Praxis der strategischen Zielbildung
Strategisches Management konkret
0401
2013
978-3-8649-6684-2
UVK Verlag
Franz Xaver Bea
Jürgen Haas
Die Formulierung strategischer Ziele ist eine wichtige Aufgabe des Strategischen Managements. Als Teil der strategischen Planung wird in diesem Buch die strategische Zielbildung anhand der Zielhierarchie, von Kennzahlen und des Shareholder Value dargestellt. Die Umweltanalyse des Unternehmens oder der Nonprofit-Organisation spielt dabei eine wichtige Rolle.
<?page no="0"?> Strategisches Management konkret Franz Xaver Bea Jürgen Haas <?page no="1"?> Strategisches Management konkret Praxis-der-strategischen-Zielbildung- Praxis-der-strategischen-Unternehmensanalyse Praxis-der-Strategiewahl-und-‐implementierung Praxis-des-strategischen-Informationsmanagements Praxis-der-strategischen-Informationssysteme Praxis-der-strategischen-Bedeutung-der-Organisation Praxis-der-strategischen-Bedeutung-der-Unternehmens‐ kultur- Praxis-der-strategischen-Leistungspotenziale <?page no="2"?> Franz Xaver Bea Jürgen Haas Praxis der strategischen Zielbildung Strategisches Management konkret UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz und München <?page no="3"?> Seitenverweise in den Abbildungen beziehen sich auf die Print-Ausgabe „Bea/ Haas, Strategisches Management, 6. Auflage“ . Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 978-3-86496-043-7 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2013 Covergestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Covermotiv: iStockphoto.com, Empato UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstraße 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="4"?> Inhaltsverzeichnis 1 - Strategische Zielbildung............................................................................ 7 - 1.1 - Funktionen der strategischen Zielsetzung ........................................................ 8 - 1.2 - Zielhierarchie ......................................................................................................... 9 - 1.3 - Kennzahlen .......................................................................................................... 14 - 1.4 - Shareholder Value ............................................................................................... 20 - 1.4.1 - Definition ................................................................................................. 20 - 1.4.2 - Praktische Bedeutung ............................................................................. 22 - 1.4.3 - Kritik ......................................................................................................... 25 - 1.5 - Ziele von Nonprofit-Organisationen .............................................................. 26 - 2 - Umweltanalyse ........................................................................................ 29 - 2.1 - Aufgaben .............................................................................................................. 29 - 2.2 - Outside-in Approach.......................................................................................... 32 - 2.3 - Relevante Umwelt ............................................................................................... 33 - 2.3.1 - Begriff und Arten .................................................................................... 33 - 2.3.2 - Der Markt ................................................................................................. 34 - 2.3.3 - Weitere Unternehmensumwelt ............................................................. 46 - 2.4 - Identifikation von Chancen und Risiken als Ergebnis der Umweltanalyse ................................................................................................................... 51 - Literaturverzeichnis...................................................................................... 55 - Stichwortverzeichnis..................................................................................... 73 <?page no="5"?> 6 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Strategische Planung Grundlagen der strategischen Planung Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Unternehmensanalyse Strategiewahl Strategieimplementierung Zusammenfassung Strategische Kontrolle Information Information Strategische Leistungspotenziale Organisation Unternehmenskultur Strategische Planung Information Information <?page no="6"?> 1 Strategische Zielbildung 7 1 Strategische Zielbildung Drei Beispiele aus der Unternehmenspraxis zeigen zunächst die Bandbreite strategischer Ziele, vom qualitativen Leitbild bis zur quantifizierten Zielsetzung: [1] SAP: „Leitziel“ „Leitziel: Wir wollen jeden Kunden auf seinem Weg zum Best-run Business unterstützen. … Im Zentrum unserer Strategie steht die Verantwortung gegenüber unseren Kunden: Ihnen möchten wir einen noch größeren Nutzen bieten und zur Senkung ihrer IT-Kosten beitragen. Wir wollen für unsere Kunden, Mitarbeiter, Partnernetz, für alle Einflussnehmer und für unsere Aktionäre ein herausragendes Unternehmen sein. Was uns anspornt, ist das Streben nach Wachstum und nach einer vertrauensvollen Partnerschaft mit Kunden und Mitbewerbern.“ (Geschäftsbericht 2010) [2] LUFTHANSA: „Leitlinien“ Langfristige Profitabilität: Das herausragende strategische Leitbild des Konzerns ist die langfristige Wertschaffung bei profitablem Wachstum. Die Lufthansa soll hinsichtlich dieser Wertschaffung zur führenden europäischen Netzwerk- Fluggesellschaft ausgebaut werden. Als Messgröße dient die in der wertorientierten Konzernsteuerung definierte Kennzahl Cash Value Added (CVA). Fokus auf Kundennutzen: Der Kunde steht im Zentrum. Wir richten uns an den Kundenbedürfnissen aus und bieten darauf zugeschnittene Produkte an. Ausrichtung an Kernkompetenzen: Wir richten unsere Aktivitäten konsequent an unseren Kernkompetenzen aus. Dazu gehören das Management von Flugnetzen, Partnerschaften und operativen Abläufen am Boden und in der Luft sowie die Bereitstellung und Pflege von Infrastruktur und Produktionsfaktoren. Vorsprung durch Systemintegration: Wir bauen unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Standorten, Fluggesellschaften und Allianzen durch eine starke Systemintegration aus. Wir arbeiten mit wesentlichen Partnern, Lieferanten und Infrastruktur-Anbietern eng zusammen, um die Kernprozesse zu integrieren und zu optimieren. Attraktives Arbeitsumfeld: Unsere Mitarbeiter sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Wir bieten ihnen gute Arbeitsbedingungen, angemessene Weiterentwicklungsmöglichkeiten und eine fördernde und internationale Unternehmenskultur. Dadurch sind wir ein attraktiver Arbeitgeber für qualifizierte, motivierte und dienstleistungsorientierte Mitarbeiter. <?page no="7"?> 8 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Gesellschaftliche Verantwortung: Balance halten ist für uns Verpflichtung. Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung sind vorrangige Ziele unserer Unternehmenspolitik. Zudem engagieren wir uns aktiv in sozialen Projekten. (Investor Relations Lufthansa, 2011) [3] BASF: Langfristige, quantifizierte Ziele (Auszug) Ökonomische Ziele (2020) - Steigerung des Umsatzes auf 115 Mrd. € (2011: 73,5 Mrd. €) - Steigerung des EBITDA auf 23 Mrd. € (2011: 12 Mrd. €) - Steigerung des Ergebnisses je Aktie auf 7,50 € in 2015 (2011: 6,74 €) Umwelt, Sicherheit und Produktverantwortung (Ziele 2020 ggü. Basisjahr 2002, Auszug) - Reduktion der Emission Treibhausgase je Tonne Verkaufsprodukt um 40% - Verbesserung der Energieeffizienz bei Produktionsprozessen um 35% - Reduktion luftfremder Stoffe in die Luft um 70% - Reduzierung Transportunfälle ggü. 2003 um 70% Mitarbeiter und Gesellschaft (langfristige Ziele, Auszug) - Reduzierung der Arbeitsunfälle um 80% (2020 ggü. 2002) - Erhöhung der Anteile von Frauen in Führungspositionen, von Internati onalität und internationaler Erfahrung der oberen Führungskräfte (Geschäftsbericht 2011) 1.1 Funktionen der strategischen Zielsetzung Die Formulierung strategischer Ziele ist eine wichtige - in der Praxis nicht selten missachtete - Aufgabe des Strategischen Managements. Dies wird deutlich, wenn wir die Funktionen der strategischen Zielsetzung untersuchen. Wir unterscheiden (vgl. auch Kupsch [Unternehmungsziele] 1ff.) die − Entscheidungsfunktion, − Koordinationsfunktion, − Motivationsfunktion, − Informationsfunktion, − Kontrollfunktion, − Legitimationsfunktion. [1] Entscheidungsfunktion Ziele liefern Kriterien für die Bewertung von Alternativen. Insofern ist die Existenz eines aus der strategischen Zielsetzung abgeleiteten Zielsystems eine Voraussetzung für die Auswahl von Strategien. <?page no="8"?> 1 Strategische Zielbildung 9 [2] Koordinationsfunktion Ziele sind geeignet, Teilaktivitäten zu integrieren und auf eine Bezugsgröße, nämlich das Ziel, auszurichten. Sehr deutlich wird die Relevanz der Koordinationsfunktion bei der Anwendung des Führungsmodells „Management by Objectives“ (= Führung durch Zielvereinbarung) im Rahmen der Divisionalen Organisation (vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“, S. 391ff.). Hier werden die einzelnen Geschäftsbereiche durch ein gemeinsames Zielsystem koordiniert. [3] Motivationsfunktion Ziele stellen Vorgaben dar und sollen daher die Mitarbeiter motivieren, diese Ziele zu erfüllen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der sog. Anreizfunktion. In Verbindung mit der Koordinationsfunktion sollen Ziele eine Identifikation schaffen, ein Wir-Gefühl erzeugen. Ein starker Motivationsschub ist insbesondere dann zu erwarten, wenn es der Unternehmensleitung gelingt, die Mitarbeiter mit der eigenen Vision anzustecken. Einen Beitrag dazu hat die Unternehmenskultur zu liefern (vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“ Teil 6, S. 443ff.). [4] Informationsfunktion Ziele informieren sowohl die Mitarbeiter als auch die Unternehmensumwelt über die künftigen Aktivitäten. Sie vermitteln insofern eine Information sowohl an interne als auch an externe Adressaten. Unter den externen Informationsempfängern sind insbesondere die Investoren und Analysten von Bedeutung. Durchschaubare und auch überprüfbare Ziele fördern die Bereitschaft der Kapitalgeber zum Engagement in einem Unternehmen. Die Vermittlung strategischer Ziele ist die Aufgabe der Investor Relations. [5] Kontrollfunktion Ziele schaffen die Voraussetzungen für einen Soll-Ist-Vergleich und damit für die Kontrolle des Erfolges (Performance Measurement). Ohne Zielsetzung ist Kontrolle gar nicht möglich, weil sonst die Vergleichsgröße fehlt. Dieser Effekt hält Manager nicht selten davon ab, messbare Ziele zu formulieren, um so der Gefahr des Versagens zu entgehen. [6] Legitimationsfunktion Ziele dienen immer mehr auch als Rechtfertigung gegenüber Außenstehenden. Das relevante Umfeld der Unternehmung wirkt sich demzufolge auf die Zielbildung aus. So ist es nicht verwunderlich, dass die Ziele „Erhaltung von Arbeitsplätzen“ und „Verbesserung der Umweltverträglichkeit von Produkten und Verfahren“ gerne genannt werden. 1.2 Zielhierarchie Wie bereits dargelegt, wird in der Literatur die Einordnung der Zielbildung in den Planungsprozess nicht einheitlich gesehen (vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“, S. 57). Die Antwort auf die Frage, ob die Bildung strategischer Ziele Ge- <?page no="9"?> 10 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse genstand der Planung ist, hängt davon ab, ob strategische Ziele in einem recht vagen Zustand gesehen werden oder bereits operationalisiert sind. Die Entwicklung einer vagen Idee oder das Entstehen einer Vision bedarf im Normalfall keiner Planung. Eine Konkretisierung dieser Idee dagegen, etwa in Form einer Marktanteilsziffer, kann nur das Ergebnis eines Planungsprozesses sein. Je nach Grad der Präzision und Anwendungsbereich unterscheiden wir verschiedene Zielvorstellungen, die sich idealerweise in einer Zielhierarchie darstellen lassen: Abb. 2-7: Zielhierarchie im Strategischen Management [1] Vision „Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“ Albert Einstein An der Spitze der Zielhierarchie steht eine allgemein und grundsätzlich gehaltene Vorstellung von der künftigen Rolle des Unternehmens. Sie wird i.d.R. mit recht anspruchsvollen Begriffen belegt. So ist in diesem Zusammenhang häufig von einer Vision oder einer Unternehmensphilosophie die Rede. Im angelsächsischen Sprachraum werden u.a. die Begriffe „vision“, „philosophy“, „mission“ und „charta“ verwendet. Es soll mit all diesen Begriffen zum Ausdruck gebracht werden, dass am Anfang eine Grundposition zu formulieren ist, die eine weit in die Zukunft gerichtete Orientierung markiert, also richtungsweisend ist. Vier Beispiele zum Thema „Vision“ Daimler Zu Beginn der 90er Jahr formulierte der damalige Chef von Daimler-Benz, Edzard Reuter, die Vision vom «Integrierten Technologiekonzern». Sein Nachfolger, Jürgen Schrempp, sah nach der Konzentration auf die Kernkompetenzen, dem Verkauf unrentabler Geschäfte und der Fusion mit Chrysler den DaimlerChrysler- Konzern als «globale Nr. 1 auf dem Automobilmarkt». Funktionsbereichsziele Geschäftsbereichsziele Unternehmensziele Unternehmensleitbild Vision <?page no="10"?> 1 Strategische Zielbildung 11 Unter der Führung von Dieter Zetsche fokussiert man heute weniger auf globale Größe und Leadership, sondern stellt vielmehr die „Spitzenleistung“ für die Kunden in den Vordergrund: „Als Pioniere des Automobilbaus wollen wir die Mobilität der Zukunft sicher und nachhaltig gestalten. Im Fokus unseres Handelns stehen die Bedürfnisse unserer Kunden. Wir wollen begeistern mit faszinierenden Premiumautomobilen … Nutzfahrzeugen, die die Besten in ihrem jeweiligen Wettbewerbsumfeld sind, herausragenden Serviceleistungen … sowie neuen Mobilitätslösungen, orientiert an den Bedürfnissen unserer Kunden. Das ist unser Anspruch, und dafür stehen wir bei Daimler.“ Geschäftsbericht 2010, ähnlich Geschäftsbericht 2011) Siemens (Geschäftsbericht 2011) „Unsere Vision lautet: Siemens - der Pionier in Energieeffizienz, industrieller Produktivität, bezahlbaren und personalisierten Gesundheitssystemen sowie intelligenten Infrastrukturlösungen. Diese Vision spiegelt sich in unserer Unternehmensstrategie wieder, die uns den Weg zur Verwirklichung unserer Vision weist. … Unsere Strategie umfasst drei strategische Stoßrichtungen: den Fokus auf innovationsgetriebene Wachstumsmärkte richten, ein starker Partner unserer Kunden vor Ort sein und die Kraft von Siemens nutzen.“ ABB definiert seine Vision wie folgt: “ABB is a global leader in power and automation technologies that enable utility and industry customers to improve performance while lowering environmental impact. With about 130,000 employees we are close to customers in around 100 countries. With our technology leadership, global presence, application knowledge and local expertise, we offer products, systems, solutions and services that allow our customers to improve their operations - whether they need to increase the reliability of a power grid or raise productivity in a factory.” (website ABB) Ebay beschreibt seine Aufgabe - im weitesten Sinne Vision - so: „Our purpose is to pioneer new communities around the world built on commerce, sustained by trust and inspired by opportunity.” (Annual Report 2010) <?page no="11"?> 12 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Als generelles Ziel der strategischen Planung wird häufig die Effektivität genannt und als Gegensatz zur Effizienz gesehen. Effektivität wird durch eine Relation aus aktuellem und erwünschtem Output erfasst. Die Effizienz misst dagegen das Verhältnis von aktuellem Output zu aktuellem Input. Insofern kann die Effektivität als Leitlinie für langfristiges Handeln, die Effizienz als Kriterium für die kurzfristige Planung angesehen werden. Hofer/ Schendel ([Strategy] 2) drücken dies recht anschaulich folgendermaßen aus: Effektivität heißt, die richtigen Dinge tun („to do the right things“), Effizienz heißt, die Dinge richtig tun („to do things right“). [2] Unternehmensleitbild Eine in der Zielhierarchie tiefer liegende Stufe der Konkretisierung von Visionen stellen sog. Unternehmensleitbilder (auch Führungsgrundsätze genannt) dar. Während die Vision sich eher nach außen richtet, sind die Leitbilder an die Mitglieder des Unternehmens adressiert. Derartige Leitbilder sind häufig Orientierungshilfen für das Verhalten der Mitarbeiter den Partnern des Unternehmens gegenüber. Sie werden daher auch als Verhaltensrichtlinien (policies) bezeichnet. Sie liefern - i.d.R. schriftlich formulierte - Grundsätze für die Verwirklichung der Vision. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass solche Verhaltensrichtlinien in den letzten Jahren als Folge eines wachsenden Defizits an Prognostizierbarkeit der Zukunft und damit deren Planbarkeit an Bedeutung gewonnen haben. Die Leitbilder von SAP und Lufthansa sind in Abschnitt 2 beschrieben. Ein weiterer Trend macht sich bemerkbar: Unternehmen sind heute in wachsendem Maße gezwungen und auch bereit, soziale Verantwortung zu übernehmen. Der Grund für Corporate Social Responsibility (CSR) dürfte darin liegen, dass sich Verantwortung „lohnt“, denn die Öffentlichkeit honoriert und belohnt in zunehmendem Maße soziales Verhalten und sie bestraft „unsoziales Verhalten“. Immer mehr Unternehmen ergreifen strukturelle Maßnahmen, um das Verantwortungsbewusstsein und die Verantwortungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter zu unterstützen. Der Aufbau spezieller Compliance-Strukturen (to comply = sich fügen, Folge leisten) gehört zumindest in den großen börsennotierten Unternehmen zum Pflichtprogramm der Manager. Beispiel: Bei Siemens waren 2008 weltweit mehr als 600 Personen nur für Compliance-Maßnahmen abgestellt (vgl. Bea/ Göbel [Organisation] 438ff.). [3] Unternehmensziele Visionen und Leitbilder sind bewusst abstrakt und vage gehalten und bedürfen daher einer weiteren Präzision durch die sog. Unternehmensziele (objectives, corporate goals). Sie gelten für das ganze Unternehmen, also je nach Organisationsstruktur für den Konzern, die Holding, das Familienunternehmen. <?page no="12"?> 1 Strategische Zielbildung 13 [4] Geschäftsbereichsziele Ein Unternehmen ist i.d.R. in mehrere Geschäftsbereiche untergliedert. So weist bspw. der Siemens-Konzern innerhalb der drei „Sektoren“ Industry, Energy, Healthcare wiederum rund ein Duzend Geschäftsbereiche (z.B. Industry Automation, Power Transmission, Clinical Products) aus. Sollen aus den strategischen Unternehmenszielen Vorgaben für die einzelnen Geschäftsbereiche abgeleitet werden, müssen die Ziele weiter zerlegt und operationalisiert, d.h. messbar gemacht und zeitlich abgegrenzt werden. Als Technik zur Unterstützung einer derartigen deduktiven Zielauflösung stehen Kennzahlensysteme zur Verfügung. Das Du Pont-Kennzahlensystem ist bereits im Jahre 1919 von dem amerikanischen Chemie-Konzern Du Pont als konsistentes Zielsystem zur Steuerung einer dezentralen Geschäftsbereichsorganisation entwickelt und eingesetzt worden (vgl. Abb. 2-8). Die Unterziele werden durch Zielauflösung abgeleitet (deduziert). Die Umsatzrentabilität und der Kapitalumschlag sind Unterziele des Oberziels „Return on Investment (RoI)“. Im Rahmen eines derartigen Kennzahlensystems lassen sich für die Geschäftsbereichsziele (business objectives) konkrete Vorgaben in Form von Umsatzzielen oder Marktanteilen festsetzen. Abb. 2-8: Das Du Pont-Kennzahlensystem Beispiele für strategische Unternehmensziele - Steigerung des RoI im Jahre 2014 um 5% - Verbesserung der Marktstellung (Marktanteilssteigerung um 10% im Jahre 2014) - Die heimischen Absatzmärkte sollen durch ausländische Märkte erweitert werden (Markteintritt in Asien). - Die Marktführerschaft soll verteidigt werden. - Das Unternehmen soll gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. - Die Unabhängigkeit des Familienunternehmens soll gesichert werden. - Der Shareholder Value soll gesteigert werden. Return on Investment = Gewinn/ Kapital Umsatzrentabilität = Gewinn/ Umsatz Umsatz Gewinn Kapitalumschlag = Umsatz / Kapital Kapital (Vermögen) Umsatz x <?page no="13"?> 14 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse [5] Funktionsbereichsziele Aus den Geschäftsbereichszielen werden durch weitere deduktive Zielauflösung die sog. Funktionsbereichsziele (functional objectives) gewonnen. Im Folgenden sind Beispiele für Funktionsbereichsziele aufgeführt. 1.3 Kennzahlen Zur Konkretisierung strategischer Ziele sowohl auf der Unternehmensebene als auch auf der Geschäftsbereichsebene und der Funktionsbereichsebene eignen sich Kennzahlen in besonderem Maße. Kennzahlen bieten den Vorzug der Klarheit und Messbarkeit und damit auch die Voraussetzungen für eine eindeutige Kontrolle der Zielverwirklichung. Kennzahlen spielen insbesondere im Rahmen des wertorientierten Managements eine wichtige Rolle. Hierbei können - je nach Steuerungszweck - verschiedene Arten von Kennzahlen unterschieden werden, die zum Großteil als Grundlage für weitere Berechnungen dienen. Wir werden die Kennzahlen in einer allgemeinen Formulierung vorstellen; die konkrete Ausgestaltung hängt größtenteils von den jeweiligen Rechnungslegungsvorschriften (HGB, US-GAAP, IFRS) bzw. den internen Controllinginstrumenten und oftmals eigenen Anforderungen der Unternehmen ab. Abb. 2-9 enthält die wichtigsten Kennzahlen. Beispiele für Funktionsbereichsziele Funktionsbereich Funktionsbereichsziele Beschaffung Reduktion der Preise für Beschaffungsgüter Lagerhaltung Verringerung der Kapitalbindung im Lager Fertigung Senkung der Fertigungskosten, Reduktion der Fertigungszeit Absatz Erhöhung des Marktanteils, Gewinnung von Neukunden Finanzierung Senkung der Kapitalkosten Personal Verringerung der Fluktuationsrate, Steigerung des Ausbildungsgrades der Mitarbeiter <?page no="14"?> 1 Strategische Zielbildung 15 I. Erfolgsgrößen [1] nach HGB Jahresüberschuss = Ertrag - Aufwand Bilanzgewinn = Jahresüberschuss - Verlustvortrag + Gewinnvortrag - Einstellungen in Rücklagen + Entnahmen aus den Rücklagen [2] nach internationaler Rechnungslegung Zur internationalen Rechnungslegung gehören im Prinzip zwei Systeme: Die vom International Accounting Standards Committee (IASC) und vom International Accounting Standards Board (IASB) entwickelten internationalen Rechnungslegungsstandards (IAS, IFRS) Die für die US-amerikanische Rechnungslegung relevanten US Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) EBIT (Earnings before interest and taxes) = = Operatives Ergebnis unter Eliminierung von Zinsen und Steuern EBITDA (Earnings before interest, taxes, depreciation and amortization) = Operatives Ergebnis unter Eliminierung von Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und immaterielle Anlagen Hinweis: Das EBIT (auch als Betriebsgewinn bezeichnet) wird durch die Eliminierung von Zinsen und Steuern unabhängig von der Finanzstruktur und den Auswirkungen der Steuergesetzgebung in verschiedenen Ländern berechnet. Beim EBITDA bleiben zusätzlich noch die Abschreibungen unberücksichtigt. Man geht nämlich davon aus, dass die Abschreibungen das Ergebnis von Bewertungs- und Bilanzierungsvorschriften sind. EBT (Earnings before taxes) = Ergebnis vor Steuern (insbesondere Ertragsteuern) Earnings per Share (EPS, Gewinn je Aktie) = g Outstandin Shares Common of Number Average Weighted rs Stockholde Common to Available Income n Stammaktie en ausgegeben der Anzahl ttliche durchschni Gewichtete rfolg Peridodene r zustehende gnern Anteilsei Den <?page no="15"?> 16 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse II. Rentabilitäten Beispiele: Umsatzrentabilitäten (im Jahre 2011) im „reinen Automobilbau“: Daimler: PKW-Sparte: 8,38% Audi: 12,1% BMW: 11,8% VW: 7,8% Return on Investment (RoI) = (siehe Du-Pont-Kennzahlensystem S. 76) Eigenkapitalrentabilität (Return on Equity; RoE) = Die Eigenkapitalrendite sollte höher sein als die bankübliche Verzinsung, damit das Unternehmensrisiko in Form einer Risikoprämie vergütet wird. Gesamtkapitalrentabilität = Zwischen der Gesamtkapitalrentabilität und der Eigenkapitalrentabilität besteht eine Hebelwirkung (Leverage-Effekt): Solange der Fremdkapitalzins niedriger ist als die Gesamtkapitalrentabilität, steigt die Eigenkapitalrentabilität bei Zuführung von Fremdkapital, da die Differenz zwischen Gesamtkapitalrentabilität und Fremdkapitalzins einen Zusatzgewinn erzeugt. Dividendenrendite = Aktie einer Börsenkurs Dividende Umsatzrentabilität (RoS = Return on Sales) = (siehe Du-Pont-Kennzahlensystem S. 76) EBIT-Marge (= operative Marge) = III. Cash Flow Der Cash Flow stellt eine Kennzahl dar, die den Finanzzufluss aus laufender Unternehmenstätigkeit ermittelt. Er ist ein Maßstab für die Selbstfinanzierungskraft eines Unternehmens. Im Gegensatz zu den Erfolgsgrößen und den Rentabilitäten ist der Cash Flow kaum beeinflusst von bilanzpolitischen Maßnahmen. [1] Direkte Cash Flow-Ermittlung Ausgangspunkt sind Zahlungsvorgänge. Zahlungswirksame Erträge (v.a. Umsatzerlöse) - Zahlungswirksame Aufwendungen (z.B. Löhne, aber ohne Abschreibungen und ohne Zuführung zu den Rückstellungen) = Cash Flow Gewinn Gesamtkapital Gewinn Eigenkapital Gewinn + Fremdkapitalzinsen Gesamtkapital Gewinn Umsatzerlöse EBIT Umsatzerlöse <?page no="16"?> 1 Strategische Zielbildung 17 [2] Indirekte Cash Flow-Ermittlung Ausgangspunkt ist der Gewinn. Zum Gewinn werden alle Aufwendungen der Periode addiert, die nicht zu Ausgaben geführt haben, sowie von ihm alle Erträge subtrahiert, die nicht zugleich Einnahmen sind. Gewinn + Ausgabenunwirksame Aufwendungen (z.B. Abschreibungen, Erhöhung von Rückstellungen) - Einnahmenunwirksame Erträge (z.B. Zuschreibungen, Verringerung von Rückstellungen) = Cash Flow [3] Arten von Cash Flows IV. Wertorientierte Größen [1] Discounted Cash Flow (DCF) Der Discounted Cash Flow ist eine Methode zur Bestimmung des Beitrages einer Entscheidung (etwa einer Strategie) zum Unternehmenswert. Dazu werden die künftigen Cash Flows festgestellt und auf die Gegenwart diskontiert. Die DCF- Methode wird angewandt, um den Shareholder Value zu ermitteln. n 0 t t t WACC 1 CF DCF Operating Cash Flow = Cash Flow aus laufender Geschäftstätigkeit Free Cash Flow = Freie, zur Verfügung stehende Finanzmittel [2] Shareholder Value Shareholder Value nach Rappaport: Hinweis: WACC = Weighted Average Cost of Capital; zur Berechnung vgl. S. 83ff.; vgl. auch die Darstellung des Shareholder Value S. 82ff. Die Berechnung des Residualwertes hängt zum Großteil von der verfolgten Strategie ab und kann daher nicht allgemeingültig bestimmt werden. Oftmals wird der Fortführungswert als Barwert einer ewigen Rente zugrunde gelegt. [3] Economic Value Added (EVA) nach Stern/ Stewart & Co. EVA = (Rendite - Kapitalkostensatz) · Eingesetztes Kapital Um den Wert des Unternehmens zu steigern, muss ein Gewinn erzielt werden, der größer ist als die Kosten für das Kapital, das für die Erwirtschaftung des Gewinnes eingesetzt werden muss. CF t (1 + WACC) t n 1 t SV + Residualwert (1 + WACC) n - Fremdkapital <?page no="17"?> 18 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Abb. 2-9: Kennzahlen zur Konkretisierung strategischer Ziele [4] CFRoI (Cash Flow Return on Investment) Die Bruttoinvestitionen entsprechen dem Buchwert des Sachanlagevermögens zuzüglich den kumulierten inflationsbereinigten Abschreibungen zuzüglich dem sonstigen Anlagevermögen und dem Umlaufvermögen. Die strategische Zielsetzung des Unternehmens besteht i.d.R. darin, einen CFRoI zu erwirtschaften, der über den Kapitalkosten liegt. [5] ROCE (Return on Capital Employed) ROCE = Schulden ge Langfristi al Eigenkapit EBIT Employed Capital Return Geschäftsbericht der Linde Group (Kurzform 2008, S. 15): „Unsere Unternehmensstrategie zielt auf nachhaltiges, ertragsorientiertes Wachstum und eine stetige Steigerung des Unternehmenswertes. Um den mittel- und langfristigen finanziellen Erfolg dieser Strategie der wertorientierten Unternehmenssteuerung zu messen, verwenden wir als zentrale Steuerungsgröße die Rendite auf das eingesetzte Kapital (Return on Capital Employed ROCE).“ Linde hat im Geschäftsjahr 2008 auf Konzernebene ein ROCE von 12,4% verzeichnet (VJ: 10,3%). Cash Flow Bruttoinvestitionen = V. Liquidität Liquidität ist die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Insofern ist die Sicherstellung der Liquidität eine Voraussetzung für die Verfolgung der verschiedenen, oben beschriebenen Zielgrößen. Zahlungsmittel sind Kassenbestand, Schecks und Bankguthaben. Liquidität 1. Grades: Liquidität 2. Grades: Liquidität 3. Grades: Zur Beschreibung der Liquidität eines Unternehmens werden in Abhängigkeit vom Zeitbezug verschiedene Liquiditätsgrade unterschieden: Zahlungsmittel Kurzfristige Verbindlichkeiten Zahlungsmittel + Kurzfristige Forderungen Kurzfristige Verbindlichkeiten Zahlungsmittel + Kurzfristige Forderungen + Vorräte Kurzfristige Verbindlichkeiten <?page no="18"?> 1 Strategische Zielbildung 19 Beispiel Deutsche Telekom: Die Deutsche Telekom hat sich mit der Einführung des EVA als Spitzenkennzahl bereits im Jahr 2001 zum wertorientierten Management bekannt. Der EVA wurde sukzessive durch die Bildung von Werttreiberhierarchien im Unternehmen verankert. Zielgröße war der Delta-EVA, also jener zusätzliche Wert, der entsteht, wenn die erzielte Rendite oberhalb des durchschnittlichen Kapitalkostensatzes WACC liegt. Der EVA ermöglicht konzeptionell eine konsequent wertorientierte Steuerung und ist in hohem Maße auf die Bedürfnisse der Anteilseigner zugeschnitten. Das Verständnis der Kennzahl im Unternehmen und die Ableitungen daraus für das Handeln innerhalb der Bereiche sind jedoch ebenfalls wesentliche Erfolgsfaktoren der Steuerung. Tim Höttges, Finanzvorstand der Deutschen Telekom dazu: „Das Problem mit dem EVA war, dass wir dieses Konzept nicht oder nur schwer im ganzen Unternehmen vermitteln konnten. Somit war es schwierig, die Mitarbeiter entsprechend zu incentivieren. Das aber ist wichtig, um entlang der Werttreiber-Mechanik steuern zu können und unternehmerische Entscheidungen zu realisieren. Die Anforderung an unsere zentrale Steuerungsgröße ist deshalb, Transparenz zu schaffen. … Aus diesem Grund haben wir uns letztlich auf eine besser verständliche Kennzahl geeignet, die Gesamtkapitalrendite.“ Die Spitzenkennzahl für diese Gesamtkapitalrendite ist bei der Deutschen Telekom der ROCE (Return On Capital Employed). Er wird flankiert durch den EBITDA und den Free Cash Flow als weitere Top-Kennzahlen, die mit dem ROCE jeweils in positivem Zusammenhang stehen. Der EBITDA - Earnings before interest, taxes, depreciation and amortization - ist aus der GuV relativ leicht ermittelbar und ermöglicht vor allem steuerungsrelevante Aussagen zur operativen Geschäftstätigkeit. Er hat sich zur klassischen Steuerungsgröße in der Telekommunikationsbranche entwickelt. Daneben hat sich, wie häufig in Wachstumsbranchen, der (operating) Free Cash Flow etabliert. Er gibt an, wie viel Cash zur Finanzierung des Wachstums und zur Sicherung der Dividendenzahlungen zur Verfügung steht. Beide Kenngrößen sagen jedoch wenig über den erforderlichen Mitteleinsatz sowie die Effizienz seiner Verwendung und damit letztlich über die Wertsteigerung aus. Gerade in einer kapitalintensiven Industrie wie der Telekommunikation ist dies ein entscheidender Nachteil. Höttges: „Wir haben etwa 120 Mrd. € gebundenes Kapital. Das steckt in unseren Servern, Netzen und in unserer gesamten weiteren Infrastruktur. Es ist äußerst schwierig zu beurteilen, ob es produktiv ist, wenn wir da sechs bis sieben Milliarden an Cash herausholen. Ist dies viel oder wenig? “ So binden Investitionen bspw. in Glasfasernetze oder in Mobilfunkfrequenzen Milliarden an Kapital, das den ROCE senkt, so lange die Infrastruktur nicht ausgelastet ist, sprich nicht entsprechende Umsätze realisiert werden. Will man den ROCE steigern, stehen verschiedene Stellhebel zur Verfügung: neben dem Umsatz allen voran die operativen Kosten, beides die wesentlichen Treiber des <?page no="19"?> 20 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse EBITDA. Daneben die Höhe sowie Allokation des gebundenen Kapitals inkl. des working capital, der liquiden Mittel und des Anlagevermögens. Weiterhin das Management der Investitionen sowie des Unternehmensportfolios inkl. der M&A-Aktivitäten. Mit dem ROCE erhält man also eine umfassende Sicht auf das Unternehmen. Höttges bringt dies auf den Punkt: „Das ROCE-Modell ist ein Biest, denn es gibt nichts, was dieser Zahl entgeht.“ Die Deutsche Telekom hat den ROCE inzwischen umfassend zur internen Steuerung implementiert und verwendet ihn auch als zentrale Größe in der Kapitalmarktkommunikation, indem sie ein Ambitionsniveau für die ROCE-Steigerung über drei Jahre gegeben hat. (Das vollständige Interview mit Tim Höttges in ZfCM/ Controlling & Management, 55. JG 2011, H. 5) Eine aktuelle Methode zur strategischen Führung von Unternehmen mit Kennzahlen stellt das Konzept der Balanced Scorecard dar. Die Balanced Scorecard will nicht nur Ziele, sondern auch die Umsetzung der Ziele durch Strategien in messbaren Größen zum Ausdruck bringen. Insofern ist dieses Konzept auch und vor allem eine Technik der Strategieimplementierung. Sie wird in UTB-Buch „Strategisches Management“ auf S. 208ff. dargestellt. Da der Shareholder Value eine dominante Rolle in der Diskussion um die strategische Zielbildung einnimmt, soll er im Folgenden ausführlich erörtert werden. 1.4 Shareholder Value „Der Vorstand leitet das Unternehmen in eigener Verantwortung. Er ist dabei an das Unternehmensinteresse gebunden und der Steigerung des nachhaltigen Unternehmenswertes verpflichtet.“ Deutscher Corporate Governance Kodex 2006 (Kapitel 4.1.1) 1.4.1 Definition Im Jahre 1986 veröffentlichte Alfred Rappaport ein Buch mit dem Titel „Creating Shareholder Value. The New Standard for Business Performance”. Darin werden Erkenntnisse aus der Kapitalmarkttheorie, der Unternehmensbewertung und der Strategischen Planung miteinander verknüpft. Ausgangspunkt des Shareholder Value-Ansatzes sind die Investitionsentscheidungen eines potenziellen Anlegers. Sie hängen von seinen Erwartungen über die aus dieser Investition fließenden Zahlungen ab. Ein Kernsatz von Rappaport lautet: “Critics of large corporations often allege that corporate managers have too much power and that they act in ways to benefit themselves at the expense of shareholders and other corporate constituencies.” Inzwischen ist die von dem Autor geforderte Orientierung des Managements am Shareholder Value (SV), das sog. Wertorientierte Management, zumindest für die großen Aktiengesellschaften zur Selbstverständlichkeit geworden. <?page no="20"?> 1 Strategische Zielbildung 21 Rappaport begründet den Shareholder Value (SV) als alleinigen Maßstab für die Bewertung des Unternehmens und damit für die Kontrolle der Unternehmensführung mit den Unzulänglichkeiten „der Zahlen aus dem Rechnungswesen“, insbesondere mit den Einflüssen von Bewertungsmodalitäten auf die Höhe des Gewinnes. Die Kennzahlen RoI (Return on Investment) und RoE (Return on Equity), die häufig zur Beurteilung der Erfolgsträchtigkeit von Strategien verwendet werden, sind wesentlich beeinflusst von buchhalterischen Vorgängen wie Abschreibungen und Periodisierung. So werden etwa gegenwartsnahe Strategien, wie eine Abschöpfungsstrategie, die weitgehend auf Forschung und Entwicklung sowie Marketing-Aktivitäten verzichten, mit einem hohen RoI „belohnt“. Nach Rappaport ist der Cash Flow im Gegensatz zu solchen Kennzahlen frei von buchhalterischen Bewertungsspielräumen. Aus diesem Grund rückt er ihn in den Mittelpunkt der Bewertung von Strategien und Unternehmen. Zur Definition des Cash Flow siehe Abschnitt 1.3 III. Der SV, der dem Marktwert des Eigenkapitals entspricht, wird definiert als Unternehmenswert abzüglich Marktwert des Fremdkapitals. Wendet man die Discounted Cash Flow-Methode an, so gilt: CF t stellt den für die einzelnen Perioden prognostizierten Cash Flow dar. Im Residualwert wird der über den expliziten Prognosezeitraum hinaus erzielbare Cash Flow erfasst. Dessen Berücksichtigung trägt der Tatsache Rechnung, dass sich Strategien u.U. erst langfristig in Form einer Wertsteigerung niederschlagen. Als Diskontierungsfaktor wird der Weighted Average Cost of Capital (WACC) verwendet. Dieser Gesamtkapitalkostensatz entspricht dem Kalkulationszinsfuß im Rahmen investitionstheoretischer Verfahren. Er bringt die Mindestrenditeerwartung der Eigen- und Fremdkapitalgeber zum Ausdruck. Der Gesamtkapitalkostensatz ergibt sich als gewichteter Durchschnitt des Eigenkapitalkostensatzes (k EK ) und des Fremdkapitalkostensatzes (k FK ): GK FK k GK EK k WACC FK EK (2) Während der Fremdkapitalkostensatz k FK relativ einfach nach dem Zinssatz für langfristige Schuldverschreibungen bestimmt werden kann, bereitet die Ermittlung des Eigenkapitalkostensatzes größere Schwierigkeiten. Ein Eigenkapitalgeber erwartet für eine Beteiligung an einer Unternehmung eine Risikoprämie. Nach dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) besteht der Eigenkapitalkostensatz aus einer risikolosen Sockelrate (Zinssatz für eine langfristige Staatsanleihe) und einem Risikozuschlag. ) r (r β r k f M f EK (3) Dabei bedeuten: r f = risikolose Sockelrate r M = Marktrendite β = Volatilitätsparameter (Beta-Risiko) CF t (1 + WACC) t n 1 t SV + Residualwert (1 + WACC) n - Fremdkapital (1) <?page no="21"?> 22 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Der Risikozuschlag ergibt sich als Differenz aus der Marktrendite (etwa der des DAX-Portfolios) und der risikolosen Sockelrate multipliziert mit dem sog. Beta- Faktor (siehe Formel (3)). Dieser stellt die in der Vergangenheit ermittelte Volatilität hinsichtlich der Kursentwicklung einer Aktie im Vergleich zur Entwicklung des Gesamtindex (etwa des DAX) dar. Ist β > 1, so wird sich eine Aktie stärker verändern als der DAX und gilt demnach als risikoreich. Inzwischen sind weitere Konzepte der wertorientierten Unternehmensführung entwickelt und in der Unternehmenspraxis implementiert worden. Gemeinsam ist ihnen die große Skepsis gegenüber den klassischen, buchhalterisch basierten Steuerungskonzepten und die eindeutige Priorisierung der Aktionärsbzw. Eigentümerperspektive und damit der Ziele „Maximierung des Wohlstands der Eigenkapitalgeber“ oder der „Erwirtschaftung maximaler Eigentümerrenditen“. So definieren viele Unternehmen den Unternehmenswert auch über den sog. Economic Value Added (EVA). Die Grundidee des von Stern/ Stewart & Co. entwickelten EVA lautet: Um den Wert des Unternehmens zu steigern, muss ein Gewinn erzielt werden, der größer ist als die Kosten für das Kapital, das für die Erwirtschaftung des Gewinnes eingesetzt werden muss. Diese Erkenntnis ist nicht neu; sie ist in Theorie und Praxis unter dem Namen „Residualgewinn“ bekannt. Allerdings handelt es sich beim EVA um einen Residualgewinn, dem spezielle Komponenten zugrunde liegen: EVA = NOPAT - WACC · NOA mit NOPAT: Net Operating Profit after Taxes und NOA: Net Operating Assets (= betriebsnotwendiges Vermögen zu Beginn des Jahres) Prinzipiell stehen drei Möglichkeiten zur Steigerung des EVA zur Verfügung: (a) Die Erhöhung des NOPAT bei gleichem Kapitaleinsatz (b) Die Investition zusätzlichen Kapitals mit überdurchschnittlicher Rendite (c) Die Verringerung des wenig rentierlichen Kapitals Wird der EVA dynamisiert, also periodenübergreifend erfasst, kommt man zum Market Value Added (MVA). 1.4.2 Praktische Bedeutung Geht man davon aus, dass das Management von den Investoren den Auftrag erhält, für das bereitgestellte Kapital eine möglichst hohe Rendite zu erzielen (Agency-Theorie), ist der SV ein geeignetes Kriterium für die Bewertung von Strategien. Eine Strategie ist dann erfolgreich, wenn der Wert eines Unternehmens bei Durchführung einer neuen Strategie im Vergleich zum Wert bei Beibehaltung der bisherigen Strategie gesteigert wird. Voraussetzung dafür, dass sich Manager am SV orientieren, ist allerdings die Beachtung einer effizienten Ausgestaltung der Corporate Governance. <?page no="22"?> 1 Strategische Zielbildung 23 Corporate Governance umfasst das gesamte System der Leitung und Überwachung eines Unternehmens, einschließlich seiner Organisation, seiner geschäftspolitischen Grundsätze und Leitlinien sowie der internen und externen Kontroll- und Überwachungsmechanismen. Folgende Strukturmerkmale einer Organisation fallen unter die Regelungen der Corporate Governance: [1] Einwirkungsrechte der Anteilseigner Probleme bei der Durchsetzung von Eignerinteressen bestehen insbesondere dann, wenn die Anteile breit gestreut sind. Eine Analyse des deutschen Aktienrechts belegt, dass das Aktiengesetz ausreichend Spielraum für eine effiziente Unternehmenskontrolle bietet, wenn die Aufforderung des Gesetzgebers an den Aufsichtsrat, „die Geschäftsführung zu überwachen“ (§ 111 Abs. 1 AktG), ernst genommen wird. Insbesondere bei der Formulierung zustimmungspflichtiger Geschäfte (§ 111 Abs. 4 AktG), der Feststellung des Jahresabschlusses zusammen mit dem Vorstand (§ 172 AktG) und der Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern (§ 84 Abs. 1 AktG) kann der Kontrollkompetenz des Aufsichtsrats Nachdruck verliehen werden. Dass es dazu oft nicht in dem erforderlichen Maße kommt, liegt erfahrungsgemäß in dessen Abstinenz bei der Wahrnehmung seiner Kontrollrechte, was wiederum mit seiner Zusammensetzung zusammenhängen kann (z.B. Aufsichtsräte mit Mehrfachmandaten sind zeitlich überfordert). Eine weniger Shareholderals vielmehr Stakeholder-orientierte Besetzung des Aufsichtsrats (etwa durch Verstärkung der Mitbestimmung) würde nur auf den ersten Blick die Wahrnehmung verschiedener Interessen begünstigen, bei näherer Betrachtung dagegen die Position des Managements stärken. [2] Informationsrechte der Anteilseigner Informationseffizienz bildet eine notwendige Voraussetzung für Allokationseffizienz. Ansatzpunkte für eine Verbesserung bieten der Jahresabschluss und das Auskunftsrecht der Aktionäre. Der Jahresabschluss hat sich stärker am Informationsbedarf der Anteilseigner, der Analysten und Rating-Agenturen auszurichten. Damit verbunden sind u.a. eine Einschränkung des Bewertungsspielraumes und die Berichterstattung über den Erfolg von Geschäftsbereichen in Form einer Segmentberichterstattung. Eine Segmentberichterstattung soll durch den Einblick in die Ertragslage von Geschäftsbereichen eine Einschätzung der Chancen und Risiken dieser Geschäftsbereiche ermöglichen. Im Rahmen von Investor Relations sollten die Anteilseigner über den Jahresabschluss hinaus laufend mit Informationen, insbesondere über Strategische Pläne, versorgt werden. [3] Vergütungssystem für Manager Durch die Verwendung des SV als Bezugsgröße für die Managerentlohnung soll eine Interessenharmonie zwischen Management und Kapitaleignern herbeigeführt werden. Der ehemalige Porsche-Chef Wiedeking dazu: „Wird der Topmanager <?page no="23"?> 24 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse seiner Unternehmerrolle gerecht, dann muss er auch wie ein Unternehmer dotiert werden.“ Unbeantwortet ist allerdings die Frage nach der geeigneten praktischen Umsetzung der SV-orientierten Vergütung. Präferiert werden heute vor allem Bezugsrechte auf Aktien des eigenen Unternehmens zu einem im Voraus festgelegten Bezugspreis (sog. Stock Options). Die Festlegung der Optionsbedingungen (z.B. Laufzeit und Bezugspreis) entscheidet dabei über den Erfolg einer derartigen Vergütungsregelung. Beispiel Siemens: „Das System der Vorstandsvergütung bei Siemens ist darauf ausgerichtet, einen Anreiz für eine erfolgreiche, auf Nachhaltigkeit angelegte Unternehmensführung zu setzen … (hierfür) wird die Vergütung vorwiegend verzögert ausgezahlt: Bezogen auf eine Zielerreichung von 100% wird mehr als die Hälfte der Gesamtvergütung als aktienbasierte Vergütung mit einer Sperrfrist von vier Jahren gewährt, und die variable Vergütung wird zu mehr als 50% auf der Grundlage mehrjähriger Zielparameter festgesetzt. Die Vergütung der Mitglieder des Vorstandes ist außerdem eng mit dem Interesse der Aktionäre an einem langfristig attraktiven Investment verknüpft, indem die Hälfte der langfristigen aktienbasierten Vergütung an die mehrjährige Entwicklung des Kurses der Siemens-Aktie im Vergleich zu derzeit fünf wichtigen Wettbewerbern gekoppelt ist. … Im Geschäftsjahr 2011 setzte sich das Vergütungssystem für den Vorstand aus folgenden Komponenten zusammen: Grundvergütung, … variable Vergütung (Bonus) … und langfristige aktienbasierte Vergütung ...“ (Geschäftsbericht 2011) „Die variable Vergütungskomponente, die für den Vorstand und das obere Management weltweit verpflichtend ist, setzt sich aus drei Zielkategorien zusammen: erstens der Leistung der organisatorischen Einheit (gemessen an internen Finanzzielen sowie weiteren strategischen Zielen der Einheit …), zweitens der persönlichen Leistung sowie drittens der Leistung von Siemens. Somit wollen wir Höchstleistung auf allen Ebenen sicherstellen. Mit der klaren Absicht, die Aktienkultur im Unternehmen zu fördern, haben wir zudem verschiedene Aktienbeteiligungsprogramme … eingeführt.“ Geschäftsbericht 2010) Beispiel Deutsche Bank: Struktur der Vergütung für die Mitglieder des Vorstandes Die Vergütung unterteilt sich in erfolgsunabhängige und erfolgsabhängige Komponenten: Die erfolgsunabhängigen Komponenten bestehen in erster Linie aus dem Grundgehalt. Die erfolgsabhängigen Komponenten (variable Vergütung) bestehen grundsätzlich aus zwei Komponenten, einem Bonus und einem Long-Term-Performance Award. Der Gesamt-Bonus wird auf Basis von zwei Komponenten ermittelt. Deren Höhe ist jeweils von der Entwicklung der Eigenkapitalrendite (vor Ertragsteuern) abhängig, die ein bedeutender Einflussfaktor für die Aktienperfor- <?page no="24"?> 1 Strategische Zielbildung 25 mance ist. Die erste Komponente des Bonus bestimmt sich aus dem Vergleich der geplanten zur tatsächlich erreichten Eigenkapitalrendite. Der zweiten Komponente des Bonus liegt das absolut erreichte Niveau der Eigenkapitalrendite zugrunde. Die Höhe des Long-Term-Performance Award orientiert sich an der Rendite der Deutschen Bank-Aktie im Verhältnis zum Durchschnittswert der Aktienrenditen einer ausgewählten Vergleichsgruppe von sechs führenden Banken. Das Ergebnis hieraus ist die relative Aktienrendite (Relative Total Shareholder Return) (Finanzbericht 2011 der Deutschen Bank S. 140ff.) [4] Aufbauorganisation Einwirkungs- und Informationsrechte sowie anreizverträgliche Vergütungssysteme für das Management führen nur dann zu den genannten Effekten, wenn die Unternehmensstruktur reformiert wird. Das bedeutet, dass ein Shareholderorientiertes Verhalten des Managements zu erwarten ist, sofern eine damit kompatible Aufbauorganisation eingeführt wird. Nach Rappaport muss sich ein Bereichsleiter folgende Fragen stellen: „Welche Strategien erzeugen den größten Shareholder Value? “, „Wie würden alternative Konzepte diesen beeinflussen? “ Um sie beantworten zu können, bedarf es der Einrichtung organisatorischer Einheiten, die mit der Wahrnehmung einer bestimmten Strategie betraut sind und denen sich Zahlungsströme eindeutig zurechnen lassen. Einwirkungs- und Informationsrechte sowie Vergütungssysteme können dann SV-konform auf „Wertsteigerungsprojekte“ ausgerichtet werden. Damit zwangsläufig verbunden ist eine Vermeidung von Quersubventionierung, also einer Stützung weniger effizienter Strategischer Geschäftsfelder durch erfolgreiche Strategische Geschäftsfelder. 1.4.3 Kritik Der Hauptvorwurf gegen den Shareholder Value besteht darin, dass der SV-Ansatz kurzfristiges Denken des Managements fördere und den Konsens zwischen Management und Mitarbeitern zerstöre. Beide Argumente sind zumindest diskussionswürdig. [1] Rappaport hat für den SV plädiert, da dieser sämtliche Zahlungsströme über alle Perioden einschließlich des Restwertes berücksichtige, also langfristig ausgerichtet sei. Gleichwohl kann eine ausschließliche Kontrolle des Managements an Kennzahlen, sog. hard facts, zu kurzfristigem Denken und Handeln verleiten. Langfristige Strategien, wie etwa Investitionen - bevorzugt in Forschung und Entwicklung sowie in Humankapital - beeinflussen messbare Erfolgskriterien zunächst einmal negativ. Ob sich ein nachhaltiger Erfolg einstellt, lässt sich erst sehr viel später feststellen, evtl. zu einer Zeit, die das Management gar nicht mehr „erlebt“. [2] Der Vorwurf der Konsenszerstörung leitet sich grundsätzlich daraus ab, dass der SV-Ansatz die Interessen der Anteilseigner in den Vordergrund rücke und die Machtbalance mit den übrigen Stakeholdern zerstöre. Es wird daher der Ersatz des SV-Ansatzes durch den Stakeholder-Ansatz verlangt. Das Management stünde <?page no="25"?> 26 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse nicht allein im Dienste der Kapitalgeber, sondern sei allen Anspruchsgruppen, insbesondere auch den Arbeitnehmern, verpflichtet. Dazu Edzard Reuter, Vorstandsvorsitzender von Daimler-Benz (1987-1995): „Es ist eine der teuflischen Erfindungen dieser Zeit, die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens und seines Managements nur am Aktienkurs zu messen.“ (Interview in der Stuttgarter Zeitung vom 11.04.2001) Im Oktober 2008 haben Aktivisten der globalisierungskritischen Organisation Attac in der Frankfurter Börse ein Transparent entrollt: „Finanzmärkte entwaffnen! Mensch und Umwelt vor Shareholder Value! “ In der Praxis konkretisiert sich die Dominanz der Shareholder sehr häufig darin, dass der SV eine Restrukturierung verlangt, welche „kranke“ Geschäftsbereiche in die Rentabilitätszone zurückbringen soll. Sie ist häufig mit Entlassungen verbunden und provoziert insofern Konflikte mit der Belegschaft. Dem halten Anhänger des SV entgegen: „Was den Aktionären nützt, trägt auch den Ansprüchen anderer gesellschaftlicher Gruppen Rechnung“ (Jürgen Schrempp, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG). Ob diese Konsensformel einer Nachprüfung standhält, lässt sich beim heutigen Kenntnisstand nicht eindeutig belegen. Es steht jedoch außer Frage, dass auf Dauer nur profitable Unternehmen auf den Märkten bestehen können und sich damit auch die Ansprüche diverser Stakeholder besser erfüllen lassen. 1.5 Ziele von Nonprofit-Organisationen Unternehmen können bei der Formulierung ihres Zielsystems zwei grundsätzlich verschiedene Positionen einnehmen. Sie können die Bedarfsdeckung in den Vordergrund rücken und sich gemeinwirtschaftlich verhalten oder aber die Gewinnerzielung bzw. die Wertgenerierung (Shareholder Value) zur Leitlinie ihres Handelns machen und sich damit erwerbswirtschaftlich verhalten. Im ersten Fall haben wir es mit sog. Nonprofit-Organisationen zu tun, im zweiten Fall mit gewinnorientierten Unternehmen. Mit diesen gewinnorientierten Unternehmen haben wir uns bislang beschäftigt. Bedeutende Ziele dieser Unternehmen sind in Form von Kennzahlen in Abschnitt 1.3, Abb. 2-9 aufgeführt. Nonprofit-Organisationen (NPO) sind jene Organisationen, bei denen nicht das Gewinnziel im Vordergrund steht, sondern ein Sachziel, d.h. die Bedarfsdeckung durch die Bereitstellung eines Leistungsprogrammes. Erscheinungsformen von NPOs sind Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Genossenschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, Naturschutzorganisationen, Kirchen, religiöse Gemeinschaften, Wohlfahrts- und caritative Organisationen, staatliche Krankenhäuser, staatliche Theater, Schulen, Universitäten, öffentliche Rundfunkanstalten, öffentliche Verwaltungen. Während gewinnorientierte Unternehmen weitgehend frei bei der Wahl ihrer Ziele sind, unterliegen NPOs einer Reihe von Bedingungen, die ihren Spielraum einengen. Zu den Kontextfaktoren zählen vor allem: <?page no="26"?> 1 Strategische Zielbildung 27 − Rechtliche Beschränkungen (z.B. Zwang zur Aufrechterhaltung unrentabler Strecken im öffentlichen Nahverkehr), − politische Einflussnahme (Entscheidungsgremien sind oft von Politikern besetzt), − Leistungsprogramm (Dienstleistungen, die häufig unentgeltlich oder zu politisch festgesetzten Preisen abgegeben werden), − Finanzierung (über Gebühren, Beiträge, Spenden, politische Preise, Sponsoring). In Abb. 2-10 werden Beispiele für Ziele von NPOs genannt. Nonprofit-Organisationen Ziele Öffentlicher Nahverkehr - Schaffung eines sicheren und bedarfsgerechten Verkehrsnetzes - Bereitstellung kostengünstiger und nachfragegerechter Verkehrsleistungen Rundfunkanstalten - Grundversorgung mit Information, Bildung und Unterhaltung - Meinungsvielfalt im Programmangebot Universitäten - Ausbildung des akademischen Nachwuchses - Mehrung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch Forschung Gemeindeverwaltungen - Steigerung der kommunalen Wohlfahrt - Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen (z.B. Standesamt, Sozialamt) Abb. 2-10: Beispiele für Ziele von Nonprofit-Organisationen Die Beispiele machen deutlich, dass die Ziele von Nonprofit-Organisationen durch folgende Merkmale gekennzeichnet sind: − Dominanz qualitativer Ziele, − Unschärfe der Zielformulierung. Daraus erwachsen folgende Konsequenzen für den strategischen Planungsprozess: Die Problemidentifikation in Form einer Soll-Ist-Abweichung wird erschwert. Sind die Ziele verschwommen, können auch die Probleme nur vage wahrgenommen werden. Die Entwicklung von Lösungsalternativen hat unter dieser Unschärfe zu leiden. Sie erlaubt es den einzelnen Interessengruppen, ihre spezifischen Ziele „heimlich“ zur Geltung zu bringen. Auch eine Bewertung der Alternativen wird insofern erschwert, als Entscheidungstechniken, die auf quantitativen Größen beruhen (z.B. Investitionsrechenverfahren), kaum angewandt werden können. Schließlich wird die Implementierung der Planung dadurch beeinträchtigt, dass die einzelnen Teilpläne nur unzureichend koordiniert werden und Anreiz- und Sanktionsmechanismen aufgrund fehlender Erfolgsindikatoren nur schwer greifen können. Diese Bestandsaufnahme macht deutlich, dass die strategische Planung bei <?page no="27"?> 28 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse NPOs ungleich größere Schwierigkeiten zu überwinden hat, als dies bei gewinnorientierten Unternehmen der Fall ist. Es gibt aber immer wieder Versuche, moderne Strategische Management- Konzepte auf Nonprofit-Organisationen zu übertragen. Dazu gehören z.B. das sog. New Public Management (NPM) und das deutsche Neue Steuerungsmodell (NSM). Ihr Anliegen ist der Ersatz des Leitbildes einer bürokratischen und zentralistischen Steuerung durch das Leitbild einer zielorientierten, ergebnisorientierten, transparenten und dezentralen Steuerung von Unternehmen: Eigenverantwortung statt Hierarchie, Resultate statt Regeln (vgl. Bogumil/ Jann [Verwaltung] 200). Vgl. auch den Abschnitt 5.7: „Soziale Verantwortung bei der Strategiewahl“ in UTB- Buch „Strategisches Management“ (S. 201ff.). <?page no="28"?> 2 Umweltanalyse 29 2 Umweltanalyse „Wir haben unsere Umwelt so radikal verändert, dass wir uns jetzt selber ändern müssen, um in dieser neuen Umwelt existieren zu können.“ Norbert Wiener (1894-1964), Kybernetiker 2.1 Aufgaben „Die Umwelt ist komplexer und dynamischer geworden.“ Dies ist einer der am häufigsten formulierten Sätze in der Literatur zum Strategischen Management. Er macht deutlich, dass der Umweltanalyse (auch als externe Analyse bezeichnet) eine zentrale Aufgabe im Rahmen der strategischen Analyse zukommt bzw. zukommen muss. Beispiele aus der Unternehmenspraxis [1] IBM und die Veränderung von Industriestrukturen IBM beherrschte bis in die frühen siebziger Jahre den Markt für Computer. Als „Big Blue“ bestimmte der Marktführer die technischen Standards, die Produktlebenszyklen und die Preise. Zunächst richtete sich das Angebot ausschließlich an Geschäftskunden und EDV-Spezialisten, Alternativangebote waren rar, die Rentabilität des Geschäfts folglich hoch. Als Hardware- und Chip-Spezialist versuchte IBM auch, dauerhaft eine starke Marktposition im Privatkundensegment zu erobern. Neue Technologien und der rasante Fortschritt bei den Speicherchips in Verbindung mit einem kontinuierlichen Preisverfall haben neuen Wettbewerbern den Markteintritt ermöglicht und die Margen im Bereich Hardware massiv schrumpfen lassen. Nachdem der Marktanteil von IBM im PC-Markt Ende 2004 nur noch 6% betrug, entschied man sich zum Verkauf des Geschäfts an die chinesische Lenovo-Gruppe. Die wechselhafte Erfolgsgeschichte von IBM ist jedoch Folge und mithin Indikator eines tiefgreifenden Wandels der Struktur einer gesamten Industrie und des Zusammenwachsens traditioneller und neuer Industrien: zu Beginn war die Industrie in hohem Maße vertikal integriert. Unternehmen wie IBM oder die Digital Equipment Group waren Vollanbieter mit hoher eigener Fertigungstiefe, die von Hardware-Komponenten über Speicherchips bis zu Software (Betriebswie Anwendungssysteme) und schließlich Service alles im Angebot hatten. In den 80er-Jahren hatte sich das Bild verändert, Spezialisten hatten sich auf den einzelnen Wertschöpfungsstufen etabliert: Intel bspw. für Speicherchips, Microsoft für Betriebssysteme, der Service-Bereich wurde zunehmend von spezialisierten Servicedienstleistern übernommen. IBM musste sich mit einem wesentlich kleineren Anteil an der Wertschöpfung der Industrie begnügen, der Anteil fiel von rd. 50% Ende der siebziger Jahre auf rund 10% Anfang der neunziger Jahre. Mit dem Internet und neuen Playern wie Yahoo oder Google veränderte sich die Industrie ein weiteres Mal fundamental. <?page no="29"?> 30 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Heute findet man eine Industriestruktur mit hoher Spezialisierung und einer großen Anzahl von Akteuren vor, bei der nicht mehr Größe der entscheidende Erfolgsfaktor ist. Vielmehr entscheiden zwei Fähigkeiten: eine Position in der globalen Wertschöpfung einzunehmen, welche die Kontrolle eines relevanten Teils der Wertschöpfungskette ermöglicht (Anbieterseite) und entscheidende Kundenkontrollpunkte zu besetzen. Man spricht dann auch von Eco-Systemen. Beispiele sind das Eco-System von Microsoft, in dessen Zentrum Windows als Betriebssystem steht, das als nahezu unumgänglicher Standard für Betriebssysteme auf allen Massenmarkt-Computern vorinstalliert ist, oder jenes von Apple, bei dem iTunes in Verbindung mit herausragender Hardware ein hohes Maß an Kundenbindung/ -kontrolle ermöglichen. Zu Eco-Systemen vgl. auch das einleitende Beispiel in UTB-Buch „Strategisches Management“, S. 50ff.). Das Beispiel IBM zeigt: Die eigentlichen Kernkompetenzen - sozusagen auf einer Metaebene der Umweltanalyse - sind folgende: Die eigene Position in der Industrie richtig einschätzen (Wer spielt welche Rolle in der Industrie? Wer trägt welchen Wert aus Kundensicht bei? Welche Rolle spielt das eigene Unternehmen und welche Kernkompetenzen nutzt man dafür? ), die Veränderung der Industriestrukturen und damit der Rollenverteilung antizipieren und explizit in die Überlegungen einbeziehen, und schließlich unter Berücksichtigung der eigenen Kernkompetenzen und deren Weiterentwicklung die eigene zukünftige Rolle in der Industrie so definieren, dass ein relevanter Teil der Wertschöpfung in der Industrie kontrolliert werden kann. Wann immer also die im folgenden Kapitel behandelten Techniken der Umweltanalyse eingesetzt werden, ist dabei stets zu beachten, dass die Möglichkeit der Veränderung der Industrie- und Marktstrukturen explizit in die Überlegungen einbezogen und nicht ein statisches Bild zugrunde gelegt wird. Noch einen Schritt weiter gehen Kim/ Mauborgne mit ihrem Ansatz „Blue Ocean Strategy“. Sie argumentieren, dass klassische Strategien und Strategieansätze zu sehr auf bestehende Industrie- und Wettbewerbsstrukturen abzielen (competition based or red ocean strategies). Sie propagieren hingegen eine „reconstructionist view“, bei der Unternehmen gezielt Markt- und Industriestrukturen verändern, den Fokus verschieben von der Suche nach Wettbewerbsvorteilen innerhalb bestehender Angebots- und Nachfragebedingungen, Rollenverteilungen und Wertschöpfungsstrukturen hin zur ‚creation of innovative value to unlock new demand‘: „Companies need to go beyond competing. To seize new profit and growth opportunities they also need to create blue oceans” (Kim/ Mauborgne [Blue Ocean]). IBM hat aus den Erfahrungen gelernt und 2010 mit nahezu 20 Mrd. US$ erneut ein Rekordergebnis erzielt. Samule J. Palmisano dazu: „We have been able to achieve these results because of the transformation of our company that we be- <?page no="30"?> 2 Umweltanalyse 31 gan several years before. At the time, we saw an undercurrent of fundamental change: (1) Changes in the world …, (2) Changes in technology …, (3) Changes in client demand... Because we believed that these shifts would change our industry, creating winners and losers, we transformed IBM’s mix of products, services, skills and technologies - exiting commoditizing businesses like PCs and hard disk drives, and making 116 strategic acquisitions over the course of the decade. … a fundamentally different company.” (Annual Report 2010) [2] Stakeholder-Management bei BAYER „Als gesellschaftlich engagiertes und weltweit tätiges Unternehmen wissen wir, dass es auf einen offenen und transparenten Dialog mit allen Interessengruppen ankommt. Ohne den regelmäßigen Austausch mit unseren Stakeholdern lässt sich keine Zustimmung für unternehmerisches Handeln erzielen.“ Abb. 2-11: Wesentliche Anspruchsgruppen der BAYER AG und ihre Haupt- Interessenbereiche (In Anlehnung an: Bayer Nachhaltigkeitsbericht 2010) „In systematischen Stakeholder-Dialogen sehen wir weltweit die Basis für ein besseres gegenseitiges Verstehen und den Aufbau von Vertrauen. Gemeinsam identifizieren wir Herausforderungen und betrachten diese aus verschiedenen Blickwinkeln. Durch diese Vorgehensweise erkennen wir Risiken eher, entdecken Verbesserungsmöglichkeiten und können Trends ebenso wie neue Marktchancen aufnehmen. So wollen wir 2011 bei allen strategischen Investitionsprojekten ein neuentwickeltes Instrument testen: Der „Stakeholder Check“ soll es uns ermöglichen, die Perspektiven von Stakeholdern bei Investitionsentscheidungen besser zu berücksichtigen.“ (Nachhaltigkeitsbericht 2010) Aktionäre Banken Versicherungsgesellschaften Lieferanten Kunden Mitarbeiter Verbände Hochschulen/ Schulen Gesetzgeber Behörden Wissenschaft Politik Öffentlichkeit NGO Nachbarschaft Wettbewerber Bayer Finanzmarktteilnehmer • Gesunde Finanzlage • Nachhaltiges Wachstum • Materielle Risiken • „ESG“-Indikatoren Partner • Sichere Produkte • Verantwortung in der Lieferkette • Attraktive Arbeitsplätze • Diversity und Chancengleichheit Rahmenbedingungen • Compliance • Corporate Governance • Kooperation / Interessenvertretung • Offener Meinungsaustausch Gesellschaftliche Interessengruppen • Transparenz • Verantwortlichkeit • Risikomanagement • Offenheit für Stakeholder-Belange <?page no="31"?> 32 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Drei Aufgaben sind im Rahmen der Umweltanalyse zu lösen: [1] Sensibilisierung für die Umweltproblematik, [2] Identifikation der relevanten Umweltsegmente, [3] Aufspüren von Chancen und Risiken aus der Umwelt. Mit diesen Aufgaben werden wir uns im Folgenden beschäftigen. 2.2 Outside-in Approach Die Bedeutung der Unternehmensumwelt hat eine besondere Aufwertung durch den sog. Outside-in Approach erfahren. Seine Grundidee besteht darin, dass nicht - so wie in traditioneller Sicht - der Blick von der Unternehmung aus auf ihre Umgebung gerichtet wird (Inside-out Approach), sondern von dort auf die Unternehmung. Die entscheidende Frage lautet: Wie sieht die Umwelt die eigene Unternehmung? Die Folgen dieses Positionswechsels werden deutlich, wenn man die Entwicklungslinie vom produktionstheoretischen Ansatz über den Umwelt-Strategie-Struktur-Ansatz zum Stakeholder-Ansatz nachzeichnet. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass in jüngster Zeit auch durch den sog. ressourcenorientierten Ansatz eine Ergänzung der Outside-in-Perspektive stattfindet. Im Sinne eines Inside-out Approach wird die Frage gestellt: „In welchen Potenzialen liegen unsere Stärken? “ (vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“ S. 30ff). Es geht hier also um die Frage nach den Kernkompetenzen. [1] Produktionstheoretischer Ansatz Der produktionstheoretische Ansatz wurde im Wesentlichen von Gutenberg (1897- 1984) geprägt. Gutenberg seinerseits orientierte sich stark an der mikroökonomischen Theorie. Aus diesem Grunde wird diese Perspektive auch als Ansatz der Mikroökonomik bezeichnet. Gutenberg leitet sein Lehrbuch zur Betriebswirtschaftslehre, dessen erster, im Jahre 1951 erschienener Band den Titel „Die Produktion“ erhielt, mit dem Satz ein: „Der Sinn aller betrieblichen Betätigung besteht darin, Güter materieller Art zu produzieren oder Güter immaterieller Art bereitzustellen.“ Die Unternehmung richtet damit ihren Blick zunächst nach innen, nämlich auf die Produktion, und dann von innen nach außen („product out“ statt „market in“). Zum produktionstheoretischen Standpunkt Gutenbergs vgl. Schanz ([Wissenschaftsprogramme] 104ff.). Die Umwelt wird natürlich nicht völlig ignoriert, die unternehmerischen Probleme jedoch bestimmen den Leitfaden für die Umweltanalyse. Dies gilt im Prinzip auch für die auf den produktionstheoretischen Standpunkt folgende marketingorientierte Betrachtungsweise. Hier findet zwar eine stärkere Hinwendung zur Unternehmensumwelt statt, aber immer noch in dem Sinne, dass der Blick von innen nach außen gerichtet wird. [2] Umwelt-Strategie-Struktur-Ansatz Der Umwelt-Strategie-Struktur-Ansatz stellt einen Spezialfall des sog. situativen Ansatzes dar (vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“, S. 379ff.). Er ist in <?page no="32"?> 2 Umweltanalyse 33 Anlehnung an Chandlers Strategie-Struktur-Hypothese im Wesentlichen von Ansoff entwickelt worden. Der Ansatz geht von der Hypothese aus, dass die Strategiewahl zunächst von der Umwelt bestimmt wird. Oder anders ausgedrückt: Die Strategiewahl ist auf die Bedingungen der Unternehmensumwelt abzustimmen, wenn ein Unternehmen erfolgreich sein will. Dieser Fit zwischen Umwelt und Strategie ist ein wesentliches Charakteristikum der strategischen Planung. Die Abstimmung mit der Struktur und anderen Subsystemen, wie etwa der Unternehmenskultur, erweitert die strategische Planung zum Strategischen Management. „From Strategic Planning to Strategic Management“ wählten Ansoff, Declerck und Hayes als Titel eines 1976 erschienenen Buches. Im Jahre 1979 veröffentlichte Ansoff schließlich das Lehrbuch „Strategic Manage-ment“ und wandte darin den Umwelt-Strategie- Struktur-Ansatz konsequent auf Probleme des Strategischen Managements an (vgl. Ansoff [Management]). Eine ausführliche Darstellung des Umwelt-Strategie-Struktur-Ansatzes erfolgt in UTB-Buch „Strategisches Management“ Teil 5, S. 379ff.). [3] Stakeholder-Ansatz Sehr weit und ebenso einflussreich wird die Unternehmensumwelt im sog. Stakeholder-Ansatz interpretiert. Freeman ([Management] 46) definiert Stakeholder als “any group or individual, who can affect or is affected by the achievement of the organizations objectives.” Das „Betroffensein“ von der Unternehmenstätigkeit reicht aus, um eine Beziehung herzustellen zwischen Umsystem und Unternehmung. Damit werden Personen oder Gruppen in die Umweltanalyse einbezogen (z.B. Umweltschutz- und Verbraucherverbände, Bürgerinitiativen, Kirchen, Vereine), die bei einer Beschränkung auf die Aufgabenumwelt aus der Betrachtung herausfallen würden. Ihre Relevanz für die Unternehmung ist aber, eben durch ihr Betroffensein, trotzdem wahrscheinlich. Dies wird besonders deutlich beim Konzept der Schwachen Signale, das die Absicht verfolgt, Umweltveränderungen aus bisher unbekannten Richtungen frühzeitig wahrzunehmen (vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“ S. 305ff.). Sowohl beim Umwelt-Strategie-Struktur-Ansatz wie auch beim Stakeholder-Ansatz kommt die Grundfrage des Outside-in Approach zum Tragen: Welche Merkmale der Unternehmensumwelt sind für die Wahl von Wettbewerbsstrategien und deren organisatorische Umsetzung relevant? Im Folgenden wird zum Zwecke einer Systematisierung der Umweltdeterminanten vom Umwelt-Strategie-Struktur-Ansatz ausgegangen. Der weiter gehende Stakeholder-Ansatz wird in Abschnitt 2.3.3.2 erörtert. 2.3 Relevante Umwelt 2.3.1 Begriff und Arten Als Erstes stellt sich die Frage, was unter „Umwelt“ zu verstehen ist. Der Versuch einer Antwort endet bei der Folgefrage nach der Abgrenzung von Unternehmen und Umwelt. Zur Lösung dieses Problems gibt es wiederum recht unterschiedliche Vorschläge. So kann man bspw. die Lieferanten und Kunden als Mitglieder des Systems „Unternehmen“ ansehen und den Unternehmensbegriff damit sehr weit fassen. Die zunehmende Verflechtung der Unternehmen mit ihrer Umwelt legt <?page no="33"?> 34 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse diese Interpretation nahe. Picot, Reichwald und Wiegand [Unternehmung] sprechen von der „grenzenlosen Unternehmung“. Begriffe wie „Outsourcing“, „Reduktion der Fertigungstiefe“, „Make or Buy“ und „Wertkettenmanagement“ kennzeichnen den Trend. Eine sehr enge Fassung des Unternehmensbegriffs liegt dann vor, wenn lediglich die Unternehmensführung als Bestandteil des Systems „Unternehmen“ angesehen wird. Bei dieser Betrachtung sind dann bspw. die Arbeitnehmer Teil der Unternehmensumwelt. Neben der Grenzziehung zwischen System und Umsystem besteht ein weiteres Problem darin, wie man das Umsystem für eine systematische Analyse ordnen könnte. Mintzberg ([Structuring] 286) unterscheidet bspw. die Umwelt nach jenen Kriterien, die zu einer zutreffenden Charakterisierung der heutigen Umwelt führen: Komplexität und Dynamik. Danach lassen sich vier Typen der Umwelt unterscheiden: − Einfach-statische Umwelt, − einfach-dynamische Umwelt, − komplex-statische Umwelt, − komplex-dynamische Umwelt. Das Merkmal der Komplexität hebt auf die Anzahl und Verschiedenartigkeit der Elemente einer Umwelt und deren Verflechtung (Interdependenz) ab, das Merkmal der Dynamik auf die Veränderung der Elemente und deren Interdependenz im Zeitablauf. Sowohl aus dem Merkmal der Komplexität wie auch aus jenem der Dynamik resultiert das Phänomen der Ungewissheit. Nimmt man den Grad der Verflechtung von Unternehmen und Unternehmensumwelt zum Klassifikationskriterium, so kann zwischen einer weiteren Unternehmensumwelt (general environment) und einer engeren Unternehmensumwelt (task environment) unterschieden werden. Die eine wird auch als Makro-Umwelt oder globale Umwelt bezeichnet, die andere als Mikro-Umwelt oder aufgabenspezifische Umwelt. Von dieser Zweiteilung gehen wir im Folgenden aus. Wir unterscheiden nach der Nähe zum Unternehmen (vgl. Abb. 2-12): − den Markt (= aufgabenspezifische Umwelt, Wettbewerbsumwelt), − die weitere Unternehmensumwelt (= globale Umwelt, Makroumwelt). 2.3.2 Der Markt Die unmittelbare wirtschaftliche Umgebung eines Unternehmens stellen seine Wettbewerber, seine Nachfrager und seine Lieferanten dar. Die Beziehungen zu den Lieferanten werden als Beschaffungsmarkt, jene zu den Nachfragern als Absatzmarkt bezeichnet. Wir gehen im Folgenden vom Absatzmarkt aus. Die Ergebnisse lassen sich spiegelbildlich auch auf den Beschaffungsmarkt übertragen. Im Rahmen der strategischen Planung sind zwei Aufgaben zu lösen: [1] Abgrenzung des Marktes, [2] Ermittlung der Marktattraktivität. <?page no="34"?> 2 Umweltanalyse 35 Abb. 2-12: Die Umwelt des Unternehmens Mit dem ersten Schritt werden Wettbewerber und Nachfrager identifiziert, die für den Anbieter relevant sind. Es wird daher in diesem Zusammenhang auch vom „relevanten Markt“ gesprochen. Mit dem zweiten Schritt wird festgestellt, welche Renditen ein Markt in der Zukunft verspricht und welche Attraktivität er demzufolge ausstrahlt. Beispiel für den Getränkemarkt: Eine hohe Attraktivität wird derzeit dem Markt für trendige Energy-Drinks, eine befriedigende Attraktivität dem Markt für Bier und eine geringe Attraktivität dem Markt für Spirituosen zugesprochen. 2.3.2.1 Abgrenzung des Marktes Ein Markt ist die Gesamtheit der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Anbietern und Nachfragern eines bestimmten Gutes oder einer bestimmten Gütergruppe. Die Definition des Marktes ist Voraussetzung für eine Vorhersage des Verhaltens der Mitanbieter und Nachfrager und damit für die Ausrichtung des eigenen Verhaltens. Die Folgen einer falschen Marktdefinition macht Levitt ([Marketing] 45) an folgendem Beispiel klar: Die Schwierigkeiten der amerikanischen Eisenbahngesellschaften sind letztlich darin begründet, dass sich diese Unternehmen als Schienentransportgesellschaften definiert und sich nicht als Anbieter auf dem Markt für Transportleistungen verstanden haben. Sonst wären etwa strategische Allianzen mit Fluggesellschaften und Mietwagenunternehmen zu Stande gekommen. Weitere Unternehmensumwelt (globale Umwelt) Bevölkerung Gesellschaft Technologie Politik Gesamtwirtschaft Markt (engere, aufgabenspezifische Unternehmensumwelt) Unternehmen <?page no="35"?> 36 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Entwickelt man das Beispiel von Levitt weiter, so ist zu fragen: Soll sich eine Bahngesellschaft, etwa die Deutsche Bahn AG, als Transport- oder als Touristikunternehmen verstehen? Je nach Antwort werden unterschiedliche Kunden und Konkurrenten und damit Marktgrenzen definiert. Die Deutsche Post DHL versteht sich beispielsweise als weltweit agierendes Logistikunternehmen mit allen damit zusammenhängenden Geschäftsfeldern („Mail, Express, Logistics, Finance“). Die Marktabgrenzung ist ein schwieriges Unterfangen, da um die Befriedigung des Bedarfs viele Anbieter mit einer Vielzahl von Produkten konkurrieren. Letztlich stehen alle Produkte und damit alle Unternehmen in einer Konkurrenzbeziehung. Die Intensität dieser Beziehung ist jedoch recht unterschiedlich. Ein von der Preistheorie entwickeltes formales Kriterium zur Abgrenzung eines Marktes ist der sog. Triffin'sche Koeffizient (Kreuzpreiselastizität). Er lautet: j j i i p , m p p d m m d j i : m i ist die Absatzmenge des Unternehmens i, p j der Preis der Unternehmung j. Beide Unternehmen bieten auf dem gleichen Markt an, wenn die Variation von p j des Anbieters j eine für die Unternehmung i fühlbare Veränderung der Absatzmenge m i bewirkt. Liegt der Wert ε mi, pj bei Null, ist also für die Unternehmung i die Aktion des Unternehmers j nicht spürbar, so bieten die beiden Unternehmen ihre Produkte auf verschiedenen Märkten an. Der Grad der Spürbarkeit ist sehr hoch, wenn die Güter homogen sind, mit zunehmender Heterogenität nimmt er ab. Es ist nun letztendlich die Frage zu stellen, was den Grad der Heterogenität bestimmt. Ein Kunde erwartet von einem Produkt eine Problemlösung. Sind zwei Güter in der Lage, aus der Sicht des Konsumenten zu einer bestimmten Problemlösung beizutragen, müssen sie demselben Markt zugeordnet werden. Beispiel: Die Produkte/ Dienstleistungen Telefonbuch (Druckerzeugnis), Telefonverzeichnis auf CD-ROM, Telefonverzeichnis im Internet und Telefonauskunft können demselben Markt zugeordnet werden, wenn die Wahl des Mediums aus Sicht des Kunden offen ist. Kommen aus Sicht des Kunden - bspw. aufgrund technologischer Barrieren - ausschließlich das gedruckte Telefonbuch und die Telefonauskunft in Frage, so bilden CD-ROM und Internet einen eigenen Markt. Die Verwendung des Triffin'schen Koeffizienten kann auch zu einer falschen Marktabgrenzung führen. Beispiel: Die Preise p j für Autos fallen, gleichzeitig steigt die Nachfrage m i nach Fernreisen. Dennoch kann wohl kaum von einem gemeinsamen Markt für Autos und Fernreisen gesprochen werden. Es existieren jedoch gesamtwirtschaftliche Marktverflechtungen. Eine weitere Schwäche des Triffin'schen Koeffizienten als Maß der Marktabgrenzung besteht darin, dass er zu einer statischen Marktabgrenzung führt. Märkte <?page no="36"?> 2 Umweltanalyse 37 dürfen jedoch nicht als „Standbilder“ betrachtet werden, sondern unterliegen erfahrungsgemäß einer steten Veränderung. 2.3.2.2 Marktdynamik Märkte sind nicht etwas Gegebenes, sondern sie entstehen und vergehen. Bei diesem Prozess spielen Unternehmen häufig eine aktive Rolle: Sie kreieren neue und zerstören traditionelle Märkte. Die Beachtung dieser Marktentwicklung ist von besonderer Relevanz, da die strategische Planung auf eine sehr lange Sicht ausgerichtet ist und sich demzufolge an den Märkten der Zukunft zu orientieren hat. Vgl. dazu das Beispiel „IBM und die Veränderung der Industriestrukturen“ in Abschnitt 2.1. Veränderungen des Marktes vollziehen sich in − quantitativer und − qualitativer Hinsicht. [1] Märkte haben grundsätzlich die Tendenz, (geographisch) größer zu werden. Dies ist vor allem auf die Kostendegressionseffekte in der Transportleistung und der Kommunikationstechnologie, die Entwicklung neuer Technologien (z.B. Internet) sowie auf die Angleichung der individuellen Bedürfnisse zurückzuführen. Unternehmen reagieren auf dieses Phänomen durch die Globalisierung der Strategie. [2] Märkte haben die Tendenz, sich inhaltlich, d.h. in ihrer Grenzziehung zueinander zu verändern. Von besonderer Bedeutung sind hierbei Verschiebungen in dem für eine Branche erforderlichen technologischen Kompetenzprofil. Beispiel: In der Automobilindustrie wurden durch die Nachfrageentwicklung sowie die gleichzeitige technologische Entwicklung die Elektronik und die Computertechnologie zur dominierenden technologischen Kompetenz. Der durchschnittliche Anteil von Elektronik und Computertechnologie an der Wertschöpfung eines Automobils hat von 0,5 % im Jahre 1970 auf 30 % im Jahre 2000 zugenommen. Auf der Messe Cebit 2009 wurden Autos als „fahrende Computer“ präsentiert: In Neuwagen finden sich Sensoren und Rechner; die Elektronik übernimmt das Steuer. „Das Auto wird zum rollenden Smartphone. Die PS-Branche ist elektrisiert von den Zukunftschancen der mobilen Kommunikation. Vor allem junge Kunden wollen auch im Auto immer und überall online sein. Zugleich sollen die Wagen künftig auch untereinander ständig Daten austauschen. Damit können die Fahrer vor Glatteis oder Staus gewarnt werden. Seit eine Generation heranwächst, die immer und überall erreichbar sein will und keine Sekunde auf Facebook und Twitter verzichten mag, geht es im Verkaufsgespräch nicht mehr so sehr um PS, Hubraum und Drehmoment. „Diese Generation erwartet von einem Auto mehr als Agilität, Effizienz und Sicherheit“, sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche. Diese Kunden „haben ihr erstes Auto auf der Playstation gefahren“, sagt Zetsche und ihre erste Frage ist: „Wo kann ich mein IPhone einstöpseln? “ (Stuttgarter Zeitung, 10.03.2012) <?page no="37"?> 38 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Ähnliche Entwicklungen sind in vielen anderen Branchen zu beobachten, etwa im Maschinenbau (was die Dominanz der Mikroelektronik betrifft, Integration von Maschinenbau, Elektrotechnik und Informationstechnik zu dem Gesamtsystem „Mechatronic“), im Bereich der Bürokommunikation (Weiterentwicklung der Datenverarbeitungstechnik zur Kommunikationstechnik), im Finanzdienstleistungssektor (Aufbau eines Allfinanzangebots und damit Revision der Marktabgrenzung zwischen Bausparkassen, Versicherungen und Banken) sowie in der Kommunikation. Telefon, Fernsehen, Computer und Internet wachsen zusammen, weil sie auf das Gleiche hinauslaufen: Auf Kommunikation. Wie die Beispiele zeigen, entstehen neue Märkte häufig durch die Kombination von Produkten zu einer neuartigen Problemlösung. Diese Beispiele demonstrieren aber auch, dass die zusätzliche Kompetenz gerne über Akquisitionen herbeigeführt wird. Abb. 2-13 zeigt, wie aus dem Zusammenwachsen vormals unverbundener Branchen die neue Megabranche „Multimedia“ entstand. Durch technologischen Fortschritt einerseits und durch Veränderungen im Nachfragerverhalten andererseits wird diese Konvergenz seit Jahren forciert und führt im Multimedia-Sektor zu nach wie vor hohen Wachstumsraten. Mit der zunehmenden Verbreitung der Digitalisierung wird die Technologiekonvergenz in Zukunft noch an Fahrt gewinnen. Mit der Dynamik von Märkten ist die Erkenntnis verbunden, dass Märkte nicht objektiv gegeben, sondern einer unternehmerischen Gestaltung zugänglich sind. Unternehmen schaffen Märkte (z.B. für Wellness), und mit diesem kreativen Vorgang wird die Dynamik der Märkte und damit auch die Verwischung bisheriger Branchengrenzen (bei Wellness zwischen Heilberufen, Gastronomie und Touristik) gefördert. Abb. 2-13: Die Entstehung der Multimedia-Branche Ende der 90er Jahre ARD Unterhaltungselektronik Telekommunikation Computerindustrie (Hard- und Software Medien/ Verlage Inhalteanbieter Multimedia Sony Philips Sega Nintendo IBM Apple Microsoft Novell Bertelsmann Walt Disney Springer, Kirch British Telecom Deutsche Telekom Arcor AT & T MCI/ Worldcom NTT ZDF Cisco Systems Time Warner <?page no="38"?> 2 Umweltanalyse 39 In diesem Zusammenhang ist auf die sog. Blue Ocean Strategy hinzuweisen. Sie wurde von W. Chan Kim und Renée Mauborgne auf der Basis von empirischen Studien entwickelt (W. Chan Kim and Renée Mauborgne: Blue Ocean Strategy, 2005). „Blaue Ozeane sind neue Märkte, die von der bisherigen Konkurrenz unberührt sind und neue Nachfrager auf innovative Weise ansprechen.“ Die deutsche Übersetzung des internationalen Bestsellers bringt die Intention der Arbeit von Kim und Mauborgne so zum Ausdruck: „Der blaue Ozean als Strategie. Wie man neue Märkte schafft, wo es keine Konkurrenz gibt.“ Rote Ozeane sind dagegen gesättigte traditionelle Märkte mit harter Konkurrenz. Als Beispiel für einen blauen Ozean nennen beide Autoren u.a. die amerikanische Kaffeekette Starbucks. Sie bietet den Kunden neben verschiedenen Kaffeesorten in ihren Kaffeehäusern vor allem einen besonderen Lifestyle an und erschließt damit einen neuen Kundenstamm. Dazu Starbucks selbst: „Starbucks war von Anfang an anders als andere Unternehmen. Ein Unternehmen, das nicht nur Kaffee und dessen reiche Tradition zelebriert, sondern das auch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit ermöglicht.“ Ein weiteres Beispiel ist die Neuorientierung von IBM zu einer „fundamentally different company“ (vgl. das Praxisbeispiel in Abschnitt 2.1 ff.). Rückt man den Planungsaspekt der Marktabgrenzung in den Vordergrund, so verlagert sich das Problem hin zur Frage nach der Bildung Strategischer Geschäftsfelder. Sie stellen die Planungseinheiten im Rahmen des strategischen Planungsprozesses und der Portfolioanalyse dar. Diese Problematik wird UTB-Buch „Strategisches Management“ ab S. 146ff. behandelt. 2.3.2.3 Marktattraktivität Die langfristig ausgerichtete strategische Planung benötigt nicht nur Informationen über die Abgrenzung künftiger Märkte, sondern auch über deren Attraktivität. Zur Ermittlung der Marktattraktivität verwenden wir im Folgenden − die Marktanalyse und − die Branchenstrukturanalyse nach Porter. Beide Verfahren setzen sich zur Aufgabe, die Renditen eines Marktes zu prognostizieren. Während die Marktanalyse an den Kriterien zur Charakterisierung eines Marktes ansetzt, geht die Branchenstrukturanalyse nach Porter - der Leitlinie des industrieökonomischen Ansatzes folgend - von der Wettbewerbssituation in einer Branche aus. Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung sollen beide Ansätze separat beschrieben werden, auch wenn sie im Vorgehen und im Ergebnis große Ähnlichkeit aufweisen. Beispiel: Der Mannesmann-Konzern war bis zum Jahre 2000 in verschiedenen Märkten aktiv. Die Zahlen machen deutlich, dass die Rendite auf das eingesetzte Vermögen und demzufolge die Marktattraktivität in diesen vier Märkten recht unterschiedlich war. Für Vodafone war bei der Übernahme letztlich nur „Mobilfunk“ attraktiv. <?page no="39"?> 40 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Mannesmann-Konzern 1998 1997 Engineering (Maschinenbau) 11,3 % 5,0 % Automotive (Automobilzulieferung) 11,7 % 9,2 % Telecommunications, speziell Mobilfunk 67,3 % 53,2 % Tubes (Röhren) 5,8 % 8,9 % 2.3.2.3.1 Marktanalyse Die auf einem Markt erzielbaren Renditen können in Abhängigkeit von folgenden Determinanten gesehen werden: [1] Marktpotenzial Das Marktpotenzial äußert sich in der gegenwärtigen Marktgröße und dem künftigen Marktwachstum. − Die Marktgröße gibt Auskunft über das gegenwärtige Umsatzpotenzial, das ein Markt bietet. So ist bspw. in Deutschland, Österreich und der Schweiz der Markt für betriebswirtschaftliche Lehrbücher groß, jener für sinologische Lehrbücher dagegen klein. − Entscheidend ist die Abschätzung des Marktwachstums, also eine Information darüber, mit welchen Wachstumsraten zu rechnen ist und in welcher Phase des Marktzyklus sich ein Produkt oder eine Branche gegenwärtig und künftig bewegt. Abb. 2-14 liefert Beispiele von Branchen und Produkten, die sich in den vier verschiedenen Marktphasen der Entstehung, des Wachstums, der Stagnation und der Degeneration befinden. Will man eine Branche bzw. ein Produkt einer bestimmten Marktphase in der Zukunft zuordnen, so bietet sich eine Analyse der Ursachen für die Marktdynamik an; z.B. gibt eine Prognose der Geburtenrate Auskunft über die künftigen Märkte für Babynahrung, Kinderbekleidung, Kinderspielzeug und Schulbücher. [1] Marktpotenzial - Marktgröße - Marktwachstum [2] Marktstruktur - Wettbewerber - Lieferanten - Abnehmer [3] Beschaffenheit der Produkte - Homogen - Heterogen <?page no="40"?> 2 Umweltanalyse 41 Entstehung Wachstum Stagnation Degeneration • Mobile Payment • Smart Energy/ Smart Grid • Healthcare: Anwendungen wie Telematics, Telemedicine oder Ambiant Assisted Living • Nano-Technologie • Laser für die Zahnbehandlung • Cloud Computing • E-Payment • Mobilfunk (emerging countries) • IPTV, HD- und 3D-TV • E-Commerce, Online- Dienste • (Verkehrs-)Telematik • Logistik und Logistiksysteme • regenerative Energien (z.B. Solarstrom) • E-Mobilität/ Elektroautos • Life Sciences/ Gesundheitsmarkt • Spezialchemie • Bio-/ Gentechnologie • Biotechnologische Nahrungsmittel • Freizeitindustrie, Tourismus/ Reisen • Mobilfunk (Industrieländer) • Energie (Strom) • Automobil • Maschinenbau • Mineralöl/ Benzin • Finanzdienstleistungen/ Kreditkarten • Haushaltsgeräte • Echtschmuck (Diamanten, Perlen) • Bier • Grundnahrungsmittel • Schokolade • Stahl • Festnetztelefonie • analoge Fotografie und Bildverarbeitung • Kohle • Rüstungsgüter • Spirituosen • Pelzwaren Abb. 2-14: Beispiele von Branchen und Produkten in verschiedenen Marktphasen [2] Marktstruktur Die Marktstruktur lässt sich anhand von drei Elementen kennzeichnen: Den Wettbewerbern, den Lieferanten und den Abnehmern. − Wettbewerber: Die Zahl der Wettbewerber ist abhängig von der Marktform, in der sich ein Unternehmen befindet (vgl. Konkurrentenanalyse in UTB-Buch „Strategisches Management“, S. 125ff.). Es lassen sich grundsätzlich Monopol, Oligopol und Polypol unterscheiden. Diese Marktformen wiederum nehmen Einfluss auf den preispolitischen Spielraum. Bei Monopolen hängt er ausschließlich von der Nachfrageelastizität ab, bei Oligopolen darüber hinaus von der Größenverteilung und dem Verhalten der Wettbewerber. Auf einem Polypolmarkt besteht nur dann ein preispolitischer Spielraum, wenn der Fall des heterogenen Polypols gegeben ist (vgl. Abb. 2-56, S. 190). Anbieter in der Marktform des homogenen Polypols können lediglich ihre Menge einem gegebenen Preis anpassen. Ob diese Märkte stabil oder gefährdet sind, ist abhängig von den sog. Markteintrittsbarrieren. Es gilt der Grundsatz: Je höher die Barrieren, umso stabiler ist eine Marktform. <?page no="41"?> 42 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse − Lieferanten: Auf der Beschaffungsseite ist die Qualität eines Marktes wesentlich bestimmt von der Störanfälligkeit gegenüber Lieferungen, der Verhandlungsstärke der Lieferanten sowie der Entwicklung der Faktorpreise. − Abnehmer: Die Absatzseite nimmt über Zahl und Größe der Abnehmer, die Verhaltensstruktur der Abnehmer (Bindung des Käufers an das Produkt eines Anbieters) und die Preissensitivität Einfluss auf das Renditeniveau eines Marktes. [3] Beschaffenheit der Produkte Eine starke Produkthomogenität führt tendenziell zu einer hohen Markttransparenz und verringert die Rendite, eine niedrige Transparenz aufgrund der Heterogenität der Güter verschafft einen größeren Preisspielraum. Als Beispiel für einen Markt mit geringer Transparenz könnte jener für Lebensversicherungen gelten, für hohe Markttransparenz jener für Heizöl und Telefontarife. 2.3.2.3.2 Branchenstrukturanalyse nach Porter Michael E. Porter, geb. 1947, ist wohl der bekannteste Theoretiker auf dem Felde der Wettbewerbsstrategie. Den Kern der wissenschaftlichen Leistung des an der Harvard Business School in Boston (Massachusetts) lehrenden Professors stellt das im Jahre 1980 erschienene Buch „Competitive Strategy: Techniques for Analyzing Industries and Competitors“ (dt. „Wettbewerbsstrategie“) dar. Im Jahre 1985 folgte der Bestseller „Competitive Advantage: Creating and Sustaining Superior Performance“ (dt. „Wettbewerbsvorteile“). Dem Ansatz der Industrieökonomik (Industrial Organization-Ansatz) folgend, rückt Porter die Struktur der Branche in den Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei geht er von der These aus, dass die Strukturmerkmale einer Branche die Intensität und die Dynamik des Wettbewerbs bestimmen. Von dieser Intensität und Dynamik wiederum ist die Rentabilität einer Branche abhängig (vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“ S. 29ff.). Porter unterscheidet fünf Wettbewerbskräfte, die Einfluss auf die Rentabilität einer Branche und damit auf die Marktattraktivität nehmen. Die Stärke jeder dieser fünf Kräfte wiederum ist abhängig von einer Reihe von Elementen der Branchenstruktur. In Abb. 2-15 ist das Porter´sche Five Forces Model dargestellt. Die einzelnen Wettbewerbskräfte sollen im Folgenden erörtert werden (vgl. dazu Porter [Wettbewerbsstrategie] 33ff.): [1] Verhandlungsstärke der Lieferanten Je intensiver die Verhandlungsstärke der Lieferanten ausgeprägt ist, umso geringer ist der Gewinnspielraum des Abnehmers auf der Einkaufsseite. Die „Lieferantenmacht“ als attraktivitätsmindernde Größe wiederum ist abhängig von einer Vielzahl von Strukturmerkmalen des Beschaffungsmarktes. So ist die Verhandlungsstärke der Lieferanten umso größer, je höher die Konzentration im Beschaffungsbereich vorangeschritten ist und/ oder je geringer die Substitutionsmöglichkeiten in Form von Ersatz-Inputs ausgeprägt sind. Eine große Lieferantenmacht ist bspw. zu <?page no="42"?> 2 Umweltanalyse 43 Abb. 2-15: Wettbewerbskräfte einer Branche nach Porter ([Wettbewerbsstrategie] 34) erwarten, wenn einer großen Zahl relativ kleiner Abnehmer eine geringe Zahl von Lieferanten gegenübersteht, deren Produkte wichtige Inputs für die Abnehmerbranche darstellen und deren Ersatz hohe Umstellungskosten (switching costs) bei den Abnehmern verursachen würden. [2] Bedrohung durch neue Anbieter Die Bedrohung durch neue Anbieter hängt nach Porter von den Markteintrittsbarrieren für „Newcomer“ ab. Zu denken ist etwa an Billigfluglinien (Ryanair, Easyjet), die in einen von den etablierten Airlines dominierten Markt eindringen wollen. Die Höhe der Markteintrittsbarrieren wird generell bestimmt von − Economies of scale: Neue Anbieter müssen sich erst den Fixkostendegressionseffekt „erarbeiten“, da sie i.d.R. mit geringen Stückzahlen „einsteigen“ müssen (vgl. Abb. 2-16). Dieselbe Wirkung erzielt der Erfahrungskurveneffekt (vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“ S. 138ff.). − unternehmenseigenen Produktunterschieden (Produktdifferenzierung): Die Produkte der etablierten Unternehmen sind bereits im Markt eingeführt. Beispiel: Aspirin von Bayer. − Markenidentität und Käuferloyalität: Die Präferenz für eine etablierte Marke lässt sich nur schwer korrigieren. Beispiel: Raucher wechseln nur langfristig ihre Marke, auch Autofahrer zeichnen sich durch eine hohe Markentreue aus. Abnehmer Lieferanten Neue Anbieter Ersatzprodukte Wettbewerber der Branche Intensität der Rivalität Bedrohung durch Ersatzprodukte Bedrohung durch neue Anbieter Verhandlungsstärke der Lieferanten Verhandlungsstärke der Abnehmer <?page no="43"?> 44 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Abb. 2-16: Fixkostendegressionseffekt − Kapitalbedarf: Die Überwindung der Markteintrittsbarrieren verursacht häufig hohe Investitionen für Forschung und Entwicklung und für Produktionsanlagen. − Umstellungskosten: Kosten des Produktwechsels (switching costs) behindern die Bereitschaft des Abnehmers zur Umstellung. Beispiele: Wechsel einer Haftpflichtversicherung (Verlust von Rabatten), Wechsel der Bankverbindung (Aufwand für Information der Kunden, Umstellung der Daueraufträge etc.), Wechsel aus Microsoft Windowszu Apple-Betriebsbzw. -Eco-System und umgekehrt (Mangel an Kompatibilität von Anwendungs-Software, Barrieren bei Transfer von medialen Inhalten wie Musik und persönlichen Daten wie dem Adressbuch). − Distributionszugängen: Neue Anbieter müssen ein eigenes Vertriebssystem aufbauen, wenn die etablierten Wettbewerber die bestehenden Kanäle besetzt haben (z.B. durch vertragliche Bindungen). Dabei sind häufig hohe Anfangsinvestitionen erforderlich, so etwa, wenn heute bei Versicherungen ein laptopgestütztes Vertriebssystem praktiziert wird. − vertraglichen Bindungen der Abnehmer (z.B. Strom- und Mobilfunkmarkt). − staatlicher Regulierung: Der Staat kann den Marktzutritt fördern (z.B. durch Hilfen für Existenzgründungen) oder hemmen (z.B. durch Niederlassungsvorschriften, Staatsmonopole, Reinheitsgebot für deutsches Bier). Im Zuge der Schaffung des europäischen Binnenmarktes ist eine Vielzahl von nationalen Marktzutrittsbarrieren innerhalb Europas abgeschafft worden. Gegenüber dem außereuropäischen Ausland ist jedoch eher ein Ausbau der Barrieren zu beobachten. Ein Beispiel von Deregulierung innerhalb Deutschlands ist die Liberalisierung des Strommarktes und damit die Beseitigung der Gebietsmonopole von Versorgungsunternehmen. Neben dem Aufbau von Markteintrittsbarrieren können neue Wettbewerber auch durch direkte Reaktionen i.S. von Vergeltungsmaßnahmen vom Marktzutritt abgehalten werden. Bereits das Signalisieren der Bereitschaft zu solchen Maßnahmen, bspw. durch die Bereitstellung umfangreicher finanzieller Mittel oder durch die Drohung mit einem Eindringen in den Markt des neuen Wettbewerbers, kann den Marktzutritt verhindern. Durchschnittliche Fixkosten Ausbringungsmenge <?page no="44"?> 2 Umweltanalyse 45 [3] Verhandlungsstärke der Abnehmer Eine große Verhandlungsmacht der Abnehmer reduziert die Rentabilität und damit die Attraktivität eines Marktes. Bestimmungsgrößen der Verhandlungsstärke der Abnehmer: − Abnehmerkonzentration: Die Verhandlungsmacht ist u.a. dann als hoch einzustufen, wenn die Abnehmerkonzentration und das Abnahmevolumen einzelner Abnehmer hoch sind. Das Verhältnis von Automobilherstellern zu ihren Zulieferern ist im Wesentlichen durch eine solche Konstellation gekennzeichnet. Absatzeinbrüche der Automobilindustrie treffen solche Zulieferer besonders hart, die ihren Umsatz ausschließlich oder überwiegend im Direktgeschäft mit den großen Herstellern erzielten. Ähnlich ist die Situation im Bereich der Rüstungsindustrie. Wege aus dieser Abhängigkeit sind die Abnehmerauswahl (Streuung) und Maßnahmen der Absatzpolitik (z.B. Diversifikation des Programms, Differenzierung der Produkte). − Fähigkeit zur Rückwärtsintegration: Die Verhandlungsstärke der Abnehmer ist dann groß, wenn der Abnehmer durch eine Drohung mit der Integration der Zulieferprodukte den Lieferanten unter Druck setzen kann. Auch hier kann auf die Automobilindustrie als Beispiel verwiesen werden. [4] Bedrohung durch Ersatzprodukte Die Bedrohung durch Ersatzprodukte (etwa Flugreisen durch Bahnreisen) ist umso größer, je stärker sich deren Preis-/ Leistungsverhältnis im Vergleich zu den Branchenproduzenten verbessert und je größer die Neigung der Abnehmer zum Produktwechsel ist. Die Abwehr von Substituten kann einmal durch gemeinsame Strategien der etablierten Wettbewerber wie Werbekampagnen, Besetzen von Vertriebswegen oder Schaffung eines einheitlichen Produktstandards (kollektives Handeln) oder durch individuelles Handeln einzelner Wettbewerber (Produktpolitik, Preispolitik, Werbung) erfolgen. Die frühe Erkennung derartiger Bedrohungen ist eine entscheidende Voraussetzung für eine effiziente Reaktion (vgl. die Darstellung der Früherkennungssysteme in UTB-Buch „Strategisches Management“, S. 300ff.). [5] Die Rivalität der Wettbewerber einer Branche Die Intensität des Wettbewerbsverhaltens der etablierten Unternehmen ist von einer Reihe von Determinanten abhängig. Die wichtigsten seien genannt (vgl. Porter [Wettbewerbsstrategie] 50ff.): − Kapazitätsauslastung: Bei Unterauslastung der Kapazität ist i.d.R. eine hohe Wettbewerbsintensität zu erwarten. − Differenzierungsgrad der Produkte: Je heterogener die Produkte der einzelnen Anbieter, umso geringer ist der Grad der Interdependenz im Einsatz der absatzpolitischen Instrumente und damit der Grad der Wettbewerbsintensität. − Umstellungskosten: Fallen für den Abnehmer beim Lieferantenwechsel nur relativ geringe Kosten für Umschulungen, neue Zusatzgeräte o.ä. an, so wird der Wettbewerb tendenziell intensiver. Ist es dagegen einem Unternehmen ge- <?page no="45"?> 46 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse lungen, bei seinen Kunden im Falle eines Wechsels relativ hohe Kosten für die Umstellung auf das Konkurrenzprodukt zu verursachen, so schafft dies „'Isolierschichten' gegen den Wettbewerbskrieg“ (Porter [Wettbewerbsstrategie] 52). − Marktaustrittsbarrieren: Sind die Marktaustrittsbarrieren hoch, so ist der Wettbewerb zwischen den etablierten Unternehmen intensiv, da ein Verbleiben im Markt erzwungen wird. Marktaustrittsbarrieren sind ökonomische und emotionale Faktoren, die ein Unternehmen zum Verbleib in einem Markt veranlassen. Ökonomische Faktoren sind u.a. Personalkosten (z.B. Sozialplan mit Abfindungen für entlassene Mitarbeiter), Wertverluste bei den Anlagen (besonders bei hoch spezialisierten Aktiva, wie jenen einer Brauerei). Emotionale Faktoren sind u.a. traditionelle Bindungen an das Unternehmen („Familienerbe“), Imageverlust, Angst vor dem Stigma des Versagers. Vgl. auch Desinvestitionsbarrieren in UTB-Buch „Strategisches Management“, S. 185. − Branchenkultur: Es gibt traditionell Branchen, in denen ein besonders harter Umgang miteinander an der Tagesordnung ist (etwa im Handel), und solche, bei denen das Konkurrenzdenken noch nicht sonderlich ausgeprägt ist (etwa bei beratenden Berufen wie Unternehmensberatern und Steuerberatern). Wenngleich das Konzept der Branchenstrukturanalyse (Five Forces Model) von Porter bereits in den achtziger Jahren entstanden ist, ist es bis heute eines der zentralen Analyse- und Gestaltungsmodelle des Strategischen Managements und hat nichts von seiner Bedeutung für die Praxis verloren. In einer Zeit, in der technologische Entwicklungen - allen voran das Internet - dazu beitragen, dass sich die Strukturen und Grenzen von Branchen und Märkten in hoher Geschwindigkeit und teilweise radikal verändern (vgl. dazu die Beispiele „IBM und die Veränderung von Industriestrukturen“ in Abschnitt 2.1 sowie das Beispiel zum Buchhandel in Abschnitt 2.4) ist es jedoch wichtig, derart fundamentale Entwicklungen wie die Veränderung der industriellen Landschaften explizit bei der Anwendung des Modells mit zu berücksichtigen. Vgl. dazu auch die Ausführungen in diesem Buch zu den strategischen Implikationen neuerer Strategieansätze wie der „Business Eco-System-Perspektive“ und der „Blue Ocean Strategy“ nach Kim/ Mauborgne, die sich explizit mit den Chancen der aktiven Gestaltung von Markt- und Industriestrukturen auseinandersetzen (vgl. einführende Beispiele in UTB-Buch „Strategisches Management“ zu Teil 2, S. 50ff. und in Abschnitt 2.1). 2.3.3 Weitere Unternehmensumwelt Beispiel aus der Unternehmenspraxis Liberalisierung und (De-)Regulierung verändern die Telekommunikationsmärkte In Deutschland waren vor 1989 der Betrieb von Telekommunikationsnetzen und die Bereitstellung entsprechender Dienste wie Telefon, Fax, Telegramm oder Btx Gegenstand eines Monopols, das von der Deutschen Bundespost ausgeübt wurde. Seither wurde stufenweise der Markt für private Anbieter ge- <?page no="46"?> 2 Umweltanalyse 47 öffnet: Zunächst für Text- und Datenübermittlungsdienste, dann für Endgeräte und Mobilfunk und zuletzt auch für den gesamten Betrieb von Übertragungswegen einschließlich des öffentlichen Sprachtelefondienstes im Festnetz. Diese Veränderungen in der rechtlich-politischen Umwelt haben in Deutschland - wie in anderen europäischen Ländern - eine neue Wettbewerbslandschaft geschaffen und die Wettbewerbsbedingungen für die Deutsche Telekom als eines der Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost verändert. Die Telekom konkurriert heute in ihren verschiedenen Geschäftsfeldern in Deutschland mit einer großen Zahl hinsichtlich ihrer Zielsetzung und ihres strategischen Ansatzes heterogener Wettbewerbergruppen: Integrierte Anbieter von Festnetz- und Mobilfunkdiensten mit eigener Infrastruktur (z.B. Vodafone, Telefonica) Festnetzanbieter mit eigener Infrastruktur (z.B. Kabelgesellschaften, Net- Cologne) Reseller für Festnetz- und Mobilfunk ohne eigene Infrastruktur (z.B. 1&1, Debitel) Globale IP-Serviceanbieter (z.B. Google, Apple, Microsoft), Weltweite System-Häuser und Komplettanbieter B2B (z.B. IBM, Siemens Business Services, Unisys, Sema). 2.3.3.1 Indikatorenanalyse Es gibt naturgemäß eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Analysefelder der weiteren Unternehmensumwelt zu klassifizieren. Dunst ([Portfolio-Management] 21ff.) unterscheidet: Ökonomische, technische, politisch-rechtliche und sozio-kulturelle Umwelt. Steinmann/ Schreyögg ([Management] 160ff.) analysieren fünf Umweltsegmente: Makro-ökonomische Umwelt, technologische Umwelt, politisch-rechtliche Umwelt, sozio-kulturelle Umwelt und natürliche Umwelt. In Anlehnung an diese verschiedenen Klassifikationen unterscheiden wir fünf Segmente der weiteren Unternehmensumwelt: − Gesamtwirtschaft, − Bevölkerung, − Technologie, − Politik, − Gesellschaft. Da die strategische Planung weit in die Zukunft gerichtet ist, interessiert bei den genannten Umweltsektoren weniger der gegenwärtige Stand als vielmehr die künftige Entwicklung. Dabei müssen zwei Fragen behandelt werden: [1] Welche Indikatoren bilden die Entwicklung gut ab? [2] Wie kann die Veränderung der Indikatoren prognostiziert werden? Bei der Frage nach der Auswahl der Indikatoren ist zu beachten, dass nicht nur leicht messbare hard facts (wie etwa das Bruttoinlandsprodukt), sondern vor allem <?page no="47"?> 48 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse auch soft facts (wie etwa die Veränderung des ökologischen Bewusstseins) zu erfassen sind. Mit dem Thema der Erfassung und Messung des Wertewandels mit Hilfe von Indikatoren werden wir uns im Zusammenhang mit der Früherkennung von Umweltveränderungen befassen (vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“ Teil 4, S. 300ff.). In Abb. 2-17 sind zur Illustration der Problematik einzelne Trends in der Entwicklung der fünf Umweltsegmente sowie Indikatoren zu deren Messung aufgeführt. Umweltsegment Indikatoren [1] Gesamtwirtschaftliche Entwicklungen Trends: Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zeichnet sich derzeit durch ein stetiges Wachstum auf geringem Niveau aus. Die Arbeitslosigkeit sinkt nur leicht und wird zu einem Dauerproblem. a) Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) b) Entwicklung des Geldwertes c) Entwicklung der Zahlungsbilanz und des Wechselkurses d) Arbeitslosenzahlen [2] Demographische Entwicklungen Trends: Das Durchschnittsalter der Deutschen betrug 1965 = 35 Jahre, 1985 = 39 Jahre und 2011 = 44 Jahre. Es entstehen zwei neue Zielgruppen: junge Doppelverdiener und vermögende Etablierte ohne Kinder zwischen 40 und 60 Jahren. a) Geburtenrate b) Entwicklung der Altersstruktur c) Regionale Mobilität d) Zunahme der Singlehaushalte (bereits 50 % in einzelnen Ballungsgebieten) [3] Technologische Entwicklungen Trends: Produktlebenszyklen verkürzen sich laufend bei steigenden Entwicklungszeiten. Prozessinnovationen sind auf die Schaffung integrierter, vernetzter und flexibler Fertigungsstrukturen ausgerichtet. a) Produktinnovationen b) Prozessinnovationen c) Ausgaben für F&E d) Patentanmeldungen [4] Veränderungen im politischen Umfeld Trends: Staat und Staatenbündnisse greifen in das Wirtschaftsgeschehen ein (z.B. Verpackungssteuern, Abgasverordnungen, Dosenpfand, Bekämpfung der Bankenkrise in den Jahren 2009-2012), politische Veränderungen (z.B. europäische Integration, wachsende Bedeutung Chinas) beeinflussen die Entwicklung von Märkten. a) Verschiebungen im Parteiengefüge (z.B. Erstarken der „Piraten“ in Deutschland) b) Regierungswechsel (z.B. Grün-Rot in Baden-Württemberg) c) Gesetzesinitiativen und gesetzliche Änderungen d) Deregulierung im Rahmen des europäischen Marktes e) Veränderungen von Wochenbzw. Lebensarbeitszeiten f) Zwischenstaatliche Abkommen (EU, GATT/ WTO) <?page no="48"?> 2 Umweltanalyse 49 [5] Veränderungen im gesellschaftlichen Umfeld (Wertewandel) Trends: Nachdem der Umweltschutz in den 80er und 90er Jahren zum Hauptanliegen der Deutschen wurde, hat er sich inzwischen als Grundwert etabliert, wird derzeit aber von Zielen wie ‘Sicherung des Arbeitsplatzes’ dominiert. Es findet auf der einen Seite eine zunehmende Individualisierung mit einer Tendenz zum selektiven Luxus (‘der feine Unterschied’) statt, auf der anderen Seite macht sich eine „Geiz ist geil“-Mentalität breit. a) Entstehung von Bürgerinitiativen (z.B. „Stuttgart 21“) b) Änderungen in der Einstellung zur Arbeit und Freizeit (Freizeitmobilität und Freizeitverhalten) c) Ökologisches Bewusstsein und Handeln d) Abkehr von materiellen Werten hin zur Pflege des persönlich-privaten Lebensbereiches wie Ehe, Familie, Freizeit, Gesundheit, persönliche Unabhängigkeit Abb. 2-17: Segmente und Indikatoren der weiteren Unternehmensumwelt Die beispielhaft genannten Indikatoren der weiteren Unternehmensumwelt sind nicht unabhängig voneinander zu sehen, sondern sie beeinflussen sich teilweise gegenseitig. So dürfte bspw. die Veränderung der Alterspyramide auf den Wertewandel in einer Gesellschaft Einfluss nehmen oder eine politische Veränderung die gesamtwirtschaftliche Entwicklung fördern oder hemmen. 2.3.3.2 Stakeholder-Ansatz Eine umfassende und gleichzeitig intensive und offensive Berücksichtigung der Unternehmensumwelt geht vom sog. Stakeholder-Ansatz aus. Sein Hauptvertreter ist E.R. Freeman mit seinem Werk „Strategic Management. A Stakeholder Approach“ von 1984. Als Stakeholder (stake = ein mit Risiko verbundener Einsatz) können Bezugsgruppen, Interessengruppen, Anspruchsgruppen bezeichnet werden, die von der Unternehmung betroffen sind. Sie verfolgen deshalb ein gewisses Interesse gegenüber dem Unternehmen (Göbel [Verantwortung] 140ff.). Mit dem weiten Begriff des Betroffenseins wird die Unternehmung nicht ausschließlich als eine Einrichtung und damit als Instrument zur Erzielung von Gewinn für den Kapitalgeber (Stockholder) gesehen, sondern als eine Institution, die einer Vielzahl verschiedener Interessen gegenübersteht, denen auch zu entsprechen ist. Die BASF bezeichnet als Stakeholder „Personen oder Gruppen, deren Interessen mit denen eines Unternehmens auf vielfältige Art verbunden sind. Zu unseren Stakeholdern gehören Aktionäre, Geschäftspartner, Mitarbeiter, Nachbarn und Gesellschaft sowie die Umwelt.“ Der Stakeholder-Ansatz wird daher auch als Anspruchsgruppen-Ansatz bezeichnet. Darin besteht der Unterschied zum klassischen Ansatz der Mikroökonomik (vgl. Abschnitt 2.2), bei dem der Unternehmer als Funktionär des Marktmecha- <?page no="49"?> 50 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse nismus interpretiert wird. Die Akteure in der Umwelt sind beim mikroökonomischen Ansatz die Lieferanten, die Abnehmer, die Arbeitnehmer, die Kapitalgeber und die Konkurrenten. Eine derartige Eingrenzung findet aber beim Stakeholder- Ansatz nicht statt. Es gilt vielmehr, das Feld für die Umweltanalyse gerade so weit abzustecken, dass eine Verbindung zur Unternehmung hergestellt werden kann, dass aber auf der anderen Seite die Wahrnehmung nicht zu stark auf die bekannten, rein marktmäßigen Beziehungen eingeengt wird. Die Umweltanalyse im Rahmen des Stakeholder-Ansatzes läuft in folgenden vier Schritten ab: [1] Scanning: Identifikation von Anspruchsgruppen Die Umwelt wird abgetastet, d.h. von einem breiten und unvoreingenommenen Blickwinkel aus betrachtet. Das Ergebnis stellt sich in Form einer Stakeholder- Landkarte dar (vgl. Freeman [Management] 56). So würde bspw. eine solche Landkarte (Stakeholder Map) einer Zigarettenfirma u.a. aus Ärzten, Krankenkassen, Tabakanbauern, Arbeitnehmern, Vertretern der Werbewirtschaft, Nichtrauchergruppierungen und Anteilseignern bestehen (vgl. Göbel [Stakeholderansatz] 61). [2] Monitoring: Identifikation von relevanten Trends Es werden solche Umweltveränderungen ausfindig gemacht, die für das Unternehmen bedeutsam sind und deren Entwicklung prognostiziert werden kann. Dabei geht es vor allem um die Erfassung der Ziele, Argumente und Instrumente der einzelnen identifizierten Anspruchsgruppen. [3] Forecasting: Prognose von Richtung, Ausmaß und Intensität von Umweltveränderungen Es findet insbesondere eine Erforschung von Bedrohungspotenzialen statt. Geeignete Techniken sind u.a. die Trendanalyse, die Szenario-Analyse und die Expertenbefragung (z.B. durch die Delphi-Methode). [4] Assessment: Bewertung der Ergebnisse von Scanning, Monitoring und Forecasting Es soll herausgefunden werden, ob und in welcher Weise die Ergebnisse der Stakeholder-Analyse Bedrohungen oder Chancen für das Unternehmen darstellen und wie ihnen zu begegnen ist. Damit beginnt die Suche nach Strategien. Ein Grundproblem des Stakeholder-Ansatzes ist in der Abgrenzung der Stakeholder zu sehen. Wird sie sehr eng vorgenommen, so wird das Früherkennungspotenzial reduziert; bei einer weiten Interpretation besteht die Gefahr der Überinformation (vgl. Früherkennungssysteme in UTB-Buch „Strategisches Management“, S. 300ff.). Auch ist die Frage der Implementierung nicht zu übersehen. Sie ist ein Problem der Organisation sowie des Ergreifens von personalpolitischen Maßnahmen wie Schulung, Schaffung von Anreizsystemen und Partizipation der Betroffenen. Wie die Darlegung gezeigt hat, führt der Stakeholder-Ansatz nicht zu einer prinzipiell neuartigen Vorgehensweise bei der Umweltanalyse; der Unterschied ist lediglich <?page no="50"?> 2 Umweltanalyse 51 gradueller Natur. Die besondere Bedeutung des Stakeholder-Ansatzes ist in seinem Früherkennungspotenzial zu sehen: Es findet automatisch eine ungerichtete und umfassende Suche nach Schwachen Signalen statt. Auch potenzielle Anliegen von solchen Gruppen, die mit der Unternehmung nur in einer indirekten Beziehung stehen, werden untersucht. Der Stakeholder-Ansatz hat damit einen stark antizipativen Charakter. Er fördert insofern das strategische Denken. Zum Konzept der Schwachen Signale vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“, S. 305ff. 2.4 Identifikation von Chancen und Risiken als Ergebnis der Umweltanalyse Beispiel MAN Gruppe (Geschäftsbericht 2010) „Unternehmerisches Handeln ist ständig Risiken ausgesetzt. Die MAN Gruppe definiert Risiken als die Gefahr, dass Ergebnisse oder Entscheidungen und Handlungen das Unternehmen daran hindern, definierte Ziele zu erreichen bzw. Strategien erfolgreich zu realisieren. Um Chancen auf den Märkten zu nutzen, geht das Unternehmen bewusst Risiken ein, wenn dadurch ein angemessener Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswerts erwartet wird. Dazu ist ein wirksames, auf die Belange der Geschäftsaktivitäten ausgerichtetes Risikomanagementsystem erforderlich. Das Risikomanagementsystem der MAN Gruppe ist ein untrennbarer Bestandteil der Unternehmenssteuerung und der Geschäftsprozesse. Die strategische Unternehmensplanung, das interne Berichtswesen, das interne Kontrollsystem und das Compliance-System bilden die Kernelemente des Risikomanagementsystems.“ Jede Unternehmung ist von einer Umwelt umgeben, die ihr Chancen bietet, aus der aber auch Risiken zu erwarten sind. In der Regel nimmt mit dem Umfang der Chance aus einer Strategie auch die Höhe des Risikos zu und umgekehrt. Es macht also wenig Sinn, Strategien ausschließlich auf die Vermeidung von Risiken auszurichten. Dazu Josef Ackermann auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank am 31.05.2012: „Wer jedes Risiko vermeidet, hat bald kein Risiko mehr zu vermeiden.“ In der Unternehmenspraxis wird dem Risiko besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In der Abb. 2-18 sind verschiedene Arten von Risiken zusammengestellt. Die Gesamtheit der Maßnahmen zur Handhabung der Risiken wird als Risikomanagement bezeichnet. Zwei Aspekte eines Risikomanagements sind zu beachten: Der Risikomanagementprozess und die Einbettung des Risikomanagements in den Strategischen Fit. [1] Der Risikomanagementprozess umfasst vier Teilprozesse (vgl. Abb. 2-19): − Die Risikoidentifikation, − die Risikoquantifizierung, − die Risikobewertung und − die Risikogestaltung und -überwachung. <?page no="51"?> 52 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Merkmal Ausprägungen Entscheidungsebene Strategische und operative Risiken (korrespondierend mit eher langfristigen und eher kurzfristigen Zielen und Entscheidungen) Unternehmensbereiche F&E-, Beschaffungs-, Produktions-, Absatz-, Personal-, Finanz-, Unternehmensführungsrisiken Risikobereiche Markt-, Kredit-, Liquiditäts-, Betriebs-, rechtliche und sonstige Risiken Faktoren Arbeits-, Personal-, Betriebsmittel-, Werkstoff-, Kapitalrisiken Risikoursachen Innerbetriebliche/ endogene, außerbetriebliche/ exogene Risiken Umweltbezug Risiken aus der technischen, sozio-kulturellen, politischen, allgemeinen außen- und binnenwirtschaftlichen Umwelt Entscheidungsbezug Aktionsrisiken (durch Entscheidungen des Unternehmens), Bedingungsrisiken (durch Änderungen der Rahmenbedingungen) Messbarkeit Messbare und nicht messbare Risiken Beeinflussbarkeit Beeinflussbare und nicht beeinflussbare Risiken Abb. 2-18: Klassifizierungsmöglichkeiten für Risiken (Quelle: Falkinger [Risikomanagement] 36f.) Abb. 2-19: Aufbau des Risikomanagements Planung und Kontrolle Unternehmenskultur Information Organisation Risikoidentifikation Risikoquantifizierung Risikobewertung Risikogestaltung und -überwachung <?page no="52"?> 2 Umweltanalyse 53 [a] Die Risikoidentifikation hat die Aufgabe, die Risiken in verschiedenen Beobachtungsfeldern (frühzeitig) zu ermitteln. Als Instrumente kommen dafür u.a. in Frage: − Prognosen auf der Basis von Befragungen (vgl. UTB-Buch „Strategisches Management“ S. 290) − Szenario-Analyse (ebd. S. 295) − Früherkennungssysteme (ebd. S. 300ff.) − Konzept der Schwachen Signale (ebd. S. 305ff.) [b] Die Quantifizierung des Risikos befasst sich mit der Frage, wie Veränderungen von risikobehafteten Einflussgrößen auf das Ergebnis wirken können. Im Rahmen der Sensitivitätsanalyse kann diese Frage mit Hilfe einer What-If- Analyse beantwortet werden. [c] Mit der Risikobewertung findet eine Einschätzung der Bedeutung des durch die Quantifizierung ermittelten Risikoausmaßes für das Unternehmen statt. Das Ergebnis fällt in Abhängigkeit von der Risikopräferenz des Planungsträgers aus. Dieselbe Standardabweichung kann von einem risikofreudigen Planungsträger als positiv, von einem risikoaversen als negativ gewertet werden (vgl. Ocker [Risikoanalyse]). [d] Mit der Identifikation, der Quantifizierung und der Bewertung des Risikos erhält das Unternehmen relevante Informationen für den Umgang mit Risiken, die im Prozess der Risikogestaltung und -überwachung im Vordergrund stehen. Zu nennen sind etwa Maßnahmen der Risikovermeidung und der Risikostreuung (Diversifikation). Diese Prozesse des Risikomanagements dürfen nicht isoliert gesehen werden, sondern sind in ihren Interdependenzen zu betrachten. So liefert z.B. die Risikobewertung nicht nur Hinweise für die Gestaltung und Überwachung großer Risiken, sondern aus den Erkenntnissen der Risikogestaltung lassen sich auch Anhaltspunkte für das Ausmaß und damit die Bewertung des Risikos gewinnen. [2] Die Prozesse des Risikomanagements lassen sich in ihrer Gesamtheit nur dann zielgerecht gestalten, wenn sie in eine effiziente Organisation einbezogen sind. Diese wiederum muss durch eine entsprechende Unternehmenskultur, ein risikoorientiertes Planungs- und Kontrollsystem sowie durch ein effizientes Informationssystem ergänzt werden. Kurzum: Die Prozesse des Risikomanagements sind nicht nur untereinander abzustimmen (Intra-Prozess-Fit), sondern auch mit den Führungssubsystemen des Strategischen Managements (Strategischer Fit) (vgl. Falkinger [Risikomanagement]). Ein Beispiel für Risiken, aber auch Chancen, bietet folgender Blick auf den Buchhandel: Der klassische Buchhandel sah sich Ende der 90er Jahre zunächst einer neuen Konkurrenz gegenüber, dem Online-Buchhandel. Rasante Fortschritte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie, die Verbreitung des <?page no="53"?> 54 Strategische Zielbildung und Umweltanalyse Internets und entsprechender Endgeräte bescherten den Online-Buchhändlern hohe Wachstumsraten. Das frühzeitige Erkennen der Entwicklungen in der Unternehmensumwelt eröffnete Amazon die Chance zum Weltmarktführer (vgl. dazu das Beispiel Amazon in UTB-Buch „Strategisches Management“ auf S. 266f.). Der klassische Buchhandel antwortet auf dieses Risiko mit Ausbau von Service- und Beratungsleistungen einerseits sowie durch Maßnahmen zur Nutzung von economies of scale andererseits (Konzentrationsprozess in der Branche). Nun steht der Buchhandel vor einem noch radikaleren Wandel: E-Book heißt das neue Zauberwort. Neue Lesegeräte wie Amazon’s Kindle/ Kindle Fire oder Tablet PCs wie das iPad bringen den Absatz der E-Books stark voran. In den USA sind die E-Books längst im Massenmarkt angekommen, 2011 lag deren Anteil am gesamten Buchmarkt bereits über 30%. Sie werden die Bedeutung des klassischen Buchhandels weiter reduzieren, denn sie bieten gleich für eine Reihe von Marktteilnehmern große Chancen: Online- Buchhändler wie Amazon senken Versandkosten und können Hardware- Umsätze verbuchen, Hardwarehersteller wie Apple steigern die Umsätze für ihre Geräte und binden die Kunden immer fester in ihr Eco-System ein, die Deutsche Telekom betreibt mit Pageplace.de einen Online-Kiosk für Bücher und Zeitschriften und hat ebenfalls Zusatzumsätze und die Bindung der Kunden im Blick. Verlage und Autoren nutzen die Chance zum Direktvertrieb ihrer Titel und umgehen teilweise den Handel. So planen die deutschen Schulbuchverlage derzeit eine gemeinsame Plattform zum Vertrieb digitaler Schulbücher an Schulen und Endverbraucher, da man sich nicht exklusiv an bestehende Plattformen wie iTunes von Apple binden möchte. Und schließlich bietet das E-Book für den Leser verschiedene Vorteile, z.B. entlastet es auch Schulranzen und Reisegepäck. Dieses Beispiel zeigt, wie Umweltveränderungen - in diesem Fall technologischer Art - nicht nur Chancen und Risiken für bestehende Akteure der Branche mit sich bringen, sondern auch ganz neue Akteure „ins Spiel“ bringen. Hier verändern sich nicht nur die Struktur einer gesamten Branche und die Rollen von Autoren, Verlagen und Händlern sowie ihre Wertschöpfungsanteile. Hier verschieben sich die Grenzen einer gesamten Industrie bzw. eines Marktes (vgl. dazu auch Abschnitt 2.3.2.2). Die Fragen, die sich aufdrängen, lauten: Wann ist eine Umweltveränderung als Chance und wann als Bedrohung zu werten? Wie kann man und wie soll man auf Chancen und Risiken, die die Umwelt bietet, reagieren? Die Antwort hängt davon ab, welche Potenziale einem Unternehmen zur Verfügung stehen. <?page no="54"?> Literaturverzeichnis Abell, D.F.: [Defining] the Business: The Starting Point of Strategic Planning. Englewood Cliffs 1980. Abell, D.F. u. J.S. Hammond: [Strategic] Market Planning. Englewood Cliffs 1979. Adam, D.: [Produktions Management]. 9. A., Wiesbaden 1998. Aiken, M. u. J. Hage: Organizational [Alientation]: A Comparative Analysis. In: American Sociological Review, Vol. 33 (1968), S. 497-507. Alchian, A.A.: Some [Economics] of Property. Santa Monica, CA., 1961. Al-Laham, A.: Strategieprozesse in deutschen Unternehmen. Wiesbaden 1997. Albach, H.: Strategische [Unternehmensplanung] bei erhöhter Unsicherheit. In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 48. Jg. (1979), S. 703-715. 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Darmstadt l984. <?page no="72"?> Stichwortverzeichnis Aufbauorganisation 25 Balanced Scorecard 20 cash flow 16 Compliance 12 Corporate Governance 23 Corporate Social Responsibility (CSR) 12 Discounted Cash Flow-Methode 21 EBITDA 19 Economic Value Added 22 economies of scale 43 Effektivität 12 Effizienz 12 Entscheidungsfunktion 8 Funktionsbereichsziele 14 Geschäftsbereichsziele 13 Industrieökonomik 42 Informationsfunktion 9 Jahresüberschuss 15 Kapazitätsauslastung 45 Kapitalbedarf 44 Kennzahlen 14 Kennzahlensysteme 13 Kontrollfunktion 9 Koordinationsfunktion 9 Legitimationsfunktion 9 Liquidität 18 Market Value Added 22 Marktabgrenzung 36 Marktattraktivität 39 Markteintrittsbarrieren 43 Marktentwicklung 37 Marktpotenzial 40 Marktstruktur 41 Motivationsfunktion 9 Nonprofit-Organisationen 26 Performance Measurement 9 Quersubventionierung 25 Restrukturierung 26 Return on Investment 16 Risikobewertung 53 Risikomanagement 51 RoI 16 Segmentberichterstattung 23 Segmente 47 Stakeholder-Ansatz 33, 49 Stakeholder-Dialog 31 Stock Options 24 Unternehmensleitbilder 12 Unternehmensziele 12 Verantwortung 8 Verhaltensrichtlinien 12 Vision 10 Wertschöpfungsstufen 29 Zielauflösung 13 Zielbildung 7 Zielhierarchie 9