sex“, schrieben Kramer und Karr. Mädchen müssten sich ihren Status in der Gang mit sexuellen Aktivitäten erringen und hätten nicht selten mit mehreren Jungen hintereinander oder sogar gleichzeitig Sex. Hier wurden erneut die Jungen als treibende Kraft gesehen - denn Mädchen konnten sich in der Darstellung von Kramer und Karr nur widerwillig und gezwungenermaßen auf solche Praktiken einlassen. Ein Augenmerk der Arbeit mit männlichen Gangs lag vor diesem Hintergrund auf deren Monogamisierung: „Social workers consider they have made a great stride when they can get a boy to attach himself to a girl“, erklärten Kramer und Karr. 436 Die Arbeit mit weiblichen Gangs, die etwa in New York City 1959 aufgenommen wurde, war dagegen darauf ausgerichtet, die weiblichen „Nebengangs“ aus der Abhängigkeit von den Jungen zu lösen. 437 Neben Raum, Klasse und Geschlecht wurde in den Darstellungen „gefährlicher“ Gangs noch eine weitere wichtige Kategorisierung aufgerufen, wenn auch nicht immer explizit: Die innerstädtische, jugendliche Gang war spätestens seit den Zoot Suit Riots von 1943 zutiefst rassialisiert. 438 Statistiken suggerierten eine alarmierende Zunahme jugendlicher Delinquenz hauptsächlich von African Americans, Mexican Americans und Puerto Ricans, die stark mit der Problematik jugendlicher Stadtgangs verbunden wurde. 439 Dabei spielten zeitgenössische 435 Kramer/ Karr: Teen-Age Gangs, S. 217f. 436 Ebd. 437 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 154f. 438 Mit dem Begriff Zoot Suit Riots werden eine Reihe gewalttätiger Übergriffe weißer Marines auf Mexican Americans und African Americans benannt, die im Juni 1943 hauptsächlich in Los Angeles und New York stattfanden. Zoot Suits, speziell geschnittene Anzüge, die hauptsächlich von jungen Mexican und African Americans getragen wurden, waren symbolisch stark aufgeladen und standen unter anderem als Chiffre für Kriminalität, aber auch für „Rasse“. So war es möglich, den Konflikt als Frage kriegsbedingter jugendlicher Delinquenz zu verhandeln und nicht die Übergriffe der Marines, sondern die vermeintliche Kriminalität der Zoot Suiters in den Vordergrund zu stellen und zu rassialisieren (dazu Escobar: Race, Police, and the Making of a Political Identity; Douglas Henry Daniels: „Los Angeles Zoot: Race ‘Riot’, the Pachuco, and Black Music Culture“, in: The Journal of African American History 87/ 1 [2002], S. 98-118; Catherine S. Ramírez: The Woman in the Zoot Suit. Gender, Nationalism, and the Cultural Politics of Memory. Durham/ London: Duke Univ. Press, 2009; Philipp Dorestal: Style Politics. Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 1943- 1975. Bielefeld: transcript, 2012, S. 79-115). 439 William Sebastian Bush: Representing the Juvenile Delinquent. Reform, Social Science, and <?page no="112"?> 111 Vorstellungen von sozial benachteiligten, desorganisierten Stadträumen eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Konstitution der Angstfigur nicht-weißer Gangs. Mit anderen Worten: Nicht allein Rassismus trug zu dem überproportionalen Fokus auf nicht-weiße Jugendliche bei. Vielmehr verschmolzen Annahmen zu „Rasse“ und Klasse, Geschlecht und Raum zu der Vorstellung, Gangs seien ein Symptom des „sozialen Dynamits“, das sich in den Gettos der Städte bilde. 440 Dieses Problem wurde unter anderem durch die Konstruktion familiärer Mängel mitten in den Communities verortet. Mit dem mutmaßlichen Niedergang von Familien hatte die Social Disorganization Theory ein Erklärungsmuster für Delinquenz aufgegriffen, das bereits tradiert war. Als defizitär betrachtete familiäre Verhältnisse, die adoleszente Jungen auf die Straße und in die Gangs trieben, galten auch in den 1950er Jahren als entscheidender Faktor in der Erklärung jugendlicher Gangbildung. 441 Die Operation Street Corner beispielsweise bezog sich in ihrer Broschüre offenkundig auf kulturell lesbare Annahmen, wenn sie „ihre“ Zielgruppe sprechen ließ: „[B]efore operation street corner We Heard Boys Saying [sic]: My ole’ man is just no account. I’m bigger and bossier than he is, he just ain’t nothin’, just a roomer at our house.“ 442 Dabei ist bemerkenswert, dass das Wharton Centre zwar ein Projekt in einem afroamerikanisch geprägten Stadtbezirk war, prinzipiell aber ohne expliziten Bezug auf „Rasse“ über Gangs sprach. Gleichzeitig funktionierte die Figur des absent father, die in der zitierten Passage aufgerufen wurde, als Marker für afroamerikanische Familien, denen unter anderem darüber eine profunde Störung bescheinigt wurde. 443 Möglicherweise war diese Äquivalenzbeziehung Mitte der 1950er Jahre zu einem so starken Element in der Charakterisierung delinquenter Gangs geworden, dass dadurch Non-Whiteness ausgedrückt werden konnte, ohne explizit davon zu sprechen. Narrative unproblematischer Gangs Für Kramer und Karr stand fest: „[O]nly a small percentage of boys and girls […] belong to the aggressive, antisocial gangs. For each such gang there are a score or more street clubs which rarely, if ever, get into serious trouble.“ 444 Aber wie unterschieden sich die Narrative unproblematischer Gangs von denen delin- Teenage Troubles in Postwar Texas. Unveröff. Diss. University of San Antonio, Texas, 2004, S. 123. 440 Vgl. James D. Conant: Slums and Suburbs. A Commentary on Schools in Metropolitan Areas. New York: McGraw-Hill, 1961, S. 2. 441 Waltzer: Uneasy Idealism, S., 46ff.; Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, S. 118-123. 442 Wharton Centre: Operation Street Corner. 443 Dazu Kap V.2.1. 444 Kramer/ Karr: Teen-Age Gangs, S. 193. <?page no="113"?> 112 quenten Gangs? Schließlich fanden sich vor allem in der familiär begründeten Delinquenz große Ähnlichkeiten zwischen beiden Erzählungen: „Now and again the police run onto [sic] a gang of youths from families in the upper-income brackets. But here again there is found either broken homes or neglect of the child through the parents’ selfish preoccupation with their own existence.“ 445 Als „kaputt“ geltende Familienverhältnisse konnten offenkundig auch Mittelklasse- Kids gefährlich werden. Zu Beginn der 1950er Jahre war die Unterscheidung von guten und schlechten Gangs noch undeutlicher als am Ende der Dekade, denn gerade auch den „social clubs“ wurde ein natürliches Gruppenverhalten und die Förderung der Entwicklung von Männlichkeit zugeschrieben. 446 Dennoch wird bereits zu diesem Zeitpunkt bei aller Ähnlichkeit deutlich, dass ihnen ein wesentlich geringeres Gefährdungspotenzial bescheinigt wurde. Soziolog_innen und Psycholog_innen sollten im weiteren Verlauf der 1950er Jahre noch stärker an der Ausdifferenzierung unterschiedlich problematischer Jugendgangs arbeiten und die kulturelle Angst vor dem delinquenten Gangjungen aus „gutem Hause“ einhegen. Im Folgenden wird gezeigt, welche Äquivalenzbeziehungen in der Konstruktion harmloser Gangs am Werke waren und dazu führten, dass diese als nicht oder kaum gefährlich konzipiert wurden. Der Kriminologe Albert Cohen unterschied 1955 in seiner Studie zu männlichen Jugendgangs distinkte Gründe für delinquentes Verhalten von Jugendlichen der Arbeiter- und Mittelklasse. Auch er begründete die Formation von Gangs in großstädtischen Gettos mit der Frustration, die aus dem niedrigen sozialen Status der Jugendlichen erwüchse. Die Delinquenz von Jungen der Mittelklasse dagegen verband er mit der Suche nach einer starken männlichen Identität. Da die Väter dieser Jungen den ganzen Tag am Arbeitsplatz verbrächten, habe das Kind kein adäquates männliches Rollenmodell. 447 Die Abwesenheit des Vaters war hier deutlich anders konzipiert als in Vorstellungen „dysfunktionaler“ Familien: Der Vater galt nicht als arbeitslos und physisch abwesend, sondern als domestizierter Vorstädter, der seinem Sohn kein gutes role model sei. 448 Zu den typischen Vergehen, die dieser Konzeption von Delinquenz zugeordnet wurden, gehörten Autodiebstähle und Autorennen. Sie galten als Delikte, die hauptsächlich von älteren weißen Jungen ausgeübt wurden, die aus „gutem Hause“ kamen und in funktionierende „peer groups“ eingebettet waren. Das Soziologenpaar Howard und Barbara Myerhoff zum Beispiel beobachteten, dass sich ein großer Teil der Unterhaltungen der von ihnen beforschten Mittel- 445 Kramer/ Karr: Teen-Age Gangs, S. 210. 446 Vgl. Ojemann: „N.P.T. Quiz“ (wie Anm. 413); Margaret Albrecht: „Why A Boy or Girl Needs A Gang“, in: Parents’ Magazine 32/ 6 (1957), S. 36, 87-90. 447 Cohen: Delinquent Boys, S. 164-166. Vgl. Talcott Parsons: „Certain Primary Sources and Patterns of Aggression in the Social Structure of the Western World“ (1947), in: ders.: Essays in Sociological Theory. Überarb. Auflage. Glencoe: The Free Press, 1954 [1949], S. 298-322. 448 Dazu auch Kap. V.2.1. <?page no="114"?> 113 klasse-Gangs um das Auto drehte. 449 Autorennen wurden als Symbol des Ausbruchs männlicher Mittelklasse-Kids aus engen gesellschaftlichen - und familiären - Verhältnissen konzipiert: „In the simplest cases joy-riding is of the common ‘proving’ type, in which an overprotected lad from a ‘good’ home commits an offense to prove his masculinity. The daring act represents a bid for independence, and the car provides a feeling of power in which he feels so lacking...“ 450 Diese Erklärung, deren komplexer Bezugsrahmen Elemente von Diskursen zu Identitätsentwicklung und Konformismus beinhaltet, macht deutlich: Die Erprobung von Männlichkeit in Mittelklasse-Gangs ließ sich in engem Zusammenhang mit adoleszenter Entwicklung lesen. Unter anderem darüber konnten diese von anderen Gangs unterschieden werden. Es ging weniger um eine gewaltvoll aufgeladene Aneignung von Männlichkeit als um einen vergleichsweise harmlosen Prozess der Rollenfindung. Jugendliche Gangbildung wurde überdies als anthropologische Konstante, als natürliches Streben junger Menschen begriffen. „Like all other children before him (you, too, but you’ve forgotten)“, schrieb das Parents’ Magazine 1957, „[your child] is acting on the urge to spread out in his relationships with people, to be part of a world beyond his own front door“. 451 Dabei funktionierte zwar wie bei delinquenten Gangs auch eine räumliche Begrenzung - die Haustür - als Begründung für die Gang-Aktivitäten. „Peer groups“ trugen hier aber gerade das Versprechen, diese räumliche Grenze zu überschreiten und waren mit Vorstellungen von Freiheit und gesellschaftlicher Beweglichkeit verknüpft. Allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: Die in diesem Kontext ebenfalls eher seltenen Darstellungen von Mädchen-Gangs verknüpften diese nicht primär mit außerhäuslichen Aktivitäten. Das Parents’ Magazine etwa beschränkte das Versprechen des Zugangs zu einer „Welt jenseits der Haustür“ in seinen Ausführungen auf männliche Jugendliche. Für „Clubs“ weiblicher Jugendlicher hielt die Verfasserin des Artikels häusliche „weibliche Beschäftigungen“ für geeignet. So schlug der Artikel etwa als beispielhafte Clubprojekte vor, dass Mädchen gemeinsam Schmuck herstellen oder sich als Babysitterinnen verdingen könnten. 452 Galt die Formierung von Gangs schon zuvor als typisches Verhalten Jugendlicher, wurde sie im Laufe der 1950er Jahre an eine zunehmend anerkannte Idee 449 Myerhoff/ Myerhoff: „Field Observation of Middle Class ‘Gangs’“, S. 331. Vgl. William W. Wattenberg/ James Balistrieri: „Automobile Theft: A ‘Favored Group’ Delinquency“, in: American Journal of Sociology 57/ 6 (1952), S. 575-579. 450 T. C. N. Gibbons, britischer Psychiater, zit. nach: Myerhoff/ Myerhoff: „Field Observation of Middle Class ‘Gangs’“, S. 331. 451 Albrecht: „Why A Boy or Girl Needs A Gang“, S. 36. 452 Ebd., S. 88. <?page no="115"?> 114 gebunden: Adoleszenz als letzte Phase der Identitätsbildung. 453 Der Psychoanalytiker Erik Erikson formulierte in seinem 1950 erschienenen Childhood and Society eine neue Vorstellung von Identität als Selbst-Verständnis und als normatives Resultat eines Prozesses, der zu einem wichtigen Teil in der Adoleszenz stattfinden sollte. 454 Das Konzept von Identität war Teil von Eriksons einflussreichem Phasenmodell menschlicher Entwicklung, das als eine psychosoziale Variante der Rekapitulationstheorie bezeichnet werden kann. Laut Erikson entwickelte ein Individuum in der Adoleszenz die so bedeutsame psychische Unterscheidung zwischen Selbst und Anderem, die der kognitiven, bereits früher entwickelten Abgrenzung unbedingt folgen müsse. Am Übergang von Kindheit und Jugend begännen junge Menschen damit, ihr Selbstbild ins Verhältnis zu Fremdbildern zu setzen. 455 „Peer groups“ gehörten zu dieser Entwicklung notwendig dazu: „Adolescents rightly turn to their peers for standards and for acceptance. This is the time when it becomes exceedingly important for both boys and girls to conform to what they believe other young people of their age and group are doing.“ 456 Damit wurde die unabdingbare Rolle der Gang tief in der „normalen“, adoleszenten Entwicklung verankert - als eine Art Übergangsritual, an deren Ende das selbst-bewusste, reflektierte Individuum stehen sollte. Auf diese Weise entstand diskursiv eine Verbindung von Gangphase und Subjektstatus. Die Einhegung von Mittelklasse-Delinquenz durch die Arbeiten der Myerhoffs zeigt Spuren dieser Entwicklungstheorien und lieferte weitere konstitutive Differenzen zu delinquenten Gangs. So bescheinigten sie den Aktivitäten der Gangs von männlichen Jugendlichen der Mittelklasse einen anderen, wenig gefährlichen Charakter: „There is a mischievous, often amusing overtone to all these incidents; they are not the kind likely to be thought malicious or violent.[…] This behavior is not the kind which is likely to seriously alarm parents or police and has none of the grim overtones usually associated [...] with the activities of lower class gangs.“ 457 Unter anderem daraus leiteten die Myerhoffs ab, dass Mittelklasse-Gangs Wertestrukturen zeigen, die denen der Gesellschaft prinzipiell ähneln würden. Sie argumentierten, Adoleszente befänden sich aufgrund ihres besonderen Entwicklungsstadiums lediglich temporär näher an „subkulturellen“ Werten, die sie aber 453 Zur populärkulturellen Verarbeitung dieser Verknüpfung Medovoi: Rebels, v. a. Kapitel 6. 454 Erik H. Erikson: Childhood and Society. New York: Penguin, 1970 [1950]. Dazu Medovoi: Rebels, S. 3-10, der den weiß, bürgerlich und männlich kodierten Teenager als „prototype of identity“ bezeichnet (ebd., S. 4). 455 Erikson: Childhood and Society, S. 261. 456 Evelyn Millis Duval: „Community Codes by Common Consent“, in: National Parent-Teacher 49/ 4 (1954), S. 8-10, hier S. 8. 457 Myerhoff/ Myerhoff: „Field Observation of Middle Class ‘Gangs’“, S. 333. <?page no="116"?> 115 beim Älterwerden gefahrlos überwinden könnten. 458 Während bei delinquenten Gangs eine grundsätzlichere, vermeintlich bereits tradierte Opposition diagnostiziert wurde, die sie an den Rand der Gesellschaft rückte, holten Analysen von Mittelklasse-Gangs diese stärker in die gesellschaftliche Ordnung hinein. Die Akzeptanz hegemonialer Werte erschien als logisches, auf natürliche Weise erreichtes Ziel des Erwachsenwerdens. Deshalb waren die Myerhoffs optimistisch, dass diese Jugendlichen ihre „devianten Aktivitäten“ spätestens mit dem Highschool-Abschluss hinter sich lassen und ihre Zukunftspläne dadurch keinesfalls beeinträchtigen würden. Sie fanden eine entscheidende Qualität der von ihnen untersuchten Gangs in der Sozialkompetenz der Jugendlichen, die sie direkt mit deren Mittelklasse-Status verknüpften: „This difference in social ability is hardly surprising in view of the middle classes’ traditional specialization in entrepreneurial activities. […] [M]iddle class teenagers [...] demonstrate remarkable agility in the manipulation of social situations.“ Dabei sprachen sie „inadäquateren Unterklassen-Gangs“ gleichzeitig eine solche Sozialkompetenz ab. 459 Durch die unterschiedliche Konstitution dieser Äquivalenzketten von „Rasse“, Klasse, Geschlecht, Raum, Alter und Familie entstand also eine komplexe Hierarchie von Gangformationen, die als unterschiedlich delinquent oder nützlich klassifiziert wurden und die demzufolge unterschiedliche Regierungspraktiken legitimieren konnten. Während die einen Gangs eher aus dem Bereich von Delinquenz herausgeschrieben wurden, präsentierte man die anderen als zutiefst interventionsbedürftig. Im Folgenden steht eine Subjektposition im Vordergrund, die als notwendig betrachtet wurde, um das „destruktive“ Potenzial jugendlicher Gangs zu kanalisieren und jugendliche Energien für „sinnvolle“ Aktivitäten zu nutzen: der Sozialarbeiter. 2 „Being in Between“: Die Subjektivierung von Sozialarbeitern Die Soziale Arbeit mit Gangs beruhte auf der Annahme, dass auch die als delinquent eingestuften Gangs das Potenzial hätten, sich in eine „konstruktive“ Richtung zu entwickeln. Rosenbaum vom Wharton Centre erzählte dem Subcommittee 1954, auch er sei in seiner Jugend Mitglied einer Gang gewesen, aber wie viele seiner damaligen Altersgenossen ein „normaler“ und „nützlicher Bürger“ geworden. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war laut Rosenbaum die Anleitung durch verantwortliche Erwachsene, die den Gangs der Gegenwart aber fehle. Eine solche Führung sei notwendig, um die „chaotischen“ und po- 458 Myerhoff/ Myerhoff: „Field Observation of Middle Class ‘Gangs’“, S. 335. 459 Ebd., S. 333f. <?page no="117"?> 116 tenziell „gefährlichen“ jugendlichen Gangs in „organisierte Clubs“ umzuwandeln. 460 Es war dieser Ruf nach „adult guidance“, der den Raum für sozialarbeiterische Interventionen öffnete. Indem sich Rosenbaum beklagte, dass zerrüttete Familien und desorganisierte Wohnverhältnisse eben jene notwendige Führung fehlen ließen, wies er den Sozialarbeitern die zentrale Rolle zu, diese Lücke zu füllen. 461 Mit der Wahrnehmung, dass das Gang-Problem nach dem Zweiten Weltkrieg schlimmer geworden war, schien die Notwendigkeit zu wachsen, neue Formen der Arbeit mit Gangs auszuprobieren. Aus der Vorstellung, korrektiv in Gangs eingreifen zu müssen, entwickelte sich um 1950 die Praxis der „detached work“. Im Unterschied zu Sozialarbeiter_innen, die ihre Zielgruppe in ihren jeweiligen Einrichtungen empfingen, sollten „detached worker“ ihre Klienten an deren Aufenthaltsorten aufsuchen. Diese Methode wurde als „Curbstone Counseling“ bereits seit zwei Dekaden vom Chicago Area Project praktiziert, aber erst in den 1950er Jahren breiter von sozialarbeiterischen Projekten angewandt und ausgeweitet. 462 Nicht nur die Operation Street Corner arbeitete nach diesem Prinzip, auch beispielsweise das New Yorker Youth Board griff es zunehmend auf. Nachdem letzteres bereits seit 1951 eine solche Street Work-Einheit in East Harlem etabliert hatte, waren es zum Ende der Dekade bereits zehn. 463 Und auch etwa in Mobilization for Youth, einem Anti-Delinquenz-Projekt, das Anfang der 1960er Jahre entstand und im nächsten Abschnitt untersucht wird, bildete die Straßensozialarbeit einen zentralen Bestandteil der Arbeit in der Community. Was die Street Work-Aktivitäten der 1950er Jahre vom „Curbstone Counseling“ unterschied, war der systematische Ansatz dieser Sozialarbeit. Steven Schlossmann und Michael Sedlak schreiben über die Aktivitäten des Chicago Area Project: „[C]urbstone Counseling was not a ‘technique’ of intervention, but a philosophy, a style, an individual moral presence. It was less social work per se than aggressive, omnipresent caring and monitoring of ‘youth at risk’ in their natural, crimogenic habitats.“ 464 Im Gegensatz dazu wurde das Street Work der 460 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Philadelphia, Pa.), S. 48ff. 461 In diesem Abschnitt verwende ich in der Regel die männliche Form zur Bezeichnung von Sozialarbeitern. Zwar gab es generell viele Frauen in diesem Beruf, aber die hier diskutierte neue Form von Street Work war, wie ich zeigen werde, männlich kodiert und wurde etwa in New York City bis zum Ende der 1950er Jahre auch nur von Männern ausgeübt. Erst 1959 stellte das New Yorker Youth Board eine Straßensozialarbeiterin ein, die sich um die Arbeit mit weiblichen Jugendlichen kümmern sollte (Waltzer: Uneasy Idealism, 154f.). 462 Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, S. 190. 463 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 150. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in der beginnenden Delinquency Scare in 35 US-Staaten Youth Boards gegründet worden, die finanzielle Mittel für kommunale Anti-Delinquenz-Programme koordinieren und Studien zu Ursachen und wirksamer Bekämpfung des Problems anstoßen sollten (ebd., S. 109). 464 Schlossman/ Sedlak: The Chicago Area Project Revisited, S. xi. <?page no="118"?> 117 1950er Jahre explizit als sozialarbeiterische Technik vorgestellt und reflektiert. Ein bedeutendes Element dieses Reflexionsprozesses bildeten detaillierte Überlegungen zu den dafür notwendigen Sozialarbeitern. Nicht nur der Prozess der Annäherung an Gangs, sondern gerade Herkunft, charakterliche Qualitäten und Ausbildung der „detached worker“ wurden ausführlich erörtert. Die Operation Street Corner beispielsweise widmete mehr als die Hälfte der achtseitigen Broschüre nicht den Jugendlichen selbst, sondern dem Charakter und den Qualitäten des idealen Sozialarbeiters - „the man from Wharton Centre“. 465 Und auch in den Anhörungen des Senate Subcommittee und in Artikeln von Parents’ Magazine und National Parent-Teacher ging es um die notwendige psychosoziale Ausstattung derjenigen, die mit Jugendlichen arbeiteten. Im Folgenden geht es am Beispiel von Vincent Riccio darum, welche Sozialarbeitersubjekte hier entworfen wurden und wie sich Sozialarbeiter selbst positionierten. Vincent „Rick“ Riccio war einer der ersten, die diese neue Form von Sozialarbeit praktizierten. Aufgewachsen in Brooklyn, ehemaliger Boxer und Marine, war Riccio zunächst als Boxtrainer tätig, bevor er seinen Master im Fach Gesundheitserziehung machte. Während er als Vertretungslehrer arbeitete, engagierte ihn das New Yorker Youth Board zu Beginn der 1950er Jahre als Street Worker. 466 1962 veröffentlichte Riccio, der 1955 schon im LOOK Magazine porträtiert worden war, ein Buch über seine Erfahrungen in der Gangarbeit: All the Way Down. The Violent Underworld of Street Gangs. 467 Das Buch wurde als besonders authentische und wahre Beschreibung einer Welt aufgefasst, zu der viele Zeitgenoss_innen keinen Zugang zu haben schienen. 468 Bill Slocum, der Riccios Bericht überarbeitet und ein Vorwort dazu verfasst hatte, pries das Buch als „äußerst eigensinnig“ und betonte, zwar seien die Namen der erwähnten Gangmitglieder geändert, Ereignisse aber realitätsgetreu wiedergegeben worden. So habe er insbesondere die sprachliche Ausdrucksweise der im Buch zitierten Gangjungen nicht korrigiert, weil damit deren Aussagekraft verringert worden wäre. 469 Die Authentizität, die das Buch symbolisierte, ist ein zentrales Element der zeitgenössischen Verhandlungen von Street Work. 465 Wharton Centre: Operation Street Corner. 466 Bill Slocum: „Foreword“, in: Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 7-16. 467 Riccio/ Slocum: All the Way Down; David Zingg: „A Teen-age Gang From the Inside“, in: LOOK 19/ 17 (1955), S. 32-36. 468 Vgl. eine Rezension des Buches, in der Riccio als „Auslandskorrespondent“ bezeichnet wurde, der einen anschaulichen und eindringlichen Bericht geliefert habe (Margaret Parton: „Wrong Side Story“, in: Saturday Review, 27. Oktober 1962, S. 34-35). Der Titel dieser Rezension ist übrigens missverständlich. Parton lobt Riccio ausdrücklich für dessen „ehrliche“ und „qualifizierte“ Beschreibung seiner Tätigkeiten (ebd.). 469 Slocum: „Foreword“, S. 7, 10. <?page no="119"?> 118 Die Position des Street Worker „‘Detached Worker’“, so Riccio ironisch, „was my first experience with socialwork gobbledegook“. 470 Die Bezeichung bezog sich zum einen auf das Verhältnis der Sozialarbeiter zu ihren Institutionen: Ein guter „detached worker“ - das wird aus der großen Zahl an Charakter- und Arbeitsbeschreibungen deutlich - sollte wenig im Büro anzutreffen sein, sondern seine Zielgruppe bei Tag oder Nacht an den Orten aufsuchen, wo sie sich regelmäßig aufhielt. 471 Zum anderen wies der Begriff „detached“ aber auch auf die unparteiische Position hin, die ein solcher Sozialarbeiter gegenüber den Jugendgangs einnehmen sollte. „I don’t work for the cops. Nor with them. I am not a stool pigeon“, beteuerte Riccio gegenüber den Gangkids: „If you get in a jam with the cops, I’ll try to help you. I won’t front for you, I won’t lie, and I won’t alibi. But I’ll try to get you anything you legally have coming.“ 472 Freilich war diese Position keinesfalls prinzipiell unparteiisch, worauf alleine der Zweck der sozialarbeiterischen Intervention hindeutet. Wie Riccios Ausführungen zeigen, waren die Funktionen der Street Workers vielfältig. Die Organisation von Tanzveranstaltungen und Camps, Hilfe bei Kontakten mit Polizei und Jugendgerichten sowie die Vermittlung bei Konflikten zwischen einzelnen Gangs gehörten zu ihren Aufgaben, stets mit dem Ziel, „gefährliche“ Gangaktivitäten zu vermeiden. 473 Riccio sollte einen positiven Einfluss auf die Jungen ausüben, sie von Schlägereien und Diebstählen abbringen und ihnen den Wert von „produktiven“ Freizeitaktivitäten und Lohnarbeit vermitteln. 474 Deutlich wird hier die prinzipielle Orientierung an bürgerlichen Werten, mit denen Street Workers in die Arbeit mit Gangs gingen. 475 Bernstein vom Wharton Centre machte noch deutlicher, was die regulierende Funktion von Sozialarbeitern im Kontakt mit verhafteten Jugendlichen war: „[We] must hold the confidentiality of our client [...] [but] at the same time […] we must perform as citizens, and responsible citizens, in not condoning or abetting crime. One must understand [...] this unique situation of being in between.“ 476 470 Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 19. 471 Ebd.; Stellungnahme von Bernstein und Rosenbaum, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Philadelphia, Pa.), S. 48-57; Stellungnahme von Ralph Whelan, New York City Youth Board, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Antisocial Juvenile Gangs in New York City, S. 443-456. Dazu auch Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, 190f. 472 Riccio/ Slocum: All The Way Down, S. 40. 473 Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, S. 192-194. 474 Riccio/ Slocum: All The Way Down, S. 19f. (Hervorhebung i. O.). Vgl. auch die Kapitel „Rumble“, „Dance“, „Camp“ und „Mediate“ in ebd. 475 Ausführlicher dazu Kap. III.3.2. 476 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Philadelphia, Pa.), S. 53. Vgl. auch die Stellungnahme von Ralph Whelan vom New Yorker Youth Board in: <?page no="120"?> 119 Um Einfluss auf Gangmitglieder haben zu können, sollten Street Workers ein Vertrauensverhältnis zu diesen aufbauen. 477 Da man davon ausging, dass das Vertrauen dieser von der Gesellschaft frustrierten Jugendlichen nur schwer zu erlangen war, waren Sozialarbeiter angehalten, vor allem in ihren ersten Kontakten mit den Gangs so defensiv und zwanglos wie möglich zu erscheinen. Die Broschüre der Operation Street Corner entwarf diesen Erstkontakt folgendermaßen: „The man from Wharton Centre is a ‘loiterer’. Casually he leans against a lamp post. He may [...] admire the ‘swell sky’ a guy’s wearing, (‘sky’ being hat to you). He may open with ‘What do you think the Phillies’ll do this year? ’, or ‘I wonder how the big fight’s going tonight? ’“ Zunächst würden die Gangmitglieder misstrauisch reagieren, aber im Laufe der Zeit würden sie den Street Worker immer mehr als „straight guy“ akzeptieren. 478 Diese Beschreibung verweist schon darauf, dass die Annäherung an Gangs nicht so zwanglos vonstattengehen konnte, wie es die zitierte Passage entwarf - und vor allem nicht so spontan. Ein solcher Erstkontakt folgte umfassenden Vorarbeiten: Es sollten erst einmal so viele Informationen wie möglich über die betreffende Gang, ihre Mitglieder und Aufenthaltsorte eingeholt werden, mit Hilfe derer der Sozialarbeiter dann seine Annäherung beginnen konnte. 479 Riccio berichtete vom Misstrauen, dass ihm anfangs von den Gangmitgliedern entgegen schlug: „My small efforts to start conversation were met with blank faces, lifted eyebrows, and silence. There was some serious talk of jumping me, but [...] they were impressed by my muscles [...].“ 480 Hier zeigt sich, weshalb die Idealbeschreibungen von Sozialarbeitern auf Männer konzentriert waren: Wenn es darum gehen sollte, den Respekt der männlichen Gangs zu erringen, war es zeitgenössisch vermutlich unvorstellbar, dass eine Sozialarbeiterin diese Arbeit erledigen und die Jugendlichen etwa durch ihre Muskeln beeindrucken konnte. Männlichkeit war eine wichtige Kategorie in der Konstruktion idealer Street Workers. Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Antisocial Juvenile Gangs in New York City, S. 444. 477 Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 162; Stellungnahme von Bernstein und Rosenbaum, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Philadelphia, Pa.), S. 52. 478 Wharton Centre: Operation Street Corner. 479 Stellungnahme des Sozialarbeiters Kenneth E. Marshall, New York City Youth Board, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 133. Vgl. auch Riccio, der etwa berichtete, er habe die Namen der Gangmitglieder vor der ersten Kontaktaufnahme auswendig gelernt (Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 34). 480 Ebd. <?page no="121"?> 120 Aber es waren nicht nur Riccios Muskeln, die ihn nach Ansicht des New Yorker Youth Board dafür prädestinierten, mit jugendlichen Gangs zu arbeiten. Sowohl Slocum als auch das Youth Board sahen vor allem in Riccios Lebensgeschichte eine bedeutende Qualifikation für seine Tätigkeiten. Sie fanden, der Sozialarbeiter habe eine ähnliche Sozialisation wie die Gangjungen gehabt. 481 Slocum berichtete, Riccio sei 1919 als fünfzehntes von einundzwanzig Kindern geboren. Nur sechs dieser Kinder hätten überlebt und auch sein Vater sei gestorben, als der Junge elf Jahre alt war. In den folgenden Jahren habe Riccio mit seiner Familie von Sozialhilfe und Gelegenheitsjobs gelebt, immerhin aber seinen Highschool-Abschluss geschafft. „He never starved [...]“, so Slocum, „but he was hungry. And he stole. [...] He was a product of the neighborhood in which he later tried to help kid gangsters. […] He was a member of a kid gang and fought in their fights, but ‘always with sticks and now and then baseball bats. [N]o knives, guns or Molotov cocktails’“. 482 Seine Sozialisation in Brooklyn qualifizierte Riccio aus dieser Perspektive für den Job als Street Worker. Damit griff die Sozialarbeit mit Gangs in der US- Nachkriegszeit eine Idee auf, die ebenfalls schon im Chicago Area Project entstanden war: die Einbeziehung von in der Community aufgewachsenen Personen in sozialarbeiterische Interventionen, um den Gangjungen Rollenvorbilder zu bieten, zu denen sie einen Bezug entwickeln konnten. 483 Zu Beginn der 1950er Jahre verbreitete sich diese Idee zusammen mit Delinquenztheorien, die von einer sozialräumlich hervorgebrachten Delinquenz ausgingen und betonten, dass Gangarbeiter in der Community aufgewachsen sein, mindestens aber aus ähnlichen Verhältnissen kommen sollten. 484 Das Parents’ Magazine etwa belegte die sozialarbeiterische Kompetenz von Jim McCarthy, zuerst Direktor des New Yorker Youth Board, dann von MFY, nicht durch seinen beruflichen Werdegang, sondern seine Vergangenheit als Gangmitglied: „Big Jim McCarthy knows what he is talking about. In the days when gangs used to fight with their fists, Big Jim’s 190-pound frame was a weight to be reckoned with on the streets […].“ 485 Sowohl Riccio als auch McCarthy unterschieden sich aber in zwei zentralen Aspekten von den Jugendlichen, mit denen sie arbeiteten. Erstens 481 Slocum: „Foreword“, S. 7; Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 25. 482 Slocum: „Foreword“, S. 10f. 483 James Leiby: A History of Social Welfare and Social Work in the United States. New York: Columbia Univ. Press, 1978, S. 311; Costello u. a.: „How History, Ideology, and Structure Shape the Organizations That Shape Youth“, S. 219. 484 Vgl. das Statement von Mark McCloskey, Vorsitzender der New York State Youth Commission, in: House Subcommittee of the Committee on Education and Labor: To Combat and Control Juvenile Delinquency, S. 474. 485 Homer Page: „We Can Beat J. D.“, in: Parents’ Magazine 39/ 10 (1964), S. 56-58, 90-94, hier S. 58. <?page no="122"?> 121 hoben die Schilderungen der früheren Gangaktivitäten beider Sozialarbeiter hervor, dass diese sich ihre Schlägereien mit Fäusten und maximal Schlägern, nicht aber mit anderen Waffen geliefert hätten. Damit erweckten diese fast nostalgischen Rückblicke den Eindruck einer neuen, gefährlichen Qualität von Straßengangs in der Nachkriegszeit - und erhöhten den Problemdruck. Zweitens hatten es sowohl Riccio als auch McCarthy trotz ihrer Herkunft „zu etwas gebracht“ und eine Ausbildung absolviert. Mit dieser Geschichte sozialen Aufstiegs verkörperten die beiden Sozialarbeiter eines der zentralen Ideale der Nachkriegsgesellschaft und eines der Leitmotive sozialarbeiterischer Delinquenzbekämpfung in den 1950er und 1960er Jahren. 486 Riccio schrieb sich in diese Anforderungen ein, indem er seine Herkunft als ehemaliges Gangmitglied hervorhob: „I [...] got mad when I talked and my grammar became a little uncertain and the listeners said, ‘Lord, but that man is earnest. And he is so very obviously a former gang kid himself.’“ 487 Diese Charakterisierung als „earnest man“ wies auf eine bedeutende Qualität hin: Denn Riccios durch eigene Erfahrung erworbenes, gleichsam organisches Wissen konnte als ehrlicher und authentischer gelten als das eher abstrakte Wissen anderer Expert_innen. „[W]hat he knows“, betonte auch Slocum, „[…] wasn’t learned in an ivory tower. It was learned in the streets, station houses, hospitals and prisons in the city of New York“. 488 Diese Authentizität erlaubte es Riccio gleichzeitig, sich von bestimmten fachlichen Anforderungen an seine Tätigkeit abzugrenzen und trotzdem als qualifizierter Sozialarbeiter zu inszenieren. Er kokettierte damit, dass er in Ausbildung und Habitus den Vorstellungen seiner Vorgesetzten nicht entsprochen habe: „I was not the very model of a socialwork trained Worker [sic], and my superiors resented that as thoroughly as I resented their retreat to the ivory tower of theory when there was warm young blood on the streets.“ Außerdem betonte er, in der Arbeit mit den Gangs oft an die Grenzen akademisch erlernten Wissens gekommen zu sein. 489 Auf diese Weise skizzierte er sozialarbeiterische Expert_innen als realitätsfremd und den Anforderungen der „Straße“ nicht gewachsen. Indem Riccio so sein „authentische[s] Selbst zur Produktivkraft“ machte, um eine Formulierung des Soziologen Alain Ehrenberg aufzugreifen, festigte und unterlief er simultan die Anforderungen an Street Workers. 490 Einerseits wurde gerade das durch Erfahrung erlangte Wissen Riccios als unabdingbar für den Job betrachtet. Andererseits wehrte er sich hier gegen eine zentrale Erwartung an Sozialarbeiter: die Anwendung auch akademisch erlernten Wissens. 486 Dazu Kap. III.3.2. 487 Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 25. 488 Slocum: „Foreword“, S. 16. 489 Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 169, 80f. 490 Alain Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2008 [2004], S. 2. <?page no="123"?> 122 Eine profunde sozialarbeiterische Ausbildung galt zeitgenössisch als notwendig, um ein guter Street Worker zu werden. Nur professionell ausgebildetes Personal schien den spezifischen Entwicklungsprozess verstehen zu können, in dem sich vor allem Jugendliche befänden. Richter Thomas Gill beispielsweise berichtete dem Subcommittee 1953, bei der Auswahl von sozialarbeiterischem Personal für die Jugendgerichte würden Kandidat_innen mit einem Abschluss in Sozialarbeit bevorzugt werden, sofern sie auch die nötigen „menschlichen Qualitäten“ besäßen. 491 Akademische Kenntnisse sollten den Sozialarbeitern helfen, ihr Erfahrungswissen als solches zu erkennen und zu operationalisieren sowie einen professionellen Abstand zu ihrer Klientel einzuhalten. 492 Diese Anforderungen beschäftigten auch Riccio. In South Brooklyn sozialisiert und gut bekannt, nahm er an, dass dort sein Arbeitsort sein sollte. Stattdessen teilte ihn das Youth Board aber für einen anderen Teil Brooklyns ein, um eine allzu starke Identifikation zu vermeiden - interessanterweise aber nicht die der Jugendlichen mit dem Sozialarbeiter, sondern umgekehrt. Mit bitterer Ironie schrieb Riccio dazu: „‘Identification’ is a mortal sin for a social worker, because it is unprofessional. What it means, robbed of its doubletalk, is that a worker shouldn’t let his work get too close to him. Work eight to ten hours and forget it.“ 493 Es waren gerade diese Gebote, die Riccio nicht erfüllen konnte und wollte. Es sei gut und schön, die Probleme am Arbeitsplatz im Büro zu lassen, schrieb er, aber er habe schnell gelernt, dass das in der Praxis nicht funktioniere: „[M]aybe I was as unprofessional as I was so often told I was. [...] I became part of these kids and they became part of me.“ 494 In einigen Situationen empfand er dies tatsächlich als Scheitern. So erzählte er etwa von einer Auseinandersetzung mit einem Gangjungen, der ihn schließlich geschlagen habe. Riccio deutete das Vorkommnis nicht nur als Misserfolg, sondern als persönliches Versagen an den Anforderungen seines Berufs: „I had failed at my job. I was supposed to work with my mind instead of my body, but I’d wound up getting licked and undoubtedly losing all the respect of the kids.“ 495 Riccios Beschreibung des Ereignisses zeigt einen Widerstreit von unterschiedlichen Konzepten von Männlichkeit. Einerseits begriff er es als „Demütigung“, sich dem körperlichen Angriff nicht gestellt zu haben - und genau hier sah er auch den Grund dafür, dass die Jugendlichen ihren Respekt vor ihm verloren hätten. Andererseits fand er das einzig Positive an seinem Verhalten darin, sich beherrscht, den Gangjungen 491 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 48. Vgl. auch das Statement von District Court-Richter Luther Youngdahl in: ebd., Pt. 3, S. 494. 492 Dazu auch Richter: Die Erziehung des Sozialen, S. 79ff. 493 Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 26. 494 Ebd., S. 27. 495 Ebd., S. 121. <?page no="124"?> 123 nicht zurück geschlagen und damit Selbstkontrolle demonstriert zu haben. 496 In Riccios Erzählung wird seine muskelbepackte Männlichkeit - eigentlich ein Bonus in seiner Arbeit mit Jugendlichen - zum Hindernis der geforderten, männlich-kontrollierten Professionalität. Gleichzeitig inszenierte sich Riccio aber gerade durch sein Brechen dieser Professionalität erst als wirklich guter Sozialarbeiter. In Bezug auf einen seiner Klienten, der durch eine Überdosis Drogen gestorben war, formulierte er trotzig: „They told you at the Youth Board, ‘Don’t get emotionally involved with these kids. You’re like a doctor. You do your work, but you don’t take it home at night.’ I take a little bit of Tommy Hanlon home with me every night. And I will until the day I die.“ 497 Sein „nicht-anders-Können“ qualifizierte ihn in besonderem Maße vor dem Hintergrund einer weiteren zentralen Anforderung an gute Sozialarbeiter, die für Riccio in Widerspruch zur geforderten professionellen Distanz geriet: die der Empathie. Sozialarbeiter wurden als besonders aufopferungsbereite, verständnisvolle und einfühlsame Individuen gezeichnet. In der Broschüre der Operation Street Corner hieß es etwa: „The Man From [sic] Wharton Centre must find the way to each boy’s heart with sympathetic understanding.“ 498 Und für Jugendrichter Gill war klar, dass die professionellste Ausbildung denjenigen nicht helfen konnte, die nicht die nötigen „menschlichen Qualitäten“ besaßen. 499 In dieses Profil schrieb sich Riccio ein, wenn er davon berichtete, die Mutter des toten Gangjungen auch Jahre später noch in seiner Freizeit zum Grab ihres Sohnes begleitet zu haben. 500 Soziale Arbeit, so scheint es in seinen Erzählungen immer wieder auf, war für ihn mehr als ein Job. Durch die Fürsorglichkeit, die Riccio sich hier selbst zuwies, brach er die „rein“ männliche Performanz eines guten Sozialarbeiters auf, denn Fürsorge und Zuwendung waren eher mit Weiblichkeit assoziierte Eigenschaften. Aber auch hier inszenierte sich Riccio gerade dadurch als besonders guter Sozialarbeiter, dass er sich über den geforderten professionellen Abstand hinwegsetzte. Vincent Riccio stellte sich in All The Way Down also im Rahmen zeitgenössischer Diskurse als idealer Sozialarbeiter dar: als authentischer, reflexionsfähiger und weitgehend disziplinierter Charakter voller Hingabe für seine Tätigkeit. So sehr sich Riccio mit der Inszenierung seiner Schwächen von normativen Anforderungen an seine Arbeit abgrenzte, so sehr schrieb er sich gleichzeitig in diese 496 Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 121. 497 Ebd., S. 78. 498 Wharton Centre: Operation Street Corner. Vgl. z. B. auch die Äußerungen von Thomas C. Hennings in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 3, S. 499. 499 Ebd., Pt. 1, S. 48. 500 Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 88. <?page no="125"?> 124 ein, weil es paradoxerweise gerade jene waren, die ihn als besonders fähigen Street Worker qualifizierten. In der Anrufung von Authentizität und Vorbildfunktion der Sozialarbeiter wird deutlich, wie verschränkt die subjektivierenden Prozesse von Sozialarbeiter und Gangkid waren: Die Konstruktion von frustrierten Jugendlichen brachte eine spezifische Figur des therapeutisch agierenden Street Worker hervor. 3 Delinquenzprävention als Sozialreform? Mobilization for Youth und Soziale Arbeit im War on Poverty Im Herbst 1963 führten über hundert Jugendliche eine Wählerregistrierungskampagne in der New Yorker Lower East Side durch. 501 Im Oktober desselben Jahres startete eine Gruppe puertorikanischer Mütter Aktionen gegen rassistische Diskriminierung in den öffentlichen Schulen der Stadt, die im Februar 1964 in einem eintägigen Schulboykott afroamerikanischer und puertorikanischer Schüler_innen gipfelten. 502 Etwa zur gleichen Zeit kämpfte das Lower East Side Rent Strike Committee mit Mietstreiks und Demonstrationen gegen schlechte Wohnverhältnisse. 503 In jede dieser Protestaktivitäten war eine Organisation maßgeblich involviert, die zu Beginn der 1960er Jahre als Anti-Delinquenz-Projekt gestartet worden war: Mobilization for Youth (MFY). Die Wählerregistrierungskampagne wurde organisiert von der Young Adult Action Group (YAAG), einer MFY-Untergruppe, die sich unter anderem auch am „March on Washington“ und anderen Demonstrationen und politischen Kampagnen beteiligte. 504 Über MFY hatten sich außerdem die Initiatorinnen der antirassistischen Schulproteste, Mobilization of Mothers (MOM), organisiert und das Projekt stellte der Gruppe sowie dem Rent Strike Committee finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung. Die Schnittstellen von MFY zu wichtigen Personen und Institutionen des Civil Rights Movement und anderen Grassroots-Aktivist_innen waren vielfältig: Im Rent Strike Committee saßen Angehörige von MFY etwa zusammen mit Mitgliedern des Congress of Racial Equality und der Schulstreik wurde unter 501 Anon.: „Voter Registration Drive Slated on Lower East Side“, in: New York Times, 11. September 1963, S. 22. 502 Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, S. 213; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 282. 503 Ebd., S. 281; Joel Schwartz: „The New York City Rent Strikes of 1963-1964“, in: Social Service Review 57/ 4 (1983), S. 545-564. 504 Der „March on Washington“ war eine große Bürgerrrechtsdemonstration im August 1963, auf der Martin Luther King seine berühmte „I have a dream“-Rede hielt. Zur Einbeziehung von MFY in diese und andere Aktionen Joseph H. Helfgot: Professional Reforming. Mobilization for Youth and the Failure of Social Science. Lexington: Lexington Books, 1981, S. 81-87; Cazenave: Impossible Democracy, S. 117-119. <?page no="126"?> 125 anderem vom Bürgerrechtsaktivisten Bayard Rustin mitgetragen. 505 Darüber hinaus stieß MFY eine Reihe weiterer Kampagnen an, wie etwa die Einrichtung eines Civilian Complaint Review Board zur Untersuchung von Polizeibrutalität, und brachte mehrere eigenständige, lokale Protestorganisationen hervor - neben MOM und YAAG etwa die Negro Action Group und die United Puertoriquenos. 506 Nicht überraschend stießen diese Aktivitäten auf Kritik und zogen die Aufmerksamkeit der Obrigkeit auf sich. Seit 1963 hatte das FBI zwei Spitzel im MFY-Personal platziert und Anfang 1964 lag dem New Yorker Bürgermeister Robert Wagner eine Liste mit 150 Namen „unerwünschter“ Personen vor, die sich unter der Belegschaft des Projektes befinden sollten. 507 Ein zentraler Angriffspunkt der Kritik war der Umstand, dass bedeutende staatliche Stellen Mobilization for Youth finanzierten. Seit 1962, dem offiziellen Beginn des Projekts, wurde das Projekt von der Ford Foundation, dem National Institute of Mental Health (NIMH), der Stadt New York und dem 1961 eingerichteten President’s Committee on Juvenile Delinquency and Youth Crime gefördert. 508 Vor allem im Laufe des Jahres 1964 brach sich die Kritik Bahn und MFY wurde zur Zielscheibe verschiedener Untersuchungsausschüsse und einer öffentlichen Kampagne, die sogar im republikanischen Präsidentschaftswahlkampf eine Rolle spielte. 509 Gleichwohl wurde MFY trotz seiner Aktivitäten weiterhin als paradigmatisches Anti-Delinquenz-Projekt gepriesen. Selbst auf dem Höhepunkt der Kontroverse um MFY gab das Department of Labor im Sommer 1964 weitere 1,5 Millionen Dollar für das Projekt frei und Präsident Llyndon B. Johnson verkündete: „The Mobilization for Youth program has my deep interest and support.“ 510 Hätte Johnson MFY seine Untersützung aufgekündigt, hätte er sie prinzipiell auch einem leitenden Prinzip des wichtigsten sozialpolitischen Projekts seiner Präsidentschaft entzogen: des War on Poverty. Mit dem War on Poverty reagierte Johnson auf das wachsende Armutsproblem in den USA, das eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Great Society darstellte, wie er seine Vision nannte. Er begriff Armutsbekämpfung als unabdingbaren Teil der Ausweitung von Bürgerrechten, denn die zumindest formale politische und rechtliche Gleichstel- 505 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 281f. 506 Helfgot: Professional Reforming, S. 80, 87. 507 Alfred Fried: „The Attack on Mobilization for Youth“, in Harold H. Weissman (Hg.): Community Development in the Mobilization for Youth Experience. New York: Association Press, 1969, S. 137-162, hier S. 141ff. 508 Cazenave: Impossible Democracy, S. 197. 509 Zu den Angriffen auf die Organisation Fried: „The Attack on Mobilization“; Helfgot: Professional Reforming, S. 87-102; Cazenave: Impossible Democracy, S. 117-129; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 283-288. 510 Anon.: „U.S. Fund to Help Slum Youth Here“, in: New York Times, 9. Juli 1964, S. 1, 17, hier S. 17. <?page no="127"?> 126 lung von Afroamerikaner_innen wurde durch massive soziale Ungleichheit stark begrenzt. Gleichzeitig war es aber mehr als ein gewünschter Nebeneffekt, dass der War on Poverty auch zu einer Befriedung und Kontrolle der Städte beitragen sollte, sowohl im Hinblick auf die „race riots“ als auch auf Ganggewalt, Kriminalität und Delinquenz. 511 Kern des Reformprogramms war der Economic Opportunity Act (EOA) von 1964, der unter anderem umfangreiche Mittel für Anti-Delinquenz-Programme bereitstellte. Die Vergaberichtlinien für die Programme, die Geld aus dem EOA erhalten konnten, orientierten sich an dem Prinzip der Community Action. Und für dieses Prinzip hatte MFY Modell gestanden. 512 Wie war es möglich, dass ein sich so radikal entwickelndes, gar vom FBI unterwandertes Projekt staatliche Förderung erhalten und zum Vorbildprojekt für Sozialgesetze werden konnte? Während die Modellfunktion von MFY für den War on Poverty bereits ausführlicher erforscht worden ist, hat sich dieser Frage meines Erachtens kaum eine der Arbeiten befriedigend genähert. 513 Der Soziologe Noel Cazenave verweist darauf, dass zeitgenössische Demokratiediskurse und die Sichtbarkeit der Bürgerrechtsbewegung eine zentrale Rolle darin gespielt haben, Community Action-Projekte diskursiv zu ermöglichen. 514 Obwohl Cazenaves Argument richtig und wichtig ist, vernachlässigt er ein weiteres wesentliches Element, das die spezifische Ausrichtung des War on Poverty mitgestaltete: das Delinquenzdispositiv. Ausgehend von den programmatischen Grundsätzen und Aktivitäten von MFY geht es im Folgenden darum, wie sich das Projekt trotz seiner radikalen Ausrichtung über den Kampf gegen jugendliche Delinquenz legitimieren konnte. Wie ich zeigen werde, arbeitete MFY auf Grundlage einer Reihe zentraler Vorstellungen von Delinquenzprävention, Armut, Arbeit und gesellschaftlicher Beteiligung, die seit den 1950er Jahren in der Delinquency Scare verhandelt wurden und von Kritiker_innen und Freund_innen der Organisation geteilt werden konnten. Das Projekt ist ein Beispiel dafür, auf welche Weise Delinquenz als Anknüpfungspunkt für Kämpfe um soziale Partizipation funktionierte, in denen gesellschaftliche Grenzziehungen gleichzeitig herausgefordert und reproduziert werden konnten. 511 Zum War on Poverty Matusow: Unraveling of America; Jill Quadagno: The Color of Welfare. How Racism Undermined the War on Poverty. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 1994; Annelise Orleck/ Lisa Gayle Hazirjian (Hg.): The War on Poverty: A New Grassroots History, 1964-1980. Athens: Univ. of Georgia Press, 2011. 512 Cazenave: Impossible Democracy, S. 7. 513 Vgl. Peter Marris/ Martin Rein: Dilemmas of Social Reform. Poverty and Community Action in the United States. Piscataway u. a.: Aldine Transaction, 2009 2 [1967], S. 178ff.; Helfgot: Professional Reforming; Matusow: Unraveling of America; Cazenave: Impossible Democracy. 514 Ebd. <?page no="128"?> 127 Die Entstehung von MFY als Anti-Delinquenz-Projekt Seit 1957 waren Expert_innen im Bereich der Sozialen Arbeit damit befasst, ein neuartiges Programm zu entwickeln, mit dem jugendliche Delinquenz in der New Yorker Lower East Side bekämpft werden sollte. 515 Der Stadtteil galt als Problemviertel, in dem viele afroamerikanische und puertorikanische Familien lebten und Arbeitslosigkeit und Armut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen von Jugendgangs führten. Unterschiedliche sozialarbeiterische Projekte, die zunächst noch stark auf die soziale Kontrolle einzelner Gangs ausgerichtet waren, hatten seit den späten 1940er Jahren davon profitiert, dass Delinquenz verstärkt problematisiert und höhere Mittel gerade für Gangprogramme bereitgestellt wurden. 516 Die zunehmende Akzeptanz der Opportunity Theory und damit eine stärkere Berücksichtigung von Umfeldfaktoren in Erklärungen jugendlicher Delinquenz trugen zum Ende der 1950er Jahre dazu bei, den Bedarf an neu gestalteten sozialarbeiterischen Zugriffen hervorzuheben, die die gesamte Community miteinbezogen. In diesem Kontext entstand MFY. 517 Schon der anfängliche Plan sah vor, möglichst viele Individuen und Institutionen der Community zusammenzubringen, um das „soziale Klima“ der Lower East Side zu verbessern. „We wanted to get away from a piecemeal approach and to deal with the community as a whole“, berichtete eine Sozialarbeiterin im Rückblick. „It was an effort to saturate a whole poverty area with services enough to change its living conditions.“ 518 Das NIMH, das die Finanzierung größtenteils übernehmen sollte, forderte aber zwei Revisionen des Projektvorschlags. Erstens verlangte es die Einbeziehung von Institutionen außerhalb der Community, um die angestrebte Selbsthilfe der Community zunächst auch von außen fördern zu können. Zweitens forderten die zukünftigen Geldgeber, dass Sozialwissenschaftler_innen stärker an der Entwicklung und Durchführung des Projekts beteiligt werden müssten. Cazenave argumentiert, die daraus resultierende Zusammenarbeit mit den Soziologen Cloward und Ohlin habe entscheidende Revisionen der Programmatik von MFY mit sich gebracht. Der Community Action-Ansatz, den die Projektplaner_innen nun auf Grundlage der von Cloward und Ohlin vertretenen Opportunity Theory entwickelten, konzentrierte sich stärker als ursprünglich vorgesehen auf das Kollektiv der Community statt auf deren Individuen. 519 Außerdem bildete diese Programmatik eine entscheidende Schnittstelle zum Engagement der US-Regierung. Ohlin saß gleichzeitig im Expertenstab des 1961 gegründeten President’s Committee on Juvenile Delinquency and Youth 515 Helfgot: Professional Reforming, S. 3f. 516 Vgl. die Stellungnahme von Whelan, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Antisocial Juvenile Gangs in New York City, S. 444. Dazu Waltzer: Uneasy Idealism, S. 113. 517 Cazenave: Impossible Democracy, S. 22. 518 Helen Hall zit. nach ebd., S. 22f. 519 Ebd., S. 22-24. <?page no="129"?> 128 Crime. Laut Cazenave hatte Ohlins Ansatz und die Programmatik von MFY großen Einfluss auf das Komitee und das von dem Ausschuss in den Kongress gebrachte Juvenile Delinquency and Youth Offenses Control Act. 520 Dieses 1961 verabschiedete Gesetz autorisierte die Verteilung von 30 Millionen Dollar an lokale Anti-Delinquenz-Initiativen. 521 Die schnelle Realisierung des Gesetzes deutet darauf hin, dass es bereits vor 1961 diskutiert wurde. In der Tat war es schon in den Jahren von Eisenhowers Präsidentschaft auf der Agenda, wurde aber durch zentrale Annahmen der Opportunity Theory so stark verändert und ergänzt, dass es später als „30 Millionen-Dollar-Test“ dieser Theorie bezeichnet wurde. 522 MFY war das erste und größte Projekt, das Gelder vom President’s Committee erhielt, aber nicht das einzige. 1963 finanzierte der Ausschuss auch andere Programme in einer Reihe großer Städte. Diese Projekte waren allerdings gezielt nach dem Vorbild von MFY ausgesucht und in ihrer Ausrichtung an dessen Programmatik angepasst worden. 523 Die Schaffung von „opportunities“ für delinquenzgefährdete Jugendliche gehörte zu den Kernzielen von Mobilization for Youth. Insgesamt erstreckte sich die Arbeit des Projektes - neben den bereits erwähnten politischen Kampagnen - von Jobtrainingsmaßnahmen, vor allem für puertorikanische und afroamerikanische Jugendliche, über ein umfangreiches Street Work-Programm und diverse Präventionsprojekte für „prädelinquente“ Jugendliche bis hin zu Sozialberatungen in Communityzentren und Jugendcafés. 524 Daneben sammelte die Organisation Informationen zu Wohn- und Arbeitsverhältnissen, Familienstrukturen und Bildungsgraden von Anwohner_innen der Lower East Side. 525 Die Arbeit des Projektes beruhte auf Prinzipien Sozialer Arbeit, die im Laufe der 1950er Jahre an Relevanz gewonnen hatten: erstens auf der Verknüpfung von Prävention, Freizeitbeschäftigung und demokratischer Partizipation, zweitens auf dem Ziel sozialer Mobilität, drittens auf der Vorstellung von Communities als therapeutischen Räumen. 520 Cazenave: Impossible Democracy; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 253. 521 Matusow: Unraveling of America, S. 111; Gayle Olson-Rayme: „The Role of the Federal Government in Juvenile Delinquency Prevention: Historical and Contemporary Perspectives“, in: The Journal of Criminal Law and Criminology 74/ 2 (1983), S. 578-600, hier S. 578. 522 Edith Green, Demokratische Kongressabgeordnete aus Oregon, zit. nach Matusow: Unraveling of America. S. 113; Leiby: A History of Social Welfare and Social Work, S. 310. 523 Matusow: Unraveling of America, S. 111, 116. MFY erhielt insgesamt etwa 12,6 Millionen Dollar Startkapital von seinen unterschiedlichen Geldgebern (Waltzer: Uneasy Idealism, S. 275). 524 Weissman: Community Development in the Mobilization for Youth Experience; Helfgot: Professional Reforming, S. 52-63; Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, S. 211. 525 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 270. <?page no="130"?> 129 3.1 Delinquenzprävention durch Freizeitgestaltung und Partizipation 1961 veröffentlichte der neue Planungsstab von MFY das Proposal for the Prevention and Control of Delinquency by Expanding Opportunities. 526 Im Gegensatz zu dessen ausgiebiger Beschäftigung mit dem Begriff der „opportunity“ finden sich dort kaum Erläuterungen zum Konzept der Prävention. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Notwendigkeit der Prävention von Delinquenz zum common sense in der Sozialen Arbeit gehörte: „An ounce of prevention is worth a pound of cure“ wurde als tradiertes Diktum zur Jahrhundertmitte in sozialarbeiterischen Programmatiken aktualisiert. 527 Der Gedanke, die Prävention von Delinquenz ihrer akuten „Heilung“ vorzuziehen, wurde dabei sowohl in finanzieller als auch in „menschlicher“ Hinsicht als lohnenswerter gepriesen. James McCarthy, der administrative Direktor von MFY, argumentierte im Parents’ Magazine: „Over a million kids under eighteen [...] were arrested in this country last year. That’s twice as many as ten years ago. I don’t know if we can figure out what this costs us in dollars. But the human cost is beyond calculation.“ 528 Um 1950 hatte das Kriminologenpaar Glueck Möglichkeiten von Delinquenzprävention systematisch ausgelotet. Dessen Studie Unraveling Juvenile Delinquency stellte ein Modell vor, mit dem Delinquenz vorhersagbar gemacht werden sollte. Die Gluecks versprachen, anhand einer Reihe psychosozialer Faktoren die „Wahrscheinlichkeit“ jugendlicher Delinquenz als „sehr niedrig, niedrig, hoch oder sehr hoch“ einstufen zu können. 529 Tatsächlich wurden die Glueck‘schen „prediction tables“ etwa in Schulen, aber auch in der Sozialen Arbeit eingesetzt. 530 Bereits 1952 startete das New Yorker Youth Board ein Projekt auf Grundlage des Modells, um dieses zu testen und auf sozialarbeiterische Aktivitäten anzuwenden. Youth Board-Direktor Ralph Whelan begründete das Interesse der Einrichtung mit dem Scheitern von Programmen, die in erster Linie auf „Heilung“ statt auf Prävention ausgerichtet waren. 531 Obschon das Glueck‘sche Modell die Grundlage dafür bildete, Delinquenz als verhinderbares soziales 526 Mobilization for Youth: A Proposal for the Prevention and Control of Delinquency by Expanding Opportunities. New York: Mobilization for Youth, Inc., 1962 2 [1961]. 527 Vgl. Daniel: „The Role of Youth Character-Building Organizations in Juvenile Delinquency Prevention“, S. 310; Cohen: „M.O.D.E.L.“, S. 2. 528 Page: „We Can Beat J. D.“, S. 57f. 529 Sheldon Glueck/ Eleanor Touroff Glueck: Unraveling Juvenile Delinquency. Cambridge: Harvard Univ. Press, 1950; Stellungnahme der Gluecks in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 100. 530 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 133. Im Nachlass der Gluecks finden sich zahlreiche Briefe von Lehrkräften und Sozialarbeiter_innen, die nach den „prediction tables“ fragen (Glueck Papers, v. a. Box 58). 531 Ralph W. Whelan: „An Experiment in Predicting Delinquency“, in: The Journal of Criminal Law, Criminology, and Police Science 45/ 4 (1954), S. 432-441, hier S. 432. <?page no="131"?> 130 Problem zu konzipieren, geriet es zu Beginn der 1960er Jahre genau aus dieser Perspektive in die Kritik. Einhergehend mit Labeling-Theorien fürchtete man, die Prognose jugendlicher Delinquenz stigmatisiere Jugendliche und führe so erst zu delinquentem Verhalten. 532 Gleichwohl griffen die Kritiker_innen der „prediction tables“ nicht das Ziel der Prävention an. Dieser Fluchtpunkt sozialarbeiterischer Interventionen erhielt in Verbindung mit der Vorstellung von per se instabilen und gefährdeten Jugendlichen eine besondere Qualität. Denn Prävention hatte lediglich ein negativ artikulierbares Ziel: Delinquenz zu verhindern. Daher wurden sozialarbeiterische Maßnahmen durch das Nicht-Eintreten des drohenden Ereignisses begründet. 533 Auf diese Weise konnten nicht nur alle Jugendlichen als potenziell delinquent gelten, Prävention erwies sich auch angesichts der spezifischen Konzeption von Jugend als prinzipiell unabschließbare Aufgabe. In engem Zusammenhang mit dem Präventionsgedanken stand im Delinquenzdispositiv das Problem jugendlicher Freizeitgestaltung. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde stets von Neuem über jugendliche Freizeit, ihr Ausmaß und ihren möglicherweise schädlichen Einfluss verhandelt. Während die Zahlen von Highschool-Schüler_innen anstiegen und Jugendlichen mehr Freizeit zur Verfügung stand, sorgte man sich darüber, wie sie diese nutzten. 534 „What will they do with their increasing leisure time? “, fragte das Parents’ Magazine 1957 und knüpfte damit an alte Ängste vor unbeschäftigten und daher vermeintlich delinquenzgefährdeten Jugendlichen an, die zur Jahrhundertmitte wieder auftauchten. 535 „Provision for constructive use of leisure is very important“, mahnten etwa die Gluecks vor dem Subcommittee, „because during their formative years children have an abundance of energy which, if not channeled into wholesome outlets, must inevitably spill over into harmful pursuits, such as vandalism, hanging around street corners, drinking, gambling, and the like“. 536 Das kulturelle und sozialpsychologische Erbe der Rekapitulationstheorie sorgte dafür, dass der Freizeit von Jugendlichen eine bedeutende Funktion zugewiesen wurde und sie ebenso sorgsam begleitet werden musste wie etwa die Zeit, die die Jugendlichen in der Schule verbrachten. „Gesunde“ Freizeitbeschäftigungen 532 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 138. 533 Kessl: Der Gebrauch der eigenen Kräfte, S. 143 534 Dazu Peiss: Cheap Amusements. Einen konzisen Überblick über die Auseinandersetzungen um jugendliche Freizeitgestaltung im 20. Jahrhundert bietet Carles Feixa: „Leisure“, in: Lesko/ Talburt: Keywords in Youth Studies, S. 39-44. 535 Margaret Albrecht: „What Will They Do With Their Increasing Leisure Time? “, in: Parents’ Magazine 32/ 10 (1957), S. 64, 122-126; Stieglitz: „Talking about Youth and the Nation’s Future during the New Deal Era“. 536 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 101. <?page no="132"?> 131 wurden vor diesem Hintergrund nicht nur als Delinquenzprävention, sondern grundsätzlicher als citizenship training begriffen. „It is a great opportunity and challenge to direct this newfound leisure into pursuits that will both satisfy individual desire and at the same time help to develop more complete and creative members of society“, argumentierte der demokratische Präsidentschaftskandidat Adlai Stevenson 1957. 537 Organisationen wie Boy Scouts oder Camp Fire Girls wurden als „character-building [...] leisure-time agencies“ konzipiert, die durch ihre Arbeit zur Prävention jugendlicher Delinquenz beitragen sollten. Martha Allen, die Direktorin der Camp Fire Girls, betonte vor dem Subcommittee, dass ihre Organisation dies leisten würde, indem sie Mädchen auf ihre Rollen als „adequate homemakers and citizens“ vorbereite. 538 Auch die Girl Scouts of America (GSA) verstanden die Verhinderung jugendlicher Delinquenz als ein zentrales Ziel ihrer Arbeit. Durch die Freizeitangebote der GSA wollte die Organisation „starke“ und „gesunde Persönlichkeiten“ heranziehen, die „Antikörper“ gegen die „Krankheit“ jugendliche Delinquenz bilden sollten. 539 Diese Zielsetzungen erinnern deutlich an die Praktiken von Jugendorganisationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 540 In den 1950er Jahren wurden solche Konzepte von citizenship training aber signifikant erweitert: Eine Idee, die in dieser Zeit zunehmend Einzug in sozialarbeiterische Konzeptionen hielt, war die unmittelbare Verknüpfung von Freizeitbeschäftigung mit der Erprobung von Erwachsenenrollen durch die aktive Teilhabe an der Gesellschaft. Make a difference: Partizipation als Aktivierungspädagogik Ein zentrales Element der Community Action-Programme von MFY war die Ermunterung der Bewohner_innen des Stadtteils, sich an der Lösung ihrer Probleme aktiv zu beteiligen: „[W]e must increase the willingness and ability of local residents to participate in the social and political life of their community.“ Dabei ist es bemerkenswert, dass MFY die geforderte gesellschaftliche Beteiligung explizit auf Erwachsene beschränkte. 541 Zu dieser Zeit wurde nämlich die demokratische Partizipation gerade von Jugendlichen als Mittel zur Delinquenzprävention propagiert. Jugend hatte bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als privilegierter Signifikant für ein demokratisches Versprechen funktioniert und nun verdichtete sich diese Vorstellung. Die Annahme einer spezifisch jugendlichen Identitäts- 537 Stevenson zit. n. Albrecht: „What Will They Do With Their Increasing Leisure Time“, S. 64. 538 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 3, S. 607f. 539 Stellungnahme von Dorothy Stratton/ Mrs. Roy F. Layton, Direktorin und Präsidentin der Girl Scouts, in: ebd., S. 600. 540 Dazu Macleod: Building Character in the American Boy; Miller: Growing Girls. 541 Mobilization for Youth: Proposal, S. 126. <?page no="133"?> 132 entwicklung wurde in den Nachkriegsdekaden mit der Forderung verknüpft, Jugendliche müssten aktiv in Community-Prozesse integriert werden, Entscheidungen fällen und ihre spätere Rolle als Bürger_innen einer demokratischen Gesellschaft ausprobieren. „[T]he more youths are given real opportunity to know what is going on in communities and to be involved to the degree of their ability, the stronger they will become as citizens“, versprach im Sommer 1957 eine Vertreterin des YWCA vor einem House Subcommittee, das sich mit jugendlicher Delinquenz beschäftigte. 542 Dass solche Angebote für Jugendliche ein wirksames Mittel der Delinquenzprävention waren, stand schon 1947 für das Parents’ Magazine fest: „Give your adolescents this kind of opportunity to be useful young citizens and you won’t have to worry about delinquency.“ 543 Dabei lässt sich beobachten, dass die Aufgaben und Fähigkeiten, die man Jugendlichen zuwies, im Laufe der 1950er Jahre verantwortungsvoller wurden. Hatte sich der NPT-Autor Charles Ferguson noch 1951 über eine Gruppe von Boy Scouts gefreut, die ihre Heimatstadt von Giftefeu befreit hatten, pries er neun Jahre später Modelllegislaturen als vorbildliche Programme der Jugendarbeit an und erklärte: „You could sum up the working philosophy [...] in three words: Make a difference. And the training programs for youth ought to reflect this philosophy at all times. No matter how clever or worthy a training project may seem, it must give young people a feeling that the work matters, that the task they have to perform needs to be performed.“ 544 Diese Argumentationslinie schrieb sich in die Youth Development Theory ein, die sich als frühe Form von Aktivierungspädagogik verstehen lässt. 545 Kernidee dieses Ansatzes, der als sozialarbeiterisches Konzept erstmals 1959 auftauchte, war die Vorstellung, dass Jugendliche nur dann auf ihre zukünftigen Erwachsenenrollen vorbereitet werden könnten, wenn sie die Möglichkeit hätten, diese aktiv auszuprobieren. 546 Dabei standen nun im Gegensatz zu früheren Konzepten von citizenship training nicht moralische und körperliche Disziplinierungen, sondern Aktivierung und demokratische Rhetorik im Vordergrund, und Jugendliche wurden auf eine veränderte Weise als gesellschaftliche Ressource konzipiert. 542 Sara-Alyce P. Wright, National Board des YWCA, in: House Subcommittee of the Committee on Education and Labor: To Combat and Control Juvenile Delinquency, S. 492. 543 Dabney: „Youth serves the Community“, S. 35. 544 Charles Ferguson: „Public-spirited Youth“, in: National Parent-Teacher 46/ 6 (1951), S. 4-6, hier S. 5; ders.: „Let’s Enlist Youth for Civic Service“, in: National Parent-Teacher 54/ 8 (1960), S. 4-6, hier S. 5. 545 Der Begriff der Aktivierungspädagogik stammt aus Fabian Kessl: „Aktivierungspädagogik statt wohlfahrtsstaatlicher Dienstleistung? Das aktivierungspolitische Re-Arrangement der bundesdeutschen Kinder- und Jugendhilfe“, in: Zeitschrift für Sozialreform 52/ 2 (2006), S. 217-232. 546 Costello u. a.: „How History, Ideology, and Structure Shape the Organizations that Shape Youth“, S. 195. Zur Geschichte des Youth Development Movement ebd., S. 194f. <?page no="134"?> 133 Ferguson beispielsweise schwärmte vom gesellschaftlichen Potenzial der Jugend in ihrer gleichsam unverbrauchten Jugendlichkeit: „Young people can contribute both enthusiasm and originality (which has been defined as ‘a pair of fresh eyes’), and many of their ideas are bound to have an invigorating effect.“ In diesem Sinne betonte der Autor, dass die Empfehlungen von Jugendlichen in Modelllegislaturen sehr ernst genommen und bisweilen tatsächlich umgesetzt werden würden. In Wisconsin etwa seien Jugendliche gar in die „echten“ städtischen Gremien berufen worden - eine laut Ferguson angemessene Anerkennung jugendlicher Fähigkeiten. 547 Dieses Angebot zur Partizipation funktionierte aber gleichzeitig als staatsbürgerliche Pflicht, denn die Jugendlichen, die man auf ihre zukünftigen Rollen als Erwachsene vorbereiten wollte, wurden als zukünftiges Rückgrat einer demokratischen Gesellschaft betrachtet. 548 Ferguson argumentierte, man sollte den Jugendlichen nicht primär geben, was sie wollten, sondern sie der Community geben lassen, was gebraucht werde. 549 Noch deutlicher wurde nicht zufällig Gertrude Carraway, die Präsidentin der Daughters of the American Revolution, vor dem Subcommittee: „[Juveniles] hear much of their rights, but far too little of their obligations. [...] [I]t is essential that they realize and recognize their responsibilities as debts they owe their community and country in return for their blessings [...].“ 550 Die Youth Development Theory lässt sich demnach als Teil einer diskursiven Logik lesen, die etwa auch die vielzitierten Worte von Präsident John F. Kennedy bei seiner Antrittsrede vom Januar 1961 informierte: „[A]sk not what your country can do for you - ask what you can do for your country.“ 551 Gerade in den Darstellungen von nützlichen jugendlichen Gangs wurde ein Augenmerk auf die wichtige, gesellschaftliche Rolle gelegt, die Jugendliche spielen könnten: „[G]angs of teen-agers organize help in national emergencies; set up community projects; help our hospital staffs; form United Nations clubs; come through with all sorts of constructive and admirable achievements.“ 552 Wir haben bereits gesehen, dass solche „konstruktiven“ Jugendclubs weiß und bürgerlich kodiert waren. Nicht-weiße Jugendliche wurden kaum explizit als Träger_innen dieses demokratischen Potenzials erwähnt. Zu den wenigen Ausnahmen gehören bezeichnenderweise einige Artikel in Ebony, die sich in die Logik jugendlicher Beteiligung und Selbstregierung einschrieben. Bereits im 547 Ferguson: „Let’s Enlist Youth for Civic Service“, S. 5f. 548 Vgl. z. B. Dabney: „Youth serves the Community“, S. 175. 549 Ferguson: „Let’s Enlist Youth for Civic Service“, S. 5. 550 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 3, S. 526. 551 John F. Kennedy: „Inaugural Address“, 20. Januar 1961, online verfügbar unter: John F. Kennedy Presidential Library: URL: http: / / www.jfklibrary.org/ Research/ Ready- Reference/ JFK-Miscellaneous-Information/ Inaugural-Address.aspx [25.10.2011]. 552 Albrecht: „Why A Boy or Girl Needs A Gang“, S. 87. <?page no="135"?> 134 Dezember 1945 wurde dort etwa ein Gangprojekt vorgestellt, in dessen Rahmen afroamerikanische Jugendliche als Hilfspolizisten in der Community fungierten. Mit bemerkenswerten Verweisen auf schwierige räumliche und familiäre Umstände resümierte der begleitende Polizeibeamte den Erfolg des Projektes mit den Worten: „We haven’t been able to rebuild the alleys; we can’t take the parents out of work and put them back in the home; but we have given the young people self-government.“ 553 Auch Vorstellungen zu den demokratischen Fähigkeiten von Jugendlichen spielten in der Ebony-Berichterstattung eine wichtige Rolle, vor allem in Artikeln über Jugendcamps. Während Zeitschriften wie LOOK und Parents’ Magazine Camps hauptsächlich in Bezug auf „gesunde“ Freizeitaktivitäten verhandelten, sah Ebony den Nutzen desegregierter Jugendcamps primär im Kampf gegen Rassismus und andere Diskriminierungen. „By far the highest, gayest, and most democratic outing for youngsters held anywhere in the world is the National Jamboree celebrated by the Boy Scouts of America“, jubelte das Magazin im November 1953 und beschrieb das Camp als Veranstaltung, in der Grenzen von „Rasse“ und Klasse überwunden werden würden. Möglicherweise auch als Strategie, die Desegregation von Jugendorganisationen voranzutreiben, betonten Artikel wie dieser die demokratischen Qualitäten auch afroamerikanischer Jugendlicher in integrierten Jugendcamps: Bob Hope, so hieß es dort, habe Camps wie dieses als „United Nations in short pants“ bezeichnet. 554 Tatsächlich täuschte die Begeisterung der Zeitschrift etwas über den Umstand hinweg, dass die Möglichkeiten schwarzer Jugendlicher, sich an derartigen Freizeitaktivitäten zu beteiligen, stark beschränkt waren. Auch Ende der 1950er Jahre gab es noch verhältnismäßig wenige solcher Angebote für afroamerikanische Jugendliche und selbst dort, wo Programme existierten, waren diese in der Regel segregiert. 555 Das Schweigen über nicht-weiße Jugendliche in den meisten Beiträgen zur demokratiefördernden Jugendarbeit ist auffällig und liefert einen Hinweis darauf, welche Jugendlichen nicht oder nicht primär zur gesellschaftlichen Partizipation aufgefordert wurden. Trotz der demokratischen Rhetorik sozialarbeiterischer Zugriffe in den 1950er und 1960er Jahren war das ideale Subjekt partizipatorisch-verantwortlicher Jugendarbeit weiß und bürgerlich. Gleichwohl entstanden gerade in den 1960er Jahren Projekte, in denen die politische Beteiligung nicht-weißer Jugendlicher im Vordergrund stand. Das sozialarbeiterische 553 Earl Conrad: „From Robbers to Cops“, in: Ebony 1/ 2 (1945), S. 33-36, hier S. 36. Zur äußerst komplexen Bewertung von anwesenden und abwesenden, arbeitenden und nicht arbeitenden Eltern nicht-weißer Familien Kap. V.2.1. 554 Anon.: „Boy Scout Jamboree“, in: Ebony 9/ 1 (1953), S. 53-58, hier S. 53. 555 Daniel: „The Role of Youth Character-Building Organizations in Juvenile Delinquency Prevention“, S. 312. Dazu z. B. Michelle Busby: „‘The price of Integration’: The Story of the Charlotte YWCA in the 1960s“, in: Nina Mjagkij/ Margaret Spratt (Hg.): Men and Women Adrift. The YMCA and the YWCA in the City. New York/ London 1997, S. 206-230. <?page no="136"?> 135 Woodlawn Project in Chicago beispielsweise verfolgte explizit das Ziel, Jugendliche in Verwaltungsentscheidungen einzubeziehen und übertrug die Organisation und Durchführung der täglichen Arbeit an Mitglieder von Gangs. Dass dieses Projekt Mittel aus dem EOA erhielt, ist bemerkenswert und verweist auf die zeitgenössische Schlagkraft von beteiligungsorientierten Prinzipien der Sozialen Arbeit. Ebenso bezeichnend ist allerdings auch die Geschichte des Projektes: In scharfem Kontrast zu den enthusiastischen Berichten über Modelllegislaturen stand die Kritik, die dem Woodlawn Project schnell entgegenschlug. Nach nur einem Jahr wurde die Finanzierung gestoppt und das Projekt zum Objekt eines Untersuchungsausschusses im US-Senat. 556 So vielfältig die Gründe dafür gewesen sein mögen, die Grenzen der demokratischen Beteiligung Jugendlicher wurden in solchen Auseinandersetzungen geschärft. Um Grenzen wie diese geht es auch im folgenden Abschnitt, in dem anhand der Jobprogramme von MFY genauer untersucht wird, welche Vorstellungen das Projekt von seiner Klientel hatte. 3.2 „The World of Work“: Sozialer Aufstieg in der Culture of Poverty Eine der zentralen Säulen von Mobilization for Youth bildeten Programme, die Jugendliche in Arbeit bringen sollten. Das größte von diesen war das Urban Youth Service Corps, das Jobs für Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren in der Community bereitstellte. Die Jugendlichen erhielten einen Dollar Stundenlohn und arbeiteten bis zu 35 Stunden in der Woche. 557 Ein Youth Job Center diente als Vermittlungsagentur für diese und andere Stellen sowie für Aus- und Weiterbildungsprogramme. Das MFY-Proposal bezeichnete es als Ziel dieser „world of work“-Programme, Jugendlichen Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, vor allem aber deren Arbeitsfähigkeit zu verbessern. 558 MFY lokalisierte das zentrale Problem von Jugendlichen der „Unterklasse“ in deren vermeintlichen Defiziten: „[L]ower-class youngsters, because of their own distinctive sozialization, often lack such ‘middle-class’ graces as good speech, promptness, neatness, and politeness.“ Angesichts dessen war es für MFY nicht überraschend, wenn Arbeitgeber diese Jugendlichen nicht anstellen wollten. 559 Obgleich das Projekt auch 556 Platt: „Saving and Controlling Delinquent Youth“, S. 646. Die Senatsuntersuchung des Projekts ist protokolliert in: U.S. Congress, Senate, Committee on Government Operations: Riots, Civil and Criminal Disorders. Hearings before the Permanent Subcommittee on Investigations of the Committee on Government Operations, 90th Cong., 2nd Sess., Part 11, 28. Juni, 1./ 2. Juli 1968. Washington, DC: Government Printing Office, 1968. Allg. zum Woodlawn Project John Hall Fish: Black Power/ White Control. The Struggle of the Woodlawn Organization in Chicago. Princeton: Princeton Univ. Press, 1973. 557 Mobilization for Youth: Proposal, S. 98. 558 Ebd., S. 91f., 97, 104f. 559 Ebd., S. 96f. <?page no="137"?> 136 Arbeitslosigkeit und Diskriminierung als strukturelle Probleme angreifen wollte, zielten die Maßnahmen in der Praxis auf die Veränderung der arbeitslosen Individuen ab. 560 Im Folgenden bette ich die Programmatiken von MFY in den Kontext von sozialarbeiterischen Diskursen zu sozialer Mobilität und eine Culture of Poverty ein und zeige, wie sie als ambivalente Interventionen in dieses Feld begriffen werden können. „You cannot solve the delinquency problem unless you do something about total unemployment“, verkündete Richard Cloward vom MFY-Planungsstab 1964 i m Par ents’ Magazin e . 561 Die Aktivitäten von MFY waren darauf ausgerichtet, sozial benachteiligte Jugendliche in den „ökonomischen und sozialen Mainstream“ zu bringen. 562 Mit der Opportunity Theory als programmatischer Grundlage argumentierte das Projekt, die hohe gesellschaftliche Bedeutung von sozialem Aufstieg führe bei denjenigen Jugendlichen zu Frustration und Delinquenz, die für sich keine Möglichkeiten dazu sähen. Dabei sprach das Proposal zwar von gesellschaftlichen Strukturen, die es zu verändern gelte, stellte aber die Notwendigkeit von gesellschaftlicher Akzeptanz und sozialem Aufstieg durch Lohnarbeit nicht grundsätzlich in Frage: „The importance of the world of work is self-evident. Gainful employment is the accepted means of attaining monetary rewards in our moneyoriented culture; indeed, occupation is the chief determinant of social status and the principal road to upward mobility. It is through the work role that men feel a connection to their society, from which they derive a sense of well-being.“ 563 Nach einer leisen Kritik an der „geldorientierten“ Gesellschaft wird Arbeit hier als nahezu therapeutische Notwendigkeit für das Wohlergehen von Menschen, vermutlich primär von Männern, und als erstes Mittel gegen Armut konzipiert. Dies stand im Einklang mit hegemonialen Vorstellungen von Lohnarbeit und Armutsbekämpfung und die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von MFY nahmen in der lobenden Berichterstattung über das Projekt großen Raum ein. Ein Artikel im Parents’ Magazine etwa leitete seine Darstellung der erfolgreichen Arbeit von MFY mit den Worten ein: „What’s the swamp around here? Poverty. And what’s the answer to poverty? Work.“ Der Artikel wartete sogleich mit einem paradigmatischen Narrativ sozialer Mobilität auf: Ein ehemaliger Gangjunge, der in einer MFY-Kantine gearbeitet habe, fange demnächst einen Job als Assistenzkoch in einem New Yorker Luxushotel an. 564 Hier wird deutlich, dass die 560 Helfgot: Professional Reforming, S. 52. 561 Page: „We Can Beat J. D.“, S. 91. 562 Alan Zuckerman: „The More Things Change, the More They Stay the Same: The Evolution and Devolution of Youth Employment Programs“, in: Benson/ Johnson Pittman: Trends in Youth Development, S. 269-289, hier S. 272. 563 Mobilization for Youth: Proposal, S. 91. 564 Page: „We Can Beat J. D.“, S. 58, 90. <?page no="138"?> 137 Orientierung auf soziale Mobilität nicht einfach nur Jugendliche dazu bringen sollte, sich an das Leben in der Arbeiterklasse anzupassen, wie es etwa Schneider interpretiert. 565 Das Narrativ der Unterbringung von einem Straßenjungen in einem Luxushotel erzählte vielmehr in bester Horatio Alger-Tradition die Geschichte einer upward mobility, die prinzipiell nach oben offen zu sein schien. 566 Solche Fantasmen sozialer Mobilität - sowohl in ökonomischer als auch in weit ungenauerer „moralischer“ Hinsicht - wurden in einer Vielzahl zeitgenössischer Anti-Delinquenz-Programme als zentrale Ziele sozialarbeiterischer Interventionen begriffen. Vor allem die Gangprojekte fokussierten darauf, Jugendliche aus den Gangs heraus zu holen, zurück in die Schule zu schicken oder in Arbeit zu bringen. 567 Dabei erklärte MFY schon das Streben nach ökonomischem Aufstieg zur wünschenswerten Qualität. Das Proposal beschrieb es als „natürlichen“ Prozess und Triebkraft gesellschaftlicher Veränderungen, dass Menschen sich nicht mit einem geringen sozialen Status zufrieden gäben; eine diesbezügliche Unzufriedenheit sei daher als Wert zu begreifen. 568 Diese Auffassung diente MFY zwar als Grundlage für die vielfältigen, politisch bisweilen sehr radikalen Community Action-Programme, gleichzeitig lenkte sie den Fokus des Projektes aber auf die Psychen der Individuen. Denn Expert_innen hatten bereits in den 1950er Jahre erschrocken festgestellt, dass sozial benachteiligte Menschen häufig bereits so „depriviert“ seien, dass sie diese Unzufriedenheit und den daraus resultierenden Wunsch nach sozialem Aufstieg kaum mehr empfänden. 569 Im Mai 1959 berichtete der Chicagoer Soziologe Henry McKay dem Senate Subcommittee, bisher hätte der „natürliche“ Wunsch nach sozialer Mobilität dafür gesorgt, das Delinquenzproblem quasi von selbst zu lösen. Den Familien delinquenzgefährdeter Jugendlicher sei es, vom Wunsch nach einem höheren gesellschaftlichen Status getrieben, gelungen, sozial aufzusteigen und aus den Problemgebieten wegzuziehen. Das neue, sozial stabilere Wohnumfeld habe dann dafür gesorgt, dass die Jugendlichen nicht mehr delinquent geworden seien. Nun aber, so stellte McKay besorgt fest, sei dies nicht mehr so, weil die Menschen in den Problemgebieten nach lang anhaltender Armut nicht mehr nach sozialer Mobilität streben würden. Für McKay war es deshalb die Aufgabe sozialarbeiterischer Projekte, diesen Wunsch in ihrer Zielgruppe wieder herzustellen, also upward mobility als soziale Kraft zu wecken und zu lenken. 570 565 Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, S. 216. 566 Zum Ideal von upward mobility im 20. Jahrhundert Carol Nackenoff: The Fictional Republic. Horatio Alger and American Political Discourse. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 1994. 567 Zuckerman: „The Evolution and Devolution of Youth Employment Programs“, S. 273f. 568 Mobilization for Youth: Proposal, S. 46. 569 Z. B. die Gluecks in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 87. 570 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Community Programs in Chicago, S. 170, <?page no="139"?> 138 Die Jobprogramme von Mobilization for Youth beruhten auf einer sehr ähnlichen Annahme, nämlich auf der Vorstellung, dass sich das Leben in „deprivierten“ Verhältnissen auf Dauer negativ auf den Wunsch und die Fähigkeiten Jugendlicher auswirke, einer Lohnarbeit nachzugehen. Selbst wenn diesen Jugendlichen Arbeitsmöglichkeiten angeboten werden würden, vermutete das Proposal, könnten diese nicht genutzt werden. 571 Vor diesem Hintergrund ist das zu Beginn dieses Abschnitts skizzierte Ziel der „world of work“-Programme von MFY zu verstehen, nicht nur Jobmöglichkeiten für Jugendliche zu schaffen, sondern deren Fähigkeiten zu verbessern, diese annehmen zu können. „[P]rogram forms must [...] intervene in arresting these self-defeating modes of behavior“, forderte das Proposal und machte die vermeintliche Malaise damit zu einer Frage individueller Selbstführung. 572 Auf diese Weise rief das Proposal zentrale Annahmen des Culture of Poverty-Konzeptes auf, das zu Beginn der 1960er Jahre zur Grundlage vieler soziologischer Studien und sozialpolitischer Programme wurde. Jugend in der Culture of Poverty Das Konzept der Culture of Poverty wurde Ende der 1950er Jahre vom Anthropologen Oscar Lewis geprägt und ab 1962 durch Michael Harringtons Buch The Other America popularisiert. 573 Lewis schrieb längere Zeit in Armut lebenden Menschen grundsätzlich andere, kulturell und psychologisch tradierte Denk- und Verhaltensweisen zu. Er beschrieb diese als Individuen, die stark in der Gegenwart leben und die unmittelbare Befriedigung ihrer Bedürfnisse anstreben, aber nicht die Fähigkeit besitzen würden, längere Zeit in die Zukunft zu denken. Sie seien resigniert und empfänglich für „allerhand psychische Pathologien“. Zudem verband er Armut mit einer als übersteigert begriffenen Männlichkeit. 574 Diese Charakterisierung war nicht nur zentral für die langlebige 172. 571 Mobilization for Youth: Proposal, S. 89. 572 Ebd., S. 89. 573 Oscar Lewis: Five Families. Mexican Studies in the Culture of Poverty. New York: Basic Books, 1959; Michael Harrington: The Other America. Poverty in the United States. New York: Simon and Schuster, 1997 [1962]. Dazu O’Connor: Poverty Knowledge, v. a. Kap. 4; Marisa Chappell: The War on Welfare. Family, Poverty, and Politics in Modern America. Philadelphia: Univ. of Pennsylvania Press, 2010. Zur rassialisierten Struktur des Konzeptes Daryl Michael Scott: Contempt and Pity. Social Policy and the Image of the Damaged Black Psyche, 1880-1996. Chapel Hill/ London: The Univ. of North Carolina Press, 1997, S. 145-159; Solinger: Single Pregnancy Before Roe v. Wade, S. 77-84. 574 Oscar Lewis: The Children of Sanchez. Autobiography of a Mexican Family. New York: Basic Books, 1961, S. xxvif. Diese Vorstellung von Männlichkeit wurde zeitgenössisch vor allem mit Mexican und African Americans assoziiert. Zur Konstruktion eines Mexican American „machismo“ Claudia Roesch: „Macho Man? Repräsentationen mexikanischer Familien- <?page no="140"?> 139 Pathologisierung von Armut, sondern konturierte die Menschen in der Culture of Poverty auch über Erklärungsmuster, die sonst in Verbindung mit Adoleszenz gebracht wurden. Der zeitgenössische Entwurf von Jugend übernahm noch eine weitere Funktion in diesem Diskurs. Ein 1961 in LOOK erschienener Artikel konstatierte: „[R]elief without rehabilitation has spawned a vicious circle in welfare, so that now a second generation of reliefers is maturing on welfare rolls.“ 575 Hier zeigt sich ein Kerngedanke des Culture of Poverty-Konzepts: Wegen der Beeinflussbarkeit besonders von Kindern und Jugendlichen würden sich die Konsequenzen langfristiger „Deprivation“ über Generationen hinweg vererben, diagnostizierte Lewis. 576 Harrington prophezeite den USA eine „hereditary underclass“ und konturierte Jugendliche als problematische Ressource: „The nation is therefore beginning the sixties with a most dangerous problem: an enormous concentration of young people who, if they do not receive immediate help, may well be the source of a kind of hereditary poverty new to the American society. [...] [T]he vicious circle of the culture of poverty is [...] becoming more intense, more crippling, and problematic because it is increasingly associated itself with the accident of birth.“ 577 Harrington imaginierte Jugendliche hier als Träger_innen einer problematischen Tradition. Armut wurde auf diese Weise nicht nur naturalisiert, weil an die Geburt gebunden, sondern auch buchstäblich mit disability verknüpft („crippling“) und so als ein gleichsam körperliches Defizit bzw. als Defizit eines Bevölkerungskörpers verstanden. Es wird deutlich, dass diese Jugendlichen vermutlich nicht diejenigen waren, die Vertreter_innen der Youth Development Theory in Modelllegislaturen schicken wollten. Denn diese diskursive Strömung betrachtete in Armut lebende Menschen als nicht ohne weiteres fähig zu gesellschaftlicher Partizipation. Die MFY-Planer_innen vermuteten deshalb auch, dass sie ihre Klientel „intensiv sozialisieren“ müssten, bevor sie versuchen könnten, deren politische Beteiligung zu vergrößern. 578 Möglicherweise vor diesem Hintergrund ist auch der Name des Programmes und der Umstand zu verstehen, dass das Projekt die Einbeziehung von Erwachsenen, nicht aber Jugendlichen in die Programmplanung anstrebte. Mit militärischer Rhetorik bezog sich MFY auf die strukturen durch Sozialexperten, Sozialarbeiter und Bürgerrechtsaktivisten in den USA, 1940-1980“, in: Gabriele Metzler (Hg.): Das Andere denken. Repräsentationen von Migration in Westeuropa und den USA im 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M./ New York: Campus, 2013, S. 87-118. 575 Fletcher Knebel: „Welfare: Has It Become a Scandal? “, in: LOOK 25/ 23 (1961), S. 31-33ff., zit. nach Patterson: America’s Struggle Against Poverty, S. 87. 576 Oscar Lewis: La Vida. A Puerto Rican Family in the Culture of Poverty. New York: Random House, 1966, S. xlv. 577 Harrington: The Other America, S. 208, 188. 578 Mobilization for Youth: Proposal, S. 197. <?page no="141"?> 140 Mobilisierung aller Kräfte der Community für Jugendliche, nicht aber mit Jugendlichen. 579 Letztere scheint der Planungsstab vorrangig als Zielgruppe, weniger aber als aktiv Handelnde begriffen zu haben. Die Programmatik des Projektes reproduzierte sozialpsychologische Erklärungen, die Delinquenz und gesellschaftliches Scheitern in den Individuen verorteten. Über die Konstruktion scheinbar universeller Werte und Fähigkeiten konnte MFY seine Klientel als besonders interventionsbedürftig konturieren. Vor diesem Hintergrund war die Frage von upward mobility mehr als eine Frage sozialen Aufstiegs: Es war die Bestimmung dessen, wer als legitimer und adäquater citizen betrachtet wurde. Unter anderem über das Modellprojekt MFY wurden diese Annahmen zu Armut und ihrer Bekämpfung zur Grundlage für den War on Poverty. War Kennedys Manpower Development and Training Act von 1962 noch ein primär auf Erwachsene ausgerichtetes Gesetz gewesen, bildeten Jobprogramme für Jugendliche zwei Jahre später einen zentralen Bestandteil des Economic Opportunity Act. 580 Das hier enthaltene Job Corps wurde nach dem Vorbild des Urban Youth Service Corps von MFY konzipiert und verknüpfte ebenfalls verantwortliche Staatsbürgerschaft mit der Beschäftigungsfähigkeit Jugendlicher: „The purpose of this part is to prepare for the responsibilities of citizenship and to increase the employability of young men and young women [...] by providing them [...] with education, vocational training, useful work experience [...].“ 581 Auch Head Start, ein Erziehungsprogramm für Vorschulkinder, das 1965 begonnen wurde und Teil der Community Action-Strategie war, beruhte auf der Annahme der „kulturellen Deprivation“ sozial benachteiligter Familien. Das Programm ist allerdings auch ein hervorragendes Beispiel für die Ambivalenz der ganzen Unternehmung. Head Start beinhaltete nämlich explizit die Beteiligung von Eltern an der Ausbildung ihrer Kinder. Wie Kathryn Kuntz gezeigt hat, wurde die Annahme der „Deprivation“ dieser Familien dadurch auch gebrochen. 582 Diese Ambivalenzen stehen im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts, der die Community Action- Programme von MFY genauer in den Blick nimmt. 579 Helfgot: Professional Reforming, S. 39. 580 Zuckerman: „The Evolution and Devolution of Youth Employment Programs“, S. 271; Leiby: A History of Social Welfare and Social Work, S. 314. 581 „An Act to mobilize the human and financial resources of the nation to combat poverty in the United States“ (Economic Opportunity Act), Public Law 88-452 (1964), U.S. Statutes at Large, LXXVII, Part 1, S. 508-516, in: Bremner: Children and Youth in America, Bd. 3, S. 426-432, hier S. 426f. 582 Kathryn R. Kuntz: „A Lost Legacy: Head Start’s Origins in Community Action“, in: Jeanne Ellsworth/ Lynda J. Ames (Hg.): Critical Perspectives on Project Head Start. Revisioning the Hope and Challenge. Albany: State Univ. of New York Press, 1998, S. 1-48, hier S. 19. Zu Head Start außerdem Patterson: America’s Struggle Against Poverty, insbes. S. 141-144; Quadagno: The Color of Welfare, S. 135, 141ff. <?page no="142"?> 141 3.3 Die Ambivalenz von Community Action In den beiden vorangegangenen Abschnitten ist deutlich geworden, dass Jugenddelinquenz für den MFY-Stab kein separierbares gesellschaftliches Problem war, sondern mit dem Mangel an Möglichkeiten und fehlenden Kompetenzen von Jugendlichen in Verbindung gebracht wurde. Ein entscheidendes Element der Programmatik von MFY war die Annahme, dass die gesamte Community einbezogen werden müsse, um ein „gesünderes Klima“ zu schaffen und Delinquenz erfolgreich zu bekämpfen. Denn, wie es im Proposal hieß: „Participation by adults in decision-making about matters that affect their interests increases their sense of identification with the community and the larger social order. People who identify with their neighborhoods and share common values are more likely to try to control juvenile misbehavior.“ Auch in dieser Hinsicht konzentrierte sich MFY primär darauf, die „Bereitschaft“ und „Fähigkeit“ ihrer Klientel zur Teilnahme am „sozialen und politischen Leben ihrer Community“ zu erhöhen. 583 Aus dieser Warte betrachtet, sollten die Community Action-Programme von MFY primär eine therapeutische Funktion erfüllen und Individuen stärker in die Gesellschaft einpassen, weniger aber politische und soziale Strukturen tatsächlich verändern. Gleichzeitig allerdings beinhaltete das Ziel, marginalisierte Gruppen politisch zu ermächtigen, ei ne Her au sf or de ru ng d er so zi al en O rd nu ng . In d er T at h at te n die Commu ni ty Action-Projekte der 1960er Jahre, wie ich im Folgenden zeigen will, Effekte, die über therapeutische Zwecke hinausgingen. Der Fokus auf die Community gehörte zu den Begründungsprinzipien von MFY. Das Projekt entstand unter anderem aus der Lower East Side Neighborhood Association (LENA) heraus. Dieser Zusammenschluss sozialer Einrichtungen hatte sich Mitte der 1950er Jahre gegründet, um auf Community-Ebene die Bekämpfung jugendlicher Delinquenz, vor allem im Bereich von Gangs, zu organisieren. Während LENA noch stark daran ausgerichtet war, auf akute Probleme - etwa Schlägereien zwischen Gangs - zu reagieren, verschob sich der sozialarbeiterische Fokus von Gangarbeit zum Ende der 1950er Jahre. Seit 1957 gab es Planungen zur Expansion von LENA zu einem Projekt, dass nicht nur Ganggewalt stoppen, sondern die Arbeit mit Gangs in einen größeren Zusammenhang von entwicklungsorientierter Community-Arbeit einbetten sollte. 584 Die Idee von Community Action zur Bekämpfung von Delinquenz zog sich durch eine Reihe neu aufgelegter Programme in größeren Städten. Das President’s Committee hatte es zur zentralen Bedingung für die aus Mitteln des Juvenile Delinquency and Youth Offenses Control Act finanzierten Projekte gemacht, 583 Mobilization for Youth: Proposal, S. 126. 584 Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, S. 211; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 262. <?page no="143"?> 142 dass diese eine „umfassende“ Bekämpfung von Delinquenz planten. 585 Umfassend bedeutete in diesem Kontext besonders die Aktivierung und Einbeziehung der Einwohner_innen der Projektgebiete. Dieses Konzept wurde als „maximum feasible participation“ im EOA verankert. 586 Dabei waren Forderungen nach der politischen Beteiligung marginalisierter Menschen für einen kurzen Zeitraum lagerübergreifend artikulierbar: 1966 unterstützten selbst die Republikaner eine Novelle des EOA, die eine Mindestquote an Delegierten sozial benachteiligter Einwohner_innen in den Beiräten der Projekte festlegte. Mindestens ein Drittel der Gremien sollte aus Repräsentant_innen der „Armen“ bestehen und auch von diesen gewählt werden. 587 Im Juni 1965 hatten sich landesweit rund 415 Community Action-Projekte gegründet. 588 Prinzipiell war die Forderung nach der Organisation von Community nicht neu: Bereits das Chicago Area Project hatte es zum Ziel gehabt, Anwohner_innen in den Kampf gegen Delinquenz einzubeziehen. 589 Dass eine solche Ausrichtung von Sozialarbeit in den 1960er Jahren aber derart anschlussfähig werden konnte, hat unter anderem mit der Entwicklung und Verknüpfung von Bürgerrechts- und stadtpolitischen Debatten seit den 1930er Jahren zu tun. In die Städte des Nordens migrierte African Americans waren in diesem Zeitraum zu einer politischen Größe geworden, die die Demokratische Partei nicht ignorieren konnte. Im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg bezog sich eine zunehmend sichtbare Bürgerrechtsbewegung auf die Inszenierung der Vereinigten Staaten als demokratisches Vorbild, über die sich diese von den Achsenmächten und der Sowjetunion abgrenzten. 590 Die Demokratisierungsdiskurse des Kalten Krieges waren nicht nur in antirassistischen Kämpfen zur Einschreibefläche geworden. Die Beteiligung von Bürger_innen an Community-Prozessen etablierte sich etwa auch in stadtpolitischen Diskursen als erstrebenswertes Merkmal einer Demokratie US-amerikanischer Prägung. In den Nachkriegsdekaden war Kritik daran laut geworden, dass zentrale stadtplanerische Entscheidungen von Expert_innen getroffen wurden, ohne die direkt betroffenen Einwohner_innen einzubeziehen. Ein neues Verständnis, das Probleme der Stadtentwicklung als weniger technische, sondern vielmehr als politische Entscheidungen betrachtete, machte es 585 Ausführlicher dazu Cazenave: Impossible Democracy, S. 49-64; Matusow: Unraveling of America; Alyosha Goldstein: Poverty in Common. The Politics of Community Action During the American Century. Durham/ London: Duke Univ. Press, 2012. 586 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 289. 587 Cazenave: Impossible Democracy, S. 154. 588 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 289. 589 Schneider: Youth Gangs in Postwar New York, S. 189. 590 Dazu Klarman: From Jim Crow to Civil Rights, S. 183-186; Mary L. Dudziak: Cold War Civil Rights. Race and the Image of American Democracy. Princeton: Princeton Univ. Press, 2011 [2000]; Jack M. Balkin: „Brown, Social Movements, and Social Change“, in: Robert L. Hayman/ Leland Ware (Hg.): Choosing Equality. Essays and Narratives on the Desegregation Experience. Philadelphia: Pennsylvania State Univ. Press, 2009, S. 246-255. <?page no="144"?> 143 erforderlich, Modelle von Bürgerbeteiligung zu entwickeln. Laut Cazenave beeinflusste diese Entwicklung die Entstehung der Community Action-Programme und wurde ihrerseits von den Aktivitäten der Projekte geprägt. Mehr noch: „[T]hose problems themselves played a major role in the emergence of the much larger movement for citizen participation in decision making.“ Aus diesem Grund bezeichnet er die Situation zu Beginn der 1960er Jahre als Beginn einer „citizen participation revolution“ und ordnet MFY darin eine bedeutende Rolle zu. 591 Für das Verständnis von Community Action ist aber darüber hinaus auch die Konstruktion einer gesellschaftlichen Gefährdung bedeutsam, auf die sich diese Projekte bezogen. Nicht-weiße, städtische Communities wurden zu Beginn der 1960er Jahre als gefährliche Räume begriffen, in denen sich soziale Spannungen jederzeit entladen konnten. Nicht nur die weiße Öffentlichkeit fand dort „soziales Dynamit“, das zu explodieren drohe. 592 Der diskursive Sog dieser Vorstellung wird unter anderem darin deutlich, dass sich auch die afroamerikanischen Planer_innen von Community Action-Projekten, darunter etwa der Psychologe Kenneth Clark, explizit auf diese Vorstellungen beriefen. 593 Clark war maßgeblich an der programmatischen und organisatorischen Begründung von Harlem Youth Opportunities Unlimited (HARYOU) beteiligt, einem weiteren vom President’s Committee finanzierten Programm in New York City. Auch Clark argumentierte, Armut und Diskriminierung würden zu einer sich verselbstständigenden individuellen und kollektiven „Pathologie des Ghettos“ führen. Die Ermächtigung von Jugendlichen durch Jobmöglichkeiten und soziale Partizipation sei daher ein notwendiger Schritt zur Bekämpfung jugendlicher Delinquenz und tradierter „Deprivation“. 594 Community Action-Projekte wurden in diesem Zusammenhang als notwendige Präventionsmaßnahmen begriffen, die dazu beitragen sollten, Problembezirke zu befrieden und die vermeintliche Tradierung von Pathologie und Gewalt zu brechen. So wurde das Neighborhood Youth Corps des EOA etwa in den Medien auch als „anti-riot insurance“ bezeichnet. 595 In der Idee der Community Action verknüpften sich also demokratische Imperative der Nachkriegsgesellschaft mit der Notwendigkeit, ein als problematisch begriffenes Verhalten von Individuen und Gruppen einzuhegen. 591 Cazenave: Impossible Democracy, S. xi, 5-7. 592 So eine Formulierung von Conant: Slums and Suburbs, S. 2. 593 Kenneth Bancroft Clark: Dark Ghetto. Dilemmas of Social Power. Middleton: Wesleyan Univ. Press, 1989 2 [1965], S. 112. 594 Clark: Dark Ghetto, v. a. S. 81-110. 595 Zuckerman: „The Evolution and Devolution of Youth Employment Programs“, S. 275; Cazenave: Impossible Democracy, S. 158ff. <?page no="145"?> 144 Therapeutische Communities, Community Action und ihre Grenzen Für Mobilization for Youth war der politische Aktivismus von „armen“ Menschen ein zentrales Mittel, um demokratische Beteiligung zu erhöhen, vor allem aber auch korrektiv in vermeintlich problematische Community-Traditionen einzugreifen. Als „Hauptursache von Isolation und Apathie“ sozial benachteiligter Menschen begriff das Projekt deren „Gefühl von Machtlosigkeit“. Daran sollten die Programme deshalb ansetzen: „To encourage education and social learning, therefore, it is necessary to decrease this sense of powerlessness. To achieve this end requires the organization of isolated individuals and unaffiliated groups to take action. It means that MFY must give active assistance to Lower East Side residents who feel, justified or otherwise, that their rights are being violated.“ 596 Als Vorbild dafür diente MFY die Bürgerrechtsbewegung: Diese habe schwarzen Menschen Mut und das „Gefühl [gegeben], ihr eigenes Schicksal zu beeinflussen“. 597 Zu Beginn der 1960er Jahre waren die Erfolge einer selbstbewussteren Bürgerrechtsbewegung schon sehr deutlich zu sehen. Und die Ermächtigung marginalisierter Menschen über Organisierung war sowohl im Civil Rights Movement als auch in der Neuen Linken ein zentraler Modus der politischen Arbeit. 598 Bemerkenswert ist hier aber, dass MFY vom „Gefühl“ von Macht oder Machtlosigkeit sprach. Auch weil dieses Gefühl von MFY nur zum Teil für „berechtigt“ erklärt wurde, suggerierte das Projekt, dass der notwendig erste Schritt sein müsse, es zu überwinden. Macht, das wird hier deutlich, wurde von MFY als therapeutisches Mittel konzipiert. 599 Und damit setzte auch MFY, wie schon in Bezug auf die die Culture of Poverty gezeigt, letztlich am Individuum an und machte den Kampf gegen Unterdrückung und soziale Ungleichheit zu einer Frage von Selbstverantwortung. Es ist bereits gezeigt geworden, dass die Community Action-Programme von der Annahme soziokulturell hervorgebrachter psychischer Devianzen beeinflusst waren und diese zugleich bestärkten. Nicht umsonst hatte das National Institute of Mental Health die Planungsphase von MFY finanziert. Das Konzept der Vorbeugung und Bekämpfung jugendlicher Delinquenz durch eine Transformation der Community konturierte diese als Ort von „Deprivation“ und Behandlung, also als therapeutischen Ort. Damit ähnelte das Community-Konzept von MFY 596 Mobilization for Youth: Director’s First Annual Report to the Staff, October 1963, zit. nach Marris/ Rein: Dilemmas of Social Reform, S. 178. 597 Mobilization for Youth: Action on the Lower East Side, Program Report, July 1962-January 1964. New York, zit. nach Helfgot: Professional Reforming, S. 81. 598 Dazu Jennifer Frost: Movement of the Poor. Community Organizing and the New Left in the 1960s. New York/ London: New York Univ. Press, 2001. 599 Helfgot: Professional Reforming, S. 55. <?page no="146"?> 145 stark dem Modell der „therapeutic community“, das zeitgenössisch als vielversprechendes Behandlungskonzept diskutiert wurde. 600 Vor dem Hintergrund der Kritik am „trostlosen Charakter“ von psychiatrischen Einrichtungen und Jugendstrafanstalten hatten Expert_innen zu Beginn der 1950er Jahre begonnen, neue Methoden psychiatrischer Behandlung zu entwickeln, die auf die „psychosanitation“ ganzer Communities ausgerichtet waren: „[S]ocial psychiatrists will [...] protect entire communities from ways of life which are emotionally crippling much as public health officers now save cities from epidemics caused by bacteria“, hoffte ein Psychiater 1953. 601 Um das Konzept von der therapeutischen Organisation von Psychiatrien und Krankenhäusern abzugrenzen, wurde es bald „community psychiatry“ genannt. 602 Die psychiatrischen Expertisen griffen die Idee der Einbeziehung Betroffener ihrerseits auf. So formulierte es der Band Community as Doctor von 1960 als programmatisches Ziel, Individuen zu „mobilisieren“ und deren Partizipation an sozialen Prozessen als „wirksame therapeutische Einflüsse“ zu nutzen. 603 Zu Beginn der 1960er Jahre verstärkte die US-Regierung ihre Aktivitäten in diesem Bereich. Das 1963 erlassene Mental Retardation Facilities and Mental Health Centers Construction Act finanzierte den Neubau von therapeutischen Community-Zentren. Diese Einrichtungen sollten diejenigen Patient_innen umfassend betreuen, die zuvor in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden wären, sich nun aber in ihrem sozialen Umfeld rehabilitieren sollten. Auch diese Maßnahmen der Bundesregierung waren von der Vorstellung geprägt, dass spezifische Lebensumfelder Menschen krank machen würden. Orientiert am Konzept der „community psychiatry“ sollten die neuen Zentren dazu beitragen, die Communities zu reformieren, damit die Rehabilitation dieser Menschen in einem „gesunden“ Umfeld stattfinden und die Ursachen für psychische Störungen beseitigt werden könnten. 604 Dies war schon vor der Popularisierung von Culture of Poverty-Konzepten ein zentraler Punkt gewesen, an dem sich Delinquenzdispositiv und psychiatrische Maßnahmen in den Communities verknüpften, schien nun aber umso dringender. Zwar mahnten Psychiater_innen, dass auch Jugendliche aus einem bürgerlichen Umfeld delinquent werden könnten, eine systemische Delinquenz sahen sie jedoch, wie bereits gezeigt wurde, in sozial benachteiligten Gebieten. Auf diese Weise wurde 600 Vgl. Maxwell Jones u. a.: The Therapeutic Community. A New Treatment Method in Psychiatry. New York: Basic Books, 1953; Jean J. Rossi/ William J. Filstead: „Therapeutic Milieu, Therapeutic Community and Milieu Therapy: Some Conceptual and Definitional Destinctions“, in: dies. (Hg.): The Therapeutic Community. A Sourcebook of Readings. New York: Behavioral Publications, 1973. 601 Goodwin Watson: „Foreword“, in: Jones u. a.: The Therapeutic Community, S. vii-x, hier S. x; Bush: Representing the Juvenile Delinquent, S. 116. Vgl. dazu Rossi/ Filstead: „Therapeutic Milieu, Therapeutic Community and Milieu Therapy“, S. 7. 602 Leiby: A History of Social Welfare and Social Work, S. 307. 603 Robert N. Rapoport: Community as Doctor. London: Tavistock, 1960, S. 287. 604 Leiby: A History of Social Welfare and Social Work, S. 306-308. <?page no="147"?> 146 juvenile delinquency zu einem wichtigen Signifikanten, über den ganze Communities pathologisiert werden konnten. 605 An diese spezifische Konfiguration von Delinquenz, Armut und Communities konnte MFY anknüpfen - und zwar mit ambivalenten Konsequenzen. Eines der ersten Projekte von MFY war das Projekt La Casa, das 1963 als Nachbarschaftsinitiative gegründet wurde. Solche Nachbarschaftsprojekte waren bereits im Kontext städtischer Bürgerbeteiligung etwa in Chicago entstanden und dienten nun als Vorbild für MFY. Das Projekt wollte damit die Einwohner_innen eines Blocks zur Bearbeitung der Probleme im Viertel zusammenbringen. 606 Unterstützt von vier MFY-Sozialarbeiter_innen öffnete das Casa de la Communidad („Community House“) Anfang des Jahres 1963 in einem hauptsächlich puertorikanisch und afroamerikanisch geprägten Viertel der Lower East Side. In den folgenden zwei Jahren entstanden eine Reihe von Aktivitäten aus dem Programm heraus: Eltern trafen sich, um die Freizeitgestaltung delinquenzgefährdeter Jugendlicher zu planen; das Casa bot Filmabende und Englisch- Unterricht sowie verschiedene Nachhilfe-Programme an, etablierte eine Girl Scout-Gruppe und organisierte eine Lebensmittel-Kooperative. Außerdem gründeten sich in diesem Kontext die United Puerto Ricans, in deren Namen eine Reihe dieser Aktivitäten stattfanden und die sich 1964 in eigenen Räumen organisierten. 607 MFY war allerdings nicht zufrieden mit der Entwicklung des Projektes. Der MFY-Mitarbeiter Daniel Kronenfeld schrieb in einer Art Evaluation des Casa: „The major problem staff faced was how to give the residents concrete help with the problems they presented while at the same time using every opportunity for organization.“ 608 Er verstand die Bearbeitung konkreter Probleme also als getrennt von Community-Organisierung. Obwohl die United Puerto Ricans an unterschiedlichen, auch von den MFY-Planer_innen als politisch begriffenen Aktivitäten teilnahmen, wie etwa an der Wählerregistierungskampagne und dem Schul-Boykott, entwickelte das Projekt laut Kronenfeld nur schwer eine Eigendynamik. Die meisten Ideen für Aktivitäten seien vom MFY-Personal gekommen. Außerdem habe sich die Zielgruppe des Casa insgesamt mehr für die Lebensmittel-Kooperative und das gesellige Leben des Casa interessiert, als für 605 Bush: Representing the Juvenile Delinquent, S. 95, 127f. 606 Daniel Kronenfeld: „A Case History of a Block Association“, in: Weissman: Community Development in the Mobilization for Youth Experience, S. 29-43, hier S. 29. 607 Kronenfeld: „Case History of a Block Association“, S. 30f., 33, 35ff. 608 Ebd., S. 31. Der Band, in dem Kronenfelds Aufsatz erschien, war eine von MFY in Auftrag gegebene und teilweise von Mitarbeiter_innen des Projekts geschriebene Sammlung von Aufsätzen, die die Geschichte der einzelnen Programme erzählen und deren Ergebnisse zusammenfassen sollte (Harold H. Weissmann: „Preface“, in: ders.: Community Development in the Mobilization for Youth Experience, S. 7-10, hier S. 8). <?page no="148"?> 147 „umfassendere Aktivitäten“ wie stadtpolitische Kampagnen und Jobprogramme. Die Beteiligung der United Puerto Ricans an größer angelegten Community- Projekten wie Jobtrainings oder die Planung eines neuen Krankenhauses habe außerdem das stete Engagement der MFY-Angestellten erfordert. Für Kronenfeld war das kaum überraschend: „Issues tend to excite people for a while and then lose their interest.“ Die politische Mobilisierung sozial benachteiligter Menschen sei eben prinzipiell schwerer und müsse immer konkrete Alltagshilfen umfassen. Aber selbst dann gab es für Kronenfeld, wie er am Beispiel von La Casa zeigen wollte, keine Garantie, dass sich daraus nachhaltige, politische Aktivitäten entwickeln würden. 609 Auf diese Weise bekräftigte er zwar, dass die Einbeziehung marginalisierter Menschen zeitgenössisch erwünscht war, sprach ihnen aber den Willen und die Fähigkeit zu einer ausdauernd aktiven Rolle in politischen Prozessen ab. Mehr noch, das Politikverständnis der mehrheitlich weißen und bürgerlichen MFY-Angestellten umfasste nicht die alltägliche Lebensorganisation ihrer Zielgruppe. Es ist also kaum verwunderlich, dass Kronenfeld das Projekt im Rückblick nur als mäßigen Erfolg betrachtete. Die Geschichte von La Casa und gerade auch diese nachträgliche Beurteilung durch Kronenfeld sind gute Beispiele für die Ambivalenz von MFY. Die MFY- Planer_innen beförderten politische Praktiken, trauten sie denen, die sie einbeziehen wollten, aber eigentlich nicht zu. Die Logik Sozialer Arbeit, die das Projekt prägte, war trotz ihrer verhältnismäßig radikalen Ausrichtung von weiß und bürgerlich kodierten Wertvorstellungen und Interessen geprägt. Gleichzeitig führte ein therapeutischer Blick auf Menschen und Community-Strukturen dazu, dass nicht ökonomische Ungleichheit und rassistische Unterdrückung, sondern die Psyche der Menschen als Zielscheibe gesellschaftlicher Veränderung begriffen wurde. Dass die Aktivitäten der Community Action-Programme aber trotzdem eine Herausforderung gesellschaftlicher Hierarchien bedeuten konnten, lässt sich anhand der Geschichte von MFY in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zeigen. Poverty und das ambivalente Erbe von Community Action Die auf politischen Aktivismus ausgerichteten Projekte von MFY prägten hauptsächlich die ersten Jahre des Projektes. Ab Mitte der 1960er Jahre transformierte sich MFY zu einer Einrichtung, die weniger auf Community Action und mehr auf „Community Services“ wie Jobtraining und -vermittlung setzte. 610 Bertram Beck, der neue Direktor von MFY, begriff es als wichtiger, sozial benachteiligten Menschen Jobs zu verschaffen, als diese an sozialarbeiterischen Projekten entscheidend zu beteiligen. Außerdem, so argumentierte er ähnlich wie Kronenfeld, 609 Kronenfeld: „Case History of a Block Association“, S. 36, 39f. 610 Cazenave: Impossible Democracy, S. 163; Waltzer: Uneasy Idealism, S. 292. <?page no="149"?> 148 würden „Arme“ nur dieselben „palliativen“ Programme befürworten, die es bereits gäbe, und überdies nicht die notwendige Expertise mitbringen. 611 Die Transformation der Aktivitäten von MFY lassen sich nur zum Teil durch die grundsätzliche programmatische Ambivalenz erklären, die sich auch in Becks elitärem Standpunkt ausdrückte. Diese verschränkte sich in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre mit Entwicklungen, im Laufe derer die Idee der „maximum feasible participation“ zurückgedrängt wurde und ein zunehmender öffentlicher Druck auf Community-Action-Projekte und das Office of Economic Opportunity ausgeübt wurde. Die starke Unterstützung von MFY überdauerte zwar das Jahr 1964, den Zeitraum der Kommunismus-Vorwürfe gegenüber dem Programm, ging aber ab Ende 1966 zurück. 612 Bezeichnenderweise waren es nun nicht mehr antikommunistische Befürchtungen, die im Vordergrund der Kritik standen. Vielmehr sorgten sich viele, gerade angesichts der sich häufenden „race riots“, dass der War on Poverty keine Wirkung zeigen würde. Mehr noch, Community Action-Organisationen gerieten in den Verdacht, gewaltsame Aufstände noch anzutreiben und daran teilzunehmen. 613 Zu diesem Zeitpunkt wurde die politische Einbeziehung sozial benachteiligter People of Color möglicherweise als zu große Herausforderungen lokaler und nationaler Machtgefüge begriffen. Das sogenannte „Green Amendment“, ein 1967 verabschiedeter Zusatz zum Economic Opportunity Act, war ein Resultat dieses Prozesses. Es legte einen signifikanten Teil der Kontrolle über Community Action-Programme in die Hände von lokalen Behörden und den Regierungen der Bundesstaaten. Damit wurde die Partizipation von Einwohner_innen an der programmatischen Ausrichtung solcher Projekte stark begrenzt. 614 Mobilization for Youth erhielt noch bis in die 1970er Jahre hinein Mittel der Regierung, nun allerdings hauptsächlich aus dem Arbeitsministerium zur Förderung der Jobprogramme. Das Office of Economic Opportunity wurde offiziell 1974 abgeschafft. 615 Der Politologe Michael Givel hat das Konzept der Communiy Action und dessen Plan der Einbeziehung sozial benachteiligter Menschen in politische Entscheidungen mit Blick auf das „Green Amendment“ für gescheitert erklärt. 616 Auch der Historiker Platt konstatierte bereits 1970, sozial benachteiligten Menschen sei nur eine „Alibifunktion“ in Anti-Delinquenz-Programmen zugestan- 611 Bertram Beck: „Maximum Feasible Participation of the Poor: A Hope or a Hustle? “, in: Mobilization for Youth News Bulletin 5/ 2 (1966), S. 2, zit. nach Cazenave: Impossible Democracy, S. 164f. 612 Cazenave: Impossible Democracy, S. 163-166. 613 Ebd., S. 155f.; Goldstein: Politics of Community Action, S. 131-136. 614 Michael Givel: The War on Poverty Revisited. The Community Service Block Grant Program in the Reagan Years. Lanham u. a.: Univ. Press of America, 1991, S. 79f.; Cazenave: Impossible Democracy, S. 167-69. 615 Ebd., S. 166, 169. 616 Givel: The War on Poverty Revisited, S. 227. <?page no="150"?> 149 den worden. Das Ideal von „maximum feasible participation“ habe sich als nicht durchsetzbar erwiesen. 617 Dagegen kommt Cazenave zu einer anderen Einschätzung: Er betont das emanzipatorische Potenzial, das Community Action über deren Hochphase hinaus entfalten konnte. 618 Ich argumentiere, dass die Programme sowohl zur Pathologisierung und Kriminalisierung von Armut beitrugen als auch emanzipatorische Politiken unterstützten. Ein entscheidendes diskursives Element, über das diese Ambivalenz möglich wurde, war die enge Verknüpfung von jugendlicher Delinquenz mit Armut. Im Laufe der 1960er Jahre wurde Mobilization for Youth mehr und mehr als Armutsbekämpfungsprojekt wahrgenommen, auch wenn es zum Kampf gegen Delinquenz gegründet worden war. MFY war dabei nicht das einzige Projekt, das diesen Wandel ausdrückte. Mitte der 1960er Jahre existierten, MFY inbegriffen, allein in New York City drei große Armutsbekämpfungsprogramme, die als Maßnahmen gegen Jugenddelinquenz entstanden waren. 619 Auf diese Weise funktionierte jugendliche Delinquenz als Vehikel für die Mitte der 1960er Jahre starke Konzentration auf Armut als gesellschaftliches Problem: Indem die Delinquency Scare dafür gesorgt hatte, Delinquenz profund zu problematisieren und mit sozialer Benachteiligung zu verknüpfen, verlieh sie den Verhandlungen von Armut nun eine besondere Dringlichkeit. Der War on Poverty lässt sich vor diesem Hintergrund als diskursives Erbe der Auseinandersetzungen um jugendliche Delinquenz in den 1950er Jahren betrachten. Der Signifikant Armut konnte nun viele der Prozesse regulieren, die zuvor über juvenile delinquency funktioniert hatten. Mit dieser Produktivität im Blick lassen sich die ambivalenten Konsequenzen von Community Action näher beleuchten. Einerseits beförderte die enge Verknüpfung von Delinquenz und Armut eine pathologisierende Konstruktion von Communities, wie sie etwa in Culture of Poverty-Konzepten artikuliert wurde. Darüber konnte Delinquenz als gleichsam logische Folge „deprivierter“ Communities begriffen werden. Paradoxerweise wurde die Delinquenz, die sozial benachteiligten Jugendlichen zugeschrieben wurde, zwar mit sozialen Faktoren wie Armut und städtischer „Desorganisation“ erklärt, die Effekte dieser Probleme aber, wie ich gezeigt habe, tief in Körpern und Psychen der Individuen verankert. Poverty konnte so nicht als Resultat von Rassismus und sozialer Diskriminierung, sondern von individuellem und kollektivem Scheitern konturiert werden. In diesem Zuge erschienen sozial benachteiligte, nicht-weiße Communities als problematische Räume, in die therapeutisch eingegriffen werden sollte. Diese „machtvermeidende“ Konzeption von Armut als pathologischem Zustand hatte bedeutende Konsequenzen: Sie erlaubte es, 617 Platt: „Saving and Controlling Delinquent Youth“, S. 464f. Vgl. Matusow: Unraveling of America. 618 Cazenave: Impossible Democracy, S. 174-181. 619 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 290, 293. <?page no="151"?> 150 das Sprechen über soziale Reformen einzuhegen. 620 Wenn Armut und deren Überwindung in der Verantwortung von Individuen und Communities lagen, dann zielten Projekte wie MFY darauf, ihre Klientel zu unterstützen, nicht aber gesellschaftliche Hierarchien anzugreifen. Diese Konstruktion belebte die historische Figur der undeserving poor und trug in den 1970er und 1980er Jahren dazu bei, Armutbekämpfungsprogramme auf Regierungsebene zurückzuschrauben bzw. auf die Aktivierung und Selbsthilfe der „Armen“ auszurichten. 621 In dem Maße, in dem Armut als pathologische Tradition nicht-weißer Communities imaginiert und eng mit Delinquenz verbunden wurde, schien die „Unterklasse“ zudem einen „gefährlichen“ Bevölkerungskörper darzustellen. Armut signifizierte nun die vermeintlich epidemischen Gefahren, die vormals eher über jugendliche Delinquenz ausgedrückt worden waren und trug dazu bei, juvenile delinquency symbolisch eindeutiger mit nicht-weißen Jugendlichen und innerstädtischen Räumen zu verknüpfen. Daher lässt sich nicht davon sprechen, dass Armut zu diesem Zeitpunkt schlicht anstelle von Delinquenz zum Fluchtpunkt der öffentlichen Sorge geworden ist, wie es laut Bush der sozialgeschichtliche Mainstream konstatiert. 622 Vielmehr ging Armut, wie gezeigt wurde, in Culture of Poverty-Theorien eine enge Verbindung mit psychologischen Erklärungsmustern von Delinquenz ein. Mit anderen Worten: Die Zentralität, die Delinquenz in den gut 15 Jahren vor dem War on Poverty für Aushandlungen der sozialen Ordnung hatte, ging nicht verloren, sondern im Armutsdiskurs auf. Gerade die Vorstellung von marginalisierten Jugendlichen als „soziales Dynamit“ der Städte ermöglichte zum Ende der Dekade auch Forderungen nach deren verstärkter Kontrolle und Repression. Der bereits im letzten Kapitel zitierte Bericht der President’s Commission on Law Enforcement and Administration of Justice beispielsweise berief sich auf die tradierte „Deprivation“ von afroamerikanischen Communities und betonte die Notwendigkeit, „Slum- und Unterklassen-Jugendliche“ zu kontrollieren, um „schwerste“ jugendliche Delinquenz zu bekämpfen. 623 Der diskursive Sog dieses Narrativs wird nicht zuletzt deutlich in einer Aktion von MFY aus dem Jahre 1968: Im Februar des Jahres führte das Projekt gemeinsam mit Bewohner_innen von Sozialwohnungen einen Mietstreik durch. Die zentrale Forderung dieses Streiks bildete der Ruf nach mehr Polizeistreifen in Wohnblocks. Nachdem das Projekt maßgeblich daran beteiligt 620 Der Begriff „power-evasive“ geht zurück auf die Amerikanistin Ruth Frankenberg. Sie bezeichnet damit eine Weise des Sprechens, die von rassialisierten und vergeschlechtlichten Kodierungen durchzogen ist, dies aber nicht explizit macht (Ruth Frankenberg: White Women, Race Matters. The Social Construction of Whiteness. Minneapolis: Univ. of Minnesota Press, 1999 [1993], S. 15). 621 Dazu Michael B. Katz: The Undeserving Poor. From the War on Poverty to the War on Welfare. New York: Pantheon, 1989; Chappell: The War on Welfare, S. 139-155. 622 Bush: Representing the Juvenile Delinquent, S. 126. 623 President’s Commission: The Challenge of Crime in a Free Society, S. 57. <?page no="152"?> 151 gewesen war, Anwohner_innen gegen polizeiliche Willkür zu organisieren, sah es sich nun der paradoxen Situation ausgesetzt, mit seiner Klientel für mehr Polizeipräsenz in der Community zu demonstrieren. 624 Aus dieser Perspektive trug die Konzeption von Armut in Community Action-Projekten wie MFY dazu bei, rassistische und klassistische Logiken zu verstärken und in Sozialpolitiken und „Law and Order“-Kampagnen zu materialisieren. 625 Andererseits schuf der Fokus auf Armut aber auch einen Raum, in dem es möglich war, gesellschaftliche Ungleichheiten zu problematisieren. Der Historiker James Patterson schreibt, mit dem War on Poverty sei Armut „zum ersten Mal seit den 1930er Jahren auf die Titelseiten“ gekommen. 626 In einer solchen Situation war es möglich, Armut als gesellschaftliches Problem anzugreifen und selbst auf Regierungsebene über verhältnismäßig radikale Reformen nachzudenken. 627 Am Beispiel von MFY ließ sich zeigen, dass Community Action-Projekte überdies ein Demokratieverständnis begünstigten, über das Bundesmittel zur Finanzierung von Bürgerrechtsprotesten und Gemeinwesenarbeit eingesetzt werden konnten. In diesem Kontext betrachtet Cazenave das „Green Amendment“ auch nicht als Zeichen des Scheiterns von Community Action. Vielmehr sei es ein Hinweis darauf, dass die Projekte über die Erwartungen hinaus erfolgreich gewesen seien und etwa durch ihren Bezug auf die Bürgerrechtsbewegung gesellschaftliche Machtverhältnisse herausgefordert hätten. 628 Um dies zu verdeutlichen, zitiert Cazenave beispielsweise eine MFY-Koordinatorin, die auf den Schulstreik zurückblickend berichtete: „This was a time when poor parents were utterly intimidated by the Board of Education, and all it represented. When a teacher spoke, the parents quivered, or did nothing. They might have felt extreme injustices against their children, but they didn’t understand that they had rights to confront this Board of Education. That program helped a lot of parents in that community to be able to stand up for the rights of their children, to go to the Board of Education, to demand changes.“ 629 Trotz der Probleme des Konzeptes von Beteiligung als therapeutischer Maßnahme, die auch in diesem Bericht deutlich wird, trug das Projekt dazu bei, politischen Aktivismus zu befördern und marginalisierte Menschen zu ermächtigen. 624 Fritz Umbach: The Last Neighborhood Cops. The Rise and Fall of Community Policing in New York Public Housing. New Brunswick: Rutgers Univ. Press, 2011, S. 72f. 625 Chappell: The War on Welfare; Flamm: Law and Order. 626 Patterson: America’s Struggle Against Poverty, S. 97. 627 Chappell: The War on Welfare, z. B. Kapitel 2 zu Richard Nixons „Family Assistance Plan“. 628 Cazenave: Impossible Democracy, S. xii, 14, 172. 629 Marylyn Gore im Interview mit Noel Cazenave, 19. Mai 1992, zit. nach ebd., S. 75. <?page no="153"?> 152 Das Demokratieverständnis, das mit dem Plan der Einbeziehung sozial benachteiligter Menschen in den Kampf gegen Armut verhandelt wurde, konnte überdies die breite Unterstützung für Community Action-Programme überdauern und hatte langfristigere emanzipatorische Effekte. 630 Laut Cazenave hätten die Projekte die Erwartungen von Menschen an politische Beteiligung nachhaltig angehoben. Zu den Konsequenzen dieser Entwicklung zählt er beispielsweise die Gründung der National Welfare Rights Organization, aber vor allem den Umstand, dass trotz eines politischen „backlash“ in der Nixon- und Reagan-Ära bis zum heutigen Zeitpunkt Forderungen nach der politischen Partizipation sozial benachteiligter Menschen nicht ignoriert werden könnten. 631 Und schließlich zeigt sich anhand einer Episode aus dem Jahre 1963 ganz konkret, dass MFY den Raum für politischen Aktivismus schuf - nicht zuletzt als dessen Zielscheibe. So berichtete die New York Times im Mai des Jahres: „A public protest against the wages, conditions and hiring policies of the Mobilization for Youth was staged yesterday by young men it is trying to help. They picketed outside the agency’s office [...].“ 632 Die Kämpfe um den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen konnten sich offenbar außerhalb der Kontrolle der MFY-Planer_innen verselbstständigen. 633 Die Politiken von Mobilization for Youth zeigen dabei sowohl die Reproduktion als auch die Herausforderung hierarchischer Machtverhältnisse: Einerseits bestärkte Community Action pathologisierende Vorstellungen von tradierter Armut, defizitären Individuen und gefährlichen Stadträumen. Andererseits hatte ihr Fokus auf die Organisierung sozial benachteiligter Gruppen das Potenzial, diese Hierarchien anzugreifen. Es war diese Ambivalenz, die es ermöglichte, dass ein auf die Partizipation sozial benachteiligter Menschen ausgerichtetes Projekt staatliche Förderung erhalten oder gar eine Modellfunktion für den War on Poverty einnehmen konnte. Sozialarbeiterische Strategien dockten an einen diskursiven Imperativ an, der Aktivität und Leistung obligat werden ließ, Partizipation aber auf weiße Mittelklasse-Subjekte beschränkte. MFY erfüllte diesen zeitgenössischen Bedarf, demokratische Partizipation im Kampf gegen Armut zu ermöglichen, ohne aber Rassismus und soziale Ungleichheit grundsätzlich in Frage stellen zu müssen. 630 Dazu gehört auch die Bedeutung, die Community Organizing sowohl für die Black Panther Party als auch den SDS zum Ende der 1960er Jahre hatte (dazu Frost: Movement of the Poor; Judson L. Jeffries [Hg.]: On the Ground. The Black Panther Party in Communities Across America. Jackson: Univ. Press of Mississippi, 2010; Hale: Nation of Outsiders, insbes. Kap. 5). 631 Cazenave: Impossible Democracy, S. 177f., 181. 632 Anon.: „Youth Protest Job Center Hiring“, in: New York Times, 9. Mai 1963, S. 20. 633 Cazenave: Impossible Democracy, S. 154. <?page no="154"?> 153 4 Fazit Meine Untersuchung von juvenile delinquency und Sozialarbeit in den US- Nachkriegsdekaden hat anhand jugendlicher Gangs veranschaulicht, wie Delinquenz sowohl als gesellschaftliches Problem als auch als „normales“, adoleszentes Verhalten konzipiert werden konnte. Ob Street Workers in Jugendgangs intervenieren oder Eltern sie begrüßen sollten, hatte mit unterschiedlich strukturierten Äquivalenz- und Differenzbeziehungen von „Rasse“, Klasse, Geschlecht und Raum zu tun. Die Konstruktion interventionsbedürftiger Jugendgangs brachte zudem eine spezifische, männlich und authentisch kodierte Figur des Street Worker hervor. Vincent Riccio diente diesem Kontext als Beispiel dafür, wie sich ein Sozialarbeiter in die Anrufungen der Delinquency Scare einschreiben und sich selbst als verantwortlich begreifen konnte, der diagnostizierten Malaise auf eine spezifische Weise zu begegnen. Dass über das Delinquenzdispositiv nicht nur die Regierung von Jugendlichen, sondern auch von Erwachsenen funktionierte, wurde auch in der Analyse von Mobilization for Youth deutlich. MFY knüpfte an eine Reihe zentraler Annahmen an, die in der Delinquency Scare entstanden oder gefestigt worden waren: Jugendliche Delinquenz wurde als ernstes, gesellschaftliches Problem begriffen, das die Entwicklung neuer, präventiv ausgerichteter Maßnahmen notwendig machte. Vorstellungen einer sich tradierenden Culture of Poverty ließen das Problem umso dringender erscheinen und bestärkten soziale Mobilität als Fluchtpunkt von Sozialarbeit auch in Community Action- Programmen. Die Prävention jugendlicher Delinquenz, aber auch die Aktivierung selbstverantwortlicher Bürger_innen bildeten Schwerpunkte sozialarbeiterischer Interventionen in den 1950ern Jahren. Daran dockte MFY an. MFY konnte sich aber auch auf die diskursiven Grenzen von Partizipation beziehen: Im Gegensatz zu weißen Jugendlichen der Mittelklasse, die in zeitgenössischen Youth Development-Theorien als zukünftige demokratische Eliten konturiert wurden, erschienen sozial benachteiligte, nicht-weiße Jugendliche als (noch) nicht „reif“ für gesellschaftliche Partizipation. Während Jugendliche in der Programmatik von MFY ohnehin nicht primär zur politischen Beteiligung ermuntert, sondern eher in Beschäftigungsprogrammen untergebracht werden sollten, sah das Projekt aber auch Erwachsene als nicht ohne weiteres fähig zur Partizipation an. Indem Community Action vor diesem Hintergrund als therapeutische Praxis konzipiert wurde, erweiterte MFY den sozialarbeiterischen Fokus auf Erwachsene. Die Operation Street Corner, das Gang-Projekt des Wharton Centre in Philadelphia, endete 1958. Die Soziale Arbeit mit Gangs wurde nun in ein breiter angelegtes Programm eingebettet, das aus Mitteln des Economic Opportunity Act finanziert wurde. 634 Laut Rosenbaum hatte das Wharton Centre erkannt, dass 634 Franklin: „Operation Street Corner“, S. 211. <?page no="155"?> 154 „wahre Prävention“ von Delinquenz nur möglich sei, wenn mit der ganzen Community gearbeitet werde: „[This] would tend to reduce antisocial behavior by the youngsters, and [...] would bring about an acceptance of a greater measure of responsibility by the adults.“ 635 Hier zeigt sich zum einen erneut die therapeutische Logik von Community Action. Zum anderen ist der Wandel auch der sozialarbeiterischen Programme des Wharton Centre ein weiteres Beispiel für die Produktivität des Problemnarrativs Jugenddelinquenz. Über die Konturierung „deprivierter“ Communities als paradigmatische Orte der Hervorbringung jugendlicher Delinquenz brachte der Delinquenzdiskurs Effekte mit sich, die weit über das konkrete Problem hinausgingen. Juvenile delinquency wurde zunehmend in den Signifikanten poverty eingegliedert und diese Äquivalenzbeziehung wurde zu einer zentralen Begründung des War on Poverty. Damit sedimentierte sich der Delinquenzdiskurs in sozialpolitische Programme und schuf einen Raum, in dem Fragen von gesellschaftlicher Zugehörigkeit verhandelt werden konnten. Auch im folgenden Kapitel, das die schulische Delinquency Scare behandelt, wird die enorme diskursive Reichweite des Sprechens und Handelns über jugendliche Delinquenz deutlich werden. 635 Robert Rosenbaum an N. S. Winnet, Direktor der Philadelphia Crime Prevention Association, 2. Mai 1962, zit. nach: Franklin: „Operation Street Corner“, S. 210. <?page no="156"?> 155 IV Der Kampf um die Highschool: Delinquenz und die Schulkrise Thomas Jefferson High School, Brooklyn, New York City: Am 19. September 1957 warf der 17-jährige Maurice Kessler eine mit ätzender Flüssigkeit gefüllte Flasche auf einen Schulkameraden, die diesen schwer und 19 Mitschüler_innen leicht verletzte. Kessler wurde verhaftet und in die Psychiatrie eingewiesen. 636 Der verantwortliche Richter Samuel S. Leibowitz betonte, der Junge sei nur einer von „unzähligen [...] gefährlichen [...] Gangstern, die Amok in [den] öffentlichen Schulen“ liefen. Es sei ein Skandal, dass Kessler der Schulbehörde schon seit langem als Problemfall bekannt gewesen sei, diese aber nichts unternommen habe. Eineinhalb Monate nach dem Vorfall stellte Leibowitz eine Grand Jury zusammen, die die mutmaßlich ansteigende Kriminalität in den Schulen New York Citys untersuchen sollte. 637 Hatten der Kessler-Vorfall und die Einrichtung der Grand Jury bereits öffentliche Aufmerksamkeit erregt, steigerte sich dieses Interesse über die Grenzen der Stadt hinaus mit einem weiteren Ereignis, das unmittelbar mit der Untersuchung verbunden war: Am 28. Januar 1958 beging der Direktor einer anderen Highschool in Brooklyn Suizid, kurz bevor er vor der Grand Jury erscheinen sollte. George Goldfarb hatte im gleichen Monat bereits zweimal vor dem Geschworenenausschuss ausgesagt, und seine Schule, die John Marshall Junior High School, war just in dieser Zeit wegen jugendlicher Gewalt in den Schlagzeilen. Bevor er zum dritten Mal vor der Grand Jury auftreten sollte, stürzte sich Goldfarb vom Dach seines Appartmenthauses. 638 Nach seinem Tod beschuldigten sich Grand Jury und Schulbehörde gegenseitig, Druck auf den Direktor ausgeübt zu haben. Der Streit zwischen den beiden Einrichtungen dauerte einige Monate an. 639 Was allerdings länger anhielt, war die Skandalisierung jugendlicher Gewalt an Schulen. Die hohe symbolische Bedeutung der Vorfälle wird in einem weiteren Mosaikstein dieses Narrativs schulischer Gewalt deutlich. Im Frühjahr 1958 gab der Chefredakteur der New York World Telegram & Sun seinem Journalisten George Allen eine ungewöhnliche Aufgabe: Er sollte Lehrer werden. Allen sollte die 636 Emma Harrison: „Boy Hurles Lye in Classroom; 20 Hurt, One May Be Blinded“, in: New York Times, 20. September 1957, S. 1, 17; anon.: „Leibowitz Orders School Crime Study“, in: New York Times, 7. November 1957, S. 37. 637 Leibowitz zit. nach Allen: Undercover Teacher, S. 14; anon.: „Leibowitz Orders School Crime Study“. Leibowitz war kein unbekannter Richter, sondern als Hardliner berüchtigt. Mit Fällen jugendlicher Delinquenz hatte er regelmäßig zu tun (Waltzer: Uneasy Idealism, S. 175, 177). 638 Emanuel Perlmutter: „Head Of School Beset By Crime Leaps To Death“, in: New York Times, 29. Januar 1958, S. 1. Dazu Waltzer: Uneasy Idealism, S. 180f. 639 Emanuel Perlmutter: „Principal’s Death Is Laid To Threat By A Grand Juror“, in: New York Times, 30. Januar 1958, S. 1, 13; Allen: Undercover Teacher, S. 20. <?page no="157"?> 156 Kurzausbildung zum Aushilfslehrer absolvieren und sich dann undercover an einer „Problemschule“ anstellen lassen, um über die Zustände der öffentlichen Schulen zu berichten. 640 Nachdem Allen seine Lizenz erlangt hatte, fand er auch sofort eine Anstellung: ausgerechnet an der John Marshall Junior High, der Schule Goldfarbs. Nach zweimonatiger Tätigkeit publizierte Allen seinen Erfahrungsbericht zunächst als Artikelserie und anschließend als Buch mit dem Titel Undercover Teacher. 641 Er präsentierte ein schulisches Horrorszenario und erzählte von überfüllten Klassen, unkontrollierten und gefährlichen Jugendlichen und zunächst hilflosen, aber schließlich zynisch werdenden Lehrkräften. 642 Dass die Lage an Highschools dramatisch war, davon waren in den 1950er Jahren ohnehin viele überzeugt. Die Diagnose eines profunden Delinquenzproblems in öffentlichen Schulen konnte über New York City hinaus deshalb so skandalisiert werden, weil das US-amerikanische Schulwesen zu diesem Zeitpunkt in einer tiefen Krise zu stecken schien. Die Faktoren und Symptome der Schulkrise fanden Zeitgenoss_innen etwa in vollen Klasse, überkommenen Curricula, unterbezahlten Lehrkräften, unterforderten oder leistungsschwachen Jugendlichen sowie schulischer Gewalt. 643 Diese Krise erwies sich als äußerst produktiv zu einem Zeitpunkt, zu dem man die Highschool als universelle Erfahrung Jugendlicher begriff und mehr Jugendliche als zuvor auf eine weiterführende Schule gingen. 644 Dabei fungierte die Krisenrede als Überbegriff für sehr unterschiedliche Problemdiagnosen in einem schulpolitisch höchst bewegten Zeitraum, der geprägt war von curricularen Kämpfen und Auseinandersetzungen sowohl um schulische Integration als auch um die beste Ausbildung zukünftiger Eliten. Seit Mitte der 1940er Jahre hatten Expert_innen eine pragmatischere, an den lebensweltlichen Bedürfnissen der Jugendlichen ausgerichtete schuli- 640 Allen: Undercover Teacher, S. 30-38. 641 Z. B. George Allen: „‘Don’t Let ‘Em See You’re Afraid,’ Writer told by School Official“, in: New York World-Telegram & Sun, 13. November, 1958, S. 1; ders.: „‘Hey, Teach’ Is Signal for Classroom Bedlam“ in: New York World-Telegram & Sun, 19. November 1958, S. 1, 3; ders.: Undercover Teacher. 642 Ebd., S. 11, 21, 29. 643 Diane Ravitch: Troubled Crusade. American Education, 1945-1980. New York: Basic Books, 1983; Michael B. Katz: Reconstructing American Education. Cambridge: Harvard Univ. Press, 1987, Kap. 4. William Reeses Studie lässt die ersten beiden Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu aus, ist aber lohnenswert für einen Überblick über die Geschichte des USamerikanischen öffentlichen Schulwesens (William J. Reese: America’s Public Schools. From the Common School to “No Child Left Behind”. Baltimore: John Hopkins Univ. Press, 2011 [2005]). Zum Folgenden insbes. Benjamin Golub: Into the Blackboard Jungle. Educational Debate and Cultural Change in 1950s America. Unveröff. Diss. University of Texas at Austin, 2004; Hartman: Education and the Cold War. 644 Dazu Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 47; Judith Kafka: „Disciplining Youth, Disciplining Women: Motherhood, Delinquency, and Race in Postwar American Schooling“, in: Educational Studies 44/ 3 (2008), S. 197-221, hier S. 198, 205. Zur Produktivität von Krisenerzählungen Krämer/ Mackert: „Wenn Subjekte die Krise bekommen“. <?page no="158"?> 157 sche Ausbildung propagiert. Diese Konzepte der „life adjustment education“ stießen bei anderen auf heftige Kritik, die im Gegenteil gerade eine intensivere Vorbereitung der Jugendlichen auf die Universitäten forderten. 645 Neuen Treibstoff erhielt diese Kontroverse in den späten 1950er Jahren infolge des „Sputnik- Schocks“, als es zunehmend hieß, dass die US-amerikanischen Schulen nicht genug fähige Köpfe für die naturwissenschaftliche Forschung produzieren würden. 646 Zur Mitte der Dekade hatte sich mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes im Fall Brown v. Board of Education bereits ein weiterer schulpolitischer Meilenstein ereignet: Die Entscheidung zur Desegregierung der Schulen, der Widerstand gegen dieses Urteil und die zähen Prozesse von dessen Umsetzung brachten ihrerseits Krisennarrative hervor. 647 In diesem Kapitel werden die Aushandlungen schulischer Delinquenz in den US-Nachkriegsdekaden und ihre Verknüpfung mit den Krisenproklamationen untersucht. Dazu wende ich mich im ersten Abschnitt des vorliegenden Kapitels einer genaueren Untersuchung des Szenarios zu, dass Allen in Undercover Teacher beschrieb. Ich bette Allens Buch in die Kämpfe um schulische Integration ein und zeige, wie juvenile delinquency in diesem Kontext sowohl von den Befürworter_innen als auch Gegner_innen der Desegration diskursiv eingesetzt wurde. Außerdem analysiere ich hier, wie sich schulische Gewalt und gefährdete Eliten in den 1950er Jahren als zwei Stränge der schulischen Krisenrede etablieren und voneinander abgegrenzt werden konnten. Anschließend zeige ich, wie Debatten über den Schulabbruch Jugendlicher die Krisennarrative - und auch deren Differenzierung - zum Beginn der 1960er Jahre aktualisierten und erneut schulpolitischen Handlungsbedarf suggerierten. Zum Abschluss geht es vor allem um zwei Effekte des schulischen Delinquenzdiskurses auf Lehrkräfte und Jugendliche: erstens um Vorstellungen idealer und scheiternder Lehrkräfte, zweitens um sonderpädagogische Maßnahmen als materielle Konsequenzen der spezifischen Repräsentationen vermeintlich unbeschulbarer Jugendlicher. 645 Dazu Herbert M. Kliebard: Changing Course. American Curriculum Reform in the 20th Century. New York: Teachers College Press, 2002, Kap. 4; Hartman: Education and the Cold War; Kap. 3 und 5; Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 172-180. 646 Barbara Barksdale Clowse: Brainpower for the Cold War. The Sputnik Crisis and National Defense Education Act of 1958. Westport: Greenwood Press, 1981, insbes. Kap. 4; Paul Dickson: Sputnik. The Shock of the Century. New York: Walker Publishing, 2001. 647 James T. Patterson: Brown v. Board of Education. A Civil Rights Milestone and its Troubled Legacy. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2001; Klarman: From Jim Crow to Civil Rights, Kap. 6 und 7; Golub: Into the Blackboard Jungle. <?page no="159"?> 158 1 Schulische Gewalt und die Ausdifferenzierung der Schulkrise George Allen machte in seinem Buch keinen Hehl aus seiner Einschätzung, dass die Schulen New York Citys in einer gravierenden Krise steckten. Nach seiner Darstellung herrschte alltägliches Chaos in den Klassen, ergänzt von Episoden brutaler Schülergewalt. 648 Allen begriff Goldfarb so unmittelbar als Opfer von schulischen „gangs of hoodlums“, als hätten diese den Direktor persönlich vom Dach gestoßen. 649 Gleichzeitig erwähnte er immer wieder, dass die wenigen Jugendlichen, die lernen wollten, dazu angesichts der schlimmen Lage keine Chance hätten. Vor diesem Hintergrund verwies Allen auf eine Kluft zwischen zeitgenössischen Diskussionen um Elitenförderung und der Situation großstädtischer Highschools: „While we have been engaged in a furious national debate on whether the schools are turning out enough potential scientists to help us compete with Russia, the schools have been turning out illiterates and semiliterates unequipped for life in an industrial society.“ 650 Der Historiker Lukas Waltzer hat Allens Bericht als Beispiel für den „sensationalistischen“ Ton gelesen, in dem Zeitungen am Ende der 1950er Jahre über Highschools sprachen, um ihre Auflagen zu steigern. 651 Dies ist ein wichtiger Hinweis, der jedoch eine genauere Analyse verdient, denn Allens Texte konnten vermutlich ein großes Publikum erreichen, weil sie kulturell lesbar waren. Weshalb war es zu diesem Zeitpunkt möglich und verkaufsfördernd, so über Schulen zu schreiben? Vor welchem Hintergrund verfolgten Zeitgenoss_innen die Verhandlungen schulischer Gewalt? Im Folgenden gehe ich der Frage nach, warum dieses Narrativ schulischer Delinquenz zum Ende der Dekade eine solche Bedeutung annehmen konnte. Dazu betrachte ich zunächst die Rolle, die Jugenddelinquenz in den Kämpfen um die Integration von Schulen einnahm. Ich zeige, wie integrierte Schulen in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre als gefährliche Räume, aber auch als demokratische Herausforderungen konturiert wurden. Schließlich skizziere ich, wie sich rund um den „Sputnik-Schock“ ein Strang der schulischen Krisenerzählung herausbildete, der allerdings zunehmend abgekoppelt von den Narrativen schulischer Delinquenz schien. 648 Allen: Undercover Teacher, S. 93, 103, 107ff., 111ff. 649 Ebd., S. 20f. 650 Ebd., S. 83, 184. 651 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 215. <?page no="160"?> 159 Brown v. Board of Education und die Kontroverse um schulische Integration George Allen betonte in seinem Buch, dass es sich bei der John Marshall High um eine integrierte Schule mit einem hohen Anteil afroamerikanischer Schüler_innen handelte. 652 Und in der Tat wurden die Vorkommnisse in New York City von vielen als Prüfstein für den Konflikt um die Desegregation von Schulen verstanden. Im Februar 1958 verglich der demokratische Gouverneur von Georgia, Herman Eugene Talmadge, die Lage in der Stadt mit den Ereignissen, die sich einige Monate zuvor in Little Rock, Arkansas, abgespielt hatten. Im September 1957 hatte Präsident Eisenhower Bundestruppen nach Little Rock geschickt, um den ersten afroamerikanischen Schüler_innen den Besuch einer integrierten Schule zu ermöglichen. Talmadge regte nun ironisch an, dass Eisenhower diese Truppen doch auch nach New York City schicken könnte, um die Ordnung in den Schulen aufrechtzuerhalten. 653 Freilich wollte Talmadge nicht so weit gehen, dies tatsächlich zu fordern, denn Eisenhowers Anordnung war von den Gegner_innen schulischer Integration als gänzlich unzulässiger Eingriff in die Souveränität der Bundesstaaten verstanden worden. Gleichwohl bekräftigte er damit die Einschätzung vieler, dass auch New York City unter schulischer Integration leiden würde. Der Republikaner Jacob Javits, mit dem Talmadge im Senat aneinandergeriet, wollte zwar keine Parallelen zwischen der Situation in den Südstaaten und der in New York City erkennen. Allerdings war auch Javits der Ansicht, dass es nötig sei, die Lage in den Brooklyner Schulen unter Kontrolle zu bringen. 654 In diesem Schlagabtausch deuten sich die verschiedenen räumlichen Dimensionen der Auseinandersetzungen um schulische Integration an. Denn es war ein Unterschied, ob von integrierten Schulen im Norden gesprochen wurde, wo Schulen zwar oft de facto, aber nicht de jure segregiert waren, oder ob es um Schulen in den Südstaaten ging. Außerdem bedeuteten schulische Desegregation und Delinquenz etwas anderes in ländlichen Gebieten, Vorstädten und Innenstädten. 655 Eine Analyse, wie sich die Verhandlungen von jugendlicher Delin- 652 Allen: Undercover Teacher, S. 11, 29. 653 Anon.: „2 Senators Clash on City’s Schools“, in: New York Times, 5. Februar 1958, S. 16. 654 Ebd. 655 Dazu Matthew Lassiter: „De Jure/ De Facto Segregation: The Long Shadow of a National Myth“, in: Ders./ Joseph Crespino (Hg.): The Myth of Southern Exceptionalism. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2010, S. 25-48. Zu den Auseinandersetzungen um schulische Segregation außerdem Klarman: From Jim Crow to Civil Rights, insbes. Kap. 6; Davison M. Douglas: Jim Crow Moves North. The Battle Over Northern School Segregation, 1865-1954. Cambridge/ New York: Cambridge Univ. Press, 2005; Anders Walker: The Ghost of Jim Crow. How Southern Moderates Used Brown v. Board of Education to Stall Civil Rights. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2009. Zur Verknüpfung von Jugenddelinquenz und Desegregation Daniel: Lost Revolutions, S. 183-84; Kafka: „Disciplining Youth“; Walker: „Blackboard Jungle: <?page no="161"?> 160 quenz in den Schulen etwa Little Rocks von denen in New York City unterschieden, ist aber nicht das Ziel dieses Abschnitts. Im Folgenden geht es vielmehr darum, auf welche Weise Narrative schulischer Gewalt und Unordnung als diskursives Bindeglied in diesen Verhandlungen fungierten. Im Mai 1954 erklärte der U.S. Supreme Court die „Rassentrennung“ von Schulen, die bis dato in den Südstaaten juristisch legal gewesen war, für verfassungswidrig. 656 Die Richter gründeten ihr Urteil unter anderem auf die Feststellung, dass segregierte Erziehungseinrichtungen schädlich für die Psyche der afroamerikanischen Schüler_innen seien, weil sie deren Minderwertigkeit suggerierten. Deshalb beeinträchtige die Segregation die schulische und geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und führe also zu Nachteilen für diese. 657 Auf Delinquenz als Resultat dieses Prozesses wurde in der Urteilsbegründung nicht explizit, aber indirekt verwiesen, indem diese sich auf Kenneth Clark und dessen Beitrag auf der Midcentury White House Conference on Children and Youth bezog. 658 Clark war ein afroamerikanischer Psychologe, der zusammen mit seiner Frau Mamie Clark in den 1940er Jahren Studien zum Einfluss von Diskriminierung auf die kindliche Psyche durchgeführt hatte. In einem als „Doll Study“ bekannt gewordenen Experiment zeigten sie afroamerikanischen Kindern schwarze und weiße Puppen und ließen sie ihre Favoriten wählen. Aus dem Umstand, dass afroamerikanische Kinder mehrheitlich die weißen Puppen als liebste auswählten, schlossen die Clarks auf deren mangelhaftes Selbstwertgefühl und damit auf eine Störung kindlicher Identifikationsprozesse, die sich in „rebellischem“ Verhalten äußern konnte. 659 Hatten die Clarks hier schon, wenn auch eher implizit, eine Kausalbeziehung von Delinquenz und Segregation geknüpft, wurde diese an anderer Stelle noch deutlicher formuliert. 1951 war die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) auf Clarks Theorien aufmerksam geworden und hatte ihn in ihre juristische Kampagne für schulische Integration einbezogen. 660 Im Zuge des Brown-Prozesses verfasste Clark zusammen mit zwei weiteren Wissenschaftlern eine Zusammenfassung der sozialpsy- Delinquency, Desegregation, and the Cultural Politics of Brown“. 656 Brown v. Board of Education of Topeka, 347 U.S. 483 (1954), online verfügbar unter: U.S. Supreme Court Center: URL: http: / / supreme.justia.com/ cases/ federal/ us/ 347/ 483/ case.html [23.09.2011]. Dazu Richard Kluger: Simple Justice. The History of Brown v. Board of Education and Black America’s Struggle for Equality. New York: Alfred A. Knopf, 1976; Scott: Contempt and Pity, Kap. 7; Klarman: From Jim Crow to Civil Rights, Kap. 6 und 7. 657 Brown v. Board of Education, Majority Opinion. 658 Ebd., Anm. 11. Die Urteilsbegründung bezog sich hier auf Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 135-158. 659 Gwen Bergner: „Black Children, White Preference: Brown v. Board, the Doll Tests, and the Politics of Self-Esteem“, in: American Quarterly 61/ 2 (2009), S. 299-332, hier S. 299; Scott: Contempt and Pity, S. 82f., 95-97, 122-129. 660 Ebd., S. 122 <?page no="162"?> 161 chologischen Expertise, die den Argumenten gegen die schulische „Rassentrennung“ zugrundelag. Hier konstatierten die Wissenschaftler explizit, dass Delinquenz zu den Folgen von Segregation gehöre: „Anti-social and delinquent behavior may often be interpreted as reactions to these racial frustrations.“ 661 In der Urteilsbegründung des Supreme Court wurde diese Argumentationslinie aufgerufen: „To separate [children] from others of similar age and qualifications solely because of their race generates a feeling of inferiority as to their status in the community that may affect their hearts and minds in a way unlikely ever to be undone.“ 662 Damit knüpfte das Brown-Urteil erstens an entwicklungspsychologische Konzepte an, die Kindern und Jugendlichen eine besondere Instabilität bescheinigten, und den Erfahrungen, die sie in dieser Periode machten, einen besonders prägenden Charakter zuwiesen. Zweitens rief der Prozess auf diese Weise die zeitgenössische Vorstellung nahezu irreparabler, psychokultureller Störungen der afroamerikanischen Communities auf. Diese Erklärungsmuster konnten im Kontext schulischer Integrationskämpfe eine äußerst ambivalente Rolle einnehmen. Einerseits war Clark einer der ersten in der Delinquency Scare der Nachkriegszeit, der Rassismus explizit als Ursache jugendlicher Delinquenz begriff und so gesellschaftlich angreifbar machte. Denn indem die schädlichen Auswirkungen der Segregation hervorgehoben wurden, konnte mit Brown v. Board of Education ein wichtiger Schritt im Kampf um Bürgerrechte realisiert werden. 663 Andererseits konnte über dieses Wissen - entgegen der Strategie der NAACP - die Vorstellung von nicht mit den Weißen schritthaltenden African Americans verfestigt werden. Das Urteil im Fall Brown ist damit auch ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sich die Effekte diskursiver Prozesse der planerischen Kontrolle ihrer Protagonist_innen entziehen. Denn es waren unter anderem solche psychokulturellen Annahmen, auf die sich auch diejenigen berufen konnten, die der schulischen Integration ablehnend oder zumindest kritisch gegenüberstanden. Debatten um die Desegration von Schulen in Washington, DC, sollen hier als Beispiel dafür dienen, wie auch die Gegner_innen schulischer Integration ihre Anliegen über jugendliche Delinquenz begründeten. 664 Dabei verdeutlichen 661 Kenneth B. Clark/ Isidor Chein/ Stuart W. Cook: „The Effects of Segregation and the Consequences of Desegregation. A (September 1952) Social Science Statement in the Brown v. Board of Education of Topeka Supreme Court Case“, nachgedruckt in: American Psychologist 59/ 6 (2004), S. 495-501, hier S. 496. Zu Clarks Rolle im Brown-Fall Kluger: Simple Justice, S. 315-345; Gwen Bergner: „Black Children, White Preference“. 662 Brown v. Board of Education, Majority Opinion. 663 Dass dieser Prozess dennoch langsam vonstattenging und nach wie vor höchst umkämpft war, zeigen u. a. Klarman: From Jim Crow to Civil Rights, insbes. S. 328-349; Lassiter: „De Jure/ De Facto Segregation“; Walker: The Ghost of Jim Crow. 664 Zum Widerstand der Südstaaten gegen die Desegregation Numan V. Bartley: The Rise of Massive Resistance. Race and Politics in the South During the 1950’s. Baton Rouge: Louisiana State Univ. Press, 1969; Clive Webb (Hg.): Massive Resistance. Southern Opposition to the <?page no="163"?> 162 gerade die Verhandlungen im District of Columbia die regionalen und sektionalen Bruchlinien der Segregationsdebatte. Denn der vom Bundeskongress regierte Distrikt war gleichzeitig südstaatlich markiert und eine bundespolitische Kontroverse konnte hier als lokalpolitische verhandelt werden. Washington, DC, war von Präsident Eisenhower für seine nationale Modellfunktion gelobt worden, weil man hier bereits 1954 mit der Desegration begonnen hatte. 665 Zwei Jahre später führte ein Unterausschuss des U.S. House Committee on the District of Columbia Anhörungen zu den Bedingungen in den öffentlichen Schulen des Distrikts durch. Der Bericht, den das Subcommittee To Investigate Public School Standards and Conditions and Juvenile Delinquency in D.C. schließlich vorlegte, war durchdrungen von segregationistischen Argumenten. Unter anderem verfasst vom demokratischen Abgeordneten John Bell Williams aus Mississippi, der bereits seit einiger Zeit gegen die Abschaffung der Segregation zu Felde zog, schien der Report das dramatische Ansteigen jugendlicher Delinquenz in integrierten Schulen zu dokumentieren. 666 Während es vor der Integration kaum Probleme in den Schulen gegeben habe, so der Bericht, würden sich die Vorfälle nun häufen: „Disciplinary problems in the predominately [sic] integrated schools have been described as appalling, demoralizing [...] and disgraceful.“ In diesem Kontext listete der Ausschuss unter anderem „fighting, [...] stealing, vandalism, [...] vulgar talking, absenteeism, tardiness“ und eine Reihe weiterer Delikte auf, die „untragbare“ Ausmaße angenommen hätten. Dabei betonte der Report vor allem sexuelle Delinquenz und führte etwa eine hohe Zahl unehelicher Schwangerschaften unter afroamerikanischen Schülerinnen an. Zudem seien Geschlechtskrankheiten bei African Americans im schulpflichtigen Alter besonders verbreitet. Daraus konstruierte der Bericht eine über die Schulen weit hinausreichende Gefahr für die Zukunft der weißen Gesellschaft: „The Negro has demonstrated a sex attitude from the primary to high school grades that has greatly alarmed white parents and is a contributing cause of the exodus of the white residents of the District of Columbia.“ 667 Eine alte, rassistische Angst vor „Rassenmischung“ und einer Gefährdung der weißen Suprematie half hier dabei, Delinquenz zu skandalisieren und eine spezifisch schwarze Täter_innenschaft zu konstruieren. 668 Second Reconstruction. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2005. 665 Walker: „Delinquency, Desegregation, and the Cultural Politics of Brown“, S. 1930. 666 Ebd., S. 1930f. 667 U.S. Congress, House, Committee on the District of Columbia: Investigation of Public School Conditions. Report of the Subcommittee to Investigate Public School Standards and Conditions and Juvenile Delinquency in the District of Columbia of the Committee on the District of Columbia, 84th Cong., 2nd Sess. Washington, D. C.: Government Printing Office, 1957, S. 24, 45, zit. nach Walker: „Delinquency, Desegregation, and the Cultural Politics of Brown“, S. 1932. 668 Dazu Martha Hodes: White Women, Black Men. Illicit Sex in the Nineteenth-Century South. New Haven: Yale University Press, 1997; Peggy Pascoe: What Comes Naturally. Miscegenation <?page no="164"?> 163 Jugenddelinquenz bildete mithin ein Element der Auseinandersetzungen um Desegration, das die Fronten zwischen südstaatlichen Gegner_innen und nordstaatlichen bzw. bundespolitischen Befürworter_innen integrierter Schulen transzendieren konnte. Denn vorherrschende Annahmen über Delinquenz informierten sowohl die Argumente der Befürworter_innen als auch die der Gegner_innen schulischer Integration. Ein Symptom und Katalysator dieser spezifischen Kriseninszenierung war der Film Blackboard Jungle, der 1955 in die Kinos kam und zeitgenössisch als Darstellung der mutmaßlichen Zerrüttung - aber auch des demokratischen Versprechens - integrierter Großstadtschulen gelesen werden konnte. Delinquenz und Demokratie im Blackboard Jungle Blackboard Jungle erschien im März 1955, also ein knappes Jahr nach dem Brown-Urteil und vor der Untersuchung in Washington, DC. Der mehrfach Oscar-nominierte und kontrovers diskutierte Film spielt in einer integrierten Schule in einem von Armut geprägten Viertel New York Citys. Im Mittelpunkt stehen der Lehrer Richard Dadier, neu an der North Manual Trades High School, und seine Klasse voll jugendlicher Delinquenten, unter denen besonders der afroamerikanische Gregory Miller und der irisch-amerikanische Artie West hervorgehoben werden. An der North Manual Trades High wird geraucht, geprügelt, ja sogar vergewaltigt - oder dies zumindest versucht. Alarmierender als in Blackboard Jungle konnte das Bild einer Highschool kaum gezeichnet werden. 669 Eine Reihe von Historiker_innen hat sich bereits mit dem Film und der Kontroverse über ihn auseinandergesetzt und Jugenddelinquenz als deren zentrales Motiv hervorgehoben. 670 Dies ist nicht überraschend, denn Blackboard Jungle wurde explizit als ein Film über jugendliche Delinquenz inszeniert: „[W]e are concerned with juvenile delinquency […]. We are especially concerned when this delinquency boils over into our schools“, heißt es etwa im Vorspann des Films, dessen Regisseur sich zuvor ausgiebig mit Delinquenz-Expertisen beschäf- Law and the Making of Race in America. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2009. 669 Blackboard Jungle. Regie: Richard Brooks. MGM, 1955. 670 Nicht selten steht in diesen Arbeiten die Kontroverse um Rock‘n‘Roll im Vordergrund, denn der Song „Rock Around the Clock“ wurde als Titelmusik des Films berühmt (z. B. Gilbert: Cycle of Outrage, S. 183-185; Doherty: Teenagers and Teenpics, v. a. Kap. 4 und 5; Waltzer: Uneasy Idealism, insbes. S. 210-222). Zu den Arbeiten, die den Film im Kontext von interdependenten Schulkrisenerzählungen analysieren, gehören Beth McCoy: „Manager, Buddy, Delinquent: Blackboard Jungle’s Desegregating Triangle“, in: Cinema Journal 38/ 1 (1998), S. 25-39; Daniel Perlstein: „Imagined Authority. Blackboard Jungle and the Project of Educational Liberalism“, in: Paedagogica Historia 36/ 1 (2000), S. 407-424; Medovoi: Rebels, v. a. S. 135-165; Golub: Into the Blackboard Jungle. <?page no="165"?> 164 tigt hatte. 671 Evan Hunter, der Autor der Romanvorlage, war zudem wie Allen als Aushilfslehrer beschäftigt gewesen - in diesem Fall an einer Berufsschule in der Bronx. Dieses sowie der Umstand, dass viele der Schüler-Darsteller keinen schauspielerischen Hintergrund hatten, verliehen dem Film den Anschein einer besonderen Authentizität. 672 Wie sehr Hunters Erzählung als Schilderung eines schulischen Delinquenzproblems wahrgenommen wurde, wird auch in deren Veröffentlichungsgeschichte deutlich. Nach vielen erfolglosen Publikationsversuchen gelang es dem Autor schließlich 1953 (also im gleichen Jahr, in dem das Senate Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency seine Tätigkeit aufnahm), sowohl eine frühe Version der Geschichte im Discovery Magazine zu veröffentlichen als auch einen Vertrag für den Roman zu unterschreiben. 673 Dabei zeigt sich eine enge Verknüpfung der Blackboard-Jungle-Erzählung und der zeitgenössischen Wahrnehmung einer Schulkrise etwa darin, dass Auszüge des Romans im Oktober 1954 im Ladies’ Home Journal erschienen - innerhalb eines Dossiers über die dramatische Lage an US-amerikanischen Schulen. 674 Das Erscheinen des Films war also explizit in Delinquency Scare und Krisenproklamationen eingebettet. Auch das Senate Subcommittee behandelte den Film in seinen Anhörungen, in denen er als möglicher Auslöser delinquenten Verhaltens problematisiert wurde. 675 Dabei diskutierten die zeitgenössischen Kommentare zu Blackboard Jungle Fragen von „Rasse“ selten explizit. 676 Dies war aber auch nicht nötig, denn das Narrativ des Films war deutlich rassialisiert. So warb der Film beispielsweise explizit damit, die „modern savagery“ von Großstadtschulen zu zeigen. 677 Vorstellungungen von „Wildheit“ bzw. „Unzivilisiertheit“ sowie des „Dschungels“ wurden historisch vor allem mit nicht-Weißen assoziiert - eine Analogiebildung, mit der die rassistischen und kolonialen Politiken der USA nach außen und innen historisch immer wieder begründet wurden. 678 Unter anderem darüber konnten großstädtische, integrierte bzw. als primär nicht-weiß markierte Schulen als gefährliche Räume gezeichnet werden. 1959 stellte etwa der Erziehungswissenschaftler William Kvaraceus im National Parent-Teacher fest: „[T]he ‘blackboard jungle’ pattern is gaining ground in our 671 Blackboard Jungle, TC: 00: 00: 22-00: 00: 28. Dazu Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 120f. 672 Ebd., S. 121. Ebony beurteilte die Produktion als „tough and realistic film on juvenile delinquency“ (anon.: „Blackboard Jungle“, in: Ebony 10/ 7 (1955), S. 87-93, hier S. 87). 673 Evan Hunter: The Blackboard Jungle. New York: Simon and Schuster, 1954. Dazu Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 108. 674 Ebd. 675 Vgl. die Stellungnahme von Estes Kefauver, Chairman des Subcommittee, in: U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Motion Pictures. Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 84th Cong., 1st Sess., 15.- 18. Juni 1955. Washington, DC: Government Printing Office, 1955, S. 113. 676 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 216. 677 Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 123. 678 Bederman: Manliness & Civilization; Carter: Heart of Whiteness. <?page no="166"?> 165 largest schools“. Mit diesem Begriff beschrieb er einen „Virus der Gewalt“, der sich nicht nur in den Schulen, sondern auch den Stadtkernen der Großstädte ausbreite. Hier wie dort würden jugendliche Gewalttäter eine Gefahr für Menschen und die öffentliche Ordnung darstellen. In den Schulen, so Kvaraceus, hinterließen sie ein Bild der Verwüstung: „Books and supplies are torn and scattered; windows and bookcases are broken; glue and ink are smeared on floors, desks, and walls [...].“ Obwohl der Artikel mit dem Bild eines weißen Jugendlichen illustriert war, konnten diejenigen, über die Kvaraceus redete, vermutlich als nicht-weiße Jugendliche imaginiert werden. Denn er sprach vom deutlich rassialisierten „‘blackboard jungle’ pattern“, bezeichnete die beschriebenen Taten zudem als „primitiv“ und setzte sie in Bezug zu jugendlichen Gangaktivitäten, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht-weiß kodiert waren. 679 Seine Darstellung der Jugendlichen knüpfte zwar an verbreitete Bilder von Kindheit und Jugend als zwangsläufig wilder Phase an. Aber Kvaraceus präsentierte die Jugendlichen nicht als „normale“ Adoleszente mit einem ebenso „normalen“ Überschuss an Energie, sondern erklärte ihr Verhalten mit ihrer spezifischen psychokulturellen Disposition. Er sprach von den problematischen Einflüssen einer „Subkultur“, in der die Jugendlichen aufwüchsen, und fand bei ihnen tiefsitzende Frustration und eine mangelnde Impulskontrolle. Viele von ihnen, so Kvaraceus, kämen aus Stadtvierteln, in denen Gewalt an der Tagesordnung sei, und hätten in ihrer Familie keine Zuneigung erfahren. 680 Damit bediente sich Kvaraceus hegemonialer Annahmen über pathologische Traditionen in nicht-weißen und sozial benachteiligten Communities. Diese Rassialisierung des schulischen Delinquenzproblems machte es möglich, integrierte Schulen auch im Norden als gefährlich zu begreifen. Gleichzeitig konnte der Film Blackboard Jungle in diesem Kontext aber auch als nahezu positive Botschaft gelesen werden. Am Ende des Films gelingt es dem Lehrer Dadier, die wilde Schüler-Meute zu bändigen. In einem hoch symbolischen Akt wird ein Messer schwingender Schüler mit Hilfe von Miller und der US-amerikanischen Flagge entwaffnet. 681 Diese Wendung des Filmes wurde etwa in den Anhörungen des Senate Subcommittee als fortschrittliches Signal verstanden. Ausgerechnet der spätere republikanische Präsident Ronald Reagan, der - zu diesem Zeitpunkt noch Demokrat - als Schauspieler vorgeladen worden war, zeigte sich vom positiven Effekt des Films überzeugt: „There had to be a certain feeling of triumph when the one boy was won over and became a leader for the right.“ Indem Reagan den Film als „Tribut an den Lehrer“ bezeichnete, legte er die Verantwortung für das glimpfliche Ende in die pädagogischen 679 William C. Kvaraceus: „What About High School Hoodlumism? “, in: National Parent- Teacher 53/ 5 (1959), S. 4-7, hier S. 5. 680 Ebd., S. 5f. 681 Blackboard Jungle, TC: 01: 32: 59-01: 33: 15. <?page no="167"?> 166 Hände Dadiers. 682 Eine an US-amerikanischen Werten orientierte und damit mutmaßlich demokratie-gerechte Erziehung war, so signalisierte diese Lesart des Films, auch in integrierten Klassen möglich. Gerade das Zusammengehen von Schülern unterschiedlicher „Rassen“ mit weißen Lehrkräften im demokratischen Patriotismus kristallisierte sich als wirksame Bekämpfung jugendlicher Delinquenz heraus, mit bedeutender Signalwirkung. Der Historiker Leerom Medovoi schreibt über die Szene mit der Flagge: „Manual High [...] is reborn as a successful democratic experiment in integration, institutional proof that the white teacher’s authority can survive in a multiracial classroom, just as America’s geopolitical authority can survive in a multiracial age of global decolonization.“ 683 Ein Ende, das vom Publikum als Kapitulation des Lehrers vor den gewalttätigen Schülern verstanden werden konnte, war inmitten von Kaltem Krieg und Auseinandersetzungen um Delinquenz und Desegregation vermutlich kaum denkbar. Die Kämpfe um schulische Integration waren ohnehin in hohem Maße von Demokratiediskursen geprägt. So hatte etwa das Brown-Urteil des Supreme Court explizit auf Vorstellungen von schulischer Erziehung als demokratischer Errungenschaft Bezug genommen. Die Schulpflicht und die öffentliche Finanzierung der Schulen zeigten die „Anerkennung der Bedeutung von Erziehung für [die] demokratische Gesellschaft“, konstatierten die obersten Richter. Weil Erziehung das „Fundament für gute Staatsbürgerschaft“ sei, stelle sie ein grundlegendes Recht für alle dar. 684 Diese enge Verbindung von Demokratie und Erziehung wurde durch das dem Urteilsspruch zugrundeliegende psychologische Wissen verdichtet. Expert_innen hatten argumentiert, die große Kluft zwischen praktischer Segregation und den demokratischen Werten, die in der Schule vermittelt werden sollten, setze Kinder und Jugendliche unter Stress. Dabei fürchtete man nicht nur die schädlichen Konsequenzen für schwarze Kinder, sondern befand, auch weiße Kinder könnten einen psychischen Schaden davon tragen, wenn sie auf diese Weise rassistische Vorurteile internalisierten. 685 Der auf den Beitrag von Clark auf der Midcentury White House Conference on Children and Youth zurückgehende Abschnitt im Konferenzbericht bezog sich in diesem Kontext explizit auf das Konzept der „autoritären Persönlichkeit“. Dieses hatte der Gesellschaftstheoretiker Theodor W. Adorno zusammen mit Sozialpsycholog_innen als Antithese zu einer demokratisch orientierten Staatsbürgerlichkeit entworfen. 686 Indem der Konferenzbericht darauf rekurrierte, verknüpfte er psychische „Störungen“ mit vorurteilsbehaftetem und konformistischem 682 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Motion Pictures, S. 94. 683 Medovoi: Rebels, S. 146. 684 Brown v. Board of Education, Majority Opinion. 685 Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 139ff. 686 Ebd., S. 147; Theodor W. Adorno u. a.: The Authoritarian Personality. New York: Harper and Brothers, 1950. <?page no="168"?> 167 Denken und signalisierte, dass Segregation zu antidemokratischen Dispositionen führe. 687 In den USA des Kalten Krieges, als man sich große Sorgen über den demokratischen Charakter von Jugendlichen und Erwachsenen machte, traf diese Diagnose einen empfindlichen Nerv und geriet zu einem wirkmächtigen Argument für schulische Integration. 688 Auch George Allen schrieb sich mit seinem Buch in die Auseinandersetzungen um Integration ein. Vermutlich war es für Zeitgenoss_innen kaum schwer, Allens Buch als nicht-fiktionale Szenerie des „‘blackboard jungle’ pattern“ zu begreifen. So beschrieb er etwa, welch chaotische Situation er vorfand, als er das erste Mal den Klassenraum betrat: „The noise was deafening. They were talking, shouting, squabbling, all at once. Four were fighting [...] at the front of the room. At the back of the room two boys were punching each other. [...] A jacket flew across the room. [...] Bedlam.“ 689 In Allens Buch tauchen die Schüler_innen als „kleine Tiere“ auf, die nicht zu viele Informationen auf einmal verkraften könnten. 690 Auf diese Weise trug er dazu bei, ein Bild der Zerrüttung zu zeichnen, über das schulische Integration auch im Norden in Frage gestellt werden konnte. Gleichzeitig ließ sich das Szenario schulischer Gewalt über solche Darstellungen mit einem spezifischen Ort verbinden: der großstädtischen, integrierten Schule. Dies erwies sich als äußerst nützlich zu einem Zeitpunkt, zu dem die Krise der Highschool, wie im Folgenden deutlich werden wird, noch stärker als zuvor gesellschaftsgefährdende Züge angenommen zu haben schien. „The schools you have just seen are NOT to be found in this area! “ Zwischen den Zeilen und nur selten explizit waren die Narrative schulischer Delinquenz in den US-Nachkriegsdekaden von Darstellungen „normaler“ Schüler_innen begleitet. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Jugendlichen als Zukunftsressource war es vermutlich diskursiv notwendig, nicht alle von ihnen zu verwerfen, sondern auch immer wieder auf die Existenz guter, braver Schüler_innen zu verweisen. Ein Beispiel für diesen Mechanismus ist erneut der Film Blackboard Jungle bzw. dessen Rezeption. Eine Episode des Films zeigt eine Vorstadtschule, in der Dadier seinen ehemaligen Professor aufsucht. Zur Musik des „Star Spangled Banner“ werden dort Schüler_innen eifrig lernend gezeigt; 687 Vgl. auch Mary H. Hoover: „When Prejudice Strikes“, in: Parents’ Magazine 33/ 3 (1958), S. 50-51, 89-90. 688 Diese Argumentation funktionierte auch andersherum. Ebony feierte beispielsweise die noch „unverdorbenen“ junge Menschen in integrierten Klassenräumen als bestes Mittel im Kampf gegen Rassismus (anon.: „Classroom Minus Color“, in: Ebony 1/ 6 [1946], S. 31-35). Siehe auch Mary L. Dudziak: „Brown as a Cold War Case“, in: Journal of American History 91/ 1 (2004), S. 32-42. 689 Allen: Undercover Teacher, S. 60f. 690 Ebd., S. 109, 63. <?page no="169"?> 168 nicht zufällig sind in dieser Klasse alle weiß. Auf diese Weise inszeniert diese Szene, die in der Romanvorlage nicht vorhanden ist, einen deutlichen Antagonismus zur chaotischen, integrierten Innenstadtschule. 691 Die Konstruktion dieses Gegensatzes wird auch in der Kontroverse um Blackboard Jungle deutlich, die sich wesentlich aus der Angst speiste, die Darstellung des schulischen Chaos könne auf alle Schulen übertragen werden. Im Vorspann des Filmes heißt es: „We, in the United States, are fortunate to have a school system that is a tribute to our communities and to our faith in American youth. [...] The scenes and incidents depicted here are fictional.“ 692 Trotz der immer wieder betonten dramatischen Lage an Schulen war es offenbar erforderlich, auch und gerade die Stärken der US-amerikanischen Schulen und Jugendlichen hervorzuheben. Im August 1955 verhinderte die US-Botschafterin in Italien die Aufführung von Blackboard Jungle auf dem Filmfest in Venedig, weil der Film ihrer Ansicht nach einen „schwer verzerrten Eindruck der amerikanischen Jugend und der amerikanischen öffentlichen Schulen“ vermittelte. 693 Und eine Schulbehörde in New Brunswick, New Jersey, projizierte am Ende der Filmvorführung einen Epilog an die Leinwände, der das Gezeigte weit von sich wies: „The school and situations you have just seen are NOT to be found in this area! We should all be proud of the facilities provided for OUR youth by the Public Schools of New Brunswick [...].“ 694 Die Aufführungen jugendlicher Delinquenz in Blackboard Jungle wurden so gleichzeitig bestätigt und negiert. Durch diese paradoxe Performanz wurde der gefährliche Raum Schule wirkmächtig reproduziert und gleichzeitig an einen anderen Ort verwiesen, der im positiven Szenario geordneter Vorstadtschulen aber immer als Bedrohung anwesend war. Um dies genauer zu zeigen, geht es nun kurz um einen zweiten Strang der Schulkrisenerzählung in den 1950er Jahren, der sich in impliziter Abgrenzung zu den Verhandlungen jugendlicher Delinquenz und Integration entwickelte. Die vermeintliche Krise der öffentlichen Schulen wurde in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren zunächst noch allgemein proklamiert. Zu den zentralen Problemdiagnosen dieser frühen Krisenerzählungen gehörten fehlende und unterbezahlte Lehrkräfte sowie die schlechte Ausstattung der Schulen - Aspekte, die auch George Allen am Ende der Dekade noch aufgriff. Unter solchen Bedingungen sei es, da war man sich weitgehend einig, kaum möglich, Kinder ausrei- 691 Blackboard Jungle, TC: 00: 38: 10-00: 40: 53. Ein anderes Beispiel für dieses Ideal, von dem integrierte Schulen abgehoben wurden, ist der Film Good Morning, Miss Dove, der ebenfalls 1955 in die Kinos kam. Die Produktion porträtierte eine strenge, aber gerechte Lehrerin und ihre folgsamen, ausschließlich weißen Zöglinge (Good Morning, Miss Dove. Regie: Henry Koster. Twentieth Century Fox, 1955. Dazu Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 142-146). 692 Blackboard Jungle, TC: 00: 00: 11-00: 00: 29. 693 Zit. nach Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 100. 694 Zit. nach ebd., S. 130. <?page no="170"?> 169 chend zu unterrichten. 695 Schulische Gewalt war bis etwa Mitte der 1950er Jahre eher selten ein Thema in diesen Auseinandersetzungen. Stattdessen schlich sich zunehmend die Sorge um die zukünftigen gesellschaftlichen Eliten in die Krisenproklamationen ein. „Are We Wasting Tomorrow’s Leaders? “, fragte etwa das Parents’ Magazine 1952 angstvoll und argumentierte, eine auf Masse ausgerichtete schulische Erziehung schenke individuellen Differenzen zu wenig Beachtung und mache hochintelligente Kinder zu „Opfern von Langeweile und Monotonie“. 696 Dies war ein zentrales Argument in den curricularen Kämpfen der 1950er Jahre. Seit 1953 blies eine Reihe von Experten zum Sturm gegen ein „progressives“ Curriculum, das Kinder „verweichliche“ und zu einem Absinken des intellektuellen Niveaus in Schulen führe. 697 Dabei verwies man in diesen Auseinandersetzungen auch auf die Gefahr jugendlicher Delinquenz, wie etwa in einem Arbeitsbericht des Senate Subcommittee zum Konnex von Erziehung und Jugenddelinquenz deutlich wird. Der Report bezog sich auf Bernard Iddings Bell, einen konservativen Kritiker progressiver Erziehung, der jugendliche „Disziplinlosigkeit“ auf eine in den Schulen mangelnde Strenge zurückführte. Bell hatte in seinem Buch Crowd Culture unter anderem die US-amerikanischen Schulen als Orte hervorgehoben, an denen ein schädlicher, gleichmachender Konformismus vorherrsche und die Entwicklung der zukünftigen, gesellschaftlichen Eliten gefährde. 698 Es ist bemerkenswert, dass diese Auseinandersetzungen, wie der Arbeitsbericht des Subcommittee zeigt, noch explizit Bezug auf jugendli- 695 Vgl. z. B. Benjamin Fine: Our Children Are Cheated. The Crisis in American Education. New York: Henry Holt & Co., 1947; Earl James McGrath: „The Coming Breakdown of American Education“, in: Parents’ Magazine 28/ 1 (1953), S. 27, 88-89; George J. Hecht: „The Main Recommendations of the White House Conference on Education“, in: Parents’ Magazine 31/ 2 (1956), S. 35-37, 106-107; U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Education and Juvenile Delinquency. A Part of the Investigation of Juvenile Delinquency in the United States. Interim Report of the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency to the Committee on the Judiciary, 84th Cong., 1st and 2nd Sess. Washington, DC: Government Printing Office, 1956, S. 16; Allen: Undercover Teacher, etwa S. 28, 74, 96, 109. 696 Katherine Glover: „Are We Wasting Tomorrow’s Leaders? “, in: Parents’ Magazine 27/ 6 (1952), S. 48-49, 126-128, hier S. 48, 126. 697 Z. B. Bernard Iddings Bell: Crowd Culture. An Examination of the American Way of Life. New York: Harper & Brothers, 1952; Arthur Bestor: Educational Wastelands. The Retreat from Learning in Our Public Schools. Urbana: Univ. of Illinois Press, 1953; Albert Lynd: Quackery in the Public Schools. Boston: Little, Brown and Co., 1953. Zu den curricularen Kämpfen zwischen „Progressives“ und dem konservativen „Back-to-Basics-Movement“ Hartman: Education and the Cold War; Golub: Into the Blackboard Jungle, insbes. Kap. 4. 698 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Education and Juvenile Delinquency, S. 8f.; Bell: Crowd Culture. Hier wird deutlich, dass es in den curricularen Kämpfen über die Auseinandersetzung mit jugendlicher Delinquenz hinaus um Klasseninteressen, weiße Suprematiebestrebungen und Männlichkeit ging. Denn das Narrativ eines schädlichen Konformismus wurde zeitgenössisch vor allem für weiße Männer der Mittelklasse problematisiert (dazu ausführlicher Kap. V.2.2; zu schulpolitischen Kritiken in diesem Kontext Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 160-172). <?page no="171"?> 170 che Delinquenz nahmen, denn dies hatte sich zum Ende der Dekade geändert. 699 1958 etwa befasste sich das Parents’ Magazine einmal wieder mit der Schulkrise und beklagte, deren wahres Ausmaß sei von der Öffentlichkeit noch nicht verstanden worden. Dabei tauchten Lehrermangel, fehlende finanzielle Mittel und ein ungenügendes Lehrniveau als zentrale Problembeschreibungen auf - nicht aber Jugenddelinquenz. 700 Ein Jahr zuvor war etwas geschehen, was den Kritiker_innen progressiver Curricula Recht zu geben schien und die Forderungen nach Elitensicherung zunehmend von Diskussionen um jugendliche Delinquenz abkoppelte. Am 4. Oktober 1957 schoss die Sowjetunion mit Sputnik 1 den ersten Satelliten ins Weltall, ein Ereignis, das in den USA als Bedrohung der US-amerikanischen Vormachtstellung und damit als Angriff auf die „freie Welt“ inszeniert wurde. Vor dem Hintergrund schulischer Krisennarrative begriff man den sowjetischen Vorsprung als Ausdruck des Versäumnisses US-amerikanischer Schulen, wissenschaftliche Eliten hervorzubringen, und die Proklamation von „ernsthaften [...] Schwächen“ des Schulwesens wurde aktualisiert. 701 Eine der unmittelbaren Konsequenzen des „Sputnik-Schocks“ war, dass sich die curricularen Kämpfe revitalisierten. Diejenigen Stimmen, die schon zuvor ein stärker auf Elitenförderung ausgerichtetes Curriculum gefordert hatten, schienen nun durch die Geschichte Recht zu bekommen. 702 Die stärkere Betonung naturwissenschaftlicher Fächer war jetzt eine Forderung, die zunehmend in allen politischen Lagern geäußert werden konnte, wie etwa die Berichterstattung im National Parent-Teacher verdeutlichte: Die Zeitschrift, die im Allgemeinen aus progressiver Perspektive berichtete, ging nun d'accord mit Forderungen nach qualitativ besserem Unterricht in Mathematik und den Naturwissenschaften sowie intensivierten Bemühungen, begabte Jugendliche in der Schule zu halten. 703 Das National Defense Education Act von 1958 ist ein Beispiel dafür, dass im Rahmen des „Sputnik- Schocks“ auch ein verstärktes schulpolitisches Engagement der Bundesregierung möglich wurde. Das Gesetz zielte darauf, den Unterricht anforderungsreicher zu gestalten - vor allem in Mathematik, Naturwissenschaften und Fremdsprachen - und als besonders intelligent und leistungsfähig geltende Schüler_innen zu fördern. 704 699 Vgl. Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Education and Juvenile Delinquency, S. 8-11. 700 Fred M. Hechinger: „Is the School Crisis as Black as it’s Painted? “, in: Parents’ Magazine 33/ 10 (1958), S. 43, 146-149, hier insbes. S. 43. 701 George J. Hecht: „The New Education Act Opens the Door to Great Opportunities“, in: Parents’ Magazine 33/ 11 (1958), S. 35, 113-117. Vgl. auch Hechinger: „Is the School Crisis as Black as it’s Painted“. 702 Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 173-176; Hartman: Education and the Cold War, Kap. 9. 703 William D. Boutwell: „What’s Happening in Education? “, in: National Parent-Teacher 52/ 6 (1958), S. 13. 704 Clowse: Brainpower for the Cold War; Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 173ff.; Hartman: <?page no="172"?> 171 Es ist aufschlussreich, einen kurzen Blick auf die Entwicklung der schulischen Krisennarrative nach dem „Sputnik-Schock“ zu werfen. Insgesamt war nämlich nicht seltener von Delinquenz die Rede, im Gegenteil: Die Verhandlungen der Ereignisse in New York City und der bereits zitierte Artikel von Kvaraceus sind nur einige Beispiele dafür, dass sich die Diskussionen um jugendliche Delinquenz in Schulen eher intensivierten. Auffällig ist jedoch, dass die Sputnik- Debatte scheinbar gänzlich abgekoppelt davon stattfand bzw. sich parallel dazu entwickelte. Der oben erwähnte Text im Parents’ Magazine war diesbezüglich keine Ausnahme. Auch ein programmatischer Artikel mit dem Titel „American Education: An Evaluation“ etwa, der im Mai 1958 im National Parent-Teacher erschien, erwähnte Delinquenz mit keinem Wort. 705 Die Aushandlungen um Sputnik verschärften das schulische Krisenempfinden und trugen gleichzeitig dazu bei, die Subjekte der Krise weiter zu differenzieren. In diesem Strang der Krisenerzählung spielte jugendliche Delinquenz fortan eher als implizite Drohfolie eine Rolle. Jugendliche Gewaltausbrüche schienen woanders stattzufinden - nicht in den Schulen, in denen über Exzellenzförderung und eine verstärkte Konzentration auf naturwissenschaftlichen Unterricht nachgedacht wurde, nicht bei denjenigen Jugendlichen, die nun besonders gefördert werden sollten. Deutlicher mit Delinquenz verknüpfte Narrative schulischer Krisen hatten sich im Laufe der 1950er Jahre einen anderen diskursiven Ort gesucht: die Gewalt in den Großstadtschulen. George Allens Buch ist dabei eines der wenigen Beispiele, in dem die „Sputnik-Krise“ mit der Situation in Großstadtschulen verknüpft wurde. Sein eingangs zitierter Kommentar über die Kluft zwischen Elitenförderung und schlecht ausgebildeten Großstadtschüler_innen verwies dabei nicht nur auf die unterschiedlichen Stränge des schulischen Krisendiskurses. Er berührte zudem eine Debatte, die zu Beginn der 1960er Jahre in den Vordergrund rücken sollte und im nächsten Abschnitt untersucht wird: die Angst vor steigenden Zahlen jugendlicher Schulabbrecher_innen und deren mutmaßlich mangelnden schulischen Fähigkeiten. 2 Die Kriminalisierung von Dropouts Die Schulkrise diente als Sammelbeschreibung für ganz unterschiedlich konturierte Krisenszenarien. Diejenigen, die man als „Störenfriede“ und „Gangster“ in den großstädtischen Schulen identifiziert hatte, waren nicht diejenigen, um die man sich nach dem „Sputnik-Schock“ sorgte und die eher in den weißen und Education and the Cold War, S. 184f. 705 Ethel G. Brown: „American Education: An Evaluation“, in: National Parent-Teacher 52/ 9 (1958), S. 2-3; Fred M. Hechinger/ Helen Puner: „New Toughness in Our Schools“, in: Parents’ Magazine 34/ 11 (1959), S. 58-59, 76-86. <?page no="173"?> 172 bürgerlichen Vorstadtschulen lokalisiert wurden. Die profunde Trennung dieser beiden Orte wurde 1961 in einem Buch von James D. Conant aufgerufen. Conant, Direktor der Harvard Universität und kein Unbekannter in der Schuldebatte, forderte in Slums and Suburbs jeweils ganz unterschiedliche Maßnahmen für Schulen in Vorstädten und städtischen Gettos. Hier müssten die zu hohen Erwartungen von Eltern gedrosselt und begabte Schüler_innen noch stärker gefördert werden (man beachte den Widerspruch), dort müssten leistungsschwache Jugendliche mehr Aufmerksamkeit erfahren und die Curricula stärker auf einen berufsausbildenden Unterricht ausgerichtet werden. 706 Die Art und Weise, in der Conant die diagnostizierten Probleme auf „suburbs“ und „slums“ verteilte, verdichtete die Konstruktion gänzlich unterschiedlicher Räume mit gänzlich unterschiedlichen Schüler_innen. Obwohl er einen Teil seines Buches den vorstädtischen Schulen widmete, standen darin deutlich die Probleme der Innenstadtschulen im Vordergrund - hier unter anderem die Figur des als bildungsfern, nicht-weiß und männlich präsentierten Dropout. Die Hälfte der Jugendlichen in Slum-Schulen verlasse die Schule frühzeitig, so Conant, und gerade die Zahl der männlichen Schulabbrecher steige täglich. 707 In diesem Abschnitt stehen die Verhandlungen dieses Dropout-Problems im Vordergrund. Obwohl die prozentualen Raten von Schulabbrechern laut dem National Parent-Teacher in den 1950er Jahren gesunken waren, intensivierte sich die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen in dieser Zeit und erreichte zu Beginn der 1960er Jahre einen Höhepunkt. 708 Der Erziehungswissenschaftler Sherman Dorn versteht die zeitgenössische Diskussion um jugendliche Dropouts als Zeichen dafür, dass der Schulabbruch mittlerweile etablierte „altersspezifische Normen“ verletzt habe. Ein Abschluss der Highschool sei zu Beginn der 1960er Jahre als so normative Anforderung etabliert gewesen, dass das Abweichen von dieser Norm zunehmend problematisiert und mit diesem negativ konnotierten Begriff belegt worden sei. 709 Dorns Analyse ist sicherlich nicht falsch, sie geht aber nicht weit genug. Denn in der zeitgenössischen Problematisierung von Schulabbrechern schwang noch mehr mit. Während dem Phänomen jugendlichen Schulabbruchs Ende der 1940er Jahre noch nicht unbedingt ein delinquenter Charakter zugewiesen wurde, funktionierte Dropout rund 15 Jahre später als Synonym für jugendliche Delinquenz. Um diesen Wandel geht es im Folgenden. Ich argumentiere erstens, dass ein bedeutender Grund für die zunehmende Beschäftigung mit Schulabbrechern darin zu finden 706 Conant: Slums and Suburbs. Zu Conant Hartman: Education and the Cold War, S. 178-183. 707 Conant: Slums and Suburbs, S. 2, 20. 708 Vgl. William D. Boutwell: „What’s Happening in Education? “, in: National Parent-Teacher 54/ 7 (1960), S. 23. Dazu Sherman Dorn: „Origins of the ‘Dropout Problem’“, in: History of Education Quarterly 33/ 3 (1993), S. 353-373, hier S. 354. Im Folgenden verwende ich die männliche Bezeichnung Schulabbrecher, weil der Dropout primär männlich kodiert war. 709 Ebd. <?page no="174"?> 173 ist, dass man das Problem mit einem den Raum Schule überschreitenden, die gesellschaftliche Ordnung gefährdenden Verhalten verknüpfte. Zweitens zeige ich anhand des Dropout-Diskurses einen Wandel im schulischen Krisennarrativ auf: Dieses wurde im Laufe der 1950er Jahre weniger an schulischen Strukturen und zunehmend an den Jugendlichen selbst festgemacht. „What happens when kids quit school? “ In den frühen 1950er Jahren, als noch verhältnismäßig unaufgeregt über Schulabbrecher berichtet wurde, beschäftigte man sich bereits mehr als zuvor mit der Fähigkeit von Highschools, Jugendliche in der Schule zu halten. 710 Ein Interimsreport des Senate Subcommittee berichtete von einer Schule, die diesbezügliche Untersuchungen angestellt hatte. Fast überrascht hob der Bericht hervor: „[T]he school found out that it did not lose any student who was in attendance as much as 90 days during the school year.“ 711 Die Untersuchung knüpfte also eine Kausalbeziehung zwischen Schulabschluss und regelmäßiger Anwesenheit in der Schule, die man offenbar zu diesem Zeitpunkt nicht als selbstverständlich begriff. Das Schulversäumnis wurde zeitgenössisch in der Regel mit „truancy“, also Schulschwänzen, gleichgesetzt. 712 Dabei war dieses im Gegensatz zum Schulabbruch bereits als eine Erscheinungsform jugendlicher Delinquenz etabliert. Der Psychologe und Delinquenzexperte William Healy hatte „truancy“ schon 1915 als „kindergarten of crime“ bezeichnet. 713 Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Verletzung der Schulpflicht in vielen Bundesstaaten ein Vergehen, für das Kinder und Jugendliche in Gewahrsam genommen werden konnten. Polizeibeamte, die sog. „truant officers“, waren dafür zuständig, jugendliche Schulschwänzer_innen aufzugreifen und in die Schule zurück zu bringen. 714 Healys Formulierung wurde in der Delinquency Scare aufgegriffen, so etwa be- 710 Vgl. die Stellungnahme von Dan Hull, Abteilungsleiter im Office of Education des Department of Health, Education and Welfare, in: U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency (Youth Employment). Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 84th Cong., 1st Sess., 20. April, 11./ 12. Mai 1955. Washington, DC: Government Printing Office, 1955, S. 228. 711 Lawrence G. Derthick/ Thelma W. Horacek: „Planning School Programs to Meet the Problem of Delinquency“, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Education and Juvenile Delinquency, S. 41-47, hier S. 46. 712 Vgl. die Stellungnahme der Gluecks in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 95; Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Education and Juvenile Delinquency, S. 4. 713 William Healy: The Individual Delinquent. A Text-Book of Diagnosis and Prognosis for All Concerned in Understanding Offenders. Boston: Little, Brown & Co., 1915, S. 779. 714 David Tyack/ Michael Berkowitz: „The Man Nobody Liked: Toward a Social History of the Truant Officer, 1840-1940“, in: American Quarterly 29/ 1 (1977), S. 31-54; Wolcott: Cops and Kids, S. 60ff. <?page no="175"?> 174 reits 1943 in einer Broschüre des Children’s Bureau mit dem Titel Understanding Juvenile Delinquency, die „truancy“ als frühes Signal einer delinquenten Karriere beschrieb. 715 Schulschwänzen wurde im Dropout-Diskurs dann zu einer Ursache für den Schulabbruch erklärt und trug so dazu bei, dass jener mit Delinquenz assoziiert wurde. Ein weiteres Element dieser Kriminalisierung bildeten zeitgenössische Antworten auf die Frage, was mit denjenigen Jugendlichen geschehe, die vor dem Highschool-Abschluss die Schule verließen. Das Parents’ Magazine war 1947 no ch v er gle ic hs wei se mil de b es or gt , da ss J ug en dl ic he ni ch t m eh r ge w il lt s ei n könnten, aus ihrem Sommerferienjob in die Schule zurückzukehren. Der Text ermahnte Eltern, ihre Kinder nicht zum Schulbesuch zu zwingen, denn das, nicht zwangsläufig der Schulabbruch, befördere eine trotzige Verweigerungshaltung und damit Delinquenz. 716 Auch der Bericht der Midcentury Conference stellte zu Beginn der 1950er Jahre noch eher unaufgeregt fest, dass die Hälfte der Schüler_innen die Highschool ohne Abschluss verließen. 717 Diese Berichterstattungen begriffen den Schulabbruch als Problem an sich, waren aber weniger mit möglichen Konsequenzen beschäftigt. Die Zahl jugendlicher Dropouts sei „schockierend“, schrieb etwa das Parents’ Magazine 1952, weil die USA ein Land seien, in dem eine Highschool-Ausbildung als „Geburtsrecht jedes Kindes“ begriffen werde. 718 Dorns Argumentation, das vorzeitige Verlassen der Highschool hätte primär Altersnormen verletzt, scheint für diesen historischen Moment eher zuzutreffen als für den Beginn der 1960er Jahre. Zwar erwähnte der Artikel im Parents’ Magazine auch, dass jugendliche Schulabbrecher Schwierigkeiten hätten, Arbeit zu finden, eine direkte Verbindung zu Delinquenz wurde hier aber nicht gezogen. 719 Dies hatte sich rund zehn Jahre später geändert. 1961 hieß es in einem Editorial in Ebony, das sich mit der „Tragödie der Schulabbrecher“ befasste: „The existence of thousands of frustrated youth roaming the streets foreshadows a rise in juvenile delinquency.“ 720 715 Children’s Bureau: Understanding Juvenile Delinquency. Washington, DC: Government Printing Office, 1943, S. 13. 716 Gertrude Folks Zimand: „Editorial. Don’t Let Them Quit School“, in: Parents’ Magazine 22/ 8 (1947), S. 24. Gleichwohl empfahl der Text, der von einer Vetreterin des National Child Labor Committee verfasst worden war, Eltern dringend, ihre Kinder vom Nutzen eines weiteren Schulbesuchs zu „überzeugen“, weil deren Chancen auf einen gutbezahlten Job sonst gering seien (ebd.). Das National Child Labor Committee war 1904 gegründet worden, um die Kampagne gegen Kinderarbeit voranzutreiben (Zelizer: Pricing the Priceless Child, S. 62). Daher ist es umso bemerkenswerter, dass der Schulabbruch in dem hier erwähnten Text, obwohl dessen Überschrift etwas anderes nahelegt, nicht stärker skandalisiert wurde. 717 Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 269. 718 Jack Harrison Pollack: „What Happens When Kids Quit School? “, in: Parents’ Magazine 27/ 8 (1952), S. 44-45, 72-73, 123, hier S. 44. 719 Ebd. Vgl. auch Zimand: „Don’t Let Them Quit School“. 720 Anon.: „The Tragedy of Drop-Outs“, in: Ebony 16/ 11 (1961), S. 48-49, hier S. 48. <?page no="176"?> 175 Zwischen diesen beiden Artikeln lag eine Dekade der Auseinandersetzung darüber, was Jugendliche erwarte, die die Schule vorzeitig verließen. Dabei wurde der Schulabbruch erstens mit drohender Arbeitslosigkeit verknüpft: Arbeit für ungelernte Kräfte sei schwer zu finden, hieß es, und Arbeitslosigkeit wurde zum sicher scheinenden Schicksal für Dropouts. 721 Solche Kampagnen gegen Highschool-Abbrecher erscheinen nicht überraschend für einen Zeitpunkt, zu dem sich der Arbeitsmarkt durch aus dem Krieg zurückkehrende Soldaten gefüllt hatte und eine beschützte Jugend als gesellschaftliches Ideal galt. 722 Zweitens aber, das wird im Folgenden deutlich, verband man diese Arbeitslosigkeit mit einem quasi automatischen Abgleiten in die Delinquenz. Es ist diese Verknüpfung von Arbeitslosigkeit und Delinquenz, die ganz entscheidend zur Kriminalisierung von Dropouts beitrug und die einer genaueren Untersuchung bedarf. Warum betrachtete man arbeitslose Jugendliche mehr und mehr als nahezu zwangsläufig delinquent? Einen ersten Hinweis darauf gibt der bereits erwähnte Arbeitsbericht des Senate Subcommittee. Arbeitslose Jugendliche, hieß es dort, seien ohne Beschäftigung, Alltagsstruktur und Aufsicht und daher dazu prädestiniert, delinquent zu werden. 723 Damit bezog sich der Bericht implizit auf ein Wissen über Jugendliche, nach dem diese sorgfältig geführt werden müssten, um nicht delinquent zu werden. Arbeitslosigkeit schaffte in dieser Narration eine Lücke in der Führung und musste deshalb negative Konsequenzen haben. Die „wohl bekannten Risiken“ mangelnder Beschäftigung könnten - so ein Experte vor dem Ausschuss - nur vermieden werden, wenn sich die Jugendlichen in der Schule oder an einem Arbeitsplatz befänden. 724 Conant fand in seinem Buch noch deutlichere Worte für die gefährlichen Konsequenzen von Jugendarbeitslosigkeit: „A youth who has dropped out of school and never has had a full-time job is not likely to become a constructive citizen of his community. Quite the contrary. As a frustrated individual he is likely to be antisocial and rebellious, and may well become a juvenile delinquent.“ 725 Wie schon in den 1930er Jahren betrachtete man beschäftigungslose Jugendliche nicht nur als gefährdet, sondern auch als gefährlich. 726 Indem Conant die 721 Vgl. z. B. Pollack: „What Happens When Kids Quit School“; Stellungnahme von Elizabeth Johnson vom U.S. Department of Labor in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Youth Employment), S. 16; Daniel Schreiber: „The Low- Down on Dropouts“, in: The P.T.A. Magazine 58/ 3 (1963), S. 4-6. 722 Lindenmeyer: „Embracing an Ideal of Modern American Childhood“, S. 143-149. 723 Derthick/ Horacek: „Planning School Programs“, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Education and Juvenile Delinquency, S. 46. 724 Stellungnahme von Robert Taber, Schulbehörde von Pennsylvania, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Youth Employment), S. 193. 725 Conant: Slums and Suburbs, S. 35. 726 Stieglitz: „Talking about Youth and the Nation’s Future during the New Deal Era“. <?page no="177"?> 176 Mehrheit der Schulabbrecher überdies in den großstädtischen Gettos verortete, markierte er sie als nicht-weiße Jugendliche. 727 Das Problem von Dropouts hatte zu Beginn der 1960er Jahre buchstäblich explosives Potenzial angenommen. In seinem Buch entwarf Conant ein Szenario, in dem nicht-weiße, männliche Schulabbrecher in den Städten „soziales Dynamit“ bildeten, das sich jederzeit entladen könne und eine „Gefahr für die soziale und politische Gesundheit der Großstädte“ darstelle. 728 Das Narrativ frustrierter und gewaltbereiter schwarzer Jugendlicher war Zeitgenoss_innen schon aus den Auseinandersetzungen um Brown v. Board of Education und schulische Gewalt bekannt. Durch die Figur des Dropout schien sich das Problem nun mehr als zuvor aus dem Raum Schule hinaus auf die städtischen Straßen zu bewegen und also nicht mehr nur die Ordnung in den Schulen, sondern die der Gesellschaft zu gefährden. Unpassende Curricula oder unangepasste Jugendliche? Eng verbunden mit den oben skizzierten Konzepten von Schulverweigerung und gefährlicher Arbeitslosigkeit war ein weiterer Aspekt der Kriminalisierung von Dropouts: Als Ausgangsproblem für die Malaise galten zu Beginn der 1960er Jahre zunehmend „schwer beschulbare“ Jugendliche - eine Figur, die auch in George Allens Buch eine große Rolle dabei gespielt hatte, die schulischen Zustände zu skandalisieren. Eine Dekade zuvor, am ersten Höhepunkt der Schulkrisenerzählung, war dies noch anders gewesen und der Schulabbruch Jugendlicher primär als Konsequenz von eklatanten Mängeln des Schulwesens, nicht aber der Jugendlichen, gedeutet worden. „Why do pupils refuse to stay in high school? “, fragte etwa ein Artikel im Parents’ Magazine zu Beginn des Jahres 1951, der das Problem sogleich auf „altmodische“ Curricula zurückführte. Jugendliche hätten kein Interesse am Schulunterricht, weil dieser sie nicht für ihr späteres Arbeitsleben ausbilde. Daher begännen sie lieber so früh wie möglich damit, Geld zu verdienen. Der Artikel resümierte, die Highschools müssten ihren Unterricht stärker an diesen Bedürfnissen ausrichten und Fächer anbieten „die auf das Leben vorbereiten“ würden. 729 In den frühen 1950er Jahren wurden „traditionelle“ und „unrealistische“ Curricula häufig für den Schulabbruch Jugendlicher verantwortlich gemacht und daran die Forderung geknüpft, die Lehrpläne zu reformieren. 730 Die Not- 727 Conant: Slums and Suburbs, S. 35. 728 Ebd., S. 2. 729 Blake Clark: „They Don’t Quit School in Denver“, in: Parents’ Magazine 26/ 2 (1951), S. 31, 70-73, hier S. 31, 73. 730 Vgl. z. B. Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 270; Pollack: „What Happens When Kids Quit School“; Stellungnahme von Samuel Brownell, Department of Health, Education, and Welfare, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 2, S. 446. <?page no="178"?> 177 wendigkeit, dem Problem durch curriculare Reformen zu begegnen, ergab sich aus einer zeitgenössisch diagnostizierten Kluft: Die Existenz von Dropouts schien auf das Versäumnis US-amerikanischer Schulen hinzuweisen, ihr demokratischen Versprechen von „universeller Erziehung“ zu verwirklichen. Von dieser Idealvorstellung schulischer Erziehung gingen diejenigen Expert_innen aus, die in der Nachkriegszeit „life adjustment education“, also eine pragmatische, an den Bedürfnissen von Jugendlichen der Arbeiterklasse ausgerichtete Ausbildung forderten. 731 Im Laufe der zunehmenden diskursiven Verknüpfung von Schulabbruch und Jugenddelinquenz schien die Frage nach den Ursachen von ersterem nicht mehr so eindeutig in den mutmaßlichen Mängeln der schulischen Curricula zu liegen. Angesichts von Statistiken, die suggerierten, dass 84 Prozent der delinquenten 16-Jährigen nicht mehr zur Schule gingen, formulierte etwa ein Vertreter des Office of Education 1954 die Frage: „[W]ere these youngsters out of school because the school failed to keep them interested, or were they out of school because they were delinquent? “ 732 Zur Mitte der 1950er Jahre fanden Expert_innen immer häufiger in Letzterem eine überzeugende Erklärung. Der schulpolitische Arbeitsbericht des Senate Subcommittee beispielsweise hob die Unfähigkeit von Jugendlichen, den geringsten schulischen Anforderungen zu genügen, als Grund für deren Schulabbruch hervor. Der Report konstruierte eine Kausalkette von schulischem Scheitern, Frustration, Schulabbruch und Delinquenz, deren Ursprung in den vermeintlichen Defiziten Jugendlicher lokalisiert wurde. 733 In solchen Debatten entstanden komplexe Psychogramme von Jugendlichen, denen der scheinbar unausweichliche Schulabbruch aufgrund einer Reihe von Problemfaktoren prognostiziert wurde. Ein Vertreter der nationalen Schulbehörde listete dem Subcommittee im Mai 1955 etwa 22 „kritische Vorzeichen“ auf, anhand derer man voraussagen könne, „dass bestimmte Jugendliche in großer Zahl die Schule verlassen“ würden, „sobald sie ihren 16. Geburtstag erreicht“ hätten. Dabei führte er beispielsweise Aggressivität, Leseschwäche, einen niedrigen IQ sowie die Herkunft aus sozial benachteiligten Verhältnissen und „kaputten“ Familien als Warnsignale baldigen Schulabbruchs auf. 734 Auf diese Weise beschrieb die Schulbehörde potenzielle Dropouts als Jugendliche mit zutiefst problematischen Psychen und Lebensumständen. 731 Z. B. Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 259; Stellungnahme von Harry Broad, Direktor der Daniel Webster High School in Tulsa, OK, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 195. Dazu Hartman: Education and the Cold War, Kap. 3. 732 Brownell in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 2, S. 441. 733 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Education and Juvenile Delinquency, S. 4, 13. 734 Hull in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Youth <?page no="179"?> 178 Der Wandel dieser Ursachenerzählung - von unpassenden schulischen Lehrplänen hin zu unangepassten Individuen - reflektierte die Differenzierung der Krisenerzählungen. Zum Ende der Dekade, als Bedrohungsszenarien schulischer Gewaltexzesse die negative Folie zum Vorhaben der Förderung zukünftiger Eliten bildeten, lieferten Dropout-Debatten ein zusätzliches diskursives Mittel, das Problem vorrangig in nicht-weißen, sozial benachteiligten Communities zu lokalisieren. 1963 stellte das P.T.A. Magazine fest: „It should surprise no one that dropout rates run two, three, sometimes four times higher among the youth of minority groups than among others.“ 735 Conants Studie und dessen Rezeption im P.T.A. Magazine machten diese Äquivalenzbeziehung explizit. Mangelnde schulische Fähigkeiten, die Herkunft aus armen, „zerrütteten“ Familien in Großstadtkernen und hohe Schulabbruchsraten waren wesentliche Attribute, mit denen nicht-weiße Communities beschrieben wurden. Durch Culture of Poverty-Narrative beschrieb der Dropout-Diskurs eine Dynamik, die sich in den Familien gleichsam vererben würde: Manche der jugendlichen Schulabbrecher_innen hätten bereits Kinder und seien auf Sozialhilfe angewiesen; ihre Kinder würden die Highschool mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls vorzeitig verlassen. 736 Dabei ging es in den meisten Fällen um männliche Jugendliche; weibliche Schulabbrecherinnen wurden selten explizit erwähnt - und wenn, dann in Zusammenhang mit jugendlichen Schwangerschaften. Diese galten, das taucht etwa auch in Undercover Teacher auf, als Hauptgrund für den Schulabbruch junger Frauen. 737 Die Verhandlungen von Dropouts konzentrierten sich möglicherweise deshalb auf männliche Jugendliche, weil diese stärker als weibliche im öffentlichen Raum lokalisiert und als öffentliche Gefahr konturiert wurden. Conant beschrieb arbeitslose Männer etwa als „floaters“, die die Straßen bevölkern, während ihre Frauen das familiäre Zentrum bilden würden. 738 Gerade über solche Zuschreibungen, die deutlich rassialisiert waren, wurden auch weibliche Dropouts thematisiert. Wenn die Männer als arbeitslos beschrieben wurden, galten die Frauen als diejenigen, die früh Geld verdienen und daher gegebenenfalls die Schule abbrechen müssten. So stellte es etwa die Soziologin Bernice Moore 1965 im Magazin der National Education Association (NEA) dar, als sie forderte, dass dem Problem weiblicher Dropouts mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse. Das Problem am Schulabbruch sah Moore darin, dass die Schule die jungen Mädchen dann nicht mehr auf ihre zukünftigen Rollen als „Mütter, Hausfrauen und Verdienerinnen“ vorbereiten könnte. 739 Employment), S. 227f. 735 Schreiber: „The Low-Down on Dropouts“, S. 5. 736 Ebd., S. 5. 737 Allen: Undercover Teacher, S. 147. Vgl. auch Schreiber: „The Low-Down on Dropouts“, S. 6. 738 Conant: Slums and Suburbs, S. 19. 739 Bernice Milburn Moore: „Mothers, Homemakers, and Wage Earners“, in NEA Journal 54 <?page no="180"?> 179 Indem Moore betonte, dass die Mädchen in der Regel eine Lohnarbeit verrichten müssten, verortete sie die weiblichen Dropouts in der Arbeiterklasse. Die Debatte um Schulabbrecher wurde primär, aber nicht nur in Verbindung mit nicht-weißen Jugendlichen aus der großstädtischen Arbeiter- und „Unterklasse“ geführt. Am Rande des Dropout-Diskurses diagnostizierte man das Problem aber bisweilen auch bei weißen, privilegierten Jugendlichen. 740 Auch hier standen männliche Jugendliche im Vordergrund, deren Schulabbruch als Resultat von hohem Leistungsdruck beschrieben wurde. Eine Studie von 1962 beispielsweise argumentierte, diese Jungen setzten sich durch die kompetitive Struktur von Schule permanent der Gefahr des Misserfolges aus. Deren Schulabbruch sei daher ein Zeichen der unterbewussten Angst vor dem Scheitern. 741 Das Beispiel demonstriert somit zum einen, dass Dropouts auch als Drohkulisse in Bezug auf diejenigen aufgebaut wurden, denen man nach dem „Sputnik-Schock“ diskursiv die Zukunft der Nation anvertraute. Zum anderen verdeutlicht es aber, dass das Narrativ hier ganz anders strukturiert war: Man lokalisierte den Ursprung der Malaise auch zu Beginn der 1960er Jahre primär in Defiziten des Schulsystems. Die hier betrachtete Kriminalisierung von Dropouts hatte drei bedeutende Konsequenzen: Erstens trug sie zur Rassialisierung schulischer Delinquenz bei. Armut, Blackness, Stadtjugendlicher, Schulabbrecher und Delinquent - diese Zuschreibungen wurden in den 1950er Jahren in einer Äquivalenzkette verknüpft und konnten somit auch synoynm verwendet werden. Zweitens wurden Schulabbrecher über diese Konstruktion als Gefahr für die öffentliche Ordnung begriffen. Es war die Konstruktion armer, arbeitsloser, rassialisierter Körper, die sowohl dem Dropout als auch dem delinquent besonders gefährliches Potenzial verlieh und diese beiden Figuren diskursiv verzahnte. Zu Beginn der 1960er Jahre signifizierte der Dropout einen Jugendlichen, der buchstäblich Gefahr lief, aus der sozialen Ordnung herauszufallen. 742 Ein Text über die „race riots“ in Watts, der 1965 im P.T.A. Magazine erschien, zeigt, dass diese in solchen Deutungsmustern gelesen wurden. Der Text bezog sich explizit auf Conants Warnung vor „sozialem Dynamit“ und sah die „riots“ als Bestätigung dafür an. 743 Ein Leserbrief, den die Zeitschrift daraufhin erhielt, stieß ins gleiche Horn, verwies aber auch darauf, dass die Zustände in den Schulen der Situation Vor- (1965), S. 22-23, zit nach Dorn: „Origins of the ‘Dropout Problem’“, S. 369. 740 Dorn: „Origins of the ‘Dropout Problem’“, S. 366. 741 Solomon Richter u. a.: The Drop-Outs. A Treatment Study of Intellectually Capable Students Who Drop Out of High School. New York: Free Press, 1962, S. 250, zit. nach Dorn: „Origins of the ‘Dropout Problem’“, S. 367. 742 Dass dies von der US-amerikanischen Gegenkultur auch affirmativ aufgegriffen wurde, zeigt Hale: Nation of Outsiders. 743 C. C. Trillingham: „Lessons From Watts... It Can Happen Here“, in: The P.T.A. Magazine 61/ 2 (1966), S. 11-12, hier S. 12. <?page no="181"?> 180 schub geleistet hätten: „The schools are responsible for violence in the streets. [...] American slum schools have bred functional illiterates, dropouts, and young hoodlums who in an automated, technological age knew nothing better than to strike out against it.“ 744 Der Leserbrief zeigt in die Richtung einer dritten Konsequenz des Wandels im Dropout-Diskurs: Anfang der 1960er Jahre verdichteten sich die Forderungen, schulpolitisch auf die vermeintliche Bildungsferne unterprivilegierter Jugendlicher zu reagieren. Dies wird im nächsten Kapitel näher beleuchtet werden, das sich mit den Effekten des schulischen Delinquenzdiskurses auf Lehrkräfte und Jugendliche befasst. 3 „Teachers of Stubborn Virtue“ und Special Education: Effekte des schulischen Delinquenzdiskurses Zu Beginn der 1960er Jahre hatte sich die Lage der Highschool nach Ansicht von Zeitgenoss_innen also keinesfalls beruhigt, wie es etwa der Historiker Benjamin Golub behauptet. 745 Stattdessen hatte sich die Wahrnehmung von Orten und Subjekten der schulischen Krise ausdifferenziert. Dabei waren Schulkrisen- und Delinquenzdiskurs in den Auseinandersetzungen um Desegration und schulische Gewalt sowie in der Kriminalisierung jugendlicher Dropouts eng miteinander verschränkt. Ein Effekt dieser Gemengelage, die zunehmende schulpolitische Konzentration auf marginalisierte Schüler_innen, zeigt sich etwa in der Verabschiedung des Elementary and Secondary Education Act (ESEA). Das Gesetz von 1965 stellte Mittel für erziehungswissenschaftliche Forschung, schulische Modellprojekte und individuelle Hilfen für Schüler_innen bereit. 746 Der Politikwissenschaftler Douglas Mitchell betont, dass sich im ESEA ein deutlich größerer schulpolitischer Paradigmenwechsel ausdrückte als in der Verabschiedung des National Defense Education Act sechs Jahre zuvor. Denn es umfasste nicht nur ein größeres finanzielles Volumen, sondern war auch breiter auf die Förderung von Schulen ausgerichtet. 747 Eine Broschüre der NEA mit dem Titel 744 J. Hoffman, Cleveland, OH, an The P.T.A. Magazine, „Opinions by Post“, in: The P.T.A. Magazine 62/ 3 (1967), S. 25. 745 Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 180. 746 Dazu Julie Roy Jeffrey: Education for Children of the Poor. A Study of the Origins and Implementation of the Elementary and Secondary Education Act of 1965. Columbus: Ohio State Univ. Press, 1978; Harvey Kantor: „Education, Social Reform, and the State: ESEA and Federal Education Policy in the 1960s“, in: American Journal of Education 100/ 1 (1991), S. 47-83; Beth R. Sanders: School Leaders and the Challenge of the Elementary and Secondary Education Act, 1960-1968. Unveröff. Diss. University of Michigan, 2010. 747 Douglas E. Mitchell: „The Surprising History of Education Policy“, in: Ders./ Robert L. Crowson/ Dorothy Shipps (Hg.): Shaping Education Policy. Power and Process. New York/ Abingdon: Routledge, 2011, S. 3-22, hier S. 5. <?page no="182"?> 181 Education and the Disadvantaged American hatte zu Beginn der Dekade Culture of Poverty-Narrative bemüht, um bestimmte Schüler_innen als besonders bildungsfern zu charakterisieren. In seiner Vorstellung der Broschüre berichtete der National Parent-Teacher paternalistisch und alarmierend über eine „Flut von Unglücklichen“, die das Schulsystem „absorbieren“ müsse, um ihnen eine Chance zu geben. Kriminalität und Delinquenz, Armut, Schulverweigerung und Ablehnung gegenüber staatlichen Autoritäten - all diese Probleme schienen auf dringenden schulpolitischen Handlungsbedarf hinzuweisen. 748 Mit der Art und Weise, wie die Notwendigkeit solcher Programme durch alle politischen Lager hindurch artikuliert wurde, ist der ESEA ein Beispiel für den universellen Anspruch von Hegemonie. Sowohl konservative als auch progressive Kräfte konnten das Gesetz unterstützen und an dessen Zielsetzung andocken. Für die einen war es ein Mittel, das „soziale Dynamit“ in den Städten zu entschärfen, für die anderen ein notwendiger Schritt auf dem Wege zu einer bildungspolitisch egalitäreren, demokratischeren Gesellschaft. 749 Neben den legislativen Sedimenten schulpolitischer Diskurse werden durch die Linse Jugenddelinquenz eine Reihe weiterer Effekte sichtbar. Bisher noch nicht untersucht sind diese Kriseninszenierungen und Verhandlungen schulischer Delinquenz auf der Ebene von Subjektivierungsprozessen. Im Gesetzesentwurf zum ESEA verkündete Präsident Johnson: „The three R’s of our school system must be supported by the three T’s - teachers who are superior, techniques of instruction that are modern, and thinking about education which places it first in all our plans and hopes.“ 750 In welcher Weise wurden die als so bedeutsam herausgestellten Lehrkräfte im Delinquenzdiskurs angerufen? Und wie und mit welchen Konsequenzen wurden die Schüler_innen konturiert, für die neue Unterrichtsmethoden entwickelt werden sollten? Um diese Fragen geht es im Folgenden. 3.1 „Baby-sitters or Policemen“: Die Subjektivierung von Lehrkräften Neben gewaltbereiten, unbeschulbaren Jugendlichen hat George Allens Buch ein zweites großes Thema: Die Fähigkeit bzw. Unfähigkeit von Lehrkräften, mit diesen Schüler_innen umzugehen. Allen stellte seinem Buch eine Widmung voran: „To Teachers of Stubborn Virtue Everywhere.“ 751 Damit schrieb er sich 748 National Education Association: Education and the Disadvantaged American. Washington, DC: NEA, 1962, zit. nach William D. Boutwell: „What’s Happening in Education? “, in: The P.T.A. Magazine 56/ 10 (1962), S. 17-18, hier S. 18. 749 Dazu Sanders: School Leaders and the Challenge of the Elementary and Secondary Education Act, insbes. Kap. 1. 750 Zit. nach ebd., S. 8 (Hervorhebungen bei Sanders). 751 Allen: Undercover Teacher, Widmung. <?page no="183"?> 182 zum einen in die Gemeinschaft von Lehrer_innen ein - immerhin hatte er auf regulärem Wege eine Lehrlizenz erhalten. Zum zweiten machte er deutlich, welche Qualität Lehrkräfte vor allem haben sollten: eine moralisch fundierte Unbeugsamkeit. Zu Allens Leidwesen fand er an der Marshall High allerdings kaum Lehrer_innen, auf die diese Charakterisierung zutreffen konnte, im Gegenteil: Er skizzierte den Großteil des Kollegiums als zynisch und nachlässig. 752 Auch wenn der Journalist angesichts von niedriger Bezahlung und wilder Schüler-Meute durchaus Verständnis dafür aufbringen konnte, dass Lehrkräfte vor ihrer schwierigen Situation kapitulierten, so lag für ihn darin dennoch eines der größten Probleme der Schulen. Mit dieser Einschätzung war Allen nicht allein. Während sich der Fokus schulischer Delinquenzszenarien, wie am Beispiel des Dropout-Diskurses gezeigt wurde, mehr und mehr auf die mutmaßlichen Mängel der Schüler_innen verlagerte, war und blieb die Eignung von Lehrkräften ein wichtiges Thema. Inmitten der Auseinandersetzungen über die wichtige Rolle von Schulen in der kindlichen und jugendlichen Erziehung kam denjenigen, die mit Schüler_innen zu tun hatten, eine besondere Rolle zu. Freilich spielten in diesem Kontext gerade seit den späten 1950er Jahren auch die aufflammenden Diskussionen um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine Rolle, die vor allem Forderungen nach einer besseren Ausbildung und Bezahlung von Lehrkräften begründeten. 753 Aber gerade angesichts der vermeintlich gewalttätigen und leistungsschwachen Jugendlichen wurde es auch als besonders entscheidend betrachtet, wie Lehrkräfte sich diesen gegenüber verhielten. Kurz: Was eine gute Lehrkraft auszeichnete, wurde in den 1950er und 1960er Jahren vor der Folie jugendlicher Delinquenz ausgehandelt. Die Bedeutung von Lehrkräften In den zeitgenössischen Schulkrisenproklamationen ging es immer wieder um das Fehlen einer ausreichenden Zahl von Lehrer_innen. 754 Vor dem Hintergrund der Delinquency Scare gewann diese Frage an Dringlichkeit, denn nun wurde betont, dass Schule nicht nur Jugenddelinquenz vorbeugen, sondern diese auch produzieren könne, wenn die Lehrbedingungen schlecht seien. 755 Die 752 Allen: Undercover Teacher, S. 97, 116. 753 Dazu Clowse: Brainpower for the Cold War; Ravitch: Troubled Crusade, Kap. 7. 754 Vgl. McGrath: „The Coming Breakdown of American Education“; Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Education and Juvenile Delinquency, S. 16; Hecht: „The Main Recommendations of the White House Conference on Education“. 755 Vgl. die Stellungnahme von Brownell in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 2, S. 441; Kvaraceus: Juvenile Delinquency, S. 340; Pat McCormack: „Expulsions Set as Aid to Discipline“, in: U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency (Pittsburgh, Pa.). <?page no="184"?> 183 Aufgaben und Herausforderungen, vor denen Lehrkräfte standen, wurden in einer Broschüre der NEA von 1958 formuliert. Dort hieß es, diese seien in der „strategischen Position, […] Anzeichen zukünftiger Verhaltensabweichungen“ bei Jugendlichen frühzeitig zu entdecken und mithin potenziell delinquente Jugendliche zu identifizieren. 756 Gleichzeitig mit dieser Rollenzuweisung stellte man aber fest, dass die Lehrer_innen, und vor allem diejenigen in „Problemschulen“, an ihrer Aufgabe zu scheitern schienen. Dabei galt unter anderem eine mangelnde Ausbildung als entscheidender Faktor. Lehrkräfte, argumentierte etwa Samuel Brownell vom US-amerikanischen Erziehungsministerium, seien nicht angemessen darauf vorbereitet, delinquentes Verhalten zu erkennen. Mehr noch, selbst diejenigen, die das könnten, wüssten dann nicht, wie sie mit den Jugendlichen weiter umgehen sollten. 757 Hier wurde also ein doppelter Mangel diagnostiziert; erstens an Lehrkräften und zweitens an guten Lehrkräften. George Allen schrieb sich in seinem Buch in die Kritik an schlechten Lehrbedingungen ein. So bemängelte er neben der zeitintensiven Unterrichtsvorbereitung zum Beispiel das Ausmaß an bürokratischen Tätigkeiten, die zu den Pflichten von Lehrkräften gehörten. Allen war überzeugt davon, dass sich die niedrige Bezahlung von Lehrer_innen gerade angesichts des hohen Arbeitsaufwandes nachteilig auf deren Unterrichtsmoral auswirkte. 758 Die Forderung nach einer höheren Bezahlung für Lehrkräfte hatte die schulischen Krisenerzählungen seit den späten 1940er Jahren stets begleitet. Sie wurde vor allem mit der wichtigen Funktion begründet, die Lehrer_innen in der Erziehung einer neuen Generation einnähmen. Die Gluecks befanden etwa vor dem Subcommittee, diejenigen, denen die Gesellschaft ihre „Kinder in deren prägendsten Jahren [anvertraue]“, müssten dafür angemessen belohnt und geachtet werden. 759 Weil Jugendlichen eine besondere Formbarkeit zugeschrieben und sie gleichzeitig als gesellschaftliche Ressource konturiert wurden, begriff man die niedrige Bezahlung von Lehrer_innen als Widerspruch zu ihrer bedeutsamen Rolle. Dabei wurde der Einfluss von Lehrkräften auf ihre Schüler_innen auch und gerade vor dem Hintergrund des Kalten Krieges betont - und gefürchtet. Dies zeigt sich etwa in den antikommunistischen Loyalitätseiden, die seit Ende der 1940er Jahre auf Bundesebene und in dreißig Bundesstaaten von Lehrkräften gefordert wurden. 760 Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 84th Cong., 1st Sess., 7. Dezember 1955. Washington, DC: Government Printing Office, 1956, S. 99-100, hier S. 100. 756 Kvaraceus: Juvenile Delinquency, S. 341. 757 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 2, S. 441. 758 Allen: Undercover Teacher, S. 151f. 759 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 101. 760 Dazu Ravitch: Troubled Crusade, Kap. 3; Stuart J. Foster: Red Alert! Educators Confront the Red Scare in American Public Schools, 1947-1954. New York u. a.: Peter Lang, 2000; <?page no="185"?> 184 Die enorme Bedeutung, die Lehrer_innen zugewiesen wurde, diente als Argument zur Verteidigung dieser umstrittenen Maßnahme: „A teacher works in a sensitive area in a schoolroom. There he shapes the attitudes of young minds towards the society in which they live. In this, the state has a vital concern“, hieß es in einem Urteil des Obersten Gerichtshofes zur Verfassungsmäßigkeit der Loyalitätseide in New York. 761 In diesem Kontext konnten aber nicht nur Strafandrohungen, sondern auch höhere Gehälter für Lehrkräfte legitimiert werden. Im März 1960 bezeichnete es der National Parent-Teacher als eine der wichtigsten schulischen Errungenschaften der vergangenen Dekade, dass die Gehälter von Lehrkräften inzwischen knapp 5000 Dollar jährlich betrügen. 762 Die erzieherischen und therapeutischen Qualitäten von Lehrkräften Dass eine bessere Bezahlung von Lehrer_innen einen gesellschaftlichen Nutzen bringen würde, davon waren zeitgenössisch nicht nur konservative, sondern auch progressive Kräfte überzeugt. 763 Gleichwohl schien dies allein nicht ausreichend zu sein. Ein 1956 im National Parent-Teacher veröffentlichter Artikel, der sich als Werbetext für den Lehrberuf bezeichnen lässt, beschrieb diesen als mittlerweile ökonomisch zufriedenstellend, warnte aber, dass nicht jeder ihn ausüben könne: „[O]nly the able should apply.“ 764 Wer war nach zeitgenössischen Vorstellungen „fähig“ dazu, Lehrer_in zu werden? Was zeichnete gute Lehrkräfte aus? In der bereits erwähnten Informationsbroschüre der NEA, die der Erziehungswissenschaftler William Kvaraceus verfasst hatte, wurde eine Reihe diesbezüglich interessanter Aussagen über die notwendigen persönlichen und fachlichen Qualifikationen von Lehrkräften getroffen. Dabei fungierte jugendliche Delinquenz als Folie, vor der die Anforderungen an Lehrer_innen deutlich gemacht werden konnten. „The juvenile delinquent is a child generally full of hate and hostility“, erklärte Kvaraceus, und forderte vor diesem Hintergrund, dass Lehrkräfte ein maximales Verständnis für diese von der Community abgelehnten Jugendlichen aufbringen müssten: „Like a behavioral alcoholic [the delinquent child] needs sympathy, study, and treatment rather than jailing.“ 765 Delinquenz erschien hier als psychische Krankheit, und die Lehrer_innen (an die Hartman: Education and the Cold War, S. 81. 761 Zit. nach Hartman: Education and the Cold War, S. 81. 762 Boutwell: „What’s Happening in Education“ (1960), S. 24. 1956 hatte der nationale Durschnitt noch knapp unter 4000 Dollar gelegen (Lyle W. Ashby/ Elizabeth Tomlinson: „The Teacher Shapes Tomorrow“, in: National Parent-Teacher 50/ 6 [1956], S. 8). 763 Joanna Perillo: Uncivil Rights. Teachers, Unions, and Race in the Battle for School Equity. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 2012, insbes. Kap. 3. 764 Ashby/ Tomlinson: „The Teacher Shapes Tomorrow“. 765 Kvaraceus: Juvenile Delinquency, S. 329f. <?page no="186"?> 185 die Broschüre explizit gerichtet war) als behandelnde Psycholog_innen. Kvaraceus sprach in der Tat explizit davon, dass ein „therapeutisches Verhältnis“ der Lehrkraft zu ihren Schüler_innen nötig sei, um Verhaltensänderungen bei diesen herbeizuführen, vor allem aber auch, um bereits die ersten Warnsignale jugendlicher Delinquenz erkennen zu können. 766 Eine lückenhafte Lehrerausbildung galt dabei als wesentliches Hindernis in der Ausübung dieser therapeutischen Rolle. George Allen fand wenig Gutes am Kollegium der John Marshall Junior High und machte auch bei sich keine Ausnahme: Immer wieder betonte er, wie unvorbereitet er sich angesichts der kurzen Ausbildung von nur drei Seminaren gefühlt habe. Allen hatte einen Kurs zum Thema Unterrichtsmethoden, einen weiteren zur Geschichte von Erziehung sowie ein Seminar zum Thema Psychologie der Adoleszenz belegt. 767 Obligatorische Psychologie-Kurse für Lehrkräfte bildeten einen Streitpunkt im „certification war“. Diesen Begriff fand das P.T.A. Magazine für eine Kontroverse um die Lehrerausbildung. Vor dem Hintergrund des „Sputnik-Schocks“ waren die Seminare in Psychologie und Erziehungsgeschichte als „Mickey Mouse“- Kurse beschrieben worden, die Lehrkräfte nicht auf ihre Rolle in der Förderung naturwissenschaftlicher Eliten vorbereiten würden. 768 Gleichzeitig galt psychologisches Wissen aber als unabdingbar, um adäquat mit nicht nur den schwierigen Schüler_innen umgehen zu können. Lehrer_innen wurden aufgefordert, sich über das neueste erziehungswissenschaftliche und psychologische Wissen auf dem Laufenden zu halten. Dies verdeutlicht zum Beispiel die NEA- Broschürenserie What Research Says to the Teacher, die diesen Bedarf damit gleichzeitig bediente. 769 Auch das Magazin der PTA etwa war explizit an Lehrkräfte gerichtet und behandelte vor allem erziehungspsychologische und schulpolitische Themen in aller Breite. 770 Gerade diese Wissensvermittlung war es, auf die sich Lehrer_innen selbst häufig lobend beriefen, indem sie sich etwa in Leserbriefen an das P.T.A. Magazine dafür bedankten. „Although I had been out of college twenty-two years“, schrieb ein Lehrer beispielsweise im November 1962, „I was not out of touch. Because I had read The P.T.A. Magazine through the years, I was aware and abreast of educational trends, problems, and innovations.“ 771 Eine andere Lehrerin bezeichnete das Magazin als „Wegweiser“ und betonte: „I am both a teacher and a mother, but I still have much to learn regarding that wonderful creation, the human child. Thanks to you, I am learn- 766 Kvaraceus: Juvenile Delinquency, S. 340f. 767 Allen: Undercover Teacher, S. 36f. 768 William D. Boutwell: „What’s Happening in Education? “, in: The P.T.A. Magazine 58/ 3 (1963), S. 14-15, hier S. 15. 769 Vgl. den Umschlag von Kvaraceus: Juvenile Delinquency. 770 Z. B. in der Serie Boutwell: „What’s Happening in Education“ 771 Clyde L. Bonner, San Francisco, CA, an The P.T.A. Magazine, „Opinions by Post“, in: The P.T.A. Magazine 57/ 3 (1962), S. 37 (Hervorhebung i. O.). <?page no="187"?> 186 ing.“ 772 Damit schrieb sie sich in Vorstellungen ein, nach denen sich mit jungen Menschen befasste Erwachsene kontinuierlich Wissen aneignen mussten, um diese verstehen und führen zu können. 773 Andere Beispiele für den Einfluss psychologischen Wissens auf Lehrer_innen finden sich in einer Reihe von Briefen an Ebony. In diesen berichteten Lehrkräfte afroamerikanischer Jugendlicher, dass sie die Bilder und Geschichten in Ebony als Material nutzten, um die visuelle Dominanz von Weißen zu konterkarieren und ihren Schüler_innen Stolz auf ihre Hautfarbe zu vermitteln. 774 Hier zeigt sich, dass psychologisches Wissen über die negativen Effekte rassistischer Strukturen von Lehrkräften aufgenommen werden und den Unterricht prägen konnte. Paradoxerweise war es gerade die Anwendung etablierter erzieherischer Theorien, an denen Lehrer_innen nach Ansicht von Allen scheiterten. Einer der Artikel, aus denen Allen sein Buch kompilierte, trug die Überschrift: „False Theory Make Instructor Live a Lie“. 775 Nach seiner Ansicht hielten die verfügbaren erziehungswissenschaftlichen Konzepte nicht der Konfrontation mit derart schwierigen Schüler_innen stand, wie er sie an der Marshall High fand. 776 Dabei wies Allen auch darauf hin, dass Lehrkräfte dieses Scheitern an der Realität nach außen hin verbergen könnten, gerade indem sie sich auf anerkanntes Wissen beriefen: „‘Whenever any supervisor asks you what you are doing in the classroom’“, zitierte er etwa die Empfehlung eines Kollegen, „‘it’s always safe to say you are accounting for individual differences. It’s one of the magic phrases. Use it whenever you can and they’ll think you’re a smart, progressive teacher’“. 777 Damit intervenierte Allen erstens in die curricularen Kämpfe, auch wenn seine Bemerkung in diesem Kontext eher als Parodie erziehungswissenschaftlicher Theoriegläubigkeit denn als Aussage über die prinzipielle Richtigkeit oder Unrichtigkeit progressiver Unterrichtsmethoden gelesen werden muss. Zweitens aber, und das ist hier entscheidender, reproduzierte er damit die Diagnose profunder Mängel in der Ausbildung von Lehrkräften. Auf diese Weise entband Allen individuelle Lehrer_innen von der Verantwortung für ihr Scheitern, bestätigte dieses aber zugleich. Zudem artikulierten solche Diagnosen den Bedarf, Lehrkräfte explizit auf die Situation in „Problemschulen“ vorzubereiten. Ein Beispiel für die Konsequenzen dieser Forderung sind die Programme zur Lehrer- 772 Mrs. Marjorie L. Hafen, Mayfield, UT, an The P.T.A. Magazine, „Opinions by Post“, in: The P.T.A. Magazine 55/ 6 (1961), S. 37. 773 Dazu insbes. Kap. V.1 und V.4.2. 774 Emile Giffionelly, Newark, NJ, an Ebony, „Backstage“, in: Ebony 16/ 4 (1961), S. 20; R. F. Holtzclaw, Cleveland, OH, an Ebony, „Letters to the Editor“; in: Ebony 17/ 4 (1962), S. 15; Laura Potash, Louisville, KY, an Ebony, „Letters to the Editor“, in: Ebony 22/ 9 (1967), S. 15. 775 George N. Allen: „False Theory Make Instructor Live a Lie“, in: New York World-Telegram & Sun, 25. November 1958, S. 25. 776 Allen: Undercover Teacher, S. 37. 777 Ebd., S. 104. <?page no="188"?> 187 ausbildung, die mit Mitteln des Juvenile Delinquency and Youth Offenses Control Act von 1961 entwickelt wurden. Eines der Projekte, die in diesem Rahmen Geld erhielten, war das Programm TRUE („Teacher Resources for Urban Education“) am Hunter College in New York City. TRUE zielte auf die Entwicklung von Modulen, mit denen zukünftige Lehrende auf „urban classroom situations“ vorbereitet werden sollten. 778 Die Probleme an großstädtischen Schulen schienen also speziell ausgebildete Lehrkräfte zu erfordern. Insgesamt trat die Diskussion über notwendige Ausbildungsverbesserungen aber zugunsten eines anderen Aspekts in den Hintergrund. Es ist auffällig, dass in der Debatte um die notwendigen Qualifikationen von Lehrkräften wesentlich mehr über deren charakterliche Eignung gesprochen wurde. Allen skizzierte einen Kollegen, den er als seltenes Beispiel für einen guten Lehrer hervorhob, beispielsweise folgendermaßen: „He came from a family of teachers and was one of those to whom we apply the word ‘dedicated’. But he was no simple pedagogue; he was alert and curious, interested in the world around him.“ 779 Weniger fachliches Wissen als vielmehr emotionale Qualitäten und Leidenschaft für den Beruf zeichneten für viele eine gute Lehrkraft aus. Ein 1967 erschienener Artikel in Ebony porträtierte die Lehrerin einer sechsten Klasse in Chicago diesbezüglich als sehr erfolgreich. Sie habe „phantasievolle Techniken [entwickelt]“, mit denen sie die „umgebungsbedingte Apathie“ der Schüler_innen erfolgreich bekämpfen könne. Ihr „stimulierender“ Einfluss sei so weit gegangen, dass die Jugendlichen freiwillig täglich eine Stunde früher zur Schule gekommen seien, um an extracurricularen Projekten zu arbeiten. Nach und nach sei sowohl deren Spaß an Schule als auch deren Intelligenzquotient angestiegen. „For the first time“, zitierte das Magazin die Lehrerin, „I was producing a middle-class in a low income area“. Ebony lokalisierte den Grund für die Fähigkeit von sozial benachteiligten Kindern, ihre mutmaßlichen Beschränkungen zu überwinden, in den empathischen Kompetenzen ihrer Lehrerin. 780 Gerade vor dem Hintergrund nach wie vor niedriger Gehälter und einem verhältnismäßig geringen gesellschaftlichen Status von Lehrkräften wurde der Lehrberuf als eine Art von Leidenschaft konzipiert, zu der man berufen sein musste. Mit diesem Konzept konnten Lehrende sich identifizieren, wie etwa der Brief eines Lehrers aus Brooklyn verdeutlicht, der 1964 an Ebony schrieb und sich und seine Profession in hohen Tönen lobte: 778 Department of Health, Education and Welfare: „Progress in the Prevention of Juvenile Delinquency, 1961-1967“, in: General Subcommittee on Education: The Juvenile Delinquency Prevention Act of 1967, S. 53. 779 Allen: Undercover Teacher, S. 101. Vgl. auch die Stellungnahme von Schuldirektor Broad in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 192. 780 Alex Poinsett: „Ghetto Schools. An Educational Wasteland“, in: Ebony 22/ 10 (1967), S. 52- 57, hier S. S. 55. <?page no="189"?> 188 „I [...] am typical of the many special education teachers [...] who accept the challenge of working with the more less [sic] fortunate child, and although it is generally much more difficult teaching in the area, they still tenaciously cling to their dedication.“ 781 Da solche charakterlichen Anforderungen anhand eines Universitätsabschlusses schwer messbar waren, sollten Lehrerinnen und Lehrer sich diesbezüglich selbst überprüfen. Kvaraceus beispielsweise entwarf im Appendix seiner Broschüre einen umfassenden Fragenkatalog, der die geforderte Arbeit am Selbst deutlich macht. Lehrkräfte wurden hier angehalten, 65 Fragen zu beantworten und zu prüfen, ob sie in der Lage seien, mit „verhaltensauffälligen“ Kindern zu arbeiten. Aufgeteilt waren die Fragen in Kategorien, mit denen Lehrer_innen ihre Kompetenzen etwa als „Person“, „Guide in the Learning Process“, „Counselor“ und „Appraiser“ einschätzen sollten. 782 Bedeutsam ist, dass sich die Ergebnisse des Fragebogens nicht an einer expliziten Norm ausrichten oder quantifizieren ließen: Es stand keine Auswertung zur Verfügung, die eindeutig Auskunft über richtiges oder falsches Verhalten gab. Das gouvernementale Potenzial dieser Technik lässt sich mithin gerade in der Uneindeutigkeit dieser Anforderungen finden, über die stets zur erneuten Selbstprüfung aufgefordert wurde. Trotzdem konnte der Test offenbar auch zur vermeintlich objektiven Kontrolle eingesetzt werden. Denn Kvaraceus betonte, dass auch Eltern und Kolleg_innen ihn nutzen sollten, um die Fähigkeit anderer zu beurteilen, mit delinquenten Jugendlichen umzugehen. 783 In diesem Kontext formulierte Kvaraceus eine Anforderung an Lehrer_innen, die nicht einmal die immense Wissensproduktion über jugendliche Delinquenz zu erfüllen imstande war. Der Autor beschäftigte sich ausgiebig mit der Überschneidung von „delinquents”, „non-delinquents” und „quasi-delinquents” und kam schlussendlich nicht umhin, festzustellen, dass diese Gruppen nicht scharf voneinander unterscheidbar wären. Während der Experte also eine klare Antwort schuldig blieb und nur Andeutungen dazu machen konnte, wer delinquenzgefährdet war und wer nicht, forderte er von Lehrkräften die Fähigkeit, dies mit größerer Klarheit festzustellen und über die richtige Behandlung der Jugendlichen zu entscheiden. 784 Neben Ausbildung und charakterlicher Eignung gab es außerdem noch einen weiteren Aspekt, um den man sich in der Delinquency Scare in Bezug auf Lehrende sorgte. George Allen berichtete in seinem Buch, dass gerade Lehrerinnen die wilden und aggressiven Schüler nicht kontrollieren könnten und daher auf die Hilfe ihrer männlichen Kollegen angewiesen seien: „Even those of us who had never taught before were able to control unruly pupils better than these 781 Jerome C. Averette, Brooklyn, NY, an Ebony, „Letters to the Editor“, in: Ebony 20/ 1 (1964), S. 17. 782 Kvaraceus: Juvenile Delinquency, S. 348. 783 Ebd. 784 Ebd., S. 334, 341. <?page no="190"?> 189 young girls could.“ 785 Szenarien schulischer Gewalt wurden im Delinquenzdiskurs mit der Forderung nach mehr Männern im Lehrberuf verknüpft. Nicht nur aufgrund ihrer vermeintlich größeren körperlichen Stärke, sondern auch in ihrer Funktion als männliche role models betrachteten Expert_innen Lehrer als unabdingbar. Schließlich galt das Fehlen solcher männlichen Vorbilder als eine Ursache jugendlicher Identitätsverwirrung und mangelnder Führung und damit fast zwangsläufig von Delinquenz. 786 Diese Sorge wurde noch durch die Diagnose einer mangelnden Strenge in Schulen verstärkt, die sich in den curricularen Kämpfen rund um den „Sputnik-Schock“ artikulierte. Man befürchtete, die junge Generation sei einer Überzahl von weiblichen Lehrkräften und einer damit einhergehenden „Feminisierung“ des Unterrichts ausgeliefert. 787 In diese Debatten, die sich eng mit Forderungen nach höheren Lehrergehältern verschränkten, mit denen mehr Männer angezogen werden sollten, intervenierten Narrative schulischer Gewalt und überforderter weiblicher Lehrerinnen. Die Annahme, jugendlichen Delinquenten sei nur mit geballter Manneskraft in den Schulen beizukommen, verdeutlichte noch einmal die Notwendigkeit, diesen Problemen zu begegnen. Ebony berichtete im Juli 1965 etwa von einem Programm in einer Schule in Wilmington, Delaware, das den vermeintlichen Mangel einer starken Vaterfigur in afroamerikanischen Familien auszugleichen suchte. Die „Project Boys“ betitelte Maßnahme lud herausragende, männliche Mitglieder der Community in die Schule ein. Damit wollte man die Schüler mit Vorbildern versorgen, die schulischen Fortschritt nicht als „unmännlich“ stigmatisierten, wie es Gangjungen etwa tun würden. 788 Dieses Projekt deutet auf einen Aspekt hin, der im nächsten Abschnitt behandelt wird: Lehrkräften konnte die Verantwortung zugewiesen werden, ein mutmaßlich defizitäres Elternhaus zu kompensieren. Das Verhältnis von Lehrkräften und Eltern Vor dem Hintergrund familiärer Mängel diskutierte man auch das Verhältnis von Lehrkräften zu Eltern. Vor allem die Lehrer_innen der Schulen in großstädtischen Gettos wurden dabei aufgefordert, den schädlichen Einfluss von „Problemfamilien“ auszugleichen. 789 Dabei stand in Zweifel, ob Lehrkräfte die vermeintlichen Versäumnisse von Familien überhaupt annähernd ausgleichen 785 Allen: Undercover Teacher, S. 113f. 786 Dazu v. a. Kap. V.2.1. Zu ähnlichen schulpolitischen Diskussionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bissell Brown: „The Fear of Feminization“. 787 Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 166-169; Hartman: Education and the Cold War, S. 134. 788 Anon.: „Wilmington Finds an Answer. City Salvages Underprivileged Pupils“, in: Ebony 20/ 9 (1965), S. 57-68, hier S. 62. 789 Z. B. Daniel: „The Role of Youth Character-Building Organizations in Juvenile Delinquency Prevention“, S. 312. <?page no="191"?> 190 könnten - trotz „guten Willens“, wie Allen formulierte. 790 Der Fokus, der im Delinquenzdiskurs auf die entscheidende Rolle des Elternhauses gelegt wurde, ermöglichte es Lehrer_innen jedenfalls, diese Aufgabe von sich zu weisen und Eltern allein für die Probleme ihrer Schüler_innen verantwortlich zu machen. Der Brief eines Highschool-Lehrers an das Senate Subcommittee etwa verdeutlicht diese Dynamik. Er forderte den Ausschuss auf, die Situation an Detroiter Schulen zu untersuchen, denn: „Here is so much vandalism, so many unfit parents + [sic] so much juvenile delinquency, that this city should be a must in your itinerary.“ 791 Mit keinem Wort ging der Lehrer auf eine mögliche eigene Rolle im Rahmen seines Unterrichts ein. Interessanterweise gestaltete sich die Diskussion um das Lehrer-Eltern- Verhältnis anders, wenn es um Jugendliche mit lediglich kleineren schulischen Problemen ging. Hier wurden Lehrer und Eltern als Kooperationspartner mit recht deutlich umrissenen Rollen gezeichnet. Vor allem schien klar, dass Lehrkräfte nicht die Aufgaben von Eltern übernehmen sollten. Expert_innen mahnten in diesem Zusammenhang, dass „Wärme“ und „Kontaktfreudigkeit“ zwar wichtige Qualitäten in der therapeutischen Arbeit der Lehrkräfte seien, deren Rolle aber keinesfalls mit der mütterlichen zu verwechseln sei. Indem hier auf eine besondere mütterlicher „Vertrautheit“ rekurriert wurde, zog man eine Grenze der erzieherischen Reichweite von Lehrer_innen. 792 Nichtsdestotrotz wurden die Beziehungen zwischen Lehrer_innen und Eltern auch in Bezug auf vermeintlich intakte Familien intensiv diskutiert und als konfliktbehaftet beschrieben. Der National Parent-Teacher beispielsweise zielte schon um 1950 in einer Reihe von Artikeln darauf ab, zwischen beiden Gruppen zu vermitteln. 793 In dem Text „The Kind of Parents Teachers Like“ entwarf eine Lehrerin ihre Wunschvorstellung von Eltern: Diese müssten versuchen, die Möglichkeiten, aber auch Grenzen von Lehrkräften besser zu verstehen. Außerdem sei es notwendig, dass Eltern dem erzieherischen Rat von Lehrkräften Glauben schenkten und ihre Kinder nicht zu Leistungen zwängen, die diese nicht erbringen könnten. 794 Einen Monat später publizierte die Zeitschrift einen Artikel, der aus der entgegengesetzten Perspektive argumentierte und mit „The Kind of Teachers Parents Like“ überschrieben war. Hier wandte sich eine Mutter gegen Lehrer, die sich zu sehr in die elterliche Erziehung einmischten. Schließlich sei die Fami- 790 Allen: Undercover Teacher, S. 185. 791 Manuel Molner, Detroit, MI, an das Senate Subcommittee, 8. November 1953, Records of the Senate Subcommittee, Box 62 (Hervorhebung i. O.). 792 Vgl. Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 263. 793 E. T. McSwain: „Problems in the Parent-Teacher Relationship“, in: National Parent-Teacher 44/ 1 (1949), S. 28-30; Alice V. Keliher: „The Kind of Parents Teachers Like“, in: National Parent-Teacher 45/ 1 (1950), S. 8-10; Margaret Meigs: „The Kind of Teachers Parents Like“, in: National Parent-Teacher 45/ 2 (1950), S. 7-9. 794 Keliher: „The Kind of Parents Teachers Like“, S. 10. <?page no="192"?> 191 lie verantwortlich dafür, Kinder zu dem „zu machen, was sie sind“, argumentierte die Verfasserin. Freilich seien Lehrkräfte professionelle Erzieher_innen und müssten ihr Wissen auch an Eltern weitergeben, dabei dürften sie diese aber nicht bevormunden oder mit Vorwürfen überhäufen. 795 Der Text konturierte Lehrer_innen und Eltern als sich gegenseitig ergänzende sozialisatorische Instanzen, die beide eine große, aber unterschiedliche erzieherische Motivation hätten. Während das Interesse der Lehrkraft als ein professionelles beschrieben wurde, kamen die Artikel ohne eine zusätzliche Präzisierung der elterlichen Motivation aus. Diese schien sich allein aus dem Umstand des Eltern-Seins zu ergeben: „[W]e parents have in common that we are parents [...].“ 796 Auf diese Weise rief die Artikelserie zeitgenössisches Wissen über die besondere Position von Eltern auf, ließ aber ebenso die in der Delinquency Scare äußerst virulente Kritik an diesen widerhallen. In jedem Fall sollten Lehrkräfte und Eltern eng zusammenarbeiten, um dem Delinquenzproblem zu begegnen. Laut Brownell, dem bereits erwähnten Vertreter der US-Schulbehörde, waren beide Gruppen in einer „strategischen Position“, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Schulen auf zusätzliche Finanzmittel angewiesen seien. Damit knüpfte Brownell an die Vorstellung von Eltern und Lehrkräften als Schicksalsgemeinschaft in der Schulkrise ein: Beiden Gruppen wurde ein ureigenes Interesse an der Rettung von Schulen zugeschrieben. Das Office of Education, so Brownell, sei zwar guten Willens, an der Distribution zusätzlicher Mittel mitzuwirken, sei dabei aber auf die Lobbyarbeit und genuinen Kenntnisse von Eltern und Lehrer_innen angewiesen. 797 Lehrkräfte wurden also entweder als notwendiger Elternersatz oder aber als mit den Eltern kooperierende Instanz angerufen. Das Ausmaß, in dem Lehrer_innen Elternrollen übernehmen sollten, richtete sich danach, wie man die familiäre Situation der betreffenden Kinder beurteilte, das heißt, ob Eltern als so „unfit“ galten, dass Lehrkräfte für sie einspringen sollten. Lehrer_innen schienen damit an vielerlei Fronten vom Scheitern bedroht. Eine gute Lehrkraft zu sein war vor diesem Hintergrund eine nahezu unmögliche Subjektposition - ein gouvernementaler Mechanismus, der zur ständigen Überprüfung und Verbesserung der eigenen Fähigkeiten aufforderte. Neben inadäquaten erzieherischen Theorien und ebenso inadäquaten Eltern bildeten vermeintlich unbeschulbare Jugendliche einen zentralen Fluchtpunkt im Szenario dieses Scheiterns. Ein wiederkehrendes Narrativ - etwa sowohl in Blackboard Jungle als auch in Allens Buch - erzählte von jungen Berufsanfänger_innen, die zu Beginn hoch motiviert und hoffnungsfroh gewesen seien, angesichts der 795 Meigs: „The Kind of Teachers Parents Like“, S. 8f. 796 Ebd., S. 8. Zur Vorstellung eines elterlichen common sense, der aber durch erziehungswissenschaftliche Expertise ergänzt werden müsse, Kap. V.1 bzw. V.4.2. 797 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 2, S. 443. <?page no="193"?> 192 Schüler_innen und Lehrbedingungen bald aber resigniert hätten. Ein älterer Kollege Dadiers warnt diesen beispielsweise gleich am ersten Tag, North Manual sei der „Mülleimer des Schulsystems“ und ihr Job sei es einfach nur, auf dessen Deckel zu sitzen. 798 Diese zynische Metapher erinnert an Allens Darstellung von Lehrkräften, die sich nicht mehr um einen lehrreichen Unterricht bemühten, sondern ihre Kräfte nur noch dazu einsetzten, die Schüler_innen ruhig zu halten. Allen berichtete, nachdem er diese Haltung noch zu Beginn abgelehnt hätte, habe er sie am Ende seiner Lehrtätigkeit - und dies waren immerhin nur ein paar Monate - nachvollziehen können. 799 Das Problem lag für ihn darin, dass Lehrkräfte mit Jugendlichen umgehen müssten, die schlicht nicht unterrichtet werden wollten und ihre lernwilligeren Mitschüler_innen störten. Lehrende waren in Allens Buch entweder „policemen“ oder „baby-sitters“. 800 Dabei geriet mehr und mehr die Frage in den Vordergrund, wie mit Delinquent_innen in der Schule umgegangen werden sollte bzw. wie sie von den mutmaßlich lernfähigeren Schüler_innen getrennt werden konnten. Der folgende Abschnitt handelt von einigen zeitgenössische Antworten auf diese Frage. 3.2 Meeting the Crisis: Schulische Reformen „What has been done to get these misfits out? “ hatte die New Yorker Grand Jury 1958 mit Blick auf schulische Gewalttäter gefragt. 801 Dabei nahm diese Fragestellung das Resultat ihrer Untersuchung vorweg, denn dass solche Jugendlichen in irgendeiner Weise aus dem regulären Schulalltag entfernt werden sollten, stand fest. Die Schulbehörde reagierte schnell, trotz ihrer Kontroverse mit der Grand Jury. Bereits einen Tag nach dem Suizid von Goldfarb erhielten Schulleitungen das Recht, „schwere Störenfriede“ der Schule zu verweisen. Innerhalb von 24 Stunden nach Erlass dieses Gesetzes wurden in New York City über 600 Schüler_innen suspendiert - mehr als die Hälfte an Brooklyner Schulen. 802 Diese Schulverweise waren zunächst auf einen Zeitraum von maximal fünf Tagen beschränkt. Endgültige Suspensionen mussten an die lokale Schulbhehörde weitergeleitet und in einer Anhörung geprüft werden. 803 Die schnelle Einführung von Schulverweisen entsprach der Atmosphäre der Dringlichkeit, die sich Ende 1958 in New York City ausbreitete. Gleichzeitig ist die spezifische Form dieser Maßnahme ein Ausdruck des am Beispiel des Dropout-Diskurses nachge- 798 Blackboard Jungle, TC: 00: 07: 03- 00: 07: 40. 799 Allen: Undercover Teacher, S. 65, 143. 800 Ebd., S. 74, 186. 801 Anon.: „School Jury Told to Call Officials“, in: New York Times, 5. Dezember 1957, S. 46. 802 Allen: Undercover Teacher, S. 23; Leonard Buder: „Senate Hearings on Youth to Open”, in: New York Times, 18. Februar 1958, S. 54. 803 Bernard Mackler: „The Maderas vs. The Board of Education“, in: The Urban Review 2/ 2 (1967), S. 2-3, hier S. 2. <?page no="194"?> 193 zeichneten schulpolitischen Wandels, nämlich der nun vorherrschenden Annahme, die Ursache des Problems liege primär in den Schüler_innen selbst, nicht in schulischen Strukturen begründet. Dass zunehmend Jugendliche in den Fokus gerieten, bedeutete nicht, dass die Strukturen der Schullandschaft beibehalten werden sollten, sondern, dass sich der Fluchtpunkt der Reformen änderte. Statt über curriculare Verbesserungen dachte man nun darüber nach, mit welchen Techniken man das Verhalten der Problemschüler_innen korrigieren konnte. Im folgenden Abschnitt untersuche ich zunächst beispielhaft zwei dieser Programme, um mich anschließend einem besonders folgenreichen Maßnahmenkomplex ausgiebiger zu widmen: der special education. „Work Experience“ und therapeutische Programme Bereits im Laufe der 1950er Jahre wurde eine Reihe von Maßnahmen zur Delinquenzbekämpfung in den Schulen eingeführt, die in unterschiedlichem Maße auf die Veränderung jugendlichen Verhaltens zielten. Dazu zählten zum Beispiel sogenannte „work experience“-Programme, in denen Jugendliche zusätzlich zum Schulbesuch in Teilzeitjobs arbeiteten. Diese Maßnahmen waren in doppelter Weise auf die Prävention jugendlicher Delinquenz ausgerichtet. Zum einen sollten potenzielle Schulabbrecher_innen so in der Schule gehalten werden, zum anderen wollte man damit die zukünftigen Jobchancen von Kindern der Arbeiterklasse verbessern. 804 In einer explizit auf das Thema Jugendarbeit ausgerichteten Anhörung des Senate Subcommittee berichtete Robert Taber von der Schulbehörde in Pennsylvania über ein solches Programm, das bereits während des Zweiten Weltkrieges begonnen hatte. Mit implizitem, aber deutlichem Verweis auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den 1930er Jahren forderte er eine Ausweitung dualer Projekte, in denen Jugendliche halbtags die Schule besuchten und den Rest des Tages einer Lohnarbeit nachgingen. Einmal im Monat, legte Taber dar, besuche die verantwortliche Lehrkraft die Schüler_innen bei der Arbeit, denn die dortige Leistung der Jugendlichen fließe zu einem Teil in die allgemeine Benotung ein. Laut Taber wurden auf diese Weise Schulschwänzerei, Schulabbruch und Delinquenz wirksam bekämpft. Gleichzeitig würden Jugendliche auf den Arbeitsmarkt vorbereitet und könnten trotz andauerndem Schulbesuch der Notwendigkeit nachkommen, zum familiären Einkommen beizutragen. 805 804 Vgl. z. B. die Stellungnahme von Taber in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Youth Employment), S. 195ff.; Clark: „They Don’t Quit School in Denver“; Schreiber: „The Low-Down on Dropouts“, S. 6. 805 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Youth Employment), S. 195ff. Vgl. auch die Stellungnahme von Hull in ebd., S. 228. <?page no="195"?> 194 In der Nachkriegszeit wurden in vielen Bundesstaaten ähnliche Programme eingeführt oder revitalisiert. Das Protokoll der Anhörung zum Zusammenhang von Jugendarbeit und Delinquenz enthält knapp 35 Briefe von bundesstaatlichen Arbeitsbehörden, die darauf verweisen. 806 Im Frühjahr 1955 hatte das Subcommittee diese in einem Rundbrief befragt, welche arbeitsmarktbezogenen Möglichkeiten zur Prävention von Delinquenz in den einzelnen Staaten existierten. Das Gros der Antworten enthielt Angaben zu Kooperationen zwischen Schul- und Arbeitsbehörden oder lokalen Institutionen im Rahmen von „work experience“-Programmen. Gleichzeitig verwiesen die Briefe aber auch immer wieder auf die bundesstaatlichen Regelungen zu Kinderarbeit. 807 Zu diesem Zeitpunkt war es Unternehmen, die in mehreren Bundesstaaten agierten, verboten, Jugendliche unter 16 Jahren zu beschäftigen. Für Taber war es ein bedauernswerter Umstand, dass die Jobmöglichkeiten für Jugendliche damit auf lokale Firmen beschränkt waren. 808 Und nicht nur er forderte eine Ausweitung der Beschäftigungsmöglichkeiten für unter 16-Jährige als Mittel, Delinquenz zu bekämpfen. Auch etwa die New Yorker Grand Jury empfahl in ihrem Abschlussbericht, das Mindestalter für arbeitende Jugendliche auf 15 Jahre zu senken, um als schwer beschulbar geltenden Jugendlichen eine sinnvolle Beschäftigung zu ermöglichen. 809 „Work experience“-Programme sind somit erstens ein Beispiel dafür, dass die Verhandlungen schulischer Delinquenz über ihr konkretes Sujet hinaus in sozialpolitische Auseinandersetzungen um Kinder- und Jugendarbeit intervenierten. Zweitens zielten diese Maßnahmen, gespeist vom Ideal der „universellen Erziehung“, auf Jugendliche der Arbeiterklasse, denen lebensweltorientiertes Wissen vermittelt werden sollte. Und drittens deuten sich hier Parallelen zu den sozialarbeiterischen Versuchen der 1960er Jahre an, die Arbeitsfähigkeit Jugendlicher zu verbessern. 810 Zu den ebenfalls recht früh im Bereich Schule eingeführten Maßnahmen zur Delinquenzprävention gehörte der Ausbau von Child Guidance Clinics. Diese Einrichtungen zur therapeutischen Behandlung als schwierig betrachteter Kinder und Jugendlicher waren seit den 1920er Jahren in vielen Städten der USA aufgebaut worden. Auch in einigen Highschools gab es zur Mitte des Jahrhunderts kleinere Child Guidance-Einheiten. Nun forderten Expert_innen die forcierte 806 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Youth Employment), S. 147-172. 807 Z. B. Madge E. Ames, Departmen of Labor and Industry, Maine, an das Senate Subcommittee, 4. Mai 1955, in: ebd., S. 157-158, hier S. 157; Maude Walt, Department of Labor, Arkansas, an das Senate Subcommittee, 11. Mai 1955, in: ebd., S. 147-148, hier S. 147. 808 Ebd., S. 197. 809 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 198. 810 Dazu Kap. III.3.2. <?page no="196"?> 195 Einrichtung solcher Zentren in Schulen. 811 Dabei waren die schulischen Child Guidance-Abteilungen zum einen dazu gedacht, Jugendlichen aus sozial benachteiligten Schichten Hilfen bei ihrer Eingliederung in den Schulalltag zu geben und sie bei der Wahl ihrer Fächer zu unterstützen. Zum anderen sollten delinquente oder delinquenzgefährdete Jugendliche dort psychologisch betreut werden. Ein Beispiel für diese Maßnahmen ist die „Three School Study“, ein Modellprojekt, das die New Yorker Schulbehörde ab 1949 in drei Schulen der Bronx startete. 812 Die Schulen waren ausgesucht worden, weil die Bronx als Problemviertel galt und alle drei Schulen bereits Child Guidance-Abteilungen eingerichtet hatten. Diese wurden nun zusätzlich jeweils mit psychologisch ausgebildeten Sozialarbeiter_innen, zwei Psycholog_innen und zwei Teilzeit- Psychiater_innen ausgestattet. 813 Die zeitgenössischen Darstellungen des Modellprojekts verdeutlichen eine Reihe von Charakteristika der schulischen Child Guidance Clinics. Erstens folgten sie der Logik, sozial benachteiligte Jugendliche, denen Bildungsferne attestiert wurde, müssten über besondere Programme schulisch und damit auch gesellschaftlich integriert werden. Eine der beteiligten Sozialarbeiterinnen hob den gesellschaftlichen Nutzen des Programms hervor und versprach: „A child guidance clinic, primarily responsible for the planned treatment of maladjusted children, repays the community by increasing the quota of healthy and useful citizens.“ 814 Zweitens wurde das Eingehen auf die „erzieherischen Bedürfnisse“ von Kindern in „Problemvierteln“ ähnlich wie im Dropout-Diskurs explizit mit dem Kampf gegen jugendliche Delinquenz verbunden. 815 Damit trugen diese Maßnahmen dazu bei, Delinquenz diskursiv als Resultat schulischen Scheiterns zu verankern. Drittens zeigt sich hier, dass als Zielgruppe der Maßnahme nicht nur Jugendliche, sondern auch deren Eltern ausersehen wurden. Ein Artikel im Parents’ Magazine, der das „Three School“- Projekt nach sechsjähriger Laufzeit vorstellte, erzählte die Geschichte des Schülers Otto, der dabei erwischt worden war, einem Klassenkameraden Geld zu stehlen. Der Junge sei zum Schulpsychologen gebracht worden, der sofort Ottos Mutter einbestellt habe. Seitdem habe diese einen wöchentlichen Termin auf der Couch des Schulpsychologen - laut dem Parents’ Magazine mit positiven Konsequenzen: „Parents like Otto’s mother have the relief of unburdening their 811 Jones: Taming the Troublesome Child, S. 2f. Zur Therapeutisierung schulischer Erziehung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Sol Cohen: „The Mental Hygiene Movement, the Development of Personality and the School: The Medicalization of American Education“, in: History of Education Quarterly 23/ 2 (1983), S. 123-149. 812 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 118f. 813 George Weinberg: „School in Transition“, in: Journal of Educational Sociology 25/ 3 (1951), S. 140-145, hier S. 140; Carson: „What has J. D. to Do With You“, S. 78. 814 Mira Talbot: „Design for the Three Schools Project“, in: Journal of Educational Sociology 25/ 3 (1951), S. 134-139, hier S. 139. Vgl. auch Weinberg: „School in Transition“, S. 143. 815 Vgl. z.B. ebd., S. 134; Carson: „What has J. D. to Do With You“, S. 74. <?page no="197"?> 196 troubles. [...] [A]nd the good effect reaches, of course, to Otto.“ Mütter wurden also als Relais der therapeutischen Maßnahmen aufgebaut, weil deren Behandlung Auswirkungen auf das Verhalten ihrer Kinder haben sollte. 816 Schließlich verdeutlicht vor allem dieser Artikel viertens die Wahrnehmung der Grenzen des Programms und damit des therapeutischen Zugriffs von Schulen: „There are children who won’t stay with any counselor. Parents who won’t cooperate. [...] Occasionally a seriously ill, psychotic child who, at best, will be discovered and removed for a treatment elsewhere.“ 817 Auch im Rahmen von schulischen Child Guidance-Debatten wurde also auf Jugendliche verwiesen, die aus der Schule entfernt werden müssten. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass dieser Aspekt nicht in den programmatischen Ausarbeitungen der Einrichtungen, sondern retrospektiv erwähnt wurde. Zum Zeitpunkt des Artikels, 1956, war die Diskussion um schulisch kaum zu integrierende Jugendliche nach Brown und Blackboard Jungle bereits in vollem Gang. Am Ende der Dekade war man davon überzeugt, dass sich ein Teil der Jugendlichen nicht in regulären Schulen unterrichten ließe. In diese Logik lassen sich auch die erweiterten Kompetenzen für Direktoren einordnen, Schulverweise auszusprechen. Einerseits begegnete dieser Ausdruck einer „get tough“-Politik den Forderungen nach akuten Maßnahmen, um die Ordnung in Schulen aufrechtzuerhalten. Auf der anderen Seite schienen auch diese disziplinarischen Mittel dem Problem nur ungenügend beizukommen. Schon zuvor war es möglich gewesen, delinquente Jugendliche aus der Schule und Community zu entfernen und in Jugendstrafanstalten zu inhaftieren. Was im schulischen Delinquenzdiskurs zunehmend in den Mittelpunkt rückte, war aber nicht, Jugendliche dem Zugriff der Schulen zu entziehen. Im Gegenteil: Der ESEA etwa betonte im Einklang mit sozialarbeiterischen und erziehungswissenschaftlichen Expertisen gerade die schulischen Bedarfe derjeniger, die als potenzielles „soziales Dynamit“ betrachtet wurden. 818 Zu Beginn der 1960er Jahre sahen sich Schulreformer_innen damit scheinbar widersprüchlichen Anforderungen ausgesetzt. Zum einen sollten sie Maßnahmen entwickeln, die geeignet waren, den als äußerst gefährdet begriffenen Schulfrieden wieder herzustellen. Zum anderen aber verboten es diskursive Imperative der besonderen Förderung bildungsferner Kinder, diese von der Schule zu verweisen. Sie sollten im Gegenteil in der Schule gehalten werden, auch, um zu verhindern, dass sie 816 Carson: „What has J. D. to Do With You“, S. 78. Dazu auch Mackert: „Juvenile Delinquency, Interdependent Masculinity and the Government of Families“, S. 216f. 817 Carson: „What has J. D. to Do With You“, S. 78. 818 Sanders: School Leaders and the Challenge of the Elementary and Secondary Education Act, S. 12. Vgl. die Stellungnahme der Sozialarbeiterin Harris in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Antisocial Juvenile Gangs in New York City, S. 561; Conant: Slums and Suburbs, S. 2. <?page no="198"?> 197 beschäftigungslos und frustriert auf der Straße landeten. 819 Diese doppelte Logik von Delinquenzbekämpfung und Bildungsförderung legitimierte, wie nun gezeigt wird, die Einführung spezifischer Schul- und Unterrichtsformen, mit denen segregierte schulische Strukturen aufrechterhalten wurden. Aus „universeller Erziehung“ wurde in diesem Kontext special education. Producing Disabilities: Sonderpädagogische Programme Infolge der Schulverweise in New York City gründete die dortige Schulbehörde einige neue Schulen, die die suspendierten Schüler_innen aufnahmen. 820 Diese sollten von als lernfähig und lernwillig betrachteten Jugendlichen getrennt, aber nicht nur trotzdem weiter beschult, sondern besonders intensiv schulisch und psychologisch betreut werden. „These difficult pupils can be helped“, argumentierte etwa Charles Silver, der Leiter der Schulbehörde, im März 1958, „if we take them out of regular schools where they are a constant source of trouble, and provide them with the special programs that they need“. 821 Gänzlich neu war die Idee separater Schulen für „verhaltensgestörte“ Jugendliche dabei nicht. Seit den späten 1940er Jahren waren in New York City insgesamt fünf solcher Schulen eingerichtet worden, die 600er-Schulen genannt wurden. Diese Benennung orientierte sich am nummerischen Bezeichnungssystem für öffentliche Schulen, markierte aber auch den besonderen Charakter der Einrichtungen. 822 Dabei hatte das New York City Juvenile Delinquency Evaluation Project, eine soziologische Forschungskommission am City College, sich noch im Januar 1958 dagegen ausgesprochen, neue 600er-Schulen einzurichten. Zwar betonte das Projekt den Nutzen der Einrichtungen als „containing operations“, bemängelte aber deren schlechte Ausstattung. 823 Mit dem Suspensions-Erlass war der Bedarf an solchen „containing operations“ gleichwohl so stark angestiegen, dass die Zahl der 600er-Schulen vergrößert wurde. 824 Mitte 1961 existierten 25 dieser Schulen in New York City. Davon waren zehn für Jungen, eine für Mädchen und vierzehn an psychiatrische oder religiöse Institutionen, Jugendstrafanstalten oder Forschungseinrichtungen angeschlossen. 825 Dabei wurde die Zielgruppe dieser 819 Freilich war auch die Schulpflicht für Jugendliche bis 16 Jahre ein Grund, weshalb diese nicht einfach nur suspendiert werden konnten. In der Regel wurde diese Begründung aber nicht aufgerufen. Eine Ausnahme bildet etwa Loren B. Pope: „Education in Review“, in: New York Times, 10. August 1958, S. E9. 820 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 183f. 821 Zit. nach Leonard Buder: „25 Schools Asked to Aid Disturbed“, in: New York Times, 26. März 1958. S. 32. 822 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 184. 823 Anon.: „Report Analyzes ‘Problem’ Schools“, in: New York Times, 5. Januar 1958, S. 19. 824 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 188. 825 McCandlish Philipps: „Delinquent Girls at City School Given A New Approach to Life“, in: <?page no="199"?> 198 Schulen auf eine Weise konturiert, die an sich zeitgenössisch entwickelnde Vorstellungen von Lernbehinderungen anschloss. Im Folgenden geht es darum, wie delinquente Jugendliche als behindert hervorgebracht wurden, und was daraus für den Umgang mit ihnen im Schulsystem folgte. 826 Auch in Allens Buch wird deutlich, dass separate schulische Strukturen für als besonders leistungsschwach bzw. verhaltensgestört klassifizierte Jugendliche vorgesehen waren - in diesem Fall die „adjustment classes“, die innerhalb der John Marshall High eingerichtet worden waren. 827 Es ist auffällig, dass die Charakterisierungen derjenigen Schüler_innen, die in diesen Klassen oder den neuen Schulen untergebracht werden sollten, zunehmend von „geistig zurückgebliebenen“ Jugendlichen handelten. Dabei wurde deren delinquentes Verhalten als Folge von Lernbehinderungen verstanden. Allen hob etwa hervor, dass die größten „Störenfriede“ seiner Klasse einen sehr niedrigen Intelligenzquotienten hätten. Die Jugendlichen würden sich kaum konzentrieren und auch mit fünfzehn Jahren noch nicht flüssig lesen können. 828 Mit dem Verweis auf „retarded mental development“ begründete auch die New Yorker Schulbehörde die Notwendigkeit der besonderen personellen Ausstattung der 600er-Schulen. 829 „Mental retardation“ war eine zentrale Kategorie in den Diskussionen um Sonderpädagogik (special education), die sich seit den späten 1940er Jahren stark verdichtet hatten. Ein Aufsatz im Review of Educational Research stellte 1963 fest, dass sowohl Forschungstätigkeiten in diesem Bereich als auch die legislative Beschäftigung damit auf staatlicher und bundesstaatlicher Ebene zugenommen hätten. Gleichzeitig habe sich die Zahl der Kinder in sonderpädagogischen Programmen zwischen 1948 und 1958 mehr als verdoppelt und sei damit proportional stärker angestiegen als die Zahl der Schüler_innen allgemein. 830 Eine Erklärung für diese Verdichtung lässt sich darin finden, dass zeitgenössisch eine Äquivalenzbeziehung zwischen jugendlicher Delinquenz und disability aufgebaut und in diesem Kontext ein gestiegener Bedarf an sonderpädagogischen Maßnahmen artikuliert wurde. Dabei funktionierte diese Verbindung von Delinquenz und Be- New York Times, 22. Mai 1961, S. 33. 826 Konzeptionell zur kritischen Analyse der Konstruktion von Behinderung Robert McRuer: Crip Theory. Cultural Signs of Queerness and Disability. New York/ London: New York Univ. Press, 2006; Elsbeth Bösl/ Anne Klein/ Anne Waldschmidt (Hg.): Disability History. Konstruktionen von Behinderung in der Geschichte. Eine Einführung. Bielefeld: transcript, 2010. 827 Allen: Undercover Teacher, S. 61. 828 Ebd., z. B. S. 63, 82. 829 Anon.: „Text of Proposals on Problem Pupils“, in: New York Times, 5. August 1958, S. 19; Pope: „Education in Review“. 830 Paul H. Voelker/ Frances A. Mullen: „Organization, Administration, and Supervision of Special Education“, in: Review of Educational Research 33/ 1 (1963), S. 5-19, hier S. 6. Dazu auch Robert L. Osgood: The History of Special Education. A Struggle for Equality in American Public Schools. Westport: Greenwood-Praeger, 2008, S. 80. <?page no="200"?> 199 hinderung unter anderem dadurch, dass delinquente Jugendliche, wie gezeigt wurde, als Teil einer großen Gruppe von Schüler_innen mit Verhaltensproblemen begriffen wurden. 831 Umgekehrt umfasste die zeitgenössische Konstruktion von „handicapped children“ neben jenen mit körperlichen und geistigen Behinderungen auch die Gruppe der „verhaltensgestörten“ Kinder. 832 Letzteres wiederum war eine der wichtigsten Charakterisierungen jugendlicher Delinquent_innen und eine zentrale Begründung für die Einführung von „adjustment classes“ und gesonderten Schulen. Ein wichtiges Element dieser Äquivalenzbeziehung zwischen Delinquenz und disability ist in diesem Kontext besonders hervorzuheben, weil es den Delinquenzdiskurs wirkmächtig prägte: die Rassialisierung von Behinderung. Es ist bereits deutlich geworden, dass man sich zu Beginn der 1960er Jahre vor allem über die vermeintliche Bildungsferne nicht-weißer Jugendlicher sorgte. Über Culture of Poverty-Narrative wurden diesen mangelnde schulische Fähigkeiten zugeschrieben und damit die Notwendigkeit ihrer intensiveren Beschulung legitimiert, wie ein 1967 in Ebony erschiener Artikel beispielhaft deutlich macht: „[G]hetto youngsters grow up in cultural cocoons isolated from the social and, therefore, educational mainstream. Their speech habits are usually poor. They have typically low reading ability, low general school achievement, low interest and motivation. Since they are generally isolated from the world of books and ideas, even the simplest examples in children’s texts often puzzle them.“ 833 Dass auf diese Weise vor allem nicht-weiße, sozial benachteiligte Jugendliche in den Fokus der Sonderpädagogik gerieten, lässt sich im Kontext von Delinquency Scare und den Auseinandersetzungen um schulische Integration als Vehikel der Aufrechterhaltung segregierter Schulstrukturen analysieren. Die Erziehungswissenschaftlerin Beth Ferri und ihr Kollege David Connor konstatieren, afroamerikanischen Schüler_innen seien zu diesem Zeitpunkt überproportional häufig „unsichtbare“ Behinderungen wie „geistige Zurückgebliebenheit“ zugewiesen worden. Weniger „subjektive“ Kategorien wie Sehbehinderung und Gehörlosigkeit habe man dagegen bei weißen und nicht-weißen Kindern etwa proportional diagnostiziert. 834 Trotz ihrer problematischen Unterscheidung zwischen „unsichtbaren“ und weniger „subjektiven“ Behinderungen weisen Connor und Ferri 831 Vgl. z. B. Voelker/ Mullen: „Organization, Administration, and Supervision of Special Education“, S. 10, 14. 832 Vgl. Helen M. Wallace/ J. Wayne Wrightstone/ Elena Gall: „Special Classes for Handicapped Children“, in: American Journal of Public Health and the Nation’s Health 44/ 8 (1954), S. 1045-1058, hier S. 1045. 833 Poinsett: „Ghetto Schools“, S. 53. 834 David J. Connor/ Beth A. Ferri: „Integration and Inclusion: A Troubling Nexus: Race, Disability, and Special Education“, in: The Journal of African American History 90/ 1-2 (2005), S. 107-127, hier S. 111. <?page no="201"?> 200 damit auf einen bedeutsamen Umstand hin: Über die Zuweisung von Behinderung konnte eine vermeintlich objektive Diagnose auch nach dem Brown-Urteil die räumliche Trennung von weißen und afroamerikanischen Schüler_innen legitimieren. So seien infolge des Urteils zwischen 1955 und 1966 in Washington, DC, über 24 Prozent der eingeschulten afroamerikanischen Kinder in separaten sonderpädagogischen Klassen unterrichtet worden - im Unterschied zu lediglich drei Prozent der weißen. 835 Auch in der historischen Forschung ist auf dieses Phänomen verwiesen worden: Wie etwa Michael Klarman darlegt, wendeten die Südstaaten nach Brown verstärkt sogenannte „pupil placement“-Erlasse an, die es ermöglichten, Schüler_innen aufgrund von scheinbar „rassisch neutralen“ Faktoren bestimmten Schulen zuzuweisen. 836 Dass diese Praxis nicht auf die Südstaaten beschränkt war, zeigen die Maßnahmen in New York City. Allerdings waren diese sonderpädagogischen Programme nicht unumstritten. Zum einen bemängelten Expert_innen deren ausschließende Effekte: Solche Klassen seien zum „Mülleimer“ für alle diejenigen geworden, die die Gesellschaft nicht brauche, urteilte beispielsweise eine Gruppe Sonderpädagog_innen bereits 1954. 837 Zum zweiten kritisierten vor allem Bürgerrechtsaktivist_innen, dass die Schulen schlecht ausgestattet seien und die Segregation fortführten. Im Januar 1965 organisierte der Brooklyner Pastor Milton Galamison mit dem Citywide Committee for Integrated Schools einen mehrwöchigen Boykott von 600er- Schulen und forderte, diese wieder mit den regulären Highschools zusammenzulegen. 838 „Negro children should go to school with whites if for no other reason than to learn that there are stupid white children, too“, verlangte Galamison, die Kritik an schulischer Segregation aufgreifend. 839 Der Boykott wurde scharf kritisiert und Galamison verhaftet, durch ihn flammte aber die Kritik an den 600er- Schulen wieder auf, die Ende der 1950er Jahre bereits geäußert worden war. 840 Dass die Situation an den 600er-Schulen dabei mit Hilfe schulischer Krisennarrative gezeichnet wurde, wird deutlich in einem Leserbrief an die New York 835 Connor/ Ferri: „Integration and Inclusion“, S. 108. Dazu auch David J. Connor/ Beth A. Ferri: Reading Resistance. Discourses of Exclusion in Desegregation and Inclusion Debates. New York u. a.: Peter Lang, 2006, S. 171-188. 836 Michael J. Klarman: Unfinished Business. Racial Equality in American History. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2007, S. 155-159. Die Praxis des „pupil placement“ war seit 1954 in einer Reihe von Südstaaten eingeführt worden. Zu den Kategorien, anhand derer Schüler_innen auf Schulen verteilt wurden, gehörten „Befähigung“, „Intelligenz“ und „psychologische Disposition“ (Dudziak: Cold War Civil Rights, S. 149f.). 837 Wallace/ Wrightstone/ Gall: „Special Classes for Handicapped Children“, S. 1057. 838 Martin Tolchin: „90 % Boycott Hits Problem School“, in: New York Times, 20. Januar 1965, S. 27; ders.: „School Boycott Spreads to Bronx“, in: New York Times, 16. Februar 1965, S. 22 (dieser Artikel berichtete auch, dass 5500 Schüler_innen dem Boykott gefolgt seien). 839 Zit. nach Poinsett: „Ghetto Schools“, S. 57. 840 Martin Tolchin: „Galamison Seized in School Boycott“, in: New York Times, 21. Januar 1965, S. 1, 22; anon.: „The ‘600’ Schools Need Help“, in: New York Times, 11. März 1965, S. 32. <?page no="202"?> 201 Times, der von religiösen Vertretern der städtischen Gemeinden verfasst worden war: „[W]e recognize the crisis in urban education“, hieß es dort, bevor die 600er-Schulen als schulpolitischer „Misserfolg“ bezeichnet wurden. Nicht nur, dass die Ausstattung dieser Schulen unzureichend sei, sie trügen auch dazu bei, „de facto Segregation [zu] perpetuieren“. 841 Special education war offenbar ein Terrain, auf dem Bürgerrechtskämpfe ausgetragen wurden, auch wenn etwa New Yorker Schulpolitiker im Fall des Schulboykotts versuchten, der Aktion diesen Charakter abzusprechen. So argumentierte die Schulbehörde, sie habe Galamison verhaften lassen, weil der von ihm angeführte Boykott keine Bürgerrechtsaktion, sondern ein „verabscheuungswürdiger Akt“ auf Kosten der Jugendlichen gewesen sei. 842 Über sonderpädagogische Maßnahmen konnte mithin „machtvermeidend“ regiert werden. 843 Wie über special education um den Zugang zu Ressourcen gestritten wurde, zeigt überdies die Einführung einer neuen Kategorie von Lernbehinderung zur Mitte der 1960er Jahre, die deutlich von den oben diskutierten Konzepten von Behinderung abgegrenzt und vornehmlich mit weißen Jugendlichen der Mittelklasse verbunden wurde: die der „Learning Disability“ (LD). Im Gegensatz zu etwa „mental retardation“ wurden die mit LD diagnostizierten Lese- und Schreibschwächen per definitionem nicht auf „umweltbedingte, kulturelle oder ökonomische Benachteiligungen“, sondern auf „minimale [neurologische N. M.] Dysfunktionen“ zurückgeführt. 844 Diese Unterscheidung war folgenschwer, wie die Erziehungswissenschaftlerin Christine Sleeter gezeigt hat. Sie hat die Rolle des „Sputnik-Schocks“ in der Produktion von LD hervorgehoben und argumentiert, die Kategorie sei von weißen Mittelklasseeltern zu einem Zeitpunkt erschaffen wurde, zu dem die Schulen dazu aufgerufen waren, ihre Leistungsstandards anzuheben. Indem LD auf vermeintlich objektive, organische Ursachen zurückgeführt worden sei, habe die Kategorie in diesem Kontext eine Möglichkeit geboten, schulische Schwierigkeiten weißer Mittelklasse-Kinder zu erklären, ohne die „kulturelle Integrität“ ihrer Familien anzuzweifeln. 845 Mehr noch, LD galt als Zeichen von klar lokalisierbaren Lernproblemen und wurde überdies eher mit Kindern in Verbindung gebracht, denen ein hoher IQ bescheinigt wurde. Damit konnte die intellektuelle „Normalität“ von Kindern mit 841 Rev. John C. Bennett/ Rabbi Abraham J. Heschel/ Msgr. Gregory L. Mooney, New York, an die New York Times, „Letters to the Times: Crisis in Education“, in: New York Times, 2. Februar 1965, S. 32. 842 Zit. nach Tolchin: „Galamison Seized in School Boycott“, S. 22. 843 Dazu Anm 620. 844 Code of Federal Regulations, Title 34, Section 300.7, zit. nach Connor/ Ferri: „Integration and Inclusion“, S. 114. 845 Christine E. Sleeter: „Why Is There Learning Disabilities? A Critical Analysis of the Birth of the Field in Its Social Context“, in: Popkewitz: The Formation of School Subjects, S. 210-237, insbes. S. 226f.; Connor/ Ferri: „Integration and Inclusion“, S. 115. Das Autorenteam weist zudem darauf hin, dass vor allem männliche Jugendliche mit LD diagnostiziert wurden. <?page no="203"?> 202 LD bestätigt und gleichzeitig schulische Ressourcen zum Umgang mit ihnen beansprucht werden. Sleeter berichtet etwa, dass sich schon zu Beginn der 1960er Jahre Elterngruppen bildeten, die nach besonderen Programmen für „‚normale‘ Kinder mit schweren Leseproblemen“ forderten. 846 Möglicherweise hat die schulpolitische Aufmerksamkeit, die nicht-weißen, sozial benachteiligten Jugendlichen zuteilwurde, trotz der sie begleitenden Stigmatisierung die Sorge befördert, dass weiße Mittelklasse-Jugendliche in Schulen vernachlässigt werden könnten. Schon zu Beginn der 1950er Jahre hatten Expert_innen geklagt, die Schulpolitik kümmere sich mehr um diejenigen Kinder mit einem IQ von 70, als um diejenigen mit einem von 170. 847 Nun, Mitte der 1960er Jahre, zeigte die Beanspruchung sonderpädagogischer Programme für privilegierte Jugendliche eine ähnliche Dynamik. Der Kampf um special education war somit ein Kampf um die Zentrierung von Subjekten, um Bürgerrechte, den Zugang zu Ressourcen und die Aufrechterhaltung der Segregation. Die Hervorbringung von „Learning Disabilities“ jedenfalls führte dazu, dass eine Trennung von weißen und schwarzen Schüler_innen auch innerhalb sonderpädagogischer Maßnahmen befördert wurde. 4 Fazit In diesem Kapitel ging es um Ausgestaltungen und Effekte der schulischen Delinquency Scare. Vor allem vier Aspekte erwiesen sich als zentral: Erstens die Verknüpfung von Schulkrisenerzählungen und Delinquenzdiskurs, zweitens die Rassialisierung und Klassialisierung schulischer Delinquenz, drittens deren Produktivität für die Regierung von Lehrkräften und Jugendlichen, und schließlich viertens die Art und Weise, in der diese Delinquenzszenarien über den Raum Schule hinauswiesen. Die Delinquency Scare war spätestens Mitte der 1950er Jahre auf schulpolitischem Terrain angekommen und verschärfte die Wahrnehmung einer schulischen Krise. Meine Analyse hat gezeigt, wie Jugenddelinquenz sowohl Krisendiagnosen (mit)hervorgebracht hat als auch als deren Effekt erschienen ist. Dabei zentrierte sich das schulische Delinquenzdispositiv zweitens um nicht-weiße Jugendliche. Blackboard Jungle-Szenarien und Sorgen um jugendliche Schulabbrecher_innen zeichneten diese als bildungsferne Jugendliche aus vermeintlich defizitären Familien. Diskussionen um Elitenförderung arbeiteten als Gegenpol zu Narrativen schulischer Gewalt dagegen an der Produktion „normaler“ Subjekte - den weißen, intelligenten Mittelklasse-Jungen. Indem integrierte städti- 846 Sleeter: „Why Is There Learning Disabilities“, S. 228. 847 Glover: „Are We Wasting Tomorrow’s Leaders“, S. 49. Dazu auch Golub: Into the Blackboard Jungle, S. 182. <?page no="204"?> 203 sche Highschools als gefährliche Räume hervorgebracht wurden, konnte die schulische Integration auch im Norden der USA in Frage gestellt werden. Dies ermöglichte zudem, segregierte schulische Strukturen aufrechtzuerhalten. Juvenile delinquency wurde in der Kontroverse um schulische Gewalt und integrierte Klassenräume zum Platzhalter für „Rasse“, städtische Armut und Behinderung sowie zur diskursiven Klammer zwischen diesen Kategorien. Drittens ist deutlich geworden, wie die Disziplinierung der einen auch die Regierung der anderen bedeutete. Szenarien schulischer Delinquenz fungierten als negative Folie für die Aushandlung guter Schüler_innen und idealer Lehrkräfte. Die Delinquency Scare katalysierte eine fortschreitende Therapeutisierung von Schule und beförderte neues psychologisches Wissen über die schulische Entwicklung Jugendlicher und damit den potenziellen Zugriff auf alle Schüler_innen - aber auch auf die Lehrkräfte. Als delinquent oder delinquenzgefährdet klassifizierte Jugendliche schienen einen spezifischen Typus Lehrer zu erfordern, der gut ausgebildet sein und therapeutisch agieren sollte. Dabei überschritt der schulische Delinquenzdiskurs, viertens, den Raum Schule. Ich habe gezeigt, dass schulische Delinquenz ein diskursives Terrain darstellte, innerhalb dessen Fragen nach Bürgerrechten und der Zukunft und demokratischen Verfasstheit der Gesellschaft verhandelt werden konnten. Über ihre Verknüpfung mit der Desegregation von Schulen schuf Jugenddelinquenz ein wirkmächtiges Motiv sowohl für die Gegner als auch für die Befürworter der schulischen „Rassentrennung“. Auf diese Weise war es möglich, über schulische Segregation zu sprechen, ohne explizit von Rassismus zu reden. Es ist in diesem Kapitel, wie in den vorherigen, außerdem immer wieder angeklungen, dass dem familiären Umfeld Jugendlicher eine große Bedeutung in der Hervorbringung von Delinquenz zugewiesen wurde. Das folgende Kapitel wird sich ausführlich mit dem Nexus von Eltern bzw. Familie und juvenile delinquency beschäftigen, von dem das Delinquenzdispositiv besonders durchzogen wurde. <?page no="206"?> 205 V „The trouble with kids who get into trouble is their parents“: Delinquenz und die Regierung von Familien Tommy Randall hat ein Problem. Präziser: Vor allem Tommy Randalls Eltern haben eines. Ihr 10-jähriger Sohn wurde in der Schule beim Stehlen erwischt. Nach einem Gespräch mit der Schulpsychologin führt der Direktor ein ernstes Telefongespräch mit Tommys Mutter. Schnell stellt sich heraus, dass Tommy nicht nur Geld aus der Tasche der Lehrerin, sondern auch Schmuck seiner Mutter geklaut hat. Der Schuldirektor verweist Mrs. Randall an eine Child Guidance Clinic in der Nachbarschaft - denn Bestrafung, so die einhellige Meinung von Lehrerin, Schulpsychologin und Direktor, würde die „ernste Störung“, an der Tommy offensichtlich leide, nur weiter verschlimmern. Mrs. Randall reagiert darauf zunächst abwehrend. Sie wendet ein, sie wolle Tommys Erziehung nicht in externe Hände geben, denn er sei ja immerhin ihr Kind. Schließlich lässt sie sich aber vom Direktor überzeugen, der argumentiert, gerade deshalb sei es ihre Verantwortung, zu tun, was das Beste für den Jungen sei. Tommy ist ein zentraler Charakter in Angry Boy, einem 1950 erschienenen Lehrfilm des Michigan Department for Mental Health. 848 Laut Film sind Tommys Eltern und insbesondere seine Mutter für das delinquente Verhalten ihres Sohnes verantwortlich. Dies wird umso deutlicher in der Darstellung der Ereignisse in der Child Guidance Clinic. Dort wird Tommys schwer betroffen dreinblickende Mutter von einer Psychologin gefragt, wie sie sich angesichts von Tommys Verhalten fühle. Und Mrs. Randall erkennt: „I have failed. […] I know it is the mother who is responsible for the child‘s character.“ 849 Später widmet sich der Film für ein paar Minuten dem Alltag im Hause Randall. Er zeichnet eine dominante und frustrierte Mrs. Randall nach, die ihren Ehemann und Tommy nicht ernst nimmt und nur von ihrer noch herrischeren Mutter dominiert wird. Herzlichkeit, so scheint es, bringt Tommys Mutter zu Hause niemandem entgegen, schon gar nicht ihrem Sohn. Dieser wird als eingeschüchterter Junge präsentiert, der sich nach Wärme und Zuneigung sehnt. 850 Die Psychologin in der Child Guidance Clinic hat das zentrale Problem der Familie flugs in den kindlichen Erfahrungen von Mrs. Randall lokalisiert. Tommys Mutter soll deshalb nun wöchentlich zum therapeutischen Gespräch erscheinen. Diese kurze Skizze von Angry Boy verdeutlicht einige der zentralen zeitgenössischen Annahmen über die Verbindung von jugendlicher Delinquenz und 848 Angry Boy. Regie: Alexander Hammid. Affiliated Film Producers/ Michigan Department for Mental Health, 1950, zur eben beschriebenen Szene TC: 00: 02: 50-00: 05: 28. 849 Ebd., TC: 00: 06: 00-00: 07: 18. 850 Ebd.,TC: 00: 12: 47-00: 21: 50; ebd., TC: 00: 09: 11-00: 11: 49. <?page no="207"?> 206 Familien. „The trouble with kids who get into trouble is their parents“ - diese Formulierung aus einem United Press-Artikel zu jugendlicher Delinquenz von 1954 brachte vermutlich auf den Punkt, was viele Menschen dachten. 851 Denn in der Delinquency Scare wurden hauptsächlich Eltern in die Verantwortung genommen. Familien galten nicht nur als primäre „Brutstätten“ jugendlicher Delinquenz, sondern auch als bevorzugter Ort für deren Prävention - zumindest unter der Ägide derjenigen Eltern, die man dazu fähig hielt. Dadurch wurden sie mit besonderer Bedeutung versehen, gleichzeitig aber auch in Zweifel gezogen, de nn a nge si ch ts h oh er D eli nq ue nz rat en so rg te m an s ic h, d as s El te rn a n ih re r Aufgabe scheitern würden. Damit bildete der Delinquenzdiskurs eines von mehreren Feldern der verdichteten Konzentration auf Familien in den Nachkriegsdekaden. Dass die 1950er Jahre eine sehr familienzentrierte Dekade waren, darauf haben Historiker_innen hingewiesen, allen voran Elaine Tyler May. 852 Die heterosexuelle Kernfamilie verkörperte besonders in diesem Zeitraum einen „natürlichen“ Ort, an dem sich die liberale Demokratie realisierte und wo diese zugleich verteidigt wurde. Dabei wurde diese bedeutende Rolle von Familien unter anderem darüber aufgebaut und stabilisiert, dass man sie als in der Krise begriffen betrachtete und unterschiedliche Abweichungen verhandelte. 853 Jugenddelinquenz war eine dieser Bedrohungen bzw. erschien als Ausdruck der mutmaßlichen Unfähigkeit von Familien, ihre bedeutende Rolle zu erfüllen. 854 Die Delinquency Scare schuf ein Wissen über Kindererziehung, familiäres Leben und „gesunde“ Familienstrukturen, über das Familien regiert werden konnten und wurden. In diesem Kapitel zeige ich, auf welche - durchaus auch widersprüchliche - Weise und mit welchen Konsequenzen die Delinquency Scare unzulängliche Eltern und familiär verursachte jugendliche Delinquenz hervorbrachte. Dazu skizziere ich zunächst die Etablierung eines erzieherisch-therapeutischen Wissens zur Mitte des 20. Jahrhunderts, durch das Eltern - und vor allem Mütter -ins Verhältnis zu Jugendlichen gesetzt wurden. Danach widme ich mich einigen konkreten Entwürfen elterlichen Fehlverhaltens und familiär produzierter ju- 851 Anon.: o. T., United Press, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 119-120, hier S. 119. Der Text war Bestandteil einer Artikelserie, die die Nachrichtenagentur Tageszeitungen zur Verfügung stellte. Die Artikel wurden den Anhörungsprotokollen des Senate Subcommittee als Informationsquelle beigefügt und von Senator Hennings als Beispiel für einen „konstruktiven Dienst an der Öffentlichkeit“ gelobt (ebd., S. 117-124). 852 May: Homeward Bound; Stephanie Coontz: The Way We Never Were. American Families and the Nostalgia Trap. New York: Basic Books, 2000 [1992]; Heinemann: Inventing the Modern American Family. 853 Meyerowitz: Not June Cleaver; Martschukat: Ordnung des Sozialen, Kap. 10; Margot Canaday: The Straight State. Sexuality and Citizenship in Twentieth-Century America. Princeton: Princeton Univ. Press, 2009. 854 Dazu Devlin: Relative Intimacy, S. 48-77; Medovoi: Rebels, insbes. Kapitel 5. <?page no="208"?> 207 gendlicher Delinquenz, bevor es um unterschiedliche Technologien des Zugriffs auf Eltern im Delinquenzdispositiv geht. Den abschließenden Teil dieses Kapitels bildet eine exemplarische Analyse von Briefen an Expert_innen und das Senate Subcommittee, mit denen sich Jugendliche und Erwachsene in den Delinquenzdiskurs einschrieben. 1 Elterliche Krisen und Therapeutic Motherhood Sowohl Mrs. Randall als auch die sie behandelnde Psychologin waren überzeugt davon, dass die Verantwortung für Tommys Delinquenz bei seiner Mutter lag. Weshalb aber war dies so selbstverständlich für sie? Im folgenden Abschnitt zeige ich, wie zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine grundsätzlich natürliche erzieherische Verantwortung von Eltern für ihre Kinder konturiert wurde. Dabei war die Annahme einer solch zentralen Rolle von Eltern nicht neu, sondern hatte ihre genealogischen Wurzeln in der Konstitution der bürgerlichen Kernfamilie und deren bedeutender Funktion in der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen. 855 In der US-Nachkriegszeit wurde die starke Naturalisierung der Eltern- Kind-Beziehung allerdings durch neues Erziehungswissen über die psychologische Entwicklung von Jugendlichen aktualisiert. 856 Im Folgenden skizziere ich drei historisch-diskursive Komplexe, über die vor allem Mütter als therapeutische, aber fragile Instanzen der Kindererziehung etabliert wurden: die Bedeutung psychologischer Theorien adoleszenter Entwicklung, die Konstruktion eines ambivalenten Verhältnisses von Müttern und Expert_innen und eng damit verknüpft das Ideal therapeutischer Mutterschaft. 857 Der Anthropologe Weston LaBarre beschrieb die Funktion von Eltern 1959 in einem Artikel für den National Parent-Teacher folgendermaßen: „[T]he moral responsibility of parenthood [...] is [...] to serve as adult models (and foils) for the growth of character in a new generation.“ 858 Die Vorstellung von Eltern als charakterliche Rollenvorbilder hatte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Familienkonzepte geprägt und wurde in der Delinquency Scare der US- Nachkriegsdekaden aufgegriffen. In einem Buch namens Childhood and Society, das im gleichen Jahr wie Angry Boy erschien, verknüpfte der Psychoanalytiker 855 Dazu May: Homeward Bound; Coontz: The Way We Never Were; Hulbert: Raising America; Carter: Heart of Whiteness. 856 Marianne N. Bloch: „Governing Teachers, Parents, and Children Through Child Development Knowledge“, in: Human Development 43/ 4-5 (2000), S. 257-265, hier S. 258. 857 Zum Folgenden auch Jones: Taming the Troublesome Child; Hulbert: Raising America; Peter Stearns: Anxious Parents. A History of Modern Childrearing in America. New York/ London: New York Univ. Press, 2003. 858 Weston La Barre: „How Adolescent Are Parents? “, in: National Parent-Teacher 54/ 4 (1959), S. 4-6, hier S. 6. <?page no="209"?> 208 Erik Erikson diese elterliche Funktion mit den psychologischen Besonderheiten des kindlichen und jugendlichen Aufwachsens. Erikson entwarf den Prozess des Erwachsenwerdens als Abfolge einer Serie konstitutiver Krisen, nach deren erfolgreicher Bewältigung im Idealfall ein psychobiologisch „gesunder“ Erwachsener stünde. 859 Bereits in den frühen Jahren ihres Lebens müssten Kinder solche essenziellen Krisen meistern, befand der Psychologe, aber eine besonders entscheidende würde sich in der Adoleszenz ereignen: der Konflikt zwischen „Identität“ und „Konfusion“. In dieser Zeit seien Jugendliche hauptsächlich damit beschäftigt, ein Bild von sich selbst in Abgrenzung zu ihrer Außenwelt zu entwickeln. 860 Eine solche Ausbildung von Identität war für Erikson ein unabdingbarer Schritt auf dem Weg zum verantwortungsvollen und psychisch gesunden Erwachsensein. Schlug dieser Prozess fehl, drohe „Rollenkonfusion“, die sich nicht selten in schwerwiegend delinquentem Verhalten äußere. 861 Auf diese Weise etablierte Erikson eine stabile Identität als Fluchtpunkt adoleszenter Entwicklung und wichtige Grundlage gesellschaftlichen Zusammenlebens. 862 Aufgrund der Instabilität, die jungen Menschen auch in Eriksons Theorie zugeschrieben wurde, bedurfte es aber einer Instanz, die den Weg der Jugendlichen in diese erwachsene Stabilität sichern sollte. Damit wurde der nachhaltige, lange Job von Eltern deutlich: Sie sollten ihr Kind nicht nur gewissenhaft in die Adoleszenz leiten, sondern auch diese Phase aufmerksam begleiten. 863 Eriksons Konzeption von Identität als Errungenschaft einer sorgfältig geführten Adoleszenz aktualisierte die „natürliche“ erzieherische Verantwortung von Eltern. Gleichzeitig schuf sein psychosoziales Stufenmodell aber auch die Grundlage dafür, die grundsätzliche Fähigkeit von Eltern, diese Rolle adäquat zu erfüllen, zumindest anzuzweifeln. Einmal erfolgreich identitär stabilisiert, hätten nämlich auch Erwachsene bestimmte Persönlichkeitskrisen zu meistern, argumentierte Erikson. Als wichtigste dieser späteren Krisen betrachtete er die von „Generativität vs. Stagnation“, in der Individuen lernen müssten, sich nicht nur um sich selbst, sondern um die zukünftige Generation zu kümmern. 864 Im Bericht der Midcentury White House Conference on Children and Youth wird die Überwindung dieses Konflikts als Ausbildung eines „parental sense“ beschrieben, der sich „am deutlichsten in dem Interesse [zeigt], eigene Kinder zu zeugen und für diese zu sorgen“. Letzteres schien hier der entscheidendere Faktor zu sein: Der Bericht konstatierte, dass viele der Eltern, die ihre Kinder in Child Guidance Clinics brächten, dieses „Stadium der Persönlichkeitsentwicklung“ 859 Erikson: Childhood and Society; Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 2-38. 860 Erikson: Childhood and Society, S. 253. 861 Ebd., S. 232. 862 Dazu auch Medovoi: Rebels, S. 4, der darauf hinweist, dass dieses Konzept von Identität in den emanzipatorischen Bewegungen der Nachkriegsdekaden eine zentrale Rolle einnahm. 863 Vgl. Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making S. 21f. 864 Erikson: Childhood and Society, S. 258. <?page no="210"?> 209 nicht erreicht hätten. 865 Mrs. Randall wäre wohl als an diesem Konflikt gescheitert betrachtet worden, denn als Ausdruck dieses Versagens galt die elterliche Unfähigkeit, „echte“ Intimität und selbstlose Liebe zum Kind aufzubauen. Und es wurde unter anderem mit den Erfahrungen erklärt, die Eltern selbst mit ihren Eltern gemacht hätten. 866 Reproduktivität und emotionale Sorge wurden hier als wünschenswerte und zwar durchaus natürliche, aber eben auch prekäre Merkmale psychisch „gesunder“ Erwachsener aufgebaut. Diese Bedeutungszuweisung schuf die Notwendigkeit, nicht nur Jugendliche, sondern auch deren Eltern zu führen, und legte das Gewicht vor allem auf die Mütter. Zwar wurde gerade zur Jahrhundertmitte auch Vätern eine zunehmend wichtige Rolle in der Kindererziehung zugewiesen. Die emotionale Hege und Pflege von Kindern galt aber hauptsächlich als mütterliche Aufgabe, weil Weiblichkeit maßgeblich über Reproduktion und schützende Fürsorge konturiert wurde. 867 Dabei erschienen, das zeigt sich im Folgenden, Mütter als intuitive, aber profund unsichere Expertinnen in der Kindererziehung. Im Januar 1956 veröffentlichte der National Parent-Teacher einen Auszug aus dem Buch „My Son Johnny“ des Autors John McNulty. Dieser begann mit den Worten: „We have a new baby, my wife and I; the cellophane is hardly off him yet. And like most people in our fix, we have to have Doctor Spock’s book around the house. When anything happens in Johnny’s room - noises, that is - we both start running. My wife runs for Johnny, and I run for the book.“ 868 In der hier deutlich werdenden Arbeitsteilung - der Vater greift zum Buch und die Mutter läuft sofort zum Kind - deuten sich die geschlechtsspezifischen Konzepte von Vater- und Mutterschaft an. Das Common Sense Book of Baby and Child Care des Kinderarztes Dr. Benjamin Spock, auf das hier verwiesen wird, war bereits 1946 erschienen und nicht nur ein Gesundheits- und Erziehungsratgeber. 869 Vielmehr war es Ausdruck und Effekt eines Verständnisses von Kindererziehung, das eine liebende und intuitiv handelnde Mutter weiter im Zentrum des Erziehungsprozesses verortete. 870 Gleichzeitig symbolisierte Spocks Buch 865 Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making S. 24. 866 Erikson: Childhood and Society, S. 259; Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 24. 867 Dazu z. B. Grant: Raising Baby by the Book. Feldstein zeigt, wie dieses Narrativ weiß kodiert war (Ruth Feldstein: Motherhood in Black and White. Race and Sex in American Liberalism, 1930-1965. Ithaca: Cornell Univ. Press, 2000). 868 John McNulty: „Excerpts from the Book My Son Johnny“, in: National Parent-Teacher 50/ 5 (1956), S. 21-23, hier S. 21. 869 Benjamin Spock: The Common Sense Book of Baby and Child Care. New York: Duell, Sloan and Pearce, 1946. 870 Zur Zentrierung von Müttern in der Kindererziehung Rebecca Jo Plant: Mom. The <?page no="211"?> 210 eine Form von Expertise, die es auch Vätern ermöglichte, Erziehungsratgeber zu konsultieren. 871 Über die 750.000 verkauften Exemplare hinaus erreichte Spocks Buch geschätzte 22 Millionen Leser_innen. 872 Selbst diese Zahl ist vermutlich zu niedrig angesetzt, denn die neuen Erziehungsparadigmen wurden in den Massenmedien intensiv bearbeitet. Das Ladies’ Home Journal etwa führte eine Ratgebersektion ein, in der Spock höchstpersönlich Rede und Antwort stand, und in Parents’ Magazine und National Parent-Teacher, aber auch etwa in Unterhaltungsshows, waren Referenzen zum berühmten Kinderarzt keine Seltenheit. 873 Kurz: Spocks Buch wurde im Diskurs frühkindlicher Erziehung zu einem zentralen Symbol für die rechte Führung von Eltern und Kindern. Und es zeugte von einem Wandel in den Auseinandersetzungen um die erzieherischen Fähigkeiten von Eltern. Dabei war nicht unbedingt das Ideal der „nachgiebigen“ Kindererziehung das Neue an Spocks Ratschlägen, obwohl er bis heute als „father of permissiveness“ gilt. 874 Bemerkenswert daran war vielmehr etwas anderes: Im Gegensatz zu Erikson, für den die Zeugung von Kindern noch längst nicht bedeutete, dass Eltern auch mit diesen umzugehen wussten, betonte Spock die „natürlichen“ Fähigkeiten von Eltern und gab ihnen den augenscheinlich simplen Rat: „Trust yourself. You know more than you think you do.“ 875 Spock befand, dass Eltern Transformation of Motherhood in Modern America. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 2010. 871 Ralph LaRossa: Of War and Men. World War II in the Lives of Fathers and Their Families. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 2011, S. 110-114. 872 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 79. 873 Daniel Gomes: „‘Sissy’ Boys and ‘Unhappy’ Girls: Childrearing During the Cold War“, in: Thresholds. Viewing Culture 9 (1995), online verfügbar unter: URL: http: / / nideffer.net/ proj/ Tvc/ section1/ 05.Tvc.v9.sect1.Gomes.html [12.01.2009]. Vgl. z. B. Hunter H. Comly: „The Parent and the Pediatrician“, in: National Parent-Teacher 44/ 4 (1949), S. 4-6; J. D. Ratcliff: „Meet Dr. Spock. Physician to 10 Million Babies“, in: Parents’ Magazine 33/ 5 (1958), S. 51, 78-80; I Love Lucy, Staffel 5, Episode 9: „Nursery School“. Regie: James V. Kern. Desilu Productions, 1955. 874 Julia Mickenberg hat gezeigt, dass Ideale „permissiver“ Erziehung auf Hegemoniekämpfe radikal-demokratischer Bewegungen in den 1920er und 1930er Jahren zurückgingen - eine diskursive Verknüpfung, die in den 1950er Jahren so gut wie unsichtbar geworden war (Julia Mickenberg: „The Pedagogy of the Popular Front. ‘Progressive Parenting’ for a New Generation, 1918-1945“, in: Caroline Levander/ Carol Singley [Hg.]: The American Child. A Cultural Studies Reader. New Brunswick: Rutgers Univ. Press, 2003, S. 226-45). Zu Spock auch Nancy Pottisham Weiss: „Mother, the Invention of Necessity: Dr. Benjamin Spock’s Baby and Child Care“ [1977], in: N. Ray Hiner/ Joseph M. Hawes (Hg.): Growing Up in America. Children in Historical Perspective. Urbana: Univ. of Illinois Press, 1985, S. 283-303; Grant: Raising Baby by the Book; Hulbert: Raising America, insbes. S. 223-274; Miriam Gebhardt: Die Angst vor dem kindlichen Tyrannen. Eine Geschichte der Erziehung im 20. Jahrhundert. München: DVA, 2009, insbes. S. 120-124. 875 Spock: The Common Sense Book of Baby and Child Care, S. 3. Die vermeintliche Selbstverständlichkeit des Erziehungswissens, das Spock in seinem Buch ausbreitete, zeigt sich nicht <?page no="212"?> 211 den Rat von Expert_innen eigentlich nicht benötigten, da sie selber welche seien. Obschon er in der Regel allgemein von „parents“ sprach, wies er besonders Müttern eine erzieherische Intuition zu, die sie die richtigen Entscheidungen treffen ließe. 876 Diese Konzeption von mütterlicher Intuition verankerte vor allem Mütter als mutmaßlich natürliche Expertinnen noch stärker im Zentrum von Kindererziehung. Dass sich Spocks Rat tief in das mütterliche Selbstverständnis einschreiben konnte, zeigen etwa Briefe, die der Kinderarzt von Müttern erhalten hatte. Diese berichteten ihm beispielsweise, dass sie ihre Kinder nach seinen Ratschlägen erziehen und Tipps von Freund_innen und Ärzt_innen nur dann annehmen würden, wenn diese sich auch nach dem Buch richteten. 877 Der Erfolg von Spocks Buch und die Briefe an den Autor verdeutlichen aber auch die Ambiguität von dessen Expertise. Offensichtlich reichte vielen der Verweis auf eine mütterliche Intuition nicht aus - und schließlich sollte Spocks Buch Erziehungsexpert_innen auch nicht überflüssig machen. 878 Vielmehr wurde es zeitgenössisch als Ausdruck einer neuen Art von Expertise gefeiert, in der nicht mehr eindeutige Vorgaben im Vordergrund standen. Nun wurde vermehrt betont, dass sich das richtige, elterliche Verhalten nicht genau vorherbestimmen ließe und auch Expert_innen keine „absoluten Antworten und sicheren Direktiven“ geben könnten. Auch deshalb schienen Eltern am besten beraten, wenn sie sich von ihren „besten Impulsen“ leiten ließen. 879 Der Historiker Daniel Gomes hat die Bereitwilligkeit, mit der Eltern Spocks Rat sch läg e adapti ert en, dami t erk lär t, dass dies e darü ber ihr en Mittel kla sse - Status demonstrieren konnten: „[S]ince the working class had traditionally been hostile to childrearing experts, raising children according to the Spockian model reaffirmed middle-class distinctiveness.“ 880 Andererseits wurde eine allzu große Abhängigkeit von Expert_innen gerade in der als „age of the expert“ geltenden Nachkriegszeit auch skeptisch betrachtet, weil sie den Verlust von Eigenständigkeit und individueller Entscheidungsfähigkeit und damit zentraler bürgerlicher Werte auszudrücken schien. Eine zu starke Angewiesenheit auf externen Rat stand in Widerspruch zum Ideal des „self-made man“ und galt als unmännlich. 881 Wenn der zu Beginn dieses Abschnitts zitierte Autor McNulty daher zuletzt in dem namensgebenden Verweis auf einen erzieherischen common sense. 876 Grant: Raising Baby by the Book, S. 221f.; Gebhardt: Die Angst vor dem kindlichen Tyrannen, S. 121, 124f. 877 Z. B. Helen Keller, Waban, MA, an Spock, 22. Oktober 1963, Spock Papers, Box 15; Mrs. David Raess, Sierra Madre, CA, an Spock, 12. Januar 1965, ebd., Box 18. 878 Hulbert: Raising America, S. 226. 879 Vgl. Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, z. B. 102, 205. Dazu Hulbert: Raising America, S. 193ff. 880 Gomes: „Childrearing During the Cold War“. 881 Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist etwa ein Artikel in LOOK, in dem der Verfasser darüber klagte, dass „standardisierter Rat“ für „jeden Aspekt des Lebens eines Mannes“ verfügbar sei, dies aber primär zu Anpassung und damit zum Verlust von Individualismus führe (George B. <?page no="213"?> 212 schreibt, er habe sofort zu Spocks Buch gegriffen, steht das zunächst im Widerspruch zu dieser Vorstellung. Andererseits machte gerade Spocks Erziehungskonzept eine solche Reaktion lesbar, da es erstens zu viel Eigeninitiative aufrief und zweitens zu einem so dichten, kulturellen Symbol für Fortschritt geworden war. Der Wandel von Expertise und die Verlagerung von Erziehungswissen ins „Innere“ der Eltern ist somit auch vor dem Hintergrund dieser Kritik zu verstehen: „[P]sychiatrists and social workers have learned how to take the average American’s desire for self-reliance into account in their professional practices“, lobte etwa der Bericht der Midcentury White House Conference on Children and Youth. 882 Das Verhältnis von Eltern und Expert_innen blieb gleichwohl ein umkämpftes und die Annahme, Eltern seien quasi selbst Expert_innen, wurde auch immer wieder aufgebrochen. Zwar konnte die „natürliche“ Intuition, die Müttern zugeschrieben wurde, ihnen in der Tat zu einer distinkten Sprecherinnenposition verhelfen: „As a mother of...“ wurde in Elternbriefen etwa an das Senate Subcommittee zu einer Formel, die der Sprechenden performativ Legitimität verlieh. 883 Gleichzeitig entsprang auch der Verweis auf die Instinkte einer Mutter den Ratgebern und Zeitgenoss_innen sahen in den hohen Verkaufszahlen von Spocks Buch die Bestätigung, dass Mütter noch stark von erzieherischer Expertise abhängig waren. Hulbert schreibt, dass der immense Erfolg vom Common Sense Book auch als Warnzeichen aufgefasst wurde: „Who would have guessed that so many American mothers and fathers were in such need of soothing advice? “ 884 Spock selbst beklagte sich in einem Brief an eine Mutter darüber, dass sich Eltern ohne Grund schuldig fühlen und ihren Kindern gegenüber unsicher sein würden. 885 Müttern wurde trotz Spocks Ermunterung aber auch kaum Grund dazu gegeben, sich beruhigt zurückzulehnen. Ihr Auftrag schien nun noch umfassender zu sein, galt es nicht nur, die körperlich-geistige, sondern vor allem die charakterliche Entwicklung ihrer Kinder zu sichern. 886 Mit dem Wandel von Erziehungsexpertisen und Spocks Konzept von intuitiver Mutterschaft trat an die Stelle detaillierter Handlungsanweisungen ein eher unbestimmter Aufruf. Außerdem sollten Mütter, um ihre Rolle angemessen zu erfüllen, selbst stabil sein - und Leonard: „The American Male. Why is He Afraid to Be Different? “, in: LOOK 22/ 4 [1958], S. 95-104, hier S. 98). Zum „age of the expert“ Ellen Herman: The Romance of American Psychology. Political Culture in the Age of Experts. Berkeley u. a.: Univ. of California Press, 1995; Hulbert: Raising America, etwa Kapitel 7. 882 Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 102. 883 Dazu Abschnitt V.4.2 dieser Arbeit. 884 Hulbert: Raising America, S. 193. 885 Spock an Mrs. J.R. Lineweaver, Providence, RI, 18. Juni 1962, Spock Papers, Box 11. 886 Hulbert: Raising America, S. 208. <?page no="214"?> 213 gerade das wurde heftig bezweifelt. Schwerwiegende Probleme fand man nicht nur in ihrem vermeintlichen Scheitern an der „Generativitäts-Krise“ und den damit verknüpften Kindheitstraumata. Schlimmer noch, diese Probleme schienen auch den Zugang zum intuitiven mütterlichen Wissen zu versperren. Mütterliche Ängste und Unsicherheiten galten nun eher als Ursache denn als Symptom von Problemen: „[T]he midcentury mother who elicited professional concern was [seen as] an unstable adolescent“, schreibt Hulbert. 887 In der Tat hatte sich der Fokus von erzieherisch-therapeutischen Zugriffen in Child Guidance Clinics zur Jahrhundertmitte geändert. Zuvor hatten dort in erster Linie „Problemkinder“ im Mittelpunkt gestanden. Nun waren Mütter und ihre Kindheitserlebnisse zentraler Zugriffspunkt - wie sich auch im oben erwähnten Film Angry Boy zeigt. Der Einsatz von Expert_innen zur Kindererziehung gewann einen zunehmend therapeutischen Charakter und die vormals eher technischinformative Belehrung der Mütter wurde zur psychologischen Sprechstunde. 888 Der Report der Midcentury White House Conference on Children and Youth fand es nur folgerichtig, dass Expert_innen Müttern nun dabei halfen, „sich über ihre Gefühle klarzuwerden, anstatt lediglich deren Fragen zu beantworten“. 889 Vor allem Müttern wurde also eine profunde Unsicherheit zugeschrieben, die ebenso folgerichtig wie problematisch schien. Im Zusammengehen von Spocks Erziehungsphilosophie, Eriksons Phasenmodell und einer zunehmend therapeutischen Ausrichtung auf frühkindliche Erfahrungen der Mutter entstand eine paradoxe Konstruktion von Mutterschaft: die Verankerung von Müttern als mutmaßliche natürliche Expertinnen und die gleichzeitige Infragestellung ihrer erzieherischen Fähigkeiten. Vorstellungen von Mütterlichkeit gingen in den US- Nachkriegsdekaden damit über die historiografisch vielfach untersuchte republican motherhood hinaus bzw. aktualisierten dieses Ideal. 890 Nun fungierte therapeutic motherhood als diskursiver Imperativ, wobei die in früheren Konstruktionen von Mutterschaft aufgerufene, „nationale Frage“ nicht verloren ging, im Gegenteil: Die in diesem Abschnitt geschilderte Entwicklung verdichtete die Bedeutung von Familien als Keimzelle der Nation und machte es in den USA des Kalten Krieges äußerst dringlich, Familien zu regieren. Denn in dem Maße, in dem die Bedeutung von Familien betont wurde, fand man diese „dysfunktional“ und „zerstört“ vor. 887 Hulbert: Raising America, S. 198, 209. 888 Jones: Taming the Troublesome Child, S. 191, 194ff. 889 Witmer/ Kotinsky: Personality in the Making, S. 206. Dazu Hulbert: Raising America, S. 207. 890 Zur Entstehung des Ideals in der Amerikanischen Revolution Linda K. Kerber: Women of the Republic. Intellect and Ideology in Revolutionary America. Chapel Hill: Univ. of North Carolina Press, 1980. Zu dessen Rolle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bzw. zur Jahrhundertmitte Simon Wendt: „Nationalist Middle-Class Women, Memory, and Conservative Family Values, 1890-1945“, in: Heinemann: Inventing the Modern American Family, S. 31-58, insbes. S. 339f.; May: Homeward Bound, etwa S. 98, 151. <?page no="215"?> 214 2 It’s in the Family: Väter, Mütter und delinquente Jugendliche Im Sommer 1956 beauftragte die Stadt New York eine Werbeagentur mit der Entwicklung einer Anti-Delinquenz-Kampagne. Eine der Botschaften, die im öffentlichen Nahverkehr und in Zeitungen verbreitet wurde, lautete: „When family life stops, delinquency starts.“ 891 Wo Familien vermeintlich scheiterten, wurde jugendliche Delinquenz als logische Konsequenz betrachtet. Gleich die erste Anhörung des Senate Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency ist ein gutes Beispiel für die Allgegenwart des Narrativs fehlerhafter Familien im Delinquenzdiskurs. Sie begann mit den Statements einer Reihe von Expert_innen, die alle in erster Linie familiäre Verhältnisse für Jugenddelinquenz verantwortlich machten. Was genau in den Familien im Argen lag, wurde ausgiebig verhandelt: „What happens inside the homes of the children to make them what they are? “, fragten etwa die Gluecks rhetorisch. 892 Im Folgenden geht es darum, die zeitgenössischen Antworten auf diese Frage einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Zu diesem Zweck untersuche ich zunächst Entwürfe problematischer Eltern und ihre diskursive Verortung in spezifischen gesellschaftlichen Gruppen. Anschließend frage ich danach, wie bestimmte Formen jugendlicher Delinquenz darauf zurückgeführt wurden. Verschiedene Arrangements von „Rasse“, Klasse, Geschlecht, Sexualität und Alter konstituierten unterschiedliche Szenarien delinquenter Eltern und Jugendlicher. Dabei wurden diese kategorialen Zuweisungen nicht immer explizit benannt, sondern in der Regel in moralische Werte übersetzt, die Eltern und Jugendlichen zugewiesen oder abgesprochen wurden. 2.1 „Inadequate parents produce inadequate children“: Delinquente Eltern Mit der starken Betonung familiärer Verhältnisse in der Hervorbringung von Delinquenz rückten vor allem Eltern in den Mittelpunkt der Aushandlungen. „Inadequate parents produce [...] inadequate children who again become inadequate parents and so on and on through each generation“, mahnte etwa Jugendrichter Gill vor dem Senate Subcommittee. 893 Die Liste der Verhaltensweisen von Eltern, die nach zeitgenössischer Auffassung Jugenddelinquenz auslösen 891 Zit. nach Waltzer: Uneasy Idealism, S. 145. 892 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 83. Vgl. auch die Statements von Gill (ebd., S. 40) und Eliot (ebd., S. 14). 893 Ebd., S. 40. <?page no="216"?> 215 konnten, war lang. Im Folgenden werde ich zunächst beispielhaft auf einige diskursiv besonders präsente väterliche und mütterliche Problemfiguren eingehen. Anschließend geht es darum, wie der Signifikant der broken homes nicht nur Delinquenz, sondern auch eine vermeintlich mangelnde Liebesfähigkeit von Eltern ausdrücken konnte. Daddy Issues: Fehlende Rollenvorbilder und mangelnde Disziplin Die Debatten über problematische Väter zentrierten sich vor allem um eine sowohl physische als auch emotionale Abwesenheit von Vätern. Dabei war das Fehlen väterlicher Rollenvorbilder eine Erklärung für jugendliche Delinquenz, die in den 1950er und 1960er Jahren äußerst anschlussfähig war, aber verschiedenartig auf Familien der Mittel- und Arbeiterklasse angewandt wurde. Bereits Ende der 1940er Jahre hatte Talcott Parsons geschrieben, der arbeitende Vater verhindere aufgrund seiner Abwesenheit die angemessene Adaption einer männlichen Rolle durch seinen Sohn. 894 In einer 1955 erschienenen Studie griff der Kriminologe Albert Cohen dieses Argument auf und bezog es explizit auf Jugendliche der Mittelklasse. Deren Väter verbrachten nach Cohen den Großteil der Zeit am Arbeitsplatz und nicht zu Hause. Sie könnten ihren Söhnen daher kein Vorbild für „gutes, respektables Verhalten“ sein, das also nur durch die Mutter repräsentiert und daher weiblich besetzt sei. So nähme Ungezogenheit für Jungen eine männliche Konnotation an und sie würden zu Delinquenz verleitet werden, um ihre Männlichkeit zu etablieren. Im Gegensatz dazu waren die Väter in Arbeiterklasse-Familien laut Cohen öfter zu Hause und gingen stärker männlich besetzten Aktivitäten nach. Cohen befand, Jungen der Arbeiterklasse hätten „eine positivere Vorstellung von [...] Männlichkeit“ und es sei daher „unwahrscheinlich“, dass diese sich delinquenten Delikten „bedienen müss[t]en, bloß um ihre Männlichkeit zu beweisen“. 895 Während der Kriminologe delinquentes Verhalten von Jungen der Arbeiterklasse vorrangig mit deren Frustration über einen geringen sozialen Status erklärte, konzipierte er Mittelklasse- Delinquenz auf diese Weise als Resultat geschlechtlicher „Rollenkonfusion“. 896 Mit dieser Analyse landete Cohen mitten in einem Feld kultureller Ängste um die rechte Männlichkeit weißer Mittelklasse-Väter. Diese schienen ihren männlichen Individualismus in den Nachkriegsdekaden in der standardisierten Welt 894 Parsons: „Certain Primary Sources and Patterns of Aggression in the Social Structure of the Western World“, S. 305. 895 Cohen: Delinquent Boys, S. 164f. Cohen reiterierte hier Vorstellungen von besonders maskulinen Arbeiterklasse-Männern, die Narrative einer „Verweichlichung“ weißer Mittelklasse-Männer historisch immer wieder begleitet haben (Bederman: Manliness & Civilization. Diesbezüglich zur Nachkriegszeit Kyle A. Cuordileone: Manhood and American Political Culture in the Cold War. New York/ London: Routledge, 2005). 896 Cohen: Delinquent Boys, S. 157, 168. <?page no="217"?> 216 der Vorstädte verloren zu haben und „verweichlicht“ zu sein. 897 Zudem hatte der Kinsey-Report schon 1948 konstatiert, dass ein Drittel von ihnen mindestens eine homosexuelle Erfahrung gemacht hatte. 898 Die vermeintliche Krise weißer Männlichkeit gewann im Kontext des Delinquenzdiskurses umso mehr an Brisanz, weil über Väter auch deren Nachwuchs und damit eine zentrale gesellschaftliche Ressource gefährdet schien. 899 Eng verknüpft mit den Sorgen um die Männlichkeit von Mittelklasse-Vätern war auch die Frage, ob diese Väter noch die erzieherisch-disziplinierende Funktion wahrnehmen konnten, die ihnen vorrangig zugewiesen wurde. Zeitgenössische Studien kamen zu dem Ergebnis, dass die ehemals patriarchale Position von Vätern in US-amerikanischen Familien einer egalitären Struktur gewichen sei bzw. vielfach sogar Mütter eine führende Rolle übernähmen. 900 Die diagnostizierte Gleichberechtigung zwischen Vätern und Müttern wurde dabei nicht automatisch als Problem betrachtet. Erziehungszeitschriften etwa publizierten Artikel, in denen sie Müttern helfende Männer präsentierten und nach „Vollzeit-Vätern“ verlangten. 901 Gleichzeitig mahnten Expert_innen aber auch vor einer zu „soften“ Vaterrolle und forderten Vätern auf, ihren Kindern weder „Kumpel“ noch Mutterersatz zu sein. Jungen bräuchten einen Vater, der für Ordnung und Disziplin in den Familien sorge. 902 Diese unterschiedlichen Vorstellungen sind charakteristisch für einen Zeitraum, in dem die väterliche Rolle in der Kindererziehung ausgiebiger verhandelt wurde und sich als äußerst fluide 897 Gilbert: Men in the Middle, insbes. Kap. 4; Martschukat: Ordnung des Sozialen, Kap. 10 (auch zum Folgenden). 898 Alfred C. Kinsey/ Wardell B. Pomeroy/ Clyde E. Martin: Sexual Behavior in the Human Male. Philadelphia: W. B. Saunders, 1948, S. 650f. Zur Rezeption der Kinsey-Reports etwa Cuordileone: Manhood and American Political Culture in the Cold War, S. 82-86; Gilbert: Men in the Middle, insbes. Kap. 5. Zu Homosexualität als gesellschaftlichem Bedrohungsszenario John D’Emilio: Sexual Politics, Sexual Communities. The Making of a Homosexual Minority in the United States, 1940-1970. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 1998 2 [1983]; David K. Johnson: The Lavender Scare. The Cold War Persecution of Gays and Lesbians in the Federal Government. Chicago/ London: Univ. of Chicago Press, 2004. 899 Dazu Gomes: „Childrearing During the Cold War“; LaRossa: Of War and Men, S. 109f.; außerdem Kap. V.2.2 dieses Buches. 900 Z. B. Charles E. Bowerman/ Glen H. Elder: „Variations in Adolescent Perception of Family Power Structure“, in: American Sociological Review 29/ 4 (1964), S. 551-567, die auf eine Reihe von Studien verweisen (ebd., S. 551). 901 Z. B. Charles W. Philipps: „Pop Is a Parent, Too! “, in: National Parent-Teacher 42/ 5 (1948), S. 31-32; Dorothy Koehring: „Needed: Full-time Fathers“, in: National Parent-Teacher 49/ 6 (1955), S. 7-9; Miriam Selchen: „What Are Fathers For? “, in: Parents’ Magazine 32/ 6 (1957), S. 35, 68-72. 902 T. Lefoy Richman: „Is There a Morals Revolt Among Youth? “, in: National Parent-Teacher 54/ 3 (1959), S. 16-18, hier S. 18.; Bruno Bettelheim: „Fathers Shouldn’t Try to Be Mothers“, in: Parents’ Magazine 31/ 10 (1956), S. 40, 126. <?page no="218"?> 217 darstellte. 903 Einig waren sich die Expert_innen gleichwohl darin, dass es primär Väter sein sollten, die Kindern Disziplin beibrächten. Und auch in dieser Frage wurde das Schreckensszenario „verweichtlichter“ Väter aufgerufen: „Being a real father is not ‘sissy’ business“, warnte etwa das Parents’ Magazine seine Leser_innen schon 1947. 904 Väterliche Strenge galt als besonders wichtig, um Jugendlichen das nötige Maß an Selbstkontrolle zu vermitteln. Ein richtiger Vater war demnach ein besonders männlicher Mann, der Funktionen erfüllte, die Mütter schlichtweg nicht würden leisten können. Denn jenen war nach Ansicht von Expert_innen die notwendige erzieherische Strenge nicht zuzutrauen. 905 Hier zeigt sich der produktive Charakter der Delinquency Scare für Konstruktionen heterosexueller Männlichkeit und die Aufrechterhaltung patriarchalischer Ordnungen. „Put Father Back at the Head of the Family“, forderte Richter Leibowitz 1958 und schilderte drastisch die Folgen mangelnder Strenge: „[A] permissive psychology where Johnny is rarely if ever disciplined [has] resulted in the confused, rebellious, unhappy teen-agers who flood our courts.“ 906 Die Verhandlungen väterlicher Disziplin waren dabei komplizierter, als in dieser kurzen Skizze angedeutet. So sahen die Gluecks beispielsweise nicht nur im Mangel, sondern auch im Übermaß väterlicher Strenge einen Auslöser jugendlicher Delinquenz. 907 Dass Väter auf diese komplexe Anrufung antworteten, zeigen einige der für diese Studie analysierten Briefe. So erkundigte sich etwa ein Vater bei Spock, für welche Altersgruppe dessen Empfehlungen zu väterlicher Strenge gelten sollten. 908 Und William Treadwell, ein Leser von LOOK, bekannte in Reaktion auf einen Artikel über „softe“ Väter: „[As the] father of two young sons […], [t]he article is […] frightening in that it speaks the truth. Although I am a cook and bottle washer, I have one masculine claim: I have never changed a diaper...“ Treadwell versicherte außerdem, das Thema in seinen „heart-to-heart-talks“ mit seinen Söhnen zu behandeln und führte auf diese Weise eine moralisch-erzieherische Vaterrolle auf, die durchaus über die alleinige Ausübung von Strenge hinausging. 909 903 LaRossa: Of War and Men, S. 101-114, 195. 904 Edward A. Strecker: „Pops and Popism“, in: Parents’ Magazine 22/ 5 (1947), S. 20, 99-102, hier S. 102. S. Martschukat: Ordnung des Sozialen, S. 274. 905 Vgl. z. B. die Stellungnahme der Gluecks in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 100; La Barre: „How Adolescent Are Parents“, S. 5. 906 Samuel S. Leibowitz: „Put Father Back at the Head of the Family“, in: America, 15. März 1958, S. 682, zit. nach Devlin: „Female Juvenile Delinquency“, S. 93. 907 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 100f. 908 Philip Bassin, Brooklyn, NY, an Spock, 15. Oktober 1965, Spock Papers, Box 19. 909 William F. Treadwell, Chicago, IL, an LOOK, „Letters to the Editor“, in: LOOK 22/ 6 (1958), S. 16. Treadwell bezog sich auf Leonard: „The American Male“. <?page no="219"?> 218 Die geforderte „disziplinarische Konsequenz“ wurde überdies nicht nur Müttern, sondern auch nicht-weißen Vätern abgesprochen. 910 Dies zeigt etwa der sogenannte Moynihan-Report, eine Studie über schwarze Familien, die 1965 vom stellvetretenden Arbeitsminister Daniel Patrick Moynihan fertiggestellt wurde. Die Untersuchung trug den offiziellen Titel The Negro Family: The Case for National Action und suchte Politik und Öffentlichkeit über die „Dysfunktionalität“ afroamerikanischer Familien aufzuklären. 911 Schwarze Familien wichen laut dem Bericht eklatant von weißen und damit von familiärer „Normalität“ ab. Das markanteste Zeichen dafür sah Moynihan in der vermeintlich nahezu vollständigen Abwesenheit afroamerikanischer Väter. Seit der Sklaverei tradierte matriarchale Familienstrukturen würden schwarzen Vätern nur eine „außergewöhnlich geringe Macht“ verleihen. Zudem wüchse nahezu die Hälfte der afroamerikanischen Kinder gänzlich ohne Vater auf, da sich die Eltern entweder getrennt oder gar nicht erst geheiratet hätten. 912 Dieses Narrativ wurde im Delinquenzdiskurs herangezogen, um afroamerikanische Jugendliche als besonders delinquenzgefährdet zu konturieren. Denn in dieser Situation, so argumentierten Expert_innen, sei keine Erziehung zu männlicher Selbstkontrolle und Respekt gegenüber Autoritäten möglich. Im Report der President’s Commission on Law Enforcement and Administration of Justice hieß es 1967 etwa: „The discipline associated with the loose organization and female focus that characterize many inner-city families has [...] been related by social scientists to [...] consequent resentment of authority figures such as policemen and teachers.“ Als Konsequenz der Abwesenheit starker Vaterfiguren hätten die Jugendlichen nicht die Fähigkeit entwickeln können, ihre „natürlichen“ Impulse im Zaum zu halten und ihre Bedürfnisse „in sozial akzeptabler Weise“ zu befriedigen. 913 Diese Figur des absent father rief dabei sowohl eine physische Abwesenheit als auch die vermeintliche Unfähigkeit schwarzer Männer zur Selbstkontrolle auf - eine rassistische Konstruktion mit langer Geschichte, die in der Delinquency Scare aktualisiert wurde. 914 910 Vgl. z. B. die Stellungnahme der Gluecks in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 91. 911 U.S. Department of Labor: The Negro Family. Dazu Finzsch: „Gouvernementalität“; Estes: Race, Manhood, and the Civil Rights Movement; Nina Mackert: Under Construction: Afroamerikanische Weiblichkeiten und Männlichkeiten zwischen Moynihan Report und Black Feminism (1965-1995). Unveröff. Magistraarbeit. Universität Hamburg, 2006, Kap. 3.1; Mumford: „The Moynihan Report and Homosexual Damage“. 912 U.S. Department of Labor: The Negro Family, S. 76, 80. 913 President’s Commission: The Challenge of Crime in a Free Society, S. 63. Vgl. auch U.S. Department of Labor: The Negro Family, S. 85. 914 Patricia Williams bezeichnet dieses Narrativ als Konstruktion von „black [...] anti-will“ (Patricia Williams: „On Being the Object of Property“, in: Signs. A Journal of Women in Culture and Society 14/ 1 [1988], S. 5-24, hier v. a. S. 8f ). Zur Geschichte dieser rassistischen <?page no="220"?> 219 Bereits zu Beginn der 1950er beschrieben die Gluecks die Väter der von ihnen untersuchten delinquenten Jungen auf eine Weise, die Culture of Poverty- Konzepten ähnelte. Sechzig Prozent von ihnen seien „poor employment risks“: Sie tränken, würden Unruhe stiften und nur unregelmäßig zur Arbeit gehen. Überdies würden sie sich „gleichgültig“ oder sogar „feindlich“ gegenüber ihren Söhnen verhalten. 915 Die Gluecks hatten in ihrer Studie zwar nur weiße Familien untersucht und eine solche Beschreibung „mangelhafter“ Väter konnte weiße Väter der „Unterklasse“ mit einschließen. Gleichwohl verdichtete sie sich im Laufe der 1950er und 1960er Jahre und gerade durch Culture of Poverty- Narrative zunehmend zu einem diskursiven Code für die Charakterisierung afroamerikanischer Männer. Dies wird erneut im Moynihan-Report deutlich. Moynihan befand, dass schwarze Väter in der Regel arbeitslos oder nur unregelmäßig beschäftigt und deswegen ihren Kindern auch im Hinblick auf ökonomischen Erfolg keine Vorbilder sein könnten. 916 Entscheidend für die Rassialisierung des absent father ist Moynihans Diagnose, dass es sich beim ökonomischen Scheitern schwarzer Väter um ein historisch tradiertes Problem handelte, das schwarze Familien von weißen unterschied: „The white family, despite many variants, remains a powerful agency not only for transmitting property from one generation to the next, but also for transmitting no less valuable contracts with the world of education and work.“ Selbst wenn weiße Jugendliche ohne Vater aufwüchsen, könnten sie daher zumindest über familiäre Wertetraditionen „alles über [...] das Muster arbeitender Männer“ erfahren; im Gegensatz zu schwarzen Jugendlichen, denen diese Wertevermittlung fehle. „Negro children without fathers flounder - and fail“, befand Moynihan und präsentierte „desaströse“ Delinquenz- und Kriminalitätsraten als Konsequenz dieser Situation. 917 Es ist äußerst bezeichnend, dass Moynihan weißen Familien hier die Fähigkeit zuwies, ihre Kinder auch ohne Vater zu erziehen, afroamerikanischen Kindern ohne Vater aber in der Regel das Scheitern bescheinigte. Ökonomischer Erfolg und die Rolle des Ernährers galten als zentrale Elemente vorbildlicher Vaterschaft, deren Verknüpfung mit Whiteness gerade auch in den Nachkriegsdekaden verdichtet wurde. 918 Schwarze Väter und deren mutmaßliche soziale, ökonomische und damit erzieherische Pathologien stellten dagegen einen Knotenpunkt für die Konstruktion delinquenzfördernder Familien dar. Konstruktion Bederman: Manliness & Civilization; Carter: Heart of Whiteness. 915 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 87, 89. 916 U.S. Department of Labor: The Negro Family, S. 78ff. 917 Ebd., S. 81, 84f. 918 Felix Krämer: „Ernährer“, in: Netzwerk Körper (Hg.): What Can a Body Do? Praktiken und Figurationen des Körpers in den Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M.: Campus, S. 60-66; Martschukat: Die Ordnung des Sozialen, Kap. 10 und 11. <?page no="221"?> 220 Mommy Issues: „Moms“ und arbeitende Mütter Defizitäre Mutterfiguren bildeten eine zweite Säule der Kritik an Eltern, da Müttern eine komplementäre, in emotionaler Hinsicht sogar entscheidendere Rolle in der Kindererziehung zugewiesen wurde. Analog zu schwachen Vätern fand man in der Delinquency Scare dominante Mütter sowohl in afroamerikanischen als auch weißen Familien der Arbeiter- und Mittelklasse vor. Mrs. Randall etwa wurde in Angry Boy als herrische Mutter präsentiert, die ihren Mann unterdrückte. Ihre Darstellung erinnert an ein zeitgenössisch anschlussfähiges Narrativ, in dem derart dominante Mütter für eine Reihe von profunden Problemen in Familien - und damit in der U.S-amerikanischen Gesellschaft - verantwortlich gemacht wurden. In den Anhörungen des Senate Subcommittee nahmen etwa die Gluecks Bezug auf diese einflussreiche Diskussion: „In more recent times we have been told a great deal about ‘mommyism’, about the excessive role of the mother in American life, in the American home.“ 919 Der Begriff des „mommyism“ oder „momism“ ging zurück auf den Autor Philip Wylie, auf den sich die Gluecks hier auch explizit bezogen. Wylie hatte dominante „moms“ als Ursache für die Gefährdung der amerikanischen Demokratie beschrieben, weil diese die Eigenständigkeit ihrer Männer und Söhne zerstören und „Mäuse“ aus ihnen machen würden. 920 Diese Diskussion ist deshalb besonders interessant, weil hier simultan eine natürliche Disposition von Müttern angenommen, deren augenscheinlicher Ausdruck aber gleichzeitig kritisiert wurde. Wylie beklagte nämlich, Mütter würden ihren Kindern eine übermäßige „Fürsorge“ entgegenbringen und sie so „lebenslang ruinieren“. 921 Dass er damit genau den Aspekt problematisierte, der Mutterschaft natürlicherweise auszuzeichnen schien, wird etwa deutlich in der Reaktion des Psychoanalytikers Erikson auf die Debatten. Erikson fand Wylies Thesen zwar übertrieben und wunderte sich, wie „moms“ zum Sinnbild für alles hatten werden können, was „faul im Lande“ war. Gleichzeitig bestätigte er aber Wylies Vorwürfe zumindest partiell, indem er Fürsorglichkeit zur spezifisch weiblichen Eigenschaft erklärte. Er charakterisierte Weiblichkeit anatomisch (über Gebärmutter und Vagina) und psychologisch als zunächst leeren, „inneren Raum“, den Frauen zu füllen trachteten. Daher würden sie sich „naturgemäß“ danach sehnen, Kinder zu bekommen, und die besondere Fähigkeit besitzen, diese schützend zu umschließen. 922 Auf diese Weise lieferte Erikson eine psychobiologische Begründung der zeitgenössischen Kritik an 919 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 76. 920 Philip Wylie: A Generation of Vipers. New York: Pocket Books, 1942; ders.: „Mom’s to Blame“, in: LOOK 14/ 24 (1950), S. 115-121, hier S. 115. 921 Ebd., S. 116, 118. Dazu Plant: Mom, Kap. 1. 922 Erikson: Childhood and Society, S. 280-284; ders.: Identity. Youth and Crisis. New York: Norton, 1968, S. 261-294. <?page no="222"?> 221 „moms“. Ohne Wylies Skandalisierung bemühen zu müssen, war es möglich, mütterliche „Überfürsorglichkeit“ zwar als zivilisatorisch schädlich, aber eben prinzipiell natürlich zu zeichnen. 923 Möglicherweise ist diese Naturalisierung von Mütterlichkeit einer der Gründe dafür, dass sich die zeitgenössische Verhandlung dominanter „moms“ nicht bruchlos im Delinquenzdiskurs artikulierte. Einerseits forderten Expert_innen Mütter nämlich dazu auf, ihren Kindern Freiraum beim Aufwachsen zu lassen, um deren Entwicklung nicht zu stören. 924 Andererseits hielten etwa die Gluecks mütterliche Dominanz in den Anhörungen des Subcommittee zwar für erwähnenswert, betonten aber, dass sie keinen unmittelbaren Zusammenhang zur Hervorbringung jugendlicher Delinquenz feststellen konnten. Sie beeilten sich gleichwohl, dem Ausschuss zu versichern: „That does not mean that mama does not cause trouble.“ 925 Für die Gluecks war nicht das Übermaß, sondern vorrangig der Mangel an mütterlicher Fürsorge ein entscheidendes Problem - und diese Einschätzung wurde von vielen ihrer Zeitgenoss_innen geteilt. Wesentlich stärker als Überfürsorglichkeit wurden in der Delinquency Scare diejenigen Mütter thematisiert, die ihre Kinder vernachlässigen bzw. ihnen keinen geregelten Alltag bieten würden. 926 Dies zeigt das Beispiel der Diskussionen um arbeitende Mütter. „Are working mothers a principal factor in the causation of delinquency? “, fragten die Gluecks 1953 in den Anhörungen und mussten die Frage sogleich verneinen: Sowohl die Mütter der delinquenten als auch der nicht-delinquenten Jugendlichen würden in großer Zahl arbeiten. Ein entscheidender Unterschied, den das Kriminologenpaar zwischen beiden Gruppen ausmachen konnte, war allerdings das Maß, in dem die Mutter ihre Kinder beaufsichtigte und emotional versorgte. 927 Bei den delinquenten Jungen habe sich gezeigt, dass deren Mütter 923 Diese Vorstellung einer spezifisch weiblichen Körperlichkeit hat zeitgenössisch im frühen Second Wave-Feminismus Kritik erfahren. Direkt auf Eriksons Text reagierte z. B. Kate Millet: Sexual Politics. New York: Avon Books, 1969, S. 294. Allerdings waren Eriksons Thesen, darauf hat die Historikerin Ellen Herman hingewiesen, durchaus anschlussfähig für hegemoniale Varianten des Differenzfeminismus (Herman: The Romance of American Psychology, S. 391, FN 78). Zur zeitgenössischen Diskussion über mütterliche „overprotection“ Jones: Taming the Troublesome Child, insbes. Kapitel 7; Plant: Mom. 924 Z. B. Evelyn Emig Mellon: „Living and Letting Live With Adolescents“, in: Parents’ Magazine 21/ 10 (1946), S. 34-35, 102-108; Albrecht: „Why A Boy or Girl Needs A Gang“, S. 90. 925 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 76. 926 Vgl. etwa die Stellungnahme von Reckless in: ebd., S. 210f.; Stellungnahme von District Court-Richter Luther Youngdahl in: ebd., Pt. 3, S. 496; Helen L. Witmer (Hg.): Parents and Delinquency. A Report of a Conference. Washington, DC: Government Printing Office, o. J. (verm. 1954). 927 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 88. <?page no="223"?> 222 ihrer Aufsichtsfunktion nicht nachkämen; sie seien entweder kaum zu Hause oder würden sich nicht darum kümmern, wie die Kinder ihre Freizeit verbrächten. 928 Die Frage der angemessenen Beaufsichtigung wurde im Laufe der 1950er Jahre zunehmend am Ausmaß der mütterlichen Lohnarbeit fest gemacht. Dabei waren die Verhandlungen des Zusammenhangs von lohnarbeitenden Müttern und jugendlicher Delinquenz hoch komplex und alles andere als widerspruchsfrei. Nachdem working mothers in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts als zentrale Auslöserinnen jugendlicher Delinquenz betrachtet worden waren, hatte si ch di eses zu r Mi tte d es Jah rhu ndert s au sd if fere nzi er t. 929 Die Historikerin Susan Hartmann hat gezeigt, dass mütterliche Lohnarbeit in der Nachkriegszeit nicht nur in Abgrenzung zu weiblicher „domesticity“ problematisiert, sondern durchaus auch begrüßt wurde. Vor dem Hintergrund der wichtigen Rolle, die Frauen in der Kriegswirtschaft gespielt hatten, schien es nicht mehr ganz so eindeutig, dass arbeitende Mütter einen schädlichen Einfluss auf ihre Sprösslinge hätten. 930 Gleichwohl gewann die Frage nach dem Zusammenhang von lohnarbeitenden Müttern und Delinquenz in den späten 1950er Jahren offenbar an Dringlichkeit. Dies zeigt sich beispielhaft an einem Artikel, den die Gluecks 1957 veröffentlichten. Waren sie dem Thema zu Beginn der Dekade nur am Rande nachgegangen, werteten sie einen Teil ihrer Studienergebnisse nun erneut aus, „um dem wachsenden Interesse am Thema arbeitender Mütter [zu begegnen]“. 931 Sie kamen zu dem Schluss, dass es vor allem dann problematisch war, wenn Mütter nur sporadisch und in unsicheren Jobs arbeiteten. Die unregelmäßige An- und Abwesenheit der Mütter störe das „Sicherheitsempfinden“ ihrer Kinder und fördere „unverantwortliches“ Verhalten. 932 Indem die Gluecks unregelmäßig arbeitenden Müttern zudem mangelnde Motivation und Egoismus vorwarfen - denn diese würden nur der alltäglichen Routine entgehen wollen - lokalisierten sie das Problem nicht im Arbeitsmarkt, sondern in den Müttern selbst. In Vollzeit arbeitende Mütter begrüßten sie dagegen, sofern diese die „Notwendigkeit oder Pflicht“ anerkannt hätten, das regelmäßige Familieneinkommen zu sichern. Diesen Bedarf ließen die Gluecks auch als einzigen Grund für mütterliche 928 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 85, 88. 929 Zu working mothers in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Odem: Delinquent Daughters, S. 107f. 930 Susan Hartman: „Women’s Employment and the Domestic Ideal in the Early Cold War Years“, in: Meyerowitz: Not June Cleaver, S. 84-100. Dazu auch Alice Kessler-Harris: Out to Work. A History of Wage-Earning Women in the United States. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2003 [1982], insbes. Kapitel 11. 931 Eleanor Touroff Glueck/ Sheldon Glueck: „Working Mothers and Delinquency“, in: Mental Hygiene 41/ 3 (1957), S. 327-350, erneut abgedruckt in: dies.: Ventures in Criminology. London: Routledge, 2001 [1964], S. 31-59 (alle folgenden Verweise auf den Text beziehen sich auf diesen Nachdruck). 932 Ebd., S. 46f. <?page no="224"?> 223 Lohnarbeit gelten - die ökonomische Notwendigkeit, die sich aus abwesenden oder nur temporär beschäftigten Vätern ergäbe. 933 Dass auf diese Weise die Vollzeitbeschäftigung von Müttern legitimiert werden konnte, war zeitgenössisch überhaupt nicht selbstverständlich. Vorstellungen weiblicher Häuslichkeit wurden hier unter anderem durch Konzepte von Normalarbeitsverhältnissen und ökonomischer Produktivität gebrochen. 934 Gerade der geringe soziale Status, der diesen Müttern zugewiesen wurde, trug dazu bei, ihre Lohnarbeit zu rechtfertigen. Wo Expert_innen bei Müttern nicht die ökonomische Notwendigkeit fanden, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, wurden arbeitende Mütter als egoistisch und allzu sehr an Statusobjekten interessiert präsentiert. 935 Ein 1950 im Parents’ Magazine veröffentlichter Artikel beispielsweise warnte Mütter davor, nur deshalb arbeiten zu gehen, um mit den Nachbarn mithalten zu können. 936 Die Versorgung einer Familie kam dieser Autorin als Grund dafür, dass eine Mutter arbeitete, gar nicht in den Sinn. Interessanterweise ließ sie aber ein anderes Argument gelten, das im Kontext therapeutischer Narrative in der US- Nachkriegszeit Bedeutung erlangte: Mütterliche Lohnarbeit wurde demnach dann als legitim begriffen, wenn sie weder als Ausdruck eines übermäßigen Strebens nach materiellen Werten, noch als Alltagsflucht fungierte, sondern zum psychischen Wohlbefinden der Mutter beitrug und ihr ermöglichte, eine „bessere Mutter“ zu werden. 937 Über die Frage der Lohnarbeit hinaus, aber nichtsdestotrotz eng mit ihr verknüpft, identifizierten die Gluecks weitere, delinquenzfördernde Fehler im Verhalten von Müttern. Eine problematische Strukturlosigkeit fand das Kriminologenpaar nämlich auch in der Haushaltsführung von Müttern delinquenter Kinder: 933 Glueck/ Glueck: „Working Mothers and Delinquency“, S. 45, 47. 934 Als negative Folie für arbeitende Mütter erschienen in den 1960er Jahren solche Mütter, die die väterliche Abwesenheit vermeintlich nicht durch Arbeitstätigkeit kompensierten (dazu Finzsch: „Gouvernementalität“). So wurde 1967 etwa gesetzlich festgelegt, dass Sozialhilfe empfangende Mütter zur Aufnahme eine Arbeit gezwungen werden konnten (Robert H. Bremner: „Other People’s Children“, in: Journal of Social History 16/ 3 [1983], S. 83-103, hier S. 90). 935 Vgl. z. B. die Stellungnahme von Joseph Schieder, Youth Division, National Catholic Welfare Conference, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 3, S. 482. 936 Ruth Schley Goldman: „Should A Mother Work? “, in: Parents’ Magazine 25/ 9 (1950), S. 40- 41, 138-142, hier S. 40. Diese Vorwurf war zur Jahrhundertmitte bereits tradiert (dazu Susan J. Matt: Keeping Up With the Joneses. Envy in American Consumer Society, 1890-1930. Philadelphia: Univ. of Pennsylvania Press, 2003). 937 Schley Goldman: „Should A Mother Work“, S. 40. Dieses Narrativ spielte etwa in Betty Friedans bürgerlich-feministischem Bestseller The Feminine Mystique eine Rolle (Betty Friedan: The Feminine Mystique. New York: Dell, 1963. Dazu Joanne Meyerowitz: „Beyond the Feminine Mystique: A Reassessment of Postwar Mass Culture, 1946-1958“, in: dies.: Not June Cleaver, S. 229-262, hier z. B. S. 230). <?page no="225"?> 224 „[T]here was actually nothing that might resemble budgeting such as laying aside a certain amount for food or rent, savings or insurance, or allowance to children. […] There was not a specific hour for meals. There was not a specific time to go to bed. There was not a specific time for homework. In other words, the children were able to just come and go […].“ 938 Auf diese Weise beschrieben sie diese Mütter als unfähig, mit dem Haushaltsgeld umzugehen und für den geregelten Tagesablauf ihrer Kinder zu sorgen. Schlimmer noch, auch die Lebensweise der Mütter schien darauf hinzudeuten, dass in diesen Familien keine rechte Kindererziehung vonstattengehen konnte: Fünfzig Prozent der Mütter delinquenter Jungen, konstatierten die Gluecks, seien selbst delinquent gewesen, während dies nur bei 15 Prozent der Mütter nicht delinquenter Jungen der Fall gewesen sei. 939 Damit suggerierten die Gluecks, dass sich delinquentes Verhalten gleichsam vererbe. Das Kriminologenpaar hatte sich in seiner Studie nur auf weiße, sozial benachteiligte Familien bezogen; im Laufe der 1950er Jahre wurden allerdings vor allem afroamerikanische Familien diskursiv zu paradigmatischen Orten der Hervorbringung von Delinquenz gemacht. Armut und die oben beschriebenen Zeichen mütterlicher Nachlässigkeit gingen in diesem Zeitraum eine äußerst enge diskursive Bindung ein und fungierten als Codes für schwarze Familien. Wie diese Zuweisung praktisch funktionierte, zeigt beispielsweise eine Untersuchung, die das New Yorker Youth Board ab 1952 durchführte. Zu Beginn operierte diese Studie auf Grundlage der originären „prediction tables“ der Gluecks, die nach väterlicher Disziplin und mütterlicher Beaufsichtigung unterschieden. Nach etwa zehn Jahren jedoch modifizierte man die Untersuchungskategorien, weil das Youth Board diagnostizierte, in den meisten afroamerikanischen Familien seien Väter gar nicht anwesend. Die Kategorie familiärer Disziplin wurde nun mit Bezug auf die Mutter abgefragt. 940 Unter anderem auf diese Weise wurde das Problem mütterlicher Nachlässigkeit verstärkt mit afroamerikanischen Familien in Verbindung gebracht. Broken Homes und die Rassialisierung von Liebesfähigkeit Abwesende Väter und nachlässige Mütter standen in der Delinquency Scare zunehmend für eine Kombination aus Armut, fehlender Selbstkontrolle und psychologischen Defiziten von Jugendlichen und Erwachsenen, die nahezu zwangsläufig in Delinquenz resultierte. Ebony schrieb 1961 beispielsweise über den typischen Schulabbrecher: „With a working mother and a missing father, 938 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 87. 939 Ebd., S. 85. 940 Waltzer: Uneasy Idealism. S. 134f. <?page no="226"?> 225 home is the street and the gang his family.“ 941 Derart als problematisch gezeichnete Familien wurden im Signifikanten des broken home zusammengefasst. Der Begriff wurde zu einer wieder und wieder aufgeführten Problembeschreibung, die auf jugendliche Delinquenz, aber auch etwa auf „Verwahrlosung“ und sogar körperliche Behinderung verweisen konnte. Dabei kennzeichnete broken home vorrangig vermeintlich abwesende Väter und wurde von Zeitgenoss_innen häufig mit afroamerikanischen Familien verknüpft. 942 Der Signifikant ging in seiner Produktivität aber noch darüber hinaus. Er nahm im Delinquenzdispositiv universelle Einsetzbarkeit an, um alle Familien zu charakterisieren, die als problematisch galten. Dabei entleerte sich der Signifikant und das, was mit dem Begriff beschrieben wurde, wurde zunehmend ungenau, aber gerade darüber umso wirkungsmächtiger. Dies zeigt sich beispielsweise an der Art und Weise, in der in den Anhörungen des Senate Subcommittee über Familien von Native Americans in den Reservaten gesprochen wurde. Der Ausschuss befragte einen Sozialarbeiter zu jugendlicher Delinquenz in den Reservaten und wollte wissen, ob „breakdowns in the home“ sich sowohl auf „broken homes“ als auch auf „parental responsibility“ zurückführen ließen. Was diese drei Attribute hier konkret bedeuteten und inwiefern sie voneinander unterschieden wurden, blieb in den Ausführungen des Sozialarbeiters unklar - sie schienen für sich genommen eine starke Aussagekraft zu haben. Deutlich allerdings wurde, dass es um zutiefst „zerrütteten“ Familienverhältnisse und Armut ging und jugendliche Delinquenz als logische Konsequenz davon erschien. 943 Von spezifischen elterlichen Problemfiguren war hier nicht die Rede; für das Verständnis des Problems schienen die knappen Angaben ausreichend zu sein. Vor allem ein Aspekt der Produktivität von broken homes soll hier betont werden, der sich als emotionale Regierung von Familien bezeichnen lässt. Den problematisierten Familien wurden nämlich bestimmte, in der Kindererziehung unabdingbare, emotionale Kompetenzen abgesprochen. So bemängelten die Gluecks beispielsweise, den Familien delinquenter Jungen fehle der „Familienstolz“ und „Selbstrespekt“. Waren Mittelklasse-Eltern kritisiert worden, weil sie sich zu sehr um das Urteil ihrer Nachbarn kümmern würden, empfand man in 941 Anon.: „The Tragedy of Drop-Outs“, S. 48. Der Bezug auf Gangs als Kompensation „dysfunktionaler“ Familien verweist auf Vorstellungen delinquenter Gangs, die in Abschnitt III.1 dieses Buches diskutiert werden. 942 Vgl. z. B. die Stellungnahmen von Gill und den Gluecks in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 40 (Gill), 81 (Gluecks); Stellungnahme von Tappan in: ebd., Pt. 2, S. 338; Glueck/ Glueck: „Working Mothers and Delinquency“, S. 47. 943 U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency (Indians). Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 83rd Cong., 2nd Sess., 11.-14. Oktober 1954. Washington, DC: Government Printing Office, 1954, S. 112f., 122. Diese Anhörungen bilden einen der wenigen Orte der Delinquency Scare, an denen explizit auf Native Americans eingegangen wurde. <?page no="227"?> 226 Bezug auf sozial benachteiligte Familien eher ein diesbezügliches Desinteresse als Problem. Neunzig Prozent der Familien delinquenter Jungen seien nicht einmal peinlich berührt angesichts der Delinquenz ihres Kindes, stellten die Gluecks fest. Für sie war dies ein Zeichen mangelnden „familiären Zusammenhalts“ sowie „schwacher emotionaler Bindungen“ zwischen Eltern und Kindern, aber auch zwischen den Ehepartner_innen: „Six out of ten parents of these children did not love each other. […] But where you have homes where there is little affection between the parents, where there is separation and divorce, perhaps the result in terms of the delinquency of the children is not too surprising.“ 944 Eine Scheidung der Eltern schien vor allem dann in Delinquenz zu resultieren, wenn sie auf „emotionale Störungen“ zurückging. In einem Brief an eine Journalistin schrieb Eleanor Glueck im Dezember 1946, zwar gebe es ähnliche Scheidungszahlen in beiden Gruppen von Haushalten, aber in den Familien delinquenter Jungen gebe es deutlich mehr Fälle, in denen die elterliche Scheidung auf grundsätzlichen familiären „Disharmonie[n]“ beruhe. 945 Gefühle kristallisierten sich in den Ausführungen der Gluecks als entscheidende Faktoren heraus, über die das Risiko jugendlicher Delinquenz bestimmt werden konnte. Und die Diagnose mangelnder Liebe wurde darüber rassialisiert, dass sie eng mit broken homes verknüpft wurde. In Ebony hieß es etwa 1960: „[A] history of broken homes, weak father figures and working mothers has lefts its mark on the personality of Negro men and women. These cultural factors make it more difficult for men and women to give of themselves in a mature, love relationship.“ 946 Diese vermeintliche Unfähigkeit zu lieben bildete ein zentrales Element in der Pathologisierung afroamerikanischer Familien, wie sich etwa auch im Moynihan-Report zeigte. Moynihan zitierte hier den Soziologen E. Franklin Frazier, der in der Vernachlässigung der „emotionalen Bedürfnisse“ von Kindern ein nahezu systemisches Merkmal schwarzer Familien fand. 947 In die Äquivalenzkette von fehlenden Vätern und „schwachen“ Familienstrukturen wurden mangelnde emotionale Kompetenzen eingelassen und als Chiffre für afroamerikanische Familien etabliert. In Abgrenzung dazu und gerade eingedenk der zeitgenössischen Kontur „überfürsorglicher“ Mütter konnte Liebe so als, wenn auch problembehaftete, Qualität vor allem weißer Mittelklasse-Familien gelesen werden. 944 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 87-89. 945 Eleanor T. Glueck an Helen Robinson, 19. Dezember 1946, Glueck Papers, Box 30. 946 Anon.: „How to Tell When You Are in Love“, in: Ebony 15/ 6 (1960), S. 108-114, hier S. 110. 947 U.S. Department of Labor: The Negro Family, S. 94. <?page no="228"?> 227 2.2 Familiar Problems: Delinquente Jugendliche Wo Eltern vermeintlich scheiterten, schien Delinquenz in den Nachkriegsdekaden nicht weit. Im Folgenden geht es ausgiebiger darum, wie in der Delinquency Scare paradigmatische Formen familiär hervorgebrachter Delinquenz produziert wurden. Dabei zeigt sich erneut die Partikularität von juvenile delinquency: Erstens schienen bestimmte Formen jugendlicher Delinquenz typisch für spezifische Familien und gesellschaftliche Gruppen zu sein, wie ich etwa am Beispiel sexueller Delinquenz zeigen werde. Zweitens galten delinquente Verhaltensweisen nicht per se als problematisch. Am Rande des Delinquenzdiskurses entstand eine Form jugendlicher Auflehnung, die als kulturell erwünschte Rebellion begriffen wurde. „Improper relations in the living room“ und „teen age love clubs“: Sexuelle Delinquenz 1951 verfasste die Polizistin Gladys Cooke einen Artikel für LOOK mit dem Titel „Teen-age Vice Begins at Home“. Hier berichtete sie von zwei Mädchen, die zusammen mit elf Jungen eine Party veranstaltet, Bier getrunken und Sex gehabt hätten: „[The girls] confessed to sex experiences which appalled even our veteran policewomen“, erzählte Cooke. 948 Besonders bemerkenswert für sie war die soziale Herkunft der beschriebenen Mädchen: „Joan and Grace were not girls of the slums. They were daughters of ‘fine’ families in one of the better districts of the city.“ Trotzdem fand Cooke den Auslöser des Problems im Zuhause der Mädchen: Die Eltern der beiden hätten sich nicht darum gekümmert, ihren Töchtern ein „zufriedenstellendes Sozialleben“ zu ermöglichen. Daraufhin hätten die Mädchen beschlossen, sich als Babysitter zu verdingen, um sich mit anderen treffen zu können. „Finally“, fasste Cooke das Ergebnis dieser Entwicklung zusammen, „it wasn’t unusual for Joan and Grace each to call in two or three boys in one evening to have improper relations in the living room [...]“. 949 Es ist auffällig, dass weibliche Jugendliche - wenn explizit von Ihnen gesprochen wurde - in der Delinquency Scare vor allem als sexuell delinquent auftauchten. 950 948 Gladys Cooke: „Teen-Age Vice Begins at Home“, in: LOOK 15/ 23 (1951), S. 66-67, hier S. 66. 949 Ebd. 950 Vgl. z. B. Leonard Coulter: „Case of A Teen-Age Bad Girl“, in: LOOK 15/ 21 (1951), S. 47- 48; Stellungnahmen von Martha Eliot und Marie Carter in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 12 (Eliot), 128 (Carter). Zu den Verhandlungen weiblicher Delinquenz in der Delinquency Scare Regina Kunzel: „White Neurosis, Black Pathology. Constructing Out-of- Wedlock Pregnancy in the Wartime and Postwar United States“, in: Meyerowitz: Not June Cleaver, S. 304-334; Devlin: „Female Juvenile Delinquency“; Mary Louise Adams: The <?page no="229"?> 228 Ich zeige im Folgenden, wie sexuelle Devianz entlang der Kategorien Geschlecht, Klasse und „Rasse“ entweder als individuelle Störung oder Ausdruck einer kollektiven Pathologie begriffen werden konnte. Außerdem skizziere ich vor diesem Hintergrund, auf welche Weise Diskurse zu Sexualerziehung und Homosexualität morality als Fluchtpunkt einer „normalen“, adoleszenten Entwicklung etablierten. Die Geschichte von Joan und Grace ist beispielhaft für ein häufiges Narrativ weiblicher Delinquenz. Bei Mädchen schien sich familiäre Vernachlässigung primär in sexueller Auffälligkeit auszudrücken. Einen Monat vor Cookes Text erschien ein ähnlicher Artikel in LOOK, der die Geschichte einer Janice M. als „typisch für tausende Mädchen in Schwierigkeiten“ bezeichnete. Im Alter von fünf Jahren sei Janices Familie „zerbrochen“ - auch hier wurde der Signifikant des broken home verwendet, um Vaterlosigkeit zu beschreiben. Weil ihre Mutter sich nicht um sie gekümmert habe, habe Janice die Zuneigung von Männern gesucht und sich schnell den Ruf eines „leichten Mädchens“ erworben. 951 In Narrativen wie diesem brachten sexuelle Aktivitäten weibliche Jugendliche gefährlich nah an die Prostitution heran: Der Jugendrichter, dem Janice schließlich vorgeführt wurde, bezeichnete sie als „hartes, verbittertes Mädchen“, das auf dem Weg in „ernsthafte Schwierigkeiten, vielleicht [sogar in die] Prostitution“ sei. 952 Janis tauchte als vaterloses Kind auf, aber der „moralische Verfall“ weiblicher Jugendlicher fungierte als Schreckensszenario, das auch vermeintlich intakte Familien treffen könne. Cooke etwa berichtete von einem Fall, in dem eine Gruppe von Mädchen beim Ladendiebstahl erwischt worden war. Die Eltern der meisten Mädchen hätten im Anschluss daran ihre Verantwortung erkannt. Ein Mädchen aber, dessen Eltern sich geweigert hatten, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, sei daraufhin auf die schiefe Bahn geraten. Zwei Jahre später habe das FBI sie als Prostituierte aufgegriffen; sie habe Gonorrhoe, Syphilis und Tuberkulose gehabt. „Not a social asset to her ambitious mother“, stellte Cooke fatalistisch fest. 953 Solche Figuren sexuell „umtriebiger“ Mädchen waren kein neues Phänomen der Nachkriegszeit, sondern hatten Narrative vom rechten Weg abkommender, weiblicher Jugendlicher stets begleitet. 954 Ein wichtiges Trouble With Normal. Postwar Youth and the Making of Heterosexuality. Toronto u. a.: Univ. of Toronto Press, 2003 [1997], insbes. Kapitel 4; Devlin: Relative Intimacy, insbes. Kapitel 2 und 3. Bezeichnenderweise spielt dieser Diskursstrang weder bei Gilbert (Gilbert: Cycle of Outrage) noch bei Waltzer (Waltzer: Uneasy Idealism), geschweige denn bei Kurme (Kurme: Halbstarke) eine größere Rolle. 951 Coulter: „Case of A Teen-Age Bad Girl“, S. 47. 952 Ebd., S. 47. 953 Cooke: „Teen-Age Vice Begins at Home“, S. 67. 954 Während im 19. Jahrhundert etwa Prostituierte als passive, von Männern verführte „fallen women“ auftauchten, transformierte sich das Narrativ zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aus den eigentlich schuldlosen, verführten Mädchen wurden aktiver agierende „problem girls“, die, so das Narrativ, nicht der „Rettung“, sondern der psychiatrischen oder juristischen <?page no="230"?> 229 Element dabei war die Bedrohung durch sexuell übertragbare Krankheiten, die von diesen Mädchen auszugehen schien und vor allem in den beiden Weltkriegen Gegenstand großer Sorge war. 955 Dabei war die Darstellung von Joan, Grace und Janis aber auch durch einen Aspekt bestimmt, der im Gegensatz zu früheren Repräsentationen weiblicher Delinquenz stand: Das Verhalten der drei Mädchen wird in dieser Erzählung nicht durch unkontrollierbare sexuelle Triebe, sondern durch emotionale Störungen ausgelöst. Die Suche nach einem abwechslungsreichen Sozialleben und di e Fl uc ht a us d er e m ot io n ale n Ve rn ac h läs si gu ng s te he n hi er i m V or de rgr un d. Dadurch wurde in den Geschichten der drei Mädchen ein wesentlich größeres Gewicht auf die Rolle der Eltern gelegt. Laut der Historikerin Rachel Devlin machte es eine solche psychoanalytische Konzeption weiblicher Delinquenz möglich, das Verhalten weiblicher Jugendlicher als Reaktion auf familiäre Defizite zu begreifen und es auf diese Weise auf den familiären Rahmen einzugrenzen. 956 Dies hatte auch Konsequenzen für den Umgang mit solchen Delinquentinnen. In der Geschichte über Janice hieß es etwa, das Mädchen sei in eine Einrichtung für „emotional gestörte“ Jugendliche gebracht worden, die in kleinen, familiären Cottages organisiert sei. Dort gäbe es keine „Wachen, verriegelte Fenster oder verschlossene Türen“, erzählte der Autor begeistert und schilderte, welch heilsamen Einfluss dies auf das Mädchen gehabt habe. Weil ihre „cottage parents“ ihr mit viel Verständnis und Zuwendung begegnet seien, sei Janice bald emotional soweit wiederhergestellt worden, dass sie die Einrichtung verlassen konnte. Der Text präsentierte die Geschichte des Mädchens als Beispiel dafür, dass „sogenannte delinquente Kinder [gerettet]“ werden könnten, bevor sie sich „zu Kriminellen [entwickeln]“ würden. 957 So problematisch weibliche sexuelle Delinquenz erschien, ihre Darstellung war häufig begleitet von einer solchen hoffnungsvollen Erzählung. Aber nicht alle sexuellen Delinquent_innen ließen sich so leicht „retten“. Im folgenden Beispiel erschien Sexualität nicht primär als Zeichen emotionaler Vernachlässigung, sondern als Symptom einer profunden, nahezu irreversiblen psychischen Störung. Der Journalist und Autor John Bartlow Martin berichtete 1968 für LOOK von der „True Personal Story of A Youthful Sex Killer“. Der 18-jährige Ronald Marrone war für schuldig befunden worden, die drei Jahre jüngere Ruth Zeidler Behandlung bedürften (Regina Kunzel: Fallen Women, Problem Girls. Unmarried Mothers and the Professionalization of Social Work, 1890-1945. New Haven: Yale Univ. Press, 1993; Devlin: Relative Intimacy, S. 66). 955 Zu Kampagnen gegen Promiskuität und Geschlechtskrankheiten während des Ersten Weltkriegs Odem: Delinquent Daughters, S. 121-127. Diesbezüglich zum Zweiten Weltkrieg Marilyn E. Hegarty: Victory Girls, Khaki-Whackies, and Patriotutes. The Regulation of Female Sexuality during World War II. New York: New York Univ. Press, 2008. 956 Devlin: „Female Juvenile Delinquency“, S. 85. 957 Coulter: „Case of A Teen-Age Bad Girl“, S. 47f. <?page no="231"?> 230 vergewaltigt und erwürgt zu haben. Obwohl Martin die unglückliche Kindheit von Ronalds Mutter, ihre Scheidung und spätere Arbeitstätigkeit problematisierte, zielte sein Text auf eine andere Begründung für Ronalds Verhalten. Der Autor entfaltete Marrones Lebensgeschichte als Geschichte einer bereits im Kleinkindalter entwickelten Persönlichkeitsstörung. Schon in jungen Jahren habe Ronald etwa beim Nachbarn Feuer gelegt. Ein früherer Übergriff, bei dem ein kleines Mädchen im Wald entkleidet worden war, sei zudem mit dem damals 13-Jährigen in Verbindung gebracht worden. Zudem sei ein Verwandter von Ronald ebenfalls in einer psychiatrischen Anstalt gewesen und auch er selbst habe im Alter von 15 Jahren einen Monat in einer Jugendpsychiatrie verbracht. Obwohl man ihm dort eine Schizophrenie diagnostizierte, habe Ronald die Klinik auf Wunsch seiner Eltern wieder verlassen. Martin betrachtete dies als großes Versäumnis vor allem der „überfürsorglichen Mutter“, betonte aber, dass Ronalds schwere, psychiatrische „Störung“ - nicht das mütterliche Verhalten - die Hauptursache für seine Taten gewesen sei. 958 Interessanterweise scheint Martins Text trotzdem als Erzählung mütterlichen Versagens gelesen worden zu sein. Unter den Leserbriefen, die als Reaktion auf den Artikel in LOOK abgedruckt wurden, fand sich der einer Mutter, die ihre Situation in dem Bericht wiedererkannte und schrieb: „I was firmly convinced I was the perfect mother and the entire problem was my child. After the first session with the psychiatrist (myself the patient), I came face to face with the problem... In many cases where there is a disturbed child, you can lay the origin of the trouble at the door of the devoted but emotionally unstable mother.“ 959 Dass die Verfasserin die Schuld der Mutter in einem Kontext erkannte, in dem sie ihr nicht primär zugewiesen wurde, zeigt den diskursiven Sog von Narrativen fehlerhafter, instabiler Mütter. Die Darstellung von Ronalds Fall verdeutlicht aber noch etwas anderes. Während die Delinquenz der Mädchen vor allem in ihren sexuellen Handlungen ausgemacht wurde, taucht sexuelle Gewalt bei ihm eher als Element einer Reihe delinquenter Handlungen auf. Ronalds Tat wurde als Symptom einer tiefer liegenden, nicht nur sexuell konnotierten Persönlichkeitsstörung interpretiert, die sich auch in anderen Delikten äußerte. So war es diskursiv möglich, etwa Janice als rehabilitierbar vorzustellen und in Bezug auf Ronald primär die Grenzen psychiatrischer Behandlung hervorzuheben. Der Junge wurde als „unerreichbarer“ Jugendlicher präsentiert, dem auch Therapien nicht helfen konnten: Hier sei die Psychiatrie machtlos, schlussfolgerte der Artikel unter Bezug- 958 John Bartlow Martin: „The Strange Boy. The True Personal Story of A Youthful Sex Killer“, in: LOOK 22/ 16 (1958), S. 68-77. 959 Dorothy Rubens Binsky, Baltimore, MA, an LOOK, „Letters to the Editor“, in: LOOK 22/ 19 (1958), S. 14. Dazu Mackert: „Danger and Progress“, S. 215. <?page no="232"?> 231 nahme auf Ronalds Psychiater. 960 Auch dieser Aspekt führte übrigens zu Diskussionen auf den Leserbriefseiten von LOOK. Während eine Leserin ihre Verwunderung darüber äußerte, dass man überhaupt noch darüber nachdachte, wie Ronald geholfen werden konnte, und für ihn die Todesstrafe forderte, hob eine andere die Notwendigkeit seiner Rehabilitation hervor. Ungeachtet der Einschätzung von Ronalds Psychiater betrachtete sie es als „Schande“, dass ein Junge wie Ronald keine angemessene Behandlung erfahren und stattdessen ins Gefängnis gesteckt werden würde. 961 Ein weiterer Unterschied zu den Darstellungen von Joan, Grace und Janis zeigt sich in der Gewalttätigkeit der Delikte, die Ronald vorgeworfen wurden. Im Gegensatz dazu schien weibliche Delinquenz weniger augenfällig zu sein, wie beispielsweise Jugendrichter Gill vor dem Subcommittee konstatierte: „[T]he type of problems that we usually find in girls are not readily discovered and therefore are not readily brought to the court’s attention.“ 962 Zwar blieb Gill eine Erklärung schuldig, weshalb die Probleme von Mädchen schwieriger zu entdecken seien, mit seiner Beteuerung verortete er Mädchen und deren Delinquenz aber primär in einer inneren, häuslichen Sphäre. Auf diese schienen Jugendgerichte keinen so direkten Zugang zu haben, wie auf die Delikte von Jungen, die eher im öffentlichen Raum lokalisiert wurden. In der Überschreitung dieser häuslichen Sphäre bestand allerdings auch die Bedrohung, die man mit weiblicher Delinquenz verband. Die Polizistin Cooke, die in ihrem Artikel ausschließlich von weiblichen Teenagern sprach, mahnte etwa: „It should be the one strong aim of parents to keep the children busy and interested at home.“ 963 Joan, Grace und Janice wurden im Gegensatz zu den drei Jungen zudem nur mit Vornamen genannt und blieben so im familiären Kontext verortet, während die volle Namensnennung Ronald Marrone zu einer öffentlichen Person machte. Gleichzeitig kann dies aber auch ein Verweis darauf sein, dass die Mädchen als stellvertretend für viele Mädchen betrachtet und die Gefahr einer familiär verursachten sexuellen Delinquenz damit als allgegenwärtig inszeniert wurde. Es ist ausgesprochen bedeutsam, dass alle in diesem Abschnitt verhandelten Jugendlichen weiß und, bis auf Janice, bürgerlich markiert waren. Trotz der Unterschiede in der Charakterisierung weiblicher und männlicher sexueller Delinquenz zeigt die Darstellung dieser Jugendlichen insgesamt eine starke Konzentration auf individualpsychologische Erklärungen - laut Devlin ein zentrales Charakteristikum der Verhandlungen weißer Mittelklasse-Delinquenz. 964 960 Martin: „The Strange Boy“, S. 76. 961 Mrs. M. J. Miller, Wellesley, MA, an LOOK, „Letters to the Editor“, in: LOOK 22/ 19 (1958), S. 14; Mrs. Charles E. Smith, Springfield, IL, an LOOK (ebd.). 962 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 34. 963 Cooke: „Teen-Age Vice Begins at Home“, S. 67 (Hervorhebung i. O.). 964 Devlin: „Female Juvenile Delinquency“, S. 100. <?page no="233"?> 232 Im Gegensatz dazu wurden dort, wo es um die Sexualität nicht-weißer, sozial benachteiligter Jugendlicher ging, selten komplexe individuelle Diagnosen erstellt, sondern soziokulturelle Erklärungsmuster herangezogen, um den „moralischen Verfall“ ganzer Gruppen von Jugendlichen zu konturieren - wie das folgende Beispiel veranschaulicht. Im April 1952 berichtete Ebony alarmierend von „teen-age love clubs“, in denen „schockierende Sexorgien“ stattfänden. Solche Orte hätten sich in „Dutzenden Städten quer durch die Nation“ etabliert. Der Artikel konzentrierte sich auf vor allem schwarze, aber auch einige weiße Mädchen, die in den „love clubs“ regelmäßig sexuelle Kontakte mit wechselnden Männern hätten. 965 Im Gegensatz zu den oben skizzierten Fällen weiblicher Delinquenz wurden die hier beschriebenen sexuellen Aktivitäten von Mädchen nicht als Einzelfälle, sondern als „new love club vogue“ bezeichnet. Ebony und beispielsweise auch LOOK stellten sie als Resultat der „moralischen Verkommenheit“ einer ganzen Generation Jugendlicher dar. 966 Dabei sprach Ebony zwar zunächst allgemein von den „Jugendlichen von heute“, eine Reihe kultureller Codes sorgte jedoch dafür, dass die Erzählung von Zeitgenoss_innen als Geschichte einer bestimmten Gruppe von Jugendlichen gelesen werden konnte. Der Artikel begründete die hohe Beteiligung afroamerikanischer Mädchen an den „love clubs“ in erster Linie mit familiärer Vernachlässigung und der Suche nach Zuneigung. Dieses Argument erinnert an die oben untersuchte Darstellung der sexuellen Delinquenz weißer Mädchen, umfasste aber ein Narrativ, das über individualpsychologische Erklärungen hinausging. Für die Polizistin Cooke war es ein überraschender Umstand gewesen, dass Joan und Grace aus äußerlich intakten, wohlhabenden Familien kamen. Wesentlich häufiger noch als diese standen mutmaßlich „dysfunktionale“ Familien in nicht-weißen Communities im Zentrum, wenn es um die sexuellen Aktivitäten weiblicher Jugendlicher ging. Freilich diagnostizierte man hier wie dort emotionale, mit elterlicher Vernachlässigung verknüpfte Defizite, in letzterem Fall wurden diese aber mit einem vermeintlich grundsätzlicheren Problem verbunden: Während es in weißen Familien eher um individuelle „Störungen“ im familiären Gefüge ging, wies die Konstruktion „dysfunktionaler“ afroamerikanischer Familien der mutmaßlichen Delinquenz schwarzer Jugendlicher einen systemischen Charakter zu. So fand der Ebony-Artikel einen Hinweis auf die allgemein sinkende „jugendliche Moral“ in einer hohen Zahl unehelicher Schwangerschaften. 967 Diese wurden bei weißen Mädchen gerade im Laufe der 1940er und 1950er Jahre zunehmend auf individuelle psychische Probleme zurückgeführt und als Ausnahmen konturiert. Bei schwarzen Mädchen dagegen galten sie eher als problematischer Ausdruck sexueller Zügellosigkeit und der 965 Anon.: „Teen-Age Love Clubs“, in: Ebony 7/ 6 (1952), S. 83-88, hier S. 83, 84f. 966 Ebd., S. 83; Betty Betz: „Teen-age Morals: City vs. Small Town“, in: LOOK 15/ 13 (1951), S. 104-111. 967 Anon.: „Teen-Age Love Clubs“, S. 88. <?page no="234"?> 233 angeblichen, kollektiven Pathologie schwarzer Familien. Diese diskursive Formation erlaubte es laut der Historikerin Regina Kunzel, schwarze Jugendliche als sexuell besonders gefährlich zu inszenieren. 968 Denn vor dem Hintergrund der Angst vor „miscegenation“ speiste sich die rassistische Konstruktion von Blackness stark aus dem Narrativ einer vermeintlichen Triebhaftigkeit, die sich bei schwarzen Frauen in Promiskuität äußern würde. 969 Einerseits verwies der Ebony-Artikel auf solche Narrative, indem er die beteiligten Mädchen als „oversexed“ porträtierte und explizit erwähnte, dass in den Clubs auch „interracial sex“ praktiziert werden würde. 970 Darüber konnte das Magazin das Gefahrenpotenzial der „love clubs“ verdeutlichen. Andererseits brach der Text in diesem Kontext aber auch mit stereotypen Darstellungen schwarzer weiblicher Sexualität. Denn diejenigen, denen das Magazin eine aktive, willentliche Partizipation an den „Sexorgien“ und sogar die Organisation der Treffen zuschrieb, wurden als weiße Mädchen markiert. 971 Diese Spannung lässt sich möglicherweise vor dem Hintergrund der Rolle von Ebony in den Hegemoniekämpfen der Bürgerrechtsbewegung erfassen. Der Historiker Thaddeus Russell beobachtet einen Wandel in der Berichterstattung der Zeitschrift im Laufe der 1950er Jahre. Demnach veröffentlichte das Magazin bis Mitte der Dekade verhältnismäßig häufig Artikel zu Homo- und auch Transsexualität. Nach Brown v. Board of Education verschwanden diese Themen allerdings zunehmend aus der Zeitschrift und machten Platz für Artikel über Familienleben, Ehe und Kinder. Russell begreift dies als diskursive Strategie der Einschreibung in vorherrschende Konzepte von Sexualität und „normalen“ Familien. 972 Der Text zu den „love clubs“ erschien zwar vor Brown, aber auch hier sind, wenn auch widersprüchliche, Anzeichen zu erkennen, die Pathologisierung afroamerikanischer Mädchen zu konterkarieren, indem ihnen eine weniger aktive Rolle zugewiesen wurde. 973 Nichtsdestotrotz beteiligte sich der Artikel an der Konstruktion einer problematischen Tradition. Denn die „love clubs“ waren für Ebony Resultat einer sexuellen Sozialisation, die sowohl für schwarze als auch für weiße Jugendliche wesentlich früher begänne als in der Vergangenheit. „Dating now begins as early as 12“, konstatierte das Magazin, „when children a generation ago were still playing house with dolls and skipping rope on the sidewalk“. Die Sexualerzie- 968 Kunzel: „White Neurosis, Black Pathology“, S. 313ff. Dazu auch Solinger: Single Pregnancy and Race Before Roe v. Wade. 969 Vgl. z. B. U.S. Department of Labor: The Negro Family. Zur Geschichte dieser Narrative Hodes: White Women, Black Men; Feldstein: Motherhood in Black and White; Sielke: Reading Rape; Pascoe: Miscegenation Law and the Making of Race. 970 Anon.: „Teen-Age Love Clubs“, S. 84-86. 971 Ebd., S. 84f. 972 Russell: „The Color of Discipline“, S. 114. 973 Vgl. anon.: „Teen-Age Love Clubs“, S. 86. <?page no="235"?> 234 hung setze dabei verhältnismäßig spät ein, durchschnittlich im Alter von 15,7 Jahren. Alleingelassen in ihrer adoleszenten Entwicklung, würden sich Jugendliche daher den „love clubs“ zuwenden. 974 Eng verknüpft mit der Konstruktion sexueller Delinquenz waren also - und darum geht es im Folgenden - Verhandlungen einer zeitgemäßen Sexualerziehung. Sexualerziehung und die Fallstricke der sexuellen Entwicklung Entgegen historischer Diagnosen von der Repressivität der 1950er Jahre war Sexualität in diesem Zeitraum ein breit verhandeltes Thema. So wurden Alfred Kinseys 1948 und 1953 erschienene Studien zur weiblichen und männlichen Sexualität beispielsweise ausgiebig rezipiert und gerade auch in Bezug auf Kinder diskutiert. 975 Die Delinquency Scare forderte Eltern auf, die Ausbildung einer „gesunden“ Haltung zu Sexualität in ihren Kindern sicherzustellen, um all die Gefahren zu bannen, die bei deren „unmoralischer Führung“ lauerten, also etwa Promiskuität und Geschlechtskrankheiten. Vor allem im Bereich jugendlicher Sexualerziehung diagnostizierten Expert_innen dringenden Handlungsbedarf. 976 Denn gerade die Unwissenheit Jugendlicher über die grundsätzlichen Fragen menschlicher Sexualität begriffen viele in freudianischer Weise als Problem, das für „unnatürliche“ und „kriminelle“ sexuelle Handlungen verantwortlich gemacht werden konnte. Hier wurden die vermeintlich „verklemmten“ Eltern in die Verantwortung genommen, die von der „natürlichen“ Neugier ihrer Kinder nicht selten überfordert seien. 977 Der National Parent-Teacher beispielsweise lobte in einem Artikel von 1950 jene Eltern, die mittlerweile verstanden hätten, dass man „offen“ und „teilnahmsvoll“ mit dem sexuellen Interesse der Kinder umgehen müsse. 978 Das Ideal der Offenheit, das Verhandlungen von Sexualaufklärung 974 Anon.: „Teen-Age Love Clubs“, S. 86. Dazu Schlossman/ Wallach: „The Crime of Precocious Sexuality“. 975 Vgl. Albert Deutsch: „What Dr. Kinsey is Up to Now! “, in: LOOK 22/ 10 (1951), S. 81-86; Lester A. Kirkendall: „What Kinsey Overlooked About Kids“, in: National Parent-Teacher 53/ 3 (1958), S. 12-14. Dazu Cuordileone: Manhood and American Political Culture in the Cold War, S. 82-86; Gilbert: Men in the Middle, insbes. Kap. 5. 976 Gomes: „Childrearing During the Cold War“; Susan K. Freeman: Sex Goes to School. Girls and Sex Education before the 1960s. Urbana: Univ. of Illinois Press, 2008; Janice M. Irvine: Talk About Sex. The Battles over Sex Education in the United States. Berkeley u. a.: Univ. of California Press, 2002. 977 Vgl. Milton I. Levine: „A Sound Design for Sex Education“, in: National Parent-Teacher 46/ 7 (1952), S. 7-9, hier S. 7. Dazu auch Gomes: „Childrearing During the Cold War“. Zur Verarbeitung freudscher Theorien in der Sexualerziehung Nathan G. Hale: Freud and the Americans, Vol. II. The Rise and Crisis of Psychoanalysis in the United States, 1917-1985. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 1995, Kap. 16. 978 Sidonie M. Gruenberg: „Evaluating Sex Education“, in: National Parent-Teacher 44/ 8 (1950), S. 24-26, hier S. 25. <?page no="236"?> 235 dominierte, hatte aber auch seine Grenzen. So warnten Expert_innen gleichzeitig, zu detaillierte Antworten auf die Fragen der Kinder könnten deren emotionale Entwicklung ebenfalls ernstlich stören. 979 Und auch das Ergebnis dieser Erziehung sollte freilich keinesfalls offen sein: „They should learn that it is normal and natural and right for men and women to love one another - to marry, to have a home and children“, formulierte es der Arzt Milton Levine im NPT. Ideale einer ehelich-reproduktiven Heterosexualität waren tief eingelassen in die Anleitungen einer „gesunden“ Sexualerziehung und wurden als ultimativ „moralisch“ normalisiert. 980 „[B]oys and girls should be taught to prefer morality“, verlangte ein Artikel im P.T.A. Magazine, der das Thema Geschlechtskrankheiten zu Beginn der 1960er Jahre einmal wieder in den Vordergrund rückte. Vor allem unter jungen Menschen hätten sich diese in der vergangenen Zeit wieder stärker verbreitet, woraus der Text eine „unmoralische sexuelle Führung“ der Jugendlichen ableitete. Nicht mehr nur Jugendliche der „Unterklassen“ würden sich mit Geschlechtskrankheiten infizieren, auch Teenager aus „guten Familien“ seien zunehmend betroffen. Nun seien die Eltern gefragt, ihren Kindern eine „gesunde“ Sexualmoral zu vermitteln. 981 Um ihnen dies zu erleichtern, versorgte etwa Levine Eltern mit Informationen über die sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Während sie im Alter von drei bis sechs Jahren begännen, ihre Sexualität zu entdecken, vermindere sich ihr Interesse daran im Alter zwischen sechs und elf wieder, erklärte der Arzt mit implizitem Anschluss an Freud. Dies sei das Alter, in dem Kinder sich am liebsten mit Geschlechtsgenoss_innen umgäben. Levine beeilte sich, den Leser_innen zu versichern, dass dies auch völlig „normal“ sei und später einem ausgeprägten Interesse am anderen Geschlecht weichen würde. 982 Nicht überraschend trug der Delinquenzdiskurs dazu bei, das hier ex negativo angedeutete homosexuelle Begehren zu pathologisieren. Gerade in den Nachkriegsdekaden wurden die Verknüpfung von Heterosexualität, reproduktiven Familien und US-amerikanischer Staatsbürgerschaft besonders dicht artikuliert. 983 Allerdings war die Verbindung von jugendlicher Delinquenz und Homosexualität äußerst komplex und erschöpfte sich keinesfalls darin, gleichge- 979 Z. B. Freda S. Kehm: „N.P.T. Quiz Program“, in: National Parent-Teacher 43/ 7 (1949), S. 20- 21, hier S. 20; Gruenberg: „Evaluating Sex Education“, S. 25. Carter hat gezeigt, wie die Vorstellung der „frank reticence“ eine zentrale Regel des rechten Sprechens über Sex bilden und sich damit eine scheinbar natürliche Verbindung von sexueller Selbstbeherrschung und Whiteness verdichten konnte (Carter: Heart of Whiteness, S. 122-127). 980 Levine: „A Sound Design for Sex Education“, S. 9; Carter: Heart of Whiteness, Kap. 2/ 3. 981 Celia S. Deschin: „Needed: A New Approach to the VD Problem“, in: The P.T.A. Magazine 57/ 6 (1963), S. 25-27, hier S. 26f. 982 Levine: „A Sound Design for Sex Education“, S. 8f. Dazu Irvine: Talk About Sex, S. 47. 983 Johnson: Lavender Scare; Canaday: Straight State, insbes. Kap. 4. <?page no="237"?> 236 schlechtliches Begehren per se als delinquent zu klassifizieren. Denn zunächst einmal wurde dies, wie bereits angeklungen ist, für eine bestimmte Phase der jugendlichen Entwicklung normalisiert. Der Psychoanalytiker Fritz Redl argumentierte 1955, es sei absolut „normal“ für ein adoleszentes Mädchen, sich „tomboyish“ zu verhalten, bevor sie sich vollständig in ihrer Weiblichkeit entwickelte. Ebenso suche ein männlicher Jugendlicher „natürlicherweise [...] intime Freundschaften“ mit Geschlechtsgenossen, aus der Scheu vor Kontakten mit dem anderen Geschlecht heraus. Dies aber seien vorübergehende Zustände. 984 Problematisch wurde es nach Ansicht von Expert_innen in dem Moment, in dem dieses Verhalten Bestand hätte. Dabei verknüpften sie das, was sie als weibliche und männliche Homosexualität diskutierten, auf unterschiedliche Weise mit jugendlicher Delinquenz. Sollte die „Tomboy“-Phase von Mädchen nicht abebben, drohte ihnen laut Redl, den Rest ihres Lebens in „missgünstiger Verachtung gegenüber Männern“ zu verbringen. 985 Hier erscheint allein die vergleichsweise passive Abweichung vom moralisch „richtigen“, heterosexuellen Leben als delinquent. In Bezug auf Jungen fürchtete Redl, dass diese die „Gesellschaft von Homosexuellen und Perversen suchen“ könnten; ihnen wies er also ein aktiveres Verhalten zu. 986 Indem die Ausbildung von Homosexualität in die Kindheit verlagert wurde, wiesen Expert_innen Eltern die Verantwortung dafür zu. Ein Artikel im Parents’ Magazine etwa war mit dem Hinweis versehen, das hier Dargestellte sei „von besonderem Interesse für VÄTER“ und betonte: „[T]he father is a prime mover in generating male homosexual problems.“ Hier brachte der Autor einen Mangel an väterlicher Kameradschaft mit „überfürsorglichen“ Müttern in Verbindung. In Bezug auf Mädchen wurde die Rolle des Vaters wiederum aus dieser Gleichung entfernt und der Autor identifizierte „herrische“ Mütter als nahezu alleinige Verantwortliche. 987 Der Diskurs zu jugendlicher Sexualentwicklung und potenziell drohender Delinquenz verpflichtete Eltern also, sich und ihre Kinder 984 Redl: „Who is Delinquent“, S. 6. 985 Ebd. Vgl. auch Irving Bieber: „What You Should Kow About Homosexuality“, in: Parents’ Magazine 41/ 5 (1966), S. 62, 104-107, hier S. 107. Zur zeitgenössischen Konstruktion der „alten Jungfer“ Robert J. Corber: Cold War Femme. Lesbianism, National Identity, and Hollywood Cinema. Durham/ London: Duke Univ. Press, 2011, insbes. S. 131ff. Lesbische Frauen wurden in der Nachkriegszeit aber auch als sexuell aggressiv präsentiert (Donna Penn: „The Sexualized Woman. The Lesbian, the Prostitute, and the Containment of Female Sexuality in Postwar America“, in Meyerowitz: Not June Cleaver, S. 358-381; Estelle B. Freedman: „The Prison Lesbian. Race, Class, and the Construction of the Aggressive Female Homosexual, 1915-1965“, in: Martha Hodes [Hg.]: Sex, Love, Race. Crossing Boundaries in North American History. New York/ London: New York Univ. Press, 1999, S. 423-443). 986 Redl: „Who is Delinquent“, S. 6. 987 Bieber: „What You Should Know About Homosexuality“, S. 62, 104, 107 (Großbuchstaben i. O.). <?page no="238"?> 237 auf eine „gesunde“ Art und Weise zu führen. 988 Dabei stand neben einer sexualkundlichen Wissensvermittlung vor allem eine angemessene emotionale Führung im Vordergrund, die allerdings reichlich nebulös entworfen wurde: Während die eben erwähnten Texte vor allem auf einen väterlichen Mangel und ein mütterliches Überangebot von Liebe und Schutz hinwiesen, war 1961 beispielsweise eine Studie erschienen, die vorstädtischen Familien insgesamt vorwarf, ihre Kinder durch ein Übermaß an Liebe zu verderben. 989 Allzu intensiv durfte also auch die väterliche Zuneigung nicht sein; wie bereits gezeigt wurde, verbanden Expert_innen dies mit dem vermeintlich schädlichen Mangel an „männlichen Strenge“. In der Analyse dieser Expertisen wird deutlich, dass sie trotz ihrer Pluralität und nicht selten Widersprüchlichkeit einen diskursiven Sog entfalten konnten, über den eine heterosexuelle Moral von einer delinquenten „Störung“ abgegrenzt und zu einer Frage der rechten elterlichen Erziehung gemacht wurde. Dabei präsentierte sich die Ausbildung von Heterosexualität als wichtiges Element des Erwachsenwerdens und damit als Zeichen von Reife. Maturity fungierte im Delinquenzdiskurs, wie der nächste Abschnitt verdeutlichen wird, als fluide Kategorie, über die delinquentes Verhalten in bestimmten Kontexten auch als gesellschaftlich erwünscht präsentiert werden konnte. „Positive Rebellion“: Delinquenz als demokratisches Versprechen Juvenile delinquency drückte mitnichten immer ein gesellschaftsgefährdendes Problem aus. Der Kriminologe Reckless beispielsweise bezeichnete „einen Großteil der Delinquenz“ 1954 als Ausdruck der Versuche Jugendlicher, Beschränkungen zu überwinden und sich individuell zu beweisen. Dies sei zwar „lästig“, aber doch ein „Fortschritt“ gegenüber einem „eingeschüchterten, unterworfenen [...] Selbst“. 990 Reckless Kommentar ist vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Kritik an Konformismus bedeutsam. Die Sorge vor einer übermäßigen Angepasstheit von vor allem männlichen, weißen US-Amerikanern spielte eine wichtige Rolle in der Delinquency Scare des Kalten Krieges. Denn darüber wurde es möglich, bestimmte Verkörperungen jugendlicher Delinquenz als legitime und sogar erwünschte Demonstrationen eines demokratischen Individualismus zu begreifen. 988 Darüber wurde auch begründet, warum Sexualerziehung primär im Elternhaus stattfinden sollte, was in den USA der Nachkriegszeit aber durchaus Gegenstand einer Kontroverse war (vgl. Gruenberg: „Evaluating Sex Education“, S. 26). 989 Richard E. Gordon/ Katherine K. Gordon/ Max Gunther: The Split-Level Trap. New York: B. Geis Associates, 1960, 141f. 990 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 220. <?page no="239"?> 238 Zeitgenoss_innen fanden einen allzu ausgeprägten Konformismus vor allem in den bürgerlichen Vorstädten. Die Gründe dafür werden etwa in einem 1958 im Parents’ Magazine veröffentlichten Artikel deutlich. Hier argumentierte die Autorin Helen Puner, Menschen in den Vorstädten hätten engere Beziehungen miteinander als in den Innenstädten und würden sich daher stärker aneinander messen. Puner betonte, dass ein gewisser Grad an gesellschaftlicher Integrität und Gruppenloyalität zwar zu befürworten sei, sich dort aber ins Negative verkehre. „Between ‘measuring up,’ ‘being accepted,’ ‘gaining recognition,’ improving the house and grounds as extensions of a family’s feeling of worth [...] - suburbanites find themselves too busy to find themselves as individuals.“ 991 Puner schrieb sich damit in eine zeitgenössische Kritik an gleichförmigen Vorstädten ein, die eng mit deren Funktion als Symbol ökonomischen Aufstiegs verknüpft war. Denn es war gerade die in Suburbia zur Schau gestellte Fähigkeit der Mittelklasse, sich Häuser mit Vorgärten, Autos und Kücheneinrichtungen leisten zu können, die die Vorstädte zeitgenössisch zu privilegierten Orten der Demonstration von Mittelklasse-Status machten. 992 Dieser Ausdruck eines prinzipiell begehrten sozialen Aufstiegs konnte vor dem Hintergrund antikonformistischer Kritik nun als Problem begriffen werden. So betrachtet schien sich das Leben in den Vereinigten Staaten nämlich nicht so sehr von der für die Sowjetunion diagnostizierten Gleichmacherei zu unterscheiden. Suburbia sei wie „Russia, only with money“, zitierte etwa der Autor William Whyte 1956 einen geläufigen Witz. 993 Gerade indem sich vorstädtische Mittelklasse-Eltern als erfolgreiche Konsument_innen inszenierten, schienen sie zudem nicht nur sich selbst, sondern besonders ihren Nachwuchs zu gefährden. Für Jugendliche sei der konformistische Druck in den Vorstädten besonders gefährlich, konstatierte eine Reihe von Artikeln in populären Magazinen zum Ende der 1950er Jahre. Diese argumentierten, das kompetitive, an materiellen Werten orientierte Streben nach Anpassung beeinträchtige die Ausbildung individueller Identitäten. 994 Und gerade eine stabile Identität wurde zeitgenössisch ja als zentraler Fluchtpunkt einer gesunden, adoleszenten Entwicklung verstanden. Dafür war es aber nach Ansicht etwa von Erikson nötig, eine „echte Spontaneität“ zu bewahren, um die adoleszente 991 Helen Puner: „Is it True What They Say About the Suburbs? “, in: Parents’ Magazine 33/ 7 (1958), S. 42-43, 96-97, hier S. 96f. 992 Medovoi: Rebels, S. 18, insbes. Kapitel 3 und 5. Dazu auch Kenneth T. Jackson: Crabgrass Frontier. The Suburbanization of the United States. New York: Oxford Univ. Press, 1985; May: Homeward Bound, S. 8-11, 22. 993 William Hollingsworth Whyte: The Organization Man. Philadelphia: Univ. of Pennsylvania Press, 2002 [1956], S. 280, zit. nach Hale: Nation of Outsiders, S. 39. Dazu auch Medovoi: Rebels, S. 20-24. 994 Paul J. Misner: „Stress and Strain in Suburbia“, in: National Parent-Teacher 52/ 4 (1957), S. 18-20; Robert Havighorst: „Is Youth Lost in the Wilds of Suburbia? “, in: National Parent- Teacher 52/ 5 (1958), S. 10-12; Puner: „Is it True What They Say About the Suburbs“. <?page no="240"?> 239 Identitätskrise meistern und psychisch „intakt“ bleiben zu können. Für Erikson war Konformismus daher sowohl Ursache als auch Symptom einer psychischen „Krankheit“. 995 Jugendliche Delinquenz wurde in diesem Kontext eng mit Konformismus verknüpft - und dies auf äußerst ambivalente Weise. Zum einen betrachtete etwa der Psychiater Robert Lindner Delinquenz als problematischen Ausdruck einer gestörten Psyche, als Zeichen dafür, dass die Individualität und Persönlichkeit Jugendlicher von der „Masse“ zerstört worden sei. 996 Zum anderen konnte Delinquenz in diesem Kontext auch genau andersherum interpretiert werden, nämlich als begrüßenswerte Rebellion gegen die mutmaßliche konformistische Bedrohung. So stellte beispielsweise der Tagungsband der Midcentury White House Conference on Children and Youth fest: „[R]ebellion is the attempt of a child or youth to maintain his integrity as a person, to defend his dignity as a unique personality when threatened, damaged, or denied that integrity and dignity by other persons.“ 997 Und der Psychologe Bettelheim sprach im Parents’ Magazine sogar von einem „Recht [auf] Rebellion“, das „gute“ Eltern anerkennen müssten. 998 Wie diese unterschiedlichen Entwürfe jugendlicher Delinquenz voneinander abgegrenzt wurden, lässt sich bei einem ausführlicheren Blick auf Lindners Arbeiten genauer erfassen. Denn auch für den Psychiater war Delinquenz nicht zwangsläufig ein Symptom von Angepasstheit und Identitätsverlust. Vielmehr erlaubte es seine Konzeption von „positiver Rebellion“, bestimmte Formen jugendlicher Delinquenz als Ausweg aus der Malaise zu denken. Entscheidend dabei war laut Lindner, ob das betreffende Verhalten auf gesellschaftlichen Fortschritt ausgerichtet oder Ausdruck eines von ihm als „primitiv“ bezeichneten „Protesttriebes“ seien. „The productive way toward nonconformity“, schrieb er, „is the way of positive rebellion, of protest that at once affirms the rebellious nature of man and the fundamental human values“. 999 Damit erhob Lindner erstens die grundsätzliche Anerkennung der US-amerikanischen Demokratie zu einem zentralen Merkmal akzeptabler und begrüßenswerter Rebellion. Denn die „fundamentalen menschlichen Werte“ fand er unter anderem in der Bill of Rights festgehalten, einem der Gründungsdokumente der Vereinigten Staaten. Zweitens wies Lindner diesem Protest, den er als „rebellion with a cause“ bezeichnete, eine besondere Reife zu, die er anderen rebellischen Handlun- 995 Erikson: Childhood and Society, S. 280. 996 Robert Mitchell Lindner: Must You Conform? New York: Rinehart, 1956, S. 11; ders.: Rebel Without a Cause. The Story of a Criminal Psychopath. New York: Grune and Stratton, 1944. 997 Edward A. Richards (Hg.): Proceedings of the Midcentury White House Conference on Children and Youth. Raleigh: Health Publications Institute, 1951, S. 243. 998 Bruno Bettelheim: „How To Ask the Right Questions About Your Child“, in: Parents’ Magazine 38/ 2 (1963), S. 58-59, 140-142. 999 Lindner: Must You Conform, S. 177, 188. Zum Folgenden auch Mackert: „Danger and Progress“. <?page no="241"?> 240 gen im gleichen Zuge absprach: „[M]aturity means positive rebellion, and [...] the mature person is the positive rebel.“ 1000 Diese Reife war in Lindners Entwurf nicht durch das Alter determiniert, sondern erschien vielmehr als eine altersübergreifende, psychosoziale Qualität, die Individuen in die Lage versetzte, gleichzeitig soziale Verantwortung und eigenständiges Denken zu demonstrieren. Damit kann seine Vorstellung von „positiver Rebellion“ als psychologisierter Entwurf guter Staatsbürgerschaft gesehen werden. Denn diese zeichnete sich seit der Aufklärung durch gerade diese Kombination von rational-autonomem Denken und gesellschaftlicher Konsensfähigkeit aus. 1001 Eine solche Verbindung von Individualismus und Integrität war durchaus anschlussfähig in einem historischen Moment, in dem die Lebensweise in Suburbia gleichzeitig begrüßt und in Frage gestellt wurde. Die Parents’ Magazine-Autorin Puner etwa begriff die „Wiederentdeckung von Persönlichkeit“ als Ausweg aus der diagnostizierten Malaise des Konformismus. Dies könne aber weder durch die Ablehnung von Individualismus noch durch die Verweigerung von Anpassung geschehen: „[I]t must grow out of a wise balance of those values that make it possible for us to protect the genius of our own souls at the same time that we are recognizing our responsibilities to those among whom we live.“ 1002 Vor diesem Hintergrund konnte nun gerade die Rebellion Jugendlicher verheißungsvoll erscheinen. Zeitgenössische Theorien adoleszenter Entwicklung hatten sich zwar von der ontogenetischen Grundlage der Rekapitulationstheorie verabschiedet, die Vorstellung von qua Natur rebellischen jungen Menschen hatte aber Bestand. „EVERY normal youngster“, hieß es 1947 etwa in einem Artikel aus dem National Parent-Teacher, „is at some time or other a belligerent ‘Johnny Reb’“. Ein junger Mensch rebelliere nun einmal gegen all diejenigen, die seine „wachsende Persönlichkeit“ zu bezähmen versuchten, argumentierten Joseph und Jean Folsom hier. Dies sei zwar zweifellos bisweilen anstrengend für Erwachsene, aber dennoch vielversprechend: Das Autorenpaar begriff eine solche identitäre Rebellion - im Einklang mit Eriksons Thesen - als Weg zu zukünftig stabilen und unabhängigen Psychen. 1003 Dabei bedeutete sie in der Erzählung der Folsoms zwar eine Gefährdung des Familienfriedens, nicht aber der Gesellschaft. Ganz im Gegenteil: Sie argumentierten, man könne „Ungehorsam“ nicht automatisch als „schlecht“ begreifen, schließlich beruhe die Existenz der Vereinigten Staaten „auf einem Akt des Ungehorsams“. Durch ihren Bezug auf die Amerikanische Revolution und den Bürgerkrieg („Johnny Reb“) ließen die Folsoms jugendliches Aufbegehren nicht nur als „normal“, sondern sogar als 1000 Lindner: Must You Conform, S. 21, 178, 188. 1001 Mackert: „Danger and Progress“, S. 208; Naomi Zack: The Ethics and Mores of Race. Equality After the History of Philosophy. Lanham: Rowman & Littlefield, 2011, Kap. 6. 1002 Puner: „Is it True What They Say About the Suburbs“, S. 97. 1003 Joseph K. Folsom/ Jean R. Folsom: „The Promising Rebellion“, in: National Parent-Teacher 42/ 7 (1947), S. 4-6, hier S. 5 (Großbuchstaben i. O.). <?page no="242"?> 241 notwendige zivilisatorische Arbeit hervortreten. 1004 Der Artikel ist damit Teil einer diskursiven Praxis, die jugendliche Rebellion als gesellschaftliche Hoffnung artikulierte. Solche Deutungen wurden in der Delinquency Scare bisweilen mit dem Signifikanten Jugenddelinquenz beschrieben, manchmal aber auch explizit davon abgegrenzt. 1005 Dies führt zu der Frage, wessen Rebellion das demokratische Versprechen darstellen konnte. Wer galt als „rebel with a cause“, wer nicht? Who can be a rebel? „Positiver Rebellion“ waren, wie bereits angeklungen ist, enge Grenzen gesetzt. Zunächst einmal hatte man die konformistische Bedrohung, auf die junge Rebell_innen zu reagieren schienen, hauptsächlich für die weißen und bürgerlichen Vorstädte diagnostiziert. Rebellen-Figuren, die in den städtischen Gettos verortet wurden, waren in diesen Narrativen eher abwesend. 1006 Zudem war die Figur des „notwendigen“ Rebellen in hohem Maße männlich kodiert. Der Autor Paul Goodman monierte 1960 in seinem Buch Growing Up Absurd etwa, dass das Erwachsenwerden als Akkulturationsprozess begriffen werden würde, im Laufe dessen Jugendliche ihre männliche Individualität zugunsten von Gruppeninteressen aufgeben müssten. Auch Goodman konturierte delinquentes Verhalten als notwendige Rebellion, indem er es als Reaktion auf die „Entmännlichung“ von Jugendlichen im „organized system“ betrachtete. Gerade Jungen seien es, so Goodman, die mit der gesellschaftlichen Anforderung konfrontiert seien, etwas „aus sich zu machen“, während Mädchen ihre zukünftige Rolle schnell in der Mutterschaft fänden. 1007 Es waren primär die männlichen Jugendlichen, die ihre Identitätskrise rebellisch meistern sollten. 1008 Gleichwohl tauchen, obschon 1004 Folsom/ Folsom: „The Promising Rebellion“, S. 4. Mit „Johnny Reb[el]“ wurden Soldaten der Konföderation im Amerikanischen Bürgerkrieg beschrieben (Bell Irvin Wiley: The Life of Johnny Reb. The Common Soldier of the Confederacy. Baton Rouge: Louisiana State Univ. Press, 2008 [1943], S. 13). 1005 Vgl. z. B. die Stellungnahme von Reckless in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 220; Richards: Proceedings, S. 247. 1006 Vgl. als Ausnahme Norman Mailer: „The White Negro. Superficial Reflections on the Hipster“, in: Dissent 4 (1957), online verfügbar unter: Dissent Magazine: URL: http: / / www.dissentmagazine.org/ online.php? id=26 [28.3.2012]. Dazu Martschukat: Ordnung des Sozialen, S. 286-291. 1007 Paul Goodman: Growing Up Absurd. Problems of Youth in the Organized System. New York: Random House, 1960, S. 3f., 11, 13, 50. 1008 Ein Beispiel dafür ist Jim Stark, der Protagonist des Films Rebel Without a Cause. Die Darstellung von Jims delinquentem Verhalten konnte als Aufbegehren gegen dessen angepasste Eltern, im Besonderen aber gegen die Dominanz der Mutter verstanden werden. Am Ende des Films hatte Jims Verhalten seinen Vater zu der Einsicht geführt, dass er seinem Sohn ein männlicherer Vater sein musste (Medovoi: Rebels, S. 180). Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, dass Lindners Buch (Lindner: Rebel Without a Cause) dem Film zwar den <?page no="243"?> 242 selten, auch weibliche Teenager als „positive Rebellinnen“ auf. Der Artikel der Folsoms im National Parent-Teacher zum Beispiel beschrieb ein 14-jähriges Mädchen, das sich nicht mit dem elterlichen Gebot arrangieren konnte, um zehn Uhr abends zu Hause zu sein. Ihre Eltern seien „unflexibel“, urteilte das Autorenpaar und wies dem Verhalten des Mädchens eine besondere Reife zu: „[W]hich is closer to real maturity - this girl who rebels because she sees no sound logic in her parents’ arguments or the child who meekly accepts the dictum of authority and leaves every party early? “ Dabei urteilten die Folsoms nicht darüber, ob es wirklich besser für das Mädchen sei, länger auszugehen; sie begrüßten vielmehr, dass es diese Frage aushandelte. Auf ähnliche Weise lobte das Autorenpaar eine Jugendliche dafür, dass sie „stur“ darauf beharrte, sich ihre eigene politische Meinung zu bilden und nicht die der Eltern zu übernehmen. Mit dem Verweis auf die staatsbürgerlichen Pflichten des Mädchens bezeichneten die Folsoms die Haltung des Mädchens als „vielversprechendste Rebellion von allen“, weil sie sich durch das „Streben nach Wahrheit“ auszeichne. 1009 Die Beispiele, die die Folsoms nannten, präsentierten zwar eigensinnige, aber prinzipiell integre Jugendliche. Daran wird noch einmal die zentrale Qualität „produktiver Revolte“ deutlich: Selbstfindung funktionierte als demokratisches Versprechen nur in Bezug auf die grundsätzliche Anerkennung gesellschaftlicher Werte. Goodman sah in jugendlicher Delinquenz sogar das Bedürfnis männlicher Jugendlicher, ihre „Loyalität“ zu Community und Staat auszudrücken. 1010 „Positive Rebellion“ bedeutete Engagement und Sinnsuche, nicht „Defätismus“. 1011 In dieser Betonung gesellschaftlicher Integrität wird deutlich, dass Jugendliche nur dann als „positive Rebellen“ hervortreten konnten, wenn sie auch als staatsbürgerliche Subjekte anerkannt wurden. Die Figur weißer, bürgerlicher Rebell_innen speiste sich aus einer psychosozialen Charakterisierung Jugendlicher, die nur ganz bestimmten Individuen die erwünschte demokratische Disposition zuerkannte. Dies wird etwa in einem Artikel deutlich, der 1952 in LOOK erschien. Der Autor William Houseman stellte hier eine Studie vor, die amerikanischen Jugendlichen „totalitäre“ Tendenzen attestierte und daher die Zukunft der Demokratie gefährdet sah. 1012 Die Studie hatte zwei unterschiedliche Typen von Jugendlichen identifiziert: den „demokratischen Typus“ und den „autoritären Typus“, wobei sie letzterem eine besondere Anfälligkeit für sowohl Titel, aber nicht die Story lieferte, denn Jim hätte aus Lindners Perspektive durchaus als „rebel with a cause“ begriffen werden können. 1009 Folsom/ Folsom: „The Promising Rebellion“, S. 6. 1010 Goodman: Growing Up Absurd, S. 50. 1011 Medovoi: Rebels, S. 22. Vor diesem Hintergrund kritisierte etwa der bereits mehrfach zitierte Arzt Richman die Beatniks und verwarf deren Verhalten als unmännliche, statische Verweigerungshaltung (Richman: „Is There a Morals Revolt Among Youth“, S. 17). 1012 William Houseman: „Are U.S. Teenagers Rejecting Freedom“, in: LOOK 16/ 5 (1952), S. 29- 31. Dazu Mackert: „Danger and Progress“, S. 211f. <?page no="244"?> 243 kommunistische als auch faschistische Ideen bescheinigte. 1013 Diesen beiden Gruppen - es war allgemein nur von männlichen Jugendlichen die Rede - wurden dabei bemerkenswert detaillierte Persönlichkeitsprofile zugeordnet, die sie vor allem in Bezug auf ihr Alter, ihren sozialen Status, ihre regionale Herkunft und das Bildungsniveau der Mutter differenzierten. So entwarf die Studie den „typischen demokratischen Typus“ als Oberstufenschüler aus einer Klein- oder Großstadt der westlichen Bundesstaaten. Er käme aus einer Familie der oberen Mittel- oder Oberklasse und seine Mutter habe einen Universitätsabschluss. Den „autoritären Typus“ dagegen fand die Untersuchung vor allem bei Neuntklässlern aus geringverdienenden Familien des ländlichen Südens, deren Mütter als bildungsfern beschrieben wurden. 1014 Ein erstrebenswerter demokratischer Charakter wurde hier explizit sozial privilegierten Jugendlichen attestiert, während Jugendliche aus „armen“ Familien als leicht zu beeinflussende, reaktionäre Charaktere auftauchten. Über Zuweisungen von Klasse, Bildung und Region figurierte die Studie den „demokratischen Typus“ zudem implizit als weiß, da Mittelklasse-Status und Universitätsausbildung zu diesem Zeitpunkt noch primär weiß kodiert waren. Der städtische Westen galt gerade in Abgrenzung zum ländlichen Süden zeitgenössisch ebenfalls als Marker für eine weiße Mittelklasse. 1015 Überdies spielten in der Bestimmung des demokratischen Potenzials Jugendlicher Vorstellungen von Reife eine Rolle, die in diesem Beispiel allerdings eng an die Kategorie Alter gekoppelt waren: Die Gegenüberstellung von „demokratischen“ Oberschülern und „autoritären“ Neuntklässlern suggerierte, dass der Prozess des Erwachsenwerdens auch ein Prozess der charakterlichen Demokratisierung sei - das adäquate Umfeld vorausgesetzt. Zusammengenommen konstruierten diese Narrative eine demokratische Reife und damit die Fähigkeit zu „positiver Rebellion“ als Qualität vor allem sozial privilegierter, weißer Jugendlicher. Der jugendliche Rebell verkörperte den absoluten Gegensatz zum „organization man“ und war Teil einer diskursiven Bewegung, die der Historiker Van Gosse als „cult of marginal men“ bezeichnet hat. 1016 Dass hier kaum von gesellschaftlicher Marginalität die Rede sein kann, ist deutlich geworden. Dabei erlaubte es die Figur des jugendlichen Rebellen, gesellschaftliche Macht- und 1013 Houseman: „Are U.S. Teenagers Rejecting Freedom“, S. 31. Vgl. auch Adorno u. a.: The Authoritarian Personality. 1014 Houseman: „Are U.S. Teenagers Rejecting Freedom“, S. 31. Interessant ist, dass die in LOOK zitierten Passagen der Studie nicht den Einfluss von Vätern erwähnten. Vermutlich wurde er vorrangig über die Ernährer-Funktion erfasst und daher als Teil des Klassenstatus verhandelt. 1015 Harvey Kantor/ Barbara Brenzel: „Urban Education and the ‘Truly Disadvantaged’: The Historical Roots of the Contemporary Crisis: 1945-1990“, in: Michael B. Katz (Hg.): The “Underclass” Debate. Views from History. Princeton: Princeton Univ. Press, 1993, S. 366-402, hier S. 370. 1016 Van Gosse: Where the Boys Are. Cuba, Cold War America, and the Making of the New Left. London/ New York: Verso, 1993, S. 57. <?page no="245"?> 244 Herrschaftsverhältnisse zu verhandeln, ohne expressis verbis auf diese zu verweisen. 1017 Im Narrativ „positiver Rebellion“ wurde ein demokratischer Charakter gefeiert, der sich gegen die Massengesellschaft auflehnte und individuelle Entscheidungsfähigkeit demonstrierte, sich aber schlussendlich - und hierauf kam es an - auch zugunsten der Vorstädte entschied. 1018 Gerade hier wird deutlich, dass eine prinzipielle Fähigkeit zur Teilnahme an Gesellschaft auch gerade über den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen reguliert war. Denn für die Vorstädte entscheiden konnte sich nur ein kleiner Teil der Jugendlichen. Damit wird der enge und ausschließende Rahmen deutlich, der die „produktive Revolte“ von als problemarisch geltender Delinquenz unterschied. Das insgesamt fluide, nicht oder nicht allein an Alter gekoppelte Ideal der Reife ermöglichte es zudem, dass Jugendliche sich in die Erzählung gesellschaftlich erwünschter Rebellion einschreiben und von ihren Eltern abgrenzen konnten. So freute sich beispielsweise ein Teenager in einem Brief an LOOK, nachdem das Magazin über die Gefahren des Konformismus berichtet hatte: „[Your article] helped my father understand better what I mean in my crusade for nonconformity. Whenever I mentioned it, he used to snort, ‘Lawbreakers! ’ and other phrases. Now he sees my side.“ 1019 Der „Kreuzzug gegen den Konformismus“ war offensichtlich etwas, das Jugendliche ihren Eltern noch beibringen konnten. Und das war auch nicht das einzige, was diese lernen sollten. Mit der engen Verknüpfung von elterlicher Führung und jugendlicher Delinquenz schuf die Delinquency Scare die Notwendigkeit, Eltern zu verbessern. Welche Praktiken des Zugriffs auf Eltern in diesem Kontext etabliert wurden, behandelt der kommende Abschnitt. 3 Erziehen und Strafen: Formen der Regierung von Eltern „Just the fact that parents can have a child does not actually make them parents“, bemerkte ein Kinderpsychologe 1954 vor dem Senate Subcommittee und begründete damit einen Handlungsbedarf, den viele seiner Zeitgenoss_innen ebenfalls sahen. 1020 In den US-Nachkriegsdekaden wurde auf unterschiedliche Weisen auf Eltern zugegriffen, um deren mutmaßliche erzieherische Defizite zu beheben oder zu sanktionieren. 1021 Dabei zeigt sich ein Unterschied zum Um- 1017 Dazu ausführlich Hale: Nation of Outsiders, z. B. S. 40. 1018 Medovoi: Rebels, S. 22f. 1019 Lyn Maloney, Los Angeles, CA, an LOOK, „Letters to the Editor”, in: LOOK 22/ 8 (1958), S. 12. Maloney bezog sich auf Leonard: „The American Male“. 1020 Edward Greenwood, Menninger Clinic, Topeka, KS, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 205. 1021 Dass elterliches Versagen so prominent ins Zentrum der Delinquency Scare gestellt wurde, war zeitgenössisch dabei nicht unumstritten, wie in den Anhörungen deutlich wurde. Nicht <?page no="246"?> 245 gang mit Eltern im frühen 20. Jahrhundert. Zwar war auch zu diesem Zeitpunkt der eindringliche Aufruf an diese ergangen, die rechte Erziehung ihrer Kinder zu gewährleisten. Aber gerade in Bezug auf als delinquent erklärte Jugendliche lag das primäre Bemühen der Jugendgerichte darin, diese aus ihren Familien zu entfernen und in die Obhut staatlicher Institutionen zu stellen. In der Nachkriegszeit dagegen stand nicht die Umgehung, sondern die Reformierung von Eltern delinquenter Kinder im Vordergrund. Vor allem drei Formen des Zugriffs auf Eltern lassen sich unterscheiden: erstens die Praxis der Vermittlung von Erziehungswissen und deren zunehmende Therapeutisierung; zweitens mit sozialpolitischen Maßnahmen verschränkte Programme für Eltern, die als schwer erreichbar für Erziehungswissen betrachtet wurden; und drittens schließlich die Einführung von Gesetzen, die es erlaubten, solche Eltern zu bestrafen, denen eine grobe Vernachlässigung ihrer Aufsichts- und Fürsorgepflicht vorgeworfen wurde. Therapeutische Elternerziehung und ihre Grenzen Die Vermittlung von Erziehungswissen wurde in der Delinquency Scare als vielversprechendes Programm zur Delinquenzprävention vorgestellt. Viele Eltern könnten ihren Kindern bei der Bewältigung von Problemen helfen, stellte die Children’s Bureau-Vorsitzende Eliot gleich zu Beginn der Senatsanhörungen fest, wenn ihnen nur ausreichend Rat zur Verfügung stünde. 1022 Dabei fällt zunächst die therapeutische Ausrichtung der geforderten Elternerziehung ins Auge: In Anbetracht der fragilen Psychen, die auch gerade Müttern zugeschrieben wurden, schien es vielversprechender zu sein, diese nicht anzugreifen, sondern zu motivieren. Dies wurde von Expert_innen als wichtiges Ziel der Elternerziehung empfohlen, wie etwa die Überlegungen auf einer Fachkonferenz zeigen, die 1954 unter dem Titel Parents and Delinquency in Philadelphia veranstaltet wurde. Die breite Kritik, die Expert_innen an Eltern äußerten, beklagte sich dort ein Erziehungsexperte, hätten diese zu stark an sich selbst zweifeln lassen. Stattwenige Expert_innen argumentierten, die familiäre Situation spiele zwar eine wichtige Rolle, sei aber nur ein Faktor in der Hervorbringung von Delinquenz (z. B. Witmer: Parents and Delinquency, S. 7; Stellungnahme von George Gardner, Leiter der Judge Baker Child Guidance Clinic, Boston, MA, in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency [National, Federal, and Youth Serving Agencies], Pt. 1, S. 55). Dieser Einwand wurde im Delinquenzdiskurs zwar häufig wiederholt, blieb allerdings in der Regel ohne inhaltliche Füllung und trat hinter der ausgiebigen Beschäftigung mit „elterlicher Delinquenz“ zurück (vgl. La Barre: „How Adolescent Are Parents“, S. 6). Dem starken Fokus auf Eltern tat dies daher keinen Abbruch. Siehe zum Folgenden auch Mackert: „Juvenile Delinquency, Interdependent Masculinity and the Government of Families“, S. 215-218. 1022 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 16. Vgl. auch Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Education and Juvenile Delinquency, S. 90. <?page no="247"?> 246 dessen sollten sie, und hier scheint Spocks Vorstellung elterlicher Expertise auf, ermuntert werden, ihren „natürlichen Neigungen“ zu folgen, bis sie ihre Fehler von selbst erkannten. 1023 Solche Konzepte von Eltern- und vor allem Müttererziehung waren darauf ausgerichtet, deren Selbstführung zu verbessern. Sie funktionierten über die therapeutische Logik, jugendliches Verhalten könne zu einem Gutteil mit den Fehlern und Versäumnissen der Eltern erklärt und durch die Behandlung dieser auch korrigiert oder gar verhindert werden. Expert_innen skizzierten diesen Vorgang als prinzipiell unabschließbaren Lernprozess für Eltern und Jugendliche: „[Parents] must equip each youth for a ‘never ending process of learning. They must gird his mind and spirit for the constant reshaping and reexamination of himself.’“ 1024 Auslernen konnten demnach weder Eltern noch Jugendliche. Es wird deutlich, dass Elternerziehung in mehrfacher Hinsicht als „Führung der Führungen“ verstanden werden kann. 1025 Erstens sollten Eltern dabei in die Lage versetzt werden, sich selbst besser zu führen. Zweitens sollte auf diese Weise mittelbar auch die jugendliche Selbstführung verbessert werden. Und schließlich wurden Eltern darüber zur permanenten Arbeit an sich aufgerufen, denn das Ziel dieser Unternehmung war nicht abschließend zu erreichen. Die Infrastruktur der Distribution erzieherischen Wissens galt bereits zu Beginn der 1950er Jahre als grundsätzlich brauchbar, sollte aber nach dem Dafürhalten von Expert_innen deutlich ausgebaut werden. Eliot etwa wünschte sich 1954 die Vermittlung erzieherischen Wissens „durch jedes mögliche Medium“. 1026 Die Möglichkeiten für Eltern, sich Erziehungswissen anzueignen, waren mannigfaltig und nahezu allgegenwärtig. Die offizielle Erklärung der Midcentury Conference on Children und Youth etwa wurde am „Child Health Day“ sogar mit der morgendlichen Milchlieferung verteilt. 1027 Mit Ratgeberbüchern und Zeitschriften konnte nach Ansicht von Expert_innen am besten eine große Gruppe von Eltern erreicht werden. 1028 Das Feld der Erziehungsratgeber, die im Untersuchungszeitraum erschienen, ist kaum zu überblicken. Mit der zunehmenden Sorge über das Verhalten Jugendlicher publizierten Expert_innen eine Vielzahl von Büchern, die über die spezifischen Charakteristika der Adoleszenz und de- 1023 Witmer: Parents and Delinquency, S. 31, 42. Vgl. auch die Stellungnahme von Gardner in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 55. 1024 Raymond Squires: „The Costs of Conformity“, in: The P.T.A. Magazine 58/ 7 (1964), S. 4-6, hier S. 6. 1025 Foucault: „Subjekt und Macht“, S. 286f.; Bloch: „Governing Teachers, Parents, and Children“. 1026 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 14. 1027 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 106. 1028 Stellungnahme des Soziologen Dr. Nathan E. Cohen in: House Subcommittee of the Committee of Appropriations: Report on Juvenile Delinquency, S. 117f. <?page no="248"?> 247 ren Herausforderungen für Eltern informierten. 1029 Darüber hinaus veröffentlichten nationale, bundesstaatliche und lokale Institutionen wie das Children’s Bureau und Jugend- oder Familiengerichte zahlreiche Broschüren, durch die zeitgenössisches Wissen über Elternschaft, „gesunde“ Familienstrukturen und die Warnsignale jugendlicher Delinquenz verbreitet wurde. 1030 Die populären Zeitschriften Parents’ Magazine und National Parent-Teacher berichteten systematisch von neueren erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen, rezensierten frisch erschienene Ratgeber und druckten Artikelserien über die Charakteristika bestimmter Altersgruppen ab. In den Nachkriegsdekaden etablierte sich mit interaktiven Rubriken ein spezifisches Ratgeber-Format, das nicht nur ein Phänomen von Erziehungszeitschriften, hier aber bereits um 1950 gängig war. Im Parents’ Magazine gab es etwa eine Sektion zu „Childhood and Teenage Problems”, in der in der Regel Mütter darüber berichteten, wie sie typische Erziehungsprobleme erfolgreich gelöst hatten. Die Rubrik wurde 1951 in „Family Clinic“, also „Familiensprechstunde“, umbenannt, was den zunehmend therapeutischen Charakter von Erziehung verdeutlicht. 1031 Im National Parent- Teacher konnten sich Eltern im Rahmen des „N.P.T. Quiz“ direkten Rat von Expert_innen einholen. 1032 Ein Handbuch für Akteur_innen im Bereich der Elternerziehung pries diese Rubrik 1951 als besonders authentisch und seriös. 1033 Zusätzlich zu ihrer prinzipiellen Ratgeberfunktion integrierten Parents’ Magazine und National Parent-Teacher ihre Artikel in breitere, zumeist auf ein Jahr ausgerichtete Bildungsprogramme, die elterliche Arbeitsgruppen mit Diskussionsfragen und weiterführenden Literaturtipps versorgen sollten. Als Grundlage fungierten die systematisch aufgebauten Artikelserien der Magazine. 1034 Diskus- 1029 Z. B. Dorothy Baruch: How to Live with Your Teen-Ager. New York: McGraw Hill, 1953; Mary Frank/ Lawrence K. Frank: Your Adolescent in Home and in School. New York: Viking Press, 1956; Hoover Rupert: Enjoy Your Teen-Ager. A Reading Book for Parents. New York/ Nashville: Abingdon Press, 1962. 1030 Z. B. Judge G. Bowdon Hunt: These Are Our Children. Bartow: „These Are Our Children“ Publishing Company, 1950, Records of the Senate Subcommittee, Box 58; New York State Youth Commission: Teamwork Can Prevent Delinquency; Children’s Bureau: Some Facts About Juvenile Delinquency. Washington, DC: Government Printing Office, 1953. 1031 Z. B. „Childhood and Teenage Problems“, in: Parents’ Magazine 26/ 1 (1951), S. 42-43; „Family Clinic“, in: Parents’ Magazine 26/ 11 (1951), S. 26, 90. 1032 Z. B. Kehm: „N.P.T. Quiz Program“ (s. Anm. 979); Ojemann: „N.P.T. Quiz“ (s. Anm. 413). 1033 National Congress of Parents and Teachers: Study-Discussion Group Techniques for Parent Education Leaders. Chicago: National Congress of Parents and Teachers, 1951, S. 58. Im Laufe der 1950er Jahre etablierten sich auch in anderen Zeitschriften solche interaktiven Formate, in denen Erziehungsexpert_innen oder andere Vorbildfiguren den Fragenden mit Rat zur Seite standen. Dabei ging es nicht immer um Erziehung, sondern gerade in LOOK und Ebony um allgemein lebenspraktische, religiöse und andere zielgruppenspezifische Fragen (vgl. etwa Peale: „Norman Vincent Peale Answers Your Questions“, in: LOOK 22/ 2 [1958], S. 70; Martin Luther King: „Advice for Living“, in: Ebony 12/ 12 [1957], S. 53). 1034 Z. B. Ruth Strang u. a.: „Personality in the Making: Study Course Guides“, in: National <?page no="249"?> 248 sionszusammenhänge, wie beispielsweise lokale PTA-Gruppen, nutzten populäre Erziehungsratgeber oder eingeladene Expert_innen, um Erziehungswissen zu erlangen und zu diskutieren. 1035 Gerade solche Gruppendiskussionen wurden etwa auf der Fachkonferenz Parents and Delinquency als vielversprechende Methode gerade in Bezug auf Eltern delinquenter Kinder vorgestellt. Diese Eltern sollten sich zunächst mit psychologischen Fachkräften treffen, um dann in Therapiegruppen ihre Probleme mit anderen Eltern delinquenter Kinder zu besprechen. 1036 In Bezug auf Delinquenzbekämpfung standen therapeutische Formen der Elternerziehung im Vordergrund, wie auch am Beispiel der Child Guidance Clinics deutlich wird. Unter anderem die Gluecks hatten betont, dass sie als Zielgruppe der Einrichtungen nicht primär Mittelklasse-Eltern betrachteten, die ohnehin regelmäßig das Parents’ Magazine oder den National Parent-Teacher lasen, sondern die als bildungsfern klassifizierten Eltern in sozial benachteiligten Gegenden. 1037 Allerdings schien dieser Plan nicht aufzugehen: Expert_innen stellten nämlich fest, dass die ursprünglich zur Delinquenzbekämpfung eingerichteten Child Guidance Clinics mehr und mehr Mittelklasse-Eltern anzögen. Damit bildeten diese Einrichtungen keine Ausnahme. Der Psychiater Donald Bloch beklagte sich 1954: „There isn’t a clinic or an institution, court connected or originally set up to deal with delinquents, that isn’t becoming greatly interested in […] the neuroses of the middle class. They find that such cases are very productive in therapy, that they can really get somewhere with them, and so they are giving up treating delinquents.“ 1038 Bloch stellte Mittelklasse-Familien hier als Orte vor, wo zwar individuelle psychische Störungen entstehen, aber nicht systemisch Delinquenz produziert werden würde - ein diskursives Muster, das schon deutlich geworden ist. Damit begründete er die Notwendigkeit, weniger in diese Familien und mehr in solche einzugreifen, die eher ein Delinquenzproblem zu haben und eine erzieherische Hilfe zur Selbsthilfe dringend zu benötigen schienen. Aber gerade solche Familien waren nach Ansicht von Expert_innen durch die gängigen Angebote nicht zu erreichen. Auf der Konferenz Parents and Delinquency beklagte sich etwa eine Parent-Teacher 49/ 3 (1953), S. 32-34; Mollie Smart: „Group-Discussion Outlines for Parents of School-Age Children“, in: Parents’ Magazine 31/ 5 (1956), S. 21. 1035 Stellungnahme von Cohen in: Subcommittee of the Committee of Appropriations: Report on Juvenile Delinquency, S. 117. 1036 Witmer: Parents and Delinquency, S. 25f. 1037 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 99. Vgl. auch die Stellungnahme von Reckless in: ebd., S. 215. 1038 Witmer: Parents and Delinquency, S. 29. Dazu Jones: Taming the Troublesome Child, S. 205- 217. <?page no="250"?> 249 Psychiaterin aus St. Louis, Missouri, dass schwarze Familien durch „freiwillige Diskussionsgruppen“ nicht erreicht werden könnten. Die Psychiaterin entwarf ein Bild afroamerikanischer Eltern, nach dem diese ihre Probleme nur auf „äußere“ Faktoren wie Diskriminierung bezögen und dabei ihre eigenen Versäumnisse nicht reflektierten. 1039 Und eine Sozialarbeiterin aus New York City begründete die „Unerreichbarkeit“ der besonders hilfebedürftigen Familien, indem sie das von rassialisierten Codes durchzogene Narrativ der Culture of Poverty aufrief und von lang tradierter, großstädtischer Armut berichtete. „[I]t is only by the most painstaking kind of work that they can be reached at all“, schlussfolgerte der Konferenzbericht. Während Mittelklasse-Mütter in den Verhandlungen von Elternerziehung als aktiv Ratsuchende auftauchten, forderte man nach neuen Programmen, um vor allem in mutmaßliche Problemfamilien eingreifen zu können. 1040 Auf welche Weise dies geschehen konnte, zeigt die Skizze von sozialarbeiterischen Hausbesuchen und sozialpolitischen Maßnahmen im folgenden Abschnitt. Aktivierung und Kontrolle: Hausbesuche als Verschränkung von Elternerziehung und Sozialpolitik Die Zugriffe auf Eltern gingen darüber hinaus, diese lediglich über neues erzieherisches Wissen zu informieren oder in Diskussionsgruppen zu bitten. Vielmehr versuchte man, korrektiv auf diejenigen einzuwirken, die vielen als grundsätzlich kaum in der Lage zur rechten Erziehung ihrer Kinder galten. Um die erzieherischen Fähigkeiten der fraglichen Eltern zu fördern, sollten auch diese nicht primär bestraft, sondern ermuntert, aber gleichzeitig in Verantwortung genommen werden. 1041 Da die mutmaßlichen erzieherischen Mängel dieser Eltern vielfach als Konsequenz tradierter Armut betrachtet wurden, verschränkten sich vor allem im Laufe der 1960er Jahre erzieherische Zugriffe auf Eltern mit sozialpolitischen Maßnahmen. In diesem Abschnitt werden Hausbesuche durch Erziehungsexpert_innen als Beispiel für diese Verschränkung und als zeitgenössische Antwort auf die Problemstellung untersucht, vermeintlich bildungsferne Eltern erzieherisch zu erreichen. Zu den diskursiven Schnittmengen von Elternerziehung und Sozialpolitik gehörte die Frage nach den Möglichkeiten des Eingreifens in den vermeintlichen Teufelskreis von Armut und „dysfunktionalen“ Familien. In sozialpolitischen Debatten wurde hervorgehoben, dass es nicht ausreiche, einkommensschwache Familien lediglich mit zusätzlichen Dollars zu versorgen. Stattdessen wollte man sie in die Lage versetzen, das Leben „stabiler“ Familien zu führen, um an der 1039 Witmer: Parents and Delinquency, S. 26f. 1040 Vgl. ebd., S. 28, 32f. 1041 Ebd., S. 15. <?page no="251"?> 250 Gesellschaft teilnehmen zu können, wie etwa Moynihan noch 1968 explizit in Bezug auf afroamerikanische Familien betonte. 1042 Diese disziplinarische Strategie zeigte sich zum Beispiel in der Reform des Aid to Dependent Children- Programmes (ADC). Die Maßnahme, die Teil des 1935 erlassenen Social Security Act war, beinhaltete Zahlungen an alleinerziehende Mütter. 1962 wurde das Gesetz erweitert. Mittelberechtigt waren nun auch Familien mit zwar anwesenden, aber arbeitslosen Vätern. Laut dem Sozialhistoriker James Leiby sollte damit die verbreitete Praxis beendet werden, dass Väter die Familie verließen, um dieser statt der allgemeinen Sozialhilfe den Bezug der höheren ADC-Mittel zu ermöglichen. 1043 Die Reform und die Umbenennung des Programmes in Aid to Families of Dependent Children (AFDC) verdeutlicht die Funktion solcher sozialpolitischen Maßnahmen als Regierungstechnologien, über die Familien an Vorstellungen „normaler“ Kernfamilien angepasst werden sollten. 1044 Ein zentraler Bestandteil dieser sozialpolitischen Programmatik war es zudem, die Familien nicht allein mit finanziellen Mitteln auszustatten, sondern ihrer mutmaßlichen Unfähigkeit zur Kindererziehung durch Anleitungen zur Selbsthilfe zu begegnen. 1045 In diesen Kontext gehört zum Beispiel die Praxis erzieherischer Hausbesuche, die man zur Mitte der 1960er Jahre als Instrument betrachtete, Eltern eine verbesserte pädagogische Kompetenz zu vermitteln. Das USamerikanische Sozialministerium förderte zu diesem Zeitpunkt eine Reihe von Programmen, in deren Rahmen Psychiater_innen, Sozialarbeiter_innen und Lehrkräfte Mütter einkommensschwacher Familien zu Hause besuchten. Ziel dieser Hausbesuche war es explizit, in die häusliche Sphäre von „Unterschichts“- Familien zu intervenieren und das mütterliche Erziehungsverhalten zu verändern. 1046 Die Besucher_innen gaben den Müttern Tipps zum Umgang mit ihren Kindern und versorgten sie mit Lehrmaterialien. Regelmäßig gaben sie den Eltern auch etwa als Hausaufgabe auf, sich einer bestimmten Lernschwierigkeit des Kindes bis zum nächsten Besuch korrektiv zu widmen. Analog zur Vorstel- 1042 Daniel Patrick Moynihan: „Foreword to the Paperback Edition“, in: Alva Myrdal: Nation and Family. Cambridge: MIT Press, 1968, S. xii-xiii, zit nach Bremner: „Other People’s Children“, S. 87. 1043 Leiby: A History of Social Welfare and Social Work, S. 303. 1044 Dazu Finzsch: „Gouvernementalität“; Chappell: War on Welfare. 1045 Vgl. Rose C. Thomas: „Family and Child Welfare Agencies and Juvenile Delinquency Prevention“, in: The Journal of Negro Education 28/ 3 (1959), S. 300-309, hier S. 308. Dazu Finzsch: „Gouvernementalität“. 1046 Vgl. z. B. Ira J. Gordon: „The Florida Parent Education Model“. Vortrag auf dem Atlanta Follow Through Workshop (Atlanta, FL, 10.-12. Oktober 1968), online verfügbar unter: Education Resources Information Center: URL: http: / / www.eric.ed.gov/ ERICWebPortal/ detail? accno=ED028139 [08.10.2011]; Shije Orhan/ Norma Radin: „Teaching Mothers to Teach: A Home Counseling Program for Low-Income Parents“. Manuskript, November 1968, online verfügbar unter: Education Resources Information Center: URL: http: / / www.eric.ed.gov/ ERICWebPortal/ detail? accno=ED028819 [8.10.2011]. <?page no="252"?> 251 lung, den größten Einfluss hätten Erziehungsprogramme für Eltern mit möglichst kleinen Kindern, konzentrierten sich die Programme in der Regel auf Familien mit Kindern im Kindergarten- und Vorschul-Alter. 1047 Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Hausbesuche bei sozial benachteiligten Familien gängige Praxis privater Wohlfahrtsorganisationen. Die Programmatik des „friendly visiting“ konzipierte die Besucherinnen, vor allem wohlhabende Frauen, als moralische Vorbilder für die „Armen“. Dabei war der Zweck der Besuche, die besuchten Familien in deserving bzw. undeservi ng po or z u klassi fi zi eren un d de n verm ei nt li ch besseru ngsfähi gen Rat u nd Unterstützung zukommen zu lassen. 1048 Diese Praxis wurde in den 1960er Jahren aktualisiert. Obwohl man Armut nun wesentlich stärker als überindividuelles soziales Problem konturierte, spielte die Unterscheidung in deserving und undeserving poor auch zu diesem Zeitpunkt eine Rolle, wenn auch auf ambivalentere Weise. 1049 Die Hausbesuche zeigten nämlich eine widersprüchliche Programmatik. Zum einen nahm man an, dass Armut die Fähigkeit von Eltern zur rechten Erziehung der Kinder grundsätzlich beeinträchtige - denn sonst wären diese Mütter nicht prinzipiell in den Fokus solcher Maßnahmen geraten. Zum anderen beruhten die Hilfe-zur-Selbsthilfe-Programme wesentlich darauf, dass man ihnen dennoch zutraute, erzieherische Qualitäten zu erlangen. So zielten die Hausbesuche in den 1960er Jahren auch darauf ab, die betroffenen Mütter selbst zu Erziehungsexpertinnen auszubilden und in anderen Familien einzusetzen. 1050 Wer zu den deserving oder undeserving poor gehörte, konnte nun darüber bestimmt werden, ob Mütter sich dergestalt aktivieren ließen. Deutlich wird diese Dynamik auch in anderen sozialpolitischen Programmen der Ära, wie etwa Head Start, einer zentralen Maßnahme im War on Poverty. Head Start war auf die Verbesserung der schulischen Leistungen sozial benachteiligter Kinder ausgerichtet. Zu Beginn konzentrierte sich das Programm auch unmittelbar auf die Kinder und finanzierte etwa Vorschulerziehung und medizinische Betreuung. 1051 Im weiteren Verlauf der Maßnahme wurden aber zunehmend Eltern als Zugriffsziele einbezogen. Dabei nahmen sich die Planer_innen des Programms unter anderem die erzieherischen Hausbesuche zum Vorbild. Sie folgerten, die 1047 Gordon: „The Florida Parent Education Model“, S. 1, 10; Orhan/ Radin: „Teaching Mothers to Teach“, S. 1. 1048 Robert Halpern: „Parent Support and Education for Low-Income Families: Historical and Current Perspectives“, in: Children and Youth Services Review 10/ 4 (1988), S. 283-303, hier S. 285f. Als programmatisch für diese Praxis gilt Mary Ellen Richmond: Friendly Visiting among the Poor. A Handbook For Charity Workers. London/ New York: Macmillan, 1907 [1899]. 1049 Chappell: War on Welfare, S. 39, 126. 1050 Vgl. z. B. Gordon: „The Florida Parent Education Model“, S. 2; Orhan/ Radin: „Teaching Mothers to Teach“. 1051 Halpern: „Parent Support and Education for Low-Income Families“, S. 289. Zu Head Start Patterson: America’s Struggle Against Poverty, insbes. S. 141-144; Ellsworth/ Ames: Critical Perspectives on Project Head Start; außerdem Kapitel III.3.3 dieses Buches. <?page no="253"?> 252 Verantwortung für schulische Misserfolge von Kindern läge in hohem Maße bei den Eltern, weil die selbst schlecht ausgebildeten Eltern sich zu wenig um die schulische Entwicklung ihrer Kinder kümmerten. Als Reaktion darauf wurden ab 1967 Parent Child Center etabliert, durch die Elternerziehung forciert werden sollte. Dabei strebte man ähnlich wie bei den Hausbesuchen an, Eltern nicht nur die rechte Erziehung ihrer Kinder beizubringen, sondern sie in die Lage zu versetzen, darüber die vermeintlich tradierte „Deprivation“ ganzer Communities aufzubrechen. Elternerziehung wurde auf diese Weise zur bedeutenden Strategie einer Armutsbekämpfung, die über die Hilfe zur Selbsthilfe operierte. 1052 Head Start verdeutlicht die Verknüpfung von Sozialpolitik und Elternerziehung und deren ambivalente Effekte auf die Wahrnehmung sozial benachteiligter Familien: Einerseits eröffnete die Zentrierung von Problemfamilien einen diskursiven Raum, in dem Armut stärker als gesellschaftliches Problem thematisiert werden und neue oder aktualisierte Sozialgesetze entstehen konnten. Zuletzt hat Marisa Chappell ausführlich gezeigt, dass eine progressive Gesetzgebung unter anderem über den diagnostizierten Bedarf familiärer „Normalität“ durch ökonomische Sicherheit diskursiv möglich wurde. Andererseits, auch das macht Chappell deutlich, war es genau die naturalisierte Vorstellung „normaler“ Familien, die den Fokus auf soziale Ungleichheit gleichzeitig abwendete. 1053 In Bezug auf Head Start drückte sich dies zum Beispiel dadurch aus, dass die administrative Zuständigkeit für das Programm zum Ende der 1960er Jahre aus dem Office of Economic Opportunity in das neu erschaffene Office of Child Development umgesiedelt und damit formal aus dem Bereich der Sozialpolitik ausgelagert wurde - mit dem Argument, dass Erziehung Privatsache sei: Präsident Richard Nixon verwies in seiner Rede zur Gründung des Office of Child Development auf die Notwendigkeit, die Privatsphäre von Familien sowie „das heilige Recht von Eltern“ zu schützen, ihre Kinder gemäß der „eigenen Werte und Verständnisse“ zu erziehen. 1054 Paradoxerweise sollte dies aber gerade nicht für die als Problemfälle klassifizierten Familien gelten, auf die Head Start eigentlich abzielte. Dass in Bezug auf diese Familien eine Verletzung der geforderten Privatsphäre durchaus legitim erscheinen konnte, zeigen erneut Hausbesuche. Eine Reihe von Bundesstaaten hatte in ihren AFDC-Statuten die Maßgabe verankert, dass Behördenmitarbeiter_innen Hausbesuche bei den Mittel empfangenden Familien machen sollten. Zwar wurde als Zweck dieser Besuche unter anderem das Ziel angeführt, den Familien weitere Unterstützung zukommen zu lassen, im Vordergrund stand aber eine Kontrollfunktion: Die Besucher_innen sollten die Verwendung der Gelder und den „angemessenen“ Umgang der El- 1052 Halpern: „Parent Support and Education for Low-Income Families“, S. 289ff. Dazu Quadagno: The Color of Welfare, S. 141ff. 1053 Chapell: War on Welfare, z. B. S. 5, 16. 1054 Zit. nach Bremner: „Other People’s Children“, S. 93. <?page no="254"?> 253 tern mit ihren Kindern überprüfen. 1055 Das Beispiel eines Gerichtsprozesses in New York City zeigt, welche Logik dieser klassenspezifischen Konstruktion von Privatsphäre zugrunde lag. Der Prozess verhandelte den Fall von Barbara James, einer AFDC-beziehenden Mutter. Nachdem James der zuständigen Behördenmitarbeiterin den Zutritt zu ihrer Wohnung verweigert hatte, waren die Mittel eingestellt worden. James klagte und der District Court gab ihr mit dem Verweis auf die häusliche Privatheit Recht. Schließlich gelangte der Fall vor den Supreme Court. 1056 Dieser bestätigte die Verfassungsmäßigkeit des New Yorker AFDC- Statuts. Hausbesuche waren nach Ansicht der obersten Richter deshalb rechtens, weil sie dazu dienen sollten, die „Bedürfnisse des abhängigen Kindes“ zu sichern. 1057 Dabei wies der Supreme Court auf die Funktion der Gesetze hin, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, und stellte diese als großen Nutzen für die Mittelempfänger_innen dar. Gerade Hausbesuche würden dabei helfen, die Hilfebeziehenden wieder in die Lage zu versetzen, sich selbst zu versorgen und ihr Familienleben zu stärken. 1058 Gleichzeitig aber musste diese aktivierende Funktion offensichtlich kontrolliert - und sanktioniert - werden, denn die obersten Richter befanden auch, dass nur über Hausbesuche bestimmt werden könne, ob die Versorgungsempfänger_innen tatsächlich von der Hilfe profitieren und die Mittel „ordnungsgemäß“ eingesetzt werden würden. Deshalb seien die Hausbesuche, resümierte die Urteilsbegründung, kein „unnötiges Eindringen“ in die häusliche Sphäre, sondern notwendig; die erforderlichen Informationen könnten auf keinem anderen Wege erlangt werden. 1059 Diese Zugriffe zeigen, dass Kindererziehung keinesfalls eine private Frage war, und dass die Berufung auf die Privatheit der Familie aber vor allem nicht von denjenigen in Anspruch genommen werden konnte, die als Problemfamilien galten. Außerdem ist deutlich geworden, dass die Maßnahmen zur Elternerziehung in bestimmten Fällen von einer Strafandrohung begleitet wurden: AFDC-Empfänger_innen wurden im Fall der Abweichung von den Vergaberegeln sanktioniert, indem ihnen die Mittel gestrichen wurden. Sanktionsmaßnahmen stehen auch im Vordergrund einer weiteren Form des Zugriffs auf Eltern, um die es im Folgenden geht. 1055 Bremner: „Other People’s Children“, S. 94. 1056 Wyman v. James, 400 U.S. 309 (1971), online verfügbar unter: U.S. Supreme Court Center: URL: http: / / supreme.justia.com/ cases/ federal/ us/ 400/ 309/ [20.03.2012]; Raymond Albert: Law and Social Work Practice. New York: Springer, 2000 2 , S. 56-64. Der Prozess wurde zwar erst 1971 geführt, wird hier aber dennoch aufgegriffen, weil er ein anschauliches Beispiel für die diskursive Strategie von Aktivierung und Kontrolle der zeitgenössischen sozialpolitischen Programme ist. 1057 Wyman v. James, Syllabus. 1058 Ebd., Abs. 5. 1059 Ebd., Syllabus. <?page no="255"?> 254 „The punishing side“: Juristische Sanktionierungen von Eltern Im Januar 1947 wies ein New Yorker Jugendgericht den 14-jährigen Frank Problet in die State Training School for Boys ein. Problet war angeklagt worden, weil er eine Waffe gestohlen und drei Menschen angeschossen haben sollte. Kurz danach verurteilte das Gericht Problets Mutter, Genevieve Rivera zu einem Jahr Gefängnisaufenthalt. Dies war die Höchststrafe bei Prozessen, die im Rahmen einer neuen gesetzlichen Regelung mit dem Ziel geführt wurden, Eltern systematisch für die Delinquenz ihrer Kinder zur Verantwortung zu ziehen. Das Gericht verurteilte Rivera explizit dafür, am „heiligen Privileg des Mutterseins [gescheitert]“ zu sein. Exzessiver Alkoholkonsum, häufige Umzüge sowie Liebschaften mit wechselnden Männern hatten nach Ansicht von Richter Matthew Desirio zur Vernachlässigung von Riveras Sohn geführt: „It was through your neglect that three innocent persons were shot by your delinquent son“, warf er ihr vor. 1060 Die New York Times begrüßte das Urteil im Fall Rivera als Ausdruck eines neuen, strengeren Umgangs mit „inadäquaten“ Eltern im Kampf gegen Delinquenz. 1061 Und in der Tat markierte der Fall Rivera einen neuen Trend: Als Reaktion auf die wachsende Sorge vor steigenden Delinquenzraten wurden in den Nachkriegsdekaden in fast allen US-Staaten sogenannte „parental responsibility laws“ eingeführt. Diese Gesetze hatten eines gemeinsam: Sie ermöglichten es, Eltern für die Delinquenz ihrer Kinder zu bestrafen - ein Resultat der entscheidenden Rolle, die Eltern in der Hervorbringung von Jugenddelinquenz zugewiesen wurde. 1062 Ausgehend vom Rivera-Fall untersuche ich solche punitiven Zugriffe auf Eltern im Folgenden als eine dritte Form des Zugriffs auf diese, über den sie für ihr Abweichen von normativen Vorstellungen von Erziehung bestraft werden konnten. Vor dem Hintergrund, dass Expert_innen immer wieder betont hatten, Eltern müssten motiviert und nicht bestraft werden, überrascht die Einführung von „parental responsibility laws“ zunächst. Denn Freiheitsentzug war nach dieser Logik ein Schritt in die falsche Richtung. So argumentierten die Gegner 1060 Anon.: „Mother Gets Year for Neglect of Son“, in: New York Times, 1. Februar 1947, S. 17. 1061 Ebd. In einigen Bundesstaaten bestand die Möglichkeit, Eltern juristisch für das Verhalten ihrer Kinder zu belangen, schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts, wurde aber in den Nachkriegsdekaden deutlich ausgebaut (Paul W. Schmidt: „Dangerous Children and the Regulated Family: The Shifting Focus of Parental Responsibility Laws“, in: New York University Law Review 73/ 2 [1998], S. 667-699, hier S. 675ff.). 1062 Frederick J. Ludwig: „Delinquent Parents and the Criminal Law“, in: Vanderbilt Law Review 5/ 4 (1952), S. 719-745. In historischen Arbeiten zur US-Nachkriegszeit sind diese Gesetze bisher nicht diskutiert worden. Dagegen findet sich eine Reihe rechtswissenschaftlicher Arbeiten, die sie kritisch untersuchen (z. B. Linda A. Chapin: „Out of Control? The Uses and Abuses of Parental Liability Laws to Control Juvenile Delinquency in the United States“, in: Santa Clara Law Review 37/ 3 [1997], S. 621-672; Schmidt: „Dangerous Children and the Regulated Family“). <?page no="256"?> 255 des New Yorker Urteils, dass Eltern stattdessen lieber lernen sollten, wie „angemessene“ Erziehung funktioniere. 1063 Die New Yorker Society for the Prevention of Crime etwa, die Rivera dabei unterstützte, Berufung gegen ihr Urteil einzulegen, betonte in einer öffentlichen Erklärung, dass Eltern genauso wie Kinder das „Produkt und Opfer ihres Umfelds“ seien. Mrs. Rivera sei „wie ein Gepäckstück“ im Alter von acht Jahren aus Puerto Rico in die USA geschickt worden und sei bei Verwandten aufgewachsen, die sich kaum um sie gekümmert hatten. Mit 19 Jahren hätte sie dann einen älteren Mann geheiratet, der sie aber bald verlassen habe. 1064 Wenn Rivera strafrechtlich verantwortlich sei, seien wiederum ihre Eltern gleichermaßen verantwortlich, argumentierte auch der Strafrechtler Frederick Ludwig 1955 und wies auf das Problem dieser Logik hin: „This conjectural chain of parental responsibility could be traced back to the origins of the human race - to Adam and Eve, no less! - but with doubtful utility to the present-day problem.“ 1065 In den Argumenten gegen eine solche Gesetzgebung wird erneut deutlich, dass Eltern - gerade in ihrer Relaisfunktion - vielfach als zu therapierende Patient_innen hervortraten. So sprachen sich etwa die Teilnehmer_innen der Konferenz Parents and Delinquency in deutlicher Mehrheit gegen die Bestrafung von Eltern für die Delinquenz ihrer Kinder aus. Durch eine „Gerichtserfahrung“ könnte eine ohnehin bereits „gestörte“ Eltern-Kind- Beziehung weiter verschlechtert werden. In Familien, die ohnehin von wenig Liebe geprägt seien, dürfe man die „Wut“ der Eltern nicht noch zusätzlich schüren. 1066 Da die meisten Eltern delinquenter Kinder „arm“ seien, so argumentierte etwa das Parents’ Magazine, hätte eine Haftstrafe der elterlichen Versorger zudem besonders schädliche Auswirkungen auf die Kinder und würde deren Delinquenz befördern. 1067 Gerade in Bezug auf nicht-weiße Eltern entzündete sich ein weiterer Kritikpunkt an den Gesetzen, der deren vermeintlich kulturell tradierte Ablehnung gegenüber staatlichen Autoritäten aufgriff: Man befürchtete nämlich, dass juristische Schritte gegen Eltern ihre ohnehin bereits feindliche Haltung gegenüber Polizei und Gerichten nur noch bestärken würden. 1068 Als Alternative schlugen Expert_innen vor, Eltern zur Teilnahme an Erziehungskursen etwa in Child Guidance Clinics zu verurteilen. 1069 Aber auch diese Überle- 1063 Anon.: „Guidance Clinics For Parents Urged“, in: New York Times, 5. Februar 1947, S. 20. 1064 Zit. nach anon.: „Group Seeks New Trial for Woman In Prison for Son’s Delinquency“, in: New York Times, 18. März 1947, S. 29. 1065 Ludwig: „Delinquent Parents and the Criminal Law“, S. 720. 1066 Witmer: Parents and Delinquency, S. 16f., 22. 1067 Jack Harrison Pollack: „Should Parents Be Punished For Their Children’s Wrong Doing? “, in: Parents’ Magazine 30/ 3 (1950), S. 50-51, 120-125, hier S. 51. 1068 Z. B. Witmer: Parents and Delinquency, S. 22, 26; Stellungnahme von Greenwood in: Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (National, Federal, and Youth Serving Agencies), Pt. 1, S. 202. 1069 Z. B. anon.: „Guidance Clinics For Parents Urged“; Pollack: „Should Parents Be Punished“, S. 120. <?page no="257"?> 256 gung stieß auf Kritik bzw. erwies sich als wenig zielführend, wie das Parents’ Magazine feststellte. Es berichtete von einem Programm in San Francisco, im Rahmen dessen verurteilte Eltern zwischen einer Haftstrafe und dem Besuch von Abendkursen zur Kindererziehung wählen konnten. Es habe sich gezeigt, dass die zur Teilnahme gezwungenen Eltern nichts gelernt hätten; die Stadt habe daraufhin die Maßnahme umgestaltet und nur noch Kurse für freiwillig Teilnehmende angeboten. 1070 Auch in der Auseinandersetzung mit „parental responsibility laws“ zeigt sich also, dass therapeutische und aktivierende Formen des Zugriffs auf Eltern hervorgehoben wurden. Dass die Gesetze zeitgenössisch trotzdem realisiert werden konnten, lässt sich mit ihrer diskursiven Grundlage begründen, nämlich mit vermeintlich objektiven Annahmen über delinquenzfördernde Familien. „We don’t like to be too much on the punishing side in this court“, räumte auch Richter Desirio ein und verwies damit auf den paradoxen Charakter von Jugend- und Familiengerichten als sowohl therapeutische als auch strafende Instituitionen. Wenn man aber nur auf diese Weise ein „Gefühl von Verantwortung“ in Eltern wecken könne, müsse man diesen Schritt nun einmal gehen. Dabei sah Desirio schon unmittelbar nach Beginn des Rivera-Prozesses einen positiven Effekt: Seither habe der New Yorker Children’s Court täglich bis zu dreißig Anrufe von Eltern delinquenter Kinder erhalten, die fürchteten, das Gericht könnte auch ihnen den Prozess machen. 1071 Einen Monat nach dem Urteil hatten neben New York und Connecticut auch andere Staaten Gesetze auf den Weg gebracht, die Jugendrichtern erweiterte Kompetenzen in der Verurteilung von Eltern zuwiesen. 1072 Zentral in den neu eingeführten Gesetzen war die Annahme, dass Eltern aktiv zur Delinquenz ihres Kindes „beitrügen“ („contributing to the delinquency of a minor“). 1073 Dabei wurde die Ausweitung solcher Gesetze letztlich durch die gleiche Diagnose von „kaputten“ Familien legitimiert, mit der auch die Gegner_innen solcher Maßnahmen ihre Ablehnung begründeten. War schon Jugenddelinquenz eine weitreichende Kategorie, so traf dies auch auf die „contributing to delinquency“-Statuten zu, die äußerst unklar und weitläufig formuliert waren. 1074 Aus den rechtswissenschaftlichen Analysen dieser 1070 Pollack: „Should Parents Be Punished“, S. 120. Dazu Ludwig: „Delinquent Parents and the Criminal Law“, S. 734. 1071 Anon.: „Mother Gets Year for Neglect of Son“. 1072 Anon.: „Jailing of Parents Assailed, Upheld“, in: New York Times, 4. März 1947, S. 28. 1073 Ludwig: „Delinquent Parents and the Criminal Law“, S. 724; Chapin: „Out of Control“, S. 638. Daneben gab es auch das Modell der „tort liability laws“, die eine finanzielle Haftbarmachung von Eltern für die durch ihre Kinder verursachten Schäden ermöglichten. Dabei erforderte diese Haftpflicht keinen Nachweis eines bewusst oder unbewusst schädlichen, elterlichen Einflusses (Ludwig: „Delinquent Parents and the Criminal Law“, S. 729f.). 1074 Ebd., S. 724; Schmidt: „Dangerous Children and the Regulated Family“, S. 677. <?page no="258"?> 257 Gesetze kristallisieren sich drei Formen des mutmaßlichen elterlichen „Beitragens“ zu jugendlicher Delinquenz heraus: Erstens zielten die Gesetze auf Eltern, die ihre Kinder aktiv zu Straftaten ermunterten. Ludwig erwähnte beispielsweise eine Reihe von Fällen, in denen Eltern ihre Kinder zum Stehlen angestiftet haben sollten. 1075 Zweitens umfassten die Statuten die Bestrafung von Eltern, die es ihren Kindern wissentlich ermöglichten, für diese schädliche Dinge zu tun. Dazu gehörten beispielsweise Eltern, die das ständige Fehlen ihrer Kinder in der Schule tolerierten oder es ihnen erlaubten, Orte aufzusuchen, die für Jugendliche nicht geeignet schienen. Ludwig berichtete etwa von einem Fall, in dem ein Vater, der seiner 13-jährigen Tochter den Besuch eines Nachtclubs erlaubt hatte, dafür ins Gefängnis gebracht wurde. 1076 In Bezug auf diese beiden Varianten stand die aktive Beteiligung der Eltern im Vordergrund, im zweiten Fall wird aber bereits deutlich, dass diese Beteiligung auch in elterlicher Nachlässigkeit gesehen werden konnte. Damit reichte dieser Fall in den dritten Bereich hinein, der das „fahrlässige Versäumnis“ („negligent ommission“) von Eltern kriminalisierte. 1077 Laut Ludwig machte dieser Bereich den Großteil der Fälle aus, in denen Eltern bestraft wurden. Dieser äußerst weit gefasste juristische Tatbestand eröffnete die Möglichkeit, all diejenigen Eltern zu bestrafen, denen eine wie auch immer geartete Vernachlässigung ihrer Kinder zugeschrieben wurde - wie auch Genevieve Rivera. Paradigmatisch hier waren Fälle, in denen Eltern ihre Kinder unbeaufsichtigt ließen. 1078 Diese Fälle zeigen, welche Möglichkeiten die neuen Gesetze eröffneten, vom normativen Familienmodell abweichende Eltern zu sanktionieren. Ludwig schrieb von einer Mutter, die ohne Mann und mit ihren sieben Kindern zusammen gelebt habe. Obwohl die Kinder von keinem Gericht als delinquent verurteilt worden seien, habe diese Mutter eine Strafe erhalten. 1079 In der Tat erforderten es die neuen Statuten in der Regel nicht, dass die Kinder zuvor als juvenile delinquents klassifiziert worden waren. 1080 Allein der Umstand, dass die Vaterschaft der Kinder als ungeklärt galt und die Familie Sozialhilfe erhielt, reichte dem Gericht als Grund für das Urteil aus. Der Fall verdeutlichte laut Urteilsbegründung „die vielen Belastungen, die dem Steuerzahler durch die Aktivitäten unmoralischer Personen“ entstünden. 1081 Dieses 1075 Ludwig: „Delinquent Parents and the Criminal Law“, S. 724, 728. 1076 Ebd., S. 729. Vgl. Witmer: Parents and Delinquency, S. 19. 1077 Chapin: „Out of Control“, S. 639. 1078 Ludwig: „Delinquent Parents and the Criminal Law“, S. 724, 729, 733. Wie häufig Eltern Mitte der 1950er Jahre der Prozess gemacht wurde, ist unklar. Ludwig berichtete, dass äußerst unterschiedliche Angaben zur Häufigkeit solcher Urteile gemacht worden seien. So habe ein Jugendrichter aus Ohio von etwa 500 Fällen innerhalb von zehn Jahren berichtet, ein anderer von 579 Fällen in einem Monat alleine in Chicago (ebd., S. 724, 728). 1079 Ebd., S. 731. 1080 Schmidt: „Dangerous Children and the Regulated Family“, S. 677. 1081 In Re Jones, 198 Misc. 269, 98 N.Y.S.2d 524 (1950), Urteilsbegründung, zit. nach Ludwig: „Delinquent Parents and the Criminal Law“, S. 731. <?page no="259"?> 258 Gerichtsverfahren ist dabei nur ein Beispiel dafür, dass vor allem sozial benachteiligte Eltern im Rahmen der „contributing to delinquency“-Statuten kriminalisiert wurden. 1082 Die Logik dieser Statuten zeigt eine bemerkenswerte Konstruktion von elterlicher Aktivität und Intention. Zwar beruhten die Gesetze auf der Annahme einer aktiven Rolle der Eltern, diese konnte aber offenbar in deren mutmaßlicher Inaktivität, nämlich in der Vernachlässigung elterlicher Pflichten bestehen, die in den Gerichtsprozessen als absichtsvolles Handeln erschien. Dieses Konze pt v on I nt en ti on s pei st e si ch d ar au s, da ss no rm at iv e Vo rst ell un gen vo n Er zi ehung und Familienleben als Wahrheiten inszeniert wurden: Eigentlich sollten alle Eltern wissen können, was „richtig“ und „gesund“ war. 1083 Eben dieses Wissen wurde bestimmten Eltern, wie gezeigt wurde, aber abgesprochen. Dadurch war es möglich, ihr Verhalten als objektiv delinquenzfördernd zu kennzeichnen. Dieses Narrativ zeigt ein performatives Paradox solcher juristischen Zugriffe auf Eltern: Zum einen brachen die Gerichtsurteile mit der Vorstellung absichtsvollen Handelns, weil Eltern für etwas bestraft wurden, dass ihnen eigentlich gar nicht zugetraut wurde. Zum anderen reproduzierten diese Fälle die Vorstellung eines „normalen“ und „natürlichen“ Familienlebens, das wiederum aber so natürlich nicht sein konnte, da es offensichtlich juristisch festgelegt werden musste. 1084 Die Versuche der Vereindeutigung dieser brüchigen Logik werden besonders deutlich in einem Fall, über den ein Teilnehmer der Konferenz Parents and Delinquency berichtete: „[T]here was a case where the father was a pipsqueak and the wife was [...] dominating the household. After these parents came before the court, the father took hold in a masculine way, really began to act like a father. The boy, who had been stealing, running away, playing truant, began to make an excellent record.“ 1085 Hier zeigt sich, dass der juristische Zugriff auf Eltern als Mittel zur Herstellung männlicher Dominanz in einer Familie begriffen werden konnte, durch die sich gleichsam automatisch auch das Verhalten des Sohnes verbessere. Gleichzeitig wird deutlich, dass Vaterschaft als natürliche Disposition („act like a father“) galt, die aber durch das Gerichtsverfahren erst wachgerufen werden musste. Bezeichnenderweise etablierten sich „parental responsibility laws“ zu einem Zeitpunkt, zu dem verstärkt Zweifel an den rehabilitativen Fähigkeiten von Jugendgerichten und Jugendstrafinstitutionen geäußert wurden. 1086 Die damit einhergehende Konzentration auf die elterliche Rolle trug nun dazu bei, strafrechtliche Zugriffe auf diese zu begründen. Wenn der Staat kein Eltern-Ersatz 1082 Ludwig: „Delinquent Parents and the Criminal Law“, S. 726. 1083 Chapin: „Out of Control“, S. 624, 627. 1084 Vgl. Krämer/ Mackert: „Skizzen dekonstruktivistischer Körpergeschichte(n)“. 1085 Witmer: Parents and Delinquency, S. 22. 1086 Dazu Kapitel II.2. <?page no="260"?> 259 sein konnte, musste er dafür sorgen, dass Eltern ihren Job besser erledigen würden. Damit verdichteten die neuen Gesetze die Verknüpfung von jugendlicher und elterlicher Führung und kriminalisierten diejenigen Eltern, die als unfähig galten, ihre Kinder zu erziehen. In Bezug auf sozial benachteiligte Familien konnte sich der strafende Zugriff auf Eltern offenbar auch gegenüber denjenigen Konzepten durchsetzen, die die schädlichen Auswirkungen von Strafen kritisierten und auf die Ermutigung von Eltern setzten. Der diskursive Sog, den Rufe nach elterlicher Bestrafung angesichts der vermeintlichen Malaise entfalten konnten, zeigt sich etwa in einem Brief, den ausgerechnet Benjamin Spock im März 1963 erhielt. Die Verfasserin beklagte sich darin ausführlich über „parent delinquents“: „[W]hen minors get in trouble because their parents have been derelict in their duty toward the children they have brought into this world, it is the parents who shouldbe [sic] penalized“, folgerte sie. 1087 Indem jugendliche Delinquenz in den Verhandlungen von „parental responsibility laws“ wieder und wieder als logische Konsequenz familiärer „Verwahrlosung“ inszeniert wurde, trugen diese dazu bei, Delinquenz zu skandalisieren, gleichzeitig aber auch zu normalisieren. Für den Rechtswissenschaftler Paul Schmidt sind die Gesetze deshalb ein frühes Beispiel einer postmodernen Straflogik. Diese charakterisiert er im Anschluss an David Garland unter anderem dadurch, dass mit der Ausrichtung auf Familien weniger „individuelle Täter“, sondern eine „grundlegende Einheit des Sozialen“ durch diese Gesetze regiert werden konnte. 1088 Das zeitgenössische Wissen über jugendliche Delinquenz fungierte also als diskursive Legitimation, in Familien einzugreifen. Diese Zugriffe auf Eltern verdeutlichen, wie Familien als zentrale gesellschaftliche Instanzen hervorgebracht wurden, die prinzipiell schützenswert sein sollten, gerade deshalb aber auch kontrollierende und strafende Maßnahmen erforderlich zu machen schienen. Auf welche Weise sich Eltern und Jugendliche in Bezug auf die Annahme einer derart bedeutenden familiären Rolle positionieren konnten, ist einer der Aspekte, die im Folgenden behandelt werden. 4 Juvenile Delinquency als Subjektivierungswissen Im September 1948 schrieb Agnes Maxwell-Peters, eine Mutter von zwei Söhnen, an den Psychiater Fredric Wertham und schilderte ihm besorgt das Verhalten ihrer Kinder. Die 7- und 13-jährigen Jungen, eigentlich schulisch und sportlich überdurchschnittlich begabt, würden regelmäßig auf eine Art miteinander 1087 Katherine Ehlen, Glendale, CA, an Spock, 8. März 1963, Spock Papers, Box 11. 1088 Schmidt: „Dangerous Children and the Regulated Family“, S. 687f. Schmidt bezieht sich auf David Garland: „Penal Modernism and Postmodernism“, in: Thomas G. Blomberg/ Stanley Cohen (Hg.): Punishment and Social Control. Hawthorne: Aldine de Gruyter, 1995, S. 181- 209. <?page no="261"?> 260 streiten, die „unfassbar“ sei angesichts ihres Zuhauses, das Maxwell-Peters als stabil und bürgerlich markierte. Für sie war das Verhalten der Jungen ein Resultat des schädlichen Einflusses von Comics und schien auf eine grundsätzliche Gefährdung der Jugend hinzudeuten: „We consider the situation to be as serious as an invasion of the enemy in war time, with as far reaching consequences as the atom bomb. If we cannot stop the wicked men who are poisoning our children’s minds, what chance is there for mankind to survive longer than one generation, or half of one? “ 1089 Maxwell-Peters schrieb sich mit ihrem Brief, den Wertham mit dem Verweis „good letter“ versah, in eine Reihe von zentralen Aussagen des Delinquenzdiskurses ein. So ging sie von einem prinzipiellen Zusammenhang von Familiensituation und delinquentem Verhalten aus, gerade indem sie diesen für ihren Fall zurückwies. Außerdem bezog sie sich auf Jugendliche als besonders instabil und daher als gefährdete gesellschaftliche Ressource. Ausgehend von Briefen wie diesem lassen sich die Einschreibungen von Jugendlichen und Eltern in den Delinquenzdiskurs betrachten. Im Folgenden wird es darum gehen, auf welche Weise Jugendliche und Eltern sich in der Delinquency Scare anrufen ließen, sich also im zeitgenössischen Wissen über jugendliche Delinquenz wiederfanden, es bestätigten oder aber auch ablehnten. Außerdem untersuche ich, welche Erklärungen sie für das Problem aufgriffen und wie sie sich eine Sprechposition im Diskurs aneignen konnten. Damit betrachte ich Briefe von beiden Gruppen an Zeitschriften und Expert_innen als aufschlussreiche Quellen dafür, wie der produktive Signifikant juvenile delinquency subjektivierend wirken konnte. Vor der Analyse der Briefe muss ich auf vier grundsätzliche Einschränkungen meiner Untersuchung hinweisen: Um den Subjektivierungsspielraum von Jugendlichen und Eltern in der Delinquency Scare auszuloten, habe ich erstens nur diejenigen Briefe einbezogen, in denen sie sich als solche darstellten, also explizit auf ihren Jugendlichen- oder Eltern-Status verwiesen. Dabei erfolgt die Unterscheidung von Eltern- und Jugendlichen-Briefen aus heuristischen und quellenorientierten Gründen, da beiden Gruppen im Delinquenzdispositiv unterschiedliche Sprechpositionen zugewiesen wurden. Auf diese Weise kann ich untersuchen, ob und wie sich die Verfasser_innen der Briefe auch auf die Annahme eines profunden Unterschiedes zwischen Jugendlichen und Eltern beriefen. Dieser Zugriff kann aber nicht diejenigen erfassen, die sich nicht als Jugendliche oder Eltern positionierten. Indem ich Briefe von Individuen analysiere, die sich explizit zum Thema jugendlicher Delinquenz verhielten, bleiben zweitens diejenigen von der Analyse ausgeschlossen, die sich nicht von diesem Problemszenario angerufen fühlten. Ob die Verfasser_innen der Briefe den Annahmen des 1089 Agnes Maxwell-Peters, Big Creek, CA, an Wertham, 7. September 1948, Wertham Papers, Box 123. <?page no="262"?> 261 Delinquenzdiskurses nun zustimmten oder nicht, allein ihre Reaktion darauf zeigt die Wirkungsmacht eines spezifischen Subjektivierungswissens. Für eine Untersuchung von grundsätzlichen Brüchen dieses Anrufungsregimes sind solche Briefe als Quellen daher nicht geeignet. Dagegen lässt sich an ihnen die universalisierende Funktion der Delinquency Scare veranschaulichen, beispielsweise dadurch, dass die Briefe aus den unterschiedlichsten Regionen der USA geschickt wurden. Drittens schließlich geht es mir im Folgenden nicht um die Klärung der Frage, ob „tatsächlich“ primär weiße Eltern der Mittelklasse sich Erziehungswissen einholten oder in den Dialog mit Expert_innen begaben - wie es in den Verhandlungen von Elternerziehung präsentiert wurde. Ich möchte vielmehr zeigen, dass hegemoniale Annahmen über das Verhältnis von Delinquenz, Klasse und „Rasse“ die Art und Weise informierten, in der die Verfasser_innen der Briefe sich und andere ins Verhältnis zum Delinquenzproblem setzten. Es lässt sich so danach fragen, wie das in der Delinquency Scare distribuierte Wissen Eingang in die Wahrnehmungen und Handlungen Einzelner fand bzw. ob es auch einen Raum eröffnete, in dem bestimmte diskursive Wahrheiten in Frage gestellt werden konnten. Viertens schließlich beschränkt sich mein hier analysierter Quellenkorpus weitgehend auf Briefe aus der Mitte der 1950er Jahre und auf zwei Bestände: die Akten des Senate Subcommittee und der Nachlass des Delinquenzexperten Fredric Wertham. Ich habe diese Auswahl getroffen, weil hier eine besonders hohe Quellendichte vorliegt. Die zahlreichen Briefe, die an das Senate Subcommittee und Wertham gesendet wurden, bezogen sich zudem fast alle auf ein zu diesem Zeitpunkt kontrovers diskutiertes Problem, nämlich auf die Frage, ob und in welchen Maße Comics jugendliche Delinquenz produzieren konnten. 1090 Damit untersuche ich exemplarisch ein zeitlich und thematisch enges Fenster und kann weniger den Wandel von Subjektivierungswissen, als dessen Funktionsweise zu einem spezifischen historischen Zeitpunkt zeigen. Mrs. Maxwell-Peters wandte sich in ihrem Brief an Wertham, weil dieser als ausgewiesener Experte zum schädlichen Einfluss von Comics auf Jugendliche galt. 1091 Wertham war der Überzeugung, dass Comics in beträchtlichem Ausmaß zu jugendlicher Delinquenz beitrugen, indem sie Jugendlichen antidemokratische Werte vermittelten. Dabei bezog er sich besonders auf Darstellungen von Gewalttaten und argumentierte, diese regten Jugendliche zur Nachahmung an. 1092 Die Kritik an der Gewaltverherrlichung in Comics wurde vom Subcom- 1090 Cohen: „The Delinquents“; Nyberg: Seal of Approval; Lent: Pulp Demons; Wright: Comic Book Nation; Beaty: Fredric Wertham and the Critique of Mass Culture; Jean-Paul Gabilliet: Of Comics and Men. A Cultural History of American Comic Books. Jackson: Univ. Press of Mississippi, 2010 [2005], S. 29-79. 1091 Maxwell-Peters an Wertham. 1092 Fredric Wertham: „The Comics... Very Funny! “, in: Saturday Review of Literature, 29. Mai 1948, S. 6-7, 27-29; ders.: Seduction of the Innocent. New York/ Toronto: Rinehart & Co., <?page no="263"?> 262 mittee aufgegriffen, das sich Mitte der 1950er Jahre intensiv mit dem Zusammenhang von Comics und Delinquenz beschäftigte und auch Wertham zu den Anhörungen lud. 1093 Die Vereinigten Staaten könnten es sich „nicht leisten“, hieß es in einem Zwischenbericht des Ausschusses, ihre „Kinder [...] mit einer konzentrierten Kost von Kriminalität, Horror und Gewalt [zu füttern]“. Gerade bereits emotional „gestörte“ Jugendliche könnten durch Comics zusätzlich negativ beeinflusst werden. 1094 Diese Einschätzung war aber auch umstritten. Denn andere, wie etwa die Psychiaterin Lauretta Bender, hoben gerade den großen Nutzen hervor, den Comics für die so wichtige Identitätsbildung junger Menschen haben könnten. 1095 Und der Comicverleger William Gaines begründete seine Rechtfertigung von Comics mit dem Verweis auf die Rolle von Kindern in einer demokratischen Gesellschaft: Man dürfe nicht vergessen, dass Kinder auch Staatsbürger_innen seien und ein Recht auf die freie Wahl ihrer Lektüre hätten. 1096 Der Bezug auf die notwendige Ausbildung demokratischer Charaktere konnte also dazu dienen, Comics sowohl zu attackieren als auch zu verteidigen. Zwar sorgte man sich um die „Gehirnwäsche“ Jugendlicher, aber ein Verbot von Comics schien in Widerspruch zu einer demokratischen Gesellschaft zu geraten. 1097 Nichtsdestotrotz beförderte die Kontroverse um Comics eine Reihe von Maßnahmen. Erstens begann etwa das Parents’ Magazine seine Leserschaft mit Listen zu versorgen, in denen Comics nach ihrer Eignung für ein jugendliches Publikum klassifiziert wurden. 1098 Zweitens trugen die Anhörungen des Senats- 1954; Werthams Stellungnahme in: U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Juvenile Delinquency (Comic Books). Hearings before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, 83rd Cong., 2nd Sess., 21./ 22. April, 4. Juni 1954. Washington, DC: Government Printing Office, 1954, S. 79-97. Zu Wertham und dessen Rezeption Nyberg: Seal of Approval, insbes. Kap. 4; Wright: Comic Book Nation, S. 93ff., 163; Beaty: Fredric Wertham and the Critique of Mass Culture, v. a. Kap. 4. 1093 Z. B. Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Comic Books); U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Comic Books and Juvenile Delinquency. A Part of the Investigation of Juvenile Delinquency in the United States. Interim Report of the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency to the Committee on the Judiciary, 84th Cong., 1st Sess. Washington, DC: Government Printing Office, 1955. 1094 Ebd, S. 32. 1095 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Comic Books), S. 158. Bender war allerdings, das ist in diesem Kontext bedeutsam, als Beraterin in einem großen Comicverlag angestellt („Background Statement - Dr. Lauretta Bender“, Records of the Senate Subcommittee, Box 169). 1096 Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Juvenile Delinquency (Comic Books), S. 98. Zu Gaines Amy Kiste Nyberg: „William Gaines and the Battle Over EC Comics“ [1996], in: Jeet Heer/ Kent Worcester (Hg.): A Comic Studies Reader. Jackson: Univ. Press of Mississippi, 2009, S. 58-68; Wright: Comic Book Nation, S. 135-153. 1097 Ebd., S. 154. Dazu Gilbert: Cycle of Outrage. Zum „brainwashing“-Diskurs in den USA des Kalten Krieges Susan L. Carruthers: Cold War Captives. Imprisonment, Escape, and Brainwashing. Berkeley/ Los Angeles: Univ. of California Press, 2009. 1098 Z. B. Jesse L. Murrell: „Annual Rating of Comic Magazines“, in: Parents’ Magazine 27/ 11 <?page no="264"?> 263 ausschusses zur Einführung des Comics Code bei: Mit der Gründung der Comics Magazine Association of America unterwarfen sich die Comicverleger einem „freiwillen“ Kodex, der unter anderem eine Zensur von „Gewaltverherrlichung“ vorsah und dessen Einhaltung durch einen Jugendrichter überwacht werden sollte. 1099 Während es zu keiner nationalen gesetzlichen Festschreibung solcher Regeln kommen sollte, hatten 1955 dreizehn Bundesstaaten Gesetze zur Regulierung von Comics verabschiedet. 1100 Auf dem Höhepunkt der Kontroverse rief Gaines‘ Verlag Educational Comics (EC) seine Fanclub-Mitglieder dazu auf, Protestbriefe an das Senate Subcommittee zu schicken. In einer Ausgabe des Fanclub-Organs, die an 17.000 Personen verschickt wurde, hieß es: „THIS IS AN EMERGENCY BULLETIN. This is an appeal for action! “ Eine Reihe von „do-gooders“, darunter Eltern, die ihr Scheitern an elterlicher Verantwortung nur allzu gerne auf Comics abwälzen wollten, würde den Fortbestand von Comics gefährden, proklamierte der Text. Er berief sich auf Expert_innen, die eher die positiven Auswirkungen von Comics hervorgehoben hatten, und bezeichnete das Zensurvorhaben des Subcommittee als Teil einer „Welle der Hysterie“. 1101 Dabei konterkarierte das Bulletin die Anrufung der Fanclub-Mitglieder als potenzielle Delinquent_innen und rief sie stattdessen als demokratische Subjekte an: „IT IS TIME THAT THE MA- JORITY’S VOICE BE HEARD! [...] Wherever you can, let your voice […] be raised in protest over the campaign against comics.“ Gleichzeitig empfahl das Bulletin aber gerade jungen Comic-Fans, den Brief mit ihren Eltern zusammen zu verfassen, da der Senatsausschuss möglicherweise „nicht viel Respekt für die Meinung Minderjähriger“ habe. 1102 Diese ambivalente Konstruktion Jugendlicher ist eines der diskursiven Muster, die sich in den zahlreichen Briefen zeigen, die das Subcommittee daraufhin erhielt. 1103 (1952), S. 132-135. Dazu Wright: Comic Book Nation, S. 155. Zur ähnlichen Entwicklung in der Filmindustrie Gilbert: Cycle of Outrage, Kap. 10. Das Parents’ Magazine hatte bereits 1941 begonnen, eine eigene Comic-Serie zu publizieren, die es bezeichnenderweise True Comics nannte (z. B. True Comics 63 [August 1947], online verfügbar unter: Michigan State University Digital and Multimedia Center: URL: http: / / archive.lib.msu.edu/ DMC/ Comic% 20Art/ truecomics63.pdf [08.08.2012]). 1099 Waltzer: Uneasy Idealism, S. 179; Nyberg: Seal of Approval, Kap. 3 und 4. Schon in den späten 1940er Jahren hatte es einen, allerdings gescheiterten, Versuch gegeben, Comics inhaltlich durch einen selbstverpflichtenden Code der Comic-Verleger zu regulieren (ebd., S. 104ff.). Auch die Darstellung von Sex sollte mit dem Comics Code zensiert werden (ebd., Kap. 4). 1100 Cohen: „Censorship and Youth Culture“, S. 259f. 1101 „The National E.C. Fan-Addict Club Bulletin“, Juni 1954, Nummer 3, S. 1, Records of the Senate Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency, Box 168 (Großbuchstaben i. O.). Dazu Nyberg: „William Gaines and the Battle Over EC Comics“, S. 63. 1102 „The National E.C. Fan-Addict Club Bulletin“, S. 2 (Großbuchstaben i. O.). 1103 Das Subcommittee erhielt in diesem Kontext ingesamt etwa 300-400 Briefe. Nyberg hat diese Briefe ebenfalls untersucht, allerdings äußerst knapp und nicht als diskursive <?page no="265"?> 264 4.1 „You must think us teenagers have rocks in our heads“: Jugendliche Äußerungen „I read comic books“, bekannte der Abiturient Ron Baumgardner in seinem Brief an das Subcommittee und fuhr fort: „I have read comic books since I was in the second grade. Before that I looked at the pictures.“ Und gerade habe er als einer der Klassenbesten seinen Highschool-Abschluss gemacht und ein Studienstipendium erhalten. 1104 Baumgardners Brief macht deutlicht, dass er keine schädlichen Auswirkungen von Comics sah. Damit ist er nur einer von unzähligen Zuschriften, die das Subcommitee und Wertham von Jugendlichen erhielten, die ihre Intelligenz sowie soziale und mentale Integrität hervorhoben, um Comics zu rehabilitieren. Ein 15-jähriger Junge trumpfte beispielsweise auf: „I have long been a reader of certain horror comics and I assure you I am neither neurotic nor psychotic. In fact I am considered far above the average mental level of juveniles of my age.“ 1105 Die Versicherung, dass man kein Problem habe, taucht in den Briefen häufig auf und fungierte als Abgrenzung der Schreibenden von delinquenten Jugendlichen, über die sie Delinquenz als gesellschaftliches Problem reproduzierten. Joe Mason etwa, der sich als „normaler Junge“ und langjähriger Comic-Leser vorstellte, argumentierte, wenn Jungen oder Mädchen Comics läsen und dann kriminell werden würden, seien sie nicht „normal“. 1106 Worin begründete sich aber diese in den Briefen konstatierte fehlende Normalität nach Ansicht der Jugendlichen? Wir haben gesehen, dass diese Frage in der Delinquency Scare unterschiedlich beantwortet wurde und zwischen individuellen psychischen Störungen und der Betonung sozialer und familiärer Faktoren oszillierte. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass die Jugendlichen selbst sich am häufigsten auf letzteren Erklärungskomplex beriefen. Wenn Comics einen schädlichen Einfluss hätten, so argumentierten sie, sei die Ursache in den Lebensbedingungen und vor allem bei den Eltern der Jugendlichen zu fin- Einschreibungen, sondern als misslungenen Versuch von Comicfans, die Kampagne gegen Comics zu stoppen (vgl. Nyberg: „William Gaines and the Battle Over EC Comics“, S. 64). 1104 Ron Baumgardner, o. O., an das Senate Subcommittee, 11. Juni 1954, Records of the Senate Subcommittee, Box 169. 1105 John W. Teel, Pineville, WV, an das Senate Subcommittee, 12. Juni 1954, ebd. Der Verweis darauf, dass keine psychischen Probleme vorlägen, war wahrscheinlich deshalb wichtig, weil Expert_innen vor allem diejenigen jugendlichen Comic-Leser_innen als delinquenzgefährdet klassifizierten, denen man auch eine psychische Störung diagnostizierte. Damit wandten sich diese Jugendlichen auch gegen den Vorwurf, psychisch „gestörte“ oder geistig „zurückgebliebene“ Jugendliche seien die größte Gruppe der Comiclesenden (vgl. auch Wayne Owen, o. O., an das Senate Subcommittee, 11. Juni 1954, ebd.; Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency: Comic Books and Juvenile Delinquency, S. 32). 1106 Joe Mason, o. O., an das Senate Subcommittee, n. d. (Juni 1954), Records of the Senate Subcommittee, Box 169. Vgl. auch Jesse Woodman, Olmstedt Falls, OH, an das Senate Subcommittee, 21. Juni 1954, ebd. <?page no="266"?> 265 den. Der 17-jährige Dick Cashwell ergänzte die obligatorische Erwähnung seiner hohen Intelligenz in einem Brief an Wertham durch den Verweis auf sein „gutes“ Elternhaus: Der Vater sei Direktor, die Mutter schreibe eine Kolumne für eine Zeitschrift. Er selbst liebe Mathemathik, Sport, nicht nur populäre, sondern auch klassische Musik und Bücher - und eben auch Comics. Nach dieser mehrfachen Legitimierung seiner Sprechposition argumentierte er, er habe auch „crime comics“ gelesen, sei aber niemals zu einer kriminellen Handlung angestiftet worden, denn das Problem läge in den Familien: „I think a much better solution to this sudden outburst of Juvenile Delinquency [sic] is to clear home problems and create a better environment. [...] Maybe your solution is better than my monstrosity, it surely is cheaper than mine.“ 1107 Ironisch bezog sich Cashwell hier auf den Versuch des Subcommittee, eine andere Erklärung als die seiner Ansicht nach vollkommen folgerichtige zu finden und führte das auf mangelnde Bemühungen zurück. Mit dem Verweis auf ein delinquenzförderndes Umfeld schrieb auch der New Yorker Gangjunge Mousey an das Subcommittee. Er repräsentiere die Gang „The Italian Dukes“, erklärte Mousey, und fuhr fort: „You must think us teenagers have rocks in our heads if you believe a little thing like a comic book is gonna make murderers and thieves out of us, [sic] I come from what is know [sic] as Little Italy […]. This neighborhood is pretty well known for juvenile delinquency I [sic] admit. But NO COMIC BOOKS did it.“ 1108 Der Verweis auf den Einfluss des sozialen Umfelds erlaubte es offensichtlich auch als nahezu per se delinquent geltenden Jugendlichen, sich gegen eine Zensur von Comics zu wenden. Während diese Bezüge auf ein schlechtes Umfeld eher allgemein waren, wurden in den meisten Briefen explizit Eltern verantwortlich für die Delinquenz ihrer Kinder gemacht. „I believe that the cause of juvenile delinquency is in the parents and in the parents alone“, schrieb etwa John Teel an das Subcommittee. Er führte die Kampagne gegen Comics wie der EC-Aufruf auf das Unvermögen von Eltern zurück, ihre eigenen Fehler einzugestehen, und forderte den Ausschuss auf: „[G]et after the parents, not the publishers.“ 1109 Und der 16-jährige Carlton de Harb etwa begrüßte die generelle Arbeit des Senate Subcommittee und bezeichnete jugendliche Delinquenz als „große Gefahr für die Existenz unseres Landes“. Allein der Fokus auf Comics sei falsch. Den „wahren Grund“ für De- 1107 Dick Cashwell, Albemarle, NC, an Wertham, 22. April 1954, Wertham Papers, Box 123. 1108 Mousey, o. O. (New York City), an das Senate Subcommittee, Juni 1954, Records of the Senate Subcommittee, Box 169 (Großbuchstaben i. O.). Die „Italian Dukes“ wurden auch von Vincent Riccio als New Yorker Gang erwähnt (Riccio/ Slocum: All the Way Down, S. 124). 1109 John W. Teel, Pineville, WV, an das Senate Subcommittee, 12. Juni 1954, Records of the Senate Subcommittee, Box 169. <?page no="267"?> 266 linquenz sah de Harb ausschließlich in den Eltern: „Parents! Parents who neglect their children because they are always ‘too busy’ or ‘too tired’. […] I have known juvenile delinquents and all I have known have come from broken or otherwise unhappy homes.“ 1110 Die zeitgenössische Konstruktion von broken homes als verantwortlich für jugendliche Delinquenz erlaubte es ihm, die Zukunft der Vereinigten Staaten an familiären Verhältnissen festzumachen. „Your article enlightened me to the fact that comics poison my mind“ Im Gegensatz zu den bisher zitierten Briefen schienen sich einige Jugendliche sehr in der Kritik an Comics wiederzuerkennen. Dies zeigt eine Reihe von Briefen, in denen Jugendliche ihre Abkehr von Comics beschrieben. Der 12-jährige Howard Weilbacher hatte Werthams Artikel „The Comics... Very Funny! “ gelesen. Bisher habe er gerne in Comics geblättert, schrieb Weilbacher und stellte Werthams Text als Auslöser für einen nahezu kathartischen Prozess dar: „[I]t enlightened me to the fact that they poison my mind. So [...] I will burn all of those evil comics. […] Keep up with the good work and I will see if I can influence some of my friends to burn their comics.“ 1111 Bei B. J. Willingham, einem jungen Marineangehörigen, war dieser Prozess schon eine Weile her. Im Alter von sieben Jahren habe er die Entscheidung getroffen, keine Comics mehr zu lesen, berichtete er in einem Brief an Wertham. Damals habe er in den „slums“ der Bronx gelebt, nun aber wohne er am Harlem River Drive: „So you see by me putting the comic books to one side, and picking up a history book I have gianed [sic] something in life.“ Willingham beschrieb seine Abkehr von Comics hier als Hinwendung zu Bildung und als Schlüsselmoment in der Erlangung sozialer Mobilität. 1112 Neben den Briefen von Weilbacher und Willingham macht noch ein weiterer Brief an Wertham exemplarisch deutlich, dass sich Individuen in den psychiatrischen Diagnosen des Delinquenzexperten erkennen und in die Anrufung als „gestört“ einschreiben konnten. Mehr als 25 Jahre nach dem Erscheinen von Werthams Buch Dark Legend wandte sich beispielsweise der in einer psychiatrischen Klinik in Florida einsitzende William F. Moshen an den Psychiater. 1113 Moshen schrieb nicht, wie alt er war; das Buch, auf das er sich bezog, handelte 1110 Carlton de Harb, Martinsville, VA, an das Senate Subcommittee, 22. Juni 1954, Records of the Senate Subcommittee, Box 169. 1111 Howard S. Weilbacher, Bay Shore, NY, an Wertham, n. d. (verm. 1948), Wertham Papers, Box 123 (Hervorhebung i. O.). Weilbacher bezog sich auf Wertham: „The Comics“. 1112 B. J. Willingham, Jr., New York City/ San Francisco, CA (Fleet Post Office), an Wertham, 24. August 1954, Wertham Papers, Box 124. 1113 William F. Moshen, Florida State Hospital, Chattahoochee, FL, an Wertham, 3. Oktober 1968, ebd. Moshen bezog sich auf Fredric Wertham: Dark Legend. A Study in Murder. New York: Duell, Sloan, and Pearce, 1941. <?page no="268"?> 267 aber von den in Mord resultierenden psychischen Störungen eines 17-jährigen Jugendlichen. „I am under the sexual psychopath law“, bekannte Moshen und fuhr fort: „Through this book [...] I was able to receive even more of an insight to my sexual problems, than I now possess [sic].“ 1114 Moshen schrieb sich hier in die zeitgenössische Kritik an Strafanstalten ein, denn er beklagte, dass es in Florida - wie auch in den anderen Bundesstaaten - an psychiatrischem Fachpersonal mangele. Dabei wird in seinem Brief der subjektivierende Effekt psychiatrischer Diskurse auch auf diejenigen deutlich, die sich darin als „krank“ erkannten: Moshen gestand, dass seine eigenen Bemühungen um die „Kontrolle und das Verständnis“ seiner Probleme nicht ausreichend seien. Vor diesem Hintergrund beteuerte er, dass er nicht länger eine „Gefahr für die Gesellschaft“ sein wolle und sich daher an den Experten wende. „Men like you are very inspiring to people like me“, schrieb Moshen und bat Wertham um weiterführende Literatur. 1115 Damit konturierte sich Moshen hier gerade durch den Bezug auf die psychische „Krankheit“, die er zu überwinden bemüht war, als Subjekt auf dem Weg zur rechten Selbstführung. Nicht alle Jugendlichen betrachteten jugendliche Delinquenz als Problem und bisweilen wurde die Delinquency Scare von ihnen parodiert. Dies zeigt etwa ein Brief, den Geraldine Sullivan in Reaktion auf einen Artikel über Rock‘n‘Roll an LOOK schrieb. „As all worthy juvenile delinquents must do from time to time“, bemerkte sie ironisch, „I’ve laid down my zip gun and taken up a pen“. In ihrem Brief stellte sie die Verknüpfung von Rockmusik und jugendlicher Delinquenz als „Beleidigung“ von Erwachsenen gegenüber Jugendlichen dar und verwies darauf, dass auch die Teenagerzeit der nun Erwachsenen nicht gerade „unbescholten“ gewesen sein dürfte. 1116 Freilich zeigt auch dieser Umgang mit dem Vorwurf jugendlicher Delinquenz dessen Wirkungsmacht, da Sullivan es offenbar für nötig hielt, an LOOK zu schreiben und sich davon abzugrenzen. Indem sie hier zudem auf vermeintliche Besonderheiten von Jugendlichen Bezug nahm, knüpfte sie an hegemoniale Konzepte von Adoleszenz an. Womöglich konnte sie aber genau dadurch die Diskussionen um jugendliche Delinquenz eindringlicher kritisieren, als wenn sie lediglich betont hätte, dass sie sich selbst stets vorbildlich verhalte. Konterkariert wurde in den Briefen von Jugendlichen überdies die Suche nach den Ursachen für Jugenddelinquenz. So schrieb etwa Steve Linn an Wertham: „[H]ave your ever thought of drinking water as a cause of juvinile delinquincy [sic]? I’m sure that statistics will prove that nearly 100 % of all juvinile delinquints [sic] drank water. Very probably a few were arrested while 1114 Moshen an Wertham. Vgl. dazu Edwin H. Sutherland: „The Sexual Psychopath Laws“, in: Journal of Criminal Law and Criminology 40/ 5 (1950), S. 543-554. 1115 Moshen an Wertham. 1116 Geraldine Sullivan, Jacksonville, FL, an LOOK, „Letters to the Editor“, in: LOOK 11/ 1958, S. 16. <?page no="269"?> 268 actually drinking it.“ Linn parodierte hier die Annahme, dass eindeutige kausale Verbindungen zwischen einzelnen Faktoren und jugendlichem Verhalten gezogen werden könnten. Wenige Zeilen später hoffte er ironisch, wenn die Comics aus den Zeitschriftenläden verschwänden, könnten „zukünftige“ Delinquent_innen „gesunde Literatur“ kaufen. Indem er im Anschluss Publikationen aufzählte, die als pornograpisch klassifiziert wurden, bezog er sich auf zeitgenössische Debatten, die ganz ähnlich wie die um Comics funktionierten. 1117 Andere Jugendliche versuchten dagegen, Comics gerade über deren Einfluss auf die jugendliche Psyche zu rehabilitieren. Der Aufruf des EC-Fanclubs hatte sich auf psychiatrische Expertisen berufen und argumentiert, Comics würden die „Fantasie [junger Menschen] anregen“ und ihnen dabei helfen, „natürliche Aggressionen“ zu verarbeiten. 1118 Eine Reihe von Jugendlichen griff diese Formulierung des EC-Aufrufes bzw. dessen namentliche Verweise auf Expert_innen wörtlich auf. 1119 Andere nutzten offenbar eigene Formulierungen, wie etwa der 16-jährige Wan Barker, der die positiven Auswirkungen von Comics auf die jugendliche Vorstellungskraft und implizit deren gesellschaftlichen Nutzen hervorhob, indem er rhetorisch fragte: „[W]here would we be now if no one had an imagination? “ 1120 Auf diese Weise schrieben sich Jugendliche in Vorstellungen einer spezifisch jugendlichen Beeinflussbarkeit ein. Dass sie unter anderem darüber auch eine Sprechposition im Delinquenzdiskurs erlangen konnten, wird im nächsten Abschnitt gezeigt. „I am an authority on the subject“ In seinem Aufruf hatte der EC-Fanclub seine jungen Mitglieder aufgefordert, auch ihre Eltern einen Brief schreiben zu lassen, da das Subcommittee junge Menschen ohnehin nicht ernst nähme. 1121 Auf diese Annahme verwiesen viele Jugendliche in ihren Briefen, auch diejenigen, die diese offenbar nicht in Reaktion auf das Bulletin verfassten. So schrieb etwa die 13-jährige Lyn Crawford an Wertham: „My opinion probably doesn’t mean a thing to you because I’m only 1117 Steve Linn, Sweetwater, TX, an Wertham, 3. Dezember 1954, Wertham Papers, Box 124. Vgl. U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary: Obscene and Pornographic Literature and Juvenile Delinquency. Relative to the Investigation of Juvenile Delinquency in the United States. Interim Report of the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency to the Committee on the Judiciary, 84th Cong., 2nd Se ss ., Washington, DC: Government Printing Office, 1956. 1118 „The National E.C. Fan-Addict Club Bulletin“, S. 1. 1119 Z. B. Stuart Harlem, Philadelphia, PA, an das Senate Subcommittee, 12. Juni 1954, Records of the Senate Subcommittee, Box 169; Myles Callum, Stamford, CT, an das Senate Subcommittee, 12. Juni 1954, ebd.; John Obst, West Terre Haute, IN, an das Senate Subcommittee, 25. Juni 1954, ebd.; Ronaldo Robinson, Waco, TX, an das Senate Subcommittee, n. d. (Juni 1954), ebd. 1120 Wan Barker, o. O., an das Senate Subcommitee, n. d. (verm. 1954), ebd. 1121 „The National E.C. Fan-Addict Club Bulletin“, S. 2. <?page no="270"?> 269 a child.“ 1122 Die meisten Jugendlichen allerdings bezogen sich ironischablehnend auf die Annahme, junge Menschen seien keine vollwertigen Gesprächspartner_innen. John Hegarty beispielsweise begann seinen Brief an Wertham mit den Worten: „I’m only 16 years old so I don’t know what I’m talking about.“ 1123 Äußerungen wie diese verdeutlichen, dass sich die Jugendlichen zwar als Jugendliche angerufen fühlten, sich aber gegen den Vorwurf mangelnder Reife und mangelnden Wissens abgrenzten und eine Sprechposition reklamierten. Dies geschah in den Briefen vor allem über vier eng miteinander verbundene Argumente: erstens durch die Abgrenzung von Erwachsenen, zweitens durch die Einnahme einer spezifisch jugendlichen Expert_innenposition, drittens über den Bezug auf Jugend als gesellschaftliche Ressource sowie viertens durch den Verweis auf die demokratische Verfasstheit der Gesellschaft. Erstens, das ist bereits an einigen Stellen deutlich geworden, verwiesen Jugendliche auf die Versäumnisse von Erwachsenen, um Comics zu rehabilitieren. Die bereits zitierte Lyn Crawford kritisierte die alleinige Konzentration auf jugendliches Fehlverhalten. „Do you suggest“, fragte sie rhetorisch, „that all children give up comic books (our amusement) and turn now to cigarettes, adult crime and sex books, and liquor (ADULT AMUSEMENT)? “. Indem sich Crawford beschwerte, dass die „Unarten“ der Erwachsenen außer Acht gelassen würden, lenkte sie den Fokus auf diese als mindestens ebenso großes Problem. 1124 Überdies relativierte sie implizit die Annahme, junge Menschen seien wesentlich leichter beeinflussbar als Erwachsene. Dass das Wissen über psychisch instabile Erwachsene es ermöglichte, die strikte Trennung in „reife“ Erwachsene und „unreife“ Jugendliche zu brechen, wird in einem Brief deutlich, den das Subcommittee vom Jugendlichen Ray Houchins erhielt. Houchins versicherte dem Ausschuss, dass junge Menschen verantwortlich genug seien, sich ihre Lektüre selbst auszuwählen und zwischen „Literatur“ und „Schrott“ zu unterscheiden. Das „tatsächliche Publikum“ von Gewalt-Comics seien dagegen „Erwachsene mit der Mentalität von Fünftklässlern“. 1125 Houchins griff hier die Vorstellung einer notwendigen geistig-moralischen Reife auf, die Individuen unabhängig von der Kategorie des Alters zugewiesen oder abgesprochen werden konnte. Indem Erwachsene in Briefen wie diesem als instabil und unreif präsentiert wurden, konnten sich Jugendliche in Abgrenzung zu diesen als verantwortliche Subjekte einschreiben. Zweitens zeigt eine Reihe der untersuchten Briefe, wie Jugendliche eine Sprechposition im Delinquenzdiskurs reklamierten, indem sie sich als Expert_innen zu den Themen Comics, jugendliche Delinquenz und Jugend allge- 1122 Lyn Crawford, Atlanta, GA, an Wertham, 4. Mai 1954, Wertham Papers, Box 124. 1123 John Hegarty, Attica, KS, an Wertham, 17. April 1954, ebd., Box 123. 1124 Crawford an Wertham (Großbuchstaben i. O.). 1125 Ray Houchins, Charleston, WV, an das Senate Subcommittee, 22. Juni 1954, Records of the Senate Subcommittee, Box 169. <?page no="271"?> 270 mein inszenierten. Dies wird etwa deutlich in einem Brief, den eine achte Klasse 1953 an Wertham verfasste. Die Schüler_innen betonten hier, ein spezifisch jugendliches Wissen zu haben, mit dem sie zur Lösung des Problems jugendlicher Delinquenz beitragen könnten: „We know that juvenile delinquency is a national problem, and that comic books may be one cause. We are all teenagers, and we think [...] we know more about the causes of juvenile delinquency than do some of our elders.“ 1126 Auch der Jugendliche Floyd Luckerath betrachtete Delinquenz als gesellschaftliches Problem, dessen „wahre Gründe“ Wertham aber noch nicht erkannt habe. Er dagegen sah sich diesbezüglich als Experte: „Because I am just a little brat myself I think that I am an authority on the subject. [...] I know that I am very spoiled I think [sic] that most of the juvinile delinquints [sic] are only spoiled brats like myself looking for excitment [sic].“ 1127 Indem sich Luckerath hier als „little brat“ präsentierte, reklamierte der Jugendliche ironisch eine gewisse Expertise zum Thema, die er als authentischer konturierte als das Urteil des Psychiaters. Auf diese Weise brachen Jugendliche in ihren Briefen die Vorstellung, dass sie nicht wüssten, wovon sie sprächen, und forderten dazu auf, in den Diskussionen um jugendliche Delinquenz gehört zu werden. „[W]e are tired of hearing adults [...] suggest cures for [juvenile delinquency] that would not work for anyone - much less the free-thinking, independent young people of today“, beschwerte sich der Teenager Dick Mercer im November 1956 und knüpfte damit an zeitgenössisch virulente Vorstellungen von Jugendlichen als besonders individualistische Charaktere an. 1128 Dies deutet bereits ein drittes Muster an, über das Jugendliche eine Sprechposition im Delinquenzdiskurs reklamierten: Sie bezogen sich auf die Konstruktion von jungen Menschen als gesellschaftlicher Ressource. Dabei tauchte dieses Narrativ am häufigsten in denjenigen Briefen auf, in denen Jugendliche der Kritik an Comics zustimmten. So schrieben etwa Mitglieder einer religiösen Jugendgruppe an Wertham, sie seien „tief besorgt“ über den Anstieg jugendlicher Delinquenz, den auch sie mit dem „korrumpierenden“ Einfluss von Comics verbanden. Daher würden sie ab sofort Comics und die Comics verkaufenden Zeitschriftenhändler boykottieren, denn: „Today’s youth are tomorrow’s leaders.“ 1129 Der Brief zeigt, dass sich Jugendliche durch diese Bezugnahme auf 1126 Ople Noble für die achte Klasse der Lowell School, Bisbee, AZ, an Wertham, 25. November 1953, Wertham Papers, Box 123. 1127 Floyd Luckerath, o. O., an Wertham, n. d. (vermutlich 1954), ebd. 1128 Dick Mercer, Gainesville, FL, an das Senate Subcommittee, 2. November 1956, Records of the Senate Subcommittee, Box 58. 1129 „Statement by the Youth of Fairfield County“, verm. CT, n. d. (verm. 1954), Wertham Papers, Box 123. Zur Rolle, die insbesondere religiöse Jugendgruppen im Delinquenzdiskurs spielten, vgl. Elizabeth Ellen Young Barstow: “These teen-agers are not delinquent”. The Rhetoric of Maturity for Evangelical Young Adults, 1945-1965. Unveröff. Diss. Harvard University, 2010. <?page no="272"?> 271 ihre zukünftige gesellschaftliche Rolle schon für die Gegenwart als verantwortungsvolle und reife Teile der Gesellschaft verstehen konnten. Die Wirkungsmacht diskursiven Wissens, über das dies gerade nicht-weißen Jugendlichen abgesprochen wurde, zeigt sich in einem Brief, den das Subcommittee von dem 18-jährigen Harold Thomas Young aus Texas erhielt. Young betonte wie die meisten anderen Schreibenden gleich zu Beginn des Briefes seine geistige und moralische „Gesundheit“ und versicherte, dass er ganz gewiss nicht delinquent sei. Nachdem er dem Ausschuss dargelegt hatte, dass Comics seiner Meinung nach nicht zu jugendlicher Delinquenz beitrügen, befürchtete er: „Maybe, because I’m a negro [sic], my letter will not be read, but since in a few years I will be a full grown adult, I think it’s my duty to write you this letter.“ 1130 Young bezog sich hier sowohl auf die Möglichkeit, als Schwarzer nicht gehört zu werden, als auch auf die staatsbürgerlichen Pflichten von Erwachsenen. Damit rief er die zeitgenössisch verbreitete Analogie von Jugendlichen und „unreifen“ African Americans auf, brach diese aber gleichzeitig, indem er suggerierte, als Erwachsener wäre er aus dieser doppelt marginalisierten Position herausgewachsen. Die Briefe des Teenagers Rosemary Rau zeigen konkret, wie das Delinquenzdispositiv jugendliches Engagement und die Einschreibung Jugendlicher als Ressource einer demokratischen Gesellschaft katalysierte. Rau war eine Zwölftklässlerin, die an einer der Modelllegislaturen teilnahm, die in den 1950er Jahren eingeführt worden waren. 1131 In einem ersten Brief berichtete sie Wertham von ihrem Plan, dort einen Gesetzesvorschlag einzubringen, der das Verbot von „crime comics“ beinhalte. Einige Monate später musste Rau dem Psychiater allerdings berichten, dass ihr Gesetzesvorschlag gescheitert sei, weil die anderen jugendlichen Delegierten weiterhin Comics lesen wollen würden. Interessanterweise begründeten Raus Kolleg_innen ihre Ablehnung mit dem Verweis auf demokratische Rechte, denn der Gesetzesvorschlag wurde ihrer Darstellung nach mit dem Vorwurf abgelehnt, nicht verfassungsgemäß zu sein. 1132 Diese Begründung verweist auf ein viertes diskursives Muster, mit dem Jugendliche im Delinquenzdiskurs eine Sprechposition reklamierten: Indem sie sich als gesellschaftliche Ressource inszenierten, wiesen sie sich die Aufgabe zu, die demokratische Verfasstheit der Gesellschaft zu sichern. Der 24-jährige William Coburn wandte sich etwa mit folgender Begründung gegen eine Zensur von Comics: „[R]estrict the reading habits of children now is to endanger the freedom of all citizens later.“ 1133 In Briefen wie diesem beriefen sich Jugendliche auf die verbreitete 1130 Harold Thomas Young, Fort Worth, TX, an das Senate Subcommittee, 25. Juni 1954, Records of the Senate Subcommittee, Box 169. 1131 Dazu Kap. III.3.1. 1132 Rosemary Rau, San Luis Obispo, CA, an Wertham, 18. Januar 1954, Wertham Papers, Box 124. 1133 William S. Coburn, Cincinnati, OH, an das Senate Subcommittee, 11. April 1954, Records of the Senate Subcommittee, Box 169. <?page no="273"?> 272 Sorge vor ideologischer Gleichschaltung und „mind control“ in den USA des Kalten Krieges. Der bereits zitierte Ron Baumgardner schrieb etwa, er und „hunderttausende andere Teenager“ würden ihr „Heimatland“ sehr schätzen, aber auch im „besten Land der Welt“ gäbe es „einige Tausend engstirnige Individuen“, die sich leicht beeinflussen ließen - und hier bezog er sich nicht auf Jugendliche, sondern auf diejenigen, die sich von der Kampagne gegen Comics hätten mitreißen lassen. 1134 Die Forderung nach einer Zensur oder einem Verbot von Comics wurde in diesen Briefen entweder mit Faschismus oder mit Kommunismus in Verbindung gebracht. Ein Jugendlicher räumte ein, die meisten Comic-Gegner seien vermutlich „wohlmeinend“, aber: „[O]ne wonders if there isn’t a Hitlerite or two mixed in with the crowd.“ 1135 Ein anderer rief gar sowohl Hitler als auch Sozialismus und einen „übermächtigen Staat“ in seinem Brief auf. 1136 Vor diesem Hintergrund konnten Jugendliche es als ihre demokratische Pflicht inszenieren, Comics und damit Pressefreiheit und die grundsätzlichen Menschenrechte zu verteidigen. 1137 Die Analyse der Briefe von Jugendlichen verdeutlicht die Funktionsweise von Subjektivierungsprozessen. Indem sich die Jugendlichen der Anrufung als Adoleszente unterwarfen, war es Ihnen möglich, eine diskursive Sprechposition zu reklamieren und das Wissen über Delinquenz und Adoleszenz zumindest partiell zu parodieren. Diese doppelte Dynamik zeigt sich auch bei den Einschreibungen von Eltern in den Delinquenzdiskurs, die im Folgenden untersucht werden. 4.2 Acting Parenthood: Elterliche Äußerungen Unter den Briefen, die das Subcommittee und vor allem Wertham erhielten, waren auch zahlreiche Zuschriften von Eltern. Und auch hier war die Verbindung von Comics und Delinquenz ein wichtiges Thema, wie nicht zuletzt der Brief von Agnes Maxwell-Peters zeigt. „For years we have seen the danger in these horrible books“, versicherte sie Wertham. Zugleich hatten Werthams Ausführungen es ihr offenbar ermöglicht, das Verhalten ihrer Kinder besser einordnen zu können, denn sie schrieb: „[W]e can see the symptoms now of the ‘systematic poisoning’ that you describe.“ 1138 Diese beiden Aspekte - die wohltuende Bestätigung und die aufrüttelnde Ergänzung der elterlichen Einschätzung durch Expertise - bildeten ein häufig vorkommendes Muster in den Brie- 1134 Baumgardner an das Senate Subcommittee. 1135 Darrel F. Key, Visalia, CA, an das Senate Subcommittee, 6. Juli 1954, Records of the Senate Subcommittee, Box 169. 1136 George E. Scott, Jr., Cincinnati, OH, an das Senate Subcommittee, n. d. (Juni 1954), ebd. 1137 Z. B. auch Glen Walker, Alpena, MI, an das Senate Subcommittee, n. d. (verm. 1954), ebd. 1138 Maxwell-Peters an Wertham. Zum Folgenden auch Mackert: „Danger and Progress“, S. 213- 217. <?page no="274"?> 273 fen von Eltern. Ninabelle van Sickles beispielsweise berichtete Wertham von ihrem mühevollen Kampf gegen Comics in der Nachbarschaft und schrieb: „I felt alone in my feeling of desperation. [...] I have had a sense of futility until I read your article.“ Nun fühlte sich van Sickles in ihrer Sorge bekräftigt und bedankte sich überschwänglich bei dem Psychiater. 1139 Auch die dreifache Mutter Edgarda Lewis fand in Werthams Arbeiten eine lang erhoffte Bestätigung. Sie schrieb ihm, sie sei immer die einzige in ihrem Bekanntenkreis gewesen, die ihren Kindern das Lesen von Comics verboten habe. Nun hoffte sie, dass durch Werthams Artikel andere Eltern „aufgeweckt“ werden würden. 1140 Anderen Briefen nach zu urteilen, schien sich Lewis Hoffnung zu bewahrheiten. Wertham erhielt eine Reihe von Briefen, die von einer solchen „Erweckung“ zeugen: „Your book ‘Seduction of the Innocent’ has certainly shocked me out of an indifferent attitude“, schrieb etwa Mrs. Bill Stockwell im November 1954 an Wertham und versicherte diesem, ihn in ihre „täglichen Gebete“ einzubeziehen. 1141 Nachdem Wertham im Oktober 1956 in der berühmten Ratgeber- Radiosendung „Martha Deane“ interviewt worden war, erhielt die Moderatorin zudem einige Briefe von Müttern, die sich angesichts der ernsten Lage zum ersten Mal „dazu getrieben“ fühlten, ihre Befürchtungen schreibend auszudrücken. 1142 Diese Briefe deuten auf die Wirkungsmacht der Anrufungen gerade von Müttern im Delinquenzdiskurs hin, denn unter den ausgewerteten Schreiben sind keine von Vätern, die sich derart aufgerüttelt zeigten. In Briefen an Delinquenzexpert_innen und Erziehungszeitschriften finden sich zudem Beispiele dafür, dass Mütter nicht nur dem diskursiven Aufruf folgten, sich Wissen über die Spezifika kindlichen Aufwachsens anzueignen, sondern sich auch bemühten, die eigenen erzieherischen Praktiken daran auszurichten. 1143 Darauf weist etwa ein Leserbrief an das P.T.A. Magazine hin, der im März 1960 abgedruckt wurde. In diesem bedankte sich Mrs. Charles Muehlhau- 1139 Ninabelle Van Sickles, Ann Arbor, MI, an Wertham, 22. April 1954, Wertham Papers, Box 123. 1140 Edgarda P. Lewis, Oakland, CA, an Wertham, 30. April 1954, ebd. Ähnlich argumentiert etwa Mrs. William Engdahl, Danville, IL, an Wertham, 28. Mai 1954, ebd., Box 124. 1141 Mrs. Bill Stockwell, o. O., an Wertham, 6. November 1954, ebd.; Dorothy Conroy, San Francisco, CA, an Wertham, 17. Juni 1954, ebd.. 1142 Mrs. Thomas Leiblein, Bayside, NY, an „Martha Deane“, 16. Oktober 1956, ebd., Box 102; Jacquelyne Philipps, o. O., an „Martha Deane“, n. d. (verm. Oktober 1956), ebd. Zur Radiosendung „Martha Dean“ Erik Barnouw: The Golden Web. A History of Broadcasting in the United States, 1933-1953. Oxford/ New York: Oxford Univ. Press, 2001 [1968], S. 92ff. 1143 Jay Mechlin hat schon 1975 darauf hingewiesen, dass Historiker_innen allein durch die Lektüre von Erziehungsratgebern nicht darauf schließen können, auf welche Weise Eltern ihre Kinder erzogen haben (Jay E. Mechling: „Advice to Historians on Advice to Mothers“, in: Journal of Social History 9/ 1 [1975], S. 44-63). Auch über die Analyse der Briefe lässt sich dies freilich nicht erfassen, sie geben jedoch Hinweise darauf, wie sich Eltern dem erzieherischen Wissen gegenüber verhielten. <?page no="275"?> 274 sen bei der Redaktion der Zeitschrift für einen Artikel über kindliches Trotzverhalten und fuhr fort: „It gave me an entirely new outlook on my seven-year-old daughter.“ 1144 Solche Briefe zeigen, dass Mütter sich über Erziehungswissen dazu imstande sahen, das Verhalten ihrer Kinder besser zu verstehen. Noch deutlicher wird die mütterliche Suche nach erzieherischer Expertise in einem Schreiben, das die Gluecks 1955 von der Mutter eines 5-jährigen Jungen erhielten. Helen Schroetter bat das Kriminologenpaar darin inständig, ihren Sohn psychologisch zu testen, „um festzustellen, ob [er] ein jugendlicher Delinquent wird oder n ic ht “. Si e po rt räti er te i hr en So hn als bi swei len s ture n, aber gei sti g wei t ent wi ckelten Jungen und schrieb: „I’d like him to take this test so I’ll know if his misbehaving is normal.“ 1145 Schroetter war der Überzeugung, ein auffälliges Verhalten bei ihrem Kind zu erkennen, aber Hilfe bei dessen „objektiver“ Deutung zu benötigen. Gleichwohl verwiesen Eltern auch auf die Grenzen einer solchen Expertise. Dies zeigt etwa ein Brief an eine lokale Zeitung, die offenbar über die Gluecks berichtet hatte. In diesem Brief fragte eine Mutter, ob das Kriminologenpaar so viel über delinquente Kinder wissen könne, wenn es selbst keine hätte. „I think it rather odd“, konstatierte die Schreiberin, „that some professor, criminologist, or what have you, should pronounce children delinquents. I guess I don’t believe in criminologists and I am glad there were no such creatures around when I was young.“ Der Leserbrief war anonym, aber mit der vieldeutigen Formulierung „J UST A M OTHER “ unterschrieben. Vieldeutig war diese Selbstbezeichnung deshalb, weil das Mutter-Sein als äußerst bedeutsamer Status verstanden werden konnte, der eigentlich nicht durch ein angefügtes „just“ nivelliert wurde. Auf diese Weise grenzte sich die Verfasserin aber zusätzlich von einer wissenschaftlich distanzierten Expertise ab und hob ihre eigene, unabdingbare Rolle hervor: Zum Schluss des Briefes betonte sie fast trotzig, dass sie „stolz“ auf ihren Sohn sei, der zu einem „guten Amerikaner“ erzogen werde. 1146 Der Brief zeigt, wie eine Mutter sich als natürliche Autorität in der Kindererziehung inszenieren konnte, eine Wahrnehmung, zu der Spocks paradoxe Expertise einer besonderen mütterlichen Intutition möglicherweise beigetragen hatte. Grenzen eines „externen“ Erziehungswissens artikulierten Eltern zudem mit Verweis auf die Praxisferne konkreter Handlungsanweisungen. „[W]hat can two parents do? “ fragte Agnes Maxwell-Peters und schränkte gleich ein, sie könne 1144 Mrs. Charles Muehlhausen, Shelbyville, IL, an National Parent-Teacher, „Opinions by Post“, in: National Parent-Teacher 54/ 7 (1960), S. 40. Vgl. auch Roberta Goldstein, Burlington, VT, an The P.T.A. Magazine, „Opinions by Post“, in: The P.T.A. Magazine 58/ 10 (1964), S. 35. 1145 Helen Schroetter, Fredericksburg, VA, an Sheldon und Eleanor Glueck, 9. Mai 1955, in Glueck Papers, Box 58. 1146 „J UST A M OTHER “, Marlboro, MA, an The Worcester Gazette, 30. Oktober 1950, ebd., Box 37 (Kapitälchen i. O.). <?page no="276"?> 275 den Medienkonsum ihrer Kinder nicht ständig beaufsichtigen. 1147 Zwanzig Jahre, nachdem Maxwell-Peters ihren Brief verfasst hatte, beklagte sich eine Leserin des P.T.A. Magazine darüber, dass dies von Eltern verlangt werden würde. Sie bezog sich dabei auf die Filmbewertungen der Zeitschrift, die Auskunft darüber geben sollten, welche Filme für Kinder und Jugendliche geeignet waren und welche nicht. „How naïve can one be? “, ereiferte sich Norma Hammond und fragte rhetorisch, was Eltern denn tun sollten, wenn sie wüssten, das ein Film keine „bekömmliche Kost“ für ihre Kinder sei: „[Do I] [c]hain my sixteenyear-old to the bed post so that he won’t go to the movies with his pals? Tell him he has freedom to choose what he wears, what he eats, his friends, his vocation, but not the movies he wants to see? “ Mit ihrer anschließenden Feststellung, dass „moderne“ Eltern ihre „modernen“ Kinder nicht permanent „überwachen“ könnten, drückte Hammond noch mehr aus als es Maxwell-Peters‘ Hinweis auf die Praxisferne dieses Vorhabens getan hatte. 1148 Sie thematisierte auf diese Weise eine widersprüchliche Anrufung an Eltern im Delinquenzdiskurs: die geforderte, aber offenbar kaum zu realisierende Gratwanderung zwischen der Kontrolle jugendlicher Freizeitbeschäftigungen einerseits und der Erziehung demokratischer, individueller Charaktere. Other People‘s Children? Die elterliche Verantwortung für Jugenddelinquenz war ein Aspekt, der in den untersuchten Briefen vielfach aufgerufen wurde. In der Regel bezogen sich die schreibenden Eltern dabei vorrangig auf mutmaßliche Versäumnisse anderer Eltern und begründeten so das Ansteigen jugendlicher Delinquenz. Eine zwölffache Mutter beklagte sich etwa beim Subcommittee, Eltern würden ihren Teenagern zu viel Freizeit ermöglichen und keine häuslichen Pflichten übertragen. Daher sehe man in ihrer Stadt 12-jährige „verwilderte“ Jugendliche auf der Straße Alkohol trinken. Deren Eltern würden nicht einmal versuchen, über die Vorgänge Bescheid zu wissen, sondern selbst trinken. Sie dagegen erziehe ihre Kinder streng und diese seien „decent + [sic] good children“. 1149 Auf diese Weise grenzte sich die Verfasserin von anderen, mutmaßlich nachlässigen und „verwahrlosten“ Eltern ab. Ihr Brief ist allerdings ein seltenes Beispiel für eine Mutter, die sich selbst keine Fehler anlastete. In den meisten untersuchten Briefen beschrieben die Mütter ihre Erziehungsversuche als zwar äußerst bemüht, aber notwendigerweise nicht vollkommen. Sie wiesen dabei immer wieder darauf hin, 1147 Maxwell-Peters an Wertham. 1148 Norma Hammond, Pittsburgh, PA, an The P.T.A. Magazine, „Opinions by Post“, in: The P.T.A. Magazine 61/ 5 (1967), S. 37. 1149 „A mother from Portland Maine [sic]“ an das Senate Subcommittee, 7. November 1953, Records of the Senate Subcommittee, Box 60. <?page no="277"?> 276 wie schwierig Kindererziehung sei. Eine Hörerin des Radioprogramms, in dem Wertham Gast gewesen war, schrieb etwa: „It hasn’t been easy to do the right thing its [sic] a hard constant grind [...].“ Sie betonte aber auch, wie wichtig diese Anstrengungen seien, um den „Problemen unserer Jugend“ beizukommen. 1150 Noch deutlicher wird dieser Verweis auf die enorm schwierige, aber so zentrale Rolle von Eltern in einem Brief, den Wertham 1954 von Georgann Thomas erhielt. Die dreifache Mutter berichtete hier zunächst, dass ihre Kinder neben Comics auch zwei Tageszeitungen sowie mindestens zwanzig Magazine läsen, darunter Saturday Evening Post, Time, Ladies’ Home Journal und Saturday Review. Damit markierte sie ihre Familie als bürgerlich, da diese Magazine als typischer Lesestoff der Mittelklasse galten. 1151 Dies kann als Versuch der Verfasserin verstanden werden, ihre Familie prinzipiell als gutes Umfeld für die Kindererziehung zu konturieren. Denn kurz darauf grenzte Thomas diese von Familien in „unterprivilegierten Communities“ ab, in denen es Kindern verwehrt bleiben würde, Zugang zu einer „ausgewogenen Kost“ an Printmedien zu erhalten. Vor dem Hintergrund dieser Abgrenzung konnte Thomas Wertham gegenüber zugeben, dass auch einer ihrer Söhne Anzeichen jugendlicher Delinquenz zeige. Obwohl sie schrieb, dass „alle Mütter in der Defensive“ seien und „Kritik nicht gut vertragen“ könnten, wenn es um ihre Kinder gehe, klang ihr Eingeständnis nicht besonders defensiv. Im Gegenteil, Thomas konstatierte freimütig: „[My children] have many problems to overcome, including those of very imperfect parents.“ 1152 Ihr Brief erweckt den Eindruck, als gehörte gerade die Betonung dieser elterlichen „Unvollkommenheit“ zur Einschreibung als gute Mutter dazu. Indem Thomas auf eine mutmaßlich mangelnde mütterliche Kritikfähigkeit, gleichzeitig aber auch auf die Schwierigkeiten von Elternschaft hinwies, konnte sie sich als durchaus kritikfähig und erzieherisch besonders reflektiert präsentieren. Einige wenige Briefe zeigen, dass es für Eltern auch möglich war, eine eigene Schuld an jugendlicher Delinquenz zurückzuweisen. Herbert Lorenz beispielsweise schrieb an Wertham, er und seine Frau hätten drei Kinder adoptiert und aufgezogen, von denen die beiden ältesten delinquent geworden seien. Er und seine Frau hätten immer wieder versucht, ihre Kinder von Comics fernzuhalten. Sie seien aufgrund der Fülle und Allgegenwart dieser Hefte dazu aber nicht in der Lage gewesen. „On reviewing everything that has passed“, schrieb Lorenz, „we both honestly feel that the filthy comics were one of the factors in spoiling 1150 Jean Matthei, Bellerose, NY, an „Martha Deane“, 16. Oktober 1956, Wertham Papers, Box 102. Vgl. dazu auch anon., o. O., an „Martha Deane“, n. d. (Oktober 1956), ebd. 1151 Carl F. Kaestle: „Standardization and Diversity in American Print Culture, 1880 to the Present“, in: ders. u. a. (Hg.): Literacy in the United States. Readers and Reading Since 1880. New Haven: Yale Univ. Press, 1991, S. 272-293, hier S. 284f.; Meyerowitz: „Beyond the Feminine Mystique“, S. 230. 1152 Georgann Thomas, Indianapolis, IN, an Wertham, 19. Juli 1954, Wertham Papers, Box 124. <?page no="278"?> 277 their young minds and did much to make bad children out of them“. 1153 Die eigene Rolle als Eltern bleibt in Lorenz‘ Brief unerwähnt. Offenbar konnte der Vater die Anrufung elterlicher Verantwortung durch seinen Verweis auf den schädlichen Einfluss von Comics implizit abwehren. Nichtsdestotrotz hob auch Lorenz hervor, dass er und seine Frau sich über die Gründe für das Verhalten der Kinder Gedanken gemacht hatten. Es ist interessant, dass dieser Brief von einem Vater verfasst wurde. Briefe von Männern, die als Väter über Ursachen jugendlicher Delinquenz reflektierten, finden sich sonst kaum in den untersuchten Beständen. In der Regel waren es Mütter, die diesbezüglich an Expert_innen schrieben und die eigenen Sorgen und Versäumnisse akzentuierten. Wen auch immer Eltern für schuldig an dem Problem hielten, vor allem Mütter pflichteten Wertham bei, dass in Bezug auf Comics etwas getan werden und man Eltern diesbezüglich informieren musste. Der Psychiater erhielt beispielsweise viele Briefe von PTA-Vertreterinnen, die ihn zu einem Vortrag in ihrer lokalen Gruppe baten, damit sie sich und andere Eltern weiterbilden und auf das Problem aufmerksam machen könnten. 1154 Außerdem berichteten einige Mütter, dass sie Werthams Buch in ihrer elterlichen Diskussionsgruppe benutzt oder etwa Listen „schädlicher“ Comics in der Nachbarschaft verteilt hatten. 1155 Das aktivierende Potenzial der Delinquency Scare zeigt sich zudem in Briefen, in denen Eltern - darunter Mütter und Väter - Wertham um Auskunft darüber baten, was sie tun könnten. 1156 Die Briefe derjenigen Eltern, die dringenden Handlungsbedarf sahen, zeigen dabei vor allem zwei diskursive Muster, durch die Eltern ihre Aktivität begründeten: erstens über den Verweis auf die gesellschaftliche Bedeutung von Jugendlichen, zweitens, indem sie sich auf ihren Status als Eltern bezogen. Erstens schrieben sich auch Eltern in die Konstruktion von Kindern und Jugendlichen als gesellschaftliche Ressource ein. Dies zeigt etwa ein Brief von James Courtney an Wertham. Nachdem der Vater einen Artikel des Psychiaters gelesen hatte, schrieb er diesem, er sei zu der Einsicht gekommen, dass jeder „klar denkende Bürger“ sich zum „Protest gegen diese so genannten Bücher erheben“ müsse. Er selber verböte seinem Sohn Comics, denn: „Something must 1153 Herbert Lorenz, Detroit, MI, an Wertham, 22. April 1954, Wertham Papers, Box 123. Vgl. auch Matilda Frank, Philadelphia, PA, an Wertham, 21. August 1948, ebd. 1154 Z. B. Frank an Wertham; Fannie Marmalstein/ M. Seidmann, PTA-Gruppe aus Brooklyn, NY, an Wertham, 10. August 1948, ebd.; Ella Warshaw, PTA-Gruppe aus Winthrop, MA, an Wertham, 14. August 1954, ebd., Box 124; Margaret Braidford, PTA-Gruppe aus Kensington, NY, an Wertham, 21. August 1954, ebd. 1155 Z. B. Frances E. Webb, Plainfield, NJ, an Wertham, 25. Oktober 1954, ebd.; Louise Burgess, Minneapolis, MN, an Wertham, 30. Oktober 1956, ebd., Box 102. 1156 Z. B. James Delaney, Santa Monica, CA, an Wertham, 28. April 1954, ebd., Box 124; Mrs. Gerald Wish, Laurel, NE, an Wertham, 1. November 1954, ebd. <?page no="279"?> 278 be done to preserve our youths of today. [...] Comics are far greater a menace to society than any other magazine due to the fact that it strikes directly at the heart of America, its youth.“ 1157 Und Selma Chakour präzisierte, dass vor allem Jungen den „Führungsnachwuchs Amerikas“ bilden würden und in dieser Rolle nicht durch Comics gefährdet werden dürften. 1158 Auch der Brief von Agnes Maxwell-Peters zeigt beispielhaft, wie sich Eltern selbst in die Verantwortung nahmen, indem sie sich auf diese Funktion von Jugendlichen beriefen: Sie fragte Wertham, was sie und ihr Mann tun könnten, um die Zukunft nicht nur ihrer Kinder, sondern der „Menschheit“ zu sichern - angesichts einer Bedrohung, die sie für ebenso massiv hielt wie die der Atombombe. 1159 In diesen Briefen finden sich Hinweise darauf, warum sich Eltern so bereitwillig dem Rat von Expert_innen zuwandten, obgleich dies zeitgenössisch auch immer wieder als mangelnder Individualismus kritisiert wurde. Denn durch die enge Verknüpfung von Kindererziehung und nation building konnten Eltern nicht nur für ihre Kinder, sondern gerade auch für sich selbst Anerkennung als gute Staatsbürger_innen ernten. Über das Schreiben an Expert_innen und die Demonstration von Handlungsbereitschaft war es ihnen möglich, sich als verantwortungs- und problembewusste Eltern-Subjekte zu verstehen, die der vermeintlichen gesellschaftlichen Gefährdung aktiv entgegentreten wollten. Diese Demonstration von Elternschaft umfasste dabei im Kalten Krieg aktualisierte Logiken von republican motherhood, aber auch explizit eine erzieherische Verantwortung von Vätern. Was sich im Schreiben von Maxwell-Peters andeutete, zeigt das Beispiel von Courtney noch deutlicher, auch wenn dieser nicht explizit auf seine Rolle als Vater einging. Sein Brief lässt sich als Antwort auf die diskursive Anrufung lesen, dass auch Väter einen erzieherischen Beitrag leisten mussten, um die Zukunft der Jugendlichen zu sichern - beispielsweise, indem sie ihren Söhnen das Lesen von Comics verboten und damit durch väterliche Strenge zur Erziehung beitrugen. Zum zweiten begründeten vor allem Mütter ihr Handeln mit ihrer Position als Mütter. Was dieser Status konkret bedeutete, schien so selbstverständlich zu sein, dass es in den meisten Briefen nicht ausbuchstabiert wurde. Mütter schrieben an Wertham und begannen ihre Briefe mit Formulierungen wie „As [a] parent“, „As a mother“ oder „Being a mother“. 1160 Offenbar konnte die blosse Erwähnung des Eltern- oder Mutter-Seins bestimmte Aussagen transportieren. Es ist bereits gezeigt worden, dass die Annahme einer entscheidenden Rolle von Eltern in der Hervorbringung jugendlicher Delinquenz auch zurückgewiesen 1157 James R. Courtney, Quantico, VA, an Wertham, 26. Juli 1948, Wertham Papers, Box 123. 1158 Selma Chakour, Worcester, MA, an Wertham, 18. August 1948, ebd. 1159 Maxwell-Peters an Wertham. 1160 Z. B. Margaret Phelps Nelson, Tujunga, CA, an Wertham, 8. August 1948, Wertham Papers, Box 123; „A Fan-Edict [sic] Club Member“, Huntington, WV, an das Senate Subcommittee, 21. April 1954, Records of the Senate Subcommittee, Box 169; Conroy an Wertham. <?page no="280"?> 279 werden konnte. In keinem der hier untersuchten Briefe zeigen sich allerdings Anzeichen davon, dass Eltern generell bezweifelten, für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich zu sein. Dabei reichte bisweilen der Verweis auf Weiblichkeit schon aus, um eine scheinbar folgerichtige erzieherische Sorge auszudrücken. Darauf deuten etwa die Zeilen von Francesca Lepper hin, die Wertham versicherte: „Never doubt the active interest of women when children are concerned.“ 1161 Auf diese Weise führten die Briefe ein performatives Paradox auf: Einerseits beriefen sich Eltern immer wieder auf eine scheinbar vorgängige und natürliche Position als Eltern und vor allem Mütter, die mit ihrer Verantwortung für die angemessene Erziehung ihrer Sprösslinge einherging. Die Art und Weise, in der Eltern sich in solche Anforderungen an gute Elternschaft einschrieben, ließ diese andererseits aber auch als nicht unbedingt so natürlich hervortreten, da sie anderen Eltern abgesprochen werden konnte. Zudem fanden primär Mütter erzieherische Versäumnisse gerade auch bei sich selbst. Damit wird in den Briefen deutlich, dass Eltern zeitgenössisches Wissen über jugendliche Delinquenz aufgriffen und sich darüber als Eltern erkannten und inszenierten. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, wie die Schreibenden sich auch von diesem Wissen abgrenzen bzw. innerhalb dieses Wissens unterschiedlich mit der Anrufung als Eltern umgehen konnten. Dabei lässt sich der Akt des Schreibens als integraler Bestandteil der Subjektivierung von Eltern begreifen. Indem sie bei Expert_innen Rat suchten oder ihre Meinung kundtaten, konnten sie als Eltern handeln, selbst wenn sie erzieherische Handlungsanweisungen oder die Verantwortung für jugendliche Delinquenz zurückwiesen. 5 Fazit Für den eingangs erwähnten Tommy Randall aus dem Film Angry Boy schien es trotz seiner vertrackten familiären Situation Hoffnung zu geben. Seine Mutter sei willens, so die behandelnde Psychologin, sich ihren Problemen zu stellen und „nahezu alles zu versuchen, [eine gute Mutter zu sein]“. 1162 Vor dem Hintergrund der in diesem Kapitel geschilderten Verknüpfungen von Jugenddelinquenz und elterlicher Führung schien Mrs. Randall damit schon den entscheidenden Schritt auf ihrem Weg zu guter Mutterschaft getan zu haben. Eltern, das hat dieses Kapitel gezeigt, wurden im Delinquenzdispositiv gleichzeitig zentriert und kritisiert, gepriesen und diszipliniert. Zum einen betonte man die elterliche erzieherische Verantwortung und eine „natürliche“, vor allem 1161 Francesca H. Lepper, Cumberland, MD, an Wertham, 20. November 1954, Wertham Papers, Box 124. Vgl. auch Thomas an Wertham. 1162 Angry Boy, TC: 00: 21: 50-00: 00: 21: 58. <?page no="281"?> 280 mütterliche Veranlagung zu liebevoller Kindererziehung. Zum anderen schienen Mütter selbst instabil zu sein und Hilfe bei ihren Erziehungsbemühungen zu benötigen. Zudem fand man sie in den Nachkriegsdekaden vielfach fehlerhaft vor und warf ihnen zu große Dominanz und auch Nachlässigkeit vor. Auch Väter galten zunehmend als wichtige Erziehungsinstanzen, die es scheinbar aber an Strenge und Vorbildfunktion mangeln ließen. Gerade über die spezifische Konstitution von broken homes als sowohl sozial, moralisch und emotional defizitär erschienen vor allem nicht-weiße, sozial benachteiligte Familien als paradigmatische Orte der Hervorbringung jugendlicher Delinquenz. Diese unterschiedliche Konstruktion familiärer Arrangements und ihre Verknüpfung mit Wertesystemen und gesellschaftlichen Potenzialen fungierte als Folie, vor der Verkörperungen jugendlicher Delinquenz höchst ambivalent diskutiert werden konnten. Während sexuelle Delinquenz bei weißen Mädchen eher auf individuelle Störungen hinzuweisen schien, wurde die sexuelle Aktivität afroamerikanischer Mädchen durch vermeintlich pathologische Traditionen in schwarzen Familien erklärt und als besonders bedrohlich präsentiert. Dass jugendliche Delinquenz nicht zwangsläufig als Problem betrachtet wurde, ist in der Analyse „produktiver Rebellion“ deutlich geworden. Vor dem Hintergrund antikonformistischer Kritiken etablierte sich in den USA des Kalten Krieges die weiß, bürgerlich und tendenziell männlich kodierte Figur des jugendlichen Rebellen. Über diese Figur konnten bestimmte Verkörperungen jugendlicher Delinquenz als Ausdruck eines erwünschten demokratischen Individualismus rehabilitiert werden. Das Delinquenzdispositiv verdichtete einen erzieherisch-familialen common sense, dessen Verletzung als interventionsbedürftig betrachtet wurde und die Regierung von Familien auf unterschiedlichen Ebenen ermöglichte. Eltern wurden verpflichtet, ihr erzieherisches Können permanent zu überprüfen und zu verbessern. Sozialpolitische und juristische Maßnahmen transzendierten den scheinbar „privaten“ Raum von Familie und dienten de m disziplinarischkontrollierendem Zugriff auf „Problemfamilien“. Auf diese Weise wurde zur Mitte des 20. Jahrhunderts durch ein engmaschigeres Netz auf Eltern vermeintlich delinquenter Kinder zugegriffen als noch zu Beginn des Jahrhunderts, als diese durch den Einsatz von Jugendgerichten eher umgangen werden sollten. Die abschließend untersuchten Briefe haben gezeigt, dass Vorstellungen von Delinquenz, Jugend, Eltern und Familien in der Delinquency Scare als wirkmächtiges Subjektivierungswissen funktionierte, über das Jugendliche und Eltern sich in Relation zu Jugenddelinquenz erkennen und verhalten konnten. Jugendliche konnten eine Sprechposition im Delinquenzdiskurs reklamieren, etwa indem sie sich von den mutmaßlichen Fehlern der Eltern abgrenzten und auf ihre Rolle als zukünftige Staatsbürger_innen verwiesen. Dabei war es ihnen gleichzeitig möglich, die Annahme eines profunden Unterschiedes zwischen Jugendlichen und Erwachsenen gleichzeitig zu reproduzieren und in Frage zu stellen. Dass es vor diesem Hintergrund sagbar war, die Delinquency Scare auch <?page no="282"?> 281 zurückzuweisen, wurde sowohl in den Briefen von Jugendlichen als auch in denen von Eltern deutlich. Die Analyse letzterer hat veranschaulicht, wie vor allem Mütter mit den widersprüchlichen Anrufungen einer „natürlichen“ erzieherischen Position und Unsicherheit umgingen. Es zeigte sich zum Beispiel, dass sich Mütter durch ihr Schreiben an Expert_innen, durch die Abgrenzung von anderen Eltern oder von abstraktem Expertenwissen sowie durch den Verweis auf ihre eigenen erzieherischen Mängel als gute Mütter inszenieren konnten. Auch dieses Kapitel hat gezeigt, auf welche Weise die Delinquency Scare Effekte zeitigte, die weit über den Kampf gegen jugendliche Delinquenz hinausgingen. Gerade über die allgegenwärtige Kritik an Eltern wurde die Familie im Delinquenzdispositiv als privilegierte gesellschaftliche Ordnungsinstanz reinstalliert. Ideale von Demokratie und Reife wurden gleichzeitig als Funktionsprinzipien der US-amerikanischen Gesellschaft und als Qualitätsmerkmale „normaler“ Familien aufgebaut. Diese Signifikanten fungierten damit als diskursive Bindeglieder für die interdependente Konstruktion guter Familien und ermöglichten es, diese als weiß und bürgerlich zu konturieren, ohne explizit von „Rasse“ und Klasse sprechen zu müssen. Wie sich im folgenden Ausblickskapitel zeigen wird, stellte der Delinquenzdiskurs unter anderem über die symbolische Aufladung von Reife einen wirkmächtigen Rahmen bereit, über den jugendliches Verhalten auch nach der Delinquency Scare äußerst unterschiedlich verhandelt werden konnte. <?page no="284"?> 283 VI Fazit: Das Politische der Delinquenz „When speaking of juvenile delinquency, or the rebellious attitude of today’s youth, the elders employ a glib rhetoric“, empörte sich Eldridge Cleaver, ein führendes Mitglied der Black Panther Party, Mitte der 1960er Jahre und fuhr fort: „They speak of the ‘alienation of youth,’ [...] the problems of ‘the father image’ and ‘the mother image’ and their effect upon growing children […].“ 1163 Cleaver kritisierte, dass kaum jemand das Verhalten Jugendlicher mit den rassistischen Verhältnissen in den USA in Verbindung brächte, weil die Erwachsenen jungen Menschen nicht die Fähigkeit zugeständen, die Gesellschaft zu verstehen. Für den Black Power-Aktivisten schien indes klar, womit die Rebellion von Jugendlichen zu tun hatte: Diese hätten den Respekt vor Recht und Ordnung verloren, weil sie erkannt hätten, dass die Gesellschaft auf der rassistischen Unterdrückung von African Americans beruhe. Das, was zeitgenössisch als Jugenddelinquenz diskutiert wurde, begriff Cleaver als genuin jugendliche Antwort auf die „totalitäre Struktur der amerikanischen Gesellschaft“. 1164 Damit bediente er sich in seiner antirassistischen Kritik des Befundes einer rebellierenden Jugend und deutete ihn um, ohne ihn grundsätzlich in Frage zu stellen. Cleavers Worte waren Teil eines Essays, das er Mitte der 1960er Jahre während eines Gefängnisaufenthaltes geschrieben hatte. 1165 Sein Argument, jugendliche Delinquenz weise auf politischen Protest hin, erinnert an diskursive Entwürfe gesellschaftlich notwendiger, jugendlicher Rebellion, nahm jedoch zum Ende der 1960er Jahre eine darüber hinausgehende Bedeutung an. Cleaver intervenierte damit in eine zeitgenössisch stark umkämpfte Frage: die Frage, was als legitimer politischer Protest anerkannt werden konnte. Als seine gesammelten Essays 1968 als Buch publiziert wurden, beschäftigte sich die US-amerikanische Gesellschaft nämlich nicht mehr in gleichem Maße wie zuvor mit juvenile delinquency, wohl aber nach wie vor mit dem Verhalten von Jugendlichen. In den zeitgenössischen Auseinandersetzungen um Gettoaufstände und Studierendenbzw. Antikriegsbewegung stritt man über die Legitimität der Proteste, ohne dass von Delinquenz gesprochen wurde. Auf welche Weise dies möglich war und welche Rolle in der Delinquency Scare aufgeladene Deutungsmuster in diesen Verhandlungen spielten, werde ich im zweiten Teil dieses abschließenden Kapitels knapp diskutieren. Zuvor fasse ich die zentralen Ergebnisse meiner Studie zusammen. 1163 Eldridge Cleaver: Soul on Ice. New York: Dell Publishing, 1970 3 [1968], S. 73f. 1164 Ebd., S. 73, 83. 1165 Maxwell Geismar: „Introduction“, in: Cleaver: Soul on Ice, S. 9-13, hier S. 11. <?page no="285"?> 284 Zusammenfassung Die Delinquency Scare der US-Nachkriegsdekaden hat sich als diskursives Terrain mit enormer Produktivität erwiesen. Jugenddelinquenz stellte einen Bedeutungsknoten dar, über den Wissen distribuiert, materielle Ressourcen reguliert sowie ein Rahmen für Individuen und Gruppen gegeben wurde, sich als Subjekte zu verstehen und erkannt zu werden. Ein zentrales Element dabei war die Konstruktion von Jugendlichen als instabile gesellschaftliche Ressource, die Delinquenz als Zeichen sowohl gefährdeter als auch gefährlicher Jugendlicher konturierte. Über die Problematisierung von Jugendlichen konnten nicht nur diese, sondern auch Erwachsene regiert werden. Das Problemszenario jugendlicher Delinquenz bildete eine Handlungsaufforderung, in der „weise“ Jugendrichter, „verständnisvoll-strenge“ Polizist_innen, „authentische“ Street Workers, „engagierte“ Lehrkräfte und vor allem „sorgende“ Eltern sich als solche erkennen und verhalten konnten und sollten. Dabei hat sich gezeigt, dass die Verhandlungen jugendlicher Delinquenz noch in anderer Hinsicht über ihr konkretes Sujet hinausgingen. Über den produktiven Signifikanten juvenile delinquency konnten in der Nachkriegsgesellschaft zentrale hegemoniale Kämpfe geführt werden: Fragen von Bürgerrechten, gesellschaftlicher Beteiligung und Demokratie; Auseinandersetzungen um Klassen-, Geschlechter- und „Rassen“-Hierarchien und die öffentliche Ordnung; Schul-, Gesundheits-, Sozial- und Familienpolitik - all diese diskursiven Stränge wurden über jugendliche Delinquenz mitverhandelt. Über Delinquenz zu sprechen, bedeutete also auch, über die Zukunft der amerikanischen Gesellschaft zu sprechen und Beteiligung zu regulieren. Dieses Konglomerat von Wissensbeständen, Subjektpositionen, Praktiken und Institutionalisierungen habe ich in Bezug auf vier Felder untersucht: Jugendstrafsystem, Soziale Arbeit, Schule und Familie. Im Bereich von Jugendgerichten, Polizei und Jugendstrafanstalten ist deutlich geworden, dass das Jugendstrafsystem von einem Spannungsverhältnis zwischen Jugendschutz und Gesellschaftsschutz geprägt war. Einerseits erforderte die Vorstellung besonders instabiler delinquenter Jugendlicher einen therapeutischen, auf Rehabilitation ausgerichteten Umgang mit diesen. Andererseits schien es angesichts vermeintlich hoher Rückfallquoten und „gefährlicher“ jugendlicher Krimineller notwendig, Freiheitsstrafen zu verhängen, um die Gesellschaft zu schützen und die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Unterscheidung zwischen gefährdeten und gefährlichen Jugendlichen ermöglichte es, jugendliche Delinquent_innen entlang der Konstruktion von Risikogruppen unterschiedlich zu behandeln. Dabei galten vor allem nicht-weiße, sozial benachteiligte und ältere Jugendliche als besonders delinquenzgefährdet und schwer rehabilitierbar. Unter anderem dieser zwischen Delinquenz und Kriminalität oszillierende Entwurf jugendlicher Delinquenz regulierte, welche Subjektanforderungen an Jugendrichter_innen und Polizist_innen gestellt wurden. Jugendrichter wurden <?page no="286"?> 285 als weise Männer konturiert, die mit therapeutischer Begabung über den geeigneten Umgang mit Jugendlichen entscheiden können sollten. Mit Blick auf die Polizei zeigte sich, dass die Forderung nach therapeutisch agierenden Polizist_innen nicht in Widerspruch zur polizeilichen Ordnungsfunktion geraten musste: Indem sich Polizist_innen auf das in der Ausbildung erlernte Wissen über Risikogruppen jugendlicher Delinquenz bezogen, konnten sie entlang hegemonialer Anforderungen handeln und gerade auch repressiv auf Jugendliche zugreifen. Eine Verschränkung von Rehabilitations-, Demokratie- und Sicherheitsdispositiven beförderte in den 1960er Jahren die Neugestaltung von Jugendgerichtsverfahren bzw. Reformen von Jugendstrafanstalten. Der Supreme Court urteilte 1967 im Fall In Re Gault, dass die Verfahrensrechte von regulären Gerichtsverhandlungen auch bei Jugendgerichtsprozessen zum Tragen kommen sollten, sofern in diesen über eine Freiheitsstrafe entschieden wurde. Auf diese Weise erhielten Jugendliche zwar mehr Rechte in Gerichtsverfahren, das Urteil trug aber auch dazu bei, jugendliche Delinquenz zu kriminalisieren und gleichzeitig weniger schwere Delikte aus dem Verantwortungsbereich von Jugendgerichten herauszunehmen. Auch Jugendstrafanstalten gerieten in den US-Nachkriegsdekaden in den Fokus von Reformbestrebungen. Man kritisierte deren Strafpraktiken und argumentierte, diese seien nicht geeignet, Jugendliche zu rehabilitieren und auf das Leben in einer demokratischen Gesellschaft vorzubereiten. Gleichzeitig wurde aber die Notwendigkeit von Jugendgefängnissen betont, in denen mutmaßlich schwer rehabilitierbare Jugendliche verwahrt werden sollten. Wie am Beispiel der CASE-Projekte gezeigt wurde, etablierten sich vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes im punitiven Rahmen von Jugendstrafanstalten Praktiken, die darauf ausgerichtet waren, die Selbstführung Jugendlicher zu verbessern. Sozialarbeiterische Projekte beschäftigten sich in der Delinquency Scare besonders mit städtischen Gangs. Am Beispiel des Sprechens über jugendliche Gangs wurde deutlich, wie unterschiedliche Äquivalenzketten von Raum, Klasse, Geschlecht und „Rasse“ jugendliches Verhalten zu einem „problematischen“ oder „normalen“ Zeichen machen konnten. Gangs von als nicht-weiß markierten Jugendlichen der großstädtischen Gettos wurden als interventionsbedürftiges Delinquenzproblem aufgebaut, wobei vor allem männliche Gangs im Vordergrund standen. Im Gegensatz dazu befand man, dass als Clubs beschriebene Gruppen weißer, bürgerlicher Jungen und Mädchen zu einer „normalen“ adoleszenten Entwicklung dazugehörten. Selbst wenn diese delinquente Delikte verübten, wies man ihnen eine deutlich geringere Problematik zu. In Wechselwirkung mit der Konstruktion delinquenter Gangs entwickelte sich eine neue Form der Straßensozialarbeit, bei der spezifisch konturierte, männliche Street Workers die Jugendlichen auf der Straße aufsuchen und die Aktivitäten der Gangs in „konstruktive“ Bahnen lenken sollten. Anhand des <?page no="287"?> 286 Street Worker Vincent Riccio hat sich gezeigt, auf welche Weise der Delinquenzdiskurs Sozialarbeitern einen Rahmen bot, sich in Relation zu ihrer Klientel und Aufgabe zu verstehen. Riccio schrieb sich in seinem Erfahrungsbericht als authentischer, disziplinierter, reflektierter und empathischer Street Worker in diesen Diskurs ein. Gleichzeitig konnte er aus dieser Position heraus auch einzelne Subjektanforderungen, etwa die Vorgabe der Professionalität zumindest partiell zurückweisen. Am Beispiel des Anti-Delinquenz-Projekts Mobilization for Youth (MFY), das zu Beginn der 1960er Jahre in der New Yorker Lower East Side seine Arbeit aufnahm, habe ich zeitgenössische sozialarbeiterische Rationalitäten untersucht. MFY versuchte als Community Action-Projekt, marginalisierte Erwachsene sozialpolitisch zu organisieren, um das „Klima“ der Community zu verbessern und Delinquenz nachhaltig zu bekämpfen. Ich habe gezeigt, wie MFY an hegemoniale Vorstellungen von Delinquenzprävention, der Förderung von upward mobility und der Aktivierung von Individuen und Communities anknüpfte. Vor dem Hintergrund einer Kopplung von Opportunity Theory und Culture of Poverty-Konzept betrachtete MFY jugendliche Delinquenz als Symptom der „Deprivation“ von Communities. Die stärkere Betonung von Armut als Ursache von Delinquenz in den 1960er Jahren hatte dabei ambivalente Konsequenzen. Zum einen schuf dies einen Raum, in dem gesellschaftliche Ungleichheit angreifbar wurde und neue Sozialgesetze entstehen konnten. Zum anderen wurde es über die Verknüpfung von Armut mit vermeintlichen psychosozialen Defiziten möglich, ganze Communities als problematische Räume zu konturieren. Meine Analyse von MFY, das zum Modellprojekt für Johnsons War on Poverty wurde, hat veranschaulicht, dass sich der Delinquenzdiskurs in sozialpolitischen Programmen sedimentierte und dazu beitrug, die Grenzen gesellschaftlicher Partizipation sowohl durchlässiger als auch stabiler zu machen. Die Delinquency Scare traf sich in den Nachkriegsdekaden mit Narrativen einer profunden schulischen Krise. Dabei half der Signifikant Jugenddelinquenz, diese Krisenerzählungen zu vereindeutigen und ihnen unterschiedliche Orte zuzuweisen: integrierte Großstadtschulen bzw. die als weiß und bürgerlich markierten Schulen der Vorstädte. Dass und auf welche Weise integrierte Schulen der großstädtischen Gettos über Delinquenz als krisenhaft erschienen, habe ich am Beispiel der Diskussionen um schulische Gewalt gezeigt, die sich seit Mitte der 1950er Jahre verdichteten - just zu dem Zeitpunkt, als der Supreme Court die Desegregation von Schulen anordnete. Vor allem integrierte, innerstädtische Schulen wurden als gefährliche Räume, als „Blackboard Jungles“ konturiert und rassialisiert. Darüber konnte die schulische Integration sowohl im Süden als auch im Norden der USA infrage gestellt werden. Jugenddelinquenz fungierte aber auch auch als Argument im Kampf für die Aufhebung der Segregation. Die Bundesrichter beriefen sich in ihrem Urteil zu Brown v. Board of Education auf psychologisches Wissen, das die schädlichen Konsequenzen segregierter Struktu- <?page no="288"?> 287 ren auf die Psyche von Schüler_innen hervorgehoben hatte. Die Delinquency Scare bildete überdies ein implizites Bedrohungsszenario für die Diskussionen um schulische Elitenförderung, die sich rund um den „Sputnik Schock“ als zweiter Strang des schulischen Krisennarrativs etablierten. Die Figur des Dropout, die in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre in den Vordergrund von Schulkrisennarrativen rückte, war eng mit männlichen, nichtweißen und sozial benachteiligten Jugendlichen verknüpft und wurde zunehmend mit jugendlicher Delinquenz verbunden. Ein zentrales Element dieser Kriminalisierung von Dropouts war die Vorstellung, dass sie „soziales Dynamit“ in den Städten bildeten. In der Konsequenz konnte der Schulabbruch Jugendlicher skandalisiert und ein dringender Handlungsbedarf für die als bildungsfern betrachteten, sozial benachteiligten Jugendlichen artikuliert werden. In enger Verknüpfung mit den in der Delinquency Scare problematisierten Schüler_innen wurden Lehrkräfte als besonders bedeutende Akteur_innen in der Bekämpfung jugendlicher Delinquenz aufgebaut. Ausgehend von dem Buch Undercover Teacher des Journalisten und Aushilfslehrers George Allen habe ich Vorstellungen von idealen bzw. an der harten schulischen Realität scheiternden Lehrkräften untersucht. Die vermeintlichen Ausmaße schulischer Delinquenz schienen einen spezifischen Typus von Lehrer zu erfordern, der gut ausgebildet und männlich sein, sich leidenschaftlich und ohne Angst vor Herausforderungen seinem Beruf widmen und seine erzieherischen Fähigkeiten stets überprüfen sollte. Dabei wurden vor allem Lehrkräfte von Schüler_innen aus mutmaßlich defizitären Familien dazu aufgefordert, elterliche Mängel zu kompensieren. Zu den Effekten des schulischen Delinquenzdiskurses gehörte die Entwicklung neuer schulischer Strukturen und sonderpädagogischer Programme. Infolge der Skandalisierung schulischer Gewalt hatten Schulleitungen etwa in New York City das Recht erhalten, „Störenfriede“ zu suspendieren, um sie von den „normalen“ Schüler_innen zu trennen. Gleichzeitig verlangte es aber unter anderem der zeitgenössische Imperativ von „universeller“ Erziehung, gerade diejenigen Jugendlichen zu erreichen, die als bildungsfern und gleichsam notwendig delinquenzgefährdet galten. Aus dieser Problemlage entwickelte sich die Einrichtung bzw. der Ausbau sonderpädagogischer Maßnahmen. Über eine enge Äquivalenzbeziehung von Delinquenz und disability wurden vorrangig nicht-weiße, sozial benachteiligte Jugendliche in sonderpädagogischen Klassen und Schulen untergebracht. Auch hier zeigte sich, dass auf schulpolitischem Terrain um Anerkennung gestritten wurde, denn spezifische Zuweisungen von Behinderung entwickelten sich auch für weiße und bürgerliche Jugendliche. Auf diese Weise war es möglich, die fortgesetzte Segregation von Schulen sowohl außerhalb als auch innerhalb sonderpädagogischer Programme zu legitimieren. Familien bzw. Eltern traten in der Delinquency Scare als besonders entscheidend in der Hervorbringung, aber auch Bekämpfung jugendlicher Delinquenz hervor. Über aktualisiertes Wissen zu kindlicher und jugendlicher Entwicklung wurden <?page no="289"?> 288 Eltern und im Besonderen Mütter als natürliche Erziehungsinstanzen konturiert. Obschon Expert_innen hervorhoben, dass gerade Mütter über ein intuitives erzieherisches Wissen verfügten, beobachtete man vielfältige Mängel, psychische Instabilitäten und Erziehungsfehler bei ihnen - aber auch bei Vätern. Im Kontext des Delinquenzdiskurses sorgten sich Expert_innen um den Einfluss „defizitärer“ Eltern und Familien auf Jugendliche. Diese Entwürfe waren in hohem Maße von geschlechts-, klassen- und „rassen“-spezifischen Annahmen durchzogen. So problematisierte man etwa eine vermeintliche Abwesenheit von Vätern bei Mittelklasse-Familien anders als in Bezug auf als nicht-weiß markierte Familien der „Unterklasse“. Zwar wurde auch in ersteren ein Mangel an väterlichen Rollenmodellen diagnostiziert und dessen schädliche Auswirkungen auf die Geschlechtsidentität und Disziplin der Söhne befürchtet. In afroamerikanischen Familien, die als „dysfunktional“ konturiert wurden, schien das Problem der Vaterlosigkeit aber systemischen Charakter zu haben und nicht nur zu mangelnder jugendlicher Selbstkontrolle, sondern auch zu einem Kreislauf von schulischem Scheitern, Arbeitslosigkeit und Delinquenz zu führen. Auch in Bezug auf Mütter zeigt sich die Interdependenz der Verhandlungen von Problemfamilien in der Delinquency Scare. Das Sprechen über mütterliche Fehler konzentrierte sich dabei auf mutmaßlich entweder „überfürsorgliche“ oder „nachlässige“ Mütter, wobei erstere eher in weißen und bürgerlichen Familien lokalisiert wurden. Hier traf sich das Delinquenzdispositiv mit zeitgenössischen Sorgen vor dominanten „Moms“, die Söhne und Ehemänner „verweichlichen“ würden. Anhand der komplexen Figur der working mother habe ich gezeigt, auf welche Weise vor allem sozial benachteiligten, afroamerikanischen Müttern die Vernachlässigung ihrer Kinder zugeschrieben werden konnte. Auf mutmaßlich delinquenzfördernde Familien verwies der Signifikant des broken home, der eine Äquivalenzkette aus Armut, abwesenden Vätern, nachlässigen Müttern, fehlendem familiären Zusammenhalt und Delinquenz umfasste. Über diese spezifischen Entwürfe familiärer Arrangements wurden im Delinquenzdispositiv unterschiedliche Szenarien jugendlichen Verhaltens hervorgebracht. Darüber war es etwa möglich, vor allem in Bezug auf weibliche Jugendliche diskutierte sexuelle Aktivitäten unterschiedlich zu konturieren - entweder als individualpsychologisches Problem oder als Ausdruck kollektiver „Dysfunktionalitäten“ nicht-weißer Communities. Im Kontext der diskursiven Verknüpfung von Familien und jugendlicher Delinquenz wurde insbesondere auch der mutmaßlich schädliche Einfluss eines übergroßen Konformismus problematisiert, den Kritiker_innen in den bürgerlichen Vorstädten fanden. Dadurch konnte Delinquenz auch als Zeichen einer wünschenswerten Rebellion Jugendlicher begriffen werden, die nicht auf eine „Störung“, sondern gerade auf die Ausbildung eines „gesunden“ Individualismus hinzuweisen schien. Allerdings zeigten sich in den Verhandlungen „positiver Rebellion“, dass ihr enge Grenzen gesetzt waren, da sich vor allem weiße, bürgerliche und eher männliche Jugendliche als „produktive“ Rebellen qualifizieren konnten. <?page no="290"?> 289 Vor diesem Hintergrund habe ich gezeigt, dass das Delinquenzdispositiv die Regierung von Familien intensivierte. In den Nachkriegsdekaden wurde auf unterschiedliche Weise auf Eltern zugegriffen und in Familien interveniert. Es bildete und verdichtete sich eine Infrastruktur, über die erzieherisches Wissen etwa durch Erziehungsratgeber und elterliche Diskussionsgruppen zu Eltern transportiert und von diesen verarbeitet werden konnte und sollte. Gleichzeitig galten vor allem vermeintliche Problemfamilien als unempfänglich gegenüber erzieherischem Wissen. Dass man aber vor allem diesen eine besondere Hilfebedürftigkeit zuschrieb, trug dazu bei, disziplinarische Zugriffe zu legitimieren, wie am Beispiel von Hausbesuchen und Sozialhilfemaßnahmen deutlich geworden ist. Hier hat sich auch gezeigt, dass nun anders mit Eltern delinquenter Kinder umgegangen wurde als noch in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Zu diesem Zeitpunkt hatte man über Jugendgerichtsverfahren eher versucht, mutmaßlich defizitäre Eltern zu umgehen und die Jugendlichen aus den Familien herauszunehmen. Zwar hatte diese Praxis Bestand, wurde nun aber begleitet vom Ausbau eines engmaschigen Netzes, das darauf ausgerichtet war, Eltern vermeintlich delinquenter Kinder stärker als zuvor in die Pflicht zu nehmen, sich erzieherisch besser zu führen. Dies zeigte sich nicht zuletzt in der Einführung von „parental responsibility laws“, die die Möglichkeit boten, Eltern für die Delinquenz ihrer Kinder juristisch zu verfolgen. Die Produktivität der Delinquency Scare in Bezug auf Subjektivierungsprozesse zeigte sich in meiner exemplarischen Analyse der Briefe von Jugendlichen und Eltern an Expert_innen und das Senate Subcommittee: Indem sich Jugendliche in zeitgenössische Konzeptionen von Jugend und Jugenddelinquenz einschrieben, war es ihnen möglich, eine Sprechposition im Delinquenzdiskurs zu reklamieren. So beriefen sie sich beispielsweise auf elterliche Fehler oder ihre Rolle als zukünftige Staatsbürger_innen bzw. ihren besonderen Expertenstatus und konnten darüber die gesellschaftliche Obsession mit Jugenddelinquenz zurückweisen oder bestätigen. Dabei reproduzierten und unterliefen sie gleichzeitig die Annahme eines profunden Unterschiedes zwischen Jugendlichen und Erwachsenen und verknüpften Reife eher mit altersunabhängigen Faktoren. Die Briefe von Eltern haben veranschaulicht, wie das zeitgenössische Wissen über rechte Erziehung und die elterliche Verantwortung für jugendliche Delinquenz ein wichtiges Deutungsmuster für die Verfasser_innen bereitstellte. Eltern fanden ihre Sorgen im Erziehungswissen bestätigt oder erkannten dadurch bestimmte Probleme erst als solche. Hier wurde aber auch ersichtlich, dass unterschiedliche Anforderungen an gute Mutterschaft miteinander kollidierten, wie etwa der Imperativ, erzieherische Expertise einzuholen und die Vorstellung einer natürlichen, mütterlichen Intuition. Mütter konnten in diesen Briefen vorbildliche Mutterschaft performieren, gerade indem sie sich als unsicher und fehlerhaft inszenierten. Der diskursive Sog der Annahme einer unhintergehbaren Verantwortlichkeit von Eltern für die Delinquenz ihrer Kinder zeigte sich nicht nur in denjenigen Briefen, in denen Eltern die eigene Zuständigkeit betonten. Er war <?page no="291"?> 290 auch dort sichtbar, wo Eltern sich von anderen, vermeintlich scheiternden Eltern abgrenzten und die eigene erzieherische Leistung hervorhoben. Gleichzeitig ermöglichte es die Offenheit des Delinquenzdiskurses auch, eine elterliche Verantwortung abzulehnen und das Problem mit externen Faktoren wie dem Einfluss von Massenmedien zu erklären. Im Laufe dieses Buches ist immer wieder deutlich geworden, dass Jugenddelinquenz ein produktiver Signifikant war, der Eindeutigkeit symbolisierte, aber als Überbegriff für eine Reihe ganz unterschiedlicher Verhaltensweisen ganz unterschiedlicher Jugendlicher eingesetzt wurde. Was und wer als delinquent galt, konnte ebenso wenig eindeutig bestimmt werden, wie die Frage, welche Problematik oder Bedrohlichkeit mit dem Verhalten verknüpft wurde. Juvenile delinquency war also mit höchst verschiedenen Bedeutungen aufgeladen - und um diese Bedeutungen stritt man im Delinquenzdiskurs. Damit wurden einerseits die Grenzen zwischen als gefährdet und als gefährlich betrachteten Jugendlichen verwischt. Andererseits versuchte man diese in der Kriminalitätsarbeit mit enormem Aufwand performativ zu stabilisieren - etwa durch Wissensproduktion, Gerichtsurteile und erzieherische Maßnahmen. Damit konnte Jugenddelinquenz zwar immer noch variabel eingesetzt werden, gleichzeitig ließen sich aber zumindest temporäre Aussagen darüber treffen, ob das verhandelte Verhalten als problematisch oder unproblematisch zu erachten war. Dabei waren die äquivalenten Bedeutungszuweisungen, die juvenile delinquency vereinte, zum Teil symbolisch so stabilisiert werden, dass ihre einzelnen Elemente durch einander ausgedrückt werden konnten: Wenn etwa von mangelnden schulischen Fähigkeiten oder familiärer Vernachlässigung die Rede war, konnten Zeitgenoss_innen darin zumindest potenzielle Delinquent_innen erkennen. Umgekehrt konnte mit delinquentem Verhalten eine Reihe mutmaßlicher psychischer, körperlicher und sozialer Defizite assoziiert werden. Die Figur des jugendlichen Schulabbrechers ist ein Beispiel für die Etablierung solcher Äquivalenzbeziehungen. Im Laufe der 1950er Jahre nahm der Dropout das Potenzial an, jugendliche Delinquenz zu signifizieren. Juvenile delinquency war zu Beginn der 1960er Jahre keinesfalls von der Bildfläche gesellschaftlicher Problemverhandlungen verschwunden, wie es Gilbert diagnostiziert hat. 1166 Gleichwohl differenzierte sich der diskursive Einsatz des Signifikanten zu diesem Zeitpunkt aus. Möglich wurde dies unter anderem über die wichtige Rolle, die andere Signifikanten in diesem Prozess übernahmen, wie etwa Armut und Reife. Jugenddelinquenz wurde zwar bereits in den 1950er Jahren immer wieder mit Armut in Verbindung gebracht, im Laufe der 1960er Jahre aber trat Armut in den Vordergrund gesellschaftlicher Problembeschreibungen. Dabei wurde es in den Culture of Poverty-Konzepten als Problem ge- 1166 Gilbert: Cycle of Outrage, S. 195. <?page no="292"?> 291 dacht, das sich vermeintlich tiefgreifend auf die Psychen von Individuen und auf Communities auswirken und über Generationen hinweg vererben würde. Über diese Verknüpfung mit einem rassialisierten Entwurf von Armut konnte Delinquenz symbolisch vereindeutigt und stärker mit „gefährlichen“ Jugendlichen, Psychopathologie und Kriminalität in Verbindung gebracht werden. Wie etwa die Politiken von MFY, aber etwa auch die Debatten um Elternerziehung zeigen, konnte der Signifikant poverty die kulturelle Arbeit von juvenile delinquency übernehmen. Jugendliche Delinquenz reihte sich in diesem diskursiven Prozess in die Äquivalenzkette von Armut ein und fungierte als wichtiges Element in der Begründung von Armutsbekämpfungsprogrammen. Dieses sind wichtige Elemente der diskursiven „Karriere“ von poverty zum Ende der 1960er Jahre. Dass der Armutsdiskurs überdies nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsene als unreife und unverantwortliche Individuen konturierte, verweist auf einen weiteren Signifikanten, der eine privilegierte Rolle in der Vereindeutigung von Jugenddelinquenz übernahm: maturity. Es ist etwa am Beispiel von „produktiver Rebellion“ deutlich geworden, dass Vorstellungen von Reife als diskursives Bindeglied fungierten, über das „unproblematische“ Jugenddelinquenz symbolisch mit Whiteness, Mittelklasse-Status und normativen Konzeptionen von Kernfamilien verknüpft wurde. Reife konnte auf einen demokratischen Charakter hinweisen und war damit eine Kategorie, die unabhängig von Alterszuweisungen funktionierte. Über Armut und Reife wurde es möglich, das Sprechen über Jugenddelinquenz zu vereindeutigen, ohne explizit von „Rasse“ zu sprechen. Und weil über jugendliche Delinquenz mehr verhandelt wurde als „nur“ das Verhalten Jugendlicher, trug der Delinquenzdiskurs dazu bei, Aussagen darüber zu treffen, wer als fähig zur (zukünftigen) Partizipation und damit als Staatsbürger_in betrachtet wurde. Damit schuf die Delinquency Scare einen Raum, bestimmten Jugendlichen eine gesellschaftliche Position zu verleihen und sie solchen Erwachsenen zu verwehren, die als nicht-rational, unreif und instabil markiert wurden. Auf diese Weise wurde eine vermeintlich offensichtliche Hierarchie zwischen Erwachsenen und Jugendlichen durchkreuzt. Was konnte es nun bedeuten, dass die Signifikanten poverty und maturity am Ende der 1960er Jahre eine so entscheidende Rolle in der Deutung jugendlichen Verhaltens eingenommen hatten? Wie das im Delinquenzdispositiv distribuierte Wissen diese Ordnungsfunktion auch in einem Kontext übernehmen konnte, in dem nicht explizit von Jugenddelinquenz gesprochen wurde, wird im folgenden Ausblick skizzenhaft veranschaulicht werden. Ausblick: Poverty, Maturity und die Frage legitimen Protestes In den späten 1960er Jahren beschäftigte sich die US-amerikanische Gesellschaft mit einem Phänomen, das als Welle von Gewalt und Unordnung wahrgenommen und stark mit Jugendlichen in Großstädten und an Universitäten assoziiert wurde. Zwischen 1964 und 1968 war es in vielen Städten der USA zu gewalt- <?page no="293"?> 292 vollen Aufständen in den Gettos gekommen, die als sich stetig verschlimmernde „race riots“ begriffen wurden. 1167 Diese Aufstände trafen mit der Studierendenbewegung und massiven Protesten gegen den Vietnam-Krieg zusammen. Immer wieder machten gewaltsame Konflikte zwischen demonstrierenden Student_innen und der Polizei Schlagzeilen, sodass bis 1968 der Eindruck entstanden war, auch die Lage an den Universitäten sei außer Kontrolle geraten. 1168 In den Jahren 1967 bis 1969 widmete sich das Senate Permanent Subcommittee on Investigations unter anderem einer Untersuchung von Gettoaufständen und „Studentenunruhen“. 1169 „Why have atrocious things occured to interrupt the domestic tranquility of our Republic? “, fragte der Ausschuss und artikulierte seine Befürchtung, die US-amerikanische Gesellschaft werde Zeuge von „Gesetzlosigkeit und politischer Unordnung“. 1170 An dieser Stelle soll keine ausführliche Diskussion von „race riots“ oder Studierendenprotesten erfolgen. Mich interessieren vielmehr zwei Charakteristika der zeitgenössischen Verhandlungen dieser Phänomene, die sich am Beispiel der Anhörungen beobachten lassen und den Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen bilden: Erstens tauchte der Begriff juvenile delinquency in den Anhörungen nicht auf. Dies ist überraschend, denn die „race riots“ und die Studierendenproteste wurden als vor allem jugendlich geprägte Bewegungen begriffen. Und tatsächlich erklärten die Expert_innen, die der Ausschuss zu den Gründen von Gewaltdelikten und Unruhen befragte, diese auf ganz ähnliche Weise wie zuvor Jugenddelinquenz. Außerdem hatte auch die Delinquency Scare über die Annahme operiert, dass Ruhe und Ordnung der Gesellschaft durch das normverletzende Verhalten Jugendlicher gefährdet waren. Der zweite bemerkenswerte Aspekt an den Anhörungen ist, dass die unterschiedlichen Protestaktivitäten als Teil des gleichen Phänomens - eines drastischen Anstiegs von Gewalt in der USamerikanischen Gesellschaft - verstanden wurden. 1171 Man sprach universell von 1167 Dazu Finzsch: „Die ‘National Advisory Commission on Civil Disorders’ und der Diskurs um Gewalt in den USA, 1968“; Walter C. Rucker/ James N. Upton (Hg.): Encyclopedia of American Race Riots. Westport: Greenwood, 2007; Flamm: Law and Order, z. B. S. 143. 1168 Dazu Edward K. Spann: Democracy’s Children. The Young Rebels of the 1960s and the Power of Ideals. Lanham: SR Books, 2003; Simon Hall: Peace and Freedom. The Civil Rights and Antiwar Movements in the 1960s. Philadelphia: Univ. of Pennsylvania Press, 2005; Martin Klimke: The Other Alliance. Student Protest in West Germany and the United States in the Global Sixties. Princeton: Princeton Univ. Press, 2010. 1169 Z. B. U.S. Congress, Senate, Committee on Government Operations: Riots, Civil and Criminal Disorders. Hearings before the Permanent Subcommittee on Investigations of the Committee on Government Operations, 90th Cong., 2nd Sess., Part 10, 24.-26. Juni 1968. Washington, DC: Government Printing Office, 1968; ebd., Part 16, 9.,13./ 14. Mai 1969. Washington, DC: Government Printing Office, 1969. 1170 Senator Karl E. Mundt in: ebd., S. 2976f. 1171 Zum zeitgenössischen Gewaltdiskurs in den USA s. Amerikastudien/ American Studies 49/ 3 (2004), „Gewalt in den USA der 1960er und 1970er Jahre“, darin insbesondere die Beiträge von Finzsch und Greiner (Finzsch: „Die ‘National Advisory Commission on Civil Disorders’ <?page no="294"?> 293 „riots, civil and criminal disorder“. Gleichzeitig macht aber bereits der Titel deutlich, dass man doch auch Unterschiede in den untersuchten Vorkommnissen fand. Wie war es möglich, dass das noch kurz zuvor äußerst virulente Problemszenario Delinquenz hier keine Rolle mehr spielte? Und wie differenziert man die in den Anhörungen diskutierten Phänomene? Anhand einiger Stellungnahmen vor dem Ausschuss bzw. Äußerungen von Aktivisten werde ich mich diesen Fragen nun kurz widmen. Dabei werfe ich im Besonderen einen Blick auf den Einsatz von poverty und maturity in diesen Verhandlungen von Jugendprotesten. Wie schon Mitte der 1960er Jahre konzipierten viele die „race riots“ auch zum Ende der Dekade als „gesetzloses“ Verhalten junger African Americans. Der Historiker Robert Fogelson etwa, den das Permanent Subcommittee im Mai 1969 zur Anhörung bat, hob deren gewalttätigen Charakter hervor und begründete diesen mit der Unzufriedenheit junger Schwarzer mit ihrem geringen sozialen Status. Anders als ihre Eltern, die ihre Lebensumstände mit denen im früheren ländlichen Süden verglichen, seien sie nicht in der Lage, Verbesserungen zu erkennen - und überdies als Jugendliche äußerst ungeduldig. 1172 Zwar betrachtete Fogelson die Aufstände auch als Reaktion auf tatsächliche gesellschaftliche Missstände und er sprach von „legitimen Beschwerden“ und sogar „Protest“. Durch seine psychologisierte Deutung der „riots“ stellte er sie aber weniger als rationale, sondern vielmehr als unkontrollierte, gewalttätige Reaktion auf diese Probleme dar. Denn Fogelson befand, dass die psychosozialen Kontrollmechanismen, die Menschen „normalerweise“ von „Gewaltausbrüchen“ abhielten, in diesem Kontext nicht funktionieren würden. Dies erklärte er mit Hilfe von Culture of Poverty-Konzepten - unter anderem mit vermeintlich ohnehin hohen Kriminalitätsraten in nicht-weißen, städtischen Communities. 1173 Indem Fogelson Narrative mangelnder Triebkontrolle aufrief, die in der Delinquency Scare mit afroamerikanischen, vaterlos aufwachsenden Jugendlichen verknüpft worden waren, traten die „legitimen Beschwerden“ hinter seinen Fokus auf jugendliche Gewalt. Er konnte die „riots“ auf diese Weise als unreif darstellen, psychologisieren und ihnen so ihren politischen Charakter absprechen. Im Gegensatz zu Fogelson begründeten andere den politischen Gehalt der Proteste gerade mit solchen Erklärungsmustern. Ein Beispiel dafür ist der Pfarrer und Wissenschaftler Nathan Wright, der dem Subcommittee ebenfalls im Mai 1969 seine Deutung der „race riots“ darlegte. Wright war Professor für African American Studies und Bürgerrechtsaktivist und zählte zu den dezidierten Unter- und der Diskurs um Gewalt in den USA, 1968“; Bernd Greiner: „‘The silent majority is beginning to speak and we beg the officials to listen’: Die amerikanische Debatte um Kriegsverbrechen in Vietnam“, S. 349-366). 1172 Subcommittee on Investigations: Riots, Civil and Criminal Disorders, Pt. 16, S. 3090f., 3099. 1173 Ebd., S. 3106. <?page no="295"?> 294 stützern der Black Power-Bewegung. 1174 Auch er betrachtete Armut als zentrale Ursache für die „riots“. Wright argumentierte, die Armutsbekämpfungsprogramme der Bundesregierung seien zwar eine Antwort auf die „drohende schwarze Revolution“ in den Städten gewesen, hätten aber keine Verbesserungen für African Americans gebracht. 1175 Die Aufstände begriff er zwar als nachvollziehbare Reaktion auf Unterdrückung, wies ihnen aber gleichwohl eine gesellschaftliche Gefahr zu: Wenig später sprach er sogar von einer „Plage“ und einer „ohne Zweifel [...] wachsenden Gesetzlosigkeit“, die „kontrolliert“ werden müsse. 1176 Wie Fogelson setzte Wright zeitgenössische Vorstellungen von frustrierten jungen African Americans zur Beschreibung eines gesellschaftlichen Problems ein, das er primär über Armut konturierte. Gleichzeitig unterschied sich Wrights Darstellung der Aufstände aber deutlich von der Fogelsons. Trotz seines Bezugs auf das Problem der „Gesetzeslosigkeit“ bemühte sich Wright nämlich, die Proteste als legitime politische Rebellion zu rehabilitieren und den Begriff der „rebellion“ gegenüber dem der „riots“ zu verteidigen. Dabei schrieb er sich in das Narrativ „produktiver Revolte“ ein, das im Delinquenzdiskurs nahezu exklusiv mit dem Verhalten weißer Jugendlicher verknüpft worden war. Für Wright bestand kein Zweifel daran, dass junge Schwarze sich angesichts der undemokratischen Zustände in der Gesellschaft „gezwungen sahen, zu rebellieren“. 1177 Diese jungen Menschen - aber auch die „verzweifelten, städtischen, schwarzen Massen“ - hätten die „Realitätsfremde“ einer Gesellschaft begriffen, die sozialen Wandel nicht anerkenne und eine signifikante Gruppe von Menschen ausschlösse. Die Proteste von African Americans seien Ausdruck des Bedürfnisses nach einem „selbstbestimmten [...] Wachstum“ in Richtung von „mehr Selbstständigkeit und Selbstrespekt, nicht nur zur persönlichen Befriedigung, sondern um das [...] Leben unserer Nation zu bereichern“. 1178 Wright rief hier zentrale Elemente der Konstruktion „positiver Rebellion“ auf, indem er die Aufstände als demokratischen Protest klassifizierte und mit staatsbürgerlichem Werden in Verbindung brachte. Auf diese Weise reklamierte er einen Subjektstatus für die Protestierenden. Möglicherweise - und hier zeigt sich ein Paradox der Kämpfe um Legitimität - funktionierte diese Einschreibung gerade deshalb, weil der „positive“ Rebell als adoleszent gekennzeichnet war und auch Wright die Träger_innen der Proteste kollektiv noch auf dem Weg zur Reife sah. Denn Selbstständigkeit und Selbstrespekt schienen noch nicht verwirklicht, sondern erst am Ende dieser Entwicklung zu locken. Die Vorstellung von Aufständen als Weg aus einer Unreife heraus fungierte hier zur Rechtfertigung des Protests. 1174 Norbert Finzsch/ James O. Horton/ Lois Horton: Von Benin nach Baltimore. Die Geschichte der African Americans. Hamburg: Hamburger Edition, 1999, S. 547. 1175 Subcommittee on Investigations: Riots, Civil and Criminal Disorders, Pt. 16, S. 3003. 1176 Ebd., S. 3009f. 1177 Ebd., S. 3028, 3007. 1178 Ebd., S. 3009. <?page no="296"?> 295 Eldridge Cleaver hatte die Legitimität der Aufstände ganz ähnlich begründet. Dabei lehnte er psychologisierte Erklärungen einerseits ab - wie etwa die eines schädlichen Einflusses der Eltern auf die Kinder. Andererseits basierte seine Verteidigung der Proteste trotzdem auf psychologischem Wissen, denn er betrachtete sie als spezifisch jugendliche Rebellion. 1179 Auf welche Weise sich Cleaver damit in ein Narrativ einschrieb, über das vor allem die weiß geprägte Antikriegs- und Studierendenbewegung charakterisiert wurde, zeigt sich besonders deutlich in einem anderen Text von ihm. 1970 verfasste er die Einleitung zu einem Buch, das als zentrales Dokument der zeitgenössischen Annahme eines generationellen Aufbegehrens gelesen werden kann. Das Buch Do It! Scenarios of the Revolution erschien 1970 und war von Jerry Rubin verfasst worden. Rubin war Mitbegründer der Yippies (zurückgehend auf Youth International Party) und avancierte in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zu einem der Wortführer einer vorrangig bürgerlich und weiß geprägten Gegenkultur, die als Jugendbewegung inszeniert wurde. 1180 Im Vorwort zu diesem Buch griff Cleaver Rubins Selbstbeschreibung als „Kind“ auf und schrieb über diesen: „What a child! Scornful of his elders who are too old even for the Fountain of Youth [sic] to help. Too old in their ways, too old in their values [...].“ Mit der Publikation des Buches würden die „Kinder Amerikas [...] Amerika [den Prozess machen]“. 1181 Dabei schrieb Cleaver die Black Power-Bewegung einerseits in dieses generationelle Narrativ ein, denn er betonte zentrale Gemeinsamkeiten zwischen seinen und Rubins Positionen. Andererseits wirkte sein Text distanziert und manchmal sogar ablehnend den „Kindern Amerikas“ gegenüber. So betonte er etwa, dass nur Native Americans dieses Label für sich reklamieren könnten und kritisierte die privilegierte Position der Yippies mit den Worten: „It is time for Amerika’s [sic] children to start killing and dying for themselves, and stop exporting the revolution and the deaths that we must die.“ 1182 Möglicherweise konnte sich Cleaver in der Erzählung eines Generationenkonfliktes deshalb nur begrenzt wiederfinden, weil diese zeitgenössisch äußerst machtvermeidend funktionierte und Fragen von Rassismus und existenzieller Bedrohung in den Hintergrund schob. Denn die Politik der Yippies lebte von der Annahme, dass Jugendliche von Erwachsenen quasi kolonisiert werden würden: „Our parents are waging a genocidal war against their own kids“, proklamierte Rubin und fuhr fort: „The economy has no use or need for youth. [...] The next logical step is to kill us. So Amerika [sic] drafts her 1179 Cleaver: Soul on Ice, S. 73f., 83. 1180 Jerry Rubin: Do It! Scenarios of the Revolution. New York: Simon and Schuster, 1970. Dazu Julie Stephens: Anti-Disciplinary Protest. Sixties Radicalism and Postmodernism. Cambridge, UK u. a.: Cambridge Univ. Press, 1998, insbes. Kapitel 2; Melvin Small: Antiwarriors. The Vietnam War and the Battle for America’s Hearts and Minds. Lanham: SR Books, 2004, S. 76. 1181 Eldridge Cleaver: o. T. (Vorwort), in: Rubin: Do It! , S. 6-11, hier S. 7, 11. 1182 Ebd., S. 6, 10. <?page no="297"?> 296 young niggers and sends us to die in Vietnam.“ Rubin konstruierte Jugendliche hier als Schwarze und darüber als kollektiv unterdrückt. Er befand, dass die Gesellschaft durch einen grundsätzlichen „Krieg zwischen den Generationen“ strukturiert sei, der den „wichtigsten politischen Konflikt“ in den USA darstelle. Damit transzendierte dieser Konflikt in Rubins Darstellung etwa Fragen von Rassismus und sozialer Ungleichheit. 1183 Rubin griff hier zeitgenössische Konstruktionen eines generationellen Unterschiedes auf eine Weise auf, die Cleaver vermutlich trotz seines Verständnisses zeitgenössischer Proteste als Jugendbewegungen nicht teilen konnte. Doch zurück zur Frage nach den diskursiven Strategien, über die Aufständen von African Americans und European Americans ein politischer Charakter zugewiesen oder abgesprochen werden konnte. Denn das Narrativ, zu dessen Konstitution Rubin in Do It! beitrug, erwies sich als äußerst einflussreich in diesen Kämpfen. Rubin inszenierte die Yippies in seinem Buch in hohem Maße, wenn auch nicht bruchlos, als „positive“ Rebellen. Yippie fungierte als dezidiert jugendliches Konzept: „The revolution [is] the way of self-expression among kids“, verkündete Rubin und bezeichnete die „neue Generation“ unter anderem als „verrückt, irrational, [...], zornig [...] und kindisch“. Er griff dabei jugendlich kodierte Zuweisungen von Unreife, Unbeständigkeit, Hedonismus und mangelnder Rationalität auf und erhob sie zu den Qualitätsmerkmalen der neuen Bewegung: „Our Leaders Are Seven-Year-Olds“. 1184 Dies war metaphorisch gemeint, denn in Rubins Darstellung war nicht unbedingt das Alter von Individuen entscheidend für deren Fähigkeit, ein Yippie zu sein. Die Yippie- Bewegung sei keine „adoleszente Phase [...] auf dem Weg in die Vorstädte“, schrieb Rubin mit Verweis auf die rebels der 1950er Jahre, sondern bestünde aus „permanent adolescents“. Und obwohl er mahnte, man dürfe „keinem über 30 [trauen]“, fand er sich selbst aber auch noch mit 37 im Prozess des Aufwachsens begriffen. 1185 Das richtige Bewusstsein vorausgesetzt, konnten offenbar auch ältere Personen Yippies sein. Und dieses Bewusstsein zeichnete sich in seiner Erzählung durch eine besondere demokratische Reife aus, die ein zentrales Element in der Konstruktion „produktiver Revolte“ war. Rubins Konzept der Yippie-Bewegung, so sehr es sich auch von US-amerikanischen, weißen und bürgerlichen Werten abgrenzte, zeigte deutliche Spuren eines zentralen, mit Jugendlichkeit verknüpften Versprechens: „For us nothing is impossible. We can do anything.“ 1186 Mit explizitem Bezug auf die Amerikanische Revolution und den Zweiten Weltkrieg proklamierte Rubin, Jugendliche würden nicht mehr vor dem Fernseher sitzen und „grinsen“, sondern zu den neuen „Helden“ der Ge- 1183 Rubin: Do it! , S. 94, 87f., 250. 1184 Ebd., S. 243, 81-86, 248. 1185 Ebd., S. 89; ders.: Growing (Up) at 37. New York: Warner Books, 1976. 1186 Rubin: Do it! , S. 91(Hervorhebung i. O.). <?page no="298"?> 297 schichtsbücher werden wollen. 1187 Durch seine vordergründig geschlechtslose Sprache entwarf er diese Helden zudem eher als männlich. Denn der „positive“, individualistische Rebell war eine männlich kodierte Figur, der bescheinigt wurde, sich gegen einen „effeminierenden“ Konformismus aufzulehnen. Sofern weibliche Jugendliche in diesen Kontext nicht explizit eingeschrieben wurden, konnte diese Figur daher Männlichkeit signifizieren. Auf diese Weise dachte Rubin den Generationenkonflikt zwar als Streit zwischen Jugendlichen und Erwachsenen; wer zu diesen Gruppen gezählt werden konnte, machte sich bei ihm aber eher an einem altersunabhängigen, demokratischen und darüber als reif konturiertem Individualismus fest. Vorstellungen von Reife spielten auch eine wichtige Rolle im Ringen um die Legitimität von Studierendenprotesten, die ebenfalls in den Hearings des Senate Subcommittee als Teil von „riots, civil and criminal disorder“ verhandelt wurden. Wie die Anhörungen zeigen, konnten die Studierendenproteste darüber von „race riots“ abgegrenzt, aber auch in sich differenziert werden. Dies lässt sich etwa an der Stellungnahme des Psychologen Bruno Bettelheim veranschaulichen. Bettelheim hatte in der Delinquency Scare gefordert, „Rebellion“ und „Delinquenz“ voneinander zu unterscheiden und so zur Konstruktion gesellschaftlich erwünschter Rebellion beigetragen. Nun sprach der Psychologe gar nicht mehr von Delinquenz, sondern von einer „campus rebellion“. Dabei griff er die Kritik von Rubin explizit auf. Dieser hatte 1969 formuliert, Jugendliche würden als „Abfallmaterial“ der Gesellschaft behandelt werden. 1188 In den Anhörungen begründete Bettelheim mit dieser Diagnose die Ausbreitung der Studierendenproteste, die er als Resultat des Gefühls von Bedeutungslosigkeit begriff, das Jugendliche empfänden: „Campus rebellion seems to offer youth a chance to shortcut the empty waiting and prove themselves real adults.“ 1189 Der Großteil der Studierenden, so Bettelheim, sei tief besorgt über eine Welt, die Jugendliche nicht ernst nähme. In deutlicher Nähe zu Youth Development-Theorien argumentierte Bettelheim, Jugendliche bräuchten früher Verantwortung, als ihnen 1187 Rubin: Do it! , S. 87. Hier zeigt sich auch ein Bruch mit den Anforderungen an „positive Rebellion“, denn Yippies strebten laut Rubin keine Mittelklassen-Karrieren und die Integration in die Gesellschaft an (ebd., S. 89). Indem er etwa Bonnie Parker und Clyde Barrow als „Anführer der Neuen Jugend“ pries, berief er sich zudem auf ein Paar, das als eine der zentralen Figuren einer „crime wave“ der 1930er Jahre erinnert wurde (vgl. ebd., S. 122). Zur „crime wave“ Claire Bond Potter: War on Crime. Bandits, G-Men, and the Politics of Mass Culture. New Brunswick: Rutgers Univ. Press, 1998, v. a. Kap. 3 und 4). Gleichzeitig konnte Rubin auch gerade durch den Verweis auf Bonnie und Clyde und deren Jugendlichkeit an romantische Outsider-Narrative andocken, die in den Nachkriegsdekaden durchaus anschlussfähig waren (Hale: Nation of Outsiders). 1188 Jerry Rubin: „An Emergency Letter to My Brothers and Sisters in the Movemen“, in: The New York Review of Books, 13. Februar 1969, S. 27-29, zit. nach Subcommittee on Investigations: Riots, Civil and Criminal Disorders, S. 3073. 1189 Ebd. <?page no="299"?> 298 die Gesellschaft zugestehen könne. Einerseits sprach Bettelheim den Protesten damit gewissermaßen einen politisch-rationalen Charakter ab, weil er sie als entwicklungsbedingtes, spezifisch jugendliches Phänomen betrachtete und überdies als etwas naiv kennzeichnete. Indem er die sie als Ausdruck des jugendlichen „Strebens nach Unabhängigkeit“ betrachtete, schrieb er den Protesten andererseits durchaus Legitimität zu, denn dieses Streben wurde zeitgenössisch als besonders wünschenswert in der Ausbildung staatsbürgerlicher Subjekte betrachtet. 1190 Nun sah aber auch Bettelheim Differenzen innerhalb der protestierenden Studierendenschaft, über die er die Frage nach der Legitimität der Proteste unterschiedlich beantworten konnte. Neben der Mehrheit „ernsthaft“ protestierender Studierenden fand er nämlich eine „kleine Gruppe Militanter“, die die Proteste anführen würden. 1191 Jene wurden von Bettelheim als psychisch gestörte, „von Selbsthass zerfressene“ junge Männer präsentiert, die vor allem eines seien: „fürchterlich unreif“. Über den gewaltvollen Protest gegen das System würden sie sich ihre Männlichkeit beweisen und der eigenen Frustration entfliehen wollen. Während bei den „ernsthaften“ Studierenden der Unmut zurückginge, sobald sie eine „halbwegs gute Ehe“ oder einen „befriedigenden Arbeitsplatz“ hätten, befänden sich die „Anführer“ weiterhin in der bereits in früher Kindheit hervorgerufenen „Rage“. Bettelheim fand einen Beleg für diese „Unreife“ darin, dass sie keine konkreten Modelle einer „besseren Welt [...] nach der Revolution“ im Kopf hätten. 1192 In seiner Darstellung von „unreifem“, auf psychische „Störungen“ zurückgehendem Aufruhr schien der Protest nicht nur ungerechtfertigt, sondern auch vollkommen unpolitisch. Denn die betreffenden Studierenden konnten sich in Bettelheims Darstellung kaum als „produktive“ Rebellen qualifizieren, da er ihren Handlungen kein demokratisches Streben und keine gesellschaftliche Integrität zuwies. Zudem zeigen sich Parallelen zu Fogelsons Lesart der „race riots“, weil auch Bettelheim Gewalt als Ausdruck von psychischen Störungen und Frustration konturierte - allerdings eher als individuelles, denn vermeintlich systemisch hervorgebrachtes Problem. Über eine spezifisch konturierte Reife konnten also Unterschiede in die scheinbar universelle Problembeschreibung von „riots, civil and criminal disorder“ eingezogen werden: Ob den Protesten Legitimität zugewiesen wurde, hatte damit zu tun, ob die Protestierenden als werdende Subjekte oder als in ihrer Entwicklung gestörte Individuen bzw. Gruppen wahrgenommen wurden. Dass in diesen Auseinandersetzungen um Gettoaufstände und Studierendenbewegung nicht von Delinquenz gesprochen wurde, ist bemerkenswert. Es ist anzunehmen, dass der Signifikant in den Verhandlungen jugendlicher Proteste 1190 Subcommittee on Investigations: Riots, Civil and Criminal Disorders, S. 3071. 1191 Ebd., S. 3074. 1192 Ebd., S. 3073f., 3077. <?page no="300"?> 299 einige Jahre zuvor gefallen wäre, um die Vorkommnisse lesbar zu machen und auf eine spezifische Weise zu markieren - zumindest in Bezug auf die Diskussionen der „race riots“ zur Mitte der 1960er Jahre war dies auch so gewesen. Es zeigt sich also, dass das explizite Sprechen von jugendlicher Delinquenz zum Ende der 1960er Jahre zurückging. Dabei machte man sich, wie meine knappe Analyse gezeigt hat, immer noch Sorgen über das Verhalten Jugendlicher und freilich war Jugenddelinquenz auch zu diesem Zeitpunkt nicht gänzlich aus der gesellschaftlichen Debatte verschwunden. Zudem deuten die wenigen historischen Arbeiten zu Jugenddelinquenz in den 1970er bis 1990er Jahren an, dass darüber auch in dieser Zeit immer wieder ein wirkmächtiges Problemszenario entworfen werden konnte. 1193 Die Abwesenheit von juvenile delinquency in den Diskussionen über „race riots“ und Studierendenprotesten liegt möglicherweise darin begründet, dass der Signifikant die Abgrenzungsarbeit, die hier offenbar erforderlich war, nicht mehr in ausreichendem Maße leisten konnte. Zu diesem historischen Zeitpunkt scheinen poverty und maturity mit ihren unterschiedlichen Äquivalenzketten ein höheres Aussagepotenzial innegehabt zu haben. Über diese Signifikanten konnten „race riots“ und „Studierendenunruhen“ verschieden bewertet werden. Dabei waren die Mechanismen der Legitimierung bzw. Delegitimierung von Protest äußerst komplex. Der Verweis auf die Jugend der Protestierenden etwa konnte sowohl psychosoziale Unreife als auch demokratische Kompetenz symbolisieren und den Aufständen so eine kontextuell unterschiedliche Legitimität zuweisen bzw. absprechen. Damit zeigt sich nicht nur ein Bruch mit der Delinquency Scare, sondern auch eine Kontinuität von Delinquenzwissen. Denn mit poverty und maturity bildeten im Delinquenzdiskurs aufgeladene Signifikanten wichtige Elemente in der Auseinandersetzung um den politischen Gehalt und die Legitimität der Proteste. Gleichwohl: Auch wenn Expert_innen hier den Protest eines Teils der weißen Studierenden als gerechtfertigt beschrieben, bedeutete das nicht, diesen auch als politisch zu begreifen. Indem Jugendlichen - sowohl in der Charakterisierung von Armut als auch in der Figur der „produktiven Revolte“ - qua Natur ein besonders rebellisches Verhalten zugeschrieben wurde, konnte der Protest depolitisiert werden. „1968“ ist als Generationenkonflikt in das kollektive Gedächtnis und die Historiographie eingegangen und als legitimer, aber spezifisch jugendlicher Protest konturiert worden. 1194 Jüngere Beispiele für die Konstruktion von Jugendprotesten, in der diese über Annahmen zu Armut und Reife bewertet und rassialisiert werden, sind etwa die Diskussionen über die Aufstände in den Pariser banlieues 2005 und in London 2011. In diesen Fällen wurde 1193 Z. B. Sutton: Stubborn Children, Kap. 6; Hopson/ Obidah: „When Getting Tough Means Getting Tougher“; Bush: Who Gets A Childhood? , Kap. 7 und Epilog; Schumann: „Von der Strafe zur ‚Behandlung‘ (und zurück? )“. 1194 Spann: Democracy’s Children; Oliver Rathkolb/ Friedrich Stadler (Hg.): Das Jahr 1968 - Ereignis, Symbol, Chiffre. Wien: Vienna Univ. Press, 2010; Klimke: The Other Alliance. <?page no="301"?> 300 ausgiebig um den politischen Gehalt der Proteste gestritten, vor allem aber waren die Berichterstattungen getragen von der Darstellung gewaltbereiter, gleichsam überschäumender nicht-weißer und sozial benachteiligter Jugendlicher. 1195 In diesen Auseinandersetzungen lohnt es, danach zu fragen, welche Deutungsmuster den Konstruktionen delinquenter bzw. protestierender Jugendlicher zugrunde liegen und was aus diesen Problembeschreibungen für Schlüsse gezogen werden. Denn wie meine Arbeit gezeigt hat, lassen sich Jugend und Delinquenz keinesfalls als ahistorische, objektive Tatsachen begreifen. Vielmehr erweisen si e si ch als dis ku rsi v herges te llt e, hi st or is ch wand elbar e Ph äno m ene, di e de n Ein- und Ausschluss von Individuen und Gruppen regulieren und als Regierungsstrategien untersucht werden können. Über jugendliche Delinquenz kann eine soziale Ordnung hergestellt werden, die nicht als politisch geworden, sondern wieder und wieder als folgerichtig und alternativlos konzipiert wird. Gerade deshalb ist Jugenddelinquenz ebenso produktiv wie politisch. 1195 Vgl. Robert B. Fishman: „Bilanz nach der Revolte“, in: Deutschlandradio, 9. März 2010, online verfügbar unter: Deutschlandradio: URL: http: / / www.dradio.de/ dkultur/ sendungen/ weltzeit/ 1140409/ [18.08.2012]; Alexander Linklater: „Plündern und Prügeln als Freizeitsport“, in: Süddeutsche Zeitung, Online-Ausgabe, 11. August 2011, online verfügbar unter: Süddeutsche Zeitung: URL: http: / / www.sueddeutsche.de/ politik/ ausschreitungen-inengland-denn-sie-wissen-nicht-warum-sie-tun-was-sie-tun-1.1130234 [18.08.2012]. Man beachte hier die Deutung der Vorkommnisse als gleichsam grundlose Rebellion, denn der Titel des Links rief den deutschen Titel von Rebel Without a Cause auf (Denn sie wissen nicht, was sie tun). <?page no="302"?> 301 VII Anhang Quellenverzeichnis Archivalien Benjamin Spock Papers, 1903-1998 (Special Collections Research Center, Syracuse University Library, Syracuse) Eleanor T. and Sheldon Glueck Papers, 1911-1972 (Special Collections, Harvard Law School Library, Cambridge) Fredric Wertham Papers, 1895-1981 (Rare Books and Special Collections Division, Library of Congress, Washington, DC) Records of the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency, U.S. Congress, Senate, Committee on the Judiciary, 1953-1961 (National Archives, Washington, DC, Record Group 46) Zeitschriften und Zeitungen Ebony LOOK National Parent-Teacher (ab 1961 The P.T.A. 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Mein Dank geht an die Rosa-Luxemburg-Stiftung, das Deutsche Historische Institut in Washington, DC, und die Universität Erfurt für Promotions- und Forschungsstipendien, die dieses Projekt möglich gemacht haben. Den Herausgeber_innen der Reihe „Konflikte und Kultur“ möchte ich dafür danken, dass mein Buch Teil dieser Reihe sein kann. Insbesondere Dirk Schumann hat mir mit seiner kritischen Lektüre und den ausführlichen Kommentaren sehr geholfen. Ich danke überdies Uta C. Preimesser von UVK für die reibungslose und herzliche Zusammenarbeit. Herzlich danken möchte ich auch den Mitarbeiter_innen der Archive, in denen ich der Delinquency Scare nachgespürt habe, vor allem Rodney Ross von den National Archives, der mich auf wichtige Bestände aufmerksam gemacht und nach Kräften unterstützt hat. Olaf Stieglitz hat mich mit seiner Hilfsbereitschaft beeindruckt und mit seinen Kommentaren zu allen Teilen des Manuskripts enorm weitergebracht und unterstützt - tausend Dank dafür! Jim Gilbert und Grace Hale sage ich danke für thematische Inspiration, Rat und unterhaltsa me Geschichten. Für ihre Anregungen und Kritik danke ich denen, die dieses Projekt in unterschiedlichen Zusammenhängen mit mir diskutiert haben, allen voran dem Kolloquium für Nordamerikanische Geschichte an der Uni Erfurt (darunter Philipp Dorestal, Nora Kreuzenbeck, Silvan Niedermeyer, David Sittler und Patricia Wiegmann) und der AG Queer Studies an der Uni Hamburg. Bei Agnes und Klaus Blänsdorf, Desiree Haak und Marius Zirngibl bedanke ich mich sehr herzlich für die Unterstützung beim Korrekturlesen. Mein ganz besonderer Dank geht an Kathrin Ganz, Melanie Henne, Felix Krämer und Moritz Rinn für ihre langjährige Freundschaft, solidarische Kritik und das Gefühl, „on the same page“ zu sein. Unermesslicher Dank gebührt auch Renee and George Dunham dafür, dass sie mir ein Zuhause in Washington, DC, gegeben haben. Alexander Frosch, Christian Ganzer, Tobias Gierke, Andreas Görlach, Sophia Kehmeier, Marco Kühnert, Franziska Maaß und Darijo Trobok haben mich jahrelang begleitet, inspiriert und, wenn nötig, abgelenkt. Danke Euch! Eva Willmann und vor allem Gunnar Wolff haben mir vieles erleichtert und sind mir täglich eine große Freude. Für ihre buchstäblich lebenslange Unterstützung möchte ich meiner Familie danken: Katharina Mackert- Zechlin, Martin und Miriam Mackert und last but not least Peter Mackert. Ihm ist dieses Buch gewidmet. <?page no="333"?> 332 Register 600er-Schulen 197f., 200f. Absent Fathers 111f., 215, 218f., 223ff., 288 Adorno, Theodor W. 166 Aid to Dependent Children (ADC) 25, 250 Aid to Families with Dependent Children (AFDC) 250, 252f. Ajzenstadt, Mimi 37 Alger, Horatio 137 Allen, George 51, 53, 155ff., 164, 167f., 171, 176, 181ff. 185ff., 190ff., 198, 287 Allen, Martha 131 Amerikanische Revolution 14, 213, 240, 296 Angry Boy (1950) 205, 207, 213, 220, 279 Antikriegsbewegung 283, 292 Arbeitslosigkeit 57, 112, 127, 136, 175f., 178f., 219, 250, 288 Autorennen 109, 112f. Beck, Bertram 147f. Bell, Bernard Iddings 169 Bender, Lauretta 262 Bennett, James V. 63 Bernstein, David 105, 108, 118 Bettelheim, Bruno 239, 297f. Blackboard Jungle (1955) 53, 163ff., 167f., 191, 196, 202 Black Panther Party 152, 283 Black Power 283, 294f. Bloch, Donald 248 Booker, M. Keith 28, 31 Boudry, Pauline 49 Boy Scouts of America 22, 131f., 134 Breines, Wini 32 Briar, Scott 84f. Broken Homes 40, 112, 215, 224ff., 228, 266, 280, 288 Bronx 164, 195, 266 Brooklyn 53, 59, 117, 120, 122, 155, 159, 187, 192, 200 Brooklyn Thrill Killers 59f. Brown v. Board of Education 53, 157, 159ff., 163, 166, 176, 196, 200, 233, 286 Brownell, Samuel 183, 191 Bürgerrechtsbewegung 31, 74, 77, 84f., 124ff., 142, 144, 151, 200f., 233, 293 Bush, William S. 33f., 94f., 150 Butler, Judith 44 Camp Fire Girls 131 Carter, Marie 91, 93f. Carraway, Gertrude 133 Casa de la Communidad 146f. Cayley, David 90 Cazenave, Noel 126ff., 143, 149, 151f. Chappell, Marisa 252 Chicago 107, 135, 137, 146, 187, 257 Chicago Area Project 107, 116, 120, 142 Child Guidance Clinics 194ff., 205, 208, 213, 248, 255 Children’s Bureau 11, 27, 39, 56, 63, 81, 174, 245, 247 Chinn, Sarah E. 25 Child Study Movement 14 Citizenship Training 131ff. Citywide Committee for Integrated Schools 200 Civilian Complaint Review Board 124 Clark, Kenneth 143, 160f., 166 Clark, Mamie 160 Cleaver, Eldridge 283, 295f. Cloward, Richard 107, 127, 136 Cohen, Albert 112, 215 Cohen, Harold L. 96ff. Cohen, Ronald 35 Conant, James D. 172, 175f., 178f. Congress of Racial Equality 124 Connor, David J. 199 Cooper, Ben Irving 61f. Comics Code 263 <?page no="334"?> 333 Comics Magazine Association of America 263 Commission on Civil Rights 74 Community Action 126f., 131, 137, 140ff., 147ff., 151ff., 286 Connecticut 256 Contingencies Applicable to Special Education of Delinquents (CASE) 96ff., 285 Cooke, Gladys 227f., 231f. Coxe, Spencer 75 Culture of Poverty 135f., 138ff., 144f., 149f., 153, 178, 181, 199, 219, 249, 286, 290, 293 Curbstone Counseling 116 Curricula 23f., 156, 169f., 172, 176f., 186f., 189, 193 Dadier, Richard163, 165ff., 192 Daniel, Walter G. 106 Daughters of the American Revolution 133 Delinquency Control Institute (DCI) 87 Department of Labor 125, 148, 218 Derrida, Jacques 41 De Saussure, Ferdinand 41 Desegregation 53, 134, 159ff., 199ff., 286 Desirio, Matthew 254, 256 Detached Work 116ff. Deutsch, Albert 82, 88ff. Devlin, Rachel 32, 229, 231 Dollinger, Bernd 48 Doll Study 160 Dorn, Sherman 172, 174 Dropout 53, 171ff., 182, 192, 195, 287, 290 Economic Opportunity Act (EOA) (1964) 126, 135, 142f. Educational Comics (EC) 263, 265, 268 Ehrenberg, Alain 121 Eisenhower, Dwight D. 28, 128, 159, 162 Elementary and Secondary Education Act (ESEA) (1965) 180f., 196 Eliot, Martha 63, 72, 81, 245f. Erikson, Erik 114, 208, 210, 213, 220f., 238ff. Escobedo v. Illinois 85 Federal Bureau of Investigation (FBI) 27, 39, 56, 125f., 228 Feld, Barry 78 Feminismus 31, 221, 223 Ferguson, Charles 132f. Ferri, Beth A. 199 Fine, Benjamin 28 Florida 266f. Fogelson, Robert 293f., 298 Folsom, John und Jean 240, 242 Ford Foundation 125 Foucault, Michel 13, 42f., 46f., 49, 81 Frazier, E. Franklin 40, 226 Freizeit 21f., 97, 118, 128ff., 134, 146, 222, 275 Fremick, Ray 80, 88 Freud, Sigmund 234f. Gaines, William 262f. Galamison, Milton 200f. Gangs 21, 27, 37, 52f., 80, 103ff., 127, 133, 135, 137, 141, 153, 158, 225, 285 Garland, David 90, 259 Gault, Gerald Francis 64f., 68, 85 Gilbert, James 32ff., 38, 228, 290 Gill, Thomas 122f., 214, 231 Girl Scouts of America (GSA) 131, 146 Givel, Michael 148 Glueck, Sheldon und Eleanor 27f., 40, 63, 129f., 183, 214, 217, 219ff., 248, 274 Goffman, Erving 91 Goldfarb, George 155f., 158, 192 Golub, Benjamin 180 Gomes, Daniel 211 Goodman, Paul 241f. Good Morning, Miss Dove (1955) 168 Gosse, Van 243 Gramsci, Antonio 41 Graebner, William 35 Great Chain of Being 15f. Great Depression 21 <?page no="335"?> 334 Great Migration 9, 57, 67, 142 Great Society 125 Green Amendment 148, 151 Guillaumin, Collette 42 Haeckel, Ernst 14 Hale, Grace Elizabeth 35 Hall, G. Stanley 14ff., 20, 24 Harlem 116, 143 Harlem Youth Opportunities Unlimited (HARYOU) 143 Harrington, Michael 138f. Harvard Law School 27 Harvard Universität 27, 172 Head Start 140, 251f. Healy, William 173 Hendrickson, Robert 8, 10 Hennings, Thomas 10, 72f., 76, 91f., 95, 206 Hoover, J. Edgar 27 Hope, Bob 134 Houseman, William 242 House Subcommittee To Investigate Public School Standards and Conditions and Juvenile Delinquency in D.C. 162 Hunter College 187 Hunter, Evan 164 In Re Gault (1967) 52, 64ff., 73ff., 85, 285 In Re Winship (1970) 66 International Association of Chiefs of Police 83 Italian Dukes 265 James, Barbara 253 Javits, Jacob 159 John Marshall Junior High School 155f., 159, 182, 185f., 198 Johnny Reb 240 Johnson, Llyndon B. 84, 125, 181, 286 Juvenile Delinquency and Youth Offenses Control Act (1961) 27, 128, 141, 187 Juvenile Justice and Delinquency Prevention Act (1974) 78 Karr, Madeline 104ff., 109ff. Kennedy, John F. 133, 140 Kent v. United States (1966) 66, 70 Kessler, Maurice 155 Kinsey, Alfred C. 216, 234 Klarman, Michael 200 Konformismus 113, 169, 237ff., 244, 288, 297 Koslow, Jack 59f. Kramer, Dale 104ff., 109ff. Kronenfeld, Daniel 146f. Krupke, Officer 79f., 84, 86 Kunzel, Regina 233 Kurme, Sebastian 34f., 37 Kuster, Brigitta 49 Kvaraceus, William C. 164f., 171, 184f., 188 LaBarre, Weston 207 Labeling-Theorien 69f., 82, 90, 130 Laclau, Ernesto 41ff. Learning Disability (LD) 201f. Leibowitz, Samuel S. 155, 217 Leiby, James 250 Lemert, Edwin 67 Lesko, Nancy 17, 22, 37 Lewis, Oscar 138f. Life Adjustment Education 156f., 177, 194 Lindner, Robert 239ff. Little Italy, NYC 265 Little Rock, Arkansas 159f. Lohman, Joseph 69, 86f. Lorenz, Renate 49 Lower East Side (NYC) 124, 127f., 141, 144, 146, 186 Lower East Side Neighborhood Association (LENA) 141 Lower East Side Rent Strike Committee 124 Ludwig, Frederick 255, 257 Manpower Development and Training Act (1962) 140 March on Washington 124 Marrone, Ronald 229ff. Martha Deane 273, 276 <?page no="336"?> 335 Martin, John Bartlow 229f. May, Elaine Tyler 206 McCain, Elizabeth 68, 75 McCarthy, James 120f., 129 McKay, Henry 107f., 137 McNulty, John 209, 211 Medovoi, Leerom 35, 166 Mental Retardation 145, 198f., 201, 264 Mental Retardation Facilities and Mental Health Centers Construction Act (1963) 145 Menter, Willard 59 Mexico 57 Midcentury White House Conference on Children and Youth 40, 82f., 87, 92, 160, 166, 174, 208, 212f., 239, 246 Miller, Gregory 163, 165 Miranda v. Arizona 85 Mississippi 162 Mitchell, Douglas 180 Mobilization for Youth (MFY) 53, 104, 116, 120, 124ff., 131, 135ff., 143f., 146ff., 286, 291 Mobilization of Mothers (MOM) 124f. Modelllegislaturen 132f., 139, 271 Momism 220f. Monkkonen, Eric 80 Moore, Bernice 178f. Motivationally Oriented Designs for an Ecology of Learning (MODEL) 96ff. Mouffe, Chantal 41ff. Moynihan, Daniel Patrick 218f., 226, 250 Muscular Christianity 22 Myerhoff, Howard L. and Barbara G. 112, 114f. National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) 160f. National Child Labor Committee 174 National Defense Education Act (1958) 170, 180 National Education Association (NEA) 178, 180, 183ff. National Institute of Mental Health (NIMH) 11, 125, 127, 144 National Training School for Boys (NTSB) 96, 99 National Welfare Rights Organization 152 Negro Action Group 125 New Brunswick, New Jersey 168 New York 184, 253 New York City 37, 53, 59, 61, 94, 103f., 108, 110, 116f., 120f., 124f., 127ff., 136, 141, 143, 149, 152, 155f., 158ff., 163, 171, 186, 192, 194f., 197f., 200f., 214, 224, 249, 253ff., 265, 286f. New York City Juvenile Delinquency Evaluation Project 197 Nixon, Richard 152, 252 North Manual Trades High 163, 192 Office of Child Development 252 Office of Economic Opportunity 148, 252 Office of Education 177, 191 Ohlin, Lloyd 107, 127f. Operation Street Corner 103f., 106, 111, 116f., 119, 123, 153 Opportunity Theory 107f., 126ff., 136, 286 Parens Patriae-Doktrin 19, 24f., 65, 72, 245 Parental Responsibility Laws 254ff., 289 Parsons, Talcott 215 Patterson, James 151 Paulsen, Monrad 69, 79, 85 Persons in Need of Supervision (PINS) 74, 77 Piliavin, Irving 84f. Philadelphia, PA 103, 153, 245 Platt, Anthony 101 Playground Movement 22 President’s Commission on Law Enforcement and Administration of Justice 76ff., 84, 150, 218 <?page no="337"?> 336 President’s Committee on Juvenile Delinquency and Youth Crime 125, 127f., 141, 143 Prävention 27, 82, 126, 128ff., 143, 153f., 193f., 206, 245, 286 Problet, Frank 254 Puerto Rico 57, 255 Puner, Helen 238, 240 Pupil Placement-Erlasse 200 Race Riots 31, 62, 76, 84, 126, 148, 179, 283, 292ff. Randall, Tommy 205, 207, 279 Reagan, Ronald 152, 165 Rebel Without a Cause (1955) 80, 241 Recidivism 60, 63f., 67, 284 Reckless, Walter 60, 95, 108, 237 Reckwitz, Andreas 46, 48 Redl, Fritz 60f., 236 Rehabilitation 18, 55, 58, 60ff., 67f., 77, 82, 86, 88ff., 94ff., 100f., 139, 145, 231, 284f. Rekapitulationstheorie 14ff., 26, 114, 130, 240 Republican Motherhood 213, 278 Riccio, Vincent 51, 53, 112, 117ff., 153, 265, 286, 288 Rivera, Genevieve 254ff. Rosenbaum, Robert 103, 105, 108, 115f., 153 Rubin, Jerry 295ff. Russell, Thaddeus 233 Rustin, Bayard 124 Salisbury, Harrison E. 104 San Francisco 256 Schlossman, Steven 116 Schmidt, Paul 259 Schneider, Eric C. 37, 81, 108, 137 Schulverweise 192, 196f., 287 Schumann, Dirk 67 Sedlak, Michael 116 Segregation 7, 53, 95, 134, 159ff., 166f., 197, 199ff., 286f. Self, Robert 57 Senate Permanent Subcommittee on Investigations 292ff., 297 Senate Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency in the United States 7ff., 27, 50ff., 55, 60, 63, 72f., 76, 82f., 88ff., 95, 100, 103, 105, 107f., 115, 117, 122, 130f., 131, 137, 164f., 169, 173, 175, 177, 183, 190, 193f., 207, 212, 214, 220f., 225, 231, 244, 261ff., 269, 271f., 275, 289 Silver, Charles 197 Shaw, Clifford 107 Sleeter, Christine E. 201f. Slocum, Bill 117, 120f. Social Disorganization Theory 107, 111 Social Security Act (1935) 25, 250 Society for the Prevention of Crime 255 Southern Illinois University 96 Sowjetunion 46, 142, 170, 238 Special Education 188, 193, 197ff., 201f. Spock, Benjamin 40, 209ff., 217, 246, 259, 274 Sputnick-Schock 157f., 170f., 179, 185, 189, 201, 287 Stark, Jim 241 St. Louis, Missouri 249 Street Work 50, 53, 104, 116ff., 128, 153, 284ff. Stevenson, Adlai 131 Studierendenbewegung 283, 292, 295, 297ff. Suburbia 9, 11, 29f., 43, 57, 106, 112, 159, 167f., 172, 216, 237f., 240f., 244, 286, 288, 296 Sugrue, Thomas 57 Supreme Court 52, 65ff. 70ff., 85, 87, 157, 160f., 166, 184, 253, 285f. Sutton, John R. 32 Taber, Robert 193f. Talmadge, Herman Eugene 159 Tappan, Paul 73, 75 Teacher Resources for Urban Education (TRUE) 187 Terry v. Ohio 87 Therapeutic Communities 144f. Therapeutic Motherhood 207, 213 <?page no="338"?> 337 Thomas Jefferson High School 155 Three School Study 195f. Truancy 10, 173f., 193 Undeserving Poor 150, 251 United Puerto Ricans/ United Puertoriquenos 125, 146f. Universal Education 177, 194, 197, 287 University of Southern California 87 Urbanisierung 13, 57, 67, 107 Urban Youth Service Corps 135, 140 Upward Mobility 121, 128, 135ff., 140, 153, 238, 266, 286 Van Waters, Miriam 19 Wagner, Robert 125 Waltzer, Lukas 32ff., 37f., 158, 228 War on Poverty. 33, 53, 124ff., 140, 148ff., 154, 251, 286 Washington, DC 50f., 83, 89, 96, 161ff., 200 Watts, Los Angeles 179 Wertham, Fredric 52, 54, 259ff., 264ff., 276ff. West, Artie 163 West Side Story (1961) 79f., 86 Wharton Centre 103, 105f., 111, 115, 117ff., 123, 153f. Whelan, Ralph W. 129 White Flight 9, 57 Whyte, William 238 Wiebe, Robert 13 Wike, Leroy 82f. Williams, John Bell 162 Wisconsin 133 Woodlawn Project 135 Work Experience-Programme 140, 193f. Working Mothers 221ff., 226, 288 Wright, Nathan 293f. Wylie, Philipp 220f. Yippies 295ff. Young Adult Action Group (YAAG) 124f. Young, Don 69, 74, 92 Young Men’s Christian Association (YMCA) 22 Young Women’s Christian Association (YWCA) 132 Youth Development Theory 132f., 139, 153, 297 Youth International Party 295 Zeidler, Ruth 229 Zoot Suit Riots 110 <?page no="339"?> : Weiterlesen Konflikte und Kultur Herausgegeben von Martin Dinges, Joachim Eibach, Mark Häberlein, Gabriele Lingelbach, Ulinka Rublack, Dirk Schumann und Gerd Schwerhoff Band 10 Stefan Micheler Selbstbilder und Fremdbilder der »Anderen« Eine Geschichte Männer begehrender Männer in der Weimarer Republik und der NS-Zeit 2005, 480 Seiten, flex. Einb. ISBN 978-3-89669-707-3 Band 11 Irmgard Schwanke Fremde in Offenburg Religiöse Minderheiten und Zuwanderer in der Frühen Neuzeit 2005, 308 Seiten, flex. Einb. ISBN 978-3-89669-708-0 Band 12 Gerd Schwerhoff Zungen wie Schwerter Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200-1650 2005, 362 Seiten, flex. Einb. ISBN 978-3-89669-716-5 Band 13 Christian Hochmuth, Susanne Rau (Hg.) Machträume der frühneuzeitlichen Stadt 2006, 408 Seiten, flex. Einb. ISBN 978-3-89669-566-6 Band 14 Wulf Wäntig Grenzerfahrungen Böhmische Exulanten im 17. Jahrhundert 2007, 662 Seiten, flex. Einb. ISBN 978-3-89669-612-0 Band 15 Falk Bretschneider Gefangene Gesellschaft Eine Geschichte der Einsperrung in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert 2008, 636 Seiten, flex. Einb. ISBN 978-3-89669-624-3 Band 16 Ulrike Ludwig Das Herz der Justitia Gestaltungspotentiale territorialer Herrschaft in der Strafrechts- und Gnadenpraxis am Beispiel Kursachsens 1548-1648 2008, 318 Seiten, 10 s/ w Abb., flex. Einb. ISBN 978-3-86764-074-9 Band 17 Christian Hochmuth Globale Güter - lokale Aneignung Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak im frühneuzeitlichen Dresden 2008, 272 Seiten, 6 s/ w u. 3 farb. Abb., flex. Einb. ISBN 978-3-86764-082-4 Band 18 Mathis Leibetseder Die Hostie im Hals Eine ›schröckliche Bluttat‹ und der Dresdner Tumult des Jahres 1726 2009, 200 Seiten, flex. Einb. 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