»Es war noch einmal ein Traum von einem Leben«
Schicksale jüdischer Landwirte am Bodensee 1930-1960. Mit einem Beitrag von Christoph Knüppel
0916
2015
978-3-8649-6862-4
978-3-8676-4630-7
UVK Verlag
Manfred Bosch
Oswald Burger
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezeichnete der Soziologe Werner Sombart die Juden als Motoren des Fortschritts. Ihr herausragender Anteil an der Modernisierung der Gesellschaft, der die Wirtschaft und den Handel ebenso betraf wie die geistigen und intellektuellen Leistungen in Forschung, Presse oder Kunst, war offenkundig und begünstigte antisemitische Stereotypen.
Gegenüber den geistigen und intellektuellen Tätigkeitsfeldern waren Juden in traditionellen Berufsfeldern wie Handwerk, Gärtnerei oder Landwirtschaft nur marginal repräsentiert - am ehesten gingen die Begriffe >>Jude<< und >>Landwirtschaft<< noch in der Figur des Viehhändlers zusammen. Dennoch gab es jenseits des Landjudentums, das aufgrund von Emanzipation und Stadtflucht ständig an Bedeutung verlor, Juden, die sich für eine landwirtschaftliche Existenzweise entschieden. Was ihre Motive waren, wie sie die Bedrohung des Nationalsozialismus erlebten und welches ihre Schicksale waren, zeigt der vorliegende Band - belegt an einem knappen Dutzend höchst unterschiedlicher Beispiele im Bereich des nördlichen Bodensees - auf.
Die meisten Porträtierten kamen aus großen Städten an den Bodensee. Ihrer müde oder überdrüssig, waren sie auf der Suche nach einer anderen Lebensweise oder sie wurden durch die politische Entwicklung der frühen 30er Jahre aus ihrer Lebensbahn geworfen und erwarteten sich von der Abgeschiedenheit dieser Landschaft den relativen Schutz grenznaher Regionen. In neun Kapiteln stellen die Autoren jüdische Landwirte und Hofbesitzer am Bodensee vor.
<?page no="2"?> Manfred Bosch, Oswald Burger »Es war noch einmal ein Traum von einem Leben« <?page no="3"?> Südseite Kultur und Geschichte des Bodenseekreises · Band 3 Hg. von Stefan Feucht Herausgegeben vom Kulturamt des Bodenseekreises greift die Reihe relevante Themen zur kulturellen und geschichtlichen Entwicklung der Region in und um den heutigen Bodenseekreis auf. Sie ist ein Forum für das Selbstverständnis und die Identität dieser Region. Der Schwerpunkt liegt auf der Publikation bedeutsamer Zeugnisse und entsprechender Forschungsergebnisse oder der Dokumentation wissenschaftlicher Tagungen. Einbandmotiv: Kaffeerunde im Horner Garten von Erich Bloch, um 1935. Links Jacob Picard, stehend Bloch. (Foto: Archiv Erich Bloch) <?page no="4"?> Manfred Bosch, Oswald Burger »Es war noch einmal ein Traum von einem Leben« Schicksale jüdischer Landwirte am Bodensee 1930 - 1960 Mit einem Beitrag von Christoph Knüppel UVK Verlagsgesellschaft Konstanz · München <?page no="5"?> Mit freundlicher Förderung des Kulturamtes des Landratsamtes Bodenseekreis und der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-86764-630-7 (Print) ISBN 978-3-86496-861-7 (EPUB) ISBN 978-3-86496-862-4 (EPDF) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Printed in Germany UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="6"?> 5 Vorwort des Herausgebers Seit Jahrhunderten hat die Landwirtschaft das Gesicht des Bodenseeraums entscheidend geprägt. Das ist - wie in ganz Mitteleuropa - eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie die Vorstellung, dass dies hier in der Region durch eine christlich-katholisch geprägte Bauernschaft geschah. Dies war jedoch keineswegs durchgängig so. Dass es mancherorts ein sogenanntes Landjudentum gab, das ebenfalls seit Jahrhunderten Landwirtschaft betrieb, ist weniger bekannt. Noch mehr mag überraschen, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts Juden aus den Großstädten sich hier am See dem Betrieb landwirtschaftlicher Güter zugewandt haben. Mit diesem Buch erinnern wir an die Schicksale jener jüdischen Landwirte und wollen zugleich ihren Beitrag zur Entwicklung der Region aufzeigen. Der vorliegende, nunmehr dritte Band der Reihe »Südseite« knüpft in Teilen thematisch an den Vorgängerband, die Erinnerungen von Kurt Badt an seine Zeit am Bodensee, an. Der Kunsthistoriker, Schriftsteller und Maler war in den 1920er Jahren aus Berlin an den Bodensee gekommen und hatte - wie so viele vor und nach ihm - eine starke emotionale Bindung zur Region aufgebaut. Fasziniert von Natur und Landschaft am See, erwarb Badt 1932 das Gut Rimpertsweiler bei Salem und betrieb dort Obstbau und Landwirtschaft - dies wird in diesem Band ausführlich geschildert. Was im Falle Badts als singuläre Hinwendung eines jüdischen Intellektuellen und Großbürgers zur Landwirtschaft und zum Rückzug ins ländliche »Idyll« erscheint, zeigt sich bei näherer Betrachtung als verbreitetes und bislang nicht wahrgenommenes Phänomen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Am nördlichen Bodenseeufer und in dessen Hinterland fanden Manfred Bosch und Oswald Burger eine Reihe weiterer Beispiele jüdischer Landwirte. Die jeweilige Motivlage für deren landwirtschaftliches Wirken war ganz unterschiedlich, doch verband sie alle gemeinsam mit ihren Familien das Schicksal der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Aus dem »Traum von einem Leben« wurde ein »verlorenes Paradies«, wie Erich Bloch, der in Horn auf der Höri ein landwirtschaftliches Gut betrieben hatte, seine Erinnerungen betitelte. <?page no="7"?> 6 Vorwort des Herausgebers Beim Lesen der unterschiedlichen Beiträge fällt auf, dass für die meisten der beschriebenen Landwirte die Motive für den Betrieb ihrer Höfe nichts mit ihrer jüdischen Abstammung zu tun hatten: Vielmehr waren es individuelle, gelegentlich politisch-ideologisch gespeiste oder durch den persönlichen Lebenslauf geprägte Beweggründe. Erst die antisemitische Außensicht der Nichtjuden machte sie zu einer wahrnehmbaren Gruppe. In diesem Widerspruch sind auch wir heute noch verfangen. Umso mehr gilt es, an die Besonderheit jedes Einzelnen zu erinnern und die persönliche Geschichte in den Mittelpunkt zu stellen. Mein herzlicher Dank gilt den Autoren Manfred Bosch und Oswald Burger sowie Christoph Knüppel für seinen Beitrag zu Hugo Landauer. Für die finanzielle Förderung dieser Publikation sei einmal mehr den »Oberschwäbischen Elektrizitätswerken« (OEW) gedankt. Der UVK-Verlag hat auch diesen Band ausgezeichnet betreut. Hierfür herzlichen Dank an Frau Uta Preimesser. Den Lesern wünsche ich neue Einblicke und eine spannende Lektüre. Stefan Feucht Kulturamt Bodenseekreis <?page no="8"?> 7 Inhalt Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9 M anfred B osch »...das Land, das uns soviel Kummer gemacht hat« . . . . . . . . . . 17 Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser M anfred B osch »Jetzt haben wir keine Ruhe und keinen Frieden mehr« . . . . . 37 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch o swald B urger »Ein durch und durch ideal veranlagter Mensch«. . . . . . . . . . . . 61 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens M anfred B osch »Man wollte mir unter irgend einem Vorwand den Hof wegnehmen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz M anfred B osch An der Restitution ihres Besitzes gescheitert . . . . . . . . . . . . . . . 109 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz c hristoph K nüppel Land und Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« M anfred B osch »Ein Stück Erde sein eigen nennen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt <?page no="9"?> 8 Inhalt o swald B urger »Unterricht unter den Pflaumenbäumen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen o swald B urger »Abschied von dem Land, das unsere Heimat war« . . . . . . . . . 219 Der Burachhof von Ludwig und Fanny Erlanger Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Dank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 <?page no="10"?> 9 Vorwort 1911 veröffentlichte Theodor Heuss in der »Frankfurter Zeitung« einen Beitrag unter dem Titel »Judentum und Landwirtschaft« 1 . Darin machte er die Leser mit einer Stiftung bekannt, die die sozialen Verhältnisse der in großer Zahl aus dem Osten zugewanderten Juden zu verbessern trachtete und diese von der Notwendigkeit körperlich-handwerklicher Arbeit zu überzeugen suchte. Zu diesem Zweck hatte der Bankier Moritz Simon 1893 in Ahlem bei Hannover eine »Israelitische Erziehungsanstalt« für Gartenbau und Handwerksberufe ins Leben gerufen - getreu seiner Überzeugung, dass »unseren armen Glaubensgenossen [...] nicht durch Almosen«, sondern nur »durch Erziehung zur Arbeit« 2 geholfen werden könne. Doch Heuss sah das Problem umfassender. Er erkannte, dass es darum gehen müsse, das Interesse von Juden aus vorwiegend intellektuellen und Händlerberufen an handwerklich-gärtnerischen und landwirtschaftlichen Tätigkeiten generell zu wecken. Dabei bezog er sich auf die offenkundige jüdische Überrepräsentanz geistiger und intellektueller Berufe, wie sie der Soziologe Werner Sombart in seiner Abhandlung »Die Juden und das Wirtschaftsleben« (1911) konstatiert hatte. Sombart erkannte in den Juden - in der zuspitzenden Formulierung Theodor Heuss’- die »Erfinder und Vorwärtspeitscher« des modernen Kapitalismus, bei denen sich »Ackerinstinkte« logischerweise nicht hätten ausbilden können. Diesem Befund stimmte Heuss mit den Worten zu, die »landwirtschaftlichen Leistungen der Juden [seien] heute noch gering, wenigstens in Westeuropa«. Er beeilte sich indes, dieser unbestreitbaren Tatsache die notwendige historische Begründung nachzuschieben. Dass dem so sei, liege nämlich nicht an einer besonderen Talentlosigkeit der Juden auf diesem Gebiet, sondern gehöre ins Kapitel der Rechtsgeschichte - seien Juden doch über Jahrhunderte vom Erwerb von Grund und Boden ausgeschlossen gewesen. 3 Demnach lag es weniger an der fehlenden Neigung von Juden, sich handwerklichen oder landwirtschaftlichen Berufen zuzuwenden, als an den Möglichkeiten hierzu - auch wenn es der badische Innenminister Berckheim 1828 noch ganz anders beurteilt hatte. <?page no="11"?> 10 Manfred Bosch/ Oswald Burger Er sah die »milden Rücksichten [...] im Edikt von 1809«, die für die »sittliche und intellektuelle Bildung der Juden und ihre Einfügung in die staatsbürgerliche Ordnung« hätten sorgen sollen, nicht von Erfolg gekrönt: »Die große Masse« gehe »nach wie vor dem Schacher nach, die Gesamtmasse« stehe »dem Staatsverband fremd« gegenüber und betrachte sich »als Zweig der großen, über die Erde verbreiteten israelitischen Nation«. Und ebenso, fuhr Berckheim fort, sei es ihnen »mit dem Landbau und dem Handwerk wenig ernst, da sie nur solche Berufe erwählten, die entweder nicht viele Anstrengungen erforderten [...] oder die sich mit einem Handelsgeschäft verknüpften« 4 . Dieser obrigkeitlichen Sicht widerspricht Ulrich Baumann in seiner Geschichte der jüdischen Landgemeinden Badens. Zwar weiß auch er, dass sich »[d]er Kreis der Landwirte und der Handwerker im Dorf [...] überwiegend aus christlichen Einwohnern« zusammensetzte und die »jüdische Bevölkerung [...] fast ausschließlich im Handelssektor beschäftigt« 5 war. Doch neben dem Verbot des Landerwerbs seien Juden bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein auch viele zünftige Handwerke verschlossen geblieben, und weiter gibt Baumann zu bedenken, dass alle Ansätze der badischen Regierung, die jüdischen Untertanen aus dem beruflichen Ghetto herauszuführen, schon daran gescheitert seien, dass sie über die Köpfe der Betroffenen hinweg unternommen worden seien. So meinte noch 1860 ein Oberamtmann aus der württembergischen Nachbarschaft, bislang hätten nur ein paar wenige Feldbauern den Beweis dafür geliefert, »daß es trotz des nationalen Angeborenseyns doch möglich ist, die schlimmen Eigenschaften des Judenthums durch Bildung und allmähliche Angewöhnung an unsere Berufsarten und Sitten gänzlich auszutilgen« 6 . Auch diese Klage war in Verkennung der wahren Gründe formuliert, die weniger im individuellen Belieben lagen als vielmehr in strukturellen Gegebenheiten. Da war eine Stellungnahme der israelitischen Kirchenbehörde aus dem Jahr 1846 dem eigentlichen Problem schon viel näher gekommen. Der Ackerbau sei nicht nur ein Gewerbe, hieß es dort, sondern »auch ein Beruf, und eben deshalb hält es so schwer, Klassen, welche denselben nicht von Jugend an betrieben haben und schon in der Kindheit vertraut damit wurden, dem Pfluge zuzuwenden«. Und weiter hieß es in dem Bericht zuversichtlich: »Wenn sie [die Juden, Anm. d. A.] sich jetzt auch nur <?page no="12"?> 11 Vorwort allmählig daran gewöhnen, als Nebenberuf den Acker zu bebauen, so ist doch für die Zukunft eine schöne Bahn gebrochen. Des moralischen Moments, daß nichts mehr an das Vaterland knüpft und den Boden der Heimath lieb macht, als der Grundbesitz, erlauben wir uns dabei nur in aller Kürze zu erwähnen«. 7 Wie bekannt, blieb der jüdische Anteil an den landwirtschaftlichen und gärtnerischen Berufen auch weiterhin unerheblich; selbst in den sogenannten Judendörfern - Dörfern mit zahlenmäßig teils großen jüdischen Minderheiten - überwogen auch weiterhin die Händlerberufe. 8 Daran änderte sich schon deshalb wenig, weil das Judentum mit Emanzipation und Stadtflucht spätestens seit der Reichsgründung ganz überwiegend zu einem urbanen Phänomen wurde. Neben den pogrombedingten Zuwanderungswellen aus dem Osten war es das Reservoir der jüdischen Landgemeinden, aus dem sich das städtische Judentum immer neu ergänzte. Mit dieser Abwanderung blutete das Landjudentum, das man trotz der vorherrschenden (Symbol-)Figur des Viehhändlers noch am ehesten mit landwirtschaftlichen und kleinbäuerlichen Lebenswelten in Verbindung bringen konnte, regelrecht aus und wurde zunehmend marginalisiert. Im Spektrum der Angebote aber, die rechtliche Gleichstellung und Emanzipation für Juden bereitstellten, wurden freie und selbständige Berufe bevorzugt. Solche in historischen Erfahrungen begründeten Präferenzen, die ein hohes Maß an Unabhängigkeit garantierten, bildeten einen wichtigen Grund für die weit überdurchschnittliche jüdische Beisteuer zum publizistischen, wissenschaftlich-universitären und künstlerisch-literarischen Leben. Die Faszination, die von dieser Elite ausging, verstellte »den Blick auf die anderen Juden, die sich nur partiell anglichen [...], die zudem fernab von den Salons, Ateliers und Laboratorien in kleinen ländlichen Gemeinden, den sogenannten Judendörfern, als Händler, Kaufleute, Bauern und Handwerker lebten« 9 . So wurde das Landjudentum zum historischen Verlierer, mehr noch: Es erschien den Stadtjuden, die sich den Anforderungen der Assimilation ausgesetzt sahen, mehr und mehr als eine überholte Lebensform; ja, diese wurde »vom jüdischen Bürgertum vielfach mit Unbildung, Armut und Mangel an Akkulturation gleichgesetzt« 10 . Dem assimilationsbereiten Stadtjuden wurde sein ländlicher Glaubensgenosse vielfach zur ungeliebten Erinnerung an seine eigene Herkunft; der Landjude wurde zum <?page no="13"?> 12 Manfred Bosch/ Oswald Burger »Juden des Judentums«. Auch deshalb konnte die abgefeimte Propaganda der Nationalsozialisten »greifen«, wie sie etwa in Gailingen in den frühen dreißiger Jahren in Form von Hetzzetteln auftauchte: »Das gibt’s, daß ein Jud mit Getreide handelt, aber beim Mistfahren, da hat noch keiner einen Juden gesehn! Warum drücken sich die Juden von [! ] der Arbeit? ? «. 11 Dem geschilderten Niedergang des Landjudentums zum Trotz kam es - parallel und in vermeintlichem Widerspruch zu Verstädterung, gesellschaftlicher Modernisierung und Beschleunigung aller Lebensprozesse - im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einem erstaunlichen Phänomen: Auch in jüdischen Kreisen erhielt nicht nur das Land, sondern auch landwirtschaftliche Arbeit einen neuen Stellenwert und eine neue Wertschätzung, und dies bemerkenswerter Weise nicht selten bei Juden mit akademisch-intellektuell geprägter Biographie. Inwieweit diese Neigung zu ländlichen Lebensweisen und Erwerbsformen noch weiter zurückzudatieren ist, müsste eingehender erforscht werden. Immerhin lassen sich bereits für das 19. Jahrhundert in Oberschwaben die sogenannten Hopfenjuden nachweisen, die nicht allein Handel trieben, sondern auch Hopfenplantagen anlegten. 12 So erwarb etwa Israel Friedrich Wirth - der durch sein Buch über den Hopfenbau als Pionier auf diesem Gebiet in der Region galt - 1866 das Gut Kaltenberg nördlich von Tettnang. 13 Mag man die Wiederentdeckung agrarischen Wirtschaftens durch Juden für wenig mehr als eine Arabeske an der Gesamtheit ihrer Erwerbsformen halten, so erstaunt es doch, den Wegbereitern und Motoren von Modernisierung und Kapitalismus plötzlich in solchen Bereichen »überholten Wirtschaftens« wieder zu begegnen. Da es sich dabei auch um bildungsbürgerlich und akademisch geprägte Juden handelte, lassen sich ihre Motive umso weniger von einem allgemeinen Unbehagen und von den geistigen und mentalen Umbrüchen trennen, die die gesellschaftlichen Zustände um die Jahrhundertwende insgesamt mitbestimmten und beeinflussten. Industrialisierung, Verstädterung und aufkommende Massengesellschaft verbanden sich damals mit der Erfahrung von Anonymisierung und sozialer Kälte, riefen Verunsicherung und unbestimmte Ängste hervor, die offenbarten, wie unzureichend das wilhelminische Kaiserreich mit seinen parvenuehaften und hohlen Repräsentationsformen spirituell fundiert war. So brachte das zweite Deutsche Reich mit einem breiten Spektrum alternativer Bewe- <?page no="14"?> 13 Vorwort gungen, Konzepte und Modelle, von denen mit Jugendbewegung und Wandervogel, Lebensreform und Vegetarismus, Naturschutz und Siedlungsgedanken nur einige benannt seien, seine eigene Antithese hervor. Zu einem ihrer wichtigsten Orte wurde, da man die Quelle des Übels mit der Großstadt in Verbindung brachte, konsequenterweise das »flache Land«: Es wurde zur Projektionsfläche vielfältiger Erwartungen und Sehnsüchte, mit ihm verbanden sich Hoffnungen auf eine neue Ursprünglichkeit und agrarromantische Vorstellungen, Möglichkeiten individuell-eskapistischen Rückzugs so gut wie kollektiv-utopische Projektionen. Diese Bewegung reichte bis tief in bürgerliche Schichten hinein. Ihnen kann man auch manche Beispiele zurechnen, die in unserem Buch dargestellt sind. Im breiten Spektrum der Alternativen bilden sie indes nur einen sehr schmalen Ausschnitt: So bleibt etwa die Absicht gesellschaftlicher Transformation auf den anarchistisch inspirierten Siedlungsversuch Hugo Landauers beschränkt, und wenn man von dem Landkinderheim Luise Ehrlichs absieht, das sich dem Gedanken einer »pädagogischen Provinz« zuordnen ließe, bilden die anderen Fälle Beispiele eines rein individuellen Rückzugs - so unterschiedlich die Motive im einzelnen auch sein mochten. Vor diesem Hintergrund mag es nicht mehr ganz so erstaunlich erscheinen, dass auch das weithin idyllische (Nord-)Ufer des Bodensees und sein Hinterland eine erkleckliche Anzahl solcher Rückzüge in agrarisches Wirtschaften in Form jüdischer Gutshöfe aufzuweisen hat. Deren »Dichte« musste sich den beiden Autoren aufgrund ihrer Beschäftigung mit jüdischer Geschichte eines Tages geradezu aufdrängen. Die Frage, weshalb sich gerade hier eine größere Anzahl jüdischer Gutshöfe finden lässt, reizt freilich zur Spekulation. Ein nahe liegendes Motiv ist sicher die landschaftliche Schönheit, wenn man nicht die Fruchtbarkeit der Gegend und ihre Eignung zum Obstbau als Hauptgrund für eine Ansiedlung ansehen will. Doch ebenso sehr dürfte die nationale Randlage dieser Region eine Rolle spielen. Diese Vermutung drängt sich umso mehr auf, als einige der behandelten jüdischen Landwirte ihre Höfe erst in den frühen 30er Jahren oder - wie im Fall Udo Rukser - sogar erst 1934 erwarben. Hier mag ein, auf die Erfahrungen einer langen Verfolgungsgeschichte zurückgehender Rest von »Fluchtreflexen« vorliegen, der diese Peripherie allein schon durch ihre Nähe zur Schweiz als Ansiedlungsort in Frage kommen ließ. <?page no="15"?> 14 Manfred Bosch/ Oswald Burger Ihrer Art nach sind die in diesem Buch beschriebenen neun Beispiele recht verschieden. Da ist der »Verlegenheitslandwirt«, der sich auf ein ererbtes Grundstück zurückzieht, um hier Obst- und Gemüsebau zu betreiben; da ist der durch die Machtergreifung der Nazis aus seiner beruflichen Bahn geworfene Jurist, der erkennt, dass es unter den neuen politischen Vorzeichen mit der freien Advokatur zu Ende geht; da stehen die beruflichen Frühaussteiger, die der akademischen Karriere Lebewohl sagen und in der Landwirtschaft einen vollgültigen Ersatz finden, neben der lebens- und sozialreformerisch inspirierten Pädagogin, die sich ihr Erziehungsideal nur in Verbindung mit Landleben und landwirtschaftlicher Produktion vorstellen kann. Da ist der zivilisationsmüde Großstadtflüchter, der sein ferneres Leben in einer abgeschiedenen Landschaft verbringen möchte und das Betreiben eines Landguts als letztgültige Möglichkeit versteht, sich in einer zur zweiten Heimat gewordenen Landschaft einzuwurzeln, oder der jüdische Kaufmann, der nach verschiedenen Anläufen mit Warenhäusern zum Landwirt mutiert und daraus den Impuls bezieht, eine Sozialisierung der Landwirtschaft zu propagieren. Eine Typologie lässt sich aus diesen Beispielen nicht ableiten, und dies zu versuchen, wäre aufgrund der schmalen Basis auch wenig sinnvoll. Auch deshalb muss eine historische und soziologische Ausdeutung dieses Phänomens hinter einer bloßen Beschreibung von Einzelfällen zurückstehen. Nur eines haben alle Beispiele gemeinsam: ihr Scheitern, dessen Gründe jenseits von individuellen Bedingungen und Voraussetzungen lagen. Insofern stellen unsere Porträts eine notwendigerweise unsystematische Überblicksdarstellung dar, zugleich aber eine erste regionale Annäherung an ein Thema, das bislang ein Desiderat soziologischer Judentumsforschung ist. Dankbar sind wir Christoph Knüppel, dass er uns seinen Aufsatz über Hugo Landauer als Gastbeitrag zu Verfügung gestellt hat. Manfred Bosch / Oswald Burger Konstanz / Überlingen Juli 2015 <?page no="16"?> 15 Vorwort Anmerkungen 1 Ausgabe vom 20. August; Wiederabdruck in: Theodor Heuss, An und über Juden. Zus.gest. und hg. von Hans Lamm. Düsseldorf/ Wien 1964, S. 31-40. 2 Nach Wikipedia-Artikel über Moritz Simon. - Eine weitere Stiftung in diesem Sinne rief der deutsch-jüdische Philanthrop Moritz von Hirsch auf Gereuth in den 1890er Jahren mit der Jewish Colonization Association ins Leben. Er erwarb in Südamerika mit seinem Vermögen, das er mit dem Bau des Orient-Express erworben hatte, im großem Stile Ländereien und stellte sie russischen Juden als Siedlungsland zur Verfügung. 3 Theodor Heuss, wie Anm. 1, S. 31. 4 Zit. nach Selma Täubler-Stern, Die Emanzipation der Juden in Baden, in: Gedenkbuch zum hundertfünfundzwanzigjährigen Bestehen des Oberrats der Israeliten Badens. Frankfurt 1934; S. 94. 5 Ulrich Baumann, Zerstörte Nachbarschaften. Christen und Juden in badischen Landgemeinden 1862-1940. Hamburg 2000, S. 29. 6 Zit. nach Utz Jeggle, Judendörfer in Württemberg (2. erw. Aufl.). Tübingen 1999, S. 150 f. 7 Zit. nach ebd., S. 151. 8 Vgl. hierzu die Zahlen bei Baumann (wie Anm. 5) für mehrere badische Gemeinden, insbesondere S. 30 f. 9 Vgl. Jeggle, wie Anm. 6, S. 17. 10 Vgl. Monika Richartz, Die Entdeckung der Landjuden - Stand und Probleme ihrer Erforschung am Beispiel Südwestdeutschlands, in: Karl-Heinz Burmeister (Hg.), Landjudentum im Süddeutschen und Bodenseeraum. Dornbirn 1992, S. 65-87. 11 Zit. nach Eckhardt Friedrich und Dagmar Schmieder-Friedrich (Hg.), Die Gailinger Juden. Materialien zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Gailingen aus ihrer Blütezeit und den Jahren der gewaltsamen Auflösung. Konstanz 1981, S. 58. 12 Vgl. das Kapitel »Die Tettnanger Hopfenjuden« in Helmut Fidler, Jüdisches Leben am Bodensee. Frauenfeld/ Stuttgart/ Wien 2011, S. 112-114. 13 Siehe hierzu Michael Goer, Die »Hopfenburg« des Hofguts Kaltenberg - ein Wahrzeichen des Tettnanger Hopfenanbaus, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 16 (1987), H. 4, S. 180-183 und Hanna Hoffmann, Roland Weiß, Hopfenburg steht für den Aufstieg des »grünen Goldes«, in: Schwäbische Zeitung (Ausgabe Tettnang), 22. August 2013. <?page no="17"?> Villa des Oberbühlhofs in Schienen <?page no="18"?> 17 »… das Land, das uns soviel Kummer gemacht hat« Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser in Schienen Um 1970 schuf der Dadaist und Filmpionier Hans Richter eine Collage mit dem Titel »Die Welt des Udo Rukser«, die zentrale Stationen und wichtige geistige Bezüge aus dem Leben des Juristen und Obstzüchters, Zeitschriftenherausgebers und Schriftstellers in Erinnerung ruft. Beherrschend darin ein kubistisch aufgefasstes Porträt des jungen Rukser, der nach dem Ersten Weltkrieg in den Bann avantgardistischer Kunst geraten und zum Sammler geworden war. Ringsherum gruppierte Richter Fotografien und Schriftzüge; sie zeigen Rukser zusammen mit seiner Frau Dora bei der Redaktionsarbeit an den »Deutschen Blättern« und in privater Gesellschaft; daneben sind die Namen Goethe, Nietzsche und Ortega aufgeklebt sowie Schriftmotive aus jener Zeitschrift, die Rukser zwischen 1943 und 1946 im chilenischen Exil mit herausgab. Ihr programmatisches Motto, über viele Ausgaben hinweg integraler Bestandteil der Titelgestaltung: »Wir wollen keine Verstaatlichung des Menschen, sondern eine Vermenschlichung des Staates«. Schon diese wenigen Namen, Zitate und Verweise lassen etwas von Ruksers Biographie und humanistischer Orientierung erkennen. Wollte man Richters Collage vervollständigen, dürfte die Erinnerung an eine kurze, aber wichtige Episode in Ruksers Leben, das in Posen begann und in Südamerika endete, nicht fehlen: seine Zeit als Gutsbesitzer und Obstzüchter auf dem Schienerberg bei Radolfzell. Der Weg dorthin lag freilich nicht in der »Logik« seines Werdegangs, sondern war Folge der gewaltsamen Umbrüche und Verwerfungen eines mörderischen Jahrhunderts. 1892 geboren, hatte sich Rukser, einer alten Juristenfamilie entstammend, ebenfalls auf ein Studium der Rechte verpflichten lassen. Eigentlich hatte sein Sinn eher nach einer Beschäftigung mit den Künsten gestanden - ihnen sollte er später noch, ausgerechnet durch seinen eher kunstfernen Beruf, näher kommen. <?page no="19"?> 18 Manfred Bosch Zunächst aber stürzte sich Rukser auf Internationales Recht und gründete zusammen mit seinem Schwager Dr. Otto Blumenthal in Berlin eine Kanzlei. Sie spezialisierte sich auf die Vertretung von Rechtsansprüchen, die sich aus dem Verlust von Gebiets- und Sachwerten im Ersten Weltkrieg namentlich im »Korridor« ergeben hatten. Zu diesem Zweck hatte Rukser nicht nur Polnisch gelernt, sondern sich auch in Polnisches Recht eingearbeitet, und als die erwähnten Ansprüche vom Reichstag mit dem sogenannten »Polenschädengesetz« anerkannt wurden, wurde Rukser zum gemachten Mann. Sein Reichtum gestattete ihm nun einen »Zugang zur Hans Richter: Die Welt des Udo Rukser. Collage <?page no="20"?> 19 Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser in Schienen Kunst«, wie er sich ihn zuvor allenfalls erträumt haben mochte, seit er um 1910 seinen ersten Chagall erworben hatte: Er floss in den Aufbau einer hochwertigen Kunstsammlung, die vor allem Werke der klassischen Moderne umfasste und von Sisley, Derain und Marées über Corinth, Lehmbruck und Hofer bis zu Rohlfs, Heckel, Kokoschka und Archipenko reichte. Es waren freilich keine bloßen Launen des Geldes, die hinter dieser Leidenschaft standen, sondern eine elementare Beziehung zu Kunst und Literatur. Rukser publizierte in Zeitschriften wie »Feuer« und »Der Einzige«, über die er mit Salomo Friedländer in Verbindung gekommen war, schrieb über Richard Janthur, dessen Bekanntschaft er ebenso machte wie die mit Ludwig Meidner, Heinrich Nauen, Ewald Mataré und Walter Trier. Auch im legendären Dada-Almanach von Richard Huelsenbeck stößt man auf Ruksers Namen. Am engsten war seine Verbindung zu Hans Richter, dem Schöpfer der erwähnten Collage; seine Schwester, Dora Richter-Rothschild, hatte Rukser 1922 in zweiter Ehe geheiratet. Aufgrund der Verbindung mit einer Jüdin war Rukser dem grassierenden Antisemitismus gegenüber hellhörig, und die zahlreichen Fälle von Rechtshilfeverweigerungen, von denen er durch Otto Blumenthal erfuhr, bestärkten ihn zusätzlich in seiner kompromisslosen Ablehnung des Nationalsozialismus. Zusammen mit Heinrich Freund und Erwin Loewenfeld hatte er 1925 die Zeitschrift »Ostrecht« gegründet 1 , und als Rukser 1933 durch das Preußische Kultusministerium gedrängt wurde, seine beiden jüdischen Mitherausgeber fallen zu lassen, war er in diesem »Ehrenpunkt« zu keinerlei Zugeständnissen bereit. Mehr noch: Rukser war sich darüber klar, dass mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten das »Ende der freien Advokatur« 2 gekommen war und ließ sich aus der Anwaltsliste streichen. Entscheidung für die innere Emigration Eine Emigration wäre Rukser zu diesem Zeitpunkt als feiges Ausweichen vor seiner Pflicht erschienen, das Seine zur Verteidigung der Demokratie beizutragen 3 . So entschied er sich zusammen mit seinem Sozius Otto Blumenthal für den Versuch, ein landwirtschaftliches Gut zu übernehmen - am besten abseits der Machtzen- <?page no="21"?> 20 Manfred Bosch tren, irgendwo in Süddeutschland und möglichst nahe der Schweizer Grenze. Über den befreundeten Agrarwissenschaftler Friedrich Aereboe erfuhr Rukser vom Oberbühlhof, der zum Verkauf stand. Zugleich verwies ihn Aereboe an den Bodmaner Obstbauern Paul Weber, der schon Kurt Badt beim Kauf eines Gutshofes beraten hatte. »Im Winter 1933/ 34«, erinnerte sich Weber später dieser Angelegenheit, »bekam ich einen Brief von einem Berliner Rechtsanwalt, worin er mich ersuchte, ihm doch ein Gutachten anzufertigen über das Gut Oberbühl, Gemeinde Schienen«. Rukser, der ein Obstbaudiplom anstrebte, wollte wissen, ob sich der Hof für Obstbau eigne. »Er hatte es sehr eilig«, so Weber weiter, »und deshalb ließ ich mich von einem Taxi durch den tiefen Schnee nach dem Oberbühlhof bringen. Man sah natürlich den Boden nicht, aber man sah, was das Wichtigste ist, das Vegetationsbild und die Lage. Ich hielt den Hof für geeignet für den Anbau härterer Sorten. In diesem Sinne schrieb ich Dr. Rukser; auf einer Schreibmaschinenseite hatte das ganze Gutachten Platz [...]. Sehr bald hörte ich, daß Dr. Rukser den Hof gekauft habe« 4 . Mit seiner Lage an der äußersten Peripherie des Reiches, mit grandiosem Blick über den Untersee bis hinüber nach Konstanz und in die zum Greifen nahe Schweiz hinein, entsprach dieser Hof in idealer Weise dem, was Rukser sich vorgestellt haben mochte. Einst adliger Besitz und nach der Reformation für wenige Jahrzehnte Nachfolgekloster von St. Georg in Stein am Rhein 5 , war der Oberbühlhof nach Jahrhunderten unscheinbarer Existenz um 1920 durch das kinderreiche Leipziger Ehepaar Polich, das in Leipzig ein großes Warenhaus besaß, zu neuem Leben erwacht. Durch mäzenatische Beziehungen zu Künstlern wie Eugen Segewitz und Walter Waentig war es auf die Höri aufmerksam geworden und beschloss, sich hier anzusiedeln 6 . Man erwarb den Oberbühlhof, erweiterte ihn um ein stattliches villenartiges Haupthaus und verpachtete die Landwirtschaft, bis die Folgen der Weltwirtschaftskrise die Aufgabe des Hofs erzwangen. Mit dem Gutachten Webers war es nicht getan. Rukser zog ihn auch weiterhin als Berater hinzu; die bedeutende Gartenarchitektin Herta Hammerbacher wurde mit der landschaftlichen Gestaltung der weiträumigen Flächen rund um das Haupthaus beauftragt. Inzwischen, so Weber in seinem Erinnerungsbericht weiter, hatte Rukser damit begonnen, »rund zehn Obstanlagen« zu erstellen. <?page no="22"?> 21 Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser in Schienen [...]. Ich kam jeweils einen Tag im Monat auf den Oberbühl zur Besprechung aller Fragen [...]. Die Anlagen wurden gut gepflegt, sie entwickelten sich sehr schön« 7 . Ruksers Plan bestand in der betrieblichen Nutzung eines Konservierungsverfahrens für Obstsäfte, das damals bekanntgeworden war. Er ließ auf elf Hektar 2.500 Obstbäume pflanzen und weiträumige Beerenplantagen anlegen, sodass sich der heruntergekommene Gutshof mit den Jahren zu einem Mustergut entwickelte, auf dem sich Otto Blumenthal als Kellereileiter bewährte. Unter dem Motto »Trinkt den Apfel, trinkt die Beeren« warb das »Obstgut Oberbühl« für seine erfolgreichen Produkte Apfel klar, Apfel naturtrüb, Johannisbeer rot und schwarz, Sauerkirsche, Brombeere sowie Erdbeer- und Himbeermischung. 1938 wurden die Produkte des Oberbühlhofs mit einer Goldenen Medaille der »Internationalen Industrie- und Fachausstellung Luxemburg« prämiert. Die bisherige Basis des Hofes, die Viehwirtschaft, wurde gegenüber dem Obstbau nicht vernachlässigt. So wenig Rukser zuvor als Jurist in seinem Beruf aufgegangen war, so wenig tat er es als Obstbauer. Auch Otto Blumenthal hatte es nie mit der Juristerei allein gehalten, er übersetzte Swinburne und schrieb selber Gedichte. Beide Ehepaare liebten Gesellschaft, und das Haus war stets voller Gäste, die mit einer eigenen Hausordnung - nach Juristenart in Paragrafen gegliedert - auf das Erwünschte eingestimmt wurden. Die ersten drei von elf Paragrafen lauteten: § 1 Wir sind hier nicht auf Sommerferien Ihr müsst Euch um Euch selber scherien. § 2 Der Oberbühl ist kein Hotel: »Bedien Dich selbst«, kapier das schnell! § 3 Wenn Du am Morgen liegst bis Zehn, bist Du als Gast nicht gern gesehn: Frühstück Glock acht, Vesper um sieben; Den Pünktlichen wird man stets lieben. Wenn mittags eins die Glocke läutet, Merkst Du sehr bald, was das bedeutet. Dieses so humorvolle wie als Aufforderung zu strikter Einhaltung gemeinte Reglement galt in erster Linie für die zahlreichen Ferienkinder, die meist aus Berlin kamen und zu jeder Jahreszeit den Hof <?page no="23"?> 22 Manfred Bosch bevölkerten. Das kinderlose Ehepaar Rukser liebte solche Umtriebe und baute oberhalb des Gutes für die jungen Gäste eine Holzhütte, die sich im Sommer auch zum Übernachten eignete. Die von den Kindern besonders geliebte Dora Rukser erwies sich auch in diesem Punkt als ideale Partnerin. Des Weiteren gab es auf dem Gut Praktikanten, die landwirtschaftliche Grundkenntnisse erwarben, um nach ihrer Emigration bessere Startchancen in ihren Ziellän- Die Hausordnung des Oberbühlhofs, ironisch glossiert von Walter Trier. <?page no="24"?> 23 Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser in Schienen dern zu haben. Eine dritte Gruppe Gäste bildeten Künstlerbekanntschaften. Neben dem Kunsthistoriker Walter Kaesbach, der als Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie abgesetzt worden war und sich ins nahe Hemmenhofen zurückgezogen hatte, sah der Oberbühlhof Künstler wie Heinrich Nauen und Ewald Mataré. Eine Kuhplastik Matarés schmückte den Treppenaufgang zum Haupthaus. Auch der jüdische Kästner- Illustrator Walter Trier und seine Tochter Gretl genossen Ruksers Gastrecht; 1934 lebten sie ein Vierteljahr auf dem Oberbühlhof, bevor sie zwei Jahre später über Frankreich nach England flüchteten. Trier schmückte die zum Aushang bestimmte Hausordnung mit seinem humorvollen Strich und hinterließ als Dank für seinen Aufenthalt die Mappe »Der Oberbühlhof. Glückliche Tage verlebt und festgehalten von Walter Trier« 8 mit 14 großformatigen Bildern, deren zauberhaft aufgefasste Motive Leben und Arbeit auf dem Hof illustrieren. Sie reichen von Gebäudeansichten, einer Gruppe junger Kälber oder Ruksers Ziehsohn Nils Billo bis hin zu Szenen in der Kellerei. Ein Blatt zeigt Rukser, wie er mit Lupe einen Apfel auf Würmer untersucht; ein anderes, wie er mit Otto Blumenthal um einen Riesenapfel tanzt, in dem ein Zapfhahn steckt: Es galt den ersten gewonnenen Apfelsaft zu feiern 9 . 1938 fand auch Karl Schmidt-Rottluff den Weg in die abgelegene Gegend. Der erste Apfelsaft. Zeichnung von Walter Trier, 1934 Anzeige für die Produkte des Obstgutes Oberbühl <?page no="25"?> 24 Manfred Bosch Die Schlinge zieht sich zusammen So hätte es sich »abseits der Politik« wohl aushalten lassen, hätte sie eines Tages nicht auch nach dieser schieren Idylle gegriffen. Bis Frühjahr 1938 hinein hatte Rukser noch auf eine politische Wende gehofft 10 und Gedanken an eine Emigration von sich gewiesen. Er hätte sonst kaum noch 1937 zusammen mit Paul Weber den Rimpertsweiler Hof und Teile der Tafelobst-Verwertungsfirma Taosta-G.m.b.H. übernommen, die Kurt Badt aus Gründen seiner Emigration nach wenigen Jahren wieder abstieß 11 ; und ebenso wenig hätten Rukser Pläne zum Umbau des Haupthauses beschäftigt, die auf Vorarbeiten des Bauhaus-Architekten Ludwig Hilberseimer zurückgehen 12 . 1938 jedoch verdunkelte sich der Horizont zusehends. Bereits 1936 war das Gut einmal ergebnislos durchsucht worden, während sich das Ehepaar Rukser auf einer Griechenlandreise befand; nun jedoch, im November 1938, räumte die SS-Truppe Germania aus Radolfzell mit den Resten jüdischen Lebens auf der Höri auf, die bis dahin von Antisemitismus weitgehend verschont geblieben war. In Wangen, Randegg und Gailingen wurden die Synagogen geschändet und zerstört, das Horner Landgut von Erich Bloch überfallen, die männlichen Juden zusammengetrieben, geschunden und nach Dachau verschleppt. Für den Oberbühlhof hat Otto Blumenthal die Ereignisse festgehalten. »Ein Lastauto kommt«, heißt es in seinem Bericht »Die Verhaftung«, »und ich weiß es nun mit tödlicher Gewißheit: sie holen dich! Das Lastauto hält, eine Bewegung kommt in die patrouillierenden Posten, mich überfällt grenzenlose Angst. [...] Jetzt heißt es, sein Herz fest in die Hand zu nehmen und gewappnet sein. Ein Korporal mit zwei Mann sind im Korridor, mit Stahlhelm und Karabiner. ›Wir suchen Dr. B. Er ist verhaftet‹. Udo versucht sich vor mich zu stellen, verlangt Vorlage von Verhaftungsbefehlen und erntet damit nur höhnisches Lachen. Nun gehe ich zwischen zwei SS-Männern wie ein zum Tode Verurteilter und fühle alles Leben von mir abfallen. [...]. Lorenz, mein Junge, steht mit Udo am Haustor. Dicke Tränen laufen über sein Gesicht. Udos Gesicht ist spitz und weiß. Ich klettere auf den Lastwagen« 13 . Vorerst ging die Fahrt in den Ortsarrest, wo Blumenthal auf die paar zusammengetriebenen männlichen Juden stieß, die noch in Wangen lebten. Von dort wurde er zwar bald entlassen, um abermals verhaftet und <?page no="26"?> 25 Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser in Schienen nach Dachau gebracht zu werden. Bei dieser zweiten Verhaftung wäre Rukser aufgrund einer Verwechslung mit Blumenthal beinahe erschossen worden. Für Rukser, der seine Frau in Vorahnung des Kommenden bereits bei Schweizer Freunden in Sicherheit gebracht hatte, stand nun der Entschluss einer raschen Emigration fest. Nach den Erinnerungen Paul Webers bereitete er mit Hilfe des Stockacher Volksbankdirektors, dessen Ehefrau ebenfalls Jüdin war, die Ausreise nach Chile vor. Rukser soll sich für das Land entschieden haben, weil es neutral war und Ähnlichkeit mit dem Tessin hatte, das Rukser besonders liebte. Neutralität und Tessin? ließe sich fragen - weshalb dann nicht gleich »das Original«? Besaß Rukser in Carabietta am Luganer See nicht auch ein eigenes Haus? Doch ein Leben als Landwirt, wie es ihm vorschwebte und das ihm inzwischen offenbar zum Bedürfnis geworden war, hätte sich im Tesssin nicht so leicht verwirklichen lassen. So verließen Udo und Dora Rukser an Ostern 1939 die Höri. »Ich war mit den Töchtern Pia und Asta drüben auf dem Oberbühl am letzten Tag, bevor er abreiste«, notierte Paul Weber. »Als es ans Abschiednehmen ging, da drückte mir Udo Rukser die Generalvollmacht über seine gesamten Vermögenswerte in die Hand. Es handelte sich um Vermögenswerte von über einer Million und uneingeschränkte Vollmacht darüber, also auch der Geschäfte mit sich selbst. Ich war erschüttert über dieses Maß an Vertrauen [...]. So war er, groß und kühn und rasch in seinen Entschlüssen, wenn es nötig wurde« 14 . Nach der Einschiffung in Genua erhielten seine Freunde und Bekannten folgenden hektographierten Rundbrief: »Ostern 39 auf See An unsere Freunde! Jetzt wo wir auf See sind und plötzlich mit all der fieberhaften Tätigkeit der letzten Monate aufhören - jetzt, Ihr Lieben, wo die letzte Küste Europas uns entschwunden ist, können wir uns sammeln und zurück blicken. Nun tritt uns vor die Seele, wie viel wir Eurer Hilfe seelisch und materiell verdanken, was Geschwister- und Freundeshand bedeutet, haben wir aufs Schönste erlebt. Um so schwerer - ach wie schwer! - der Abschied von allem, was wir an Liebe und Freundschaft zurück lassen. Wir winken Euch allen Gruß und Gedenken übers Meer. Bleibt uns! <?page no="27"?> 26 Manfred Bosch Dieser kostbare Besitz bindet ja erst recht an das Europa, das wir in grimmiger Entschlossenheit nicht schnell genug verlassen konnten. Es wird uns erst recht in der Ferne teuer sein u. weiter haften. Habt Dank! Wie waren die letzten Wochen? Am 15. 3. bekamen wir endlich das chilenische Visum - am gleichen Tage, wo Böhmen besetzt wurde und düstere Möglichkeiten erneut auftauchten. Abschied von denen, die in Berlin anrufbar waren. Letzte geschäftliche Dispositionen. Am 18. 3. packten wir das Schiffsgepäck - 13 Koffer! [...]. Am 19. Übergabe des Oberbühls an den Pächter u. Abschied von Schienen genommen, wo wir noch das besondere Bürgerrecht erworben haben. Bürgermeister und Pfarrer und viele andere sehr herzlich! Wir gehen in der Gewissheit, dass wir dort eine Spur hinterlassen. Am 20. 3. Packen des großen Gepäcks - 43 Kisten, 1 Koffer, 2 Verschläge, 2 ½ Lastautos voll! Alles ging glatt und wunschgemäß dank der trefflichen Vorbereitung. Am 21. endlich Abfahrt vom Oberbühl im schwersten Schneesturm, den ich dort erlebt habe. Im Nu war alles dick verschneit; unser Gespann mußte das Auto aus dem Hof ziehen und erst dann kam ich mit eigener Kraft weiter. Welch ein Abschied! Am Zoll glatte Abfertigung und ehrenvolle Behandlung mit allen guten Wünschen! Auch die Schweizer waren großzügig und machten nicht die geringste Schwierigkeit - ich hatte gefürchtet, dass man etwa ein Sondervisum von mir verlange. So kam ich dann am 21. um 13.30 in Basel bei Dora an. Wieder vereint nach 5monatiger Trennung - 5 Monate voller Sorgen und Probleme! Alles ist schließlich besser gegangen als vorhergesehen: denn nach all den großen Zahlungen an Finanzamt und Devisenstelle ging schließlich alles glatt; wir behielten alles, was wir mitnehmen wollten, Schmuck u. Auto, Kunstsachen usw. Keine Gestapo, keine Zollfahndung im Haus u. erst am 21. wurden meine Konten gesperrt. Dora hatte mit Hilfe von Hans (Richter, M. B.) und Schweizer Freunden einiges verkauft und versilbert, sodaß wir Geld vorfanden und Verkäufe einleiten konnten. Wie schwer das ist, muß man erlebt haben. Die schöne Briefmarkensammlung brachte nur 500 frs! Wegen übergroßen Angebots! Die Marées und Rohlfsblätter übernahm Dr. Raeber sehr liebenswürdig zum Verkauf. Das Bild von Corinth Dr. Nathan aus St. Gallen. Anderes wie den Sisley müssen wir nach Amerika geben. Am 23. fuhren wir nach komplizierter Packerei nach Zürich zu Häfelis heraus nach Herrliberg, die uns in ihrem kleinen Haus herzlichst unterbrachten und viele Wege abnehmen halfen. Wir ordneten an ge- <?page no="28"?> 27 Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser in Schienen schäftlichen Dingen, was möglich war [...]. Alles bei großer Aufregung der Schweiz, die mit Besetzung durch Deutschland und Italien rechnete! Am 29. 3. Abfahrt nach Carabietta. Das Auto grotesk vollgepackt, daß wir kaum zu sitzen hatten. Reizende Abschiedstage in dem entzückenden Häuschen u. dieser einzigartigen Landschaft ...« Über die politische Entwicklung zeigten sich Udo und Dora Rukser tief besorgt. Dass es zu einem neuen Krieg kommen würde, galt ihnen seit Längerem als ausgemacht; Dora Rukser schien er gar als Vorbedingung für ein Ende des Dritten Reichs: »Ich denke und hoffe es gibt ihn«, schrieb sie an ihren Bruder Hans Richter, »wenn auch dadurch für uns alle materiellen Werte in Europa flöten gehen, Oberbühl, das andere Gut [gemeint: Rimpertsweiler, M. B.], und Cara [gemeint: das Haus in Carabietta, M.B.]. Wir also sehr sehr bescheiden leben werden. Ich sehe im Krieg die sichere Aussicht auf Sturz. Wenn England endlich aus seinem Gentlemandream erwacht ...« 15 . Und im Frühjahr 1940 bedauerte Udo Rukser gegenüber seinem Schwager den späten Entschluss zur Emigration: »Ich sehe jetzt, welch grossen Fehler wir gemacht haben, in diesem dumpfen Europa so lange geblieben zu sein, wos hier so viele neue & interessante Möglichkeiten gibt« 16 , um wenige Tage darauf nachzusetzen: »Gestern, mein Lieber, war es genau ein Jahr, dass ich die deutsche Grenze überschritten habe & bei Euch in Basel angekommen bin! Seitdem haben wir genug erlebt & können unserem Schicksal nur dankbar sein! Sowohl das Erlebnis soviel Zuneigung & Hilfe zu finden, wie auch die Verjüngung & Erweiterung unseres Gesichtskreises. Welch ein Jahr alles in allem! Und dass wir in dieses Land gekommen sind, scheint uns heute erst recht ein besonderes Glück« 17 . Als Farmer in Chile Doch ohne Probleme war Ruksers Neubeginn in Südamerika nicht verlaufen. Von seinen Versuchen mit Bienenzucht musste er wieder lassen, weil es in Südamerika keinen Markt für Honig gab. So beteiligte er sich zunächst an einer großen Schaffarm im Norden des Landes, um nach einem Jahr intensiver Suche im Aconcaguatal bei Quillota 15 ha Land der ehemaligen Hacienda San Isidro zu <?page no="29"?> 28 Manfred Bosch erwerben. Als Ausdruck seines Dankes an das Land, das ihn aufgenommen hatte, gab er seiner Farm den Namen »Las Gracias«. Erleichtert wurden die Anfänge durch Ruksers staunenswerte Fähigkeit, sich in neue Gebiete einzuarbeiten, und Spanisch lernte er so rasch, dass sich seine Freunde nur wundern konnten, wie bald er in Fachzeitschriften landwirtschaftliche Beiträge veröffentlichte. Wirtschaftlich und finanziell dagegen war der Neubeginn schwierig. Zum Aufbau seiner Farm, die sich nach drei Jahren allmählich zu rentieren begann, war Rukser auf Transferleistungen angewiesen, die Weber durch Ankauf von Ruksers Taosta-Anteilen möglich machte. Um zu verhindern, dass er eines Tages bei der Taosta G.m.b.H. »den Nazifiskus als Teilhaber« 18 neben sich haben würde, übernahm Weber bis Herbst 1942 Ruksers gesamte Anteile; allein 1941 überwies er 35.000 RM nach Chile. »Der Groschen, den Sie mir heute überweisen können«, hatte ihn Rukser angesichts dahinschmelzender Reserven und zunehmender Devisenprobleme gedrängt, »ist mir lieber als die Mark von morgen«. Wie gut Weber an dieser Übernahme getan hatte, zeigte sich Anfang 1944. Damals sperrte die Gestapo sämtliche Konten Ruksers und beschlagnahmte sein Vermögen als »reichsfeindlich«. »Ich mußte sagen, was ich Dir schulde und wie die zugrundeliegenden Vereinbarungen wären«, berichtete Weber seinem Freund Ende 1945. »Die Abteilung reichsfeindliche Vermögen machte mich darauf aufmerksam, dass nach unserer Abmachung am 1. 1. 44 der ganze Betrag ohne besondere Kündigungsfrist fällig sei. Ich solle Vorschläge machen, wie ich dieser Abmachung nachkommen wolle. Daraufhin habe ich am 13.6.44 an die Hardybank in Berlin eine Rate in Höhe von RM 21.000.-, am 20. 6. die fälligen Zinsen an das Finanzamt Konstanz 1025.-, am 10.11. die 2. Rate in Höhe von 20.000.- zuzügl. der Zinsen vom 15.5.bis 10.11. in Höhe von 480.55 bezahlt. Du hast demnach vom Reich zu fordern RM 42.505.55«. 19 Die »Deutschen Blätter« Der Grund dafür, dass Rukser zum Reichsfeind erklärt wurde, was die Ausbürgerung aus dem Deutschen Reich zur Folge hatte, war sein Engagement für die »Deutschen Blätter«. Udo Rukser gab sie von 1943 an zusammen mit dem emigrierten Schriftsteller Albert <?page no="30"?> 29 Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser in Schienen Theile in Santiago als Monatszeitschrift heraus. Die insgesamt 34 Hefte hatten jeweils eine Auflage von 2.000 bis 5.000 Exemplaren; finanziert wurden sie von dem Deutsch-Chilenen Nikolaus Freiherr von Nagel und Udo Rukser, der zu diesem Zweck einen Teil seiner Kunstwerke in die USA verkaufte. Mit ihren beiden programmatischen Aussagen »Gegen ein deutsches Europa, für ein europäisches Deutschland« und »Wir wollen keine Verstaatlichung des Menschen, sondern eine Vermenschlichung des Staates« stand die Zeitschrift dem nationalsozialistischen Selbstverständnis diametral entgegen. Vergleichbar Walter Benjamins Porträtsammlung »Deutsche Menschen« von 1936, mit deren Traditionslinie er dem »Dritten Reich« ein anderes, maßgeblicheres Bild von Deutschland entgegenzustellen gedachte, suchte auch Rukser »den über Amerika versprengten Menschen deutscher Sprache wieder eine Vorstellung von dem zu geben, was wirklich deutsches Wesen und deutsche Überlieferung ist [...]. Ferner schien es uns nötig, die reichlich vorhandenen, aber Verstreuten nicht-nazistischer Gesinnung irgendwie zu sammeln«. 20 Unverkennbar trugen die »Deutschen Blätter« in ihrer bürgerlich-konservativen Haltung die Handschrift Ruksers. »Wir wollen mit unserer Zeitschrift versuchen«, hieß es im Editorial des ersten Heftes, »in der grundsätzlichen moralischen Krise dieses technischen Zeitalters die so schwer erkämpften Ideale der Menschlichkeit lebendig zu erhalten [...], mithelfen an der Entsühnung unserer durch die unerhörtesten Verbrechen besudelten Welt [...], und daher einzutreten für die Unterordnung der Politik unter die Moral«. 21 Zu diesen Zielen beizutragen, warb er um die Mitarbeit aller, die in der deutschen Exil-Lite- Erste Nummer der im chilenischen Exil erschienenen Zeitschrift <?page no="31"?> 30 Manfred Bosch ratur und -Publizistik Rang und Namen hatten; das Verzeichnis der Beiträger reicht von Stefan Andres über Hermann Broch, Oskar Maria Graf, Hermann Kesten und Thomas Mann bis Carl Zuckmayer. Die »Deutschen Blätter«, die sich als »einzige unabhängige, überparteiliche deutsche Zeitschrift in Amerika« verstanden, druckten auch Autoren fremdsprachiger Literaturen, etwa Pablo Neruda und Jorge Luis Borges. Im nichtliterarischen Teil wurden alle die »kulturellen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen [erörtert], die der inneren Erneuerung Deutschlands dienen«. 22 Als Leitbegriff propagierten die Herausgeber der »Deutschen Blätter« eine Vergeistigung der Politik, die an die Stelle der Politisierung des Geistes zu treten hatte. Der Freund Kurt Badt, auch er längst im Exil lebend, hatte die Intention der Zeitschrift gut verstanden, als er von London aus die Zusendung einiger Exemplare mit den Worten quittierte: »Ich habe seither viel darin gelesen und finde sie ausgezeichnet. Der Gesamteindruck ist durch die Einheit der moralischen Haltung hervorragend«. 23 Den Anteil Dora Ruksers an den »Deutschen Blättern«, die 1946 aus Geldmangel eingestellt werden mussten, würdigte Albert Theile so: Sie habe für das rechte Ambiente gesorgt, das »entscheidend war für die geistige Arbeit in einem politisch explosiven Klima wie dem der ›Deutschen Blätter‹. Dora Rukser war unsere einzige redaktionelle Hilfe, Sekretärin, Archivarin, Übersetzerin in einer Person«. 24 Unter welch schwierigen Bedingungen die Hefte jeweils zustande kamen, geht aus einem Brief Ruksers an Hans Richter hervor: »Ich bin ja auch ganz und total zugedeckt bis über die Frisur mit der Arbeit für unsere Zeitschrift [...] vielleicht gelingt es uns auf diese Weise, der Nazi-Propaganda etwas entgegen zu wirken. Aber es ist schwer, weil es an guten Hilfsmitteln & an Hilfskräften völlig fehlt. Da ist es schwer Taten und Material zu sammeln, weil die Bibliotheken leider jeden Besuch als hässliche Störung betrachten. Also was zu erwarten ist wird höchstens die Dokumentierung eines guten Willens sein. Ja wenn man einen Rückhalt an Carnegie Endowment oder an der Academy for Social Research usw. hätte, dass man wenigstens deren Publicationen zur Hand hätte, aber so muss ich eine Reise nach Valpo machen, um nur den Christian Science Monitor wegen irgend etwas nachzulesen«. 25 Anfang 1942 war die briefliche Verständigung mit den alten Freunden in Deutschland unmöglich geworden. Bei Kriegsende <?page no="32"?> 31 Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser in Schienen suchte Rukser die alten Verbindungen wieder aufzunehmen. Nun erhielt er erstmals wieder Nachrichten über den Oberbühlhof, der besser über die Zeiten gekommen war als der Rimpertsweiler Hof, den Rukser und Weber 1937 gemeinsam von Kurt Badt übernommen hatten: »[...] kein Brand, kein Frost schädigten ihn«, schrieb Weber und versicherte: »Der Hof an sich wird sich tragen. [...] ich halte den Oberbühl für sehr krisenfest«. Rukser hatte ihn kurz vor seiner Ausreise selbst noch an einen gewissen Cordes verpachtet, von dem er zwar wusste, dass er Nationalsozialist war, nicht aber, dass er auch der SS angehörte. Als Rukser dann für den Neuaufbau seiner Existenz in Chile dringend Geld benötigte, hatte er seinen Generalbevollmächtigten Weber zum Verkauf gedrängt und ihm den früheren Reichsminister Carl Goerdeler als möglichen Interessenten genannt. Doch Cordes hatte sich nicht bereit gezeigt, von seinem langjährigen Pachtvertrag zurückzutreten und den Hof im Sommer 1941 zusammen mit seinem Schwager Ruch aus Singen für 150.000 RM erworben. Mit dem Tod Cordes’, der 1945 beim Einmarsch der Franzosen auf der Flucht erschossen worden war, vor allem aber aufgrund der Annullierung des Verkaufs von 1941 durch die Alliierten, stand der Oberbühlhof wieder seinem früheren Besitzer zu - wenn zunächst auch nur theoretisch. Vorerst war er nämlich noch der »Verwaltung des jüdischen und reichsfeindlichen Vermögens« beim Finanzamt Konstanz unterstellt, und ein Restitutionsgesetz lag noch in weiter Ferne. Während die verwitwete Dr. med. Eva Cordes bekundete, den Hof mit Hilfe ihres Bruders halten zu wollen, bewegten sich die Hoffnungen von Udo und Dora Rukser noch lange im luftleeren Raum: »Die Nachrichten über den Oberbühl senken sich immer mehr in unser Gemüt«, schrieb Rukser auch im Namen seiner Frau Dora, beider Vornamen wie gewöhnlich zu »Udora« zusammenziehend, »aber dennoch können wir uns von der täglichen Wirklichkeit kein Bild machen [...] was wäre denn nötig, um den Oberbühl wiederzukaufen? Und was wäre an Kapital zur Instandsetzung nötig? Ohne Klarheit über diese Fragen haben wir keinerlei Basis für irgendwelche Erwägungen«. Es dauerte noch bis Januar 1949, bevor Rukser die Restitution des Oberbühlhofs betreiben konnte. Ein erster Antrag auf Rückgabe wurde als unbegründet abgewiesen; erst im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Freiburg wurde ihm der Hof wieder zugesprochen. 26 Halten konnte er ihn jedoch nicht. »Die ›Deutschen <?page no="33"?> 32 Manfred Bosch Blätter‹ und die jahrelangen Paketaktionen und endlich die verdammten Krankheiten haben so ziemlich alle Reserven verzehrt« 27 , klagte Rukser gegenüber einem Vertrauten. Auch hatte er sich, inzwischen im Besitz der chilenischen Staatsbürgerschaft, entschlossen, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. So hielt Paul Weber den Hof über Wasser, bis er ihn im Oktober 1952 an Dr. Dörr vom Zellstoffkonzern Phrix für 220.000 DM verkaufen konnte. Alte und neue Heimat Dennoch gab es kaum einen Brief nach Bodman, in dem sich Rukser nicht nach der alten Heimat erkundigte. »Die Nachrichten aus der Höri haben uns im Hetzen wohlgetan«, hatte er sich bereits in einem seiner ersten Nachkriegsbriefe bedankt. »Auch wir gedenken jener guten Leute. Ja, ich gestehe: neulich fand ich in Santiago zufällig eine alte Ausgabe von Johann Peter Hebels Alemannischen Gedichten, und wie sehr ich beim Lesen das Heimatgefühl hatte, kann ich gar nicht beschreiben. Bei diesen Versen sah ich wieder alles klar vor mir, die Landschaft, die Leute, das vertraute Bodman und vieles andere«. Im Sommer 1947 fragte er: »Wie siehts bei Käsbach aus? Und in der Höri? Ist Pfarrer Heidelberger noch uff Schiene? Und der Josef Moser? Übrigens bin ich noch immer eingetragener Bürger von Schienen«. 1949 bekannte Rukser: »Wirklich nur nach den wenigen Menschen zieht es uns, nicht nach dem Land, das uns soviel Kummer gemacht hat«. Doch auch in Chile konnten sich Rukser und seine Frau nicht rundum daheim fühlen. Schon vor Ausbruch des Krieges hatte Dora Rukser ihren Bruder Hans wissen lassen: »Wenn es nur nicht so viel Scheissnazi hier gäbe. Das Deutsche ist grösstenteils dadurch verpestet«. Und nach 1945 klagte ihr Mann gegenüber Paul Weber: »Was an Deutschen hier herumsitzt, ist das Bürgerlichste vom Bürgerlichen und selten trifft man auf einen Menschen, bei dem man auf eine Seele schließen kann«. 1953 besuchte das Paar Deutschland erstmals wieder. Im selben Jahr kam auch ein Erlass des Bundesentschädigungsgesetzes heraus, der weitere Ansprüche auf Wiedergutmachung in Hinsicht auf Eigentum, Vermögen und Schaden im beruflichen Fortkommen begründete. 28 Ihre Regelung erlaubte Rukser die Fortführung eigener literarischer Pläne, die er schon seit <?page no="34"?> 33 Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser in Schienen längerem betrieb: Sie galten dem deutschen Einfluss auf Literatur und Philosophie in der spanischsprachigen Welt. 1958 und 1959 erschienen die Bände »Goethe in der hispanischen Welt« und »Nietzsche in der Hispania«; vorangegangen waren entsprechende Studien zu Heinrich Heine und zur »Spanischen Zensur und Inquisition in ihrer Bedeutung für die Goethe-Zeit«. Doch auch die andere Seite des Rukserschen Denkens - sein tiefgreifender Skeptizismus gegenüber der Moderne - schlug sich in größeren Darstellungen nieder. Genannt seien sein Buch »Über den Denker Rudolf Pannwitz« (1970) und zahlreihe Artikel über Ortega y Gasset, dem er auch eine ausführliche internationale Bibliographie widmete. Zur großen Sorge seiner letzten Jahre wurde die befürchtete schleichende Eroberung des amerikanischen Subkontinents durch den Kommunismus. Befördert wurde sie durch politisch motivierte Agrarreformen, durch die sich Rukser als Mitinhaber einer Schaffarm auch persönlich betroffen fühlte. Tief verunsichert, bemühte er sich Ende der sechziger Jahre sogar wieder um die deutsche Staatsbürgerschaft. Obwohl er sich über die Bereitschaft der Deutschen, sich ihrer Vergangenheit selbstkritisch zu stellen, keinen Illusionen hingab, erschien ihm eine neuerlich drohende »Verstaatlichung des Menschen« als die akutere Gefahr. Gegen Ende seines Lebens - Rukser starb am 6. Juni 1971 in Quillota - durfte er noch eine Reihe von Ehrungen entgegennehmen, die seinen geistesgeschichtlichen Forschungen galten. Darunter waren die Ehrenmitgliedschaft in der Academia Goetheana von Sao Paulo, die Mitgliedschaft in der Philosophischen und Pädagogischen Fakultäten der Universität Santiago und der höchste chilenische Orden Bernardo O’Higgins. Schwerer tat sich das Goethe-Institut mit einer Auszeichnung - die feierliche Verleihung der Goethe-Medaille in Gold für »hervorragende Verdienste um die deutsche Sprache im Ausland« ging 1971 in Santiago ohne einen offiziellen Vertreter der Botschaft über die Bühne. Der Grund war in beiderseitigen nachwirkenden Animositäten zu suchen. Vor diesem Hintergrund ist die große Genugtuung Ruksers zu verstehen, die ihm aufgrund einer Einladung durch den Bundespräsidenten Heinrich Lübke anlässlich dessen Staatsbesuchs in Chile zuteil wurde. »Es war nur für 5 Leute gedeckt, denn außer uns aß nur noch der Staatssekretär mit. Das Gefolge aß in einem Saal nebenan«, informierte Rukser seine Freunde über das Ereignis in einem viersei- <?page no="35"?> 34 Manfred Bosch tigen Rundbrief. »Der Präsident hatte uns also allein eingeladen & alles ganz intim und privat gehalten. Das war ja nun für uns eine grosse Überraschung & eine einzigartige Ehrung, die mir zuerst den Atem verschlug. Es kam sehr bald eine ganz zwanglose Unterhaltung in Gang«. 29 Das bleibende Denkmal aber hat sich Rukser mit seinen »Deutschen Blättern« selbst gesetzt - einem der großen und nobelsten Zeugnisse eines anderen Deutschland. Anmerkungen 1 Sie fusionierte 1927 mit der »Zeitschrift für osteuropäisches Recht« zur »Zeitschrift für Ostrecht«. 2 Zit. nach Martin Schumacher, »Wir wollen als Deutsche nicht abseits stehen«. Die Herausgeber der »Deutschen Blätter« in Santiago de Chile Udo Rukser (1892-1971) und Albert Theile (1904-1986), in: Bastian Hein, Manfred Kittel, Horst Müller (Hg.), Gesichter der Demokratie. Porträts zur deutschen Zeitgeschichte. München 2012, S. 90 3 Dora Rukser in ihrem englischsprachigen Brief an einen Cousin vom 14. September 1943. 4 Paul Weber, Pia Goll, Oberbühl - Dr. Rukser. Masch. Aufzeichnungen, 22. April 1965, S. 1. 5 Reinhard Frauenfelder, Der Oberbühlhof auf dem Schienerberg als Benediktinerkloster, in: Hegau 8 (1959) H. 2, S. 161-168 6 August Polich war Erbe eines großen Kaufhauses in Leipzig, 1924 grün- Udo Rukser (rechts) erhält den Orden Bernardo O’ Higgins. <?page no="36"?> 35 Der Oberbühlhof von Udo und Dora Rukser in Schienen dete er das »Deutsche Landerziehungsheim für Knaben« in Kattenhorn; noch vermögender war seine Frau Johanna geb. Kleinert, deren Vater als Erfinder und Konstrukteur europaweit verkaufter Drahtseilbahnen reich geworden war. Freundliche Mitteilung durch Waltraud Polich, Kattenhorn, 5. Mai 2011. 7 Wie Anm. 4, S. 3 8 Die Mappe ist abgebildet in Antje Neuner-Warthorst, Walter Trier. Politik Kunst Reklame. Zürich/ Hannover 2006, S. 184. 9 Zwei Reproduktionen sind im Hermann-Hesse-Höri-Museum ausgestellt, das Udo Rukser eine Vitrine gewidmet hat. Siehe auch Ute Hübner (Hg.), Literaturlandschaft Höri. Katalog zur ständigen Ausstellung im Hermann- Hesse-Höri-Museum Gaienhofen, S. 54-59. 10 Wie Anm. 2, S. 91. 11 Vgl. Wiedergutmachungsakten Kurt Badt, StAF Fasz. F 200/ 7 Nr. 3165 (Vergleich Kurt Badt/ Paul Weber vom 27. April 1949) sowie Kurt Badt, Mir bleibt die Stelle lieb wo ich gelebt. Erinnerungen an den Bodensee. Konstanz 2012. 12 Wie Anm. 2, S. 91 13 Otto Blumenthal, Die Verhaftung, in: Gerhard Schoenberner (Hg.), Wir haben es gesehen. Augenzeugenberichte über Terror und Judenverfolgung im Dritten Reich. Hamburg 1962, S. 54 f. - Otto Blumenthal konnte nach seiner Haft nach Palästina emigrieren; sein Sohn Lorenz entkam mit einem der Kindertransporte nach England. 14 Wie Anm. 4, S. 7. 15 Dora Rukser an Hans Richter, 4. August 1939. 16 Udo Rukser an Hans Richter, 15. März 1940. 17 Udo Rukser an Hans Richter, 22. März 1940. 18 Paul Weber an Udo Rukser, 28. Dezember 1945. 19 Ebd. 20 Zit. nach Martin Schumacher, wie Anm. 2, S. 94. 21 Deutsche Blätter 1 (1943) H. 1, S. 1. 22 Ebd. 23 Kurt Badt an Udo Rukser, 12. März 1946, Bestand »Deutsche Blätter« im Institut für Zeitungswissenschaft, Dortmund. 24 Zit. nach Ralph Peter Vander Heide, Deutsche Blätter. »Für ein europäisches Deutschland/ Gegen ein deutsches Europa«. A cultural-political study. Diss. phil. masch. State University of New York at Albany 1975, S. 29 f. 25 Udo Rukser an Hans Richter, 10. Dezember 1942. 26 StAF, Fasz. 167/ 2 und OR 25/ 49. 27 Udo Rukser an Otto Klepper, 25. September 1952. 28 StAF Fasz. 196/ 1 Nr. 2687 und 4606. 29 Udo Rukser, Rundbrief vom 4. Mai 1964. Hinweis: Nicht nachgewiesene Zitate beziehen sich auf Briefkopien ohne Datumsangabe, die sich im Besitz des Verfassers befinden. <?page no="37"?> Der ehemalige Michaelshof von Erich und Liesel Bloch heute <?page no="38"?> 37 »Jetzt haben wir keine Ruhe und keinen Frieden mehr« Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch Die meisten Personen dieses Buches kamen aus großen Städten an den Bodensee. Ihrer müde oder sogar überdrüssig, waren sie auf der Suche nach einer anderen Lebensweise; andere, wie etwa Udo Rukser, wurden durch die politische Entwicklung der frühen dreißiger Jahre aus ihrer Lebensbahn geworfen und erwarteten sich von der Abgeschiedenheit dieser Landschaft den relativen Schutz grenznaher Regionen. Nicht so Erich Bloch: er hatte in dieser Hinsicht »den kürzesten Weg«. Er kam vom See - aus der »schönen alten Stadt Konstanz« -, und hier, in der ländlichen Abgeschiedenheit seiner »engeren Wahlheimat Höri«, wurde er, nach einer Reihe eher städtischer Berufe, zum Landwirt. Der Bodensee war und blieb Blochs Lebensmittelpunkt und seelisches Gravitationszentrum - so, wie er es auch für seinen Freund Jacob Picard, den Dichter, war und blieb, wie überhaupt für alle jene »jungen Juden« vornehmlich aus Wangen, die Norbert Jacques in seinen Erinnerungen »Mit Lust gelebt« als eine gleichermaßen heimatverbundene wie weltoffen-unternehmungslustige Gruppe ausmachte 1 . Was Erich Bloch betrifft, so sind wir über seine Biographie recht gut unterrichtet; 1980 hat er im Rahmen einer Reihe lebensgeschichtlicher Befragungen durch eine Historikergruppe der Universität Konstanz detailliert über sein Leben berichtet. Werner Trapp hat aus den umfangreichen Transkriptionen innerhalb der Reihe »Neue Folge der Konstanzer Stadtrechtsquellen« eine eindrucksvolle Lebenserzählung gestaltet. 2 Das enge Ineinander von (klein-)städtischem Milieu und naturhafter Umgebung spielte für die Persönlichkeitsbildung des 1897 geborenen Sohns eines geachteten Rechtsanwalts und Mitglieds der Konstanzer jüdischen Gemeinde eine entscheidende Rolle. Insbesondere waren es die Erlebnisse als Wandervogel - eine Konstanzer Ortsgruppe gab es seit 1909 -, die den Grund legten für die spätere Orientierung an einem naturnahen und ganzheitlichen Lebensentwurf. Die Konstanzer Wandervogel-Gruppe hatte damals auf der <?page no="39"?> 38 Manfred Bosch Höri ein Haus gemietet, in dem es auch eine Werkstätte gab, »so daß alles selber angefertigt werden konnte: Möbel Tische, Stühle. Es war eine wunderbare Umgebung. Wald, Wiesen und Feld, und wir sind dort tage- und nächtelang hindurchgestolpert: auf den Hohentwiel, nach Stein am Rhein, manchmal bei Mondschein, Nacht und Nebel auf den Hohenklingen. Es war für uns eine romantische Zeit« 3 . Auch bäuerliche Arbeit lernte der junge Bloch in jener Zeit kennen: in den Sommerferien half er rund um den Oberbühlhof wochenlang auf dem Feld und im Stall; hier entdeckte er »seine große Liebe zur bäuerlichen Arbeit« 4 . Es gibt Fotografien, die den jungen Bloch beim Wandern mit seiner Fidel zeigen - man muss diese naturschwärmerischen Bilder gesehen haben um zu verstehen, dass es Bloch sein ganzes Leben lang weniger um Beruf und Karriere ging als um geistigen Gewinn und seelische Erlebnisgehalte. Dass Bloch - »idealistisch eingestellt«, was in diesem Falle auch patriotisch bedeutet - regelrecht darauf brannte, sich gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs freiwillig zu melden 5 , steht dazu nicht im Widerspruch. An seinem 17. Geburtstag endlich konnte er seinen Vater zur notwendigen Unterschrift bewegen, um im Oktober 1914 einrücken zu dürfen. Gleich bei einem seiner ersten Einsätze wurde Bloch im nordfranzösischen Kohlenrevier verschüttet; die meisten seiner miteingerückten Wandervogelfreunde fielen bereits in den ersten Wochen. Vom Lazarett kam Bloch in die heimische Garnison zurück und besuchte wieder das humanistische Gymnasium, wo er 1916 das Abitur ablegte. Obwohl seine eigentlichen Interessen auf sprachlichem, historischem und philosophischem Gebiet lagen, begann er im Wintersemester 1915/ 16 - nicht auf väterlichen Rat oder gar Druck allein - in München ein juristisches Studium. Im Umkreis der »Freien Studentenschaft« hatte er es indes bald »mehr mit Dichtern und Idealisten zu tun als mit Juristen« 6 , ein Umgang, der Blochs erste Ernüchterungen an der Front in Richtung eines entschiedenen Pazifismus verstärkte. Ostern 1916 erhielt Bloch eine erneute Einberufung, wurde Zeuge der Schlacht um Verdun, erkrankte und leitete für den Rest seiner Kriegszeit eine Feldbuchhandlung. Von München, wo er die Revolution miterlebte und die Paneuropa-Bewegung Coudenhove-Calergis kennenlernte, wechselte Bloch im Wintersemester 1919/ 20 nach Freiburg. Hier schloss er sich einer sozialistischen Studentengruppe an, gab seinen mehr <?page no="40"?> 39 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch geisteswissenschaftlichen und künstlerischen Interessen erneut den Vorzug und erweiterte das Spektrum seiner Studienfächer um Nationalökonomie, Philosophie und Germanistik. Zwar legte er seinem Vater zuliebe noch das juristische Doktorexamen ab; doch anstatt eine Anwaltsexistenz ins Auge zu fassen, wagte er mit Hilfe einer kleinen Erbschaft den Sprung in eine freie Existenz. Bloch betätigte sich nun als Schriftsteller und Publizist, verfasste Kritiken für die liberale »Konstanzer Zeitung«, unterrichtete Literatur und Philosophie an den Landschulheimen Gaienhofen und Glarisegg und veröffentlichte Mitte der zwanziger Jahre im Buch-und Kunstverlag Konstanz den Lyrikband »Stimmen des Lebens«. Dessen Abteilungen überschrieb Bloch mit »Lieder vom See«, »Stimmen des Glücks«, »Sturm und Drang« sowie »Besinnungen« - in ihnen sann er dem naturnah verbrachten »Dezennium der Jugend« in spätromantischer Diktion träumerisch bis bilanzierend nach. Bereits 1922 hatte seine Vorliebe für bäuerlich-gärtnerische Tätigkeiten Bloch auf die Höri zurückgeführt, wo er die geistige mit ländlich-handwerklicher Arbeit verbinden konnte. Um die Grundlagen des Gärtnerns zu erlernen, mietete er sich bei einem Wangener Gärtner ein, besuchte aber auch, die Nachteile traditioneller Anbaumethoden erkennend, das biologisch-dynamische Mustergut Rengoldshausen bei Überlingen. »Danach war für mich klar, dass ich, wenn ich selbst einmal Gärtner würde, nur biologisch arbeiten würde« 7 . Gesellschaftlich fand Bloch, der 1925 Paula geb. Friedmann (1902-1993) geheiratet hatte und 1928 Vater eines Sohnes geworden war, rasch Anschluss an die Bewohner der Höri, vor allem an die wachsende Gemeinde der dort mit der Zeit sesshaft gewordenen Maler und Schriftsteller. Nicht zuletzt dies trug dazu bei, ihn die noch weitgehend antisemitismusfreie »Insel der Seligen« 8 als jene bergende Seelen- und Lebenslandschaft erleben zu lassen, die ihm - mit einer Unterbrechung von 1929 bis 1933 - bis zur gewaltsamen Vertreibung nach dem Novemberpogrom zum Refugium werden sollte. 1929 kehrte Bloch als Folge der Trennung von seiner Frau Paula berufsbedingt für vier Jahre nach Konstanz zurück. Hier arbeitete er nun als Dozent für Kunst und Literatur am »Technikum«, der 1906 geründeten Vorläuferin der heutigen »Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung«, gab Einführungen ins Handelsrecht und übernahm beim örtlichen Verlag Stadler die Stelle eines <?page no="41"?> 40 Manfred Bosch Verlagsleiters und Lektors. Dazu gehörte unter anderem die Redaktion des populären »Wanderers vom Bodensee«, eines traditionsreichen Jahreskalenders im Stil des »Lahrer Hinkenden Boten«, für den Bloch auch eigene Beiträge beisteuerte, vor allem jedoch eine seit der Jahrhundertwende zahlreich gewordene heimische Autorenschaft heranzog. Hinzu kam eine Tätigkeit als Wirtschaftsberater. In Liesel geb. Levinger (1903 - 2000) fand Bloch in dieser Zeit eine neue Lebenspartnerin. 1930 heiratete das Paar, im November 1932 kam Tochter Eva zur Welt; 1938 sollte Sohn Michael folgen. Hof und familiärer Kibbuz Die politische Entwicklung jener Jahre und der auch in Konstanz immer mehr spürbar werdende Antisemitismus ließen das Paar nicht ohne Sorgen in die Zukunft blicken. In Horn erwarb es deshalb einen Bauernhof, der als Rückzugsmöglichkeit dienen konnte, falls Blochs Existenz als Dozent, Publizist und Verlagsleiter einmal gefährdet sein würde - denn vom Bodensee fort wollten sie unter keinen Umständen. Zunächst wurde der Hof an einen Bauern aus dem Ort verpachtet; dann traten Blochs Befürchtungen schneller als erwartet ein. Im Frühjahr 1933 wurde er aus seinen Stellungen Der Michaelshof des Ehepaares Bloch in Horn, in den 30er Jahren <?page no="42"?> 41 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch gedrängt; auch bei Stadler, wo man sich um den Druck der »Bodensee-Rundschau« (»National-sozialistisches Kampfblatt für das Bodenseegebiet«) bemühte, wurde er unhaltbar. Immerhin war der Verlag bereit, Bloch die Arbeit nach Hause zu schicken, was dieser jedoch ablehnte. Im März 1933 schied er aus; die Familie verlor damit ihr hauptsächliches Einkommen von zuletzt 7.200 Mark pro Jahr. »Was also lag näher, als nach Horn auf unseren Hof zu ziehen, der zudem leer stand, nicht benutzt war? «, fasste Bloch seine damaligen Überlegungen in seinen Erinnerungen zusammen. »Der Hof hatte nicht sehr viel Land, und meine Idee war, dort eine Gärtnerei und eine kleine Landwirtschaft aufzubauen. Und ich dachte daran, meine ganze Liebe und Freude am bäuerlichen Dasein jetzt dort einzusetzen und etwas zu schaffen, das uns ernähren und uns eine Existenz geben würde. Dazu noch in meiner Wahlheimat, der Höri, diesem Stückchen Paradies! Und [...] wenn schon in Deutschland die Teufel losgehen, in dieses kleine Stückchen Paradies werden sie nicht kommen [...]. Wer würde mir da etwas Böses tun? « 9 . So naiv diese Erwartungen im Licht der späteren Ereignisse heute erscheinen mögen - zunächst waren sie durchaus realistisch. Denn das Leben der Juden auf der Höri wahrte lange eine Normalität, die heute frappiert. Bloch bekannte in seinen Erinnerungen denn auch, die Zelte in Konstanz 1933 »optimistisch, nicht pessimistisch« 10 abgebrochen zu haben. Bloch hatte sich bereits in den zwanziger Jahren viel mit Anthroposophie und biologisch-dynamischer Anbauweise beschäftigt, sodass es das Gegebene war, seinen Betrieb auf dieser Grundlage aufzubauen und auf Selbstversorgung abzustellen. In der Anfangszeit bestand noch die Möglichkeit, Boden hinzuzukaufen und zu pachten, sodass er sein Horner Gut sinnvoll ergänzen konnte. Die biologisch-dynamische Methode bewährte sich, schon nach einigen Jahren florierte der Betrieb, Demeter-Gemüse war gefragt. Nicht zuletzt in Konstanz fand Bloch gute Absatzmöglichkeiten für seine Produkte - sogar unter Nationalsozialisten. Und als in vielen jüdischen Zeitungen Annoncen erschienen, in denen Auswanderungswillige - vor allem Angehörige akademischer Berufe, die in den Zielländern chancenlos waren - nach Ausbildungsmöglichkeiten für landwirtschaftliche und gärtnerische Berufe suchten, ergab sich für Blochs Betrieb ein zweites Standbein. Bald meldeten sich mehr Interessenten, als der Hof aufnehmen konnte, zumal Bloch diesen bei <?page no="43"?> 42 Manfred Bosch den alsbald entstandenen Vermittlungsstellen für sogenannte Umschichtler als Pensions- und Ausbildungsbetrieb hatte anmelden lassen. Als Bloch das Haus ausbauen und sogar noch ein kleines Haus dazukaufen konnte, beherbergte sein »familiärer Kibbuz« 11 20 bis 25 Leute übers Jahr; hinzu kamen Praktikant(inn)en, die ein Jahr lang zusätzlich in Hauswirtschaft ausgebildet wurden. Die Zeugnisse für die Absolventen wurden, da diese Ausbildungsstellen von Seiten des Staates wie seitens der Palästina-Auswanderungsstellen anerkannt wurden, vom Horner Ratschreiber amtlich bestätigt. Da Bloch als Jurist über Behördenerfahrung verfügte, hielt er auch Kontakt zu jüdischen Beratungsstellen und ging den Auswanderungswilligen bei der Vorbereitung ihrer Ausreise zur Hand. Als sich eines Tages jemand von der Kreisleitung in Horn, wo es noch keine NSDAP-Ortsgruppe gab, danach erkundigte, was denn all diese Juden in Horn eigentlich trieben, erhielt er zur Antwort: »Die arbeiten - mehr wie ein Mensch in unserem Dorf gearbeitet hat! - von früh bis abends spät, um eine Gärtnerei zu entwickeln, modern und schön und produktiv, und eine dazugehörige Landwirtschaft. Sie sind genauso wie wir ernsthafte Landwirte und Bauern« 12 . Und der Horner Ratschreiber bescheinigte Bloch noch Bescheinigung des Horner Bürgermeisters über die landwirtschaftliche Tätigkeit Blochs <?page no="44"?> 43 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch im Frühjahr 1939, »dass derselbe seit 1933 seinen eigenen gärtnerischen und landwirtschaftlichen Betrieb selbständig und ordentlich bewirtschaftet hat. Herr Dr. Bloch hat auf seinem Landgut ständig junge jüdische Leute und jüdische Umschichtler als Gärtner und Landwirte ausgebildet« 13 . Auch die »Auskunftstelle für biologischdynamische Wirtschaftsweise im deutschen Bodenseegebiet« bestätigte, Bloch habe sich »mit überraschender Schnelligkeit in alle Fachfragen der Gärtnerei und auch der Landwirtschaft eingearbeitet. Der Betrieb war immer in einem ordentlichen, sauberen Zustande. Die Produkte, welche regelmässig in Konstanz zum Verkauf gelangten, waren wegen ihrer guten Qualität immer besonders begehrt« 14 . Auch die Mitgliedschaft in den Genossenschaften und in der Viehversicherung war damals noch geduldet; der Tierarzt kam über die Pflichtversicherung auf den Hof. Trügerische Sicherheit Bei dieser Lage der Dinge kam Bloch begreiflicherweise nicht auf die Idee, dass es einmal anders kommen würde. Einschlägige Verlautbarungen Hitlers, wonach »arbeitende Juden« geduldet würden, waren ebenso dazu angetan, Bloch weitgehend »arglos« zu halten wie die weit verbreitete Ansicht vom baldigen Abwirtschaften der Nazis. So schlug er alle Warnungen, die auch ihn erreichten, in den Wind. »Das ist ein Beruf, den ich liebe«, sagte sich Bloch, »und selbst wenn ich auswandern muss, kann er mir nur helfen und nichts schaden. So sind wir geblieben « 15 . War er zudem in Horn nicht auch beliebt? »Die Bauern haben uns in jeder Weise geholfen [...], wir haben während dieser sechseinhalb Jahre in Horn wie unter Brüdern gelebt [...]. Wir haben also in Horn trotz der Nazizeit nur das Beste erfahren« 16 . Sogar die Grenzen konnte man überschreiten; 1935 hatte man zu zehnt an einem zionistischen Kongress in Luzern teilgenommen. Nur der Dichter Ludwig Finckh bestritt in seiner rassistischen Verblendung den Juden jedes Aufenthalts- und Wohnrecht auf der Höri und wurde im Februar 1935 vom Konstanzer NSDAP-Kreisleiter beauftragt, einen »genauen Lageplan« der »überfremdeten Grundstücke« einzureichen. Zusätzliches Leben brachte eine Nürnberger Gymnastiklehrerin, die in der Nähe ein Haus gekauft hatte, auf den Hof. Sie regte <?page no="45"?> 44 Manfred Bosch Bloch an, im Sommer jüdische Ferienkinder aufzunehmen. Für sie gab es gemeinsame Freizeitgestaltung mit musikalischen, literarischen und Theaterveranstaltungen, Sprachenunterricht, Gymnastik und Sport, und der Konstanzer Kantor Bravmann unterrichtete einmal in der Woche Hebräisch; Theorie der Landwirtschaft und Gemüsebau waren ohnehin Bestandteil des Unterrichts. »Es war noch einmal ein Traum von einem Leben [...]. Wir haben mit unserer Gemeinschaft in jenen Jahren sogar die schöne Synagoge in Wangen wieder neu belebt« 17 . Auch dort gab es mit einer jüdischen Jugendherberge bis 1937 noch einmal junges jüdisches Leben, während die israelitische Gemeinde selbst so gut wie ausgestorben war. Im nahen Gailingen, wo Bloch viele Verwandte hatte, waren die Verhältnisse ungleich schlimmer, und auch in Konstanz hatte der Antisemitismus weithin Fuß gefasst. Während manche alte Bekannte Bloch weiterhin grüßten, manche sogar ostentativ, wichen andere bei Begegnungen auf die andere Straßenseite aus . Ein kurzfristiges Lieferverbot für seine landwirtschaftlichen Produkte wurde zwar durch eine Parteistelle wieder aufgehoben, doch die bedrohlichen Anzeichen mehrten sich. Nach einer Haussuchung Kaffeerunde im Horner Garten, um 1935. Links Jacob Picard, stehend Erich Bloch <?page no="46"?> 45 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch Werbeblatt für den Gartenbaubetrieb Erich Blochs in Horn <?page no="47"?> 46 Manfred Bosch verbrannte Blochs erste Frau, die noch das ehemalige gemeinsame Horner Haus bewohnte, aus Angst vor weiteren Besuchen der Gestapo neben zahlreicher politischer Literatur auch alle schriftlichen Unterlagen, die Bloch noch dort liegen hatte: Briefe und Tagebücher seiner Mutter ebenso wie private Aufzeichnungen. Bloch selbst war durch diese Haussuchung so alarmiert, dass er aus Sorge um seine Sicherheit ein Autodafé in eigener Sache veranstaltete. »Das waren Hörspiele von mir, eines hieß ›Die Rettung‹, auch ein Drama - ›Das maschinelle Herz‹ - und verschiedene andere Arbeiten, wo ich mir dachte, sie könnten Formulierungen enthalten, die zwar nicht auf die Nazis bezogen sind, aber doch mit der Problematik der Streitigkeiten dieser Zeit zu tun haben« 18 . Trotz dieser Vorkommnisse riskierte Bloch, einige Juden, die nach dem »Anschluss« Österreichs über Vorarlberg bis auf die Höri gelangt waren, für eine Nacht bei sich zu beherbergen, ihnen etwas Geld und Proviant zuzustecken und ihnen den Weg über die grüne Grenze in die Schweiz zu weisen. Das Ende einer Idylle Als Bloch Anfang November 1938 im Radio von der Ermordung des deutschen Botschaftssekretärs vom Rath durch den Juden Herschel Grynspan erfuhr, die den Vorwand für reichsweite Pogrome bildete, wurde ihm schlagartig klar, dass dies das Ende des bisherigen Lebens war - die Hetze, die nun losbrach, nahm ihm alle Ehepaar Bloch mit den Töchtern Eva und Elisabeth, ca. 1937 <?page no="48"?> 47 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch Illusionen: »Jetzt ist Schluß! Jetzt haben wir keine Ruhe und keinen Frieden mehr, jetzt werden wir entweder auch umgebracht oder entmachtet und entrechtet, jetzt haben wir keine Chance mehr, hier zu leben« 19 . Am 10. November 1938 kreuzten auf der Höri Truppen der neueröffneten SS-Kaserne in Radolfzell auf und zerstörten die Wangener Synagoge, nicht anders als schon am Vortag die Synagogen in Konstanz, Gailingen und Randegg. In Konstanz hatten aufgebrachte Antisemiten Vater Moritz Bloch, der noch wenige Tage zuvor anlässlich seines 70. Geburtstags viele Glückwünsche aus allen Bevölkerungskreisen hatte entgegennehmen können, in der Nähe des Pulverturms im Rhein zu ertränken versucht; er konnte nur dank der Hilferufe beherzter Zeugen gerettet werden, die für unerwünschtes Aufsehen sorgten. Anschließend wurde Moritz Bloch in seinen nassen Kleidern in einen Keller der Gestapo gesperrt und misshandelt, wodurch er ein Auge verlor. 1939 gelang ihm die Flucht nach Brasilien, wo er 1946 starb. Schon auf dem Weg nach Konstanz, wohin er sein Gemüse bringen wollte, war Erich Bloch SS-Kolonnen begegnet, die in Richtung Wangen fuhren. Vor seiner Rückkehr besuchte er noch das Grab seiner früh verstorbenen Mutter Adele (1868-1902) auf dem Konstanzer Friedhof, wie er es vor wichtigen Entscheidungen immer gehalten hatte. Als er unterwegs Friedhofsgärtnern begegnete, die mit ihren Rechen Streifen auf den Kieswegen hinterließen, wurden ihm diese zu einer Vorahnung der Striemen, die seine Folterung noch am selben Tag auf seinem Rücken hinterlassen würde. Von seinen Erledigungen wieder auf der Höri zurück, erfuhr Bloch, dass man schon seit dem frühen Morgen nach ihm gesucht hatte. Er wurde umgehend Ehepaar Bloch in den 30er Jahren <?page no="49"?> 48 Manfred Bosch verhaftet und in den Kellerräumen des Rathauses »mit Geißeln und Stahlruten halb tot geschlagen. Dann hat man mich raufgebracht und hat mich zu erwürgen versucht, ich habe aber so schreckliche Laute ausgestoßen, daß der Ratschreiber rausgekommen ist. Dann haben sie aufgehört und haben mich wieder ins Arrestzimmer hineingestoßen [...]. Dann gingen die jungen Burschen vor dem Fenster auf und ab und haben so getan, als ob sie ihre Gewehre laden wollten, wie um zu sagen: Jetzt werdet ihr erschossen« 20 . Nach seiner Entlassung wurde Bloch von einem Gärtner nach Hause gebracht. Abends wollte man ihn erneut verhaften und in ein KZ abtransportieren. Als man seinen Zustand sah, ließ man davon ab. »In diesem Moment [...] komme ich zu mir, schau mich um, sehe einen bärtigen Mann ganz bösartig da stehen, sinke wieder zusammen, und höre nur noch: ›Den brauchen wir nicht mitnehmen, der überlebt die Nacht heute sowieso nicht mehr! ‹ Und ist gegangen. Dieses schreckliche Erlebnis der Mißhandlung war für mich die Lebensrettung« 21 . Der Radolfzeller Arzt Paul König schrieb für Wiedergutmachungszwecke im Sommer 1954 eine ärztliche Bescheinigung, in der es hieß: »In der Nacht des 9. 11. 1938 Ärztliches Attest über den Zustand Blochs nach der Misshandlung durch die SS <?page no="50"?> 49 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch wurde ich zu Herrn Dr. Bloch nach Horn am Untersee gerufen. Ich fand ihn in völlig erschöpftem Zustand in seinem Bett liegend. Die Haut war vom Gürtel aufwärts auf Rücken u. Brust völlig zerschunden u. zerfetzt, die Atmung stoßweise u. der Puls flatternd und unregelmäßig [...]. Die zerschundene Haut wurde mit Ölverbänden behandelt und der Kreislauf durch Herzmittel gestützt, da er bedenklich darniederlag« 22 . Verkauf des Hofes »Bloch war ein Mann, dem es schwerfiel, etwas Böses über Menschen zu denken«, so erinnerte sich Hannelore König, die Tochter von Blochs Wangener Freund Nathan Wolf, an diesen Menschen, der die Liebenswürdigkeit in Person war, und sie setzte hinzu: »Für den war es ein besonders schreckliches Erwachen« 23 . In der Tat: Grauenhafter hätten Bloch und seine Frau aus ihrem Traum von der »Insel der Seligen« 24 nicht herausgerissen werden können. Rasch taten sie sich nach einem Käufer ihres Hofes um, was ihnen ohne Genehmigung der Gestapo nicht möglich war; auch der Preis für ihr Gut wurde im »Braunen Haus« in Konstanz festgesetzt. Dort schätzte man den Betrieb, in den - Eigenarbeit nicht gerechnet - im Laufe der Jahre über 40.000 Mark investiert worden waren und der 1938 gerade so weit war, dass er »ein gutes Einkommen abgeworfen hätte« 25 , lediglich auf 12.000 bis 15.000 Mark. Immerhin hatten Blochs das Glück, an wohlgesinnte Käufer zu geraten, zwei entlassene Waldorflehrer, die den von einem unabhängigen Makler geschätzten Betrag von 30.000 bis 35.000 Mark zwar nicht aufbringen konnten, jedoch dank der Hilfe von Freunden 5.000 Mark über den vereinbarten Kaufpreis zahlten. Zudem waren sie gewillt, den Hof im Sinne Blochs weiterzuführen. So wechselte er im Dezember 1938 mit allen Grundstücken für 23.000 Mark den Besitzer - samt Inventar, umfassend vier Kühe, zwanzig Hühner, sechs Bienenvölker, Wägen, Eggen, Rübenmühle, Jauchefässer, Leitern, Gartengeräte sowie die gefüllten Scheuern. Emigrationsziel war von vornherein Palästina, wo schon ein Bruder und eine Cousine Liesel Blochs lebten; doch auch andere Möglichkeiten wurden ernsthaft ins Auge gefasst. Die USA schieden aus, weil die hohe Quotennummer für die Einreise eine mehrjährige <?page no="51"?> 50 Manfred Bosch Wartezeit bedeutet hätte; auch zeitweilige Hoffnungen auf Brasilien und Kanada zerschlugen sich wieder. In der Zwischenzeit gelang es, im Januar 1939 Sohn Walter aus Blochs erster Ehe mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit zu bringen; seine Mutter Paula konnte ihm erst kurz vor Kriegsausbruch im August 1939 nachfolgen 26 . Anfang März 1939 musste Bloch seinen Hof vertragsgemäß räumen; bis er die Ausreisepapiere nach England in Händen hielt, fand er mit seiner Frau und den Kindern aus zweiter Ehe - Elisabeth (*1932), Eva (*1935) und Michael (*1938) - bei seiner Großmutter in Konstanz Unterschlupf. Am 20. Juli 1939 konnte er endlich die Familie polizeilich nach London abmelden. Nach entwürdigender Behandlung durch deutsche Beamte am Kreuzlinger Zoll - der Flug ging von Zürich aus - bekam Bloch einen Passvermerk, wonach die Familie acht Tage Aufenthaltsgenehmigung erhielt; andernfalls würde sie an die deutsche Grenze zurückgestellt. Neue Heimat Palästina Nur wenige Tage danach erreichte Bloch ein Luftpostbrief seines Bruders aus Palästina: »Bitte nicht nach England abreisen, Zertifikat nach Palästina unterwegs«. War dies schon nach Blochs Wünschen, bedeutete es jedoch eine erneute, vermutlich mehrwöchige Wartezeit, für die der wegen seiner Unzugänglichkeit berüchtigte Leiter der Thurgauer Fremdenpolizei, Haudenschild, wider alles Erwarten grünes Licht gab. So landete die Familie nach erneuten Querelen und endlos scheinendem Warten am 19. Oktober 1939 - also schon nach Kriegsbeginn - ohne einen Pfennig in Palästina. Zunächst kam sie in ein Auffanglager, bis Bloch in Shave Zion nördlich von Akko - einer im Jahr zuvor gegründeten landwirtschaftlichen Siedlung von Rexinger Juden, in der »privat gewohnt und gemeinschaftlich gearbeitet« 27 wurde - eine erste Bleibe gefunden hatte 28 . Nun galt es sich an eine völlig neue Umwelt zu gewöhnen mit ungewohntem Klima, unzureichender Infrastruktur und Angriffen durch Araber. Beruflich hingegen hatte Bloch aufgrund seiner landwirtschaftlichen Erfahrung gute Voraussetzungen. Innerhalb kürzester Zeit wurde er in die Betriebsleitung gewählt; seit Frühjahr 1940 bewohnte die Familie auch ein eigenes kleines Haus, das mit den <?page no="52"?> 51 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch spät eingetroffenen Möbeln ausgestattet wurde. Aufgrund der ursprünglichen Berufe der anderen Mitglieder und ihrer individualistischen Einstellung kam es jedoch öfter zu Differenzen, sodass Bloch nur zu gern eine günstige Gelegenheit ergriff, mit seiner Familie nach Nahariya umzusiedeln, das als »Dorf der Jeckes« galt und ihn überdies an seine Heimat erinnerte: »Ich dachte an unsern Hof auf der Halbinsel Höri [...], und nie hätte ich mir vorgestellt, daß es so etwas Schönes und Harmonisches im damaligen Palästina als privaten Siedlungsort geben würde« 29 . Der Grundstein für die privatwirtschaftliche Siedlung war 1934 als Alternative zum sozialistisch geprägten Kibbuz gelegt worden und sollte vorwiegend mittelständische Emigranten und Freiberufler mit Eigenkapital anziehen 30 . Als sich im Herbst 1942 die Gelegenheit zur Pacht eines Obstguts ergab - »mir stand im Leben immer ein gütiger Engel zur Seite« 31 - griff Bloch aus Sehnsucht nach der früheren Selbständigkeit zu, trotz wohlmeinender Warnungen und gewis- Rechnung für die Passagen Konstanz - Haifa, 1939 <?page no="53"?> 52 Manfred Bosch ser Schwierigkeiten, die hauptsächlich in der Notwendigkeit eines Nebenverdienstes bestanden. Letztere wurden durch die Eröffnung eines kleinen Wäschereibetriebs gelöst, dessen Bewältigung Liesel Bloch oblag; außerdem wurden einige Betten an Gäste vermietet. Dies alles erforderte einen harten, aber klaglos erbrachten Einsatz. Wie Bloch litten die vorwiegend deutschen Siedler Nahariyas allgemein unter dem Verlust der Heimat, zumal alles Deutsche innerhalb der Mehrheitsgesellschaft in Palästina bzw. Israel verpönt war. Andererseits sah sich ihre kulturelle Identität dadurch gerade herausgefordert, und die Bedingungen für die Entfaltung eines eigenständigen kulturellen Lebens waren umso günstiger, als die deutsche Siedlerschaft einen hohen Anteil an Akademikern aufwies. So konnte sich »innerhalb des zionistischen Aufbauprojekts [...] eine deutschsprachige Subkultur« etablieren - wenn auch »nur im privaten Rahmen in Form von Vortrags- und Gesprächskreisen, da der offizielle Bereich innerhalb der israelischen Kultur dafür keinen Platz bot« 32 . Hier wurde auch Erich Bloch aktiv: Er initiierte einen kulturellen Vortragskreis, der sich über zwei Jahrzehnte hinweg fast wöchentlich in seinem Hause traf, um die geistigen und schöpferischen Potenzen der Neueinwanderer für den gesellschaftlichen Neubeginn fruchtbar zu machen. »In den ersten Jahren wurde das Hauptgewicht auf die koerperliche Arbeit gelegt«, schrieb Erich Bloch 1956 über diese Zusammenkünfte. »Mit der Zeit entstand aber ein geistiges Vacuum und krisenhafte seelische Stimmung. Da wurde im Frühjahr 1942 der Chug [= Kreis] Oneg-Schabbat ins Leben gerufen. Eine kleine Gruppe versammelte sich jeden Schabbatnachmittag im Hause bei Dr. Bloch und discutierte geistige Probleme« 33 . Und Blochs Freundin Else Levi-Mühsam urteilte: »Diese Nachmittage haben nicht nur die Vortragenden, sondern ebenso die Teilnehmer aus ihrem schweren Alltag herausgeholt und ihnen eine Hoffnung zugeführt, daß der Existenzkampf nicht alles war in dem neuen Leben, und daß man eines Tages vielleicht sich selbst wieder finden würde« 34 . Von dem Antigermanismus, der den Jeckes seitens einer mitunter aggressiven zionistischen Umwelt entgegenschlug, erfährt man in Blochs Aufzeichnungen freilich nichts. <?page no="54"?> 53 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch Langwierige Bemühungen um Wiedergutmachung Um seinen Wiedergutmachungsforderungen nachzugehen, reiste Bloch im Juni 1951 in seine alte Heimat. Eine Restitution seines Horner Besitzes strebte der inzwischen 54Jährige nicht mehr an; doch machte er Entschädigungsansprüche in Höhe von 18.000 Mark und weitere in Höhe von 20.000 Mark als Miterbe seines inzwischen verstorbenen Vaters geltend, die auch anerkannt wurden. Als es mit den Entschädigungszahlungen trotz vieler Bemühungen und vier Reisen zum »Landesamt für Wiedergutmachung« in Freiburg nicht voranging, wandte sich Bloch Ende September 1951 persönlich an den Badischen Staatspräsidenten Leo Wohleb, um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Er schilderte ihm seine finanzielle Notlage, die durch erhebliche Ernteschäden auf dem Obstgut und erneuerungsbedürftige Maschinen im Wäschereibetrieb entstanden waren. Er habe »unter grössten Opfern die Reise nach Deutschland unternommen, in der Hoffnung mit dem Gelde unserer Forderungen neue Maschinen anschaffen zu können. Wenn mir das nicht gelingt, ist meine Existenz in Israel bedroht [...]. Trotz Hilfe und Rat guter Freunde, ist es nicht möglich gewesen von den Forderungen einen nennenswerten Betrag zu erhalten. Freunde von mir aus Israel haben in anderen deutschen Ländern ohne Weiteres grössere Vorschüsse auf ihre Forderungen erhalten«. Und er schloss: »Ich empfinde es als einen Skandal im Lande Baden, dass man 12 Jahre nach der Beraubung und 6 Jahre nach Kriegsende so behandelt wird, zumal nach meinen Beobachtungen für andere Zwecke genügend Geldmittel zur Verfügung stehen. Ich glaube, dass es bei einigermassen gutem Willen, besonders in Härtefällen, möglich sein dürfte, so gut wie in W ü r t t e m b e r g und anderen Ländern, den Opfern der Naziverfolgung zu helfen«. 35 Das gesperrt hervorgehobene »Württemberg« sollte als Stachel im Gemüt des eingeschworenen Altbadeners Wohleb wirken. Seit 1953 bezog Bloch Renten für Schaden im beruflichen Fortkommen sowie für Schaden an Körper und Gesundheit, beide seit 1959 nach den Sätzen der vergleichbaren Beamtengruppe des höheren Dienstes berechnet. 1954 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft zurück, wobei in seiner Urkunde der von den Nazis verliehene zweite Vorname »Israel« erneut auftauchte 36 . 1967 entschlossen sich Erich und Liesel Bloch zur Rückkehr nach Kon- <?page no="55"?> 54 Manfred Bosch stanz, nachdem er sich - »aus gesundheitlichen Gründen« - schon in den vorangegangenen Jahren öfter für längere Zeit am Bodensee aufgehalten hatte. Nicht weniger als gesundheitliche Gründe dürften freilich Blochs Heimweh und seine »ausgesprochene Liebe zu dieser Bodensee-Heimat« dazu beigetragen haben, von der er in seinem Erinnerungsbuch sagte, dass er sie seit Kindheitstagen fühle - »als ob die Landschaft für mich dagewesen wäre und für niemanden sonst« 37 . Schon 1954 hatte Bloch an Hermann Hesse nach der Rückkehr von einem Heimatbesuch geschrieben: »Wer längere Zeit im harten, klaren Licht des Orients lebt, ist dankbar für die verbindenden Nuancen malerisch verwobener Farben. Selbst Föhntage verbinden am Bodensee die alpine Ferne mit dem weichen Glanz des Vorlandes. Diese Landschaft bezaubert Herz und Sinne. Es fällt schwer sich loszureissen. Mit meiner Frau bin ich wieder einmal auf den Schienerberg gewandert. Da stehen noch die stillen, menschenleeren Wälder, und die einsamen Höfe beschleichen melancholisch den einsamen Wanderer. Alle Wege und Stege sind unberührt geblieben, stehen und gehen wie vor 40 und 50 Jahren [...]. Welch ein Glücksempfinden, in einer Zeit der Zerstörungen und Veränderungen ...« 38 . Mit seiner Rückkehr, die in den Augen anderer Verfolgter weniger seiner Bodenseeheimat galt als dem »Land der Täter«, stieß Bloch bei Vielen auf Unverständnis und Ablehnung. Nach ihrer Auffassung saß Bloch, der in der Tat über ein hohes Vergebungspotential verfügte, viel zu optimistischen Einschätzungen und einem illusionären Wunschdenken auf, wenn er den Deutschen eine innere Abkehr und Wandlung zugutehielt. Mit Blick auf jene Zeit sicherlich überaus ernstzunehmende Argumente, wenn man ihnen andererseits auch entgegenhalten könnte, dass Bloch mit seiner frühen Rückkehr mithalf, jüdisches Lebens in Deutschland in einem Umfang wieder zu mit zu begründen, wie es damals noch völlig undenkbar schien. Freilich bleibt auch der Einwand zu bedenken, ob Bloch mit seinem Schritt »möglicherweise [...] seinen idealisierten Blick auf die Deutschen als Legitimation seiner Remigration nach Konstanz« benützt habe - »vor sich selbst und gegenüber den in Israel verbleibenden Freunden und Bekannten« 39 . <?page no="56"?> 55 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch Streiter für den Dialog Bereits in den frühen fünfziger Jahren hatte Bloch in Deutschland seine ersten Vorträge über Israel, das deutsch-israelische Verhältnis und den interkonfessionellen Dialog gehalten. Auch nach seiner Rückkehr fuhr Bloch fort, »zur Versöhnung zwischen Deutschland und Israel und für ein besseres Verständnis zwischen Judentum und Christentum« 40 beizutragen. Bloch sprach vielerorts in Volkshochschulen sowie vor kirchlichem und universitärem Publikum, wobei seinem Echo sicher die entschiedene Ablehnung der Kollektivschuldthese zugutekam, gegen die er sich von Anfang an gewehrt hatte. Bloch begann auch wieder verstärkt zu publizieren - aus Anlass der »Woche der Brüderlichkeit«, zu religionsgeschichtlichen oder auch politischen Themen, soweit sie das Verhältnis Deutschland - Israel betrafen. Erschienen sind seine Aufsätze in Periodika wie dem »Aufbau« (Schweizerische Wochenzeitung für Recht, Freiheit und Frieden), in »Neue Wege« oder in der »Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung«; einige seiner wichtigsten Beiträge verfasste er für das »Israel-Forum«. Gemeinsam ist ihnen das Eintreten für Dialog und Verständigung als unhintergehbare Forderung allen Zusammenlebens - sei es zwischen Deutschen und Israelis oder Juden und Arabern. Ob Bloch religionsphilosophisch argumentierte oder sich auf Herzls zionistisches Verständnis einer »sozialen neuen Gemeinschaft« berief, die er indes niemals in nationalem Sinne verstand: immer führte sein Denken zurück zur Idee der Völkergemeinschaft. Blochs Engagement zeigte sich auch nie blind für Leiden und Unrecht, das die jüdische Landnahme für die arabische Bevölkerung bedeutete, deren legitime Rechte durch Israel er anerkannt wissen wollte. »Statt brüderlich-göttliche Kräfte, wie sie Herzl erträumt hatte, wurden gegenseitig politische, teuflische Mächte aufgerufen«, heißt es in seinem Aufsatz »Israels Beitrag zum Frieden«. »Ein Bruderkrieg befleckte das Heilige Land. Die Reinheit der zionistischen Idee wurde angetastet. Israel konnte zwar die ›kriegerischen‹ Araber von seinem Territorium abhalten. Aber seine Situation ist besonders gegenüber 700.000 arabischen Flüchtlingen vom Ethischen und Geistigen aus nicht haltbar. Nicht die Waffen können diesen tragischen Streit entscheiden, nur die Mächte des Geistes und guten, friedlichen Willens. Israel muß neue, schöpferische Wege gehen und die alten, ausgefahrenen Ge- <?page no="57"?> 56 Manfred Bosch leise des unfruchtbaren Nationalismus verlassen. Es kann nicht der Sinn von Israels Auferstehung sein, den Antisemitismus der abendländischen Völker gegen die Feindschaft der morgenländischen Völker einzutauschen ...« 41 . So unverkennbar idealistisch Bloch argumentiert - mit seinen pazifistischen, auf unbedingte Ko-Existenz mit den Arabern zielenden Appellen und Forderungen setzte sich Bloch immer wieder in Gegensatz zu den offiziellen Positionen des politischen Israel. Vor allem aber gehörte Blochs Arbeit nun auf Jahre hinaus den Recherchen zur »Geschichte der Juden von Konstanz im 19. und 20. Jahrhundert«, dem 1971 erschienenen Grundlagenwerk zur neueren jüdischen Lokalgeschichte, in dem Bloch die gewaltsam zerrissenen Fäden in mühsamer Kleinarbeit wieder zusammenführ- Erich Bloch mit Else Levi-Mühsam in der Jüdischen Bibliothek, 1982/ 83 <?page no="58"?> 57 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch te. In zwei kleineren Publikationen, dem Gedichtband »Licht und Finsternis« sowie einem Bändchen mit Sentenzen (»Spruch und Widerspruch«), knüpfte Bloch gegen Lebensende noch einmal an seine literarische Arbeit an - in beiden kehren seine heimatlich inspirierten Dichtungen in anthroposophischer, stark vergeistigter Form wieder. Dem Gedanken der Wiederbelebung des Jüdischen und der Beförderung des Dialogs entsprang auch die Idee zur Gründung einer Jüdischen Bibliothek, zu der Erich Blochs privater Bücherbestand den Grundstein legte. Bloch, schrieb Else Levi-Mühsam, habe damit ein Gelöbnis eingelöst, »wieder eine Bibliothek aufzubauen, sollte jemals eine neue Gemeinde in dieser Stadt entstehen« 42 . 1982 zusammen mit Levi-Mühsam ins Leben gerufen, ist die Erich-Blochund-Lebenheim-Bibliothek in der Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz mit ihren über 4.000 Medieneinheiten heute eine anerkannte Fachbibliothek, in der der Wunsch des Begründers nach Verständigung und Aussöhnung weiterwirkt. Erich Bloch starb am 5. Februar 1994; seine Frau Liesel überlebte ihn um sechs Jahre. Begraben wurde Erich Bloch auf dem israelitischen Teil des Konstanzer Stadtfriedhofs. Im Stadtteil Petershausen erinnert eine Straße an ihn. <?page no="59"?> 58 Manfred Bosch Anmerkungen 1 Norbert Jacques, Mit Lust gelebt. Hamburg 1950, S. 108. 2 Erich Bloch, Das verlorene Paradies. Ein Leben am Bodensee 1897 - 1939. Bearb. von Werner Trapp. Sigmaringen 1992. 3 Erich Bloch. Fluchtpunkt Höri, in: Alfred G. Frei, Jens Runge (Hg.), Erinnern - Bedenken - Lernen. Das Schicksal von Juden, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen zwischen Hochrhein und Bodensee in den Jahren 1933 bis 1945. Sigmaringen 1990, S. 157; auch Erich Bloch, wie Anm. 2, 56 f. 4 Wie Anm. 2, S. 76. 5 »Man hat uns gesagt, Deutschland sei überfallen worden«. Zit. nach Alfred G. Frei/ Jens Runge, wie Anm. 3, S. 157. 6 Wie Anm. 2, S. 66. 7 Alfred G. Frei/ Jens Runge, wie Anm. 3, S. 160. 8 Wie Anm. 2, S. 86. 9 Ebd., S. 86. 10 Ebd., S. 86. 11 Ebd., S. 98. 12 Ebd., S. 91. 13 Wiedergutmachungsakte Bloch, StAF F 196/ 1. 14 Schreiben Gerhard Schwarz, diplomierter Gartenbauinspektor, an Erich Bloch, Ludwigshafen, 15. Februar 1939, in: Wiedergutmachungsakte Bloch, StAF F 196/ 1. 15 Wie Anm. 2, S. 95. 16 Ebd., S. 96. 17 Ebd., S. 102. 18 Ebd., S. 109. 19 Ebd., S. 115. 20 Ebd., S. 121. 21 Ebd., S. 122. 22 Paul König, Bestätigung vom 18. August 1954, in: Wiedergutmachungsakte Bloch, StAF F 196/ 1. 23 »Hitler war weg und wir waren da«. Manfred Bosch im Gespräch mit Hannelore König, in: Hegau 64 (2007), Themenband »Jüdische Kultur im Hegau und am See«, S. 270. 24 Wie Anm. 2, S. 112. 25 Erich Bloch, Nahariya, an das Landesamt für Wiedergutmachung, 9. Januar 1958, in: Wiedergutmachungsakte Bloch, StAF F 196/ 1. 26 Zum Schicksal Walter Blochs siehe: »Ich war schon froh, als es hieß: auswandern in ein Land, in dem man nicht verfolgt wird«. In: Anja Salewsky, »Der olle Hitler soll sterben! « Erinnerungen an den jüdischen Kindertransport nach England. Hamburg 2001, S. 79-112. 27 Wie Anm. 2, S. 135. 28 Über seine Zeit in Shave Zion und Nahariya hat Bloch einen eigenen Beitrag verfasst. Vgl. Erich Bloch: Erinnerungen an Nahariya-Israel (1942- <?page no="60"?> 59 Das Horner Gut von Erich und Liesel Bloch 1967), in: Manfred Bosch, Alemannisches Judentum. Spuren einer verlorenen Kultur. Eggingen 2000, S. 309 - 317. 29 Ebd., S. 310 f. 30 Vgl. Lena Kreppel, Deutsch. Jüdisch. Israelisch. Identitätskonstruktionen in autobiographischen und essayistischen Texten von Erich Bloch, Jenny Cramer und Fritz Wolf. Würzburg 2012, S. 38. 31 Wie Anm. 28, S. 311. 32 Wie Anm. 30, S. 35 f. 33 Erich Bloch, Arbeit und Ziele des Chug Oneg-Schabbat 1956, NL Bloch, zit. nach Kreppel, wie Anm. 30, S. 229. 34 Vorwort zu: Erich Bloch, Erinnerungen an Nahariya-Israel (1942-1967), in: Alemannisches Judentum, wie Anm. 28, S. 309. 35 Erich Bloch an den Staatspräsidenten Dr. Wohleb, Konstanz, 22. September 1951; StAF F 196/ 1, Nr. 3312/ 2. 36 Darauf hat Lena Kreppel aufmerksam gemacht. Wie Anm. 30, S. 50. 37 Wie Anm. 2, S.104. 38 Brief vom 23. Dezember 1954, zit. nach Kreppel, wie Anm. 30, S. 256. 39 Wie Anm. 30, S. 141. 40 Erich Bloch an das Landesamt für Wiedergutmachung, 7. September 1964, in Wiedergutmachungsakte Bloch, StAF F 196/ 1. 41 Wie Anm. 30, S. 45 f. 42 Zit. nach Kreppel, wie Anm. 30, S. 160. <?page no="61"?> Etwa auf der oberen Grenze des Grundstücks von Werner Haberland verläuft heute der Werner-Haberland-Weg. Blick aus der heutigen Theodor-Hetzer-Straße über die Langgasse auf die Grethalde. In der Bildmitte stand der Gutshof von Werner Haberland. Nach dem Verkauf des Grundstücks durch das Badische Jugendherbergswerk entstand an der Grethalde die Bebauung Langgasse. <?page no="62"?> 61 »Ein durch und durch ideal veranlagter Mensch« Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens Herkunft Mit Boden - genauer: mit Grundstücken und Bauplätzen - hatten drei Generationen des Berliner Haberland-Clans in größtem Stil zu tun. Aus dessen Sicht war Werner Haberland, Angehöriger der jüngsten Generation, das schwarze Schaf der Familie: Anders als sein Großvater, Vater und Bruder hatte er keinerlei Geschäftsinstinkt; für großflächig-urbane Erschließungs- und Bautätigkeit hatte er so wenig Sinn wie für Renditeerwartungen. Aufs Pflichtteil gesetzt, begnügte er sich mit dem bescheidenen Ertrag eines kleinen Obstguts am Bodensee und setzte als Pädagoge auf humane Ideale, für die er bei seinen Schülern den Boden zu bereiten suchte. Zum Geld fand er nie ein Verhältnis; was er hatte, verschenkte er und stellte es in den Dienst der Allgemeinheit. Bereits Werner Haberlands Großvater Salomon (1836-1914) war als Textilunternehmer in Wittstock an der Dosse/ Brandenburg tätig und siedelte 1866 nach Berlin über, wo er zusammen mit dem Hamburger Kaufmann Arthur Booth und dem Berliner Bankhaus Delbrück, Leo & Co. die Berlinische Boden-Gesellschaft (BBG) gründete (jeder der drei Partner brachte ein Drittel des Grundkapitals von einer Million Mark ein). Als später die Terraingesellschaft Berlin-Südwest hinzukam, kauften diese Firmen von Landwirten Grundstücke auf, erstellten Bebauungspläne, legten Straßen und Plätze an und verkauften das baureife Gelände parzellenweise an Bauunternehmer. Salomon Haberlands Sohn Georg, am 14. August 1861 ebenfalls noch in Wittstock geboren, trat in seine Fußstapfen. Zum Kaufmann ausgebildet, sammelte er im englischen Bradford, in den Niederlanden, Belgien, Norwegen, Schweden, Dänemark und in der Schweiz berufliche Erfahrung und trat als geschäftsführender Vorstand in die BBG ein. 1906 gründete er als Tochterunterneh- <?page no="63"?> 62 Oswald Burger men die Berlinische Baugesellschaft, die in großem Umfang Häuser errichtete. Inzwischen Kommerzienrat, war Georg Haberland seit 1910 auch Stadtverordneter von Berlin. Nach dem Ausscheiden von Arthur Booth jr. und dessen Hausbank Delbrück übernahm die Dresdner Bank deren Anteile in Höhe von jeweils 330 000 Mark - von da an blieb die Dresdner Bank zuverlässige Partnerin aller Haberland’schen Unternehmungen. So gehörte Georg Haberland zu den Pionieren der baulichen Entwicklung von Wilmersdorf: Er erschloss dessen Südwestgelände, baute die Gartenstadt um den Rüdesheimer Platz, stiftete eine Brunnenablage, förderte den U-Bahnausbau nach Dahlem (die heutige U3) und den Bau der Kleinhaussiedlung Hanauer-Aßmannshauser Straße. Auch die Errichtung des Bayerischen Viertels und die Bebauung des Tempelhofer Feldes gehen auf seine Initiative zurück, nicht anders als das »Wagnerviertel« in Friedenau oder das »Rheingauviertel« in Richtung Dahlem. All diese Planungen berücksichtigten die Grundsätze des zeitgenössischen modernen Städtebaus, die sich einheitlich am damals beliebten altdeutschen oder »Nürnberger« Stil orientierten. In den Stadtvierteln im Südwesten Berlins, die die BBG erschloss und plante, siedelte sich gehobener Mittelstand an. Der hohe Anteil jüdischer Bewohner machte die Gegend um den Bayerischen Platz in der damals rasch anwachsenden Reichshauptstadt zu einem Zentrum jüdischen Lebens. Anlässlich des 70. Geburtstags des Unternehmensgründers Salomon Haberland wurde 1906 eine Straße im Bayerischen Viertel »Haberlandstraße« benannt; dort baute sich die Familie 1907 ihr privates Wohnhaus. In seinen Lebenserinnerungen, bei denen ihn Sohn Werner unterstützte, schrieb Georg Haberland: »Die Haberlandstraße haben wir einheitlich im Nürnberger Stil gebaut; ein Haus habe ich für meine Söhne zur Erinnerung an meinen Vater errichtet, der als Nürnberger Ratsherr am Hause thront.« 1 . Von den Nationalsozialisten wurde die Haberlandstraße 1938 in Treuchtlinger bzw. Nördlinger Straße umbenannt; sie fielen sämtlich dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. 1996 wurde die Nördlinger Straße wieder in Haberlandstraße zurückbenannt. Im Ersten Weltkrieg war die BBG auch an Rüstungsprojekten beteiligt, baute Hallen für den Luftschiffbau (Schütte-Lanz), für Sprengstofffabriken und in Marienfelde für den Kraftfahrzeughersteller Daimler. Haberland rief den Schutzverband für Deutschen <?page no="64"?> 63 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens Grundbesitz ins Leben, war Mitglied der Industrie- und Handelskammer Berlin und einer der Repräsentanten der »Reichspartei des Deutschen Mittelstandes«, die Anfang 1920 in Berlin entstand. Damals wurde die BBG zum Bauträger- und Bauunternehmen. Haberland hielt in den zwanziger Jahren 51 Prozent des Grundkapitals, der Anteil der Dresdner Bank ging auf 40 Prozent zurück. Es entstanden neue Siedlungen in Dahlem, Köpenick, Britz und Tempelhof, aber auch in Dortmund, Garching, Chemnitz, Den Haag und Amsterdam. Die BBG war auch am Bau von Bankgebäuden (Dresdner Bank), Kaufhäusern (u. a. Israel in der Königstraße, Wertheim am Leipziger Platz, Karstadt am Hermannplatz), Fabrikanlagen, Flughäfen und Vergnügungszentren beteiligt (»Lichtburg« am Bahnhof Gesundbrunnen, »Ullsteinhaus« in Tempelhof ). 1930 feierte das Unternehmen sein vierzigjähriges Jubiläum; im folgenden Jahr beging Georg Haberland seinen siebzigsten Geburtstag. Er starb am 17. November 1933 in Florenz. Die Gräber von Olga und Salomon Haberland sowie von Lucie und Georg Haberland befinden sich auf dem Jüdischen Friedhof am Prenzlauer Berg in der Schönhauser Allee. Georg Haberland an seinem siebzigsten Geburtstag 1931 <?page no="65"?> 64 Oswald Burger Enttäuschung über den Vater Dieser unternehmerische Geist blieb dem am 4. Juli 1899 in Berlin geborenen Werner Haberland fremd. Nach der Reifeprüfung im August 1917 schrieb er sich an der Berliner Friedrich-Wilhelms- Universität (heute Humboldt-Universität) für das Fach Jura ein. Wie sein älterer Bruder Kurt wurde er noch zum Kriegsdienst eingezogen und kehrte Ende 1918 zurück. Georg Haberland schrieb in seinen Erinnerungen: »Meine Söhne sind unversehrt aus dem Felde heimgekehrt. Weihnachten 1918 waren wir alle unter dem Weihnachtsbaum vereinigt.« 2 Ein Studentenverzeichnis aus dem Sommersemester 1919 führt Werner Haberland gemeinsam mit seinem Bruder auf - beide für das Fach Jura und beide als in Berlin W 62, Maaßenstraße 36 wohnhaft. Im Sommersemester 1920 wechselte Haberland für zwei Semester an die Ruprecht-Karls-Universität nach Heidelberg, um im Sommersemester 1921 an die Berliner Universität zurückzukehren, wo er auch noch im Wintersemester 1923/ 24 als Studierender geführt wurde. Von Frühjahr 1928 bis zum Ende des Wintersemesters 1929/ 30 (3 Semester) und für das Wintersemester 1930/ 31 war er erneut in Heidelberg immatrikuliert. Hier hörte er auch bei dem bedeutenden Rechtsgelehrten, SPD-Reichstagsabgeordneten und Reichsjustizminister Gustav Radbruch (1878-1949), der sich u.a. mit dem Problem der Adäquanz befasste, der Abschätzbarkeit der Folgen einer Handlung. Für die Jahre 1929 bis 1931 finden sich in den Universitätsakten drei Gesuche, in denen Haberland aus gesundheitlichen Gründen um Befreiung vom Besuch der Vorlesungen bat. Diese Verzögerung mag mit dafür verantwortlich sein, dass Haberland, durch seine materiellen Privilegien zu keiner raschen Aufnahme eines Berufes gezwungen, seine Dissertationspläne nie zu Ende brachte. Nichtsdestotrotz scheint es ein enges Verhältnis zu seinem Doktorvater gegeben zu haben, wie es in Radbruchs handschriftlicher Widmung »Werner Haberland nach langen, schicksalsvollen Jahren in der alten Gesinnung. Heidelberg 29. 1. 46. Gewidmet vom Verfasser« zum Ausdruck kommt. Sie findet sich in »Gestalten und Gedanken. Acht Studien« von Gustav Radbruch. 3 Mithin war Werner Haberland 16 Jahre lang, von 1917 bis 1933, immatrikuliert, ohne einen Abschluss zu erreichen. Während <?page no="66"?> 65 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens sein Bruder Kurt die Dissertation längst abgeschlossen hatte und bereits in die Direktion der familieneigenen BBG aufgestiegen war, gab Werner Haberland seine Absicht, eine Stellung als Dozent im Fachbereich Strafrecht anzustreben, schließlich zugunsten einer Existenz als Privatgelehrter auf. Die Gründe dafür lassen sich wohl zuerst in persönlichen Dispositionen oder Schwächen finden, sie sind aber auch im familiären Umfeld zu entdecken. Anfang 1919 war es zu einem Bruch in den familiären Beziehungen gekommen, als Haberlands Mutter Lucie starb. Über die Hintergründe gibt ein Brief Aufschluss, den Werner Haberland über drei Jahrzehnte später schrieb: »Heute ist der Todestag meiner Mutter, die allzu früh, im Jahre 1919, erst 45 Jahre alt, völlig unerwartet von uns ging. Gegen 5 Uhr abends sagte mein Onkel Dr. Siegfried Jacoby, unser Hausarzt, zu meinem Vater, der zu Hause geblieben und einem Fräulein Luttig diktierte: ‚morgen wird Lucie wieder aufstehen können’, eine halbe Stunde später war meine Mutter tot. Jacoby hatte ihr eine zu starke Dosis Morphium gegeben. Nach ihrem Tode ging jeder von uns seine eigenen Wege; es blieben 3 Haberländer zurück; wir waren unser 3, aber keine Familie mehr. Eine Woche vor ihrem Tode hat der Mutter geträumt, sie sei gestorben, der Vater hätte aber keine Zeit gehabt, für ihre Beerdigung zu sorgen, da hätte sie noch selber alles besorgt. Sie erzählte dies völlig heiter, scherzend, nicht etwa bitter oder auch nur mit einem leisen Vorwurf, sie erzählte dies, als wär’s in bester Ordnung, als müsste dies so sein. Die Mutter war selbstlos, war gewohnt zurückzutreten, vor allem solange der Grossvater lebte; der Grossvater stand meinem Vater näher als meine Mutter; er folgte teils anscheinend teils scheinbar seinem Vater; die Mutter hatte Einfluss auf den Vater gerade dadurch, dass sie ihn gewähren liess.« 4 Haberlands Vater zeigte sich in seinen Erinnerungen zwar der Tatsache bewusst und dafür dankbar, dass »für die Mutter, der die Kurt Haberland als Student in den 20er Jahren <?page no="67"?> 66 Oswald Burger Erziehung der Kinder in erster Linie obliegt [...], die entsetzliche Kriegszeit mit ihrer stetigen Ungewissheit über das Schicksal der Söhne eine viel härtere Prüfung« bedeutete »als für einen vielbeschäftigten Mann, der kaum Zeit zum Nachdenken hat« 5 - doch kann Werner Haberland schwerlich ein gutes Verhältnis zu seiner Stiefmutter Erna gefunden haben, die sein Vater nach achtjähriger Witwerschaft trotz des großen Altersunterschiedes heiratete. Sie war seine »fleißige und strebsame Sekretärin« gewesen; mit der Heirat wurde sie ihm - »ein kluger Streich in meinem Leben« - »nicht nur Kameradin und Ehefrau«, sondern »Tochter und Sekretärin zugleich, die alle meine Berufssorgen mit mir teilt.« 6 Wie den unternehmerischen Tätigkeiten seines Vaters stand Haberland auch dessen Lebensstil fremd gegenüber, wie dieser umgekehrt seinem Vater als »aus der Art geschlagen« erscheinen musste. Nirgends zeigt sich dies deutlicher als in den Worten und Bestimmungen, die Georg Haberland in seinem Testament fand: »Für meinen Sohn Werner, der leider zur selbständigen Verwaltung seines Vermögens nicht geeignet ist, da er als durch und durch ideal veranlagter Mensch gern alles was er hat mit denen teilt, die nach seiner Ansicht bedürftig sind, und sich hierbei selbst Entbehrungen auferlegt, bestimme ich folgendes: Das meinem Sohn Werner zufallende Vermögen wird auf Lebenszeit [...] von den Testamentsvollstreckern verwaltet. Die Testamentsvollstrecker sollen die aus dem Vermögen aufkommenden Erträgnisse ihm unverkürzt und zu seiner freien Verfügung auszahlen«. 7 Dieser vehemente Vater-Sohn-Konflikt war der Grund dafür, dass Werner Haberland nach dem Tod seines Vaters 1933 sein gesetzliches Erbteil ausschlug und auf das Pflichtteil gesetzt wurde, das freilich noch groß genug war. Aus einer Aufstellung seiner Rechtsanwälte geht hervor, dass Haberland Wertpapiere in Höhe von Werner Haberland <?page no="68"?> 67 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens 434.369,24 RM erbte sowie »das Grundstück in Überlingen, Langegasse 11, verzeichnet im Grundbuch von Überlingen Band 40 Heft 4«. 8 Das Grundstück an der Grethalde, Lange Gasse 9-11, wies eine Größe von 1 Hektar, 57 Ar und 23 m² (also 15.723 m²) auf und war bebaut mit einem Haus mit sechs Zimmern. Hierher zog sich Werner Haberland Mitte Oktober 1933 als Privatgelehrter und Obstbauer zurück. Von Land- und Obstbau dürfte der in der Großstadt Aufgewachsene keine Ahnung gehabt haben, doch schien es ihm wohl das Gegebene, den Bestand von 180 Obstbäumen um Beerenobst- und Gemüsepflanzungen zu erweitern. Zur Bewältigung der anfallenden Pflege- und Erntearbeiten beschäftigte er eine bis zwei Hilfskräfte. Seit November 1933 bis Ende 1938 war der Landwirt Karl Meßmer (*1907) aus dem nahen Bonndorf als Baumwart auf Haberlands Anwesen tätig, seine Frau half im Haushalt. Die Fotografien, die Meßmers Sohn aufbewahrt, zeigen ihn bei Ernte- und Bauarbeiten, aber auch in der Bibliothek vor einer Klinkerwand mit einem Adam und Eva darstellenden Relief und reich bestücktem Bücherregal. »Meine Aufgabe«, schrieb Meßmer 1960 in der Entschädigungssache Haberland, »war alle Apfelbäume mit guten Sorten zu veredeln. Sämtliche Arbeiten wurden nach Anweisungen des Obstbauamtmanns Grundler, Salem ausgeführt. Für meine Arbeit bekam ich 100 M. im Monat neben Kost u. Wohnung. An Hilfskräfte wurden jährlich etwa 60 Taglöhne à 4.- M. ausgegeben«. Zur Ertragslage des Gutes äußerte Das Haus und Grundstück an der Grethalde in Überlingen mit dem Landwirt Karl Meßmer <?page no="69"?> 68 Oswald Burger sich Meßmer so: »Die Einnahmen waren gering und schätze sie etwa 1000.- M. jährlich; da die Bäume gut 5 - 6 Jahre brauchen bis wieder Normale Ernten eintreten. Die Erträgnisse im Laufe der Jahre hätten sicherlich 8 - 10.000.- M. jährlich ergeben« 9 . Ende 1937 wurde Haberlands Bruder Kurt »verhaftet und über 1 Jahr lang wegen Rassenschande verfolgt«, um schließlich freigesprochen zu werden. 10 Seinen Vorstandsposten in der BBG hatte »Kurt Israel Haberland« schon zuvor räumen müssen; 1942 wurde er »in Mauthausen totgeschlagen«. 11 Die Verhaftung seines Bruders konnte Werner Haberland in seinem Vorsatz zur Emigration nur bestärken. So folgte er »dem Rate guter Freunde und ging in die Schweiz. Später wäre es auch nicht mehr möglich gewesen, das Anwesen zu betreiben, das nach der Auswanderung zwangsversteigert wurde«. 12 Seit dem 23. November 1937 lebte Werner Haberland in Basel; Karl Meßmer verwaltete den Betrieb weiter, bis er in andere Hände überging. Bei der Auswanderung wurde Haberland eine »Judenvermögensabgabe« in vier Raten à 26.750 RM, mithin 107.000 RM, abgepresst; die »Reichsfluchtsteuer« betrug zusätzlich 108.000 RM. Sein in Wertpapieren angelegtes Vermögen in Höhe von 180.000.bis 190.000.- RM stellte Haberland nach eigener Aussage über die »Reichsvereinigung Deutscher Juden« bedürftigen auswanderungswillige Juden zur Verfügung - »es wurde damit eine grosse Anzahl von Juden vor der Gaskammer bewahrt«. 13 Bei seiner Auswanderung war er nur noch im Besitz seines Überlinger Grundstücks und eines Restguthabens von 10.000 RM bei der Berliner Handelsgesellschaft. Exil und Studium in der Schweiz In Basel entdeckte der inzwischen Achtunddreißigjährige ohne abgeschlossene Berufsausbildung seine neue und eigentliche Passion - die Pädagogik. Erneut setzte er zu einem Studium an der Universität an, belegte Griechisch, Latein und Deutsch und machte im Herbst 1942 sein Mittelschulexamen. Aufgrund seines Alters - Haberland war inzwischen 43 Jahre - wurde er nicht zum Lehrerseminar zugelassen und erhielt auch keine Lehrerstelle. So schlug er sich als Krankenpfleger, Hilfsarbeiter, Handlanger, Geschirrspü- <?page no="70"?> 69 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens ler, Metzgereiausläufer und Buchantiquar durch. Es konnte nicht ausbleiben, dass er sich während des Studiums verschulden musste; die Rückzahlung (im Lebenslauf nennt Haberland 5%) kostete ihn lange Zeit. 1945 konnte Haberland eine zwanzig Wochen währende Aushilfsstellung am Gymnasium Biel antreten. Restitution Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus klagte Werner Haberland noch von der Schweiz aus gegen die zwangsweise Enteignung seines Überlinger Besitzes. Dieser war gemäß § 6 der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 (Reichsgesetzblatt I, S. 1709) am 10. Juni 1940 dem Treuhänder Dipl. Landwirt Fritz Hönig in Wälde (Gemeinde Owingen) übertragen worden, der ihn am 2. November 1940 an das Ehepaar Alfred Berrer und seine Frau Selma zum Preis von 21.000 RM weiter verkaufte. Der Kaufpreis wurde indes auf ein »Auswanderersperrguthaben« bei der Bezirkssparkasse Überlingen eingezahlt, der somit seinem Eigentümer nie zur Verfügung stand. Zwar hatte Haberland am 22. August 1941 den Auftrag erteilt, mit dem Geld Reichsschatzanweisungen zum Preis von 20.140,50 RM zu kaufen; doch wurden diese gemäß der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 am 9. Juli 1943 an die Reichsbank Berlin abgeliefert, weil das Vermögen des jüdischen Emigranten und damit »Reichsfeindes« Haberland »dem Reich verfiel«. 14 Die neuen Besitzer waren mit ihren Söhnen Jobst Friedrich und Eberhard bereits Ende Januar 1939 in der Langen Gasse 11 einzogen. Professor Alfred Albert Berrer, 1887 in Stuttgart geboren, hatte zwischen 1904 und 1910 Bauingenieurwesen an den Technischen Hochschulen Stuttgart und Danzig studiert und als Konstrukteur und Statiker in der Industrie gearbeitet. 1924 habilitierte er sich als Privatdozent an der TH Karlsruhe; nach einem sechsjährigen Aufenthalt an der Staatlichen Tung-Chi-Universität in Shanghai-Woosong, an die er 1936 für drei Jahre zurückkehrte, war Berrer Extraordinarius an der TH Breslau. Im Oktober 1939 erhielt er einen Lehrstuhl an der renommierten Rheinisch- Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH), ohne Mitglied der NSDAP zu sein, was späterhin als Besonderheit in <?page no="71"?> 70 Oswald Burger der Geschichte der RWTH vermerkt wurde. Im Herbst 1941 trat der Vierundfünfzigjährige als Hauptmann in die Wehrmacht ein und geriet bei Kriegsende in französische Kriegsgefangenschaft, in der er Ende 1945 starb. Auch die Familie Berrer war im Obstbau nicht sachkundig und beschäftigte für die Bewirtschaftung des Gutes Personal. Mit Urteil der Restitutionskammer am Landgericht Konstanz vom 19. Januar 1949 wurde der Kaufvertrag von 1940 für ungültig erklärt und das Grundstück Haberland zurückerstattet. Alfred Berrer hatte sein Vermögen je zur Hälfte seinen Söhnen vererbt, die beim Restitutionsverfahren durch ihre Mutter vertreten wurden. Die Beklagte behauptete, Haberland sei sehr frühzeitig aus Deutschland ausgewandert; sie und ihr Mann hätten keinerlei Druck auf ihn ausgeübt. Haberland musste den Kaufpreis in Höhe von 21.000 RM (im Verhältnis 10 RM : 1 DM, also 2.100 DM) an Witwe Berrer zurückzahlen. Dass das Deutsche Reich Haberland die Verfügung über den Kaufpreis entzogen hatte, stellte einen eigenen, ebenfalls als nichtig bewerteten Beraubungsakt dar, gegen den Haberland gesondert klagen musste. 1957 erhielt Haberland eine »Soforthilfe für Rückwanderer« in Höhe von 6.000 DM. Mit seiner ab 1960 angestrengten Klage wegen Schadens in der Ausbildung und im beruflichen Fortkommen blieb er indes erfolglos; lediglich für Schaden an selbständiger Tätigkeit wurden ihm 1966 ab dem Zeitpunkt seiner Emigration bis zum 31. Dezember 1946 (damals hatte er wieder eine »ausreichende Lebensgrundlage« erreicht) für 109 Monate je 300.- RM = 32.700 RM zugesprochen, was bei einem Umrechnungsfaktor von 10 RM : 2 DM einer Summe von 6.540.- DM entsprach. Was Haberlands Ansprüche auf Erstattung der Judenvermögensabgabe und der Reichsfluchtsteuer betrifft, kam es vor der Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Berlin Anfang Dezember 1967 zu einem Vergleich. »Die Reichsfluchtsteuer und die Judenvermögensabgabe sind [...] nach den Feststellungen des Landgerichts durch Entzug von Wertpapieren geleistet worden«, heißt es in einem Schreiben von Haberlands Rechtsanwälten, und: »Für den Entzug dieser Wertpapiere ist Entschädigung geleistet worden«. 15 <?page no="72"?> 71 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens Rückkehr nach Deutschland Im Dezember 1952 kehrte Werner Haberland nach Deutschland zurück und war zunächst formell wieder in Überlingen, Lange Gasse 11 auf dem Obstgut wohnhaft. Er fand es »so stark herabgewirtschaftet [...], daß es heute nahezu keinen Ertrag mehr liefert«. 16 Zeitweise lebte Haberland auch bei seinem früheren Mitarbeiter Karl Meßmer in Bonndorf. »Es wird mir nicht schwer, aus der Schweiz fortzugehen«, schrieb er Anfang 1953 seinem Anwalt. »Gewiss: wäre ich in Deutschland geblieben, ich wäre nicht mehr am Leben; doch gleich meinem Bruder gehöre ich zu den Unverbesserlichen, zu den Unbelehrbaren, bin im Herzen Deutscher geblieben, bin Deutscher vielleicht noch mehr denn je«. 17 Bewirtschaftet hat Haberland sein Obstgut nicht mehr; dafür war sein Leben, das überdies der Pädagogik galt, viel zu unstet. Bald nach der Rückerstattung sei es an einen Architekten namens Fenner verpachtet worden, der auch im Haus wohnte. 18 Dem inzwischen 53Jährigen gelang indes keine Anstellung mehr an einer staatlichen Schule; so blieb er auf Privatschulen angewiesen, an denen sein monatliches Einkommen mit DM 600,- ohne Pensionsberechtigung nur etwa die Hälfte einer Studienratsbesoldung betrug. 19 Das Haus inmitten der Obstbäume <?page no="73"?> 72 Oswald Burger Von Januar 1953 bis März 1956 war Haberland als Lehrer am Werkschulheim Felbertal bei Mittersill im Land Salzburg tätig. Idee und geistige Grundlegung des Werkschulheims waren in den Felbertauern 1951 auf einem Pfadfinder-Jamboree in Bad Ischl formuliert worden. 1951 nahm die Privatschule ihren Betrieb mit fünf Pädagogen und 25 Buben auf. »Eine neue Schulform, das Realgymnasium bis zu Ende gedacht«, resümierte Haberland das Konzept dieses Schultyps, »wie die Hohenzollernprinzen muss jeder Schüler zugleich ein Handwerk lernen, werden Abitur und Gesellenprüfung miteinander verbunden. Soll dort hauptsächlich Latein unterrichten. Gelingt es mir, an dieser Schule festen Fuss zu fassen, so wird mir zu guter Letzt doch noch das zuteil, wonach ich mich von Jugend auf sehnte, es wäre die Erfüllung meiner sehnlichsten Wünsche; gerade darum fehlt mir auch der rechte Glaube! « 20 Haberlands Skepsis sollte Recht behalten; seine Hoffnungen erfüllten sich nicht. Nirgends vermochte er festen Fuß zu fassen; immer wieder wechselte er Arbeitsstelle und Wohnort. Die einzige Konstante in seinem späten Berufsleben blieben neben seinem idealistischen Pädagogikverständnis Reformschulen. Von Ostern 1956 an unterrichtete Haberland für ein Jahr an der Hermann-Lietz-Schule auf Schloss Hohenwehrda, Kreis Hünfeld/ Hessen. Diese war aufgrund kriegsbedingter Bedrohung der Städte 1941 als Mädcheninternat auf dem Lande gegründet worden. Schwerpunkte der Mädchenerziehung waren kreative Fähigkeiten und das Theaterspiel. Die Koedukation wurde erst 1972 eingeführt. 1957 wechselte Haberland, diesmal für vier Jahre, an die Waldorfschule in Rendsburg. Diese älteste Waldorfschule in Schleswig-Holstein war erst 1950 gegründet worden. In den ersten zehn Klassen fand der Unterricht im Klassenverband ohne Leistungsdifferenzierung statt. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer scharte Haberland einen Kreis von Schülern um sich. Zu ihm gehörte Rüdiger Reyels, der sich an diese Zeit so erinnert: »Er unterrichtete mich in Französisch und wir lasen zusammen deutsche Literatur. Er wurde mein Mentor, fordernd und fördernd. In den Ferien war ich häufiger mit am Bodensee. Wir arbeiteten in seiner Bibliothek und gingen die schönen Wege oberhalb der Stadt, vorzugsweise in Richtung Birnau. Werner Haberland besuchte mich gelegentlich während meines Studiums in Berlin. Wir fuhren dann mit meinem 2 CV auch nach Ostberlin zur Grabstätte seiner Eltern auf dem <?page no="74"?> 73 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens damals noch verfallenen Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee. (Inzwischen ist die Anlage wieder hergerichtet. Ich wohne ganz in der Nähe und schaue gelegentlich vorbei.) Ich habe ihn auf fast allen Stationen seines Lebensweges nach Rendsburg aufgesucht, außer Hamburg. Wir standen immer in brieflichem Kontakt - wenn auch in größeren Abständen. Für mich war es trostreich zu hören, dass mein letzter Brief ihn noch auf seinem Krankenlager nach dem Unfall erreicht hat.« 21 Von Juni 1961 an war Haberlands Wohnsitz Oberurff-Schiffelborn, Krs. Fritzlar-Homburg. Hier habe er eine »alte Spelunke« bewohnt und ausgebaut. 22 Sein damaliger Schüler Klaus-Peter Vodel berichtet über die Begegnung mit Haberland: »Im Frühjahr 1960 lernte ich als Schüler der staatlich anerkannten Jugenddorf- Christophorus-Schule Oberurff (Internat) den Lehrer Werner Haberland kennen. Er unterrichtete die Fächer Latein und Deutsch, vorwiegend in der Oberstufe des Gymnasiums. In beiden Schulfächern verfügte er über anerkannt hervorragende Fähigkeiten. So hat er persönlich eine Schulgrammatik für Latein herausgegeben, aus der er bei Bedarf ohne nachzuschauen Details zitieren konnte. Auch in Deutsch war er eine herausragende Koryphäe. Ich erinnere mich u.a., dass er anerkannte Literaten wie Marie-Luise Kaschnitz zur Lesung aus eigenen Werken gewinnen konnte. Außerhalb der Unterrichtszeit stand Werner Haberland im Internat als väterlicher Berater ratsuchenden Schülern zur Verfügung. Persönlich pflegte er einen sehr bescheidenen Lebenswandel. Er wohnte etwa 4 Kilometer entfernt in einem Weiler auf einem Berg in einem einfachen Bauernhaus zur Miete. Für seine umfangreiche Bibliothek gab es in seinem Zuhause keine Regale, sämtliche Bücher waren an den Wänden bzw. in den Räumen gestapelt. Den täglichen Schulweg machte er stets zu Fuß mit riesigem Rucksack auf dem Rücken. Er verfügte über keinerlei Motorisierung. Schon zu jener Zeit litt er unter Gleichgewichtsstörungen, was ihm dann später in Hamburg wohl zum Verhängnis wurde.« 23 Ein Beleg für seine Bedürfnislosigkeit ist auch folgende Anekdote: Wenn Haberland - oft unverhofft - nach Bonndorf zu Besuch kam, sei er immer per Anhalter gefahren. Einmal habe ihn ein Autofahrer mit einem alten schaukelnden Citroen mitgenommen, dessen Motor kaputt gegangen sei. Da habe ihm Werner Haberland kurzerhand für 500 DM einen neuen Motor gekauft. Er habe einfach helfen müssen, habe er verschmitzt gemeint. 24 <?page no="75"?> 74 Oswald Burger 1963 wechselte Haberland an die Jugenddorf-Christophorus- Schule Versmold in Westfalen. Diese Schule war 1962 durch Übernahme eines ehemaligen Progymnasiums durch das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland g. e.V. (CJD) entstanden, orientierte sich an überkonfessionellen christlichen Grundsätzen und kümmerte sich um unterprivilegierte Jugendliche, insbesondere um Aus-, Über- und Umsiedler. Wie lange Haberland hier arbeitete, ließ sich nicht ermitteln, weil die Unterlagen der Schule vernichtet wurden. Ein Grund für den häufigen Stellenwechsel Haberlands könnte in der Aussage liegen, dass er sich seinen Schülern immer gut verstand, während es mit den Kollegien öfter zu Differenzen kam. 25 Alter in Armut »Bin seit Ostern ausgebootet, habe die Folgen der Gehirnerschütterung noch nicht völlig überwunden, fühle mich dem Leben immer weniger gewachsen.« Möglicherweise markiert diese Bemerkung in einem Brief vom Sommer 1966 an den »lieben Karl« in Bonndorf das Ende seiner schulischen Tätigkeit. Denn ab diesem Zeitpunkt ist in der Korrespondenz Haberlands, der nach der Erinnerung Meßmers unter Schwindelanfällen litt, nur noch von andersgearteten Beschäftigungen die Rede. »Ich war hier in Kassel 3 Monate Nachtportier in einem Hotel, arbeitete 70 Stunden in der Woche. Man hielt sich nicht an den Tarifvertrag, und menschlich wurde ich schlecht behandelt. In den Ausgaben beschränkte ich mich auf das Existenzminimum, konnte trotz der geringen Bezahlung recht viel sparen.« 26 Wie sehr Haberland der Kontakt mit Jugendlichen fortan fehlte, bekennt er im selben Brief: »Das Lehren war für mich eine Leidenschaft, wie für den jungen Menschen das Autofahren. Die Schüler haben mir Frau und Kind ersetzt. Die Arbeit am jungen Menschen ist für mich das Schönste im Leben gewesen. Sie haben mich erst zu dem gemacht, was ich bin oder was ich wenigstens vor einiger Zeit gewesen bin. Durch sie habe ich eigentlich erst auch den Weg zum Geistigen, habe ich mich erst selbst gefunden. Nun bin ich anscheinend ein alter Knacker geworden, habe Schwierigkeiten beim Sprechen, wenn ich müde bin, die geistige Aufnahmefähigkeit ist <?page no="76"?> 75 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens weit herabgesetzt, weiß oft gar nicht, ob ich noch lebe. Die Jugend hatte mich jung erhalten. Ich glaube nicht mehr recht daran, daß ich noch einmal in die Reihe komme. Jeden Tag frage ich mich, wofür muß ich heute dankbar sein. Dankbar bin ich für den kleinen Kreis, der mir geblieben ist; nur fühle ich nicht mehr die Kraft, noch der Gebende zu sein! « 27 Anfang 1967 bot Haberland Karl Meßmer an, die Ausbildung seines Sohnes zu finanzieren. Karl-Heinz solle Abitur machen und studieren, er sei zur Übernahme aller Kosten bereit und werde »ihn unter Umständen für einige Fächer selber vorbereiten« 28 . Im Herbst desselben Jahres trug er auch die Kosten für eine neue Küche für Meßmer in Höhe von 2.000 DM. 29 Gegen Ende seines Lebens arbeitete Haberland als Nachtwächter in einer Hamburger Lastwagenfabrik. Das schöne Gerücht, der hochintelligente Werner Haberland habe für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« die Kreuzworträtsel verfasst, ließ sich im Hausarchiv nicht verifizieren - in den fünfziger und sechziger Jahren waren dort noch gar keine Kreuzworträtsel erschienen. Von Frauen erfahren wir aus der Korrespondenz des zeitlebens Ledigen nur selten. Nur einmal, 1953, beklagt sich Haberland, von einer Betty Lehmann »ausgenutzt« worden zu sein. Er nennt sie »unaufrichtig«, muss aber gestehen: »gleichwohl bin ich immer wieder ihrem Charme erlegen und konnte mich niemals völlig von ihr lösen«. 30 Dazu scheint ihm dann die Ausreise aus der Schweiz Gelegenheit gegeben zu haben. Schenkung Bereits 1965 muss Haberland die Entscheidung getroffen haben, sein Überlinger Grundstück zu verkaufen und den Erlös für den Bau einer Jugendherberge zu stiften. In einem handschriftlichen Brief an den Überlinger Bürgermeister vom 10. Oktober 1965 aus Oberurff geht es um die Frage der Bebaubarkeit seines Grundstücks und die Idee der Schenkung, die er mit dem Geschäftsleiter des Badischen Jugendherbergsverbandes, Heinrich Wehs, bereits vorbesprochen habe: »Die JH soll - schlug ich vor - den Namen ‚Martin Buber JH’ erhalten u. es soll eine Brücke geschlagen werden zwischen der deutschen und der israelischen Jugend! Es wird <?page no="77"?> 76 Oswald Burger wohl nicht schwierig sein, die Genehmigung zu erwirken. Vielleicht macht der Bund dann auch noch Gelder flüssig! Ein Haus der Jugend wäre Ihnen lieber gewesen. Vielleicht können die Jugendgruppen in der neuen JH Arbeits- und Versammlungsräume erhalten […]. Helfen Sie bitte, lieber Herr Bürgermeister, dass Überlingen eine rechte Jugendherberge erhält. Das wird dann auch ein Ruhmesblatt Ihrer Amtszeit sein. Mit freundlichen Grüßen Ihr sehr ergebener Werner Haberland«. 31 Bürgermeister von Überlingen war damals der Rechtsanwalt Anton Wilhelm Schelle, der Haberland schon 1949 in seinem Restitutionsverfahren vertreten hatte. Am 28. Februar 1967 überschrieb Haberland seinen zurückerstatteten Überlinger Grundbesitz dem badischen Jugendherbergswerk. »Der Schenker macht dem Beschenkten Verein zur Auflage«, hieß es im Stiftungsvertrag, »das vorbeschriebene Grundstück ganz oder teilweise zu verkaufen und/ oder das Grundstück, seinen nicht verkauften Teil und/ oder den Erlös für die Errichtung einer neuen Jugendherberge in Überlingen oder Umgebung zu verwenden.« Ferner hielt der Vertrag fest: »Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass das aus dem Erlös des verkauften Anwesens zu errichtende Jugendherbergs-Haus der deutsch-israelischen Verständigung dienen soll, und den Namen Martin-Buber-Jugendherberge führen soll.« 32 Wie sich der Landesvorsitzende des Jugendherbergswerks erinnert, habe sich Haberland nach der notariellen Beglaubigung des Vertrags in Karlsruhe an eine Autobahnraststätte fahren lassen, von wo aus er per Anhalter nach Kassel zurückgefahren sei. Auch sollten der Stiftung noch weitere Gelder zugute kommen, die Haberland etwa auf dem Wege der »Wiedergutmachung« zustünden. Tatsächlich flossen ihr im Herbst 1967 weitere Mittel in Werner Haberland <?page no="78"?> 77 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens Höhe von 210.000 DM zu, die aus dem weiter oben erwähnten Vergleich kamen. Haberland leitete sie abzüglich der Anwaltskosten umgehend an den Jugendherbergsverband weiter. 33 Am 20. März 1970 wurde Werner Haberland in Hamburg- Wandsbek von einem Lastwagen erfasst. Er war mit seinem Fahrrad unterwegs gewesen und erlag seinen Verletzungen im Jüthorn-Krankenhaus. Am 10. April 1970 wurde er auf dem Hamburger Friedhof Finkenriek beerdigt. An der Trauerfeier sprach Paul Wettach, Vorsitzender des Landesverband Baden im Deutschen Jugendherbergswerk, einen Nachruf; Dr. Franz Schindler sprach am Sarg das Kaddisch, das jüdische Trauergebet. Werner Bohrmann, der Hochseekapitän wurde und Haberlands Hausrat erbte, würdigte seinen Pflegevater sensibel als väterlichen Freund, Pädagogen und politisch-sozialen Denker. »Liebe Leidtragende! Wir haben einen außergewöhnlichen Menschen verloren. Diesem teuren Mann, unserem mütterlichen Freund zum Gedenken möchte ich ein paar Worte sagen - stellvertretend für die ihm verbundenen und nächsten Menschen, die sich hier versammelten, stellvertretend aber auch für die unzähligen Mädchen und Jungen, denen Werner Haberland sein Leben widmete. Große Worte zu seinen Verdiensten wären am Grabe eines so schlichten, allem Schein und Prunk, aller Ruhmrederei und Prahlsucht abgekehrten Mannes am wenigsten angebracht. Ich will an dieser Stätte nur ein paar Sätze zu seinem Leben, Denken und Fühlen sagen und ihm so einen Dank in seine ewige Heimat nachrufen. Was war dieser Werner Haberland für ein Mann, dem materieller Reichtum nichts bedeutete, der nach schweren menschlichen Bedrängnissen und familiärem Leid in Hitlerdeutschland harte und entbehrungsreiche Jahre der Emigration in der Schweiz auf sich nehmen mußte? Was war das für ein Mann der trotz dieser beschwerlichen, leidvollen Wanderung seine Liebe zur deutschen Jugend niemals aufgegeben und sie jahrelang täglich aufs neue erprobt hatte? Wie stand er zum Leben und zum Tod, der uns nun die Verzweiflung über die Vergänglichkeit dieses lieben Mannes brachte? Diese Verzweiflung, Leid und Ratlosigkeit sind in uns, die wir doch wussten und wissen: »Von der Tage Anbeginn gibt es keine Dauer.« Weiter sagt uns das eben zitierte Gilgameschepos - und das macht unsere Ratlosigkeit so betrüb- <?page no="79"?> 78 Oswald Burger lich und unser Leben so bewußt: »Die Jahre des Lebens zählen die Götter, die Jahre des Todes zählen sie nicht.« Wenn wir »Götter« vernehmen, rückt Werners Religiosität in unser Blickfeld, an sein originelles und autonomes Handeln und Denken, für das ihm kein Kirchengebäude genügend Raum und Souveränität geben konnte. Wenn er einen Schulgottesdienst abhielt und mit Stetigkeit und Andacht das morgendliche Schulgebet veranlaßte, wurde uns durch seine ehrfürchtige Ergebenheit den Christen und ihrem Gott gegenüber die religiöse Komponente seines Weltbürgertums bewußt. Wir dürfen ihn selbst als Pantheisten bezeichnen, dem das absolute Sein Gottes mit der Welt identisch war, der in allen Erscheinungen des Diesseitigen das Göttliche erblickte. In Werners Interpretationen von »Ganymed« und »Prometheus«, die er uns in Oberprima gab, wurden zwei wesentliche Momente dieses Pantheismus sichtbar: Im Ganymed sah er einen kontinuierlichen Weg von der Diastole, über die Erweiterung der Person, das Aufgehen ins All, in den Endzustand des Allseins, während Prometheus die Gegenbewegung von der Systole über die Individualisation zur persönlichen Autonomie vollzog. Dieses pantheistische Allgefühl mit dem klassischen Humanitätsideal zu vereinigen, war Werner für seine Person noch einmal vergönnt: Die Idee der menschlichen Freiheit, in der die Autonomie des Individuums und die Gleichheit der Gesamtheit verbunden sind und mit Menschlichkeit bezeichnet wird, zwang ihn aber zu einer Außenseiterposition in der Gesellschaft unserer Tage. Eine Gesellschaft, die immer mehr von einem internationalen Existenzkampf und einem sich ausdehnenden Produktionsapparat geprägt wird, gilt die Idee der menschlichen Freiheit, der autonomen Person als überholt. Das Denken und Handeln Werners erschien vielen als unrentabel, störend, ja substanzlos. Die total organisierte Gesellschaft, in der es für das Individuum kaum noch möglich ist, es selbst und bei sich selbst zu sein, weder innerlich noch äußerlich, zwang den Humanisten Werner Haberland zu einer weitgehenden Distanz von eben dieser Gesellschaft. So war es nicht verwunderlich, daß seine Sympathien weitgehend der jungen Linken und ihren Idolen, Ho und Che, gehörten. Ihr Kampf gegen die falschen Bedürfnisse in unserer Zeit fand seine volle Zustimmung. Das Attentat auf Rudi Dutschke stürzte Werner in tiefe Niedergeschlagenheit. Die Menschlichkeit, die nur noch als Vokabel humaner Illusion und klassischer Literatur einen Sinn zu haben scheint, baute ihm die Brücke zu den Progressiven unserer Zeit. Außerdem stellte sie einen bestimmten <?page no="80"?> 79 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens Blickwinkel Werners bei seiner Arbeit für die Jugend und seinem Leben in der Jugend dar, die noch stets das Bestehende als höchst veränderungsbedürftig hielt. Er, der als Wandervogel in seiner Jugendzeit selbst einer Protestbewegung angehört hatte, und von der er weitgehend geprägt wurde, konnte auch deshalb nun sagen: »Selbst noch in meinem siebenden Jahrzehnt ist die Jugend der Welt geblieben, in der ich lebe.« Nun läßt sich Werners Verhältnis zur Jugend nicht allein aus einer gesellschaftlichen Notwendigkeit heraus erklären, es kommt ein anderes seinem Wesen immanentes Problem hinzu: das Todesbewußtsein. Je reichhaltiger und vielschichtiger jemand lebt, desto stärker fühlt er sich dem Tod verbunden. So sagte Werner 1966, er habe etwa noch vier Jahre zu leben. Auf meine Skepsis in anbetracht seiner Konstitution und Pläne antwortete er, durch einen Autounfall werde er wohl sterben. Wenn wir, liebe Trauernde, nun mit Ratlosigkeit auf die zwei Monate seiner selbstgewählten Isolation vom Unfall bis zum Tod zurückblicken, werde ich an den Schluß unsere von Werner gestellten Abiturtextes von H. Hesse erinnert, wo es heißt: »Und es wehrte sich etwas in mir dagegen, auch hier und diesmal wieder den Kreislauf zu erneuern, das Rad des Lebens aufs neue anzutreiben.« - Indem Werner mit der ihm eigenen gefühlsmäßigen Innerlichkeit dem Ende entgegensah, konnte er wie ein Weiser den Tod ohne Schrecken und Bitterkeit erwarten. Aber wir werden Werner auch nicht gerecht, wenn wir ihn als einen auf den Tod fixierten Menschen sehen wollen. Ihm, dem Mann mit der klassischen Bildung und Bildung der Klassik, dem Pantheisten Goethescher Prägung war nur ein immer stärkeres Wissen um die Einheit von Leben und Tod, von Anfang und Ende beschieden. Wir werden an Goethes Verse erinnert: Das Lebend’ge will ich preisen, Das nach Flammentod sich sehnt. Und solange du das nicht hast, Dieses Stirb und Werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde. Den dynamischen Rhythmus des »Stirb und Werde« in stetiger Höherentwicklung dürfen wir als ein Grundmotiv Werners verstehen, wenn er auf den Straßen seines Lebens seinen Weg und seine Selbstverwirklichung suchte und fand. Seine stete und scheinbare Unruhe auf allen seinen Lebensstationen sind ein beredtes Zeugnis dafür. <?page no="81"?> 80 Oswald Burger Diese Selbstverwirklichung - einerseits durch das Todesbewußtsein fixiert - konnte ihr zweites Bezugsmoment zur vollständigen Erlangung dieser Polarität von »Stirb und Werde« am vollkommensten in der Jugend finden, dem Anfang des Lebens und Denkens. Der Tod, der uns mit der Wegnahme des teuren Freundes in unser scheinbar so bewußtes Leben eine entsetzliche Lücke beibrachte, aus dem uns nun das Finstere, das Grauen, das Leere anstarrt, dieser selbe Tod hat unsern Freund als stets bewußtes Ende nicht aus dem Leben getrieben, sondern in das Leben zurück: Mit der Hinwendung zur Jugend brachte er ihm die Steigerung des Lebenserlebnisses. »Der Umgang mit der Jugend ist mein Leben.« Diese Worte Werners markieren den Horizont seiner Lebensbetrachtung und sein Tätigkeitsfeld gleichzeitig. Dieses Tätigkeitsfeld bestand zuerst einmal in der aufopferungsvollen Arbeit im Beruf, der er oft Nächte hindurch mit wissenschaftlicher Akribie und der ihm eigenen Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit nachging zum Gewinn und Vorteil seiner Schüler. Es bestand aber auch - und für den Betroffenen vor allem - in der persönlichen Hinwendung zu dem einzelnen Mädchen und Jungen, denen er dann Matrose und Kapitän, Kompaß und Leuchtturm zugleich auf ihrer oftmals gefährlichen Fahrt im uferlosen Ozean ihres jungen, unsicheren und richtungslosen Lebens war. »Werde der du bist« mußten wir vernehmen, wenn wir wiedereinmal jeglichen Zieles bar waren. Der Charakter unseres Toten war von einem Reichtum geprägt, der uns oft fehlte, den er aber in einem besonderen Maße besaß: die Fähigkeit zu lieben. War Werner uns Jugendlichen der mütterliche Vater und oft in Sorge und Güte um uns, manchmal auch mit Strenge im Unterricht gegen uns, so war sein Verhältnis zu uns Kindern von einer ungetrübten Vaterliebe gekennzeichnet. Wenn er, der doch selber keine Kinder gezeugt hatte, einem Kleinen sich näherte und es beschenkte, war sein gutmütiges Antlitz von einer naiven Freude und einer fast göttlichen Milde geprägt. Die Liebe zum Kinde, die Christus für alle Zeit als die gottnächste und zärtlichste versinnbildlichte, war bei Werner tief verwurzelt. Darauf sich gründend war die Liebe zum Menschen zu einem Grundzug seines Lebens geworden. Wir können sie mit den Worten Pestalozzis fassen: »Liebe ist das einzige, das ewige Fundament der Bildung unserer Natur und Menschlichkeit.« Nun, Werner, laß uns von Dir Abschied nehmen. Er fällt uns umso schwerer, als jeder von uns weiß, daß Du zu jeder Zeit für ihn da <?page no="82"?> 81 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens warst. Aber auch die wenigen Freunde Deiner Generation wissen um ihren Verlust. Wie alles, woran unser Herz hängt, war auch Dein Leben nicht von Dauer, sondern Teil im immerwährenden Abschiednehmen. Du, Werner, wußtest darum: Der Tod als Teil des Menschseins lehrte Dich, Mensch zu sein. Du hast als letzter der Familie Haberland Dein Leben vollendet und ein gutes und bleibendes Gedächtnis dieses Namens hinterlassen. Dein Grab wird eines von jenen sein, »die wie Wetternacht an unserm Horizonte stehen.« Es ist nun an uns, das »Stirb und Werde« Deines Lebens weiterzutragen. Eine Allegorie Homers versinnbildlicht unsere Standorte: »Gleich wie die Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen Einige streuet der Wind auf die Erde hin, andere wieder Treibt der knospende Wald, erzeugt in des Frühlings Wärme: So der Menschen Geschlecht, dies wächst, und jenes verschwindet.« Vieles, Werner, müssen wir zurücklassen: Den Reichtum Deines Wissens und Deiner Bildung, Dein Leben wie ein Bettler und Schenken wie ein König, d. h. Deine materielle Bedürfnislosigkeit und Einstellung zum Besitz, Deine persönliche, menschliche und geistige Souveränität, die Originalität Deines Lebens, Deine Liebe zu den Menschen, die Lauterkeit und Wahrhaftigkeit Deines Sinnes. Das alles, wie wir es lassen, rückt nun in ein klareres, vieles andere in ein versöhnlicheres Licht. Die Allgegenwart Deines Lebens und Sterbens muß aber nicht unser Leben verdüstern, sie nimmt uns eher den plumpen Ernst und die platte Lustigkeit, sie dämpft das grelle Licht des Festtages und verklärt den grauen Alltag. Du, Werner, bleibst bei uns im Sinne Goethes, der schrieb: Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis. 34 <?page no="83"?> 82 Oswald Burger Die Martin-Buber-Jugendherberge Überlingen Vertragsgemäß flossen die aus dem Verkauf des Haberland’schen Grundstücks stammenden 1,2 Millionen DM in den Neubau einer Jugendherberge. Man entschied sich nämlich für einen Abriss des bisherigen Gebäudes und einen vergrößerten Neubau an gleicher Stelle. Hierfür war der Hinzukauf eines städtischen Grundstücks nötig. Eröffnet wurde die Martin-Buber-Jugendherberge am 23. Juni 1975. Eine Tafel am Eingang trägt die Inschrift: »Werner Haberland, Ehrenmitglied des Deutschen Jugendherbergswerkes, Landesverband Baden, ermöglichte durch eine Schenkung den Bau dieses Hauses. Es trägt nach dem Willen des Spenders den Namen Martin Buber. Mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland, des Landes Baden-Württemberg und der Kreissparkasse Heilbronn als weiteren Förderern wurde es 1974/ 75 erbaut und eingeweiht am 23. Juni 1975 durch Bundespräsident Walter Scheel.« 35 Der Weg auf der Grethalde, wo sich das Grundstück und Haus Werner Haberlands befunden hatten, wurde »Werner-Haberland- Weg« genannt. Die Martin-Buber-Jugendherberge in Überlingen <?page no="84"?> 83 Werner Haberland - Landwirtschaft als Versuch eines bodenständigen Lebens Anmerkungen 1 Georg Haberland, Aus meinem Leben. Berlin 1931. Privatdruck zum siebzigsten Geburtstag 14. August 1931. Redigiert von Werner Haberland, Gestaltung Georg Salter. Berlin 1931, S. 53. Die Darstellung der unternehmerischen Seite der Haberlands folgt Bernhard Stier, Martin Krauß: Drei Wurzeln - Ein Unternehmen. 125 Jahre Bilfinger Berger AG. Institut für Unternehmensgeschichte. Heidelberg - Ubstadt-Weiher - Basel 2005. 2 Ebd., S. 161. 3 Das Buch befindet sich im Besitz von Dr. Rüdiger Reyels, Berlin. - Reyels, geb. 1941 in Salzburg, studierte Jura und trat 1973 in den diplomatischen Dienst. Tätigkeit in Bonn, Israel und Brüssel; Botschafter in Sambia und Iran, ständiger Vertreter der BRD bei der NATO in Brüssel; verschiedentlich im Auswärtigen Amt in Bonn und Berlin tätig. 4 Schreiben an Rechtsanwalt Fallisch, 6. Januar 1953. 5 Georg Haberland, wie Anm. 1, S. 161. 6 Ebd., S. 200. - Erna Haberland lebte in einem Haus, das bis 1935 der BBG gehörte; sie starb 1956. 7 Staatsarchiv Hamburg, Best. 213-12, Landgericht Hamburg - Wiedergutmachungskammer Nr. 4941. 8 Schreiben der Rechtsanwälte Rudolf Nierhoff und Koll., Bielefeld, 8. März 1966 an das Landesamt für Wiedergutmachung Karlsruhe; StAF F 196/ 1, Nr. 7419, S. 247. 9 Auskunft Karl Meßmer vom 23. Oktober 1960 für das Landesamt für Wiedergutmachung; StAF F 196/ 1, Nr. 7419, S. 107. 10 Werner Haberland, Lebenslauf vom 8. April 1942; StAF F 196/ 1, Nr.7419, S. 27. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Vgl. die Bescheinigung der Volksbank Überlingen vom 28. Dezember 1949; StAF F 202/ 32 Nr. 4947. 15 Schreiben Rudolf Nierhoff und Koll. an das Landesamt für die Wiedergutmachung, Außenstelle Karlsruhe, vom 12. März 1969; StAF F 196/ 1, Nr. 7419, S. 329. 16 Werner Haberland, Neuantrag an das Landesamt für Wiedergutmachung, 7. Juli 1959; StAF F 196/ 1, Nr. 7419, S. 61. 17 Brief vom 6. Januar 1953 an Rechtsanwalt Fallisch, StAF F 196/ 1 Nr. 7419. 18 Aussage Karl-Heinz Meßmer, 27. September 2013. 19 Haberland an das Landesamt für Wiedergutmachung, 7. Juli 1959; StAF F 196/ 1, Nr. 7419, S. 61. 20 Scheiben an Rechtsanwalt Fallisch, wie Anm. 17. 21 Brief vom 14. November 2013 an den Autor. <?page no="85"?> 84 Oswald Burger 22 Auskunft Karl-Heinz Meßmer, 27. September 2013. 23 Auskunft Klaus-Peter Vodel, Überlingen, 8. Oktober 2013. 24 Auskunft Karlheinz Meßmer, wie Anm. 22. 25 Ebd. 26 Werner Haberland an Karl Meßmer, 7. Juli 1966, privater Nachlass Karlheinz Meßmer, Bonndorf. 27 Ebd. 28 Karte an Karl Meßmer, 5. Februar 1967. 29 Karte aus Wangerooge, 13. November 1967. 30 Schreiben an Rechtsanwalt Fallisch, 6. Januar 1953. 31 Schreiben von Werner Haberland an den Überlinger Bürgermeister vom 10. Oktober 1965, Stadtarchiv Überlingen. 32 Schenkungsvertrag zwischen Werner Haberland, Gymnasiallehrer, Oberurff3 und dem Deutschen Jugendherbergsverein Landesverband Baden e.V., Karlsruhe vom 28. Februar 1967 in den Grundbuchakten der Stadt Überlingen (Kopie durch die Grundbucheinsichtsstelle Überlingen vom 11.12.2013). 33 Karte vom 13. November 1967 aus Wangerooge an Karl Meßmer. 34 »Werner Haberland. 4. 7. 1899 Berlin - 20. 3. 1970 Hamburg«. Enthält die Ansprache von Paul Wettach, die Gedenkrede Werner Bohrmanns, den Kaddisch von Dr. Fritz Schindler und ein Porträtfoto des Verstorbenen. 35 Wegen Erkrankung Walter Scheels wurde er durch einen Staatssekretär vertreten. <?page no="87"?> Wohnhaus des »Oberen Hofes« in Heiligenholz <?page no="88"?> 87 »Man wollte mir unter irgendeinem Vorwand den Hof wegnehmen« Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz »Zwei befreundete Landwirte zogen sich in die Gegend des Bodensees nach dem badischen Ort Heiligenholz zurück. Sie bewirtschaften dort gemeinsam einige hundert Morgen Land und ließen sich von einem jungen Architekten zwei große alte Bauernhäuser als Einfamilienhäuser mit zahlreichen Gastbetten umbauen« 1 . So beginnt ein mit mehreren Außen- und Innenaufnahmen sowie Grundrisszeichnungen illustrierter Beitrag in einer bislang nicht identifizierten Architekturzeitschrift, der zu Beginn der dreißiger Jahre als dritte Folge der Serie »Bauen auf dem Lande« erschien. Autor des Artikels ist Wilhelm Jensen aus Stuttgart, jener oben zitierte »junge Architekt«; Bauherren waren die beiden Ehepaare Dr. jur. Georg und Dr. med. Eva Licht sowie Dipl. Ing. Fritz Wohlgemuth und seine Frau Johanna. Landwirte, wie oben behauptet, waren die beiden Paare also keineswegs, die sich da zwischen Überlingen und Pfullendorf auf einem landschaftsbeherrschenden Hügel inmitten des Weilers Heiligenholz mit freier Sicht über das Salemer Tal hinweg bis ins Berner Oberland niederließen - oder doch erst in zweiter Linie: bereits ihre Titel und Berufsbezeichnungen lassen erkennen, dass sie auf Umwegen zur Landwirtschaft gekommen waren. Was sie gemeinsam hatten, war ihre bürgerliche Herkunft, die in drei Fällen in eine akademische Ausbildung mündete, ihre Geburtsjahrgänge, die sämtlich in die Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts fielen, sowie die Tatsache, dass sie bis auf die katholische Rheinländerin Eva Licht Berliner Juden waren, deren Heimat ursprünglich im Osten lag. Über das Zustandekommen der Freundschaft der beiden Paare wissen wir ebenso wenig wie darüber, von wem die Initiative zur gemeinsamen Niederlassung in Heiligenholz ausging. Die beiden Höfe, nur 100 Meter voneinander entfernt und 300 Meter über dem Bodensee an einer kleinen Passhöhe zwischen Altheim und Hattenweiler gelegen, trugen damals die Bezeichnungen <?page no="89"?> 88 Manfred Bosch Unterer und Oberer Hof. Den Oberen Hof, seiner Bauart nach barock und Fotos zufolge etwas heruntergekommen, erwarben Georg und Eva Licht im April 1932 für 30.000 Goldmark 2 von der Markgräflichen Schulstiftung in Salem. Diese hatte ihn nach mehreren, rasch aufeinander folgenden Besitzerwechseln selber erst 1923 erworben, um einer weiteren Geldentwertung vorzubeugen 3 . Der dazugehörige Grundbesitz umfasste Acker-, Wiesen- und Weideland im Umfang von 36 Hektar und etwas Wald. Über die beiden Käufer liegen für weite Strecken ihres Lebens nur spärliche Daten vor. Am wenigsten wissen wir über Georg Licht. Am 24. Juli 1884 in Berlin als Sohn des Kaufmanns Salomon Licht geboren, war er unter vier Geschwistern das jüngste. Die älteste seiner drei Schwestern wurde 1874 in Posen geboren, die zweite kam im Jahr darauf bereits in Berlin zur Welt, sodass in der Zwischenzeit der Umzug der Familie in die Reichshauptstadt stattgefunden haben wird. Zwischen 1890 und Herbst 1900 besuchte Georg Licht das Königliche Französische Gymnasium in Berlin, anschließend das Städtische Gymnasium in Fürstenwalde/ Spree, wo er 1902 das Abitur ablegte. An der Universität Berlin schrieb er sich für ein Studium der Rechte ein, das er nach einigen Heidelberger Semestern 1907 in Freiburg bei Carl Braig mit einer Arbeit über »Christian Thomasius’ strafrechtliche Lehren« cum laude superato 4 abschloss. Der langjährige Freund Marcus Behmer schildert Licht als »ungewöhnlich gründliche[n] Kenner der deutschen Geschichte, zumal der neueren«, und nannte ihn einen »glühende[n] Bewunderer Bismarcks« und »leidenschaftlichen, national-deutsch und sozial empfindenden Mann« 5 . Mehr als zur Juristerei neigte er jedoch zur Landwirtschaft, so dass er nach Abschluss seines Studiums bei einem »vorzüglichen Domänenpächter« und anerkannten Landwirtschaftslehrer diesen Beruf »von der Pike auf« lernte. Noch vor dem Ersten Weltkrieg erwarb Licht im pommerschen Sassenhagen das landwirtschaftliche Gut Neumühl, das er »mit ›Inspektor‹ und sonstigem üblichen Gesinde« 6 bewirtschaftete und das in den folgenden Jahren einen Aufstieg von einer Klitsche zum mustergültigen Betrieb erlebte. Etwas besser steht es mit unserer Kenntnis über Eva Licht, deren Bildungsweg ebenfalls nicht auf ihren späteren Beruf als Landwirtin hinweist. Anders als ihr späterer Mann war Eva Büntgen, ältestes von sieben Geschwistern, wie erwähnt, nichtjüdischer Ab- <?page no="90"?> 89 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz stammung. Am 4. Dezember 1884 geboren, war die Tochter des Weinhändlers und Gutshofbesitzers Heinrich Joseph Büntgen aus Sinzig am Rhein »mit landwirtschaftlichem Tun und Denken von Kind aus vertraut« 7 . Sie selbst gab am Schluss ihrer Dissertation den Beruf ihres Vaters mit Kaufmann an; ihren Bildungsgang beschrieb sie so: »Vom 6. bis 14. Lebensjahr besuchte ich in meiner Heimat die Elementarschule. Nachdem ich mich weiter durch Privatarbeit unterrichtet hatte, trat ich mit 16 Jahren am Mädchengymnasium in Berlin ein; hier war ich 4 Jahre. Darnach arbeitete ich noch 1/ 2 Jahr privat und meldete mich dann in meiner Heimatprovinz zum Abiturium. Dieses legte ich ab am humanistischen Gymnasium zu Boppard a. R.« 8 Ab 1904 führte sie ein Studium der Medizin nach Bonn, München, Erlangen, Berlin, Freiburg sowie nach Rostock, das damals als eine der letzten deutschen Universitäten das Frauenstudium zugelassen hatte. Dort legte sie auch ihr Staatsexamen ab. 1912 approbiert, wurde sie im folgenden Jahr - ebenfalls mit der Note »cum laude superato« - mit einer Arbeit »Über Zerreißungen der äußeren Augenmuskeln« promoviert. Da Eva Licht ein künstliches Auge hatte, könnte sie durch diese Tatsache auf ihr Thema gestoßen sein. Im Dienste Salems Dass Eva Licht, die kinderlos blieb, den ärztlichen Beruf nie ausgeübt hat, hängt mit ihrer frühen Heirat zusammen, die noch vor ihrer Promotion erfolgte; 1912 lebte sie bereits mit ihrem Mann auf Gut Neumühl. Über das Leben dort sind wir nicht informiert; es wird sich jedoch kaum auf diesen pommerschen Flecken beschränkt haben. Sicheres Gelände betreten wir erst wieder mit dem Umzug des Paares nach Heiligenholz zwei Jahrzehnte später. Wie es dazu kam, erfahren wir aus den Erinnerungen des Arztes Dr. Ernst Unger, der nach Mitte der dreißiger Jahre längere Zeit auf dem Oberen Hof lebte. Er schreibt, Georg Licht sei einem Rufe seines Freundes Kurt Hahn nach Salem an den Bodensee gefolgt, der für seine in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Schulen einen Finanzverwalter gesucht habe. Hier habe Georg Licht zusätzlich zur neuen Aufgabe »noch einen Hof in Heiligenholz« gekauft, weil er »einerseits die Landwirtschaft liebte und andererseits glaubte, mit <?page no="91"?> 90 Manfred Bosch Salem allein nicht genügend beschäftigt zu sein« 9 . Etwas ausführlicher stellte Marcus Behmer die Situation dar. Ihm zufolge sollte Licht für den »Internats-Verein«, den Besitzer der Schlossschule Salem, die finanzielle Leitung der Schule übernehmen, »da deren Finanzen durch eine allzu großzügige, praktisch-kaufmännischen Notwendigkeiten wenig Rechnung tragende Verwaltung nicht recht in Ordnung waren« 10 ; zum anderen galt es für die Schüler Salems einen Hof zu finden, auf dem sie unter fachlicher Anleitung landwirtschaftliche Grundkenntnisse erwerben konnten. Zu dieser Darstellung passt die Tatsache, dass die Schulstiftung Salem als Vorbesitzer des Oberen Hofes auf diese Weise zu einem geeigneten »Lehr-Hof« für ihre Schüler kam und mit dessen Verkauf an das Ehepaar Licht eine merkliche Entlastung ihrer finanziellen Situation erreichte. Licht nahm seine neue Aufgabe, wie man seinen wenigen, aber ausführlichen Briefen und »Noten« an die Schulleitung entnehmen kann, überaus ernst. Bereits Weihnachten 1931 hatte er Kurt Hahn aus dem Skiurlaub in Kitzbühel seine Vorstellungen weniger mitgeteilt als nachgerade eingeschärft. »Sie haben es mir seinerzeit als eine verlockende Aufgabe hingestellt, Salem zu sanieren. Ich habe mich mehr und mehr in diese Aufgabe hineingedacht und bin auch bereit, mich weiter in sie zu vertiefen«, schrieb Licht, um sogleich auf eine bislang vermisste »exekutive Vollmacht« zu dringen. Es sei ihm, so Licht weiter, klar geworden, dass »wir erst am Anfang unserer ganzen bitternötigen Restriktionsmaßnahmen stehen«, und um sie umzusetzen, bedürfe es mehr als einer Unterschriftvollmacht. Er forderte Hahn auf, »gewisse Teile« seiner Befugnisse an ihn zu delegieren und blieb ihm auch das Motiv für seine Forschheit nicht schuldig: Es werde »allerhand Härte notwendig sein, und da fürchte ich den Kampf mit Ihrem guten Herzen mehr als alles andere«. 11 In dieselbe Kerbe hieb Licht mit seiner belehrenden Epistel über das »Rechte Wohltun«, die er Hahn mit der Erinnerung an sein Versprechen eintränkte, immer ganz offen sein zu wollen. Was war passiert? Licht war zu Ohren gekommen, dass Hahn zwei entlassenen Hausburschen ihren Lohn über die Verpflichtung hinaus aus eigener Tasche bezahlt hatte. Licht hielt dem »besonders feinentwickelten Sinn für alles Wohltun«, den er bei den Juden und also auch bei Hahn am Werk sah, die Forderung entgegen, »sorgsam die Wertgrenzen« abzustecken, »innerhalb deren sich alle Wohltätig- <?page no="92"?> 91 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz keitsakte abzuspielen haben«. 12 Den neuen Besen gab Licht auch gegenüber Marina Ewald, der Vertrauten Kurt Hahns, und schreckte dabei vor Einmischung in Interna des Schulbetriebs nicht zurück. Ihm schwebten »sehr weitgehende Pläne für eine völlig neue Gestaltung des Besoldungswesens« vor, und in einer »Rede gehalten auf der Lehrerkonferenz in der Diele, die so niemals gehalten werden wird« erläuterte er sein ganz eigenes Verständnis vom Dienst eines Internatslehrers: dieser sei ein »unendlich viel angreifenderer als der des Staatslehrers. Er kennt keinen Anfang und kein Ende, und diesen qualitativen Fragen muss eine qualitative Besoldungsordnung entsprechen«. 13 Licht versah seine ehrenamtliche Tätigkeit, für die er lediglich eine Aufwandsentschädigung bezog 14 , vom 1. April 1932 an. Ende Mai 1933 endete sie bereits wieder - aus politischen Gründen, wie die Leitung der Schulen Schloss Salem nach dem Krieg bestätigte. 15 Mitte März hatte er noch in einer Eingabe an das Ministerium des Innern in Karlsruhe die »dringende Bitte« mit unterschrieben, Bestätigung der Tätigkeit Georg Lichts für die Salemer Schulen aus dem Jahr 1957 <?page no="93"?> 92 Manfred Bosch »die über den Schulleiter, Herrn Kurt Hahn, verhängte Schutzhaft aufzuheben« und zwischen den Zeilen zugleich mit der gebotenen Vorsicht den tatsachenverdrehenden Begriff »Schutzhaft« richtig gestellt: »Seine [Hahns, M. B.] Sicherheit ist nicht im geringsten bedroht, dagegen ist unsere und unserer Familien ganze wirtschaftliche Existenz aufs Höchste gefährdet«. 16 Unklar ist hingegen bislang ein anderer Sachverhalt. Nach Kriegsende erwähnte Eva Licht gegenüber ihrem Adoptivsohn Walter Büntgen-Hartmann mehrfach, Licht sei um 1933 von jüdischer Seite beauftragt gewesen, anstehende Verhandlungen mit der nationalsozialistischen Regierung über die künftige Situation der Juden in Deutschland zu führen. 17 Ein Grund, an dieser Aussage zu zweifeln, besteht umso weniger, als es anfangs durchaus im Interesse der Nationalsozialisten lag, die Juden zur Auswanderung zu bewegen, und auch seitens des Markgrafen oder Kurt Hahns wäre die Initiative zu einem solchen »Mandat« nicht völlig undenkbar. Die Mission scheiterte indes schon aus gesundheitlichen Gründen. Licht litt an einer schweren Nierensteinentzündung, der er - nach einer vergeblichen Erholungsreise in den Süden und wochenlangem Klinikaufenthalt - kurz vor seinem 50. Geburtstag am 15. Juli 1934 im Konstanzer Krankenhaus erlag. Bei seiner Beisetzung in Groß- Schönach sprach der spätere Kirchenhistoriker Hanns Rückert, ein Bekannter Lichts; zum Abschied sang der Salemer Schulchor einen Choral. Eine Todesanzeige fand sich in der Seepresse nicht; in der ehemals konfessionell geprägten und noch nicht völlig gleichgeschalteten »Deutschen Bodensee-Zeitung« sprach Eva Licht in einer Anzeige den »aufrichtigen Dank« »für die zahlreichen Beweise der Teilnahme und Freundschaft anlässlich des Hinscheidens meines Mannes« aus. 18 Eva Licht muss den Hof allein durchbringen Seit dem Tode ihres Mannes bewirtschaftete Eva Licht den Hof mit Hilfskräften selbständig. Die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse lassen, wie kaum anders zu erwarten, gewisse Anfangsschwierigkeiten erkennen - so hatte das Gut 1932 noch Verluste in Höhe von 3.820.- RM zu verzeichnen; 1933 wies die Bilanz bereits keinen Verlust mehr aus. 19 Wie rasch der Hof sich zu rentieren schien, be- <?page no="94"?> 93 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz legt das Zeugnis Marcus Behmers. »Die Bewirtschaftung, Viehstall, Pferdestall und die Ernte des Hofes gehören zu den besten der ganzen Gegend und sind als solche bekannt und anerkannt«, schrieb er. »In der Ablieferung von Getreide, Kartoffeln, Milch wird der Hof kaum von einem anderen der Gegend übertroffen; mit Raps- Anbau und Ablieferung steht er seit Jahren an der Spitze. - Die auf dem Hofe gezogenen Zuchtstuten sind, als Musterpferde, befreit von der Anbietungspflicht an die Wehrmacht, die selbstgezogenen Fohlen werden von weither begehrt und gekauft«. 20 Dabei war die Situation von Eva Licht, zumal nach dem politischen Umbruch, alles andere als einfach. Sie wurde zusätzlich noch dadurch erschwert, dass sie nach dem Willen ihres Mannes zwar als Alleinerbin vorgesehen war, das Testament jedoch »wegen Formmangels« 21 für ungültig erklärt wurde. Somit trat die gesetzliche Erbfolge ein, wonach nur eine Hälfte des Besitzes an die Witwe ging, die andere Hälfte zu gleichen Teilen an ihre drei Schwägerinnen fiel. Dies waren die seit Jahrzehnten in Florenz lebende »Privatin« Martha Licht sowie ihre beiden verwitweten Schwestern Elise Ruhemann und Gertrud Friedländer. Sie verzichteten zwar gemeinsam auf ihr Erbteil und überließen es schenkungsweise Eva Licht 22 ; dennoch hatte das fehlerhafte Testament fatale Folgen: Die überlassene zweite Hälfte des Erbes unterlag fortan jüdischem Eigentumsvorbehalt. Dies sollte sich in allen anstehenden Fragen der Betriebsführung negativ auswirken - mochte es sich um Anträge an den »Reichsnährstand« oder die Beschaffung von Maschinen und Geräten handeln, um die Zuteilung von Arbeitskräften oder die Vergabe von Landwirtschaftsbeihilfen. Die Begründung für die Ablehnungen und Benachteiligungen durch die staatlichen Stellen und Behörden war stets dieselbe: es handele sich beim Oberen Hof »um einen nichtarischen Betrieb«. 23 Nur »unter grössten Schwierigkeiten und unter fortwährenden Anfeindungen« habe sie ihren landwirtschaftlichen Besitz halten können, gab Licht nach dem Krieg gegenüber den Wiedergutmachungsbehörden an; in ihrer Erwerbstätigkeit sei sie »von behördlicher Seite geschädigt« worden, »wo immer es möglich war«. 24 Welchen Schikanen Eva Licht im Einzelnen ausgesetzt war, hat sie in einem Schreiben an ihren Gutachter in Wiedergutmachungsangelegenheiten geschildert: <?page no="95"?> 94 Manfred Bosch »... im Jahre 1939 wurde mein junger Betriebsführer sofort zum Militär eingezogen. Ein Antrag auf UK. Stellung eines älteren, auch bereits eingezogenen Mannes, wurde vom Militär genehmigt. Der Mann übernahm den Betrieb. Bereits nach 8 Tagen nahm ihn der Ortsbauernführer weg mit der Begründung, ich müsste den Betrieb selbstständig führen. Der Mann sei eingesetzt auf einem Bauernbetrieb, da die betr. Bäuerin ihren wesentlich kleineren Betrieb nicht selbstständig führen könne, trotzdem der Vater zu Hause war. Kurze Zeit darauf wurde dieser Mann dann beim Kreisbauernführer eingesetzt. Da ich nun keinen Ersatz hatte und alle diesbezüglichen Anträge vom Arbeitsamt Pfullendorf mit Grobheiten beantwortet wurden, habe ich mit meinem Schweizer zusammen den Betr[ieb]. selbstständig geführt, und nur der Einsatzbereitschaft dieses Mannes verdanke ich es, dass der Hof lebensfähig blieb. Natürlich musste ich seine fehlende Arbeitskraft im Stall durch einen anderen Mann ersetzen, der aus der Wirtschaft entnommen wurde. - Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, machte mir der Ortsbauernführer persönlich den Vorschlag, ich sollte ihm schriftlich meine Unfähigkeit zur selbstständigen Führung des Betr[iebes]. bestätigen. Dagegen habe ich mich natürlich gesträubt weil die zu Grunde liegende Absicht zu deutlich erkennbar war. Man wollte mir unter irgend einem Vorwand den Hof wegnehmen.« Weiter schreibt Eva Licht: »Des weiteren habe ich als erster Betr[ieb] hier in der Gegend polnische Gefangene eingestellt, sobald dies möglich war. Auch von diesen musste ich den besten Mann nach einiger Zeit plötzlich abgeben für einen kleinen Bauernhof. Als Ersatz habe ich dann Arbeitsmaiden aus dem hier untergebrachten RAD 25 angefordert, die mir auch erst bewilligt, aber dann nach kurzer Zeit wieder entzogen wurden. Meine einzige Hilfe waren zwei junge halbarische Leute, die nicht zum Militär kamen. Allerdings hat man mir diese Einstellung entsprechend gedeutet als Symptom meiner Einstellung zu[m] Nationalsocialismus, die im übrigen allen bekannt war. In der Behandlung dieser Leute hatte ich von Seiten der Behörden dauernd grösste Schwierigkeiten. - Ferner wurde ich bei allen Zuteilungen an Kunstdünger und Futtermitteln, landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen immer ausgeschlossen, und war dagegen vollkommen machtlos. Ein durch zwei Jahre hindurch betriebener Antrag zur Beschaffung eines Traktors wurde abschlägig beschieden, trotzdem ich den Nachweis erbringen konnte, dass infolge der über- <?page no="96"?> 95 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz mässig grossen Entnahme von Pferden fürs Militär die Anspannung keineswegs mehr genügte. Um überhaupt noch weiter wirtschaften zu können, habe ich dann Ochsen eingestellt, die natürlich nie ein Ersatz für Pferde oder Traktor in einer intensiv betriebenen Wirtschaft, wie es die hiesige von Anbeginn war, sein konnten.« 26 Eva Licht schloss ihren Bericht mit dem Hinweis, sie stelle die Höhe einer angemessenen Entschädigung in das Belieben des Adressaten, »wobei ich ausdrücklich um ganz objektive Stellungnahme bitte, denn ich möchte mir keinesfalls Vorteile aus einer Sache verschaffen, die mir nicht zustehen«. 27 Diese Darstellung gebietet es, sich die Situation Eva Lichts einmal grundsätzlich zu vergegenwärtigen. Als Akademikerin auf dem Dorfe und alleinstehende Frau, die dem »Dritten Reich« von vornherein mit gehöriger Distanz begegnet war, die auf Ämtern und staatlichen Stellen (durchweg mit Männern besetzt, von denen viele die »akademische Bäuerin« wohl kaum ernst genommen haben werden) beargwöhnt und mit massiven Zweifeln an ihrer Fähigkeit konfrontiert, einen Hof selbständig führen zu können, von Versuchen, ihr den Hof abspenstig zu machen, einmal ganz abgesehen - in einer solchen Lage durchzuhalten erforderte erstaunlichen Mut und ungewöhnliche Standfestigkeit. Doch nicht genug damit: Eva Licht bewies obendrein die Chuzpe, an zwei »nichtarischen« Helfern festzuhalten und sie zu schützen. Der Keramiker Klaus Schultze, dessen Weg von der nahen, 1924 gegründeten Juniorenschule Hermannsberg gelegentlich auf den Oberen Hof führte, hat Frau Licht denn auch als große, energische Frau in Erinnerung, die anpacken und sich auch wehren konnte. 28 Eva Licht hält an zwei Nichtarien fest Einer dieser beiden »Nichtarier« war der junge angehende Mediziner Ernst Unger, Jahrgang 1915, dessen Mutter vom Studium her eng mit Eva Licht befreundet war und den Nazis als »Viertelsjüdin« galt. Unger war - ein weiterer Beleg für den engen »freund-nachbarlichen Verkehr« zwischen dem Oberen Hof und »den leitenden und mitarbeitenden Persönlichkeiten« Salems 29 - auf Hermannsberg kurzerhand als »Sportlehrer« herangezogen worden, nach- <?page no="97"?> 96 Manfred Bosch dem er sich als talentierter Sportler erwiesen hatte. Klaus Schultze beschreibt ihn als einen »schönen Mann« (woher denn auch sein Spitzname »Bellus« rührte), der in jener Zeit seine spätere Frau Anneliese Krause kennenlernte, eine in Hermannsberg lebende »Halbjüdin«. Die aus Petersburg stammende Leiterin der Schule, Gertrud Kupffer, habe über beide ihre schützende Hand gehalten. Dies ging so lange gut, bis die SS die Leitung der deutschen Privatschulen übernahm und Unger »als untragbar für eine deutsche Schule« 30 entlassen wurde. Es war der Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften, der ihm in dieser Situation zu Hilfe kam: Unger wurde auf dem Oberen Hof, auf dem er schon zuvor halb versteckt gelebt hatte, als Erntehelfer reklamiert und spielte »neben dicker Freundschaft mit der Tante bald mehr oder weniger die Rolle eines Sohnes des Hauses«. 31 Köstlich der Humor, mit dem Unger in seinen Erinnerungen schildert, wie er beim Ausbringen von Mist und Jauche dem homerischen Ausdruck für »wohlduftend« nachsann, vor den staunenden Zuschauern gekonnt das Dengeln einer Sense demonstrierte oder seine liebe Not hatte mit den beiden störrischen Ochsen Johannes und Jakobus - von ihm »die zween Söhne Zebedäi genannt« 32 -, um ihnen unter dem Gelächter polnischer Kriegsgefangener mit dem Pflug das Ziehen gerader Furchen beizubringen. Da Unger sein medizinisches Staatsexamen bereits in der Tasche hatte, führte Ernst Unger mit seiner späteren Frau Anneliese Krause <?page no="98"?> 97 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz er, durch die Approbation Eva Lichts gedeckt, zeitweise sogar eine Art »stiller Praxis« auf dem Hof. Als Anneliese Krause noch vor Kriegsende von ihm schwanger wurde, kam man - um den Vater zu decken und das Kind zu schützen - überein, den Adoptivsohn Walter Hartmann als Vater auszugeben. Nachdem die beiden nach Kriegsende endlich heiraten konnten, versuchte Unger vergeblich, in Überlingen eine Niederlassung als Arzt zu erreichen. So lebte das Paar noch eine Zeitlang in Heiligenholz in der Absicht, es mit einer beruflichen Kombination von Dorfarzt und »allmählicher Übernahme der schriftlich zugesicherten Leitung der Landwirtschaft auf dem Licht’schen Hof« 33 zu versuchen, den er einmal erben sollte. Diese Hoffnung zerschlug sich jedoch; die Beziehung zu Eva Licht kühlte merklich ab. 1954 erhielt Unger schließlich in Überlingen die Kassenzulassung, wurde später Präsident der Ärztekammer Südwürttemberg und hatte noch über seine Pension hinaus einen Sitz in der Ethikkommission Baden-Württemberg. Der zweite »Nichtarier« war Rolf Kabus. 1920 in Berlin geboren, war er noch während der dreißiger Jahre auf den Winkelhof des Ehepaares Ehrlich im Deggenhausener Tal vermittelt worden und schließlich auf dem Oberen Hof gelandet. Seiner Mutter, die nach Palästina auswanderte, mochte er nach so langer Gewöhnung an die Bodenseegegend nicht folgen; so blieb er aufgrund des lebenslangen Wohnrechts, das der Hoferbe Walter Büntgen-Hartmann beim Verkauf des Gutes 1976 für ihn durchsetzte, über den Tod Eva Lichts hinaus als Knecht auf dem Oberen Hof. Die ihn kannten, schildern ihn als liebenswerten, immer fröhlichen Menschen, den seine cholerische Art indes zu wahren Meisterleistungen im Fluchen befähigte. Hochsportlich, liebte er es über alles, ins Montafon zum Skifahren zu gehen oder an »freien« Tagen mit seinem Rennrad den See zu umrunden oder bis kurz vor Zürich zu fahren, um abends pünktlich wieder zur Stallarbeit zu erscheinen. 1995 starb Rolf Kabus; man fand ihn, als er eines Morgens vom Umstecken der Weidezäune nicht zurückkehrte, tot auf einer Weide liegend. 34 Der Künstler Markus Behmer Ein anderer langjähriger Bewohner des Lichthofes war der Künstler Marcus Behmer. Eine Mischung aus hochgebildetem Humanisten und lebensfrohem Bohemien, bekennendem Homosexuellen, erotomanem Ästheten und Schöpfer erotischer Pikanterien, kann man sich <?page no="99"?> 98 Manfred Bosch eine derart schillernde Persönlichkeit eher in einer Großstadt vorstellen als in solcher Umgebung. Doch war Behmer das Landleben keineswegs unvertraut: der enge Freund Georg Lichts hatte nach dem Ersten Weltkrieg bis 1930 auf Gut Neumühl als Gast gelebt, wo er nach Belieben arbeiten konnte. Danach hielt sich Behmer in Coltaccio bei Florenz auf, wo Lichts Schwester Martha eine Künstlerpension betrieb. Anfang November 1932 siedelte der ewig Mittellose dann auf erneute Einladung des Ehepaares Licht nach Heiligenholz über - hier konnte er sich ein gutes Jahrzehnt lang »weit vom Schuss« wähnen und in Ruhe seiner Arbeit nachgehen. Hier entstanden viele seiner Radierungen und Grafiken, Ex Libris und Schriftarbeiten, die nicht nur mit dem Ortsnamen Heiligenholz signiert sind - gelegentlich wurde dieser selbst zum Bestandteil einer Graphik. Geboren wurde Behmer 1879 in Weimar als Sohn eines Porträtmalers. Trotz seiner Herkunft aus akademischen Künstlerkreisen ging der Autodidakt den Weg des »Handwerks« und reüssierte nach 1900 mit Illustrationen zu Wildes »Salome« und den »Rubaijat des Omar Chajjam«, zu »Tantris der Narr«, Voltaires »Zadig« und zu Philipp Otto Runges »Ilsebill«. Anfangs noch in der erkennbaren Nachfolge Beardsleys stehend, wurde Behmer rasch zum gesuchten Mitarbeiter anspruchsvoller Verlage und bibliophiler Unternehmungen wie Insel, Cassirer oder der Cranach-Presse Harry Graf Kesslers. Was den in den verschiedensten Techniken - unter ihnen Zeichnung, Radierung und Holzschnitt - Bewanderten auszeichnete, war der feinsinnig-geistreiche Zugriff auf seine Sujets und eine überbordend-versponnene Phantasie, akribische Sorgfalt und leidenschaftliche Hingabe an sein Werk. Zum Intimen neigend, galt er alsbald als »großer Meister der graphischen Kleinkunst« 35 und bedeutender Vertreter der Buchkunstbewegung. Pa- Exlibris für Eva … <?page no="100"?> 99 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz pier und Einband, Schrifttype und Satzspiegel, Ausstattung und Druck waren Behmer, der selbst literarisch begabt war, gleich wichtig, sodass er den Begriff des Gesamtkunstwerks auf das Buch anwandte. Schon früh wurde ihm eine Ausstellung in New York gewidmet, und das Britische Museum zeigt in seiner ständigen Ausstellung mustergültiger Bücher Arbeiten von ihm. Im Frühjahr 1937 geriet Behmer in die Fänge der Gestapo. Unter Anklage der Anbahnung homosexueller Kontakte in Stockach inhaftiert, verurteilte ihn die Große Strafkammer des Landgerichts Konstanz zu zwei Jahren Haft, die er in Freiburg verbüßte. Die 371 Seiten starke Akte im Staatsarchiv Freiburg enthält unter anderem ein Gutachten von Prof. Ludwig von Hofmann, der die »ungewöhnliche Bedeutung« von Behmers künstlerischem Werk würdigte; das nationalsozialistische Kampfblatt »Bodensee-Rundschau« dagegen ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, seiner Entrüstung über diesen »Sittlichkeitsverbrecher« und dessen »widernatürliche Unzucht« Ausdruck zu verleihen. 36 Da Behmer durch die Reichskulturkammer nicht mit Berufsverbot belegt war, wurde ihm gestattet, während seiner Haftzeit »zur Selbstbeschäftigung« künstlerisch zu arbeiten. Was wegen Mangels an anderen Arbeitsmaterialien in jener Zeit entstand, waren Zeichnungen und Aquarelle sowie schriftkünstlerische und kalligraphische Arbeiten, die häufig einen religiösen oder biblischen Bezug aufwiesen. Der sensible Künstler bezog daraus in seiner Isolation nicht wenig Trost. Für seine Situation geradezu bezeichnend eine Schriftarbeit mit dem Titel »Der verlorene Sohn (nach Lukas, Kap. XV.11-32)«, in griechischer Sprache ausgeführt und mit einem Initial in der Tradition klösterlicher Skriptorien verziert. Oft tragen die Arbeiten aus dieser Zeit auch altmeisterliche Hinweise auf seine Situation, wie etwa diesen: »Marcus Behmer incarceratus friburgiae inv. & del. 13. VII., pinx. 3.-19. VIII. 1937«. Aus Freiburger Tagen stammt auch ein Brief an Eva Licht, in dem er seine Sehnsucht nach Heiligenholz bekennt: »Seit 284 Tagen keine … und für Georg Licht <?page no="101"?> 100 Manfred Bosch Klaviertasten berührt und noch 448 Tage! Wer ermisst diese Qual«. Mit Wirkung vom 11. Juli 1938 wurde Behmers Urteil unter der Bedingung guter Führung ausgesetzt und die Reststrafe nach der Bewährungsfrist erlassen. Dass Behmer nach Verbüßung seiner Haft nach Heiligenholz zurückkehren konnte, verstand sich keineswegs von selbst - ebenso gut hätte er in ein KZ überstellt werden können. Angesichts seines »Zehnjährigen« in Heiligenholz stellte der »Parasitus aeternus« seiner »Wirtin Wundermild« eine witzig-liebenswerte »Quittung« über seine Schuldigkeit für »zehn Jahre Pension« aus. Als er im Januar 1943 aus unbekannten Gründen wieder nach Berlin zog, kam Behmer bei einer Widerstandskämpferin unter, unterbrochen nur von einem kriegsbedingten Aufenthalt auf dem Landgut einer befreundeten Familie in Nuhnen bei Frankfurt/ Oder. Sein langjähriges Domizil Heiligenholz sollte sich aber noch ein weiteres Mal als Segen erweisen, denn mit Ausnahme von dem, was er dort an künstlerischen Arbeiten zurückgelassen hatte, verlor er fast sein gesamtes Werk durch Kriegseinwirkung. »Aber in dem großen Kontobuch des lieben Gottes sind ja auch alle diese ›Werke‹ von mir aufgezeichnet«, ließ der tief religiöse Behmer Eva Licht wissen, »und das Wichtigste, Entscheidende ist ja doch nicht, was man gemacht hat und in der realen Welt ›hinterläßt‹ (geschweige denn, was man gehabt, besessen hat! ! - ), sondern was man wird. Und das, was man bei der ›Konzeption‹ und der Ausführung künstlerischer Arbeiten empfunden, getan und gedacht hat, das ist ja doch nicht verloren, weil es beigetragen hat zu dem, was man geworden ist. [...] Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt«. 37 »Schuldschein« Behmers für zehn Jahre Kost und Logis <?page no="102"?> 101 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz Das Kapitel Heiligenholz war auch nach 1945 für Behmer noch nicht abgeschlossen. Auch wenn er es nie wieder sah, träumte er sich doch aus der tristen Nachkriegswirklichkeit Berlins - »wo ich ja nichts mehr zu suchen habe« 38 - in das ländliche »Asyl« zurück. Eva Lichts Mitteilung, Heiligenholz sei »so schön geblieben, wie es immer war, eine Oase des Friedens«, steigerte er mit den Worten Mörikes: »... und ich, ehe ich Ihre Worte bekam u. las, hatte geschrieben von der Sonnen-Insel über dem trüben Nebelmeer, und - Orplid, mein Land, das ferne leuchtet ...«. 39 »Stadt ist mir eben doch ziemlich unerträglich auf die Dauer«, begründete er seine Liebe zu diesem Landstrich; »in Heiligenholz könnte ich wieder arbeiten, was ich in Berlin ja nie richtig gekonnt habe. (Fast alles, was ich ›Ernsteres‹ gemacht habe, ist ja auf dem Lande entstanden, Coltaccio, Neumühl und Heiligenholz«). 40 So blieb ihm nur, Eva Licht um die Zusendung seiner Arbeiten zu bitten, die er im »Gaubenzimmer« und auf dem Dachboden vor den Haussuchungen versteckt hatte. »Das Wichtigste wären für mich die Arbeiten aus Stockach, Konstanz & Freiburg, - also die Täfele, die ›Allegorie‹, die ›Tondini‹ [...], die ›Musik-Blumen‹, die ›Miniaturen‹«: Behmers Aufzählung all der liegengelassenen und nun wieder erinnerten Arbeiten aus manchem Jahrzehnt füllt eine ganze Briefseite. Die »mehr oder weniger ›erotischen‹ (...) Sachen«, erinnerte er Eva Licht an diese Zeit, »waren besonders gefährdet unter dem Teufels-Regime, Marcus Behmer in Heiligenholz <?page no="103"?> 102 Manfred Bosch und sie waren künstlerisch besonders wertvoll. Wie durch ein Wunder waren sie dem Zugriff der Gestapo entgangen dadurch, daß die ganze Mappe in der Zeit der Haussuchungen nicht im Hause war, sondern bei Swarsenski im Städel’schen Institut, Frankfurt/ M. Wo mag die Mappe - damals unter Federbetten in dem Schrank versteckt - nun sein? ? « 41 1958 starb Marcus Behmer in Berlin. Im Oktober 1939 wurde das Ökonomiegebäude des Anwesens durch Feuer vollkommen zerstört. Aufgrund mangelnder Unterbringungsmöglichkeiten für Vieh und Futter war Eva Licht gezwungen, Vieh zu verkaufen, obwohl manche Tiere, besonders Schweine, noch gar nicht verkaufsreif waren. Zu betrieblichen Engpässen kam es, als sie an die Heeresverwaltung ein Pferd abzugeben hatte. 1939 sank der Betriebsgewinn auf 1.146,74 RM; das steuerpflichtige Einkommen lag bei 829.- RM. 42 Aufschlussreich für die Struktur des Hofes ist eine Aufstellung der Erlöse, die sie 1944 aus den einzelnen Sparten erzielte: danach entfielen von den 12.182.- RM insgesamt 5.198.- auf die Milcherzeugung, 1.302.- RM auf die Rindviehzucht, 945.- RM auf die Schweinezucht, 1.500.- RM auf die Pferdezucht sowie 1.274.- bzw. 1.962.- RM auf den Kartoffelbzw. Getreideanbau. 43 Weitere Einnahmen erzielte Eva Licht durch die Aufnahme von Evakuierten, durch Vermietung von Schlafstellen für eine Handvoll Schüler aus dem Salemer Internat Hermannsberg, das gegen Kriegsende zeitweise überfüllt war, sowie durch die Besorgung der auf dem Hof untergebrachten Poststelle mit dem einzigen Telefon im Ort. Die Zeit nach 1945 Nach dem Kriege wurde Eva Licht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. »Ehegatte † 1934 war Jude. Frau Dr. Licht wurde dauernd verfolgt und benachteiligt nachgewiesen an Hand mehrerer Dokumente der letzten Jahre« 44 , bestätigte Bürgermeister Ecker aus Hattenweiler ihre prekäre Situation während des »Dritten Reiches«. 1948 stufte die Badische Landesstelle für die Opfer des Nationalsozialismus Eva Licht als »politisch Geschädigte« 45 ein; im Rahmen der Entnazifizierung wurde sie vom »Badischen Staats- <?page no="104"?> 103 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz kommissariat für politische Säuberung. Spruchkammer Freiburg« am 3. März 1950 in die Kategorie »von Säuberungsmaßnahmen nicht betroffen« eingereiht. Ihr Anspruch auf Wiedergutmachungsleistungen indes litt unter den mäßigen betriebswirtschaftlichen Ergebnissen, die als Bewertungsmaßstab dienten. Am 4. Februar 1951 hatte Eva Licht einen Antrag auf Ausgleich für Schaden im beruflichen Fortkommen für die Zeit vom 1. Januar 1934 bis 31. Dezember 1945 in Höhe von 41.962.- RM gestellt, der am 16. Mai 1958 (! ) abgelehnt wurde. Begründung: Anspruch auf Entschädigung bestehe nur, wenn der Antragsteller »im Zuge einer im Reichsgebiet nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 begonnenen Verfolgung in seinem beruflichen Fortkommen nicht nur geringfügig benachteiligt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor«. 46 Des Weiteren führte der ablehnende Bescheid an, der Betrieb habe anfangs »mit erheblichen Verlusten gearbeitet. Wenn aus diesem Gut, nachdem es einige Jahre von der Antragstellerin bewirtschaftet worden war, wieder jährlich steigende Gewinne zu verzeichnen waren, so kann ein Verfolgungsschaden nicht als erwiesen angesehen werden, denn erfahrungsgemäß bedarf es zur Konsolidierung eines solchen Betriebes jahrelanger Anstrengungen«. 47 Auch die kurzfristigen Einkünfte Georg Lichts als Salemer Finanzverwalter schlugen bei den Ansprüchen auf Entschädigung kaum zu Buche. Ein Schaden im beruflichen Fortkommen wurde für 13 ½ Monate zu je 426.- RM anerkannt, was nach der Währungsumrechnung (umgestellt nach § 4 EG 10: 2) einen Anspruch auf 977.- DM ergab. 48 Die mittlerweile über Sechzigjährige, die im Sommer 1948 auf der ersten Ordentlichen Sitzung der »Schulen Schloß Salem e. V.« auf zwei Jahre als Beisitzerin gewählt worden war, führte den Oberen Hof seit 1952 mit Hilfe von Heribert und Edeltrud Gihr. Sie lebten als Verwalter mit im Haupthaus; als Haushälterin und Köchin wurde Gihrs Schwester Hedwig beschäftigt. Neben Pferden und Ochsen als Zugtiere wurden nach und nach landwirtschaftliche Maschinen angeschafft, Traktoren, Binder, Pflüge und auch der erste selbstfahrende Mähdrescher, mit dem Heribert Gihr zusätzlich Lohnarbeit für die umliegenden Höfe leistete. In den sechziger Jahren kam Hermann Hartmann - seit 1960 Schüler auf Hohenfels und ab 1964 in Salem, wo er 1969 sein <?page no="105"?> 104 Manfred Bosch Abitur machte - oft nach Heiligenholz auf den Hof von Eva Licht. Sein Bericht gibt einen Einblick in das Leben dort: »Von Hohenfels aus war ich an fast jedem ›Elternwochenende‹ bzw. alle drei bis vier Wochen bei meiner Großtante zu Besuch. Sie führte ein strenges Regiment. Ihr Lebensstil hatte etwas Herrschaftliches, wozu auch gehörte, dass der Verwalter und die Beschäftigten in der Küche zu essen hatten. Nach dem Abendessen hatte ich zu berichten, was es in der Schule Neues gab; dann gings spätestens um 21 Uhr ins Bett. Das Zimmer war, wie fast der ganze Rest des Hauses, ungeheizt, das Bett klamm. Im Winter waren Eisblumen an den Fenstern. Lesen im Bett gab es nicht, Warmwasser nur im Badezimmer. Eine Dusche war nicht vorhanden und die Badewanne wurde nur selten benutzt. Pünktlich um 12 Uhr gab es Mittagessen. Da musste die Kleidung gewechselt sein, die Hände gewaschen und die Fingernägel sauber. Hedwig, die Haushälterin, klopfte an und meldete sich mit den Worten ›Frau Doktor, es ist gerichtet‹. Mit Essen wurde erst nach dem Tischgebet begonnen. Danach saß man noch kurz ums Radio herum und hörte den Landfunk; dann war Bettruhe. Das galt auch für Gäste, die entweder ruhen oder spazieren gehen mussten. In jedem Fall herrschte Ruhe im Haus. Um 15 Uhr gab es einen gemeinsamen Gang über die Weiden, Felder und Äcker, damit ich den Stand des Getreides und der Kartoffeln kennenlernte. 16 Uhr war Teezeit; um 17 Uhr kam Heribert Gihr, um das Landwirtschaftliche zu besprechen. Dabei hatte ich nichts verloren und durfte wieder spielen gehen. Wenn auf dem Hermannsberg, dem Hohenfels, in Spetzgart oder in Salem ein Schüler was ausgefressen hatte, kam es vor, dass er einen ›Strafmarsch‹ nach Heiligenholz machen und sich bei meiner Großtante melden musste, vielleicht auch ein Glas Milch oder ein Butterbrot bekam, um dann postwendend wieder umzukehren, damit er rechtzeitig wieder zurück war«. 49 Auch Otto von Westarp, der von 1938 an in Salem war, hat »die Persönlichkeit von Frau Dr. Licht immer wieder sehr beeindruckt und eine echte Freundschaft entstehen lassen. Es verband mich mit ihr außerdem der ständige Hunger, den ein Junge in dem Alter im Kriege und in den ersten Jahren danach hatte. Sie half so gut sie konnte mit Gries, Eiern, Brot und Butter. Ich sehe sie noch heute vor mir, mit der nie ausgehenden Zigarette im Mund und konzentriert über ihrer Remington Schreibmaschine, die voller Ziga- <?page no="106"?> 105 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz rettenasche war«. 50 Klaus Schenck, ein weiterer »Hermannsberger«, denkt gern an das halbe Jahr zurück, das er nach seiner Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft auf dem Licht’schen Hofe verbringen konnte: »Es war eine gute Zeit«. Frau Licht schildert er als vornehm und geistvoll, literarisch interessiert und fähig, sich in die Belange ihrer Leute einzufühlen. 51 Der eigentümlich preußische Zug ihrer Persönlichkeit, der die drastische Erziehung Salems zu kopieren schien, muss Eva Licht selbst bewusst gewesen sein. Als sie einmal das auf sich selbst gemünzte Wort »Herrschsucht« ins Spiel brachte, antwortete ihr Marcus Behmer, diesen Anflug von Selbstkritik geschickt abmildernd und umbiegend: »... im Wesen einer starken Persönlichkeit liegt, mit Naturnotwendigkeit, nicht eigentlich die ›Sucht‹ zu herrschen, sondern die Kraft, die Anlage, die Notwendigkeit: zu herrschen - , das heißt, in dem Bereich, wo man selbst zu bestimmen hat, den eigenen Lebensstil zu wahren! « 52 Es musste wohl mit diesem »Lebensstil« zusammenhängen, dass sie diese harten Zeiten be- und überstand. Eva Licht starb im Juni 1966 auf ihrem Hof, den sie an ihren adoptierten Neffen Walter Büntgen-Hartmann aus Sinzig vererbte. Dieser betrieb eine Landmaschinenhandlung, war jedoch nicht selbst Landwirt, sodass er ihn an die bisherigen Verwalter verpachtete. Heribert und Edeltrud Gihr bewirtschafteten ihn bis 1976. Als nach einem Brand des Dachstuhls größere Summen aufzubringen waren und eine Eigennutzung durch die Erben auch weiterhin nicht in Frage kam, erfolgte im März 1976 der Verkauf an die Camphill Dorfgemeinschaft e. V. Die von Karl König begründete Camphill-Bewegung, die sich auf der Grundlage von Anthroposophie, Sozialtherapie und Heilpädagogik der Arbeit mit Eva Licht (links) mit einer Hausdame, um 1960 <?page no="107"?> 106 Manfred Bosch Behinderten verschreibt, hatte bereits 1974 auf dem Hermannsberg Fuß gefasst, der nach fünf Jahrzehnten, im Todesjahr Hahns, aufgrund einer Neuordnung der Salemer Schulen aufgegeben worden war. Die Camphill Dorfgemeinschaft weitete nun mit dem Lichthof ihre Kapazitäten aus und erweiterte die bestehenden Gebäude um Werkstätten, landwirtschaftlich-gärtnerische Anlagen und Gemeinschaftseinrichtungen. Anmerkungen 1 Wilhelm Jensen, Umbau zweier Bauernhäuser. Beitrag in einer nicht identifizierten Architekturzeitschrift nach 1930. Als Sonderdruck im Nachlass von Eva und Georg Licht, Besitz Hermann Hartmann, Rastatt. 2 Lt. Grundbuchamt der Gemeinde Heiligenberg; freundliche Mitteilung von Gerhard Sing. 3 Ilse Miscoll u.a.: Schule Schloß Salem. Chronik Bilder Visionen. Geschichte und Geschichten einer Internatsschule. Salem 1995, S. 53. 4 Soviel wie »mit außerordentlichem Lob«; wohl dem heutigen »magna cum laude« entsprechend. 5 Marcus Behmer, Berichtigung einiger Irrtümer. Dreiseitiger handschriftlicher Brief an einen ungenannten Empfänger mit Bezug auf eine Veröffentlichung in einer ebenfalls nicht genannten Zeitschrift. Original bei Hermann Hartmann, Rastatt. 6 Ernst Unger, Von 1915 bis 2000. Ereignisse und Erlebnisse im Rückblick auf 85 Lebensjahre. Typoskript, um 2004, 58 Seiten, hier S. 14. Im Besitz des Sohnes Andreas Unger, Berlin. 7 Behmer, wie Anm. 5. 8 Dissertationsschrift Eva Licht, Rostock 1911, 57 S. 9 Ernst Unger, wie Anm. 6, S. 14. 10 Marcus Behmer, wie Anm. 5. 11 Licht an Kurt Hahn, 26. Dezember 1931, Kurt Hahn-Archiv SK 190/ 11. 12 Licht an Kurt Hahn, o. D. Kurt Hahn-Archiv SK 190/ 14. 13 Licht an Ewald, Kurt Hahn-Archiv, SK 190/ 12. 14 Nach einem Schreiben der Schulen Schloss Salem vom 9. Dezember 1957 an das Landesamt für Wiedergutmachung waren dies für 1932 4500.-, für 1933 2130.- RM. StAF F 196/ 1, Nr. 3979. 15 Nach ebd., 9. Dezember 1957. 16 Telegramm vom 14. März 1933, unterzeichnet von Dr. G. Licht und W. v. Jürgensonn; Kurt Hahn-Archiv SK 244. 17 Walter Büntgen-Hartmann telefonisch gegenüber dem Verfasser am 14. Oktober 2013. 18 Deutsche Bodensee-Zeitung (Konstanz), 21. Juli 1934. 19 StAF, F 196/ 1, Nr. 3979. <?page no="108"?> 107 Der Obere Hof von Eva und Georg Licht in Heiligenholz 20 Marcus Behmer, wie Anm. 5. 21 Nachlassgericht des Notariats Pfullendorf, Erbschein vom 21. November 1934 22 So beschlossen und beurkundet im »Erbteilübertragungsvertrag« vom 9. Dezember 1938. 23 Eva Licht an die Badische Landesstelle für die Betreuung der Opfer des Nationalsocialismus, Zweigstelle Konstanz, 29. Juni 1946. 24 Ebd. 25 Auf dem benachbarten »Unteren Hof« war 1940 ein Lager des Reichsarbeitsdienstes für Mädchen und junge Frauen eingerichtet worden. 26 Der Bürgermeister von Hattenweiler bestätigte diesen Bericht am 23. November 1948 mit den Worten: »Die Richtigkeit der obengenannten Angaben wird hiermit bestätigt. Der Bürgermeister Ecker.« 27 Licht an einen Herrn Katscher, 23. November 1948; StAF F 196/ 1, Nr. 3979 28 Klaus Schultze, Goldbach, mündlich im Oktober 2013. 29 Ernst Unger, wie Anm. 6, S. 15. 30 Ebd., S. 15. 31 Ebd., S. 15. 32 Ebd., S. 16. 33 Ebd., S. 25. 34 Andreas Hartmann im Gespräch mit dem Autor, 14. Januar 2014. 35 Hans Adolf Halbey, Marcus Behmer, in: Marcus Behmer in seinen Briefe als Buchgestalter, Illustrator und Schriftzeichner. Zusammengestellt von Hans Adolf Halbey und Richard von Sichowski, Hamburg 1974, S. 5. 36 »Sittlichkeitsverbrecher ins Zuchthaus«, in: Bodensee-Rundschau, 16. April 1937 37 Marcus Behmer an Eva Licht, 5. Dezember 1945. Brief im Besitz von Hermann Hartmann, Rastatt. 38 Marcus Behmer an Eva Licht, 16. Januar 1946. 39 Marcus Behmer an Eva Licht, 2.[3.] September 1948. 40 Ebd. 41 Marcus Behmer an Eva Licht, 29. Juli 1947. 42 Dies geht aus dem Bericht des Steuerberaters Gleichauf aus Singen vom 4. April 1940 an das Finanzamt Überlingen hervor. 43 Nach StAF F 196/ 1, Nr. 3979. 44 17. Dezember 1945, StAF F 196/ 1, Nr. 3979. 45 Schreiben an Eva Licht vom 10. Dezember 1948; StAF F 196/ 1, Nr. 3979. 46 StAF F 196/ 1, Nr. 3979. 47 StAF 196/ 1, Nr. 11529. 48 Bescheid vom 18. Dezember 1957; StAF 196/ 1, Nr. 11529. 49 Nach Aufzeichnungen von Hermann Hartmann, Rastatt, für diesen Beitrag. 50 Mail an den Verfasser vom 25. Januar 2014. 51 Telefonische Auskunft vom 27. Januar 2014. 52 Marcus Behmer an Eva Licht, 2.[3.]. September 1948. <?page no="109"?> Wohntrakt des »Unteren Hofes« in Heiligenholz <?page no="110"?> 109 An der Restitution ihres Besitzes gescheitert Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz 1932 entschieden sich Fritz und Johanna Wohlgemuth - nach einem bis dahin gänzlich anders verlaufenen Leben in großen Städten und in anderen Ländern - für einen Rückzug nach Heiligenholz bei Pfullendorf. Einen nicht minder gravierenden biographischen Einschnitt als dieser Rückzug ins strukturschwache nördliche Bodenseegebiet bedeutete für den ehemaligen Ingenieur die Entscheidung zugunsten einer Existenz als selbständiger Landwirt. Dieselbe Entscheidung wie die Wohlgemuths hatte gleichzeitig auch das befreundete Ehepaar Georg und Eva Licht getroffen; beide ließen ihre unweit voneinander gelegenen Höfe von demselben Stuttgarter Architekten zu stattlichen Landsitzen um- und ausbauen. Diese Umstände lassen kaum einen anderen Schluss zu, als dass die beiden Ehepaare das Wagnis einer neuen Existenz in dieser abgelegenen Gegend nur gemeinsam und bei Versicherung gegenseitiger Unterstützung eingingen. Dafür spricht umso mehr, als sich Fotografien zufolge beide Höfe zum Zeitpunkt ihres Erwerbs in einem recht Der »Untere Hof« nach dem Umbau durch das Ehepaar Wohlgemuth <?page no="111"?> 110 Manfred Bosch heruntergekommen und desolaten Zustand befanden. Wann beim Unteren Hof, den die Wohlgemuths im September 1932 erworben hatten, mit den Umbauarbeiten begonnen wurde, ist ebenso unklar wie das exakte Datum des Einzugs. Fritz Wohlgemuth war am 9. Februar 1884 in Königsberg als Sohn des Kaufmanns Bernhard Wohlgemuth (1854 - vor 1910) und seiner Frau Hulda geb. Landsberger (*1854) aus Gleiwitz zur Welt gekommen 1 . Außer dass er der mittlere zweier Brüder - Kurt (*1880) und Ernst (*1885), ersterer wurde Schauspieler - war, wissen wir über seine Kindheit und seine Familie nichts weiter. Er studierte an der Technischen Hochschule in Danzig und schloss mit dem Ingenieurdiplom ab. Am 24. November 1910 heiratete er an seinem damaligen Wohnort Charlottenburg Johanna (Anna) geb. Wohlgemuth 2 , die am 6. Juni 1886 in St. Petersburg geboren wurde. Seine Braut lebte damals in Wiesbaden, wohin sie mit ihrer Mutter Ida geb. Gabrilowitsch (1853 - 1915) aus Raseinai bei Kaunas nach dem Tod des Vaters Hermann Wohlgemuth, eines Bankdirektors, gezogen war. Der Heiratsurkunde zufolge war sie »ohne Beruf«, nach anderen Quellen Sprachlehrerin. Vermutlich war Wohlgemuth bei seiner Heirat bereits für die Firma »Julius Berger Tiefbau AG Berlin« 3 tätig, denn bereits Anfang 1913 wurde er dort Prokurist 4 . In dieser Zeit - am 12. Januar 1913 - kam in Berlin-Wilmersdorf Sohn Gerd Bernhard zur Welt . Die folgenden zwei Jahrzehnte lassen sich wiederum nur durch wenige Fakten belegen; was wir darüber wissen, stützt sich auf Quellen aus dem beruflichen Umkreis sowie auf mündliche Familienüberlieferung. 5 Ihr zufolge arbeitete Fritz Wohlgemuth unter anderem in Russland. Russisch hatte er möglicherweise bereits in der Schule gelernt, sich die Sprache vielleicht aber auch erst während seiner Tätigkeit im Lande selbst angeeignet - jedenfalls pflegte er sich auch später noch mit seiner Frau des öfteren auf Russisch zu unterhalten. Enkel Frank Wellgate erinnert sich an Besuche in Heiligenholz in den frühen fünfziger Jahren, bei denen seine Großeltern - für ihn »Deduschka« und »Babuschka« - ihre Konversation über landwirtschaftliche Fragen auf Russisch zu führen pflegten. Wann genau Wohlgemuth sein Weg nach Russland führte, muss offen bleiben; im Juni 1915, als Deutschland und Russland miteinander im Krieg lagen, wurde er entweder als Zivilgefangener oder feindlicher Ausländer interniert. Von einem Außeneinsatz soll <?page no="112"?> 111 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz er nicht ins Lager zurückgekehrt sein, sondern sich mit Hilfe von Freunden auf Umwegen über St. Petersburg nach Finnland durchgeschlagen haben. In Helsinki, so die Familienüberlieferung weiter, soll er seiner Frau nach Berlin telegrafiert haben, wonach er sich in Freiheit befinde. In ihrem Antwortkabel gratulierte ihm Johanna Wohlgemuth zu erneuter Vaterschaft: am 25. Februar 1916 war die gemeinsame Tochter Marianne zur Welt gekommen. Als Ingenieur im Ausland erfolgreich Auch für die folgenden Jahre ließ sich allzu wenig Verlässliches ausmachen. Unter den Projekten, an denen Fritz Wohlgemuth beteiligt war, ist ein Hafenprojekt in Königsberg belegt; möglicherweise war er auch an der Regulierung des Rio Magdalena in Kolumbien beteiligt. 6 Ob er auch an Wasserbauten am Neckar mitgewirkt hat, wo seine Firma zahlreiche Aufträge ausführte, muss ebenso Spekulation bleiben wie die Möglichkeit, dass Wohlgemuth anlässlich solcher Arbeiten auch die Region nördlich des Bodensees kennengelernt hat. Die »Julius Berger Tiefbau AG« war inzwischen zu einem international renommierten Unternehmen geworden, das mit Niederlassungen in Hamburg, Königsberg, Madrid, Kronstadt, Bogota, Alexandria, Istanbul und Teheran vor allem im Brücken-, Tunnel-, Kanal- und Eisenbahnstreckenbau tätig war. Dass Wohlgemuth Julius Berger bei etlichen seiner weltweit durchgeführten Projekte gelegentlich persönlich begleitet haben muss, belegt ein Foto aus jener Zeit. Im Sommer 1919 rückte er, Firmendokumenten zufolge, in den Vorstand des Konzerns auf. Als Deutschland und die Türkei nach dem Ersten Weltkrieg diplomatische Beziehungen aufnahmen und der »Entwicklungsdiktator« Kemal Atatürk den ehemaligen »Waffenbruder« bei der »Europäisierung« seines Landes heranzuziehen suchte, konnte die »Julius Berger Tiefbau AG« in den zwanziger Jahren Verträge über die verkehrstechnische Erschließung der Türkei abschließen. 7 1925/ 26 erhielt ein Firmenkonsortium unter Leitung der Julius Berger Tiefbau Berlin AG mehrere Lose für die Eisenbahnneubaustrecke Ankara - Sivas im Volumen von drei Millionen Mark zugesprochen. 1927 folgte der Zuschlag für sämtliche Neubaustrecken im Umfang von 400 Kilometern von Kutahia nach Balikessir sowie von Olukischla nach <?page no="113"?> 112 Manfred Bosch Kaiserie mit einem Volumen von 75 Millionen Mark, wofür drei Jahre Bauzeit veranschlagt wurden; 1929 kam der Bau eines Teils der Eisenbahnstrecke von Ulukisla nach Bogazkoepri hinzu. 8 Diese Aufträge führten auch Wohlgemuth nach Istanbul und von dort in die verschiedenen Landesteile; laut Auskunft des Firmenarchivs der späteren Bilfinger Berger AG war Wohlgemuth für diese Bauprojekte sogar verantwortlich und auch am Gewinn beteiligt. 9 Für die Kinder stellte das Ehepaar Wohlgemuth in dieser Zeit eine Gouvernante ein. Gerd und Marianne gingen in Istanbul auf deutsche Schulen; 1928 wechselte Gerd an das Französische Gymnasium in Berlin. In den Ferien reiste er mit dem Zug über den Balkan nach Istanbul. Rückkehr nach Deutschland Beruflich müssen diese Jahre für Fritz Wohlgemuth recht erfolgreich gewesen sein, denn 1931 - die Firma befand sich damals auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung - kehrten er und seine Familie mit einem »sehr beträchtlichen Vermögen nach Deutschland zurück«. 10 Damit dürfte zunächst Berlin gemeint sein, wo die Wohlgemuths in der Winklerstraße in Berlin-Grunewald eine stattliche Villa besaßen, die ihnen schon bei ihren Reisen zwischen Deutschland und Fritz Wohlgemuth (r.) mit Julius Berger (2. v.r.) bei einem nicht identifizierten Bauprojekt <?page no="114"?> 113 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz der Türkei als heimatliche Basis gedient hatte. Sie blieb auch über den Erwerb des Heiligenholzer Hofes hinaus ihr städtisches Domizil - gehörte Wohlgemuth doch über 1932 hinaus zunächst noch dem Vorstand der »Julius Berger Tiefbau Berlin AG« an, die damals zur Spitzengruppe der deutschen Bauindustrie zählte. 11 Nach der »Machtergreifung« geriet der Konzern mit einem Juden an der Spitze jedoch rasch ins Visier der Nationalsozialisten. Ursprünglich hatte sich Berger mit Vollendung seines 70. Lebensjahres aus der Geschäftsleitung zurückziehen wollen; die Weltwirtschaftskrise hatte ihn jedoch zum Verbleib veranlasst. Nun aber drängten die Nationalsozialisten auf eine Umbildung von Vorstand und Aufsichtsrat, sodass Julius Berger zum Jahresende 1933 zur Demission gezwungen war. Zuvor schon hatte Fritz Wohlgemuth in der Generalversammlung vom 10. Mai 1933 seine Absicht erklärt, »mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Verhältnisse und im Interesse der Gesellschaft sein Amt als Vorstandsmitglied der Gesellschaft freiwillig« 12 niederzulegen. Sechs Aufsichtsratsmitglieder jüdischer Abstammung folgten dem Beispiel Wohlgemuths, dessen Vertragsverhältnis formell zum 30. September 1933 beendet wurde. Zwar waren da Fritz und Johanna Wohlgemuth bereits seit einem Jahr Eigentümer des »Unteren Hofes«, doch das Leben der Familie wird sich noch eine Zeit lang in ihrer Berliner Villa abgespielt haben, denn das Hofgut war zunächst kaum oder nur teilweise bewohnbar. Noch 1934 waren die Dachsanierung und der Einbau von Gaupen im Gange; gelegentlich befand sich die Familie auch auf Reisen, wie Aufenthalte in Wien und Kitzbühel belegen. Neben Feldbau, für den Wohlgemuth einen siebenjährigen Erntezyklus auf bio-dynamischer Basis ausarbeitete, umfasste der landwirtschaftliche Betrieb die Haltung von Kühen, Schweinen und Kleinvieh wie Hühner und Enten; hinzu kamen etliche Pferde. Über die Anzahl des Gesindes liegen keine Angaben vor; neben einem Schweizer dürfte zur Bewältigung der anfallenden Arbeiten sicherlich eine Handvoll Hausmädchen und Knechte nötig gewesen sein sowie zusätzliche Helfer in Erntezeiten. Das Dreschen besorgte eine Lohndreschmaschine. »Fritz was a good farmer and seemed very knowledgeable with his foray into organics as well as also being very good at managing his workers. He was, I think, strict but popular«, fasst Enkel Frank Wellgate seine Erkenntnisse zusammen. Und eine Nachbarin, die ihn freilich erst nach seiner Rückkehr <?page no="115"?> 114 Manfred Bosch aus dem Exil kennenlernte, meinte, Wohlgemuth sei leutselig gewesen und müsse bei aller Besonderheit seiner Person im Dorf respektiert und wohlgelitten gewesen sein. 13 In Istanbul und auf Reisen durch die Türkei hatten die Wohlgemuths zahlreiche orientalische Teppiche erworben, die die Wände der Zimmer zierten oder als Sitzgelegenheiten benutzt wurden, sodass die Einrichtung einen ausgeprägt exotischen Eindruck vermittelte. Es gab ein eigenes Musikzimmer mit einem Flügel, in das Wohlgemuth sich nach dem Essen zurückzuziehen pflegte, um zu spielen, sodass parallel zu gelegentlichen Aufenthalten in Grunewald und zu auswärtigen Opernbesuchen auch in Heiligenholz ein gewisses musisches Leben geführt werden konnte. Zum geistigen Austausch trugen neben dem Ehepaar Licht immer wieder auswärtige Besuche bei, für die Gastzimmer zur Verfügung standen, unter ihnen Kurt Hahn und sein Kreis oder der Künstler Marcus Behmer. Von dessen Freundschaft zu den Wohlgemuths zeugt ein Album mit Radierungen, die Behmer dem Paar aus Dankbarkeit für manche Hilfe und Unterstützung spätestens seit den Endzwanziger Jahren kontinuierlich zukommen ließ. Darunter befindet sich auch ein persönliches Exlibris von 1929, in dem die Namensinitialen des Paares kunstvoll ineinander verflochten sind und ein Halbmond mit Stern an die Zeit in der Türkei erinnert. Die Rassengesetze beginnen zu greifen Im Gegensatz zu diesen idyllisch anmutenden familiären Verhältnissen begannen die Zeichen der Zeit immer mehr auf Sturm zu stehen. Wie die Bemühungen Fritz Wohlgemuths zeigen, zusammen mit Kurt Hahn vor der Wahl der NSDAP zu warnen, war er Exlibris von Marcus Behmer. Der Halbmond mit Stern erinnert an die Jahre in der Türkei <?page no="116"?> 115 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz sich der drohenden Gefahren wohl bewusst. Von einer kurzen Haft, von der in der Familienerzählung berichtet wird, findet sich in den Wiedergutmachungsakten indes nichts. Auch ein erstes Testament datiert aus dieser Zeit. Dann waren im Herbst nach der Machtergreifung »Erbhofgesetze« erlassen worden, denen zufolge das »Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes« galt und die darauf abzielten, nichtarische Personen aus der Landwirtschaft zu verdrängen (»Bauer kann nur sein, wer deutscher Staatsbürger, deutschen oder stammgleichen Blutes und ehrbar ist«). Als 1935 die Nürnberger Gesetze hinzukamen, hielten die Wohlgemuths die Zeit für gekommen, Gerd und Marianne ins Ausland zu schicken. Sie »versorgten sie mit genügend Mitteln, um ihre Studien zu beenden und ein selbständiges Leben führen zu können«. 14 Es handelte sich im Falle Gerds um 70.000 RM, im Falle Mariannes um 50.000 RM - Summen, die die Oberrheinische Bank in Konstanz auf Auswanderer-Sperrkonten transferieren sollte. 15 Von der Zahlung einer Reichsfluchtsteuer, die bereits Ende 1931 zur Eindämmung der Kapitalflucht ins Ausland eingeführt worden war, sollte nach Auskunft durch das Finanzamt Überlingen kein Mitglied der Familie betroffen sein; zweieinhalb Jahre später jedoch wurden die Wohlgemuths benachrichtigt, dass auch »sie für ihre Kinder, sowohl wie für sich selbst (im Falle der Fritz, Marianne und Gerd Wohlgemuth Marianne Wohlgemuth <?page no="117"?> 116 Manfred Bosch Emigration) ›Reichsfluchtsteuer‹ zu zahlen hätten« 16 , andernfalls würde die Ausreise nicht gestattet werden. Auf diese Weise wurden ihnen 30.000 Mark abgepresst. Als Jahr, in welchem er seine Kinder ins Ausland schickte, gab Wohlgemuth in seinem Wiedergutmachungsantrag 1936 an. Dies traf jedoch nur im Falle Gerds zu, der von 1934 bis 1936 in Berlin an der Technischen Universität studiert hatte. Anschließend arrangierte Fritz Wohlgemuth für seinen Sohn ein Physikstudium in Cambridge; Marianne dagegen, die auf deutsche und Istanbuler Schulen gegangen war und ihr Abitur Ostern 1934 an einer Potsdamer Privatschule abgelegt hatte, war bereits im Herbst 1934 in die Schweiz gegangen. Dort besuchte sie 1934/ 35 die Ecole Ménagère St. Agnes in Fribourg, bevor sie sich 1935 an der Universität Genf, Faculté des Lettres (Institut Jean Jacques Rousseau) für ein Sprachen- und Pädagogikstudium einschrieb. Nach dem Certificat d’ Etudes Françaises, dem Certificat de Pédagogie sowie dem Diplome Général de Pédagogie stand sie im November 1940 vor dem Abschluss ihrer Studien und hatte nurmehr bei Edouard Claparède ihre Dissertation zu verteidigen. Ein Einwanderungsvisum nach Brasilien hatte sie da bereits in der Tasche. Mit Hilfe des Comité International pour le Placement des intellectuels réfugiés, das sich für die Gewährung einer rückzahlbaren Bundessubvention einsetzte, konnte Marianne Wohlgemuth Ende 1940 endlich ausreisen. 17 Erlaubnis für Marianne Wohlgemuth zum dauernden Aufenthalt in Brasilien <?page no="118"?> 117 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz Auf einer abenteuerlichen Autofahrt durch Vichy-Frankreich, über die Pyrenäen und durch Franco-Spanien erreichte sie schließlich Lissabon, wo sie mit dem Dampfer »Quanza« Europa hinter sich lassen konnte. Ausplünderungen … Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Ehepaar Wohlgemuth bereits über ein Jahr im Londoner Exil. Es hatte, als es an die eigene Auswanderung ging, seine Bank mit dem Verkauf von Wertpapieren beauftragt, deren Kurswert bei 120.000 RM lag - der Gegenwert sollte als Pfundbetrag auf ein englisches Konto transferiert werden. Die eingeschaltete Golddiskontbank stellte von dem genannten Betrag jedoch nur »6% zur Anschaffung des Pfundgegenwertes zur Verfügung« 18 , sodass sich ein Verlust von rd. 111.000 ergab. Dass hinter dieser Ausplünderung System steckte, bekannte das Badische Ministerium der Finanzen nach dem Kriege unumwunden: »Juden, die über Devisen im Ausland verfügen wollten, konnten dies nur durch Vermittlung der Golddiskontbank (Dego) erreichen. Sie verkauften ihre Wertpapiere dorthin und erhielten eine etwa 6% des eingelieferten Wertes betragende Gutschrift in Devisen. Die Einbusse von 94 % der eingelieferten Substanz mussten sie als Vermögensschaden hinnehmen. Es handelt sich hier also nicht um eine Abgabe im Sinne der Reichsabgabenordnung, sondern nur um Abgabe der Wertpapierbestände zum Verkauf zu einem äußerst schlechten Zwangskurs« 19 . Zu diesen Maßnahmen kamen weitere Reichsfluchtsteuern in Höhe von 102.376,90 mit »Auswandererabgaben« in Höhe von 7.236,85 - total 109.613,75 20 hinzu. An »Judenvermögensabgaben«, die von der jüdischen Vertretungsorganisation in Karlsruhe eingezogen wurden, waren weitere 43.879 RM zu leisten. Ferner wurde Johanna Wohlgemuth im Rahmen der Edelmetallablieferung zum Verkauf von Schmuck und Wertsachen an die Pfandleihkasse der Sparkasse Karlsruhe gezwungen. Zu den »Judenvermögensabgaben« war auch Johanna Wohlgemuth herangezogen worden, obwohl sie - zwar Cousine ihres Mannes und damit einer jüdischen Verwandtschaft entstammend 21 - ihre Heiratsurkunde als evangelisch und damit als »nichtjüdisch« auswies. Eine Erklärung hierfür ist in der Bemerkung Johanna <?page no="119"?> 118 Manfred Bosch Wohlgemuths zu sehen, wonach sie »auf Grund meiner Verheiratung ebenfalls zur Jüdin erklärt« 22 wurde. Tatsächlich enthält die Heiratsurkunde einen Randeintrag vom 22. Mai 1939, dass Johanna Wohlgemuth den nazistischen Verordnungen gemäß wie alle Jüdinnen Sara als zweiten Vornamen tragen müsse. Auch Fritz Wohlgemuth, für den in der Eheurkunde freilich der Religionsvermerk »mosaisch« festgehalten ist, monierte in seinem Wiedergutmachungsantrag, zu »Judenvermögensabgaben« herangezogen worden zu sein, obgleich er »evangelischer Konfession« sei »und immer Kirchensteuer, zuletzt über das Finanzamt Überlingen, gezahlt habe« 23 . Dies war freilich im Sinne der Nazis »korrekt«, für die ja nicht die Konfession, sondern allein die »biologische Disposition« entscheidend war. Insofern waren Gerd und Marianne im Sinne der Rassebestimmungen »Halbjuden«, was an ihrer Gefährdung freilich nichts änderte. Auch in den Pässen der beiden Kinder findet sich der berüchtigte »J«-Stempel. … und Vertreibung vom Hof Der nächste Schritt bestand in der Vertreibung der Wohlgemuths von ihrem Hof. Am 11. August 1939 erhielten sie ein Schreiben des Badischen Finanz- und Wirtschaftsministers, Abt. für Landwirtschaft und Domänen in Karlsruhe. Darin wurde den beiden »aufgegeben«, »[a]ufgrund § § 1, 2 und 17 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 RGBl. I Seite 1709 [...] das Ihnen gehörige Hofgut Heiligenholz mit Gebäuden, lebendem und totem Inventar und den nachstehend verzeichnetet [! ] Grundstücken innerhalb von 4 Wochen an die Badische Landessiedlung in Karlsruhe, Thomastr. 1 zu verkaufen«. An dieser Stelle folgte eine Aufstellung von zwölf zugehörigen Grundstücken mit Lagebuchnummern, dann hieß es weiter: »Fürsorglich wird für den Fall des Nichtvollzuges oder Ihrer Auswanderung gleichzeitig gemäß § 6 obiger Verordnung Herr Landwirtschaftsrat Richard Engstler in Pfullendorf zum Treuhänder für das genannte Hofgut bestellt. Dieser ist hiermit ermächtigt, die Veräußerung nach Ablauf der gestellten Frist durchzuführen und alle hiermit verbundenen Maßnahmen mit rechtsverbindlicher Wirksamkeit vorzunehmen«. 24 <?page no="120"?> 119 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz Das Hofgut befand sich zu dieser Zeit in bestem Zustand. Die rechtmäßigen Besitzer charakterisierten es im Rahmen ihrer Restitutionsbemühungen später in aller Kürze so: »Landwirtschaftlicher Hof mit Ställen, Scheunen u.s.w. mit vollem Viehbestand und landwirtschaftlichen Maschinen, einem grossen Wohnhaus, sowie Räumen für Angestellte, möbliert und eingerichtet«. Als ungefähren Wert des Anwesens gaben sie 256.000 RM an. 25 Von diesem Preis erzielten die Wohlgemuths weniger als ein Drittel: die Kaufurkunde vom 18. August 1939 nennt einen Erlös von 68.170 RM, wovon 37.400 RM auf die Grundstücke entfielen. Das Skandalöse dieses Vorgangs ist vor allem darin zu sehen, dass diesem Verkaufserlös keine unabhängige Bewertung zugrunde lag, sondern der Käufer den Preis offenbar eigenmächtig festsetzte. Ferner lag das Datum der Kaufurkunde einige Tage nach (! ) der Ausreise des Ehepaares Wohlgemuth, dem am 14. August 1939, gerade zwei Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, die Flucht nach London gelungen war. Dies kann kaum anders gedeutet werden, als dass die Nutznießer der unrechtmäßigen Vertreibung von vornherein von der oben genannten Möglichkeit Gebrauch zu machen beabsichtigten, Landwirtschaftsrat Engstler die »treuhänderische« Abwicklung der Geschäfte vornehmen zu lassen. Für das Ehepaar Wohlgemuth wurde nun das Haus 50 D Clanricarde Gardens, Notting Hill Gate in London W 2, für die nächsten elf Jahre zum Wohnsitz. Während der Bombardierungen der Stadt durch die deutsche Luftwaffe, bei denen bis ins Jahr 1940 allein 14.000 Einwohner ihr Leben lassen mussten 26 , verbrachten Johanna und Fritz Wohlgemuth manche angstvolle Stunde im shelter. Bis 1942 hatte England kaum Chancen, der deutschen Luftübermacht Paroli zu bieten, was die Briten zu einer »trotzigen Schicksalsgemeinschaft« 27 zusammenschmolz, und so war es auch für Fritz Wohlgemuth selbstverständlich, auf dem Dach seines Hauses als »Luftwart« bei der Aufklärung mitzuwirken. Zur selben Zeit war Sohn Gerd in Cornerways in Surrey beim Royal Greenwich Observatory’s Time Department stationiert. Ende Mai 1940 vermietete die Badische Landessiedlung den Unteren Hof an den Reichsarbeitsdienst, der dort sein Lager 123 einrichtete - eine Unterkunft für sogenannte Arbeitsmaiden. Während Männer im Reichsarbeitsdienst gemeinhin paramilitärische Aufgaben übernahmen, wurden Mädchen und junge Frauen im <?page no="121"?> 120 Manfred Bosch Geist der »Volksgemeinschaft« vor allem dort eingesetzt, wo es die einberufenen Männer zu ersetzen galt. Wie in diesen Lagern üblich, lebten die rund drei Dutzend Mädchen und jungen Frauen auf dem Wohlgemuth’schen Gut kaserniert und hatten jeden Morgen zu Fuß zu den oft kilometerweit entfernten Bauernhöfen auszurücken. Die Dienstzeit betrug seit 1939 ein halbes Jahr; ab 1941 wurde sie auf ein Jahr und mehr ausgedehnt. Suzanne Dingler erzählt über ihren Einsatz als »Arbeitsmaid« auf dem Unteren Hof Ich bin Jahrgang 1925 und wurde am 6. Dezember 1943 zum Reichsarbeitsdienst (RAD) einberufen. Die reguläre Dienstzeit war ein halbes Jahr, daran schloss sich ein halbes Jahr Kriegshilfsdienst an. Die Zusammensetzung der Mädchen war ganz bunt. Wir hatten sehr viele Österreicherinnen, Wienerinnen, sehr viele Elsässerinnen und nur drei Mädchen aus Baden und drei oder vier Schwäbinnen. Insgesamt waren es 36. Es gab eine so genannte Arbeitsdienstführerin, die 23, 24 Jahre alt war, eine Schwäbin. Dann war da eine Wirtschafterin als Führerin und eine Verwalterin. Die Hauptleiterin, Frau Wurster, hatte eine eigene Wohnung im Haus. Wir kriegten den ganzen Winter über Kartoffeln und madigen Speck. An den Wochenenden mussten wir durch die Küche in die Wohnung der Führerin, und da wurden dann die Käse- und Aufschnittplatten usw. geliefert. Die Führerin war sehr streng. Es durfte keiner mit Essen beginnen bevor sie da war. Wenn es warm gab, konnte es vorkommen, dass es kalt wurde. Sie führte ein eisernes Regiment und war sehr unbeliebt. Wir sind um sechs Uhr geweckt worden. Das wichtigste war morgens das Fahnenaufziehen. Da war man schon durch die Baderäume durch. Da das Haus nicht als Lager hergerichtet war, gab es nur zehn Waschschüsseln. Dann gab es den Appell, dann musste man sich anziehen, dann wurde die Fahne gehisst und ein Lied gesungen. Nach dem Frühstück sind die Maiden, so hießen wir, ausgezogen in den Außendienst. Im Innendienst waren es wenige: in der Küche, in der Wäscherei und in der Büglerei, im Hausdienst waren auch zwei oder drei Mädchen beschäftigt. Alle anderen waren auf den Bauernhöfen verteilt. Sie mussten zu Fuß in die umliegenden Dörfer, manchmal sechs Kilometer, nach Frickingen und andere Orte. Beim einen musste man nur Stall- <?page no="122"?> 121 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz dienst machen, misten und im Sommer auf dem Feld sein, und manche kamen nie in die Stube. Ich hatte Glück. Erst hatte ich lange Hausdienst, dann war ich in Frickingen auf einem Bauernhof, wo ich es gut hatte. Der Bauer war kriegsversehrt, es gab ein kleines Kind und einen französischen Kriegsgefangenen. Wir aßen alle am großen runden Tisch. Da kam eines Tages eine Inspektion, die Arbeitsdienstführerin, und sah, dass ich auch am Tisch saß mit diesem Franzosen. Da hat sie verboten, dass ich mit am Tisch sitze, und der Franzose sollte in der Küche essen. Der Bauer hat aber gesagt: wer mit mir arbeitet, der isst auch mit mir. Er hat dann die Schwierigkeit so gelöst, dass er einen kleinen eckigen Tisch an den runden dran stellte. So saß ich an dem kleinen Tisch und war doch mit in der Gemeinschaft. Und der Franzose saß auch am runden Tisch. Dann gab es Mädchen, die waren nur in den Ställen und wurden wie Dienstboten oder Knechte behandelt. Eine musste ihr Essen aus dem Tierfutter rausholen. Ich selbst war die ganze Zeit nur an zwei Stellen. Abends ist man dann wieder zurückgelaufen, man hatte eine feste Zeit und musste, ich glaube um fünf oder sechs, wieder in Heiligenholz sein. Im Winter durften manche mit Skiern fahren. Im Lager musste man erstmal die Schuhe putzen. Dann zog man seine Lagerkleidung an, blaue Röcke und weiße Der »Untere Hof« wird RAD-Lager RAD-»Maiden«, 1944, mit Suzanne Dingler (zweite von links) <?page no="123"?> 122 Manfred Bosch Blusen, dann war Schuhappell. Das war immer das Schlimmste. Dann war Abendessen, dann eine Arbeitsstunde, da musste man seine Sachen flicken, irgendwas fürs Heim machen oder Gemüse putzen. Freizeit gab’s nicht immer. Im Gemeinschaftssaal konnte man Briefe schreiben. Ins Bett ging’s um zehn. Licht aus, nichts mehr reden! Ich habe immer sehr viele Briefe geschrieben. Ich hab mir das ertrotzt. In jedem Zimmer gab es eine Kameradschaftsälteste, die so genannte KÄ. Ich war in einem Zimmer für zehn Mädchen, da war ein sehr nettes Mädchen aus Heilbronn KÄ - sie war Abiturientin oder schon Studentin. Die hat mir manches nachgesehen, auch wenn ich nachts aufstand und schrieb. Ich hab sehr viele Briefe nach Hause geschrieben. Ich selbst hab auch sehr viele Briefe gekriegt, fast täglich. Wir durften auch keine private Unterwäsche tragen. Wir haben Unterwäsche gekriegt, das waren rosarote, dicke, außen glänzende und innen raue Hosen mit Gummizug an den Beinen. Die hab ich in Wasser getaucht oder beschmutzt, in die Wäsche gegeben und hab immer meine eigenen getragen. Die durfte ich dann auf der Heizung trocknen, das wusste die KÄ auch, die hat mir das gestattet. Geschlafen haben wir in fünf Doppelbetten in einem sehr engen Raum, und genau nebenan war der Eingang zur Führerin. Also wir durften uns schon gar nichts erlauben. Beim Bettenappell mussten unsere Strohsäcke glatt liegen wie Matratzen, auch die Decken, sonst wurden sie runtergerissen. Zwei-, dreimal in der Woche war auch Spindappell. In den Spinden musste auch alles wie mit dem Maßband ausgerichtet liegen. Für unsre Arbeit gabs 25 Pfennig. Ich glaube in der Woche. Es war jedenfalls ganz minimal. Am Sonntagnachmittag war frei. Aber mach was da oben in der Gegend! Busse gab´s nicht, Autos gab´s nicht - man kam nicht weg. Im Winter sind wir spazieren gegangen, im Sommer auch. Die Mädchen kamen aus ganz unterschiedlichen Schichten. Es war alles dabei, Bankdirektorstöchter, es gab Mädchen aus dem 10. Hieb, wie man sagte, das ist wienerisch und muss was Minderes sein. Also da waren auch ganz ordinäre Typen dabei. Es war ganz unterschiedlich. Wir haben auch Spiele gemacht. Sehr beliebt war die Verwaltungschefin, Frau Kessler, eine Schwäbin. Die hat mit uns gesungen und gespielt und Tanzabende gemacht. Am 1. April oder 1. März 1944 sind wir dann in die Munitionsanstalt Urlau gekommen, bis zum 3. November. Das war dann der so genannte Kriegshilfsdienst. Das ging ineinander über; wir kamen alle dorthin. <?page no="124"?> 123 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz Unter dem Diktat des »Reichserbhofgesetzes« Am 16. April 1941 trennte sich die Badische Landessiedlung wieder von dem Landgut »Unterer Hof« und veräußerte es an den Ortsbauernführer Arnold Egle und seine Frau Josefa. Egle, Jahrgang 1906 und seit Sommer 1937 Mitglied der NSDAP, ließ seinen Besitz entsprechend den Bestimmungen des »Reichserbhofgesetzes« in die Erbhofrolle eintragen. Damit war er zwar vor Zwangsvollstreckung geschützt und unterlag nicht der Realteilung, das heißt der Besitz konnte nur an den Ältesten weitervererbt werden. Diese Bestimmungen nahmen Vorstellungen aus dem 19. Jahrhundert auf, wonach bäuerlicher Grundbesitz, der in den meisten Fällen zu wenig abwarf, als dass jüngere Geschwister im Erbfall hätten ausbezahlt werden können, aus dem »kapitalistischen Markt« herauszunehmen sei, um ihn vor Überschuldung und Zersplitterung zu schützen. Nun aber kam es den Nationalsozialisten darauf an, »unter Sicherung alter deutscher Erbsitte« das Bauerntum »als Blutquelle des deutschen Volkes [zu] erhalten« 28 . Mit der Bestimmung der Unveräußerlichkeit ihres Bodens konnten die Erbhofbauern jedoch nicht mehr frei über ihren Besitz verfügen, weshalb sie sich in die Rolle eines Verwalters gedrängt fühlten; außerdem musste sich der Erbhofbauer »auf seine Bauernfähigkeit im Sinne des Reichserbhofgesetzes« prüfen lassen und hatte sich weitgehenden Bestimmungen zu unterwerfen. Dazu zählte unter anderem die Pflicht, sich während der ersten fünf Jahre durch die Beauftragten des »Reichsnährstands« und des zuständigen Landesökonomierates einer Wirtschaftsberatung zu unterziehen. Ferner waren eine Reihe von Ämtern und die Siedlerstelle gegenüber den Inhabern von Erbbauernhofstellen weisungsbefugt; dass der Erbhofbauer obendrein keine Geschäftsbeziehungen mit jüdischen Händlern eingehen durfte, versteht sich von selbst. Im Übrigen sah Egles Kaufvertrag vor, dass er in den Mietvertrag mit dem Reichsarbeitsdienst eintrat, sodass seiner Familie zur Nutzung nur Nebenhaus und Stallungen blieben 29 . Gelegentlich kehrte auf dem »Unteren Hof« auch ein mobiles Kino ein, das den Schülern des zu Salem gehörigen Unterstufeninternats Hermannsberg tendenziöse Spiel- und Propagandafilme bot. Der damalige Schüler Klaus Schultze erinnert sich etwa an einen antiamerikanischen Streifen sowie einen Film, in dem die »Reichswasserleiche Kristina <?page no="125"?> 124 Manfred Bosch Söderbaum« mitspielte. 30 Ein paar weitere Räume des Gutes nahm eine Werkstatt ein, in der der Ingenieur Hermann Klaue zeitweise im Auftrag der Argus-Motorenwerke an wehrtechnischen Entwicklungen arbeitete. 31 Bemühungen um Restitution Nach Kriegsende unternahmen Fritz und Johanna Wohlgemuth von London aus alsbald Bemühungen, wieder in den Besitz ihres Aus dem Antrag Fritz Wohlgemuths auf Rückübertragung seines Besitzes <?page no="126"?> 125 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz Gutshofes zu kommen. Aufgrund der Schwierigkeiten, aus der Ferne in eigener Sache tätig zu werden, betrauten sie zunächst ihre inzwischen verwitwete Freundin Eva Licht mit der Wahrung ihrer Interessen, bevor sie sie dem Konstanzer Rechtsanwalt Wolfram Kimmig übertrugen. Als Gesamtforderung machten die Wohlgemuths »entsprechend der Währung vom Jahre 1939« einen Betrag von 304.000 RM geltend, »zusätzlich laufende Verzinsung und Kosten der Rückwanderung«. 32 Entsprechend dem Alliierten Gesetz Nr. 52 war der Hof zunächst dem Badischen Landesamt für das kontrollierte Vermögen, Kreisstelle Überlingen, unterstellt Von Fritz Wohlgemuth erhobene Entschädigungsansprüche <?page no="127"?> 126 Manfred Bosch worden. Dagegen hatte sich Arnold Egle mit dem Hinweis zu wehren versucht, dass er als »rechtmäßiger Eigentümer« dem Gesetz Nr. 52 gar nicht unterliege; was den Hausrat betreffe, so sei dieser »Vorbehaltsgut meiner Ehefrau«. Auch habe er nichts mit der Badischen Landessiedlung zu tun; weder stehe er in deren Diensten noch hätten er und seine Frau »zu vertreten, woher die Badische Landessiedlung [...] den Hof erworben hat [...]. Meine Frau und ich haben auf alle Fälle gutgläubig erworben«. Ansprüche, so beschied er die Vertreter des Badischen Landesamts, seien nicht an ihn zu richten, sondern bei der »Badischen Landessiedlung geltend [zu] machen, die auch Ihnen gegenüber den Erwerb des Hofes zu vertreten hat«. 33 Dieser Auffassung konnte man sich auch im Badischen Finanzministerium nicht völlig verschließen, wo man die Dienststelle für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung in Überlingen wissen ließ: »Da die Egles den Hof von der im Grundbuch eingetragenen Badischen Landessiedlung erworben haben, ist unter diesen Umständen [...] es mehr als zweifelhaft, ob die Eheleute Egle von dem Beraubungscharakter der anfänglichen Verfügung Kenntnis haben konnten und somit als bösgläubig im Sinne von Art. 6 angesehen werden können«. 34 Dennoch war die Rückübertragung des Gutshofes im Vergleich mit der endlos hinausgezögerten Freigabe von Wiedergutmachungszahlungen bzw. der Gewährung notwendiger Kredite noch das kleinere Problem. Am 27. April 1948 war es zu einer gütlichen Einigung zwischen den Kontrahenten Wohlgemuth und Egle gekommen. Eine Präambel hielt fest, dass das Anwesen gemäß Verordnung des »Commandement en Chef Français en Allemagne No. 120« vom 10. November 1947 an Wohlgemuth zurückzuerstatten sei. § 1 bestimmte sodann, dass die Bewirtschaftung des Landguts ab 1. November 1948 wieder Wohlgemuth oder einem von ihm hierzu Bevollmächtigten obliege; zu diesem Datum hatte Egle es »mit allem toten und lebenden Inventar laut Liste« zu übergeben. Nach § 5 hatte die Räumung spätestens bis 15. November 1948 zu erfolgen. Egle verzog darauf in seinen Heimatort Neudingen bei Donaueschingen, wo er 1949 zum Bürgermeister gewählt wurde. Die Einigung der Badischen Landessiedlung mit Wohlgemuth erfolgte in Vereinbarungen vom 27. Juni bzw. vom 10. Juli 1949; sie betrafen Schadensersatzforderungen aufgrund eingetretener Verluste, deren Regelung sich bis nach dem Tod Fritz Wohlge- <?page no="128"?> 127 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz muths hinzog. Aus einem Schreiben von Mitte 1959 erfahren wir, dass es dabei um einen Betrag von 29.058,55 RM ging, die nach Maßgabe des Bundesentschädigungsgesetzes auf 5.811,71 DM umgestellt wurden. 35 Nach Restitution des Hofes, die am 14. November 1949 vollzogen wurde 36 , kehrten Wohlgemuths - die polizeiliche Anmeldung erfolgte am 30. Juni 1950 in Hattenweiler - nach Heiligenholz zurück, um ihre »einstige Heimat und wirtschaftliche Existenz zurückzugewinnen«, wie Rechtsanwalt Wolfram Kimmig einen Kollegen wissen ließ. »Letzteres«, fügte er hinzu, sei »ungeheuer schwer, da er (Wohlgemuth, MB) das Gut in völlig herabgewirtschaftetem Zustand zurückerhielt und ihm, dem einstmals recht vermögenden Manne, nun jedes Betriebskapital zum Wiederaufbau« fehle. »Herr und Frau Wohlgemuth sind völlig auf das angewiesen, was ihnen das Land Baden auf Grund des allgemeinen Wiedergutmachungsgesetzes vergüten wird. Auf diese Vergütung - die (sehr erheblichen) Forderungen sind längst angemeldet - warten sie deshalb mit einer Unruhe, die um so begreiflicher ist, als Herr Wohlgemuth 67 und seine Gattin 65 Jahre zählt«. 37 Ausbleibende Zahlungen aus Ansprüchen der »Wiedergutmachung« Da die zugesagten Wiedergutmachungssummen bei Weitem nicht ausreichten, die Rentabilität des Betriebs in absehbarer Zeit sicherzustellen, war das Paar Wohlgemuth gezwungen, Bankkredite aufzunehmen. Am 30. Mai 1951 drängte Wohlgemuth beim Badischen Ministerium der Finanzen auf die Zahlung von ausstehenden 5.000 DM, da er das Geld zum Wiederaufbau seiner Landwirtschaft »dringendst benötige«. Im Sommer 1951 ging ein neues Schreiben an dieselbe Stelle, um die Überweisung eines weiteren, ihm zustehenden Betrags in Höhe von 10.000 DM zu beschleunigen: »Ich habe mein Hofgut, sehr heruntergewirtschaftet, wieder übernommen, sowohl was den Zustand der Baulichkeiten anlangt, als auch den Bestand an lebendem und totem Inventar. Um die Wirtschaft wieder auf eine entsprechende Leistungsfähigkeit zu bringen, habe ich bereits im vergangenen Wirtschaftsjahr sehr große Aufwendungen machen müssen und muss noch weitere beträchtliche machen, <?page no="129"?> 128 Manfred Bosch für die ich Kredite aufnehmen muss, da die Einkünfte auch jetzt im beginnenden Wirtschaftsjahr noch nicht ausreichen werden, um die Unkosten zu decken. Da ich im 68. Lebensjahr stehe, dürfte es verständlich sein, das ich meine Schulden bezahlt und den Wiederaufbau meiner Wirtschaft beendet sehen möchte«. 38 Im Oktober desselben Jahres hatte Wohlgemuth erneut Anlass, auf die Dringlichkeit seines Anliegens hinzuweisen: »Der Wiederaufbau der mir seinerzeit enteigneten, während meiner 11jährigen Abwesenheit heruntergewirtschafteten Landwirtschaft erfordert (neben der Anstrengung, von der ich nicht weiß, wie lange ich in meinem Alter sie werde fortsetzen können) die Aufwendung sehr beträchtlicher Mittel, die ich mir auf dem Kreditwege beschaffen musste und muss«. 39 Um seiner klammen Finanzlage aufzuhelfen, entschloss sich Wohlgemuth zur Wiederaufnahme eines Prozesses mit der Julius Berger AG wegen entgangener Gewinnbeteiligung. 40 Doch die Dringlichkeitsappelle an die Adresse badischer Behörden blieben erfolglos; noch am 29. August 1952 berichtete die Dienststelle für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung beim Finanzamt Konstanz, dass die Wohlgemuths nach wie vor »in angespannten wirtschaftlichen Verhältnissen« leben. »In das restituierte Hofgut mussten erhebliche Beträge investiert werden, um überhaupt in absehbarer Zeit eine Rentabilität des Betriebes zu ermöglichen. Hierzu war es bereits notwendig geworden, Bankkredite in Anspruch zu nehmen, da die bisher gewährten Wiedergutmachungsleistungen nicht ausreichten«. 41 Wohlgemut selbst monierte, dass er bei weiterem Ausbleiben der ihm nach Feststellungsbescheid D vom 18. April 1951 noch zustehenden Beträge sein Gut aufgeben müsse. Die beiden Kinder seien bereit, ihre eigenen Entschädigungsansprüche an die Eltern zu übertragen. Keine zwei Monate nach diesem Schreiben, Mitte Oktober 1952, starb Johanna Wohlgemuth in Überlingen im Alter von 68 Jahren. Sechs Jahre Heiligenholz, in denen sie beim Aufbau des Gutes mitgeholfen hatte, die meiste Zeit davon zwischen Hoffen und Bangen, mit Sorgen um die Kinder und mit Emigrationsvorbereitungen erfüllt, danach elf Jahre Exil und noch einmal fünf Jahre, in denen sie die Kämpfe um die Wiedereinsetzung der Familie in ihre alten Rechte mitgetragen hatte, mit allen Querelen, Unerfreulichkeiten und Enttäuschungen um Restitution und Wiedergutmachung: sie waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen und mitver- <?page no="130"?> 129 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz antwortlich für ihren frühen Tod. Bereits im Sommer 1952 war sie nervlich zusammengebrochen, nicht mehr arbeitsfähig und hatte ein Sanatorium aufsuchen müssen, was die angespannte finanzielle Situation noch zusätzlich verschärft hatte. Nach dem Tod seiner Frau hielt sich Fritz Wohlgemuth längere Zeit bei Sohn Gerd in England auf. Er erschien allen sehr verbittert und ging viel allein spazieren - ohne seine Frau war ihm das Leben schwer und sinnlos geworden. Entgegen allen Ratschlägen und Beschwörungen seiner Familie kehrte er schließlich nach Deutschland zurück, verkaufte Heiligenholz und zog nach Überlingen, um im Hotel Ochsen Quartier zu nehmen. »Wohlgemuth lebt also in Überlingen«, reagierte Marcus Behmer auf eine entsprechende Mitteilung Eva Lichts, »und ein so armseliges Leben, wie Sie schreiben ...«. 42 In Überlingen erhielt er Besuch von seinem Sohn Gerd, so oft es diesem möglich war; im Mai 1958 kam auch Marianne aus Brasilien zu Besuch. Ein Foto zeigt die beiden auf einer Bank vor dem Grab von Johanna Wohlgemuth auf dem Konstanzer Friedhof; in den Zügen Fritz Wohlgemuths, eines sichtlich gebrochenen Mannes, liegt tiefe Trauer. Am 1. Juli 1959 starb auch er, vereinsamt. Der Wirt Josef Waldschütz hatte ihn tot in seinem Hotelzimmer liegend gefunden. Fritz und Marianne Wohlgemuth auf dem Friedhof in Konstanz, 1958 <?page no="131"?> 130 Manfred Bosch Totenschein für Fritz Wohlgemuth <?page no="132"?> 131 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz Die Nachbesitzer Neuer Besitzer des »Unteren Hofes« wurde Baron von Eberstein, ein ehemaliger Gutsbesitzer aus einem mecklenburgischen Flecken, der nach 1945 vertrieben und als »Großagrarier« in Buchenwald inhaftiert worden war. Zwei seiner sechs Töchter trieben den Hof um, deren eine, Rose Brunnhuber, Wohlgemuth gelegentlich in Überlingen noch besuchte. Sie beschreibt ihn als freundlichen, grundgütigen Mann. Der Hof blieb über zwei Jahrzehnte im Besitz der Ebersteins; der beabsichtigte Weiterverkauf scheiterte lange am eingetragenen Wohnrecht für den schwerkranken Inhaber. 1978 übernahmen dann Inge und Manfred Wiest die Wirtschaftsgebäude des Anwesens samt Stallungen und bauten diese zu einem Landhotel mit angeschlossenem Restaurant um. Seit 2004 führt Sohn Philipp Hotel und Gastronomie unter der Bezeichnung »Greifhof« - der Name geht auf den Raubvogel im Familienwappen zurück. Das ehemalige Wohnhaus der Wohlgemuths erwarb im Sommer 2009 ein bekannter Schauspieler aus Berlin. Bevor er von seiner Freundin auf das Objekt aufmerksam gemacht wurde, hatte er nach einem geeigneten Haus in Italien gesucht - doch als gebürtigem Augsburger schien ihm die vertraute süddeutsche Landschaft »südlich genug«. Gerd Wohlgemuth, der 1939 in Cambridge seine Studien abgeschlossen hatte, war bei Kriegsausbruch als potentiell feindlicher Ausländer auf Isle of Man interniert und nach Kanada deportiert worden. Dort hatte man bei der Ankunft seine Doktorarbeit - über die Verbesserung der Tonwiedergabe bei Grammophonen - in der Annahme vernichtet, es handle sich um chiffrierte Nachrichten. Als man nach einigen Wochen zu der Überzeugung gelangte, dass Gerd kein nationales Risiko darstelle, wurde er nach England zurückgeschickt, wo er nach verschiedenen Beschäftigungen 1943 technischer Offizier am Royal Greenwich Observatory wurde. 1944 heiratete er Barbara Locke - beide hatten sie schon zusammen mit Fritz Wohlgemuth vom Dach ihres Hauses aus bei der Luftaufklärung mitgewirkt - und ließ seinen Namen in Wellgate ändern 43 , nachdem er 1947 die britische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Im selben Jahr wurde sein Sohn Frank Bernard geboren, 1952 folgte Mark Edward. In den sechziger Jahren lebte die Familie zeitweise in Südafrika, wo Gerd Wellgate am Royal Observatory <?page no="133"?> 132 Manfred Bosch Cape of Good Hope beschäftigt war. Und doch blieb die alte Familienheimat für Gerd Wellgate wichtig. Über den Tod seines Vaters hinaus kam er »jeden Sommer« 44 nach Heiligenholz, wo er noch in den neunziger Jahren im ehemaligen elterlichen Besitz einkehrte. Von seinen Besuchen zeugt noch ein knappes Dutzend alter Fotos aus den frühen dreißiger Jahren, die den Gutshof, das Innere des Salons, Szenen vom Hofe und Marianne mit Pferden zeigen. Sie hängen gerahmt im großen Saal des Restaurants. Gerd Wellgate starb im Sommer 2004 mit 91 Jahren in Sussex. Marianne Wohlgemuth blieb dauerhaft in Brasilien, wo sie als Kinderpsychologin (practicing child psychologist) arbeitete. 1943 heiratete sie in Rio de Janeiro Alfred Schreyer (1908-1996), einen aus Österreich stammenden Geschäftsmann, der dem senior management team von Eriksson angehörte und für Verträge mit der brasilianischen Regierung zuständig war. Sie hielt mit ihrer Familie weiterhin Kontakt und besuchte auch Deutschland noch mehrmals. Im November 2011 starb sie in ihrer neuen Heimat. <?page no="134"?> 133 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz Anmerkungen 1 Nach der Heiratsurkunde 951/ 191 des Standesamtes Charlottenburg, Rep. 555 Nr. 142. 2 Johanna war demnach eine Cousine Fritz Wohlgemuths. 3 Julius Berger, 1862 im Zempelburg/ Westpreussen geboren, war ein klassischer Selfmademan. Durch den Beruf seines Vaters Baruch Berger, eines Fuhrunternehmers, wurde sein Interesse auf das Verkehrs- und Transportwesen gelenkt. 1905 gründete er die Julius Berger Tiefbau AG, mit der er sein Tätigkeitsgebiet auf ganz Deutschland und schließlich auch ins Ausland erweiterte. 1933 wurde er aus seiner Firma verdrängt; 1943 starb Berger, nachdem seine zu spät ergriffenen Emigrationspläne gescheitert waren, in Theresienstadt an Hunger. Bruno Marcuse hat sein Leben und Wirken in »Julius Berger und das Dritte Reich« (Ulm 1946) gewürdigt. - Die Julius Berger Tiefbau AG fusionierte später mit der Berliner Bodengesellschaft BAUBOAG zur Berger-BAUBOAG und 1975 zu Bilfinger Berger; seit 2012 Bilfinger. Vgl. hierzu: Bernhard Stier, Martin Krauß, Drei Wurzeln - ein Unternehmen. 125 Jahre Bilfinger Berger AG, Ubstadt-Weiher 2005. 4 Handelsregistereintrag vom 19. Januar 1913, lt. Mail Martin Krauß (Corporate Officer der Bilfinger SE, Mannheim), 1. Dezember 2013. 5 Wohlgemuths Enkel Frank Wellgate, dessen Nachnamen auf die Namensänderung seines Vaters im Jahre 1949 zurückgeht, hat sie unter dem Titel »The Wohlgemuths/ Wellgates 1884-2004« niedergeschrieben (21 S.). Für die Einsicht in das Typoskript, viele Details und eine erfreuliche gemeinsame Recherchearbeit habe ich Frank Wellgate, Fairfield Barn, Bentham (Lancester) herzlich zu danken. 6 Dies legt sowohl ein Foto nahe wie auch eine Mail von Martin Krauß vom 11. Dezember 2013 an Frank Wellgate. 7 Vgl. hierzu Sabine Mangold-Will, Begrenzte Freundschaft. Deutschland und die Türkei 1918-1933. Göttingen 2013. 8 Nach Julius Berger, Meine Lebenserinnerungen. Berlin 1933, S. 47. Siehe http: / / www.berger-reloaded.de/ vita/ lebenserinerungen und Bernhard Stier, Martin Krauß, Drei Wurzeln - ein Unternehmen, wie Anm. 3. 9 Freundliche Auskunft Martin Krauß, 9. Dezember 2013. 10 Fritz Wohlgemuth über seine damaligen Vermögensverhältnisse nach 1945 im Antrag auf Entschädigung; StAF F 196/ 1, o. D. 11 Bernhard Stier, Martin Krauß, wie Anm. 3, S. 202. 12 Mail von Martin Krauß an den Verfasser, 11. Dezember 2013. 13 Mündliche Auskunft Edeltrud Gihr, Heiligenholz, Oktober 2013. 14 Nach StAF F 196/ 1 Nr. 1762, »Anmeldung von Entschädigungsanspruch«, o. D. 15 Ebd., Oberrheinische Bank Konstanz, vormals Deutsche Bank, an Rechtsanwalt Kimmig, 6. Oktober 1948. <?page no="135"?> 134 Manfred Bosch 16 Wie Anm. 14. 17 Schweizerisches Bundesarchiv Bern, Dossier Marianne Wohlgemuth E4264#1988/ 2#9789. 18 Wie Anm. 15. 19 Ebd., Schreiben vom 15. Oktober 1951 an die Badische Rechnungskammer. 20 Ebd., Einzelantrag D: Antrag auf Ersatz von Schäden an Eigentum und Vermögen, Schreiben vom 15. September 1950. 21 Diese Annahme wird durch den Befund der Volkszählung vom 17. Mai 1939 gestützt, wonach die Großeltern Johanna Wohlgemuths väterlicherseits jüdisch waren. Bescheid durch das Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, 9. September 2013 (Bestand R 1509, Reichssippenamt). 22 Vgl. den Wiedergutmachungsantrag vom 12. September 1950; StAF F 196/ 1 Nr. 1762. 23 Ebd., Nachweisungen zum Einzelantrag D. 24 StAF F 196/ 1 Nr. 1762. 25 Ebd., »Anmeldung von Besitz« im Rahmen der Rückerstattung, o. D. 26 Vgl. Jörg Friedrich, Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940 - 1945. München 2002, S. 73. 27 Ebd., S. 76. 28 Axel Friedrichs, Die nationalsozialistische Revolution 1933. Berlin 5 1933, Bd. 1, S. 252f. 29 Alles nach dem Kaufvertrag zwischen der Badischen Landessiedlung und Egle vom 16. April 1941, StAF F 196/ 1 Nr. 1762. 30 Mündliche Mitteilung an den Autor, Oktober 2013. 31 Nach dem Krieg wandte sich Klaue in seinem Überlinger »Entwicklungs- und Versuchslabor« innovativer Fahrradtechnik und damit zivilen Aufgaben zu. 32 StAF F 196/ 1 Nr. 1762, »Anmeldung von Entschädigungs-Anspruch«. 33 Ebd., Schreiben an das Badische Landesamt für das kontrollierte Vermögen, Kreisstelle Überlingen, 31. Juli 1946. 34 Ebd., Badisches Ministerium für Finanzen, 7. November 1949. 35 StAF EF 1963 - V 3/ 119, an das Landesamt für Wiedergutmachung Freiburg, 17. August 1959. Teilbescheid in der Entschädigungssache, hier Zahlung der Judenvermögensabgabe. 36 StAF F 196/ 1 Nr. 1762, Schreiben an das Badische LG, Restitutionskammer, Konstanz, 19. Dezember 1949. 37 StAF F 196/ 1 Nr. 1762, Schreiben an Assessor Richard Langensiepen, Konstanz, 15. März 1951. 38 Ebd., Schreiben an das Badische Ministerium der Finanzen, 11. Juli 1951. 39 Ebd., Schreiben an das Badische Ministerium der Finanzen, Abt. IV, Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung, 27. Oktober 1951. 40 Freundliche Mitteilung Martin Krauß, Mail an den Verfasser, 9. Dezember 2013. <?page no="136"?> 135 Der Untere Hof von Fritz und Johanna Wohlgemuth in Heiligenholz 41 StAF F 196/ 1 Nr. 1762, Schreiben an die Landesjustizverwaltung, 29. August 1952. 42 Marcus Behmer an Eva Licht, 20. Dezember 1956. 43 Nach The London Gazette, 21. Oktober 1949. 44 Mündliche Mitteilung von Philipp Wiest, 2. September 2013. <?page no="137"?> Die Wohnanlage links steht an der Stelle des Gutshofs Landauer, rechts die Kapelle zu Daisendorf. <?page no="138"?> 137 »Land und Geist« Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« * Am 21. September 1920 meldete der katholisch-konservative Überlinger »Seebote« seinen Lesern am deutschen Bodenseeufer: »Im Verlag ›Freier Bund‹ in Überlingen erscheint ab 1. Oktober unter Finanzierung von Herrn Hugo Landauer in Daisendorf eine wöchentlich einmal heraus kommende ›Bauernzeitung‹.« 1 Dieses Blatt wurde in der Folge wiederholt zum Objekt einer demagogischen antisemitischen und antiintellektuellen Hetze. Die Landwirte wurden vor den »neuen Bauerndoktoren« gewarnt - gemeint waren der promovierte Geograph Ernst Michel, der ebenfalls promovierte Volkswirtschaftler Friedrich Bauermeister sowie ihr »großkapitalistischer Hintermann« Hugo Landauer. Dieser sei in Wahrheit »Kommunist vom reinsten Wasser«, strebe er doch die »restlose Vergenossenschaftung« des Bodens an. Gleichzeitig wurde den Zeitungsmachern jede landwirtschaftspolitische Qualifikation abgesprochen: »Persönlichkeiten, die aus Geldüberfluß und Liebhaberei sich auf das Land zurückziehen, haben nach einigen Jahren ›Bauernspiel‹ noch keinen Beweis für ihre Führereigenschaften erbracht.« Vielmehr liefen die Ratschläge der »neuen Bauernbeglücker« auf den »Untergang eines freien, auf eigener Scholle wirtschaftenden Bauerntums« hinaus. Folgerichtig wurde an alle Landwirte appelliert, den »bewährten« Verbänden und deren Führern treu zu bleiben. Gemeint waren der katholische und mit der Zentrumspartei verbundene Badische Bauernverein mit Sitz in Freiburg und der überwiegend protestantischnationalliberale Badische Landbund mit Sitz in Karlsruhe. Wer war nun jener Hugo Landauer, den der »Seebote« in einem Atemzug als »übervollen Geldsack« und »intimen Freund des gefallenen [! ] * Leicht gekürzte und von Manfred Bosch ergänzte Fassung des Beitrags »Volksbildung am Bodensee. Martin Buber und Hugo Landauer als Begründer einer Überlinger Wochenzeitung« von Christoph Knüppel, erschienen in Manfred Bosch (Hg.): Alemannisches Judentum. Spuren einer verlorenen Kultur, Eggingen 2000. <?page no="139"?> 138 Christoph Knüppel Revolutionsführers Kurt Eisner« denunzierte und damit das antijüdische Feindbild der Nationalsozialisten vorwegnahm? Landauer wurde am 10. Juli 1868 im schwäbischen Dorf Buttenhausen, Oberamt Münsingen, als neuntes Kind des jüdischen Textilkaufmanns Abraham Landauer und seiner Frau Bluma geb. Adler geboren. 2 Er besuchte die Realschule in Riedlingen an der Donau, wo sein Vater und sein Onkel Moritz Landauer 1871 eine eigene Näherei und ein »Manufakturwaren-, Mode-, Tuch- und Konfektionsgeschäft« begründet hatten. 1885 trat er in den aufstrebenden Textilhandel seiner Brüder Louis, Emil und Karl Landauer mit Sitz in Ulm ein. 3 Mit seinen Einkünften unterstützte Landauer großzügig seinen Vetter Gustav Landauer (1870 -1919), der sich seit 1891 als Schriftsteller im Berliner Literaturbetrieb zu behaupten suchte. 4 Er fuhr mehrfach nach Berlin und besuchte mit ihm Aufführungen und Konzerte der »Freien Volksbühne«. Wichtiger aber wurde, dass ihn Gustav Landauer auch von seinen politischen Ansichten weitgehend zu überzeugen vermochte. Hugo Landauer studierte den »Sozialist«, das Organ der unabhängigen Sozialisten, bald schon der Anarchisten, dessen Redakteur sein Vetter im Februar 1893 wurde, er finanzierte auch Gustav Landauers Reisen nach Zürich und London zu den Kongressen der Zweiten Internationale und mietete ihm eine Wohnung in Bregenz, wohin er sich mit seiner Familie nach Verbüßung einer längeren Gefängnisstrafe zurückzog. 5 Im Juli 1899 unternahm Hugo Landauer mit seinem Vetter eine längere Reise in die Schweiz. Im Berner Oberland kam ihm erstmals der Gedanke, seine Unternehmertätigkeit aufzugeben und sich der Landwirtschaft zu widmen. In einem Brief vom 16. Juli 1899 schrieb Gustav Landauer seiner späteren Frau, der Dichterin und Übersetzerin Hedwig Lachmann (1865-1918): »Mein lieber Vetter ist in einer prächtigen Gemütsverfassung. Der Ekel über das Geschäftsleben ist plötzlich mit starker Gewalt über ihn gekommen. Viel hat daran wohl eine schöne Freundschaft zu einer über vierzigjährigen Frau beigetragen, die er vor einigen Wochen kennengelernt hat. Er wird sich bald ganz vom Geschäft zurückziehen; erst an sich und seinem vernachlässigten Geistesleben arbeiten und dann Landwirt werden. Ein seltener, trefflicher Mensch.« 6 Es dauerte allerdings noch über zwei Jahre, bis der Aussteiger seinen Vorsatz ausführte. Am 10. August 1901 konnte Gustav Lan- <?page no="140"?> 139 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« dauer seiner Geliebten dann mitteilen: »Hugo ist drauf und dran, sich am Bodensee ein Landgut zu kaufen und sich dauernd der Landwirtschaft, zunächst hauptsächlich Obstkultur, zu widmen. Es ist erstaunlich und fast bewundernswert, wie er selbständig und dann hauptsächlich von Tolstoj befruchtet, feste Ideen über Vereinfachung und Bereicherung des Lebens gefaßt hat. [...] Er denkt auch daran, sich wenige Gleichgesinnte zu suchen, damit er weder Knecht noch Magd braucht.« 7 Zwei Tage darauf unterschrieb Hugo Landauer in Konstanz einen Kaufvertrag über das Gut Höllwangen bei Überlingen; Anfang 1902 konnte endlich der Einzug gefeiert werden. Wenig später folgte ihm die verwitwete Charlotte Landauer geb. Ziegler (1866 -1943) mit ihren beiden sechs und sieben Jahre alten Söhnen Hermann und Walter. Die ausgebildete Volksschullehrerin und Protestantin aus Heidelberg war zuvor mit dem badischen Landgerichtsrat Friedrich Landauer (1866-1901), dem ältesten Bruder Gustav Landauers, verheiratet gewesen. Am 4. September 1903 heiratete sie in Überlingen erneut. Aus der Ehe gingen die Kinder Heinrich (1904 Überlingen - Grafeneck 1940), Erich (Eric) Otto (1905 Augsburg - 1980 Rio Grande/ Puerto Rico), Friedrich (1908 Pforzheim - 1969 Emmendingen) und Elisabeth (1910 Pforzheim - 1929 Daisendorf ) hervor. Landauers erster Versuch als Landwirt scheiterte jedoch schon bald. Weil er als Zwanzigjähriger sein rechtes Bein verloren hatte und seitdem eine Prothese trug, überforderte ihn schwere körperliche Arbeit offenbar. Auch fehlende Erfahrung wird eine Rolle gespielt haben. Auf jeden Fall verkaufte er seinen Hof nach nicht einmal drei Jahren, um sich gezwungenermaßen wieder auf seinen kaufmännischen Beruf zu besinnen. Nach einem missglückten Hugo Landauer (um 1923) <?page no="141"?> 140 Christoph Knüppel Start in Augsburg konnte er mit seinen beiden Textilgeschäften in Pforzheim und Karlsruhe, die unter dem Namen »Modehaus Hugo Landauer« betrieben wurden, gute Umsätze erzielen. In Karlsruhe, wo er seitdem auch wohnte, hatte er 1912 das angesehene Geschäft von Karl Model übernommen. Mit den Gewinnen aus seinen Modehäusern konnte sich Landauer erneut den Wunsch einer bäuerlichen Lebensweise erfüllen. Allerdings gab er sich nicht mehr mit einem Bauernhof zufrieden; vielmehr sei Landauer, wie der »Seebote« Ende 1920 berichtete, »Besitzer von drei Gütern im Bezirk Überlingen«. 8 In der Tat hatte er im Frühjahr 1917 den großen Hombergerhof bei Überlingen erworben und im Sommer 1919 für seinen Stiefsohn Hermann Landauer, der damals an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim studierte, den Löwenhof in Stadel bei Markdorf gekauft. Hugo Landauer selbst übersiedelte im September 1917 mit seiner Familie von Karlsruhe nach Daisendorf, wo er im Juni desselben Jahres von dem Ehepaar Ott das ehemalige Gasthaus »Rebstock« mit weitläufigen, gegen 40.000 qm umfassenden Ländereien erworben hatte, auf denen er ein Obstgut zu betreiben gedachte. Das alte Gasthaus war ein zweistöckiges Wohnhaus mit angebauter Scheuer und Stallung, Schopf, Wasch- und Backhaus. Als das Wohnhaus Mitte der zwanziger Jahre abbrannte, ließ er es mit einem Rückgebäude, in dem neben weiterer Ökonomie auch Angestellte und das Gesinde unterkamen, neu errichten. Landauer, der wegen seiner Prothese nicht selbst Auto fahren konnte, beschäftigte einen Chauffeur, einen Gärtner, eine Hauslehrerin und eine Köchin, die zugleich Kindermädchen war; als Prokurist diente Postkarte Gasthaus Rebstock <?page no="142"?> 141 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« ihm bis 1934 der kaufmännische Angestellte Gottlieb Röck. Dieser nahm für Landauer Termine und Geschäftsreisen wahr und vertrat ihn auch bei gerichtlichen Auseinandersetzungen. Auch wenn Röck den »Idealismus« Landauers für etwas weltfern hielt, habe er von dessen Bildung und der Kultiviertheit des Hauses in vielerlei Hinsicht profitiert. 9 Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Engagement seines Vetters in der bayerischen Revolution erwachte auch wieder Hugo Landauers eigenes politisches Interesse. Er entwarf politische Programme und entwickelte Pläne für eine private Schule. Gustav Landauer, mit dem er nun wieder lebhaft korrespondierte, riet ihm am 19. März 1919, sich in den badischen Bauernrat wählen zu lassen. Weiter berichtete ihm sein Vetter von anderen Bauern, die rationell wirtschafteten und die »ethisch-religiöse Bedeutung« ihrer Arbeit erkannt hätten, und schlug ihm vor, einen »Bund für Bauerngeist (oder so ähnlich)« zu gründen. »Man muß überall zugleich ansetzen, das eine tun und das andere nicht lassen: die Bauern mit neuem Geist befruchten, ihre Kinder anders unterrichten, durch Wanderredner, Vorleser und Wanderbühnen etwas für ihre Erweckung tun; selbst in den Kirchen unkirchlich die Lehren Christi und Buddhas verkündigen; die Großgrundbesitze aufteilen und für Gemeindeland und neue Bauernsiedlungen aus früheren Industriearbeitern sorgen. Zu alledem tut aber vor allem geistige Aufrüttelung derer not, die zur Führung und zur Durchsetzung berufen sind; und zugleich muß man die politischen Verhältnisse so gestalten, daß die, die bereit sind, durchzugreifen und neue Arbeit zu tun, auch die Macht dazu erlangen.« 10 Schon in seinem »Aufruf zum Sozialismus«, der Anfang 1919 als »Revolutionsausgabe« in zweiter Auflage erschienen war und besonders bei expressionistischen Schriftstellern, religiösen Sozialisten und jugendbewegten Siedlern Widerhall fand, hatte Gustav Landauer den Erwerb des Bodens zum Dreh- und Angelpunkt seiner revolutionären Konzeption erhoben. Hier einige Auszüge: »Land und Geist also - das ist die Losung des Sozialismus. Die vom sozialistischen Geist Ergriffenen werden zu allererst nach dem Boden sich umsehen als der einzigen äußeren Bedingung, die sie zur Gesellschaft brauchen. [...] Der Kampf des Sozialismus ist ein Kampf um den Boden; die soziale Frage ist eine agrarische Frage. [...] Die Sozialisten also wollen wieder in Gemeinden zusammentreten und <?page no="143"?> 142 Christoph Knüppel in den Gemeinden soll hergestellt werden, was die Gemeindemitglieder brauchen.« 11 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass den Bauern nun eine ganz neue Beachtung geschenkt wurde: »Vieles ist da, woran wir anschließen können, was auch an äußeren Gestalten lebendigen Geistes noch Leben birgt. Dorfgemeinden mit Resten alten Gemeindebesitzes, mit den Erinnerungen der Bauern und Landarbeiter an die ursprüngliche Gemarkung, die seit Jahrhunderten in Privatbesitz ist; Einrichtungen der Gemeinwirtschaft für Feldarbeit und Handwerk. Das Bauernblut rauscht noch in den Adern vieler Stadtproletarier; sie sollen lernen, wieder darauf zu lauschen.« 12 Gustav Landauer begriff die Bauern gar als wesentliche Adressaten seiner politischen Agitation und als potentielle Verbündete: »Ganz anders sehen wir nun den Bauern, und wir wissen, was für eine ungeheure Aufgabe uns da gelassen wurde, zu ihnen zu sprechen, bei ihnen zu leben und das lebendig zu machen, was in ihnen verkalkt und verstaubt ist: die Religion; nicht den Glauben an irgendwelche äußere oder obere Mächte, sondern den Glauben an die eigene Macht und die Vervollkommnung des einzelnen Menschenwesens, solange es lebt. [...] Die sozialistischen Siedler sollen sich nur in den vorhandenen Dörfern ansiedeln, und es wird sich zeigen, daß sie wieder lebendig zu machen sind und daß der Geist, der im 15. und 16. Jahrhundert in ihnen war, auch heute noch wieder erwachen kann.« 13 Hugo Landauer schien die Gedanken seines Vetters begierig aufzugreifen. Noch in einem umfangreichen Brief vom 1. April 1919, wenige Wochen vor dessen Tod, bezeichnete er die »Sozialisierung der Landwirtschaft« als wichtigste und zugleich schwierigste Aufgabe der gesellschaftlichen Neuordnung. Anschließend folgten detaillierte Ausführungen zur landwirtschaftlichen Genossenschaft und zum Umgang mit der bäuerlichen Bevölkerung. Hugo Landauer schrieb an seinen Vetter: »Einige Aussicht wäre, wenn man Bauernführer für den Gedanken der Produktivgenossenschaft oder der Genossenschaft schlechthin gewinnen und eine große Propaganda dafür inszenieren würde. Das Wort Genossenschaft hat keinen schlechten Klang beim Bauer. [...] Man muß den Bauern sagen: behaltet euren Besitz, jeder sein Haus und seine Felder, wenn ihr euch nicht entschließen könnt, gleich alles zusammenzulegen, aber arbeitet zusammen in Produktivgenossenschaften. Man muß ihnen mit dem Christentum kommen und ihnen zahlen- und tatsa- <?page no="144"?> 143 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« chengemäß beweisen, daß sie weniger zu arbeiten, weniger zu sorgen haben werden, wenn sie sich zusammentun in der Arbeit, und daß sie andererseits mehr produzieren und besser zu leben haben werden. Man muß ihnen sagen, daß sie ihre Kinder künftig nicht mehr als Proletarier in die Stadt zu schicken haben werden, daß für jeden Platz da ist, der mitarbeitet. In jedem Dorf muß eine Industrie geschaffen werden [...]. Mit Zwang ist wenig zu richten. Man müßte den Weg der Aufklärung beschreiten.« 14 Die gewaltsame Niederschlagung der bayerischen Räterepublik und dann vor allem die Verhaftung und Ermordung seines Vetters - Gustav Landauer war am 2. Mai 1919 bei seiner Ankunft im Stadelheimer Gefängnis von aufgehetzten Freikorpssoldaten misshandelt und erschossen worden - hat Hugo Landauers Euphorie zweifellos gedämpft. Ein Jahr danach war jedoch der Plan gereift, mit einer Zeitung die postulierte Aufklärung der Bauern in Angriff zu nehmen. Die Überlinger »Bauern-Zeitung« kann also durchaus als Vermächtnis der Ideen Gustav Landauers verstanden werden. Zur Geschichte der Überlinger »Bauern-Zeitung« Diesen Ideen verpflichtet fühlte sich damals auch Martin Buber, den Gustav Landauer zum Verwalter seines literarischen Nachlasses eingesetzt hatte. Buber war jedoch nach Landauers Ermordung zu der Überzeugung gelangt, dass es ein Fehler sei, wenn Juden »ihren« nichtmarxistischen Sozialismus in einem »fremden Volk«, gar in der deutschen »Seelenwüste« propagierten 15 , und setzte seine politischen Hoffnungen mehr noch als bisher auf linkszionistische Gruppen. Wie sehr er hierbei auf Landauers Ideen zurückgriff, zeigt ein Programmentwurf, den Buber am 21. März 1920 auf der Prager Konferenz der volkssozialistischen Partei Hapoel Hazair präsentierte. Zur nationalen und sozialen Erneuerung des jüdischen Volkes in seiner palästinensischen Heimat gehört demzufolge: »1. Die Wiederverbindung des Volkes mit dem Boden, der jedem Volksglied zugänglich und somit Eigentum der Gemeinschaft sein muß. 2. Die Rückführung des Volkes zur schaffenden Arbeit, deren wesentliche Träger auf der Zusammenlegung von Produktion und Konsum aufgebaute Genossenschaften sein sollen. <?page no="145"?> 144 Christoph Knüppel 3. Die Konstituierung des Volkes in sich selbst verwaltenden, selbständig wirtschaftenden, untereinander [...] tauschenden Gemeinden und deren Zusammenschluß zu einem klassenlosen, organischen Gemeinwesen.« 16 Buber, der seit 1916 in Heppenheim an der Bergstraße wohnte, hatte Hugo Landauer vermutlich im Herbst 1919 erstmals am Bodensee aufgesucht. Gemeinsam mit den Brüdern Hugo und Siegfried Landauer, Fritz Mauthner sowie Louise Dumont, der Leiterin des Düsseldorfer Schauspielhauses, betreute Buber eine Stiftung, die für Ausbildung und Lebensunterhalt der verwaisten Töchter Gustav Landauers aufkam. Wann erstmals über die geplante »Bauernzeitung« gesprochen wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren; nachweisen lässt sich jedoch, dass sie von Buber angeregt wurde. Nach dessen Rückkehr von der Prager Konferenz fand im April 1920 in Karlsruhe eine Zusammenkunft statt, bei der er seine Vorstellungen präzisierte und Hugo Landauer mit den beiden von ihm bestimmten Redakteuren bekannt machte: Ernst Michel und Friedrich Bauermeister. Ernst Michel (1889-1964) hatte nach seinem Studium als Lektor bei den Verlagen von Eugen Diederichs in Jena und B. G. Teubner in Leipzig, anschließend als Lehrer in Michelstadt, Heidelberg und Mainz gearbeitet. 17 Als dann im März 1919 unter der Führung von Hans Kampffmeyer und Richard Benz eine Karlsruher Ortsgruppe des »Deutschen Volkshausbundes« 18 gegründet wurde, übernahm Michel die Geschäftsführung des geplanten Volkshauses. Dort sollten nach dem Ersten Weltkrieg »freie Volkshochschulen« eingerichtet werden, die allen Bevölkerungskreisen offenstehen. Für das Karlsruher Haus waren ferner eine Bibliothek, eine Lesehalle, eine Bühne und Ausstellungsräume vorgesehen. Angesichts der unzureichenden Unterstützung durch den badischen Kunst- und Kulturrat, dessen Mitglieder wohl als Dozenten des Volkshauses vorgesehen waren, gab Michel sein Amt bald wieder auf und suchte seit Juli 1919 nach einem neuen Betätigungsfeld. Zur gleichen Zeit hielt er sich mit Eugen Diederichs für eine Woche bei dem befreundeten Maler und Graphiker Gustav Wolf (1887-1947) am Bodensee auf, worüber er Buber berichtete: »Ich habe mit Wolf sehr intensiv Ihre ›Worte an die Zeit‹ durchgesprochen. Wolf steht Ihnen geistig seit vielen Jahren nahe. Diederichs wird nunmehr seine graphischen <?page no="146"?> 145 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« Werke verlegen.« 19 Michels heimliche Hoffnung, redaktioneller Mitarbeiter der »Tat« zu werden, zerschlug sich, weil Diederichs als deren Herausgeber und Verleger ihm nicht die verlangte selbständige und verantwortliche Stellung einräumen mochte. Friedrich Bauermeister (1893 - um 1940) hatte bis zum Sommersemester 1915 an der Berliner Universität Volkswirtschaft studiert und war ein Schüler des »liberalen Sozialisten« Franz Oppenheimer. Mit Ernst Joël und anderen Studenten gründete er Anfang 1915 den »Aufbruch-Kreis«, der zum linksbürgerlichen Flügel der deutschen Jugendbewegung gehörte. Weitere bekannte Mitglieder dieses Kreises waren Karl Bittel, Hans Blüher, Kurt Hiller, Gustav Landauer und Alfred Wolfenstein. Für das erste Heft der anspruchsvollen, bereits nach drei Nummern verbotenen Zeitschrift »Der Aufbruch. Monatsblätter aus der Jugendbewegung« verfasste Bauermeister den programmatischen Artikel »Vom Klassenkampf der Jugend«. 20 Von Januar bis August 1915 war Bauermeister außerdem wissenschaftlicher Mitarbeiter des Berliner Vereins für Kleinwohnungswesen. Anschließend setzte Bauermeister sein Studium in Tübingen fort und promovierte dort mit einem »Beitrag zur Wohnungsreform«. Im Dezember 1918 gab der mit ihm befreundete Karl Bittel einen Aufsatz Bauermeisters über die »Parteien im neuen Deutschland« als dritte »freideutsche Flugschrift zum Sozialismus« heraus. Auf dem Umschlag wurden die Arbeitslosen emphatisch zum Verlassen der Großstadt aufgerufen: »Die einzige Rettung. Wohnungsnot, Nahrungsmittel- und Kohlenmangel bedrohen jeden Arbeitslosen mit Verderben im Massengrab der Großstadt! Darum hinaus aufs Land und in die kleinen Städte.« Im Februar 1919 gehörte Bauermeister dann zu den »geistigen und praktischen Mitbegründern« 21 der sozialistischen Siedlung Blankenburg bei Donauwörth, deren Bewohner sich auf Gustav Landauer beriefen. Noch im April 1920 ging Michel an den Bodensee und wurde provisorisch im Löwenhof bei Markdorf untergebracht. Umgehend wurde der Verlag »Freier Bund« gegründet, für den Hugo Landauer in Überlingen ein Gebäude erwarb. Michel zog mit seiner Familie am 1. Juni 1920 nach Überlingen, Bauermeister und seine Frau traffen am 26. Juli dort ein. Für die potentiellen Mitarbeiter der »Bauern-Zeitung« formulierte Michel »Leitsätze für den wirtschaftlichen Aufbau auf der Grundlage der bäuerlichen Genossenschaft« <?page no="147"?> 146 Christoph Knüppel und legte diese Buber zur Begutachtung vor. Im ersten Teil übernahm er Passagen aus Bubers gerade erschienener und »dem Freunde Gustav Landauer aufs Grab« gewidmeter Schrift »Der heilige Weg. Ein Wort an die Juden und an die Völker« (1919). Hier fand sich der Satz Bubers, ursprünglich an siedlungswillige Juden gerichtet, fast wörtlich in den »Leitsätzen« wieder: »Der Aufbau des wahren Gemeinwesens kann nicht geschehen ohne Erhebung des Ackerlebens, des Lebens aus der Kraft der Erde, zu einem wahren Dienste Gottes, der die andern Stände mitergriffe und gleichermaßen an Gott und die Erde bände«. 22 Daraufhin monierte Buber empört, seine Aussagen seien in einen »Nutzbau« eingefügt worden und verlangte eine Überarbeitung. Michel beugte sich diesem Wunsch und schrieb sogleich eine zweite Fassung. Diese wird weitgehend identisch gewesen sein mit dem »Aufruf an die Bauern! «, den der Verlag »Freier Bund« im Sommer 1920 verbreitete. Dem glücklichen Umstand, dass diese Flugschrift auch im Augustheft der »Tat« 23 abgedruckt wurde, verdanken wir, dass sich die inhaltlichen Konturen der »Bauern-Zeitung« nachzeichnen lassen. Den Anfang dieses Aufrufs bildete eine Analyse des gegenwärtigen Gesellschaftszustands, wonach die Bauernschaft als Hoffnungsträger eines fundamentalen Wandels erscheint. Im Sturz der alten Der Zähringer-Hof in Überlingen, in dem der Verlag »Freier Bund« seinen Sitz hatte. <?page no="148"?> 147 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« Regierungen und Verfassungen vermochte Michel lediglich den Beginn, keineswegs aber den Vollzug einer Revolution erkennen, die im Sinne Gustav Landauers auf eine Wiederherstellung tatsächlicher Gemeinschaft zielte. Diese Gemeinschaft könne einzig aus dem »Geist der gegenseitigen Hilfe« erwachsen - ein Begriff, den Kropotkin in seinem von Landauer ins Deutsche übertragenen Werk über »Gegenseitige Hilfe in der Entwickelung« 24 prägte. Die europäischen Nationalstaaten seien jedoch nach wie vor auf Macht und Gewalt gegründet, und der Kapitalismus habe den in der menschlichen Natur verankerten Geist der gegenseitigen Hilfe durch den »Geist der gegenseitigen Ausnutzung« ersetzt. In religiöser Terminologie wurden die bestehenden öffentlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Institutionen als »völlig verweltlicht und verdorben« - Landauer würde sagen »geistlos« - abgetan. Von einer »aus dem Kuhhandel der Parteien hervorgegangenen« Regierung sei daher nichts zu erwarten. Verändern müßten sich vielmehr die Beziehungen zwischen den Menschen, was allerdings einen grundlegenden Bewusstseinswandel voraussetze. Bei den Bauern, deren Arbeit noch wenig entfremdet ist, glaubte Michel am ehesten jene gemeinschaftsbildende Kraft zu finden, die aus einem Gefühl des Aufeinander-Angewiesenseins erwächst. »Neues Leben kann nur dort entstehen, wo zwischen Arbeitsstätte, Arbeit und Arbeiter noch ein natürliches sittlich einwandfreies Verhältnis besteht; das aber ist im Bauerntum der Fall. [...] Soll es für unser Volk noch eine Rettung aus dem Verhängnis geben, dann nur aus der Kraft der Erde, dann nur, wenn das Bauerntum zum sittlichen Träger unseres öffentlichen Lebens wird.« Der Propagierung dieses Denkens trugen neben den politischen und gesellschaftlichen Artikeln nicht zuletzt die Beiträge der »Quelle« Rechnung, der Unterhaltungsbeilage der »Bauern-Zeitung«. Hier vertrauten die Redakteure auf das geistrevolutionäre Erbe eines Leo Tolstoj ebenso wie auf Vertreter der literarischen Volksaufklärung vom Schlage eines Johann Peter Hebel oder Gottfried Keller; sie griffen aber auch bewusst auf breitenwirksam-volksnahe Gattungen zurück und druckten Erzählungen und Schwänke, Anekdoten und Gedichte von Sebastian Sailer, Adalbert Stifter, Selma Lagerlöf, Eduard Mörike und Wilhelm Schäfer. Gesellschaftspolitisch postulierte Michel den Zusammenschluss von Bauern und Landarbeitern zu lokalen Genossenschaften. Die <?page no="149"?> 148 Christoph Knüppel Ortsgenossenschaft orientierte sich am »Prinzip der Selbstverwaltung« und diente primär der Erfassung und Verteilung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Jedes Mitglied der Genossenschaft sollte den Weg seiner Produkte bis zum Verbraucher verfolgen und mitbestimmen können. Mehrere Ortsgenossenschaften eines ländlichen Bezirks sollten wiederum eine Konsumgenossenschaft bilden, mit der sie den handwerklichen und industriellen Unternehmen als Verbraucher gegenübertraten. Als zweites Ziel entwarf Michel den Aufbau eines ländlichen Volksbildungswesens. Hierzu gehört für ihn zunächst eine Reform der Schule. Sie sollte zu einer Arbeitsgemeinschaft werden, »in der das Gemeinschaftsgefühl der Kinder geweckt und genährt wird« und in der sie gezielter als bisher auf das Leben vorbereitet werden. Darüberhinaus verlangte Michel die Errichtung ländlicher Volkshochschulen nach dänischem Muster, die der allseitigen Fortbildung der jungen Erwachsenen dienen. Mit der »Bauern-Zeitung«, so darf geschlossen werden, sollte also der Anlauf zu einer umfassenden Volksbildung am Bodensee gemacht werden. Möglicherweise haben Michel und Bauermeister während ihres Überlinger Aufenthalts auch Vorträge und Diskussionen veranstaltet. Dass der »Seebote« die »Bauern-Zeitung« als »kommunistisch« denunzierte, wurde eingangs erwähnt. Zum Beweis zog man etwa die folgende Passage aus einem Artikel Hugo Landauers heran: »Nur die restlose Vergenossenschaftung unserer ganzen Volkswirtschaft kann uns retten, dazu gehört natürlich auch, daß aller Grund und Boden einschließlich des Waldes, an die Gemeinden fällt, es gehört dazu die genossenschaftliche Produktion und die genossenschaftliche Verteilung aller Güter und die Ausschaltung des Einzelinteresses. Der Gemeinde als Genossenschaft [...] gehört die Zukunft.« 25 Michel sandte daraufhin die nachstehende Berichtigung: »In dem Artikel ›Eine kommunistische Zeitung am See‹ [...] wird behauptet, daß die Ueberlinger ›Bauernzeitung‹ ausschließlich der Kommunistischen Partei dienstbar ist. Diese Behauptung, sowie die Bezeichnung ›kommunistische Zeitung‹ für die ›Bauernzeitung‹ ist unwahr. Wahr ist vielmehr, daß die ›Bauernzeitung‹ in den Leitaufsätzen der Nr. 8 und der Nr. 9 [...] ausdrücklich gegen die kommunistische Forderung nach Abschaffung des Privateigentums Stellung nimmt, das kommunistische und marxistische Programm <?page no="150"?> 149 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« überhaupt verwirft und sich dem christlichen Eigentumsbegriff und der christlichen Genossenschaftsidee anschließt.« 26 Angesichts der Tatsache, daß die Adressaten der »Bauern-Zeitung« überwiegend treue Katholiken und Zentrumsanhänger waren, überrascht Michels vehemente Abgrenzung vom Kommunismus nicht. Faktisch erkannten die Redakteure durchaus einen Zusammenhang zwischen Genossenschaftsidee und kommunistischen Gesellschaftsentwürfen. Zutreffend fasst später der katholisch-konservative Publizist Emil Ritter die inhaltlichen Ziele der »Bauern- Zeitung« zusammen. Demzufolge wollten ihre Mitarbeiter den Kapitalismus überwinden, und zwar durch »genossenschaftlichen Aufbau der Wirtschaft, berufsständische Gliederung, restlose Durchführung der Selbstverwaltung, echte Völkergemeinschaft im Geiste des christlichen Solidarismus«. 27 Trotz der beschriebenen Anfeindungen scheint die »Bauern-Zeitung« in den ersten Monaten genügend Leser gefunden zu haben. So konnte Hugo Landauer am 17. Dezember 1920 Buber melden: »Unser Abonnentenstand nimmt ordentlich zu, das Interesse besonders in wirklich religiösen, besonders christkath[olischen] Kreisen ist groß«. Kurz zuvor war sogar ein katholischer Sozialist und Pazifist an Hugo Landauer herangetreten, die »Bauern-Zeitung« unter einem anderen Titel für städtische Leser herausgeben zu dürfen. Josef Kral (1887-1965), der in München die »Deutsche Kirchenzeitung« (1917/ 18) herausgegeben hatte, war nach dem Ersten Weltkrieg Vorsitzender des »Friedensbundes Deutscher Katholiken« gewesen und hatte im September 1920 mit Vitus Heller die bayerische »Christlich-soziale Partei« begründet. Landauer ging auf Krals Bitte ein, so dass die »Bauern-Zeitung« im Januar 1921 gleichzeitig unter dem Namen »Der Volksdienst. Zeitung für genossenschaftlichen Aufbau« erschien. 28 Im Januar 1921 allerdings ging die Zahl der Abonnenten von 1000 auf 800 zurück, für Landauer angesichts der »großen Propaganda«, die man betrieben habe, enttäuschend. 29 Hierfür machte er einerseits die Hetze der Zentrumspartei, andererseits aber auch enttäuschte Lesererwartungen verantwortlich. Weil die »Bauern-Zeitung« sich einer unmittelbaren Interessenpolitik verweigerte, wurde sie von ihrer eigentlichen Zielgruppe nur unzureichend angenommen. »Ich sehe immer mehr«, so Landauer, »daß nur ein ganz kleiner Teil der Bauernschaft für uns erreichbar ist; in kath[olischen] <?page no="151"?> 150 Christoph Knüppel Kreisen nur eine verschwindende Zahl, in evang[elischen] Kreisen mag es besser sein.« 30 Statt wie bisher eine aufwendige Breitenwerbung durchzuführen, wollte man sich künftig verstärkt an Einzelpersonen wenden. Großes Interesse bestünde bei städtischen Intellektuellen. Auch Michel bestätigte im Nachhinein: »Es ist richtig, daß die ›Bauernzeitung‹ bei den Bauern nicht Wurzeln geschlagen hat, mitveranlaßt durch die große Hetze der politischen Presse; umso stärker war aber der Widerhall in gewissen städtischen Kreisen und bei führenden Intellektuellen.« 31 Nachweislich gehörten Eugen Rosenstock-Huessy und Erich Schairer sowie die Pazifisten Friedrich Wilhelm Foerster und Fritz Röttcher zu den Lesern der »Bauern-Zeitung«. Der linksliberale Journalist Erich Schairer (1887-1956) aus Heilbronn stellte sie den Lesern seiner »Süddeutschen Sonntags-Zeitung« so vor: »Für den Bauern, diesen wichtigsten Stand im Volke, hat man bisher das Miserabelste an geistiger Nahrung für gut genug gehalten. Die Bauernzeitung versucht das Beste zu bieten; nicht etwa das Neueste, Pikanteste, Sensationellste, wie es die Großstadtzeitungen tun müssen oder tun zu müssen glauben. Das tritt namentlich in der Unterhaltungsbeilage zutage, die Reines, Klares, Gediegenes an Unterhaltungsstoff - kein ›Feuilleton - bietet und es ohne Scheu auch da holt, wo es viel leichter (und billiger! ) zu finden ist als auf dem Markt des Aktuellen: in der Vergangenheit, bei Jeremias Gotthelf, Sebastian Sailer und solchen Leuten. Die Zentrumsblätter um den Bodensee herum haben eine Art Kesseltreiben gegen den bösen Feind in Gestalt der Bauernzeitung veranstaltet und behaupten sogar, sie sei ›kommunistisch‹. Hoffentlich nützt das der Zeitung, der ich weiteste Verbreitung auf dem Lande wünsche, und von der ich hoffen möchte, daß sie sich auf der Höhe hält, die sie innehat.« 32 Auch Fritz Röttcher (1879-1946), Generalsekretär der »Deutschen Friedens-Gesellschaft«, warb in der pazifistischen Wochenschrift »Die Menschheit. Organ des Bundes für Menschheitsinteressen« für Landauers Blatt: »Die ›Bauern-Zeitung‹ Überlingen am See unter der Redaktion von Dr. Michel trägt den Gedanken des genossenschaftlichen Zusammenwirkens [...] in die Kreise der Landwirtschaft. Ihre Leitartikel zeigen <?page no="152"?> 151 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« ein außergewöhnlich kluges Eingehen auf die Fragen der auswärtigen Politik, von der früher oder später das Wohlergehen nicht nur der deutschen Landwirtschaft, sondern aller Deutschen abhängt. Genau wie die ›Menschheit‹ sieht auch die ›Bauern-Zeitung‹ in den berufsstaatlichen Gedanken K[arl] Chr[istian] Plancks den gewiesenen Weg für Deutschlands Wiederaufbau und die föderative Einigung Europas. Pazifisten, die auf dem Lande wohnen, sollten sich der ›Bauern-Zeitung‹ bedienen, um ihrer politischen Auffassung in landwirtschaftlichen Kreisen Eingang zu verschaffen«. 33 Röttchers Worte lassen erahnen, weshalb die »Bauern-Zeitung« nur wenige Bauern anzusprechen vermochte. Zusätzliche Probleme gehen aus einer Äußerung Landauers über seinen Hauptredakteur hervor: »Mit Dr. Michel komm ich im Allgemeinen schon zurecht; er wird nur immer mehr christkatholisch rückfällig, auch sonst spricht er mir zuviel von Christentum, unsere bäuerlichen Leser wissen meist nicht, was darunter verstanden sein will, denn sie verwechseln mit Christentum die Kirche; sie meinen, es wäre dasselbe. Ich muß ihm eben immer wieder auf die Hühneraugen treten; sein Wille ist gut, auch sein Charakter.« 34 Obwohl mit den zahlreichen religiös oder politisch motivierten Siedlungen, die damals entstanden, ein neuer Leserkreis erschlossen werden konnte, blieb die Auflage der »Bauern-Zeitung« hinter den ehrgeizigen Erwartungen zurück. Landauer entschied sich deshalb im März 1921, das Blatt einzustellen. In einer letzten Erklärung, im »Seeboten« mit einem hämischen Kommentar abgedruckt 35 , zeigten sich Michel und Landauer von ihrer Zielgruppe enttäuscht. Der deutsche Bauernstand stehe »heute ganz im Banne des individualistisch-kapitalistischen Wirtschaftsstrebens« und habe »kein Verständnis für die Aufgaben der Zeit«. Anstatt zum Fundament eines wirtschaftlichen und politischen Neuaufbaus zu werden, wähne er, »der ihm drohenden Verschlechterung seiner Wirtschaftslage durch den Zusammenschluß in kapitalistischen Interessenverbänden [...] wirksam begegnen zu können«. Weiter heißt es: »Schriftleitung und Verlag sind zu der Überzeugung gekommen, daß erst die Not auch über den Bauernstand kommen muß, ehe er fähig wird, den rettenden Weg zu sehen, den die ›Bauernzeitung‹ ihm zu zeigen versucht hat. Während unsere Leser aus der Stadt für die ›Bauernzeitung‹ eintraten und sie durch Rat und Tat unterstützten, haben <?page no="153"?> 152 Christoph Knüppel die bäuerlichen Leser mit wenigen Ausnahmen versagt.« Endlich folgte die Ankündigung einer »Zeitung für alle Berufsstände« im Laufe der nächsten Monate. Weniger polemisch schilderte Hugo Landauer Buber die Gründe für seine Entscheidung: »Das Aufhören der Bauernzeitung wird Ihnen überraschend gekommen sein. [...] Meine pessimistischen Eindrücke in Gesprächen mit intelligenteren Bauern, der ganze Verlauf haben mich schließlich überzeugt, daß die Aussichten auf Erfolg sehr schlecht sind. Die Bauern sind reich geworden und brauchen gegenseitige Unterstützung weniger als je; die Interessen der Allgemeinheit zu berücksichtigen hält er [sic! ] sich weniger verpflichtet denn jemals.« 36 Der stellenlose Ernst Michel entschied sich Anfang April 1921 für eine Dozentenstelle an der Frankfurter »Akademie der Arbeit«, die ihm Eugen Rosenstock-Huessy als deren künftiger Leiter angeboten hatte. Angeblich sagte er Michel auch zu, die »Bauern- Zeitung« mit einer »Zeitung für die schaffenden Stände« fortzusetzen 37 . Auch Hugo Landauer selbst dachte an eine derartige Fortsetzung und erläuterte Buber ihr gemeinsames Vorhaben: »Michel soll die Zeit und Gelegenheit in Frankfurt dazu benutzen, eine unabhängige, sozialistische Zeitung vorzubereiten, während ich die materielle Fundierung betreibe. Der Genossenschaftsgedanke soll den Grundton bilden; ich hoffe bestimmt zu einem besseren Resultat zu kommen als in der Bauernzeitung«. Daraus wurde jedoch nichts; stattdessen arbeitete Michel seit 1923 bei der linkskatholischen »Rhein-Mainischen Volkszeitung« mit. Am Bodensee selbst scheint die »Bauern-Zeitung« kaum spürbare Wirkung hinterlassen zu haben. Schon bald nach ihrer Einstellung lässt sie die alljährliche Chronik des »Bodenseebuchs«, damals von Norbert Jacques herausgegeben, in einer nebelhaften Ferne verschwimmen: »In Überlingen hatte im Sommer 1920 der Karlsruher Warenhaus- und Überlinger Gutsbesitzer Landauer eine Bauernzeitung gegründet, die Dr. E[rnst] Michel gebildet und ganz vortrefflich gestaltete. Diese rätselhafte (zu welchem Zweck? ) Gründung [...] ging schon im Frühjahr 1921 wieder ein, man kann sagen: selbstverständlich. Denn es war keine Tageszeitung mit Wolff- Telegrammen, sondern eine Zeitung für gebildete Menschen.« 38 <?page no="154"?> 153 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« Hugo Landauer in Daisendorf Hugo Landauer scheint in der Folgezeit nicht mehr oder allenfalls sporadisch publizistisch hervorgetreten zu sein. Sein Daisendorfer Domizil blieb jedoch weiterhin ein offenes Haus für Schriftsteller, Philosophen und Künstler, die sich mitunter wochenlang hier aufhielten. An Fritz Mauthner aus Meersburg hatte Gustav Landauer schon 1917 geschrieben, er werde an seinem Vetter »einen angenehmen Nachbarn haben« 39 , und der Philosoph war mit seiner Frau Hedwig Mauthner, die sich als Schriftstellerin nach ihrem Geburtsnamen Harriet Straub nannte, denn auch öfters zu Gast in Daisendorf. Zu den Freunden gehörte auch Erich Schairer, der im Sommer 1922 dem »konservativen Sozialisten« und vormaligen Staatssekretär Wichard von Moellendorff (1881-1937) nach Berlin schrieb: »Ich war mit meiner Frau 14 Tage im Urlaub, sogar in der Schweiz - auf Kosten dortiger Leser. Vorher einige Tage am Bodensee: bei Hugo Landauer, Daisendorf bei Meersburg. Bruder oder Vetter des ermordeten Gustav Landauer. Warenhausbesitzer, jetzt aber ganz in der Landwirtschaft aufgehend. Stimmt wirtschaftspolitisch fast ohne Charlotte Landauer, geb. Ziegler (um 1925). Text auf der Rückseite des Fotos: »Lieber Walter! Viel herzl. Wünsche zu Weihnachten, dies Büchlein hat mir Frau Mauthner kürzlich geschenkt, als ich drüben bei ihr war. Herzl. grüßt Dich Mutter.« <?page no="155"?> 154 Christoph Knüppel Differenz mit Ihnen überein. Möchte gern einmal mit Ihnen zusammenkommen; ich bin überzeugt, daß eine solche Begegnung auch für Sie nicht ohne Gewinn wäre, denn L[andauer] ist alter ›Praktiker‹ und ist auf seine ›praktische‹ Weise zu denselben Ergebnissen gekommen wie Sie als kaufmännischer ›Laie‹. Rate Ihnen: Besuch bei Landauer, Anmeldung mit Karte; er ist sehr reich und von einer sehr taktvollen, liebenswürdigen, gar nicht protzigen Gastfreundschaft (prächtige Frau, Nichtjüdin). Sie können ohne Gewissensbisse dort acht Tage wohnen, Platz gibts genug, und Landauer würde sich sicher sehr drüber freuen. Also überlegen Sie’s.« 40 Zehn Jahre später genoss Schairer Landauers Gastfreundschaft erneut: »Bei Landauers wurde ich sehr gut herausgefüttert, kam aber am Dienstag und am Mittwoch später ins Bett als mir lieb war. Am Mittwoch Abend begleitetet ich L[andauer] zu einer Versammlung der ›Friedensgesellschaft‹ nach Überlingen, wo man sich darüber stritt, ob man Hindenburg zum Reichspräsidenten wählen könne. Die meisten waren dafür, auch Landauer, weil sonst Hitler es werde«. 41 Aufnahme in Daisendorf fanden auch die Familienmitglieder von Kurt Eisner und Gustav Landauer, die während der Bayerischen Revolution ermordet worden waren, obwohl diese als Anhänger des parlamentarischen bzw. Rätegdankens politische Kontrahenten gewesen waren. Die beiden Eisner-Töchter Freia und Ruth hatten zunächst bei Gustav Landauer in Krumbach Zuflucht gefunden; nach der Niederschlagung der Räterepublik wurden sie dann für etwa acht Wochen nach Daisendorf geschickt. Für den »Seeboten« war dies ein willkommener Anlass, Hugo Landauer als »intimen Freund« des Sozialisten Kurt Eisner in Verruf zu bringen. Die damals zehnjährige Ruth Eisner, spätere Strahl, erinnert sich jener schweren Zeit: »In den ersten Tagen haben sie dann noch Haussuchung gemacht, in Daisendorf, und da haben wir gedacht, er [gemeint: Gustav Landauer] lebt noch, aber er war schon tot um diese Zeit. Es war keine erfreuliche Zeit, die wir da verbracht haben. Ich bin ein Mensch, der auf Schicksalsschläge nicht so mit Weinen reagiert. Die anderen haben dann gedacht, ich habs nicht verstanden, aber ich habe schon verstanden«. 42 Als sich die revolutionären Ereignisse in München gefährlich zuspitzten, fanden auch Charlotte, Gudula und Brigitte, die drei Töchter Gustav Landauers, in Daisendorf Aufnahme. »Hier [gemeint: in Daisendorf ] trafen wir wieder mit den Kindern Kurt Eis- <?page no="156"?> 155 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« ners zusammen«, schrieb Brigitte Landauer-Hausberger in einem Gedächtnisartikel auf ihren Vater. »Onkel Hugo hatte auch eigene Kinder, und wir spielten alle fröhlich zusammen. Onkel Hugo gab uns die Aufgabe, seinen Rebberg von Steinen zu säubern und diese an einem bestimmten Platze aufzuschichten«. Im Mai 1919 musste Hugo Landauer der damals 13jährigen Brigitte von der Ermordung ihres Vaters berichten. »Bestürzt stand ich da. Meine zwei Schwestern hatten zu jener Zeit Onkel Hugos Haus bereits verlassen. Nach ein paar Minuten kehrte ich zu den anderen Kindern zurück. Ich sammelte Steine und sagte ihnen kein Wort. Erst während des Essens teilte Onkel Hugo den anderen meines Vaters Tod mit. Ich war auch dann nicht fähig zu weinen. Später suchte ich einen stillen Ort zwischen den Bäumen auf, wo mich niemand sehen konnte. Dort grub ich mit blossen Händen zwei kleine Gräber, zwei Erdhügel [...]. Täglich stahl ich mich davon, zu meinen geheimen Gräbern und versah sie mit frischen Blumen. Hier weinte ich ruhig und einsam«. 43 Wegen seiner sozialen Ader wurde Hugo Landauer von den Daisendorfern, überwiegend armen Kleinbauern, sehr geschätzt. Wenn die alten Warenbestände seiner Kaufhäuser den Neuheiten Platz machen mußten, verteilte er Stoffe und Kleidungsstücke an die Bauernfamilien. Weihnachten erhielten alle Kinder des Dorfs kleine Geschenke. Auch Charlotte Landauer engagierte sich sozial; außerdem sorgte sie dafür, dass die neben ihrem Haus stehende, kunsthistorisch bedeutende Martinskapelle einen neuen Fußboden bekam. Landauer war auch der erste im Dorf, der ein Automobil besaß. Eine Fahrt seines Chauffeurs nach Überlingen am 24. Mai 1929 endete tragisch: einer Lesart zufolge öffnete sich der Wagenschlag des Fords unterwegs von selbst, sodass Landauers damals Hugo Landauer (1929, vermutlich in Daisendorf ) <?page no="157"?> 156 Christoph Knüppel 19jährige Tochter Elisabeth herausfiel und an den Folgen des Unfalls starb. Nach einer anderen Lesart geriet ihr Schal in das Hinterrad, wodurch sie aus dem Auto gezogen wurde. Dass Daisendorf noch vor dem benachbarten Meersburg elektrisches Licht bekam, war ebenfalls Landauers fortschrittlicher Einstellung zu verdanken. Gestorben ist Hugo Landauer am 21. Juli 1933 in seinem Daisendorfer Haus - »[n]ach langer schwerer Krankheit«, wie es in der Todesanzeige im »Seeboten« hieß. Dort stand auch zu lesen, die Feuerbestattung habe »heute in aller Stille stattgefunden«. 44 Landauer, dem Daisendorf vieles zu verdanken hatte, war dem inzwischen gleichgeschalteten Blatt nicht mal mehr einen Nachruf wert. Obwohl er nur 65 Jahre alt wurde, muss man angesichts des Kommenden von einem glücklichen Sterbedatum sprechen. Die Familie Landauer unter der Herrschaft der Nationalsozialisten Charlotte Landauer lebte noch vier Jahre auf dem Gut. Teile davon waren bereits 1935 durch Schenkung bzw. Verkauf veräußert worden; das eigentliche Hofgut wurde im Januar 1937 von den Eheleuten Georg und Pauline Weller aus München erworben. Deren Vorfahren waren als Templer 45 im 19. Jahrhundert von Backnang nach Palästina ausgewandert, um in Jaffa Orangenplantagen anzulegen. Als das Ehepaar Weller von der britischen Mandatsmacht aus politischen Gründen zum Verlassen des Landes gezwungen wurde, übersiedelte es 1932 mit seinen vier Kindern nach Deutschland. Zunächst erwarben die Wellers ein Gut in Glonn, das sie jedoch nicht selbst bewirtschafteten; dann wurden sie auf das Landauer’sche Gut aufmerksam. Hier führten sie den Obstbau weiter und gründeten 1940 die Likörfabrik Gustav Sprenger & Georg Weller; auf einem anderen Teil des Areals siedelte sich 1942 die Gemüsegärtnerei Wegener an. Auf welche Weise die beiden Parteien genau zu diesem Besitz kamen, ist offen; Frank Lemke, ehemaliger Bürgermeister von Daisendorf, hält es für möglich, dass ihnen das Gut im Rahmen von Maßnahmen zur Sicherstellung der Ernährung »zugesprochen« wurde. Im Gemeindearchiv gibt es dazu keine Akten mehr. 46 <?page no="158"?> 157 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« Charlotte Landauer zog vorübergehend zu ihrem Sohn Hermann nach Berlin, bevor sie, bereits unheilbar krank und von ihrer Haushälterin Rosa begleitet, in ihre Heimatstadt Heidelberg zurückkehrte, wo sie am 2. Februar 1943 starb. Walter und Hermann, die beiden Söhne aus erster Ehe, sowie Erich und Fritz Landauer, zu denen der Kontakt fast ganz abbrach, hatten die Heimat längst verlassen. Walter, dem 1943 die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde, war um die Mitte der zwanziger Jahre als Biologe an einer amerikanischen Universität untergekommen; Hermann floh über Chile in die USA, wo er später eine Farm betrieb und in der Nähe seines Bruders Walter lebte. Erich ging als promovierter Chemieingenieur im Auftrag einer Unterorganisation der UNO nach China und widmete sich nach dem Kriege dem Aufbau einer Fabrik auf Taiwan; Fritz arbeitete bei einer Schifffahrtsgesellschaft in Chungking und Shanghai. Der mongoloide Sohn Heinrich aus der Ehe mit Hugo Landauer hingegen wurde ein Opfer der nazistischen »Euthanasie«-Aktion. Seit 1922 in der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg auf der Schwäbischen Alb lebend, wurde er 1940 in die Anstalt Zwiefalten abgeschoben und von dort laut Transportliste Nr. 1 am 1. Oktober 1940 in die Anstalt Grafeneck abgeholt, die im Vorjahr beschlagnahmt und zu einem Vernichtungslager umgebaut worden war. Von einem Dr. Ott wurde als Todesursache Ruhr angegeben; in Wirklichkeit wurde Landauer im Rahmen der »Vernichtung lebensunwerten Lebens« zusammen mit 40 anderen Pfleglingen aus Mariaberg ermordet. Die tragischen Umstände seines Abtransports beschrieb am 3. Oktober 1947 der Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg, Kraft, in einem Sonderbericht. Auf dringliches Insistieren, dass Heinz Landauer für den Anstaltsbetrieb unabkömmlich sei, habe der Transportführer schließlich nachgegeben und gesagt: »So behalten Sie ihn halt! «. Als man Landauer daraufhin suchte, um ihn zusammen mit weiteren 15 freigebettelten Patienten im Haus in Sicherheit zu bringen, habe man ihn nach längerem Suchen bereits im Bus sitzend gefunden: er hatte sich vorgedrängt, um einen guten Platz zu bekommen. Dem Versuch, ihn wieder herauszubekommen, widersetzte sich der Transportleiter mit den Worten: »Heraus darf er nimmer! « 47 Heinz Landauer war einer von 61 Patienten aus Mariaberg, die in Grafeneck vergast wurden; sein Name findet sich sowohl auf ei- <?page no="159"?> 158 Christoph Knüppel nem Gedenkstein in Mariaberg als auch im Gedenkbuch der Gedenkstätte Grafeneck mit 9600 weiteren Opfern. 48 Als Halbbruder Erich ein Jahr später auf Umwegen vom Mord an Heinz erfuhr, wandte er sich aus China verwundert an die Anstaltsleitung Mariaberg, weshalb bei den guten Wasserverhältnissen in Mariaberg Typhus habe ausbrechen können. Erich Landauer bat um näheren Bericht über Heinz’ letzte Tage und zeigte sich zugleich zerknirscht, »wie sehr ich mich durch meine Vernachlässigung gegen Heinz vergangen habe [...]. Wenn ich ihn auch bei Ihnen in den allerbesten Händen wusste, so entband mich das doch nicht von meinen Verpflichtungen gegen Heinz, noch kann es mir die Reue ersparen in den Jahren, die noch bleiben«. 49 Und als nach dem Ende des Nationalsozialismus die amtlichen Briefe an die Mutter in den Besitz von Walter Landauer gelangt waren, wandte sich auch dieser im Sommer 1950 an die Württembergische Landesregierung, um Aufschluss über die »Vorgänge« zu erfahren, die »zur Ermordung meines Bruders führten und insbesondere darüber, welche Schritte zur Sühnung dieses Verbrechens schon getan worden sind oder eventuell noch getan werden sollen«. 50 Wie die Sühne dieses Verbrechens aussah, belegt das weitere Schicksal jenes Dr. Ott, der Charlotte Landauer die gefälschte Todesursache mitgeteilt hatte. Hinter diesem »Arzt« und stellvertretenden Büroleiter, der Anfang 1941 in die Tötungsanstalt Hadamar versetzt wurde, verbarg sich Gerhard Kurt Simon, der sich zur Verschleierung seiner Verantwortlichkeit verschiedener Namen bediente. Simon, der für sich beanspruchte, trotz seiner »Tätigkeit in dieser Aktion [...] den anständigen Menschen in mir und auch vor der Öffentlichkeit bewahrt« zu haben, arbeitete nach 1945 in einer Stadtverwaltung. Im Grafeneck-Prozess, der 1949 in Tübingen stattfand, wurde er nicht vor Gericht gestellt, sondern lediglich in einem »Euthanasie«-Verfahren als Zeuge geladen. 51 Heimatliebe in Übersee 1948 nahm Erich Landauer auch wieder Verbindung zum Bodensee auf. Bei der ehemaligen Haushälterin Rosa - »unter allen Erwachsenen nächst Mutter und Vater« seine »wichtigste Person« - erkundigte er sich nach Daisendorf: »Wer wohnt denn jetzt im <?page no="160"?> 159 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« Haus, und ist Mutters Garten immer noch so schön? Die Bäume müssen fleißig gewachsen sein [...]. Von Meersburg möchte ich auch ganz gerne wieder hören. Hält der Pfarrer Martin noch immer seine wohl gewürzten Sonntagspredigten? Wie geht es dem Dr. Zimmermann und den Ehingers? Erzählen Sie ein wenig, es gibt der Fragen zu viele«. Von sich selber, seiner Frau und den drei Kindern berichtete Erich Landauer, es gehe ihnen »gut und wir sind ganz wohlhabende Leute bis zum nächsten Krieg, wenn sie uns wieder alles wegsteuern werden und wir wieder von vorne anfangen. Das alles lässt sich nun nicht ändern und man muss das Leben eben nehmen wie es gerade kommt.« 52 Ein weiterer Brief Erich Landauers an den ehemaligen Daisendorfer Nachbarn Heinrich Deifel datiert vom ersten Weihnachtstag desselben Jahres. Auch er steckt voller Wehmut angesichts der verlorenen Bodenseeheimat. »Ich danke Dir recht herzlich für die vielen Neuigkeiten von zuhause«, beginnt er; »ich war ganz überwältigt davon, denn weisst Du, das ist nun alles schon so lange her, dass es wie ein Traum klingt und so richtig bin ich noch immer nicht überzeugt, dass es Daisendorf wirklich gibt, dass Du Liesel gekannt hast und die Mutter, und dass die drei Birken noch wachsen die ich vor der Waschküche gepflanzt habe (sie waren aus dem Wald gestohlen, damit Du es endlich weisst); hier gibt es keine Wälder, bloss Dschungel und Bambushaine wo man sich vorkommt wie eine Ameise im Gras; es ist so heiss und die Luft ist so klar, dass, wenn ich einmal frühmorgens einen Nebelstreifen sehe, mir die Birken einfallen, und das Heimweh. Und ich würde Dir alle Ananase und Bananen in der Welt geben für eine Handvoll reife Trauben vom Silberberg.« Dann kam Erich Landauer auf die Umstände des Verkaufs der elterlichen Güter zu sprechen: »So bin ich natürlich ein wenig überrascht von dem, was Du über unsere Anwesen erzählst und kann mir gar nicht richtig vorstellen, was eigentlich vorgefallen ist; hat die Mutter sie denn unter Zwang verkaufen müssen? Und warum auch? Sie war grade soviel Jüdin wie du. Oder wie kommst Du auf die Idee, dass die Güter an uns zurückfallen sollen? Sind sie denn gestohlen worden? Mich hungert nicht nach <?page no="161"?> 160 Christoph Knüppel Gut oder Geld und ich war so froh, aus dem Land fort zu sein, wo auch die Seele in Rohrstiefeln herumstolpert, dass ich nie gefragt habe, was die Mutter dort noch hat«. Und er fuhr fort: »Vor ein oder zwei Jahren kam auch das Testament vom Notariat in Heidelberg, wo wir allerhand schöne Sachen vermacht gekriegt haben, aber es war in jeder Codicill [Bestimmung ohne bindende Kraft, M. B.] weniger, und im Schlussverzeichnis war nicht mal mehr Sadurska’s [Anm.: Kasia von Szadurska] Ölbild von Liesel, das ich so gern gehabt hätte, und so habe ich natürlich ein wenig Interesse verloren. Mein Lieber, sage mir was soll ich bloss mit einem Landgut bei Überlingen anfangen. Das Glaserhäusle in Meersburg wäre mir lieber, wenn’s bloss im Winter nicht so kalt dort wäre. Es ist nett von Euch, dass Ihr uns willkommen heisst nach Deutschland und dem schönen Bodensee, aber was sollen wir da tun, wenn wir endlich angekommen sind? Einen Chemiker braucht Ihr bestimmt nicht, zum Privatisieren habe ich noch nicht genug, zum Bauern tauge ich nicht viel.« Und doch weckten die Neuigkeiten aus der alten Heimat in Erich Landauer die Lust zu einem Besuch: »Es ist eine Freude zu wissen, dass der Herr Doktor Zimmermann noch lebt und so gesund ist, dass er sogar noch arbeiten kann. Und Dr. Ehinger ist Bürgermeister von Meersburg! Ich muss Euch tatsächlich mal besuchen kommen. Und es ist gar nicht so unwahrscheinlich, wie es klingt. Ich habe Dir ja erzählt, dass ich eine Fabrik in Formosa baue [...] und wir werden mit Ciba Geigy in Basel arbeiten; da ich in Formosa der Herr Director bin, kann ich wahrscheinlich mal eine kleine Inspektionsreise nach der Schweiz rausschinden und auch auf einen Sprung nach Meersburg kommen. Leg mir einstweilen ein Fässchen Roten hin«. 53 Irgendwann soll Erich Landauer tatsächlich am Bodensee aufgetaucht sein - unter anderem, um die Modalitäten des Verkaufs der elterlichen Güter zu überprüfen. Am 12. Juli 1950 war auch der Sperrvermerk vom 20. November 1947 wieder gelöscht worden, mit dem aufgrund des Gesetzes Nr. 52 der Militärregierung die Landauer’schen Besitzungen der Verwaltung durch die französische Besatzungsmacht unterstellt worden waren. <?page no="162"?> 161 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« Arisierung in Karlsruhe Anders stand es mit den restlichen Besitzungen Landauers. Wir beschränken uns hier auf das Modehaus in der Karlsruher Kaiserstraße 145, das auch den Großherzoglichen Hof beliefert hatte und zuletzt von Julius Levy geführt worden war. Ende 1933 war Landauers Witwe für zwei Jahre als persönlich haftende Gesellschafterin in das Geschäft eingetreten, sodass Levy seit Mitte 1935 alleiniger Inhaber des Geschäfts mit seinen rund 60 Mitarbeitern war. Im Frühjahr 1936 wechselte das Unternehmen, das 1932 noch mehr als eine Million RM Umsatz erwirtschaftet hatte, seit dem Boykott jüdischer Geschäfte jedoch unter Umsatzeinbussen litt, für 133.583 RM den Besitzer. »Dieses Haus geht morgen in arischen Besitz über! «, war am 10. Juni 1936 in einem Inserat im »Führer«, dem »Hauptorgan der NSDAP Baden«, zu lesen, und die neuen Inhaber scheuten sich nicht, vom Ruf des »bekannte[n] Modehaus[es] Hugo Landauer« zu profitieren, obschon durch den Kaufpreis lediglich Waren und Geschäftseinrichtung abgegolten waren, nicht dagegen die Kundenlisten und der »Goodwill des im Zeitpunkt der Arisierung seit 24 Jahren bestehenden Geschäfts« 54 Eine Woche nach der Neueröffnung hetzte »Der Führer« unter dem Titel »Ausgemisteter Augiasstall. Was Landauer unter einem ›Modehaus‹ verstand« gegen die Vorbesitzer. 55 Das Kaufhaus Landauer gehörte fortan der bisherigen Konkurrenzfirma Geschwister Vetter aus Mannheim, die »mehr als jeder andere für Mannheim nachgewiesene ›Ariseur‹« 56 alle sich bietenden Gelegenheiten nutzten, um ihren geschäftlichen Erfolgskurs voranzutreiben. Auch wenn genaue Zahlen nicht vorliegen, hatten Arisierungen wie die des Kaufhauses Landauer erheblichen Anteil am Wachstum der Firma Geschwister Vetter. Eine nach 1945 erschienene Firmenschrift beschrieb dieses Wachstum als eine »Epoche steilen Aufstiegs« - mit einer Vervierfachung der Angestelltenzahl und einer Versechsfachung des Umsatzes zwischen 1933 und 1939. Bei ihrer Hochzeit erhielt Friedel Vetter das ehemalige Kaufhaus Landauer als Mitgift und führte es gemeinsam mit ihrem Mann, dem Konstanzer Modehausbesitzer Richard Holzherr. Ihr 1910 geborener Bruder Heinrich, der am 1. Mai 1933 in die NSADP eingetreten und zeitweise Scharführer der SA war, wurde im Herbst <?page no="163"?> 162 Christoph Knüppel 1946 vor der Spruchkammer Mannheim als Mitläufer eingestuft und zu einer Geldsühne von 2.000 RM verurteilt. Im Rückerstattungsverfahren forderte der Anwalt Levys Anfang der 50er Jahre eine Abfindung von 100.000 DM; die neuen Eigentümer waren zunächst nur zu einer Zahlung von 31.000 DM bereit - nach einem Vergleich erhielt Levy im Frühjahr 1962 dann eine Nachzahlung von 75.000 DM zugesprochen. Insgesamt musste die Firma Vetter Erstattungs- und Wiedergutmachungsansprüche aus sieben weiteren Arisierungsfällen bedienen - ein Hinweis darauf, dass Heinrich Vetter die Erfolgsgeschichte seiner Firma in der Nachkriegszeit ungebremst fortführen konnte. 1985 zog er sich ins Privatleben zurück, betätigte sich als Mäzen großen Stils und brachte sein Vermögen in die Vetter-Stiftung ein, die sich inzwischen einer selbstkritischen Erforschung der Firmengeschichte stellt. 2003 starb Heinrich Vetter, dessen Rolle im »Dritten Reich« von der Historikerin Christiane Fritsche als »aktiver Opportunismus« beschrieben wird, hochgeehrt. 57 Der Daisendorfer Hof von Hugo und Charlotte Landauer steht heute nicht mehr. Er wurde 1971 abgerissen; an seiner Stelle steht heute das Wohnhaus Horst Wellers, des jüngsten Sohns von Georg und Pauline Weller. Auch der größte Teil des ehemals weitläufigen Landauerschen Grundbesitzes ist heute mit Wohnhäusern überbaut. <?page no="164"?> 163 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« Anmerkungen 1 Seebote (Überlingen) Nr. 217, 21. September 1920. 2 Wo nicht anders vermerkt, stammen die folgenden Angaben aus den Mitteilungen kommunaler Archive sowie aus Siegfried Landauer: Erinnerungen eines jüdischen Arztes aus Schwaben. Hg. und bearb. von Christoph Knüppel. In: Manfred Bosch (Hg.): Alemannisches Judentum. Spuren einer verlorenen Kultur. Eggingen 2000, S. 139-214. 3 Ebd., S. 205. 4 Zu Gustav Landauer vgl. Leonhart M. Fiedler u.a. (Hg.): Gustav Landauer 1870-19919. Eine Bestandsaufnahme zur Rezepion seines Werkes. Frankfurt/ M. und New York 1995 sowie Hanna Delf und Gert Mattenklott (Hg.): Gustav Landauer im Gespräch. Symposium zum 125. Geburtstag. Tübingen 1997. 5 Zu Landauers Zeit in Bregenz vgl. Christoph Knüppel: »In eine abschreckend katholische Gegend sind wir hier geraten«. Der deutsch-jüdische Schriftsteller und Anarchist Gustav Landauer in Bregenz, in: Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Verein 10 (2009). Bregenz 2009, S. 37-63. 6 Internationales Institut für soziale Geschichte (IISG) Amsterdam, Gustav Landauer-Archiv Nr.128 (Abschrift). In Gustav Landauer. Sein Lebensgang in Briefen, hg. von Martin Buber, Frankfurt/ M. 1929, Bd. 1, S. 27- 28, wurde diese Passage weggelassen. 7 Gustav Landauer. Sein Lebensgang in Briefen. Hg. von Martin Buber, Frankfurt/ M. 1929, Bd. 1, S. 92 f. 8 Seebote Nr. 266, 18. November 1920. 9 Mitteilung des Sohnes Michael Röck, 28. Mai 2014. 10 Landauer, wie Anm. 7, Bd. 2, S. 399. 11 Gustav Landauer: Aufruf zum Sozialismus. Revolutionsausgabe. Berlin 1919, S. 140 ff. 12 Ebd. S. 145. 13 Ebd. S. 149. 14 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) im Bundesarchiv Berlin, NL Kurt Eisner. 15 Jüdische Rundschau 25 (1920) Nr. 23 vom 13. April, S. 169. 16 Jüdische Rundschau 25 (1920) Nr. 25 vom 12. Mai, S. 238. 17 Zu Michel vgl. Günther Wolgast und Joachim H. Knoll (Hg.): Biographisches Handwörterbuch der Erwachsenenbildung. Erwachsenenbildner des 19. und 20. Jahrhunderts, Stuttgart und Bonn o. J., S. 272-274 sowie Arnulf Groß u. a. (Hg.): Weltverantwortung des Christen. Zum Gedenken an Ernst Michel (1889-1964). Frankfurt/ M. 1996. 18 Vgl. Der Volkshausgedanke und seine Verwirklichung in Karlsruhe [= Deutscher Volkshausbund, Flugschrift 2], in: Das Volkshaus 1 (1919) H. 1. 19 An Buber, 4. August 1919; zit. nach der Korrespondenz im Martin Buber- Archiv an der Jewish National and University Library (JNUL), Jerusalem <?page no="165"?> 164 Christoph Knüppel (Ms. Var. 350/ 394). 20 Der Aufbruch 1 (1915), H.1, S. 2-14. 21 Ulrich Linse: Die Kommune der deutschen Jugendbewegung: Ein Versuch zur Überwindung des Klassenkampfes aus dem Geiste der bürgerlichen Utopie. Die ›kommunistische Siedlung Blankenburg‹ bei Donauwörth 1919/ 20. München 1973, S. 65. 22 Martin Buber: Der heilige Weg. Frankfurt/ M. 1919, S. 84. 23 Die Tat 12 (1920), August-Heft, S. 374-378. 24 Peter Kropotkin: Gegenseitige Hilfe in der Entwickelung. Autorisierte deutsche Ausgabe, besorgt von Gustav Landauer. Leipzig 1904. 25 Seebote Nr. 266, 18. November 1920. 26 Seebote Nr. 277, 1. Dezember 1920. 27 Emil Ritter: Die katholisch-soziale Bewegung und der Volksverein. Köln 1954, S. 390. 28 Karteikarte in der Bayerischen Staatsbibliothek, München. 29 An Martin Buber, 5. Februar 1921. 30 Ebd. 31 An Martin Buber, 26. März 1921. 32 Süddeutsche Sonntags-Zeitung Nr. 49, 5. Dezember 1920. 33 Die Menschheit 8 (1921), Nr.11 vom 19. März, S. 45. 34 An Martin Buber, 5. Februar 1921. 35 Schluss der Bauernzeitung, in: Seebote Nr. 66, 21. März 1921. 36 An Martin Buber, 30. März 1921. 37 An Martin Buber, 11. April 1921. 38 Das Bodenseebuch 1922, S.166. 39 An Fritz Mauthner, in: Gustav Landauer - Fritz Mauthner, Briefwechsel 1890 - 1919. Bearbeitet von Hanna Delf. München 1994, S. 326. 40 Schairer, 22. August 1922; BA Koblenz, NL Wichard von Moellendorf. 41 Erich Schairer, Bin Journalist, nichts weiter. Ein Leben in Briefen. Hg. Manfred Bosch und Agathe Kunze. Stuttgart 2002, S. 164. 42 Manfred Bosch, Gespräch mit Ruth Strahl, geb. Eisner, in St. Gallen, 11. April 1984. Abschrift im Privatarchiv Manfred Bosch. 43 Brigitte Landauer-Hausberger: Mein Vater Gustav Landauer, in: Akratie 1977, H. 9, S. 10. 44 Der Seebote Nr. 169 vom 26. Juli 1933. 45 Zu dieser Tradition der Templer, die sich als »lebendige Bausteine« eines Gotteshauses verstanden, das sie im Heiligen Land errichten wollten, siehe Hans-Christian Rößler: Ein deutsches Dorf in Tel Aviv, in: FAZ Nr. 298 vom 23. Dezember 2013, S. 8. - Auf diese Tätigkeit der Templer hatte auch schon Alfons Paquet in seinem Buch »In Palästina« (München 1923, S. 95ff.) hingewiesen. 46 Telefonische Auskunft, 21. Mai 2014. 47 Freundliche Überlassung von Kopien des Schriftwechsels von Angehörigen Heinz Landauers durch das Archiv der Mariaberger Heime, Gammertingen, vom 1. September 1994 an Christoph Knüppel. <?page no="166"?> 165 Hugo Landauer, sein Daisendorfer Gut und die »Bauern-Zeitung« 48 Auskünfte vom 27. Mai 2014 durch Thomas Stöckle und Bernd Reichelt, Gedenkstätte Grafeneck. 49 Wie Anm. 47; Schreiben Dr. Erich Landauer an Direktor Wacker, Heilanstalt Mariaberg, vom 6. April 1941. 50 Ebd., Prof. Dr. Walter Landauer, University of Connecticut, an das Ministerium des Innern, Abschrift des Briefes vom 1. August 1950. 51 Vgl. www.gedenkstaette-grafeneck.de (Abruf am 18. Januar 2015) 52 An Rosa, 23. November 1948; Brief im Besitz von Christoph Knüppel. 53 Brief aus Shanghai vom 25. Dezember 1948; Brief im Besitz von Fridolin Deifel, Daisendorf. 54 Christiane Fritsche: Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt. Wiedergutmachung in Mannheim. Ubstadt 2013, S. 454. 55 18. Juni 1936. 56 Vgl. die Webseite der Heinrich-Vetter-Stiftung. 57 Alle einschlägigen Fakten nach Christiane Fritsche, wie Anm. 54. <?page no="167"?> Hofgut Rimpertsweiler mit Haupthaus (unten) <?page no="168"?> 167 »Ein Stück Erde sein eigen nennen« Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt Keine der in diesem Band behandelten Personen - Erich Bloch allenfalls ausgenommen - hat uns über ihre Niederlassung am Bodensee und die Motive, hier ein Landgut zu betreiben, so erschöpfend Auskunft gegeben wie Kurt Badt. Mehr noch: seine »Erinnerungen an den Bodensee«, unter dem Titel »Mir bleibt die Stelle lieb, wo ich gelebt« 1 postum erschienen, sind nicht nur eine nachgeholte Liebe für eine verlorene Landschaft, sondern zu guten Teilen auch eine Reminiszenz an sein ehemaliges Gut Rimpertsweiler bei Markdorf. Die Annäherung an ein Leben als Gutsbesitzer, so kurz dieser Lebensabschnitt dann auch war, geschah auch bei Badt auf Umwegen; weder sein Bildungsweg noch sein soziales Umfeld würden ein solches vermuten lassen. Am 3. März 1890 in Berlin als Sohn des durch Getreidehandel zu Reichtum gekommenen Kaufmanns Leopold Badt (1858-1929) aus Rawitsch/ Posen und seiner Frau Regina geb. Kupferberg (1858-1928) geboren, wuchs er mit seiner Schwester Julia in einem großbürgerlichen Elternhaus auf. Dieses bot dem Heranwachsenden nicht nur die Wahrnehmung aller geistigen und künstlerischen Bildungsmöglichkeiten, sondern verfügte auch über eine Kunstsammlung mit Werken bedeutender Künstler, darunter von Delacroix, Cézanne und Lehmbruck. »Das erste, was ich in meiner Jugend von Kunst sah«, erinnerte sich Badt, »waren Stahlstiche nach Gemälden von Knaus, die über dem Sofa im guten Zimmer meiner Eltern hingen. Dann die Denkmäler auf den Plätzen in Berlin« 2 . So seien die großen Künstler, von deren Leben er nichts gewusst habe, in seiner Phantasie zu Halbgöttern geworden. Während seiner Zeit auf dem Reformgymnasium in Berlin-Charlottenburg wurde dem »schlechten Schüler«, der »in heftigen Gegensatz zu seinem Elternhaus« geriet, die Kunst zur Zuflucht; in ihr allein habe er die nötige »Freiheit und Liebe« gefunden. »Ich verstand ihre Gesetze damals keineswegs, aber ich fühlte ihre Wirkung [...]. Nichts Künstlerisches vorzuhaben, war schon früh für mich, wie zum Schattendasein des Hades verdammt zu sein« 3 . Eine Fahrt nach Rom bestärkte den jungen Badt in diesem Wunsch, sodass <?page no="169"?> 168 Manfred Bosch »Bildende Kunst, Architektur, Dichtung, Musik, Religion und Philosophie, dazu Geschichte, soweit sie dem Verständnis dieser Gebiete diente« 4 zu vordringlichen Feldern seiner Interessen wurden. Nach dem Abitur studierte Badt, der auch ein guter Pianist war und mit dem Gedanken an ein Musikstudium spielte, Kunstgeschichte und Philosophie in Berlin, München und Freiburg. Von seinen Lehrern ließ er rückblickend allein Heinrich Wölfflin und vor allem Wilhelm Vöge gelten. Beide bestärkten ihn in einer Kunstauffassung, der es um »das Lebendige in den Kunstwerken, ihre jeweils spezifische Haltung zum Leben« ging, und damit um »ihren Sinn, ihre Bedeutung«. Diese Frage »nach dem Wesen der Kunst, dem Sinn in ihren Erscheinungen, nach ihrer Bedeutung für die Menschheit, für den Geist« war es, die Badt mehr und mehr zu beschäftigen, ja »zu beunruhigen« 5 begann. Die vorherrschende, durch historische Detail- und Faktenforschung charakterisierte Wissenschaft dagegen lehnte Badt ab; sie war seiner Ansicht nach ungeeignet, »große Gebiete menschlicher Geistestätigkeit zu erfassen«. Um diese aber war es Badt zu tun: »Die Kunst umfaßte das von Menschen geformte Schöne. Aber die Schönheit war selbst ihrem Wesen nach rätselhaft und bedurfte weitläufiger Erklärungen. Nicht nur dies. Sie stand mit der Wahrheit in geheimnisvoller Verbindung«. Und er schloss: »Die Kunst mußte - theoretisch gesprochen - irgend ein einziges, auszeichnendes Moment haben, von so umfassender Art, daß es die große Vielfalt und Verschiedenheiten ihrer Hervorbringungen sämtlich umgriff. Dies Moment zu ergründen, wurde nun für mich ein dringendes Anliegen« 6 . Für diese Aufgabe sah Badt im akademischen Rahmen keine Möglichkeit. Zwar wurde er 1914 mit einer Arbeit über den Renaissancekünstler Andrea Solario promoviert; doch das Angebot Kurt Badt (undatiert) <?page no="170"?> 169 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt einer Assistentenstelle am Bremer Museum schlug er aus. Nicht »Bilder und Radierungen verwalten« wollte Badt; er »mußte weiter suchen - nach etwas Lebendigem ... Ich hatte andere Fragen auf dem Herzen als die nach dem einmal Gewesenen. - Dies war der Grund, warum ich, nach Beendigung meines Studiums die Kunstgeschichte aufgab. Mich interessierte das Wesen der Kunst, nicht ihre Geschichte« . Badt suchte dieses Lebendige in der Kunst nicht zuletzt in eigener künstlerischer Betätigung. Noch in seinem letzten Freiburger Semester hatte er autodidaktisch und an Vorbildern wie Hans Marées, Edvard Munch und Lovis Corinth orientiert zu malen begonnen. Hatte er sich anfänglich »unsäglich gequält« und lange alles wieder vernichtet, gelang ihm während des Ersten Weltkriegs, als er an eine Bergungsstelle für Kunstschätze nach Metz abkommandiert war, »ein Bild nach dem anderen. Ich habe diese Bilder nach vielen Jahren wiedergesehen. Sie schienen mir noch immer gut, frisch, lebendig« 8 . Mit einem Bild war er sogar in einer Ausstellung der Berliner Secession vertreten. Rückzug an den Bodensee Nach dem Kriege widmete sich Badt zusammen mit seiner Frau Ella Wollheim, die er 1913 geheiratet hatte, seiner Vorliebe für abgelegene Landschaften. Von Berlin aus reiste das Paar öfter nach Rügen, das dem Maler zahlreiche Motive bot; als ihm diese Landschaft keine Inspiration mehr gab, wandte man sich dem Bodensee zu, welcher Badt von kurzen Aufenthalten schon ein wenig vertraut war. Hier verbrachte die Familie, zu der nun auch die Töchter Bertha (genannt Totta) und Pia gehörten, die folgenden Sommerfrischen. Im Laufe der frühen zwanziger Jahre vertieften sich Badts Beziehungen zu dieser Landschaft in einem Maße, dass er sich hier auf Dauer als Künstler und Privatgelehrter niederlassen wollte und 1924 in Bodman-Ludwigshafen ein eigenes Haus baute. Ein radikalerer Gegen-Entwurf zu seiner sozialen und urbanen Herkunft war kaum denkbar als diese solitäre Existenz fernab aller Zentren, Museen und Bibliotheken. Auch dem gesellschaftlichen Leben stand Badt reserviert gegenüber; sein Umgang beschränkte sich stets nur auf Wenige. Bezeichnend seine Aussage, umso mehr hätten ihm »die Toten gegeben«; am meisten verdanke er »Eugène De- <?page no="171"?> 170 Manfred Bosch lacroix, der gleich groß in der Kunst wie im Denken war« 9 . Rudolf Schottländer beschrieb Badt als schwer zugänglich: »Hinter seiner spröden, manchmal mürrischen Art verbarg sich eine Empfänglichkeit für alles Echte in den Erscheinungen großer Kunst, mochten es die bildenden Künste, die Musik oder die Dichtung sein« 10 . Es sind denn auch nur wenige dauerhafte Freundschaften bezeugt. Diejenige zu Erwin Panofsky, den er während des gemeinsamen Freiburger Studiums zur Kunstwissenschaft »hinübergezogen« hatte, litt bald unter den konträren Kunstauffassungen. Am intensivsten war seine Beziehung zu seinem späteren Schwager Rudolf Arnheim, auf dessen gesamtes berufliches Leben Badt »von entscheidendem Einfluss« war. »Schon als Kind«, so Arnheim, »zeigte er mir Kunstwerke […], nahm mich [mit] ins Museum und brachte mir Grundbegriffe der Kunst bei, die mich nie verlassen haben. Er spielte auch sehr gut Klavier, und eine Weile machten wir Kammermusik zusammen« 11 . Am Bodensee nahm Badt Beziehungen zu dem Dichter Wilhelm Schäfer auf, dessen naher Nachbar er wurde, in Überlingen wurde ihm der Philosoph Leopold Ziegler zum vertrauten Gesprächspartner, und im nahen Salem, wo Totta und Pia zur Schule gingen, fand er Kontakt zu Kurt Hahn. Kollegialen Anschluss fand Badt auch in der grenzübergreifenden Künstlervereinigung »Der Kreis«, zu der sich in den zwanziger Jahren namhafte Künstler der Boden- Kurt Badt vor seiner Staffelei (datiert 1. Juni 1916) <?page no="172"?> 171 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt seeregion zusammenschlossen. Ihr trat Badt 1928 bei, um sich mit seinen bevorzugten Sujets - Landschaften, Stillleben und Akten - an den jährlichen Ausstellungen zu beteiligen. Am wichtigsten und prägendsten aber wurde für ihn bezeichnenderweise ein Einheimischer ohne akademischen Hintergrund: Paul Weber. Ihn hatte Badt schon während seiner ersten Aufenthalte am See kennengelernt. Zu diesem vielseitig interessierten Obstbauern aus Bodman entwickelten sich rasch freundschaftliche Beziehungen, die auch jeweils die Familien einbezogen. Während Badt Paul Weber die Augen für die Kunst öffnete und ihn beim Aufbau einer eigenen Kunstsammlung beriet, brachte ihm Weber umgekehrt die Gegend und vor allem die Grundlagen des Landbaus nahe. Mehr noch: ohne das Beispiel und den Einfluss Paul Webers hätte Badt kaum den Weg zu einem eigenen Landgut gefunden. Lebens- und Seelenlandschaft Dies alles lässt sich Badts nachgelassenen »Erinnerungen an den Bodensee« entnehmen, und man muss nicht lange lesen, um zu erkennen, dass hier jemand seine Lebens- und Seelenlandschaft beschreibt. Auch wenn diese Erinnerungen zunächst auf weite Stre- Kurt, Totta, Ella und Pia Badt auf dem Balkon ihres Hauses in Bodman (November 1928) <?page no="173"?> 172 Manfred Bosch cken im Stil einer sachlichen Annäherung gehalten sind und Badt seine Leser in fast kühler Sachlichkeit an die Gegend heranführt - wobei es neben Geographie und Klima, Landschaft und Flora stets auch um die Bevölkerung und ihre Lebensart, um Siedlungsformen und Architektur, Kunst- und Zeitgeschichte geht - zeigen sie sich zunehmend von Erlebnisgehalten und Leidenschaftlichkeit geprägt. Badt räumt den landschaftlichen Schönheiten dann gewissermaßen Macht über sich ein und steigert sich in einen regelrechten »Beschreibungsaufwand« hinein, um ihre atmosphärischen Stimmungen und Facetten, farblichen Abstufungen und Valeurs zu erfassen - gleichgültig, ob es sich um die Kräuselungen des Wassers oder die Silhouetten der Ufer handelt, um das Erscheinungsbild von Tälern und Höhen oder die Weitblicke über Landschaft und See hin, um das Spiel des Windes in den Bäumen oder das Treiben der Schwäne, die schaurig-schöne Gewalt schwerer Unwetter oder die Vielfalt der Flora. Wer sich die große Zahl kunstgeschichtlicher Bücher und Studien vor Augen hält, die Badt nach dem Zweiten Weltkrieg in rascher Folge herausgebracht hat, kommt kaum umhin, in Badts Bemühung um adäquate Erfassung seiner natürlichen Umgebung eine Vorschule zu sehen: hier hat jemand sichtlich das Genre der Landschaftsdarstellung als Probebühne seiner späteren kunstwissenschaftlichen Arbeit benützt. Badt geht in der erinnernden Wiederaneignung seiner Heimat noch weiter, wenn er mit den »geliehenen Blicken« Friedrich Hölderlins und Adalbert Stifters dem »Geist« dieser Landschaft nahezukommen sucht. Es bleibt auch erstaunlich, wie hoch Badt seine Liebe zum Land an sich ansetzt, ja es regelrecht gegen alle Urbanität ausspielt und dies sogar kunstgeschichtlich untermauert. »Stifter, Mareés, Cézanne«, schrieb er nach dem Kriege an Tochter Totta, »waren wohl die letzten, die die Kunst noch in Verbindung mit dem Leben [...] sahen. Van Gogh versuchte es noch, scheiterte aber. Was danach kommt, ist bloß ästhetische Spielerei, pures Stadt-Werk im Gegensatz zum Dorf, zum Land, zur Natur, zum vollen Leben -, in der Auffassung Wiecherts« 12 . Es gibt in Badts Erinnerungen einen Passus, der so etwas wie ein Scharnier zwischen sachlicher Annäherung an die Landschaft und den subjektiven, erlebnisorientierten Partien des Buches bildet. In ihm unterstellt Badt einen grundlegenden Unterschied zwischen Menschen, »die jemals ein Stück Erde ihr eigen genannt haben, die <?page no="174"?> 173 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt auf diesem Fleck Erde gewohnt und auf dieser Erde irgend etwas an Pflanzen gezogen haben, seien es Blumen oder Früchte - und denen, die dies alles niemals gekannt haben« 13 . Man muss über diesen Unterschied und seine Bedeutung nicht rechten - für Badt existierte er; und es gibt auch nichts »von den Bedingungen abzuhandeln, die diesen Unterschied hervorrufen. Eigener Grund muss es sein, man muß auf ihm gelebt haben und man muß auf ihm etwas an Pflanzen, etwas Lebendig-Wachsendes, Frucht-Tragendes gezogen haben« 14 . Es war niemand anderer als Paul Weber, der für Badt diesen fundamentalen Unterschied verkörperte: »Ein wundervolles Beispiel dafür, wie sich ein Bauer zur Natur verhält, habe ich an Herrn Weber gesehen. Es wäre ihm nie eingefallen, in der herrlichen Landschaft, in der er lebte, irgendwo in Verzückung stille zu stehen, oder Worte über einen schönen Anblick zu machen. Aber wie er im Walde mit den Schnecken redete, sie aufhob und ins Gras warf, damit nicht ein Unachtsamer, der nach ihm des Weges käme, sie zerträte, wie er beim Fischfang mit den Fischen, oder beim Arbeiten an den Bienenständen mit den Bienen sprach [...] auch die Waldbäume sah er mit den Augen desjenigen an, der gewohnt ist, die Natur als etwas Nützliches zu betrachten [...]. Und das Gute war für ihn das Schöne; indem etwas gut sich entwickelte, empfand er auch die Schönheit, die in der besten Entwicklung eines Naturdinges liegt« 15 . Die Suche nach einem eigenen »Stück Erde« Es ist, als habe Badt versucht - und sei es als »Kompensation« für seinen Verlust an urban geprägter Identität - sich etwas von dieser Haltung zu eigen zu machen. Ein Haus gebaut, es mit einem liebevoll gepflegten Garten versehen zu haben - was jeweils mit Paul Webers Rat und tätiger Mithilfe geschehen war - schien ihm offenbar nicht genug; er wollte auf diesem Weg noch weiter gehen und dachte an ein eigenes Landgut. »Es muss gegen Ende des Jahres 1931 gewesen sein«, schreibt Badt in seinen Erinnerungen, »daß sich in mir der Entschluss durchsetzte, einen Bauernhof zu erwerben, um darauf Obst in großem Maßstab und nach modernen Grundsätzen anzupflanzen [...]. Ich hatte mich mit immer lebhafterem Interesse an der Entwicklung und Verbesserung seiner [Paul Webers, M. B.] <?page no="175"?> 174 Manfred Bosch Anlagen beteiligt, ich war mit ihm unzählige Male durch die Felder und Obstgüter gegangen, hatte von seinen Erfahrungen und seinen Ideen Kenntnis erhalten, hatte über Pflanzung, Schnitt, Veredlung, Sortenwahl und Kulturverfahren mannigfaltiges gelernt, sodaß ich dem ganzen Gebiete der Obstbaumzucht nicht mehr fremd gegenüberstand«. Oft habe er Weber über die Zersplitterung und die Beengtheit seines Besitzes klagen hören, die einem Ausbau seiner Unternehmungen entgegenstanden - auch dieser Gedanke befeuerte Badts Pläne für einen »von vornherein auf den Obstbau zugeschnittenen Hof« 16 . Freilich schien dieser Plan Badt nur realistisch, falls Weber ihm auch hierbei beratend und mitarbeitend zur Seite stand. So kam es auch. »Der allgemeine Plan war ein Mustergut zur Erzeugung edler Tafel- und Wirtschaftsäpfel und -birnen anzulegen und dasselbe zu einer Obstbauschule für die Bauernsöhne unserer Gegend auszugestalten. Außer dem Obst sollten vorwiegend Beeren und hochwertige Gemüse gepflanzt werden« 17 . Was die Größe des Gutes betraf, sollte die bebauungsfähige Grundfläche mindestens 100 Morgen betragen, was etwa 36.000 qm entspricht. Es ist hier nicht der Ort, die aufwändige Suche nach geeigneten Höfen und Plätzen zu rekapitulieren, der langwierige Erkundungen Haus Badt in Klein-Bodman <?page no="176"?> 175 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt in Sachen Bodenbeschaffenheit, Höhenlage und klimatische Voraussetzungen vorausgingen. Fündig wurde man schließlich in der Gemarkung Oberstenweiler zwischen Markdorf und Salem, wo das Hofgut Rimpertsweiler zum Verkauf stand. Dreißig Kilometer von Bodman entfernt, schien es zunächst keineswegs dem zu entsprechen, wonach man gesucht hatte. Als Badt und Weber sich zu einer ersten Besichtigung aufmachten, stießen sie nach beschwerlicher Fahrt durch eine wenig einladende Gegend und verarmte Dörfer auf das gesuchte Anwesen: »Es lag, ein wenig tiefer, vor uns. Es enthielt zwei Reihen von Baulichkeiten: rechts waren drei Häuser, links ein Holzstall und langgezogenes Wohnhaus mit Stallungen. Dazwischen war ein geräumiger Hof mit der Dungstätte in der Mitte. Rechts und links befand sich ein Obstgarten voll kräftiger alter Stämme. Der Eindruck war prachtvoll. Dies war wahrhaftig ein Bauernhof, fast zu großartig, als daß er für uns in Betracht kommen konnte [...]. Die großen Felderschläge rechts und links, über mannigfach sich wölbende Hügel hingebreitet, mußten alle zu diesem Hofe gehören. Wo die Grenzen des Besitzes waren, ließ sich nicht erkennen« 18 . Der erste Eindruck, den Badt und Weber von dem Hof hatten, war umso einnehmender, als man von unterhalb des Hofes einen prächtigen Blick auf die Bodenseelandschaft mit den Alpen im Hintergrund hatte. Eine zweite, nähere Besichtigung, die die beiden zusammen mit dem Makler vornahmen, war freilich enttäuschend. Das Bauernhaus war alt, halb verfallen, die Ställe dumpf und schmutzig, der Holzstadel morsch und fast am Einstürzen. Die Gebäude der anderen Hofseite waren etwas besser erhalten, es war ein zweites Wohnhaus vorhanden, das halb als Geräteschuppen diente, dann kam ein Haus, das in seinem unteren Teil einen riesigen Backofen, darüber die Fruchtschütte enthielt, dann ein drittes mit Pferde- und Kuhstall und dem Heuboden. »Alle Räume waren voll Unrat und voll alter weggeworfener Gegenstände, die Maschinen waren verbraucht und zerbrochen [...]. In kurzer Zeit war die Situation klar: der Hof war vollständig heruntergewirtschaftet. Das zeigten auch die Felder. Der Bauer gab zu, schon jahrelang keine vollständige Düngung vorgenommen zu haben« 19 . Der Hof mit seinen stattlichen 120 Morgen hatte einst einem Bauern gehört, der hier wohlhabend geworden war, nach dem Tod seiner Frau jedoch zu trinken begann und den Hof vernachlässigte. <?page no="177"?> 176 Manfred Bosch Von ihm hatten die jetzigen Besitzer den Hof übernommen, junge Leute, deren Barschaft gerade für den Kauf des Hofs, aber nicht mehr für die nötigen Betriebsmittel gereicht hatte. Als die Kredite nicht mehr bedient werden konnten, sparte man an Saatgut und Dünger, schließlich musste Vieh verkauft werden und der Verfall wurde unaufhaltsam. »Das Ergebnis dieser Besichtigung«, so Badt, »war niederschmetternd. Welches Maß von Elend, welche Zerrüttung! « 20 Und dennoch knüpften sich an die Besichtigung sogleich Überlegungen: »War es möglich, aus dieser Verwahrlosung ohne riesige Kosten herauszukommen? Wovon konnte man überhaupt ausgehen? Was konnte man als vorhanden annehmen? Was war neu zu beschaffen? [...]. Nur die Felder schienen gut, der Boden tiefgründig, das Wachstum der verwahrlosten Äpfel- und Birnbäume war überraschend; und das Ganze war trotzdem - prachtvoll. Ein herrlicher Besitz, ganz für sich gelegen, in günstiger Lage. [...] Es ließ sich glauben, daß ein tüchtiger Bauer auf diesem Flecken reich geworden war« 21 . Ein eigener Hof Badt legte die Entscheidung über den Kauf in Webers Hand, der ihm trotz aller Bedenken zuriet. Ihm schien ausgemacht, dass der Hof mit nicht allzu hohen Kosten auf eine neue Grundlage zu stellen sei; Schritt für Schritt sollten die Dinge neu angeschafft und ausgebessert werden - so, wie er auch seinen eigenen Betrieb allmählich aufgebaut hatte. So entschloss sich Badt zum Kauf; als Preis einigte man sich auf die Übernahme der hohen Schulden. Zusätzlich stellte Badt einen Betrag von 6.000 RM zur Verfügung, der den bisherigen Besitzern erlauben würde, eine neue Existenz aufzubauen. Im Winter 1932 begannen die Ausbesserungsarbeiten, die ein Wagner aus Bodman vornahm; die Verwaltung wurde einem ledigen Bauern übertragen, der seine Cousine als Wirtschafterin mitbrachte. Dann galt es Pläne zu erstellen für den Anbau und die Fruchtfolgen. Um die wirtschaftlichen Risiken einer Monokultur zu vermeiden, wurde nur die Hälfte der Fläche für 2000 neue Halb-Hochstamm-Obstbäume vorgesehen; der Rest sollte Wiesen und Felder bleiben: da Badt nicht auf Kunstdünger allein setzte, bedurfte es reichlicher Viehhaltung, die wiederum ohne das Heu <?page no="178"?> 177 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt der Wiesen nicht denkbar war. Auf den Feldern wurden Getreide, Raps, Kartoffeln und Rüben in den Fruchtfolgen der verbesserten Dreifelderwirtschaft angebaut, auf zwei Äckern Rhabarber. »In allem wurde Herrn Webers Vorbild nachgeahmt. Pflanzung und Pflege waren leicht nach seinen Anweisungen zu bewerkstelligen« 22 . Die größten Probleme ergaben sich daraus, dass bei schnell einzubringenden Ernten in der abgelegenen Gegend nicht genügend Tagelöhner und Erntehelfer zur Verfügung standen; sie mussten aus entfernten Orten verpflichtet werden, waren oft unzuverlässig oder arbeitsscheu. Unterbrach einmal ein Unwetter die Erntearbeiten, saßen sie untätig herum, weil ihre Dörfer zu weit entfernt waren. Zusätzlich machte sich die aufkommende Industrie von Friedrichshafen und Manzell als Konkurrentin auf dem Arbeitskräftemarkt bemerkbar, die geregelte Arbeitszeiten bot. In den ersten Monaten nach dem Kauf des Hofes, an dem sich auch Weber mit einigen tausend Reichsmark beteiligte, führte Badts Weg nur in größeren Abständen nach Rimpertsweiler; erst mit dem Anlegen der Obstbaumpflanzungen brachte er viele Tage dort zu. Dann wieder galt es Pferde und Vieh zuzukaufen; dem stand Badt am hilflosesten gegenüber. Da auch Webers Kenntnis und Interesse Gut Rimpertsweiler <?page no="179"?> 178 Manfred Bosch an Viehhaltung beschränkt waren, musste sich Badt bei diesem berüchtigten Geschäft auf den Verwalter verlassen. Solche Viehkäufe führten bis ins Allgäu, auf den Randen oder in den Südschwarzwald. Großes Interesse zeigte Badt an der biologisch-dynamischen Landwirtschaft und der Lehre Rudolf Steiners, wie sie damals am nördlichen Bodensee mehr und mehr Anhänger fand. Es bleibt erstaunlich, wie sich der Städter über die Stille Bodmans hinaus auch in die völlige Abgelegenheit seines neuen Besitzes mit dem ihm fremden Menschenschlag einlebte. Badts Gänge rund um den Rimpertsweiler Hof, die er mit ebensolcher Hingabe beschrieb wie die Gegend um den Überlinger See, lassen eine tiefe innere Übereinstimmung auch mit dieser Landschaft erkennen. »Jede dieser Stellen«, notierte Badt in seinen Erinnerungen, »habe ich viele Male besucht, viele Male habe ich dort hinabgesehen, den Anblick des schönen, lebendigen Landes genossen und den Gedanken erwogen, an einem dieser Plätze mir ein Haus zu bauen, um in Frieden inmitten eines von mir geschaffenen Werkes auf meinem eigenen Grund und Boden zu sterben« 23 . Dass Rimpertsweiler in Badts Leben Episode blieb, hatte auch mit der Trennung von seiner Frau zu tun. Noch im Herbst 1934 Helene Arnheim, später Badts zweite Frau <?page no="180"?> 179 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt war das Paar entschlossen gewesen, sich auf das Gut zurückzuziehen, und im Frühjahr 1935 unternahmen die beiden eine Fahrt nach Florenz, wo sie »das altbekannte Schöne mit neuer Freude« 24 wiedersahen und mit Totta zusammentrafen, die dort inzwischen studierte. Die Trennungsabsicht Badts reichte jedoch weiter zurück; im Sommer 1934 hatte er einem Freund von langwierigen inneren Kämpfen berichtet, die nunmehr entschieden seien: »Die Periode der Hoffnungslosigkeit über unser Schicksal liegt nun hinter mir [...] ich sehe deutlich wieder den Raum der Freiheit meiner Existenz, unangreifbar und unerreichbar für jene Gewalten, die jeden Augenblick mein Leben in ihren Händen haben« 25 . Dieser Klärungsprozess, hinter dem man ohne nähere Kenntnis der Umstände zunächst politische, jedenfalls zeitbedingte schicksalhafte Einwirkungen vermuten würde, hatte in Wirklichkeit einen rein persönlichen Hintergrund. Bereits um 1920 nämlich war seine Cousine Helene Arnheim, inzwischen verheiratete Ascher, in Badts Leben getreten, mit der nun er eine neue Verbindung einzugehen entschlossen war. Badt hatte sich lange damit gequält und auch den Rat von Beuroner Patres gesucht. Längst hatte sich Badt vom Judentum losgesagt und sich zusammen mit seiner Frau dem Katholizismus angenähert; die beiden Töchter wurden sogar getauft. Verkauf und Emigration So verkaufte Badt am 4. Juni 1937 das auf ihn allein eingetragene Haus in Bodman für 32.000 RM; vom Rimpertsweiler Hof trennte er sich in Etappen. Der als Taosta G.m.b.H. geführte Betrieb gehörte mit einem Anteil von 74.000 RM Badt, Weber hielt Anteile in Höhe von 4.000 RM. Im September 1936 verkaufte Badt zunächst Anteile in Höhe von 6000 RM an seinen Berliner Landsmann Udo Rukser, der 1934 unter Webers Rat und Assistenz das Gut Oberbühl auf dem Schienerberg erworben hatte und im Juli 1937 auch noch Badts restliche Anteile übernahm, sodass die Taosta G.m.b.H. nunmehr Rukser und Weber gehörte. Als sich auch Rukser im Frühjahr 1939 zur Emigration gezwungen sah und seine Anteile an Weber veräußerte, oblag diesem neben seinen eigenen Bodmaner Unternehmungen nun die Verwaltung beider Güter - Rimpertsweilers wie des Oberbühlhofs 26 . <?page no="181"?> 180 Manfred Bosch Im Herbst 1937 bezog Badt in München eine kleine Wohnung; Ella Badt, die bis zuletzt »gegen alle Evidenz« 27 an ihrer Ehe festzuhalten versucht hatte, wandte sich Ende 1937 über Florenz nach Neuchâtel, wo Totta nach Abschluss ihres philosophischen Doktorexamens inzwischen lebte. Schon vor ihrer Trennung hatte sie ihren Mann vergebens zur Auswanderung gedrängt, weil sie klarer als er die sich von Monat zu Monat verschlimmernde politische Lage erkannte 28 ; nun bereitete sie auf eigene Faust die Emigration vor, »weil ich fuer meine Tochter und fuer mich bei der immer schlimmer werdenden nationalsozialistischen Hetze das schlimmste befuerchtete und keine Stunde mehr als notwendig in Deutschland bleiben wollte« 29 . Neben den sog. Judenvermögensabgaben wurden 52.250 RM, ein Viertel des bei der Vermögensauseinandersetzung auf sie entfallenden Betrages, als »Reichsfluchtsteuer« einbehalten. Von Genua reisten Ella und Pia mit dem Dampfer »Saturnia« nach New York, wo sie am 1. Oktober 1939 eintrafen. »Seit ich beim Beichten und Kommunizieren war«, schrieb sie in ihrem Abschiedsbrief kurz vor der Abreise an Totta, »bin ich ganz ruhig und voller Zuversicht. Verzeih mir, dass ich von Dir fortgehe, ich weiss, dass es nicht nur um Pias willen geschieht, ich habe immer die - vielleicht lächerliche - Hoffnung, noch einmal ein bisschen leben zu dürfen, nicht als Grossmutter nur und dem Leben von Euch anderen gern zusehend, noch einmal mit dem Einsatz meines ganzen Ich möchte noch ein Stückchen leben dürfen und besser als ich es früher verstand...« 30 . Doch ihre Wünsche gingen nur bedingt in Erfüllung. Das Schicksal hielt nur untergeordnete und häufig wechselnde Stellungen für sie bereit - bald als Dienstmädchen und Putzfrau, Zimmermädchen und Haushaltshilfe, bald als Wirtschafterin, Beschließerin oder Erzieherin in privaten Haushalten und Hotels, Klöstern, Sanatorien und Diätanstalten. Erst nach 1945 kam sie als Leiterin der Verpflegungsabteilung einer Schule unter. Als bloße Arbeitssklavin sah sie all ihre »menschlichen Qualitäten [...] auf Eis gelegt, gar kein Bedarf für solche Luxusartikel. [...]. All diese Dinge habe ich nie bedacht, als ich noch selbst ›Herrschaft‹ war. Wie mögen meine Dienstboten unter mir geseufzt haben! « 31 Wie Pia, die dank einer sholarship eine Ausbildung zur Lehrerin machen konnte, bemühte auch sie sich um die amerikanische Staatsbürgerschaft, ohne je ein wirkliches Verhältnis zu diesem Land zu finden, engagier- <?page no="182"?> 181 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt te sich bei den »Internationalen Frauen für Frieden und Freiheit« und unternahm nach dem Kriege noch manche Fahrt in die alte Heimat, von der auch sie nicht loskam. In den sechziger Jahren erlebte sie schließlich die Genugtuung, aufgrund ihres pädagogischen Geschicks Vertretungen für Deutsch- und Französischlehrer an der Highschool von Haddonfield/ NJ zu bekommen. »Ich habe jetzt«, schrieb sie an Totta, »tatsächlich den Eindruck, dass Deine und Pias Intelligenz nicht nur von K[urt] B[adt] ererbt ist und dass mein Leben zwar verpfuscht, aber nicht ganz sinnlos gewesen ist« 32 . Anders als Ella fühlte sich Badt in der Großstadt-Anonymität anscheinend hinreichend geschützt. In den lückenlos geführten Kalendern seiner Münchner Zeit findet sich jedenfalls zunächst kein Hinweis auf Emigrationsvorbereitungen. Stattdessen nahm Badt vielfältige kulturelle Möglichkeiten wahr, besuchte Museen und Ausstellungen, katholische Messen, pflegte persönliche Kontakte zu Malern und war auch selbst wieder künstlerisch tätig - wenn nun auch ausschließlich als Plastiker. Dann aber zeugen die täglichen Kalendereinträge, die bis dahin vor allem seinen ausgreifenden Lektüren, Besuchen, seiner Korrespondenz, kleineren Reisen und der künstlerischen Arbeit galten, von einer Existenz zwischen Bedrohung und Hoffnung, die den Gedanken an Emigration immer unabweislicher machte. Zunehmend wurden seine Tage nun von Behördengängen bestimmt, fast täglich beanspruchten ihn die schikanösen Bürokratien der Standes- und Meldeämter, Botschaften, Banken und Devisenstellen; hinzu kamen endlose Erklärungen gegenüber dem Finanzamt (in Sachen Steuern, Vermögensdeklarationen und -teilungen, Unbedenklichkeitserklärungen etc.); zugleich war mit Reisebüros, Zollämtern und Speditionsfirmen zu verhandeln. Am Tag nach dem Novemberpogrom 1938 wurde Badt um 2 Uhr nachts von drei SA-Männern ein Ausweisungsbefehl überbracht, der am folgenden Tag zwar wieder aufgehoben wurde, indes die prekäre seelische und gesundheitliche Situation verständlich macht, in der sich Badt aufgrund der Trennung von seiner Familie ohnehin befand: »Vom 11. November ab nichts mehr gearbeitet« (12.11.1938); »Leere. Hoffnungslosigkeit« (8.12.1938); »starke Herzbeschwerden« (9.12.1938) - so und ähnlich lauten nun über Wochen und Monate die Tageseinträge. Daran änderte sich zunächst nur wenig, als Badt am 20. Januar 1939 endlich sein Visum in Händen hielt <?page no="183"?> 182 Manfred Bosch und eine Woche später mit dem Flugzeug in London eintraf: »Nervenzusammenbruch. Angstzustände. Verlorenheit«, notierte er am 21.4.1939 33 . Erst die Ankunft Helene Aschers (geb. Arnheim), seiner ebenfalls in Scheidung lebenden neuen Lebensgefährtin, vermochte ihn wieder etwas zu stabilisieren. Exil in London Nach eigener Aussage war Badt ohne einen Pfennig in London angekommen. »Bis vor ein paar Jahren war ich wohlhabend«, schrieb er, »nun bin ich ganz arm« 34 . Die regelrechte Ausplünderung durch »Judenvermögensabgaben« und »Reichsfluchtsteuer«, die korrekte Auszahlung seiner Frau und die Unmöglichkeit, seine beträchtlichen Vermögenswerte - laut Steuerbescheid des Finanzamts Stockach hatte Badt zuletzt ein Vermögen von 262.000 RM 35 versteuert - ins Ausland zu transferieren, hatten zu dieser ungewohnten Situation geführt. Sie belastete Badt jedoch, will man seinen Aussagen folgen, nicht wirklich: »Geld hat nie Eindruck auf mich gemacht. Ich habe nichts davon gehabt, als ich es besaß; ich vermisse es jetzt nicht, wo ich nichts mehr habe. Immer nur Arbeit hat mich fasziniert. Was wollte ich? Schöne Dinge machen - und wissen, was das ist: schöne Dinge machen, eine Rechtfertigung meiner Fähigkeit vor mir selbst [...]. Schaffen und Nachdenken« 36 . Da Badt nicht wie viele andere als feindlicher Ausländer interniert wurde und sich ganz seiner Arbeit widmen konnte, fühlte er sich sogar »in gewisser Hinsicht [...] vom Schicksal bevorzugt« 37 . Mit dem »Machen schöner Dinge« scheint es Badt auch in London versucht zu haben - so zumindest lässt sich eine Mitteilung an Udo Rukser deuten, wonach seine Art Kunst hier keinerlei Aussichten habe. Zwar aquarellierte und modellierte Badt weiterhin; doch in den Vordergrund rückte nun die wissenschaftliche Beschäftigung mit Kunst, der er in ausgedehnten Studien am Warburg Institute nachging. Von dem Hamburger Aby Warburg - auch er ein jüdischer Bankierssohn, dem an der Kunst mehr lag als an Vermögen - auf der Basis einer über Jahrzehnte hinweg zusammengetragenen Büchersammlung begründet, war es von Fritz Saxl rechtzeitig vor den Nazis nach London in Sicherheit gebracht worden. Hier trug Badt in immenser Fleißarbeit nun die Grundlagen für jene Bücher <?page no="184"?> 183 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt zusammen, die nach 1950 in rascher Folge erscheinen und den Namen des als Kunstwissenschaftler bis dahin kaum in Erscheinung Getretenen rasch bekannt machen sollten. Unterdes verdiente Helene Arnheim, wie sie sich nun wieder nannte, den Lebensunterhalt mit Hemdennähen - eine für Frauen intellektueller Emigranten nicht eben ungewöhnliche Art der Überlebenssicherung. Begleitet, aber nicht wirklich beeinträchtigt wurde Badts kunsthistorische Arbeit seit Herbst 1940 von zahlreichen Bombardierungen: »1. Nacht im shelter«, notierte er am 10. September 1940 in seinen Kalender; ein Eintrag vom 19. Februar 1941 lautet: »Bomben [...] dicht neben dem Hause an der Straße« 38 . In dieser Zeit traf Badt viel mit dem ebenfalls zunächst nach London emigrierten Rudolf Arnheim zusammen, mit dem er musizierte und Dantes Purgatorium übersetzte 9 , er suchte erneut Kontakt zu Kurt Hahn, der bereits 1933 nach England geflohen war, unterhielt Verbindungen zu Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern wie Werner Milch, Karl Otten, Fritz Saxl und Lili Fischel, traf sich mit dem Verleger Jakob Hegner und war für den jungen Maler Peter de Francia ein kritischer Begleiter. Ob Badt in diesen Jahren auch mit dem ebenfalls nach London emigrierten Ehepaar Fritz und Johanna Wohlgemuth verkehrte, die zuvor im nahen Heiligenholz einen Gutshof betrieben hatten, ist nicht bekannt. Im Wesentlichen aber war Badt auch hier weitgehend der still für sich Arbeitende. Zwischen Dezember 1940 und November 1941 widmete er sich der Niederschrift seiner »Erinnerungen an den Bodensee«, an denen seine eidetisch anmutende Gedächtnisleistung und Erinnerungsgenauigkeit selbst dann frappiert, wenn sich der Autor auf Hilfsmittel wie Landkarten, Aufzeichnungen oder Fotos hätte verlassen können. Darin finden der Bau des eigenen Hauses in Bodman, die Suche nach einem Hofgut und der Betrieb von Rimpertsweiler auffallend breiten Raum - noch immer gab der Bodensee, gab die dort verbrachte Lebenszeit den geistigseelischen Bezugsrahmen ab. Erstaunlich nur, dass Badt in seinen Erinnerungen mit keiner Silbe auf die Verschärfung seiner persönlichen Situation, auf die Bedrohung und das Schicksal seiner Familie oder die näheren Umstände ihres Wegzugs eingeht. Es scheint fast, als solle auch nachträglich nicht der mindeste Schatten auf diesen Erdenfleck und diesen Lebensabschnitt fallen. <?page no="185"?> 184 Manfred Bosch Neben den »Erinnerungen an den Bodensee« entstanden in London weitere biographische und literarische Arbeiten. Dazu gehört ein umfangreicher Lebensbericht aus dem Jahr 1941, dem wir wichtige Einsichten in Badts frühe Entwicklung verdanken, sowie verschiedene philosophische (Friedrich Nietzsche, Wilhelm Dilthey, Jacob Burckhardt), literarische (Adalbert Stifters »Nachsommer«) und zeitgeschichtliche (Nationalsozialismus) Abhandlungen und Vorträge. Von der kulturpessimistischen Tendenz Badts zeugt der Roman »Hi und Schi oder Der Niederstieg der Affen«, dem die umfangreiche, elegisch gestimmte Lyriksammlung »Fruchtschiff von Bodoma« mit dem Erlebnisfundus der Bodenseezeit gegenübersteht. Ungeliebtes London Auf diese wehmutsvoll erinnerte Zeit am See sah sich Badt umso mehr verwiesen, als er seinen Exilort nicht besonders schätzte. Während er in seinem Buch »Vier Städte« Rom als Verkörperung des Willens zur Macht sah, Florenz für ihn gleichbedeutend war mit dem Streben, das Leben schön zu gestalten und ihm Paris Edelmut und Großartigkeit verkörperte, galt ihm London als »eine der häßlichsten Großstädte Europas und unter den historisch bestimmenden die unansehnlichste« 40 . Nach »über fünf Jahren in London«, schrieb er an Totta, sehe er sich »ganz herausgerissen aus allen früheren Beziehungen und in Verhältnisse versetzt, die meiner Natur wenig entsprechen, an Kreise gebunden, die mir ferne stehen, und der englischen Welt nur soweit angeschlossen, als dies durch Lesen möglich ist.« Nur ein Jahr später schilderte er seine Situation jedoch völlig konträr: Nie habe er »soviel Verkehr gehabt wie hier in London [...]. Mein Hauptvergnügen sind ein paar junge Engländer, Künstler, denen ich mit Rat u. Tat beistehe - und ein paar Gartenbesitzer, denen ich die Obstbäume in Ordnung halte« 41 . In der Hauptsache jedoch lebte Badt mit »dem Gesicht nach Deutschland«: Nie hatte er die Hoffnung aufgegeben, eines Tages zusammen mit Helen Arnheim an den Bodensee zurückzukehren. Beim Betrachten zahlreicher, in einer Mappe gesammelter Pressenotizen und Zeitungsberichte, die auf das Kriegsgeschehen in Süddeutschland und im Bodenseegebiet Bezug nehmen, gewinnt <?page no="186"?> 185 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt man denn auch unwillkürlich den Eindruck, hier habe jemand nur darauf gewartet, dass sich »die Wasser verlaufen« und eine baldige Rückkehr möglich werde. Voller Ungeduld bat Badt seine Briefpartner immer wieder um Nachrichten aus der alten Heimat. Gegen Kriegsende klagte er, »vom Bodensee seit Jahren keinerlei Nachricht« zu haben: »Ich weiß nicht, ob Paul Weber, Wilhelm Schäfer, Leopold Ziegler noch leben, noch wie es irgend einem dort geht« 42 . Badts Hoffnung auf baldige Rückkehr eilte den Tatsachen weit voraus. Bis zur Rückkehr Badts - »I wonder wann Sie nun übersiedeln werden«, fragte Rudolf Schottländer mitten in die lange sich hinziehende Geschichte seiner Rücksiedlung hinein 43 - dauerte es noch Jahre. Vorausgegangen waren langwierige Bemühungen Badts um einen Ausgleich seiner alten Vermögenswerte. Anfang 1949 strengte er bei der Restitutionskammer des Landgerichts Konstanz gegen den Käufer seines Ludwigshafener Hauses einen Prozess an. Obwohl der Käufer als »gutgläubiger Erwerber« galt, selbst Verfolgter des Regimes war und glaubhaft machen konnte, dass er weder eine Notlage Badts ausgenutzt, noch überhaupt gewusst habe, dass dieser im Sinne der nazistischen Rassedoktrin Jude war, endete die Auseinandersetzung mit einem Vergleich, der Badt 12.000 DM zusprach 44 . In Sachen Rimpertsweiler, dessen Hauptbau mit den Stallungen im Herbst 1940 vollkommen niedergebrannt waren, einigte sich Badt mit Weber Anfang 1949 gütlich auf eine Zahlung von 40.000 DM, zu entrichten in jährlichen Raten von 2.000 DM 45 . Mit diesem Vergleich war für Badts schriftstellerische Arbeit eine finanzielle Basis gelegt, andererseits hatte sich damit der Gedanke einer Rückkehr nach Rimpertsweiler erledigt. Der knapp 60jährige wird sich diese Aufgabe auch kaum mehr zugetraut haben - ganz abgesehen davon, dass sein erstes Interesse darin liegen musste, die Ernte seiner jahrelangen kunstwissenschaftlichen Forschungen in die Scheuer zu fahren. Ganz in diesem Sinne war auch Ruksers freundschaftlicher Rat ausgefallen: »[...] der Hof war ein schlechtes Geschäft. Nicht nur durch den schweren Brand, sondern auch durch die großen Frostschäden hats immer nur Verluste gegeben. Wie Sie sich solch ein Objekt wieder aufladen wollen? Sie haben doch andere Fähigkeiten & viel feinere Gaben, möchte ich Ihnen auf die Seele binden! « 46 . <?page no="187"?> 186 Manfred Bosch Endlich wieder am Bodensee Kurt Badt und Helen Arnheim setzten nun alles daran, ihre finanziellen Mittel in den Bau eines kleinen Hauses zu investieren. Im Herbst 1952 konnten sie ein Fertighaus in der Überlinger Seehaldenstraße 22 beziehen. In dem »schmalbrüstige[n], zweigeschossige[n] Häuschen« 47 nahm Badt seine frühere Existenz als Privatgelehrter wieder auf. Nach »Delacroix’ Drawings« (Oxford 1946) überraschte Badt nun mit einer Fülle stetig erscheinender Titel. Als fachhistorisch weitgehend unbeschriebenes Blatt war er nach Deutschland zurückgekehrt; innerhalb weniger Jahre wurde er mit Standardwerken zu Cézanne, Delacroix und Poussin zum anerkannten Kunstschriftsteller. Es sollte sich bewahrheiten, was Gertrud Bing vom Warburg Institute Ende 1956 an Badt geschrieben hatte: »I cant help feeling that the German language does put your approach to work of art better than English and I can imagine how relieved you were to work again in your own medium ...« 48 . Bücher wie »Wolkenbilder und Wolkengedichte der Romantik« (1960), »Die Farbenlehre van Goghs« (1961), »Modell und Maler von Jan Vermeer« (1961), »Eugène Delacroix. Werke und Ideale« (1965) oder »Die Kunst des Nicolas Poussin« (1969) - um nur einige der wichtigsten Titel der sechziger Jahre zu nennen - begründeten Badts Bekanntheit und Ansehen auch in Fachkreisen und unter Fachkollegen. Soweit diese Veröffentlichungen einzelne Werke und Künstler betrafen, blieben sie noch weitgehend ohne die polarisierende Wirkung der vorwiegend theoretischen Publikationen, die sich Methoden- und Interpretationsfragen widmeten. Insbesondere »Raumphantasien und Raumillusionen. Das Wesen der Plastik« (1963), »Kunsttheoretische Versuche« (1968) und »Eine Wissenschaftslehre der Kunstgeschichte« (1971) weisen Badts Kunstverständnis explizit als ein vormodernes aus, das zu den künstlerischen Leistungen seiner eigenen Lebenszeit kein wirkliches Verhältnis fand und sich vom expliziten Gesellschaftsbezug der spätestens seit Beginn der sechziger Jahre diskursbestimmenden Frankfurter Schule distanzierte. So sah Badt in der zeitgenössischen Kunstwissenschaft »purstes Alexandrinertum, Sammlung von Fakten, Etikettierung statt Erkenntnis, Popularisierung, ja reines Gerede« 49 am Werk; und als er 1968 mit der Kunstgeschichte auch institutionell in Berührung kam, erschien ihm das Fach in »totaler Verwirrung« <?page no="188"?> 187 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt und von der »Totenstille des Konformismus« 50 geprägt. Unterdes trug Helen Arnheim, die von ihrem Mann stets nur als »Mr. Badt« zu sprechen pflegte, mit ihrer alten Londoner Beschäftigung zum Lebensunterhalt bei, indem sie für die abgemagerten Patienten der nahen Fastenklinik Buchinger zu weit gewordene Kleider umnähte und Englischstunden gab. Waren die wirtschaftlichen Verhältnisse des Paares auch relativ einfach, so spürte man gleichwohl »Stil«. Für die Überlinger aber war das Zusammenleben der beiden, die erst nach der Scheidung Badts im Sommer 1958 heirateten, für damalige Verhältnisse etwas Ungewöhnliches. Es war der Romanist Hans Robert Jauss, der Badt an der Reform-Universität Konstanz 1968 den Zugang zu einer akademischen Wirkungsmöglichkeit eröffnete. Trotz seines diametralen Gegensatzes zur vornehmlich an sozialhistorischen und wirkungsästhetischen Fragestellungen interessierten Disziplin war es gerade Badts »Sicherheitsabstand« zur Kunstwissenschaft seiner Zeit, der ihm auch Wertschätzung eintrug. So heißt es etwa in einem Kunsthistorikerlexikon, Badt habe »im Alter einen lebhaften Disput über Grundprobleme des Kunstverständnisses und der Methodik kunsthistorischer Forschung« ausgelöst und »auf wichtige Fachvertreter« 51 anregend gewirkt. Auch bei der Kritik fand Badts kunsthistorische Leistung Verständnis und Anerkennung. Letzte Jahre Sein Rang als »geachteter Außenseiter« verhalf Badt auch zu Ehrungen. 1962 wurde ihm das Große Bundesverdienstkreuz verliehen; bei der öffentlichen Feier im Überlinger Rathaussaal würdigte Re- Kurt Badt in seiner Überlinger Zeit <?page no="189"?> 188 Manfred Bosch gierungspräsident Anton Dichtel - was zu jener Zeit durchaus nicht selbstverständlich war! - in Badt nicht nur den großen Kunsthistoriker, sondern auch den Staatsbürger und Emigranten: »Wir danken Ihnen, daß Sie an Deutschland in diesen trüben Stunden nicht verzweifelt sind und daß Sie Deutschland trotz allem nicht aufgegeben und vergessen haben, sondern Deutschland treu geblieben sind« 52 . Am meisten aber bedeutete Badt seine »honorarfreie (! ) Honorarprofessur« 53 . Er wertete sie - mochte sie auch einem Mann gelten, »der nun anfängt, müde zu werden« - als »spätes Zeichen der Anerkennung« 54 . Badt blieb bis über sein 80. Lebensjahr hinaus tätig, trotz leidender Gesundheit. »Der düstere, einsame Winter«, schrieb er 1966, »dazu viel Leid, Not und Tod um uns herum, wirkt lähmend auf den Geist. Mit meinen schlechten Nerven, die das Deprimierende in Schmerzen verwandeln, bin ich wenig gemacht, diese großen Anforderungen des Lebens zu bestehen. Ich rette mich, soweit ich es vermag, in die Arbeit« 55 . Dazu pflegten Kurt und Helen Badt einige Freundschaften, unternahmen Kunstfahrten, etwa nach Winterthur, wo Delacroix’ »Betende Magdalena« hing, die einmal ihm selbst gehört hatte. Mehr und mehr lähmten den Achtzigjährigen resignative Stimmungen. Die Arbeit, an der er sitze, habe Dimensionen angenommen, auf die er nicht vorbereitet war: »Da sie weder kommunistisch noch sozialistisch noch soziologisch ›vor‹-orientiert ist, sondern um das Verständnis der Kunstwerke aus ihren Strukturen bemüht ist (wie alle meine Arbeiten)«, sei sie wohl »schon vor ihrem Erscheinen in der Welt der Adorno-Marcuse etc. lebendig-tot! « 56 In den frühen siebziger Jahren wurde bei Helen Badt eine seltene hämatologische Erkrankung diagnostiziert. Ihre Unheilbarkeit führte Badt, dem der Gedanke an Freitod wohl vertraut war, erneut an den Rand seiner Existenz. In dieser Situation schrieb Helen Badt an die »Lieben Verwandte[n] und Freunde«: »[...] seit meinem 14. Lebensjahr war ich an Kurt Badt gebunden, habe dann mit ihm 36 herrliche Jahre verbracht und will ein gutes Ende für sie finden [...] so ist mir der Gedanke unerträglich ich könnte ein Pflegefall und Anderen eine Last werden. Schon die Vorstellung, dass sich die plötzlich ausgebrochene Krankheit lange hinzieht, wir auf fremde Menschen angewiesen sind und ich vielleicht nie wieder voll arbeitsfähig werde, ist mehr, als ich ertragen kann. Kurt kann ohne mich nicht leben - und so folgen wir dem Vorbild vieler Anderer, ganz klaren Kopfes und ohne Selbstvorwürfe« 57 . <?page no="190"?> 189 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt Die beiden begannen mit der Ordnung der letzten Dinge und bestimmten die Empfänger für Badts Bibliothek und künstlerisches Werk, an ihre Haustüre hängten sie ein Schild mit der Aufschrift »Bitte nicht stören«. Am 22. November 1973 gingen sie gemeinsam in den Tod. Ein Grab existiert nicht; ihre Leichen vermachten sie der Anatomie. »Auch für uns war diese plötzliche Entscheidung der Beiden eine sehr harte Probe«, schrieb Tochter Totta verh. Loew an einen Vertrauten Badts, »aber sie haben gewiss den richtigen, und wie Sie sagen, dem Denken meines Vaters gemäßen Weg gewählt - wir müssen schweigen, verstehen - annehmen und das Andenken der Beiden im Licht des Lebens bewahren« 58 . Anmerkungen 1 Hg. von Manfred Bosch, Konstanz 2012. 2 Gebundenes Manuskript o. T., datiert London 1941. Nach dem Titelmotto »Ars totum procedit ex amore«. NL Badt im Universitätsarchiv Konstanz, o. Sign., S. 32. Kurt Badt an seinem Schreibtisch (um 1960) <?page no="191"?> 190 Manfred Bosch 3 Ebd., S. 30. 4 Kurt Badt, Geistige Strömungen meiner Zeit, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft XXXV (1990), S. 195. 5 Ebd., S. 211. 6 Ebd., S. 195 ff. 7 Wie Anm. 2, S. 17. 8 Ebd., S. 35. 9 Ebd., S. 16 f. 10 Rudolf Schottländer, Trotz allem ein Deutscher. Mein Lebensweg seit Jahrhundertbeginn. Freiburg 1986, S. 18. 11 Zit. nach Rudolf-Arnheim-Forum, www.sozpaed.fh-dortmund.de. 12 Brief an Totta Loew, 15. 1. 1948. NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 13 Wie Anm. 1, S. 132. 14 Ebd., S. 132. 15 Ebd., S. 179. 16 Ebd., S. 238. 17 Ebd., S. 239. 18 Ebd., S. 245. 19 Ebd., S. 247. 20 Ebd., S. 249. 21 Ebd., S. 249. 22 Ebd., S. 262 f. 23 Ebd., S. 254. 24 Kurt Badt an Ferdinand Bulle, 19. Mai 1935. NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 25 Ders. an Ferdinand Bulle, 26. Juni 1934. NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 26 Siehe den Vergleich Badt/ Weber vom 27. April 1949, StAF F 200/ 7, Nr. 3615. 27 Ella Badt an Totta, 2. September 1937; NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 28 Paul Weber an Totta, o. D. [um 1949], NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 29 Ella Badt, Eidesstattliche Versicherung vor dem Notary Public of New Jersey am 20. Dezember 1957, StAF F 196/ 1, Nr. 4944. 30 Ella Badt an Totta, 1. Oktober 1939, NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 31 Ella Badt an Totta, 21. November 1940. NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 32 Ella Badt an Totta, 23. März 1966. NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 33 Nach den Notizkalendern im NL Badt, Universitätsarchiv Konstanz 34 Wie Anm. 2, S. 3 35 Kurt Badt, Eidesstattliche Versicherung vom 3. Juli 1952. StAF F 196/ 1 Nr. 4944 36 Wie Anm. 2, S. 3 <?page no="192"?> 191 Das Gut Rimpertsweiler des Kurt Badt 37 Badt an Udo Rukser, 9. April 1945, NL Rukser im Institut für Zeitungswissenschaft, Dortmund. 38 Notizkalender der Jahre 1940 und 1941, NL Badt im Universitätsarchiv Konstanz. 39 Rudolf Arnheim, Notes on the Imagery of Dante’s Purgatorio, in: Martin Gosebruch/ Lorenz Dittmann (Hg.), Argo. Festschrift für Kurt Badt zu seinem 80. Geburtstag am 3. März 1970. Köln 1970, S. 9. 40 Kurt Badt, Vier Städte. Geist und Gestalt. Berlin 1959, S. 129. 41 Kurt Badt an Totta, 15. Januar 1948, NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 42 Kurt Badt an Rukser, 25. Mai 1944, NL Rukser, Institut für Zeitungswissenschaft, Dortmund. 43 Rudolf Schottländer an Kurt Badt, 21. Dezember 1951, NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 44 Restitutionsprozess vom 8. September 1950 vor dem Landgericht Konstanz; vgl. StAF F 196/ 1, Nr. 4944 und F 200/ 7 Nr. 3615. 45 Vgl. StAF F 200/ 7 Nr. 3615. 46 Udo Rukser an Badt, 20. Februar 1946, NL Rukser, Institut für Zeitungswissenschaft, Dortmund. 47 Arnold Rothe an den Verf.; Mail vom 24. Juni 2006. 48 Gertrud Bing an Kurt Badt, 19. Dezember 1956, NL Badt, Universitätsarchiv Konstanz 49 Kurt Badt an Udo Rukser, Frühjahr 1946, NL Rukser, Institut für Zeitungswissenschaft, Dortmund. 50 Kurt Badt, Die Formen des Neuen, in: Der Monat 16 (1964) H. 191, S. 72-78, hier S. 72. 51 Peter Betthausen u.a. (Hg.) Metzler Kunsthistoriker Lexikon. Stuttgart/ Weimar 1999, S. 4. 52 gr., Ein großer Kunsthistoriker und aufrechter Deutscher. Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes an Dr. Kurt Badt in einer Feierstunde im Rathaussaal, in: Südkurier, Ausgabe Überlingen, 9. Dezember 1962. 53 Kurt Badt an Lorenz Dittmann, 26. November 1969, NL Badt, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg. 54 Kurt Badt an Lorenz Dittmann, 17. Juli 1968, NL Badt, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg. 55 Kurt Badt an Lorenz Dittmann, 10. Januar 1966. NL Badt, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg. 56 Kurt Badt an Lorenz Dittmann, 10. Juni 1972. NL Badt, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg. 57 Helen Badt, 19. November 1973. NL Badt, Archiv Bodenseekreis, Salem. 58 Totta Loew an Rudolf Kuhn, Neujahr 1973, NL Badt, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg. <?page no="193"?> Hauptgebäude des Winkelhofs <?page no="194"?> 193 »Unterricht unter den Pflaumenbäumen« Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen Im Gewann Riedetsweiler zwischen Untersiggingen und dem Gehrenberg steht auf einer Anhöhe das Gut Winkelhof. In seiner heutigen Gestalt wurde es 1909 von dem kunstsinnigen Landwirt und Gutsbesitzer Karl Georg Rothweiler auf den Fundamenten eines abgebrannten Vorgängerbaues errichtet. Der Architekt des stattlichen Gebäudes im Fachwerkstil war Werkmeister Max Baur aus Salem. Rothweiler stammte aus dem württembergischen Unterland; geboren war er 1871 in Linsenhofen (Gemeinde Frickenhausen bei Nürtingen). Über den Knöbelhof in Mariabrunn im Oberamt Tettnang war er nach Markdorf gekommen, wo er 1906 seine Frau Luise geheiratet hatte. 1 Rothweiler kehrte - wahrscheinlich aufgrund einer Vergiftung mit Gas - mit einer Lungenverletzung aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Bei seinem Tod im September 1921 hinterließ er drei Söhne, ein viertes Kind war früh gestorben. Da Luise Rothweiler nicht mehr in der Lage war, den Hof selbst zu bewirtschaften und außerdem während der Inflation wohl auch Geld verloren hatte, verkaufte sie den Winkelhof 1924 an Lilli und Ludwig Ehrlich, die Der Winkelhof zur Zeit von Karl Rothweiler (1909 -1921) <?page no="195"?> 194 Oswald Burger hier ein Kinderlandheim einrichteten. Sie führten es bis zu ihrer Emigration im Jahre 1937 - wenn auch seit 1933 unter großen Schwierigkeiten und zuletzt nur noch als Ausbildungsstätte für Palästinaauswanderer. Die Idee von einem Kinderheim Die Reformbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts berührte - neben Fragen von Ernährung und Kleidung über das Wohnen und die Erziehung bis hin zu Kunst und Geschlechterverhältnis - auch das Problem der Waisenfürsorge. Von ihm sahen sich auch Lilli Ehrlich geb. Landé (1892-1981) und ihre Freundin Käthe Hamburg (1893-1951) herausgefordert. Sie lehnten die damals üblichen Waisenhäuser ab und entwickelten die Idee, Waisen und Kinder aus problematischen Verhältnissen in einer »zweiten Familie« aufwachsen zu lassen. Dazu schienen ihnen Einrichtungen mit eigener Landwirtschaft besonders geeignet, weil hier ein Aufwachsen in gesunder Umgebung möglich war; auch strebten die beiden Frauen an, die Kinder in ihrem Sinne selbst zu erziehen und zu unterrichten. 2 Louise Landé, die ihren Vornamen später in Lilli abwandelte, wurde am 2. Oktober 1892 in Schneidemühl (heute Piła) in Posen- Westpreußen geboren. Ihr Vater Paul Landé, Landgerichtsrat und Verfasser eines Standardwerks über das »Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten« sowie Mitarbeiter an einem Rechtslexikon, gehörte zu den Honoratioren der Provinzhauptstadt. Er und seine Frau Maria geb. Lipmann hatten sich vor der Hochzeit evangelisch taufen lassen, betrachteten diese Maßnahme jedoch lediglich als Entrebillet in die bürgerliche Gesellschaft, weshalb sie ihre Kinder auch nicht religiös erzogen. Lilli, die mit ihrem älteren Bruder Walter und der jüngeren Schwester Grete behütet aufwuchs, besuchte die höhere Mädchenschule in Schneidemühl und - nach der Übersiedlung der Familie - in Wilmersdorf. Das Christentum lernte Lilli erst in der Schule kennen; um sie vor antisemitischen Anfeindungen zu schützen, wurde sie erst im Alter von 12 Jahren mit ihrer Herkunft konfrontiert. 1913 schloss sie das Lehrerinnenseminar mit Examen ab; von 1913 bis 1915 studierte sie in Göttingen und Berlin Mathematik und Physik. Ob sich damit je konkrete Berufsziele verbanden, ist ungewiss. <?page no="196"?> 195 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen Ihre berufliche Tätigkeit jedenfalls begann Lilli Landé als Erzieherin in einem Landerziehungsheim in Trebschen östlich der Oder (heute Trzebiechów), das vermutlich nach den Grundsätzen des Reformpädagogen Hermann Lietz (1868-1919) geführt wurde. Hier machte sie die Bekanntschaft mit Wandervogel-Bewegung und Vegetarismus, nach dessen Grundsätzen sie sich ihr weiteres Leben lang ernährte. Zum ersten Mal fand sie hier auch Bedingungen vor, wie sie sie schon damals für die Erziehung als wünschenswert erachtete: Abgeschiedenheit und Distanz zur »Pestluft« der Großstädte sollten negativen Einflüssen vorbeugen und so etwas wie einen Schonraum, eine »pädagogische Insel« garantieren. Noch während des Ersten Weltkriegs, dessen Beginn sie in Berlin erlebte und dessen begeisterte Aufnahme sie nicht nachvollziehen konnte, entschied sich Lilli Landé, in einem eigenen Landerziehungsheim für Pflegekinder aus Waisenhäusern zu sorgen. Nicht um privilegierte Kinder, sondern um die »Ärmsten der Armen« wollte sie sich künftig kümmern. So absolvierte sie beim »Verein für Mutter- und Kindesrecht« in Berlin einen Säuglingspflegekurs und gründete im August 1916 in Hochzeit (heute Osieczno, Polen; damals im Kreis Arnswalde in der Neumark) an der deutsch-russischen Grenze ihr erstes Kinderheim in einem kleinen Fachwerkhaus mit zwei Zimmern. Unterstützt wurde sie dabei von einem Freundeskreis, dem späteren »Verein für Kinderlandheime«; er war im April 1921 von ihr selbst und Käthe Hamburg gegründet worden. Den Vorsitz übernahm Dr. Olga Hempel, Freiburg; Schriftführerin war Lilli Landé und Kassenwart Käthe Hamburg 3 . Zusammen mit einer Helferin betreute Lilli Landé zunächst drei Säuglinge. Die ersten Waisen waren Hans, Elle und Werner aus Berlin; zu ihnen gesellten sich Oke aus Schweden und Mieze, deren Mutter bei der Geburt gestorben war. Als Lilli Landés Heimat nach Kriegsende Polen zugeschlagen wurde, flüchtete sie mit ihren Schützlingen zu den Eltern nach Berlin. Über eine Freiburger Tante fand sie am entgegengesetzten Ende Deutschlands, in Himmelreich bei Buchenbach im Breisgau, einen neuen Unterschlupf. Im März 1918 bezog sie mit fünf Kleinkindern und zwei fünfzehnjährigen Helferinnen eine hübsche Villa, die sie von einer Gönnerin geschenkt bekam. Das stattliche Haus im Schwarzwaldstil verfügte über sieben Zimmer, eine große Küche, zwei Veranden und einen großen Garten, der genügend Platz zum Spielen und für Gemüsebeete zur Selbst- <?page no="197"?> 196 Oswald Burger versorgung bot. Zusätzlich zu den fünf Kindern nahm Lilli Landé ein sechstes aus Berlin und vier weitere aus einem Freiburger Waisenhaus auf. Die Helferin und die freiwilligen Mädchen arbeiteten für Kost und Logis. Auch Lilli Landés Freundin Käthe Hamburg bezog ein Zimmer in der Buchenbacher Villa und gründete mit drei Säuglingen eine zusätzliche Familie. Finanziert wurde der Betrieb zum Teil durch Pflegegelder, zum Teil über Spenden, die wiederum durch den »Verein für Kinderlandheime« eingeworben wurden. Lebensmittel kamen auch von den Bauern aus der Umgebung, die die beiden Freundinnen einsammelten, indem sie mit dem Rucksack von Haus zu Haus zogen. Eine ihrer Betteltouren führte Lilly Landé auf den »Markenhof« bei Kirchzarten, wo seit 1919 Landwirtschaft mit angeschlossener Ausbildung im Sinne der Hachschara (d. h. Vorbereitung jüdischer Auswanderungswilliger auf Palästina) betrieben wurde 4 . Auf diesem »ersten Kibbuz deutscher Juden« arbeitete als Obergärtner Julius Ehrlich. Er war am 6. März 1890 in Berlin als Sohn des Oskar Ehrlich und dessen Ehefrau Margarete geb. Pulvermacher geboren und laut Geburtsurkunde »mosaischer« Religion. Nach der Mittleren Reife hatte er von 1907 an in Charlottenburg eine Lehre in der Die Villa in Buchenbach im Schwarzwald <?page no="198"?> 197 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen ehemaligen Königlichen Schlossgärtnerei absolviert und nach einer Gehilfenzeit an verschiedenen Orten Deutschlands die Staatliche Gärtnerlehranstalt in Dahlem besucht. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er vier Jahre lang als Frontsoldat in Nordfrankreich und Belgien teilnahm, arbeitete Ehrlich wieder in seinem Beruf, der ihn nach verschiedenen Anstellungen in den Breisgau führte 5 . Den Sorgen Lilli Landés stand Ehrlich verständnisvoll gegenüber. Er versorgte sie mit Gemüse, besuchte sie in ihrem Heim und las den Kindern aus seinen Lieblingsbüchern vor. Dass sie beide in Berlin gelebt hatten, im Wandervogel gewesen und außerdem Vegetarier waren, bildete die Grundlage für die gegenseitige Verständigung, sodass sie sich auch menschlich bald näherkamen. Als Käthe Hamburg mit ihrer »Familie« aus der Buchenbacher Villa wieder auszog, um in Oberwihl bei Säckingen ein eigenes Heim zu gründen, entschlossen sie sich, ein gemeinsames Anwesen mit angeschlossener Landwirtschaft zu suchen. In der Nähe von Donaueschingen wurden sie fündig; in Unterbaldingen stand das ehemalige Gasthaus »Zur Sonne« zum Verkauf. 1922 veräußerte Lilli Landé ihr Anwesen in Buchenbach und erwarb das einfache Landhaus auf der Baar. Julius Ehrlich übernahm die Geschäftsführung und wurde für die Kinder zum »Vater«, während Lilli Landé den Kreis ihrer zehn Pfleglinge erweiterte. Neu dazu kamen jetzt Karl, genannt Christel, aus einem Säuglingsheim in Donaueschingen, und Gisela, genannt Gila, aus Berlin. Im Februar 1924 feierten Lilli Landé und Julius Ehrlich im Kreis der Kinder Hochzeit. Als die vier ältesten Pfleglinge ins schulpflichtige Alter kamen, bedurfte es einer Einzelunterrichtserlaubnis, die Lilli Ehrlich auf Antrag des Badischen Unterrichtsministeriums erteilt wurde. So kam zum bisherigen Kinderheim noch eine Heimschule. Da Lilli Ehrlich wenig von der damals üblichen Dorfschulpädagogik mit Drohungen, Strafen und Sitzenbleiben hielt, vertraute sie auf die »Langermannsche Methode«, mit deren Hilfe sie den Kindern Zählen, Rechnen, Lesen und Schreiben beibrachte. Offenbar machte das Lernen den Kindern Spaß; sie erfuhren jedenfalls individuelle Betreuung und Förderung. <?page no="199"?> 198 Oswald Burger Das Kinderheim Winkelhof Das Unterbaldinger Anwesen stieß mit der Zeit an seine Grenzen. Mitten im Ortskern an der Hauptstraße gelegen, waren die landwirtschaftlichen Anbauflächen nur klein und der Boden wenig fruchtbar. So machten sich Lilli und Julius Ehrlich erneut auf die Suche nach einem geeigneten Ersatz und stießen durch eine Anzeige auf das Gut Winkelhof. Es lag auf einer Waldlichtung abseits von Untersiggingen bei Markdorf, umfasste über 20 Hektar Land, ein großes Wohnhaus und großzügige Wirtschaftsgebäude. Dieses Anwesen erwarben sie im Herbst 1924 mit Hilfe des »Vereins für Kinderlandheime«, der seinen Sitz inzwischen in Ulm hatte; auf ihn wurde das Anwesen im Grundbuch eingetragen. Dem Vorstand gehörten damals neben dem Ehepaar Ehrlich der Kaufmann Fritz Essinger in Ulm und Käthe Hamburg an, die einige Jahre später mit dem Waldhof bei Herrlingen ein Heim für mittellose Kinder gründen sollte. Julius Ehrlich war seiner Funktion nach auch hier wieder Geschäftsführer. Finanziert wurde der Betrieb durch die Einnahmen aus dem Hof und durch Pflegegelder; sofern diese nicht ausreichten, sprang der »Verein für Kinderlandheime« ein. Weiteres geht aus den Akten zur späteren »Wiedergutmachung« hervor: »Wie die dem Antrage der Ehefrau beigefügten Unterlagen ergeben, hat Julius Ehrlich mit seiner Frau [...] freie Station auf dem Gute gehabt, auch freie Wohnung in drei Zimmern und Gehalt erhalten, das der zuverlässige Zeuge Eher, ein selbständiger Gärtnereibesitzer in Winkelhof, auf 350.- bis 450.- RM für beide zusammen schätzt«. 6 Das stattliche Anwesen war von ausreichend Feldern, Wiesen und Obstbäumen umgeben. Auf drei Seiten begrenzte eigener Wald den Blick, nur nach Westen konnte man nach Untersiggingen, ins Salemer Tal und zum Heiligenberg blicken. Das Anwesen war so schwer erreichbar, dass der Lastwagen die Habseligkeiten der großen Familie im nahen Wendlingen ausladen musste, von wo alles eine halbe Stunde weit bis zum Winkelhof geschafft wurde. Der landwirtschaftliche Betrieb umfasste 20 Kühe und vier Pferde; eine große Hühnerschar deckte den Bedarf an Eiern. Schweine wurden aufgrund der vegetarischen Lebensweise keine gehalten; doch belebten etliche Hunde und Katzen Hof und Garten. Im Gemüsegarten hatte jedes Kind sein eigenes Beet, für das es verantwortlich war. <?page no="200"?> 199 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen Bei den landwirtschaftlichen Arbeiten mussten alle mit anpacken - sei es beim Heuwenden, bei der Getreideernte, beim Dreschen oder Kartoffellesen. Alle Produkte wurden auch selbst verarbeitet: es wurde Brot gebacken, Milch verbuttert, Käse hergestellt. Überschüssige Erzeugnisse konnten über den genossenschaftlichen Großhandel verkauft werden, Mangelndes wurde beim Einzelhändler in Markdorf zugekauft. Der Betrieb der Landwirtschaft, des Haushalts und des Kinderheims auf dem Winkelhof konnte nur dank der Mithilfe junger Leute aufrechterhalten werden, die wie schon in den früheren Domizilen gegen freie Kost und Logis arbeiteten. »Wir arbeiteten mit Hilfe freiwilliger Helfer und Helferinnen aus der Jugendbewegung« 7 , präzisierte Lilli Ehrlich in einem Lebenslauf. Die einzige Helferin, die die gesamten 13 Jahre auf dem Winkelhof blieb, war Lucie Lange. Den rund zwanzig Bewohnern des Winkelhofs standen genügend Zimmer zur Verfügung, im Erdgeschoss eine geräumige Küche, ein großer Aufenthaltsraum, der als Spiel-, Wohn- und Schulzimmer diente, sowie zwei Kinderschlafzimmer. Im Obergeschoss gab es ein weiteres Spielzimmer für die Kleineren, Platz für ein Büro und drei Schlafzimmer für Erwachsene und Kinder; der Dachboden war in Kammern für die Helfer abgeteilt. Eine Waschküche im Keller diente als Wasch- und Baderaum - sie wurde von Julius Ehrlich ausgebaut. Eine Zentralheizung gab es nicht; die Räume mussten durch Öfen beheizt werden. Die Einrichtung war einfach, aber zweckmäßig: jedes Kind hatte ein Bett mit einer Seegrasmatratze (nicht mit einem Strohsack, wie damals noch üblich), die Wäsche lagerte in Regalen auf den Fluren. Elektrisches Licht wurde erst Jahre nach dem Einzug installiert. Feldarbeit auf dem Winkelhof <?page no="201"?> 200 Oswald Burger Zu den zwölf Waisenkindern gesellten sich alsbald zwei eigene Kinder: Peter, geboren am 25. April 1925 in Freiburg, und Miriam (Marianne), geboren am 19. November 1926 in Berlin. Zusätzlich nahmen die Ehrlichs 1934 noch den wenige Monate alten Säugling Eva an Kindesstatt auf. Seine Eltern Dorothea und Paul Abramowitz aus Berlin wollten Deutschland verlassen, und so habe seine Großmutter das Kind Lilli Ehrlich mit der Bitte übergeben: »Paß mal auf das Kind auf, bis die Eltern wieder kommen« 8 . Zunächst waren Lilli Ehrlichs Eltern wenig erbaut von der Idee ihrer Tochter, ein Kinderheim zu gründen. Doch den Winkelhof unterstützten sie später tatkräftig: Sie verbrachten auf ihm ihre Ferien, ließen sich zu diesem Zweck das »Opahäusle« in der Nachbarschaft herrichten und verbrachten viel Zeit mit den Kindern. Hans brachte Geheimrat Landé das Schachspielen und Pilzesammeln bei. Wie den Akten zu entnehmen ist, übernahm Landé auch die laufenden Rückzahlungen der Hypothek, die zum Kauf des Winkelhofs aufgenommen worden war. Wie sich der Nachbar des Winkelhofs August Auer erinnert, muss Landé um 1935 herum gestorben sein; er soll in einem Sarg über Meersburg nach Konstanz ins Krematorium gebracht worden sein. Lilli Ehrlich übernahm auch auf dem Winkelhof den Unterricht für die Kinder. Das große Wohnzimmer im Erdgeschoss wurde je- Unbeschwerte Kindheit auf dem Winkelhof <?page no="202"?> 201 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen den Morgen zum Klassenzimmer. Für die Kleineren dauerte der Unterricht in der Regel eineinhalb bis zweieinhalb Stunden, für die Größeren den ganzen Vormittag. Nachmittags lernten die Kinder beim Spiel oder durch Beschäftigung in der Landwirtschaft. Für Sport, Spiel und Feste boten die Wiesen und Wälder rings um das Haus zahlreiche Gelegenheiten. Die Kinder bauten Baumhäuser, badeten im Bach, fuhren im Winter Ski oder Schlitten. Ausflüge bis an den Bodensee, ins Salemer Tal, hinauf zum Schloss Heiligenberg standen auf der Tagesordnung, ebenso auf den Gehrenberg oder zum Illmensee, und gelegentlich führten Wanderungen sogar bis in die Alpen. Lilli Ehrlich war für Brett- und Kartenspiele zuständig, ihr Mann übte mit den Kindern Theaterstücke ein. An Weihnachten stand stets ein Krippenspiel auf dem Programm. Gelegentlich machten die Kinder auch Ferien in Käthe Hamburgs Waldheim bei Herrlingen. Beim Unterricht hielt sich Lilli Ehrlich an den Lehrplan der Dorfschule, wie es in der Einzelunterrichtserlaubnis des Ministeriums vorgeschrieben war. Den Älteren gab sie zusätzlich Englisch- Unterricht. Bei schönem Wetter fand der Unterricht im Sommer »unter den Pflaumenbäumen« statt. Wenn es während der Erntezeit viel zu tun gab, fiel der Unterricht auch einmal aus - die versäumten Stunden wurden dann bei schlechtem Wetter nachgeholt. Unterricht unter den Pflaumenbäumen <?page no="203"?> 202 Oswald Burger 1926 hob das zuständige Schulamt nach einer Inspektion die Unterrichtserlaubnis kurzfristig auf. Das Schreiben des »Ministers des Kultus und Unterrichts« in Karlsruhe vom 17. Mai 1926, über das Kreisschulamt Konstanz an die Ortsschulbehörde Untersiggingen gerichtet, lautete folgendermaßen: »Die mit Erlaß vom 31. März 1923 Nr. l11158 zugelassene Befreiung der schulpflichtigen Kinder des nunmehr im Kinderheim ›Winkelhof‹ bei Untersiggingen betriebenen Unternehmens wird zurückgezogen, da die den Kindern vermittelte Unterweisung den zu stellenden Anforderungen nicht genügt und die erforderlichen Lehrmittel nicht vorhanden sind. Eine Befreiung vom Volksschulbesuch kann nur gewährt werden für solche Kinder, die aufgrund bezirksärztlichen Zeugnisses wegen krankhaften Zustandes die Volksschule nicht besuchen können. Der Unternehmerin des Kinderheims ist hiervon Eröffnung zu machen mit der Veranlassung, die schulpflichtigen Kinder in die Volksschule in Untersiggingen zu weisen.« Ein halbes Jahr lang mussten die Kinder nun die Untersigginger Volksschule besuchen, bis es Lilli Ehrlich gelang, zur Überbrückung eine geprüfte Lehrerin zu gewinnen. Wie schon in den früheren Heimen begleitete Lilli und Julius Ehrlich die ständige Sorge um die wirtschaftliche Grundlage des Hofes. Zwar war seit 1923 die Zuständigkeit der Jugendämter für die Pflegekinder im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz festgeschrieben, doch die vollen Pflegesätze wurden nur für die Hälfte der Kinder bezahlt. Für die anderen war die Zuständigkeit ungeklärt, oder aber das betreffende Jugendamt war nicht zahlungsfähig - von den leiblichen Eltern der Kinder war meist ohnehin nichts zu erwarten. In den Akten der Gemeinde Untersiggingen ist nur für ein einziges Kind die Eintragung in das Pflegekinderverzeichnis nachzuweisen: Unter dem Sammelbegriff »Armenwesen« wurde durch den Bezirksfürsorgeverband Überlingen am 20. Mai 1931 »Leitsch Kurt, geb. 15.12.1929 in Stuttgart« als Pflegling aufgeführt. Erträglicher machten die angespannte finanzielle Situation Spenden von Gönnern im In- und Ausland. Wie sich Karl Eber erinnerte, der von 1931 an für zwei Jahre als Gärtner auf dem Winkelhof arbeitete, schlossen sich die Ehrlichs »mit anderen Kinderheimen zu einer <?page no="204"?> 203 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen Interessengemeinschaft zusammen [...] und zwar aus steuerlichen Gründen und wegen dem Großeinkauf der Lebensmittel« 9 . Zusätzliche Probleme ergaben sich aus Auseinandersetzungen mit den Behörden und der Umwelt, der die Lebens- und Erziehungsstile des Heims fremd waren. Denn die vegetarische Ernährung, die nicht-konfessionelle Erziehung und der pädagogische Stil Lilli Ehrlichs erregten bei der einheimischen Bevölkerung Misstrauen und boten Anlässe für Konflikte. Vor allem der katholische Pfarrer von Untersiggingen scheint gegen die »Norddeutschen« und »Ungläubigen« gehetzt zu haben. Lilli und Julius Ehrlich hegten den Verdacht, dass alle Schwierigkeiten von Behörden, die ihnen gemacht wurden, von diesem Pfarrer ausgingen. 10 Eines der Hauptprobleme des Winkelhofs war die fehlende Elektrizität. Dies jedenfalls stellte der Bezirksjugendrat bei einer Besichtigung im Dezember 1927 fest, bei der auch Landrat Hermann Levinger anwesend war. Dieser setzte sich tatkräftig für die Finanzierung und Versorgung mit Elektrizität auf dem Winkelhof ein. Anfang 1928 richtete er einen Brief an das Badenwerk in Stockach, in dem er um Hilfe bat: Die Besitzer seien, wenn »nicht von anderer Seite Hilfe« käme, »nicht in der Lage […], ihr Anwesen mit Licht und Kraft zu versorgen. Auf dem Winkelhof befinden sich 12 uneheliche arme Kinder, die die Besitzer in den ersten Wochen nach der Geburt zu sich nahmen und mit ausserordentlicher Sorgfalt und Liebe erziehen. Leider sind jedoch die Mittel, die das Besitzerehepaar aufbringen kann, sehr beschränkt; sie bestehen in der Hauptsache aus milden Gaben von Wohltätern und aus dem bescheidenen Zuschuß eines Vereins, der in Freiburg seinen Sitz hat und nur ganz wenige Mitglieder zählt. Von der Gemeinde Untersiggingen wird wohl schon aus grundsätzlichen Bedenken wenig zu hoffen sein«. Die Bitte des Landrats um besonderes Entgegenkommen durch Gewährung günstiger Bedingungen für Strombezug im Interesse »der dort untergebrachten armen Kinder, denen eine schöne Kindheit und eine gute Erziehung fürs Leben zuteil wird«, lehnte das Badenwerk Stockach am 3. Februar 1928 ab. Begründung: es sei eine äußerst geringe Stromabnahme zu erwarten, ein solches Entgegenkommen daher wirtschaftlich nicht möglich 11 . <?page no="205"?> 204 Oswald Burger Hermann Levinger Hermann Levinger war in den Jahren von 1908 bis 1930 erst großherzoglicher Oberregierungsrat des Amtsbezirks Überlingen, dann Landrat des Landkreises Überlingen und damit der dominierende Vertreter des badischen Großherzogs und der Republik Baden im Linzgau. Er war eine für die politische, soziale und kulturelle Entwicklung der Region in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wichtige Persönlichkeit. Er wurde 1865 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Karlsruhe geboren, wechselte aber schon während seines Jurastudiums zum Protestantismus, heiratete eine Christin und war vollständig in die christliche Gesellschaft integriert. Obwohl er Distanz zu den Juden hielt, unterstützte er mit Rat und Tat die Betreiber des Winkelhofs. Nach seiner Pensionierung 1930 zog er mit seiner Frau Maria und seiner Tochter Barbara nach Wiesbaden. Die Tochter hatte unter dem Namen Barbara Lee eine Karriere als Schauspielerin und Schriftstellerin begonnen. Nachdem Maria Levinger 1933 in Wiesbaden verstorben war, wurde auf Grund der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung Hermann Levinger wieder zum »Juden« und Barbara Levinger zur »Halbjüdin«. Um der drohenden Deportation zu entgehen, nahmen sich Vater und Tochter im Dezember 1944 in Wiesbaden das Leben. Maria, Hermann und Barbara Levinger wurden auf eigenen Wunsch auf dem Überlinger Friedhof bestattet. Eine Alternative bot sich mit dem Anschluss des Winkelhofs an das Rebstock’sche Kleinkraftwerk auf dem Engehof in Untersiggingen. Am 10. Januar 1929 bat Landrat Levinger »Seine Durchlaucht Fürstin von Fürstenberg« um die Lieferung billiger Strommasten, worauf das Fürstlich Fürstenbergische Forstamt Heiligenberg am 22. Januar 1929 mitteilte, dass man zu einem Preisnachlass bereit sei. Die Firma Holzindustrie GmbH Meckenbeuren konnte der Landrat bewegen, die Stämme zu Masten zu verarbeiten. Im März 1929 konnte der Landrat dann den Bezirksrat Dr. Seitz von Spetzgart zu einer Spende von 200 Reichsmark bewegen, die der Elektrizitätsversorgung zugutekommen sollte, sobald »er von seiner Ägyptenreise zurück sein wird«. 12 Am 21. April 1929 teilte Julius Ehrlich Landrat Levinger mit, nachdem das Geld von Dr. Seitz an die Forstverwaltung überwiesen worden sei, können nun die Arbeiten beginnen. Über den »Mitinhaber der Darmstädter- und Nati- <?page no="206"?> 205 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen onalbank Herrn Dr. Beheim-Schwarzbach, der unsere Arbeit seit Jahren kennt, hatten wir uns an die AEG um eine Unterstützung gewandt«, fuhr Ehrlich in seinem Schreiben fort und konnte berichten, die Firma habe die »Lieferung eines gebrauchten 3 PS starken Gleichstrom-Motors zum Preise von RM 780.-« angeboten. Den Aluminiumdraht für die Fernleitung hätten sie schon gekauft. Am 13. Juni 1929 notierte Landrat Levinger: »Nach mündlicher Mitteilung des Herrn Ehrlich, der gestern hier vorsprach, sind die Arbeiten z. Zt. im Lauf und werden in den nächsten Wochen vollendet«; und am 12. September 1929: »Nach privater Mitteilung des Hausvaters Ehrlich ist das elektrische Licht bereits eingerichtet. Elektrische Kraft wird demnächst fertiggestellt«. Die Akte »Versorgung des Winkelhofs mit Elektrizität« endet mit der Anweisung: »Auf Anordnung des Landrats sollen Kosten nicht verrechnet werden«. Der Besuch des Bezirksjugendrats Ende 1927 hatte Julius und Lilli Ehrlich wenig später zu einem ausführlichen Brief an Landrat Hermann Levinger bewogen, in dem sich die Situation des Winkelhofs treffend beschrieben findet: »Kinderheim Winkelhof. Post Markdorf. Amt Überlingen. 12. XII. 27 Hochverehrter Herr Geheimrat! Es drängt uns, Ihnen von Herzen dafür zu danken, dass Sie sich persönlich der Mühe unterzogen haben, die Besichtigungskommission zu führen! Dürfen wir doch aus Ihren freundlichen Worten entnehmen, dass Sie keinen ungünstigen Eindruck von unserer Arbeit gewonnen haben! Wir glauben aber, dass wir Ihnen noch nähere Auskunft schuldig sind über Fragen, die neulich nur gestreift werden konnten und die doch zur Beurteilung unserer Sache von Bedeutung sind. Die verhältnismässig grosse Zahl der Erwachsenen bei nur 14 Kindern wäre in der Tat nicht zu rechtfertigen, wenn nicht nur die Kindergärtnerin, die Säuglingspflegerin und die Lehrerin für die Kinder da wären. Die anderen 2 Hilfskräfte sind mit Haushalt, Hausputz, Kochen, Waschen, Backen, Milchwirtschaft für diesen grossen Haushalt nicht nur ausgefüllt, sondern müssen von den anderen Mitarbeiterinnen noch unterstützt werden. Zudem sind unsere Mithelferinnen keine an nur körperliche Arbeit gewöhnte Hausmädchen, sondern freiwillige Hilfskräfte, die, ohne Gehalt zu beanspruchen, ihre ganze Kraft der Sache <?page no="207"?> 206 Oswald Burger zur Verfügung stellen. Alle Erwachsenen unseres Betriebes tun alle vorkommenden Arbeiten nach Massgabe ihrer Fähigkeiten und Kräfte: so sind z.B. während des ganzen Sommers die weiblichen Mitarbeiter zum grossen Teil bei der Feld- und Gartenarbeit mitbeteiligt. Über den Zweck des Vereins müssen wir noch ein paar ergänzende Worte hinzufügen. Als meine Frau und Frl. Hamburg, die Leiterin des anderen Heimes in Herrlingen, mit einigen Freiburger Freunden den Verein f. Kinderheime, e.V. gründeten, geschah es zu dem Zwecke, um die Gemeinnützigkeit der Heime auch formell festzulegen und weil meine Frau und Frl. Hamburg nicht Besitzerinnen der Heime sein wollten sondern nur Mütter und Erzieherinnen ihrer Kinder. Aus diesem Grunde ist für Ausbreitung des Vereins nie viel geschehen, da er seinen Zweck auch mit kleiner Mitgliederzahl erfüllt. So liegt auch die Geschäftsführung des Vereins in unseren Händen und beide Heime wirtschaften selbständig. Ein falsches Bild über unsere Lage fürchte ich dadurch gegeben zu haben, dass ich die Höhe der jährlichen Spenden mit RM 3500.- angab, ohne hinzuzufügen, dass darin die Summe von RM 2000.- enthalten sei, die Herr Geheimrat Landé, mein Schwiegervater, jährl. für Rückzahlung - bezw. Uebertragung auf ihn - der Hypothek hergibt. Wir haben also ausser etwa RM 3500.- an Pflegegeldern nur etwa 1500 - 2000 Mark an unregelmässigen Spenden neben dem geringen Ueberschuss der Landwirtschaft für unseren grossen Betrieb zur Verfügung. Sie selbst haben ja an der einfachen Einrichtung unserer Wohnräume gesehen, wie stark wir durch die finanzielle Not gehemmt sind, alles so herzurichten, wie wir es gern möchten. Da Sie die sehr grosse Freundlichkeit hatten für uns bei der Prinzessin Max [sic! ] und der Fürstin Fürstenberg Interesse wecken zu wollen, erlauben wir uns, Ihnen zu diesem Zwecke zwei Exemplare unserer kleinen Werbeschrift zuzusenden, die mit Ihrer gütigen Hilfe für uns sprechen soll. In der Anlage fügen wir noch einen Brief bei, von dem wir Sie bitten, den Ihnen zweckmässig erscheinenden Gebrauch zu machen. Wir hätten gern auf diesen Brief verzichtet, wenn nicht das fast herausfordernde Benehmen des Herrn Hauptlehrer Taufenbach bei der neulichen Besichtigung uns erneut dazu Veranlassung gegeben hätte. Wir danken Ihnen, sehr verehrter Herr Geheimrat, für Ihr Wohlwollen und zeichnen hochachtungsvoll ergebenst Julius Ehrlich Lilli Ehrlich« 13 <?page no="208"?> 207 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen Am 5. März 1928 verwendete sich Landrat Levinger erneut für den Winkelhof, indem er die »Durchlauchtigste, gnädigste Fürstin zu Fürstenberg in Schloss Heiligenberg« bat, sich den Winkelhof gelegentlich »bei trockenem Wetter wegen des schlechten Wegs« einmal anzusehen, um eventuell zu helfen. Dies sagte die Fürstin umgehend zu, und als Ehrlich im Sommer 1928 in einem verzweifelten Brief an Levinger bekannte, eine Holzschuld über 120 RM an die Fürstin nicht bezahlen zu können, bat dieser erfolgreich um Erlass der Schuld. Das Kinderheim habe sie freilich noch nicht besuchen können, schrieb die Fürstin zurück, »weil ich immer Kinder und Enkel hier habe, werde es aber bestimmt einmal machen. - Anbei sende ich Ihnen das Geld für die Holzschuld. - herzliche Grüße Irma Fürstenberg«. 14 Die finanzielle Situation des Winkelhofs blieb dauerhaft prekär und immer wieder erwies sich Landrat Levinger als treuer Helfer. Der nächste Engpass ergab sich im Dezember 1929, als der »Verein für Kinderlandheime e.V. in Freiburg i. B.« die Grundsteuer in Höhe von 1.428,55 RM nicht aufbringen konnte. Als zur Begleichung der Steuerschuld der Viehbestand gepfändet zu werden drohte, bat Levinger am 10. Dezember 1929 das Finanzamt Überlingen um Verständnis für die Lage des Heims: »Die Gründe dieser mehr als traurigen finanziellen Lage liegen abgesehen von den allgemein üblen wirtschaftlichen Verhältnissen und der oben schon angedeuteten mit Verwalter Ehrlichs Fleiß und gutem Willen nicht übereinstimmenden Unerfahrenheit in land- und geldwirtschaftlichen Angelegenheiten in dem geradezu an Naivität grenzenden Idealismus der Eheleute Ehrlich in der Erfüllung ihrer freiwillig übernommenen Lebensaufgabe. Die im Winkelhof untergebrachten Kinder sind alle unehelicher Abkunft, meist dem trübsten Großstadtsumpf entrissen und mit verschwindend wenigen Ausnahmen ohne jegliche irgendwie zahlungsfähige Angehörige. Es sind tatsächlich die Ärmsten der armen Großstadtkinder, die sich Herr und Frau Ehrlich zur Aufnahme und zur Erziehung in ihrem Heim auswählen. Ich glaube deshalb auch, daß die Pflegegelder mit 27 M im Monat pro Kind eher zu hoch, als zu nieder angegeben sind [...]. Der Landrat. L.«. 15 Damit endet die überlieferte Akte aus dem Bezirksamt. Ein Dreivierteljahr später wurde Landrat Levinger pensioniert, verzog nach Wiesbaden, wurde dort aufgrund seiner jüdischen Herkunft schikaniert und <?page no="209"?> 208 Oswald Burger nahm sich gemeinsam mit seiner Tochter Barbara im Dezember 1944 das Leben. 16 Die Kinder Hans Weber war das erste Kind, das schon in Hochzeit betreut wurde. 1915 in Berlin geboren, war er herzkrank in die Obhut Lilli Landés gekommen; der Vater hatte Tuberkulose und starb früh, die Mutter hatte noch drei andere Kinder und gab Hans in Pflege. Er machte alle Umzüge über Berlin, Buchenbach und Unterbaldingen bis zum Winkelhof mit. Als Zehnjähriger war er für einige Zeit in Berlin bei seiner Herkunftsfamilie, wollte aber unbedingt zu seiner »Mutti« Lilli und seinem »Vater« Julius Ehrlich auf den Winkelhof zurück. Nach der Mittleren Reife in Salem machte Weber eine Lehre als Modellschreiner in Heidenheim. 1948 kehrte er aus britischer Kriegsgefangenschaft heim und suchte eine Bleibe im Deggenhauser Tal. Er heiratete Marianne, die Tochter der Damenschneiderin Roth aus Markdorf, in deren elterlichem Lebensmittelgeschäft in der Hauptstraße die Winkelhöfler eingekauft hatten. Manchmal sei die ganze Kinderschar, erinnert sich Marianne Weber, nach Mark- Lilli als treusorgende Mutti <?page no="210"?> 209 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen dorf hinunter gegangen und mit dem Zug nach Nußdorf an den Bodensee gefahren, wo Ehrlichs eine Freundin hatten, an deren Strand die Kinder baden durften. Hans Weber arbeitete schließlich über 30 Jahre bei einer Friedrichshafener Kohlen- und Ölhandlung. Lilli Ehrlich und Hans Weber schrieben sich oft. 1955 verwandte er sich in der Wiedergutmachungsangelegenheit mit einer dreiseitigen eidesstattlichen Versicherung für seine Pflegeeltern, in der es u. a. hieß: »[Ehrlichs] waren zu mir und auch zu anderen Kindern sehr gut und haben leiblich und seelisch für uns so gut gesorgt, wie es überhaupt nur möglich war [...]. Die Eheleute Ehrlich waren allgemein angesehen und wir Kinder liebten sie«. 17 Lilli Ehrlich nahm das Fotoalbum mit den Bildern ihres Lieblingskindes Hans mit nach Palästina und brachte es ihm anlässlich eines Deutschlandbesuchs nach dem Krieg wieder mit. Hans Weber besuchte Lilli Ehrlich in Israel mehrfach; er starb im April 2007 zweiundneunzigjährig. Else Huhn, genannt Elle, das zweite Kind, stand ihren Pflegeeltern ebenfalls sehr nah. Auch sie zeugte in Wiedergutmachungsangelegenheiten für die Ehrlichs. Diese hätten »auf dem Gut Winkelhof sowohl für uns 12 Pflegekinder als auch für die eigene Familie ein gutes Auskommen« gehabt, »was vorwiegend auf ihrem unermüdlichen Fleiß in der Landwirtschaft beruhte. Ferner kann ich bestätigen, daß Frau Ehrlich als Lehrerin alle Kinder voll unterrichtet hat und dafür Sorge getragen hat, daß die Gutbegabten in bekannten Internaten höhere Schulbildung genießen konnten. So habe ich z. B. in der Schule Schloß Salem, mit dessen damaligem Leiter Herrn Kurt Hahn Ehrlichs befreundet waren, nach fünfjähriger Schulzeit das Abitur gemacht. Drei weitere Pflegegeschwister waren bis zur mittleren Reife dort«. 18 Else Huhn studierte ab 1935 Medizin, lebte als Ärztin in Berlin und starb erst vor wenigen Jahren. Werner Schulz, das dritte Pflegekind, war Waise und hatte als geistig Behinderter Schulprobleme. Im April 1932 verursachte er beim Zündeln einen Brand im Ökonomiegebäude. 19 Die Gebäudeversicherungsanstalt Karlsruhe zahlte dem Verein für Kinderlandheime e.V. für den Schaden 1.500 RM. Werners »Strafe« bestand in der Aufgabe, ein halbes Jahr lang das Feuer in allen Öfen anzuzünden - von da an habe er nie mehr gezündelt! Im »Dritten Reich« sterilisiert, half ihm sein Winkelhof-»Bruder« Hans nach dem Krieg beim Bau eines eigenen Hauses in Untersiggingen; er heiratete und konnte ein Kind adoptieren. <?page no="211"?> 210 Oswald Burger Oke wurde Schäfer und blieb ebenfalls in Untersiggingen wohnen, Karl (Christel) wurde Landwirt in Donaueschingen, Walter wurde Töpfer und Rolf Kabus Hausangestellter in Heiligenholz. Die Mädchen gingen als Hausangestellte in verschiedene Familien. Hetta und Gisela machten eine Krankenschwesternausbildung. Gisela Lohse arbeitete als Säuglings- und Kinderkrankenschwester in Berlin, wo sie heute in einem Pflegeheim lebt. Auch Gertrud, die früh heiratete, lebt in einem Hospital in Berlin. Käthchen ging als Hausmädchen zu einer Ärztin ins Bayerische, sie war auch in der nachfolgenden Generation in Stellung und genießt nun dort ihren Lebensabend. Anni lebte in München. Evchen, die 1934 geborene Jüngste, war jüdischer Herkunft. Sie blieb bei Ehrlichs und begleitete sie nach Israel, wo sie ein hartes Leben erwartete. Sie lebt noch immer dort und sagt, es habe ihr nichts Besseres passieren können, als diese Eltern zu finden. Eva heiratete in Israel Konrad Reif, der aus Tschernowitz stammte, und lebt in der Nähe von Tel Aviv. Julius und Lilli Ehrlich vor dem Winkelhof <?page no="212"?> 211 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen Im »Dritten Reich« 1933, »kurz nach Hitlers Regierungsantritt«, wurde das Heim vom Jugendamt geschlossen, »den Kindern« somit »die Heimat genommen und uns die Lebensaufgabe und der Unterhalt«. 20 Es gelang Lilli Ehrlich offenbar, allen Kindern Lehr- und Arbeitsstellen zu verschaffen - die Ferien verbrachten sie weiterhin auf dem Winkelhof. Auch wenn er kein »jüdisches« Kinderheim war, so wussten doch alle, dass Ehrlichs Juden waren - und die hätten »einander gesucht und gefunden«, wie Marianne Weber sich ausdrückt. Das habe für Kurt Hahn wie für den Markdorfer Arzt Dr. Schmidt gegolten, der eine jüdische Frau hatte und Hausarzt auf dem Winkelhof war. Im Übrigen seien die Winkelhöfler nicht in allen Geschäften bedient worden; freundlich behandelt worden seien sie im Lebensmittelgeschäft Ritter und im Eisenwarengeschäft Schneider. Lilli Ehrlich ermöglichte in den dreißiger Jahren auch Erwachsenen die Ansiedlung auf dem Winkelhof. Einer von ihnen war der arbeitslose Schlosser Hubert Voß aus Wanne-Eickel, dem sie 1933 ein Stück Land abtrat, damit er darauf etwas Gartenbau betreiben konnte. 21 Auch die Gärtnerei von Karl Eber und die Baumschule Mellmann entstanden auf dem Gelände des Winkelhofs, übrigens unter tatkräftiger Mithilfe der Kinder. Nach dem Entzug der Erziehungserlaubnis wurden jüdische Emigranten in die Praxis landwirtschaftlicher Arbeit eingewiesen und auf eine Existenz in Palästina vorbereitet, wie es Voraussetzung für eine Einwanderung war. Die eigentlichen Schwierigkeiten begannen für die Ehrlichs, als die Partei einen Nachbarn auf den Winkelhof zur »heimlichen Beaufsichtigung« ansetzte. »Die SA machte eine Haussuchung«, schrieb Lilli Ehrlich, »mein Mann wurde aufs Landratsamt vorgeladen und ihm Schutzhaft angedroht«. 22 Als Lilli und Julius Ehrlich 1936, um weiteren Schikanen zu entgehen, auch die jüdischen Praktikanten entlassen mussten 23 , entschlossen sie sich, angesichts der zunehmenden Verfolgung den Winkelhof aufzugeben und selbst nach Palästina auszuwandern. Nachdem das Anwesen am 13. April 1937 an »freundliche Bauersleute aus dem Württembergischen« 24 verkauft worden war, besuchten sie noch einmal ihre Freundin Käthe Hamburg in Herrlingen, die zwei Jahre später ihrerseits Waldheim verkaufen und nach England auswandern sollte, wo sie 1951 starb. Von Waldheim aus verfassten Lilli und Julius <?page no="213"?> 212 Oswald Burger Ehrlich am 30. April 1937 einen Abschiedsbrief, in dem es hieß, dass ihre Schützlinge »so leidlich untergebracht« seien. Und mit Blick auf sich selbst schrieben sie: »Wir gehen voll Zuversicht in das neue Land und das neue Leben. Wenn unseren Plänen Verwirklichung beschieden ist, so soll dort drüben ein zweiter Winkelhof werden«. 25 Am 5. Mai 1937 verließen Lilli und Julius Ehrlich mit ihren eigenen Kindern Peter und Marianne und dem »halbjüdischen« Pflegekind Eva über Friedrichshafen und München Deutschland und schifften sich in Triest nach Haifa ein. »[...] die Ausreise musste überstürzt erfolgen, weil ein Termin festgesetzt war, bis zu welchem nur noch Vermögenswerte mitgenommen werden durften«, erinnerte sich Karl Eber. »Aus diesem Grunde musste die Fam. Ehrlich ihre gesamte Wohnungsreinrichtung, die Heimeinrichtung bestehend aus 40 Betten und die Bibliothek überstürzt verkaufen und sogar teilweise verschenken. So weiss ich noch, dass Oberbetten um 5 Mark verkauft worden sind. Körbvollweise wurden Bücher an Interessenten weit unter Wert abgegeben und viele Bücher mussten noch verschenkt werden, um nur den Termin für die Auswanderung einhalten zu können«. Außerdem wollten Ehrlichs ein eingerichtetes Sommerhäuschen mitnehmen, das sie für die Ausreise zerlegen ließen, jedoch ebenfalls zu Schleuderpreisen verkaufen mussten, »da die Fam. Ehrlich nur eine Seekiste mitnehmen durften [! ]«. 26 Lilli Ehrlich selbst gab an, einen Teil ihrer »Einrichtung mit einer großen Bibliothek im Werte von insgesamt 6000 RM [...] für 200 RM« verkauft zu haben. Hiervon habe der seinerzeitige Käufer des Hofes einige Möbelstücke für 50 RM gekauft. 27 In Palästina gedachten sich die Ehrlichs in einem Moschav einzukaufen, Landwirtschaft zu betreiben und wieder Pflegekinder aufzunehmen. Doch ihre neue Existenz im Moschav »Tel Adaschim« in der Nähe von Nazareth war überaus bescheiden. Sie gründeten eine Baumschule und bauten Obst und Blumenzwiebeln an; ihre Erziehungsarbeit konnten sie in Unkenntnis der hebräischen Sprache »nur in kleinstem Massstab fortsetzen«. 28 Bevor Julius Ehrlich im Frühjahr 1948 endlich eine auskömmliche Stellung antreten konnte, war sein Verdienst so gering, dass er nicht einmal zur Steuer veranlagt wurde. »Ich habe selbst Julius Ehrlich und seine Frau Lilli (Louise) geb. Landé einige Male besucht und habe mich überzeugt, daß der landwirtschaftliche Betrieb ein sehr primitiver ist«, urteil- <?page no="214"?> 213 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen te Lillis Bruder Rudolf Landé im Zuge der »Wiedergutmachung«. »Die Gebäude sind im Vergleich zu einem Bauernhof in Deutschland außerordentlich klein, unscheinbar und sehr einfach«. 29 »Frau Lilli Ehrlich und ihr Ehemann«, wandte sich der Ravensburger Rechtsanwalt Dr. Günther Grzimek, der mit der Abwicklung der »Wiedergutmachung« beauftragt war, Mitte der 50er Jahre an die zuständige Stelle, »haben sich [...] bei der sehr schweren Arbeit auf dem Hofe in Israel sehr verbraucht und bedürfen ganz dringend der Hilfe durch die Entschädigungssumme, auf die sie sehr hoffen«. 30 Als sich in der Sache monatelang nichts bewegte, forderte Grzimek für seine Mandanten den »üblichen Vorschuss von 4000 DM«, für deren baldige Überweisung er dem Amt sehr verbunden wäre. »Der Sinn der ganzen Entschädigung«, hob er seine Forderung auf eine moralische Ebene, »ist die Stimmung für unser Vaterland im Auslande zu verbessern, die durch diese unerhörten und schrecklichen Missetaten so schlecht war[! ]«. 31 Dieser Vorschuss wurde im Juli 1956 endlich angewiesen; die endgültige Abwicklung der Wiedergutmachung jedoch ließ auch weiterhin auf sich warten. Am 15. Februar 1957 wandte sich Grzimek an Staatsrat Anton Dichtel, um den Abschluss der Angelegenheit zu beschleunigen: »Inzwischen ist wieder ein Jahr verstrichen. Die Geschädigten haben ihren Bauernhof an ihren Sohn übergeben und helfen jetzt nur noch gelegentlich, wie eben alte Bauern helfen«. 32 Nun endlich erfolgte am 28. März 1957 ein Rentenbescheid, der für Schäden im beruflichen Fortkommen rückwirkend ab 1. November 1953 eine Rente nach den Sätzen des vergleichbaren mittleren Dienstes vorsah. Glücklich wurde Lilli Ehrlich in Palästina bzw. Israel nicht. Sie war weder Bäuerin noch Hausfrau oder Köchin, sondern Lehrerin und Erzieherin. Sie habe zwar auch dort noch Kinder zu sich genommen, aber die Zusammenarbeit mit dem Sozialamt in Haifa sei schwierig gewesen. Sie weigerte sich, Ivrit - das moderne Hebräisch - zu lernen und sprach weiterhin nur Deutsch, weshalb auch ihre Kinder und Enkel Deutsch sprechen. 1953 waren Lilli und Julius Ehrlich ein Dreivierteljahr in Deutschland zu Besuch auf dem Winkelhof; zwei weitere Deutschlandbesuche folgten. Das Pflegekind Eva Reif erzählte, »Mutti« habe großes Heimweh nach dem Winkelhof und vor allem nach ihren Kindern gehabt. Nach <?page no="215"?> 214 Oswald Burger einer Reise im Jahr 1960 sei sie jedoch »kuriert« gewesen und habe erkannt: »Unser Platz ist in Israel«. Am 15. Oktober 1971 starb Julius Ehrlich in Haifa; seine Frau überlebte ihn um 10 Jahre. Der Sohn Peter Ehrlich, der sich nun Peretz nannte, strebte 1983 die Wiederzuerkennung der deutschen Staatsbürgerschaft an. Er führt bis heute die Landwirtschaft in Tel Adashim weiter, betreibt Ackerbau und hat einen Olivenhain, aus dessen Erträgen er in einer eigenen Presse organisches Olivenöl herstellt. Er hat fünf Kinder und lebt in der Tradition der Ehrlich-Familie noch immer vegetarisch. Tochter Marianne (Miriam) wurde Kindergärtnerin und lebt in Haifa. Eva (»Evchen«) Reif, das jüngste der Winkelhofkinder, war in Tel Aviv berufstätig und lebt heute in Or-Yehuda. Der Winkelhof wird Gasthaus Die »freundlichen Bauersleute aus dem Württembergischen«, an die Ehrlichs den Winkelhof verkauft hatten, waren eine Familie Baumann aus Meckenbeuren. Zunächst führten sie die Landwirtschaft weiter. Georg Baumann sen. war ein Gegner des Nationalsozialismus; nach dem Krieg war er von 1946 bis 1948 Bürgermeister in Untersiggingen und im alten Landkreis Überlingen Kreisrat. Georg Baumann jun. richtete 1953 mit seiner Frau Maria in den unteren Wohnräumen und im Garten die beliebte Ausflugsgaststätte »Zum Winkelhof« ein und führte sie bis 1963. Georg Baumann betrieb auch einen Wein- und Obsthandel, war Feuerwehrkommandant und schließlich ebenfalls Bürgermeister der Gemeinde Untersiggingen. Er starb 1980. Seine Frau Maria zog 1983 nach Untersiggingen, wo sie heute noch lebt. Zwischen 1963 und 1993 war die Gastwirtschaft an verschiedene Wirte verpachtet. Unter einem zugezogenen Wirtepaar aus Frankfurt und Frickingen entwickelte sich der Winkelhof zu einem Mittelpunkt der ländlichen alternativen Szene. In den neunziger Jahren ließ der Sohn von Georg und Maria Baumann, Hermann Baumann zusammen mit seiner Frau Ulrike den Hof ausbauen und eröffnete 1994 den Landgasthof »Zum Winkelhof« neu. Der erfahrene Küchenmeister schuf ein behagliches Lokal für Wandergruppen und Ausflügler wie Einheimische. Aufgrund der vielen Spielmöglichkeiten wurde der Winkelhof für seine Kinderfreundlichkeit <?page no="216"?> 215 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen bekannt. 2001 wurde er unter Denkmalschutz gestellt; 2003 schlossen die Pächter die Gaststätte aus gesundheitlichen Gründen. Letztes Kapitel: Nach 100 Jahren 2005 erwarb die Familie Roth aus Tutzing das Anwesen, um es von dem Überlinger Architekten Wolfgang Braungardt unter Beratung des Landesdenkmalamtes renovieren zu lassen. An der Giebelwand wurde das überputzte Fachwerk wieder freigelegt, und nach Entfernung eines angebauten Wintergartens sieht der Winkelhof heute wieder aus wie nach seiner Errichtung im Jahre 1909. Das Wohnhaus wird familiär genutzt; im Ökonomieteil befinden sich Ferienwohnungen, Pferdeställe und Gewerberäume für den Steinmetzbetrieb des Bauherrn. Auf Anregung von Hans Weber wurde 2001 die Straße in Untersiggingen, die von der Grünwanger Straße zur Winkelhofstraße führt, in Erinnerung an seine »Adoptivmutter« »Lilly-Ehrlich-Straße« benannt. 33 <?page no="217"?> 216 Oswald Burger Anmerkungen 1 Gemeindearchiv Untersiggingen, Abt. Baugesuche I,1 f. 2 Biographische Angaben nach Ruth Fichtner und Bertram Wegener, Kindern eine Zukunft. Von zwei Kinderheimen in der Weimarer Zeit. Zulassungsarbeit für die Diplomprüfung in Erziehungswissenschaft an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Ulm: Selbstverlag 1986, S. 11 ff. und S.190 f. 3 Ebd., S. 181. 4 Zum Markenhof vgl. Ruben Frankenstein, Hachschara im Markenhof bei Freiburg. Eine Spurensuche, in: Manfred Bosch (Hg.), Alemannisches Judentum. Spuren einer verlorenen Kultur. Eggingen 2000. 5 Lebenslauf von Julius Ehrlich nach StAF F 196/ 1, Nr. 8862/ 1, S. 5. 6 Rechtsanwalt Dr. Günther Grzimek in einem Schreiben an die Wiedergutmachungsbehörde v. 3. Oktober 1955. StAF F 196/ 1, 8862/ 1, S. 9. 7 Lebenslauf von Lilli Ehrlich; StAF F 196/ 1 Br. 8868, S. 15. 8 Mündliche Auskunft von Eva Reif, Jerusalem, 24. März 2008. Nach der Erinnerung von Eva Reif und Marianne Weber wanderten die Eltern nach Südamerika aus. 9 Karl Eber an das Landesamt für Wiedergutmachung, 10. September 1959. StAF F 196/ 1 Nr. 8868. 10 Wie Anm. 2, S. 54. 11 Akte »Versorgung des Winkelhofs Gemeinde Untersiggingen mit Elektrizität«, StAF G 27/ 12/ 3416. Hieraus auch alle folgenden Zitate. 12 Schreiben vom 6. März 1929. 13 StAF G 27/ 12/ 3401. - In dem erwähnten Schreiben beklagte sich Julius Ehrlich über die böswillige Kritik des Hauptlehrers Taufenbach am Winkelhof seit 1926 und äußerte seine Empörung über dessen spöttisch-abfällige Bemerkungen sowie seine Vorurteile. 14 Schreiben vom 14. Juni 1928. 15 StAF G 27/ 12/ 3401. 16 Zu Hermann Levinger vgl. Oswald Burger, Hansjörg Straub, Die Levingers. Eine Familie in Überlingen. Eggingen 2002. 17 Hans Weber, Eidesstattliche Erklärung vom 3. August 1955. StAF F 196/ 1 Nr. 8868, S. 25 ff. 18 Dr. Else Huhn, Schreiben an Dr. Grzimek, 28. August 1955. StAF F 196/ 1 Nr. 8868, S. 69. 19 Gemeindearchiv Untersiggingen, 2. 2.: Bau- und Feuerpolizei. 20 Lebenslauf Lilli Ehrlich, wie Anm. 7, S. 17. 21 Vgl. den Artikel »Geschichtsträchtiger Winkel. Die bewegte Historie des Winkelhofs - Zeitzeuge Hubert Voß berichtet«, Südkurier, 3. September 2001. 22 Wie Anm. 7, S. 17. 23 Vgl. hierzu StAF 8862/ 3, S. 5. <?page no="218"?> 217 Der Winkelhof von Lilli und Julius Ehrlich bei Untersiggingen 24 So die Formulierung Lilli und Julius Ehrlichs im Abschiedsbrief aus Herrlingen, 30. April 1937, abgedruckt in Fichtner/ Wegener, wie Anm. 2, S. 58. 25 Ebd., S. 58. 26 Befragung im Rahmen der Ermittlungen des Landespolizeipostens Wittenhofen, 10. September 1959, StAF F 196/ 1 Nr. 8868. 27 Schreiben ans Landesamt für Wiedergutmachung vom 11. August 1959. StAF 196/ 1, Nr. 8862/ 1. 28 Wie Anm. 7, S. 17. 29 Eidesstattliche Versicherung vom 30. September 1955, StAF 8868, S. 29. 30 Dr. Grzimek am 3. Oktober 1955 an das Landesamt für Wiedergutmachung Freiburg, StAF F 196/ 1, Nr. 8862/ 1. 31 Dr. Grzimek am 6. Februar 1956 an das Landesamt für Wiedergutmachung, ebd. 32 Ebd. 33 Herbert Jauch: Im Gedenken an Lilly Ehrlich. Hans Weber regte an, Straße nach seiner »Adoptivmutter« zu benennen, in: Südkurier (Ausgabe Überlingen), 5. September 2001. <?page no="219"?> Blick auf die Erlanger-Halle und den Eingang der Schule St. Konrad. Der Hof von Ludwig und Fanny Erlanger befand sich auf dem durch die Schule St. Konrad überbauten Gelände links im Hintergrund. <?page no="220"?> 219 »Abschied von dem Land, das unsere Heimat war« Der Burachhof von Ludwig und Fanny Erlanger 1990 wurde in Ravensburg eine Grünanlage nach Dr. Ludwig Erlanger benannt, der, so die Inschrift auf einer großen Vierkantstele, »bis zu seiner erzwungenen Auswanderung nach Palästina im Jahre 1939 hier den Burachhof als Mustergut für Obsterzeugung betrieb [...]. Damit soll zugleich die Erinnerung an alle Ravensburger Juden wachgehalten werden, die zwischen 1933 und 1945 vertrieben oder ermordet wurden.« 1 Und die Festhalle des Katholischen Schulwerks Ravensburg/ Weingarten e. V. bzw. des Bildungszentrums St. Konrad, die heute auf dem Platz des einstigen Burachhofs steht, wurde am 13. September 2006 in einem feierlichen Festakt in »Dr. Ludwig-und-Fanni-Erlanger-Halle« umbenannt. Beide Orte sind in ein Netz sogenannter »DENKwege« eingebunden, das, von den Landkreisen zwischen Bodensee und Donau initiiert, seit etlichen Jahren Wanderer und Besucher zu Orten des Erinnerns führt. An ihnen werden die Schattenseiten der jüngeren Geschichte und exemplarische Schicksale von Opfern der NS-Herrschaft erfahrbar - von der Verfolgung jüdischer Bürger über Zwangsarbeiter, Sinti und Homosexuelle bis hin zu religiös motivierter Verfolgung und zur Tötung Behinderter. Der Burachhof <?page no="221"?> 220 Oswald Burger Den Burachhof - ein Gut für Obsterzeugung, auf halbem Weg zwischen Ravensburg und Weingarten gelegen - hatte das Ehepaar Fanni und Ludwig Erlanger seit 1924 betrieben. Dr. Ludwig Erlanger, 1896 in Nürnberg geboren, stammte aus einer großbürgerlichen Familie. Sein Vater, Justizrat Dr. Michael Erlanger, führte mit einem christlichen Partner eine große Re chts anwaltskanzlei im Stadtzentrum von Nürnberg; sein Großvater war noch Hopfenhändler im oberpfälzischen Thalmassing gewesen. Seiner Ehe mit Sofie, geborene Gombrich, entstammten die beiden Söhne Ludwig und Martin. Ludwig Erlangers Frau Fanny (später Fanni) geborene Herrmann war 1904 in Nürtingen geboren. Ihr Vater, geboren 1866 in Flehingen, lebte in Nürtingen als Viehhändler und besaß eigenen Grund; seine Frau Frieda geborene Herzer stammte aus Bretten. Ihrer Ehe entstammten die Kinder Hanna Flora, die Fritz Essinger heiratete, in Ulm lebte und nach Palästina emigrierte; Ludwig, der 1938 nach Kenia auswanderte, und Fanny. Ludwig Erlanger nahm als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil und studierte anschließend Landwirtschaft in Hohenheim und Berlin, wo er zum Dr. agr. promoviert wurde. Fanny absolvierte die jüdische Haushaltsschule in Gailingen. 1925 heirateten die beiden und erwarben noch im selben Jahr den Burachhof. Hier kamen ihre beiden Kinder auf die Welt, Peter, geboren am 8. August 1926, und Suse, geboren am 24. Oktober 1928. Das Mustergut war ca. 60 Morgen groß, lag auf einer Anhöhe über dem Schussental und war spezialisiert auf Obstanbau und Hühnerzucht. Zum Betrieb gehörte unter anderem eine Kelterei, die der industriellen Erzeugung Ludwig und Fanny Erlanger <?page no="222"?> 221 Der Burachhof von Ludwig und Fanny Erlanger naturreinen Apfelsaftes diente; er wurde unter der Marke »Bodan« in ganz Deutschland vermarktet. 2 Die Familie Erlanger war weitgehend assimiliert. »Wir feierten die christlichen Feste, komplett mit Christbaum und Bescherung, Ostereiern und roten Zuckerhasen«, blickte Peter Erlanger im Alter zurück. »Eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen: Am Heiligen Abend standen wir alle, die Familie, das christliche Personal und die jüdischen Praktikanten, hinter dem Flügel, auf dem uns unsere Mutter zum Singen der Weihnachtslieder begleitete. Pessach und Jom Kippur waren die einzigen jüdischen Feste, die wir feierten. Den ›Seder‹ zelebrierte Großvater Herrmann. An Rosch Haschanah, dem jüdischen Neujahrsfest, fuhren wir zu unserer jüdischen Gemeinde nach Buchau, um in der dortigen Synagoge zu beten.« 3 Peter und Suse erlebten eine glückliche Kindheit: »In Ermangelung gleichaltriger Kinder in der Nachbarschaft spielten (und rauften) wir halt zu zweit«, erinnerte sich Peter Erlanger. »Unsere Freunde waren das Haus- und Hofpersonal, die jüdischen Praktikanten, die ein bis zwei Jahre bei uns ausgebildet wurden, und natürlich das ganze Getier auf dem Hof, von den Zugpferden, den Kühen, Schweinen und Hühnern bis zum Hofhund, mit denen wir sozusagen aufwuchsen. Wir versuchten, uns im Haus und auf dem Hof nützlich zu machen, halfen beim Garbenbinden, Heustampfen und Ähnlichem, sogar im Melken versuchte ich mich (ich glaube mich erinnern zu können, dass die betroffene Kuh nicht allzu glücklich reagiert hat)« 4 . Diese Routine wurde unterbrochen Suse und Peter Erlanger <?page no="223"?> 222 Oswald Burger von den leider nur seltenen Besuchen der Großeltern sowie den noch selteneren Gegenbesuchen in Nürtingen oder gar in Nürnberg. 1933 wurde Peter Erlanger eingeschult. In der Volksschule Ravensburg war die Situation anfangs noch einigermaßen normal. »Ich möchte behaupten«, schrieb er rückblickend, »dass ich in den vier Jahren Volksschule kaum unter Antisemitismus zu leiden hatte: Abgesehen von gelegentliche Anrempelungen verlief die Schulzeit normal [...]. Wir waren ›assimilierte‹ Juden, bemühten uns in erster Linie, gute Deutsche zu sein. Ich nahm auch am katholischen Religionsunterricht teil und wurde dabei von den diesen Unterricht erteilenden Priestern geduldet. Trotzdem merkte ich, dass wir ‚anders’ waren! Natürlich nahm ich nicht an den Appellen teil, in denen immer das Horst Wessellied [...] gesungen wurde. Hie und da distanzierten sich Kameraden, als sie die Jungvolkuniform anziehen durften. Auch erinnere ich mich sehr deutlich an einen der wenigen schweren antisemitischen Zwischenfälle, der in der dritten Volksschulklasse geschehen sein muß: In der Grammatikstunde schlugen Schüler Sätze zum Konjugieren vor: Ein Vorschlag, vom Klassenlehrer akzeptiert, ›Der Jude lügt‹. Ich kam weinend nach Hause. Aber ich glaube, daß diese Zwischenfälle eher die Ausnahme waren.« 5 Schwieriger wurde die Situation anschließend im Spohn-Gymnasium, das Peter Erlanger von 1937/ 38 an besuchte. Hier gab es Nazi-Lehrer und einen Nazi als Direktor. »Auf die Kinder wirkte die antisemitische Propaganda ein, und das Gift tat langsam seine Wirkung: Anrempelungen, da und dort Schläge, Boykott. Im Mu- Peter Erlanger <?page no="224"?> 223 Der Burachhof von Ludwig und Fanny Erlanger sikunterricht wurden die antisemitischen Lieder gelehrt. Auch der Turnlehrer war ein kleiner Nazi. Ich möchte fair sein und betonen, dass es auch in dieser schweren Zeit Kameraden gab, die zu mir hielten.« Die Schuld an seiner Nichtversetzung - und damit am Ausschluss aus der Schule - schob Erlanger dem damaligen Direktor zu. »Mit meinem Abgang als einziger jüdischer Schüler wurde das Spohngymnasium judenrein.« 6 Besonders scharf gegen Peter Erlanger ging der Schulleiter des Ravensburger Gymnasiums vor, Oberstudiendirektor Max Luib. Der Bauernsohn aus Blochingen bei Mengen sollte nach dem Willen der Eltern eigentlich Geistlicher werden, studierte aber nach dem Abitur am Konvikt in Ehingen und Teilnahme am Ersten Weltkrieg in Tübingen Altphilologie und Geschichte. Bereits als Studienassessor wurde er 1923 Mitglied der NSDAP, 1934 übernahm er die Leitung des Ravensburger Gymnasiums. Er führte in der Schule das »Führerprinzip« ein, war im Ton oft verletzend und ging mit rücksichtsloser Härte gegen missliebige Schüler vor, wobei er auch vor gelegentlichen Handgreiflichkeiten nicht zurückschreckte. Er hatte es auf die katholischen Jugendverbände abgesehen, gegen die er streng vorging und spielte auch bei der Entfernung Peter Erlangers aus der Schule eine unrühmliche Rolle. Im Mai 1945 wurde Max Luib von der Militärregierung dienstenthoben, interniert und in den Entnazifizierungsverfahren zunächst als Belasteter, zwei Jahre später als »Minderbelasteter« und schließlich 1950 als »Mitläufer« eingestuft. Wegen »Dienstunfähigkeit« wurde er jedoch nicht wieder eingestellt und betrieb bis zu seinem Tod 1963 einen Bauernhof in Kirchen bei Munderkingen. 7 Nach dem Ausschluss aus dem Spohn-Gymnasium wurde Peter von seinen Eltern in das jüdische Landschulheim Herrlingen geschickt, das von dem jüdischen Reformpädagogen Hugo Rosenthal (1887-1980) geführt wurde und jüdische Kinder aus ganz Deutschland aufnahm. Rosenthal war ein Schüler des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. Die Schule war nicht orthodox, es wurde jedoch koscher gekocht und vor den Mahlzeiten wurden kurze Gebete gesprochen. Besonderer Wert wurde neben dem allgemeinen Schulstoff auf jüdische Tradition, Religion, Geschichte und Kultur gelegt, ferner - schon im Hinblick auf eine mögliche Auswanderung - auf Englisch und Hebräisch. Ein Anliegen Rosenthals war auch die Synthese von Reformpädagogik, jüdischer <?page no="225"?> 224 Oswald Burger Erneuerung und der Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten. Er hatte die Schule im Sommer 1933 von der jüdischen Pädagogin Anna Essinger (1879-1960) aus Ulm übernommen, die mit ihren 65 Schülern und sechs Lehrkräften in einer als Schulausflug getarnten Nacht-und-Nebel-Aktion nach England emigriert war. Dort gründete sie die »New Herrlingen School« in Bunce Court in der Grafschaft Kent. Nach der Pogromnacht kam auch Suse Erlanger, die aus ihrer Ravensburger Schule ausgeschlossen worden war, nach Herrlingen. Im Laufe des Schuljahres 1938/ 39 verringerte sich die Zahl der Schüler in Herrlingen jedoch aufgrund von Auswanderungen in einem Maße, dass das jüdische Kinderheim am 28. März 1939 geschlossen werden musste. Hugo Rosenthal wanderte ebenfalls aus und eröffnete in Palästina unter dem hebräischen Namen Josef Jaschuwi das Kinderheim »Ahava« in Kiriat Bialik - ganz in der Nähe von Schavei Zion, wo auch die Familie Erlanger sich niederließ. Im ehemaligen Landschulheim Herrlingen wurde anschließend ein Altersheim eingerichtet, in das Juden zwangseingeliefert wurden, deren Angehörige ausgewandert waren. Auf diese Weise kam im Sommer 1939 Hermann Erlanger in dieselben Räumlichkeiten, in denen zuvor seine Enkel Peter und Suse gelebt hatten. Sämtliche 115 Bewohner, sie stammten aus ganz Württemberg, wurden später deportiert und ermordet. Auch Hermann Erlanger war unter ihnen: Nach Schließung des Heimes im Frühsommer 1942 wurde er zusammen mit den letzten 82 Bewohnern über das Zwischenlager Oberstrotzingen nach Theresienstadt deportiert, wo er am 26. September 1942 starb. Der Burachhof 1934-1938 Seit 1934 war der Burachhof Ausbildungsstätte für jüdische Landwirtschaftspraktikanten, die für ihr Leben in Palästina eine berufliche Grundlage suchten; als solche war der Hof eine von der zionistischen Organisation anerkannte Hachscharastelle. Unter den Praktikanten waren 1934 Hans Levi, 1935 Bernhard Isaacson, sein Bruder Kurt Isaacson und 1936 Franz Otto Fürst, in den Jahren 1937/ 38 Herbert Meyer, Walter Selmanson und Klaus Rosenthal. 1936 zog zusätzlich Josef Herrmann, der Vater Fanny Erlangers, <?page no="226"?> 225 Der Burachhof von Ludwig und Fanny Erlanger mit seiner Frau Frieda auf den Burachhof. Frieda Herrmann starb noch im selben Jahr in Ravensburg. Zeitweise lebte auch Ludwig Herrmann, ein Bruder Fanny Erlangers, mit seiner Frau Hanna Magda geborene Ingold auf dem Burachhof. Ihre Ehe wurde 1935 geschieden; Sohn Hans Herrmann kam zu Pflegeeltern, mit denen er nach Palästina auswanderte. 1961 kehrte er aus der Gegend von Tel Aviv nach Ravensburg zurück und lebte später in Bad Cannstatt. 8 Das Novemberpogrom vom 9./ 10. November 1938 richtete sich auch gegen die Bewohner des Burachhofes. In der Nacht um 4 Uhr fuhr ein Auto mit SS-Leuten vor, die die Fenster einwarfen. Zusammen mit seinem Schwiegervater Josef Herrmann sowie den beiden Landwirtschaftspraktikanten Franz Otto Fürst und Klaus Rosenthal wurde Ludwig Erlanger am 10. November für zwei Tage in »Schutzhaft« genommen, dann aber aus dem Ravensburger Polizeigefängnis wieder entlassen, um den Verkauf seines Anwesens in die Wege zu leiten. Erlanger wurde gezwungen, einen Vertrag zu unterschreiben, mit dem er den Burachhof weit unter Wert der Stadt Ravensburg übertrug. Manfred Hauser, der das Schicksal von Ravensburger Juden erforschte, schildert den Vorgang, der die Ausnutzung der Notlage von Juden exemplarisch zeigt, so: »In dem Kaufvertrag ›verkaufte‹ Dr. Erlanger die Wohn- und Ökonomiegebäude, Gemüse-, Gras- und Baumgärten‚ ohne lebendes und totes Inventar nebst Vorräten und ohne Mostereieinrichtung für Der Burachhof <?page no="227"?> 226 Oswald Burger 50.000 RM. Er und seine Familie sollten bis zum 30. Juni 1939 das Wohnrecht behalten. Das Gelände war für die Stadt wertvoll. Es sollte zur Schaffung von Bauplätzen dienen, insbesondere wollte man dort öffentliche Gebäude erstellen, da das Gelände nach der Eingemeindung von Weingarten etwa in der Mitte zwischen beiden Städten lag. Man hatte z. B. die Erstellung eines Parteihauses ins Auge gefasst. Am 28. Dezember 1938 kam es zu einem Nachtrag zum Kaufvertrag. Der Kaufpreis betrug jetzt nur noch 29.700 anstatt 50.000 RM.« 9 In den Burachhof zog nun ein Pächter ein. Das Ehepaar Erlanger konnte noch bis zur Ausreise im oberen Stock wohnen, verlor aber seine Existenzbasis. Zu den täglichen Aufwendungen kamen nun noch die Ausgaben für die Auswanderung, von der Judenvermögensabgabe und der Reichsfluchtsteuer ganz abgesehen, so dass der Erlös aus dem Verkauf des Hauses samt Familienvermögen aufgebraucht wurde. Ferner waren die Kosten für Peter und Suse aufzubringen, die für ein letztes Schuljahr in Deutschland in der Esslinger Wilhelmspflege unterkamen. 1831 ursprünglich als Waisenhaus gegründet, wurde 1913 im Beisein der württembergischen Königsfamilie ein Neubau eingeweiht, der seinen Namen nach dem damaligen König Wilhelm II. erhielt. Der langjährige Direktor Theodor Rothschild (1900-1939) war für sein strenges Regiment bekannt und musste im August 1939 das Heim räumen, weil es als Seuchenlazarett für die Wehrmacht reklamiert wurde. Theodor Rothschild wurde mit seiner Frau 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er 1944 starb; seine Frau überlebte das Konzentrationslager. Noch einmal kehrten Peter und Suse Erlanger mit dem Ende des Schuljahres 1939 auf den Burachhof zurück. Im August 1939 feierte die Familie in Buchau die Bar Mizwa ihres Sohnes. Da die Synagoge in der Pogromnacht von den Nazis zerstört worden war, fand der Gottesdienst im improvisierten Betsaal statt, der im jüdischen Café Vierfelder eingerichtet worden war. Als Auswanderungsziele kamen Palästina, Uruguay, Kenia, die USA, Australien, die Dominikanische Republik, Zypern und Syrien in Frage. Über die Verwandten Fritz und Hanna Essinger, geborene Herrmann, erhielten die Erlangers schließlich aus Ramat Gan bei Tel Aviv ein Einreisevisum nach Palästina. »In der dritten Novemberwoche 1939«, erinnerte sich Peter Erlanger, »nahmen wir unter vielen Tränen <?page no="228"?> 227 Der Burachhof von Ludwig und Fanny Erlanger Abschied von dem Land, das unsere Heimat war, vertrieben vom Burachhof, in den meine Eltern so viel Arbeit und Liebe steckten und auf dem wir Kinder so glücklich aufwuchsen. Wir mußten uns von guten Freunden und Bekannten trennen. Besonders schmerzte die Trennung vom geliebten Großvater, der nicht auswandern wollte - »einen alten Baum verpflanzt man nicht«, pflegte er zu sagen. Daß der Großvater den Leidensweg über Theresienstadt nach Auschwitz gehen mußte und dort vergast wurde, war damals noch nicht vorauszusehen«. 10 Die Ausreise erfolgte mit dem Zug über München nach Triest, von dort ging es mit dem Schiff »Galiläa« nach Haifa. Der nachträglich verschickte Lift, eine Art Container mit dem Hausrat, kam in Palästina nie an. Er wurde in Triest beschlagnahmt und zu Gunsten ausgebombter »Volksgenossen« ins Deutsche Reich zurückgeschickt. In Israel Nach langem Suchen siedelten sich die Erlangers in der Gemeinschaftssiedlung Shavei Zion nördlich von Haifa an, die zwei Jahre zuvor von Rexinger Juden gegründet worden war. Das Dorf Shavei Zion war ein »Moshaw Schitufi«, eine Mischung aus Kibbuz und Moschaw: die Bewirtschaftung und die Besitzverhältnisse waren gemeinschaftlich geregelt wie in einem Kibbuz, das Familienleben erfolgte privat wie in einem Moschaw. Fast alle Einwanderer sprachen zunächst nur Deutsch bzw. Schwäbisch, die Kinder lernten das für alle neue Hebräisch am schnellsten. Die Lebensgrundlage war eine einfache Landwirtschaft. Alle Mitglieder der dörflichen Genossenschaft arbeiteten auf den Feldern, in den Gemüsegärten und Obstplantagen. Man lebte sehr einfach. Der vierköpfigen Familie Erlanger standen zwei Zimmer, eine Küche mit Essecke und ein Bad zur Verfügung, zusammen rund 50 Quadratmeter. Zunächst gab es weder einen Kühlschrank noch eine Klimaanlage. Auch im Falle Erlanger verlief die Abwicklung der »Wiedergutmachung« nicht ohne Demütigungen und weitere Verletzungen. Von Shavei Zion aus reichte Dr. Ludwig Erlanger 1949 Restitutionsklage beim Landgericht Ravensburg ein mit dem Argument, der Verkauf seines Burachhofes sei unter Druck zustande gekommen: Der erste Vertrag sei geschlossen worden, während er in Haft im <?page no="229"?> 228 Oswald Burger Ravensburger Polizeigefängnis gesessen habe; der zweite sei ihm durch die Partei aufgezwungen worden. Der Rechtsanwalt der Stadt Ravensburg wandte dagegen ein, man habe schon vor dem November 1938 mit Dr. Erlanger verhandelt. Bei dem heruntergesetzten Preis habe es sich um den sogenannten Einheitswert des Anwesens gehandelt und die Staatsverwaltung habe darauf gedrungen, lediglich zwei Drittel des Einheitswertes zu bezahlen, wovon man aber Abstand genommen und den vollen Einheitswert angesetzt habe. 11 Nun liegt der Einheitswert aber stets weit unter dem wahren Verkehrswert eines Anwesens - nach der vorgetragenen »Logik« erscheint die Stadt sogar noch als Wohltäter und judenfreundlich. Auch Rudolf Walzer, der damalige Ravensburger Bürgermeister, zeigte sich beflissen, die Umstände des Verkaufs in einer eidesstattlichen Erklärung zu beschönigen: »Bei dem Erwerb des Hofgutes ›Burach‹ - Besitzer Herr Erlanger (Jude) - hat es sich um ein rein privates Kaufgeschäft gehandelt, bei dem im freien Handel zwischen der Stadt und dem damaligen Besitzer der Kauf zustande gekommen ist. Soweit erinnerlich, hat mich damals Erlanger wissen lassen, dass er auswandere und seinen Hof verkaufen wolle, worauf ich den Stadtpfleger beauftragte, zu verhandeln und den Kauf zu tätigen. Irgendwelche Beeinflussung oder Unterdrucksetzung durch den Kreisleiter oder eine Parteistelle ist mir nicht bekannt geworden.« 12 Dr. Ludwig Erlanger erklärte sich statt der Rückgabe mit einem Vergleich einverstanden. In seinem Beschluss vom 10. Februar 1950 gab das Landgericht Ravensburg, das den Vergleich zwischen der Stadt und Erlanger bestätigte, dem Enteigneten gleichwohl Recht: »Es wird festgestellt, dass der Beklagte [also die Stadt Ravensburg, d. A.] beim Erwerb der Gebäude und Grundstücke des Klägers bösgläubig war […]. Der Verkauf erfolgte unter dem Zwang der Judenverfolgung des nationalsozialistischen Regimes. Die Tatsache, dass die Beklagte schon früher ohne Erfolg mit dem Kläger in Verkaufsverhandlungen stand, räumt den Zwang, unter welchem der Kläger den Verkauf abgeschlossen hat, nicht aus, im Gegenteil, sie bestätigt, dass der Kläger erst unter dem Einfluß des Juden- Pogroms am 11. November 1938 sich zur Veräußerung bestimmen ließ. Der Zwang war der Beklagten bekannt.« 13 In dem Vergleich zeigte sich die Stadt zur Zahlung eines Betrages von 60.000 DM bereit, wobei Oberbürgermeister Albert Sauer versuchte, die Sum- <?page no="230"?> 229 Der Burachhof von Ludwig und Fanny Erlanger me mit Hinweis auf die allgemein schlechte wirtschaftliche Lage in Ravensburg herunterzuhandeln. Solche Erfahrungen lassen es verständlich erscheinen, dass in der Familie Erlanger wenig Neigung bestand, nach Deutschland zurückzukehren. Auch Pinchas Erlanger nahm sich vor, nie wieder deutschen Boden zu betreten oder Kontakte mit Deutschen aufzunehmen. Als ihn in den fünfziger Jahren die Einladung zu einem Treffen seiner Gymnasialklasse erreichte, aus der er entfernt worden war, schlug er sie aus. Ludwig und Fanni Erlanger selbst reisten nur einmal, 1956, zur Regelung von Restitutionsangelegenheiten nach Ravensburg; sie kehrten enttäuscht nach Israel zurück. Fanni Erlanger lebte noch bis 1960; Dr. Ludwig Erlanger starb 1966 in Shavei Zion. Sohn Peter, der sich in Palästina bzw. Israel nun Pinchas Erlanger nannte, arbeitete nach Beendigung seiner Schulzeit 1941 zunächst im Kuhstall, wo er 48 Milchkühe zu versorgen hatte. Seit Mitte der vierziger Jahre war er der erste Bäcker in Shavei Zion, kehrte aber wieder in den Kuhstall zurück, in dem es inzwischen 300 Kühe maschinell zu melken gab. Später verbrachte Pinchas Erlanger zehn Jahre in einer Futtermühle; zwischen 1980 und 1990 arbeitete er an der Rezeption des Siedlungshotels »Beit Hava«. Als sich die Siedlung zum Bau einer Fabrik für Plastikverpackungen entschied, wurde dies sein letzter Arbeitsplatz. Pinchas Erlanger übernahm auch Ehrenämter in der Geschäftsleitung des Moschaws und in seinen sozialen Ausschüssen. 1949 heiratete er Elma, eine Jüdin aus Ägypten, deren Eltern aus Griechenland stammten. Mit ihrer Mutter sprach sie griechisch, mit ihren Geschwistern französisch und italienisch, mit ihren Schwiegereltern deutsch und mit ihrem Mann hebräisch. Die 1950 und 1952 geborenen Töchter Naomi und Irith heirateten Einwanderer aus Kenia und dem Irak. Somit spiegelt die Familie die Vielfalt der Herkunftskulturen und -sprachen, die in Israel aufeinander trafen. Pinchas’ Schwester Suse, die sich nunmehr Schoschana nannte, zog nach ihrer Schulzeit nach Naharija. Sie blieb unversöhnt und kehrte nur noch in unabwendbaren Familienangelegenheiten nach Deutschland zurück. Pinchas Erlanger dagegen reiste im März 1969 nach 30 Jahren zum ersten Mal wieder nach Deutschland. Anlass war eine Israelwoche in Stuttgart, zu der auch zehn ausgewanderte schwäbische Juden aus Shavei Zion eingeladen wurden. <?page no="231"?> 230 Oswald Burger Von da an kam er immer wieder nach Deutschland und machte auch in Ravensburg Station. Während seiner Tätigkeit als Rezeptionist knüpfte er »mit Hunderten, wenn nicht gar Tausenden von deutschen Gästen« 14 Kontakte, darunter waren auch immer wieder Gruppen aus Ravensburg. Besonders beeindruckt war er vom Wirken des Ravensburger Oberbürgermeisters Hermann Vogler, der sein Freund wurde, und von zahlreichen Schüleraustauschen zwischen Ravensburg-Weingarten und Naharija. Für seine Bemühungen um die Verständigung wurde Pinchas Erlanger im Herbst 2006 mit der Ehrenmedaille der Stadt Ravensburg-Weingarten ausgezeichnet, verbunden mit der Verleihung der Ehrenbürgerschaft. 15 Als ich im Herbst 2006 in Shavei Zion zu Besuch war, ergab sich die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Pinchas Erlanger. Er erzählte ausführlich von seiner Heimat in Ravensburg, dem Leben seiner Eltern und Vorfahren, dem erzwungenen Ende in den dreißiger Jahren, der Ausreise nach Palästina und dem Leben seither. Schon 2002 hatte er auf einer Tagung in Laupheim über sein Leben berichtet, und bei unserem Abschied verblieben wir so, dass ich Genaueres per E-Mail nachfragen würde. Bevor es dazu kam, erreichte mich die Nachricht, dass Pinchas Erlanger in der Nacht am 30. August 2007 einundachtzigjährig in Shavei Zion gestorben war. An ihn, seine Eltern und seine Schwester Schoschana erinnern seit 2006 vier Stolpersteine. Pinchas Erlanger und Oswald Burger in Shavei Zion <?page no="232"?> 231 Der Burachhof von Ludwig und Fanny Erlanger PS.: Zufällig stieß ich kürzlich in den Lebenserinnerungen meines Vaters Josef Burger (1908-1993) auf Passagen aus dem März 1981 über eine Reise nach Israel, wo er unter anderem seine jüdischen Schulkameraden Ludwig Ickowitz, Alexander Kalman und Lorant Deutsch aufsuchte. Über eine Begegnung in Shavei Zion notierte er: »Ein älterer Herr, der auch in der Rezeption war, fragte mich, von wo ich sei. Als ich ihm meinen Heimatort (im Banat) und meine jetzige Heimat (Bermatingen) nannte, sagte er, er sei aus Ravensburg, heiße Pinkus Erlanger und sei dort Kaufmann gewesen.« 16 Stolpersteine zur Erinnerung an die Familie Erlanger <?page no="233"?> 232 Oswald Burger Anmerkungen 1 Zit. nach Andreas Schmauder, Den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Ravensburg: Mahnmale und öffentliches Gedenken; in: Andreas Schmauder, Paul-Otto Schmidt-Michel, Franz Schwarzbauer (Hg.), Erinnern und Gedenken. Das Mahnmal Weißenau und die Erinnerungskultur in Ravensburg. Konstanz 2007, S. 147. - Die Quellen zur Geschichte des Burachhofes und der Familie Erlanger sind gut aufgearbeitet in der außergewöhnlich reichhaltigen Publikation »Ravensburg im Dritten Reich. Beiträge zur Geschichte der Stadt. Hrsg. Von Peter Eitel. Ravensburg 1997. 2 Pinchas Erlanger, Erinnerungen - Meine Jugend in Deutschland und die Auswanderung nach Palästina, in: Laupheimer Gespräche 2001. Auswanderung, Flucht, Vertreibung, Exil im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Berlin 2003, S. 145-168. 3 Ebd., S. 149 4 Ebd., S. 149 5 Eitel, wie Anm. 1, S. 308 6 Ebd., S. 308 7 Ebd., S. 174 ff. 8 Ebd., S. 310 f. 9 Manfred Hauser, Antisemitismus und Schicksal der Juden in Ravensburg, in Eitel (wie Anm. 1), S. 322. 10 Zit. nach Rolf Krug, Der Burachhof, in: Jahresheft des Bildungszentrums Sankt Konrad, 1988, S. 63. 11 Akten des Restitutionsverfahrens im Stadtarchiv Ravensburg RV A I 4037, zit. nach Anm. 1, S. 322. 12 Aus den Akten im StA Sigmaringen, Fasz. Wü 13 9/ T/ S/ 1001, zit. nach Anm. 1, S. 322. 13 Ebd. 14 wie Anm. 2, S. 167 15 Pinchas Erlanger, ein Mann der Versöhnung, wird Ehrenbürger der Stadt, in: Schwäbische Zeitung, Ausg. Ravensburg, 13. September 2006. 16 Josef Burger: Familienchronik Burger. Lebenswege, Schicksale und Erlebnisse. Bermatingen 1983, S. 299. <?page no="234"?> 233 Bildnachweise Privat Erich Bloch: 40, 44, 45, 46, 47 Manfred Bosch, Konstanz: 18, 22, 23 (beide), 29, 34, 44 Suzanne Dingler, Gaienhofen: 121 (beide) Edeltrud Gihr, Heiligenholz: 105 Karl Moritz Gruenbauer, Schwäbisch Hall: 230 Andreas und Hermann Hartmann, Bühl/ Rastatt: 98, 99, 100, 101 Christoph Knüppel, Herford: 139, 153, 155 Karl-Heinz Meßmer, Bonndorf: 65, 66, 67, 71, 76 Diethard Nowak, Meersburg: 140 Andreas Unger, Berlin: 96 Frank Wellgate, Bentham/ Lancaster: 109, 112, 114, 115 (beide), 129 Marianne und Hans Weber, Markdorf: 193, 196, 199, 200, 201, 208, 210 Werner und Ursula Wolf, Berg b. Ravensburg: 220, 221, 222 Barbara Zoch Michel, Überlingen: 16, 36, 60, 86, 108, 136, 166, 192, 218, 231 Archive und Institutionen Bilfinger Berger AG (Bernhard Stier, Martin Krauß: Drei Wurzeln - ein Unternehmen. 125 Jahre Bilfinger Berger AG. Heidelberg/ Ubstadt/ Basel 2005): 63 Dr. Erich Bloch-Lebenheim-Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde, Konstanz: 56 Deutsches Jugendherbergswerk, LV Baden-Württemberg: 82 Kulturamt des Bodenseekreises (NL Kurt Badt): 168, 170, 171, 174, 177, 178, 187, 189 Kurt Hahn-Archiv, Salem: 91 Schweizerisches Bundesarchiv, Bern: 116 Staatsarchiv Freiburg: 42, 48, 124, 125 Stadtarchiv Konstanz, NL Erich Bloch: 51 Stadtarchiv Ravensburg: 219, 225 Stadtarchiv Überlingen: 130, 146 <?page no="235"?> 234 Dank Die Autoren des Bandes danken sehr herzlich Dr. Erich Bloch †, Konstanz; Walter Büntjen-Hartmann, Rastatt; Suzanne Dingler, Gaienhofen; Pinchas Erlanger †, Shave Zion/ Israel; Denise Gaze, Neuchâtel; Edeltrud Gihr, Heiligenholz; Andreas Hartmann, Bühl; Hermann Hartmann, Rastatt; Dr. Martin Krauß, Bilfinger SE; Elizabeth Land †, San Francisco; Elly Landauer †, London; Berthold Luick, Konstanz; Eva Reif, Or-Yehuda/ Israel; Dr. Rüdiger Reyels, Berlin; Klaus Schultze, Überlingen; Andreas Unger, Berlin; Frank Wellgate, Fairfield Barn, Bentham/ Lancaster; Ursula und Werner Wolf, Berg. Für Auskünfte, Hinweise und Hilfestellungen danken wir ferner: Peter Apfelstädt, Heiligenholz; August Auer, Untersiggingen; Hermann Baumann, Ravensburg; Maria Baumann, Untersiggingen; Dr. Max Bloch, Köln; Rose Brunnhuber, Villingen; Fridolin Deifel, Daisendorf; Peretz Ehrlich, Tel Adashim/ Israel; Dr. Martin Fark, Meersburg; Marianne Felsche, Daisendorf; Ruth und Hans Fichtner, Ulm; Frank Flechtmann, Berlin; Pia Viktoria Goll †, Bodman; Marcus Haucke, Berlin; Dr. Hartmut Haberland, Roskilde/ Dk.; Jürgen Haberland, Bonn; Franz Haustein, Pfullendorf; Ralph Herrmanns, Stockholm; Heidrun Heßlein, Daisendorf; Angelika Höppner, Heiligenholz; Manfred Ill, Markdorf; Paula Keller, Untersiggingen; Helmut Keser, Daisendorf; Klaus Kittsteiner, Berlin; Otto Kläsle, Untersiggingen; Frank Lemke, Daisendorf; Gisela Lohse, Berlin; Winfried Ludwig, Daisendorf; Karl-Heinz Meßmer, Bonndorf; Diethard Nowak, Meersburg; Frau Reck, Mimmenhausen; Eva Reif, Or-Yehuda/ Israel; Rüdiger Reyels, Berlin; Gottlieb Röck, Liptingen; Michael Röck, Saulgau; Margot und Josef Roth, Winkelhof; Prof. Arnold Rothe, Heidelberg; Bruno Rothweiler, Markdorf; William Schaefer, Freiburg; Klaus Schenck, Ravensburg; Kurt Graf von Schweinitz, London; Sigurd Graf von Schweinitz, Harsewinkel; Gerhard Sing, Heiligenberg; Hansjörg Straub, Überlingen; Werner Trapp, Konstanz; Thomas Uhrmann, Konstanz; Klaus-Peter Vodel, Überlingen; Marlies Vogel, Markdorf; <?page no="236"?> 235 Dank Annegret Walz, Flacht; Hellmuth Wassmer †, Rheinfelden; Marianne Weber, Markdorf; Horst Weller, Daisendorf; Otto von Westarp, Puebla/ Mexico; Inge und Philipp Wiest, Heiligenholz, sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarchivs Berlin (Dr. Jan Ludwig, Nikolai M. Zimmermann), des Schweizerischen Bundesarchivs Bern, der Staatsarchive Freiburg (Jochen Rees) und Hamburg (Kristin Kalisch), der Stadtarchive Konstanz (Norbert Fromm, Michael Kuthe), Ravensburg (Andreas Schmauder) und Überlingen (Walter Liehner), der Universitätsarchive Basel, Berlin, Freiburg und Heidelberg, des Kreisarchivs Bodenseekreis, Salem (Eveline Dargel), des Kurt-Hahn-Archivs Salem (Brigitte Mohn), des Grundbuchamts Überlingen (Martina Kromer, Martina Vollstädt), des Archivs Centrum Judaicum (Barbara Welker), des Schwulen Museums Berlin (Dr. Jens Dobler), der Gedenkstätten Mauthausen (Peter Egger) und Grafeneck (Bernd Reichelt, Thomas Stöckle), des Werkschulheims Felbertal (Winfried Kogelnik), der Hermann-Lietz-Schule Hohenwerda (Birgit Sondergeld) und des Schulsekretariats Waldorfschule Rendsburg (A. Schneidemesser). <?page no="237"?> 236 Personenregister Adorno, Theodor W. 188 Aereboe, Friedrich 20 Alighieri, Dante 183 Andres, Stefan 30 Archipenko, Alexander 19 Arnheim, Helene s. auch Badt, Helen 178f., 182f., 184, 186f. Arnheim, Rudolf 170, 183 Atatürk, Mustafa Kemal 111 Auer, August 200 Badt, Bertha (gen. Totta) 169ff., 172, 179ff., 184, 189 - Ella 169f., 180f. - Helen 188 - Julia 167 - Kurt 5, 20, 24, 30f., 166-191 - Leopold 167 - Pia 169ff., 180f. - Regina 167 Bauermeister, Friedrich 137, 144f., 148 Baumann, Familie 214 - Ulrich 10 Baur, Max 193 Beardsley, Aubrey 98 Beheim-Schwarzbach, Bankier 205 Behmer, Marcus 88, 90, 93, 97- 102, 105, 114, 129 Benjamin, Walter 29 Benz, Richard 144 Berckheim, bad. Innenminister 9f. Berger, Julius 111, 113, 133 Berrer, Alfred Albert 69f. - Selma 69f. Billo, Nils 23 Bing, Gertrud 186 Bismarck, Otto von 88 Bittel, Karl 145 Bloch, Adele 47 - Elisabeth 50 - Erich 5, 37-59, 167 - Eva 40, 50 - Liesel 37-59 - Michael 40, 50 - Paula 39, 50 - Walter 50 Blüher, Hans 145 Blumenthal, Lorenz 24 - Otto 18f., 21, 23ff. Booth, Arthur 61f. Borges, Jorge Luis 30 Braig, Carl 88 Braungardt, Wolfgang 215 Bravmann, Jacob 44 Broch, Hermann 30 Brunnhuber, Rose 131 Buber, Martin 75f., 81f., 143f., 146, 149, 152, 223 Buddha 141 Büntgen, Eva s. Licht, Eva - Heinrich Joseph 89 Büntgen-Hartmann, Walter 92, 97, 105 Burckhardt, Jacob 184 Burger, Josef 231 Cézanne, Paul 167, 172, 186 Chagall, Marc 19 Chajjam, Omar 98 Christus 80, 141 Claparède, Edouard 116 Cordes, Eva 31 - SS-Mann 31 Corinth, Lovis 19, 26, 169 Coudenhove-Calergi, Richard N. 38 Deifel, Heinrich 159 Delacroix, Eugène 167f., 186, 188 Derain, André 19 Deutsch, Lorant 231 <?page no="238"?> 237 Personenregister Dichtel, Anton 188, 213 Diederichs, Eugen 144f. Dilthey, Wilhelm 184 Dingler, Suzanne 120-122 Dörr, Richard-Eugen, Dr. 32 Dumont, Louise 144 Du tschke, R udi 78 Eber, Karl 202, 211f. Eberstein, Baron von 131 Ecker, Bürgermeister 102 Egle, Arnold 123, 126 Egle, Josefa 123 Ehinger, Otto 159f. Ehrlich, Eva 200, 212 - Julius 192-217 - Lilli 13, 97, 192-217 - Margarete 196 - Marianne (Miriam) 200, 212, 214 - Oskar 196 - Peter (Peretz) 200, 212, 214 Eisner, Freia 154 - Kurt 138, 154f. - Ruth 154 Engstler, Richard 118f. Erlanger, Elma 229 - Fanny 218-232 - Hermann 221, 224 - Ludwig 218-232 - Michael 220 - Peter (Pinchas) 220ff., 224, 226, 229ff. - Sofie 220 - Suse (Schoschana) 220f., 224, 226, 229f. Essinger, Anna 224, 226 - Fritz 198, 220, 226 Ewald, Marina 91 Fenner, Architekt 71 Finckh, Ludwig 43 Fischel, Lili 183 Foerster, Friedrich-Wilhelm 150 Francia, Peter de 183 Freund, Heinrich 19 Friedländer, Gertrud 93 - Salomo 19 Fritsche, Christiane 162 Fürst, Franz Otto 224f. Gihr, Edeltrud 103, 105 - Hedwig 103f. - Heribert 103ff. Goerdeler, Carl 31 Goethe, Johann Wolfang von 17, 33 Gogh, Vincent van 172, 186 Gotthelf, Jeremias 150 Graf, Oskar Maria 30 Grundler, Obstbauamtmann 67 Grynspan, Herschel 46 Grzimek, Günther 213 Guevara, Ernesto 78 Haberland, Erna 66 - Georg 61ff., 66 - Kurt 64f., 68 - Lucie 63, 65 - Olga 63 - Salomon 61ff. - Werner 60-84 Hahn, Kurt 89ff., 92, 106, 114, 170, 183, 209, 211 Hamburg, Käthe 194ff., 198, 201, 206, 211 Hammerbacher, Herta 20 Hartmann, Hermann 103f. Haudenschild, Ernst 50 Hauser, Manfred 225 Hebel, Johann Peter 32, 147 Heckel, Erich 19 Hegner, Jakob 183 Heidelberger, Pfarrer 32 Heine, Heinrich 33 Heller, Vitus 149 Hempel, Olga 195 Herrmann, Frieda 225 - Josef 224f. - Ludwig 225 <?page no="239"?> 238 Personenregister Herzl, Theodor 55 Hesse, Hermann 54, 79 Heuss, Theodor 9 Hilberseimer, Ludwig 24 Hiller, Kurt 145 Hindenburg, Paul von 154 Hi tler , A dolf 154 Ho Chi Minh 78 Hölderlin, Friedrich 172 Hönig, Fritz 69 Hofer, Karl 19 Hofmann, Ludwig von 99 Holzherr, Richard 161 Huelsenbeck, Richard 19 Huhn, Else 209 Ickowitz, Ludwig 231 Irma, Fürstin v. Fürstenberg 206f. Isaacson, Bernhard 224 - Kurt 224 Jacoby, Siegfried 65 Jacques, Norbert 37, 152 Janthur, Richard 19 Jauss, Hans Robert 187 Jensen, Wilhelm 87 Joël, Ernst 145 Kabus, Rolf 97, 210 Kaesbach, Walter 23, 32 Kalman, Alexander 231 Kampffmeyer, Hans 144 Kaschnitz, Marie-Luise 73 Keller, Gottfried 147 Kessler, Frau 122 Kessler, Harry Graf 98 Kesten, Hermann 30 Kimmig, Wolfram 125, 127 Klaue, Hermann 124 König, Hannelore 49 - Karl 105 - Paul 48 Kokoschka, Oskar 19 Kral, Josef 149 Krause, Anneliese 96f. Kropotkin, Pjotr A. 147 Kupffer, Gertrud 96 Lachmann, Hedwig 138 Lagerlöf, Selma 147 Landauer, Abraham 138 - Bluma 138 - Brigitte 154f. - Charlotte (Frau v. Hugo L.) 139, 153, 155ff. - Charlotte (Tochter v. Gustav L.) 154 - Elisabeth 139, 156 - Emil 138 - Erich 139, 157f., 159f. - Friedrich (1866-1901) 139 - Friedrich (1908-1969) 139, 157 - Gudula 154 - Gustav 138, 142f., 145ff., 153 - Heinrich 139, 157f. - Hermann 139f., 157 - Hugo 6, 13, 136-165 - Karl 138 - Louis 138 - Moritz 138 - Otto 139 - Siegfried 144 - Walter 138, 157f. Landé, Louise s. Ehrlich, Lilli - Maria 194 - Paul 194, 200, 206 - Rudolf 213 Lange, Lucie 199 Lehmann, Betty 75 Lehmbruck, Wilhelm 19, 167 Leitsch, Kurt 202 Lemke, Frank 156 Levi, Hans 224 Levi-Mühsam, Else 52, 56f. Levinger, Barbara 204 - Hermann 203f., 205, 207 - Maria 204 Levy, Julius 161f. Licht, Eva 97-107, 109, 114, 125, 129 <?page no="240"?> 239 Personenregister - Georg 97-107, 109, 114 - Martha 93, 98 - Salomon 88 Lietz, Hermann 195 Locke, Barbara 131 Loewenfeld, Erwin 19 Lohse, G isela 210 Lübke, Heinrich 33 Luib, Max 223 Luttig, Frl. 65 Mann, Thomas 30 Marcuse, Herbert 188 Marées, Hans von 19, 26, 169, 172 Martin, Pfarrer 159 Mataré, Ewald 19, 23 Mauthner, Fritz 144, 153 - Hedwig 153 Meidner, Ludwig 19 Meßmer, Karl 67f., 71, 74f. - Karl-Heinz 75 Meyer, Herbert 224 Michel, Ernst 137, 144ff., 148f., 150ff. Milch, Werner 183 Model, Karl 140 Moellendorf, Wichard von 153 Mörike, Eduard 101, 147 Moser, Josef 32 Munch, Edvard 169 Nagel, Nikolaus Frhr. von 29 Nathan, Fritz 26 Nauen, Heinrich 19, 23 Neruda, Pablo 30 Nietzsche, Friedrich 17, 33, 184 Oke, Pflegling 210 Oppenheimer, Franz 145 Ortega y Gasset, José 17, 33 Ott, Dr. s. Simon, Gerhard K. Otten, Karl 183 Pannwitz, Rudolf 33 Panofsky, Erwin 170 Pestalozzi, Heinrich 80 Picard, Jacob 37 Planck, Karl Christian 151 Polich, August Walter und Johanna 20 Poussin, Nicolas 186 Radbruch, Gustav 64 Raeber, Galerist 26 Rath, vom, Botschaftssekretär 46 Reif, Eva 213f. - Konrad 210 Reyels, Rüdiger 72 Richter, Hans 17f., 19, 26f., 30, 32 Richter-Rothschild, Dora s. Richter, Dora Ritter, Emil 149 Röck, Gottlieb 141 Röttcher, Fritz 150 Rohlfs, Christian 19, 26 Rosa, Haushälterin 157f. Rosenstock-Huessy, Eugen 150, 152 Rosenthal, Hugo 223ff. - Klaus 224f. Roth, Familie 215 Rothschild, Theodor 226 Rothweiler, Karl Georg 193 Ruch 31 Rückert, Hanns 92 Ruhemann, Elise 93 Rukser, Dora 16-35 Rukser, Udo 13, 16-35, 37, 179, 182, 185 Runge, Philipp Otto 98 Sailer, Sebastian 147, 150 Sauer, Albert 228 Saxl, Fritz 182f. Schäfer, Wilhelm 147, 170, 185 Schairer, Erich 150, 153f. Schelle, Anton Wilhelm 76 Schenck, Klaus 105 Schindler, Franz 77 Schmidt, Arzt 211 Schmidt-Rottluff, Karl 23 <?page no="241"?> 240 Personenregister Schottländer, Rudolf 170, 185 Schultze, Klaus 95f., 123 Schulz, Werner 209 Segewitz, Eugen 20 Seitz, Bezirksrat 204 Selmanson, Walter 224 Si mon, G erhar d K ur t 157f . - Moritz 9 Sisley, Alfred 19, 26 Söderbaum, Kristina 124 Solario, Andrea 168 Sombart, Werner 9 Steiner, Rudolf 178 Stifter, Adalbert 147, 172, 184 Straub, Harriet s. Mauthner, Hedwig Swarzenski, Georg 102 Swinburne, Algernon Charles 21 Szadurska, Kasia von 160 Taufenbach, Hauptlehrer 206 Teubner, B. G. 144 Theile, Albert 28, 30 Thomasius, Christian 88 Tolstoj, Leo 147 Trapp, Werner 37 Trier, Gretl 23 - Walter 19, 22f. Unger, Ernst 89, 95ff. Vermeer, Jan 186 Vetter, Geschwister 161 - Friedel 161 - Heinrich 161f. Vodel, Klaus-Peter 73 Vöge, Wilhelm 168 Vogler, Hermann 230 Voltaire 98 Waentig, Walter 20 Waldschütz, Josef 129 Walzer, Rudolf 228 Warburg, Aby 182 Weber, Asta 25 - Hans 208, 215 - Marianne 208f., 211 - Paul 20, 24f., 28, 31f., 171, 173, 175ff., 179, 185 - Pia 25 Wehs, Heinrich 75 Weller, Georg 156, 162 - Horst 162 - Pauline 156, 162 Wellgate, Frank 110, 113, 131 - Gerd s. Wohlgemuth, Gerd - Mark Edward 131 Westarp, Otto von 104 Wettach, Paul 77 Wiechert, Ernst 172 Wiest, Inge 131 - Manfred 131 - Philipp 131 Wilde, Oscar 98 Wilhelm II., Württ. König 226 Wirth, Israel Friedrich 12 Wölfflin, Heinrich 168 Wohleb, Leo 53 Wohlgemuth, Ernst 110 - Fritz 87, 108-135, 183 - Gerd Bernhard 110, 112, 115f., 118f., 129, 131f. - Hermann 110 - Hulda 110 - Ida 110 - Johanna 87, 108-135, 183 - Kurt 110 - Marianne 111f., 115f., 118, 129, 132 Wolf, Gustav 144 - Nathan 49 Wolfenstein, Alfred 145 Wurster, Frau 120 Ziegler, Leopold 170, 185 Zimmermann, Friedrich 159f. Zuckmayer, Carl 30