Der dritte Weg der Päpste
Die Wirtschaftsideen des Vatikans
1209
2015
978-3-8649-6927-0
978-3-8676-4600-0
UVK Verlag
Hans Frambach
Daniel Eissrich
Ökonomie und Kirche - das ist kein Widerspruch. Klöster häuften früher durch geschicktes Handeln ein gewaltiges Vermögen an. Heute finden religiöse Werte durch den Corporate-Governance-Kodex Eingang in die Geschäftswelt und christliche Parteien prägen die Wirtschaftspolitik.
Auf das Spannungsfeld zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gehen Päpste durch Sozialenzykliken seit dem 19. Jahrhundert ein: Leo XIII. forderte 1891 Lohngerechtigkeit sowie Arbeitnehmerrechte und gab damit der Sozialpolitik in Europa Aufwind. Weitere Sozialenzykliken folgten, wenn das freie Spiel der Marktkräfte zu sozialen Problemen führte. 2009 verwies Benedikt XVI. nach der Finanzkrise darauf, dass Globalisierung von einer "Kultur der Liebe" beseelt sein müsse. Damit brachte er die Globalisierung mit Verteilungsgerechtigkeit und Gemeinwohl in Zusammenhang.
Auf die Sozialenzykliken der Päpste gehen die Autoren im Detail ein: Sie beleuchten den geschichtlichen Kontext ebenso wie deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Politik. So skizzieren sie einen dritten Weg der Päpste - ein alternatives Wirtschaftskonzept zwischen Kapitalismus und Kommunismus.
<?page no="2"?> Hans Frambach Daniel Eissrich Der dritte Weg der Päpste <?page no="4"?> Hans Frambach Daniel Eissrich Der dritte Weg der Päpste Die Wirtschaftsideen des Vatikans UVK Verlagsgesellschaft Konstanz · München <?page no="5"?> Die Autoren Dr. Hans Frambach ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomische Theorie an der Universität Wuppertal. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte des ökonomischen Denkens. Dr. Daniel Eissrich hat seine For schungsschwerpunkte im Bereich Wirtschaftssysteme und deren Institutionen. Er ist Bundesbankdirektor im Zentralbe reich IT der Deutschen Bundesbank in Frankfurt am Main. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 978-3-86764-600-0 (Print) ISBN 978-3-86496-926-3 (E-PUB) ISBN 978-3-86496-927-0 (E-PDF) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft Konstanz und München 2016 Lektorat: Rainer Berger Einband: Susanne Fuellhaas, Konstanz Zeichnungen (Portraits und Karte): Claudia Frisch, Jüterbog und Starnberg Einbandmotiv: © TTstudio - fotolia.com Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="6"?> 5 Inhalt Prolog - Kirche und Wirtschaft ...............................................................................7 I. Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus ............ 19 Die Situation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 19 Die Entstehung von Rerum novarum 23 Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 29 II. Chaos und der Wunsch nach Ordnung ........................................................ 55 Die Folgen des Ersten Weltkriegs 55 Die Folgen des Ersten Weltkriegs in Deutschland 57 Die Entstehung des Sozial staats 61 Volkswirtschaftslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts 63 Die Entstehung von Quadragesimo anno 76 Zur Wirkung von Rerum novarum 78 Quadragesimo anno - Papst Pius XI. 1931 87 III. Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen ...101 Die Zeit nach Quadragesimo anno 101 Wohlfahrtsstaat und soziale Sicherheit 104 Volkswirtschaftslehre nach dem Zweiten Weltkrieg 107 Die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft 109 Wirtschaftswunder, soziale Marktwirtschaft und katholische Soziallehre 116 Rückblick auf die Pfingstbotschaft - Papst Pius XII. 1941 120 Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 125 Pacem in terris - Papst Johannes XXIII. 1963 144 Populorum progressio - Papst Paul VI. 1967 152 IV. Wirtschaftssysteme in der Krise ............................................................163 Die Stagnation der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts 163 Die Sozialpolitik der BRD seit den 1970er Jahren 167 Labo rem exercens - Papst Johannes Paul II. 1981 169 Sollicitudo rei socialis - Papst Johannes Paul II. 1987 180 Centesimus annus - Papst Johannes Paul II. 1991 188 <?page no="7"?> 6 V. Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung ..............197 Die globale Finanzkrise 197 Caritas in veritate - Papst Benedikt XVI. 2009 202 Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 213 Epilog - Der dritte Weg der Päpste ...................................................................231 Anmerkungen..................................................................................................................247 Literatur .................................................................................................................259 Personenverzeichnis ............................................................................................273 Sachverzeichnis.....................................................................................................27 <?page no="8"?> 7 Prolog - Kirche und Wirtschaft Seit ihrem Bestehen steht die Kirche mit der Ökonomie in enger Be ziehung. Kirche, verstanden als Glaubensgemeinschaft und soziale Organisationsform von Religionen, ist in höchst unterschiedlicher Weise mit wirtschaftlichem Handeln und seinen Wirkungen verwo ben. Ein einfacher Grund hierfür liegt in der Bereitstellung der mate riellen Lebensgrundlagen der Menschen durch die Ök onomie. In der Ökonomie wird organisiert, welche Güter und Dienstleistungen wann und wo in welchen Mengen produziert werden, unter welchen Umständen Menschen arbeiten. Sie bestimmt maßgeblich die Vertei lung der erwirtschafteten Einkommen und Vermögen und ist aus schlaggebend dafür, ob Menschen ausreichend versorgt sind, Man gelzustände erleiden oder sich gar in sozial en Missständen befinden. Sind Löhne fair, Arbeitsplätze sicher, oder werden Arbeitnehmer ausgebeutet, Rohstoffe ohne Rücksichtnahme auf die Interessen zu künftiger Generationen abgebaut, wird ergo die Umwelt übermäßig belastet? Diese und andere Fragen betreffen die Kirche unmittelbar. Es sind Fragen zu den Grundlagen des ökonomischen Handelns, die das Gemeinsame und Gemeinschaftliche, das Aufeina nderangewie sensein der Menschen in ihrem Tun und die dem Handeln zugrunde liegenden Werte und Werthaltungen berühren. Ebenso sind Fragen nach dem Sinn des Handelns angesprochen. Auch über die direkte Teilnahme war und ist die Kirche unmittelbar mit dem Wirtschaftsprozess verbunden. Die mittelalterlichen Klöster hatten zentrale wirtschaftliche Bedeutung für viele Regi onen Euro pas, und auch heute noch ist die Kirche selbst ein mächtiges Unter nehmen - man denke etwa an die Institution Kirche als „mächtigsten Konzern Deutschlands“. 1 Aber spätestens seit dem Armutsstreit im Franziskanerorden, der die Kirche ab dem 13. Jahrhundert beschäftig te, betrachtete sie ihre wirtschaftliche Rolle selbstkritisch. 800 Jahre später wünscht sich der neue Papst Franziskus in der Begründung seiner Namenswahl „eine arme Kirche für die Armen“. 2 Sein neuer Finanzchef (und damit auch Chef der Vatikanbank „Istituto per le <?page no="9"?> Prolog 8 Opere di Religione“, IOR), Kardinal George Pell, erinnerte in einem Interview dagegen an ein Zitat Margaret Thatchers: „Wenn der barmherzige Samariter nicht auch ein bisschen Kapitalist gewesen wäre, hätte er auch nicht helfen können.“ 3 Und seit dem 31. Oktober 1517, an dem Martin Luther seine Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum (Propositiones wider das Ablas) - die 95 Thesen - an den Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg gesandt hat (dass Luther persönlich die 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schloss kirche geschlagen haben soll, wurde von Philipp Melanchthon über liefert, ist aber historisch nicht eindeutig bewiesen), ist das Thema Geld und Kirche aus der Diskussion um das Verhältnis von Kirche und Ökonomie nicht mehr wegzudenken. Heutzutage sind überzeichnende, bis ins Extreme gesteigerte Darstel lungen über das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit anzutreffen. Da stehen auf der einen Seite die gro ßen Themen der Kirche, das Elend in dieser We lt anbetreffend, präsentiert in Form von Szenarien des Massensterbens als Folge von Hungersnöten, Krankheit und Kriegen, die Schreckensbilder sterbender Kinder, die täglich durch die Medien geistern und für viele Zuschauer aufgrund der Gewöhnung den Schrecken verloren haben. Im Hintergrund steht der latente Vorwurf, was die Kirche , aber auch Politiker und Ökonomen leisten, um Abhil fe zu schaffen, sei zu wenig. Auf der anderen Seite entsteht ein Ein druck von den Themen, mit denen sich die Kirche anscheinend tat sächlich beschäftigt. Beispiele sind Debatten um die Integration christlicher Werte in die Corporate Governance Struktur von Un ter nehmen, die Forderung, dass Politiker ehrlicher und an christlichen Maßstäben orientiert agieren sollten, die Frage, ob politische Parteien, die das Wort christlich im Namen tragen oder sich in ihren Pro grammen auf christliche Werte berufen, diesem Anspruch tatsächlich gerecht werden. Auch die durch Kirchenaustritte verstärkten Finan zierungsprobleme hiesiger Kirchenverwaltungen, weil Ve ränderun gen des Erhebungsverfahrens der Kirchensteuer die subjektive Zu mutbarkeitsschwelle einzelner Mitglieder überschritten haben, geben Anlass genug, die Titelseiten mancher Tageszeitungen zu schmücken und das Programm mancher Talkshows zu füllen. Ebenso lassen <?page no="10"?> Kirche und Wirtschaft 9 Diskussionen um die Vatikanbank, die Prachtbauten oder die Ver schwendungssucht einzelner Würdenträger das eigentliche Anliegen der Kirche fast nebensächlich erscheinen. An Problemen, unbeant worteten Fragen und Vorwürfen, die sich aus dem Verhältnis von Ökonomie und Kirche ergeben, mangelt es jedenfalls nicht, ebenso wenig an Empfehlungen, guten Ratschlägen, Mahnungen und Mei nungen, wie die Dinge besser zu ges talten seien. In der breiten öffentlichen Diskussion scheint die Auseinanderset zung mit den das Verhältnis von Ökonomie und Kirche berühren den Grundfragen in den Hintergrund getreten zu sein. Gemeinsa mer Ausgangspunkt des Engagements jener, die sich zu solchen Grundfragen äußern, war und ist in der Regel di e Kritik an beste hende n, vielfach als ungleich und ungerecht empfundenen sozialen und ökonomischen Zuständen. Diese Zustände werden häufig auf die egoistische und rücksichtslose Verfolgung privater Interessen, die Bildung und Ausnutzung von Machtpotenzialen sowie die mangelnde Fähigkeit der politischen Systeme, diesen Bestrebungen Einhalt zu gebieten, zurückgeführt. Mit anderen Worten, die Phi lo sophie vom freien Spiel der Kräfte, vom Laufenlassen der Dinge, vom laissez faire, laissez passer, trägt Mitschuld. Mit dem Zeitalter der Industrialisierung, das von England ausge hend in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beginnt, nimmt die seitdem das ökonomische Denken prägende klassische National ökonomie ihren Anfang. Mit dem Plädoyer für das Laissez faire System und dem Abbau all der unzähligen Vorschriften, Einschrän kungen und Hinderniss e, die in den Wirtschaftssystemen vor dem Industrialisierungszeitalter bestanden, geht eine bis dahin nicht vorstellbare Entfaltung wirtschaftlicher Leistungskraft einher. Die Staaten Westeuropas verzeichnen als Folge der Entfesselung der physischen und geistigen Arbeitskraft der Individuen ungeheure Fortschritte in der wirtschaftlichen Entwicklung. Freie Berufswahl und ausübung, Befreiung des Grund und Bodens von vormals be stehenden Lasten, Gewinnung von Anbau und Weideflächen, neue Erfindungen in der Industrie, Verbesserung der Verkehrsin frastruktur, Ausweitung des Handels und der Gewerbe etc. führen <?page no="11"?> Prolog 10 zur Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Produktion und des ma teriellen Wohlstands. Voraussetzung dafür sind technischer Fort schritt, voranschreitende systematische Ausnutzung der Arbeitstei lung und eine vermehrte Ansammlung von Produktionskapital. Theoretisch scheint dies durch die klassische ökonomische Lehre gerechtfertigt zu sein, die, so manche teilweise auch übersteigerte Kritik, einen ungezügelten Egoismus geradezu propagiert. Di e Kehrseite dieser positiven wirtschaftlichen Entwicklung besteht in einem gesteigerten Konkurrenzkampf zwischen und innerhalb aller am ökonomischen Prozess beteiligten Gruppen mit der Folge von Monopolisierungsprozessen, die oftmals zur Zerstörung von Kleinbetrieben führen. Der Wettbewerb macht auch vor den Ar beitnehmern nicht halt. Im Kampf um die zum Lebenserwerb not wendigen Arbeitsplätze treten die se, rechtlich frei, unabhängig und unorganisiert, gegeneinander an. Vielfach zwingt die Situation am Arbeitsmarkt die Arbeitnehmer dazu, jede gebotene Arbeitsgele genheit, selbst unter kaum zumutbaren Bedingungen, einzugehen. Tritt Arbeitslosigkeit ein, so sind Verarmung und Verelendung die meist unmittelbare Folge. Übermäßige, unregelmäßige, gesund heitsgefährdende Tätigkeiten, Nacht und Kinderarbeit sind an der Ta gesordnung, die Repressalien und Willkür, denen sich die Ar beitskräfte ausgesetzt sehen, enorm. Beispiele sind Erpressung durch die Aufseher, Auszahlung in Erzeugnissen des Unterneh mens, Lohnabzüge, unregelmäßige Auszahlung oder Vorenthal tung der Löhne, Geldstrafen, Beschlagnahmung der Löhne, über mäßige Abzüge für Miete und Arbeitsgerät, Kündigung der Woh nung etc. Die Kr itik an der Situation der Arbeiterschaft ist jedenfalls umfangreich und breit gefächert. 4 Die Diskussion der positiven und negativen Seiten des freien Spiels der Kräfte wird über die klassische Nationalökonomik hinausge hend weitergeführt und oftmals auf die sich diametral entgegenste henden Entwürfe von liberalistischem Kapitalismus einerseits und marxistischem Sozialismus andererseits hin zugespitzt, eine Polari sierung von ökonomischer Theoriebildung der Extreme, die bis zum heutigen Tag Gü ltigkeit beanspruchen kann. Karl Marx jeden <?page no="12"?> Kirche und Wirtschaft 11 falls entwickelt mit seiner Theorie des Sozialismus einen der schärfsten und scharfsinnigsten Gegenentwürfe zur kapitalistischen Wirtschaftstheorie, der zudem durch seine theoretische Fundierung späterer Formen des real existierenden Sozialismus nachhaltige Wirkung entfaltet. Selbst im Brockhaus des 19. Jahrhunderts wird gegenüber den Selbstheilungskräften des Marktes kritisch ange merkt, dass die schrankenlose Freiheit, unbeschränkte und org ani satorische Freiheit der Arbeit zur modernen Gefahr der Zentralisa tion von Kapital, Geist und Arbeit mit den negativen sozialen Struk turproblemen geführt habe. Infolgedessen sei das freie System grundsätzlich beizubehalten, jedoch bedürfe es erheblicher eingrei fende r U nte rs tüt zu ng sm aßn ahm en. 5 Die Suche nach dritten Wegen, Vermittlungsversuchen zwischen den beiden Extremen von Kapitalismus und Sozialismus, lässt nicht lange auf sich warten. Viel später, im 20. Jahrhundert, stehen in Deutschland an der Spitze dieses Suchprozesses solch gewichtige Konzeptionen wie der Ordoliberalismus und die soziale Marktwirt schaft. Deren Vertreter setzen sich ausnahmslos und intensiv mi t den positiven und negativen Seiten des Kapitalismus und des Sozia lismus auseinander und gelangen zu unterschiedlichen Lösungen. Diesen Lösungen ist das Primat eines grundsätzlich auf die Vorteile der Marktkräfte bauenden kapitalistischen Systems gemein, wobei dem Sozialismus unterliegende Grundprinzipien der Eingrenzung der schädlichen Wirkungen des Kapitalismus dienen. Auf den Punkt gebracht: Dem Ka pitalismus wird einerseits, auf grund des freien Spiels der Kräfte, das Potenzial ungeheurer wirt schaftlicher Leistungsentfaltung zugetraut, andererseits werden jedoch die großen Gefahren zur Kenntnis genommen, die wegen mangelnder kollektiver Kontrolle entstehen können (für beide Sei ten liegt große empirische Evidenz vor). Beim Sozialismus verhält es sich umgekehrt: Auf der einen Se ite können durch zentrale staat liche Planung soziale Härten und Ungleichheiten besser gesteuert und ausgeglichen werden, auf der anderen Seite aber ist der Sozia lismus faktisch nicht in der Lage, eine adäquate wirtschaftliche <?page no="13"?> Prolog 12 Versorgung der Gesellschaften zu sichern, von der Einschränkung der individuellen Freiheiten ganz zu schweigen. Das Sichkümmern um die von den Schattenseiten der Ökonomie Betroffenen, die in Not und Elend leben, zählt seit jeher zu den vor dersten Aufgaben kirchlichen Engagements. So wenden sich bereits früh prominente Kirchenväter sozialen Fragestellungen zu, wie Au gus tinus im 5. Jahr hundert n. C., 6 die Scholastiker der Dominikaner und Franziskanerorden im 13. Jahrhundert mit herausragenden Ver tretern wie Thomas von Aquin oder in Form der sich gegen überhöh te Zinsen und Wucher richtenden, 1745 von Papst Benedikt XIV. erlassenen Enzyklika Vix pervenit (Über die Erhebung von Zinsen). Wissen: Enzykliken Der Begriff Enzyklika stammt aus dem Griechischen, (sprich: enkyklios), und bedeutet im Kreis lau fend. Eine Enzyklika ist ein päpstliches Rundschreiben in Form eines Lehrschreibens, das sich ursprünglich nur an die Bischöfe des Erdkreises, später teilweise an die ganze Kirche, alle Geistlichen, Gläubigen und schließlich sogar an alle Menschen guten Willens richtet und in grundsätzlicher und verbindlicher Weise Stellung zu theologischen, pastoralen oder auch gesellschaftlich relevanten Fragen bezieht. Eine Enzyklika kann aus wenigen Zeilen bestehen, aber auch den Umfang eines ganzen Buchs umfassen. Enzykliken sind Ausdruck der obersten Lehrgewalt des Papstes. Sie versu chen Antworten auf Fragen der Zeit zu geben. Der Beginn einer spezifischen und systematischen Form der Stel lungnahme zu sozialen Problemen vonseiten der katholischen Kir che erfolgt mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und fällt damit in eine für die Kirche bzw. den Vatikan schwierige Zeit des Umbruchs und der Veränderung, denn die Schattenseiten der Industrialisie rung betreffen ganz Europa und nehme n auch Italien nicht aus. Nahezu über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg, spätestens aber <?page no="14"?> Kirche und Wirtschaft 13 seit der Zeit des Risorgimentos, der nationalen Freiheits und Unab hängigkeitsbewegung, die 1815 nach der Aufteilung Europas im Anschluss an den Wiener Kongress einsetzt und mit der militäri schen Einnahme des Kirchenstaats 1870 endet, bildet die Auseinan dersetzung mit der sozialen Frage ein zentrales gesellschaftliches Anliegen in Italien. Auch die Gründung des Königreichs Italien 1861 än dert nichts an der teilweise desolaten Versorgungslage der Bevölkerung und dem bestehenden Nord Süd Konflikt, der den reicheren industrialisierten Norden Italiens von dem stärker land wirtschaftlich strukturierten ärmeren Süden distanziert. Italien und der Kirchenstaat <?page no="15"?> Prolog 14 Der Kirchenstaat, jeglicher weltlicher Machtinstrumente beraubt und im Garantiegesetz (Gesetz des Italienischen Staates über die Vorrech te des Papstes und des Heiligen Stuhls und über das Verhältnis des Staates zur Kirche) von 1871 auf das Gebiet Vatikan, Lateran und päpstliche Sommerresidenz in Castel Gandolfo reduziert, steht in harter Auseinandersetzung mit der R egierung. Papst Pius IX. und seine direkten Nachfolger, Papst Leo XIII. und Papst Pius X., erken nen weder die gesetzlichen Regelungen für den Vatikan an noch das neue Italien und lehnen jede offizielle diplomatische Zusammenarbeit mit den Regierenden ab. Papst Pius IX. geht 1874 qua päpstlicher Bulle Non expedit sogar so weit, italienischen Katholiken die Teilnah me an demokratischen Wahlen in Italien zu verbieten. Angesichts der wachsenden Verarmung, insbesondere von Bauern und Landarbei tern aus dem Süden, aber auch der katastrophalen Arbeitsbedingun gen in den industrialisierten Gebieten erhalten sozialrevolutionäre, anarchistische und sozialistische Bewegungen großen Zulauf. Die Kirche selbst beharrt vor allem in de r Zeit Pius IX. auf antimo dernen Positionen, mit denen Machtanspruch und Traditionen der Kirche bewahrt werden sollen. Höhepunkte dieser Entwicklung sind die Veröffentlichung des Syllabus errorum 1864, eine Sammlung von 80 Thesen, die vom Papst als falsch verworfen werden (u. a. werden der Sozialismus und Liberalismus abgelehnt), und das I. Vatikanische Konzil 1870. Mit politischem Kalkül und Gespür versucht im An schluss Papst Leo XIII., die Kirche für Themen der modernen Gesell schaft zu öffnen, ohne dabei ein en großen Konflikt mit den starken konservativen Kräften in der Kirche riskieren zu müssen. Im Jahr 1891 erscheint eine eigens die missliche Situation der Arbei terschaft dieser Zeit thematisierende Enzyklika, Rerum novarum (Über die neuen Dinge), die u. a. dazu führt, dass Papst Leo XIII. fortan als der Arbeiterpapst bezeichnet wird. Rerum novarum steht am Anfang einer Reihe von Sozialenzykliken und Apostolischen Rundschreiben, deren Inhalte sich auf soziale und ökonomische Probleme beziehen. 7 Der ersten Sozialenzyklika geht eine lang anhaltende Diskussion um die Vorzüge und Nachteile kapitalistisch und sozialistisch organisier ter Wirtschaftssysteme voraus, was sich übrigens auch in späteren <?page no="16"?> Kirche und Wirtschaft 15 Enzykliken wiederholt, sodass die Positionierung der Kirche - zu mindest aus der Sicht der ökonomischen Theorie - als ein Mittelweg aufgefasst werden kann. Die Kirche legt bei der Bewertung sozialer und ökonomischer Zustände Kriterien zugrunde, die über den Kata log rein politisch und ökonomisch motivierter Maßstäbe, wie sie in der ökonomischen Th eorie verwendet werden, hinausreichen. Auf diese Weise erhalten die Sozialenzykliken einen eigenständigen Cha rakter, auf dessen Betonung die Kirche großen Wert legt. Zitat Die kirchliche Soziallehre ist kein ‚dritter Weg‘ zwischen libera listischem Kapitalismus und marxistischem Kollektivismus […] sie ist vielmehr etwas Eigenständiges. Sie ist auch keine Ideologie, sondern die genaue Formulierung der Ergebnisse einer sorgfältigen Reflexion über die komplexen Wirklichkeiten menschlicher Exis tenz in der Gesellschaft und auf internationaler Ebene. 8 Wissen: Sozialenzykliken Rerum novarum (1891), Papst Leo XIII. Im Vordergrund steht die Arbeiterfrage als Kern der sozialen Frage, der Frage des 19. Jahrhunderts schlechthin. In Singulari quadam (1912) entscheidet Papst Pius X., dass die Mitgliedschaft katholischer Arbeiter in interkonfes sionellen Gewerkschaften geduldet werden kann. Quadragesimo anno (1931), Papst Pius XI. Wie der Name bereits ausdrückt, wird sie „im 40. Jahr“ nach Erscheinen von Rerum novarum im Lichte der damaligen Weltwirt schaftskrise veröffentlicht. Nur einige Monate später erscheint unter Pius XI. die kur ze Enzyklika Nova impendet (1931), in der er das durch die Finanzkrise hervorgerufene Elend anspricht. Gleichzeitig ruft er zur karitativen Hilfe auf und verurteilt die Aufrüs tung, die Finanzmittel verschwende, die dringend für so ziale Hilfen notwendig wären. <?page no="17"?> Prolog 16 Mit Non abbiamo bisogno, 1931 in italienischer Sprache verfasst, Mit brennender Sorge, 1937 in deutscher Sprache verfasst, und Divini redemptoris von 1937 erlässt Papst Pius XI. drei Enzykliken, in denen das Wirken der katho lischen Kirche unter Maßgabe grundlegender sozialpoli tischer Vorstellungen eines christlich geprägten Staats und Sozialwesens thematisiert wird. Man bedenke, dass dies vor dem Hintergrund des Faschismus in Italien, des Nationalsozialismus in Deutschland und großer Furcht vor einer zunehmenden Einflussnahme einer europaweit vitalen kommunistischen Bewegung geschah. Pfingstbotschaft (1941). Papst Pius XII. hat selbst keine explizite Sozialenzyklika veröffentlicht. Der Gesamtheit seiner Beiträge zu sozialen Themen, der sozialen Summe, wird jedoch ein ähnlicher Stellenwert wie dem einer So zialenzyklika beigemessen. Die Bedeutung der Pfingst botschaft findet sich vielfach herausgehoben. Mater et magistra (1961). Papst Johannes XXIII. Mutter und Lehrmeisterin entsteht zum 70 jährigen Jubiläum von Rerum novarum und ist der Arbeitersituation, dieses Mal jedoch unter Berücksichtigung globaler Zusammen hänge, gewidmet. Grundlegende Leitlinien der Sozial lehre wie die Achtung und Wahrung der Menschen und Freiheitsrechte finden sich in der ebenfalls von Papst Jo hannes XXIII. im Jahr 1963 veröffentlichten Enzyklika Pacem in terris (Über den Frieden auf Erden). In Populorum progressio (1967), Papst Paul VI., wird die Entwicklung der Völker unter dem Aspekt der Einhal tung einer durch christliche Werte zu gestaltenden Sozi alordnung analysiert. In seinem Apostolischen Schreiben Octogesima adveniens von 1971, das nach Form und Inhalt oftmals einer En zyklika gleichgestellt wird und 80 Jahre nach Rerum no varum erscheint, nimmt Papst Paul VI. zu verschiedens <?page no="18"?> Kirche und Wirtschaft 17 ten politischen und sozialen Herausforderungen Stel lung. Ein weiteres Apostolisches Schreiben, Evangelii nuntiandi von 1975, thematisiert vor allem die soziale Verantwortung im Rahmen des Evangelisierungsauf trags. Laborem exercens (1981), Papst Johannes Paul II. 90 Jahre nach Rerum novarum wird wieder die Arbeit als Da seinsmerkmal des Menschen und als zentrale Aus drucksform einer neuen Dimension der sozialen Frage in den Mittelpunkt einer Enzyklika gestellt. In Sollicitudo rei socialis (Besorgnis über gesellschaftliche Angelegenhei ten), von 1987, wird die katholische Soziallehre unter be sonderer Beachtung der dramatischen Verteilungsunter schiede zwischen den Gesellschaften der nördlichen und südlichen Hemisphäre weiterentwickelt, und es wird über Missverständnisse und Fehlinterpretationen selbst kritisch nachgedacht. Nach 100 Jahren Rerum novarum erscheint Papst Johannes Pauls II. dritte Sozialenzyklika, Centesimus annus (1991), die vor allem den Umbruch in den ehemals kommunistischen Staaten Europas themati siert. Inmitten der Wirtschafts und Finanzkrise veröffentlicht Papst Benedikt XVI. im Jahr 2009 die Sozialenzyklika, Caritas in veritate (Die Liebe in der Wahrheit). Hier wird angesichts der Krise nicht nur auf die dringende Bedeu tung eines Umdenkens im ökonomischen Handeln ein gegangen, sondern darüber hinaus dazu aufgefordert, die Chancen der Globalisierung richtig zu nutzen. Papst Franziskus hat 2015 die Enzyklika Laudato si’ ver öffentlicht, in deren Mittelpunkt erstmalig das Thema Umwelt in all seinen Facetten steht, weshalb vielfach auch von einer Umweltenzyklika die Rede ist. Gleich den Sozialenzykliken zuvor werden Problemfelder wie der Weltfriede, die weltweit existierende soziale Unge <?page no="19"?> Prolog 18 rechtigkeit, die Besinnung der Menschen auf wahre Wer te und die Schwachpunkte des vorherrschenden Wirt schaftssystems angesprochen. Bereits in seinem Aposto lischen Schreiben Evangelii Gaudium (2013) finden sich viele kritische Anmerkungen zur ökonomischen und so zialen Situation in der Welt. Die Sozialenzykliken nehmen für sich keine Unfehlbarkeit in An spruch, es wird sogar betont, dass die Kirche keinerlei technische Lösungen anzubieten habe und weit vom Anspruch entfernt sei, sich in staatliche Belange einzumischen. 9 Die Kirche „legt ja keine wirtschaftlichen und politischen Systeme oder Programme vor, noch zieht sie die einen den anderen vor, wenn nur die Würde des Menschen richtig geachtet und gefördert wird“. 10 Das Ziel der Sozi alenzykliken wird in der Verkündigung sozialer Wahrheiten gese hen, deren Missachtung zum freien Spiel privater Interessen und Logiken der Macht mit den bekannten zersetzenden Folgen für die Gesellschaft führe. 11 Der Zusammenhang mit ökonomischen Kern feldern erschließt sich hieraus unmittelbar. <?page no="20"?> 19 I. Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus Die Situation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Das 19. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch den Prozess der Indus trialisierung mit den Merkmalen der systematischen Arbeitsteilung, Technisierung und Mechanisierung, Rationalisierung und steigenden Kapitalintensität. Hinzu kommen die Ausweitung der Infrastruktur durch die Erschließung neuer Verkehrswege, Verbesserungen in der Übermittlung von Nachrichten sowie die Ausweitung des Finanzwe sens, begleitet von Entwicklungen der Ve rstädterung und einem hohen Anstieg der Bevölkerungszahlen, der vor allem auf eine ver besserte Ernährungssituation, Fortschritte in der Medizin und eine Reduktion der Sterblichkeit von Kindern und Säuglingen zurückge führt werden kann. So steigt in Deutschland die Bevölkerung von etwa 22,4 Millionen im Jahr 1816 auf über 49,4 Millionen Menschen im Jahr 1890, in Fra nkreich von über 29,1 Millionen im Jahr 1811 auf über 38,1 Millionen im Jahr 1891 und in Großbritannien einschließlich Wales und Schottland, im gleichen Zeitraum wie Frankreich, von fast 12 Millionen auf über 33 Millionen. 12 In Deutschland ist ein Anstieg des Volkseinkommens von 13 Milliarden Mark im Jahr 1867 auf 48 Milliarden Mark im Jahr 1913 zu verzeichnen, der einer Steigerung des jährlichen Pro Kopf Einkommens von 380 auf 780 Mark ent spricht. 13 Mit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts beginnt eine Peri ode der wirtschaftlichen Entwicklung, in der Deutschland England deutlich überholt - in England hat sich die industrielle Produktion zwischen 1870 und 1913 verdoppelt, in Deutschland versechsfacht - „aus einem Nachfolgerland wird ein Pionierland“. 14 Mit dem Ausbau der wirtschaftlichen Leistungskraft in den Industrie ländern vollzieht sich eine weitere Verschärfung in der Einkommens verteilung. Weit über 90 Prozent der Einkommensbezieher in <?page no="21"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 20 Deutschland gehören im ausgehenden 19. Jahrhundert zu den unters ten Einkommensstufen, während die Bezieher höherer Einkommen (über 6.000 Mark pro Jahr) bei etwa einem Prozent liegen. 15 Die Struk tur der Arbeiterschaft wandelt sich stark. Aus den arbeitenden Klas sen der Mitte des 19. Jahrhunderts, die sich vor allem aus Landarbei tern, Tagelöhnern, Gesinde, Dienstboten, Heimarbeitern, Hand werksgesellen und Fabrikarbeitern zusammensetzen, bildet sich die Arbeiterschaft oder das Proletariat als Klasse, in der die Industrie und Fabrikarbeiter, jedoch neu bin nendifferenziert, die prägende Gruppe darstellen. 16 Arbeiter sind vor allem die Kinder von Eltern aus den handarbeitenden Klassen, namentlich der Landarbeiter, städ tischen Tagelöhner, Heimarbeiter und Fabrikarbeiter, womit Geburt und Erbe zum zentralen Moment dessen werden, was einen Arbeiter zum Arbeiter bestimmt. 17 Die Arbeit bildet den Mittelpunkt des Le bens eines Arbeiters und ist zunehmend den Mechanismen des Marktes, den Kräften von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage aus gesetzt, die die Lebenssituation beherrschen. Dort, wo Arbeit verloren geht, Arbeitslosigkeit eintritt, ist dies oft gleichbedeutend mit dem Erleiden von materieller Not - jede wirtschaftliche Krise kann sich sch nell in eine Existenzkrise wandeln. Die Arbeit in jener Zeit ist, im Gegensatz zu heute, meist körper lich schwer und belastend, hinzu kommen die Gesundheit beein trächtigende Faktoren wie Schmutz, Gestank, Lärm, Hitze, Licht und Luftmangel, unzureichende hygienische Einrichtungen, ge ringer Gefahrenschutz und erdrückende Arbeitszeiten. Für die 1860er Jahre wi rd eine wöchentliche Arbeitszeit von 78 Stunden, 1871 von 72 Stunden, Ende der 1880er Jahre von 66 Stunden ge schätzt, eine Entwicklung, die einen deutlich sinkenden Trend anzeigt. Gearbeitet wird das ganze Jahr hindurch, Urlaub gibt es vor dem 20. Jahrhundert für die Klasse der Industriearbeiter nicht. 18 Löhne werden per Vertrag festgelegt, können aber vom Unternehmer, wenn die wirtschaftliche Lage es ihm geboten er scheinen lässt, herabgesetzt werden, oder es wird von ihm nach seinem Ermessen Kurzarbeit angeordnet. Wer dies nicht hinneh men will, hat die Freiheit, zu gehen. Löhne werden als Individual <?page no="22"?> Die Situation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 21 löhne verhandelt, d. h. abhängig von der individuellen Leistung des Arbeiters und unabhängig davon, wie viel Geld der Arbeiter zum Unterhalt seiner Familie benötigt. Ein Arbeiter, der sich auf dem Höhepunkt seiner körperlichen Leistungskraft befindet, ver dient mehr als ein alternder, dessen Kräfte nachlassen. Es ist durchaus üblich, dass die Familienangehörigen, di e Frau und/ oder die Kinder zum Familieneinkommen mit beitragen. Als Antwort auf die mit den großen wirtschaftlichen Leistungen der Industriegesellschaften einhergehenden sozialen Probleme entsteht die Arbeiterbewegung, die weltweit großen Zulauf erhält. Politisch werden Tendenzen der Demokratisierung sichtbar. In Deutschland bildet die Sozialgesetzgebung Otto von Bismarcks (1883-1889) einen Meilenstein für die Sozialpolitik, mi t ihren zentralen Bestandteilen einer Krankenversicherung (1883), Unfallversicherung (1884) und Rentenversicherung (1889) als Pflichtversicherungen für Arbeiter und Angestellte unterer Einkommen. Ziel der Sozialgesetzgebung und verschiedener Arbeiterschutzmaßnahmen ist die Absicherung gegen die Risiken, denen die Arbeiter im Berufsleben ausgesetzt sind. Dies kann durchaus als Folge eines Legitimationszwangs der Herrschaftselite interpretiert werden, die di e Sozialpolitik zunächst als „Instrument der ‚defensiven Modernisierung‘ gegen die politi sche Mobilisierung der Arbeiter einsetzte“. 19 Somit können die Re formbestrebungen der Arbeiterschaft als starkes Motiv für die von der Regierung durchgeführte Sozialpolitik gewertet werden und weniger als deren direkte Ursache. Arbeitervereinigungen existierten natürlich bereits vor dem 19. Jahrhundert. In England, dem Mutterland der Industrialisierung, schließen sich Arbeiter schon Ende des 17. Jahrhunderts zusammen, Vereinigungsverbote wie die General Combination Acts sind aus dem Ende des 18. Jahrhunderts bekannt. Nach der Aufhebung des Koali tions und Streikverbots in den Jahren 1824/ 25 entstehen nationale Bewegungen, die jedoch immer wieder unterdrückt werden. Schließlich nimmt die Ausbreitung der Gewerkschaften ab 1840 wieder zu, 1864 gründen Arbeiter verschiedener Länder in London die Internationale Arbeiterassoziation (IAA), die sp äter Erste Inter <?page no="23"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 22 nationale genannt wird. 1868 wird in Manchester der erste Gewerk schaftskongress, der Trades Union Congress, abgehalten, und in den 1890er Jahren sind die Gewerkschaften eine gesellschaftliche Tatsa che. Für Deutschland sind einige wichtige Stationen von Arbeiter zusammenschlüssen in der folgenden Übersicht dargestellt. 20 Wissen: Arbeitnehmerzusammenschlüsse in Deutschland In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts finden in Deutschland die ersten bedeutenderen gewerkschaftlichen Zusammen schlüsse im Zusammenhang mit der Märzrevolution statt. 1848 wird auf dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterkongress in Berlin die Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung ge gründet, der im Frühjahr 1849 mit 170 Vereinen insgesamt 15.000 Mitgliedern angehören, sie wird 1854 verboten. 1868 gehen aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterkon gress der sozialistische Allgemeine Deutsche Arbeiterschaftsver band mit zwölf Berufsorganisationen und der liberale Verband der deutschen Gewerkvereine hervor. 1875 entsteht die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands aus der Vereinigung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Ferdinand Lassalles von 1863 mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei August Bebels von 1869. 1878 werden zwei erfolglose Attentate auf Kaiser Wilhelm I. verübt, was Bismarck zum Anlass nimmt, das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (Sozia listengesetz) durchzusetzen. 120 Berufsorganisationen sowie 17 gewerkschaftliche Zusammenschlüsse werden aufgelöst. 1890 erfolgt die Aufhebung des Sozialistengesetzes. Die der Sozialdemokratie nahestehenden Gewerkschaften schließen sich in der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands mit über 120.000 Mitgliedern neu zusammen. <?page no="24"?> Die Entstehung von Rerum novarum 23 1889 entstehen auf Anregung Papst Leos XIII. 280 katholische Arbeitervereine mit ca. 65.000 Mitgliedern neben den von Adolph Kolping ab dem Jahr 1846 gegründeten Gesellenver einen, deren Hauptaufgabe in praktischer Sozialarbeit besteht. 1890 werden die 1882 gegründeten evangelischen Arbeiterver eine (EAV) zum Gesamtverband der evangelischen Arbeitervereine, der 40.000 Mitglieder umfasst, zusammengeschlossen. Die Entstehung von Rerum novarum Spätestens in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts er reicht die Arbeiterbewegung eine Bedeutung, der sich keine gesell schaftliche Institution gegenüber verschließen kann. Spät, aber nunmehr mit Nachdruck, verwandelt sich das Engagement einzel ner Kirchenvertreter in eine gesamtkirchliche Bewegung, die sich den Problemen der Arbeiterschaft zuwendet. So werden u. a. ka tho lische und evangelische Arbeitervereine gegründet oder neu orga nisiert. Der Höhepunkt dieser Entwicklung in der katholischen Kirche ist sicherlich die Veröffentlichung von Rerum novarum, der ersten Sozialenzyklika. Natürlich wurde die prekäre Situation der Arbeiter, bevor sie von der Kirche als drängendes gesellschaftliches Problem, mit dem man sich auch als Kirche offiziell zu befassen hatte, von dieser in den einzelnen Ländern wahrgenommen. Einige Beispiele sollen ein Bild davon vermitteln, auf welche Weise sich die katholische Kir che bereits auf internationaler Bühne mit dem Prob lem beschäftigte. In Deutschland gibt es zahlreiche Belege für ein bereits früh einset zendes soziales Engagement der Kirche. Allen voran organisieren der Elberfelder Pfarrer Adolph Kolping (1813-1865) und der Main zer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811-1877) praktische Unterstützung für die Arbeiter und nehme n zu den sozialen Prob lemen ihrer Zeit öffentlich Stellung. Von Kettelers Hauptwerk Die Arbeiterfrage und das Christentum erscheint 1864. Für besondere Aufmerksamkeit sorgt seine Predigt an der Wallfahrtsstätte Lieb <?page no="25"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 24 frauenheide bei Offenbach im Jahr 1869 vor Tausenden von Arbei tern, in der er eine systematische Sozialpolitik, Mitbestimmung der Arbeiter, Streikrecht, gerechte Löhne, Arbeitszeitverkürzungen und ein Verbot der Kinderarbeit einfordert. 21 Diese und andere Äuße rungen von Kirchenvertretern veranlassen den Kirchengegner Karl Marx in einem Brief an Friedrich Engels im September 1869 zu der Feststellung: „[…] habe ich mich überzeugt, dass speziell in den katholischen Gegenden energisch gegen die Pfaffen losgegangen werden muss. […] Die Hunde kokettieren (z. B. Bischof Ketteler in Ma inz, die Pfaffen auf dem Düsseldorfer Kongreß usw.), wo es passend erscheint, mit der Arbeiterfrage.“ 22 Vor allem die Schriften Kettelers sind es, die Papst Leo XIII. beim Verfassen seiner Sozialen zyklika beeinflussen. 23 Auch in anderen europäischen Ländern ergreifen die lokalen Vertreter der katholischen Kirche Partei für die Arbeiter, in Frankreich etwa Adrien Albert Marie de Mun (1841- 1914) oder Karl von Vogelsang (1818-1890) in Österreich. 24 1869 wird in Philadelphia mit der Knights of Labor eine Selbsthilfeor ganisation der Arbeiter gegründet, die in den 1880er Jahren mit an nähernd 800.000 Mitgliedern nicht nur zu einer der bedeutendsten, sondern zeitweise auch zur größten Arbeiterorganisation der USA avanciert. Welch zerrissenes Bild die katholische Kirche in Wahr nehmung und Umgang mit der Arbeiterbewegung in diesen Jahren abgibt und wie we it sie noch von dem vergleichsweise einmütigen Umgang gut zwei Jahrzehnte später, also in der Entstehungszeit von Rerum novarum, entfernt ist, zeigen die folgenden Ausführungen. Wie viele ähnliche Einrichtungen in dieser Zeit ist auch die Knights of Labor in einer Art Geheimgesellschaft nach dem Vorbild der Freimau rer organisiert. In seiner Enzyklika Humanum genus von 1884 be zeichnet Papst Leo XIII. die Freimaurerei als „unreine Seuche“, 25 eine Beschreibung, die eigentlich schon ausreicht, das Verhältnis des Vati kans zu den Freimaurern zu bestimmen. Bereits im Jahr 1825 hatte Papst Leo XII. alle Geheimgesellschaften verboten, was auch die blo ße Mitgliedschaft einschloss. 26 Die amerikanischen Bischöfe bewirken jedoch in den 1840er Jahren eine stillschweigende Duldung von Ar beiterbruderschaften durch die Kirche. 27 1883 zeigt der Erzbischof <?page no="26"?> Die Entstehung von Rerum novarum 25 von Québec, Elzéar Alexandre Taschereau, die Knights of Labor beim zuständigen Heiligen Offizium (damals noch die römische Inquisiti on) wegen Freimaurerei an. Taschereau reagiert damit auf gegen ihn selbst gerichtete Vorwürfe, er würde in seinem Amtsbereich nicht genügend gegen die Freimaurer vorgehen. 28 1884 erlässt die Inquisiti on ein einfaches Verbot der Knights of Labor für das Gebiet Québec. Im Anschluss entbrennt eine heftige Diskussion über ein generelles Ver bot, wodurch das Thema große Aufmerksamkeit in Presse und Öf fentlichkeit erhält. Der Erzbischof von Baltimore, Kardinal James Gibbons, betont schließlich die grundsätzliche Bedeutung des Falls und dass es hier um soziale Missstände und öffentliche Ungerechtig keiten ge he. Nun schaltet sich auch der Papst ein und 1888 hebt die Inquisition das Verbot auf. 29 Mit der Causa Knights of Labor wurde in der katholischen Kirche ein Präzedenzfall für die Duldung gewerkschaftlicher Organisationen geschaffen, wie er bald in Rerum novarum Eingang finden sollte. Die Arbeitnehmervereinigung Knights of Labor entspricht gewiss nicht dem damaligen Ideal einer katholischen Arbeitervereinigung, doch verdeutlicht sie das zu dieser Zeit noch uneinheitliche, teilweise diffuse Verständnis von gewerkschaftlicher Organisation, dem zu begegnen alle beteiligten gesellschaftlichen Gruppierungen erst einmal Erfahrungen sammeln mussten. Mit Genossenschaften, Kor porativen, Gesellenvereinen, Geheimbünden und vielen anderen Organisationsformen versuchten die Arbeiter ihre Interessen durchz usetze n. Die Ziele der Arbeiter zu unterstützen, berechtigte Forderungen von überzogenen Vorstellungen zu differenzieren, ohne dabei eigene Werte, Traditionen und geübte Praxis aufzuge ben, das war die große Herausforderung, der sich die Kirche zu stellen gezwungen sah. Ein weiterer Fall, der vor der römischen Inquisition landete, ist der des New Yo rker Priesters Edward McGlynn. McGlynn, ein Vertre ter des neu entstandenen Typus Arbeiterpriester, gerät in Konflikt mit seinem Erzbischof Michael Augustine Corrigan. In dem Streit geht es einerseits um recht verwickelte disziplinarische Fragen, andererseits um McGlynns leidenschaftliche Begeisterung für die <?page no="27"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 26 Ideen des (damals sehr populären) Ökonomen Henry George. 30 So nimmt die Inquisition den Fall McGlynn zum Anlass, die Schriften Henry Georges einer genauen Prüfung zu unterziehen und aus dem Fall McGlynn einen Fall George zu machen. In Henry Georges Hauptwerk Progress and Poverty (1879) ist das Grundeigentum von zentraler Bedeutung, wobei die Argumentation in weiten Teilen auf Erkenntnissen beruht, die schon seit François Quesnay (1694-1774), dem Begründer der physiokratischen Lehre, bekannt waren. Quesnay identifizierte in seinem Modell des Wirt schaftskreislaufs ( Tableau économique) drei soziale Klassen als Träger der wirtschaftlichen Aktivitäten: die produktive Klasse (landwirtschaft liche Pächter), die Klasse der Grundeigentümer (classe disponible) sowie die Klasse der Gewerbetreibenden und Händler. Letztere wird auch als die sterile oder neutrale Klasse bezeichnet, da sie aus Sicht Quesnays zwar nützlich, aber nicht schöpferisch ist, die Güter nur umformt und lediglich um die geleistete Arbeit verteuert, insgesamt jedoch keinen volkswirtschaftlich bedeutenden Überschuss produziert. Laut Ques nay ist es die Landwirtschaft, die den kompletten Überschuss der Volkswirtscha ft herstellt, davon aber nicht selbst profitiert, da dieser vollständig von den Grundeigentümern (vor allem dem Adel) ver braucht wird. Henry Georges Argumente sind ähnlich, das Bild vor Augen, dass die den wirtschaftlichen Überschuss einer Gesellschaft produzierenden Arbeiter und Bauern selbst meist im Elend leben, hingegen die Unternehmer eine Risikoprämie, den Zins auf ihr Kapi tal und zusätzlich den Lo hn für die eigene Arbeit erhalten. Übrig bleiben also die Grundbesitzer, die eigentlich nichts anderes leisten, als den Boden zur Verfügung zu stellen, und sich dafür den gesamten volkswirtschaftlichen Überschuss aneignen. Die Quintessenz dieser Argumentation ist offensichtlich: Das Privateigentum an Grund und Boden ist letztlich die Ursac he für die Armut in der Gesellschaft. Henry Georges Lösungsvorschlag wird bekannt unter dem Konzept der sogenannten single tax: Eine Steuer soll den gesamten Profit aus der Vermietung von Grundbesitz abschöpfen. Aber damit nicht genug, die von George erwarteten Einkünfte aus dieser Steuer sind <?page no="28"?> Die Entstehung von Rerum novarum 27 so hoch, dass er alle anderen Steuern abschaffen und damit der Wirtschaft einen starken Wachstumsimpuls geben will. 31 Für die Inquisition impliziert Georges Vorschlag die Quasi Enteignung der Grundbesitzer, was ihn in unmittelbare Nähe zum Sozialismus rückt. Mit folgerichtiger Konsequenz wird im Laufe des Verfahrens die Frage aufgeworfen, woran letztlich Sozialismus zu erkennen sei. Ein dabei entstandener Syllabus, der die verwerflichen Punkte des Sozialismus auflistet, ist leider verschollen. Nach mehre ren Gut achten und langer Diskussion schließlich verurteilt die rö mische Inquisition die Lehre Henry Georges. Zuvor hatte sich aber Papst Leo XIII. in das Verfahren eingeschaltet und die Klärung des Privateigentums an Grund und Boden für die Sozialenzyklika re serviert. 32 Außerdem sorgt der Papst dafür, dass das Urteil der In quisition sub segreto, unter Geheimhaltung, erfolgt. 33 Damit kommt es zu dem kuriosen Ergebnis, dass die Schriften von Henry George von der Inquisition zwar verboten werden, dieses Verbot selbst jedoch unter Geheimhaltung steht. Ein weniger drastisches Beispiel, wie sich die Kirche auf internationa lem Parkett mit der Arbeiterfrage auseinandersetzt, ist die von Kaiser Wilhelm II. initiierte internationale Arbeiterschutzkonferenz, die ab dem 15. März 1890 in Berlin tagt. Im Vorfeld war es zu eine m persön lichen Br iefwechsel zwischen Papst und Kaiser gekommen, in dem der Kaiser den Breslauer Fürstbischof Georg von Kopp als Delegier ten zur Konferenz einlud und der Papst die Unterstützung der Kirche versicherte. Nachdem Bischof Kopp am 11. Ap ril 1890 dem Papst über die Konferenz berichtet hatte, wendet dieser sich mit einem Schreiben vom 20. April 1890 an den Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, den Kölner Erzbischof Philipp Krementz. Daraus resultiert ein sehr ausführlicher Hirtenbrief (22. August 1890), in dem die deutschen Bischöfe zur Arbeiterfrage Stellung nehmen. 34 Die Bischöfe betonen, dass die Lösung der sozialen Frage nicht „der Pri vattätigkeit, dem freien Spiel der Kräfte oder gar dem Kampf ums Dasein“ überlassen werden dürfe, sondern dass Staat und Kirche zur Lösung der sozialen Frage zusammenarbeiten müssten. 35 <?page no="29"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 28 In den Jahren 1887 und 1889 gibt es erste Arbeiterpilgerzüge nach Rom. Papst Leo XIII. richtet in Ansprachen persönlich das Wort an die Pilger und bekundet seine Sympathie für die Sache der Arbeiter, die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe zugunsten der Arbeiter betonend. 36 Im Oktober 1887 bittet die Union catholique d’études socia les et économiques a Fribourg, eine von mehreren katholischen Stu dienkreisen, die sich mit den sozialen Fragen der Zeit beschäftigen, Papst Leo XIII. um eine Sozialenzyklika. Spätestens im Frühjahr 1888 beschließt der Papst, diesem Wunsch nachzukommen und hierzu Vorschläge und Meinungen aus aller Welt einzuholen. Wahrscheinlich im Frühjahr 1890 beauftragt der Papst den Jesuiten Matteo Li beratore mit dem Entwurf für eine Enzyklika über die Arbeiterfrage. Einige Eckpunkte legt der Papst von vornherein fest: Die Enzyklika soll sowohl die Irrtümer des Sozialismus als auch des Liberalismus aufdecken, die Rechte des Einzelnen und der Familie gegenüber dem Staat klarstellen, die Notwendigkeit des Privatei gentums aufzeigen und klären, welchen Beitrag der Sta at zur Lö sung der Arbeiterfrage zu leisten hat. Der erste Entwurf der Enzyklika wird von Kardinal Tommaso Ma ria Zigliara überarbeitet. Während die Vorlage Liberatores eher die praktischen Fragen in den Vordergrund rückt, arbeitet Zigliara vor allem die philosophisch scholastische Fundierung der Positionen heraus. Nachdem der Papst mit den er sten Ergebnissen nicht zu frieden ist, wird mit Kardinal Camillo Mazzella ein dritter aner kannter Experte für die Philosophie des Thomas von Aquin hinzu gezogen. Zusammen mit Liberatore überarbeitet er den Text Ziglia ras, die theoretischen Elemente werden gestrafft und einige Elemen te des ersten Entwurfs wieder eingefügt. Zu dem neuen Ma nuskript bemerkt der Papst: „Die Materie ist jetzt vollständig, aber der Ton fehlt noch. Sie muß noch ganz verdauet und neu gefaßt werden.“ 37 Die Endfassung der Enzyklika liegt nunmehr in den Händen der Privatsekretäre des Papstes, Alessandro Volpini und Gabriele Boc cali, die den Text noch einmal völlig neu strukturieren und verän dern. Kaum einzuschätzen ist die persönliche Einflussnahme durch <?page no="30"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 29 den Papst in dieser Phase, da er seine Änderungswünsche den Sek retären nur mündlich mitteilt. 38 Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 Die erste päpstliche Sozialenzyklika, Rerum novarum (Über die neu en Dinge), wird von Papst Leo XIII. im Jahr 1891 veröffentlicht. In der Einleitung von Rerum novarum werden Ausgangslage und Be weggründe prägnant und unmissverständlich formuliert: Zitat Der Geist der Neuerung, welcher seit langem durch die Völker geht, mußte, nachdem er auf dem politischen Gebiete seine ver derblichen Wirkungen entfaltet hatte, folgerichtig auch das volks wirtschaftliche Gebiet ergreifen. Viele Umstände begünstigten diese Entwicklung; die Industrie hat durch die Vervollkommnung der technischen Hilfsmittel und eine neue Produktionsweise mäch tigen Aufschwung genommen; das gegenseitige Verhältnis der be sitzenden Klasse und der Arbeiter hat sich wesentlich umgestaltet; das Kapital ist in den Händen einer geringen Zahl angehäuft, während die große Menge verarmt; es wächst in den Arbeitern das Selbstbewußtsein, ihre Organisation erstarkt; dazu gesellt sich der Niedergang der Sitten. Dieses alles hat den sozialen Konflikt wachgerufen, vor welchem wir stehen. Wieviel in diesem Kampfe auf dem Spiele steht, das zeigt die bange Erwartung der Gemüter gegenüber der Zukunft. Überall beschäftigt man sich mit dieser Frage, in den Kreisen der Gelehrten, auf fachmännischen Kon gressen, in Volksversammlungen, in den gesetzgebenden Körper schaften und im Rate der Fürsten. Die Arbeiterfrage ist geradezu in den Vordergrund der ganzen Zeitbewegung getreten. 39 Die soziale Frage mit der Arbeiterfrage in ihrem Mittelpunkt wird von der Kirche als zentrale Herausforderung des 19. Jahrhunderts wahrgenommen, und dies in nicht weniger drastischen und unver blümten Beschreibungen, wie sie in den Schriften der Historischen <?page no="31"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 30 Schule, der damals populären Wirtschaftslehre, mit ihrem berühm ten Vertreter Gustav von Schmoller (1838-1917), oder auch in Ab handlungen von Repräsentanten der sozialistischen Bewegung, allen voran Karl Marx, anzutreffen sind. Bezeichnenderweise trägt Rerum novarum die Überschrift Über die Arbeiterfrage und legt die Grundsätze dar, „welche für eine richtige und billige Entscheidung der Frage maßgebend sein müssen“. 40 Schon zu Beginn der Enzyklika dringt Leo XIII. auf „baldige ernste Hilfe“ für die Arbeiter, „weil Unzählige ein wahrhaft gedrücktes und unwürdiges Dasein führen“. 41 In einer ersten Analyse werden die sozialen Probleme vor allem auf die gesellschaftlichen Umwäl zungen zurückgeführt, die im Zuge des Prozesses der Industriali sierung eingetreten sind. Beklagt wird der Untergang alter gesell schaftlicher Strukturen, die ein gewisses Ausmaß an Stabilität, Ori entierung und Sicherheit gegeben haben und an deren Stelle kein Er satz getreten ist. Stattdessen ist eine arbeitende Klasse entstanden, die ohne eigentliche Interessenvertretung zurückbleibt. Als großes Problem wird auch der Staat wahrgenommen, der, mit dem zu nehmendem Verlust an christlich moralischen Grundsätzen und Anschauungen, wichtige Funktionen zum Schutz der Arbeitnehmer und zur Stabilitätserhaltung des gesellschaftlichen Lebens aufgege ben hat und den Arbeiter da mit dem Mechanismus eines unkontrol lierten Wettbewerbsprozesses, in dem „Herzlosigkeit reicher Besit zer“ und „ungezügelte Habgier der Konkurrenz“ vorherrschen, überantwortet hat. „Gieriger Wucher“, Habgier, Gewinnsucht und andere im Wirtschaftsleben zutage tretende Motive des menschli chen Handelns werden als zusätzliche, die unglückliche Entwick lung hin zu einer immer weiteren sich vers chärfenden ungleichen Einkommens und Vermögensverteilung fördernde Umstände an geführt. Begünstigt würden diese Entwicklungen durch steigende Konzentrations und Monopolisierungsgrade in den Bereichen von Produktion und Handel, die einigen wenigen die Ausnutzung an derer ermöglichten: „so konnten wenige übermäßig Reiche einer Masse von Besitzlosen ein nahezu sklavisches Joch auflegen.“ 42 <?page no="32"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 31 Mit dieser Beschreibung der ökonomischen Realität, wie sie bereits in den einleitenden Passagen von Rerum novarum vorgenommen wird, reiht sich die Sozialenzyklika in die Vielzahl ökonomischer Schriften mit antikapitalistischem Unterton der damaligen Zeit ein, die die beklagenswerte Situation, in der sich die Masse der Arbei terschaft befand, anprangerten. Das Einvernehmen in den Beschrei bungen der Situation der Arbeiter bezieht sich aber lediglich auf die vorfindbaren Tatbestände, die in ihrer Deut lichkeit nicht in Abrede gestellt werden können. Einvernehmen besteht zweifellos auch im Ziel, die Situation der Arbeiter zu verbessern. Ein ganz anderes Bild bietet sich hingegen beim Aufzeigen der Lösungsansätze. In ihrem eigenen Verständnis sieht die Kirche das Anliegen der Enzyklika in der Lösung der drängendsten sozialen Konflikte. V ersprechungen, die „dem armen Volke ein Leben ohne Not und nur voll Ruhe und Genuß vorspiegeln“, werden dagegen als Täuschung und Trug bezeichnet. 43 Die bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse nicht nur zu erkennen, sondern vor allem zu akzeptieren, ist das in der Enzykli ka vorgeschlagene Prinzip, was nicht bedeutet, sich mit den einher gehenden gesellschaftlichen Zuständen zufriedenzugeben. Anstatt die Machtverhältnisse aufzubrechen, wie es im Sozialismus als Lösungsweg gefordert wird, favorisiert die Kirche das Prinzip des Ausgleichs, indem ver sucht wird, die Interessen der Gegenseiten aufeinander zuzubewegen. Papst Leo XIII. spricht von „Konflikt bewältigung durch Eintracht und Harmonie“. 44 Dem liegt die Auf fassung zugrunde, dass Konflikte und Gegensätze überall im Leben vorhanden sind, sozusagen naturgemäß, durch die Natur angelegt und vom Menschen nicht beeinflussbar sind - Leo XIII. führt als Beispiel die Verschiedenheit der Glieder im menschlichen Körper an -, doch habe die Natur selbst auch Mechanismen eingerichtet, die in einem wechse lseitigen Verhältnis von Eintracht und Gleich maß zu einem Zustand gegenseitiger Harmonie führen werden. 45 In dieser Denkweise kommt deutlich die Naturrechtsphilosophie zum Ausdruck, in der der Papst und seine Berater nicht nur fun <?page no="33"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 32 diert ausgebildet sind, sondern auch einen ausgesprochenen Exper tenstatus innehaben. Wissen: Das Naturrecht Grundlage des Naturrechts ist die Überzeugung, dass der Mensch von Natur, durch seinen Verstand, eine Vorstellung von Richtig und Falsch, Gut und Böse besitzt: „Zum Inhalt des Naturrechts gehören als evidente Prinzipien eigentlich nur zwei Normen: Das Gerechte ist zu tun, das Ungerechte zu las sen und die uralte ehrwürdige Regel: ‚Jedem das Seine‘.“ 46 Das Naturrecht besagt, dass jeder Mensch von Geburt an, sozusagen von Natur aus, mit bestimmten Rechten ausgestat tet ist, Rechte, die ihm mit seiner Natur unverlierbar eigen sind, wie das nicht verkäufliche Eigentum an der eigenen Per son. Solche unveräußerlichen Rechte stehen in enger Bezie hung zur Idee der Menschenrechte. Sie sind absolut in dem Sinne, dass sie Allgemeingültigkeit besitzen, also gegenüber jedweder Person Gültigkeit beanspruchen und durchgesetzt werden können. Damit bezeichnet der Begriff Naturrecht das Recht, das dem gesetzten Recht übergeordnet ist. Die Idee des Naturrechts geht bis auf die antike griechische und römische Philosophie zurück. Im Mittelalter wird das Naturrechtskonzept vor allem durch Thomas von Aquin ver treten. Bedeutend für die Naturrechtslehre ist der niederlän dische Philosoph Hugo Grotius (1583-1645), der Staat und Gesellschaft aus einem angeborenen sozialen Trieb erklärt und daraus ein System von Rechten entwickelt, die mit dem Menschen „geboren“ sind. Eindrucksvoll begründet Grotius das Recht aller Völker auf den freien Handel auf See aus dem Naturrecht. In seinen Werken Die Freiheit der Meere (1609) und Vom Recht des Krieges und des Friedens (1625) liefert er entscheidende Grundlagen für die Entwicklung des Völker rechts. Überhaupt entstehen seit dem Zeitalter der Aufklä rung stark voneinander divergierende Naturrechtsauffas sungen. Spätestens mit dem 19. Jahrhundert wird das Natur <?page no="34"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 33 recht weitgehend von der Auffassung des Rechtspositivis mus verdrängt, der zufolge der Mensch sich seine rechtli chen Normen selbst in verbindlicher Weise setzt. Papst Be nedikt XVI. spricht für die heutige Zeit vom Naturrecht als einer „katholischen Sonderlehre“. 47 Die ersten Enzykliken argumentieren auf Basis naturrechtli cher Prinzipien, wie einige Beispiele zeigen. So folgt aus der natürlichen Würde des Menschen, dass der Lohn, die einzige Einnahmequelle eines Arbeiters, ausreichen muss, diesem und seiner Familie den Lebensunterhalt zu sichern. Ebenso werden das Recht auf privates Eigentum sowie das Recht zur Gründung von Gewerkschaften mit dem Naturrecht be gründet. 48 Das Verständnis von Naturrecht, wie es auch in den Sozial enzykliken verwendet wird, beschreibt Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Veritatis splendor (1993): „Im Innern seines Gewissens - schreibt das II. Vatikanische Konzil - entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bö sen anruft und, wo nötig, in den Ohren des Herzens tönt: Tu dies, meide jenes. Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird (vgl. Röm 2, 14-16) .“ 49 Dem Sozialismus wird vorgeworfen, die grundverschiedenen Posi tionen zwischen der besitzenden und der unvermögenden, arbei tenden Klasse bzw. zwischen Arbeit und Kapital als unversöhnliche Gegensätze hochzustilisieren und mit dieser Form des Überzeich nens und Aufstachelns der Besitzlosen gegen die Reichen einen falschen Weg zu beschreiten. Diese scheinbar unverrückbare Festle gung des S ozialismus auf die Unvereinbarkeit der Interessen der gesellschaftlichen Klassen und der daraus gezogenen Konsequenz des Klassenkampfs wird in der Enzyklika als ein „Grundfehler in <?page no="35"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 34 der Behandlung der sozialen Frage“ bezeichnet. Aber nicht nur Weg und Vorgehensweise des Sozialismus in der Lösung der Arbeiter frage werden von der Kirche kritisiert. Leo XIII. greift in aller Schär fe die Ansichten des Sozialismus bezüglich dessen Vorstellung von Eigentum an. Die sozialistische Idee der Eigentumsrechte, das mehr oder minder gesa mte Eigentum auf den Staat zu übertragen, somit das Privateigentum in weiten Teilen abzuschaffen, auf den Staat zu konzentrieren und anschließend durch gleichmäßige Verteilung der Bevölkerung zugutekommen zu lassen, wird als Weg zur Lösung der sozialen Probleme schlichtweg abgelehnt. Hingegen wird die Institution des Privateigentums in Rerum novarum verteidigt, nicht zuletzt weil der Mensch das Recht zum Besitz privaten Eigentums von der Natur erhalten habe. Privateigentum ist also naturrechtlich legitimiert, und dieses Recht zu gebrauchen ist nicht nur erlaubt, sondern sogar für das gesellschaftliche Dasein unabdingbar. 50 Mit der Idee des Privateigentums als notwendiger Voraussetzung für die Gesellschaften ist der Hauptgedanke der späteren ökonomi schen Eigentumsrechtsanalyse aufgegriffen, dass nämlich Privatei gentum im Vergleich zu Kollektiveigentum eine höhere wirtschaft liche Leistungsfähigkeit und damit größeren Wohlstand erzeugt, was sowohl die Anreizwirkung privaten Eigentums zur Leistungs erbringung als auch die Wahrnehmung von Ver antwortung, die durch Privateigentum entsteht, einschließt. Insbesondere der As pekt der Anreizwirkung, der vom Privateigentum auf die Leis tungserbringung der Individuen ausgeht, wird ausführlich darge legt. Zunächst wird begründet, wie Privateigentum zur Verbesserung der Lage der Arbeiter beiträgt. Der Arbeiter veräußert seine Ar beitskraft gegen einen Lohn, der es ihm ermöglicht, di e notwendi gen Mittel zur Deckung seines Bedarfs und des seiner Familie zu sichern. Diese Mittel, die der Arbeiter in Form von Gütern und Dienstleistungen auf den Gütermärkten erwirbt, gehen in sein Ei gentum über. Damit zielen Arbeit und Lohnerwerb auf den Erhalt privaten Eigentums. Gelingt es dem Arbeiter, Teile sein es Einkom mens zu sparen und von dem Ersparten beispielsweise ein kleines <?page no="36"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 35 Grundstück zu erwerben, so wechselt das Privateigentum lediglich seine Gestalt: Aus dem ersparten Geldbetrag wird ein Grundstück. Entscheidend hierbei ist, dass das Eigentumsrecht unangetastet bleibt. 51 Weil dem Arbeitnehmer aus dem erarbeiteten Einkommen das ausschließliche Nutzungsrecht zusteht und Gleiches auch für die von diesem Einkommen gekauften Güter gilt, erscheint es ihm lohnenswert, sich dafür zu mühen, Leistung zu erbringen, zu arbei ten. Würde das aus dem Arbeitseinkommen erworbene Eigentum, etwa das Grundstück, jedoch dem Kollektiv in Gestalt des Staa tes zufallen, sodass derjenige, der es erworben hat, vielleicht nur teil weise oder gar überhaupt keinen Nutzen davon hätte, so entfiele mithin der Anreiz, eine Leistung schlechthin zu erbringen, die über die Erwirtschaftung des zum Lebenserhalt Notwendigsten hinaus ginge. Auch sollte der Mensch frei in der Wahl des Zeitpunkts sei ner Kon sumentscheidung sein, d. h. frei darüber befinden können, ob er sein Einkommen lieber sofort oder aber zeitverzögert (durch Sparen), also zu einem späteren Zeitpunkt, für den Kauf von Gütern einsetzen möchte. Voraussetzung für eine solche intertemporale Konsumentscheidung, also die freie Entscheidung darüber, ob Mit tel zur Befriedigung der Bedürfnisse eh er heute oder zukünftig genutzt werden sollen, und somit für die Gewährleistung eines zusätzlichen Spielraums an persönlicher Entscheidungsfreiheit ist wiederum die Existenz des Privateigentums. Verständlich ist in diesem Zusammenhang in der Enzyklika die wiederholte Betonung des Besitzes an Boden. 52 Denn der Erwerb einer bescheidenen Grund und Bodenfläche kann für einen Arbeiter und seine Familie im ausgehenden 19. Jahrhundert die Schließung einer nicht zu un terschätzenden Versorgungslücke bedeuten. Dass ein Arbeiter durch Sparen in den Besitz von Produktionsmitteln gelangen konn te, ist zu jener Zeit eher unwahrscheinlich. Mit dieser generellen Begründung der Anr eizwirkung des Privatei gentums, die in vielen ökonomischen Schriften, seit der Zeit der klassischen Nationalökonomie bis in die Gegenwart hinein, so oder ähnlich vorzufinden ist und somit keinesfalls als nur kirchenspezifi sche Argumentation gedeutet werden kann, ist überzeugend darge <?page no="37"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 36 legt, warum die Erlangung persönlichen Eigentums als eine der wichtigsten Triebfedern für die Arbeitsanstrengung der Menschen und damit als Voraussetzung für den Wohlstand der gesamten Gesellschaft gilt. Umgekehrt würde die Auflösung des Privateigen tums unweigerlich zu einer Wohlstandsminderung in Form des Rückgangs der Ausstattung der Individuen mit Gütern und Dienst leistungen füh ren, oder wie es in der Enzyklika heißt: „Mit dem Wegfalle des Spornes zu Strebsamkeit und Fleiß würden auch die Quellen des Wohlstands versiegen. Aus der eingebildeten Gleich heit aller würde nichts anderes als der nämliche klägliche Zustand der Entwürdigung für alle.“ 53 Bei allen Argumenten zur Verteidigung des Privateigentums erfolgt in Rerum novarum keine Empfehlung hinsichtlich einer bevorzugten bestimmten Verteilung der Eigentumsrechte. Den Anspruch, eine solche anzugeben, hat die Kirche sicherlich auch nicht. In dieser Frage zieht sie sich auf die Position zurück, die Ordnung der Eigen tumsverhältnisse den Menschen zu überlassen, die das Eigentum entsprechend dem Fleiß und damit der Leistungsfähigkeit einzelner Personen und ga nzer Volkswirtschaften in bestmöglicher Weise zum Einsatz bringen. Nicht auf Kampf, sondern auf Interessenausgleich - als Methode der Konfliktbeilegung im Streit der sozialen Klassen - und auf das Privateigentum als Voraussetzung einer erfolgreichen Wirtschafts weise zu setzen, bildet das argumentative Fundament der Antwort auf die soziale Frage. Wie aber verhält es sic h mit konkreten Lö sungsvorschlägen? Ein Grundgedanke von Papst Leo XIII. besteht in der schrittweisen und nachhaltigen Verbesserung der Lage der Arbeiter. Ein ganz wesentlicher Schritt beinhaltet, der Arbeiterschaft Chancen zu eröffnen, Ersparnisse zu bilden, die etwa in den Erwerb von Grundbesitz fließen könnten. Voraussetzung für die Ersparnis bildung der Arbe iter ist ein gerechter Lohn. Der gerechte Lohn wird als ein natürliches Recht aufgefasst und beinhaltet die Sicherstel lung des Lebensunterhalts des Arbeiters und seiner Familie. Dar über hinaus sollte durch einen gerechten Lohn auch eine gewisse Vorsorge für die eigene Zukunft und für die Zukunft der eigenen <?page no="38"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 37 Kinder möglich sein, was die Weitergabe des Eigentums durch Vererbung einschließt. 54 Eingebettet sind diese Überlegungen in gesellschaftspolitische Re formbestrebungen, wie sie zur damaligen Zeit noch in den Kinder schuhen steckten, sich im Laufe des 20. Jahrhunderts jedoch in Ge stalt der Vermögensbildung abhängig Beschäftigter zu zentralen Bausteinen der Sozialpolitik fortentwickeln sollten. Grundsätzlich ging es um den immer wiederkehrenden und auch in der Gegen wart w ieder attraktiven Gedanken, dass einem Menschen der Rah men gegeben sein muss, durch die eigene Arbeit und Anstrengung seine Situation zu verbessern, was die Möglichkeit zur Vermögens bildung ebenso einschließt wie die Chance auf beruflichen Aufstieg. Der Erwerb von Eigentum ist dabei das Mittel, das „dem Menschen eine si chere Aussicht auf künftigen Fortbestand seines Unterhalts verleiht“. 55 Am Beispiel des Grundbesitzes wird in Rerum novarum aufgezeigt, wie die Annäherung von Arm und Reich auch der Ge samtwirtschaft zugutekommt: Diejenigen, die neues Eigentum an Boden gewinnen, werden diesen viel sorgfältiger und intensiver bewirtschaften, als es bei reinen Lohnempfängern, also jenen, die über kein Eigentum verfügen, der Fall wäre. 56 Mit dieser Aussage ist wiederum indirekt die Überlegenheit des Privateigentums gegen über anderen Eigentumsformen hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit berührt. Diesmal erfolgt die Begründung jedoch nicht über die höhere Anreizwirkung, sondern über die höhere Verantwortung, die aus Eigentum erwächst. Ein Eigentümer wird mit seinem Eigentum schonender, umsichtiger, pfleglicher und damit wirtschaftlich effizienter umgehen al s jemand, der eine Sache nutzt, die ihm nicht gehört. Nicht zuletzt steht dahinter auch der Gedanke, dass ein Eigentümer für den Wertverlust an der Sache aufkommen muss, ein reiner Nutzer jedoch nicht. <?page no="39"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 38 Zur Person: Papst Leo XIII. Papst Leo XIII. wird am 2. März 1810 unter dem Namen Vincenzo Gioacchino Pecci als sechstes von sieben Kindern in Carpineto geboren. Carpineto ist ein Bauerndorf in den Lepi nischen Bergen, ungefähr 70 km südöstlich von Rom gelegen, die Familie der größte Grundbesitzer im Dorf. Leo XIII. kommt also aus einfachen, aber nicht ärmlichen Verhältnissen. Vincenzo Pecci verlässt im Alter von acht Jahren zusammen mit seinem Bruder Giuseppe sein Heimatdorf und besucht zunächst das Jesuitenkolleg in Viterbo (1818-1824). Danach, von 1824 bis 1832, studiert er am Collegium Romanum Theo logie, Philosophie und Recht. Später wechselt er zur Ausbil dung für den päpstlichen diplomatischen Dienst zur Accade mia dei Nobili Ecclesiastici in Rom (1832-1837). 1835 promo viert er zum Doktor beider Rechte (Recht und Kirchenrecht). 1837 empfängt Vincenzo Pecci die Priesterweihe, und kurz darauf ernennt ihn Papst Gregor XVI. zum päpstlichen Dele gaten in Benevent (1838-1841). Weitere Stationen seines Werdegangs sind 1843 die Ernennung zum Titularerzbischof von Tamiathis und die Entsendung als päpstlicher Nuntius nach Belgien, die Ernennung zum Bischof von Perugia 1846 und im Jahr 1853 zum Kardinal durch den neuen Papst Pius IX., der ihn 1876 auch zum Camerlengo, zum Kardinals kämmerer, erhebt. In dieser Funktion muss Vincenzo Pecci keine zwei Jahre später den Tod des Papstes Pius IX. feststel len und die anstehende Papstwahl organisieren und leiten. Vincenzo Gioacchino Pecci wird im Februar 1878 zum Papst (Leo XIII.) gewählt. Er ist der erste Camerlengo, der die Nachfolge des heiligen Petrus antritt. Bei seiner Amtsüber nahme gilt er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und seiner schlechten Gesundheit als Übergangspapst. Tatsäch lich dauert sein Pontifikat über 25 Jahre. Und er wird ein sehr politischer Papst, mit der sozialen Frage und dem Elend der Arbeiter als „seinen“ Themen. <?page no="40"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 39 Papst Leo XIII. Leo XIII. gilt als herausragender Diplomat. Schon kurz nach seinem Amtsantritt beendet er den Kulturkampf in Deutsch land. Zu den Vereinigten Staaten und zu Russland knüpft er enge politische Beziehungen. Länder wie etwa Österreich, Preußen oder Belgien, die noch unter seinem Vorgänger die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abgebrochen ha ben, nehmen diese wieder auf. Streitigkeiten mit der Schweiz und einigen lateinamerikanischen Ländern werden beigelegt. Wie hoch das politische Ansehen des Papstes gewachsen ist, zeigt sich 1885 bei den Territorialstreitigkeiten zwischen Deutschland und Spanien um die Karolineninseln. Auf Vor schlag des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck ru fen die zerstrittenen Länder Papst Leo XIII. als Schiedsstelle an und verpflichten sich vorab, dessen Entscheidung bedin gungslos anzuerkennen. Weitere Länder folgen diesem Bei spiel, so etwa 1894 Ecuador, Peru sowie 1895 Argentinien und Chile. Papst Leo XIII. wird der „Enzyklikenpapst“. Während seiner Amtszeit verfasst er 86 dieser päpstlichen Lehrschreiben zu al len möglichen Themen: So wendet er sich früh gegen den So zialismus (Quod apostolici muneris, 1878), erklärt die Philoso phie des heiligen Thomas von Aquin für die katholische Kir <?page no="41"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 40 che als verbindlich (Aeterni patris, 1879), verurteilt die Frei maurerei (z. B. Humanum genus, 1884, Sapientiae christianae, 1890), hebt die Bedeutung des Rosenkranzes hervor (z. B. Sup remi apostolatus officio, 1883) und verbietet das Duellieren (Pas toralis officii, 1891). Herausragende Beachtung findet aber zu allen Zeiten seine Sozialenzyklika Rerum novarum. Leo XIII. verstirbt am 20. Juli 1903. Er geht als „Arbeiter papst“ und als Papst, der die moderne Gesellschaft mit der Kirche versöhnt hat, in die Geschichte ein. 57 Mit der Rolle des Privateigentums, der Vermögensbildung für Ar beitnehmer, der Berücksichtigung der Interessenlagen möglichst aller an Konfliktsituationen Beteiligter und der Ablehnung des So zialismus werden einige Positionen und Vorstellungen der Kirche hinsichtlich der Mittel angesprochen, die zur Verbesserung der Situation der Arbeiter beitragen können. Darüber hinaus werden weitere Maßnahmen beschrieben und eingefordert. Eine stren g normative Vorgabe für Arbeitgeber entsteht aus christlich moralischer Perspektive für die Arbeitgeber bei der Lohnfestset zung. Solange Löhne in einer die Existenz der Arbeiterschaft si chernden Höhe bestimmt sind, ist gegen ihre Bestimmung durch den Prozess von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage kein Ein wand zu erheben. Dies steht im Einkl ang mit dem biblischen Grundsatz, jedem das Seine zukommen zu lassen, der hier die nor mative Grundlage für die Bestimmung der Lohnhöhe liefert. Nutzt ein Arbeitgeber jedoch die Marktlage aus, indem die Lohnhöhe unter ein Niveau gedrückt wird, bei dem die Existenz des Arbeiters und seiner Familie in Gefahr gerä t, dem Arbeiter der ihm gebüh rende Verdienst also vorenthalten wird, so liegt eine Sünde vor, „die zum Himmel schreit“, da Notleidende um des eigenen Vorteils willen unterdrückt und ausgebeutet werden. 58 Zwei Eigenschaften der Arbeit sind berührt. Zum einen ist die Ar beit ein persönliches Gut des Arbeitenden, das es nicht zuletzt als Eigentum zu schützen gilt. Zum anderen ist Arbeit notwendig, da der Arbeiter nur durch sie seinen Lebensunterhalt sichern kann und <?page no="42"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 41 damit einzig in der Lage ist, die ihm gebotene „strenge natürliche Pflicht der Erhaltung des Daseins“ zu erfüllen. Entsprechend der ersten Eigenschaft steht der Bestimmung der Höhe des Arbeitslohns über den Mechanismus von Angebot und Nachfrage nichts im We ge, es ist der persönliche Entschluss des Arbeitenden, ob er einen zu geringen Lohn ak zeptiert oder nicht. Insoweit wäre der Prozess der Bestimmung des Lohnsatzes über den reinen Marktmechanismus gerechtfertigt. Allerdings steht dieser Argumentation die zweite Eigenschaft der Arbeit entgegen: Die natürliche Verpflichtung zur Erhaltung des Lebens, die aufgrund ihres naturgesetzlichen Charak ters den menschengemachten Mechanismen wie dem der Preisbe stimmung via Angebot und Na chfrage übergeordnet ist, verbietet geradezu einen Lohn, der für den Lebensunterhalt der Familie nicht ausreicht. Leo XIII. verwendet in diesem Zusammenhang den Be griff der „natürlichen Gerechtigkeit“, mit dem eine Gerechtigkeit eingefordert wird, die - aus Sicht der Kirche - über den von Men schen gemachten Maßstäben stehen muss. Na türliche bzw. göttliche Maßstäbe haben den Vorrang vor den von Menschen gemachten. 59 Bezogen auf die Bestimmung des Arbeitslohns ist es dem Arbeiter nicht einmal erlaubt, einen Lohn unterhalb des Subsistenzniveaus zu akzeptieren, und mit gleicher Begründung darf auch der Unter nehmer keinen entsprechend niedrigen Lohn anbieten. Leo XIII. wendet sich damit eindeutig gegen das freie Spiel der Marktkräfte bei Lohnvereinbarungen: Zitat Selbst wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine freie Vereinba rung träfen, die Erhaltung des Lebens ist heilige Pflicht eines jeden. Hat demnach jeder ein natürliches Recht, den Lebensunterhalt zu finden, so ist hinwieder der Dürftige hierzu allein auf die Hände arbeit notwendig angewiesen. Wenn also auch immerhin die Ver einbarung zwischen Arbeiter und Arbeitgeber, insbesondere hin sichtlich des Lohnes, beiderseitig frei geschieht, so bleibt dennoch eine Forderung der natürlichen Gerechtigkeit bestehen, die näm lich, daß der Lohn nicht etwa so niedrig sei, daß er einem genüg <?page no="43"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 42 samen, rechtschaffenen Arbeiter den Lebensunterhalt nicht abwirft. Diese schwerwiegende Forderung ist unabhängig von dem freien Willen der Vereinbarenden. Gesetzt, der Arbeiter beugt sich aus reiner Not oder um einem schlimmeren Zustande zu entgehen, den allzu harten Bedingungen, die ihm nun einmal vom Arbeitsherrn oder Unternehmer auferlegt werden, so heißt das Gewalt leiden, und die Gerechtigkeit erhebt gegen einen solchen Zwang Ein spruch. 60 Die Forderung nach natürlicher Gerechtigkeit, als deren oberstes Ziel die Erhaltung des Lebens selbst steht, bezieht sich selbstredend nicht nur auf die Bestimmung der Lohnhöhe, sondern umschließt auch weitere Bereiche. So bedarf das geringe Eigentum sozial Schwacher des besonderen Schutzes gegen Gewalt, Betrug und Wucher, 61 denn die Schädigung seines Eigentums kann für den Betroffenen zu einer existenzgefährdenden Bedrohung erwachsen. Ebenso werden aus dem Gebot der Lebenserhaltung weitere kon krete Forderungen zur Verbesserung des Arbeitslebens abgeleitet. Die Kinderarbeit wird generell abgelehnt und ein Freiraum für die Erziehung der Kinder für unabdingbar befunden. Auch wird darauf hingewiesen, dass unterschiedl iche körperliche Konstitutionen, wie sie zwischen erwachsenen Männern, Frauen und Kindern nun ein mal bestehen, bei der Bemessung der Arbeitszeit und der Zuwei sung von Arbeiten hinsichtlich ihrer Schwere auch verschieden berücksichtigt sein müssen. Schließlich sei sicherzustellen, dass den Arbeitern genügend Freiräume, die Rede ist von Ruhe, zur Verfü gung stehen, damit sie si ch von der Schwere der Arbeit erholen und ihre Kräfte regenerieren können. Die Vernachlässigung dieser Be dingungen ist „sittlich nicht zulässig, weil die Preisgabe von Pflich ten gegen Gott und gegen sich selbst von niemand gefordert und von niemand zugestanden werden kann“. 62 Vor diesem Hinter grund sind auch die Arbeiter aufgefordert, durch eigene Initiative und durch Bildung von Zusammenschlüssen zu einer Lösung der sozialen Probleme beizutragen: „Den ersten Platz aber nehmen in dieser Hinsicht die Arbeitervereinigungen ein.“ 63 <?page no="44"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 43 Wenngleich die Idealvorstellung der katholischen Kirche von einer Arbeitervereinigung damals wohl eher dem historischen Vorbild der Handwerkerzünfte des Mittelalters entsprochen hat, spricht einiges dafür, dass der Begriff der Arbeitervereinigung auch Genos senschaften und Gewerkschaften einschloss. Definiert werden Ar beitervereinigungen nämlich durch ihre Zielsetzung, „gegenseitige Unterstützung, […] Hilfeleistung für den Arbeiter und sein e Familie bei plötzlichem Unglück, in Krankheits und Todesfällen, […] zum Schutz für Kinder, jugendliche Personen oder auch Erwachsene“ 64 zu gewähren und die Arbeiternehmerinteressen etwa bei Fragen der Arbeitszeit oder Arbeitssicherheit zu vertreten. Die Daseinsbe rechtigung der Arbeitervereinigungen erfolgt unter Rückgriff so wohl auf die Bibel als auch mit Verweis auf Thomas von Aquin, der die Bildung solcher „privater Gesellschaften“, in der sich Menschen zur Steigerung ihrer Nutzen vereinigen, mit naturrechtlicher Ar gumenta tionsweise befürwortet. 65 Die Rechtfertigung über die Bibel erfolgt mit Hinweis auf Korinther 4 und die Sprüche 18: „Es ist besser, daß zwei zusammen seien, als daß einer allein stehe; sie haben den Vorteil ihrer Gemeinschaft. Fällt der eine, so wird er vom andern gehalten. Wehe dem Vereinzelten! Wenn er fällt, so hat er niema nd, der ihn aufric htet.“ und: „Der Bruder, der vom Bruder unterstützt wird, ist gleich einer festen Stadt.“ 66 Arbeitervereinigungen sind somit als Gemeinschaften von Arbei tern, die gleiche Interessen verfolgen, innerhalb des Staatsgebildes ausdrücklich zugelassen und zur Schaffung von Abhilfe bei sozia len Missständen sogar explizit erwünscht. Nur in sehr begründeten Ausnahmefällen darf der Staat die Vereinigungen verbieten, und zwar „wenn sie sich zu Zielen bekennen, die offenkundig gegen Recht und S ittlichkeit oder sonst wie gegen die öffentliche Wohl fahrt gerichtet sind“. 67 Und auch diese Gründe dürfen von den Regierenden nicht nur als Vorwand für Maßnahmen dienen, die „nicht auf vernünftigem Grunde beruhen“, d. h. dem Naturrecht widersprechen. Denn die Gründung privater Gesellschaften, wie etwa einer Arbeitervereinigung, entspringe ebenso wie der Staat selbst „einzig aus dem natürlichen Trieb des Menschen zu gegensei <?page no="45"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 44 tiger Vereinigung“, und ein Verbot außerhalb eines Verstoßes gegen Recht, Sitte und Wohlfahrt würde einen Widerspruch gegen das eigene Konstitutionsprinzip beinhalten. Bereits hier deutet sich an, dass dem Staat auf der einen Seite eine gewichtige Rolle bei der Lösung der sozialen Frage zukommt, auf der anderen Seite ihm aber klare Grenzen gesetzt sein mü ssen. So besitzen staatliche Ge setze und Anordnungen einen inneren Anspruch auf Gehorsam nur, „insofern sie der richtigen Vernunft und damit dem ewigen Gesetze Gottes entsprechen“, 68 mit Bezug auf vorstehend genannte Begründung sich also im Rahmen von Recht, Sitte und der Förde rung des Wohles der Gemeinschaft bewegen. Die katholische Kirche machte es sich bei der Bestimmung ihrer Position zu Arbeitervereinigungen wahrlich nicht leicht. Dies sei am Beispiel der Debatte um den sogenannten Gewerkschaftsstreit ver deutlicht. Es zeig t die Tiefe und Breite, mit der die Diskussion über Gewerkschaften innerhalb der katholischen Kirche geführt wurde. Vorausgeschickt sei, dass es vor allem nach der Veröffentlichung von Rerum novarum in Deutschland zur Bildung katholischer Ge werkschaften kam. Die Mitglieder dieser Gewerkschaften sind zwar überwiegend katholisch, aber auch Anhänger anderer Konfessionen können beitreten, und die Leitung wird typischerweise demokra tisch von den Mitgliedern bestimmt. Um die Jahrhundertwende spaltet sich das katholische Lager in Deutschland an der Frage, ob katholische Arbeiter Mitglied in einer interkonfess ionellen Gewerk schaft sein dürfen. Die als Gewerkschaftsstreit bekannte Auseinandersetzung ist Teil eines grundsätzlichen Konflikts zwischen antimodernen Bewegun gen und modernen Ausrichtungen. Die Anhänger der antimoder nen Bewegungen, auch als Integralisten bezeichnet, sind der Über zeugung, dass alle Lebensbereiche in die Zuständigkeit der Kirche fallen, während sich die mo dernen Richtungen, zu denen der Sozi alkatholizismus und die katholischen Gewerkschaften gehören, offener zeigen. Die Integralisten lehnen die christlichen Gewerk schaften ab, stattdessen sollen sich die Arbeiter in katholischen Arbeitervereinen organisieren, die, von Priestern geführt, in erster <?page no="46"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 45 Linie Zielen der religiös sittlichen Festigung der Arbeiter dienen. Die eigentliche Interessenvertretung der Arbeiter erfolgt - wenn überhaupt - in untergeordneten Fachabteilungen der Vereine. Die Integralisten organisieren sich im Berliner Verband katholischer Arbei tervereine und um den Breslauer Bischof Georg von Kopp, den Ber liner Bischof Maximilian Beyer und den Trierer Bischof Michael Felix Korum (sogenannte Berliner Richtung). Für die Gegenpartei (sogenannte Kölner oder Mönchengladbacher Richtung) sind der Volksverein für das katholische Deutschland (mit über 800.000 Mitglie dern vor dem Ersten Weltkrieg) 69 und der Westdeutsche Verband der katholischen Arbeiter , Arbeiterinnen und Knappenvereine die zentralen Organisationen. Der Vorsitzende des Volksvereins, August Pieper, und die Zentrumspolitiker Franz Hitze und Heinrich Brauns sind zentrale Befürworter der christlichen Gewerkschaften. 70 Der seit ca. 1900 bestehende Streit wird teilweise polemisch und sehr vehement geführt. Neben der Spaltung der katholischen Arbei terbewegung leidet auch die Handlungsfähigkeit der einzelnen Organisationen, die sich aufgrund der unklaren politischen Situati on zur vorsichtigen Zurückhaltung gezwungen sehen und sich entsprechend möglichst nicht an Arbeitskämpfen beteiligen. Die Gegner der interkonfes sionellen Gewerkschaften wenden sich schließlich an den Papst. Ein Verbot kann jedoch durch die Inter vention des Kölner Erzbischofs Anton Fischer abgewendet werden. Die 1912 erscheinende Enzyklika Singulari quadam von Papst Pius X. stellt schließlich einen Kompromiss zwischen den Positionen her: Christliche Gewerkschaften werden geduldet, aber nur wenn ihre katholischen Mitglieder gleichzeitig auch in Arbeitervereinen orga nisiert sind und die Gewerkschaften nicht gegen die kirchliche Lehrmeinung verstoßen. Im Anschluss nimmt die Intensität des Gewerkschaftsstreits ab, vor allem nachdem mit Bischof Ko pp der schärfste Gegner der Gewerkschaften 1914 verstirbt. Endgültig beendet wird der Streit aber erst, als 1931 Papst Pius XI. in seiner Enzyklika Quadragesimo anno die mögliche Duldung der Gewerk schaften aus der Enzyklika Singulari quadam (tolerari posse) in eine ausdrückliche Billigung (probare) umwandelt. 71 <?page no="47"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 46 Verschiedene Maßnahmen zur Lösung der Arbeiterfrage in Rerum novarum wurden bereits vorgestellt, einschließlich der Gründung von Arbeitervereinigungen. Zu erwarten wäre nun die Diskussion organisierter Streiks als zentrales Mittel der Durchsetzung von Ar beitnehmerinteressen, und dies etwa unter Berücksichtigung eines harmonischen oder zumindest kontrollierten Interessenabgleichs. In der Enzyklika wird jedoch nicht einmal auf die Zulassung von Ar beiterstreiks eingegangen. Wie ist die se anscheinende argumentati ve Inkonsistenz zu erklären? Zur Beantwortung bedarf es einiger Ausführungen zu der Bedeutung von Streiks in Theorie und Praxis. Arbeitseinstellungen bzw. Streiks auf der Arbeitnehmer und Aus sperrungen auf der Arbeitgeberseite bilden die wesentlichen In strumente im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Sie haben sich al s wirksames Mittel der Arbeitnehmer zur Durchsetzung ihrer Interessen bewährt. Allein in Deutschland gibt es im Anschluss an die Aufhebung des Koalitionsverbots im Jahr 1869 mehr als 1.000 Streiks innerhalb der folgenden fünf Jahre, und im Anschluss an die Wirtschaftskrise von 1873 sind 400 Streiks in den Jahren 1874 bis 1878 über liefert. 72 Als Beispiele für Massen streiks seien die Streiks der Bergarbeiter im Ruhrgebiet von 1889 angeführt, etwa 90.000 Personen sind daran beteiligt, der große Streik der Londoner Dockarbeiter im gleichen Jahr mit ca. 180.000 Arbeitern und der Streik von 200.000 Grubenarbeitern in den engli schen Kohledistrikten im März 1890. 73 Zwar hat die Härte der Aus einandersetzungen mit der zunehmenden Aufklärung und Erfah rung der Arbeitnehmer und Arbeitgebervereinigungen im Laufe der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ab genommen, doch ist allen Beteiligten bewusst, dass die mit den Streiks einhergehenden Unruhen teilweise staatliche Reaktionen hervorrufen, die nicht se lten durch Zerschlagung mithilfe polizeili cher oder militärischer Gewalt ein blutiges Ende finden. Am Rande sei angemerkt, dass nicht zuletzt auch das im Jahr 1878 von Bis marck auf den Weg gebrachte Sozialistengesetz als Reaktion auf Streiks und Arbeiterbewegungen zurückzuführen ist. 74 <?page no="48"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 47 Auf dem Gebiet der politischen Ökonomik bilden sich neue Lohn und Gewerkschaftstheorien, die die Arbeitseinstellung als probates Instrument des Arbeitskampfs behandeln. Der Begriff Arbeitsein stellung wird in der zweiten Auflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften von 1898 definiert als „die gemeinsam erfolg te, freiwillige Niederlegung der Arbeit seitens der in einem be s timmten Berufe beschäftigten unselbstständigen Personen in der Absicht, ihren Arbeitsvertrag dadurch günstiger für sich zu gestal ten“, 75 was später in der Formulierung der kollektiven Arbeitsver weigerung als Mittel zum Zweck der Verbesserung der Arbeitsbe dingungen in verkürzter Form formuliert wird. Bereits 1872, in seinem Eröffnungsvortrag zum Thema Arbeitseinstellungen und Ge werkvereine auf der Gründungsversammlung des Vereins für Socialpo litik in Eisenach, tritt einer der einflussreichsten Nationalökonomen im Kaiserreich, Gustav von Schmoller, entschieden für das Streik recht, Gewerkschaftsorganisationen und die Interessenvermittlung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein. 76 Und ein weiterer bedeutender Vertreter der Historischen Schule, Lujo Brentano (1844-1931), bezeichnet in einer Untersuchung über das englische Gewerkschaftswesen die Gewerkschaften einschließlich ihrer Ziele und Kampfinstrumente gar als die „notwendige Ergänzung der Nationalökonomie auf Grundlage vollkommener Freiheit“ 77 und legitimiert somit auch Arbeitseinstellungen als Ausdruck modernen Freiheitswillens und Freiheitsrechts von wissenschaftlicher Seite. Zur Jahrhundertwende gelten Streiks nach gängiger wissenschaftli cher Auffassung gemeinhin als akzeptiertes Mittel des Arbeits kampfs, von einer Autonomie der Tarifpartner heutiger Ausprägung ist man jedoch noch weit entfernt. Streiks werden weitestgehend akzeptiert, wenn sie die Volkswirtschaft al s Ganzes nicht zu sehr in Mitleidenschaft ziehen. Werden jedoch durch Streiks große Teile des wirtschaftlichen Lebens stillgelegt und ganze (nicht von den Streiks betroffene) Wirtschaftszweige zum Erliegen gebracht sowie Versor gungslücken und Einkommensverluste bei nicht in die Streiks invol vierten Personen verursacht, so sieht sich der Staat zur Intervention aufgefordert. Die Begrü ndung lautet, dass das Recht der Gesellschaft <?page no="49"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 48 auf Frieden über jenem einzelner Gruppen stehe und durch eskalie rende Auswirkungen auch mühsam erstrittene Rechte wie das der Koalitionsfreiheit gefährdet würden. 78 Nicht zuletzt entsteht zum Zweck der Eindämmung solcher Auswüchse in verschiedenen Län dern ein umfangreiches Einigungs und Schiedswesen. Natürlich beruhen solcherlei Auffassungen auf einem bereits fort geschrittenen Entwicklungsstand der Arbeitervereinigungen, die sich, und zwar ebenso wie die Vertretungen der Arbeitgeber, zu nächst von einfachen, vielfach durch Unkenntnis, Vorurteile und vereinzelte Gewaltbereitschaft geprä gten Bewegungen hin zu Or ganisationen entwickelt hatten, die die Disposition zu gegenseitiger Interessenakzeptanz und professioneller Verhandlungsbereitschaft aufbrachten. 79 Schmoller bemerkt: „Die Macht der Unternehmer hat die Arbeiter rechnen und überlegen, die Macht der Arbeiter hat die Unternehmer verhandeln und Kompromisse schließen gelehrt.“ 80 Diese Entwicklung hin zur gegenseitigen Akzeptanz, Verhand lungsbereitschaft und Kompromissschließung befindet sich durch aus im Einklang mit der Konfliktbewältigungsstrategie durch Ein tracht und Harmonie, wie sie in Rerum novarum vorgeschlagen wird. Arbeitseinstellungen bzw. Streiks werden in der Enzyklika zwar nicht gutgeheißen, die Arbeitervereinigungen jedoch werden als machtvolle Organisationen beschrieben, die ihren Einfluss im Dialog am Verhandlungstisch mit den Arbeitgebern ausüben soll ten. Streiks werden als Mittel zur Durchsetzung der Arbeiterinteres sen sehr kritisch beurteilt, da sie sowohl den Arbeitgebern als au ch den Arbeitnehmern Nachteile brächten. Die Nachteile für die Ar beitgeber seien aufgrund der Einstellung der Arbeit und der damit eingeschränkten Produktionszahlen offensichtlich. Für die Arbeiter gelten Streiks nicht nur deshalb als problematisch, weil sie mit Un ruhen und manchmal auch Gewalttätigkeit einhergingen, die eine Störung des sozialen Friedens beinhalteten und ein Ei nschreiten der öffentlichen Hand provozierten, sie wirkten sich durch die Einstel lung der Arbeit auch negativ auf Industrie und Handel und damit auf den gesamten Wohlstand einer Gesellschaft aus. 81 Dass in der Schädigung der Arbeitgeberseite gerade das Mittel zur Durchset <?page no="50"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 49 zung der Arbeitnehmerinteressen liegt, kommt in der Enzyklika im Rahmen dieser Debatte ebenso wenig zur Sprache wie die Stufen der Entwicklung vom sozialen Konflikt über den Arbeitskampf bis hin zum Streik. Allerdings wird zur Vermeidung von Arbeitskämp fen auf die Bekämpfung der dem Konflikt zugrunde liegenden Ursachen verwiesen, also die sozialen Prob leme selbst. Außerdem wird zur Lösung der sozialen Probleme dem Staat das faktisch größte Potenzial zugetraut. Der Staat ist schließlich aufgefordert, wirksame Anordnungen und Gesetze zu erlassen, die den Konflikt von Arbeitgebern und Arbeit nehmern von vornherein entkräften, letztlich also die sozialen Pro bleme gar nicht erst entstehen lassen. 82 Dabei geht es vor allem um Maßnahmen zum Schutz des Eigentums und der Familie, zur Schaf fung von Bedingungen für das Zustandekommen auskömmlicher Löhne, zur Durchsetzung einer wirksamen Eindämmung von Aus beutung und Betrug und zur Sicherstellung der Einhaltung christli cher Werte. Eingeschlossen sind auch Maßnahmen wie das Verbot von Kinderarbeit, der Sch utz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz etc. Es geht also um die Umsetzung jener Maßnahmen, die ein lebens erhaltendes und würdiges Dasein ermöglichen. Bei all den vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft handelt es sich im Kern um sozialpolitische Forde rungen, zu deren Umsetzung der Staat aufgefordert ist, di e Rahmen bedingun gen zu schaffen, mithin die zentrale Funktion eines Wohl fahrtsstaats wahrzunehmen. Dennoch bleibt der Staat in seiner Rolle als Wohlfahrtsstaat in den Ausführungen in Rerum novarum wenig positioniert, es finden sich lediglich ausgedehnte Beschreibungen der Aufgaben von Interessenorganisationen und Solidarorganen aller gesellschaftlichen Schichten. 83 Zur Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs ist das in der Enzyklika zugrunde gelegte Verständnis der Staatsgewalt aufschlussreich. Wenn Leo XIII. über die richtige Rolle des Staates bei der Lösung der sozialen Frage schreibt, so ver steht er unter Staatsgewalt „nicht die zufällige Regierungsform der einzelnen Länder, sondern die Staatsgewalt der Idee nach, wie sie durch die Natur un d Vernunft gefordert wird.“ Der Staat wird damit <?page no="51"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 50 als eine Ausdrucksform der Gesellschaft mit ihren Individuen, Orga nisationen, Zusammenschlüssen und Organen begriffen: „Alle, die es irgend berührt, müssen je nach ihrer Stellung mitarbeiten […] alle Staatsangehörigen [haben sich; d. Verf.] ohne Ausnahme an den Be strebungen für das Wohl des Staats […] zu beteiligen.“ 84 Der Staat wird als eine von Menschen gemachte Institution 85 zur Verbesserung bzw. Ermöglichung des Zusammenlebens aufgefasst, der zur Förderung von Gemeinwohl und Wohlfahrt die Lösung der Arbeiterfrage in den Mittelpunkt seines Aktionsradius zu stellen hat. Entscheidend aus Sicht der Kirche ist dabei, dass die Interessen der Menschen über denen des Staates stehen: „denn der Mensch ist älter als der Staat, und da rum besaß er das Recht auf Erhaltung seines körperlichen Daseins, ehe es einen Staat gegeben.“ 86 Der Staat hat sich also dem Wohl der Menschen unterzuordnen, indem er für die dafür erforderliche Ordnung, Sitte, Unterstützung der Wirt schaft, Gerechtigkeit etc. Sorge trägt, dabei aber natürlich auf dem Fundament christlicher Werte verankert sein muss. Überhaupt fin det sich das Primat moralisch sittlicher, in den Enzykliken christlich basierter Werte au ch in den meisten der damals einflussreichen Wirtschaftstheorien, so auch in den Vorstellungen der Historischen Schule. Gemäß dieser wird die Lösung der sozialen Frage zwar über wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen vorbereitet, aber letztlich die Erziehung der Individuen in moralisch sittlicher Hinsicht als ent scheidend für das Leben in Wirtschaft und Gesellschaft erachtet und damit vo rrangig gegenüber allen konkreten wirtschafts und sozialpolitischen Instrumenten positioniert. 87 Den Staat als Adressat materieller Forderungen zwecks Vermei dung sozialer Härten zu begreifen, wie es heutzutage vielfach als selbstverständlich gilt, ist im Denken der damaligen Zeit noch nicht tief gehend angelegt. Vielmehr beginnt sich die Idee der Vorsorge leistung, die der Staat für seine Bürger zu erbringen hat, langsam fortzuentwickeln. Der ma terielle Druck, unter dem die Bevölkerung steht, nimmt enorm zu, und das entstehende Maß an Unzufrieden heit entwickelt einen die bestehenden politischen und gesellschaftli chen Verhältnisse teilweise gefährdenden Charakter. Die bis dahin <?page no="52"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 51 vorhandenen gesellschaftlichen Organisationen, die Kirche einge schlossen, sind gezwungen, auf die Herausforderungen des gesell schaftlichen und wirtschaftlichen Wandels zu reagieren, die Ausla gerung und Neuentwicklung wichtiger systemstabilisierender Funktionen an den Staat erscheinen unausweichlich. Um die Bevöl kerungsmasse, dabei handelt es sich in der Regel um jene, die über keinerlei Kapitalvermögen und a llenfalls geringen Grundbesitz verfügen, also die Arbeiterschaft, zufriedenzustellen, erwächst für den Staat die Pflicht, für alle Bürger in gleicher Weise zu sorgen. Aus kirchlicher Perspektive ergibt sich diese Pflicht bereits aus dem biblischen Gleichheitsgrundsatz, dass vor Gott alle Menschen gleich si nd . In Rerum novarum gilt die Forderung, dass der Staat für alle da zu sein habe, und das „in gleicher Weise für die Niedern wie für die Hohen“, als eine Wahrheit, die zudem auch naturrechtlich begrün det wird: „Die Besitzlosen sind vom naturrechtlichen Standpunkt nicht minder Bürger als die Besitzenden.“ 88 Vor diesem Hintergrund eines unumstößlich gegebenen und nicht mehr hinterfragbaren Gleichheitsgrundsatzes entwickelt sich der besondere Schutz der Arbeiter und damit einhergehend das Bemü hen um eine gerechtere Einkommens und Vermögensverteilung als eine für den Staat unausweichliche Aufgabe. Eine Vernachlässigung der Verteilungsfrage hätte die Forderung nach Gerechtigkeit ver letzt, „welche jedem das Se ine zu geben befiehlt“. 89 Der Staat ist in der Wahrnehmung seiner Aufgaben jedoch nur auf seine Behü tungs , Vorsorge und Schutzfunktion beschränkt. Keinesfalls darf er die Freiheit der Individuen einschränken, sich nicht in das Leben der Familien einmischen: „Ordnung herstellen heißt dann offenbar nicht Befugnisse der Familie und der Individuen an sich reißen.“ 90 Einen Ausnahmefall stellt lediglich die äußerste materielle Notlage einer Familie dar, bei deren Vorliegen der Staat direkte Hilfeleis tungen zu erbringen hat. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass es sich bei der Familie um die neben den einzelnen Individuen kleinste Einheit des Staates selbst handelt und das Zuschauen des Zugrundegehe ns einer Familie dem obersten Gebot des Lebenser halts widersprechen würde. <?page no="53"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 52 Generell soll der Staat schützend und ordnend, jedoch nicht direkt das Handeln seiner Bürger bestimmend beeinflussen. Was insbe sondere die wirtschaftlichen Maßnahmen des Staates angeht, so sollen diese auf die allgemeine „Einrichtung der Gesetzgebung und Verwaltung“ beschränkt sein, und zwar in der Weise, „daß daraus von selbst das Wohlergehen der Gemeinschaft wie der ein zelnen empor blüht“. 91 Je umsichtiger der Staat beim Aufbau der allgemei nen ordnungspolitischen Prinzipien vorgehe, desto gesicherter sei die „Wohlfahrt der Glieder des Staates“, denn durch die Schaffung der dem aufgestellten Wertekanon entsprechenden Rahmenbedin gungen würde das gesellschaftliche Miteinander und dadurch die wirtschaftliche Leistungskraft gefördert. Damit einhergehend wären nur gemäßigte staatliche Auflagen erforderlich und direkte Eingrif fe zu r Lösung sozialer Probleme könnten auf ein Minimum redu ziert werden. 92 Die Beschränkung des Staates auf die Konstituierung eines für ein fruchtbares gesellschaftliches und wirtschaftliches Miteinander geeigneten Rahmens schließt auch die Einnahmenseite des Staates ein. Zu hohe Steuern entzögen den Menschen die Anreize zum Handeln und verwässerten ebenso die vom Privateigentum ausge henden Motivationskräfte zur Entfaltung wirtschaftlicher Leis tungskraft. Leo XIII. glaubt in zu ho hen Steuern sogar die Gefähr dung des Privateigentums selbst zu erkennen und gibt eine Be gründung nach naturrechtlichem Argumentationsmuster: „Denn da das Recht auf Privatbesitz nicht durch ein menschliches Gesetz, sondern durch die Natur gegeben ist, kann es der Staat nicht aufhe ben, sondern nur seine Handhabung regeln und mi t dem allgemei nen Wohl in Einklang bringen.“ 93 Aus diesem Grund liege ein Ver stoß gegen Recht und Billigkeit vor, wenn der Staat seinen Bürgern einen zu großen Vermögensanteil durch Steuern entzöge. Nach der Diskussion der Rolle des Staates im Zuge der Antwortsu che auf die soziale Frage bleibt zu klären, welche Aufgaben der Kirche noch verbleiben bzw. welche si e auszuführen hat. Selbst von den schärfsten Kritikern der Kirche sind ihr karitatives Tätigsein und die praktizierte Mildtätigkeit in vielen Bereichen einmütig <?page no="54"?> Rerum novarum - Papst Leo XIII. 1891 53 anerkannt. Hinzu kommt das erzieherische Wirken im Sinne des geistigen und materiellen Wohls, indem etwa Werte und Tugenden vermittelt werden. Führt man sich Bedeutung und Einfluss der Kirche in der damaligen Zeit vor Augen, so erfolgt bereits mit der Veröffentlichung von Rerum novarum und der expliziten Stellungnahme zur akut drängen den Arbeiterfrage eine aktive Maßnahme zur Veränderung der be stehenden Situation, die durchaus als Bruch des Schweigens über ein gesellschaftlich hochexplosives Thema interpretiert werden kann 94 und zweifellos einen großen Schritt der Kirche in Sachen erneuerter gesellschaftspolitischer Verantwortungsübernahme und Gestaltung ausmacht. Dieses Engagement wird zweifellos von der Überzeugung getragen, dass ohne Religion und Kirche kein Ausweg aus den kom plexen gesellschaftlichen Problemlagen möglich ist, da die Kirche ihrer eigenen Meinung entsprechend unumstößliche Lehren aus der Bibel abgeleitet ha t, mit deren Hilfe Konflikte überwunden oder wenigstens deren Intensität gemildert werden können. 95 Auch unter Vernachlässigung der dieser Argumentation durch den christlichen Glauben inhärenten ideologischen Komponente ist zu konzedieren, dass die durch die Kirche vermittelten Wertmaßstäbe, so von einer breiten Masse akzeptiert und gelebt, eine ideale Voraus setzung für ein gutes Miteinander in Gesellschaft und auch der Wirt schaft liefern oder zumindest die Suche na ch Lösungswegen bei Problemlagen eben aufgrund des Wertekonsenses erheblich erleich tern. Solche Wertmaßstäbe sind etwa die stete Frage nach dem, was gerecht und angemessen ist, das absolute Bekenntnis dazu, sich im Rahmen von Streitschlichtung ausschließlich friedlicher Mittel zu bedienen, die persönliche Würde der Menschen zu akzeptieren (hei ligzuhalten), sich ehrlich, ehrenvoll, arbeitsam und pflichtbewusst zu verhalten, kei ne unzulässige Bereicherung zuzulassen, gemäß dem Grundsatz zu verfahren, jedem das Seine zukommen zu lassen und Menschen nichts vorzuenthalten, was ihnen rechtmäßig zusteht. 96 Die Kirche rechtfertigt diese Wertmaßstäbe mit der Orientierung am göttlichen Ideal sittlicher Vollkommenheit, dem unsterblichen Le ben sowie der unerschöpflichen Liebe Gottes für die Menschen. <?page no="55"?> Die Arbeiterfrage - zwischen Kapitalismus und Sozialismus 54 Ohne diese Ideale und Vorbilder würden nach kirchlicher Auffas sung die wichtigsten Maßstäbe für das gegenwärtige Leben verlo ren gehen. Damit übt die Kirche Funktionen eines den Menschen übergeordneten Gewissens und Bewahrers christlicher Werte aus und tritt als fortwährender Mahner in Erscheinung. 97 Entscheidend ist dabei, dass die durch den christlichen Glauben vermittelten Wertmaßstäbe, im Verein mit der Kirche als Organisation, einen Standpunkt definieren, von dem aus sich der Mensch in seinem Handeln selbst beobachten, reflektieren und bewerten kann. Zum Abschluss der Enzyklika verleiht Papst Leo XIII. seiner Hoff nung Ausdruck, dass sich bei Einha ltung der Empfehlungen die Lage der Arbeiter bald verbessern werde. Er verweist auf die An fänge des Christentums und die dort häufig angetroffenen Vorwür fe, dass seine Anhänger meist nur arme Leute gewesen waren, die von ihrer Hände Arbeit lebten. Insbesondere aber ihrer Geduld und ihrem Langmut, mit der sie Arbe itsamkeit, Friedfertigkeit, Recht schaffenheit und brüderlicher Liebe praktizierten, sei es zu verdan ken gewesen, ihre „Gegner“ in Gestalt der Reichen und Mächtigen zum Umdenken und Einlenken bewegen zu können. „Die Vergan genheit gestattet in mancher Hinsicht auch auf unserem Gebiete einen Blick in die Zukunft. Es wiederholen sich die gleichen Er sc heinungen bei allem Wechsel der Zeiten und der Völker.“ 98 Diese Auffassung entspricht nicht zuletzt auch jener, wie sie vom späteren Papst Pius XI., dem Verfasser der Enzyklika Quadragesimo anno, in der Würdigung von Rerum novarum geäußert wird. Danach ist die Wirkung von Rerum novarum auf die gesamte reale Politik und Wirtschaft eher indirekter Natur. Eine nachhaltige und authentische Lebensweise, an christlichen Werten ausgerichtet, ist es also, die als der langfristige Erfolgsschlüssel in den Mittelpunkt solcher An schauung rückt, und weniger das direkte Einschreiten in der Tages politik. Wie noch zu zeigen sein wird, war der vo n Rerum novarum ausgehende Einfluss trotz oder vielleicht gerade wegen dieses eher indirekten Wirkens nicht unerheblich. <?page no="56"?> 55 II. Chaos und der Wunsch nach Ordnung Die Folgen des Ersten Weltkriegs Der Erste Weltkrieg (1914-1918), den der US amerikanische Histo riker George F. Kennan im Jahr 1979 als „the great seminal catastro phe of this century”, 99 als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, bezeichnet (16 Millionen Tote unter der Zivilbevölkerung und den Soldaten und 20 Millionen verwundete Soldaten), stürzt Europa in eine tiefe Krise und zerstört große Teile der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts. In Russland hat die Februarrevolution des Jahres 1917 zur Abdan kung von Zar Ni kolaus II. geführt. Nach einer kurzen Übergangs phase stürzt im Oktober 1917 die Partei der Bolschewiki die Regie rung unter Ministerpräsident Kerenski. Im Dezember 1917 wird ein Waffenstillstand mit dem Deutschen Reich geschlossen und schließ lich im März 1918 der Friedensvertrag von Brest Litowsk unter zeichnet. In den Jahren 19 18 bis 1920 folgt ein blutiger Bürgerkrieg, der mit dem Sieg der Roten Armee endet. Der Kommunismus, der zuvor eher als oppositionelle Ideologie in Erscheinung trat, erlangt nunmehr weltpolitische Bedeutung. In Österreich gelingt durch die Zusammenarbeit zwischen Kaiser Karl I. und der ersten Regierung Deutschösterreichs ein relativ reibungsloser Übergang zur Repu b lik, die gravierende Veränderungen mit sich bringt. So wird etwa das Wahlrecht für Frauen eingeführt und der Sonderstatus des Adels abgeschafft. Ungarn, das 1918 die Realunion mit Österreich aufgekündigt hat und kurze Zeit später die Republik ausruft, wird 1920 erneut zum Königreich. Mit dem Dethronisationsgesetz von 1921 erfolgt allerdings die Entmachtung des Ha uses Habsburg, sodass die Monarchie anstelle des Königs von einem Reichsverwe ser geführt wird. In Italien, das im Krieg zunächst mit dem Deutschen Reich und Österreich Ungarn verbündet ist, 1915 aber der Entente aus dem <?page no="57"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 56 Vereinigten Königreich, Frankreich und Russland beitritt, über nehmen Benito Mussolini und seine Nationale Faschistische Partei im Jahr 1922 die Regierungsgeschäfte. Das Königreich Italien entwi ckelt sich schrittweise zu einem totalitären Staat. Auch in anderen Ländern kommt es zu erheblichen Umwälzungen. Mit Polen, der Tschechoslowakei, Estland, Lettland und Litauen entstehen neue Staaten (wieder), die Türkei wird 1923 zur Republik unter Führung des ehemaligen Generals Mustafa Kemal (Atatürk) al s Staatspräsi dent, und vor allem in Asien beginnen Länder, sich gegen ihre eu ropäischen Kolonialmächte aufzulehnen. Insgesamt treten mit dem Ende des Ersten Weltkriegs die vorhandenen ökonomisch, sozial, politisch und kulturell bedingten Klassenunterschiede und Klas sengegensätze der europäischen Industriegesellschaften, wie sie natürlich auch bereits vor Ausbruch des Krieges existiert ha tten, nunmehr in extremer Offenheit zutage. Erhebliche wirtschaftliche Umwälzungen finden statt. Im Zeitraum von 1820 bis 1913 steigt das Pro Kopf Einkommen weltweit stärker an als je zuvor, und zwar etwa dreimal stärker als zwischen 1700 und 1820. 100 Diesem rasanten Wirtschaftswachstum setzt der Erste Weltkrieg ein Ende. In Westeuropa ist der größte Teil der ausländi schen Vermögenswerte verkauft, beschlagnahmt oder zerstört, der internationale Handel bricht ein und soll noch im Jahr 1950 auf einem niedrigeren Niveau als 1913 liegen. 101 Im weltweiten Maßstab sorgen jedoch fortschreitende technologische Entwicklungsprozesse für eine Abschwächung des Rückgangs der Weltwirtschaft. Die führende Rolle bei der Entwicklung neuer Technologien spielen die Vereinigten Staaten von Amerika. Im Jahr 1908 bringt die Ford Mo tor Company ihr Modell T auf den Markt und läutet das Zeitalter der Fließbandproduktion ein. Die USA en twickeln sich zur führen den Wirtschaftsnation, sowohl die gesamte Wirtschaftsleistung als auch das Pro Kopf Einkommen anbetreffend. 102 In Asien steigt Ja pan mehr und mehr zu einer weltweiten Wirtschaftsmacht auf. <?page no="58"?> Die Folgen des Ersten Weltkriegs in Deutschland 57 Die Folgen des Ersten Weltkriegs in Deutschland Am 28. Juni 1919 wird im Spiegelsaal von Versailles der Friedens vertrag unterzeichnet, der den Ersten Weltkrieg offiziell beendet. Die Kampfhandlungen sind bereits im November 1918 eingestellt worden. Im Vertrag von Versailles wird dem Deutschen Reich als „Urheber aller Verluste und aller Schäden“ die alleinige Kriegs schuld gegeben (Art. 231) und ein Katalog von Abrüstungsbedin gungen, Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen an die Siegermächte auferlegt. So muss das Deutsche Reich seine Armee auf insgesamt 115.000 Berufssoldaten (100.000 Heeres und 15.000 Marinesoldaten) reduzieren, um jegliche Möglichkeit au szuschlie ßen, einer etwaigen alliierten Invasion militärisch entgegenzutreten. Über 70.000 Quadratkilometer (mit den Kolonien) des Staatsgebiets werden dem Deutschen Reich entzogen, wodurch die Bevölkerung um etwa zehn Prozent sinkt. Durch die insbesondere an Polen abge tretenen Gebiete entstehen Engpässe in der Lebensmittelproduktion und der Versorgung der Bevölkerung, die durch die verbliebene deut sche Landwirtschaft zunächst nicht ausgeglichen werden kön nen. Hervorgerufen durch die desolate Situation der erzeugenden und verarbeitenden Industrie sowie den Verlust eines Großteils der Handelsflotte und des deutschen Auslandsvermögens tritt eine massive Schwächung der gesamten Wirtschaft ein. Für besonderes Aufsehen sorgt die Höhe der Reparationsforderun gen, nachdem der Begriff der Repar ationen auf alle kapitalisierten Rentenzahlungen an alliierte Kriegsteilnehmer und potenzielle Reparationsbeträge erweitert wurde. Zwar ist im Vertrag von Ver sailles noch keine Gesamtsumme genannt, doch wird in den Pariser Beschlüssen im Januar 1921 ein Zahlungsplan festgelegt, der die ungeheure Summe von 269 Milliarden Goldmark vorsieht. Da die deutsche Regierung den e ingeforderten Zahlungsmodus ablehnt, erfolgt die Besetzung der Städte Duisburg und Düsseldorf durch alliierte Truppen im März 1921. Einen Monat später legt die alliierte Reparationskommission in London die deutsche Gesamtschuld auf insgesamt 132 Milliarden Goldmark fest. Im Falle der Nichtannah me der Forderungen wird mit dem Londoner Ultimatum (5. Mai <?page no="59"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 58 1921) die Besetzung des gesamten Ruhrgebiets angedroht. Reichs kanzler Joseph Wirth ist gezwungen, die Forderungen zu akzeptie ren. Die Auflehnung gegen diese insbesondere von der politischen Rechten kritisierte „Erfüllungspolitik“ erreicht einen Höhepunkt in der Ermordung des ehemaligen Finanzministers Matthias Erzberger (1921), des Außenministers Walther Rathenau (1922) sowie im Mordversuch am ehemaligen Re ichsministerpräsidenten Philipp Scheidemann (1922) durch rechtsradikale Kräfte. Wenngleich die tatsächlich gezahlten Reparationen im Durchschnitt der 1920er Jahre nur knapp zwei Prozent des deutschen Sozialpro dukts bzw. ein Zehntel der öffentlichen Ausgaben betragen, 103 die Reparationsleistungen somit nicht notwendigerweise für die Mehr zahl der volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme verantwortlich gemacht werden können, ist die Wahrnehmung in der Bevölkerung jedoch eine andere. Der Historiker Hans Ulrich Wehler sieht den Widerstand gegen den Vertrag von Versailles „von einem nahezu lückenlosen Konsens im ganzen Land“ getra gen. 104 Aber auch unter den alliierten Mächten sind immer wieder kritische Stimmen zu den Deutschland auferlegten Lasten zu ver nehmen. So tritt noch vor Abschluss der Vertragsverhandlungen in Versailles der Vertreter des Schatzamts der britischen Delegation bei den Verhandlungen, John Maynard Keynes (1883-1946), unter Protest von seinem Posten zurück und veröffentlicht noch 19 19 mit The Economic Consequences of the Peace ein viel beachtetes Buch, in dem er die Deutschland auferlegten Reparationszahlungen scharf kritisiert. Die Höhe der Zahlungen habe eine die internationalen Wirtschaftsbeziehungen destabilisierende Wirkung und liefere die Grundlage für massive soziale Konflikte in Deutschland. 105 Da in Deutschland die Ausgaben zu Beginn der 1920er Jahre die Einnahmen bei Weitem übersteigen, werden fehlende Summen über die Notenpresse generiert. Ab 1922 beschleunigt sich der Ver fall der Reichswährung und nimmt zu Beginn des Jahres 1923 die Formen der Hyperinflation an. Weil die Reparationsleistungen nicht mehr vollständig aufgebracht werden könne n, besetzen französi sche Truppen das Ruhrgebiet, und der parteilose Kanzler Wilhelm <?page no="60"?> Die Folgen des Ersten Weltkriegs in Deutschland 59 Cuno ruft zum passiven Widerstand, dem sogenannten Ruhrkampf, auf, der seitens der Gewerkschaften durch Arbeitsniederlegungen unterstützt wird. Im Spätsommer des Jahres 1923 sind die inneren Schulden des Reiches praktisch völlig entwertet. So beträgt Ende September der Wechselkurs für einen US Dollar 160 Millionen Mark, und im Oktober und November liegt er in Billionenhöh e. Hunger leidende Menschen, lange Schlangen vor Lebensmittelge schäften, Menschen, die ihr gesamtes Hab und Gut versetzen, und Plünderungen bestimmen das Bild in deutschen Städten. Am 15. November wird die Deutsche Rentenbank, als zweite Währungs bank neben der Deutschen Reichsbank, gegründet und mit einem Grundkapital von 3,2 Milliarden Rentenmark ausgestattet. Da zu werden jeweils zur Hälfte alle land und forstwirtschaftlichen Grundstücke sowie die Grundstücke und Immobilien von Industrie, Handel und Gewerbe zwangsweise mit Hypotheken und Grund schulden belastet. Wenngleich als gesetzlich zugelassenes Geld und im Alltag als Zahlungsmittel erlaubt, ist die Rentenmark kein ge setzliches Zahlungsmittel. Ihr Kursverhältnis von einem Dollar zu 4,2 Rentenmark zu 4, 2 Billionen Papiermark wird jedoch akzeptiert und die Notenpresse zum Stillstand gebracht. Mit dem Dawesplan, 106 der mit dem 1. September 1924 in Kraft tritt, wird der Rückzahlungsmodus für die Reparationszahlungen der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft angepasst. Der Betrag von einer Milliarde Goldmark wird für das Jahr 1924 festgelegt, der sich bis 1928 auf 2,5 Milliarden jährlich erhöht und auf dieser Höhe fixiert werden soll. Die endgültige Höhe und di e Dauer der Zahlungen bleiben hingegen unbestimmt. Ebenfalls wird im Jahr 1924 die Goldwährung für das Deutsche Reich eingeführt und die Reichs bank neu geordnet. Die Alliierten räumen das Ruhrgebiet, auch aus Düsseldorf und Duisburg ziehen die Besatzungstruppen ab. Das Wirtschaftsleben beginnt sich in relativ kurzer Zeit zu normalisie ren, und ei ne Phase der ökonomischen Konsolidierung innerhalb der Jahre 1924 bis 1928 tritt ein. Die Zahl der Erwerbslosen liegt mit bis zu zwei Millionen in den Jahren 1925 und 1926 zwar noch auf <?page no="61"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 60 hohem Niveau, doch die Versorgungslage und die Kaufkraftsituati on beginnen sich zu stabilisieren. Im Winter 1928/ 29 gibt es die ersten Anzeichen einer neuen Krise. Und spätestens mit dem Börsencrash im Oktober 1929 wird das Ausmaß, eine aufziehende Weltwirtschaftskrise, deutlich, mit der sich die wilden 1920er in ein soziales Desaster verwandeln, das di e 1930er Ja hre dominiert. 107 In den nächsten drei Jahren fällt das Pro Kopf Einkommen auf dem Gebiet der späteren OECD Staaten um durchschnittlich 18 Prozent. 108 Die deutsche Reichsregierung nutzt die Krise, um die Streichung der Reparationen zu erreichen. Mit dem Youngplan, benannt nach dem Vorsitzenden der Kommission, dem US amerikanischen Industriellen, Anwalt und Diplomaten Owen D. Young (1874-1962), der bereits den Dawesplan mit ausge arbeitet hatte, werden die deutschen Reparationszahlungen insge samt herabgesetzt und auf eine Gesamtsumme von über 112 Milli arden Reichsmark festgelegt, zurückzuzahlen in jährlichen Raten zu durchschnittlich zwei Mi lliarden Reichsmark bis zum Jahr 1988. Infolge der Weltwirtschaftskrise kommt es jedoch im Juli 1932 zur Aussetzung der Regelungen des Youngplans auf der Konferenz von Lausanne. Das Deutsche Reich sieht eine Streichung der Reparati onsschuld durch die einmalige Abfindungssumme von drei Milli arden Reichsmark sowie von Restzahlungen vor. Die Zahl der Er werbslosen, Anfang 19 29 noch knapp über der Zwei Millionen Grenze gelegen, bis Ende 1930 auf 4,4 Millionen und Ende 1931 auf 5,6 Millionen gestiegen, erreicht 1932 einen Wert von über sechs Millionen. Arbeitsbeschaffungspläne werden von verschiedenen Seiten vorgelegt. Gewerkschaftlich orientierte Autoren schlagen eine staatliche Kreditschöpfung für Arbeitsbeschaffungsmaßnah men in Höhe von zwei Mi lliarden Reichsmark vor, während das Wirtschaftliche Sofortprogramm der NSDAP auf direkte Arbeitsbe schaffung in Form staatlicher Ausgaben in Milliardenhöhe sowie „produktive Kreditschöpfung“ durch die Reichsbank setzt. 109 <?page no="62"?> Die Entstehung des Sozialstaats 61 Die Entstehung des Sozialstaats Das Reichsarbeitsgericht wird im Jahr 1927 eingerichtet. Gewerk schaften erhalten das Recht, erstmals selbst als Kläger aufzutreten. Mit dem Gesetz zur Zwangsversicherung gegen Arbeitslosigkeit kann das bismarcksche System der Sozialversicherung (Unfall , Kranken und Invalidenversicherung) um die Arbeitslosenversicherung er weitert und vervollständigt werden. Wichtige Vorstufen bilden die Einführung der Reichsversicherungsordnung 1911, mit dem Ziel der Vereinheitlichung und Vereinfachung der deutschen Sozialver sicherung, und das Versicherungsgesetz für Angestellte, mit dem die Sozialversicherung auf die in der Sozialgesetzgebung bisher nicht berücksichtigten Angestellten ausgeweitet wird. In den 30 Jahren nach Einführung der Sozialversicherung im Deut schen Reich setzt sich die Unfall und Krankenversicherung in der Mehrzahl der europäischen Länder durch. 1914 werden in 13 euro päischen Ländern Versicherungssysteme oder Haftpflichtregelun gen für Arbeitsunfälle, in zwö lf Ländern Versicherungssysteme gegen Krankheit und in sieben Ländern Rentenversicherungen angeboten; von den insgesamt 32 Versicherungen sind 18 obligato risch und 14 freiwillig. In Großbritannien wurde bereits 1908, ab weichend vom deutschen System, eine staatliche Altersversorgung im Sinne einer Staatsbürgerversorgung eingeführt, die auf Beitrags leistungen verzichtete, und 191 1 eine obligatorische Arbeitslosen versicherung. Das Problem der Massenarbeitslosigkeit nach dem Ersten Weltkrieg führt zu einem wachsenden Engagement in der Erwerbslosenfürsorge. Im November 1918 werden die Verordnung über Erwerbslosenfürsorge und bis Mitte des Jahres 1920 die Verord nung über die Errichtung eines Reichsamts für Arbeitsvermittlung sowie verschiedene Verordnungen zum Arbeitsschutz und zur Arbeitszeit erlassen. 1925 ersetzt die Sozialfürsorge insbesondere das durch den Verlust der Kapitalreserven und der enormen Zunahme der An spruchsberechtigten zusammengebrochene Rentenversicherungs system, das erst nach der Stabilisierung der Währung wieder auf gebaut wird. 110 <?page no="63"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 62 Die Entwicklung des Sozial und Steuerstaats war damit in ein wei teres Stadium eingetreten. Zwar konnten seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts aufgrund der ersten Sozialversicherungssysteme in den Ländern des europäischen Kontinents und durch die Verbesse rung des Lebensstandards die Schärfen der bis dahin bestehenden sozialen Probleme etwas abgemildert werden, di e Staaten sind aber hinsichtlich ihrer Ausgaben für Soziales und auch in Bezug auf ihre Steueraufkommen noch vergleichsweise wenig ausgebildet. Auf grund der durch den Ersten Weltkrieg verursachten immensen Kosten sehen sich die Länder veranlasst, verschiedene Einnahme quellen, meist in Form neuer Steuern, zu erschließen, die nach dem Krieg nicht mehr z urückgenommen werden. Die Staaten geraten in kurzer Zeit für ihre Bürger in die Rolle aktiv Hilfeleistender, sie entwickeln sich zu „Sozialstaaten“, wobei das Deutsche Reich, nicht zuletzt aufgrund der Reparationsleistungen, in besonderer Weise belastet ist. Diese Entwicklung geht einher mit der Fortsetzung der über Jahr hunderte entstandenen Grundwerte von Freiheit, Gle ichheit und Gerechtigkeit in formaler Ausprägung hin zu ihrer materialen Form. Der Katalog der formalen Grundwerte hatte sich bereits im 19. Jahrhundert zunehmend in materielle Forderungen gewandelt. So wurde die materielle Freiheit als Freiheit von Not oder Freiheit von Mangel verstanden und die formale Gleichheit angesichts der faktischen ungleichen Zustände dafür krit isiert, Letztere im Grunde genommen nur zu legitimieren. Über die formale Rechtsgleichheit hinaus bestand daher die dringende Forderung, die Gleichheit sozi aler Chancen zu fördern, bei der nicht allein die rechtlichen, son dern auch die faktischen Möglichkeiten und die Startbedingungen anzugleichen wären, was insbesondere von der Arbeiterbewegung immer wieder auf di e Frage eines Überdenkens der gesellschaftli chen Besitzverhältnisse ausgedehnt wurde. Aus dieser Öffnung der formalen Grundwerte zu ihrer materialen Ausprägung ist die zu nehmende öffentliche Verantwortung für die Bereitstellung sozialer Leistungen des Wohlfahrtsstaats abzuleiten, ein Begriff, den der deutsche Finanzwissenschaftler Adolph Wagner (1835-1917) bereits <?page no="64"?> Volkswirtschaftslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts 63 im Jahr 1896, und zwar mit durchaus positiver Konnotation, ver wendet. 111 Eine Zunahme an Leistungen aus der Sozialversicherung ist insbe sondere direkt im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, bis 1920, und während der Prosperitätsphase 1925 bis 1929 zu verzeichnen, eine Entwicklung, wie sie im weiteren Verlauf der Geschichte immer wieder angetroffen werden kann. Volkswirtschaftslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts Die großen Fragen, mit denen sich die Ökonomen in den 1920er und 1930er Jahren beschäftigen, werden ganz von jenen den Alltag bestimmenden Problemen dominiert, die oftmals das direkte Über leben berühren. Es sind die Fragen nach der Grundversorgung der Menschen mit den nötigsten Mitteln, dem Umgang mit Massenar beitslosigkeit, den Folgen ma ssiver Geldentwertung und der Suche nach dem für die beste Versorgung geeignetsten Wirtschaftssystem. Dabei stehen den Wirtschaftstheoretikern und politikern die Erfah rungen aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert deutlich vor Augen. Auf der einen Seite die durch Industrialisierung und kapita listische Wirtschaftsweise ermöglichten großen ökonomischen Er folge, auf der anderen Se ite die Probleme der sozialen Frage, der Schattenseite des Kapitalismus. Hinzu kommt, dass im Anschluss an die Oktoberrevolution in Russland, gerade was die Lösung der sozialen Frage angeht, ein extremes, aber doch scheinbar gänzlich auf die Interessen der Arbeiterschaft zugeschnittenes Gesellschafts system in Form des real existierenden Sozialismus entstanden war. Vor dem Hintergrund der bereits in den letzten Dekaden des 19. J ahrhunderts be schriebenen und auch in der Enzyklika Rerum nova rum ausführlich thematisierten Erkenntnis, dass weder Kapitalis mus noch Sozialismus in ihrer jeweiligen Reinform als geeignete Lösungsinstrumente anzuerkennen seien, setzte ein wahres Denken in Wirtschaftssystemen ein. Zu den einflussreichsten Ökonomen der Zeit zählt Othmar Spann (1878-1950), der in seinem Werk Tote und <?page no="65"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 64 lebendige Wissenschaft von 1921 vier Wirtschaftsformen unterschei det: „die reine Verkehrswirtschaft, auch freie Verkehrswirtschaft oder reiner Kapitalismus genannt; die reine Planwirtschaft, auch kollektive oder kommunistische Wirtschaft genannt; die körper schaftlich oder ständisch gebundene Wirtschaft; die frei geregelte Wirtschaft, auch gemäßigter Kapitalismus genannt“. Die ersten beiden bezeichnet er als „utopisch“, die dritte und vierte als „in der Wirklichkeit mögl ich“, aber nur die dritte als „dauernd möglich“. 112 Erst mit der körperschaftlich oder ständisch gebundenen Wirtschaft sieht Spann eine Wirtschaftsform erreicht, mit der das „Reich der Wirklichkeit“ betreten wurde und nur auf deren Basis die Lösung der sozialen Frage anzugehen sei. Die körperschaftlich organisierte Wirtschaft sei vor allem deshalb als realistisch einzustufen, weil sie die Fehler der kommunistischen Planwirtschaft (ein Ganze s, ohne Eigenleben der Glieder sein zu wollen) und der Verkehrswirtschaft (die Einzelnen, ohne Berücksichtigung des Ganzen zu setzen) ver meide. Beispiele der körperschaftlich organisierten Wirtschaft sind etwa die Selbstverwaltung der Berufsstände und Verbände. 113 Selbst John Maynard Keynes tritt für die körperschaftlich und stän disch gebundene Wirtschaftsordnung in seiner Schrift Das Ende des Laissez Faire aus dem Jahre 1926 ein: Zitat Ich glaube, daß die ideale Größe für die Organisations und Kon trolleinheit irgendwo zwischen dem Individuum und dem moder nen Staat liegt. Daher glaube ich, daß der Fortschritt in der Rich tung der Entwicklung und der Anerkennung halb autonomer Körperschaften im Rahmen des Staates liegt; - Körperschaften, die in ihrem Wirkungskreis nur nach dem Kriterium des Allge meinwohls handeln, so wie sie es auffassen, und aus deren Erwä gungen Motive privaten Vorteils völlig ausscheiden - wobei man ihnen allerdings in mancher Hinsicht, solange der menschliche Alt ruismus nicht gewachsen ist, für ihre Gruppe, Klasse oder Fakultät gewisse Vorteile belassen muss -; Körperschaften, die unter norma <?page no="66"?> Volkswirtschaftslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts 65 len Umständen innerhalb bestimmter Grenzen großenteils auto nom sind, aber letzten Endes der Souveränität der Demokratie, die sich im Parlament verkörpert, unterstehen. 114 Keynes übt scharfe Kritik am System des Liberalismus und des Kapitalismus, verwirft das freie Sondereigentum an den Produkti onsmitteln, lehnt aber eine sozialistische Ausrichtung ab. Er bleibt - trotz der vielfältigen Schwächen des Kapitalismus - eindeutig die sem zugewandt. Zitat Ich für meinen Teil bin der Ansicht, daß ein klug geleiteter Kapita lismus die wirtschaftlichen Aufgaben wahrscheinlich besser erfül len wird als irgendein anderes, vorläufig in Sicht befindliches Sys tem, daß man aber gegen den Kapitalismus an sich viele Einwände erheben kann. Unser Problem geht dahin, eine Gesellschaftsorgani sation zu schaffen, die möglichst leistungsfähig ist, ohne dabei un sere Ideen über eine befriedigende Lebensführung zu verletzen. 115 Als Lösung wird der Mittelweg zwischen Sondereigentum an den Produktionsmitteln einerseits und Gemeineigentum andererseits empfohlen. Dabei soll das Sondereigentum durch gesellschaftliche Einflussnahme, und zwar über eben jene im Zitat erwähnten halb autonomen Körperschaften, nicht aber durch den Staat direkt aus geübt werden. Die Körperschaften unterliegen zwar letztlich der Kontrolle des Parlaments, weisen aber au ch einen hohen Grad an Autonomie auf, wie etwa Universitäten, die Bank of England, Ei senbahngesellschaften und der Londoner Hafen. Selbst Aktienge sellschaften schreibt Keynes die Tendenz zu, ab einem „gewissen Alter und einer gewissen Größe“ einen Status erreicht zu haben, „bei der sie sich mehr dem Status einer öffentlichen Korpor ation annähern als dem eines individuellen Privatunternehmens. Eine der wenigst bemerkten und interessantesten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte ist die Tendenz der Großunternehmen, sich selbst zu sozialisieren“. 116 <?page no="67"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 66 Ludwig von Mises (1881-1973) bemerkt zur keynesschen Idee der körperschaftlichen Wirtschaftslenkung, dass es sich dabei um nichts anderes handele, als das, was seit Jahrzehnten insbesondere in Deutschland in Wissenschaft und öffentlicher Meinung als „Lösung der sozialen Frage“ empfohlen worden sei. 117 Letztlich ging es Key nes darum, den Kapitalismus zu verbessern, ihn lebensfähig zu gestalten und dazu die großen Probleme, wie ungleiche Einkom mens und Vermögensverteilung, Arbeitslosigkeit und Einbrüche ganzer Wirtschaftszweige, in den Blick zu nehmen. Da das einzelne Individuum zur Lösung dieser Probleme kaum einen Beitrag zu leisten vermag - „das Heilmitte l gegen diese Übel liegt aber außer halb des individuellen Tätigkeitsbereichs“ -, ist der Staat zum Ein greifen aufgefordert: „Die wichtigsten Agenda des Staates betreffen nicht die Tätigkeiten, die bereits von Privatpersonen geleistet wer den, sondern jene Funktionen, die über den Wirkungskreis des Individuums hinausgehen, jene Entscheidungen, die niemand trifft, wenn der St aat sie nicht trifft. Nicht das ist wichtig für den Staat, daß er die gleichen Dinge etwas besser oder etwas schlechter aus führt, die heute bereits von Einzelpersonen getan werden, sondern daß er die Dinge tut, die heute überhaupt nicht getan werden.“ 118 Als praktische Lösungswege skizziert Keynes drei Vorschläge, wie sie später auch in seiner Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes eine Rolle spielen: 1. Die Errichtung einer für die Kontrolle der Währungs und Kreditfragen zuständigen zentra len Einrichtung (Zentralbank) sowie eines „statistischen Amtes“, 2. staatliche Beeinflussung von Sparen und Investieren, 3. Bevölke rungspolitik. Neben der, so Keynes 1926, „vielleicht wichtigsten Aufgabe der heutigen Nationalökonomen“, nämlich zwischen dem zu unterscheiden, was der Staa t an Aufgaben zu übernehmen bzw. zu unterlassen hat, gilt es im Rahmen der Demokratie, genau jene Staatsformen zu finden, die die vom Staat zu übernehmenden Auf gaben am besten auszuführen in der Lage ist. 119 „Nationalökonomie ist die Lehre von den Wirtschaftssystemen“, so der deutsche Soziologe und Volkswirt Werner Sombart (1863-1941) bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Der moderne Kapitalis <?page no="68"?> Volkswirtschaftslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts 67 mus, 120 womit er eindrücklich die Entwicklung der ökonomischen Theorie auf den Begriff bringt. Das Werk ist ein groß angelegter Versuch, alle historischen Erscheinungen in einem sozialen System zu erfassen und damit eine soziologische und historische Fundie rung des kapitalistischen Systems vorzulegen. In späteren ökonomi schen Schriften wie Arthur C. Pigous Socialism versus Capitalism von 1937 oder Joseph A. Schumpeters Capitalism, Socialism and Democ racy von 1942 kann dieser Streit um das rechte Wirtschaftssystem bereits den Titeln entnommen werden. Sombart greift die insbeson dere in der deutschsprachigen Literatur verbreitete Vorstellung auf, Wirtschaftsepochen entsprechend der ihnen zugrunde liegenden Wirtschaftsgesinnungen und Wirtschaftsstile zu charakterisieren, die prägend für die Epoche sind und sich im Denken der Epoche, in der dort vorherr schenden Weltanschauung (moralische, religiöse, ideologische Verfasstheit), abhängig vom jeweils zeit und ortsspe zifischen Institutionengefüge, ausdrücken. Der Begriff Stil bezeich net hier die eine Zeitepoche charakterisierende grundlegende Hal tung und Einstellung und ist bei Ökonomen wie eben Sombart, aber auc h Al fred M ü ller Arm ack (1 901 -19 78 ), Arthur Spie th off (1 87 3 - 1957) oder Philosophen und Ku lturhistorikern wie Oswald Spengler (1880-1936) anzutreffen. 121 Die Idee des Wirtschaftsstils ist aus dem Versuch heraus entstanden, die Zeit und Ortsgebundenheit der jeweiligen Volkswirtschaft im Rahmen der ökonomischen Theorie bildung zu berücksichtigen, damit institutionelle und gesellschaftli che Parameter einzubeziehen, jedoch nicht wie die Historische Schule wirtschaftliches Geschehen als in erster Linie historisch und kulturell determiniert zu begreifen, sondern Par ameter des Wandels in den Vordergrund zu stellen. Widersprochen wird der Verwen dung des Stilgedankens durch Walter Eucken (1891-1950), der vor allem in der Reduzierung der Wahrnehmung einer Zeitepoche in Form einer „grundlegenden Sichtweise“ eine allzu große Vereinfa chung der historischen Abläufe erkennt. 122 Die Theorie des Wirtschaftsstils richtet sich nicht zuletzt gegen die sich durchsetzende Theorie der klassischen und neoklassischen Nationalökonomik und deren Versuch, wirtschaftliches Geschehen <?page no="69"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 68 im Sinne reiner Theorie, also in Form zeitloser und historisch unab hängiger Modelle und Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Als das zeit genössische Standardwerk der reinen ökonomischen Theorie schlechthin gelten damals die erstmals im Jahr 1890 veröffentlichten Principles of Economics von Alfred Marshall (1842-1924), ein Werk, das auch Größen wie Arthur C. Pigou (1877-1959) und John May nard Keynes nachhaltig beeinflusst hatte. Marshall begreift Wirt schaftstheorie, wie die großen ökonomischen Klassiker vor ihm, als die Lehre vom Reichtum einer Nation, er hebt jedoch hervor, dass es dabei vornehmlich um die Untersuchung jenes Bereichs de s menschlichen Verhaltens gehe, der vorwiegend in Geld und ande ren messbaren Einheiten quantifizierbar sei. 123 Das Streben nach Gelderwerb bezeichnet er als das „stetigste Motiv im wirtschaftli chen Verhalten der Menschen“ und in der Möglichkeit der „defini tiven und exakten Messung dieses stetigsten aller Motive“ liege der Grund, warum die „Volkswirtschaftslehre jeden anderen Zweig der Wissenschaft vom Menschen überrundet habe“. 124 Damit befindet sich Marshall ganz im Zentrum neoklassischer ökonomischer Denk tradition, nach der ökonomisches Handeln letztlich ausschließlich auf das Vorteils und Nützlichkeitsdenken der Individuen zurück zuführen ist. In der Möglichkeit der Zusammenführung dieser in dividuellen Nützlichkeitsvorstellungen zu einer Art gesellschaftli chen Gesamtnutzens ist die Idee der Wohlfahrt verankert, die es zu ma ximieren gilt. Ein bedeutender Schritt in der Entwicklung der ökonomischen Theorie wurde damit getan, das Wohlfahrtskonzept systematisch innerhalb des neoklassischen Theoriegebäudes zu verorten. Als ein Meilenstein gelten hier Pigous The Economics of Welfare von 1920. 125 Ganz den Ideen Marshalls folgend, ist Pigou bestrebt, Wohlfahrt zu messen. Pigou ist sich sehr im Klaren darüber, dass Wohlfahrt in einem umfassenden Sinn auch immer Zustände des menschlichen Bewusstseins umfassen wird und deshalb in ihrer Komplexität kaum zu handhaben ist. Da sich jedoch die Auffassung durchge setzt hat, mindestens den in Gelde inheiten messbaren Teil der Wohlfahrt in Beziehungen von größer und kleiner angeben zu kön <?page no="70"?> Volkswirtschaftslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts 69 nen, ist es nur konsequent, das Geld schlechthin als Instrument der Wohlfahrtsmessung im sozialen Leben heranzuziehen. Pigou be schränkt seine Analyse somit auf jenen Bereich der Wohlfahrt, der direkt und indirekt in Geldeinheiten ausgedrückt werden kann, und diesen Bereich bezeichnet er als die „ökonomische Wohlfahrt“: “Hence, the range of our inquiry becomes re stricted to that part of social welfare that can be brought into relation with the measuring rod of money. This part of welfare may be called economic wel fare.” 126 Da das Ausmaß an Bedürfnisbefriedigung, das einem Indi viduum etwa aus dem Konsum eines Gutes entsteht, nicht präzise berechnet werden kann, wird der Geldbetrag, den diese Person für das Gut auszugeben bereit ist, als Maß herangezogen. Somit misst der Geldbetrag die Intensität, mit der sich das Individuum das Gut wünscht, und ni cht die Befriedigung, die es daraus zieht. Nur im Sinne der Intensität des Wunsches, ein Gut zu besitzen, ist folglich der Begriff des Nutzens zu begreifen. 127 Die Geldbeträge, die die Menschen für alle Güter und Dienstleistungen ausgeben, müssen addiert letztlich der statistischen Größe des Volkseinkommens oder Sozialprodukts entsprechen. Pigou lehnte es stets ab, das ökonomi sche Wohlfahrtskonzept als strengen Index der Gesamtwohlfahrt zu begreifen, schließlich sei die ökonomische Wohlfahrt immer nur ein Teil der Gesamtwohlfahrt. 128 Spätestens mit The Economics of Welfare war gezeigt, dass das Kon zept der ökonomischen Wohlfahrt entscheidend durch die Höhe des Volkseinkommens, aber auch durch dessen Verteilung be stimmt ist. 129 Während der Wohlstand eines Individuums sich aus der Summe der ihm zuteilwerdenden einzelnen Befriedigungen ergibt, bildet sich der Wohlstand der Gesellschaft aus der Summe des Wohlstands aller Individuen. Im Bestreben, die Wohlfahrt einer Volkswirtschaft zu erhöhen oder gar zu maximieren, müssen die Bezieher hoher Einkommen auf dem Wege der Umverteilung Geld an so lche mit geringerem Einkommen abgeben. Dieser Schluss folgt der Einsicht, dass Menschen mit einem hohen Einkommen für jede weitere Einkommenseinheit, die sie erhalten, zwar einen steigenden Nutzen davontragen, dieser jedoch von Einheit zu Einheit langsa <?page no="71"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 70 mer wächst als bei einem Bezieher eines niedrigeren Einkommens - der Grenznutzen sinkt mit steigendem Einkommen. Die Annahme von der Abnahme des Grenznutzens des Geldes findet sich ausführ lich auch bereits bei Marshall. 130 An dieser Stelle ist für die Argumentation entscheidend, dass die von den Wohlfahrtsökonomen erhobene Forderung nach einer Umverteilung der Einkommen nicht mehr in erster Linie über an Moral und Gerechtigkeit gerichtete Appelle, also sozialethisch be gründet wird, sondern über das Nutzenkonzept. Und natürlich waren sowohl Pigou als auch Marshall weit davon entfernt, die Umverteilung bis zu ei ner Nivellierung der Einkommen (gleiche Verteilung der Einkommen) zu treiben, da dies unzulässige Eingrif fe in die Eigentumsrechte, die Missachtung der Verschiedenartig keit der Menschen und deren unterschiedlicher Fähigkeit der Leis tungserbringung bedeuten würde. Schlussendlich entwickelt Pigou eine „Theorie der Staatstätigkeit in der Wirtschaft“, in der ei ne Re gierung die Wirtschaftskräfte derart steuern soll, dass die ökonomi sche Wohlfahrt befördert, damit auch die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt erhöht, und - im Einklang mit und in Anspielung auf Marshall - der „sum total of happiness” der größte Beitrag hinzuge fügt werden könne. 131 Pigou entwirft einen regelrechten Katalog von Maßnahmen, die Regelungen zur Regulierung von Preisen und Industriezweigen ebenso einschließen wie Lohnfestsetzungen, Sozi algesetze und Maßnahmen der Monopolkontrolle. 132 Der massiven utilitaristischen Fundierung der ökonomischen Theo rie wird vielfältige Kritik entgegengebracht. Keynes etwa kritisiert die vereinfachenden Voraussetzungen der Theorie, zeigt Trug schlüsse auf und polemisiert teilweise gegen erzielte Ergebnisse. 133 Lionel Robbins (1898-1984) bemerkt in seiner weitverbreiteten Schrift An Essay on the Nature and Significance of Economic Science aus dem Jahre 1932, dass es für die Anerkennung wissenschaftlicher Ergebnisse notwendig sei, politisch und ethisch neutral zu argu mentieren, und zeigt die Unhaltbarkeit der utilitaristischen These von der interpersonellen Vergleichbarkeit der Nutzen. 134 Dass hinter den neoklassischen Vorstellungen von der Wohlfahrt als Summe <?page no="72"?> Volkswirtschaftslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts 71 der individuellen Nutzen letztlich ein Werturteil steht, gemäß dem die Bevorzugung eines Zustands auf Überzeugungen und nicht auf beweisbaren Erkenntnissen beruht, ist im deutschen Werturteils streit bereits Jahre zuvor erkannt worden. Auf der Tagung des Ver eins für Socialpolitik im Jahr 1909 hatte Max Weber (1864-1920) mit ähnlichem Argument wie später Robbins die Forderung nach Wert urteilsfreiheit der Wissenschaft erhoben. Ideale könnten nicht wis senschaftlich bewiesen werden, sodass der Begriff der Wohlfahrt in die Politik, nicht aber in die Wissenschaft gehöre. Auch Sombart hatte die Möglichkeit einer eindeutigen wissenschaftlichen Definiti on des Wohlst andsbegriffs aufgrund mangelnder objektiver Krite rien ausgeschlossen. 135 Im Deutschland der 1920er und 1930er Jahre wird in der ökonomi schen Theoriebildung weniger an einer kritischen Fortsetzung als vielmehr in stärkerer Abgrenzung zu den Lehren der klassischen und neoklassischen Nationalökonomik unter Berücksichtigung von Erkenntnissen der Historischen Schule gearbeitet, wobei besonderes Augenmerk auf den Vergleich der Wirtschaftssysteme gerichtet ist. Eine regelrechte Such e nach dritten Wegen oder Mittelwegen ent steht. Gemeint sind Lösungen, die die ökonomische Leistungsfähig keit kapitalistischer Wirtschaftssysteme, bei gleichzeitiger Kontrolle und Eingrenzung der mit ihnen verbundenen Nachteile, erzielen und dabei das „Versuchs und Experimentierstadium“ überwinden sollen. Diese insbesondere im Anschluss an den Ersten Weltkrieg stattgefundene Wirtschaftspolitik der Experimente fasst Walter Eucken in seinem posthum veröffentlichten Werk Grundsätze der Wirt schaftspolitik von 1952 mit seiner Unterscheidung von der Politik zentraler Leitung des Wirtschaftsprozesses und der Wirtschaftspolitik der Mittelwege zusammen. 136 Die Politik zentraler Leitung des Wirtschafts prozesses wird insofern als das Gegenstück zur Wirtschaftspolitik des Laissez faire beschrieben, als in ihr der alltägliche Wirtschafts prozess und die Wirtschaftsordnung vom Staat bestimmt werden. In der Politik zentraler Leitung des Wirtschaftsprozesses dominiert die Ordnungsform der Zentralverwaltungswirtschaft. Hier legen Zen tralstellen fest, welches Gut an welchem Ort, in welcher Menge und <?page no="73"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 72 auf welche Weise zu produzieren ist und wie die Verteilung des Sozialprodukts zu erfolgen hat. 137 Die Wirtschaftspolitik der Mittel wege wird als Versuch beschrieben, einen Kompromiss zwischen der Politik des Laissez faire und der Politik der zentralen Leitung, mithin eine Kombination von Freiheit und zentraler Lenkung, zu ermöglichen. Die hierbei eingeschlagenen Wege unterteilt Eucken in 1. die Vollbeschäftigungspolitik, 2. die Politik partiell zentraler Leitung des Wirtschaftsprozesses und 3. die Politik der ständischen Ordnung. Bei der Vollbeschäftigungspolitik handelt es sich nicht zuletzt auch um die staatliche Anregung der Investitionstätigkeit, die eine Politik des Defizits einschließen kann, um das Ziel der Vollbeschäftigung zu erreichen (die Anspielung auf Keynes ist unverkennbar). Die Politik partiell zentraler Leitung des Wirtschaftsprozesses spielt auf die ver schiedenen Versuche an, Grundstoff bzw. Schlüsselindustrien zent ral zu lenken, alle anderen Industrien jedoch als selbstständig pla nende Betriebe bestehen zu lassen. Bei der Politik der ständischen Ordnung übernehmen Selbstverwaltungskörper, öffentliche Körper schaften oder auch halbautonome Körperschaften, wie sie bei Key nes Erwähnung fanden, aber auch die Vertretungen der Berufsstän de die Lenkung des Wirtschaftsprozesses. Die entstandene Diskussion ist die einer angemessenen Wirt schaftsordnung. Die in dieser Hinsicht wohl bekannteste und ein flussreichste Theorie stellt der Ordoliberalismus dar, dessen Haupt vertreter, Walter Eucken, sich gänzlich auf die Analyse der Wirt schaftsordnung konzentriert. 138 Die Erfahrungen des Ersten Welt kriegs, der Nachkriegszeit, der Weimarer Republik, des Nationalso zialismus, aber auch des real existierenden Sozialismus in Russland und die mit diesen Entwicklungen einhergehenden negativen wirt schaftlichen Ereignisse wie Hyperinflation, Deflation, Arbeitslosig keit und soziales Elend begründen sein Interesse nach der Suche nach einer Wirtschaftsordnung, die gegenüber der artigen Prozessen standhält. Den Vertretern des Ordoliberalismus geht es um den Entwurf einer Wirtschaftsordnung bzw. Bedingungskonstellationen, die die Leis tungsfähigkeit eines auf dem Kapitalismus fußenden Konkur <?page no="74"?> Volkswirtschaftslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts 73 renzsystems aufweist, gleichzeitig aber dessen Nachteile, die unter der Etikettierung soziale Frage zusammengefasst sind, vermeidet. Die Lösung des zentralen Problems der sozialen Frage hängt somit von der Lösung des wirtschaftlichen Ordnungsproblems ab. Drei Entwicklungsstufen (Typen) der sozialen Frage werden unterschie den. Der erste Typus bezieht sich auf den im 19. Jahrhundert herr schenden sozialen Gegensatz zwischen Unternehmern und Indus triearbeitern und die damit verb undene wirtschaftliche und soziale Unfreiheit der Arbeiter, ihre schlechten Lebensbedingungen, die unzureichende Entlohnung, Kinderarbeit etc. Allerdings gelingt es im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Existenz bedingungen der Arbeiter deutlich zu heben. Zurückzuführen ist dies auf Maßnahmen wie den staatlichen Arbeiterschutz, das Ver bot von Kinderarbeit, die gesetzliche Einsch ränkung der Arbeitszeit, die Versicherung gegen Krankheit, Unfall und Invalidität, vor allem aber durch die steigende Produktivität aufgrund zunehmender Mechanisierung und veränderter Strukturen auf den Arbeitsmärk ten infolge des Einsatzes der Gewerkschaften. 139 Der zweite Typus der sozialen Frage entwickelt sich nach dem Ersten Weltkrieg mit einem neuen in den Vordergrund tretenden Problem: Unsicherheit in Form lang anhaltender Massenarbeitslosigkeit, deren Beherr schung sich die Sozial und Wirtschaftspolitik zur Aufgabe macht. Die Wirtschaftspolitik wird im Zuge dessen in den Dienst der Lö sung der sozialen Fra ge gestellt und zeigt mit der Herausbildung von sozialen Machtkörpern und der Vollbeschäftigungspolitik zwei Entwicklungslinien, die eine starke Tendenz zur Transformation der Wirtschaftsordnung in Richtung auf die zentrale Lenkung des Wirtschaftsprozesses auslösen. 140 Gegen diese Formen der Mittel wege zwischen Liberalismus und Sozialismus bzw. freier Markt wirtschaft und Planwirtschaft erhebt auch Friedrich August von Hayek (1899-1992) in seiner Schrift The Road to Serfdom von 1944 schwerwiegende Einwände, da solche Vermittlungsversuche eher zu einer Zentralisierung denn Liberalisierung eines Wirtschaftssys tems führen. 141 Die Transformationstendenz in Richtung zentrale Lenkung gilt Eucken als entscheidende Wendung zum dritten Ty pus der sozialen Frage, die als Form der Abhängigkeit des Arbeiters <?page no="75"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 74 vom Staat beschrieben wird. Der Staat hat seine Macht durch eine Vielzahl von Eingriffen in den Wirtschaftsprozess ausgedehnt, wäh rend er zugleich zunehmend von wirtschaftlichen Machtgruppen beeinflusst wird, die nicht nur seine Willensbildung maßgebend bestimmen, sondern ihm auch wichtige Bereiche seiner früheren Tätigkeiten abnehmen. 142 Die Lösung der sozialen Frage kann, so Eucken, keinesfalls von einer zentralen Lenkung des Wirtschaftsprozesses erwartet werden, sondern von der Gewährung notwendiger Freiheitsrechte, was grundsätzlich die strenge Begrenzung der staatlichen Tätigkeit auf die Herstellung und Sicherung einer angemessenen Ordnung der Wirtschaft eingrenzt. Der Staat soll eine zureichende Gesamtord nung des Wirtschaftsprozesses aufb auen, die Konzentration priva ter Macht so weit wie möglich verhindern, das wirtschaftliche Pla nen und Handeln jedoch immer den einzelwirtschaftlichen Akteu ren überlassen. Mit anderen Worten: Der Staat soll auf die Aufsicht und eventuelle Gestaltung der Ordnungsformen beschränkt blei ben, in denen der alltägliche Wirtschaftsprozess abläuft. Es ist die Wettbewerbsordnung, di e Eucken als jene Ordnung der Märkte gilt, durch die alle Teile des Wirtschaftsprozesses sinnvoll integriert werden und in der die einzelwirtschaftlichen Akteure nicht Befehle ausführen, sondern frei planen und handeln, also absolut eigen ständig jene Verwendung der Produktionsmittel suchen, die ihnen als die beste erscheint. Die Wettbewerbsordnung ist im Den ken Euckens damit eine Ordnung der Freiheit, eine Ordnung, in der nicht Subordination, sondern Koordination der Haushalte und Betriebe besteht und die auf diese Weise den Ansprüchen einer funktionsfähigen und menschenwürdigen Ordnung des modernen arbeitsteiligen Wirtschaftsprozesses entspricht. Begrenzt wird die Freiheit der Akteure durch die Ordnung, denn es bestehe keines wegs die Freiheit, si ch die Spielregeln und Formen des Wirtschafts prozesses, die Marktformen und Geldsysteme nach Willkür zu gestalten. Als die in der Wettbewerbsordnung dominierende Markt form nennt Eucken die vollständige Konkurrenz. Starke Konkur renz sei es, die das Planen und Handeln der einzelnen Haushalte <?page no="76"?> Volkswirtschaftslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts 75 und Unternehmen miteinander zu koordinieren imstande ist, nur mit ihr können die Preise den ökonomischen Prozess lenken und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft garantieren. Erst dann, wenn der Konkurrenzmechanismus zum Erreichen dieser Ziele nicht ausreicht, sind besondere wirtschaftspolitische Maßnahmen ge rechtfertigt. 143 Die von Eucken entwickelte Konzeption der Wettbewerbsordnung bildet die Grundlage des ordnungspolitischen Entwurfs von Alfred Müller Armack. Hier wird der Gedanke der Wettbewerbsordnung aufgenommen und zu einer wirtschafts und gesellschaftspolitisch über Euckens Entwurf hinausgehenden sozialhumanistischen Kon zeption weitergeführt. Erkenntnisleitend ist die „soziale Idee“, als deren tiefstes Anliegen Müller Armack die „Versittlichung des wir tschaftlichen und sozialen Lebens“ gilt und die ihn zu der Frage leitet, in welcher Ordnung sich die verschiedenen Wertziele der Gesellschaft am besten verwirklichen lassen. 144 Als Antwort entwi ckelt Müller Armack die ordnungspolitische Konzeption der sozia len Marktwirtschaft. Er bezieht gegen jede Form der zentralen Len kung konsequent Stellung und hebt die Vorteile einer marktwirt schaftlichen Ordnung anderen Ordnungen gegenüber als wirt schaftlich effizient und überlegen hervor und erkennt in der öko nomischen Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft bereits selb st einen wesentlichen Beitrag zum sozialen Fortschritt. Müller Armack übt ebenso Kritik am Wirtschaftsliberalismus, der den Sinn der menschlichen Existenz zu sehr auf wirtschaftliche Interessen ge lenkt habe und damit zu einer rein ökonomischen Weltauffassung gelangt sei. Darüber hinaus fehle dem Liberalismus das Wissen um die Notwendigkeit, die Wirtschaftsordnung durch die Fes tlegung ihrer nicht zu überschreitenden Grenzen und durch die Schaffung einer sie stützenden politischen Ordnung in ihrer Funktionsfähig keit zu erhalten. In Anlehnung an Franz Böhms Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung von 1936 schreibt Müller Armack: „Erst die neuere Forschung hat begriffen, daß die marktwirtschaftliche Organisationsform ihre Überlegenheit nur zu entfalten vermag, wenn ihr aus geistigen und <?page no="77"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 76 politischen Kräften eine feste äußere Ordnung gegeben wird.“ 145 Daher gilt ihm die Marktwirtschaft als jene Organisationsform, die es den europäischen Völkern nicht nur erlaubt, ihren zentralen Werten gemäß zu leben, sondern aufgrund ihrer nachgewiesenen Fähigkeit, ungeheure Wirtschaftskräfte zu entfalten, den Völkern auch die Möglichkeit gibt, sie weiter zum Vorteil der Menschheit zu entwickeln. 146 Die Entstehung von Quadragesimo anno Schon kurz nach dem Beginn seines Pontifikats beauftragt Papst Pius XI. den Herausgeber der Zeitschrift La Civiltà Cattolica, Pater Angelo Brucculeri, mit dem Entwurf einer Sozialenzyklika. Der Entwurf wird 1925 mit dem Titel Die soziale Aktion der Kirche vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt kann sich der Papst aber noch nicht zur Veröffent lichung einer Sozialenzyklika durchringen (der Text des Entwurfs findet sich in den Archiven des Vatikans). 147 Wann genau die kon krete Entscheidung zur Veröffentlichung einer Sozialenzyklika fällt, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Bekannt ist, dass Papst Pius XI. unter Umgehung aller vatikanischer Stellen - lediglich der Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli war in das streng geheim gehaltene Projekt eingeweiht - den Ordensgeneral der Jesuiten, Wladimir Ledóchowski, mit den Vorbereitungsaufgaben betraute und zu die sem bemerkte, „die deutschen Patres würden wohl einen wesentlichen Teil der Arbeit zu übernehmen haben“. 148 Ledóchowski beauftragt im Herbst 1930 Oswald von Nell Breuning, einen Entwurf für die neue Sozialenzyklika anzufertigen. Der Jesuitenpater Oswald von Nell Breuning (1890-1991) wird in Trier geboren. Er ist Theolo ge, Nationalökonom und Sozialphilosoph. Bereits mit seiner Doktor arbeit Grundzüge der Börsenmoral von 1928 macht er auf sich auf merksam. Noch in demselben Jahr wird er zum Professor für Mo raltheologie, Kirchenrecht und Gesellschaftswissenschaft an die Philosophisch Theologische Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main berufen. Fast gleichzeitig geht der identische Auftrag, einen Entwurf für eine Sozialenzyklika auszuarbeiten, an den Direktor der Action Populaire in Paris, Gustave Desbuquois, der 1931 seinen Ent <?page no="78"?> Die Entstehung von Quadragesimo anno 77 wurf an den Ordensgeneral übergibt. 149 Einige Aspekte dieses Ma nuskripts finden Eingang in die spätere Sozialenzyklika, der Haupt teil jedoch geht auf Nell Breuning zurück. Nell Breuning kann beim Verfassen seines Entwurfs für die Sozial enzyklika auf die Diskussionen im Königswinterer Kreis zurückgrei fen. Der Königswinterer Kreis, benannt nach seinem Tagungsort, ist eine Studiengruppe des Volksvereins für das katholische Deutsch land, dessen Ziel in der Ausarbeitung eines „gesellschaftspoliti schen Einheitswillens der deutschen Katholiken“ besteht. 150 Neben Nell Breuning gehören vor allem Gustav Gundlach, Götz Briefs, Paul Jostock, Franz H. Mueller, Theodor Brauer und Heinrich Rommen dem Kreis an. 151 Fast alle Mitglieder sind Schüler von Heinrich Pesch oder zumindest Anhänger seines Solidarismus. 152 Nell Breuning beschreibt später selbst die Rolle des Königswinterer Kreises für die Entstehung von Quadragesimo anno: Zitat Alles, was dort zur Sprache kam, war für meine Mitarbeit an der Enzyklika von Bedeutung, und alles, was ich für diese Arbeit brauchte, konnte ich, ohne von dem nach damaliger Praxis streng geheimgehaltenen Vorhaben des Papstes auch nur eine Andeutung zu machen, in Königswinter ins Gespräch bringen, um durch den Gedankenaustausch mit den Kollegen meine Begriffe und Vorstel lungen zu klären, meine Auffassungen entweder bestätigen oder berichtigen zu lassen. 153 Nachdem Nell Breuning seinen Entwurf im Januar 1931 abliefert und dieser dem Papst zur Begutachtung vorgelegt wird, beginnen die Abschlussarbeiten an der Enzyklika. Dazu wird Alphons Mul ler, Professor für Sozialwissenschaften an der Handelshochschule Sankt Ignatius in Antwerpen, hinzugezogen. Den Status des Textes nach der Bearbeitung durch Muller beschreibt Nell Breuning wie folgt: „[…] wa s übrigblieb, war in meinen Augen ein ‚gerupftes Huhn‘.“ 154 Danach setzt eine schwierige Überarbeitungsphase ein, in der es Nell Breuning gelingt, seine Ideen schrittweise in überar <?page no="79"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 78 beiteter Form wieder einzubringen. Auch werden direkt von Papst Pius XI. verfasste Textstellen, die sich gegen den Faschismus rich ten, in die Enzyklika eingearbeitet. 155 Genau 40 Jahre nach dem Erscheinen der ersten Sozialenzyklika Rerum novarum veröffentlicht Papst Pius XI. seine Sozialenzyklika Quadragesimo anno. Die Enzyklika knüpft nicht an die konkreten Probleme der Weltwirtschaftskrise an, sondern beginnt mit einer ausführlichen Darlegung der positiven Wirkung von Rerum novarum. In ihrem zweiten Teil werden deren Inhalte diskutiert, vertieft oder klargestellt, und im abschließenden dritten Teil wird zu den sozialen und wirtschaftlichen Problemen der Zeit Stellung bezogen. 156 Zur Wirkung von Rerum novarum Der erste Teil von Quadragesimo anno, die Wirkung von Rerum nova rum anbetreffend, soll an dieser Stelle Anlass für einige weitere Ge danken zum Einfluss der ersten Sozialenzyklika auf das gesell schafts , ordnungs und wirtschaftspolitische Denken und Handeln geben. Einen vollständigen Katalog der durch Rerum novarum ausge lösten und beeinflussten politischen Maßnahmen aufstellen und deren Umsetzungserfolge in den einzelnen Länder überprüfen zu wollen, ist äußerst schwierig, zumal die größten Wirkungen der Sozialenzykliken vermutlich von den geistigen und intellektuellen Impulsen ausgegangen sind, die durch die Enzyklika gesetzt wur den. Für den großen Einfluss von Rerum novarum auf die Gesellschafts , Sozial und Wirtschaftspolitiken einzelner Länder sprechen mehrere Indizien. So ist der Verbreitungsgrad der enzyklischen Botschaften allein durch die Zahl der Katholiken und nicht zuletzt auch all jener, die die Aussagen der Enzyklika zu Kenntnis nehmen konnten, von immensem Ausmaß. In der Zeit nach der Veröffentlichung von Rerum novarum spielen der politische Katholizismus und die katho lische Arbeitnehmerbewegung in Ländern wie Belgien, Deutsch land, Holland, Italien und Frankreich eine entscheidende Rolle bei den großen Sozialreformen des ausgehenden 19. und beginnenden <?page no="80"?> Zur Wirkung von Rerum novarum 79 20. Jahrhunderts. 157 Große Wegbereiter der Sozialreform sind in ihrem sozialpolitischen Denken wesentlich durch Rerum novarum beeinflusst. Beispielsweise wird bereits 1893, also zwei Jahre nach dem Erscheinen von Rerum novarum, in Münster mit dem Vater der katholischen Arbeitervereine und Wegbereiter des Deutschen Cari tasverbands, Franz Hitze (1851-1921), die erste Professur für Christ liche Gesellschaftslehre im deutschsprachigen Raum besetzt. Als preußischer Abgeordneter, Reichstagsmitglied und Mitglied der Zentrumspartei gilt der katholischer Priester als einer der einfluss reichsten Sozialpolitiker seiner Zeit, 158 wirkt an den bismarckschen Sozialgesetzen und an der Konzeptionierung der Reichsversiche rungsordnung 1913 mit. Zwischen 1905 und 1923 veröffentlicht Heinrich Pesch das fünfbän dige Lehrbuch der Nationalökonomie. Der Jesuit Heinrich Pesch (1854- 1926) ist Theologe, Nationalökonom und Sozialphilosoph. Pesch führt u. a. das Solidaritätsprinzip in die katholische Soziallehre ein und gibt der kirchlichen Ausrichtung der Sozialpolitik den Namen Solidarismus. In seinem Lehrbuch entwickelt er die soziale Grund idee der Evangelien und der Enzykliken, wonach der arbeitende Mensch als Verwalter und Nutznießer der irdischen Güter Wohl stand erzeuge. 159 Das zugrunde liegende Wirtschaftssystem müsse jedoch einzelwirtschaftlich, niemals zentralistisch organisiert sein, wobei, ganz in der Tradition von Rerum novarum stehend, der Ein zelne in seinem Handeln zur Verantwortung gegenüber der Allge meinheit verpflichtet sei. So könne Wohlstand denn nur durch die christliche Vervollkommnung des Menschen und nicht durch ir gendeine Form des gewaltsamen Umsturzes verwirklicht werden. 160 Pesch sieht den Aufbau der Gesellschaft berufsständisch organisiert, wobei die Solidarität unter den Mitgliedern eines Berufsstands ge meinschaftsbildend wirkt. 161 Die Bedeutung von Pesch wird auch von dem großen Nationalökonomen Joseph Alois Schumpeter (1883-1950) betont. So sei durch Peschs Lehrbuch, die durch ihn erfolgte Einführung des Solidaritätsprinzips in die katholische Sozi allehre und die Wirkung, die Pesch auf seine Schüler nahm, wie etwa den Sozialphilosophen und Sozialwissenschaftler Gustav <?page no="81"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 80 Gundlach und den Nestor der katholischen Soziallehre, den Theo logen, Sozialphilosophen und Nationalökonomen Oswald von Nell Breuning, der Einfluss auf die weitere Entwicklung der katholischen Soziallehre, wie sie dann in der Enzyklika Quadragesimo anno formu liert wurde, erheblich gewesen. 162 Wissen: Solidarität Das Prinzip der Solidarität gehört zu den Grundkonzepten der katholischen Soziallehre. Im Römischen Recht zunächst ein Rechtsbegriff im Sinne einer spezifischen gesamtschuldne rischen Haftung, einer Verpflichtung für das Ganze (obligatio in solidum), beinhaltet der Solidaritätsbegriff heute allgemeiner die Verbundenheit und aktive Unterstützung von Personen, Gruppen, Organisationen und Staaten. Gerne wird Solidarität mit der viel zitierten Formel Einer für alle, alle für einen um schrieben. Der heutige Stellenwert des Solidaritätsbegriffs ist vor allem auf die Solidaritätsprinzipien zurückzuführen, wie sie im 19. Jahrhundert in der Arbeiterbewegung, der Gewerkschafts bewegung, dem Genossenschaftswesen und im aufkom menden Sozialversicherungswesen gegenwärtig waren und im 20. Jahrhundert vor allem zu zentralen Konzepten sozia listischer und sozialdemokratischer Parteien avancierten. Der Nestor des Solidaritätsprinzips in der katholischen Sozi allehre, Heinrich Pesch SJ, kritisiert viele der unterschiedli chen Definitionen und Verwendungen des Solidaritätsbe griffs. Für ihn ist Solidarität die „Zusammenfassung des Strebens gesellschaftlich zu verbindender oder verbundener Kräfte mit Rücksicht auf ein sittlich erlaubtes oder sittlich ge fordertes, gemeinsames Ziel“. Solidarität ist damit keine Tu gend an sich, sondern erhält ihren Wert durch das angestreb te Ziel, denn „die Solidarität der Räuberbande ist Interessen gemeinschaft des Verbrechens, bloßer Name und Schein von Solidarität.“ 163 In der katholischen Soziallehre ersetzt das So lidaritätsprinzip aber nicht die Selbstverantwortung, sondern <?page no="82"?> Zur Wirkung von Rerum novarum 81 ergänzt sie um die Verantwortung des Einzelnen für die Ge sellschaft: „[…] das Prinzip der Solidarität […] setzt bei der Personalität und Sozialität des Menschen zugleich an und besagt wechselseitiges Verbundensein und Verpflichtetsein. Damit sind sowohl der Individualismus, der die Sozialnatur des Menschen leugnet und in der Gesellschaft nur einen Zweckverband zum mechanischen Ausgleich der Einzelinte ressen sieht, als auch der Kollektivismus, der den Menschen seiner Personenwürde beraubt und zum bloßen Objekt ge sellschaftlicher, vor allem wirtschaftlicher Prozesse ernied rigt, als gesellschaftliche Ordnungsprinzipien abgelehnt.“ 164 Heinrich Pesch und einige seiner Schüler versuchen zu Be ginn des 20. Jahrhunderts, letztlich vergeblich, den Begriff des Solidarismus quasi als Synonym für die katholische So zial und Gesellschaftslehre zu etablieren, um einen ähnlich schlagkräftigen Begriff wie Kommunismus, Sozialismus, Li beralismus zu bilden. 165 Das Solidaritätsprinzip bleibt aber in der kirchlichen Soziallehre fest verankert und wird später von Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Sollicitudo rei socialis von 1987 nochmals hervorgehoben: „Vor allem die Tatsache der gegenseitigen Abhängigkeit wird als entschei dendes System von Beziehungen in der heutigen Welt mit seinen wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und religiö sen Faktoren verstanden und als moralische Kategorie ange nommen. Wenn die gegenseitige Abhängigkeit in diesem Sinne anerkannt wird, ist die ihr entsprechende Antwort als moralisches und soziales Verhalten, als ‚Tugend‘, die Solida rität. Diese ist nicht ein Gefühl vagen Mitleids oder ober flächlicher Rührung wegen der Leiden so vieler Menschen nah oder fern. Im Gegenteil, sie ist die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das ‚Gemeinwohl‘ einzusetzen, das heißt, für das Wohl aller und eines jeden, weil wir alle für al le verantwortlich sind.“ 166 Der Aufruf zur Solidarität geht al le an, „wenn auch die größere Verantwortung bei dem liegt, der mehr hat und mehr kann“. 167 <?page no="83"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 82 Sicherlich ist es auch kein Zufall, dass sich die aus der polni schen Streikbewegung entstandene, von Papst Johannes Paul II. stark unterstützte und am politischen Umbruch 1989 ent scheidend beteiligte polnische Gewerkschaft den Namen So lidarno gab. Auch der in den Jahren 1920 bis 1928 amtierende deutsche Reichs arbeitsminister Heinrich Brauns (1868-1939), der die Sozialpolitik der Weimarer Republik entscheidend prägt, ist katholischer Priester und Zentrumspolitiker, dem Papst Leo XIII. als sozialpolitisches Vorbild gilt. Unter seiner Verantwortung werden das Betriebsräte gesetz (1920), die Arbeitszeitverordnung (1923), das Arbeitsge richtsgesetz (1926) und das Ge setz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (1927) verabschiedet. Bei der Bewertung der Wirkung von Rerum novarum stellt Pius XI. die dort aufgestellten katholischen Sozialprinzipien in den Vorder grund und hebt ihre allmähliche und unauffällige Entfaltung her vor. 168 Er bezeichnet die in Rerum novarum vorgestellten katholi schen Sozialprinzipien als „mit der Zeit [zum; d. Verf.] Gemeingut des Menschengeschlechts geworden“ 169 und benennt Beispiele für deren konkrete Umsetzung. Diese reichen von direkten Maßnah men zur Unterstützung sozial Schwacher über den Aufruf zur Gründung unterschiedlichster Wohltätigkeits und Selbsthilfeorga nisationen, einschließlich kirchlicher Arbeitervereinigungen, bis hin zu vielfältigen Anstrengungen, die Lehren der Enzyklika in die Gesellschafts und Wirtschaftswissenschaften einzubringen. 170 So seien selbst bei der Entwicklung des Arbeitsrechts als eines neuen Rechtsgebiets dafür verantwortliche Politiker durch Rerum novarum beeinflusst und starke Anklänge an die Enzyklika unverkennbar gewesen. 171 Besondere Gewichtung bei der Wirkungsanalyse von Rerum nova rum erhält auch der dort enthaltene Appell zur Selbsthilfe. Der Auf ruf bzw. die Ermutigung, katholische Arbeitervereinigungen zu bilden oder sich anderweitig gewerkschaftlich zu organisieren, ist <?page no="84"?> Zur Wirkung von Rerum novarum 83 für die katholische Kirche geradezu bahnbrechend, zumal zur Zeit Papst Leos XIII. Arbeitervereinigungen zwar an der Tagesordnung und in breiten Bevölkerungsschichten als gemeinhin akzeptiert galten, dennoch in vielen Ländern offen bekämpft und - in den Worten Pius XI. - mit „himmelschreiender Ungerechtigkeit“ als „revolutionäre Umtriebe“ verurteilt wurden. 172 Die katholische Kirche hatte nicht zuletzt auch mit Widerständen in den eigenen Reihen zu kämpfen, wie dies am Beispiel des Gewerkschaftsstreits bereits an anderer Stelle deutlich wurde. Der Nationalökonom und katholische Sozialethiker Theodor Brauer (1880-1942) geht sogar so weit, die Bedeutung von Rerum novarum vor allem an ihrem Beitrag zur Beilegung der großen Meinungsverschiedenheiten innerhalb des katholischen Soziallagers festzumachen. 173 Insofern kann dies auch als Zustimmung zur Einschätzung Pius XI. gewertet werden, die einzigartige Bedeutung von Rerum novarum gerade darin zu sehen, die damals bei vielen vorhandenen Bedenken gegen die Bildung von Gewerkschaften zerstreut zu haben und darüber hin aus mit der Betonung des Koalitionsrechts zur Bildung von Genos senschaften und anderen Vereinigungen, allen voran bei den Arbei tern, aber auch in den Bereichen der Landwirtschaft und des Mittel sta nds, beigetragen zu haben. 174 Schließlich sei noch auf auffällige Parallelen in den Inhalten von Rerum novarum und der Gründungsurkunde der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hingewiesen. Die ILO wird im Zuge der Versailler Friedensverhandlungen im Jahr 1919 gegründet, ihre Gründungsurkunde ist Bestandteil des Versailler Friedensvertrags (Teil XIII - Arbeit), dessen dort getroffene Regelungen die Fragestel lungen der Arbeitswelt erstmalig auf die Stufe des internationalen Rechtssystems heben. Wie Nell Breuning betont, existieren in der Gründungsurkunde der ILO viele Stellen, die direkt Rerum novarum hätten entstammen können, was insbesondere in der französischen Presse immer wieder, in Deutschland hingegen kaum thematisiert worden sei. In seinem Kommentar zu Quadragesimo anno nimmt er auf verschiedene Ausschnitte aus dem Versailler Vertrag Bezug, die den Zusammenhang mit Rerum novarum belegen sollen. 175 Nachste <?page no="85"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 84 hend finden sich die Ausschnitte aus dem Wortlaut von Teil XIII des Versailler Vertrags, auf die sich Nell Breuning bezieht. Es handelt sich um ein Zitat aus der Präambel und der Anlage (Artikel 427): Zitat Abschnitt I: Organisation der Arbeit Da der Völkerbund die Begründung des Weltfriedens zum Ziele hat, und ein solcher Friede nur auf dem Boden der sozialen Gerech tigkeit aufgebaut werden kann, da ferner Arbeitsbedingungen bestehen, die für eine große Zahl von Menschen mit so viel Unge rechtigkeit, Elend und Entbehrungen verbunden sind, daß eine den Weltfrieden und die Welteintracht gefährdende Unzufriedenheit entsteht, und da eine Verbesserung dieser Bedingungen dringend erforderlich ist, zum Beispiel hinsichtlich der Regelung der Arbeits zeit, der Festsetzung einer Höchstdauer der Arbeitstage und der Arbeitswoche, der Regelung des Arbeitsmarkts, der Verhütung der Arbeitslosigkeit, der Gewährleistung von Löhnen, welche ange messene Lebensbedingungen ermöglichen, des Schutzes der Arbeiter gegen allgemeine und Berufskrankheiten sowie gegen Arbeitsunfälle, des Schutzes der Kinder, Jugendlichen und Frauen, die Alters und Invalidenunterstützung, des Schutzes der Interes sen der im Ausland beschäftigten Arbeiter, der Anerkennung des Grundsatzes der Freiheit gewerkschaftlichen Zusammenschlusses, der Gestaltung des beruflichen und technischen Unterrichts und ähnlicher Maßnahmen, da endlich die Nichtannahme einer wirk lich menschlichen Arbeitsordnung durch irgendeine Regierung die Bemühungen der anderen, auf Verbesserung des Loses der Arbeiter in ihrem eigenen Lande bedachten Nationen hemmt, haben die Hohen vertragsschließenden Teile, geleitet sowohl von den Gefühlen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit als auch von dem Wunsche, einen dauernden Weltfrieden zu sichern, folgendes vereinbart: […] <?page no="86"?> Zur Wirkung von Rerum novarum 85 Abschnitt II: Allgemeine Grundsätze. Artikel 427. Die Hohen vertragsschließenden Parteien haben in Anerkennung dessen, daß das körperliche, sittliche und geistige Wohlergehen der Lohnarbeiter vom internationalen Standpunkt von höchster Bedeu tung ist, zur Erreichung dieses erhabenen Zieles die in Abschnitt I vorgesehene und dem Völkerbund ausgegliederte ständige Ein richtung [die ILO ; d. Verf.] geschaffen. […] Aber in der Überzeugung, daß die Arbeit nicht als bloße Han delsware betrachtet werden darf, glauben sie, daß Verfahren und Grundsätze für die Regelung der Arbeitsverhältnisse sich finden lassen, die alle industriellen Gemeinschaften zu befolgen sich be mühen sollen, soweit ihre besonderen Verhältnisse dies gestatten. Unter diesen Verfahren und Grundsätzen erscheinen den Hohen vertragsschließenden Teilen die folgenden von besonderer und Beschleunigung erheischender Wichtigkeit: 1. Der oben erwähnte leitende Grundsatz, daß die Arbeit nicht le diglich als Ware oder Handelsgegenstand angesehen werden darf; 2. das Recht des Zusammenschlusses zu allen nicht dem Gesetz zuwiderlaufenden Zwecken sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber; 3. die Bezahlung der Arbeiter mit einem Lohne, der ihnen eine nach der Auffassung ihrer Zeit und ihres Landes angemessene Lebens führung ermöglicht; 4. Annahme des Achtstundentags oder der 48 Stunden Woche als zu erstrebendes Ziel überall da, wo es noch nicht erreicht ist; 5. die Annahme einer wöchentlichen Arbeitsruhe von mindestens 24 Stunden, die nach Möglichkeit jedesmal den Sonntag einschlie ßen soll; <?page no="87"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 86 6. die Beseitigung der Kinderarbeit und die Verpflichtung, die Arbeit Jugendlicher beiderlei Geschlechts so einzuschränken, wie es notwendig ist, um ihnen die Fortsetzung ihrer Ausbildung zu ermöglichen und ihre körperliche Entwicklung sicherzustellen; 7. der Grundsatz gleichen Lohnes ohne Unterschied des Geschlechts für eine Arbeit von gleichem Werte; 8. die in jedem Lande über die Arbeitsverhältnisse erlassenen Vor schriften haben allen im Lande sich erlaubterweise aufhaltenden Arbeitern eine gerechte wirtschaftliche Behandlung zu sichern; 9. jeder Staat hat einen Aufsichtdienst einzurichten, an dem auch Frauen teilnehmen, um die Durchführung der Gesetze und Vor schriften für den Arbeiterschutz sicherzustellen. Die Hohen vertragschließenden Teile verkünden nicht die Voll ständigkeit oder Endgültigkeit dieser Grundsätze und Verfahren, erachten sie jedoch für geeignet, der Politik des Völkerbunds als Richtschnur zu dienen und, im Falle ihrer Annahme durch die dem Völkerbund als Mitglieder angehörenden industriellen Gemein schaften sowie der Sicherstellung ihrer praktischen Durchführung durch eine entsprechende Aufsichtsbehörde, dauernde Wohltaten unter den Lohnarbeitern der Welt zu verbreiten. 176 Wenngleich die in der ILO Gründungsurkunde genannten Ziele und einzelnen Aspekte alle tatsächlich in Rerum novarum zu finden sind, so kann freilich weder der direkte Einfluss von Rerum novarum noch das Gegenteil nachgewiesen werden. Schließlich war die Ver besserung der Lage der Arbeiter mit mehr oder minder ähnlich formulierten Zielsetzungen (wenngleich nur allzu oft mit unter schiedlichsten Vorstellungen über eine adäquate Auswahl der Mit tel) die Frage des 19. Jahrhunderts schlechthin, der sich keine gesell schaftliche Organisation oder Gruppierung entziehen kon nte. Insgesamt spricht einiges dafür, dass der von Rerum novarum aus gehende Einfluss kein geringer, wenngleich im Detail manchmal kaum zu belegender ist. <?page no="88"?> Quadragesimo anno - Papst Pius XI. 1931 87 Quadragesimo anno - Papst Pius XI. 1931 Nach der Würdigung der Enzyklika Rerum novarum wendet sich Pius XI. der Individual und der Sozialnatur des Eigentums zu, zwischen denen ein ausgewogenes Verhältnis anzustreben ist. Eine einseitige Ausprägung des einen oder des anderen Zustands führt entweder zu Individualismus oder zu Kollektivismus. Zur weiteren Analyse wird zwischen Eigentumsrecht und Eigentumsgebrauch unterschieden und das Eigentumsrecht der Verkehrsgerechtigkeit zugeordnet, das inner halb der „Grenzen von Mein und Dein“ ein geklagt werden kann. 177 Eigentumsrechte sind somit eindeutig be stimmt. Der Eigentumsgebrauch unterliegt hingegen erheblichen Interpretationsspielräumen, sodass der Staat dafür Sorge tragen muss, dass beim Eigentumsgebrauch die Eigentümer nicht nur die eigenen Vorteile berücksichtigen, „sondern auch auf das Gemein wohl Bedacht […] nehmen“. Diese faktische Einschränkung des Eigentumsrechts widerspreche allerdings nicht dem Grundprinzip des Eigentums, son dern verhindere, im Gegenteil, dass die Idee des Priv ateigentums über zu große soziale Ungerechtigkeiten „sich selbst ihr Grab gräbt“. 178 Besonders das Eigentum an Produktionsmitteln und an der eigenen Arbeitskraft spielen eine wichtige Rolle. Da Arbeit und Kapital „wechselseitig aufeinander angewiesen“ sind, dürfen die Erträge aus dem Produktionsprozess nicht einseitig verteilt werden. 179 Pius XI. wendet sich hier gegen den Manchesterliberalismus, dessen Theorie den gesamten Gewinn aus dem Produktionsprozess dem Faktor Kapital zurechne und der die Arbeiter „zu einem Leben an der Grenze des Existenzminimums verdamme […]. Kann es wun dernehmen, daß derart verkehrte Auffassungen, derart unberechtig te Ansprüche leidenschaftlich bekämpft wurden? “ 180 Aber auch die gegenteilige Forderung, alle Gewinne dem Faktor Arbeit zuzu schlagen, sei aus der Luft gegriffen. Dagegen stellt Pius XI. die Su che nach einer „gerechten und versöhnenden Lösung“, die sich am Gemeinwohl bzw. an der Gemeinwohlgerechtigkeit orientiert. 181 Besondere Bedeutung kommt dabei der „Entproletarisierung des Proletariats“ 182 zu, wie sie schon von Leo XIII. in Rerum novarum <?page no="89"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 88 gefordert wurde. Obwohl sich die Situation seitdem verbessert habe, sei das Eigentum doch bei Weitem noch „nicht richtig ver teilt“. 183 Für die Zukunft fordert Pius XI. daher eine gerechtere Ver teilung der Einkommen, denn „nur um diesen Preis lassen sich öffentliche Ordnung, Ruhe und Frieden der menschlichen Gesell schaft gegen die Mächte des Umsturzes mit Erfolg behaupten“. 184 Die Verteilungsfrage erscheint hier einmal mehr als systemrelevante Fragestellung, von deren Beantwortung nicht weniger als die Auf rechterhaltung des sozialen Friedens, und damit des Gesellschafts systems, abhängt. Konkret geht es darum, die Arbeiter in die Lage zu versetzen, einen bescheidenen Wohlstand zu erlangen, der sie nicht nur gegenüber unvorhergesehenen Situationen, „den Wech se lfällen des Lebens“, absichert, sondern darüber hinaus die Ge wissheit vermittelt, bei Ausfall des Ernährers die Hinterbliebenen nicht „unversorgt dastehen“ zu lassen. 185 Da die einzige Einkom mensquelle der Arbeiterschaft das Lohneinkommen ist, kann eine Verbesserung in der Einkommens und Vermögensverteilung auch nur über eine erhöhte Lohngerechtigkeit erfolgen. Drei Faktoren sind für die Lohnbemessung bestimmend: An erster Stelle steht der Lebensunterhalt für den Arbeiter und seine Familie. Wohlwollend äußert sich Pius XI. über Ansätze, be i denen die tatsächliche Famili enbelastung durch Zulagen berücksichtigt wird. An zweiter Stelle steht die Überlebensfähigkeit des Unternehmens, die nicht durch zu hohe Löhne gefährdet werden soll. Kommt das Unternehmen durch eigenes Verschulden wie etwa Missmanagement in wirtschaftliche Schwierigkeiten, darf dies nicht als Vorwand dienen, die Löhne zu drücken. An dr itter Stelle steht die allgemeine Wohlfahrt. Die Wohl fahrt wird über eine Lohnhöhe gefördert, die über das Subsistenz niveau hinausreicht, den Arbeiter also in die Lage versetzt, Erspar nisse bilden zu können. Allerdings können sowohl stark überhöhte als auch stark gedrückte Löhne Arbeitslosigkeit hervorrufen, was im Sinne der allgemeinen Wohlfahrt unbedingt zu verhindern sei. 186 <?page no="90"?> Quadragesimo anno - Papst Pius XI. 1931 89 Zur Person: Papst Pius XI. Achille Ratti, der spätere Papst Pius XI., wird am 31. Mai 1857 in Desio bei Mailand geboren. Der Vater ist Geschäfts führer einer Seidenweberei. Ratti wird 1879 zum Priester geweiht und erwirbt an der Gregorianischen Universität in Rom Doktorgrade in Theologie, Recht und Philosophie. Von 1882 bis 1888 ist er Professor am Priesterseminar in Mai land. Danach arbeitet er an der dortigen altehrwürdigen Ambrosianischen Bibliothek, die er ab 1907 als Präfekt leitet. Papst Pius X. beruft ihn 1911 nach Rom, wo er 1914 die Nachfolge des Präfekten der Vatikanischen Bibliothek antritt. Papst Benedikt XV. sendet ihn 1918 als Apostolischen Visita tor nach Polen, 1919 folgt die Ernennung zum Nuntius und Bischof, 1921 zum Erzbischof von Mailand und zum Kardi nal. Auf dem Konklave vom 2. bis 6. Februar 1922 wird er zu Papst Pius XI. gewählt. Papst Pius XI. Bei seinen politischen Vorhaben unterstützen Papst Pius XI. besonders fähige Kardinalstaatssekretäre, zunächst 1922 bis 1930 Pietro Gasparri, danach, 1930 bis 1939, Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. Mit ungefähr 20 Ländern schließt Pius XI. Konkordate oder ähnliche Abkommen, die die Stel lung der Kirche regeln. Darunter auch die Lateranverträge <?page no="91"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 90 von 1924, mit denen die Vatikanstadt den Status als unab hängiger Staat erhält. 187 Pius XI. fördert unterschiedliche Laienbewegungen in der katholischen Kirche und setzt sich vehement für das Missi onswesen in Übersee ein. Er beseitigt die Spannungen aus der Modernismus Debatte innerhalb der katholischen Kirche und fördert die Wissenschaft, so gründet er 1936 die päpstli che Akademie der Wissenschaften. Papst Pius XI. verstirbt am 10. Februar 1939, seine Lösung der Römischen Frage und die Förderung des einheimischen Klerus in den Missionsländern sind für die katholische Kir che wegweisend. Anders als die erste Sozialenzyklika Rerum novarum, die ihrer Inten tion nach eine Antwort auf die Arbeiterfrage darstellt, weitet Pius XI. in Quadragesimo anno die Betrachtung ganz generell auf das Wirt schafts und Gesellschaftsleben aus. Papst Pius XI. beklagt, dass infolge des Ausbreitens des individualistischen Geistes das „mensch liche Gesellschaftsleben derart zerschlagen und nahezu ertötet wur de, bis schließlich fast nur noch die Einzelmenschen und der Staat übrigblieben“. 188 Dies korrespondiert mit der Vorstellung einer Auf spaltung der Gesellschaft im Sinne einer Menge sozial interagieren der Individuen in eine anonyme Masse individualisierter Einzelper sonen einerseits und den Staat als Kollektivorgan andererseits, bei dem Letzterer zunehmend mit Versorgungsaufgaben betraut und mit einer Fülle von Verpflichtungen übersät ist. Jedenfalls sieht der Papst in der entstande nen Situation einen Widerspruch zu dem sozialphilosophischen Grundsatz, nach dem das, was der Einzelne aus eigenen Kräften zu leisten imstande ist, ihm nicht vom Staat entzogen werden darf, mit anderen Worten, er sieht das Prinzip der Subsidiarität verletzt. 189 <?page no="92"?> Quadragesimo anno - Papst Pius XI. 1931 91 Wissen: Subsidiarität Der Begriff Subsidiarität stammt aus dem Lateinischen, sub sidium, womit im römischen Reich Hilfs oder Unterstüt zungstruppen bezeichnet werden. Als politische, wirtschaft liche und gesellschaftliche Maxime besagt die Subsidiarität, dass größere gesellschaftliche Gebilde (insbesondere der Staat) nur dort helfend eingreifen sollen, wo kleinere Einhei ten (vornehmlich der Einzelne, die Familie) nicht zur Erfül lung der Aufgaben in der Lage sind. Bis heute ist der ent sprechende Textabschnitt aus Quadragesimo anno wohl die am meisten verwendete Beschreibung des Subsidiaritätsbe griffs: „Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Ini tiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen.“ 190 Im Kompendium der Soziallehre der katholischen Kirche wird beschrieben, welche Bedeutung die Kirche dem Subsidiari tätskonzept zumisst: „Die Erfahrung bestätigt, dass die Auf hebung der Subsidiarität oder ihre Einschränkung im Namen einer vermeintlichen Demokratisierung oder Gleichheit aller in der Gesellschaft den Geist der Freiheit und der Initiative einschränkt und zuweilen auch erstickt. Im Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip stehen Formen der Zentralisie rung, der Bürokratisierung, des Wohlfahrtsstaats, kurz: einer ungerechtfertigten und übertriebenen Präsenz des Staa tes.“ 191 Obwohl das Verhältnis von Individuum und Staat zu allen Zeiten diskutiert wird und in der Geschichte viele ähnlich anmutende Konzepte auftauchen, ist es doch die katholische Soziallehre, die dem Konzept der Subsidiarität zu seiner Be deutung verhilft. 192 Bischof Ketteler hat wohl zum ersten Mal <?page no="93"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 92 den Begriff verwendet, und programmatisch wird er erstma lig in der Enzyklika von Papst Pius XI. hervorgehoben. 193 Politische Bedeutung erlangt das Prinzip in Deutschland im Jugendwohlfahrtsgesetz von 1953 und im Bundessozialhilfe gesetz von 1961, 194 bevor es in den 1980er Jahren im Rahmen der Krisen des Sozial und Wohlfahrtssystems zur „Entzau berung des Staates“ kommt und die Subsidiarität als Prinzip zur Krisenbewältigung einen festen Platz in der Gesell schaftspolitik und Systemtheorie erlangt. 195 Herausgehobene Bedeutung hat die Subsidiarität aber vor allem in der Euro papolitik. Im Maastrichter Vertrag über die Europäische Union findet man den Begriff zum einen in der Präambel, wodurch er den Charakter einer Staatsidee bekommt, und zum anderen im Titel I, Art. B, mit Verweis auf Art. 3 b, wodurch die Subsidiarität zu einem justiziablen, einklagba ren Recht wird. 196 Einen Ausweg aus dem Dilemma des „überverantwortlichen“ Staa tes, ungerechter Einkommens und Vermögensverteilung, insbe sondere der Lohnungerechtigkeit, sowie des Gegensatzes der ge sellschaftlichen Klassen, die durch die Nachfrager und Anbieter von Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt charakterisiert sind, sieht Pius XI. in der „Erneuerung einer ständischen Ordnung“. 197 Das Konzept der berufsständischen Ordnung, wie es in der Enzyklika entwickelt wird, soll bestehende Klassengegensätze beseitigen, indem die Ge sellschaft sich eben nicht nach Arbeitgeber / Arbeitnehmer Kategorien, sondern nach den „verschiedenen gesellschaftlichen Funktionen des einzelnen“ organisiert. Nach der „Zugehörigkeit zum gleichen Beruf“ sollen dazu autonome Berufsstände oder be rufsständische Körperschaften als Teil der bürger lichen Gesellschaft gebildet werden. 198 Franz H. Mueller, Mitglied des Königswinterer Kreises um Oswald von Nell Breuning, sieht in der bereits erwähn ten berühmten Berliner Rede Das Ende des Laissez Faire von John Maynard Keynes bereits die Vorwegnahme der Idee der berufs ständischen Ordnung, wie sie in Quadragesimo anno auftaucht. 199 <?page no="94"?> Quadragesimo anno - Papst Pius XI. 1931 93 Dieses Konzept der Enzyklika Quadragesimo anno findet viel Beach tung, z. B. schreibt Joseph A. Schumpeter in seiner History of Econo mic Analysis: Zitat […] something that was new developed toward the end of the cen tury, namely, a definite scheme of social organization that, making use of the existing elements of groupwise co operation, visualized a society - and a state - operating by means of self governing voca tional associations within a framework of ethical precepts. This is the ‘corporative’ state adumbrated in the encyclical Quadragesimo Anno (1931). 200 Und in Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie formuliert er: Zitat So stellt z. B. eine gesellschaftliche Neuordnung auf der Linie der Enzyklika Quadragesimo Anno - mag sie auch wohl nur in katho lischen Gesellschaften oder in Gesellschaften, in denen die katho lische Kirche sich in genügend starker Position befindet, möglich sein - zweifellos eine Alternative zum Sozialismus dar, die den ‚omnipotenten Staat‘ vermeiden würde. 201 Die Kritik des Papstes bleibt aber nicht auf den Arbeitsmarkt und die Klassengegensätze beschränkt, sondern bezieht sich auf das gesamte bestehende Wirtschaftssystem, das durch den Staat korri giert werden müsse. „So wenig die Einheit der menschlichen Ge sellschaft gründen kann auf der Gegensätzlichkeit der Klassen, ebenso wenig kann die rechte Ordnung der Wirt schaft dem freien Wettbewerb anheimgegeben werden. Das ist der Grundirrtum der individualistischen Wirtschaftswissenschaft, aus dem all ihre Ein zelirrtümer sich ableiten.“ 202 Der Wettbewerb als regulierendes Prinzip des Marktes reicht nicht aus, was mehr als hinreichend durch die vielen Umsetzungsversuche individualistischer Theorien in die Praxis belegt werden konnte. Vielmehr sei es notwendig, die <?page no="95"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 94 Wirtschaft einem regulativen Prinzip zu unterstellen, das auf sozia ler Gerechtigkeit basiert. Und dies gilt auch auf internationaler Ebe ne, wo aufgrund der internationalen Abhängigkeiten geeignete Institutionen zu schaffen sind. 203 Das völlige Vertrauen auf den Wettbewerb führe darüber hinaus zur Vermachtung der Wirtschaft: „Am auffallendsten ist heute die geradezu ungeheure Zusammenballung nicht nur an Kapital, son dern an Macht und wirtschaftlicher Herrschgewalt in den Händen einzelner, die sehr oft gar nicht Eigentümer, sondern Treuhänder oder Verwalter anvertrauten Gutes sind, über das sie mit geradezu unumschränkter Machtvollkommenheit verfügen.“ 204 Vor allem die Macht der Finanzinstitute, die den „Blutkreislauf“ der Wirtschaft kontrollieren, bezeichnet Pius XI. als Ungeheuerlichkeit, denn die Wirtschaft „ist derart unter ihrer Faust, daß niemand gegen ihr Geheiß auch nur zu atmen wagen kann“. 205 All dies ist „das natürli che Ergebnis einer grundsätzlich zügellosen Konkurrenzfreiheit, die nicht anders als mit dem Überleben des Stärkeren, d. i. allzu oft des Gewalttätigeren und Gewissenloseren, enden kann“. 206 Es finden Kämpfe um die Macht in der Wirtschaft, um die Macht über den Staat (der als Instrument zur Durchsetzung ökonomischer Interes sen gesehen wird) und um die Macht zwischen den Staaten (die die Interessen ihrer nationalen Wirtschaft durchsetzen wollen) statt, deren Folgen drastisch geschildert werden: Zitat […] der freie Wettbewerb hat zu seiner Selbstaufhebung geführt; an die Stelle der freien Marktwirtschaft trat die Vermachtung der Wirtschaft; das Gewinnstreben steigerte sich zum zügellosen Machtstreben. Dadurch kam in das ganze Wirtschaftsleben eine furchtbare, grausenerregende Härte. Dazu traten die schweren Schäden einer Vermengung und unerfreulichen Verquickung des staatlichen und des wirtschaftlichen Bereichs. Als einen der schwersten Schäden nennen Wir die Erniedrigung der staatlichen Hoheit […] zur willenlos gefesselten Sklavin selbstsüchtiger Inte <?page no="96"?> Quadragesimo anno - Papst Pius XI. 1931 95 ressen. Im zwischenstaatlichen Leben aber entsprang der gleichen Quelle ein doppeltes Übel: hier ein übersteigerter Nationalismus und Imperialismus wirtschaftlicher Art, dort ein nicht minder ver derblicher und verwerflicher finanzkapitalistischer Internationa lismus oder Imperialismus des internationalen Finanzkapitals, das sich überall da zu Hause fühlt, wo sich ein Beutefeld auftut. 207 Trotz dieser verheerenden Bestandsaufnahme glaubt Pius XI. an die Möglichkeit einer erfolgreichen Reform des Wirtschaftssystems, vorausgesetzt, seine schon dargestellten Forderungen nach einem gerechten Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit, der Begrenzung des freien Wettbewerbs, der wirtschaftlichen Macht und der Orien tierung staatlichen Handelns am Gemeinwohl werden umgesetzt. Der Sozialismus wird als realistische Alternat ive nicht in Betracht gezogen, obgleich auch dieser seit der Zeit Leos XIII. Veränderun gen unterlag und sich von einem zuvor einheitlichen und geschlos senen Lehrsystem in zwei entgegengesetzte Richtungen entwickel te, den „Kommunismus als schärfere Richtung“ und die „gemäßig tere Entwicklung im Sozialismus“. 208 Der Kommunismus habe ähnliche Prozesse der Machtbildung und Machtausnutzung durchlaufen wie die kapitalistischen Systeme. Mit offener Gewalt, unbeschreiblicher Härte und Unmenschlichkeit verfolge er sein Ziel und schrecke vor nichts zurück, nachweisbar sei dies an den tatsächlichen Lebensbedingungen in kommunistisch geführten Gebieten Osteuropas und Asiens. 209 Erschreckt von derar tigen Auswüchsen bewege sich der gemäßigtere Sozialismus „wie der zurück zu Wahrheiten, die christliche Erbweisheit sind […]. Unleugbar ist hier gelegentlich eine bemerkenswerte Annäherung sozialistischer Propagandaforderungen an die Postulate einer christ lichen Sozialreform zu beobachten“. 210 Reduziert sich nämlich die dem Sozialismus eigene Eigentumsfeindlichkeit auf die Ablehnung einer „wider alles Recht angemaßte[n] gesellschaftliche[n] Herr schaftsstellung des Eigentums“, 211 so ist der Übergang zu den For derungen der christlichen Sozialreform fließend. Entsprechend sieht Pius XI. für Menschen, die eigentlich nichts anderes als dem Inhalt <?page no="97"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 96 nach christliche sozialreformerische Positionen anstreben, keinerlei Veranlassung, sich dem Sozialismus zuzuwenden. Einen Mittelweg zwischen christlicher Soziallehre und Sozialismus lehnt Pius XI., insbesondere aufgrund der sozialistischen Gesell schaftslehre, ab. Die sozialistische Gesellschaftslehre sehe in der Gesellschaft lediglich eine „Nützlichkeitsveranstaltung“, deren oberstes Prinzip die Herstellung von Nützlichkeit und Gütern sei, denen sich der Men sch unterzuordnen habe und damit gezwungen sei, seine persönliche Freiheit den Sachnotwendigkeiten des Wirt schaftsprozesses zu opfern. 212 Wenngleich der Sozialismus in man chen seiner Positionen durchaus Überschneidungen mit der christli chen Lehre aufweist, so stehe er hinsichtlich seiner Gesellschaftsauf fassung jedoch in einem echten Widerspruch zu dieser. Daher han dele es sich bei Begriffen wie dem religiösen oder dem christlichen Sozialismus auch um Widersprüche in sich: „Es ist unmögl ich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein.“ 213 Nach den tief gehenden Ursachen der vielerorts bestehenden deso laten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse fragt Pius XI. gegen Ende von Quadragesimo anno. Die Ursachen fasst er unter dem Begriff des „Verderbens der Seelen“ zusammen, als Folge von zügelloser Gier nach materiellen Gütern und Reichtum, von gren zenloser Selbstsucht, aber auch von Rahmenbedingungen, die der artiges Verhalten fördern. Ökonomische Mittel sind seiner Meinung nach nicht ausreichend, wirkliche Abhilfe im Sinne der Verbesse rung de s Seelenheils, also dessen, was die Menschen wirklich glück lich und zufrieden macht, zu schaffen: Zitat Denn was nützt es den Menschen, durch weisere Nutzung der Erdengüter sich zu befähigen, die ganze Welt zu gewinnen, wenn sie dabei Schaden leiden an ihren Seelen? [Matthäus 4, 26] Was nützt es, sie verläßliche Grundsätze über die Wirtschaft zu lehren, wenn sie in zügelloser und schmutziger Gier so von der Selbst sucht sich beherrschen lassen, dass sie „die Gebote Gottes zwar <?page no="98"?> Quadragesimo anno - Papst Pius XI. 1931 97 hören, aber in allem das Gegenteil davon tun? “ [Richter 2, 17] […] Durch die Erbsünde ist ja die ursprüngliche wunderbare Harmonie der menschlichen Anlagen so gestört, dass der Mensch allzu leicht seinen ungeordneten Trieben unterliegt und die stärksten Lockun gen verspürt, die hinfälligen Güter dieser Welt den himmlischen und dauerhaften Gütern vorzuziehen. Daher jene unstillbare Gier nach Reichtum an irdischen Gütern. 214 Das bestehende Wirtschaftssystem bestärkt die Menschen in ihrem negativen Tun. Aufgrund der unsteten Wirtschaftslage und instabi len Wirtschaftsverfassungen stehen die Individuen unter einem sehr großen Druck, der ihnen nicht nur höchste Kraftanstrengungen abverlangt, sondern viele auch bei der Wahl ihrer Mittel zum Er werb des Lebensunterhalts abstumpfen lässt. Zitat Die Leichtigkeit für jedermann, im ungeregelten Markt Gewinne zu machen, lockt viele zum Handel und Güterumsatz, die nur ein Ziel haben, möglichst mühelos und bequem zu gewinnen, und zu die sem Ende ohne sachliche Berechtigung, nur aus Beutegier, die Prei se durch wilde Spekulation ruhelos nach oben und wieder nach unten zu treiben, wodurch alle Berechnungen ernster Wirtschafter durchkreuzt werden. […] Die schlimmsten Ungerechtigkeiten und Betrügereien spielen sich ab im Halbdunkel der Anonymität hinter der Fassade einer neutralen Firma. […] An letzter Stelle ist noch zu nennen die skrupellose, aber wohlberechnete Spekulation auf die niederen Triebe des Publikums, die man aufstachelt, um an ihrer Befriedigung zu verdienen. 215 Kritisiert werden in diesem Zusammenhang auch moderne Unter nehmensformen mit ihrer Aufteilung von Verantwortung und ihren beschränkten Haftungsformen, da hier die Rechenschaftspflicht aufgeweicht würde, was zum Missbrauch wirtschaftlicher Macht führe. <?page no="99"?> Chaos und der Wunsch nach Ordnung 98 Auch der ökonomischen Theorie wird eine Mitschuld an den beste henden Missständen gegeben, da sie es angesichts eines zunehmend vom Rationalismus beeinflussten und letztlich gesteuerten Denkens unterlassen habe, sich an wahren und endgültigen Werten zu orien tieren. Auf diese Weise entstand eine Wirtschaftstheorie, die auf der Freizügigkeit der menschlichen Leidenschaften geradezu aufba u te: 216 Zitat Infolgedessen warfen sich die Menschen in noch viel größerer Zahl als früher einzig auf den Reichtumserwerb mit allen Mitteln; ihren Eigennutz über alles stellend und allem andern vorziehend, mach ten sie sich kein Gewissen aus noch so schwerem Unrecht gegen andere. Die ersten, die diesen Weg einschlugen, der zum Verder ben führte, fanden mit Leichtigkeit viele Nachahmer auf ihrem Wege: ihre augenscheinlichen Erfolge, der Glanz ihres Reichtums, der Spott, mit dem sie sich über die altväterliche Gewissenhaf tigkeit der andern lustig machten, die Rücksichtslosigkeit, mit der sie über die Leichen minder skrupelloser Konkurrenten hinweg schritten, alles dies konnte ja seinen Eindruck nicht verfehlen. 217 Alle ernst zu nehmenden Pläne für Sozialreformen müssen aus Sicht von Pius XI. auf die Wiederherstellung der „rechten Vernunft ordnung des wirtschaftlichen Lebens“ gerichtet sein, die von einer gleichzeitigen sittlichen Erneuerung der Menschen begleitet sein sollte. Zu dieser Erneuerung gehört auch, in der Erwerbstätigkeit „den heiligen Willen Gottes“ zu sehen, nach dem si ch der Mensch die Welt durch Arbeit nutzbar macht. Wer sich ehrlich und recht schaffen an der Güterproduktion beteiligt, sollte vom Nutzen für die Gesamtwohlfahrt auch selbst profitieren und seinen individuel len Wohlstand vergrößern können. 218 Der wichtigste Punkt der gesellschaftlichen Erneuerung ist aber die Nächstenliebe. <?page no="100"?> Quadragesimo anno - Papst Pius XI. 1931 99 Zitat Gewiß kann die Liebe kein Ersatz sein für geschuldete, aber ver sagte Gerechtigkeit. Aber selbst wenn der Mensch alles erhielte, was er nach der Gerechtigkeit zu erhalten hat, bliebe immer noch ein weites Feld für die Liebe: die Gerechtigkeit, so treu sie auch immer geübt werde, kann nur den Streitstoff sozialer Konflikte aus der Welt schaffen; die Herzen innerlich zu verbinden vermag sie nicht. 219 <?page no="102"?> 101 III. Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen Die Zeit nach Quadragesimo anno Die Zeit nach der Veröffentlichung von Quadragesimo anno wird zunächst vom Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg überschattet. Deutschland greift Polen 1939 an. Im darauffolgenden Jahr beginnt der Westfeldzug mit der Besetzung der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs und dem Blitzkrieg gegen Frankreich. Der Krieg umfasst schließlich ganz Europa, weite Teile des Pazifik raums und Nordafrika, mehr als 60 Länder sind am Kr ieg beteiligt. Als der Zweite Weltkrieg 1945 mit der Kapitulation Deutschlands und später der des verbündeten Japans endet, hat er mehr als 60 Millionen Todesopfer gefordert. Weltweit verändern sich die politi schen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen. In Europa verlieren Großbritannien, Frankreich und Deutschland ihre jeweilige Groß machtstellung, die USA und di e Sowjetunion werden zu neuen Supermächten. In weiten Bereichen der Welt führen Kriegsschäden, der Einbruch des internationalen Handels und staatlicher Interven tionismus, insbesondere in der Rüstungs und Rohstoffindustrie, zu einem starken Rückgang der Wirtschaftsleistung. 220 Bereits vor Ende des Zweiten Weltkriegs finden Vorbereitungen für die Neugestaltung der Wirtschaftsordnungen und des Welthandels für die Zeit nach dem Krieg statt. Im Juli 1944 vereinbaren 44 Län der, die zu den späteren Siegermächten gehören, auf der Bretton Woods Konferenz die Währungsordnung für die nächsten Jahr zehnte. Auch das 1948 in Kr aft getretene Allgemeine Zoll und Handelsabkommen (GATT) wird auf dieser Konferenz beschlossen und leitet eine Phase des schrittweisen Abbaus von Zöllen und Handelshemmnissen ein. Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 handeln die alliierten Staatschefs Franklin D. Roosevelt, Wins ton Churchill und Josef Stalin die Charta der Vereinten Nat ionen <?page no="103"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 102 aus, die den nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten und relativ erfolglosen Völkerbund ablöst. Vor allem werden auf der Konferenz Gebietsveränderungen nach dem Krieg, die Aufteilung Deutsch lands in Besatzungszonen sowie Einflusszonen der unterschiedli chen Siegermächte in vielen weiteren Teilen der Welt vereinbart. Am 12. März 1947 verkündet der amerikanische Präsident Harry S. Truman: „th at it must be the policy of the United States to support free peoples who are resisting attempted subjugation by armed minorities or by outside pressures“. 221 Diese sogenannte Truman Doktrin wendet sich zunächst gegen die sowjetische Position in der Irankrise 1945/ 46, im griechischen Bürgerkrieg und in der Türkei, markiert aber auch den Beginn des Ost West Konflikts und des Kalten Krieges, der sich spätestens mit dem Koreakrieg 1950-1953 verschärft und die nächsten 40 Jahre das weltpolitische Geschehen be stimmen soll. Territoriale Konflikte, weltpolitisches Machtstreben und die Frage nach Diktatur oder Demokratie sind von jetzt an mit dem Konflikt zwischen kommunistischen und marktwirtschaftli chen Wirtschaftssystemen eng verknüpft. In den ersten zwei Jahren nach dem Krieg werden ungefähr vier Milliarden US Dollar von den USA für Europa als Hilfszahlungen zur Verf ügung gestellt. Hinzu kommen die erheblichen privaten Hilfen des CARE Programms. Für Westeuropa ist der 5. Juni 1947 von besonderer Bedeutung, als der amerikanische Außenminister George C. Marshall, basierend auf Ideen von Keynes, in einer Rede in der Harvard University das Grundkonzept des Marshallplans darlegt. Viele europäische Länder stehen zu diesem Zeitpunkt un mittelbar vor der Zahl ungsunfähigkeit, da die Einfuhr der dringend benötigten Lebensmittel und Rohstoffe die Exporte der fast völlig zerstörten Wirtschaft bei Weitem überschreitet. Im Rahmen des durch den Marshallplan gegründeten European Recovery Programs (ERP) fließen zwischen April 1948 und Ende 1952 ungefähr 13,9 Milliarden US Dollar nach Europa (mehr als 120 Mi lliarden US Dollar in heutigen Preisen). 222 Angesichts eines sich abzeichnenden Wettbewerbs der Systeme hatte die Sowjetunion bereits im Juli 1947 jegliche Mitarbeit am ERP Programm abgelehnt und Hilfeleistun <?page no="104"?> Die Zeit nach Quadragesimo anno 103 gen der USA für Staaten ihres Einflussbereichs verhindert. 223 Ent sprechend stellen die Mitglieder der 1948 gegründeten Organisation for European Economic Co operation (OEEC), die die Zusammen arbeit beim Wiederaufbau Europas koordiniert, die Teilnehmer am Marshallprogramm (die OEEC wird 1961 von der nachfolgenden Organisation for Economic Co operation and Development, OECD, abgelöst). Vor allem für Deutschland ist der Marshallplan wegwei sen d, denn während unmittelbar nach dem Krieg die dauerhafte Verhinderung einer deutschen Wiederaufrüstung im Vordergrund der alliierten Politik steht und entsprechend Industriekapazitäten weiter zerstört oder außer Landes gebracht werden, ist nunmehr der wirtschaftliche Wiederaufbau das Ziel. 224 Wichtig für Deutsch land ist auch der ERP Gegenwertfonds, der zurückfließende Mittel verwaltet und für Wiederaufbaukredite verwendet. Die dafür zu ständige Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die zunächst vom späteren Chef der Deutschen Bank, Hermann J. Abs, geführt wird, verwaltet 1952 bereits fünf Milliarden DM. Schon früh zeichnet sich die weltpolitische Bedeutung de s Mar shallplans ab. 225 In seiner Konzeption stellt die mögliche Anfällig keit eines wirtschaftlich zerrütteten Europas für sozialistische Ideen angesichts einer scheinbar hohen wirtschaftlichen Leistungsfähig keit der sowjetischen Staaten ein wichtiges Entscheidungskriterium für die USA dar. Während in Deutschland, England und Frankreich zwischen 1913 und 1950 das Pro Kopf Einkommen um 50 bis 60 Prozent an steigt, kann die Wirtschaftsleistung der Sowjetunion in demselben Zeitraum nahezu verdreifacht werden, und dies trotz der immensen Schäden durch zwei Weltkriege. 226 Auch in den bei den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg halten die sozialisti schen Länder mit dem Tempo der ökonomischen Entwicklung der westlichen Industrienationen mit. Und als der Sowjetunion 1957 mit dem Start des ersten Satelliten Sputnik ein bedeutender Erfolg in der Raumfahrt gelingt, ruft dies bei einigen westlichen Regierungen sogar regelrechte Pa nikreaktionen hervor: Das sozialistischen Sys tem könnte dem westlichen technisch überlegen sein. <?page no="105"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 104 Weltweit finden große Veränderungen statt. Die Charta der Verein ten Nationen betont 1946 das Selbstbestimmungsrecht der Völker und ebnet damit vielen Kolonien den Weg zur Unabhängigkeit, der Dekolonialisierungsprozess beschleunigt sich. 1947 wird Britisch Indien unabhängig und in die beiden Staaten Indien und Pakistan aufgeteilt. 1960 erreicht die Dekolonialisierung ihren Höhepunkt. Allein in diesem Jahr erlange n in Afrika 18 ehemalige Kolonien ihre Unabhängigkeit. Gleichzeitig treten nun auch vermehrt Probleme in Form der Unterentwicklung der unabhängig gewordenen Länder auf. 227 Koloniale Vorherrschaften der Vorkriegszeit wandeln sich zu einer Entwicklungsunterstützung für die ehemaligen Kolonien. 228 In vielen Ländern bricht eine Zeit großen wirtschaftlichen Auf schwungs an. Zwischen 1950 und 1973 wächst das Volkseinkom men in den OECD Staaten um durchschnittlich 5,1 Prozent pro Jahr, das Pro Kopf Einkommen um 3,3 Prozent. 229 Dazu trägt eine funk tionierende internationale Wirtschaftsordnung bei mit leistungsfä higen Institutionen wie UNO, Weltbank, IWF und OEEC. 1951 wird die auch als Montanunion bezeichnete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl gegründet. Es ist die erste supranationale Or ganisation und gilt als Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft. Auch die innerstaatliche Wirtschaftspolitik verändert si ch. In den meisten westlichen Industrienationen wird Vollbeschäftigung zum vorrangigen Ziel. Die staatlichen Ausgaben nehmen in vielen Län dern zu. Während 1950 in den OECD Staaten der Anteil der Staats ausgaben am Volkseinkommen noch bei ca. 27 Prozent liegt, steigt er bis 1973 auf ca. 37 Prozent, wobei der Anstieg größtenteils auf Ausg aben im Bereich der sozialen Sicherung sowie des Bildungs und Gesundheitswesens zurückzuführen ist. 230 Wohlfahrtsstaat und soziale Sicherheit Eine entscheidende Rolle in der positiven Ausprägung des Begriffs Wohlfahrtsstaat kommt dem ehemaligen Erzbischof von Canterbu ry, William Temple (1881-1944), zu, der mit diesem Begriff den Antagonismus zu den Machtstaaten Hitlers und Stalins herausar beitet und ihnen die Konzeption einer auf sozialen Bürgerrechten <?page no="106"?> Wohlfahrtsstaat und soziale Sicherheit 105 gegründeten freien Gesellschaft entgegensetzen will. Der Begriff des Wohlfahrtsstaats wird schließlich mit dem im Jahr 1942 dem Briti schen Parlament vorgelegten Plan zur Neuordnung des Systems der sozialen Sicherung in Großbritannien von dem Sozialpolitiker und langjährigen Direktor der London School of Economics and Political Science, William Henry Beveridge (1879-1963), und der sozialen Gesetzgebung der Labour Regierung von 1945 bis 1951 in Verbin dung gebracht und, von Großbritannien ausgehend, von zahlrei chen Ländern übernommen. Bekannt ist Beveridge vor allem wegen seines 1942 veröffentlichten Berichts Social Insurance and Allied Ser vices, der zur Grundlage des Aufbaus der sozialen Sicherungssys teme im Großbritannien der Nachkriegszeit, insbesondere des Nati onal Health Service, wurde. Seine Vorstellungen haben großen Einfluss auf die Ausgestaltung der Sozialleistungssysteme in Groß britannien und den skandinavischen Staaten. Es handelt sich im Wesentlichen um eine aus Steuermitteln finanzierte, staatlich orga nisierte, re lativ egalitäre Einheitsversicherung mit niedriger Leis tung, die jedoch alle Bürger erfasst. Der Begriff der sozialen Sicherheit wird mit politischer Relevanz erstmals im Jahr 1934 in einer Rede von Franklin D. Roosevelt ver wendet und erfährt bis 1948 einen Aufstieg zu einem sozialen Grundrecht der Menschheit. Der Begriff beruht auf der durch das M ass enelend der Weltwirtschaftskrise vermittelten Erfahrung, dass soziale Not nicht nur durch persönliches Versagen, sondern auch durch gesellschaftliche Bedingungen verursacht werden kann und daher durch kollektive Maßnahmen zu bekämpfen sei. In der Allge meinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 wird in Artikel 22 das Recht auf soziale Sicherheit für jedes Mitglied der Gesellschaft proklamiert, und die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte werden dort als unentbehrliche Bedingungen für die Würde des Menschen beschrieben. Der deutsche Sozialstaat, dessen Wurzeln in der bismarckschen Sozialgesetzgebung liegen, hat se inen sozialen Institutionen ein demokratisches Fundament gegeben, das aus vielfältig geglieder ten, sich selbst verwaltenden Sozialversicherungen besteht, deren <?page no="107"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 106 Leistungen aus Beiträgen finanziert werden, die ihrerseits von der Höhe der Erwerbseinkommen abhängen und die sich in starkem Maße an der jeweiligen Bedürftigkeit orientieren. In Deutschland wird 1952 das Betriebsverfassungsgesetz verab schiedet, das die Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschafts bundes als eine Niederlage empfinden, da es nicht gelingt, die pari tätische Besetzung der Aufsichtsr äte über den Montansektor hin ausgehend auszuweiten. Die Diskussion um die Mitbestimmung und die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes wird intensiv durch die 1960er Jahre hindurch geführt. Spätestens mit dem Be triebsverfassungsgesetz von 1972 werden die Individualrechte der Arbeitnehmer gestärkt, Mitbestimmungs und Informationsrechte des Betriebsrates erweitert, die soziale und personelle Mitbestim mung wird auf di e Betriebsräte ausgedehnt und die Zusammenar beit zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften auf eine breitere Grundlage gestellt. Die Mitbestimmungsdebatte kann auf Basis der Jahre des deutschen Wirtschaftswunders, das in den 1950er Jahren beginnt und sich in den 1960er Jahren fortsetzt, ebenso erfolgreich geführt werden, wie sich der Sozialstaat, der in diesem Zeitr aum seine größte Expansi onsphase aufweist, immer weiter entwickelt. Im Zentrum der Ent wicklung des Sozialstaats steht die Rentenreform von 1957, die nunmehr gemäß dem Prinzip der Lebensstandardsicherung die Renten nicht mehr nur am Existenzminimum orientieren, sondern den individuell erarbeiteten Lebensstandard im Alter weitgehend aufrechterhalten will. Dazu werden die Renten an bewegliche Be zugsgrößen gekoppelt, soda ss die Bezieher auch nach dem Aus scheiden aus dem Erwerbsleben am Wirtschaftswachstum partizi pieren können. Das Prinzip wird später auf andere Sozialleistungen übertragen. Beispiele für zentrale Maßnahmen des sozialstaatlichen Ausbaus sind außerdem die Sozialhilfegesetzgebung mit Einfüh rung eines Rechtsanspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt und auf H ilfen in besonderen Lebenslagen im Jahr 1961, die Einführung des Wohngeldes 1965, die Gleichstellung von Arbeitern und Angestell ten bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 1969, der Ausbau der <?page no="108"?> Volkswirtschaftslehre nach dem Zweiten Weltkrieg 107 Arbeitsförderung und Berufsausbildung und Berufsfortbildung 1969, das Ausbildungsförderungsgesetz von 1971 (BAföG als Voll zuschuss), die Einbeziehung von Kindergartenkindern, Schülern und Studenten in die gesetzliche Unfallversicherung 1971, die Ren tenreform im Jahr 1972 mit Einführung der Rente nach Mindestein kommen und der flexiblen Altersgrenze sowie die Öffnung der Rentenversicherung für eine freiwillige V ersicherung und der Aus bau des Familienlastenausgleichs durch Kindergeld von 1974/ 75. Volkswirtschaftslehre nach dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Zweiten Weltkrieg dominieren in der Volkswirtschafts lehre Theorien, die an die Arbeiten von John Maynard Keynes an knüpfen. Keynes’ Allgemeine Theorie entsteht vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre und hinterfragt viele der gängigen Ansichten von ökonomischer Theorie. Keynes verwirft die klassische Vorstellung sowohl einer dem Angebot an Gütern selbstständig folgenden Nachfrage als auch von sich über den „natürlichen“ Preisbildungsprozess ergebenden Gleichgewich ten etc. Er stellt dem vielmehr eine Theorie geg enüber, entsprechend der - so die Haushalte durch ihren Konsum und die Unternehmen durch ihre Investitionen nicht das Niveau eines wünschenswerten Beschäftigungsgrades erwirtschaften können - auch der Staat vo rübergehend mit zusätzlicher Nachfrage wirtschaftliche Impulse setzen kann. Keynes weist nach, dass ein Gleichgewicht bei Vollbe schäftigung, wie es die kl assische Nationalökonomik behauptet, zwar theoretisch möglich, letztlich aber ein Sonderfall ist. Den klassi schen Überlegungen also, dass Angebot und Nachfrage auf längere Sicht immer zu einem Ausgleich kommen, erteilt er eine Absage, da eben nicht auszuschließen ist, dass sich Gleichgewichte in ganz ver schiedenen Lagen eben auch als Gleichgewichte bei Unterbeschäfti gun g einstellen können. 231 In den Jahrzehnten nach der Allgemeinen Theorie erhält die Bekämp fung von Arbeitslosigkeit mit Mitteln staatlicher Nachfrage einen <?page no="109"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 108 bedeutenden Platz innerhalb der ökonomischen Disziplin und auch in der von Staaten ausgeübten Wirtschaftspolitik, was insbesondere den verstärkten Gebrauch des Instruments der Staatsverschuldung (Deficit Spending, antizyklische Fiskalpolitik etc.) einschließt. Um durch zu geringe Konsumnachfrage ausgelöste wirtschaftliche Schwächen möglichst zu vermeiden, müssen die Staaten u. a. be rücksichtigen, dass Bezieher höherer Einkommen (die ja über einen niedrigeren Gren znutzen des Einkommens verfügen) nicht zu viel sparen bzw. zu wenig ausgeben. Und im Einklang mit der Geldpoli tik soll der Staat einen schwachen inflationären Druck ausüben, damit die vom Verschwinden lohnender Investitionsmöglichkeiten bedro hte Wirtsc haft im m er in Sc hwu ng ge ha lt en wird. Vor allem die Neoklassische Synthese, in der einige Punkte vo n Keynes’ Theorie übernommen (z. B. die Annahme von der Ein kommensabhängigkeit der Ersparnisse) und mit Aussagen der neoklassischen Ökonomik (z. B., je nach Modell, die Annahme fle xibler Preise und Löhne) kombiniert werden, beherrscht die Volks wirtschaftslehre von der Nachkriegszeit bis zur Stagflation der 1970er Jahre. Zu ihren Hauptvertretern zäh len Paul Anthony Sa muelson (1915-2009, Nobelpreis 1970) und James Tobin (1918-2002, Nobelpreis 1981). Samuelson beschreibt den Kerngedanken der Neoklassischen Synthese wie folgt: Zitat Es besteht die Möglichkeit, unser marktwirtschaftliches Mischsys tem durch den angemessenen Einsatz der uns zur Verfügung ste henden währungs und finanzpolitischen Instrumente an Überkon junktur und Krise vorbeizusteuern sowie auf eine gesunde Wachs tumsrate hin auszurichten. Hat man diesen Grundsatz verstanden, lösen sich auch die Paradoxe, die die älteren, aus der engen‚ mikroökonomischen‘ Sichte heraus entwickelten klassischen Theo rien ihrer Allgemeingültigkeit entkleideten. Kurz gesagt, die Be herrschung der modernen Theorie des Volkseinkommens bestätigt in Wahrheit die Grundlagen der alten klassischen Preistheorie. 232 <?page no="110"?> Die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft 109 1954 veröffentlicht William Arthur Lewis (1915-1991, Nobelpreis 1979) seinen bahnbrechenden Aufsatz Economic Development with Unlimited Supplies of Labour und ist damit einer der wenigen Öko nomen, die sich zu dieser Zeit mit der Problematik der Entwick lungsländer beschäftigen, einem Thema, mit dem sich auch die päpstlichen Sozialenzykliken kurze Zeit später befassen sollen. Lewis’ Überlegungen basieren auf der Beobachtung einer bei nahe zu gleichbleibenden Lohnsätzen stark ansteigenden Zahl der im Industr iesektor Beschäftigten während des Zeitalters der Industria lisierung. Die Annahme ist, dass in wenig industrialisierten Län dern ein Arbeitskräfteüberschuss im Agrarsektor besteht, aus dem zunächst „unbegrenzt“ Arbeitskräfte für den Industriesektor abge worben werden können, ohne hier einen Lohnanstieg zu bewirken. Der so erfolgte Zuwachs an „günstigen“ Arbeitskräften führt im Industriesektor zu hohe n Kapitalerträgen, die wieder investiert werden können und damit ebenfalls den Kapitalstock und die Be schäftigung in der Industrie erhöhen. Es entsteht ein sich selbst tragender Wachstums und Entwicklungsprozess bis zu dem Punkt, an dem der Arbeitskräfteüberschuss in der Landwirtschaft abge baut ist und das Lohnniveau ansteigt. Weite Teile der sp äter folgen den Literatur zum Thema Entwicklungsökonomie können als Erläu terungen und Weiterentwicklungen der zentralen Idee von William Arthur Lewis angesehen werden. 233 Die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft Alfred Müller Armack (1901-1978) gilt als Wegbereiter des Kon zepts und Schöpfer des Begriffs der sozialen Marktwirtschaft. Er promoviert und habilitiert an der Universität Köln und wechselt 1938 als Professor für Nationalökonomie und Soziologie an die Universität Münster. 1950 kehrt er als Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an die Universität Köln zurück, bevor er ab 195 2 die Grundsatzabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums leitet. 1958 wird er Staatssekretär für Europafragen und tritt 1963 von dieser Funktion zurück. <?page no="111"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 110 Grundlegend im Denken Müller Armacks ist seine bereits in den Entwicklungsgesetzen des Kapitalismus aus dem Jahre 1932 zum Aus druck kommende Vorstellung von der Spontanität und Offenheit des gesellschaftlichen Prozesses im historischen Verlauf. Selbstreali sierung und offene Form sind die wesentlichen Kriterien des Wirt schaftsprozesses: Die ökonomische Entwicklung sei von spontanen Anstößen getragen und weder von einem vorgegebenen Ziel noch von einem treibenden Antagonismus im Systemansatz bestimmt. Versuche klassischer und sozialistischer Theorien, Geschichte auf ein bestimmtes Endziel hin zu programmieren, hält er für ebenso absurd wie den Glauben, in der Ver staatlichung der Produktions mittel eine allgemeingültige Lösung zu finden. 234 Dem Kriterium der Selbstrealisierung und offenen Form gemäß kann der Entwurf einer dem Wesen des Menschen entsprechenden Ordnung niemals als fertiges Rezept vorliegen, das ohne ständige Überprüfung aus kommt. Stets muss von den vorfindlichen Fakten ausgegangen werden, was für Müller Armack nichts anderes heißt als die Akzep tanz der marktwirtschaftlichen Ordnung! Der Men sch befindet sich in einer geschichtlichen Umwelt, einem ständigen Miteinander der Individuen, die ihre Bedürfnisse zu befriedigen suchen. Der Markt ist ein Instrument, dessen sich die Menschen zur Koordinierung ihrer zur Bedürfnisbefriedigung notwendigen Wirtschaftspläne bedienen. Zwar könne der Markt in geringem Umfang beeinflusst werden, primär sei er jedoch eine Vorfindlichkeit, die der Men sch kaum verändern kann und die er akzeptieren muss. Bei der seit dem 19. Jahrhundert oft anzutreffenden Vorstellung, die zentrale Wirtschaftslenkung könne die Marktwirtschaft vollständig ersetzen, werden die Möglichkeit des Machbaren über und das geschichtliche Gewicht der vorhandenen Kräfte und Freiheitswünsche der Men schen un terschätzt. 235 Die auf der Grundlage der philosophischen Anthropologie er schlossene „Einsicht in den Dualismus der vorfindlichen histori schen Realität und ihrer begrenzten geschichtlichen Variierbarkeit“ beschreibt Müller Armack als das eine in seine ordnungspolitische Konzeption eingegangene geisteswissenschaftliche Element. Das <?page no="112"?> Die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft 111 andere Element ist die im Rahmen seiner kultur und religionsso ziologischen Forschung erworbene Erkenntnis, „dass sich die Wirt schafts und Sozialgeschichte“ in Verbindung mit der Geistesge schichte in „einheitlichen Stilformen“ vollzieht und es dort, wo die Entscheidung für eine bestimmte Wirtschaftsordnung zu treffen ist, zu einem einheitlichen Ordnungsgedanken zurückzukehren gilt. 236 Dies verbindet Müller Armack mit dem Appell, Prozesse der Idol bildung (wie etwa der Marxismus, Sozialismus und Nationalsozia lismus) endlich hinter sich zu lassen und zu einer neuen geistigen Form zu gelangen, die in der Rückbesinnung zur Transzendenz und der damit verbundenen Verwurzelung im christlichen Glauben besteht: Zitat Die Anerkennung einer echten Transzendenz, deren Existenz, Wer te und Ziele das irdische Dasein erst in jenen Horizont stellen, aus dem es einzig verstanden werden kann, die Verpflichtung des Lebens auf unbedingte, überlegene Werte, ist die Voraussetzung für die Weltkultur, in der der Mensch echt gestaltend leben kann und nicht den Idolen dieser Welt selbst verfällt. Erst auf einem sol chen Nährboden dürften die Täuschungen des abgelaufenen Jahr hunderts voll überwunden werden. 237 Erst wenn der Mensch in einem neuen Glauben eine innere Mitte findet und lernt, allein das Göttliche wieder göttlich zu sehen, kön ne er das Menschliche und Irdische in seiner ihm angemessenen Dimension erleben und jenen gefährlichen Prozess zum Abschluss bringen, bei dem begrenzte irdische Werte verabsolutiert und mit der Würde höch ster Werte ausgestattet wurden. Wichtig sei es, den Menschen die Schicht der Transzendenz neu zu eröffnen und ihnen durch die Zuwendung zum Glauben wieder zu ermöglichen, die Welt nach sachlichen irdischen Maßstäben zu betrachten. 238 Eine Neuverwurzelung in den Werten christlicher Glaubenstradition wird daher als „die einzig zeitgemäße Lösung“ für die nach dem Zweiten Weltkrieg notwendige Neugestaltung des Wirtschaftsle <?page no="113"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 112 bens gesehen. 239 Von der Überwindung der Idolbildung im Wirt schaftlichen und einer Rückbesinnung auf die höchsten geistigen Werte erwartet Müller Armack für die zukünftige Gestaltung der Wirtschaft eine Abkehr von der Illusion, mit einem Wirtschaftspro gramm letzte Lebenserwartungen erfüllen zu können. Er betont, dass eine solche Abwendung gewiss keine Geringschätzung des Wirtschaftlichen beinhalte. Na ch wie vor sei das Wirtschaftliche ein wichtiges, aber nicht das wichtigste Lebensgebiet der menschlichen Existenz. Vor diesem Hintergrund erschließt sich, warum der Standort für eine Wirtschaftsordnung aus den dem Wirtschaftlichen übergeordneten Werten gewonnen werden muss, woraus sich un mittelbar die Notwendigkeit einer gestaltenden Wirtschaftspolitik ergibt, die sich klar zu den z entralen, dem christlichen Wertfunda ment entstammenden Werten bekennt. 240 In einer zusammenfas senden Einschätzung unterstreicht Müller Armack schließlich, dass das umfassende Problem einer Neuordnung der Wirtschaft nur dann gelöst werden kann, „wenn die sachliche wirtschaftswissen schaftliche Erfahrung der Vergangenheit sich verbindet mit dem Wissen um die zentralen geistigen Werte, die es auch im Wirtschaft lichen zu sichern gilt“. 241 Die Frage nach der Einheit bei der Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft verknüpft Müller Armack unmittelbar mit der in sei nem Denken zentralen Vorstellung einer „sozialen Irenik“, einer die unterschiedlichen Weltanschauungen verbindenden und auf deren Versöhnung gerichteten Sozialidee. 242 Der Begriff Irenik entstammt dem griechischen Wort (Eirene, Tochter des Zeus, griechi sche Friedensgöttin, Irenik - die Lehre vom Frieden). Im Wesentli chen geht es darum, die Sozialgestaltung bei Vorliegen verschiede ner gegensätzlicher Wertvorstellungen als eine gemeinschaftliche Aufgabe zu begreifen. Am Beispiel der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg unterscheidet Müller Armack vornehmlich vier „in der soziologischen Lage der Gegenwart si ch die Waage haltende geisti ge Mächte“: Katholizismus (katholische Soziallehre), Protestantismus (evangelische Sozialethik), evolutionistischer Sozialismus (sozialistische Theorie) und Liberalismus (liberale Sozialtheorie). 243 Das Nebeneinander <?page no="114"?> Die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft 113 dieser verschiedenen weltanschaulichen Positionen präge das geis tige Gesicht Europas, und keine Gruppe könne angesichts der geis tespolitischen Lage dazu gebracht werden, sich selbst aufzugeben. Es gehe nicht um eine Verwischung vorhandener Gegensätze, son dern im Gegenteil, um deren Vermittlung, und zwar so, dass diese „das Faktum der Gespaltenheit als gegeben n immt, aber ihm ge genüber die Bemühung um eine gemeinsame Einheit nicht preis gibt“. 244 Um zu einer sozialen Irenik zu gelangen, muss also, bei allen Gegensätzen und ihrer deutlichen Benennung, nach dem Ge meinsamen der vier Positionen gesucht werden. Als mögliche Bei träge für das irenische Zusammenwirken der Positionen werden der Ordo Gedanke der katholischen Soziallehre, die Beseelung der Berufsidee und die brüderliche Hilfsbereitschaft der evangelischen Sozia lethik, das sittliche Wollen des Sozialismus und die Einsicht des Neoliberalismus in neue Prinzipien der Organisation genannt. Gemäß dem Ordo Gedanken, der der scholastischen Metaphysik entlehnt ist, werden die von Menschen gemachten Normen ein schließlich ihrer alltäglichen und teilweise vordergründigen Ausle gungen in Beziehung zu der von Gott gemachten Ordn ung ge setzt. 245 Der sich aus der Anwendung des Ordo Gedankens erge bende Vorteil liegt auf der Hand: Das für die Konzeption erforderli che übergeordnete Wertsystem ist gegeben. Auch die anderen wich tigen Protagonisten der sozialen Marktwirtschaft wie Wilhelm Röpke (1899-1966) oder Alexander Rüstow (1885-1963) betonen die Wichtigkeit eines christlichen Fundaments für das Konzept und di e Vereinbarkeit der sozialen Marktwirtschaft mit der katholischen Soziallehre. 246 In Abgrenzung zu Konzeptionen wie dem Liberalismus oder dem Kollektivismus entwickelt Müller Armack unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wertsystems seinen dritten Weg. Es ist eine ordnungspolitische Synthese, in der die als mögliche Beiträge für eine moderne soziale Irenik genannten Elemente der zentralen weltanschaulichen Positionen gleichermaßen Eingang finden und zu deren Kennzeichnung er den Begriff der so zialen Marktwirt schaft einführt. 247 Die Ordnungskonzeption der sozialen Marktwirtschaft <?page no="115"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 114 ist damit nicht nur als ein wirtschaftspolitischer, sondern vielmehr als ein wirtschafts und gesellschaftspolitischer Entwurf, mit ande ren Worten als „eine Stilform des Wirtschafts und Gesellschaftsle bens“ angelegt, 248 die sich sowohl auf die marktwirtschaftliche als auch auf die soziale Ordnung bezieht. Der Stil der sozialen Markt wirtschaft liegt darin, jenseits der Lösungen einer das Vergangene konservierenden Politik oder eines die freie Initiative der Akteure erdrückenden Sozialdirigismus, aber auch jenseits einer ungesteuer ten Marktmechanik „eine gesellschaftliche Lösung zu produzieren, in der a lle Ziele einen möglichst realistischen Ausgleich finden“. 249 Diese Lösung, die „irenische Formel“, charakterisiert nicht nur eine vom Markt koordinierte Wirtschaftsordnung. Sie enthält auch, wie das Beiwort „sozial“ andeutet, die Überzeugung, dass eine dem Kollektivismus entgegengesetzte Ordnung die zentralen Ziele der Gegenwart zum Prinzip der Wirtschafts und Gesellschaftspolitik erheben muss und die Ideale der persönlichen Freiheit, der sozialen Sicherung und de s wirtschaftlichen Wachstums in ein sinnvolles Gleichgewicht - das „magische Dreieck“ - zu bringen versucht. 250 Mit seiner Art der Analyse glaubt Müller Armack den „Weltan schauungscharakter“ von den Diskussionen um das ideale Wirt schaftssystem abgestreift und die Ordnungsfrage in eine sachlich entscheidbare Instrumentalfrage, bei der die Ziel und Wertvorstel lungen der Gesellschaft als verbindliches Faktum Berücksichtigung finden, gewandelt zu haben. Die Marktwirtschaft erscheint als das Organisationsmittel, das im ökonomi schen Kontext zur Wiederher stellung der persönlichen Freiheit und Menschenwürde bei wirt schaftlichem Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit in besonderer Weise geeignet ist. Ebenso wie Eucken betont Müller Armack eine konstruktive Wettbewerbspolitik als wirtschaftspolitisches Kern stück der sozial gesteuerten Marktwirtschaft und als Voraussetzung zur Sicherung des Wettbewerbs, da nur echter Wettbe werb den Leistungswillen entfesseln und die in ihm erzielten Gewinne vor den Gesellschaftsmitgliedern legitimieren kann. Die Organisation des Wettbewerbs als eine bewusste Aufgabe der staatlichen Wirt schaftspolitik bedarf der rechtlichen Sicherung der Wettbewerbs <?page no="116"?> Die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft 115 ordnung durch eine Gesetzgebung, die sich gegen jegliche Form von Wettbewerbsbindungen richtet und faktische Wettbewerbsbe schränkungen bekämpft. 251 Daneben wird die Notwendigkeit einer aktiv gesteuerten Währungspolitik zur Herstellung einer strengen Geldordnung und eines dauerhaft wertstabilen Geldes ebenso be tont wie die Notwendigkeit preispolitischer Maßnahmen zur Siche rung und Korrektur der marktwirtschaftlichen Preismechanik. 252 Auch bei Vorliegen konzentrierter Marktmacht sind staatliche Preisinterventionen angesichts von Preisschwankungen, denen ein Willkürmoment anhaftet, erlaubt, um die normalerweise vom Wettbewerb bewältigte Aufgabe zu übernehmen. 253 In Fällen, in denen die marktwirtschaftliche Einkommensbildung sozial nicht erwünschte Einkommensunterschiede hervorbringt, besteht staatli cher Handlungsbedarf, ohne jedoch in den Preismechanismus ein zugreifen. Als Beispiele werden Kinderbeihilfen und Miet oder Wohnungsbauzuschüsse angeführt, da hier das variable Preis und Wertsystem ungestört bleibe. Neben der Einkommensumverteilung nennt Müller Armack die soziale Rechtsgestaltung und das soziale Versicherungswesen. Entscheidend bei der Sozialpolitik sei aber im mer, auf staatliche Maßnahmen dann zu verzichten, wenn diese ebenso mithilfe marktwirtschaftlicher Steuerungsinstrumente durchgeführt werden können. Als das maßgebliche Betätigungsfeld einer marktwirtschaftlichen Sozialpolitik gilt Müller Armack jedoch eine sich im Rahmen der marktwirtschaftlichen Möglichkeiten bewegende Konjunkturpolitik zur Sicherung der Beschäftigung. Er begründet dies mi t den Erfah rungen aus der Weltwirtschaftskrise. Eine marktwirtschaftliche Konjunkturpolitik sehe ihr Ziel darin, die konjunkturelle Lage auf dem Markt allgemein zu heben, ohne sich auf das Ziel einer Vollbe schäftigung einzulassen und ohne den Bestand der Wirtschaftsver fassung zu gefährden. Um den in der Marktwirtschaft gelegentlich absinkenden Beschäftigungsgrad zu erhöhen, seien zum einen kre di tpolitische Mittel anzuwenden und zum anderen ein begrenztes und das Haushaltsgleichgewicht nicht bedrohendes staatliches Investitionsprogramm aufzulegen. 254 <?page no="117"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 116 Die Marktwirtschaft wird in eine auf die übergeordneten Ziele und Werte der Gesellschaft ausgerichtete Gesamtordnung integriert. Dabei gilt es, zu beachten, dass die Marktwirtschaft kein Selbstzweck ist, sondern ein Instrument und daher noch nicht Träger bestimmter Werte. Als formales Organisationsmittel trägt die Marktwirtschaft in besonderem Maße dazu bei, die Ideale der an gestrebten Gesamtle bensordnung durchzusetzen, beinhaltet deshalb aber noch keine konkrete Lebensgesinnung und ist außerstande, Werte und sittliche Überzeugungen menschlicher Kulturgestaltung selbst hervorzubrin gen. Vielmehr erscheint die Marktwirtschaft als eine Ordnung, die angesichts der durch den Wettbewerb realisierten und laufend er zwungenen Produktionserhöhung eine erhebliche Reallohnsteige rung und Erhöhung des Konsums ermöglicht und durch die damit verbundene An hebung des Gesamtlebensstandards soziale Fort schritte „gleichsam als Nebenprodukt der marktwirtschaftlichen Funktionen“ entstehen lässt. Doch zusätzlich bedarf es einer bewuss ten Eingliederung sozialer Ziele durch eine dem Markt gerechte Sozialpolitik, die zumindest sicherstellt, dass z. B. die Lohnsätze nicht unter ein leistungsgerechtes Niveau absinken. 255 Wirtschaftswunder, soziale Marktwirtschaft katholische Soziallehre Schon im Bundestagswahlkampf 1949 wird von der CDU das Schlagwort der sozialen Marktwirtschaft verwendet und damit die Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards bezeichnet. Erhard hat zu dieser Zeit als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes schon die westdeutsche Wirtschaftspolitik maßgeblich beeinflusst, und mit der grundsätzlichen Preisfreigabe im Rahmen des Leitsätzegesetzes vom 21 . Juni 1948 nimmt er be reits Weichenstellungen in Richtung eines marktwirtschaftlichen Systems in Westdeutschland vor. 256 Zuvor ist er als Leiter der Son derstelle Geld und Kredit auf deutscher Seite für die Vorbereitung der Währungsreform 1948 verantwortlich. Unter Bundeskanzler Konrad Adenauer wird Erhard Bundeswirtschaftsminister (1949- 1963). Verantwortlich für Grundsatzfragen im Bundeswirtschafts <?page no="118"?> Wirtschaftswunder, soziale Marktwirtschaft, katholische Soziallehre 117 ministerium ist Alfred Müller Armack. Und obwohl Ludwig Erhard in der Öffentlichkeit als „Vater der sozialen Marktwirtschaft“ wahr genommen wird, tragen die realen Entwicklungen eher die Hand schrift Müller Armacks. Schon im Grundgesetz von 1949 sind wich tige Aspekte der künftigen Wirtschafts und Sozialordnung enthal ten, etwa Grundrechte wie Freizügigkeit, Berufsfreiheit, Verein i gungsfreiheit, das Eigentums und Erbrecht sowie die Sozialstaats klausel, dennoch entwickelt sich in der Folge die soziale Marktwirt schaft erst schrittweise zum Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland. Wichtige ordnungspolitische Meilensteine auf diesem Weg sind etwa das Tarifvertragsgesetz von 1949, mit dem die Tarif autonomie festgeschrieben wird, das Betriebsverfassungsgesetz von 1952, das die betr iebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer fest legt, das Bundesbankgesetz von 1957, das die Preisniveaustabilität zum wichtigsten Ziel der deutschen Geldpolitik erklärt, und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1958. Vor allem im Bereich der Sozialpolitik wird deutlich, dass Ludwig Erhard sich mit seinen Vorstellungen vielfach nicht durchsetzen kann. Erhard, der selbst bei Walter Eucken studiert ha t, ist eigent lich rein ordoliberal eingestellt, seine Idee vom „Wohlstand für alle“ bedeutet für ihn Wettbewerb und Wirtschaftswachstum als die beste Sozialpolitik. 257 So sind es eher Adenauer und Müller Armack, die die Sozialpolitik vorantreiben. Der Soziologe und Publizist Ralf Dahrendorf (1929-2009) beschreibt die Situation wie folgt: „Natür lich wollte Erhard keine soziale Marktwirtschaft; das Soziale kam aus der katholischen Soziallehre via Adenauer, der einen guten Sinn für die Bilanz des Unvereinbaren hatte.“ 258 Besonders deutlich wird dieses Spannungsfeld bei der Rentenreform 1957, als mit Unterstüt zung von Adenauer und Müller Armack und gegen den Willen Erhards die deutsche Rentenversicherung von einem kapitalgedeck ten Verfahren auf ein Umlageverfahren umgestellt wird, im Zuge dessen die durchschnittlichen Renten in Deutschland um mehr als 60 Prozent ansteigen. Die Entwicklung der so zialen Marktwirtschaft geht einher mit dem deutschen Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit. In der Zeit von <?page no="119"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 118 1950 bis 1962 erhöht sich das westdeutsche Bruttosozialprodukt von 112 Milliarden DM auf 280 Milliarden DM. 259 Im gleichen Zeitraum sinkt die Zahl der Arbeitslosen von 1,2 Millionen auf 142.000. 260 Die westdeutsche Wirtschaftsentwicklung übertrifft die zu dieser Zeit ohnehin gute weltweite Wirtschaftsentwicklung bei Weitem. Auf die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft hat die katholische Soziallehre beträchtlichen Einfluss. 261 Eine Aufzählung der Politiker, die sich in irgendeiner Form in der Nachkriegszeit der katholischen Soziallehre verpflichtet fühlten, ist im Einzelnen kaum möglich. So gilt der gesamte Kölner Kreis der CDU um Konrad Adenauer als von der katholischen Soziallehre geprägt. 262 Aber auch die promi nenten kirchlichen Vertreter der katholischen Soziallehre wirken an der Entwicklung der deutschen Wirtschaftsordnung tatkräftig mit. Oswald von Nell Breuning ist Gründungsmitglied des wissen schaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. Neben ihm gehören dem Beirat u. a. Alfred Müller Armack, Walter Eu cken, Franz Böhm und Karl Schiller an. Der sp ätere Kardinal und Erzbischof von Köln, Joseph Höffner, ist in den wissenschaftlichen Beiräten der Bundesministerien für Familien und Jugendfragen, für Wohnungsbau sowie für Arbeit und Sozialordnung vertreten. Vor allem aber nimmt Höffner an den Sitzungen des Ministerausschus ses für die Sozialreform 1955 teil. Höffner war schon zuvor Mitautor des von Aden auer selbst in Auftrag gegebenen Grundsatzpapiers zur Sozialreform (sogenannte Rothenfelser Denkschrift) und gehört von Beginn an dem Beirat für die Neuordnung der sozialen Leis tungen und dem Arbeitsausschuss für Grundsatzfragen des Beirats an. An der Konzeption der großen Rentenreform von 1957 ist er maßgeblich beteiligt. 263 Trotz der Mitwirkung an ihrer Konzeptionierung und Umsetzung ist die Haltung der Kirchenvertreter gegenüber der sozialen Marktwirtschaft teilweise reserviert und vor allem gegenüber dem theoretischen Fundament des Ordoliberalismus von Skepsis getra gen. Da sich die katholische Soziallehre schon immer sowohl gegen den Sozialismus als auch gegen den Liberalismus gewendet hat, jedoch der O rdoliberalismus als eine Spielart des Liberalismus <?page no="120"?> Wirtschaftswunder, soziale Marktwirtschaft, katholische Soziallehre 119 wahrgenommen wird, ist die überwiegend distanzierte Haltung des katholischen Lagers unvermeidlich. 264 Hinzu kommt die noch ab lehnende Haltung der katholischen Soziallehre gegenüber dem „neuzeitlichen Denken in individuellen Anspruchsrechten“ 265 und der zentralen ordoliberalen Idealvorstellung eines Marktwettbe werbs zwischen unzähligen Kleinanbietern und nachfragern, die letztlich nicht einmal in der realen Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft zum Tragen gekommen ist und die allenfalls, nach Meinung von Nell Breuning, zu einem „atomistisch individualis tischen Gewühle und Getriebe“ 266 führe. Und auch die Ergebnisse der sozialen Marktwirtschaft werden kritisch gesehen. So bemerkt Joseph Höffner: Zitat In Deutschland wird vor allem beklagt, daß die beträchtliche Ver mögensvermehrung seit dem Zweiten Weltkrieg den unselbstän digen Erwerbstätigen - trotz der Sozialen Marktwirtschaft - nur in beschränktem Ausmaße zugute gekommen ist, sich vielmehr im wesentlichen beim Staat und bei einer verhältnismäßig kleinen Schicht der Selbständigen angesammelt hat. 267 Letztlich sind es aber die Gemeinsamkeiten zwischen der sozialen Marktwirtschaft und der katholischen Soziallehre, die überwiegen. Die Ausrichtung der Gesellschaftsordnung an der Menschenwürde und die Annahme einer gestaltungsbedürftigen Wirtschaftsord nung sind beiden Ansätzen eigen. Auch besteht Einigkeit darüber, dass Markt und Wettbewerb nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Erreichen sozialer Zi ele dienen, wodurch Eingriffe in die Wettbewerbs und Eigentumsordnung gerechtfertigt werden kön nen. Schließlich betonen beide Konzepte ihre grundsätzliche Offen heit in der konkreten Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung, so dass sogar die soziale Marktwirtschaft bisweilen als „angewandte katholische Soziallehre“ bezeichnet wird. 268 <?page no="121"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 120 Rückblick auf die Pfingstbotschaft - Papst Pius XII. 1941 In Rom ist von März 1939 bis Oktober 1958 der am 2. März 1876 in Rom geborene Eugenio Maria Giuseppe Giovanni Pacelli als Papst Pius XII. im Amt. Seiner Meinung nach ist mit den beiden Enzykli ken Rerum novarum und Quadragesimo anno alles gesagt, was die Kirche zum damals gegenwärtigen Stand von Wirtschaft und Ge sellschaft grundsätzlich zu sagen hat. Er verfasst daher selbst keine Sozialenzyklika, sondern sieht es als seine Aufgabe an, die Lehre der beiden Sozialenzykliken mit einer Vielzahl von Radiobotschaf ten, Ansprachen und Lehrschreiben punktuell weiter auszubauen und zu vertiefen. 269 Der Gesamtheit dieser Beiträge zu sozialen Themen, der „sozialen Summe Pius XII.“, wird jedoch ein ähnlicher Stellenwert beigemessen wie dem einer Sozialenzyklika. 270 Pius XII. wird dabei vielfach von seinem Berater in sozialen Fragen, Gustav Gundlach SJ, vormals Mitglied des Königswinterer Kreises, unter stützt. Zehn Jahre nach Quadragesimo anno äußert sich Papst Pius XII. in seiner Pfingstbotschaft, die er 1941 zum 50. Jubiläum von Rerum novarum in Form einer Radioansprache hält. In dieser Botschaft will Pius XII. mitten im Zweiten Weltkrieg den Weg zu einer stufenwei sen und friedlichen Verbesserung der sozialen Situation aufzeigen, den Neuaufbau und eine neue Ordnung nach dem Ende des Krie ges in den Blick nehmend. 271 Als wichtige Maßnahme gilt ihm die Schaffung möglichst großer Spielräume für die freie Entfaltung der Initiativen von Individuen und Vereinigungen. Wenn aus der Viel fältigkeit der ja auch in hohem Maße widerstreitenden Einzelinte ressen Konflikte, „Gleichgewichtsstörungen im Wirtschaftsleben“, entstehen, so ist der Staat unter strikter Einhaltung des Subsidiari tätsprinzips aufgefordert, schützend einzugre ifen. 272 Im Grunde geht es um das rechte Maß zwischen der Gewährung wirtschaftlicher Freiheiten und dem öffentlichen Schutz des Ge meinwohls. Pius XII. zitiert zunächst eine Forderung aus seinem Rundschreiben Sertum laetitiae an die amerikanischen Bischöfe, „daß <?page no="122"?> Rückblick auf die Pfingstbotschaft - Papst Pius XII. 1941 121 die Güter, die Gott für die Menschen insgesamt schuf, im Ausmaß der Billigkeit nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Liebe allen zuströmen“. 273 Und obwohl Privateigentum und Gütertausch sowie deren Ausgestaltung durch Gesellschaft und Staat ebenfalls dem natürlichen Recht entsprechen, muss das „ursprüngliche Nut zungsrecht aller“ an den materiellen Gütern strenge Beachtung finden. Dies als Voraussetzung für ein friedvolles und stabiles ge sellschaftliches Miteinander unter den Bedingungen von Privatei gentum und individuellen Nutzungsrechten an ma teriellen Gütern, ohne nutzlosen Konflikten von Neid und Streit, Macht und Ohn macht anheimzufallen. 274 Nutzungsrechte an Gütern dienen den Wirtschaftssubjekten als materielle Grundlage zur Verwirklichung ihrer Persönlichkeits würde und rechte und sind deshalb mit diesen eng verbunden. Staatliche Eingriffe in diesen Persönlichkeitsbereich stehen im Wi derspruch zum Gemeinwohl, dem „unantastbaren Lebenskreis der Pflichten und Rechte der menschlichen Persönlichkeit“, die es zu schützen und deren Verwirklichung es zu er leichtern gilt. 275 Zitat Wer solche Machtübersteigerung [staatliche Eingriffe in den Per sönlichkeitsbereich; d. Verf.] aus der Wahrung des Gemeinwohls ableiten wollte, würde damit den Sinn des Gemeinwohles selbst verkehren und dem Irrtum verfallen, als ob der eigentliche Zweck des Menschen auf Erden die Gemeinschaft, die Gemeinschaft aber Selbstzweck sei. 276 Der Wirtschaft kommt der alleinige Zweck zu, „dauernd die mate rielle Grundlage zu schaffen, auf der sich das volle persönliche Leben der Staatsbürger verwirklichen kann“. 277 Somit geht es einer seits darum, wirtschaftlichen Reichtum und Wohlfahrt nachhaltig zu sichern, andererseits aber nicht aus den Augen zu verlieren, dass Wohlstand nicht nur aus der für die Gesamtwirtschaft verfügbaren Gütermenge erwächst, sondern vor allem davon abhängt, ob die „wirtschaftliche Ausstattung“ ausreicht, den einzelnen Wirtschafts <?page no="123"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 122 subjekten die „persönliche Entfaltung“ überhaupt erst zu ermögli chen. 278 Folglich ist die Bevölkerung eines Landes, das zwar über ein hohes Volkseinkommen verfügt, die Persönlichkeitsbereiche seiner Bürger aber einschränkt, ein „um seinen Anspruch betrogenes Volk“, das keineswegs als wirtschaftlich reich, sondern, im Gegen teil, als arm einzustufen ist. So kann ein Land mit vergleichsweise geringer verfügbarer Gütermenge durch eine gerechtere Verteilung der Mittel zu einem höhere n Wohlstand gelangen. Dieser Umstand werde oftmals deshalb nicht erkannt, weil Armut und Reichtum von Ländern meist unzureichend, „nämlich nach rein quantitativen Maßen des verfügbaren […] Umfangs der Güter“ gemessen wür den. 279 Ähnliche Prinzipien wie bei Nutzungsrechten an Gütern gelten für die Arbeit. Auch die Arbeit ist ein persönliches Recht und notwen dig, um den Lebensunterhalt zu sichern. Pius XII. hebt hervor, dass weder das Nutzungsrecht an Gütern noch das Recht auf Arbeit gesellschaftlicher Natur sind, da der Mensch nicht nur als „ein von der Gemeinschaft zur Arbeit Beauftr agter“ an gesehen werden darf. 280 Die Notwendigkeit zu arbeiten entspringt also nicht der Gesellschaft, sondern der individuellen Situation. Entsprechend kommt auch die Aufgabe zur Ordnung des Arbeitslebens nicht der Gesellschaft, sondern den unmittelbar Beteiligten, den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zu. Nur wenn diese ihre Aufgabe nicht erfül len können, soll der Staat eingreifen und dann auch nur in einer Weise, di e die persönlichen Rechte und Pflichten unberührt lässt, etwa das Recht auf freie Berufswahl. Auch das Thema Migration lässt Pius XII. in seiner Pfingstbotschaft nicht unerwähnt. Zwar seien Probleme unumgänglich, doch könne erwartet werden, dass sich bei aufrichtigem Bemühen aller Beteiligten Vorteile für das Auswanderungs , das Einwanderungsland und di e betroffenen Familien ergeben. Nach fast 20 jähriger Amtszeit stirbt Pius XII. am 9. Oktober 1958. Die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Gesamtsituation Europas ist nicht mehr die wie zu Beginn seines Pontifikats, aber auch die Verhältnisse in der Kirche selbst haben sich stark verän <?page no="124"?> Rückblick auf die Pfingstbotschaft - Papst Pius XII. 1941 123 dert. Die katholische Kirche hat begonnen, sich zu einer wirklichen Weltkirche zu entwickeln, indem sie sich verstärkt außereuropä ischen Fragen zuwendet, sich aus der „europäischen Enge“ be freit. 281 Mit dem neuen Papst Johannes XXIII. schreitet der Wandel der Kirche weiter voran, vor allem die Einberufung des II. Vatikani schen Konzils wird zum Meilenstein der Kirchengeschichte. 282 Wäh rend seines Pontifikats 1958-1963 schreibt Johannes XXIII. zwei Sozialenzykliken. Die erste, Über die jüngsten Entwicklungen des ge sellschaftlichen Lebens erscheint im Jahr 1961 unter dem Titel Mater et magistra (Mutter und Lehrmeisterin der Völker), und die zweite, Pacem in terris (Über den Frieden auf Erden), 1963. Genaue Informationen zum Entstehungsprozess der ersten Sozial enzyklika von Papst Johannes XXIII., Mater et magistra, sind nur spärlich vorhanden. Die entsprechenden Dokumente im vatikani schen Geheimarchiv werden typischerweise erst nach ungefähr 70 Jahren zur Einsicht freigegeben. Bekannt ist aber, dass Johannes XXIII. sich zunächst an Gustav Gundlach wendet, der einen Ent wurf für eine Sozialenzyklika vorlegt, den der Papst jedoch ablehnt. Er hält sich selbst ni cht für so gebildet, um ein solch gelehrtes Werk unter seinem Namen in die Welt hinausgehen zu lassen, berichtet Nell Breuning. 283 Die Sozialenzyklika Mater et magistra wird am 15. Mai 1961 veröffentlicht und mit der doppelten Aufgabe versehen, soziale Lehre und soziale Tat zu sein. 284 Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Pius XII., in dessen Schriften noch ein philosophisch, theologisch, juristisch wie diplomatisch ausgefeilter Stil dominiert, verwendet Johannes XXIII. die „Sprache der sozialen Wirklichkeit“, worin ein Hauptgrund dafür gesehen wird, warum Mater et magist ra wie kaum eine andere Enzyklika zuvor der katholischen Kirche und ihrer Soziallehre große Sympathien zuteilwerden lässt. 285 Hat ten die Päpste von Leo XIII. bis Pius XII. noch stärker philosophisch, vor allem naturrechtlich argumentiert und diese Argumentation theologisch untermauert, so verlagert sich mit Johannes XXIII. der Schwerpunkt, die Argumentationsweise ist nun stärker empirisch soziologisch geführt und dabei theologisch motiviert. 286 <?page no="125"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 124 Wissen: Die Päpste seit Pius IX. Pius IX. (1846-1878), Giovanni Maria Mastai Ferretti, geb. 13. Mai 1792 in Senigallia Leo XIII. (1878-1903), Vincenzo Gioacchino Pecci, geb. 2. März 1810 in Carpineto Romano Pius X. (1903-1914), Giuseppe Sarto, geb. 2. Juni 1835 in Riese Benedikt XV. (1914-1922), Giacomo della Chiesa, geb. 21. November 1854 in Genua Pius XI. (1922-1939), Achille Ratti, geb. 31. Mai 1857 in Desio Pius XII. (1939-1958), Eugenio Pacelli, geb. 2. März 1876 in Rom Johannes XXIII. (1958-1963), Angelo Giuseppe Roncalli, geb. 25. November 1881 in Sotto il Monte bei Bergamo Paul VI. (1963-1978), Giovanni Battista Montini, geb. 26. September 1897 in Concesio Johannes Paul I. (1978), Albino Luciani, geb. 17. Oktober 1912 in Canale d’Agordo Johannes Paul II. (1978-2005), Karol Józef Wojty a, geb. 18. Mai 1920 in Wadowice (Polen) Benedikt XVI. (2005-2013), Joseph Ratzinger, geb. 16. April 1927 in Marktl am Inn (Deutschland) Franziskus (seit 2013), Jorge Mario Bergoglio, geb. 17. Dezember 1936 in Buenos Aires (Argentinien) <?page no="126"?> Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 125 Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 Zu Beginn von Mater et magistra erinnert Johannes XXIII. an die Zeit vor Rerum novarum und die dort vorherrschende naturalistische Auffassung des Wirtschaftsgeschehens, gemäß der die Wirtschaft vom Eigennutz angetrieben wird, als Regelmechanismus ein schrankenloser freier Wettbewerb herrscht und die wirtschaftlichen Ergebnisse als Resultat rein mechanisch ablaufender Marktgesetze entstehen. Mithin stellten sich wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten als naturgegeben ein mit der Folge, dass keinerlei Bezug zu irgendeiner Form von Wirt schaftsethik vorlag, die Macht des Stärkeren in der Wirtschaft als grundsätzlich gerechtfertigt galt und die Beziehungen der Menschen bestimmte. Im Ergebnis eine vollständig verkehrte Ordnung der gesamten Wirtschaft. Die breite Masse war Verelen dung, Hungerlöhnen, unmenschlichen Arbeitsbedingungen und der permanenten Furcht vor Arbeitslosigkeit ausgesetzt, während der Reichtum in den Hä nden weniger immer weiter anstieg. 287 An gesichts dieser Entwicklungen stellt Johannes XXIII. die erste Sozia lenzyklika Rerum novarum als ein erstmalig von der Kirche entwi ckeltes einheitliches Programm vor, das, von üblichen Widerstän den abgesehen, auf breite Zustimmung in allen Kreisen der Gesell schaft stieß. 288 In Mater et magistra wiederholt und bekräftigt Johannes XXIII. wich tige Punkte der ersten Sozialenzyklika. Arbeit, das zentrale Thema von Rerum novarum, kann nicht als bloße Ware betrachtet werden, weil sie eine Äußerung der menschlichen Person und zugleich für die meisten Menschen die einzige Möglichkeit zum Erwerb des Lebensunterhalts darstellt. Weder Wettbewerb auf dem Arbeits markt noch Klassenkampf der sozialen Schichten werden als geeig nete Instrumente zur Regelung der Arbeitsverhältnisse anerkannt. Der Lohn darf „n icht dem Spiel der Marktgesetze überlassen wer den, muß vielmehr bestimmt werden von Gerechtigkeit und Billig keit. Andernfalls wird beim Arbeitsvertrag die Gerechtigkeit auch dann durchaus verletzt, wenn beide Seiten ihn freiwillig abschlie ßen“. 289 Die Prinzipien von Solidarität und Brüderlichkeit sollen bei der Bemessung der Arbeitsentlohnung berücksichtigt werden. 290 <?page no="127"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 126 Den Arbeitern steht ausdrücklich das Recht zu, sich zu organisieren und sich frei und eigeninitiativ für ihre persönlichen Interessen einzusetzen. 291 Die Institution des Privateigentums wird als naturgegeben aufge fasst und muss deshalb auch vom Staat anerkannt werden. Dies schließt für den Eigentümer aber nicht nur die Möglichkeit der Realisierung eigener Vorteile ein, sondern verpflichtet gleichzeitig dazu, auch den Nutzen der anderen zu berücksichtigen. 292 Mit der Erwähnung des Eigentums zur persönlichen Nutzenvorsorge liegt Johannes XXIII. durchaus im Einklang mit Grundaussagen des Mainstreams der ökonomischen Theorie, er begibt sich jedoch mit dem Hinweis der Verpflichtung des Privateigentums zur Berück sichtigung der Interessen Dritter in einen klaren Gegensatz hierzu, bzw. er geht weit über das hinaus, was die ökonomi sche Theorie zu erfassen anstrebt. Faktisch spricht Johannes XXIII. die öffentliche Wirkung des Privateigentums an, ohne diese jedoch näher zu be stimmen. Er appelliert im Grunde an das Individuum, in seinem Tun auch die Interessen anderer mitzudenken oder zumindest ne gative Konsequenzen des eigenen Handelns für Dritte möglichst auszuschließen - ei ne wahrlich dem christlichen Menschenbild geschuldete Sicht. Die Institution, deren Aufgabe per se im Schutz und der Mehrung des „öffentlichen Wohls“ besteht, ist für ihn der Staat. Das Ziel des Staates ist das Gemeinwohl, und daher soll er fördernd in den Wirtschaftsprozess eingreifen, einerseits um die Güterversorgung sicherzustellen, andererseits um die Rechte der Bürger, in sbesondere die der Schwächeren, zu schützen. Der Schutz der Schwächeren beinhaltet explizit die Verpflichtung, sich um die Verbesserung der Situation der Arbeiter zu kümmern, was die Auf gabe der Einhaltung und Überwachung gerechter Arbeitsverhält nisse und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen seitens des Staa tes einschließt. 293 <?page no="128"?> Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 127 Wissen: Gemeinwohl Die Idee des Gemeinwohls ist alt, in seiner frühesten Form taucht es als Analogiebildung zum Organismus auf. Die Sa gen erzählen, dass im Jahr 494 v. Chr. der römische Senator Menenius Agrippa die Plebejer Roms mit der folgenden Fa bel besänftigt: „Einst empörten sich die Glieder des Körpers gegen den Ma gen, weil sie glaubten, er allein sei untätig, während sie alle arbeiteten. So weigerten sie sich, weiterhin ihren Dienst zu tun. Die Hände wollten keine Speise mehr zum Munde füh ren, der Mund sie nicht mehr aufnehmen und die Zähne sie nicht zermahlen. Doch als die Glieder nun ihren Plan aus führten, spürten sie allzubald, dass sie durch solche Weige rung sich selbst am meisten schadeten. Jetzt erst erkannten sie nämlich, welche Bedeutung der Magen für sie habe: dass er die empfangene Speise verdaue und dadurch allen Glie dern Leben und Kraft verleihe. So hielten die Glieder es doch für besser, sich mit dem Magen zu versöhnen. - Und was will meine Fabel euch sagen? “, schloss der kluge Agrippa. „Dass auch im Staate keiner ohne den andern bestehen kann, nur in der Eintracht liegt die Kraft.“ Ähnliche Organismus Analogien verwenden Platon und Aristoteles, später auch Thomas von Aquin. 294 Dem Gemeinwohl, Wohl der Gemeinschaft, „gemeine Wohl fahrt“, „bonum commune“ oder „bonum generale“ liegt die Auffassung zugrunde, dass der Einzelne sich nicht selbst ge nügen kann, sondern auf das ihm vorgängige Ganze - den Staat - angewiesen ist, um zum „guten Sein“, dem eigentli chen Zweck des Staates, beitragen zu können. Mit der neu zeitlichen Philosophie bezeichnet das Gemeinwohl den Zweck des Zusammenlebens der Menschen in der bürgerli chen Gesellschaft, in welchem dem Staat die Aufgabe zu kommt, die Existenz seiner Bürger zu garantieren. Für Philo sophen wie Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) oder auch <?page no="129"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 128 die katholische Philosophie ist das Gemeinwohl ein überin dividueller Wert, der über das Wohl im Sinne der individuel len Nutzen hinausreicht, also ein ethisches Gut, das auf die innere Harmonie des sozialen Ganzen angelegt ist. Bei Chris tian Wolff (1679-1754) hat der Begriff des Gemeinwohls ei nen eher individualistischen und utilitaristischen Sinn und beinhaltet das, „was zur Notdurft, zur Bequemlichkeit und zum Vergnügen des Lebens, auch zur Glückseligkeit“ des Menschen, darüber hinaus aber auch zur Erhaltung der Rechtssicherheit und des äußeren Friedens beiträgt. 295 In der ökonomischen Theorie ist insbesondere die utilitaris tische Auffassung vom Gemeinwohl, die Summe des „größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl“ der In dividuen, verbreitet und die von Adam Smith in seiner Theorie der ethischen Gefühle formulierte Auslegung des Eigennutzes im Sinne eines „wohlverstandenen“ Strebens nach dem eigenen Glück. Danach ist das Gemeinwohl als Ergebnis des Strebens der Individuen nach Verwirklichung ihrer eigenen „geläuterten“ Interessen zu deuten. Nicht zu verkennen ist hier der Einfluss der damals weitverbreiteten religiösen Auffassung des Deismus, hinter der die stoische Überzeugung von der immanenten Harmonie eines von dem höchsten Wesen geschaffenen Wertes steht. Denn wenn für das Allgemeinwohl ohne irgendeinen bewussten Eingriff des Menschen gesorgt war, musste es der Schöpfer selbst gewesen sein, der hier eingegriffen hat. Das Nicht eingreifen in diese scheinbar prästabilierte Harmonie wur de gewissermaßen zur religiösen Pflicht. Heute gilt es als anerkannt, dass unsere freie Gesellschaft auf der Anerken nung des Eigeninteresses aufbaut, jedoch im Bewusstsein, dass es langfristig im Interesse des Einzelnen liegt, die Inte ressen auch der anderen Gemeinschaftsmitglieder mit zu berücksichtigen. Der Einzelne kann also sein privates Glück steigern, indem er nicht nur seine individuelle Bedürfnisbe <?page no="130"?> Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 129 friedigung verfolgt, sondern sich auch für die Belange an derer interessiert und einsetzt. Das Verständnis des Gemeinwohls, wie es in den Sozialen zykliken Verwendung findet, ist in offiziellen kirchlichen Dokumenten wie der Pastoralkonstitution Gaudium et spes und im Katechismus der katholischen Kirche beschrieben. Danach ist das Gemeinwohl „die Gesamtheit jener Bedin gungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Grup pen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leich teres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen“. Und weiter: „Das Gemeinwohl ist stets auf den Fortschritt der Personen ausgerichtet, denn die Ordnung der Dinge ist der Ordnung der Personen zu unterwerfen und nicht umge kehrt.“ 296 Diese Auffassung von Gemeinwohl vertritt auch Papst Pius XII. in seiner Pfingstbotschaft von 1941, indem der Schutz und die Verwirklichung der Persönlichkeit der Men schen prioritären Status erhalten und staatliche Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich als im Widerspruch zum Ge meinwohl stehend abgelehnt werden. 297 Johannes XXIII. wendet sich in Mater et magistra der Enzyklika Quadragesimo anno zu, in der einige strittige Aspekte von Rerum novarum geklärt werden konnten, ihre Lehre weiterentwickelt wur de sowie auf Veränderungen in der Wirtschaft eingegangen wurde. Pius XI. wiederholte in Quadragesimo anno die Ablehnung des Kommunismus und selbst gemäßigter Formen des Sozialismus, da er die menschliche Freiheit auch dort in inakzeptabler Weise einge engt sah. Er bekräftigte den naturrechtlichen Charakter des Privat eigentums, betonte zugleich seine soziale Seite und Funktion. Ne ben den schon in Rerum novarum dargestellten Grundsätzen für einen gerechten Lohn empfahl er auch eine irgendwie geartete Teil haberschaft der Beschäftigten an Unternehmen und die Berücksich tigung der Familienverhältnisse des Arbeiters bei der Bestimmung der Lohnhöhe, dies vor dem Hintergrund zwar an sich nicht unge rechter Lohnverhältnisse, doch ihrer durchaus ungerechten und <?page no="131"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 130 unmenschlichen realen Ausgestaltung. 298 Auch dem von Pius XI. dargestellten Prozess der Vermachtung der Wirtschaft (gemeint war die tendenzielle Ablösung von Mechanismen der freien Marktwirt schaft durch starke Konzentrationsprozesse von Unternehmen und deren damit einhergehender Ausübung von wirtschaftlicher und politischer Macht) misst Johannes XXIII. große Bedeutung zu: „Sie [die Vermachtung; d. Verf.] lieferte im Ergebnis die sta atliche Ge walt der Selbstsucht der Mächtigeren aus und mündete im interna tionalen Finanzimperialismus.“ 299 Und weiter konstatiert er, dass „der freie Wettbewerb sich schließlich kraft einer inneren Gesetz lichkeit selbst fast ganz aufgehoben hatte“. 300 Die wesentlichen Grundgedanken in Quadragesimo anno werden in zwei Aussagen zusammengefasst: 301 1. In der Wirtschaft dürfen keinesfalls das Einzel und Gruppeninteresse, zügelloser Wettbe werb, die hemmungslose Macht des Stärkeren, nationales Prestige oder der Machtwille einer Nation als oberste Maßstäbe zugelassen sein. 2. Es muss eine umfassende, auch international gültige Rechts ordnung aufgebaut werden, in der sich die Interessen der Wirt schaft und des Gemeinwohls „harmonisch vereinigen können“. Papst Johannes XXIII. beendet den Rückblick auf die Lehre seiner Vorgänger, indem er Auszüge aus der Pfingstbotschaft Pius XII. zu den Themen „Nutzung der Erdengüter, Arbeit und Fa milie“ zi tiert. 302 Die Bestandsaufnahme der Veränderungen seit der Enzyklika Quadragesimo anno beginnt Papst Johannes XXIII. mit dem techni schen Fortschritt. Erwähnt werden die zivile und militärische Nut zung der Atomkraft, die nahezu unbegrenzten Herstellungsmög lichkeiten von Kunststoffen, der steigende Automatisierungsgrad, die Raumfahrt und Fortschritte in der Landwirtschaft, dem Ver kehrswesen sowie der Nachrichtentechnik. In der Gesellschaft be obachtet Johannes XXIII. in vielen Lä ndern ein höheres Bildungsni veau, ein verbessertes Sozialversicherungssystem und auch ein höheres Wohlstandsniveau für weitere Bevölkerungskreise, wo durch sich die Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Schich ten verringert haben. Dagegen wachsen die Spannungen zwischen <?page no="132"?> Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 131 unterschiedlich gut entwickelten Regionen und Ländern. Mit dem Ende der Kolonialherrschaft wurde die politische Selbstständigkeit vieler Länder ermöglicht, und Demokratisierungsprozesse in vielen Regionen führten zu einer breiteren politischen Beteiligung aller Bevölkerungsschichten. Auf internationaler Ebene verstärken sich die Abhängigkeiten zwischen den Ländern, und es entstehen inter nationale Organisationen, die das Ziel der Erhöhun g des Wohl stands der weltweiten Völkergemeinschaft verfolgen. 303 Ganz im Einklang mit Inhalten ordoliberaler, sozialmarktwirtschaft licher, aber auch nachfrageorientierter Lehren ökonomischer Theo riebildung seiner Zeit erklärt der Papst den Vorrang der Privatiniti ative im Wirtschaftsprozess bei gleichzeitiger Einsicht in die Not wendigkeit eines aktiven Eingreifens des Staates zur Förderung des Wohlstands, nicht zuletzt um sicherzustellen, dass wirtschaftliches Wachstum auch zu s ozialem Fortschritt führt. 304 In der Absicht, die in Rerum novarum zugrunde gelegte Lehre zu erweitern, fordert Johannes XXIII. den Staat auf, die neuen Möglichkeiten zur effekti veren Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und der negativen Folgen von Konjunkturschwankungen umfassend, planmäßig und durch Entwicklung geeigneter Institutionen, Instrumente und Verfah rensweisen zu nutzen. 305 Drängt der Staat hingegen die Privatinitia tive zurück, führe dies zu „politischer Tyrannei“ mit der Folge ins Stocken geratender wirtschaftlicher Aktivitäten, und fehlt das not wendige wirtschaftspolitische Engagement des Staates, so leite dies zur Ausbeutung von fremder Not seitens skrupelloser Mächtiger, „die sich - leider - allzeit und allenthalben breitmachen wie Un kraut im Weizen“. 306 Als bedeutendes modernes Phänomen beschreibt Johannes XXIII. einen ansteigenden Vergesellschaftungsprozess, der mit einer Zu nahme der gesellschaftlichen Verflechtungen und einer wachsenden Zahl sozialer Beziehungen einhergeht. 307 Dieser Prozess gilt als Grund für die Entstehung einer Vielzahl regional, national oder international agierender Institutionen, Organisationen, Verbände und Vereinigungen mit zum Teil privatem, zum Teil öffentlich rechtlichem Charakter, die jeweils unterschiedlichste Zielsetzungen <?page no="133"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 132 von der Gesundheitsfürsorge bis zur Freizeitgestaltung verfolgen. Der Vergesellschaftungsprozess wird zugleich als Anzeichen und Ursache einer fortschreitenden Einmischung des Staates in die per sönliche Sphäre der Individuen ausgemacht, woraus eine immer größere Einschränkung der persönlichen Freiheiten entstanden sei. 308 Für den Einzelnen werde es immer schwieriger, „noch unab hängig von äußeren Einflüssen zu denken, aus eigener Initiative tätig zu werden, in Eigenverantwortung seine Rechte auszuüben und seine Pflichten zu erfüllen, die geistigen Anlagen voll zu betäti gen und zu entfalten“. 309 Johannes XXIII. äußert aber die Hoffnung, dass es den Staaten gelingen kann, aus den eingeschränkten Frei heits und Verantwortungsspielräumen entstehende Nachteile ab zuschwächen. Dies in dem Maß, mit dem es gelingt, einen Aus gleich zwischen einerseits den Kräften der Menschen, sich unter Wahrung des Zusammenhalts des Ganzen selbst zu bestimmen, und andererseits den Kräften der st aatlichen Tätigkeit, mit der die privaten Unternehmungen in geeigneter Weise geordnet und ge f ö rdert werd en, he rz us te ll en . 310 Johannes XXIII. konstatiert, dass dem raschen wirtschaftlichen Fort schritt nach dem Zweiten Weltkrieg kein angemessener sozialer Fortschritt folgte. Die Chancen des Wirtschaftswachstums gelte es zu nutzen, um die aus sozialer Ungleichheit resultierenden Span nungen zu reduzieren. Denn wie schon Pius XII. in seiner Pfingst botschaft 1941 ausführte, sei der wirtschaftliche Wohlstand ei nes Landes weniger nach der Menge der den Individuen zur Verfügung stehenden Güter als vielmehr nach ihrer gerechten Verteilung zu bemessen, da nur Letztere sicherstelle, dass „alle im Lande etwas davon für die Entfaltung und Vervollkommnung ihrer Persönlich keit erhalten; denn das ist das Ziel, auf das die Volkswirtschaft ihrer Na tur nach hingeordnet ist“. 311 Auch müssen sich die durch das wirtschaftliche Wachstum steigenden Unternehmensgewinne in zunehmenden Löhnen widerspiegeln, 312 und als unhaltbar wird die Situation in den nicht industrialisierten Ländern beschrieben, in denen zahllose Menschen für Löhne arbeiten müssen, die ihnen und ihren Familien menschenunwürdige Lebensbedingungen aufzwin <?page no="134"?> Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 133 gen. 313 Wenngleich das mangelnde Wirtschaftswachstum und die schlechten Lebensbedingungen in einigen Ländern zweifelsfrei auf einen noch zu niedrigen Industrialisierungsgrad zurückgeführt werden können, gibt es andere, nicht tolerierbare Ursachen: Zitat In einigen von diesen Ländern steht jedoch zu diesem Zustand äu ßersten Elends der Mehrzahl der Überfluß und hemmungslose Luxus weniger Reicher in schreiendem und beleidigendem Gegen satz; während in andern Ländern die Menschen übermäßig belastet werden, um in kurzer Zeit den nationalen Reichtum in einem Maße zu steigern, wie es ohne Verletzung von Gerechtigkeit und Billig keit nun einmal nicht möglich ist; in andern wieder wird ein hoher Anteil des volkswirtschaftlichen Ertrages für ein falsch verstande nes nationales Prestige verschwendet, oder es werden ungeheure Summen für die Rüstung ausgegeben. 314 Selbst in den wirtschaftlich höher und hoch entwickelten Ländern ist eine Menge kritikwürdiger Zustände in der Bestimmung der Arbeitsentgelte vorzufinden. So werden etwa für Leistungen von „geringerer Bedeutung oder fraglichem Wert“, die weder einen Beitrag zum Unternehmensgewinn noch zum Allgemeinwohl dar stellen, oftmals hohe Beträge ausgegeben, während die „werteschaf fende“ Arbeit un terbezahlt bleibt und die daraus erzielbaren Ar beitseinkommen kaum für den Lebensunterhalt ausreichen. Auch hierin sieht Johannes XXIII. einen weiteren Hinweis darauf, die Lohnhöhe nicht allein durch den freien Wettbewerb oder die Will kür des Stärkeren bestimmen zu lassen, sondern sich an den Krite rien von Gerechtigkeit und Billigkeit zu orientieren. 315 Darüber hin aus erklärt er es als wünschenswert, wenn die Arbeiter „in geeigne ter Weise in Mitbesitz an ihrem Unternehmen hineinwachsen“ würden, 316 ohne freilich näher zu spezifizieren, wie ein solches „Be teiligungsmodell“ umgesetzt werden kann. Allerdings wird ausge führt, dass es nicht nur um eine rein monetäre Partizipation geht, sondern auch die Gestaltung der Arbeitsprozesse und schließlich die Würde des arbeitenden Menschen mitberücksichtigt werden <?page no="135"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 134 müssten, denn Partizipation und Mitbestimmung wirken sich posi tiv auf das Verantwortungsgefühl und die schöpferischen Kräfte der Beschäftigten aus und stellen somit ein Beitrag zu mehr Gerech tigkeit, aber auch zu höherer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit dar. Dies gelte im Übrigen sowohl für private wie für öffentliche Unternehmen. Gerechtigkeitsfördernd wirkten ebenso die aus der Arbeitne hmer beteiligung entstehenden Momente der Gemeinsamkeit und Zu sammenarbeit, da Nachteile aus dem strengen Hierarchiedenken, in denen Arbeiter oftmals nur als bloße Untertanen und stumme Be fehlsempfänger in Erscheinung treten, gemildert würden. 317 Konkre te Ausgestaltungen des Mitspracherechts sollten an der jeweiligen Situation des Unternehmens ausgerichtet sein, und zwar immer am Ziel orientiert, „das Unternehmen zu einer echten menschlichen Gemeinschaft zu machen“. 318 Alle an dieser Gemeinschaft Beteilig ten sollten zur Erreichung des gemeinsamen Ziels zusammenarbei ten, was gegenseitige Achtung und Wohlwollen im Verhältnis von Unternehmensinhabern, Management und Beschäftigten voraus setzt. Herausforderungen ergeben sich dadurch für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Arbeitgeber müssen lernen, die Arbeiter als „gleichberechtigte Teamplayer“ zu akzeptieren und sich vom Hi e rarchiedenken wegzubewegen, die Arbeitnehmer müssen aller dings die Arbeit nicht nur als Lohnerwerb auffassen, sondern als „Pflichterfüllung und Dienst an der Gemeinschaft“ 319 und viel stär kere Verantwortung für ihr Handeln und das Unternehmen über nehmen. Die höhere Verantwortung, die dem Einzelnen übertragen wird, sei bereits, so Johannes XXIII., in der menschlichen Natur angelegt, und komme, so sie wahrgenommen wird, auch der ge samten Gesellschaft zugute. 320 Dieses Bewusstsein der Mitverant wortung spiegelt sich auch im Verhalten der Gewerkschaften wider: „Sie treiben die Arbeiter nicht mehr in den Klassenkampf, sondern leiten sie zu sozialer Partnerschaft an.“ Arbeiterorganisationen sol len daher die Möglichkeit bekommen, „ihr Gewicht auch über die Grenzen des Unternehmens hinaus geltend zu machen, und zwar in all en Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“. 321 <?page no="136"?> Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 135 Zur Person: Papst Johannes XXIII. Angelo Giuseppe Roncalli wird am 25. November 1881 in der lombardischen Gemeinde Sotto il Monte geboren. Er wächst in ärmlichen Verhältnissen in einer bäuerlichen Groß familie mit zwölf Geschwistern auf. Durch die Unterstüt zung des Gemeindepfarrers, der die Begabung des jungen Roncalli früh erkennt, kann er ab 1892 zunächst das Vorbe reitungs und später das theologische Seminar in Bergamo besuchen. Im Anschluss daran studiert er in Rom und schließt sein Studium 1904 mit der Promotion zum Doktor der Theologie ab. Danach wird er Sekretär des Bischofs von Bergamo und unterrichtet am dortigen Seminar Kirchenge schichte. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird Angelo Giuseppe Roncalli in die italienische Armee eingezogen und dient zunächst als Sanitäter, später als Armeeseelsorger. Nach dem Krieg kehrt er zum Seminar nach Bergamo zu rück, bevor er 1921 nach Rom berufen wird, wo er die Kon gregation für die Glaubensverbreitung reorganisiert. 1925 ernennt ihn Papst Pius XI. zum Bischof und Apostolischen Visitator für Bulgarien. Seit 1934 ist Bischof Roncalli Aposto lischer Legat in der Türkei und Griechenland, ab 1944 Apos tolischer Nuntius in Frankreich, und 1952 wird er daneben ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei der UNESCO. Papst Pius XII. ernennt ihn 1953 zum Kardinal und Patriar chen von Venedig. Nach dem Tod Pius XII. wird Angelo Giuseppe Roncalli auf dem Konklave vom 25. bis 28. Oktober 1958 zum Papst ge wählt, er nennt sich Johannes XXIII. Drei große Vorhaben prägen sein Pontifikat: Kurz nach seinem Amtsantritt beruft er eine römische Diözesansynode ein, die dem kirchlichen Leben in der Stadt Rom neue Impulse geben soll, sie findet 1960 statt. 1963 ernennt Johannes XXIII. eine Kommission zur Reformierung des Kirchenrechts und zur Neufassung des Codex Iuris Canonici. Ein Prozess, der erst 1987 mit der Un terzeichnung des neuen kirchlichen Rechtsbuchs abgeschlos <?page no="137"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 136 sen wird. Vor allem aber kündigt er 1959 das II. Vatikanische Konzil an, dessen Ziel ein umfassendes „Aggiornamento“, eine Aktualisierung der kirchlichen Lehre, ist und das er selbst am 11. Oktober 1962 feierlich eröffnet. Papst Johannes XXIII. In der öffentlichen Wahrnehmung unterscheidet sich der in seinem Auftreten oft als warmherzig und bescheiden be schriebene Papst Johannes XXIII. von der vielfach distanziert wirkenden Amtsführung seiner Vorgänger. Die Reaktion ist ein bis dahin nicht gekanntes Maß an Interesse und Sympa thie, das dem Papst von der Weltöffentlichkeit entgegenge bracht wird. Papst Johannes XXIII. stirbt am 3. Juni 1963. Am 27. April 2014 wird er von Papst Franziskus heiliggesprochen. 322 Johannes XXIII. fährt mit der Beobachtung fort, dass sich das Ver hältnis zwischen Vermögen und Arbeit im Laufe der Zeit stark verändert hat. Während früher die Erträge aus Eigentum das wich tigste Mittel zur wirtschaftlichen Absicherung waren, hat die Ent wicklung der sozialen Sicherungssysteme erheblich zum Schutz der Arbeitnehmer vor existenzgefährdenden Not lagen beigetragen. Der Fokus der Arbeitnehmer verlagerte sich daher stärker auf die eigene Arbeitsleistung, wodurch die Bemühungen um die berufliche Qua lifikation und Ausbildung einen größeren Stellenwert erhielten als <?page no="138"?> Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 137 die Anstrengungen zum direkten Eigentumserwerb. Johannes XXIII. sieht in dieser Entwicklung der Abwendung vom Eigentum und der Hinwendung zur Arbeit einen echten menschlichen Fort schritt, weil die Arbeitsleistung als Resultat der menschlichen Natur wertvoller als materieller Reichtum einzuschätzen ist. Gänzlich unberührt davon bleibt das Recht auf Privateigentum einschließlich des Privateigentums an P roduktionsmitteln, da ohne die Verfü gungsgewalt über das Eigentum der Gedanke der wirtschaftlichen Eigeninitiative gegenstandslos sei. 323 Auch bleibt das Ziel einer mög lichst breiten Streuung des Eigentums bestehen. In diesem Zusam menhang verweist Johannes XXIII. auf die Weihnachtsbotschaft seines Vorgängers Pius XII. von 1942, der „die Erhaltung und Ver vollkommnung einer Sozialordnung, welche allen Schichten des Volkes die Bildung eines dauerhaften, sei es auch nur bescheidenen Privateigentums ermöglicht“, einforderte. 324 Als problematisch wird die fortschreitende Separierung von Eigen tümern und Management in großen privaten und staatlichen Un ternehmen beschrieben. Problematisch sei die Entwicklung deshalb, weil die zunehmende Trennung von Eigentum und den für das Handeln in den Unternehmen Zuständigen nicht nur mit einem höheren Kontrollaufwand einhergeht, sondern außerdem ein Kon flikt mi t dem Gemeinwohl als solchem entsteht, denn das Gemein wohl setzt ein gemeinsames, auf gleiche Ziele hin orientiertes Vor gehen und eben kein trennendes voraus. Bei öffentlichen Unter nehmen, deren Eigentümer die Gemeinschaft ist, soll die Besetzung von Leitungspositionen mit besonderer Sorgfalt durchgeführt wer den, da wirtschaftliche Machtkonzentration und ausübung in die sem Sek tor verhindert werden muss. Auch das wachsende öffentli che und staatliche Eigentum wird mit einer gewissen Sorge wahr genommen, da der öffentliche Sektor zwar zunehmend Aufgaben übernimmt, damit einem größeren Wunsch der Gesellschaft nach staatlicher Fürsorge nachkommt, jedoch das im Individuum selbst angelegte Streben nach Eigeninitiative eher rückläufig we rden lässt und das Prinzip der Subsidiarität schwächt. Die Ausdehnung des staatlichen Eigentums darf nicht in dem Trugschluss münden, dass <?page no="139"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 138 der Staat alle sozialen Problemstellungen in seinen Verantwor tungsbereich übernehmen und einer Lösung zuführen kann. Nicht alle sozialen Erfordernisse lassen sich auf den Staat abwälzen, auf soziale Verpflichtung des Privateigentums kann keinesfalls verzich tet werden. 325 Johannes XXIII. thematisiert in Mater et magistra nicht nur den Schwerpunkt der Arbeitnehmer und ihr Verhältnis zu Unterneh men bzw. zu Kapital und Eigentum ausführlich, er weitet seine Analyse der handlungsleitenden Grundprinzipien von Gerechtig keit und Billigkeit auf die verschiedenen Wirtschaftszweige inner halb und zwischen einzelnen Ländern aus. In der Landwirtschaft stellt er eine steigende Tendenz zur Landflucht fest, di e mit erhebli chen Schwierigkeiten für die Gesamtwirtschaft einhergeht. 326 Vom Staat werden umfassende Maßnahmen zur Förderung der Land wirtschaft mit dem Ziel eingefordert, eine möglichst ausgewogene Entwicklung zwischen den unterschiedlichen Wirtschaftszweigen herzustellen. Dazu zählen eine auf die Besonderheiten der Land wirtschaft Rücksicht nehmende Besteuerung, ein Sozialversiche rungsniveau auf dem Stand anderer Wirtschaftsbereiche und Maß nahmen zur zinsgünstigen Refinanzierung der Landwirtschaft und zu r Sicherstellung ein er angemessenen Infrastruktur in ländlichen Gebieten. 327 Die Preisbildung landwirtschaftlicher Produkte dürfe nicht allein den Marktkräften überlassen werden. Da die landwirt schaftlichen Erzeugnisse der Befriedigung der wichtigsten Bedürf nisse aller Menschen dienen, dürfen deren Preise nicht die Möglich keiten der Ärmsten überschreiten. 328 Dem Staat kommt somit die Aufgabe zu, die Preisbildung der (lebensnotwendigen) landwirt schaftlichen Güter so zu beeinflussen, dass, einerseits, auf der Nach frageseite „alle in der Lage sind, sie zu kaufen“, andererseits, auf der Angebotsseite, eine Höhe erreicht wird, mit der auch das Aus kommen im landwirtschaftlichen Sektor gesichert ist. 329 Den Land wirten wird der Ratschlag gegeben, durch Zusammenschlüsse in Genossenschaften und Verbänden Zusatzeinkünfte zu erwerben. 330 Ein leistungsfähiger Agrarsektor, der seine Produkte zu stabilen Preisen anbietet, trägt darüber hinaus „zur Erhaltung der Kaufkraft <?page no="140"?> Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 139 des Geldes bei, einem der wichtigsten Erfordernisse, um das wirt schaftliche Wachstum in geordneter Bahn zu halten“. 331 Auf internationaler Ebene gibt es Länder, die wegen der Rück schrittlichkeit ihrer Landwirtschaft oder zu wenig anbaufähiger Flächen unter einem Mangel an Agrarprodukten leiden, aber auch Länder, die aufgrund ihrer hohen Leistungsfähigkeit Agrarproduk te im Übermaß herstellen. Keinen ökonomischen Lösungen der Außenhandelstheorie wie die Verteilung über Mechanismen kom parativer Kosten und re lativer Preise wird vertraut, stattdessen auf Solidarität und christliche Brüderlichkeit gesetzt. 332 Dass auch die Überproduktion mit Problemen einhergeht, steht dem Papst durch aus vor Augen, doch lässt er Argumente für Maßnahmen nicht gelten, die etwa auf den Erhalt eines bestimmten Preisniveaus hin auslaufen bzw. Knappheiten künstlich erzeugen wollen: „Lebens notwendige Güter einfach zu vernichten oder sonstwie zu vergeu den, verstößt […] gegen Gere chtigkeit und Menschlichkeit.“ 333 In der Beziehung zwischen den Industriestaaten und den unterent wickelten Ländern sieht Johannes XXIII. eine der größten Heraus forderungen seiner Zeit: Zitat Während die einen im Wohlstand leben, leiden die andern bittere Not. Wenn nun die wechselseitigen Beziehungen der Menschen in allen Teilen der Welt heute so eng geworden sind, daß sie sich gleichsam als Bewohner ein und desselben Hauses vorkommen, dann dürfen die Völker, die mit Reichtum und Überfluß gesättigt sind, die Lage jener anderen Völker nicht vergessen, deren Ange hörige mit so großen inneren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, daß sie vor Elend und Hunger fast zugrunde gehen […] und ein dauerhafter und segensreicher Friede nicht gewährleistet ist, wenn die wirtschaftliche und soziale Lage des einen von der des andern allzu stark abweicht. 334 <?page no="141"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 140 Die 1950er und 1960er Jahre werden von Robert S. McNamara, Weltbankpräsident zwischen 1968 bis 1981 und davor Verteidi gungsminister der USA, im Weltentwicklungsbericht der Weltbank von 1978 als Periode beispielloser Veränderungen und Fortschritte in der entwickelten Welt beschrieben, der aber selbst noch in den 1970er Jahren 800 Millionen Menschen in absoluter Armut gegen über stehen. Mit absoluter Armut ist ein Zustand mit einem hohen Grad von Unterernährung, Analphabetismus, Krankheit, erbärmli cher Umgebung, hoher Kindersterblichkeit und niedriger Lebens erwartung umrissen, der jenseits jeder vertretbaren Definition von menschlicher Würde liegt. Die Wachstumsraten der durchschnittli chen Einkommen pro Kopf sind in den Entwicklungsländern von etwa zwei Pro zent in den 1950er auf 3,4 Prozent in den 1960er Jahren gestiegen, jedoch mit erheblichen Unterschieden zwischen den Entwicklungsländern mit niedrigeren und mittleren Einkom men. Bei Letzteren liegen die Wachstumsraten teilweise deutlich über denen der ärmsten Staaten, ein Bild, das sich auch bei dem Anteil der Kinder, die eine Schule be suchen, und dem Anteil der Erwachsenen, die über Schreib und Lesekenntnisse verfügen, ver stärkt fortschreibt. Der Unterschied der ärmeren und reicheren Entwicklungsländer, vor allem aber ihr erheblicher Rückstand zu den Industrieländern, tritt in den Zahlen der Lebenserwartung und Säuglingssterblichkeit mit besonderer Deutlichkeit zutage. Trotz einer Periode mit steigender wirtschaftlicher Entwicklung und ver be ssertem Lebensstandard im Laufe der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre ist die Lebenserwartung der Ärmsten nur halb so hoch wie in den Industrienationen, die Säuglingssterblichkeit beläuft sich auf das Sechsfache. 335 Johannes XXIII. wirbt für wissenschaftliche, technische und finanzi elle Hilfen für die unterentwickelten Länder und erkennt bisherige Bemühungen in diese Richtung an. Er warnt vor dem Versuch, Hilfe mit eigennütziger politischer Einflussnahme zu verbinden, da dies letztlich nur einen Rückschritt in die Zeit des Kolonialismus, wenngleich auch in modernem Gewand, bedeuten würde. Zie l der Hilfen sollte es sein, die Empfängerstaaten in die Lage zu versetzen, <?page no="142"?> Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 141 wirtschaftlich unabhängig zu werden, sodass sie aus eigenen Kräf ten wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt generieren können. Auf diese Weise werde nicht nur die ökonomische Wohlfahrt aller Beteiligten gesteigert, sondern auch ein Beitrag zur friedlichen Sta bilität geleistet. 336 Mithilfe der internationalen Zusammenarbeit ließen sich auch die Probleme des Bevölkerungswachstums beherr schen und dies umso mehr, je stärker die Möglichkeiten des techni schen Fortschritts zum Tragen kämen. Ohnehin führe technischer Fortschritt dazu, dass sich die Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den Ländern immer mehr verstärkten und viele Probleme technischer, politischer und wir tschaftlicher Natur sich nur noch auf internationaler Ebene lösen ließen. 337 Die Beschreibung der Situation in den Entwicklungsländern und ihres Verhältnisses zu den Industriestaaten deckt sich in weiten Teilen mit den Ausführungen, wie sie etwa in den Weltentwick lungsberichten jener Jahre zu finden sind. Die internationale Zu sammenarbeit zwischen Entwicklungs und Industriestaaten wird dort ebenso gefordert, wie das abgestimmte Verhalten unter den Entwick lungsländern selbst und ein koordiniertes Vorgehen der Industriestaaten postuliert werden. Von Ökonomenseite wird je doch vor allem ein hohes Wirtschaftswachstum als die Grundvo raussetzung einer jeden Entwicklungsstrategie benannt, das von Maßnahmen begleitet werden muss, die auf höhere Anteile der Armen am Volkseinkommen zielen. 338 Kein Land, und ist es auch noch so fortschrittlich, kann auf sich allein gestellt die eigenen Probleme lösen, sondern es ist immer auf eine Form der internationalen Kooperation angewiesen, so die feste Überzeugung Johannes XXIII. 339 Dabei scheint seiner Auffassung nach weniger die Wirtschaft als vielmehr die Politik nicht in der Lage zu sein, eine solche einvernehmliche Zusammenarbeit zwi schen den Ländern herbeizuführen. Von gegenseitigem Misstrauen zwischen den Ländern getrieben, werde vielmehr in Rüstung inves tiert, wobei alle Seiten das Argument der Verteidigung in Form von militärischer Abschreckung fü r sich in Anspruch nehmen. 340 „Dies hat zur Folge, daß viel menschliche Arbeitskraft und ungeheure <?page no="143"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 142 materielle Mittel mehr zum Schaden als zum Nutzen der menschli chen Gesellschaft eingesetzt werden müssen.“ 341 Johannes XXIII. sieht darin eine Folge der fehlenden Anerkennung „einer wahren und gültigen sittlichen Ordnung“, also wieder jener Instanz, die der Mensch akzeptieren soll, die über seine von ihm subjektiv wahrge nommene Welt und über ihn selbst hinausweist, die ihm Verbind lichkeit gibt und die darüber hinaus für alle Menschen in gle icher Weise Gültigkeit besitzt. Dieser gemeinsame Nenner, dieser von allen getragene Konsens fehlt, und ohne eine solche verbindliche Ordnung, in deren Mittelpunkt die Menschenwürde und die damit unverzichtbar verbundenen Rechte der Person stehen, sei keine verlässliche Übereinkunft möglich. 342 Der Versuch jedoch, eine sol che feste und brauchbare Ordnung „ohne das notwendige Funda ment, nämlich ohne Gott aufzubauen“, gilt Johannes XXIII. als die „größte Torheit unserer Zeit“. 343 Es spricht sicherlich einiges dafür, im christlichen Glauben eine Möglichkeit der Grundlage für einen konsensualen Wertekanon zu finden, der eine solche „feste und brauchbare Ordnung“ ermögli chen kann, und der Papst wird naturgemäß nur innerhalb der christlichen Ordnungswerte argumentieren. Dem Nichtchristen dienen als entsprechende Surrogate andere als christliche Glaubens richtungen, Wertevorstellungen oder irgendwie getroffene Über einkünfte etwa in Form ver schiedenster „Gesellschaftsverträge“. Die sich bei allen Bemühungen der Suche nach einem geeigneten grundlegenden Ordnungsrahmen erweisende Problematik besteht darin, inwieweit sich die Menschen gebunden fühlen, sich an die über die Ordnung vermittelten Werte zu halten. Zu hoch sind die „Verlockungen“ einer anderweitigen Orientierung bzw. O rientie rung an nachgeordneten Werten wie etwa der Versorgung mit ma teriellen Gütern. Völlig treffend weist Johannes XXIII. diesbezüglich darauf hin, dass sich die Menschen darüber bewusst werden sollten, dass wirtschaftlicher Wohlstand sowie wissenschaftlicher und tech nischer Fortschritt natürlich auch zivilisatorischen und kulturellen Fortschritt bewirken, diese aber nicht die höchsten Wert e bedeuten, sondern „nur Mittel [sind; d. Verf.], die dem Streben nach höheren <?page no="144"?> Mater et magistra - Papst Johannes XXIII. 1961 143 Werten dienlich sein können“. 344 Und gerade der Fortschritt mit all seinen positiven Wirkungen für die Menschen ist es, der gleichsam die Ursache von Problemen globalen Ausmaßes beinhaltet: „Und mit Schrecken nehmen die Menschen wahr, wie die durch techni sche Mittel freigelegten Kräfte zwar dem Fortschritt dienen, nicht minder aber auch zum Verderben der Menschen führen könne n“, 345 so Johannes XXIII. in direkter Anlehnung an die Weihnachtsbot schaft seines Vorgängers Pius XII. von 1953. Nochmals betont Jo hannes XXIII. den Wert des technischen und wirtschaftlichen Fort schritts, relativiert diesen aber auch gleich wieder, da es sich nur um ein Mittel zum Zweck handelt: 346 Zitat Aber es wird weder Friede noch Gerechtigkeit auf Erden geben, so lange die Menschen ihre Würde als Geschöpfe und als Kinder Got tes nicht erkennen. Losgelöst von Gott, wird der Mensch sich selbst und den Mitmenschen zum Ungeheuer: die gegenseitigen mensch lichen Verbindlichkeiten setzen die rechte Bindung des menschli chen Gewissens an Gott voraus, die Quelle aller Wahrheit, Gerech tigkeit und Liebe. 347 Ohne Bindung an „höhere“ Regeln und Wertsetzungen, also an eine über dem Individuum stehende Ordnung, scheint ein friedvolles Zusammenleben der Menschen nicht möglich. In seiner zweiten Sozialenzyklika, Pacem in terris (Über den Frieden auf Erden), von 1963 spricht Johannes XXIII. von der „Ordnung im Universum“ und betont die dortige Stellung des Menschen als Ge schöpf Gottes, ausgestattet mit Würde, Gewissen, Verstand und Freiheit. Mit dem Gewissen habe Gott dem Menschen die Grundla gen einer Ordnung in sein Inneres als unbedingte Voraussetzung für ein friedv olles Miteinander eingeprägt, einen krassen Gegensatz bildend zur vorfindlichen Unordnung, die zwischen den Menschen und zwischen Ländern in Form von Konfliktlösungen, die auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken, besteht. 348 Dem Papst steht hier wohl die weltpolitische Situation vor Augen, der Ost <?page no="145"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 144 West Konflikt nimmt immer bedrohlichere Formen an. Kurz nach dem Erscheinen von Mater et magistra am 15. Mai 1961 erreicht der Kalte Krieg mit dem Bau der Berliner Mauer, es ist der 13. August des Jahres, einen neuen Höhepunkt. Gut ein Jahr später, im Oktober 1962, hält die Kubakrise, in der Johannes XXIII. mit einem Friedens appell an die Supermächte selbst eine Rolle spielt, 349 die Welt in Atem. Während zwischen der ersten Sozialenzyklika, Rerum novarum, und Quadragesimo anno 40 Jahre und weitere 30 Jahre bis zur Veröffentli chung von Mater et magistra vergangen sind, erscheinen mit Mater et magistra, Pacem in terris (1963) und Populorum progressio (1967) drei große Sozialenzykliken innerhalb von nur mehr sechs Jahren. Ein Spiegelbild dieses verstärkten Engagements findet sich auch in einer Vielzahl direkter Maßnahmen und Unternehmungen der Kirche im Bereich der sozialen Unterstützung und Entwicklungshil fe wieder. In Deutschland nimmt ab den 1950er Jahren die Caritas international an Einsätzen der Not und Kat astrophenhilfe teil, 1953 wird der Malteser Hilfsdienst gegründet, 1958 entsteht das bischöf liche Hilfswerk Misereor, 1959 findet die erste Sternsinger Aktion des Kinderhilfswerks statt, und 1961 entsteht das bischöfliche La teinamerika Hilfswerk Adveniat. 1962 wird eine umfangreiche Zusammenarbeit zwischen den katholischen und den ebenfalls stark expandierenden evangelischen Hilfsorganisationen und dem Bundes ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wicklung vereinbart. Schließlich wird im Vatikan 1971 der päpstli che Rat Cor Unum gegründet, der die Tätigkeit der inzwischen überall auf der Welt entstandenen katholischen Hilfsorganisationen koordinieren soll. Pacem in terris - Papst Johannes XXIII. 1963 Im Mittelpunkt der Friedensenzyklika Pacem in terris steht das Zu sammenleben der Menschen und der Völker. Im Wesentlichen wird nach den Voraussetzungen eines friedlichen Miteinanders und nach den Regeln eines friedvollen Zusammenlebens gefragt. Dazu wird <?page no="146"?> Pacem in terris - Papst Johannes XXIII. 1963 145 unterschieden in die Ordnung 1. zwischen den Menschen, 2. zwi schen den Menschen und dem Staat, 3. zwischen den Staaten sowie 4. zwischen den Staaten und der Völkergemeinschaft. Zu 1. Grundvoraussetzung für ein geordnetes Zusammenleben der Menschen untereinander sind die Anerkennung und das Bewusst sein dafür, dass jedem Menschen aus seiner Natur hervorgehende Rechte und Pflichten entstehen, die unverletzlich, allgemeingültig und nicht veräußerbar sind. Diese durch das natürliche Recht be stimmten Faktoren strukturieren die Ordnung zwischen den Men schen. Dazu zählen die Rechte de s Menschen auf Leben, Unver sehrtheit des Körpers und auf die geeigneten Mittel zu angemesse ner Lebensführung. Eine angemessene Lebensführung im Sinne der Enzyklika beinhaltet die Grundversorgung mit Nahrung, Kleidung, Wohnung, die Möglichkeit zur Erholung, den Zugriff auf ärztliche Leistungen und notwendige vom Staat bereitzustellende Dienstleis tungen wie der Be istand im Falle von Krankheit, Invalidität, Ver witwung, Alter und Arbeitslosigkeit. Gerät der Mensch unver schuldet in Not, so soll ihm von der Gemeinschaft das zum Lebens erhalt Notwendige gegeben werden. 350 Diese aus dem natürlichen Recht abgeleiteten Ansprüche werden ergänzt durch das Recht auf freie Meinungsäußerung, freie Berufswahl, den freien Zugang zu Bildung, Religionsfreiheit, Versammlungs und Vereinigungsfrei heit sowie das Recht auf die freie Wahl des Wohnorts. 351 Zu den spezifischen „Rechten in wirtschaftlicher Hinsicht“ zählt Johan nes XXIII. den Anspruch auf eine Arbeitsmöglichkeit einschließlich der Freiheit, diese zu akzeptieren oder nicht, aber auch das Recht auf angemessene Arbeitsbedingungen und eine Entlohnung, die eine menschenwürdige Lebensführung ermöglicht. Nicht zu ver gessen, wie in anderen Enzykliken auch, das aus dem Naturre cht abgeleitete Recht auf Privateigentum, das jenes an Produktionsmit teln einschließt und natürlich auch die Beachtung der sozialen Funktion des Eigentums erfordert. 352 Die Rechte des Menschen sind gesetzlich zu schützen, sie müssen politisch wirksam, unparteiisch, frei von Willkür sein und unter Berücksichtigung von Gerechtig keitsnormen durchgesetzt werden können. Dies setzt die Ermögli <?page no="147"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 146 chung der Teilhabe der Individuen am politischen Prozess und die faktische Wahrnehmung dieser Möglichkeiten voraus. Aus der Weihnachtsbotschaft seines Vorgängers Pius XII. zitiert Johannes XXIII.: „Weit entfernt, nur Gegenstand und gleichsam ein passives Element des sozialen Lebens zu sein, ist und muß er [der Mensch; d. Verf.] vielmehr dessen Träger, Grundlage und Zi el sein.“ 353 Die mit den Rechten zusammenhängenden Verpflichtungen des Einzel nen klingen hier unmittelbar an, sind darüber hinaus aber bereits durch die christliche Grundauffassung angezeigt, dass das Leben von Gott gegeben ist. Aus diesem „Lebensgeschenk“ an den Men schen erwächst dessen Pflicht zum Lebenserhalt. Das Recht auf Leben geht also mit der Pflicht zum Erh alt des Lebens einher. Dar über hinaus besteht für jeden Menschen die Pflicht, die Rechte der Mitmenschen anzuerkennen und Verantwortung für die Gemein schaft zu tragen. 354 Zu 2. Die Beziehung zwischen den Menschen und dem Staat wird vor allem durch das Vorhandensein einer Regierung geprägt. Die Notwendigkeit einer Regierung ergibt sich zum einen aus der Ein sicht, dass eine geordnete Gesellschaft nicht ohne Leitungsinstanz auskommen kann und zum anderen aus der Überzeugung, dass die in der Welt vorfindbaren Strukturen zum indest im Großen und Ganzen einer von Gott vorgegebenen Ordnung entsprechen. In den Ausführungen geht es nicht darum, irgendeine konkrete Regierung zu legitimieren, sondern vielmehr um die Behandlung des Kon zepts von Staat und Regierung an sich. Gott habe die Menschen nicht als Gemeinschaftswesen im Sinne jeglicher Abwesenheit von Autorität und Hier archie geschaffen, im Gegenteil, eine Gemein schaft könne nur bestehen, wenn an ihrer Spitze eine Autorität, eine Regierung steht. Zur Begründung verweist Johannes XXIII. auf den Kommentar des heiligen Johannes Chrysostomus zum Römerbrief 13, 1-6: „Was sagst du? Ist jeder einzelne Fürst von Gott eingesetzt? Das behaupte ich nicht; denn ic h habe jetzt nicht von den einzelnen Fürsten zu reden, sondern über die Sache an sich. Daß es Fürsten tümer gibt und daß die einen befehlen, die anderen gehorchen, und daß alles nicht zufällig und planlos verursacht ist, das ist Sache der <?page no="148"?> Pacem in terris - Papst Johannes XXIII. 1963 147 göttlichen Weisheit, behaupte ich.“ 355 Einer Regierung ist damit nicht der Freibrief zum beliebigen Handeln ausgestellt, sie ist an die Vernunft und die Regeln einer sittlichen Ordnung gebunden und dem Gemeinwohl verpflichtet. 356 Ein Staat bezieht seine Existenzbe rechtigung sogar aus der Verfolgung des Ziels des Gemeinwohls, worin durchaus Parallelen bis hin zu modernen ökonomischen Zielauffassungen der Wohlfahrtssteigerung gesehen werden kön nen. In Anlehnung an Thomas von Aquin ist ein Gesetz (der Men schen) nur dann ein wirkliches Gesetz, insofern es der rechten Ver nunft gemä ß ist, also vom ewigen Gesetz abgeleitet ist. Hingegen gilt ein Gesetz als ungerecht, wenn es von der Vernunft abweicht. Streng genommen hört es dann auf, ein wirkliches Gesetz zu sein, es wird vielmehr zu einer „Gewalttätigkeit“. 357 Die Verfolgung des Gemeinwohlziels verlangt von der Regierung, alle Bürger in glei cher Weise profitieren zu lassen, ohne Bevorzugung einzelner Per sonen oder Gruppen. Eine Ausnahme bildet lediglich die Unterstüt zung der Schwächeren, geboten durch den Grundsatz der „Gerech tigkeit und Billigkeit“. Das Gemeinwohl basiert allerdings nicht nur auf rein materiellem Wohlst and, eingeschlossen ist ebenso die Wah rung der Rechte und Pflichten der Menschen, deren Sicherstellung insbesondere Aufgabe der Politik ist. Der soziale Erfolg muss dem zufolge neben dem wirtschaftlichen stehen, da ohne den sozialen Fortschritt die persönlichen Rechte des Einzelnen nicht wirklich umgesetzt werden. Mit anderen Worten, der Staat und se ine Ver antwortlichen haben dafür Sorge zu tragen, dass dem Einzelnen die Wahrnehmung seiner Rechte und Pflichten ermöglicht bzw. verein facht wird und die Privilegierung einzelner Personen oder Gruppen ausgeschlossen ist. Anordnungen, die zu den Rechten und Pflichten in Widerspruch stehen, sind als nicht verpflichtend anzusehen. 358 Zu 3. Das für die Ordnung zwischen den Menschen grundlegende Zusammenspiel von Wahrheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Frei heit - das natürliche Sittengesetz - soll, übertragen auf die Natio nen, deren Miteinander, die Beziehungen zwischen den Staaten regeln. Durch diese Übertragung des natürlichen Sittengesetzes werden die Staaten wie die Menschen zum Träger gegenseitiger <?page no="149"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 148 Rechte und Pflichten. 359 Für die Beziehungen zwischen den Staaten stellt Johannes XXIII. vier Prinzipien auf: Erstens, alle Staaten müs sen hinsichtlich ihrer natürlichen Würde, Existenzberechtigung und des Rechts auf Eigenverantwortung gleichgestellt („von der Wahr heit geprägt“) sein. Die Überlegenheit einer Nation in auch nur einem einzigen Aspekt kann niemals einen irgendwie gearteten Herrschaftsanspruch rechtfertigen, si e stellt vielmehr eine Verpflich tung dar, zum gemeinsamen Fortschritt beizutragen. 360 Zweitens folgen aus der Gerechtigkeit die Anerkennung und der Respekt der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Staaten, daher „dürfen auch die Staaten nicht - wenn sie nicht ein Verbrechen begehen wollen - einen solchen Vorteil erstreben, durch den anderen Nationen Un recht zugefügt oder sie ungerecht bedrückt würden“. 361 Drittens sollen die Beziehungen zwischen den Ländern durch tätige Solidari tät, vor allem in Form gegenseitiger Zusammenarbeit, geprägt sein. 362 Bereits die ungleiche Ausstattung mit Produktionsfaktoren lässt eine solche gegenseitige internationale Zusammenarbeit, die die Erleichterung des Austauschs nicht nur von Gütern und Fakto ren, sondern auch von Menschen zum Ziel hat, geboten erscheinen, da auf diese Weise die Ungleichheit zwischen den Staaten abgebaut wird. In diesem Zusammenhang wirbt Johannes XXIII. auch fü r ein friedliches Zusammensein der Völker, er erklärt den Frieden als ein wertvolles Gut für den Einzelnen wie für die Länder und warnt vor den ungleichen ökonomischen Lasten infolge des Rüstungswett laufs. 363 Viertens schließlich müssen die Beziehungen der Länder von Freiheit bestimmt sein. Keiner Nation steht das Recht zu, sich in ungebührlicher Weise in die Angelegenheiten anderer Länder ein zumischen oder Handlungen zu unternehmen, die darauf abzielen, diese zu unterdrücken. 364 Zu 4. Der technische Fortschritt hat im Zeitablauf ganz wesentlich zu einer immer stärkeren internationalen Zusammenarbeit beigetra gen. An diese Tatsache knüpft der Papst die Hoffnung des Entste hens einer „Wirtschaftsgemeinschaft der ganzen Welt“, in der der Wohlstand und der Fortschritt des einen Staates gleichermaßen als Folge und Ursache des Wohlstands und Fortschritts des an deren <?page no="150"?> Pacem in terris - Papst Johannes XXIII. 1963 149 Staates interpretiert werden können. Johannes XXIII. leitet daraus das Bild eines umfassenden, die ganze Menschheit betreffenden Gemeinwohls ab. 365 Zur Förderung dieses weltweiten Gemeinwohls reiche das bestehende System von Diplomatie und Verträgen aller dings nicht aus, weshalb die Einführung einer „universalen politi schen Gewalt“ geboten erscheint. Die Autorität einer solchen Ein richtung muss durch allgemeine Übereinkunft, nicht gewaltsam erwirkt werden, denn sonst stünde diese Institution im Verdacht, nur den Interessen ein zelner Nationen zu dienen. 366 Dieser „univer salen politischen Gewalt“ - Papst Benedikt XVI. wird 2009 in seiner Enzyklika Caritas in veritate von einer „echten politischen Weltauto rität“ sprechen und ebenso Papst Franziskus in der Umweltenzykli ka Laudato si’ von 2015 - soll die Aufgabe zugesprochen werden, die Weltwirtschaft zu steuern, um den von wirtschaftlichen Krisen betroffenen Staaten, insbesondere den armen Ländern dieser Welt, eine reale Chance auf Verbesserung der Lebensbedingungen frei von existenziellen Nöten zu ermöglichen. 367 Die Grundeinsichten aus dem natürlichen Recht, die christliche Auffassung von Gemein schaft und Zusammenleben der Menschen einschließlich der An wendung des Subsidiaritätsprinzips (auch im globalen Maßstab) sowie die Erkenntnis des Friedens als Gut leiten zu dieser Sichtwei se, der Vorstellung nämlich einer weltumgreifenden Sozialordnung, in denen moralische Maßstäbe auch tatsächlich umgesetzt werden. Beispie le, die den Rahmen einer möglichen Durchführungspraxis aufzeigen, sind, analog zur Vorstellung, dass ein Staat zum Zweck der Förderung des Gemeinwohls die Rechte der Menschen nicht beschädigen darf, die unbedingte Beachtung der Rechte der einzel nen Staaten seitens der universellen politischen Gewalt und weiter hin das Tätigwerden der Organisation der internationa len Staaten gemeinschaft, wenn ein einzelner Staat aufgrund der Bedeutung, Komplexität oder Dringlichkeit einer Problemlage diese zu lösen außerstande ist (Anwendung des Subsidiaritätsprinzips). Als Schrit te in die richtige Richtung, respektive Basis für eine zukünftige politische Ordnung, nennt Johannes XXIII. die Gründung der Ver einten Nationen im Jahr 1945, vor al lem aber die Erklärung der <?page no="151"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 150 Menschenrechte auf der Generalversammlung der Vereinten Natio nen im Dezember 1948. 368 Die Enzyklika Pacem in terris endet mit pastoralen Weisungen des Papstes. Formuliert werden Dialogangebote im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kontext. Wie in den meisten Enzykliken zuvor wird hervorgehoben, dass es selbst bei tiefer Uneinigkeit über prinzipielle Lehrmeinungen und Weltanschauungen möglich sei, Gemeinsamkeiten und gute Kompromisse bei konkreten Problemen zu finden, und der Weg dahin ein geduldiges und behu tsames, an stelle eines stürmischen und revolutionären Vorgehens erfordere. 369 Am 3. Juni 1963 stirbt Papst Johannes XXIII., Kardinal Giovanni Battista Montini wird zu seinem Nachfolger, Paul VI., gewählt. Unter Paul VI. wird das II. Vatikanische Konzil, das in den Jahren 1962 bis 1965 stattfindet, zu Ende geführt. Im Ergebnis positioniert sich die Kirche insbesondere auch zu weltlichen Themen, themati siert den Men schen als Urheber, Mittelpunkt und Ziel des wirt schaftlichen und kulturellen Lebens, als Träger und Ziel aller gesell schaftlichen Institutionen und argumentiert, dass zur Ausübung ihres Auftrags die Kenntnis dessen, was in der Welt (politisch, kul turell, wirtschaftlich etc.) passiert, notwendig und ein offener Dialog mit ihr unabdingbar sei. Ei ne grundlegende Positionsbestimmung wird etwa in Bezug auf politische Systeme (Befürwortung der De mokratie und parlamentarischer Monarchien, Ablehnung autoritä rer Staatsmodelle), das Eigentum (Schutz des Privateigentums) und die Untersagung kriegerischer Auseinandersetzungen (Ausnahme ist die Landesverteidigung) vorgenommen. Dargelegt sind die Er gebnisse des Konzils u. a. in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes (Freude und Hoffnung) „über die Kirche in der Welt von heu te“. Der Text von Gaudium et spes geht auf einen Entwurf der Kon zilsväter zurück, der am 7. Dezember 1965 von Papst Paul VI. promulgiert (in Kraft gesetzt) wird. Obwohl dieses Dokument eine wichtige Bedeutung für die katholische Soziallehre besitzt, ist die Fragestellung dort eine andere als in den Sozialenzykliken. In den Sozialenzykliken geht es darum, wie eine au s Sicht der Kirche idea le Wirtschafts und Sozialordnung ausgestaltet sein sollte, hingegen <?page no="152"?> Pacem in terris - Papst Johannes XXIII. 1963 151 in Gaudium et spes, wie sich die Kirche innerhalb einer gegebenen Ordnung selbst zu verhalten habe. Viele Impulse zur Stellung und Behandlung der sozialen Fragen im Allgemeinen und der Entwick lungsländer im Speziellen, wie sie in Gaudium et spes ihren Nieder schlag finden, lassen sich auf die Zeit vor dem II. Vatikanischen Konzil zurückführen. 370 Zur Person: Papst Paul VI. Giovanni Battista Montini wird am 26. September 1897 in Con cesio bei Brescia als Sohn eines Parlamentsabgeordneten und Anwalts geboren. Er besucht das Priesterseminar in Brescia und wird 1920 zum Priester geweiht. Im Anschluss studiert er in Mailand und Rom und promoviert in Recht und Theologie, be vor er an die päpstliche Diplomatenakademie wechselt. Papst Paul VI. Ab 1922 arbeitet Montini im päpstlichen Staatssekretariat, nach seiner Ernennung zum Substituten 1937 wird er enger Mitarbeiter und Stellvertreter des Staatssekretärs Pacelli, dem späteren Papst Pius XII. Dieser befördert Montini 1952 zum Pro Staatssekretär und ernennt ihn 1954 zum Erzbischof von Mailand. 1958 erfolgt die Ernennung zum Kardinal durch Papst Johannes XXIII. <?page no="153"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 152 Im Juni 1963 wird Kardinal Montini zum Papst gewählt und nimmt den Namen Paul VI. an. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt kündigt er die Fortsetzung des II. Vatikanischen Konzils an. Im Anschluss an die letzte Sitzung des Konzils im Dezember 1965 beginnt Paul VI. mit der Umsetzung der Beschlüsse, wobei er die Kirche erfolgreich durch eine Perio de der Umwälzungen steuert. Eine Neuerung stellen auch die Auslandsreisen des Papstes dar, Paul VI. besucht u. a. Is rael, Indien, Uganda, Kolumbien und die Philippinen und spricht vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York und vor der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf. Am 6. August 1978 verstirbt Papst Paul VI. in Castel Gandol fo. 371 Populorum progressio - Papst Paul VI. 1967 Ab Februar 1965 greifen die USA direkt in den Vietnamkrieg ein. Widerstände formieren sich schnell. Noch im Herbst des Jahres werden in vielen US amerikanischen Städten sogenannte Friedens paraden abgehalten, zu regelrechten landübergreifenden Anti kriegsdemonstrationen kommt es ab 1967. Nicht nur in den USA bilden sich Bürgerrechts und Friedensbewegungen. Im Kontext der internat ionalen Wirtschaftsbeziehungen, den Welthandelsrunden, findet in den Jahren 1964 bis 1967 in Genf die Kennedy Runde des Allgemeinen Zoll und Handelsabkommens (GATT) statt. 372 In den Verhandlungen wird immer mehr von einer Politik der Zollsen kungen Abstand genommen - die Zölle haben ohnehin ein relativ niedriges Niveau erreicht - und der Blick zunehmend auf die Inter nationalisierung von Abkommen (Multilateralisierung) gerichtet. Auch der Begriff des Nord Süd Konflikts greift weiter um sich, und Vertreter der Entwick lungsökonomik, allen voran der Nobelpreis träger der Wirtschaftswissenschaften von 1979, Theodore W. Schultz (1902-1998), propagieren Investitionen in das Humankapi <?page no="154"?> Populorum progressio - Papst Paul VI. 1967 153 tal in Form von Ausgaben in die Bildung (vor allem zur Vermitt lung von Schreib und Lesefähigkeiten) und in die Gesundheit. Die Verbesserung des Humankapitals wird als das wirksamste Mittel zur Unterstützung der Menschen in den armen Ländern erachtet, insbesondere der im Agrarsektor der Entwicklungsländer Tätigen. Auch in der Kirche wird der wir tschaftlichen Entwicklung in diesen Lä ndern hohe Aufmerksamkeit geschenkt. Mit der Enzyklika Popu lorum progressio (Über den Fortschritt der Völker), aus dem Jahre 1967, rückt die Armut in den Entwicklungsländern nun vollständig ins Zentrum der kirchlichen Soziallehre. Die soziale Frage ist inzwi schen zu einem weltweiten Phänomen geworden. 373 In seiner Sozia lenzyklika führt Paul VI. aus, dass eine eindeutige Verschärfung der Situation in den Entwicklungsländern in Form einer „Störung des Gleichgewichts“ stattgefunden hat. Die einen Länder erzeugen Nahrungsmittel im Überfluss, während andere Länder unter erheb lichem Mangel zu leiden haben oder im Falle der Erwirtschaftung ihrer allenfalls geringen Überschüsse au f keinerlei gesicherte Ab satzmöglichkeiten vertrauen können. Hier wird nicht zuletzt auch verdeutlicht, dass die Menschen zu ihrer Entfaltung neben nationa ler Selbstständigkeit und persönlicher Freiheit auch der gesellschaft lichen und vor allem wirtschaftlichen Entwicklung bedürfen. 374 Aber auch das Verteilungsproblem in den Entwicklungsländern gilt es dringlich zu lösen, da in einigen Ländern ein „Skandal schreien der Ungerechtigkeit“ vorherrscht. Eine kleine Schicht genießt alle Vorteile der Zivilisation, während die restliche Bevölkerung ihr Dasein in Armut fristet. 375 Wissen: Personalität Zusammen mit Solidarität und Subsidiarität bildet die Per sonalität das dritte grundlegende Prinzip der katholischen Soziallehre. Während die Solidarität aus der Eigenschaft des Menschen als soziales Wesen entsteht, das nur mit anderen im mitmenschlichen Zusammenhalt lebt, woraus das gegen seitige Füreinandereintreten erfolgt, wird die Subsidiarität mit der Autonomie des Menschen als freies Wesen begrün <?page no="155"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 154 det, das in kleinen Einheiten, beginnend bei der Familie, ei genverantwortlich handeln kann und soll. Die Begründung der Personalität hingegen findet sich in der Würde des Men schen als vernunftbegabtes Wesen verankert. 376 Kardinal Joseph Höffner beschreibt die Personalität als Grundlage und Voraussetzung der sozialen Wesenslage des Menschen und als das der Soziallehre zugrunde liegende Menschenbild, das durch folgende Aussagen charakterisiert werden kann: Jeder Mensch ist einmalig, unterscheidet sich und grenzt sich von jedem anderen Wesen ab. Durch seinen Verstand überragt der Mensch die Ding welt, er ist fähig, „seinen Schöpfer zu erkennen und zu lieben“. Der Mensch besteht in sich selbst, er ist nicht Teil eines anderen oder von etwas anderem. Der Mensch ist Träger seines Denkens, Handelns und Un terlassens. Alle Taten eines Menschen sind seine Taten, unberührt von einer zeitlichen Distanz dieser Taten. Durch seine Willensfreiheit ist der Mensch „Herr seiner selbst“, auch wenn er durch die Umwelt in vielfacher Weise beeinflusst wird. Der Mensch ist für seine Taten und Entscheidungen selbst verantwortlich. Der Mensch ist Träger eines Gewissens, in ihm lebt die vorgegebene Norm eines sittlich verpflichtenden „Du sollst“ oder „Du sollst nicht“. Die Aspekte der Freiheit, der Verantwortung und des Gewissens lassen den Personenkern „bei sich allein“, so dass Einsamkeit ein Grunderlebnis des Menschen ist. Der Mensch ist sich seines Fremdursprungs bewusst. Während er für seine Taten selbst verantwortlich ist, be zieht sich diese Verantwortung nicht auf seine Existenz. Sein Dasein verdankt er der „schenkenden Liebe Gottes“, <?page no="156"?> Populorum progressio - Papst Paul VI. 1967 155 und er weiß zugleich um die „Vorläufigkeit seines irdi schen Lebens“. Schließlich ist der Mensch „von seinem Ursprung her“ zur Gemeinschaft und zum Dialog mit Gott aufgerufen. 377 Personalität ist eine Ausdrucksform des personalen Selbst bewusstseins, die durch Beziehungen zu und Begegnungen mit anderen entsteht. Indem es dem Menschen gelingt, über sich hinauszuwachsen, wird er zu dem, der er sein soll, die Persönlichkeit beginnt, sich frei zu entfalten. Dieses Mensch bild führt zur Betonung der menschlichen Würde in der ka tholischen Soziallehre und zur Forderung nach der vollen Entfaltung der menschlichen Person. 378 Zur Lösung der sozialen Probleme in den Entwicklungsländern reichen die karitativen Bemühungen einzelner Personen oder ein zelner Institutionen einfach nicht aus, es bedarf eines weltweiten, gemeinsamen Handelns und einer klaren Konzeption. Und bei der Suche nach Lösungen müssen nicht nur die rein ökonomischen Aspekte Berücksichtigung finden - Entwicklung sei schließlich mehr al s Wirtschaftswachstum -, sondern es seien die gesamten Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen mit einzubeziehen. Paul VI. beruft sich hier auf den französischen Sozialwissenschaftler und Dominikaner Louis Joseph Lebret (1897-1966), einem der Autoren der pastoralen Konstitution Gaudium et spes und einflussreicher Ideengeber bei Populorum progressio, indem er aus dessen Buch Dy namique conrète du développement, Paris 1961, zitiert: „Wir lehnen es ab, die Wirtschaft vom Menschlichen zu trennen, von der Entwick lung der Kultur, zu der sie gehört. Was für uns zählt, ist der Mensch, jeder Mensch, jede Gruppe von Menschen bis hin zur ge samten Menschheit.“ 379 Den Menschen in seinem ganzen Wesen zu begreifen heißt auch, ihn in der ihm von Gott zugewiesenen Aufgabe und im Rahmen der ihm von Gott gegebenen Möglichkeiten zu akzeptieren, ihn sich entwickeln und entfalten zu lassen, ihn zu unterstützen. Dies <?page no="157"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 156 schließt allerdings nicht ein, die Verantwortung für sein Tun zu übernehmen, denn dafür und für seine Fortschritte, Erfolge, aber auch sein Versagen ist er selbst verantwortlich, daran kann er wach sen und sich vervollkommnen. Da der Mensch ein Mitglied der Gemeinschaft und in letzter Konsequenz der ganzen Menschheit ist, obliegt ihm au ch die Verpflichtung, „zur vollen Entwicklung der ganzen menschlichen Gesellschaft beizutragen“, was Anstrengun gen zur erfolgsorientierten wirtschaftlichen Entwicklung ebenso einschließt wie die Berücksichtigung entstehender Konsequenzen des eigenen Handelns für andere, die Umwelt oder die Interessen zukünftiger Generationen. 380 Wachstum und Entwicklung können sich dabei als Fluch und Segen gleichermaßen herausstellen. Fluch, wenn sie „zu maßloser Gier führen, zum Verlangen nach immer mehr Besitz und zum Streben nach immer größerer Macht“, Segen, wenn sie darauf gerichtet sind, das Lebensnotwendige zu besitzen, soziale Missstände zu überwinden, das Wissen zu erweitern und B ildung zu erwerben. 381 Unter Berufung auf das Buch Genesis 1, 28, „Erfüllt die Erde und macht sie euch untertan“, gilt der Kirche die gesamte Schöpfung als in die Hände des Menschen gegeben, die Erde ist für den Menschen da. Unter dieser Voraussetzung stellt die Erde jedem Menschen die Mittel für seine Existenz und seine Entwick lung bereit, worin Paul VI. das Recht des Menschen begründet sieht, „auf ihr das zu finden, was er nötig hat“. 382 Mit Verweis auf das II. Vatikanische Konzil wird das „Grundgesetz“ des Zugriffs auf die irdischen Güter und der Verteilung unter den Menschen angeführt: „Gott hat die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen für alle Menschen und Völ ker bestimmt; darum müssen diese geschaffenen Güter in einem billigen Verhältnis allen zu statten kommen, dabei hat die Gerech tigkeit die Führung, Hand in Hand geht mit ihr die Liebe.“ 383 Alle anderen Rechte, wie das Eigentumsrecht oder der freie Tausch, sind dem „Grundgesetz“ unterzuordnen, da in ihm der ursprüngliche Sinn solcher Rechte liege. Bekräftigt wird dies mit einem Zitat des heiligen Ambrosius zum Verhältnis der Besitzenden gegenüber den Notleidenden: „Es ist nicht dein Gut, […] mit dem du dich gegen <?page no="158"?> Populorum progressio - Papst Paul VI. 1967 157 den Armen großzügig weist. Du gibst ihm nur zurück, was ihm gehört. Denn du hast dir herausgenommen, was zu gemeinsamer Nutzung gegeben ist. Die Erde ist für alle da, nicht nur für die Rei chen.“ 384 Diese Einschränkung des Eigentumsrechts, die selbst den Einsatz des Instruments der Enteignung legitimiere, begründet der Papst abermals mit Hinweis auf das Konzil. Demnach kann eine Enteig nung erfolgen, wenn das Eigentum - gemeint ist insbesondere der Grundbesitz - zu groß ist, in zu geringem Ausmaß, überhaupt nicht oder erfolglos genutzt wird, wenn di e Bevölkerung durch die Kon zentration des Eigentums Not leidet, die Interessen des Landes Schaden nehmen oder das Gemeinwohl beeinträchtigt wird. Eigen tum dürfe weder dem „willkürlichen Belieben der Menschen“ noch der „egoistischen Spekulation“ überlassen werden, und auch die Kapitalflucht ins Ausland wird als offensichtliches Unrecht beklagt. Als irrige Vors tellungen werden dargelegt: Gewinnstreben als ei gentlicher Motor des wirtschaftlichen Fortschritts, Wettbewerb als oberstes Gesetz der Wirtschaft, Eigentum an den Produktionsmit teln als ein absolutes Recht, dem weder Schranken noch Verpflich tungen auferlegt sind. Die Kritik richtet sich allerdings nicht gegen den wirtschaftlichen und industriellen Fortschritt, sondern gegen die Begleiterscheinungen und den ungehemmten Li beralismus, der zu einer „Abart“ des Kapitalismus führe. 385 Paul VI. ruft zu zügigem und koordiniertem Vorgehen gegen die internationalen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten auf und mahnt ebenfalls zur Besonnenheit, da unbedachte und übereilte Reformen soziale Missstände verschlimmern und letztlich sogar zu einem Rückschritt führen könnten. Auch warnt er davor, extremen sozialen Ungerechtigkeiten und Missständen mit Gewalt zu begeg nen, da Gew alt meistens nur neues Unrecht hervorrufe. Den Me chanismus des freien Wettbewerbs hält er für ungeeignet, den Ent wicklungsfortschritt in einem Land zu garantieren. Das Risiko, die Reichen und Starken durch den Wettbewerbsprozess noch stärker zu fördern und das Elend der Unterdrückten noch härter werden zu lassen, wird als zu hoch erachtet. Um die Lücke zwi schen den ent <?page no="159"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 158 wickelten und weniger entwickelten Ländern zu schließen, werden gut koordinierte Programme zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Entwicklungsländer empfohlen, die den sozialen Fortschritt ebenso berücksichtigen wie den materiellen. Eine genaue Ausgestaltung solcher Programme wird in der Enzyk lika nicht vorgenommen, stattdessen finden sich Gedanken und Leitvorstellungen grundlegender Art, die bei der Dur chführung von Unterstützungsmaßnahmen berücksichtigt werden sollten. So steht an oberster Stelle eines jeden Programms, das auf die Steige rung der Produktion in einem Land zielt, der Grundsatz, dass die ses nur insoweit Berechtigung hat, als es dem Menschen dient. Der Ei ns at z auch mo der ner Te chn olo gien sc h ü tz e nich t vo r Fehle rn, wi e auch der Liber alismus zu Fehlentwicklungen führe. Und weiter dürfe wirtschaftlicher Fortschritt nur in seiner Abhängigkeit vom sozialen Fortschritt gesehen werden, was sich etwa am Beispiel der Bildung deutlich zeige. 386 Zitat Wirtschaft und Technik erhalten ihren Sinn erst durch den Men schen, dem sie zu dienen haben. Und der Mensch ist nur in dem Maß wahrer Mensch, als er, Herr seiner Handlungen und Richter über ihren Wert, selbst der Meister seines Fortschritts ist, in Übereinstim mung mit seiner Natur, die ihm der Schöpfer gegeben hat und zu deren Möglichkeiten und Forderungen er in Freiheit sein Ja sagt. 387 Angesichts einer steigenden Weltbevölkerung, insbesondere auch eines bereits in den 1950er und 1960er Jahren historisch beispiello sen Ausmaßes, mit dem die Bevölkerungen der Entwicklungsländer gewachsen sind, 388 sowie der damit einhergehenden zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich, ist die Zukunft der menschlichen Zivilisation in steigendem Maß von der solidarischen Entwicklung der Menschheit abhängig. Hieraus leitet Paul VI. eine Pflicht der reichen Völker ab, den Entwicklungsländern zu helfen und zu einer höheren sozialen Gerechtigkeit beizutragen. Eine Unterstützung der wirtschaftlich schwa chen durch die mächtigen Staaten helfe auf <?page no="160"?> Populorum progressio - Papst Paul VI. 1967 159 dem Weg zu einer menschlicheren Welt für alle, in der alle geben, aber auch empfangen, „ohne daß der Fortschritt der einen ein Hin dernis für die Entwicklung der anderen ist“. 389 Vorteile, die ein Land etwa aus hohem technischem Fortschritt erzielt, sollen entsprechend auch anderen Ländern (gemeint sind die Entwicklungsländer) zu gutekommen und nicht die Diskrepanz zwischen den Ländern erhöhen. In diesem Zusammenhang kann der Kampf gegen Elend und Hunger nur einen ersten Schritt auf dem Weg bedeuten, eine Welt entstehen zu la ssen, in der jeder Mensch diskriminierungsfrei, d. h. ohne Unterschied seiner Herkunft, Hautfarbe, Religion, ein „volles menschliches Leben“ führen kann, in dem der Begriff Frei heit mehr als nur eine Worthülse ist. Die Solidarität unter den Län dern als eine Pflicht legt insbesondere den reichen Ländern das Erbringen von Opfern auf, etwa in Form von Steuern zur Finanzie rung der Entwicklungshilfe oder höherer Preise für Importgüter, um den Erzeugern an gemessene Preise garantieren zu können: 390 Zitat Der Überfluß der reichen Länder muß den ärmeren zustatten kommen. Die Regel, die einmal zugunsten der nächsten Angehöri gen galt, muß heute auf die Gesamtheit der Weltnöte angewandt werden. Die Reichen haben davon den ersten Vorteil. Tun sie es nicht, so wird ihr hartnäckiger Geiz das Gericht Gottes und den Zorn der Armen erregen, und unabsehbar werden die Folgen sein. Würden sich die heute blühenden Kulturen in ihrem Egoismus verschanzen, so verübten sie einen Anschlag auf ihre höchsten Werte; den Willen, sich durch Leistungen anzureichern, opferten sie der Gier, mehr zu haben. 391 Zur praktischen Durchführung der Unterstützung armer Länder setzt Paul VI. auf Hilfsprogramme, die durch einen „Weltfonds“ finanziert werden sollen. Ein solcher Fonds könnte egoistischen Interessen und Rivalitäten der Geberländer entgegenwirken und durch Einsparungen bei den Rüstungsausgaben finanziert werden. Daneben werden bilaterale und multilaterale Hilfen als notwendig <?page no="161"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 160 und möglich angesehen, wobei der Bezug zum internationalen Fonds das naturgemäß vorhandene Misstrauen gegenüber solchen Hilfen verringern könnte. Ein gut koordinierter Fonds würde die Effizienz der Hilfe vergrößern und der Mittelvergeudung entgegen steuern. In diesem Sinne ruft Papst Paul VI. zu einem unverzügli chen internationalen Dialog auf, bei dem die Geber und Nehmer länder dringend gemeins ame Lösungen entwickeln müssten, denn schließlich gehe es um nichts Geringeres als „den Frieden der Welt“. 392 Das Vorhandensein von sozialer Gerechtigkeit gilt als entscheidend für den Erfolg der Hilfsbemühungen. Nur Handelsbeziehungen, die unter gerechten und fairen Bedingungen ablaufen, bei denen ange messene Löhne und Preise bezahlt werden, sind sozial gerecht. Ungerechte und schwankende Handelsbeziehungen zwischen den reichen und armen Ländern können hingegen die Hilfsbemühun gen zunichtemachen. Paul VI. übertr ägt die Aussagen Papst Leos XIII. aus der Enzyklika Rerum novarum über den gerechten Lohn auf die Gerechtigkeit internationaler Handelsbeziehungen: Das Einver ständnis zwischen den Beteiligten allein reiche nicht aus, um die Gerechtigkeit eines Vertrags zu gewährleisten. Oftmals befinden sich die Vertragspartner in einer ungleichen Situation, in der die Benachteiligten mangels Alternative gezwungen sind, sich auf Ab schlüsse einzulassen, die unter gleich sta rken Partnern niemals Akzeptanz gefunden hätten. Die so entstehenden Preise können also auch dann ungerecht sein, wenn sie unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs zustande gekommen sind. 393 Ein weiteres Problem des internationalen Handels entsteht aus der großen Diskrepanz der Produktionsniveaus zwischen armen und reichen Staaten. Die Industrieländer exportieren überwiegend Fer tigprodukte. Durch technische Innovationen oder Produktdifferen zierung lassen sich die Wertschätzung für die eigenen Produkte und damit auch die Preise und Absatzmöglichkeiten steigern. Da gegen ist der überwiegend von Agrarpro dukten geprägte Export der Entwicklungsländer starken und kaum beeinflussbaren Schwankungen ausgesetzt. Für die Entwicklungsländer ergeben <?page no="162"?> Populorum progressio - Papst Paul VI. 1967 161 sich daraus viele Schwierigkeiten, allen voran die zu geringen Ex porterlöse, um ihre Haushaltsdefizite ausgleichen und ihre Entwick lungspläne finanzieren zu können. Die Konsequenzen sind abseh bar: „Die armen Völker werden dabei immer ärmer, die reichen immer reicher.“ 394 Der freie Handel zwischen den Industrieländern bringe diesen deutliche Vorteile, vor allem dann, wenn „es sich um Partner in nicht allzu ungleicher wirtschaftlicher Lage handelt“ 395 . Hierdurch würden Innovationen befördert und Anstrengungen belohnt, was innerhalb der Industrieländer im Übrigen als gerecht empfunden werde. Dagegen scheint das Prinzip des freien Wettbewerbs im Handel zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungslän dern überaus fragwürdig. Die Fähigkeit des reinen Marktmecha nismus wird bezweifelt, im Falle ungleicher Bedingungen zwischen Ländern Preise zu finden, die für beide Seiten al s zufriedenstellend, ak zeptabel oder gar als gerecht bezeichnet werden können. Zwi schen den entwickelten Volkswirtschaften würden sogar Vorkeh rungen getroffen, ihre Agrarsektoren durch Subventionen zu schüt zen und auf gemeinsamen Märkten mittels geeigneter Instrumente der Finanz , Steuer und Sozialpolitik die Wettbewerbspositionen untereinander zu harmonisieren. Man bemühe si ch also, die durch den Wettbewerb entstehenden Härten mithilfe einer entsprechen den Wirtschaftspolitik zu vermeiden. Mit Blick auf die Entwick lungsländer, zu denen ein weitaus größeres Gefälle und ein, schon allein aus Gründen der Menschlichkeit, weitaus dringender Bedarf zum Ausgleich bestehen, scheinen diese Erkenntnisse ausgeblendet. Paul VI. mahnt, hier ni cht mit zweierlei Maß zu messen und das, was unter den hoch entwickelten Ländern gelte, auch im Verhältnis zwischen den Industrie und den Entwicklungsländern gelten zu lassen. Folglich könne soziale Gerechtigkeit im Rahmen des freien Wettbewerbs nur unter Partnern stattfinden, zwischen denen zu mindest eine gewisse Gleichheit der Chancen besteht. Di es bedeutet nichts anderes, als den Wettbewerb in Bezug auf die Entwicklungs länder zu begrenzen, indem beispielsweise internationale Abkom men getroffen werden, die Preise und Mengen für Güter aus den <?page no="163"?> Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft, globale Herausforderungen 162 Entwicklungsländern regeln oder im Aufbau befindliche Industrien schützen. Solche Hilfe hätte unmittelbare und dauerhafte Wirkung. Über diese die internationalen Beziehungen betreffenden Ausfüh rungen hinausgehend, appelliert Paul VI. direkt an die Verantwor tungsträger in den Industrienationen. Während in den Industrie ländern zu beobachten ist, dass Unternehmer und Manager an ihren Heimatstandorten immer mehr ihrer soz ialen Verantwortung ge recht würden, betrieben sie „in den Entwicklungsländern ihre Ge schäfte nach den unmenschlichen Grundsätzen des krassen Eigen nutzes“, anstatt „als Initiatoren des sozialen Fortschritts und des menschlichen Aufstiegs zu wirken“. 396 Zum Abschluss von Populorum progressio hebt Paul VI. unter der Überschrift „Entwicklung, der neue Name für Friede“ die Bedeu tung übergroßer Unterschiede zwischen den Nationen für die Ge fährdung des Weltfriedens hervor und leitet daraus die Notwen digkeit weiterer wirtschaftlicher und sozialer Fortschritte in den ärmeren Länder ab. In diesem Zusammenhang werden die Ent wicklungsländer als „B aumeister ihres eigenen Fortschritts“ selbst aufgefordert, auf dem Wege gegenseitiger Unterstützung die Ver besserung der eigenen Situation voranzutreiben. Weiterhin aber sollte auf internationaler Ebene allmählich eine „Welt umfassende Autorität“ mit der Aufgabe eingerichtet werden, die Völker einan der näherzubringen. Eindringlich mahnt der Papst, an die Verant wortung aller Menschen appellierend und auf das Sch icksal der vielen in erdrückender Not lebenden Menschen hinweisend, die Entwicklungsprobleme der armen Länder endlich anzugehen. 397 <?page no="164"?> 163 IV. Wirtschaftssysteme in der Krise Die Stagnation der 70er- und 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts tritt nahezu über all auf der Welt, mit Ausnahme einiger asiatischer Länder, eine Phase der wirtschaftlichen Stagnation ein. Während das weltweite Pro Kopf Einkommen zwischen 1950 und 1973 um durchschnittlich 3,4 Prozent im Jahr anstieg, ist in der Zeit von 1973 bis 1987 ein Rückgang von 0, 1 Prozent pro Jahr zu verzeichnen. In den OECD Staaten fällt der Rückgang weniger dramatisch aus, von 3,3 Prozent zwischen 1950 und 1973 auf 1,7 Prozent zwischen 1973 und 1987. 398 Die Arbeitslosigkeit in den OECD Ländern ist ab 1950 konstant niedrig und liegt 1973 noch bei 2,6 Prozent, steigt dann aber stetig bis 1983 auf 7,8 Prozent an. Während die Inflationsrate in den OECD Ländern in den 1950er und 1960er Jahren durchschnittlich etwa vier Prozent beträgt, wächst sie auf über 13 Pro zent im Jahr 1973. 399 Aber auch die Probleme der unterentwickelten Länder ver schärfen sich. Hatte sich das Einkommensverhältnis zwischen den reichsten und ärmsten Ländern in der Wachstumsphase von 1950 bis 1973 von 15: 1 auf 13: 1 reduziert, steigt es danach wieder stetig an und erreicht 1998 einen Wert von 19: 1. 400 Vor allem zwei externe Schocks belasten die Weltwirtschaft zu Be ginn der 1970er Jahre: Im August 1971 erklärt der amerikanische Präsident Richard Nixon die Konvertierbarkeit des Dollars in Gold für beendet. Hintergrund sind hohe Inflationsraten in den USA, Zahlungsbilanzprobleme, ein starker Rückgang der amerikanischen Goldreserven und große spekulative Kapitalbewegungen. Damit entfällt ei n zentrales Element des Bretton Woods Systems, das schließlich 1973 abgeschafft wird. Die monetäre Säule der stabilen Weltwirtschaftsordnung der Nachkriegszeit existiert nicht mehr. Hinzu kommt die erste Ölpreiskrise, nachdem die OPEC ihre Öl <?page no="165"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 164 fördermenge im Herbst 1973 um etwa fünf Prozent drosselt. Der Ölpreis steigt von einem durchschnittlichen Preis von 3,22 US Dollar im Jahr 1972 auf 12,52 US Dollar im Jahr 1974 (in heutigen Preisen entspricht dies einer Steigerung von ungefähr 18 auf nahezu 60 US Dollar pro Barrel, ein Preis, der fast 20 Pr ozent über dem von Anfang 2015 läge). 401 Die Wirtschaftspolitik vieler Länder verändert sich grundlegend, denn angesichts der hohen Inflationsraten, massiv steigender Im portpreise - auch durch den Ölpreisschock bedingt - und der Auf hebung der festen Wechselkurse steigt die Furcht vor Hyperinflati on und Zahlungsschwierigkeiten. Die Zielsetzungen von Vollbe schäftigung und Wirtschaftswachstum erscheinen noch als weniger problematisch, da da s Vertrauen in die Leistungskraft der vorherr schenden keynesianischen Lehre, der Staat könne mit relativ einfa chen Mitteln für Wachstumsimpulse und auf diesem Wege für ein hohes Beschäftigungsniveau sorgen, vielerorts noch ungebrochen ist. Jedoch mehren sich die Zweifel daran zunehmend. Der US Ökonom Milton Friedman (1912-2006, Nobelpreis 1976) wird zum einf lussreichsten Kritiker der These von via Staatsnachfrage gene riertem Wirtschaftswachstum, er vertritt die Idee einer freien Marktwirtschaft mit minimalen staatlichen Interventionen. Neben Friedmans Monetarismus entwickelt sich um den US Ökonomen Robert E. Lucas (geb. 1937, Nobelpreis 1995) und seine Theorie der rationalen Erwartungen die „neue klassische Makroökonomie“. Er untersucht auch die Fra ge, warum aus den wirtschaftlich starken Staaten nicht mehr Kapital in die Entwicklungsländer fließt, da die Kapitalintensität (eingesetztes Kapital pro Arbeitskraft) doch dort viel niedriger ist und sich mit zusätzlich investiertem Kapital eigent lich höhere Erträge erzielen lassen müssten, der Wettbewerbsvorteil also viel größer ist (sogenanntes Lucas Paradoxon). Sowohl im Mo neta rismus als auch in der Theorie der rationalen Erwartungen werden jedoch, wenn auch in modernisierter Form und um eine Reihe neuer Aspekte ergänzt, typische wirtschaftspolitische Ansich ten der klassischen Volkswirtschaftslehre vertreten, wie etwa die Überzeugung von der effektiven Wirkungsweise des Preismecha <?page no="166"?> Die Stagnation der 70er- und 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts 165 nismus. Der Keynesianismus, von dem man zuvor annahm, er hätte die klassische Theorie abgelöst, gerät mehr und mehr in eine defen sive Position. James Tobin, einer der herausragende Vertreter des Keynesianismus in dieser Zeit, konzediert, dass es aufgrund der fehlenden mikroökonomischen Fundierung der keynesianischen Makroökonomie zu falschen Prognosen gekommen sei. 402 Im Jahr 1968 publiziert der amerikanische Mikrobiologe und Öko loge Garrett Hardin (1915-2003) den Aufsatz The Tragedy of the Commons, der zum Ausgangspunkt vielfältiger Überlegungen in der ökonomischen Theorie wird. Im Kern greift Hardin das von dem englischen Ökonomen William Lloyd im 19. Jahrhundert beschrie bene Problem auf, dass in vielen englischen Dörfern von den Be wohnern gemeinsam genutzte Wiesen überweidet wurden, weil die Bewohner ihre Schafe einfach in zu großer Zah l auf das Gemeinei gentum „Wiese“ trieben und es dadurch letztlich beschädigten. Die eigentliche Tragik oder das Trauerspiel der Allmende besteht darin, dass die Dorfbewohner an sich „Gutes“ wollen, dieses aber durch ihr Tun (unbeabsichtigt) beeinträchtigen. Der Grund liegt vor allem darin, dass sie beim Gemeineigentum nicht umfänglich für die Kos ten ihres eigenen Handelns aufkommen müssen. Beschränkte Res sourcen, auf die der Mensch uneingeschränkt Zugriff hat, werden der maximalen Ausbeutung ausgesetzt. Di e Freiheit in der Gemein schaft leitet in ihren Ruin, so Hardins Grundbotschaft. Weiterge hende Überlegungen zu Fragen der globalen Ressourcennutzung führen Hardin schließlich zur Forderung auch nach einer globalen Geburtenkontrolle, um dem Problem der Überbevölkerung und der damit verbundenen übersteigerten Nutzung natürlicher Ressourcen wirkungsvoll zu begegnen. 403 Gegen letztere Forderung wenden sich die Sozialenzykliken spätestens mit Sollicitudo rei socialis (1987) von Johannes Paul II. Andere Lösungen, wie etwa die Regelung der Nutzung von öffentlichem Eigentum über dafür eigens eingerichte te verantwortliche Institutionen, ein Vorschlag, der prominent von der Politikwissenschaftlerin, Umwelt und Institutionenökonomin Elinor Ostrom (1933-2012, Nobelpreis 2009) gemacht wird, errei <?page no="167"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 166 chen die breite wirtschaftswissenschaftliche Diskussion frühestens 20 Jahre später. Der Harvard Ökonom und Philosoph Amartya Sen (geb. 1933, No belpreis 1998) veröffentlicht insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren viel beachtete Schriften zur Ungerechtigkeit, Un gleichheit, Armut und allgemein zu den Theorien von wirtschaftli cher Entwicklung, Wohlfahrt und kollektiven Entscheidungen. Er vertr itt Thesen, nach denen etwa die Lebensqualität in erster Linie von anderen Werten als der Einkommenshöhe und Einkommens verteilung abhängt und ein unterdrücktes und unfreies Leben auch unter auskömmlicher materieller Ausstattung stattfinden kann. Er nennt die Herstellung von echten Verwirklichungschancen und individuellen Freiheiten als Mittel der ersten Wahl zur Verbesse rung der Sit uation der Entwicklungsländer (mehr Chancen und Freiheiten sind Ursache und nicht Folge von steigender Wirt schaftskraft). Um dies zu erreichen und die bestehenden sozialen Ungleichheiten weltweiten Ausmaßes zu verringern, bedarf es einer auf sozialen Konsens ausgerichteten Politik, an der teilzunehmen alle Beteiligten zum aktiven Mittun aufgefordert sind. Die wirtschaftlichen Prob leme der westlichen Industrienationen scheinen in den Staaten des Ostblocks unbekannt. Offiziell gibt es dort weder Inflation noch Arbeitslosigkeit. Inflation wird aufgrund der staatlichen Preisfestsetzung nicht ausgewiesen, ebenso wenig Arbeitslosigkeit, die aufgrund der zentralen Planung und Stellen zuweisungen statistisch nicht auftaucht. Die hohen Ineffizienzen des Systems werden auf diese Weise verschleiert. Da s jährliche Pro Kopf Einkommen wächst in der Sowjetunion in der Zeit von 1973 bis 1990 nur um durchschnittlich 0,74 Prozent pro Jahr. Die anderen osteuropäischen Länder weisen sogar eine jährliche Wachstumsrate von nur 0,51 Prozent auf. 404 Hinzu kommen die immensen Rüs tungsausgaben während des Kalten Krieges, die von den USA we sentlich einfacher gemeistert werden können, schließlich beträgt das Volkseinkommen der USA im Jahr 1990 ca. 7.395 Milliarden US Dollar, das Volkseinkommen der Sowjetunion lediglich 665 Milliar <?page no="168"?> Die Sozialpolitik der BRD seit den 1970er-Jahren 167 den US Dollar und somit weniger als die Hälfte des deutschen Volkseinkommens von 1.460 Milliarden US Dollar. 405 Am 12. November 1968 spricht der Parteichef der sowjetischen KPdSU, Leonid Breschnew, auf einer Rede vor der Polnischen Ver einigten Arbeiterpartei davon, dass die Souveränität der sozialisti schen Ostblockstaaten dort ihre Grenze hat, wo das Interesse der sozialistischen Gemeinschaft gefährdet ist. Die sowjetische Außen politik der nächsten Jahrzehnte trägt die Prägung dieser sogena nn ten Breschnew Doktrin. Mit ihr wird im Nachhinein das militäri sche Eingreifen der Sowjetunion im Prager Frühling im August 1968, aber ebenso der militärische Einsatz in Afghanistan 1979 ge rechtfertigt, sie minimiert die Hoffnungen oppositioneller Gruppen in den Ostblockstaaten auf Reformerfolge. Erst 1980/ 81 wird in Polen die Gewerkschaftsbewegung Sol idarno gegründet, die erneut öffentlich politische Veränderungen fordert. Johannes Paul II. bezeichnet sie später als den Ausgangspunkt für die Um wälzungen in Osteuropa. Die Sozialpolitik der BRD seit den 1970er-Jahren Die gut zwei Jahrzehnte des Wirtschaftswachstums ermöglichen in der Bundesrepublik Deutschland ein bis dahin unerreichtes Niveau an sozialer Sicherung und Arbeitnehmerschutz, einhergehend mit der Stärkung und Ausweitung des Staates in seiner Rolle als sozial Verantwortlichem. Der Staat befindet sich in einem Spannungsfeld, einerseits für die Sicherung von ökonomischer Leistungsfähigkeit durch Aufrechterhaltung mögl ichst weitgehender kompetitiver Strukturen Sorge zu tragen und andererseits das soziale Netz mit der damit faktisch einhergehenden interventionistischen Auswei tung aufzuspannen oder gar ständig zu vergrößern. Mit der kon junkturellen Abkühlung seit Mitte der 1970er Jahre treten jedoch Zweifel an der Finanzierung des bislang erreichten sozialen Absi cherungsniveaus auf. Die Expansion der so zialstaatlichen Maßnah men, wie sie seit den 1950er Jahren stattfand, wird zunächst ge stoppt. Die gesetzliche Rentenversicherung gerät, nicht zuletzt auch <?page no="169"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 168 vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, in immer neue Finanzierungsengpässe, die Ausgaben der gesetzlichen Ar beitslosenversicherung steigen enorm, und die Zuwachsraten bei den Gesundheitsausgaben geraten außer Kontrolle. Erstmals wer den Forderungen nach einer Wende in der Sozialpolitik laut. Die Frage entsteht, ob durch ein weiteres Mehr an Sozialem die wirt schaftliche Leis tungsfähigkeit gefährdet wird bzw. wie viel Soziales die ökonomische Leistungsfähigkeit erlaubt. Bereits die sozialliberale Regierung beginnt in den 1970er Jahren mit Einschränkungen der Sozialleistungen und bremst im Jahr 1975 den langfristigen Expansionstrend bei den Sozialausgaben. Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre setzt eine die Sozialpoli tik beherrschende Politik der Kostendämpfung ei n. Die Sozialaus gaben steigen zwar auch in den Jahren des stark verlangsamten Wachstums, die jährlichen Zuwachsraten werden allerdings zu nehmend dem Wachstum des Sozialprodukts angepasst. Diese Konsolidierungspolitik wird in den 1980er Jahren von der christ lich liberalen Koalition zunächst fortgesetzt, mündet aber mit der konjunkturellen Belebung in einer d ifferenzierten Reformgesetzge bung, bei der Einschränkungen und gezielte Ausweitungen neben einanderstehen. In diesem Zusammenhang bilden die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Versuch einer finanziellen Konsolidierung der gesetzlichen Renten und Krankenversicherung und die Famili enpolitik die Schwerpunkte der sozialpolitischen Gestaltung. Die Arbeitslosigkeit wird mithilfe von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, mit verstärktem Engagement bei der Berufsbildung, dur ch das Ge setz zur Erle ichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand von 1984 und durch das Beschäftigungsförderungsge setz von 1985 zu bekämpfen versucht. Konsolidierungsbemühun gen zur Begrenzung der Kostenexpansion in der gesetzlichen Ren ten und Krankenversicherung führen zu den in den Jahren 1988, 1992 und 1997 erlassenen Gesundheitsreformgesetzen so wie zum 1989 verabschiedeten und im Jahr 1992 in Kraft getretenen Renten reformgesetz. <?page no="170"?> Laborem exercens - Papst Johannes Paul II. 1981 169 Mit dem Vertrag über die Schaffung einer Währungs , Wirtschafts und Sozialunion vom Mai 1990 und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 tritt das Sozialrecht der Bun desrepublik Deutschland auch in den Gebieten der ehemaligen DDR in Kraft, womit umfassende Transferleistungen in die ostdeut schen Bundesländer notwendig werden. Seit 1992 zwingen die anhaltenden finanziellen Belastungen durch den wirtschaftlichen und so zialen Aufbau der neuen Bundesländer und die zunehmende Belastung durch die steigende Arbeitslosigkeit zu umfangreicheren Sparmaßnahmen. Trotz Kürzung zahlreicher Sozialleistungen, ins besondere in der Arbeitsmarktpolitik, gelingt es nicht, einen weite ren Anstieg der gesamten Sozialausgaben zu verhindern. Laborem exercens - Papst Johannes Paul II. 1981 Papst Johannes Paul II. hat insgesamt drei Sozialenzykliken verfasst, von denen die erste unter dem Titel Laborem exercens (Über die menschliche Arbeit) zum 90. Jahrestag der Enzyklika Rerum nova rum im Jahr 1981 veröffentlicht wird, die zweite und dritte, Sollicitu do rei socialis und Centesimus annus, erscheinen 1987 bzw. 1991. Im Mittelpunkt der Enzyklika steht der arbeitende Mensch. Die Schrift beginnt mit einem Ausblick auf die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen wie Automatisierung, höhere Energie und Rohstoffpreise und das Problem der Umweltverschmutzung. Vor allem aber wird der von den Entwicklungsländern zunehmend eingeforderte „gebührende Platz unter den Nationen“ di skutiert. Die wachsende Bedeutung der Entwicklungsländer im internationa len Handel erfordere, so der Papst, eine Neuordnung der bestehen den Wirtschaftsstrukturen, als deren Folge sich in den entwickelten Ländern verlangsamtes Wirtschaftswachstum und zumindest tem porär steigende Arbeitslosigkeit einstellen könnten, wobei bessere Lebensumstände für Millionen im Elend lebenden Menschen dem gegenüberstünden. 406 Von Rerum novarum bis Quadragesimo anno widmet die Kirche ihre besondere Aufmerksamkeit der sozialen Frage. Im Mittelpunkt <?page no="171"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 170 stehen die Arbeit als Problem des Menschen und die gerechte Lö sung der Arbeiterfrage in den einzelnen Ländern, wodurch die Behandlung der sozialen Klassen und grundsätzlicher Systemfra gen automatisch in den Vordergrund tritt. In den späteren Sozialen zykliken wird die Blickrichtung auf den globalen Kontext ausgewei tet. Die ungleiche Verteilung von Re ichtum und Not innerhalb ein zelner Länder und zwischen verschiedenen Nationen mache alle Anstrengungen notwendig, die auf eine Angleichung und Suche nach Wegen für eine insgesamt gerechte Entwicklung hinwirken. 407 In gewisser Hinsicht kann davon gesprochen werden, dass sich die Problemstellung von der Klasse auf die Welt ausgeweitet hat. Die Arbeit erscheint nun quasi als Klammer, innerhalb der sowohl die Probleme in den Industrienationen als auch in den Entwicklungs ländern einer Betrachtung unterzogen werden. Wenn später etwa die Würde des Menschen im Arbeitsprozess thematisiert wird, so werden damit an vielen Stellen interne Probleme der entwickelten Länder wie auch Fra gen der internationalen Ungerechtigkeit be rührt. Das den Sozialenzykliken zugrunde liegende Arbeitsverständnis ist von der Bibel geprägt, abgeleitet aus der biblischen Aufforderung an den Menschen, „bevölkert die Erde und macht sie euch unter tan“. 408 Von hier aus erhält der Mensch seinen göttlichen Auftrag, zu leben und die Erde zu beherrschen, und zwar generell und unab hängig von der zeitlichen Epoche oder dem Stand der wirtschaftli chen und technischen Entwicklung. Ob es sich um die Produktion in Manufakturen handelt, ob um durch technische Entwicklungen, beschleunigte Prozesse wie im Zeit alter der Industrialisierung oder durch Wissenschaft und Hightech im 20. und 21. Jahrhundert, der Mensch bedient sich der Technik, verstanden als die Gesamtheit der Instrumente, die zur Erleichterung, Verbesserung, Beschleunigung der Arbeit genutzt werden. Johannes Paul II. fasst diesen physi schen und äußerlichen Prozess der Arbeit als einen dem Arbeit s prozess inhärenten und objektiven Aspekt auf und stellt diesem den Menschen als das eigentliche Subjekt der Arbeit entgegen. 409 Der Mensch als Subjekt der Arbeit, entstanden als „Abbild Gottes“, ist <?page no="172"?> Laborem exercens - Papst Johannes Paul II. 1981 171 imstande, auf geordnete und rationale Weise zu handeln, und befä higt, über sich zu entscheiden und sich selbst zu verwirklichen. „Als Person ist der Mensch daher Subjekt der Arbeit.“ 410 Es ist vor allem diese subjektive Dimension, die der Arbeit ihren ethischen Wert verleiht: Zitat So wahr es auch ist, daß der Mensch zur Arbeit bestimmt und be rufen ist, so ist doch in erster Linie die Arbeit für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit. Mit dieser Schlussfolgerung kommt man logisch zur Anerkennung des Vorranges der subjekti ven Bedeutung der Arbeit vor der objektiven. Aufgrund dieser Auffassung und vorausgesetzt, daß verschiedene von Menschen verrichtete Arbeiten einen größeren oder geringeren objektiven Wert haben können, geht es uns vor allem darum, deutlich zu ma chen, daß der Maßstab für jede dieser Arbeiten in erster Linie die Würde ihres Subjekts ist, also der Person, des Menschen, der sie verrichtet. 411 Gleichwohl kann sich die Technik auch negativ auswirken, wenn sie den Menschen aus dem Arbeitsprozess, auf den er zum Erwerb seines Lebensunterhalts angewiesen ist, verdrängt, ihm die Freude an der Arbeit, die Befriedigung, die er aus ihr zieht, und damit den Ansporn zu Kreativität und Verantwortung nimmt. 412 Es sind diese negativen Seiten, die seit dem 19. Jahrhundert häufig zu einer „Verwirrung oder sogar Umkehr der Ordnung“ von objektiver und subjektiver Dimension geführt haben, sodass die Arbeit rein materi alistisch als ein Objekt, als Produktionsfaktor gesehen wird, der wie eine Ware behandelt werden kann. Obwohl solche Ansichten zwi schenzeitlich relat iviert worden sind, biete die beschleunigte Ent wicklung einer einseitig materialistischen Gesellschaft weiterhin einen Anreiz, den Menschen im Wirtschaftsprozess als reines Werkzeug zu betrachten. Bei dieser „Gleichschaltung“ des Men schen mit anderen Produktionsmitteln werde der eigentliche Cha <?page no="173"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 172 rakter des Produktionsprozesses verkannt, der Mensch nämlich als Subjekt, Urheber und auch Ziel der gesamten Produktion. 413 Ausdrücklich würdigt Johannes Paul II. die Gegenbewegung der Arbeiter und die Solidarität der arbeitenden Menschen. Die Arbeiter hätten sich erfolgreich gegen Ausbeutung, schlechte Arbeitsbedin gungen und mangelnde Vorsorge gewehrt, und dies als berechtigte Reaktion auf den Grundsatz des Wirtschaftsliberalismus, die wirt schaftliche Initiative ausschließlich bei den Kapitaleigentümern anzusiedeln. Aufgrund auch weiterhin bestehender und neuer Un gerechtigkeiten unterst ützt der Papst das solidarische Verhalten der Arbeiter auch für die Zukunft. Insbesondere die Lebens und Ar beitsbedingungen in den nicht industrialisierten Ländern weisen teilweise extreme Ungerechtigkeiten auf. Aufgezählt werden Ver letzungen der Würde der menschlichen Arbeit etwa durch Arbeits losigkeit, Verstöße gegen das Recht auf an gemessene Entlohnung und auf die Sicherheit des Arbeitnehmers. 414 Die Würde der menschlichen Arbeit wird ebenfalls aus dem Buch Genesis (1, 28) bzw. dem göttlichen Auftrag an den Menschen abge leitet, sich die Erde untertan zu machen. Johannes Paul II. weist aber auch auf die bei der Erbringung von Arbeit entstehende Mühe hin. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Br ot essen“, so wird Genesis 3, 19 zi tiert und auf die „manchmal drückende Mühe“ der Arbeit verwiesen, die - so bereits Thomas von Aquin - die Arbeit für den Menschen zu einem „schwierigen Gut“ werden lässt. 415 Die Arbeit ist somit nicht nur ein nützliches und angenehmes, sondern auch ein würdiges, ein die Würde des Menschen ausdrückendes und erweiterndes Gut, was verständlich macht, warum etwa der Fleiß als Tugend, als eine moralische Haltung gewertet wird. Aller dings schützt die Würde der Arbeit diese nicht vor Missbrauch. Missbrauch der Arbeit li egt dort vor, wo Menschen durch Arbeit bestraft, unterdrückt oder ausgebeutet werden. Dies lässt es den Papst als moralisch geboten erscheinen, „den Fleiß als Tugend mit einer sozialen Ordnung zu verbinden, die es dem Menschen er laubt, in der Arbeit mehr Mensch zu werden, statt sich ihretwegen zu erniedrigen und nicht nur se ine Körperkräfte zu verbrauchen“. 416 <?page no="174"?> Laborem exercens - Papst Johannes Paul II. 1981 173 Johannes Paul II. widmet sich ausführlich dem Konflikt zwischen Arbeit und Kapital. Die soziale Frage entstand, weil die Arbeiter ihre Kräfte den Unternehmern zur Verfügung stellten und diese, geleitet vom Prinzip der Gewinnmaximierung, niedrige Löhne und andere Elemente der Ausbeutung festlegten. Einer kleinen, aber sehr einflussreichen Gruppe der Unternehmer, den Eigentümern der Produktionsmittel, st and eine viel größere Gruppe gegenüber, eine große Zahl von Menschen nämlich, die nicht über diese Mittel verfügten, sondern ausschließlich durch ihre Arbeitskraft in der Lage waren, am Produktionsprozess teilzunehmen. Ideologisch fand dieser Konflikt seinen Ausdruck im Widerstreit zwischen Li beralismus (der Ideologie des Kapitalismus) und Marxismus (der Ideologie de s theoretischen Sozialismus und Kommunismus). An statt auf Einzelheiten des diesem Konflikt folgenden „programmier ten Klassenkampfs“ einzugehen, wendet sich Johannes Paul II. dem zugrunde liegenden Problem der menschlichen Arbeit zu, dem vermeintlichen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, die beide nicht voneinander getrennt und schon gar nicht in einen Gegensatz gestellt werden dürften. 417 Die Ursache der Polarisierung von Kapital und Arbeit sei im menschlichen Denken und nicht im eigentlichen Produktions oder Wirtschaftsprozess verankert. Verwiesen wird u. a. auf die Philoso phie und Wirtschaftstheorien des 18. Jahrhunderts, mit denen eine Gegenüberstellung von Arbeit und Kapital als dem Grunde nach verschiedenen Dingen stattfand, eine Denkweise, die si ch vor allem in der gesamten wirtschaftlich sozialen Praxis verbreitete und sich mit der schnell fortschreitenden Industrialisierung fortsetzte. Das Kapital stand gleichsam als Inbegriff für die materiellen Wünsche und Arbeit als das Instrument, diese zu erfüllen. Die Vorstellung von Arbeit und Kapital als jeweils selbstständigen Produktionsfak toren, die nur im Produkt ionsprozess zueinanderfinden und auch zum Zweck der weiteren Produktionssteigerung systematisch in Zusammenhang zu bringen sind, wurde hierdurch verstärkt her ausgebildet. <?page no="175"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 174 Den Gegensatz von Arbeit und Kapital im Sinne zweier anonymer Kräfte, die es alleinig im Produktionsprozess zu verbinden gilt, führt Johannes Paul II. auf zwei grundlegende Irrtümer zurück. Als Erstes nennt er den Irrtum des Ökonomismus, menschliche Arbeit rein unter dem Aspekt ihrer ökonomischen Zielsetzung zu betrach ten. Der zweite Irrtum ist der Mater ialismus, der für die Überzeu gung vom Primat des Materiellen gegenüber dem Geistigen und Personenhaften steht. Als Folge beider Irrtümer werden das Wirken des Menschen, die moralischen Werte u. Ä. der materiellen Wirk lichkeit direkt oder indirekt untergeordnet. Es ist der praktische Irrtum der Industrialisierung, dass aufgrund der gegebenen Mög lic hkeiten und Mittel zur Produktionssteigerung genau diese zum angestrebten Ziel wurde, während die eigentliche Frage, inwieweit die Mittel und Möglichkeiten eigentlich dem Wohle der Menschen dienen und dafür eingesetzt werden, aus dem Blick geriet. 418 Dem Prinzip des Vorranges der Arbeit gegenüber dem Kapital, einer „offensichtliche[n] Wahrheit, die sich aus der ganzen geschichtli chen Erfahrung des Menschen“ ergebe, sei dadurch widersprochen. Während Arbeit die hauptsächliche verursachende Kraft im Pro duktionsprozess darstellt, ist das Kapital, verstanden als die Ge samtheit der Produktionsmittel, nur ein Instrument. Entsprechend müsse der „Pri mat des Menschen gegenüber den Dingen“ im Pro duktionsprozess unterstrichen und herausgestellt werden. 419 Johannes Paul II. betrachtet weiter das Problem des Eigentums im Arbeitsprozess, also den Konflikt zwischen denjenigen, die die Ar beit ausführen, ohne über Eigentum an den verwendeten Produkti onsmitteln zu verfügen, und den Unternehmern, die selbst Eigen tümer der Produktionsmittel oder deren Vertreter sind. Die Position der Kirche in dieser Frage is t klar umrissen: Ein Recht auf Eigentum (auch an Produktionsmitteln) besteht, aber nicht in einer Weise, dass es zur Ursache eines sozialen Konflikts werden kann. Das Recht auf Privateigentum ist immer in Beziehung zu einem überge ordneten Maßstab, dem „gemeinsamen Recht aller auf Nutzung der Güter der Schöpfung“, zu sehen, es is t dem „gemeinsamen Recht auf Nutznießung der Erdengüter“ untergeordnet. Johannes Paul II. <?page no="176"?> Laborem exercens - Papst Johannes Paul II. 1981 175 verweist zur Diskussion dieser Punkte auf die Enzykliken Rerum novarum und Mater et magistra sowie auf Argumente Thomas von Aquins. Ein unantastbares Recht des Privateigentums an Produkti onsmitteln, wie es im „strengen“ Kapitalismus postuliert wird, hält Johannes Paul II. für ebenso unannehmbar wie die Grundidee des Kommunismus, die Produktionsmittel den Händen ihrer privaten Eigentümer einfach zu entziehen. Im Falle der Enteignung der Pro duktionsmittel gehören di ese dann nicht länger einer bestimmten Gesellschaftsgruppe, den Privateigentümern, sondern einer organi sierten Gesellschaft, die unter der Verwaltung und direkten Kon trolle einer anderen Personengruppe steht, von der nicht sicher ist, ob sie ihre Aufgaben in befriedigender Weise erfüllt, also im Sinne des Primats der Arbeit oder aber wie ein Mon opol agiert. Der bloße Übergang der Produktionsmittel in Staatseigentum garantiere somit keinesfalls das anzustrebende Ziel einer wirklichen Sozialisierung des Eigentums. 420 Zitat Von Sozialisierung kann man nur dann sprechen, wenn der Sub jektcharakter der Gesellschaft garantiert ist, das heißt wenn jeder aufgrund der eigenen Arbeit den vollen Anspruch hat, sich zu gleich als Miteigentümer der großen Werkstätte zu betrachten, in der er gemeinsam mit allen anderen arbeitet. Ein Weg auf dieses Ziel hin könnte sein, die Arbeit soweit wie möglich mit dem Eigen tum am Kapital zu verbinden und eine große Vielfalt mittlerer Körperschaften mit wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Ziel setzung ins Leben zu rufen: Körperschaften mit echter Autonomie gegenüber den öffentlichen Behörden, Körperschaften, die ihre spezifischen Ziele in ehrlicher Zusammenarbeit und mit Rücksicht auf die Forderungen des Gemeinwohls verfolgen und sich in Form und Wesen als lebensvolle Gemeinschaften erweisen, so daß sie ih re Mitglieder als Personen betrachten und behandeln und zu akti ver Teilnahme an ihrem Leben anregen. 421 <?page no="177"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 176 Für eine wirkliche Sozialisierung bedarf es umfangreicher Reformen des Kapitalismus, die etwa das Miteigentum der Arbeiter an den Produktionsmitteln, Mitbestimmung, Gewinnbeteiligung, Arbeit nehmeraktien u. Ä. beinhalten. In jedem Fall müssen die Rechte des arbeitenden Menschen, die, wie die Menschenrechte, fundamentale Rechte der Person sind, gewahrt werden. Keinesfalls darf es dahin kommen, dass ein reicher St aat einen är meren ausnutzt, internationale Abhängigkeiten zwischen den Staa ten dürfen nicht dazu führen, dass die Rechte der Arbeitnehmer wegen nationaler Profitinteressen auf den globalen Märkten be schränkt werden. Vielmehr müssen die objektiven Rechte der Ar beitnehmer den Maßstab für die Entwicklung der nationalen und globalen Wirtschaft bilden. 422 Die Institutionen und Organisationen, die die Rahmenbedingungen für solche Arbeitsverhältnisse setzen, indirekte Arbeitgeber genannt, sollen auf jedes einzelne Land an gewendet werden. 423 Im Gegensatz zum direkten Arbeitgeber, der nur die Interessen seines Unternehmens und damit den größtmögli chen Profit im Auge hat, wird der indirekte Arbeitgeber auch die Wirkungen seines Handelns in Bezug auf alle, die mit dem Unter nehmen, der Organisation, dem Staat etc. zu tun haben, insbesonde re auch die Interessen an derer Länder, mitberücksichtigen. Man mag sich vorstellen, dass ein den Prinzipien des indirekten Arbeit gebers folgender Unternehmer Produkte aus ärmeren Staaten zu fairen Preisen bezieht und besonders auf die Einhaltung von Si cherheits und Rechtsstandards achtet. Vom Standpunkt der öko nomischen Theorie könnte man in gewisser Hinsicht einen solchen Unternehmer als jenen bez eichnen, der auch die sozialen anstelle nur der privaten Kosten berücksichtigt. Die Arbeitslosigkeit wird als ein Übel dargestellt, das es unbedingt auch von staatlicher Seite zu bekämpfen gilt. Johannes Paul II. be schreibt in deutlichen Worten die Massen von Arbeitslosen und Hungernden, die es trotz großer ungenutzter ökonomischer Poten zia le und vieler großer Reichtümer in der Welt gibt. Er sieht darin ein Indiz dafür, dass im Inneren der einzelnen politischen Gemein schaften, wie auch in ihren Beziehungen untereinander, etwas in <?page no="178"?> Laborem exercens - Papst Johannes Paul II. 1981 177 den entscheidenden, den sozial wichtigsten Punkten nicht funktio niert, somit die internationale Zusammenarbeit und die Koordinati on korrekturbedürftig sind. 424 Für viele Menschen, die Arbeit haben, stellt die Entlohnung ein großes Problem dar, und zwar die gerechte Entlohnung. Hier findet sich ebenfalls die Verbindung zum Prinzip der gemeinsamen Nutznießung der Güter, denn für die meisten Menschen bildet das Gehalt den wesentlichen Zugangsweg zu die sen Gütern. Damit wird der gerechte Lohn au ch zum „Prüfstein für die Gerechtigkeit des gesamten sozioökonomischen Systems“ und seines Funktionierens. Ein gerechter Lohn muss auch Faktoren wie die familiäre Situation eines Arbeitnehmers berücksichtigen. Als ungerecht wird es empfunden, wenn zusätzlich zum Familiener nährer die Ehefrau und Mutter einer außerhäuslichen Beschäfti gung nachgehen muss, damit das Arbeitseinkommen zu einem au skömmlichen Leben reicht. 425 Von geradezu aktuellem Bezug ist Johannes Pauls II. Stellungnahme zur globalen Bedeutung beschäftigter Emigranten. Eingewanderten Arbeitnehmern sind die gleichen Rechte und die gleiche Bezahlung zu gewähren wie einheimischen Beschäftigten. Die Notlage von Emigranten darf nicht zur finanziellen oder sozialen Ausbeutung missbraucht werden. 426 Eindringlich wirbt Johannes Paul II. auch für die Würde der Landarbeiter in den Entwicklungsländern, in denen Millionen von Menschen die Felder von Großgrundbesitzern bestellen und dabei ausgenutzt werden, ohne jegliche Hoffnung, jemals auch nur ein kleines Stück Land zu besitzen. Dort fehle es an Gesetzen und Vorschriften zum Schutz der Landarbeiter und ihrer Fa milien in Fällen von Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit. Radi kale Änderungen werden für dringend notwendig erachtet, „um der Landwirtschaft und den in ihr Tätigen wieder den wahren Wert zu geben, der ihnen als Grundlage einer gesunden Volkswirtschaft in der gesamten Entwicklung der Gesellschaft zukommt“. 427 Arbeitnehmer sind auch in der Pflicht, für ihre eigenen Interessen und Rechte einzutreten und nicht auf irgendeine Hilfe von außen zu warten. Ausdrücklich werden das Recht und die Notwendigkeit zum Zusammenschluss, zur Bildung von Gewerkschaften ange <?page no="179"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 178 führt. Allerdings sollten sich die Gewerkschaften nicht als Teilneh mer am Klassenkampf begreifen, sondern als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und Kämpfer auch nur im Sinne des Einsatzes für ein gerechtes Gut. Streiks sind ein durchaus legitimes Mittel, dürfen aber nicht für politisches Taktieren missbraucht werden, wie es ohnehin nicht Aufgabe von Gewerkschaften sein so llte, im parteipo litischen Sinne Politik zu machen. 428 In Laborem exercens spiegeln sich die Erfahrungen wider, die Johan nes Paul II. im kommunistischen System gemacht hat. Der besonde re Einsatz für die Arbeiter, das Bewusstsein für und das theoreti sche sowie vor allem praktische Wissen um die Produktions und Arbeitsbedingungen in einem zentral verwalteten Staat prägen teilweise den Stil der Enzyklika. Vor al lem die ausführliche und trennscharfe Behandlung der Sozialisierung von Privateigentum, vor allem jenes an Produktionsmitteln zu Formen „sozialistischen Eigentums“, und die Ausführungen über die indirekten Arbeitge ber zeichnen ein relativ klares Bild seines dritten Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus: eines gezähmten Kapitalismus näm lich, der durch globale Institutionen und Organisationen nach Pr in zipien der Freiheit, des Gemeinwohls und der Gerechtigkeit auf dem Weg zu einer gerechteren Welt angeleitet werden sollte. Zur Person: Johannes Paul II. Karol Józef Wojty a wird am 18. Mail 1920 in Wadowice, etwa 50 km von Krakau entfernt, als Sohn des Unteroffiziers Karol Wojty a und dessen Frau Emilia geboren. Ab 1938 studiert er an der Jagiellonen Universität in Krakau Literaturwissenschaf ten, später auch Philosophie. 1942 tritt er dem Priesterseminar der Erzdiözese Krakau bei, das wegen der deutschen Besat zung nur im Untergrund existiert. Karol Wojty a arbeitet wäh rend der Besatzungszeit, um der Deportation und Zwangsar beit zu entgehen, zunächst in einem Steinbruch, später in einer Chemiefabrik. 1946 wird er zum Priester geweiht. Ab 1946 führt er sein Studium an der päpstlichen Universität Angeli cum in Rom fort und erhält im Sommer 1948 den Doktortitel <?page no="180"?> Laborem exercens - Papst Johannes Paul II. 1981 179 der Theologie. Er kehrt nach Polen zurück und übernimmt 1954 eine Professur für Philosophie und Sozialethik an der Ka tholischen Universität Lublin. 1958 wird er zum Weihbischof, 1964 zum Erzbischof von Krakau ernannt und erweist sich in diesem Amt als unbequemer Gegner der kommunistischen Regierung. Internationale Anerkennung erfährt er während des II. Vatikanischen Konzils. 1967 verleiht ihm Papst Paul VI. die Kardinalswürde. Papst Johannes Paul II. Nachdem Papst Johannes Paul I. gerade einmal einen Monat nach seiner Wahl verstirbt, wird Karol Wojty a im Oktober 1978 zum Papst gewählt, er nennt sich Johannes Paul II. Durch sein Charisma und vor allem durch seine vielen Auslandsrei sen, bei denen er 127 Länder besucht, erreicht Johannes Paul II. eine Medienpräsenz, wie sie noch keinem Papst zuvor zu teilwurde. 1981 überlebt Johannes Paul II. nur knapp ein At tentat eines türkischen Extremisten. Seine kritische Haltung zum Kommunismus und seine Unterstützung der Opposition in seinem Heimatland Polen tragen maßgeblich zum Sturz der kommunistischen Systeme in Osteuropa bei. Papst Johannes Paul II. stirbt nach langer Krankheit am 2. April 2005. Am 27. April 2014 wird er von Papst Franzis kus heiliggesprochen. 429 <?page no="181"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 180 Sollicitudo rei socialis - Papst Johannes Paul II. 1987 In den 1980er Jahren erlebt die Weltwirtschaft durch die Schulden krise in Lateinamerika erneut einen Schock. Mexiko, das 1982 seine Schulden nicht mehr bedienen kann, ist Ausgangspunkt der neuen Krise, die schon wenige Monate später den größten Teil Lateiname rikas erfasst. Die Folgen sind eine tiefe Rezession (das durchschnitt liche Pro Kopf E inkommen in Lateinamerika liegt 1986 zehn Pro zent unter dem von 1981) und Inflationsraten von durchschnittlich 70 Prozent. 430 In der Sowjetunion werden nach der Wahl von Mi chail Gorbatschow zum Parteichef der sowjetischen KPdSU 1985 erste Reformtendenzen erkennbar. Gorbatschow rückt schrittweise von der Breschnew Doktrin ab, 431 und spätestens 1988 betont die Sowjetunion auch offiziell die politische Souveränität der sozialisti schen Staaten, was oppositionellen Gruppen in verschiedenen Län dern des Warschauer Pakts erheblichen Auftrieb verleiht. Sollicitudo rei socialis handelt, wie der Titel es ausdrückt, von der Besorgnis der Kirche über die gesellschaftlichen Angelegenheiten. Es ist die zweite Sozialenzyklika von Papst Johannes Paul II., aus Anlass des 20. Jahrestages von Populorum progressio im Jahr 1987 verfasst. Die Enzyklika soll die katholische Soziallehre erweitern und somit ihrer Kontinuität und ständigen Erneuerung dienen. Kontinuität ist durch den Bestand und das Festhalten an Grund ideen, Leitprinzipien und Urteilskriterien gegeben, Erneuerung durch die kontinuierliche Reaktion und Anpassung an die sich verändernden geschichtlichen Bedingungen und Ereignisse ein schließlich der si ch wandelnden Gesellschaft: 432 Zitat Die Zeit verläuft zwar, wie wir wissen, immer nach demselben Rhythmus; heute jedoch hat man den Eindruck, als unterliege sie einer stetigen Beschleunigung, vor allem wegen der Vielzahl und Verflochtenheit der Ereignisse, in deren Mitte wir leben. 433 <?page no="182"?> Sollicitudo rei socialis - Papst Johannes Paul II. 1987 181 Johannes Paul II. verweist auf die Enzyklika Populorum progressio als eine Art Anwendung der Erkenntnisse und Lehren des II. Vatikani schen Konzils, wie sie in der Patoralkonstitution Gaudium et spes festgehalten sind. Durch die in Populorum progressio vorgenommene Wahrnehmung der sozialen Frage als weltweites Phänomen trägt sie in maßgeblicher Weise dazu bei, die Thematik der Entwick lungsländer ins Zentrum der kirchlichen Soziallehre zu rücken. Es sei unmöglich geworden, die Massen der hungernden und im Elend lebenden Menschen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Weltweit gebe es mehr Menschen, die nicht am Wohlst and teilhaben, als solche, die darüber verfügen. Der Kampf gegen die weltweit ungleiche Verteilung der lebensnotwendigen Mittel, die für alle Menschen bestimmt sind, verpflichte die politisch Verantwortlichen und die Bürger der reichen Länder moralisch in ganz persönlicher Weise, denn die Ursachen der Verteilungsungleichheiten lägen weder bei den benachteiligten Völkern , noch könnten sie als naturbedingtes Schicksal abgetan werden. 434 „Entwicklung ist der neue Name für Frieden“, so hebt Johannes Paul II. eine der Kernaussagen von Populorum progressio hervor. Er warnt damit vor einer weltweiten Gefährdung des Friedens infolge bestehender extremer sozialer Ungleichheiten, die so oft Anlass gewaltsamer oder gar kriegerischer Auseinandersetzungen sind. Johannes Paul II. appelliert eindringlich, den Begriff der Entwick lung einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Mit Entwicklung könne bestimmt nicht jenes eingeschränkte Verständnis von Be dürfnisbefriedigung gemeint sei n, das aus einem wachsenden An gebot an Gütern entsteht, und da bei, die Nöte der vielen in Armut lebenden Menschen ignorierend, den Egoismus des Einzelnen oder den ganzer Nationen in den Vordergrund stellt. 435 Johannes Paul II. stellt die Frage, was sich in den 20 Jahren seit der Enzyklika Populorum progressio bis zum Erscheinen von Sollicitudo rei socialis verändert hat. Seine Bilanz fällt ernüchternd aus. Die großen Hoffnungen der ärmeren Länder auf eine schnelle Entwick lung und Verbesserung ihrer Situation haben sich nicht erfüllt. Nach wie vor leiden unzählige Menschen unter einer unerträglichen <?page no="183"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 182 Last des Elends, sind ohne Hoffnung, weil sich ihre Lage vielerorts verschlechtert und das Nord Süd Gefälle vergrößert hat. Zu den ökonomischen Indikatoren der Unterentwicklung treten weitere Faktoren wie Analphabetismus, Rassendiskriminierung oder sozia le, politische und religiöse Unterdrückung hinzu. Diese Faktoren wirken sich ihrerseits negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Dabei we rde oft das nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für das Gemeinwohl so bedeutende Recht auf unternehmerische Initiative untergraben. Jeglicher Unternehmergeist und jegliche Kreativität und Initiative des Einzelnen würden mit der Begrün dung einer angeblichen Gleichheit aller gelähmt oder zerstört. An stelle der allgemeinen Gleichheit findet eine Nivellierung nach un ten statt, da di e schöpferische Eigeninitiative durch die „Unterwer fung unter den bürokratischen Apparat“ verdrängt wird. 436 Besondere Schuld an der verschlechterten Situation in den Entwick lungsländern tragen, so der Papst, die Industrienationen, die ihrer Verpflichtung zur Hilfe nicht ausreichend nachkommen. Kritisiert werden ökonomische, finanzielle und soziale Mechanismen, die quasi automatisch ablaufen und dabei den Reichtum „der einen und die Armut der anderen verfestigen“. Solche von den entwickel ten Lä ndern direkt oder indirekt gelenkte Mechanismen, die sich auch im internationalen Handel und Finanzsystem finden, sind so angelegt, dass sie die eigenen Interessen befördern, jedoch die Wirt schaftsordnungen der weniger entwickelten Länder beeinflussen oder gar vollständig lenken. 437 Ethische Forderungen dürfen also nicht ausgeklammert bleiben, wenn man Schaden von den Schwächsten abwenden will. Arbeitslosigkeit als ein weltweites Problem sieht der Papst in den Entwicklungsländern wesentlich durch hohes Bevölkerungswachs tum und in den industrialisierten Ländern durch einen Rückgang der Arbeitsmöglichkeiten infolge von Rationalisierung und techni schem Fortschritt bedingt. Ob es si ch dabei nun um Arbeitslosigkeit in den stärker oder den schwächer entwickelten Staaten handelt, beide Male sind die Auswirkungen auf die Gesellschaft negativ und lassen Zweifel an der Qualität der wirtschaftlichen Entwicklung <?page no="184"?> Sollicitudo rei socialis - Papst Johannes Paul II. 1987 183 aufkommen. Für die entwickelten Volkswirtschaften spricht Johan nes Paul II. von einem Problem mit „umgekehrten Vorzeichen“. Gemeint ist der starke Rückgang der Geburtenziffern, der sich sei nerseits negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken kann. Jedoch wird auch davor gewarnt, hohe Arbeitslosigkeit und schlechte wirtschaftliche Daten in den Entwicklungsländern nur auf das dort ige hohe Bevölkerungswachstum zurückzuführen, dies wird als genauso wenig erwiesen erachtet wie die Unvereinbarkeit von „jeglichem Bevölkerungswachstum“ mit einer geordneten Entwicklung. 438 Ein weiteres Problem der Entwicklungsländer ist ihr Verschul dungsgrad. Oftmals nehmen sie Kredite in der Absicht auf, Ent wicklungsprojekte durchzuführen. Obwohl dies durchaus sinnvoll sein kann und Kredite in vielen Fällen ein gutes Mittel der Entwick lungshilfe darstellen, werden sie zum Teil überstürzt und ohne ausreichende Risikoabsicherung aufgenommen und verwendet. Änderungen im Zi nssatz und die Verschlechterung der Wirtschafts lage können dann leicht dazu führen, dass die zur Steigerung der wirtschaftlichen Entwicklung notwendigen Finanzmittel für die Bedienung der Schuldenlast verwendet werden - ein Teufelskreis. Die Aufnahme neuer Kredite wird so erschwert und ein an sich positives Instrument entwickelt sich zu einem weiteren Grund für Unterent wicklung. Auch werden politische Prozesse für die schlechte Situation der Entwicklungsländer verantwortlich gemacht bzw. als weitere Ursache dafür angeführt, weshalb die tatsächlichen Entwicklungen weit hinter den in der Enzyklika Populorum progres sio geäußerten optimistischen Hoffnungen zurückgeblieben sind. Nicht zuletzt habe das Hineinziehen der armen Länder in den Ost West Konflikt ihre Entwicklung gelähmt. Anstelle mehr Eigenstän digkeit und Autonomie aufzubauen, seien die Länder „zu Rädern eines Mechanismus, zu Teilen einer gewaltigen Maschinerie“ ge worden, in deren Folge Kriege, Flüchtlingsprobleme, Waffenliefe rungen und Terrorismus „al s Plage der heutigen Welt“ wiederum die weitere Entwicklung erschwerten. 439 <?page no="185"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 184 Zu den positiven Veränderungen, die seit der Enzyklika Populorum progressio zu verzeichnen sind, zählt Johannes Paul II. die verbreitete Achtung der Menschenrechte, ein gestiegenes Bewusstsein für die tiefen wechselseitigen Abhängigkeiten auf internationaler Ebene, die Erkenntnis der Begrenztheit von Rohstoffen und die Achtung der Natur. 440 Wie aber können die positiven Veränderungen ver stärkt und die negativen gestoppt oder zumindest verlangsamt werden? Johannes Paul II. setzt beim Menschen selbst an, er schlägt ein Konzept der „wahren menschlichen Entwicklung“ vor, an des sen Ausgangspunkt die „begründete Sorge um das Schicksal der Menschheit“ stehen muss und kein „einfältiger Optimismus me ch anistischer Art“, der Entwicklung als einen gradlinigen, automa tischen und grenzenlosen Prozess begreift. 441 Wieder wird die öko nomische Auffassung kritisiert, Entwicklung als „Anhäufung von Gütern und Dienstleistungen“ zu verstehen. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen und der Krise der Entwicklungsländer müsse klar geworden sein, dass die Ausrichtung auf die Mehrung materiellen Konsums nicht ausreicht, um „das menschliche Glück zu verwirklichen“, es fehle die Unterscheidung zwi schen „Haben“ und „Sein“: 442 Zitat Das ‚Haben‘ von Dingen und Gütern vervollkommnet von sich aus nicht die menschliche Person, wenn es nicht zur Reifung und zur Bereicherung ihres ‚Seins‘, das heißt, zur Verwirklichung der menschlichen Berufung als solcher, beiträgt. 443 Der Papst zeichnet das Bild einer überentwickelten Konsumgesell schaft, in der die Steigerung des Konsums und die Anhäufung von Besitz zum erklärten Ziel vieler Menschen geworden sind. Das Stre ben nach rein materiellen Zielen aber führe nicht zu einer wirkli chen inneren Zufriedenheit, sondern, im Gegenteil, zu tief gehender Unzufriedenheit. Es besteht di e Gefahr, dass der Mensch sich zum Sklaven des Besitzes macht. Das mit der materialistischen Ausrich tung verbundene Streben nach Mehr verstellt nicht nur den Blick auf das, was den Menschen wirklich zufrieden macht, sondern trägt <?page no="186"?> Sollicitudo rei socialis - Papst Johannes Paul II. 1987 185 auch zu einer kritischen Grundhaltung gegenüber dem Anderssein, einer Skepsis der Orientierung an anderen Werten, die außerhalb des Materiellen liegen, bei. Es entsteht ein pessimistisches Bild auf die Welt, das den Menschen daran hindert, das Sein zu erkennen und zu erleben. Einerseits gibt es Menschen, die durch die Konzen tration auf und den Kult um da s Haben am Sein gehindert werden, andererseits solche, die aus Mangel an lebensnotwendigen Gütern das Sein als „grundlegende menschliche Berufung“ ebenfalls nicht realisieren können. Natürlich stellt Johannes Paul II. nicht den Kon sum als solches und damit die Notwendigkeit der Güterproduktion infrage, jedoch sollten Güterbesitz und gebrauch im Bewusst sein „der göttlichen Ebenbildlichkeit des Menschen“ stattfinden, mit anderen Worten, Konsum darf nicht als eigenständiges Ziel den wirklichen Bedürfnissen des Menschen übergeordnet werden. 444 Das Problem der Entwicklung, vor allem in den ärmeren Ländern der Welt, lässt sich ohne moralische Kategorien weder analysieren noch lösen. Dafür spricht bereits die Tatsache, dass trotz einer gro ßen Steigerung der wirtschaftlichen Leistung weltweit keine nen nenswerte Verbesserung der Situation in den Entwicklungsländern, zumindest seit der Veröffentlichung der Enzyklika Paul s VI., statt gefunden hat, die Gründe dafür somit nicht nur wirtschaftlicher Natur sein können. Um die „moralischen Ursachen“ der wirtschaft lichen Stagnation von anderen Gründen wie politischen Fehlent scheidungen, auf Kurzfristigkeit ausgerichteten Maßnahmen oder nur auf Basis von Partikularinteressen getroffenen Beurteilungen zu trennen und den Fokus auf die Ebene des Verh altens der Menschen als verantwortliche Personen zu richten, führt Johannes Paul II. den Begriff „Strukturen der Sünde“ ein. 445 Er betont selbst den unortho doxen Charakter der Kategorien „Sünde“ und „Strukturen der Sünde“, „die nicht oft auf die Situation der Welt von heute ange wandt werden“, und hebt es als unerlässlich hervor, die „Wurzel der Übel“ beim Namen zu nennen. Vor allem zwei Verhaltensmus ter werden unter den „Strukturen der Sün de“ identifiziert und für viele Missstände in der Welt verantwortlich gemacht: erstens die ausschließliche Gier nach Profit und zweitens das Verlangen nach <?page no="187"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 186 Macht, verbunden mit dem Vorsatz, anderen den eigenen Willen aufzuzwingen. Profit und Machtgier treten nicht nur auf der Ebene des Individuums auf, auch ganze Länder und Staatenblöcke unter liegen derartigen Verhaltensweisen, was der Papst an verschiede nen Formen des modernen Imperialismus festmacht. Hinter nur scheinbar von Wirtschaft oder Politik bestimmten Entscheidungen würden si ch „wahrhafte Formen von Götzendienst verbergen: ge genüber Geld, Ideologie, Klasse oder Technologie“. 446 Die daraus folgenden Handlungsempfehlungen scheinen zwin gend: „Das Böse so zu erkennen bedeutet, auf der Ebene menschli chen Verhaltens den Weg genau anzugeben, den man gehen muß, um es zu überwinden.“ 447 Dazu aber bedarf es des Willens und des Mutes, den „langen und umständlichen Weg“ einer menschlichen Entwicklung zu gehen, die auf Solidarität und damit auf der Be rücksichtigung der Interessen auch anderer basiert. Es handelt sich hierbei nicht um ein „Gefühl vagen Mitleids oder oberflächlicher Rührung wegen des Leids so vieler Men schen“, sondern, ganz im Gegenteil, um „die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das ‚Gemeinwohl‘ einzusetzen“. 448 Der Aufruf zur Solidarität gehe alle an. Die größere Verantwortung liege jedoch bei denen, die über mehr Besitz und Eigentum verfügen und auch ihre Fähigkeiten besser ausbilden und nutzen können, was für die einzelnen Men schen, aber auch für die Staaten gilt. Johannes Paul II. spricht in diesem Zusammenhang von einer „s ozialen Hypothek“, die auf dem Eigentum liegt. Der gleiche Maßstab wird analog auf das Ver hältnis der Länder untereinander übertragen. Nur durch Solidarität können die Länder zur „sozialen und internationalen Gerechtig keit“ finden und sich damit dem Ziel des Friedens annähern. 449 Zu den dringlichsten Reformen zählt an erster Stelle eine Verände rung des internationalen Handelssystems. Das existierende Han delssystem, gekennzeichnet durch Protektionismus und einen Hang zu zweiseitigen Vereinbarungen, muss sich wandeln. Angesichts der Diskriminierung von Produkten aus Entwicklungsländern ge bietet sich deren Beendigung von selbst. Großer Reformbedarf be steht als Zweites auch be im Technologietransfer, da dort die Praxis <?page no="188"?> Sollicitudo rei socialis - Papst Johannes Paul II. 1987 187 vorherrsche, unterentwickelten Ländern den Zugang zu wichtigen Technologien vorzuenthalten. Drittens wird es als unabdingbar erachtet, übermäßige Währungs und Zinsschwankungen, die das internationale Finanz und Währungssystem charakterisieren und vor allem den ärmeren Ländern schaden, einzudämmen. Viertens sollten auch viele internationale Organisationen die Effizienz ihrer Funktionsabläufe einschließlich ihres Kostenapparats und der Wir kung ihrer Instrumente eine r kritischen Prüfung unterziehen. Ne ben den dringlichen, durch die internationale Gemeinschaft zu stützenden Reformen schätzt Johannes Paul II. die Eigeninitiative der betroffenen Länder als unverzichtbar ein. Diese drückt sich im Bestreben jedes einzelnen Volkes aus, „die eigene Entwicklung in Zusammenarbeit mit den anderen“ zu verbessern, wozu es u. a. der M öglichkeit des Handelns in Freiheit und der Entfaltung von Un ternehmergeist bedarf. Aber auch direkte Reformen, die darauf abzielen, die im jeweiligen Land vorherrschende Situation zu ver bessern, sind von nicht minderer Bedeutung. Hierzu zählen Maß nahmen zur Verbesserung des Bildungswesens, zur Stärkung der Nahrungsmittelproduktion, um eine Selbstversorgung zu er mögli chen, aber in einigen Ländern auch der Aufbau politischer Instituti onen, damit „korrupte, diktatorische und autoritäre Regime durch demokratische Ordnungen der Mitbeteiligung“ ersetzt werden können. 450 Schließlich sind mehr Solidarität und verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern wünschenswert. Der Aufbau von Freihandelszonen und die Zusammenarbeit im Währungs und Finanzbereich sind nur Beispiele. Eine verstärkte Zusammenarbeit wird als eine Chance für die Entwicklungsländer gesehen, sich ein Stück weit aus der bestehenden starken Abhängigkeit von den rei cheren und mächtigeren Lä ndern zu lösen und in diesem Zug „die eigenen Möglichkeiten weitestgehend zu entdecken und auszu schöpfen“, ohne sich gegen jemanden zu stellen. 451 Mit aufmuntern den Worten beendet Johannes Paul II. seine Enzyklika: <?page no="189"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 188 Zitat Nichts von dem, was man durch die solidarische Anstrengung aller und mit Hilfe der Gnade Gottes in einem bestimmten Augenblick der Geschichte verwirklichen kann und muß - auch wenn es un vollkommen und nur vorläufig ist -, um das Leben der Menschen ‚menschlicher‘ zu gestalten, wird verloren oder vergeblich sein. 452 Centesimus annus - Papst Johannes Paul II. 1991 In den kommunistischen Staaten Mittel und Osteuropas beginnt Ende der 1980er Jahre der Transformationsprozess zur Ablösung der zentral verwalteten Wirtschaftssysteme. Der real existierende Sozialismus erleidet einen erheblichen Einbruch. 1989 kommt es zum Fall der Berliner Mauer, 1990 findet die deutsche Wiederverei nigung statt und die Auflösung der Sowjetunion zeichnet sich 1990/ 91 mit der Una bhängigkeit der baltischen Staaten ab. Der Sozialismus mit seinem Wirtschaftssystem der Zentralverwal tungswirtschaft hat sich in mehrfacher Hinsicht als untauglich er wiesen. Seit den 1970er Jahren sind die Wirtschaftssysteme der Sowjetunion und die der europäischen Staaten in ihrem Einflussbe reich nicht mehr in der Lage, die Wachstumsraten der westlichen Lä nder aufz ubringen. 453 Die Ostblockstaaten sind Anfang der 1990er Jahre die ärmsten Länder Europas. 454 Es ist die mangelnde ökonomische Leistungsfähigkeit der sozialistisch geführten Wirt schaftssysteme, die sie gegenüber den Marktwirtschaften ins Hin tertreffen geraten lässt. Die ökonomischen Nachteile des Sozialis mus bestehen in der Unmöglichkeit einer effizienten staatlichen Planung, mit der flexibel auf Märkte reagiert werden könnte, in dem in vielen Wirtschaftsbereichen vorherrschenden staatlichen Eigentum an Produktionsmitteln, vo n dem keine Anreize für indi viduell mot iviertes Handeln ausgehen, sowie in einer nicht über die Leistungsfähigkeit der Individuen erreichten Einkommensvertei lung, die keine ausreichenden Anreize zu wirtschaftlicher Initiative <?page no="190"?> Centesimus annus - Papst Johannes Paul II. 1991 189 bietet. Die Richtung, in die sich die Wirtschaft bewegt, wird in einer zentral gelenkten Wirtschaft letztlich vom Staat und nicht von den souveränen Konsumenten vorgegeben. Dazu zählt, dass die Preise der Güter und Produktionsfaktoren nicht über den Marktmecha nismus von Angebot und Nachfrage, sondern von Planern anhand der Marktkapazitäten und Herstellungskosten fe stgelegt werden und nicht flexibel an sich verändernde Marktkonstellationen ange passt werden können. Neben den wirtschaftlichen Nachteilen, die den Sozialismus begleiten, sind es vor allem die in vielen sozialisti schen Ländern eingeschränkten Freiheiten und die mangelnde Rechtsstaatlichkeit, die zu seinem Zerfall geführt haben. Centesimus annus erscheint 1991 - 100 Jahre nach Rerum novarum. Es ist die dritte Sozialenzyklika von Papst Johannes Paul II. Durch „eine neue Begegnung“ mit der Lehre Leos XIII. sollen die Inhalte von Rerum novarum erneut bekräftigt und deren Aussagekraft für aktuelle Fragestellungen gezeigt werden, 455 zumal sich, so stellt Johannes Paul II. fest, die von Papst Leo XIII. 100 Jahre zuvor ge stellten Zukunftsprognosen als „erstaunlich exakt“ herausgestellt haben. 456 Am Beginn von Centesimus annus steht der Versuch, die erste Sozial enzyklika in das „Bündel radikaler Veränderungen“, das die Berei che Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik im Laufe des 19. Jahrhunderts prägte, einzuordnen und sicherlich auch selbst als ein epochales Ereignis zu präsentieren. In eindringlicher Sprache werden die spannungsgeladene Situation der Bevölkerung im 19. Jahrhundert und die Sp altungsprozesse in der Gesellschaft beschrieben: die Entstehung des Kapitals als neue Form des Eigen tums und die Lohnarbeit als neue Form der Arbeit. Zudem die sozi ale Ungerechtigkeit, insbesondere bedingt durch eine Lohnhöhen bestimmung, die weit entfernt von jedweder Berücksichtigung des Existenzminimums stattfand, die Bedrohung der Menschen durch Arbeitslosigkeit, di e, so sie eintrat, das Schreckensbild des Hunger todes heraufbeschwor, das Fehlen jeglicher Art von sozialer Fürsor ge. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung mischte sich Leo XIII. mit seiner Stellungnahme zur Arbeiterfrage ein und zeigte einen <?page no="191"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 190 Lösungsweg auf, in dessen Zentrum die Gerechtigkeit als Voraus setzung für die Herstellung des Friedens in der Gesellschaft stand. Neben den zentralen Aussagen über die Grundlagen der Gerechtig keit in der damaligen Wirtschaft und Gesellschaft betonte er das prinzipielle, aber nicht uneingeschränkt auszuübende Recht auf Privateigentum, die Rechte der Arbeiter unter be sonderer Berück sichtigung ihrer Würde, das Recht der Bildung von Arbeitervereini gungen und die Notwendigkeit eines gerechten Lohns, der für den Unterhalt des Arbeiters und seiner Familie ausreicht. 457 Die Be stimmung der Löhne dürfe nicht allein dem Markt überlassen wer den. Zu häufig hätten sich Arbeiter aus reiner Not auf für sie nach teilige und ungerechte Bedingungen einlassen müssen. Ebenso wichtig sind die auf dem Solidarprinzip beruhenden und unabhän gig von einer besonderen politischen Theorie von Leo XIII. getätig ten krit ischen Aussagen zum Sozialismus und Liberalismus. Ob gleich zur Zeit von Rerum novarum sich noch eher im Stadium einer Sozialphilosophie befindend und zur Lösung der sozialen Probleme in erster Linie wenig strukturierte einfache und radikale Wege an bietend, wurde der Sozialismus von Leo XIII. verworfen und vor hergesagt, dass sich das Heilmittel (der Sozialismus) als schlimmer herausstellen würde als das zugrunde liegende Übel. Johannes Pau l II. wertet diese vorausschauende Einschätzung Leos XIII. als Indiz für dessen vermeintliche prognostische Fähigkeiten, schon damals die negativen Seiten des „realen Sozialismus“ als Staatssystem vor hergesagt zu haben. 458 Unterschiedlich beurteilt Johannes Paul II. die verschiedenen Ver suche, im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg auf den Sozialismus zu antworten. Jene Bemühungen, demokratische und marktwirt schaftliche Strukturen mit einer größtmöglichen sozialen Gerechtig keit aufzubauen, um nicht zuletzt dem Sozialismus das revolutionä re Potenzial zu entziehen, wertet Johannes Paul II. als durchaus positive Entw icklung, er warnt allerdings an späterer Stelle vor einer zu starken Hinwendung in Richtung eines „Fürsorge staates“. 459 Weitaus kritischer sieht Johannes Paul II. den Aufbau von Strukturen „nationaler Sicherheit“, bei denen durch die Ver <?page no="192"?> Centesimus annus - Papst Johannes Paul II. 1991 191 stärkung von staatlicher Macht eine „marxistische Infiltration“ ver hindert werden soll. Hier stellt sich die Frage, ob durch die Erweite rung der staatlichen Macht nicht gerade diejenigen freiheitlichen Werte der Individuen in Mitleidenschaft geraten, beim Kampf ge gen den Sozialismus also gerade das geopfert wird, was eigentlich gegen den Sozialismus geschützt werden so ll. Schließlich werden solche Bestrebungen zur Einrichtung einer „Wohlstands oder Kon sumgesellschaft“ kritisch hinterfragt, die darauf setzen, den Sozia lismus „auf der Ebene eines reinen Materialismus zu besiegen“, indem gezeigt wird, dass die freie Marktwirtschaft die materiellen Bedürfnisse besser als der Sozialismus zu befriedigen imstande ist. Zwar haben diese Modelle ei nerseits zum Zusammenbruch des Marxismus beigetragen, andererseits aber wurden dabei die „Men schen völlig auf den Bereich der Wirtschaft und die Befriedigung materieller Bedürfnisse reduziert“. 460 In den Ereignissen der Jahre 1989/ 90 erkennt Johannes Paul II. wie der eine Bestätigung für die in Rerum novarum getroffenen Voraus sagen und führt das Grundproblem des Sozialismus auf dessen Menschenbild zurück, nachdem der einzelne Mensch lediglich als ein Instrument und abstrakter Bestandteil des gesellschaftlichen Organismus betrachtet und somit sein Wohlergehen dem Ablauf des wirtschaftlich gesellschaftlichen Mechanismus untergeordnet werde. 461 Hinzu komme die klassenmäßige Sonderstellung einiger Individuen, die über ein nahezu uneingeschränktes Machtaus übungspotenzial verfügen. 462 Entscheidend aber für den Zusam menbruch des Sozialismus sei die Verletzung der Rechte der Arbei ter gewesen. Vor allem mit den großen Arbeiterbewegungen setzte der Veränderungsprozess ein, da dem Regime, das vorgab, „Aus druck der Herrschaft und der Diktatur der Arbeiter zu sein“, seine Legitimation entzogen wurde. Als Beispiel dient die polnis che Soli daritätsbewegung, die am politischen Umbruch entscheidend betei ligt war. 463 Angesichts immer noch existenter Formen von „Totalitarismus und Autoritarismus“ und der Gefahr ihres Wiederauflebens, der über steigerten Ausrichtung der Industrieländer an utilitaristischen Wer <?page no="193"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 192 ten und des damit einhergehenden ungehemmten Drangs nach Konsum sowie der zunehmenden Unfähigkeit zur Unterscheidung wichtiger und nachrangiger Werte und schließlich des Erscheinens neuer Formen religiösen Fundamentalismus in einigen Ländern fordert Johannes Paul II. die Hinwendung auf „die Rechte des menschlichen Gewissens, das nur der Wahrheit […] verpflichtet ist“. 464 Der Weg dorthin muss über Demokratie und Rechtsstaatlich keit beschritten werden. 465 Die Vorteile der Demokratie erwachsen aus der Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungen und der Möglichkeit, die Regierung zu wählen, zu kontrollieren und gegebenenfalls auch auf friedlichem Weg auszutauschen. In Gefahr kann auch die Demokratie geraten, wenn es keine letzten Wahrheiten, keine Werte gibt, an denen sich das politische Handeln or ientiert, wenn, auf Formen des Agnostizismus oder skeptischen Relativismus basierend, die Überzeugung vertreten wird, „daß die Wahrheit von der Mehrheit bestimmt werde bzw. je nach dem un terschiedlichen politischen Gleichgewicht schwanke“. Dem Miss brauch für Machtzwecke sind dann Tor und Tür geöffnet, wie die Geschichte beweist. 466 Und so finden sich verschiedentlich „Anzei chen einer Krise der demokratischen Systeme, denen mitunter die Fähigkeit zu Entscheidungen für das Gemeinwohl abhandenge kommen zu sein scheint“ und die sich mehr an den Interessen von Einzelgruppen als an „Gerechtigkeit und Sittlichkeit“ orientieren. 467 Auf den Ebenen des nationalen wie internationalen Handels hat sich der Kapitalismus als das leistungsfähigere System im Vergleich zum Sozialismus herausgestellt, was auf die Überlegenheit des Privateigentums über das Kollektiveigentum, das höhere Maß an bestehenden Freiheiten, die Allokationsfunktion des Marktes, die wirtschaftliche Initiative der Unternehmer und die Funktion des Gewinns als Indikat or für den Erfolg von Unternehmen zurückge führt wird. Allerdings, so schränkt der Papst ein, muss auch das kapitalistische System unbedingt am Gemeinwohl ausgerichtet und staatlichen Regeln unterworfen sein. Er plädiert dafür, Arbeitneh merinteressen in Form von Beteiligung zu verwirklichen, sodass die Arbeiter „in gewissem Sinne in eigener Sache arbeiten“. Di e westli <?page no="194"?> Centesimus annus - Papst Johannes Paul II. 1991 193 chen Länder werden davor gewarnt, aus dem vermeintlich eindeu tigen Sieg ihres Wirtschaftssystems über Schwächen, die diesem durchaus innewohnen, hinwegzusehen und dabei notwendige Korrekturen zu vernachlässigen. 468 Zitat Es besteht die Gefahr, daß sich eine radikale kapitalistische Ideolo gie breitmacht, die es ablehnt, sie auch nur zu erwägen, da sie glaubt, daß jeder Versuch, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sei, und ihre Lösung in einem blinden Glauben der freien Entfaltung der Marktkräfte überläßt. 469 Die Wirtschaft ist nur ein Aspekt des menschlichen Handelns und damit ist die wirtschaftliche Freiheit nur ein Element der menschli chen Freiheit. Wenn sich die Wirtschaft für autonom erklärt, „dann verliert sie ihre notwendige Beziehung zum Menschen, den sie schließlich entfremdet und unterdrückt“. 470 Wenn sich also der Mensch nur noch als Konsument oder als Produzent von Gütern begreift, so wird er sich über die Güter definieren und sich dabei immer weniger als Subjekt wahrnehmen, das konsumiert und pro duziert, um zu leben. Eine wichtige Lehre, die Johannes Paul II. aus den Ereignissen der Jahre 19 89/ 90 zieht, ist die Bestätigung der von Leo XIII. beschriebe nen „Wege zur Überwindung von Gewalt und Feindschaft“, denn der Umbruch wird nahezu überall gewaltlos, durch Verhandlung und Dialog vollzogen. Nun aber gelte es, nicht stehen zu bleiben, sondern den Prozess weiter zu institutionalisieren und auf die in ternationale Ebene zu heben , die „Herrschaft des Gesetzes“ anstelle von persönlicher Rache und Vergeltung auf die internationale Völ kergemeinschaft zu übertragen. Johannes Paul II. fordert konkrete Schritte, bei internationalen Konflikten per Schiedsspruch eingreifen zu können. Den Vereinten Nationen sei es bis jetzt nicht gelungen, ein solches wirkungsvolles Instrumentarium zu entwickeln. Aber nicht nur au f der politischen Ebene, sondern auch im Bereich der internationalen Wirtschaft sollten ebensolche Strukturen, gemäß <?page no="195"?> Wirtschaftssysteme in der Krise 194 dem Ausspruch „Entwicklung ist der neue Name für Frieden“, eingerichtet werden. 471 Zitat Genauso wie es die gemeinsame Verantwortung gibt, den Krieg zu verhindern, so gibt es die gemeinsame Verantwortung, die Ent wicklung zu fördern. Wie es auf nationaler Ebene möglich und geboten ist, eine Wirtschaft aufzubauen, die das Funktionieren des Marktes am Gemeinwohl orientiert, genauso müssen auf internati onaler Ebene geeignete Maßnahmen getroffen werden. 472 Durch den Zusammenbruch von Sozialismus und Zentralverwal tungswirtschaft und das damit einhergehende Ende des Kalten Krie ges tritt eine Veränderung der beiden Machtblöcke, des West und des Ostblocks, ein. Die gegenseitigen Abhängigkeiten auf internati onaler Ebene verschieben sich und treten deutlicher hervor. Nach wie vor ist es aber nicht gelungen das Problem der Armut, das in weiten Teilen der Welt herrscht und selb st in den Industrieländern in vielfältigen Formen vorhanden ist, trotz allen technischen und wirtschaftlichen Fortschritts auch nur ansatzweise in den Griff zu bekommen. 473 Eine Lösung des Armutsproblems hält der Papst nur für möglich, wenn zunächst die Denkmuster verändert und die Armen dieser Erde nicht als eine Last angesehen werden, nicht „als unerwünschte Menschen […], die das zu konsumieren beanspru chen, was andere erzeugt haben“. 474 Eine solche Sichtweise, die bedürftige Menschen als Last empfindet, schließt Gerechtigkeit aus. Auch genügt es nicht, nur von dem abzugeben, was man im Über fluss besitzt. Vielmehr geht es darum, „ganzen Völkern den Zugang in den Kreis der wirtschaftlichen und menschlichen Entwicklung zu eröffnen, von dem sie ausgeschlossen oder ausgegrenzt sind“. 475 Und so sind viele Anstrengungen notwendig, um die auf der Welt reichlich vorhandenen Ressourcen für die Entwicklung aller einzu setzen. 476 Wie schon in Sollicitudo rei socialis wird die Verschuldung der Ent wicklungsländer als drängendes Problem angeführt. Natürlich gilt <?page no="196"?> Centesimus annus - Papst Johannes Paul II. 1991 195 der Grundsatz, dass Schulden zurückgezahlt werden müssen, doch darf dies niemals um den Preis unzumutbarer Opfer geschehen, „die ganze Völker in den Hunger und in die Verzweiflung treiben“. Vielmehr muss die Schuldenrückzahlung „mit dem Grundrecht der Völker auf Erhaltung und Fortschritt vereinbar“ sein, was etwa durch Modalitäten wie einer erleichterten Rückzahlung, Stundung oder T ilgung der Schulden sichergestellt werden könnte. 477 Beim internationalen Handel hat sich gezeigt, dass diejenigen Entwick lungsländer, die in internationale Wirtschaftsbeziehungen eingetre ten sind, sich durchaus positiv entwickelt haben, jene jedoch, die sich vom internationalen Gefüge abgekoppelt und ausschließlich auf ihre eigenen Kräfte vertrauten, in wirtschaftliche Stagnation gerieten. Der Lösungsweg scheint darin zu bestehen, den Entwick lungsländern zunächst ei nen gerechten Zugang zu den internatio nalen Märkten zu ermöglichen, der eben nicht auf der einseitigen Ausbeutung von Rohstoffen beruht, sondern auch die Förderung des Humankapitals in den betreffenden Ländern mit einbezieht. 478 Um den Entwicklungsländern aber wirklich weiterzuhelfen, um sie stärker an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben zu lassen, von der sie größtenteils ausgeschlossen sind, müssen sich, über eine Veränderung der bestehenden Denkmuster und Einstellungen hin ausgehend, „die Modelle von Produktion und Konsum und die verfestigten Machtstrukturen ändern, die heute die Gesellschaften beherrschen“. 479 Zum Ende von Centesimus annus schlägt Johannes Paul II. noch einmal den Bogen zur Enzyklika Rerum novarum. Das „nahezu skla vische Joch“, unter dem viele Menschen zu Beginn der Industriege sellschaft und in den Entwicklungsländern heute noch immer leben, hat damals wie heute die Kirche veranlasst, sich dieser „Tatsache mit aller Klarheit und Offenheit“ zuzuwenden, und dies im Be wusstsein dafür, „daß ihr Appell nicht immer von al len wohlwol lend aufgenommen werden wird“. 480 <?page no="198"?> 197 V. Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung Die globale Finanzkrise Aus den Erfahrungen der wirtschaftlichen Stagnation der 1970er und 1980er Jahre entwickelt sich ein wirtschaftspolitischer Para digmenwechsel von staatsinterventionistisch keynesianischen hin zu marktliberal angebotsorientierten Konzepten. Dabei kommt auch der Finanzmarktliberalisierung, die seit den 1980er Jahren weltweit voranschreitet, eine zentrale Bedeutung zu. 481 In Deutsch land ist das erste Finanzmarktförderungsgesetz vom 1. März 1990 ein Meilenstein für die Liberalisierung der Finanzmärkte. In der Wirtschaftstheorie werden schon seit den 1970er Jahren Mo delle entwickelt, mit deren Hilfe der Wert komplexer Finanzinstru mente ermittelt werden kann, allen voran die Optionspreismodelle von Fischer S. Black, Myron S. Scholes und Robert C. Merton (ihnen, außer Black, der bereits 1995 verstarb, wurde 1997 der Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften verliehen). Zusammen mit der Fi nanzmarktliberalisierung und der voranschreitenden Entwicklung der Informationstechnologie bilden solche und ähnliche Modelle der Finanzwirtschaft den Grundstein für den sich explosionsartig entwickelnden Markt für innovative Finanzprodukte. Während beispielsweise der weltweite Bestand an nicht börsengehandelten Finanzderivaten 1990 noch ein Volumen von etwa 3,4 Billionen US Dollar aufweist, steigt sein Wert bis 2006 auf 370 Billionen US Dollar an. 482 Während einer Periode extrem niedriger Zinssätze, etwa von 2001 bis 2005, ist der über Hypotheken finanzierte Immobilienkauf auf grund der geringen Zinsbelastung für nahezu alle Bevölkerungs schichten in den USA sehr attraktiv. Die sprunghaft steigende Nachfrage führt dazu, dass sich die ohnehin seit Längerem steigen <?page no="199"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 198 den Immobilienpreise in einigen Regionen der USA innerhalb we niger Jahre mehr als verdoppeln. Für den Bankensektor entwickelt sich ein lukratives Geschäftsfeld. Hochriskante Kredite erscheinen lohnend, denn durch die permanent steigenden Immobilienpreise erhöht sich der Wert der Sicherheiten, und dies reduziert das Kre ditrisiko im Zeitablauf. Finanzinnovationen machen den Markt für Hypothe kenkredite noch attraktiver. Was geschieht, bezeichnet der Volkswirt und ehemalige Chefökonom der Weltbank Joseph Stiglitz (geb. 1943, Nobelpreis 2001) in einem Interview, das er im US amerikanischen Wirtschaftsportal „The Big Picture“ am 18. Dezem ber 2008 gibt („Joseph Stiglitz on The Fall of Lehman Brothers“), als „Finanzmarktalchemie“. Risikoreiche Kredite werden von den Ba n ken gebündelt, strukturiert und verbrieft. Die neuen Wertpapiere erhalten von den Ratingagenturen, die typischerweise bei der Kon zeption dieser Wertpapiere für die Banken beratend tätig sind, zum größten Teil beste Bonitätsbeurteilungen, obwohl sie letztlich auf hochriskanten Krediten basieren. Durch den Verkauf belasten die Kreditrisiken die Bilanzen der Banken nicht mehr, und di e Käufer, typischerweise ebenfalls Finanzinstitute, orientieren sich bei ihrer Risikovorsorge an der Bonitätsbeurteilung der Ratingagenturen. Die Jahre 2005 und 2006 sind gekennzeichnet von einer schwachen Kon junkturentwicklung und steigenden Zinsen in den USA, die Folge ist eine Kettenreaktion. Viele Immobilienbesitzer können die stei genden Belastungen durch die Hypotheken ni cht mehr bewältigen und sind zum Verkauf gezwungen, dadurch brechen die Hausprei se ein, die sinkenden Immobilienpreise führen dazu, dass Kredite nicht mehr ausreichend besichert sind. Zahlungsausfälle haben Wertverluste bei den verbrieften Krediten zur Folge und belasten die Bilanzen der Banken. 483 <?page no="200"?> Die globale Finanzkrise 199 Wissen: Chronik der Finanzkrise Frühjahr 2007 Emittenten von forderungsgedeckten Geld marktpapieren können auslaufende Papiere nicht mehr er neuern. Große Investmentfonds weigern sich, Anteile zu rückzunehmen, da sie ihre Bestände nicht mehr bewerten können. Juni 2007 Zwei von Bear Stearns verwaltete Hedge fonds melden hohe Verluste durch Subprime Hypotheken. August 2007 Die Probleme erfassen den Interbankengeldmarkt, die Zinsen steigen sprunghaft an. Die Industriekreditbank gibt große Verluste aufgrund von Subprime Hypotheken be kannt und erhält ein Rettungspaket im Wert von 3,5 Milliar den Euro. Die deutsche Union Investment stoppt die Anteils rücknahme eines ihrer Fonds und BNP Paribas die Anteils rücknahme für drei Fonds. Die EZB speist 95 Milliarden Euro in den Interbankengeldmarkt für Tagesgeld ein und eröffnet damit den Reigen außerordentlicher Maßnahmen der Zent ralbanken. Ein Run auf die britische Northern Rock findet statt, der englische Staat garantiert die Einlagen. September- November 2007 Viele Großbanken melden wiederholt Ab schreibungen und Quartalsverluste. Dezember 2007 Mehrere Zentralbanken kündigen koordinierte Maßnahmen zur Ent lastung der Märkte für kurzfristige Finanztitel an. Januar 2008 Schwache US Konjunkturdaten deuten auf einen Wirt schaftsabschwung. März 2008 JPMorgan Chase übernimmt das angeschlagene Finanzinstitut Bear Stearns. Juli 2008 Die USA geben staatliche Hilfen für die Hypothekenfinanzierungsin stitute Fannie Mae und Freddie Mac bekannt, die US Börsenaufsicht schränkt Leerverkäufe ein. September 2008 Fannie Mae und Freddie Mac werden unter staatliche Zwangsaufsicht gestellt, Lehmann Brothers beantragt Insol venz, die angeschlagene Merrill Lynch wird von der Bank of America übernommen. Die US Börsen erleiden den höchsten Tagesverlust seit den Anschlägen vom 11. September 2001. Die US Versicherungsgesellschaft AIG erhält staatliche Un <?page no="201"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 200 terstützung. Die USA, England, Deutschland und andere Länder verbieten Leerverkäufe von Finanzaktien. Die größte amerikanische Spar und Darlehensbank, Washington Mutu al, wird unter staatliche Aufsicht gestellt, die britische Hypo thekenbank Bradford & Bingley wird verstaatlicht, die Fi nanzkonzerne Fortis, Dexia und die deutsche Hypo Real Es tate erhalten staatliche Hilfen. Irland gibt Garantien für Ein lagen und Schuldverschreibungen von sechs irischen Ban ken, andere Länder folgen in den nächsten Wochen mit ähn lichen Maßnahmen. Oktober 2008 Der US Kongress billigt ein umfangreiches Hilfsprogramm für die Banken und die US Automobilindustrie. In einer konzertierten Aktion senken die wichtigsten Zentralbanken ihre Leitzinsen. England kün digt ein umfangreiches Stützungspaket an. Die wichtigsten Zentralbanken geben bekannt, dass sie in unbegrenztem Um fang US Dollar bereitstellen werden. Der DAX bricht an ei nem Tag um mehr als zehn Prozent ein. Island stellt das Bankwesen unter staatliche Kontrolle. Großbritannien be schließt eine Teilverstaatlichung der größten Banken des Landes und ein Hilfspaket von 500 Milliarden Pfund Ster ling. Die Regierungen des Euroraums verpflichten sich zur Bankenrekapitalisierung. Deutschland schnürt ein Rettungs paket in Höhe von 480 Milliarden Euro, andere europäische Länder beschließen ähnliche Rettungspakete. Die USA mel den das höchste Haushaltsdefizit aller Zeiten. Ungarn erhält u. a. vom IWF ein Stützungspaket in Höhe von 25 Milliarden US Dollar. November 2008 Die Fed stellt 200 Milliarden US Dollar für Darlehen und 500 Milliarden Dollar für den An kauf von Anleihen bereit. Die Commerzbank, HSH Nord bank und Citigroup erhalten staatliche Unterstützung. Die deutsche Wirtschaft befindet sich zum ersten Mal seit fünf Jahren in einer Rezession. Opel und die US Automobil konzerne General Motors, Ford und Chrysler bitten um staatliche Unterstützung. Januar 2009 Die irische Anglo Irish Bank wird unter staatliche Aufsicht gestellt. Die Bank of <?page no="202"?> Die globale Finanzkrise 201 America, die Royal Bank of Scotland und die Schweizer UBS erhalten staatliche Unterstützung. Februar 2009 Die USA geben Pläne für ein 1 Billion US Dollar umfassendes Hilfspro gramm bekannt. März 2010 Die Bank of England stellt 100 Mil liarden Dollar für den Ankauf von Vermögenswerten bereit. Die Fed gibt bekannt, für 300 Milliarden US Dollar länger fristige Schatzanweisungen zu kaufen. Mai 2010 Der EZB Rat beschließt den Ankauf von Schuldverschreibungen. 484 Im Anschluss an den Konkurs von Lehman Brothers im September 2008 kommt es im Finanzsektor zu einer regelrechten Vertrau enskrise. In völliger Unklarheit darüber, welche weiteren Finanzin stitute in Zahlungsschwierigkeiten geraten könnten, stoppen die Banken die kurzfristige Kreditvergabe an andere Banken, der Inter bankengeldmarkt kommt fast völlig zum Erliegen. Jene Banken, denen die Mögl ichkeit fehlt, sich kurzfristig über Kredite anderer Banken zu refinanzieren, beginnen damit, Liquidität zu horten, und reduzieren die Kreditvergabe an die Realwirtschaft, womit sich die Finanzkrise zu einer weltweiten Wirtschaftskrise ausweitet. Nur durch massive Stützungsmaßnahmen vonseiten der Geld und Fiskalpolitik kann die Lage stabilisiert werden. Eine Unzahl staatli cher Konjunkturprogramme, Kreditgar antien, Bankenverstaatli chungen, Ankaufprogramme von Bankaktiva und expansiver geld politischer Maßnahmen wird weltweit ergriffen. In Anbetracht dieser Maßnahmenvielfalt und des sie umgebenden chaotischen Umfelds sind eine Gesamtbewertung und insbesondere eine Ab schätzung der entstandenen Kosten bis heute nicht möglich. 485 Si cher ist allerdings, dass die Auswirkungen dramatisch sind. Galt beispielsweise in Deutschland 1975 als das Jahr der bis hierhin schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit - infolge des Öl preisschocks nahm das deutsche Bruttosozialprodukt um 0,9 Pro zent ab -, beträgt der Rückgang 2009 im Zuge der Finanzkrise da gegen 4,7 Prozent. Und sp ätestens im Frühjahr 2010 wird aus der Finanzkrise im Euroraum auch eine Staatsschuldenkrise, wobei, wie im Falle Irlands, die finanziellen Belastungen durch Bankenrettun <?page no="203"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 202 gen und Konjunkturhilfen alleinige Ursache sind, sie in anderen Fällen, wie etwa bei Griechenland, nur das auslösende Moment darstellen. Caritas in veritate - Papst Benedikt XVI. 2009 Im Jahr 2009 veröffentlicht Papst Benedikt XVI. seine Sozialenzykli ka Caritas in veritate (Die Liebe in der Wahrheit). Benedikt XVI. hebt einleitend die Bedeutung der Liebe als den Hauptweg der Sozial lehre der Kirche hervor und aller aus der Soziallehre abgeleiteten Verantwortung und Verpflichtung, um dann auf die enge Verbin dung zwischen Wahrheit und Liebe einzugehen. Ohne Wahrheit, Vertrauen und Liebe sei kein Gewissen, keine s oziale Verantwor tung, keine Gerechtigkeit möglich. Die im sozialen und kulturellen Umfeld der Menschen bestehende Tendenz zur Relativierung der Wahrheit verstelle den Blick für die Einsicht der Bedeutung christli cher Werte als nützliches und unverzichtbares Element des Aufbaus einer guten Gesellschaft, die gerade auch im globalen Maßstab be stehen wi ll. Orientierung ist dazu geboten, die zu erhalten, Benedikt XVI. an zwei Maßstäben des moralischen Handelns, der Gerechtig keit und dem Gemeinwohl, konkretisiert. 486 Die Gerechtigkeit gilt als Mindestmaß des sozialen Handelns und gewissermaßen als Vorstufe des karitativen Handelns: „Ich kann dem anderen nicht von dem, was mein ist, schenken, ohne ihm an erster Stelle das gegeben zu haben, was ihm rechtmäßig zusteht.“ 487 Mit der Sorge um das Gemeinwohl wird das Bemühen um die soziale Gemein schaft, die Beachtung der Bedürfnisse der Mitmenschen beschrie ben, das Gemeinwohl schließt sozusagen die Nächstenliebe als institutionellen und politischen Weg ein. „Sich für das Gemeinwohl einzusetzen bedeutet, die Gesamtheit der Institutionen, die das soziale Leben rechtlich, zivil, politisch und kulture ll strukturieren, einerseits zu schützen und andererseits sich ihrer zu bedienen, so daß auf diese Weise die Polis, die Stadt Gestalt gewinnt.“ 488 Für die handelnden Personen, ob auf der Makro oder auf der zwischen menschlichen Mikroebene, gelten die gleichen Kriterien morali schen Handelns. <?page no="204"?> Caritas in veritate - Papst Benedikt XVI. 2009 203 Im ersten Kapitel von Caritas in veritate wird die Enzyklika in die Soziallehre der katholischen Kirche eingeordnet. Im Mittelpunkt steht die Sozialenzyklika Populorum progressio von Papst Paul VI., in deren Tradition Benedikt XVI. nun auch die Enzyklika Caritas in veritate stellt. Dem von Paul VI. herausgestellten Entwicklungsbe griff, der eine positive Entwicklung der Menschheit in der Über windung von Hunger, Elend, endemischen Krankheiten und Anal phabetismus, verbunden mit der ökonomisch aktiven Teilnahme aller Länder am internationalen Handel unter paritätischen Bedin gungen sowie einer Ausbreitung demokratischer Gesellschaftssys teme, beinhaltet, schließt sich Benedikt XVI. an . Konkreter geht es vor allem darum, in ärmeren Gebieten die Ressourcen auf lokaler Ebene zugänglich zu machen, etwa durch Investitionen in ländliche Infrastruktur und landwirtschaftliche Technologie, Bewässerungs systeme und das Transportwesen sowie durch die Organisation von regionalen Märkten, was im Übrigen auch zum Erhalt der Produk tionskapazitäten in den reichen Ländern und damit zu deren St abi lisierung in Wirtschaftskrisen beitragen könne. Paul VI. betonte immer wieder, wie dringlich es ist, Wirtschaftsreformen in den unterentwickelten Ländern, und dies ganz zu deren Vorteil, aber auch in den reichen Ländern durchzuführen. Dabei reiche es nicht aus, entsprechende Institutionen zu schaffen, es wird so gar vor übertriebenem Vertrauen in die Institutionen gewarnt. Für eine nachhaltig positive Entwicklung bedürfe es vielmehr des verant wortungsbewussten Handelns des Einzelnen. 489 Im zweiten Kapitel von Caritas in veritate beschreibt Benedikt XVI. die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen seit Populorum progressio und nimmt eine Bestandsaufnahme der „Entwicklung des Menschen in unserer Zeit“ vor. Zwei Veränderungen fallen beson ders auf: die Globalisierung mit der explosionsartigen Verstärkung der internationalen Abhängigkeiten und ein teilweises Ver schwimmen der Grenzen zwischen armen und reichen Ländern, dort wo in ärmeren Ländern der Konsum gestiegen und sich in den re icheren Ländern neue Formen der Armut herausgebildet haben. Insgesamt betrachtet, hat sich der Abstand zwischen Arm und <?page no="205"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 204 Reich, sowohl innerhalb der armen als auch der reichen Länder, weiter vergrößert, und dies trotz einer Zunahme des weltweiten Reichtums während der letzten Jahrzehnte. Eine Mitschuld wird den Praktiken des internationalen Wirtschaftsprozesses mit ihrer ausschließlichen Gewinnorientierung und der Außerachtlassung des Gemeinwohls angelastet. Vermögen würden zerstört, und Ar mut würde geschaffen, eine Au ssage, die angesichts der Erfahrun gen mit der Finanzkrise gut nachvollziehbar ist. Auch die Rolle des Staates habe sich verändert. Die Staaten seien untereinander in eine immer stärkere Wettbewerbssituation geraten, in der sie, nicht zu letzt bedingt durch internationale Abhängigkeiten, insbesondere durch die Machtstellung multinationaler Konzerne und die Mobili tät des Fi nanzkapitals eine Einengung ihrer Entscheidungsspiel räume und Souveränität erfahren haben. Gleichzeitig sind die meis ten Staaten seit der Finanz und Wirtschaftskrise bemüht, mit gigan tischen finanziellen Aufwendungen Fehlentwicklungen der Wirt schaft zu korrigieren. Die Tatsache, dass der Einfluss des Staates bei der Abstimmung politischer und wirtschaftlicher Ziele und seine Intervention in den Wirt schaftsbereich über Jahre rückläufig waren und nun die Wirtschaft selbst massive Staatshilfen einfordert, die von der Allgemeinheit finanziert werden müssen, sollte auch An lass sein, die Rolle des Staates im Wirtschaftsprozess neu zu über denken. 490 Ein Problem moderner Gesellschaften besteht in einem über die Jahre entwickelten, teilweise extremen Anspruchsdenken der Indi viduen und einem Beharren auf Rechten bei gleichzeitiger Vernach lässigung der gesellschaftlichen Pflichten. In den Industriestaaten entstehe manchmal der Eindruck übertriebener Rechtsanwendung und Anspruchserfüllung, deren einzige Begründung in der staatli chen Anerkennung liegt, während einem Großteil der M enschheit elementare Rechte aberkannt und verweigert oder diese verletzt werden. Benedikt XVI. beklagt den Einsatz „übertriebener Formen des Wissensschutzes“ und führt beispielhaft ein zu restriktives Beharren auf geistiges Eigentum im medizinischen Bereich gegen über ärmeren Ländern an. 491 <?page no="206"?> Caritas in veritate - Papst Benedikt XVI. 2009 205 Der internationale Wettbewerb um Kostenvorteile, ein weiterer Aspekt der Veränderungen seit Populorum progressio, wurde vielfach durch Reduktion sozialer Sicherheit und Sicherungssysteme und durch die schrittweise Arbeitsmarktliberalisierung, einhergehend mit einer Verringerung der Arbeitnehmerrechte, ausgetragen. Die vielerorts staatlich geprägten sozialen Sicherungssysteme und Für sorgeeinrichtungen seien dadurch geschwächt worden. Auch in den reichen Volkswirtschaften gelinge es diesen Institutionen immer weniger, ihre eigentliche Aufgabe, die Schaffung eines gewi ssen Niveaus an sozialer Gerechtigkeit, zu erfüllen. Die Bürger stünden den Streichungen öffentlicher Leistungen und der sozialen Unsi cherheit machtlos gegenüber, auch weil oftmals eine wirksame Vertretung der Arbeitnehmerinteressen durch die Gewerkschaften ausbleibe. Benedikt XVI. erinnert an den von der katholischen Sozi allehre vorgeschlagenen Weg, dem Bedeutungsverlust der Gewerk schaften vor al lem durch die Organisation von Arbeitnehmerinte ressen auf internationaler Ebene zu begegnen. 492 Der grundlegende Aspekt, dass für die Wirtschaft, deren Urheber, Mittelpunkt und Ziel der Mensch ist, dieser Mensch an oberster Stelle als „das erste zu schützende und zu nutzende Kapital“ steht, scheint im modernen Wirtschaftsleben zu verschwimmen. 493 Die Herausbildung eines entsprechenden Bewusstseins wird als be deutsam erachtet, ebenso wie die Einsicht darin, dass sich die vor handenen erheblichen Unterschiede in den Besitzverhältnissen zukünftig nicht weiter in übertriebener und moralisch unhaltbarer Weise vergrößern dürfen. Prioritär sollte es sein, den Menschen einen Zugang zu Arbeit zu verschaffen, was bereits aus re in öko nomischer Perspektive sinnvoll ist, da Arbeitslosigkeit soziale Un gerechtigkeit bewirkt, die gleichbedeutend ist mit einer Abtragung des „Gesellschaftskapitals“, von dem wiederum die Wirkungsfä higkeit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Institutionen abhängt. Die aus der Arbeitslosigkeit entstehende soziale Unsicher heit kann die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung gefährden, wenn die Unsicherheit di e Wirtschaftssubjekte in ihren Aktivitäten lähmt und dazu verleitet, lediglich das Bestehende konservieren zu <?page no="207"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 206 wollen, und innovative Tätigkeiten ausbleiben. Ähnlich destabilisie rend wirkt auch die Armut, von der langfristig eine Gefährdung der Stabilität des globalen Wirtschaftsprozesses ausgehen kann. Des halb sei die Bekämpfung des Hungers nicht nur moralisch geboten, sondern auch ökonomisch notwendig. 494 Unter dem besonderen Eindruck der Finanzkrise vertieft Benedikt XVI. im dritten Kapitel von Caritas in veritate, „Brüderlichkeit, wirt schaftliche Entwicklung und Zivilgesellschaft“, die Betrachtung von Märkten und Unternehmen. Der Markt als Ort, an dem sich Men schen als gleichberechtigte Vertragspartner begegnen, um über den Austausch von Waren und Dienstleistungen ihre Bedürfnisse zu befriedigen, habe hinsichtlich seiner so wichtigen Bestandteile von Solidarität und Vertrauen einen erheblichen Bedeutungsverlust er litten. Mit anderen Worten: Die ausgleichende Gerechtigkeit, die das Geben und Empfangen zwischen gleichwertigen Vertragspart nern regelt, muss um die distributive und die soziale Gerechtigkeit erweitert werden. Eine Wirtschaft, in der die Institution des Marktes nur dem Prinzip der Gleichwertigkeit der getauschten Güter über lassen wird, kann für den sozialen Zusammenhalt der Men schen, der auch für das Funktionieren des Marktes essenziell ist, nur unzu reichend sorgen. Der Mensch in seiner „Überzeugung, sich selbst zu genügen“, ist nicht in der Lage, die Probleme allein durch das in erster Linie von der Suche nach materiellem Wohlstand bestimmte eigene Handeln, ohne eine Orientierung an höheren, für da s Han deln verbindlichen Werten, wie sie etwa das Christentum bereithält, zu überwinden. Auch haben das Streben der Wirtschaft nach immer mehr Autonomie und weniger staatlicher Einflussnahme oftmals zum Missbrauch des Instruments Wirtschaft geführt. Doch liegen die Ursachen für die Missstände nicht in der Wirtschaft oder der Wirtschaftstätigkeit, sondern im ha ndelnden Menschen selbst be gründet. Man kann also nicht ein an sich gutes Instrument als Ursa che von Missständen verantwortlich machen, das lediglich durch die „verblendete Vernunft der Menschen“ schlecht verwendet wur de. Der Wirtschaft als Instrument kann daher nicht vorgeworfen werden, unmoralischen, unmenschlichen oder gar asozialen Cha <?page no="208"?> Caritas in veritate - Papst Benedikt XVI. 2009 207 rakters zu sein, allerdings steht der Mensch in der Verantwortung, sie nach moralischen Aspekten zu strukturieren, zu institutionalisie ren und sie nicht, wie so oft geschehen, von den anderen gesell schaftlichen Bereichen zu isolieren. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die materielle Basis für den Wohlstand zu erwirtschaften. Der Staat hat da nach die Aufgabe, durch Umverteilung für Gerechtig keit zu sorgen. Diese Aufgabe erscheint heute jedoch schwieriger denn je, denn während der internationale Wirtschaftsprozess, mul tinationale Konzerne und das internationale Finanzwesen weltum spannende Entscheidungen treffen, sind Macht und Einfluss des einzelnen Staates auf sein regionales Territorium begrenzt. 495 Die insbesondere mit der Finanzkrise aufgetretenen Verzerrungen und Missstände nimmt Benedikt XVI. zum Anlass, für ein veränder tes Verständnis von Unternehmen zu werben. Die reine Fokussie rung auf Aktionärsinteressen sollte zugunsten eines Stakeholder Ansatzes verschoben werden. Finanzielle Spekulationen, die nur auf kurzfristigen Gewinn zielen, langfristig aber den Bestand eines Unternehmens gefährden, mü ssten unterbunden werden. Die für spekulative Zwecke verwendeten finanziellen Mittel sollten besser in die Realwirtschaft der entwickelten und vor allem der unterent wickelten Volkswirtschaften investiert werden. Dabei stellen die Investitionen in ärmere Länder keine Last dar, sondern bieten die Möglichkeit zur Erschließung wertvoller Ressourcen, denn die rei chen Länder seien di e ersten Nutznießer eines Aufschwungs in den armen Ländern. Im Grundsatz biete die Globalisierung die Chance auf eine weltweite Neuverteilung des Reichtums; sie berge aber auch die Gefahr, dass Armut und Ungleichheit zunehmen und mit einer Krise die ganze Welt anstecken. Die eigentliche Tragik bestehe darin, dass die materiellen Möglichkeiten zur Bekäm pfung der Armut niemals größer waren als in der Gegenwart, die Erträge aus der Expansion des Welthandels allerdings überwiegend von den entwickelten Ländern vereinnahmt werden. Benedikt XVI. fordert daher den Verzicht auf protektionistische und egoistische Maß nahmen und stellt, sozusagen als Anreiz für die Industriestaaten, den Gedanken heraus, dass die Einbeziehung und Unter stützung <?page no="209"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 208 der Schwellen und Entwicklungsländer bei der Überwindung der derzeitigen Wirtschaftskrise helfen können. 496 Im vierten Kapitel wendet sich Papst Benedikt XVI. Umwelt und Bevölkerungsproblemen sowie Problemen der internationalen Ar beitsmigration zu. Darüber hinaus breitet er die Grundzüge einer Wirtschaftsethik aus, die auf die Gerechtigkeit und das wahre Wohl des Menschen ausgerichtet ist. Zitat Die Wirtschaft braucht nämlich für ihr korrektes Funktionieren die Ethik; nicht irgendeine Ethik, sondern eine menschenfreundliche Ethik. Heute spricht man viel von Ethik im Bereich der Wirtschaft, der Finanzen und der Betriebe. Es entstehen Studienzentren und Ausbildungsgänge für business ethics; in der Welt der hochentwi ckelten Länder verbreitet sich im Gefolge der rund um die soziale Verantwortung des Betriebs entstandenen Bewegung das System der ethischen Zertifikate. Die Banken bieten sogenannte ‚ethische‘ Konten und Investitionsfonds an. Es entwickelt sich ein ‚ethisches Finanzwesen‘, vor allem durch den Kleinkredit und allgemeiner die Mikrofinanzierung. […] Es ist jedoch gut, auch ein gültiges Un terscheidungskriterium zu erarbeiten, da man eine gewisse Abnüt zung des Adjektivs ‚ethisch‘ feststellt, das, wenn es allgemein ge braucht wird, auch sehr verschiedene Inhalte bezeichnet. Das kann so weit gehen, daß unter seinem Deckmantel Entscheidungen und Beschlüsse durchgehen, die der Gerechtigkeit und dem wahren Wohl des Menschen widersprechen. 497 Während auf der einen Seite Maßnahmen wie Kleinkredite und Mikrofinanzierung oder Bemühungen zur Steigerung der sozialen Verantwortung ausdrücklich gewürdigt werden, entzündet sich auf der anderen Seite Kritik an jenen Hilfsorganisationen, bei denen die Armen und Hilfsempfänger nur der Rechtfertigung für einen über trieben kostspieligen Verwaltungsapparat dienen. Im Bereich der Hilfsorganisationen gibt es daher ei nen Reformbedarf, der auf hö here Effizienz und Transparenz gerichtet sein muss. 498 <?page no="210"?> Caritas in veritate - Papst Benedikt XVI. 2009 209 Der Papst wendet sich im fünften Kapitel den Lösungsmöglichkei ten für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu und be schreibt die hierzu notwendigen Reformen. Viele Probleme der Weltwirtschaft ließen sich wegen der starken gegenseitigen Abhän gigkeiten zwischen den Ländern nur mit einer echten politischen Weltautorität lösen, wie sie bereits Papst Johannes XX III. angedacht hatte. Benedikt XVI. geht es vor allem um die dauerhafte Überwin dung der Finanz und Wirtschaftskrise, zu deren Lösung es einer dringlichen Reform der Vereinten Nationen und der Notwendigkeit einer internationalen Wirtschafts und Finanzordnung bedürfe. 499 Die derzeitigen Strukturen und Funktionsweisen des Finanzwesens hätten der Realwirtschaft schweren Schaden zugefügt. Zur Durch führung grundlegender Reformen sei das Finanzwesen auf verbind liche ethische Grundlagen angewiesen, „um nicht jene hoch entwi ckelten Instrumente zu missbrauchen, die dazu dienen können, die Sparer zu betrügen“. Redliche Absichten und das Streben nach guten Er gebnissen seien miteinander vereinbar und dürften nicht als widersprüchlich aufgefasst werden. Der Gesetzgeber ist ange halten, skandalöse Spekulationen zu verhindern, schwächere Marktteilnehmer zu schützen und Institutionalisierungsprozesse zu fördern, die die Entwicklung neuer Finanzformen vorantreiben. Beispiele sind das Mikrofinanzwesen und andere Initiativen, deren besonderes Interesse der Unterstützung schwacher Gesellschafts schichten gilt. 500 Leitbild für die weitere Entwicklung der Wirtschaft sollte das Prin zip der Subsidiarität sein. Subsidiarität, hier ausgeführt als „Hilfe für die Person durch die Autonomie der mittleren Gruppen und Verbände“, müsse allerdings, um sozialen Partikularismus zu ver meiden, durch Solidarität ergänzt werden. Die Subsidiarität ist nicht nur ein Ausdruck der menschlichen Freiheit, sie sei au ch das „wirk samste Gegenmittel zu jeder Form eines bevormundenden Sozial systems“ und gut geeignet, der Globalisierung zu einem menschli chen Gesicht zu verhelfen. Durch verstärkten Bürokratieabbau und die Eindämmung von Verschwendung und Missbrauch ließen sich Sozial und Fürsorgeleistungen weiter verbessern, und der Nutzen <?page no="211"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 210 der Solidarität könnte erhöht werden. Bei allen Unterstützungs maßnahmen, die den Entwicklungsländern zugutekommen, müsse man immer eine „Ergänzung und Partizipation von unten“ einbe ziehen, denn in den armen Ländern ist, so die Ansicht des Papstes, die größte Ressource der Reichtum an Menschen. Nur wenn diese Ressource gefördert werde, könnten die Entwicklungsländer ei ne autonome Zukunft aufbauen. Die wichtigste Hilfe für sie sei die schrittweise Eingliederung ihrer Produkte auf den Weltmärkten, um ihnen den Weg zu einer vollen Teilnahme am Welthandel zu ermöglichen. Ein Vorschlag zur Förderung der finanziellen Ent wicklungshilfe ist die steuerliche Subsidiarität, bei der es der Bevöl kerung erlaubt wird, den Bes timmungszweck ihrer Steuerzahlun gen selbst festzulegen. 501 Die Globalisierung habe auch zu einem Ausbau der Macht der Kon sumenten und ihrer Verbände geführt, mit positiven und negativen Auswirkungen. Als positiv ist die Macht der Verbraucher dann zu beurteilen, wenn diese, sich der sozialen und ethischen Aspekte ihrer Kaufentscheidungen bewusst, die Produktion in qualitativer und quantitativer Hinsicht lenken und som it Baustein und Aus druck einer wirtschaftlichen Demokratie sind. Negativ wirkt sie sich vor allem dann aus, wenn die Konsumenten von den sie repräsen tierenden Verbänden in ihrem Konsumverhalten manipuliert wer den. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Machtgewinn der Konsumenten diese gerade in den reicheren Ländern zu den eigent lic hen Interessen der Arbeitnehmer und Gewerkschaften in Distanz habe geraten lassen, was für Letztere einen faktischen Machtverlust bedeute. Der eigentliche Machtverlust der Arbeitnehmer entsteht jedoch durch Arbeitslosigkeit und dies insbesondere dann, wenn Armut erwächst, was in dramatischer Weise für die ärmeren Länder dieser Welt zutrifft. Der Papst nennt es die „Verletzung der Würde der mens chlichen Arbeit“, denn dem Armen ist durch Erwerbslo sigkeit die Arbeitsmöglichkeit genommen, und das Recht auf an gemessene Entlohnung wird materiell unterlaufen. Benedikt XVI. wendet sich direkt an die Gewerkschaftsorganisationen mit dem Appell, neue Wege zu erschließen und sich neuen Problemen und <?page no="212"?> Caritas in veritate - Papst Benedikt XVI. 2009 211 Perspektiven zu öffnen. Dazu zählt es auch, den Fokus über die Interessen der eigenen Mitglieder auf die Nichtmitglieder hin aus zuweiten. Auf diese Weise soll die Situation der Arbeitnehmer in den Entwicklungsländern, in denen oftmals grobe Verstöße gegen die Sozialrechte zu beobachten sind, berücksichtigt werden, und zugleich sollen Erwerbstätige aus anderen Ländern unter Ei nbezie hung deren ethischer und kultureller Hintergründe gestützt wer den, um in deren Herkunftsländern Impulse für die weitere Ent wicklung zu setzen. 502 Benedikt XVI. warnt vor dem in der Gesellschaft weitverbreiteten Vertrauen in die „Wunder“ der Technik, mit dem Hinweis auf ähn lich fatale Folgen für die Menschheit, wie sie aus dem blinden Ver trauen in die „Wunder“ der Finanzwelt zuvor entstanden seien. 503 Letztlich findet einmal mehr die grundsätzliche Überlegung An wendung, dass ein an sich gutes Instrument nicht deshalb schlecht ist, weil es falsch eingesetzt wird bzw. das eigentlich gute Werkzeug (hier die Technik oder an anderer Stelle die Marktwirtschaft) schlecht verwendet wird. Es sind die Menschen und nicht die Werkzeuge, die die eigentliche Entwicklung best immen: Zitat Die Entwicklung wird niemals von gleichsam automatischen und unpersönlichen Kräften - seien es jene des Marktes oder jene der internationalen Politik - vollkommen garantiert werden. Ohne rechtschaffene Menschen, ohne Wirtschaftsfachleute und Politiker, die in ihrem Gewissen den Aufruf zum Gemeinwohl nachdrücklich leben, ist die Entwicklung nicht möglich. 504 Den Schluss der Enzyklika bildet die Forderung nach „christlichem Humanismus“, der, anders als ein gleichgültiger Atheismus, zu einer Entwicklung führe, bei der die menschlichen Werte nicht ver gessen werden. 505 <?page no="213"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 212 Zur Person: Papst Benedikt XVI. Joseph Ratzinger wird am 16. April 1927 als Sohn eines Gen darmeriemeisters in Marktl am Inn geboren. 1939 tritt er in das bischöfliche Studienseminar in Traunstein ein. Kurz vor Kriegsende wird er zur Wehrmacht berufen und nach Un garn abkommandiert, wo er Panzersperren errichten soll, sich aber von seinem Verband entfernt und zu Kriegsende kurz in amerikanische Gefangenschaft gerät. Ab 1946 stu diert er Philosophie und Theologie, zunächst in Freising und später an der Universität München. 1951 erfolgt die Pries terweihe, 1953 die Promotion. Nach seiner Habilitation 1957 wird er 1958 außerordentlicher Professor an der Freisinger Hochschule und 1959 Professor für Dogmatik an der Univer sität Bonn. Es folgen Rufe auf Lehrstühle an den Universitä ten Münster, Tübingen und Regensburg. Papst Benedikt XVI. Am II. Vatikanischen Konzil nimmt er zunächst als Sekretär des Kölner Kardinals Joseph Frings teil, wird aber noch wäh rend der ersten Sitzungsperiode zum offiziellen Konzilstheo logen ernannt. 1977 beruft ihn Papst Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising und erhebt ihn nur einen Monat später in den Kardinalsstand. <?page no="214"?> Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 213 Papst Johannes Paul II. beruft Joseph Ratzinger im Novem ber 1981 zum Präfekten der päpstlichen Glaubenskongrega tion nach Rom. Ratzinger gilt als enger Vertrauter des Paps tes. Seine Wahl zum Kardinaldekan findet 2002 statt. Am 19. April 2005 wird Joseph Ratzinger nach einem nur 26 stündigen Konklave zum Papst gewählt, er nimmt den Papstnamen Benedikt XVI. an. Während seines Pontifikats hat Papst Benedikt XVI. mit mehreren Skandalen innerhalb der katholischen Kirche und des Vatikans zu kämpfen. Er betreibt die Annäherung an die orthodoxe Kirche, verbessert die Beziehungen der katholi schen Kirche zum Judentum und führt eine Reihe von Ver änderungen im liturgischen Bereich durch. Im Februar 2013 verzichtet Papst Benedikt XVI. auf sein Amt und lebt seitdem als emeritierter Papst im Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan. 506 Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 Mit Kardinal Jorge Mario Bergoglio SJ wird am 13. März 2013 der Nachfolger des im Vormonat emeritierten Benedikt XVI. zum neuen Papst gewählt, er nennt sich Franziskus. Papst Franziskus hat die meiste Zeit seines Lebens in Buenos Aires verbracht, er kennt die Schicksale der Menschen in den Slums der Großstädte und die Ar mut der Landbevölkerung. Bereit s in seinem viel beacht eten Apos tolischen Schreiben Evangelii Gaudium aus dem Jahre 2013 übt Papst Franziskus harsche Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem, die Situation in den armen Ländern vor Augen. Alles richte sich nach „Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stär keren“, 507 was für viele Menschen den Kampf um das nackte Über leben bedeute, weit entfernt von einem Leben in Würde. Die aus Arbeitslosigkeit entstehende Aussichtslosigkeit, das Wissen um ein Leben in größter Armut und ohne Hoffnung auf eine bessere Zu kunft prägen das Denken und Empfinden der Betroffenen. Große <?page no="215"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 214 Massen der Bevölkerung sind ausgegrenzt von der Teilhabe selbst an einem minimalen Wohlstandsniveau, die soziale Ungleichheit nimmt immer dramatischere Formen an. „Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Bör se Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung.“ 508 Ausschließung tritt als ein neues Phänomen zutage. Es geht nicht mehr nur allein um Ausbeutung, Unterdrü ckung oder Machtlosigkeit, die die Betroffenen in die Unterschicht oder an den Rand der Gesellschaft drängt, sondern um den völligen Ausschluss aus der Gesellschaft, die den Ausgeschlossenen gerade zu nutzlos erscheinen lässt, wie ein Konsumgut, so es gebraucht wurde, wegge worfen und zu Abfall wird. „Die Ausgeschlossenen sind nicht ‚Ausgebeutete‘, sondern Müll, ‚Abfall‘.“ 509 Die Gemüter der Wohlhabenderen würden beruhigt durch „eine Globalisierung der Gleichgültigkeit“, durch die Begeisterung für das „egoistische Ideal“ und das vage Vertrauen darauf, dass das erreichte Wirt schaftswachstum früher oder später auch bei den untersten Schich ten ankommen wird - Trickle down Theorien, „die nie von den Fakten bestätigt“ wurden und nur ei n „naives Vertrauen […] auf die sakralisierten Mechanismen des herrschenden Wirtschaftssys tems“ aufzeigen. 510 Und in der Zwischenzeit, bis das Wachstum auch die Armen erreicht hat, warteten die vom Reichtum Ausge schlossenen weiter, „während die Einkommen einiger weniger exponenziell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit“. 511 Mit solch deutli chen und drastischen Worten hat bislang noch kein Papst die vielerorts in dieser Welt tatsächlich existierenden Zustände be schrieben. Und nicht minder vorwurfsstark trifft dies auch auf die Enzyklika Laudato si’ zu, die im Juni 2015 der Öffentlichkeit vorge stellt wird. <?page no="216"?> Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 215 Zur Person: Papst Franziskus Jorge Mario Bergoglio wird am 17. Dezember 1936 als ältestes von fünf Kindern in Buenos Aires, Argentinien, geboren. Sein Vater ist als Buchhalter bei einer Eisenbahngesellschaft ange stellt. Nach der Schule schließt Jorge Mario Bergoglio eine Aus bildung als Chemietechniker ab, entscheidet sich dann für die Priesterlaufbahn und tritt 1958 in den Jesuitenorden ein. Er stu diert zunächst in Chile, kehrt nach Argentinien zurück und be endet 1963 dort sein Studium mit einem Abschluss in Philoso phie am Kolleg San José in San Miguel. Von 1964 bis 1966 ist er Professor für Literatur und Psychologie, zunächst in Santa Fé, später in Buenos Aires. Ab 1967 studiert er Theologie und schließt das Studium 1970 ebenfalls am Kolleg San José ab. 1969 wird Bergoglio zum Priester geweiht und 1973 zum Provinzial der Jesuiten in Argentinien gewählt, er leitet die nächsten sechs Jahre den Jesuitenorden in Argentinien. Ab 1980 arbeitet er wieder im universitären Bereich und als Priester. Papst Johan nes Paul II. ernennt Bergoglio 1992 zum Titularbischof von Auca sowie zum Weihbischof in Buenos Aires und 1998 zum Erzbischof von Buenos Aires. 2001 kreiert ihn Johannes Paul II. zum Kardinal. Durch seinen bescheidenen Lebensstil und sei nen Einsatz für die Armen erlangt Kardinal Bergoglio große Beliebtheit. Papst Franziskus <?page no="217"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 216 Nachdem Papst Benedikt XVI. im Februar 2013 seinen Amts verzicht erklärt, wird mit Jorge Mario Bergoglio am 13. März der erste Jesuit und erste Südamerikaner zum 265. Papst ge wählt. Wenngleich Laudato si’ vielfach als Umwelt , Klima oder auch als Ökoenzyklika tituliert wird und keinen Anspruch darauf erhebt, eine Sozialenzyklika zu sein, enthält sie doch Inhalte ausgesprochen sozialpolitischen Charakters. So kommen Themen zur Sprache wie die soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit zwischen Arm und Reich, die Sorge um das Gemeinwohl, die Kritik am Kapitalismus im Allgemeinen und am Fina nzkapitalismus im Besonderen sowie das unreflektierte Streben nach immer mehr Wirtschaftswachstum und technologischem Fortschritt. Und natürlich die Umwelt, die der Mensch mit seiner Wirtschaftsweise in kaum wiedergutzumachen der Weise zu schädigen im Begriff ist, indem er die Ressourcen übermäßig ausbeutet oder sie verschwenderisch nutzt, den Klima wandel zum indest mitverursacht und durch seine Konsum und Wegwerfmentalität Müllmassen erzeugt, die das ökologische Gleichgewicht unseres Planeten empfindlich stören. Vor diesem Hintergrund können Laudato si’ viele Merkmale einer Sozialenzyk lika gewiss nicht abgesprochen werden. Die Enzyklika beginnt mit den Worten „Laudato si’, mi’ Signore - Gelobt seist du, mein Herr“, ein Zitat aus dem wahrscheinlich 1224 oder 1225 verfassten Son nengesang des heiligen Franziskus von Assisi (1181/ 82-1226). Die ses erstaunliche Dokument des großen mittelalterlichen Mystikers wird in der Enz yklika mehrfach zitiert und in ihrem Verlauf voll ständig abgedruckt. Weil es im Original bereits in altitalienischer und nicht, wie damals üblich, in lateinischer Sprache verfasst wur de, gilt der Sonnengesang als Beginn der italienischen Literatur und ist ein Lobpreis und Dank an Gott, in dem seine Schöpfung, di e Natur, gepriesen wird. Du rch den leichtfertigen und vor allem un verantwortlichen Gebrauch der in dieser Weise gepriesenen Natur und ihrer Güter, so stellt Papst Franziskus fest, füge der Mensch der Natur schweren Schaden zu, womit das zentrale Thema der Enzyk <?page no="218"?> Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 217 lika (der achtlose Umgang der Menschen mit Gottes Schöpfung) umrissen ist, um das er die katholische Soziallehre erweitern möch te. 512 Anknüpfungspunkte sieht er bei Papst Paul VI., der bereits 1971 davor warnte, dass der Mensch durch die rücksichtslose Aus beutung und Zerstörung der Natur selbst Gefahr laufe, Opfer zu werden. Und auch Franziskus’ Vorgänger, Johannes Paul II. und Benedikt XVI., wandten sich vor allem in ihren Sozialenzykliken immer stärker ökologischen Themen zu. 513 Seinen Überblick über die aktuelle ökologische Krise beginnt Fran ziskus mit einer Beschreibung der durch Umweltverschmutzung und Schadstoffbelastung einhergehenden Gefahren, die zu unzähli gen Krankheiten und Todesfällen führen. Angesichts der zu be obachtenden Müllmengen kritisiert er die vorfindliche Wegwerfkul tur und plädiert für eine Mäßigung des Konsums, für ein Produkti onsm odell, das auch die Interessen zukünftiger Generationen in die Ressourcennutzung einbezieht, die Effizienz der Ressourcennut zung steigert, den Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen auf ein Minimum beschränkt und stärker auf Wiederverwertung und Re cycling setzt. Wissend um Klimaskeptiker und die verschiedenen Ursachen des Klimawandels, ruft Franziskus angesichts einer hohen wissenschaftlichen Übereinstimmung hinsichtlich jener dur ch den Mens chen verursachten globalen Erwärmungsfaktoren in Erinne rung, dass Klima „ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle“ ist. Deshalb erachtet er es für unverzichtbar, bei den durch den Menschen verursachten, verschärften und beeinflussbaren Problem faktoren anzusetzen, was nichts anderes heißt, als Veränderungen in der Produktionsweise und im Konsumve rhalten herbeizuführen. Vom Klimawandel werden zunehmend vor allem die Menschen in den Entwicklungsländern betroffen sein, deren Erwerbsfelder in der Land und Forstwirtschaft und im Fischfang liegen. Da sie über keinerlei Alternativen des Einkommenserwerbs verfügen, wird ihnen durch die negativen Folgen des Klimawandels die Lebens grundlage entzogen, und damit werden sie auch der Mittel und M öglichkeiten beraubt, sich den geänderten Bedingungen anzupas sen. Wenngleich viele gute Ansätze zu einer verbesserten Nutzung <?page no="219"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 218 hinsichtlich erneuerbarer Energien und der Steigerung der Energie effizienz in der Produktion, im Transport und Gebäudewesen etc. existieren, ist deren Ausbreitung bei Weitem noch nicht ausreichend vollzogen, was die Entwicklung politischer Programme, insbeson dere zur Reduktion des Ausstoßes von Kohlendioxid, notwendig macht. 514 Angesichts der Erschöpfung natürlicher Ressourcen spricht Fran ziskus von der Unmöglichkeit, ein Konsumniveau aufrechtzuerhal ten, wie es die reichen Gesellschaftsschichten in den am meisten entwickelten Ländern aufweisen. Schon jetzt seien die Grenzen der Ausbeutung des Planeten erreicht, was besonders deutlich in Form der immer schlechter werdenden Verfügbarkeit und Qualität saube ren Wa ssers zutage trete. Franziskus lehnt die Privatisierung von Wasserressourcen ab. Er begründet dies mit dem Zugang zu Trinkwasser als einem für das Überleben des Menschen „grundle genden, fundamentalen und allgemeinen Menschenrechts“, das er gefährdet sieht, wenn Wasser in eine Ware verwandelt und den Marktgesetzen unterworfen würde. Die durch die Ökonomisierung des Wa ssers aufgeladene soziale Schuld könne aber durch „wirt schaftliche Beiträge zur Versorgung der ärmsten Bevölkerung mit klarem Wasser und Hygiene“ teilweise beglichen werden. 515 Das Argument, ein als überlebenswichtig eingeschätztes Gut den Gesetzmäßigkeiten des Marktes zu entziehen, da den Betroffenen faktisch das Recht auf Leben, das in ihrer unveräußerlichen Würde verankert ist, verweigert wird, steht durchaus in der Tradition der Sozialenzykliken. Schließlich hatte schon Papst Leo XIII. klargestellt, dass Lohn und Arbeitskraft nicht allein den Marktkräften au sge setzt werden dürfen, da der Lohn das Überleben des Arbeiters und seiner Familie sicherstellen muss. Daher möchte Franziskus die Arbeit selbst als einen Wert im Rahmen „einer ganzheitlichen Öko logie, die den Menschen nicht ausschließen darf“, beachtet und geschützt wissen. Er erinnert an die Sozialenzyklika Laborem exer cens von Papst Johannes Paul II., nach der die Zielsetzung darin bestehen muss, den Menschen „mittels Arbeit ein würdiges Leben zu ermöglichen“, hingegen finanzielle Hilfen für die Armen nur <?page no="220"?> Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 219 eine provisorische Lösung darstellen. Auch hat Benedikt XVI. in Caritas in veritate darauf aufmerksam gemacht, dass der Abbau von Arbeitsplätzen einer Untergrabung von Beziehungen gleichkommt, „die auf Vertrauen, Zuverlässigkeit und Einhaltung der Regeln gründen“ und somit unverzichtbar für jedes bürgerliche Zusam menleben mit letztlich auch negativen Folgen für die Wirtschaft sind - „fortschreitende Abtragung von ‚Gesellschaftskapital‘“ bzw. der Verlust von Arbeitsplätzen als Beispiel dafür, wie sic h wirt schaftlicher Fortschritt gegen den Menschen selbst richten kann. Als Mittel der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen wirbt Fran ziskus für Kleinbetriebe und besonders kleinbäuerliche Systeme, die immer noch einen Großteil der Weltbevölkerung ernähren und ökologisch viel effizienter arbeiten als Großbetriebe, die wiederum wegen des besseren Marktzugangs und höherer Skalen vorteile die kleinen Betriebe schrittweise verdrängen. Nicht zuletzt auch um den Schutz der wirtschaftlichen Freiheit zu sichern, müssten diesen Großunternehmen Grenzen gesetzt werden. 516 Franziskus warnt vor einer nicht hinreichenden Berücksichtigung des eigentlichen Sinns der Arbeit in marktgesetzlichen Abläufen und vor dem Versuch, technischen Fortschritt um jeden Preis durchsetzen zu wollen. Er weist auf die Vorteile einer möglichst hohen Produktionsvielfalt und schonenden Ressourcennutzung sowie auf die Bedeutung von Regeln hin, denen der Markt zur Si cher stellung einer echten wirtschaftlichen Freiheit unterworfen sein muss, damit einer zu starken Machtbildung von Unternehmen Ein halt geboten werden kann. Damit vertritt der Papst durchaus or doliberale Prinzipien, wie sie in der Grundkonzeption der sozialen Marktwirtschaft umgesetzt sind. Franziskus ist keineswegs technik feindlich eingestellt. Er lobt sogar viele technische Errungenschaften au f das Höchste, vor allem im medizinischen Bereich, und gewinnt selbst der Gentechnik positive Seiten ab. 517 Kritisiert wird jedoch das aus seiner Sicht vorherrschende eindimensionale technokratische Paradigma, demnach der Mensch im Verlauf eines logisch rationalen Prozesses zu der Überzeugung gelangt sei, alles steuern, beherrschen und verändern zu können. Auf diese Weise habe der <?page no="221"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 220 Mensch das außen liegende Objekt, die Umwelt, allmählich umfasst und in Besitz genommen. Aus der Ansicht der vollständigen Mani pulierbarkeit und grenzenlosen Verfügbarkeit der Umweltressour cen sei dann die Idee eines unendlichen und grenzenlosen Wachs tums geboren. 518 Natürlich hat der Mensch schon immer in die Na tur eingegriffen, doch war die zugrunde liegende Auffassung eine andere, eher begleitende: Zitat Es ging darum, zu empfangen, was die Wirklichkeit der Natur von sich aus anbietet, gleichsam die Hand reichend. Jetzt hingegen ist das Interesse darauf ausgerichtet, alles, was irgend möglich ist, aus den Dingen zu gewinnen durch den Eingriff des Menschen, der dazu neigt, die Wirklichkeit dessen, was er vor sich hat, zu ignorie ren oder zu vergessen. Deswegen haben der Mensch und die Dinge aufgehört, sich freundschaftlich die Hand zu reichen, und sind da zu übergegangen, feindselig einander gegenüber zu stehen. Von da aus gelangt man leicht zur Idee eines unendlichen und grenzenlo sen Wachstums, das die Ökonomen, Finanzexperten und Techno logen so sehr begeisterte. Dieses Wachstum setzt aber die Lüge be züglich der unbegrenzten Verfügbarkeit der Güter des Planeten voraus, die dazu führt, ihn bis zur Grenze und darüber hinaus ‚auszupressen‘. 519 Im Zuge des technokratischen Paradigmas habe sich eine Kultur entwickelt, in der die Technik nicht mehr bloßes Instrument sei, sondern mit ihrer inneren Logik das Handeln des Menschen beein flusse. Dies habe im wirtschaftlichen Bereich zur Akzeptanz nahezu jeder profitbringenden technischen Innovation geführt, unabhängig von möglichen negativen Folgen für Mensch und Umwelt. 520 Der moderne Anthropozentrismus trage zu einer Idealisierung der Technokratie bei und dazu, dass den Lebewesen kein Eigenwert zugemessen und paradoxerweise sogar dem Menschen sein beson derer Wert abgesprochen werde. Was folgt, das sind die entspre chenden ethischen Probleme im Verhältnis der Menschen unterei <?page no="222"?> Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 221 nander und des Menschen zur Natur. Verstärkt werde diese Pro blematik durch die Kultur des Relativismus, die weder objektive Wahrheiten noch allgemeingültige Prinzipien und Werte anerkennt und Kategorien wie Gut und Böse der subjektiven Einschätzung der Menschen überlässt. Eine an Werten orientierte Entwicklung könne auf dieser Basis nur schwerlich erfolgen, ebenso wenig wie eine Lösung der soz ialen Probleme und des Umweltschutzes. Stattdes sen seien ein geradezu zwanghafter Konsumismus, eine Weg werfkultur und eine Gleichgültigkeit gegenüber den ökologischen Problemen und den sozialen Missständen in den unterentwickelten Ländern die zwangsläufige traurige Konsequenz. 521 In ähnlich kriti scher Weise äußerte sich auch der Religionsphilosoph Romano Guardini (1885-1968), auf den Franziskus verweist. Guardini führte aus, dass der Mensch Lebensformen annimmt, die ihm als Resultat rationaler Planung und der Nutzung von genormten Maschinen produkten quasi aufgenötigt werden und ihn im Glauben wiegen, frei zu sein. Dabei besteht die wa hrgenommene Freiheit eigentlich nur in einer Art Konsumfreiheit, die jedoch ausschließlich von der Minderheit derer besessen wird, die „die wirtschaftliche und finan zielle Macht“ innehaben. 522 Der Politik kommt hier die Aufgabe zu, aufzuklären und zu han deln, wobei sie sich nicht der Wirtschaft unterwerfen dürfe. Die Wirtschaft sollte Bewusstsein für das effizienzorientierte Paradigma der Technokratie erlangen und sich diesem nicht unterordnen bzw. sich nicht von diesem - unbewusst oder wissentlich - lenken lassen. Politik und Wirtschaft mü ssen sich im Dialog für das Gemeinwohl einsetzen und sich entschieden in den „Dienst des Lebens stellen“. Der Einsatz für das Gemeinwohl schließt auch die Berücksichtigung der Interessen der zukünftigen Generationen ein und damit auch das Hinterlassen der (Um )Welt in einem lebensfähigen und le benswürdigen Zustand. Dies setzt - so Fra nziskus in Anlehnung an die Auffassung von der Welt als einer Leihgabe, die der Mensch gemäß dem Kriterium der Gerechtigkeit von einer Generation der anderen zu übergeben habe - die Abkehr vom Nützlichkeitsdenken in den Kategorien von Effizienz und Produktivität voraus. 523 Dass <?page no="223"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 222 dies so schwerfällt, sieht Franziskus im postmodernen kulturellen und ethischen Verfall begründet, der mit dem ökologischen einher geht. Dieser Verfall kann auch zur Erklärung unserer Unfähigkeit beitragen, die Interessen der zukünftigen Generationen und auch jener, die von den wirtschaftlichen Entwicklungen und Errungen schaften unserer Zeit ausgeschlossen sind, mit zu berücksichtigen. An si ch müsste bereits der Gedanke an die Armen von heute, „die nur wenige Lebensjahre auf dieser Erde verbringen und nicht mehr warten können“, ausreichen, um tätig zu werden. 524 Große Aktivitä ten würden aber an den Tag gelegt, wenn es um die Rettung der Banken aus der Finanzkrise geht und die Kosten einfach der Bevöl kerung auferlegt werden. Die Chance zur Überprüfung des gesam ten Systems und der Entwicklung „einer neuen, gegenüber den ethischen Grundsätzen aufmerksameren Wirtschaft und für eine Regelung der spekulat iven Finanzaktivität und des fiktiven Reich tums“, wie schon von Benedikt XVI. in Caritas in veritate gefordert, sei schlichtweg vertan worden. 525 Für eine notwendige Finanzre form unter ethischen Aspekten, so bemerkte Franziskus bereits in Evangelii Gaudium, bedürfe es Veränderungen in den Grundeinstel lungen der führenden Politiker. 526 Die von den Errungenschaften der wirtschaftlichen Entwicklung Ausgeschlossenen bilden die Mehrheit der Menschen. Ihre Proble me werden von den reichen Staaten in der Regel nur als Nebensäch lichkeit oder sogar als „Kollateralschaden“ angesehen, oft einherge hend mit „grünen Reden“ und der Rechtfertigung des Status quo einer Minderheit, die sich auf einem seh r hohen Konsumniveau bewegt, das zu erhalten sie glaubt berechtigt zu sein. Franziskus ist sich sicher, dass dieses Konsumniveau unmöglich auf alle Men schen der Erde übertragen werden könne, da der Planet nicht ein mal imstande sei, den aus diesem Konsum entstehenden Müll auf zunehmen. Die von den Industrie an di e Schwellenländer gerichte ten Aufforderungen zu einem ressourcen und umweltschonende ren Wirtschaften hat insofern einen eigentümlichen Beigeschmack, als dass die Industriestaaten ihren Weg des Wachstums auch durch ungehemmte Ressourcenausbeutung und Schädigung der Umwelt <?page no="224"?> Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 223 erzielt haben - umgekehrt appellieren die Schwellenländer an die Industriestaaten, ihrer historischen Verantwortung nachzukommen. Technischer Fortschritt und ansteigendes Wirtschaftswachstum, wie es in den entwickelten Staaten während der vergangenen beiden Jahrhunderte stattgefunden hat, sind eben nicht vollständig gleich zusetzen mit wahrem, ganzheitlichem Fortschritt, der dazu „ge sünder, menschlicher, sozialer“ ist. Wachstum geht nicht immer nur mi t einer Verbesserung der Lebensqualität einher, wie viele Beispie le gezeigt haben und wie es heutzutage insbesondere an der Um weltverschmutzung, dem Verlust an biologischer Vielfalt, verschie denen Dimensionen sozialer Ausschließung, neuen Formen sozialer Ag gr e s s iv it ät u nd an de re n M er km al en des Rückg angs s oz ia ler Integration und Gemeinschaft deutlich zutage tritt. Franziskus lehnt technis chen Fortschritt nicht grundsätzlich ab, im Gegenteil, er befürwortet ihn, und zwar dann, wenn er bewusst in den Dienst der Menschheit gestellt wird und sein Einsatz entlang übergeordneter Werte geschieht, der Mensch sich, mit anderen Worten, ein Stück weit vom herrschenden technokratischen Paradigma befreit. 527 Um kehr ist also geboten, die Umweltkrise mit der sozialen Krise in Zusammenhang zu sehen. Zitat Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio ökologische Krise. Die Wege zur Lösung erfordern einen ganzheit lichen Zugang, um die Armut zu bekämpfen, den Ausgeschlosse nen ihre Würde zurückzugeben und sich zugleich um die Natur zu kümmern. 528 Die soziale Krise hängt mit der ökologischen schon deshalb zu sammen, weil die Ärmsten dieser Welt von den Umweltproblemen am stärksten betroffen sind. So haben nicht nur die reichen Länder unverhältnismäßig stark vom Ressourcenabbau in den ärmeren Staaten profitiert und mancherorts Schäden wie Vergiftungen und schädliche Ablagerungen im Bergbau hinterlassen. Die vor a llem durch die Industrienationen verursachte Klimaerwärmung zeigt <?page no="225"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 224 ihre stärksten Auswirkungen in den ärmsten Zonen der Erde mit gravierenden Folgen für die dortige Landwirtschaft. Ganz zu schweigen von der kostengünstigen Entsorgung giftiger Abfälle und der Durchführung umweltschädigender Produktionsaktivitä ten, die in den eigenen Ländern nicht einmal erlaubt sind. Zwei Ziele müssen deshalb gemeinsam verfolgt werden: die Verbesse rung der Umwelt und die der Situa tion der Armen. Die Ziele sind nach Auffassung des Papstes nicht unabhängig voneinander er reichbar. Maßnahmen, die zum Umweltschutz beitragen, gleichzei tig aber den armen Ländern übermäßige Belastungen auferlegen, lehnt Franziskus ab. Er verweist auf Benedikt XVI., der fordert, „die wirtschaftlichen und sozialen Kosten für die Benutzung der al lge meinen Umweltressourcen“ offenzulegen und den Nutznießern vollständig aufzuerlegen, anstelle sie anderen Staaten oder zukünf tigen Generationen aufzubürden. Franziskus spricht das „Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“ an, aus dem sich für die Industrieländer bereits deshalb die Pflicht zur Un terstützung der armen Länder ergibt, weil diese kaum über Mittel und Mög lichkeiten verfügen, zur Reduzierung der Umweltbelas tung beizutragen. Überdies - so wird analog zum Verursacherprin zip argumentiert - besteht die Unterstützungspflicht aufgrund der von den entwickelten Ländern in hohem Maße mit zu verantwor tenden Schäden. Die ökologische Schuld, die sich die reichen Staa ten der Umwelt und besonders den leidt ragenden armen Ländern gegenüber aufgeladen haben, könne durch die Hilfsleistungen ein Stück weit abgetragen werden. 529 Strategien, die auf eine Internalisierung der aktuellen Umweltschä den setzen (also die Einbeziehung der Schadenskosten in die Wirt schaftlichkeitskalküle der Verursacher zum Ziel haben), sind mit starken Ungerechtigkeiten zulasten der Entwicklungsländer behaf tet, da die entwickelten Länder über lange Zeiträume, in denen Umweltkosten nicht mit einbezogen wurden, hohes wirtschaftliches Wachstum verzeichneten und entspreche nde Gewinne bereits er wirtschaftet haben. Sollten nun die Entwicklungsländer an den Kosten des Umweltschutzes mitbeteiligt werden, könnte dies das <?page no="226"?> Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 225 dortige Wachstum einschränken und die ohnehin geringen wirt schaftlichen Möglichkeiten überfordern. „Auf diese Weise kommt im Gewand des Umweltschutzes eine neue Ungerechtigkeit hinzu“, weshalb diejenigen Länder, die in der Vergangenheit am meisten etwa zum Entstehen von Treibhausgasen beigetragen haben, auch die meiste Verantwortung tragen müssen, die Umweltprobleme zu lösen. 530 Trotz der differenzierten Verantwortlichkeiten sind auch die armen Länder nicht von der Verpflichtung entbunden, ihren eigenen Bei trag zum Umweltschutz und zur Beseitigung der Armut zu leisten. Doch besteht die primäre Aufgabe der armen Länder im Kampf gegen das soziale Elend, das unermesslich hohe Konsumniveau einiger privilegierter Bevölkerungsgruppen und die Korruption. 531 Generell ist der Zustand, in dem einige „mehr und mehr konsumie ren und zerstören, während andere noch nicht entsprechend ihrer Menschenwürde leben können, unvertretbar“, und so sieht Franzis kus die Notwendigkeit, „in einigen Teilen der Welt eine gewisse Rezession zu akzeptieren und Hilfen zu geben, damit in anderen Teilen ein gesunder Aufschwung stattf inden kann“. 532 Diese Auftei lung des Wirtschaftswachstums ist insofern umstritten, als dass z. B. ein in einer Industrienation durch hochgradig spezifiziertes Wissen generiertes Wirtschaftswachstum nicht einfach an ein Entwick lungsland abgetreten werden kann, das über keinerlei derartige Standards verfügt. Der Verzicht auf Wirtschaftswachstum im In dustrieland würde hier keinerlei Sinn machen, es wäre vo llständig verloren. Anders verhält es sich, wenn Wirtschaftswachstum in den reichen Staaten dortige übermäßige und unnötige Konsumaktivitä ten stützt und ausweitet und dadurch den ärmeren Staaten Lebens grundlagen entzogen werden. Beispielhaft sei der Aufkauf ganzer Getreideernten in Entwicklungsländern zur Kostensenkung der Fleischproduktion in den reichen Ländern angeführt. Um in ohne hin mi t Konsumgütern gesättigten Gesellschaften billiges Fleisch als Massenware anbieten zu können, fehlen in den Anbauländern die Grundnahrungsmittel, die nicht nur knapp, sondern aufgrund der <?page no="227"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 226 steigenden Nachfrage für die dortige Bevölkerung auch uner schwinglich sind. Diese differenzierte Sichtweise sollte beachtet werden, wenn Fran ziskus Vorwürfen ausgesetzt ist, die ihn bezichtigen, den Fortschritt und die menschliche Entwicklung aufhalten zu wollen. Aus gutem Grund ist er der Meinung, „dass die Verlangsamung eines gewissen Rhythmus von Produktion und Konsum Anlass zu ei ner anderen Art von Fortschritt und Entwicklung geben kann“ und die nachhal tige Nutzung der natürlichen Ressourcen eine mittelfristig durchaus ertragsbringende Investition darstellt. 533 Zum Entwurf eines ande ren Bildes von Fortschritt, der „gesünder, menschlicher, sozialer und ganzheitlicher ist“, 534 wird es schließlich als notwendig erach tet, die negativen Aspekte des Wirtschaftswachstums wie die Fol gen der Umweltverschmutzung für den Einzelnen, die sinkende Qualität von Nahrungsmitteln, die Erschöpfung einiger Ressourcen etc. in die Überlegungen mit einzubeziehen. Wenngleich es sich bei der Umwelt um ein Gut handelt, das nach Ansicht des Papstes nicht ausreichend von den Marktmechan ismen geschützt und gefördert werden kann, so ist damit nicht automa tisch der Planwirtschaft der Weg geebnet, der diesbezüglich schon gar kein höheres Lösungspotenzial zugetraut wird. Daher muss grundsätzlich neu über den Sinn der Wirtschaft, ihre Ziele und die Berichtigung bestehender Verzerrungen im System nachgedacht werden. Mittelwege, die eine Lösung des Umweltprob lems bloß dahingehend anstreben, Geldmittel in die Naturerhaltung zu ste cken oder Umweltschutz über technischen Fortschritt zu erreichen, werden als zu kurz greifend, da nicht am eigentlichen Problem ansetzend, eingeschätzt. Sie zögerten den Zusammenbruch nur kurz hinaus. Die wirkliche Lösung besteht für Franziskus in einer Neudefinition von Fort schritt, 535 die Indikatoren von echter Lebens qualität, qualitative Bestandteile wirtschaftlichen Wachstums, Nah rungsmittelqualitäten, schädliche Wirkungen von Konsum und Produktion auf die Umwelt, Ressourcenerschöpfung etc. berück sichtigen muss. <?page no="228"?> Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 227 In der Verantwortung stehen an erster Stelle die reichen Staaten. Da sich die einzelnen Länder jedoch vielfach als zu schwach zur Lö sung der Umweltprobleme erwiesen haben und es eine Tendenz gibt, nationale Interessen über das Gemeinwohl zu stellen, möchte Papst Franziskus wirksame internationale Leaderships und Rah menbedingungen zum Schutz der Umw elt und zur Lösung der sozialen Probleme installieren. Eingeschlossen sind geeignete Me chanismen zur Kontrolle der getroffenen Vereinbarungen und zur Sanktionierung im Falle ihrer Nichterfüllung, was gerade angesichts des Scheiterns vieler getroffener Umweltabkommen wichtig scheint. 536 Die Kirche selbst sieht Franziskus in einer Vermittlerrolle zwischen den berechtigten Interessen der widerstreitenden Akteure und Betroffenen, und natürlich will sie auf die bestehenden, nicht hinnehmbaren Zustände in der Umwelt und auf die sozialen Unge rechtigkeiten aufmerksam machen. Man kann sagen, dass sich auch angesichts dieser Problemstellung ein dritter Weg der Päpste auftu t. Ein Weg, mit dem eine gangbare Alternative zwischen zwei beste henden Extremen aufgezeigt werden soll, und zwar zwischen einer seits dem Mythos einer sich automatisch und bedenkenlos einstel lenden Lösung aller ökologischen Probleme durch technischen Fortschritt und andererseits der Ansicht, dass der Mensch mit jegli cher Art von Ei ngriff eine Bedrohung für das Ökosystem darstellt und dementsprechend seine Präsenz auf dem Planeten zu reduzie ren und jegliche Art von Eingriffen zu untersagen sind. 537 Das Wichtigste aber: Der Mensch muss sich ändern. Ihm mangelt es an Bewusstsein für den gemeinsamen Ursprung, die wechselseitige Zugehörigkeit und die Vorstellung einer von allen geteilten Zu kunft. Ein solches Grundbewusstsein würde, so Franziskus, „die Entwicklung neuer Überzeugungen, Verhaltensweisen und Lebens formen erlauben“. 538 Aber auch der Markt spielt in den Überlegun gen von Papst Franziskus eine Rolle, allerdings legt er seine Hoff nung nicht auf die Anbieter , sondern auf die Nachfragerseite. Es ist die alte Frage nach der Konsumentensouveränität, dass in letzter Konsequenz nur die Nachfrager darüber entscheiden, was sie kau fen. Eine Änd erung der Einstellungen und Lebensstile könnte einen <?page no="229"?> Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Verantwortung 228 Bewusstseinswandel bewirken, der einen „heilsamen Druck“ auf Wirtschaft und Politik ausübt. 539 Ein solches Umdenken ist nicht nur möglich, sondern auch dringend notwendig, da der „Rhythmus des Konsums, der Verschwendung und der Veränderung der Umwelt […] die Kapazität des Planeten derart überschritten [hat; d. Verf.], dass der gegenwärtige Lebensstil, da er unhaltbar ist, nur in Kata strophen enden kann, wie es bereits periodisch in vers chiedenen Regionen geschieht“. 540 Papst Franziskus fordert mit der Enzyklika Laudato si’ die ökologi sche Umkehr, einhergehend mit einem veränderten, am Nachhal tigkeitsdenken ausgerichteten Lebens und Wirtschaftsstil. Dies setzt einen Bewusstseinswandel, ein Begreifen voraus, dass Freiheit weitaus mehr ist als nur Konsumfreiheit und untrennbar verbunden ist mit der Übernahme von Verantwortung. Angesichts der großen Probleme dieser Welt, der Zerstörung unserer natürlichen Lebens grundlagen und einer schreienden so zialen Ungerechtigkeit, die Milliarden von Menschen betrifft, stehen die reichen Länder, die bisherigen Nutznießer der Ressource Umwelt, in einer besonderen Verantwortung gegenüber den Verlierern. Ungleich den „klassi schen“ Sozialenzykliken steht in Laudato si’ die Frage nach dem zur Lösung geeigneteren Wirtschaftssystem nicht im Vordergrund, die Diskussion von Sozialismus und Planwirtschaft spielt hier keine Rolle, ganz im Gegensatz zu der des überlegenen marktwirtschaftli chen Systems. Im Hinblick auf die großen Problemlagen ist das System der Marktwirtschaft jedoch überfordert, woran auch sein Motor, der technische Fortschritt und di e Innovationskraft, dann nichts ändern, wenn sie einem unreflektierten Fortschrittsglauben (Franziskus spricht vom technokratischen Paradigma) anhaften und folgen. Daher bedarf es einer Reform des marktwirtschaftlichen Systems um regulative Komponenten. Zum einen ist die Ergänzung um das Soziale notwendig, wozu auch die bewusste Entscheidung und die Übereinkunft der Nationen gehören, da s globale Armutsproblem ernsthaft in Angriff nehmen zu wollen (was bereits das Gemein wohlprinzip nahelegt). Zum anderen aber muss die Marktwirt <?page no="230"?> Laudato si’ - Papst Franziskus 2015 229 schaft, und hier tritt die Neuigkeit von Laudato si’ in der Tradition der Sozialenzykliken ans Licht, um das Ökologische respektive eine nachhaltige Wirtschaftsweise angereichert werden. Franziskus strebt einen ganzheitlichen Fortschritt an, immer mit dem Ziel, dass Menschen in Frieden, Freiheit, frei von Existenznöten und in Würde leben können. Ein ganzheitlicher Fortschritt wird dabei immer die Erhaltung der Lebensgrundlagen (hier: eine gesunde Umwelt) und di e Situation der Armen im Blick halten. <?page no="232"?> 231 Epilog - Der dritte Weg der Päpste Die Sicht der Päpste auf die Wirtschaft ist ambivalent: Einerseits werden durch die Wirtschaft die Lebensgrundlagen der Menschen bereitgestellt, andererseits sind nicht alle Menschen ausreichend versorgt, einige erleiden Mangel, andere leben im Überfluss. Die Kirche fühlt sich zuständig für alle, wobei der Schwerpunkt natur gemäß auf jenen liegt, die Not, Mangel und Ung erechtigkeit erlei den. Im Laufe des 19. Jahrhunderts, in dem das Industriezeitalter seine große ökonomische Leistungsfähigkeit, aber auch seine große Schattenseite in Gestalt neuer Formen von Massenarmut und Aus beutung zeigt, erreicht die Diskussion um die widerstreitenden Systeme von Kapitalismus und Sozialismus einen Höhepunkt. Auch vom Vatikan wird eine Positionierung erwartet, die aber zu nächs t auf sich warten lässt. Erst 1891 erscheint Rerum novarum, eine Enzyklika, mit der die katholische Kirche grundlegend und eigen positioniert Stellung zu sozialen und ökonomischen Problemen bezieht. Es ist die erste Sozialenzyklika, sie fällt in die Zeit der Gründung und Verbreitung großer Arbeiternehmervereinigungen und der Anfänge der Sozialpolitik. In Rerum novarum ergreift Papst Leo XIII. mit deutlichen Worten Partei für die Arbeiter und zeichnet das Bild einer zunehmend ori entierungslosen Gesellschaft und Wirtschaft, in der sich Konkur renzprozesse unkontrolliert verbreiten und selbst die Regierungen sich kaum mehr an christlich moralischen Grundsätzen ausrichten. Gier und Gewinnsucht werden als dominierende Motive des Wirt schaftslebens wa hrgenommen, einhergehend mit einer sich vergrö ßernden sozialen Ungerechtigkeit und verstärkten Konzentrations tendenzen bei den Unternehmen. Diesen Missständen des Kapita lismus gilt es entgegenzuwirken, aber ebenso dem Sozialismus, dem vorgeworfen wird, Besitzlose und Besitzende gegeneinander aufzuwiegeln und das als notwendig erachtete und naturrechtlich begründete Privateigentum einschränken zu wollen. Anstelle eines ra dikalen Umbruchs und der Hervorhebung von Gegensätzen plä <?page no="233"?> Epilog 232 diert die Kirche auf Ausgleich und gegenseitige Interessenabwä gung im friedlichen Dialog. Die natürliche Gerechtigkeit, deren oberstes Ziel die Erhaltung des Lebens selbst ist, verpflichtet die Arbeitnehmer und Arbeitgeber zum fairen Umgang miteinander, vor allem aber zu einer Lohnfindung, die ein würdiges Leben über haupt erst ermöglicht. Es ergibt sich die Forderung na ch staatlichem Schutz sozial Schwacher und Benachteiligter vor Gewalt, Betrug, Ausbeutung und Willkür sowie nach eigenverantwortlicher Interes senorganisation der Arbeitnehmer in Form von Arbeitervereini gungen. Die Kirche selbst will durch karitatives Tun, erzieherisches Wirken und Lebensbegleitung als Vermittlerin und Orientierungs geberin entlang der biblischen Lehre, die etwa Anhaltspunkte dafür liefert, wa s als gerecht und angemessen gelten soll, zur Konfliktbe wältigung beitragen. Dabei schlägt sie einen Mittelweg, einen drit ten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus vor, der die wirt schaftlichen Stärken eines auf dem Wettbewerbsgedanken beru henden kapitalistisch geprägten Wirtschaftssystems nutzen will, die negativen Seiten jedoch durch regulative Komponenten, wie sie im Sozia lismus angelegt sind, zu korrigieren beabsichtigt. Im Rahmen von Auseinandersetzungen tritt der Papst konsequent für den Ein satz friedlicher Mittel und die Wahrung der Würde aller Beteiligten ein. Blickt man von heute auf einige Aussagen von Rerum novarum zu rück, entdeckt man viele Aspekte, die zum damaligen Zeitpunkt höchst unrealistisch gewirkt haben müssen, etwa die Hoffnung, dass weite Teile der Arbeiterschaft über Ersparnisbildung oder sogar über den Kauf eines eigenen Hauses ihre wirtschaftliche Situ ation schrittweise selbst verbessern könnten, oder der Appell für friedliche und konstruktive Lohnverhandlungen. Aus heutiger Per spektive sind diese Hoffnungen und Appelle vielfach umgesetzt, fast selbstverständlich geworden und Papst Leos XIII. Aussagen von geradezu weitsichtigem Charakter. Gewiss sind viele der Ver besserungen und Fortschritte ohne den Einfluss von Päpsten und Kirche entstanden, dennoch spricht einiges für einen nennenswer ten Einfluss von Rerum novarum auf die weitere Entwicklung der <?page no="234"?> Der dritte Weg der Päpste 233 Sozial und Wirtschaftspolitik vieler Länder. Belegt ist der Einfluss auf den politischen Katholizismus und die katholische Arbeitneh merbewegung in Ländern wie Belgien, Deutschland, Frankreich, Holland und Italien. Eine nicht minder große Rolle spielt Rerum novarum bei den Sozialreformen des ausgehenden 19. und begin nenden 20. Jahrhunderts. Die Enzyklika beeinflusst die Einrichtung unterschiedlichster Wohltätigkeits und Selbsthilfeorganisationen einschließlich kirchlicher Arbeitervereinigungen und eventuell sogar der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), darauf weisen jedenfalls die von Oswald von Nell Breuning dargestellten Paralle len in den Inhalten von Rerum novarum und der Gründungsurkunde der ILO hin. Hingegen gelang es mit Rerum novarum noch nicht, den erbittert geführten deutschen Gewerkschaftsstreit zu verhindern. In der Folge des Ersten Weltkriegs gerät Europa in eine schwere Krise, vorhandene Unterschiede in den sozialen Klassen treten offen zutage, große Teile der bestehenden gesellschaftlichen und wirt schaftlichen Strukturen werden zerstört. Die durch Krieg und Kriegsfolgen entstandenen Nöte stellen die Staaten vo r neue Her ausforderungen. Zur Vermeidung sozialer Härten wird der Ausbau des Sozial und Steuerwesens vorangetrieben, der die Staaten in die Rolle aktiv Hilfeleistender versetzt und den Sozialstaat entstehen lässt. Die Wirtschaftswissenschaftler unternehmen große Anstren gungen, die komplexe Situation zu beschreiben und mögliche Lö sungswege aufzuzeigen. Neben der Suche nach kompromissorien ti erten Mittelwegen zwischen kapitalistischer und sozialistischer Wirtschaftsweise kommt nun ein scheinbar gänzlich auf die Interes sen der Arbeiterschaft zugeschnittenes Gesellschaftssystem, der in Russland entstandene real existierende Sozialismus hinzu, der je doch von den meisten der damaligen Wirtschaftstheoretiker abge lehnt wird. Für die Ökonomen geht es darum, Kapitalismus und Konkurrenzwirtschaft zu reformieren, si e zum Wohle aller lebens fä hig zu machen. Speziell in Deutschland beginnt vor dem Hintergrund der Folgen des Ersten Weltkriegs, der Oktoberrevolution in Russland und an gesichts der Erfahrungen mit Hyperinflation, Deflation, Massenar <?page no="235"?> Epilog 234 beitslosigkeit und Unterversorgung die Suche nach einer Wirt schaftsordnung, die angesichts derartiger Kalamitäten stabil bleibt. Man ist geneigt, von einer regelrechten Sehnsucht nach Ordnung im Chaos zu sprechen, ein Gedanke, der besonders auf den Ordolibera lismus zuzutreffen scheint, der die Beantwortung der sozialen Frage im Kern als abhängig von der Lösung des wirts chaftlichen Ord nungsproblems sieht, die wiederum den Ausgangspunkt für die ordnungspolitische Konzeption der sozialen Marktwirtschaft bilden soll. Im Jahr 1931, also 40 Jahre nach Rerum novarum, erscheint die Sozial enzyklika Quadragesimo anno von Papst Pius XI. Er erweitert den Blickwinkel von der Fokussierung auf die Arbeiterfrage hin zu einer generellen Betrachtung der Wirtschaftsordnung. Einen Schwer punkt in Quadragesimo anno bildet die Analyse des Privateigentums. Vom Privateigentum gehen Anreize zur Leistungserbringung aus, weil das Ziel des Eigentumserwerbs die Individuen zum sorgsamen und vorausschauenden Handeln und Planen veranlasst. Das Eigen tum dient aber auch zur Lebensabsicherung, etwa für die Altersvor sorge, und es verpflichtet den Eigentümer zum verantwortungsvol len Umgang gegenüber Dritten, was insbe sondere für große Land und Kapitalbesitzungen gilt. Pius XI. spricht von der Individual und Sozialnatur des Eigentums, ein Themenkomplex, der auch von Pius XII. in seiner Pfingstbotschaft von 1941 thematisiert wird. An das Privateigentum ist die Verteilungsfrage geknüpft, denn solange die Verteilung zu ungleich und zu ungerecht erfolgt, bietet si e Zündstoff für Unzufriedenheit, Unruhen und Unfrieden. Die Vertei lungsfrage hat Systemrelevanz, denn von der Verteilung kann das Überleben eines ganzen Gesellschaftssystems abhängen. Ein Novum von Quadragesimo anno bildet die Warnung vor einem Ausbau des Staates zu einem Wohlfahrtsstaat aufgrund gesell schaftlicher Individualisierungsprozesse. Die Individuen nehmen eine regelrechte Anspruchshaltung gegenüber dem Staat ein, sie werden zunehmend aus ihrer Verantwortung für sich selbst und für andere entlassen, während der Staat mit Verpflichtungen gegenüber den Bürgern überhäuft wird - ein Widerspruch zum Subs idiaritäts <?page no="236"?> Der dritte Weg der Päpste 235 prinzip, das im modernen Staats und Rechtswesen, aber auch in der Wirtschaftspolitik so zentral ist, mit Quadragesimo anno jedoch überhaupt erst programmatisch manifestiert wird. Als Lösungsvor schlag wird ein dritter Weg benannt, der den Abbau der bestehen den ungleichen Verteilung und der starken gesellschaftlichen Ge gensätze sowie die Stärkung des Konzepts einer berufsständischen Ordnung beinhaltet, wobei das übergeordnete Ziel eine klassenlose Gesellschaft ist. Dem freien Wettbewerb wird jedenfalls nicht zug e traut, den Markt erfolgreich steuern zu können, weshalb es regula tiver Eingriffe in die Wirtschaft unter strikter Ausrichtung an der Idee der sozialen Gerechtigkeit bedarf. Die tiefer liegenden Ursa chen des Marktversagens aber werden in der grenzenlosen Gier der Individuen nach materiellen Gütern und Reichtum, dem uneinge schränkten Egoismus, doch au ch in den Rahmenbedingungen aus gemacht, die diese Verhaltensweisen fördern, die die Menschen niemals glücklich und zufrieden machen können. Ein genereller Unterschied der katholischen Soziallehre zur (mo dernen) Volkswirtschaftslehre wird deutlich. Wirtschaft und wirt schaftliche Tätigkeit machen aus Sicht der Päpste nicht den Hauptinhalt und schon gar nicht den Sinn des mensch lichen Lebens aus. Die Wirtschaft ist insoweit bedeutend, als dass sie die Grundla ge für die lebensnotwendige Güterversorgung und ein menschen würdiges Leben bereitstellt und darüber hinaus die Voraussetzun gen für die volle Entfaltung der menschlichen Person liefern soll, ein Argument, das gerade in den auf Quadragesimo anno folgenden Enzykliken immer weiter entwickelt wird. Hat eine Volkswirtschaft ein hohes Wohlstands und Einkommensniveau erreicht, so liegt es einfach nicht im Bestreben der katholischen Soziallehre, sich mit dessen weiterer Erhöhung oder gar Maximierung zu befassen. Be strebungen zur Maximierung eines bestehenden und ausreichenden Wohlstands sind, „wenn in der gehörigen Weise erfolgend“, fü r die Kirche lediglich „eine sittlich schlechthin neutrale Sache“. 541 Nach Quadragesimo anno kristallisieren sich einige Argumentations ketten und grundsätzliche Positionen heraus, die auch in den weite ren Sozialenzykliken immer wieder Verwendung in unterschiedli <?page no="237"?> Epilog 236 chen Kontexten finden: So ist Arbeit nicht nur als eine bloße Ware aufzufassen, der Lohn darf nicht den Gesetzen von Angebot und Nachfrage überlassen werden, wirtschaftliches Wachstum muss immer auch dazu dienen, den sozialen Fortschritt voranzubringen, Entwicklung umfasst mehr als nur Wirtschaftswachstum, womit unmittelbar die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit, einem stä rkeren gemeinschaftlichen Vorgehen und mehr Solidarität ein hergeht. Ferner gilt das Privateigentum als naturgegeben, es bein haltet Anreize zur Leistungsentfaltung, verpflichtet aber auch dazu, die Interessen anderer zu berücksichtigen. Dem Staat kommt die Aufgabe zu, das Gemeinwohl zu fördern. Zu diesem Zweck muss er die Wirtschaft unterstützen, gleichsam die sozial Schwachen sc hützen und unterstützen, indem er ihnen die gleichen Rechte und Freiheiten gewährt wie den Bessergestellten. Vor allem aber hat er für ein Grundniveau an materieller Versorgung zu sorgen, das ein Leben in Würde ermöglicht. Der Sozialismus wird abgelehnt, weil er die Ausübung persönlicher Freiheiten einschränkt und Privatei gentum nicht uneingeschränkt zul ässt. Als Grundproblem erscheint die menschliche Gier - das so wenig an wahren Werten orientierte Verhalten einiger und das Streben vieler mächtiger Personen, aus der Situation von Schwachen Profit zu schlagen. Neues ungeheuerliches Elend und Not bringt der Zweite Weltkrieg: Mit seinem Ausgang verändern sich wieder die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Struk turen der Welt. Europa verliert an machtpolitischer Bedeutung, die USA und die Sowjetunion avancie ren zu Supermächten. Die Welt wächst aber auch zusammen, Insti tutionen wie die UNO, die OEEC (später OECD), die Weltbank und der Internationale Währungsfonds entstehen, der Begriff der sozia len Gerechtigkeit erhält den Status eines sozialen Grund rechts, die Sozialsysteme vieler Industriestaaten werden ausgebaut. Die Mehr heit westlicher Ökonomen glaubt, mit einem marktwirtschaftlichen Mischsystem, das auf die Wirkung des Preismechanismus setzt und durch geld und fiskalpolitische Instrumente à la Keynes die Ext rema der Konjunktur umschifft, insbesondere das Ausmaß von Wirtschaftskrisen kontrollieren zu können. <?page no="238"?> Der dritte Weg der Päpste 237 In Deutschland erlebt die soziale Marktwirtschaft ihre Blütezeit. Bedeutsam sind zwar die Allokations , Steuerungs und Kontroll mechanismen des Marktes, jedoch ist die soziale Marktwirtschaft eine Ordnungskonzeption mit sowohl wirtschafts wie auch gesell schaftspolitischem Einschlag. Getragen wird sie vom Gedanken der „sozialen Idee“, da sich in einer um das Soziale erweiterten ma rkt wirtschaftlichen Wirtschaftsweise die in einer Gesellschaft vorhan denen verschiedenen (und durchaus widerstreitenden) Werteziele am besten verwirklichen lassen - darin besteht Übereinstimmung mit der katholischen Soziallehre. Der Aufbau der sozialen Markt wirtschaft obliegt dem Staat, der auch den Wettbewerb zu organi sieren hat, zu dessen effektiver Umsetzung es einer Konjunktur , Wettbewerbs und Währungspo litik bedarf. Im Bedarfsfall muss allerdings die Möglichkeit administrativer Eingriffe in die markt wirtschaftliche Preisbildung ebenso möglich sein wie eine dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit unterworfene Einkommenspolitik. Entscheidend ist die Fundierung der Konzeption der sozialen Marktwirtschaft, zu deren Umsetzung alternative gesellschaftliche und wirtschaftliche Zustände eingeschätzt werden müssen. Eine wertende Betrachtung die ser erfordert eine höhere Perspektive, eine Verankerung der Werte, die Alfred Müller Armack an solche der christlichen Glaubenstradition anlehnt. Diese Besinnung auf höhere Werte schließt die Auffassung ein, dass die Wirtschaft nur einen Teil der menschlichen Existenz ausmacht und ihr keine ausschließ liche Bedeutung zukommt. Explizit fließt die katholische Soziallehre über die Idee der so zialen Irenik in die Konzeptionierung der sozia len Marktwirtschaft ein, ebenso wie bestimmte Vorstellungen aus Protestantismus, Liberalismus und Sozialismus. Papst Johannes XXIII. veröffentlicht kurz hintereinander gleich zwei Sozialenzykliken, Mater et magistra 1961 und Pacem in terris 1963. Seine Enzykliken markieren einen Wendepunkt insofern, als dass sie die soziale Wirklichkeit und detaillierte Probleme direkter be nennen, dadurch aktueller und weniger sozialphilosophisch kon templativ wirken. So thematisiert Johannes XXIII. die Gestaltung von Arbeitsprozessen, die Verbesserung der Qualität der Arbeit, <?page no="239"?> Epilog 238 das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Arbeit nehmerbeteiligungen etc. Erstmalig wird das Verhältnis der Indust riestaaten zu den Entwicklungsländern ausführlich angesprochen, Reichtum und materieller Wohlstand auf der einen Seite, Hunger und Elend auf der anderen. Gefordert wird eine verstärkte Zusam menarbeit zur Unterstützung der Armen und an die Großmächte appelliert, ihre Aufrüstungsakt ivitäten und Militäretats zurückzu fahren. Der Begriff des Gemeinwohls wird neu definiert, von nun an bezeichnet er in der katholischen Soziallehre nicht mehr nur das Wohl einer Nation bzw. ihrer Bevölkerung, sondern umfasst die Welt und das Wohl der gesamten Menschheit. Als Ursache der schweren Fehlentwicklungen und Missstände, wie sie insbesondere in den armen Ländern der We lt zum Vorschein treten, wird die fehlende Anerkennung sittlicher Werte angeführt. Der Mensch hat sich zum Maßstab seiner selbst erhoben und richtet sich zu wenig an verbindlichen und feststehenden Orientierungspunkten aus, wie etwa einer Ordnung, die auf fundamentalen christlichen Werten aufbaut. Es müsse verstanden werden, dass ökonom ischer Wohl stand, wissenschaftlicher und technischer Fortschritt nicht die höchsten Werte sind, sondern nur Mittel, um zu höheren Werten zu gelangen. Mit der dritten großen Sozialenzyklika, die ebenfalls in den 1960er Jahren erscheint, Populorum progressio von 1967, wird endgültig deutlich, dass die soziale Frage, einst als Umschreibung für die missliche Situation der Arbeiterklasse in den aufkommenden In dustriestaaten verwendet, sich nunmehr zu einem weltumspannen den Phänomen gewandelt hat. Überhaupt ist die Wirtschaft in ihren Erfolgen und ihren Problemen stärker zusammengewachsen, der Internationalisierungsgrad hat zugenommen. Entsprechend stellt di e Kirche den Gedanken heraus, dass die Welt für alle Menschen da ist und keine Nation das Recht hat, auf Kosten einer anderen zu leben. Die Welt werde dann gerechter und reicher, wenn die Wohl habenden den Armen geben. Das Modell eines frei funktionieren den Wettbewerbs lässt sich allerdings, nach in den Sozi alenzykliken vertretener Auffassung, nicht auf die Entwicklungsländer übertra <?page no="240"?> Der dritte Weg der Päpste 239 gen, da echter Wettbewerb nur zwischen einigermaßen gleich star ken Beteiligten funktionieren und seine Vorteile ausspielen kann. Freier Wettbewerb zwischen Industriestaaten und Entwicklungs ländern führt immer zu einer Benachteiligung Letzterer. Spätestens mit Populorum progressio haben sich erneut Grundpositi onen herausgebildet, die in den folgenden Enzykliken immer wie der aufgegriffen werden: Die sozialen Probleme der Entwicklungs länder sind drängend und müssen angegangen werden, zur Lösung der Probleme sind die Industrienationen aufgefordert, Entwick lungshilfe zu leisten und faire Bedingungen im Welthandel zu schaffen. Die Entwicklungsländer müssen ihrerseits Mi ssstände im eigenen Land - beispielhaft Korruption und ungerechte Einkom mensverteilung - bekämpfen. Angesichts hoher Geburtenraten und steigender Bevölkerungszahlen gerade in den ärmsten Ländern, die zur weiteren Verschärfung der dortigen ökonomischen und sozia len Probleme beitragen, werden Lösungsvorschläge wie Geburten kontrolle vonseiten der Kirche verworfen, die lediglich auf die Lö su ng der resultierenden sozialen Probleme verweist. Die Haltung der katholischen Kirche zur weltweiten Bevölkerungsentwicklung bietet dabei bis heute durchaus Anlass zu vielfältiger Kritik. In den 1970er und 1980er Jahren tritt eine Phase der wirtschaftli chen Stagnation ein, die Probleme der unterentwickelten Länder und die Einkommensverteilung zwischen den reichsten und ärms ten Lä ndern verschärfen sich wieder. Hohe Inflationsraten und wachsende Arbeitslosigkeit, zusammen mit stagnierendem Wachs tum, lassen Zweifel daran aufkommen, ob der Staat mit dem In strument der expansiven Fiskalpolitik für ausreichende Wachs tumsimpulse und damit für ein hohes Beschäftigungsniveau sorgen kann. Die staatliche Fähigkeit zur Kontrolle wirtschaftlicher Abläufe wird generell auf den Prüf stand gestellt. In den Wirtschaftswissen schaften häufen sich Schriften zu Themen der sozialen Ungleichheit und Armut, Wohlfahrt und kollektiven Entscheidungen. Papst Johannes Paul II. veröffentlicht drei Sozialenzykliken. In Labo rem exercens (1981) wird erneut der arbeitende Mensch in den Mit telpunkt der Betrachtung gerückt, dieses Mal jedoch befeuert durch <?page no="241"?> Epilog 240 die Unruhen in den Ostblockstaaten und die Gründung der polni schen Gewerkschaftsbewegung Solidarno . Nicht nur die rein ökonomischen Aspekte, wie etwa ein gerechter Lohn, werden the matisiert, sondern auch die „Würde der Arbeit“. Die Betrachtungen von Johannes Paul II. münden in dem Grundsatz „Arbeit vor Kapi tal“, ein weiteres jener g rundsätzlichen Prinzipien, wie sie sich in den dann folgenden Enzykliken immer wieder finden lassen. Im mer häufiger spricht der Papst Gefahren durch Rationalisierung, steigende Energie und Rohstoffpreise und durch Umweltver schmutzung an, vor allem aber die grundlegende Rolle der Ent wicklungsländer und ihrer Probleme im internationalen Gefüge, die eine Neuordnung der bestehende n Wirtschaftsstrukturen notwen dig mache. Der Kapitalismus bedürfe dringender Korrekturen und umfassender Reformen. In Sollicitudo rei socialis (1987) setzt Johannes Paul II. den Entwick lungsbegriff (in Anlehnung an Populorum progressio von Paul VI.) bedeutungsgleich mit Frieden. Er betont damit die soziale Un gleichheit als Gefahr für den Weltfrieden, den es uneingeschränkt zu schützen gilt. Große Verantwortung für die Armut in der Welt tragen die Industriestaaten. Eine wirkliche Besserung könne nur eintreten, wenn sich die Menschen entwickeln und Einsicht in die bestehenden Pro bleme zeigen. So müsse eben erkannt werden, dass materieller Konsum nicht ausreicht, um glücklich und zufrieden zu werden, Profit und Machtgier nicht nur auf individueller, sondern auch auf nationaler Ebene anzutreffen ist. Die Berücksichtigung der Interessen der sozial Schwachen muss Eingang in die individuellen Handlungskalküle finden, wobei es um mehr al s nur Mitleid, son dern um den Einsatz für das Gemeinwohl geht (Solidarität geht alle an). Durch Solidarität können Individuen und Länder zu einer sozi alen und internationalen Gerechtigkeit beitragen, um sich dem Ziele eines friedlichen Miteinanders anzunähern. Zu Beginn der 1990er Jahre löst sich die Sowjetunion auf, der Sozia lismus sc heint am Ende, der Umbruch erfolgt weitgehend gewalt los. In seiner dritten Sozialenzyklika, Centesimus annus (1991), warnt Johannes Paul II. die vermeintlichen „Sieger“ vor Überheblichkeit, <?page no="242"?> Der dritte Weg der Päpste 241 denn sie befänden sich selbst auf dem Weg zu einem übertriebenen Fürsorgestaat. Und durch den Aufbau von Strukturen „nationaler Sicherheit“ und die Erweiterung staatlicher Macht würden gerade die freiheitlichen Werte in Mitleidenschaft gezogen, die nicht einzu halten sie dem Sozialismus immer vorwarfen. Auch die ausschließ liche Fokussierung auf die wirtschaftliche Überlegenheit der Markt gege nüber der Planwirtschaft wird insofern als trügerisch enttarnt, als dass der Mensch auf den Bereich der Wirtschaft und die Befrie digung materieller Bedürfnisse reduziert werde. Totalitarismus und Autoritarismus gebe es auch in den kapitalistisch und marktwirt schaftlich organisierten Systemen, und die Demokratie könne auch in Gefahr geraten, wenn keine letzten Wa hrheiten und Werte aner kannt sind, an denen das Handeln ausgerichtet wird bzw. Wahrhei ten von wechselnden Mehrheiten und politischen Interessenlagen bestimmt werden. In den Jahren 2007 bis 2010 hält die globale Finanz und die ihr folgende Wirtschaftskrise die Welt in Atem. Inmitten der Krise, 2009, veröffentlicht Benedikt XVI. se ine Sozialenzyklika Caritas in veritate und stellt die Aussage an den Beginn, dass ohne Wahrheit, Vertrauen und Liebe weder Gewissen noch soziale Verantwortung noch Gerechtigkeit möglich seien. Verstärkt werde dies durch die um sich greifende Relativierung der Wahrheit, die eine Orientie rung an Wahrheit und Gerechtigkeit praktisch unmöglich mache. Diese Ablehnung des Relativismus, die schon bei Joha nnes Paul II. aufscheint und von Papst Franziskus weitergeführt wird, lässt sich in die Kette der wiederkehrenden Grundargumente in den Sozial enzykliken einordnen. Als Folge der entstandenen Orientierungslosigkeit seien Solidarität und Vertrauen zurückgegangen, zwei wichtige Bestandteile des Funktionierens von Märkten, auf denen nur noch das Prinzip der Gleichwertigkeit der getauschten Güter herrsche. Die ses Prinzip allein kann aber den sozialen Zusammenhalt einer Gemeinschaft nicht gewährleisten. Mit Verwunderung wird zur Kenntnis ge nommen, dass nach Jahrzehnten der Wirtschaftsliberalisierung die Staaten während der Finanzkrise die Fehlentwicklungen der Wirt <?page no="243"?> Epilog 242 schaft mit ungeheuren finanziellen Aufwendungen korrigierten, ja die Wirtschaft selbst massive Staatshilfen einforderte, und die Las ten von der Allgemeinheit finanziert würden. Für das Versagen verantwortlich zu machen seien weder der Markt noch das Wirt schaftssystem, also abstrakte Mechanismen, sondern die handeln den Personen. An ihre Verpflichtung zur Bekämpfung der sozialen Mi ssstände appelliert Benedikt XVI. mit besonderer Eindringlich keit, speziell die ausschließliche Ausrichtung des Handelns an Ge winnen bei völliger Vernachlässigung des Gemeinwohls kritisie rend. Auch scheinen dem Papst die Maßstäbe vieler Menschen in den reichen Staaten verrückt, ihr Anspruchsdenken sei völlig über zogen, es werde auf die Einhaltung von Freiheiten und Rechten in sistiert, gleichzeitig würden aber die gesellschaftlichen Pflichten, die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft vernachlässigt. Dem Auseinanderklaffen von Arm und Reich und dem Entwick lungsbegriff im Sinne der Bedeutung von Frieden wird besonderes Augenmerk geschenkt. Tragisch erscheint, dass die Mittel, die zur Bekämpfung der Armut genutzt werden könnten, niemals größer waren als heu te, diese Mittel aber anderweitig verwendet werden. Die Idee von Papst Johannes XXIII. aufgreifend, lassen sich, nach Meinung von Benedikt XVI., viele Probleme der Weltwirtschaft nur mithilfe einer politischen Weltautorität lösen, die nach dem Vorbild der Organisation der Vereinten Nationen aufgebaut sein könnte. In Anbetracht der bisher in allen Sozialenzykliken geübten sch arfen Kritik an den Regierungen und einer durchaus kritischen Sicht auf die Erfolge der Vereinten Nationen, wie etwa in Centesimus annus, fragt man sich, worauf sich das „plötzliche“ Vertrauen in die Leis tungsfähigkeit einer politischen Weltautorität oder universalen politischen Gewalt eigentlich gründet. Nachdem Papst Franziskus bereits im Jahr 2013 in dem Apostoli schen Schreiben Evangelii Gaudium heftige Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem und an der Lage in den armen Ländern geübt hat, setzt er diese in der Enzyklika Laudato si’, die 2015 erscheint, fort. Über die Kapitalismus und Marktkritik und eine Beschreibung der bestehenden Zustände sozialer Ungleichheit und Ungerechtig <?page no="244"?> Der dritte Weg der Päpste 243 keit hinausgehend, beklagt er die mangelnde Orientierung der Menschen am Gemeinwohl, einen hemmungslosen Finanzkapita lismus, einen zwanghaften Konsumismus sowie das unhinterfragte Streben nach Wirtschaftswachstum und technologischem Fort schritt. Durch ihre Art des Wirtschaftens schädigen die Menschen ihre Lebensgrundlage, die Umwelt. Betroffen von den negativen Auswirkungen sind weniger die eigentlichen Problemverursacher, sondern, wie immer, di e Ärmsten dieser Welt. Bereits aus diesem Grund erscheinen die soziale und die ökologische Krise als zwei Seiten einer Medaille. Der Ausweg besteht für Franziskus in einer Neudefinition des Fort schrittbegriffs. Fortschritt soll demnach auch qualitative Bestandteile wie die Nahrungsmittelqualität, schädliche Wirkungen von Konsum und Produktion auf die Umwelt, die Re ssourcenerschöpfung und stärker die Interessen zukünftiger Generationen berücksichtigen. In der Umsetzungsverantwortung stehen vor allem die reichen Länder, da es den armen an Mitteln und Möglichkeiten fehlt. In vielfältiger Hinsicht müssen die reichen Staaten von ihrem Reichtum zugunsten der ärmeren Länder abgeben, es geht schließlich um nichts Geringe res als den Frieden und den Fortbes tand der Welt, vor allem aber auch um Gemeinschaft, Menschlichkeit und Solidarität. Weil auch die reichen Länder die Lösung der Umweltprobleme zu zögerlich angehen und nationale Interessen meist über das Ge meinwohl gestellt werden, erwägt auch Franziskus die Idee einer Weltautorität, die in der Lage sein sollte, geeignete Ma ßnahmen länderübergreifend umzusetzen. Grundlegend aber wird in Laudato si’ die Reform des marktwirtschaftlichen Systems um die regulati ven Bestandteile des „Sozialen“ zur Lösung der sozialen Ungleich heit und des „Ökologischen“ zur Wahrung der Lebensgrundlagen angestrebt. Man ist geneigt, bei dieser Enzyklika von der Konzepti on einer „ökologischen sozialen Marktwirtschaft“ zu sprechen. Angestrebt ist ein gangbarer (dritter) Weg zwischen den Extremen eines naiven F ortschrittglaubens, demzufolge sich die Lösung aller ökologischen Probleme von selbst einstellen wird, und eines Tech nikpessimismus, der den Menschen als einsichtslos und zerstöre <?page no="245"?> Epilog 244 risch gegenüber seiner Umwelt begreift und es für das Beste erach tet, wenn der Mensch seine die Umwelt berührenden Aktivitäten auf ein Minimum reduziert. Nicht immer werden päpstliche Sozialenzykliken nur positiv auf genommen. So bezeichnete der Wirtschaftswissenschaftler Frank H. Knight (1885-1972) schon vor einigen Jahrzehnten die päpstlichen Beiträge zur Soziallehre als „ spirituelles Opium“, das die Welt in „dunkle Zeitalter“ zurückführen könnte. 542 Demgegenüber stehen ein vorhandenes Interesse seitens der Öffentlichkeit und ein deutli cher und steigender Zuspruch für die Sozialenzykliken. 543 Ange sichts der Bemühungen um den Frieden in der Welt, die Sorge um die Schwachen, das Aufzeigen bestehender Systemmängel, das ständige Plädoyer für den Erhalt von bleibenden Werten, die den Menschen Orientierung bieten, und mit der jüngsten Enzyklika auch der explizite Einsatz für unsere Lebensgrundlagen scheint dieses öffentliche Interesse nur zu begründ et. Im Gegensatz zu vielen Vorschlägen aus Politik und Wissenschaft, die häufig dem Wandel in Form eines sich ändernden Zeitgeistes, von Moden, Weltanschauungen, Überzeugungen und Paradigmen ausgesetzt sind, gibt es seit dem Erscheinen der ersten Sozialenzyk lika, Rerum novarum, im Jahr 1891 eine auffallende, wohltuende Konstanz. Nicht nur, dass mit der Arbeiterfrage, der Beanstandung von Ungerechtigkeiten, den Appellen an das Gemeinwohl, der Betonung des Privateigentums und der Befürwortung eines markt wirtschaftlich organisierten Wirtschaftssystems, das allerdings er heblicher Korrekturen und Regulative bedarf, eine thematische Fortführung besteht. Was vor allem einer Kon stanz unterliegt, das ist die inhaltliche Ausrichtung der Sozialenzykliken an christlichen Werten und Grundsätzen, allen voran der Nächstenliebe. In allen ihren Analysen und Handlungsempfehlungen besteht eine Orien tierung an der Freiheit und Würde der Person, am Gemeinwohl, an den Prinzipien von Personalität, Solidarität und Subsidiarität, dem uneingeschränkten Einsatz für einen friedlichen Dia log aller Betei ligten, der unbedingten Suche nach Kompromissen und dem Wil len, die berechtigten Interessen aller Beteiligten herauszufinden und <?page no="246"?> Der dritte Weg der Päpste 245 in eine Bewertung mit einfließen zu lassen. Aufgrund der strikten Orientierung an solchen unstrittigen, konsensuellen und damit übergeordneten und nicht permanent zu hinterfragenden Werten und Prinzipien werden zumindest Stabilität und Verlässlichkeit ausgestrahlt, gleichwohl ist Handlungsanleitung gegeben. Selbst mit so scheinbar unmodernen Vorstellungen und Idealen wie der Nächstenliebe, einer unerschöpflichen Liebe Gottes für die Men sc hen oder einer göttlichen Vollkommenheit, die der Mensch zwar nicht erreichen, doch anstreben kann, sind optimale Voraussetzun gen für das Leben in der Gemeinschaft gegeben. Im Vertrauen auf diese mag möglicherweise sogar ein Anreiz entstehen, sich täglich im ri ch ti ge n Tun zu b es tä t ig en , zu le rn e n un d ü be r sic h hinauszu wachsen. Weiterhin verfügt der Ein zelne über eine Position, einen Maßstab, von der aus er sein eigenes Handeln beobachten, reflektie ren und bewerten kann. In den Wirtschaftswissenschaften finden die Sozialenzykliken ins besondere bei den Sozialökonomen, Wirtschaftsethikern und jenen Theoretikern Beachtung, die eine stärkere Berücksichtigung ethi scher Aspekte in der ökonomischen Theorie wünschen. Au ch ist nicht von der Hand zu weisen, dass am Anfang großer ökonomi scher Theorien in aller Regel fundamentale soziopolitische Überle gungen standen, wie sie in den Sozialenzykliken thematisiert sind. Gerade im Anschluss an die Finanzkrise sind Stimmen lauter ge worden, die sich für eine stärkere Aufnahme sozioökonomischer und politischer Aspekte der aktue llen historischen Situation in die volkswirtschaftliche Theoriebildung aussprechen. In einer Gesamtbewertung des Ökonomen gibt es gegen die Sozial enzykliken im Grunde wenig vorzubringen. In der Sprache fallen sie sehr unterschiedlich aus. Von philosophisch abstraktem Duktus bis hin zur gegenständlichen Ausdrucksweise ist alles enthalten. Der Adressatenkreis der Sozialenzykliken ist ein breiter. Der ei nzel ne Priester in den tiefsten Slums soll ebenso angesprochen werden wie der interessierte Bürger und einschlägige Hochschullehrer. Ähnlich verhält es sich mit der inhaltlichen Breite. Tief gehende theologische Fragen werden ebenso behandelt wie konkrete Pro <?page no="247"?> Epilog 246 bleme, etwa die des verunreinigten Trinkwassers oder unachtsam entsorgter Abfälle. Die Sozialenzykliken weisen einen stark appel lierenden Charakter auf. Sie schließen Appelle ein, nach denen sich der Mensch ändern und zu einer neuen Einstellung gelangen muss. Die Ökonomen vertreten diesbezüglich eine andere, skeptischere Sicht. Sie glauben nicht an die individuelle Einsicht der Men schen in die Vernunft der Dinge, an eine innere oder äußere Bekehrung. Sie sind vielmehr der Überzeugung, dass die meisten Menschen zu nächst an sich selbst und die Verfolgung ihrer eigenen Interessen denken, was es schlicht und einfach als Tatsache zu akzeptieren gelte. Soll das Verhalten der Menschen in eine gewünschte Richtung gebracht werden, so ma cht es aus Sicht der ökonomischen Theorie vielmehr Sinn, die Rahmenbedingungen des Handelns derart zu gestalten, dass die Individuen aus eigenem Anreiz das „Richtige“ tun. Was Ökonomen also nicht (mehr) machen, ist das, was die Sozialenzykliken in ihrem Vorgehen gerade auszeichnet. Es ist der moralische Appell. Die ökonom ische Theorie will als Wissenschaft eher positiv und nicht normativ wirken, sie möchte sich auf empiri sche Daten und Fakten beschränken und Werturteile so gut es geht vermeiden. Ein gut begründeter moralischer Hinweis, der von fest stehenden, nicht hinterfragbaren Werten ausgeht, kann nicht falsch sein. Indem auf das Gute verwie sen und dem Menschen vertraut wird, können Hoffnungen und Visionen erzeugt werden, die be kanntermaßen manchmal Berge versetzen. Dem Ökonomen bleiben die nüchternen Zweifel an der Fähigkeit oder dem Willen der Men schen, ihren Egoismus zu überwinden, und die Hoffnung, sich damit zu irren. <?page no="248"?> 247 Anmerkungen 1 Schwarz 2005 2 Franziskus 2013a 3 Pell 2014 4 Frambach 1999, 125-127 5 Brockhaus, Gegenwart, Bd. 1 1848, 560ff., 583ff.; hier nach Conze 1972, 191-192 6 vgl. etwa Deane 1963 7 vgl. zur Historie auch: Päpst licher Rat für Gerechtigkeit und Frieden 2006, 87-104 8 Johannes Paul II. 1987, 41 9 bspw. Paul VI. 1967, 13; Johannes Paul II. 1987, 41 10 Johannes Paul II. 1987, 41 11 Benedikt XVI. 2009, 9, 5 12 Wirtschafts Ploetz 1985, 145-147 13 in Preisen von 1913, Nipper dey 1998, 287 14 ebd. 278 15 ebd. 288 16 ebd. 291 17 ebd. 294 18 ebd. 302-303 19 Alber 1982, 149 20 Wirtschafts Ploetz 1985, 153-155 21 Putz 1988, 196 22 Marx / Engels 1983, 227 23 Schäfers 1998, 297, 373 24 Calvez / Perrin 1964, 132-134 25 Leo XIII. 1884, 31 26 Leo XII. 1825 27 Schratz 2011, 91-92 28 ebd. 80-84 29 ebd. 116-189 30 ebd. 211-319 31 Schumpeter 1954, 832-833 32 Schratz 2011, 404 33 ebd. 374-375 34 Hitze 1914, 363-414 35 Hirtenschreiben der Fuldaer Bischofskonferenz vom 22. August 1890, hier nach Hömig 2003, 21 36 Putz 1988, 195 37 Messner 1981, 4-5 38 ebd. 3-5 39 Leo XIII. 1891, 1 40 ebd. 41 ebd. 2 42 ebd. 43 ebd. 14 44 ebd. 15 45 ebd. 46 Rommen 1947, 225-226 47 Benedikt XVI. 2011, 8-16 48 Leo XIII. 1891, 5-8, 10; Pius XI. 1931, 30 49 Johannes Paul II. 1993, 54; vgl. zum Naturrecht in der katholischen Soziallehre auch Messner 1984; Cordes 2010 50 Leo XIII. 1891, 3-4, 7, 9, 15, 19 51 ebd. 4 52 ebd. 6 53 ebd. 12 <?page no="249"?> Der dritte Weg der Päpste 248 54 ebd. 10 55 ebd. 6 56 ebd. 35 57 vgl. zur Biografie Leo XIII. auch Lopes 2005; Quandt 1962 58 Leo XIII. 1891, 17 59 ebd. 34 60 ebd. 61 ebd. 17 62 ebd. 33 63 ebd. 36 64 ebd. 65 ebd. 37 66 Korinther 4, 9-10; Sprüche 18, 19 67 Leo XIII. 1891, 38 68 ebd. mit Verweis auf Thomas von Aquin, Summa theologiae Ia-IIae, q. xciii, art. 3, ad 2m 69 Klein 1996 70 Saberschinsky 2009, 53-55 71 Nell Breuning 1985, 10-11 72 Machtan 1981, 52-53 73 Brockhaus, Konversations lexikon 1894-1896, 454 74 Machtan 1981, 53 75 Handwörterbuch der Staats wissenschaften 1898, 730 76 Tenfelde / Volksmann 1981, 11-12; s. a. vom Bruch 1981, 256 77 Brentano, 1890, X 78 Schmoller 1920, 467 79 ebd. 459-481 80 ebd. 469 81 Leo XIII. 1891, 31 82 ebd. 83 Ebner 2011, 4-5 84 Leo XIII. 1891, 25-26 85 „Gesamtheit der Familien“; ebd. 25 86 ebd. 6 87 Ebner 2011, 8 88 Leo XIII. 1891, 27 89 ebd. 90 ebd. 11 91 ebd. 26 92 ebd.; vgl. zum Gemeinwohl gedanken auch Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden 2006, 164-170 93 Leo XIII. 1891, 35 94 ebd. 13 95 ebd. 13, 15-16 96 ebd. 16-17 97 ebd. 18-19 98 ebd. 43 99 Kennan 1979, 3 bzw. in der deutschen Ausgabe Kennan 1981, 12 100 Maddison 2004, 110 101 ebd. 116 102 ebd. 116-117 103 Wirtschafts Ploetz 1985, 278 104 Wehler 2003, 408 105 Keynes 1919, 225-235 106 Der Finanzexperte Charles Gates Dawes (1865-1951) war Leiter eines Sachverständi genausschusses, der die Re parationskommission beriet 107 Alexander 2001, 247; Bernanke 2000 108 Maddison 1989, 51 109 Wirtschafts Ploetz 1985, 282 <?page no="250"?> Anmerkungen 249 110 vgl. etwa Lampert / Alt hammer 2001, 96 111 Wagner 1876, 257 112 Spann 1967, 324 113 ebd. 342-344 114 Keynes, 1926, 31-32 115 ebd. 40 116 ebd. 36 117 Mises 1927, 190-191 118 Keynes 1926, 35 119 ebd. 36-37, 31 120 Sombart 1921, 21 121 Unter Wirtschaftsgesinnung fasst Sombart „alles Geistige […], von dem die einzelnen wirtschaftlichen Tätigkeiten bestimmt werden: also alle Wertvorstellungen, Zweck setzungen, Maximen“ (Som bart 1921, 13), entsprechend denen die Wirtschaftssubjek te handeln, und er stellt es als den Grundgedanken seines Werks Der moderne Kapitalis mus heraus, um zu zeigen, dass in den unterschiedlichen Wirtschaftsepochen jeweils eine spezifische Wirtschafts gesinnung vorherrschend war, die die jeweils vorhan dene Form der wirtschaftli chen Organisation bestimmt hat (Sombart 1921, 25) 122 Eucken 1947, 94-98 123 Marshall 1922, 1, 14 124 ebd. 14 125 Schon 1912 veröffentlichte Arthur C. Pigou das Buch Wealth and Welfare , das 1920 in erweiterter Fassung, und unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus wirtschafts politischen Maßnahmen während des Ersten Welt kriegs, unter dem Titel Eco nomics of Welfare neu erschien 126 Pigou 1952, 11 127 ebd. 23 128 ebd. 12, 31 129 ebd., z. B. 123 130 Marshall 1922, 19, 95-96; Pigou 1952, z. B. 89-90 131 Pigou 1952, 129-130; Marshall 1922, 475 132 ebd. Part II: The size of the national dividend and the distribution of resources among different uses 133 Keynes 1926, 21-29 134 Robbins 1932 135 Schmölders 1962, 106 136 Eucken, 1990 137 ebd. 58-59 138 Der Begriff des Ordolibera lismus wird in der Regel zur Kennzeichnung der Grund überzeugungen der von Wal ter Eucken gemeinsam mit Franz Böhm und Hans Großmann Doerth begrün deten Freiburger Schule der Na tionalökonomie und Rechtswis senschaft verwendet - in An lehnung an die 1937 erstmals erschienene Reihe Ordnung der Wirtschaft und die 1948 gegründete Zeitschrift ORDO - Jahrbuch für Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft , die bis zum heutigen Tag er <?page no="251"?> Der dritte Weg der Päpste 250 scheint. Vertreter der Frei burger Schule sind, neben Eucken und Böhm, Friedrich A. Lutz, Karl Friedrich Maier, Fritz W. Meyer, Leonhard Miksch und Euckens Mitar beiter K. Paul Hensel. Der Ordoliberalismus ist eine der bedeutendsten Beiträge zur Wirtschaftswissenschaft, der nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich die wirtschafts politische Diskussion der Bundesrepublik Deutschland bi s in die 60er Jahre beein flusste und grundlegend für die Marktform der sozialen Marktwirtschaft der Neuzeit wurde 139 Eucken 1990, 185-186 140 ebd. 166 141 Hayek 2004, 39 142 Eucken 1990, 186-189 143 ebd. 189-190, 245-246, 249 144 Müller Armack 1946, 126; Müller Armack 1948a, 172 145 Müller Armack 1946, 28 146 ebd. 147 für eine Zusammenfassung des Textes vgl. Schasching 1994, 11-17 148 Nell Breuning 1972, 127 149 Schasching 1994, 44-56 150 Nell Breuning 1972, 129 151 für eine ausführliche Darstel lung des Königswinterer Kreis vgl. Nell Breuning 1972, 99-115 152 ebd. 131 153 ebd. 103 154 ebd. 128 155 ebd. 134 156 Pius XI. 1931, 15 157 Wilensky 2009, 364 158 Morsey 2005 159 Pesch 1925, 216 160 Pesch 1925, 637-648 161 Pesch 1914, 429 162 Schumpeter 1954, 765 163 Pesch 1914, 397 164 Höffner 1975, 72 165 ebd. 42-43; Mueller 1980, 138-152 166 Johannes Paul II. 1987, 38 167 ebd. 47 168 Pius XI. 1931, 21 169 ebd. 170 ebd. 18-19, 24 171 ebd. 27-28 172 ebd. 29-30 173 Brauer 1935 174 Pius XI. 1931, 31, 37 175 Nell Breuning 1932, 29-31 176 Friedensvertrag von Ver sailles. Artikel 427. Arbeit (28. Juni 1919), http: / / www.documentArchiv. de/ wr/ vv13.html 177 Pius XI. 1931, 45-47 178 ebd. 49 179 ebd. 53 180 ebd. 54 181 ebd. 55-56, 58 182 ebd. 59 183 ebd. 59-60 184 ebd. 61-62 185 ebd. 60 186 ebd. 71-74 <?page no="252"?> Anmerkungen 251 187 vgl. etwa Fischer Wolpert 1985, 137-138; Kelly 2005, 334-336 188 ebd. 78 189 ebd. 79 190 ebd. 191 Päpstlicher Rat für Gerech tigkeit und Frieden 2006, 187; vgl. zum Subsidiaritätsprin zip auch Nell Breuning 1980 192 Stein 2009, 96; Höffe 1997, 4-5 193 Nell Breuning 1976 194 Höffe 1997, 5 195 ebd. 1-2 196 ebd. 3 197 Pius XI. 1931, 82 198 ebd. 83 199 Mueller 1971 200 Schumpeter 1954, 765 201 Schumpeter 1993, 511-512 202 Pius XI. 1931, 88 203 ebd. 88-89 204 ebd. 105 205 ebd. 106 206 ebd. 107 207 ebd. 109 208 ebd. 110-111 209 ebd. 112 210 ebd. 113 211 ebd. 114 212 ebd. 118-119 213 ebd. 120 214 ebd. 131-132 215 ebd. 132 216 ebd. 133 217 ebd. 134 218 ebd. 136 219 ebd. 137 220 International Monetary Fund 2000, 154-158 221 Truman 1947, 4 222 Bossuat 2007, 13 223 Abs 1991, 45 224 Adenauer 1965, 87-89; 120-124 225 Jentsch 1950, 11 226 Deutschland: +61 Prozent, Frankreich: +52,6 Prozent, Großbritannien: +60,8 Pro zent, Sowjetunion: +164,6 Prozent; Zahlen aus Maddison 1989, 123-125 227 Rothermund 2006 228 Maddison 1989, 65 229 Werte für 32 ausgewählte OECD Länder, Maddison 1989, 65; vgl. auch Maddison 2001, 125 230 Maddison 1989, 69 231 Keynes 1952, z. B. 23, 27 232 Samuelson 1969, 455 233 Findlay 1980; Lewis 1954 234 Müller Armack 1968, IX 235 Müller Armack 1973, 170-171 236 ebd. 172 237 Müller Armack 1948b, 459 238 Müller Armack 1968, 492-496 239 ebd. 506 240 ebd. 506-507 241 ebd. 508 242 Müller Armack 1950, 559 243 ebd. 560 244 ebd. 563 245 ebd. 564-565 246 So schreibt etwa Alexander Rüstow: „Alle christlichen Richtungen […] insbesondere <?page no="253"?> Der dritte Weg der Päpste 252 auch die Lehre der Katho lischen Kirche, sind mit unse rem Neoliberalismus verein bar […] und das daraus die Möglichkeit entspringt, eine gemeinsame Front bilden zu können, ebensowohl gegen den Paläoliberalismus, wie insbesondere gegen Kommu nismus und Bolschewismus“, Rüstow 1960, hier nach Hißler 2014, 163; zu Wilhelm Röpke vgl. bspw. Petersen 20 08, Zieba 2014, chap. 3 247 Müller Armack 1950, 575, 577 248 Müller Armack 1966, 11 249 Müller Armack 1962, 300 250 Müller Armack 1962, 299-303 251 Müller Armack 1946, 116-120 252 ebd. 159-161 253 ebd. 120-125 254 ebd. 133, 162-167, 247; s. a. Müller Armack 1948c, 100-101 255 Müller Armack 1946, 129-131 256 Tietmeyer, Hans 2010, 2 257 Erhard 1990, 7-8 258 Dahrendorf 2008 259 in Preisen von 1954; Erhard 1990, 216 260 Erhard 1990, 115 261 Althammer 2012 262 Felbick 2003, 54 263 Martin Weber 2000; Gab riel / Große Kracht 2006, 95 264 Emunds 2010, 6 265 ebd. 266 Nell Breuning 1956, 119 267 Höffner 1975, 194 268 Althammer 2012, 273-275 269 Nell Breuning 1977, 69 270 Pius XII. 1947; Utz / Groner 1954; Eder 2011 271 Pius XII. 1941, 242 272 ebd. 239 273 Pius XII. 1939; vgl. auch Päpstlicher Rat für Gerech tigkeit und Frieden 2006, 171-184 274 Pius XII. 1941, 242-243 275 ebd. 243 276 ebd. 244 277 ebd. 278 ebd. 279 ebd. 280 ebd. 245 281 Nell Breuning 1977, 75 282 für einen Überblick vgl. Kelly 2009 283 Nell Breuning 1977, 75 284 Johannes XXIII. 1961, 1, 6 285 Nell Breuning, 1985, 13 286 Nell Breuning 1977, 74; vgl. auch Cordes 2010 287 Johannes XXIII. 1961, 11-13 288 ebd. 15 289 ebd. 1961, 18 290 ebd. 23; vgl. zum Solidari tätsprinzip auch Höffner 1978, 43-44 291 Johannes XXIII. 1961, 22 292 ebd. 19 293 ebd. 20-21 294 Höffner 1978, 44 295 Hoffmeister 1955, 255-256 296 Gaudium et spes 26; vgl. auch Katechismus der Katholischen <?page no="254"?> Anmerkungen 253 Kirche 1907, 1912, Johannes XXIII. 1961, 65 297 Pius XII. 1941, 237-249, 243-244 298 Johannes XXIII. 1961, 28-34 299 ebd. 35-36 300 ebd. 35 301 ebd. 38, 40 302 ebd. 42-45 303 ebd. 47-49 304 ebd. 51-52 305 ebd. 54 306 ebd. 56, 58 307 ebd. 59 308 ebd. 60 309 ebd. 62 310 ebd. 66 311 ebd. 73-74 312 ebd. 112 313 ebd. 68 314 ebd. 69 315 ebd. 70-71 316 ebd. 77 317 ebd. 83, 91-92 318 ebd. 91 319 ebd. 92 320 ebd. 93, 96 321 ebd. 97 322 vgl. etwa Fischer Wolpert 1985, 140-143; Kelly 2005, 338-340 323 ebd. 105-109 324 ebd. 114 325 ebd. 104, 117-120 326 ebd. 122-124 327 ebd. 127-128, 133-135 328 ebd. 137 329 ebd. 140 330 ebd. 141, 146 331 ebd. 129 332 ebd. 154-155 333 ebd. 161-162 334 ebd. 157 335 Weltbank 1978, 5, 8 336 Johannes XXIII. 1961, 163-165, 171-174 337 ebd. 189, 192, 200-201 338 Weltbank 1978, 76-78 339 Johannes XXIII. 1961, 202 340 ebd. 203 341 ebd. 204 342 ebd. 205, 211 343 ebd. 217 344 ebd. 175 345 ebd. 209-210 346 ebd. 246 347 ebd. 215 348 ebd. 1-3 349 Stehle 1981 350 Johannes XXIII. 1963, 5-6, 14 351 ebd. 7-12 352 ebd. 1963, 10 353 ebd. 1963, 13 354 ebd. 14-15, 17 355 ebd. 26, auch mit Hinweis auf die Enzyklika Immortale dei von Leo XIII. 356 ebd. 27, 30, 32 357 Thomas von Aquin, Summa theologiae I-II, q. 93, a. 3 ad 2 358 Johannes XXIII. 1963, 34-40 359 ebd. 47 360 ebd. 49 361 ebd. 51 362 ebd. 54 363 ebd. 56, 59, 62 <?page no="255"?> Der dritte Weg der Päpste 254 364 ebd. 64 365 ebd. 68-69 366 ebd. 71 367 Benedikt XVI. 2009, 67; Franziskus 2015, 175 368 Johannes XXIII. 1963, 71-75 369 ebd. 85-86 370 Gaudium et spes , 8, 63-72, 85-90 371 vgl. etwa Fischer Wolpert 1985, 143-145; Kelly 2005, 340-343 372 zur Position Paul VI. zu den GATT Verhandlungen vgl. Fischer 1984 373 Paul VI. 1967, 1-5 374 ebd. 6, 8 375 ebd. 9 376 Rommerskirchen 2014, 179 377 Höffner 1975, 29-31 378 Paul VI. 1967, 16, 42 379 ebd. 13-14 380 ebd. 15 381 ebd. 18-19, 21 382 ebd. 22 383 Gaudium et spes , 71, 6; Paul VI. 1967, 22 384 Paul VI. 1967, 22-23 385 ebd. 24-26 386 ebd. 29-35 387 ebd. 34 388 Weltbank 1978, 5-6 389 Paul VI. 1967, 44 390 ebd. 47-48 391 ebd. 49 392 ebd. 51-55 393 ebd. 56, 59 394 ebd. 57 395 ebd. 58. Die Frage, warum reger internationaler Handel zwischen wirtschaftlich hoch entwickelten Staaten und häufig zwischen immer den gleichen Staaten stattfindet, wird später systematisch und intensiv von Paul Krugman (geb. 1953, Nobelpreis 2008) in seiner „New Trade The ory“ behandelt. Um steigen de Produktivität und Wachs tum zu erreichen, sind die Lä nder zu starker Spezialisie rung gezwungen, was zu be stimmten festen Handels mustern führt. Ein entwickel ter Staat kann vom anderen entwickelten Staat stärker profitieren als vom weniger entwickelten. In der Evolu torischen Wachstumsökono mik wird diesbezüglich auch von sogenannten positiven Feedbackprozessen gespro chen, die bereits Gunnar Myrdal (1898-1987, Nobel preis 19 74) in seinem Kon zept der kumulativen Verur sachung angedeutet hat. Kumulative Verursachung beschreibt einen zirkulären Prozess, der durch steigende Skalenerträge in Bewegung gesetzt ist 396 Paul VI. 1967, 58-61, 70 397 ebd. 76-80 398 Maddison 1989, 85, Werte für 94 Länder 399 ebd. 38, Werte für 16 OECD Länder <?page no="256"?> Anmerkungen 255 400 Maddison 2001, 125 401 US Importpreise aus EIA 2015 402 Richter 1998, 578-580 403 Hardin 1968 404 Maddison 2001, 156 405 ebd. 130 406 Johannes Paul II. 1981, 1 407 ebd. 2 408 Genesis, 1, 28-29; zum Thema Arbeit in den Sozialenzykli ken vgl. auch Naughton / Laczniak 1993; allgemeiner zum Arbeitsver ständnis Frambach 1999, 47-48; Höffner 1978, 124-137 409 Johannes Paul II. 1981, 5 410 ebd. 6 411 ebd. 412 ebd. 5 413 ebd. 7 414 ebd. 8 415 Thomas von Aquin, Summa theologiae I-II, q. 40, art. 1, c; I-II, q. 34, art. 2, ad 1; Johannes Paul II. 1981, 9 416 Johannes Paul II. 1981, 9 417 ebd. 11, 13 418 ebd. 13 419 ebd. 12 420 ebd. 14 421 ebd. 422 ebd. 16-17 423 ebd. 17 424 ebd. 18 425 ebd. 19 426 ebd. 23 427 ebd. 21 428 ebd. 20 429 vgl. etwa Fischer Wolpert 1985, 145-146; Lopes 2005, 102-116; Kelly 2005, 344-349 430 Krugman, Paul 1999, 38-59 431 1987 schreibt Gorbatschow: „Wichtigste Rahmenbedin gung der politischen Bezie hungen zwischen den sozi alistischen Staaten muß die absolute Unabhängigkeit die ser Staaten sein […] Die Un abhängigkeit jeder Partei, ihr souveränes Recht, über die Probleme des betreffenden Landes zu entscheiden, und ihre Verantwortung gegen über der von ihr vertretenen Nation sind Pr inzipien, die über jede Diskussion erhaben sind“, Gorbatschow 1987, 212 432 Johannes Paul II. 1987, 3 433 ebd. 4 434 ebd. 6-10 435 ebd. 10 436 ebd. 12-15 437 ebd. 16-17; s. a. 19 438 ebd. 18; s. a. 25 439 ebd. 19-20, 22, 24 440 ebd. 26 441 ebd. 27 442 ebd. 28; vgl. auch Spieker 2010 443 Johannes Paul II. 1987, 28 444 ebd. 28-29 445 ebd. 35-36; s. a. 41 446 ebd. 36-37 447 ebd. 37 448 ebd. 38 <?page no="257"?> Der dritte Weg der Päpste 256 449 ebd. 47, 42, 39 450 ebd. 43-44 451 ebd. 45 452 ebd. 48 453 In den 50er Jahren liegt die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Brutto sozialprodukts in den Staaten des Sowjetblocks (Sowjet union, Bulgarien, Tschecho slowakei, Deutsche Demokra tische Republik, Ungarn, Polen und Rumänien) noch bei 4,5 Prozent, gegenüber durchschnittlich 3,7 Prozent der Vergleichsgruppe marktwirtschaftlicher Staaten (Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Indien, Ita li en, Japan, Kanada, Nieder lande, Norwegen, Österreich, Spanien, Schweden, Türkei). Während die Wachstumsrate in den marktwirtschaftlichen Staaten in den 60er Jahren von 4,5 Prozent auf 2,8 Pro zent in den 70er Jahren und 2 Prozent in den 80er Jahren abnimmt, fällt sie im Sowjet block von 3,6 Prozent in den 60er , über 2,8 Prozent in den 70er und nur noch 0,8 Pro zent in den 80er Jahren, Svenjar 2002, 4; s. a. Gre gory / Stuart 1974, 135-138 454 Eissrich 2001, 31-35 455 Johannes Paul II. 1991, 3 456 ebd. 12 457 ebd. 3-6 458 ebd. 7-12 459 ebd. 48; vgl. auch Marx 2009,175-187 460 Johannes Paul II. 1991, 19 461 ebd. 13 462 ebd. 44 463 ebd. 23 464 ebd. 29 465 ebd. 44 466 ebd. 46 467 ebd. 47 468 Johannes Paul II. 1991, 24, 30, 34-35, 40, 42-43, 48, 56; s. a. Johannes Paul II. 1991, 32; vgl. auch Nell Breuning 1969; Marx 2006 469 ebd. 42 470 ebd. 39 471 ebd. 17, 21, 23, 25, 27, 52, 58 472 ebd. 52 473 ebd. 57 474 ebd. 28 475 ebd. 58 476 ebd. 28 477 ebd. 35 478 ebd. 33 479 ebd. 58 480 ebd. 61 481 Bieling 2011, 145 482 Nominalwerte aus BIZ 1996, 35; BIZ 2006, 25 483 bspw. Stiglitz 2010, 115-119 484 vgl. etwa BIZ 2008, 112-113; BIZ 2009, 21-22 485 Gorton / Metrick 2012 486 Benedikt XVI. 2009, 1-6 487 ebd. 6 488 ebd. 7 <?page no="258"?> Anmerkungen 257 489 ebd. 8, 11, 20-21, 27 490 ebd. 21-22, 24, 33 491 ebd. 22, 43 492 ebd. 25 493 ebd. 494 ebd. 27, 32 495 ebd. 34-37 496 ebd. 35, 40, 42 497 ebd. 45 498 ebd. 47 499 ebd. 67 500 ebd. 65 501 ebd. 57-58, 60 502 ebd. 63-64, 66 503 ebd. 68 504 ebd. 71 505 ebd. 78 506 vgl. etwa Lopes 2005, 117-119; Kelly 2005, 349-352 507 Franziskus 2013b, 52-53 508 ebd. 53 509 ebd. 510 ebd. 54 511 ebd. 56 512 ebd. 2, 15 513 Paul VI. 1971, 21; Franziskus 2015, 5-6 514 ebd. 20-23, 25-26 515 ebd. 27, 30 516 ebd. 124, 128-129 517 ebd. 102, 131-136 518 ebd. 106 519 ebd. 520 ebd. 108-109 521 ebd. 123, 203, 219, 224 522 Franziskus 2015, 203, mit Verweis auf Guardini 1951, 66-67 523 Franziskus 2015, 159 524 ebd. 162 525 ebd. 189 526 ebd. 58 527 ebd. 36-43, 46, 49-50, 112 528 ebd. 139 529 ebd. 50-52 530 ebd. 170 531 ebd. 172 532 ebd. 193 533 ebd. 191 534 ebd. 112, 194 535 ebd. 194-195 536 ebd. 164, 167, 169, 173 537 ebd. 60 538 ebd. 202 539 ebd. 206 540 ebd. 161 541 Nell Breuning 2002, 5 542 Knight 1952, 344-345 543 Cordes 2010, 3 <?page no="260"?> 259 Literatur Abs, Hermann J. 1991, Entscheidungen 1949-1953. 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Heinrich 45, 82 Brentano, Lujo 47 Breschnew, Leonid 167 Briefs, Götz 77 Brucculeri, Angelo 76 Chrysostomus, Johannes 146 Churchill, Winston 101 Corrigan, Michael Augustine 25 Cuno, Wilhelm 59 Dahrendorf, Ralf 117 de Mun, Adrien Albert Marie 24 Desbuquois, Gustave 76 Engels, Friedrich 24 Erhard, Lu dwig 116-117 Erzberger, Matthias 58 Eucken, Walter 67, 71-75, 117-118 Fischer, Anton 45 Franziskus 7, 17, 124, 149, 213, 215-217, 219, 221, 224, 227-228, 241-243 Friedman, Milton 164 Gasparri, Pietro 89 George, Henry 26-27 Gibbons, James 25 Gorbatschow, Michail 180 Gregor XVI. 38 Grotius, Hugo 32 Guardini, Romano 221 Gun dlach, Gustav 77, 80, 120, 123 Hardin, Garrett 165 Hayek, Friedrich August von 73 Hitze, Franz 79 Höffner, Joseph 118-119, 154 Johannes Paul I. 124 <?page no="275"?> Der dritte Weg der Päpste 274 Johannes Paul II. 17, 33, 81-82, 124, 165, 167, 169-170, 172-174, 176-181, 183-191, 193, 195, 213, 217-218, 239-241 Johannes XXIII. 16, 123-126, 129-146, 148-151, 209, 237, 242 Jostock, Paul 77 Karl I. 55 Kennan, George F. 55 Ketteler, Wilhelm Emmanuel von 23-24, 91 Keynes, John Maynard 58, 64-66, 68, 70, 92, 102, 107, 236 Knight, Frank H. 244 Kolping, Adolph 23 Kopp, Georg von 27, 45 Korum, Michael Felix 45 Krementz, Philipp 27 Lassalle, Ferdinand 22 Lebret, Louis Joseph 155 Ledóchowski, Wladimir 76 Leibniz, Gottfried, Wilhelm 127 Leo XIII. 14-15, 23-24, 27-31, 34-36, 38-39, 41, 49, 52, 54, 82-83, 95, 124, 189-190, 193, 218, 231 Lewis, William Arthur 109 Liberatore, Matteo 28 Lloyd, William 165 Lucas, Robert E. 164 Luther, Martin 8 Marshall, Alfred 68, 70 Marshall, George C. 102 Marx, Karl 10, 24, 30 Mazzella, Camillo 28 McGlynn, Edward 25 McNamara, Robert S. 140 Melanchthon, Philipp 8 Menenius Agrippa 127 Merton, Robert C. 197 Mises, Ludwig von 66 Mueller, Franz H. 92 Muller, Alphons 77 Müller Armack, Alfred 67, 75, 109, 111-112, 114-115, 117- 118, 237 Mussolini, Benito 56 Nell Breuning, Oswald von 76-77, 80, 83-84, 92, 118-119, 123, 233 Nikolaus II. 55 Nixon, Richard 163 Ostrom, Elinor 165 Pacelli, Eugenio 76 Paul VI. 16-17, 124, 150-153, 155, 157-162, 185, 203, 217, 240 Pell, George 8 Pesch, Heinrich 77, 79-81 Pieper, August 45 Pigou, Arthur C. 67-70 Pius IX. 14, 38, 124 Pius X. 14-15, 45, 124 Pius XI. 15-16, 45, 54, 76, 78, 83, 87-89, 92, 94, 96, 98, 124, 129-130, 234 Pius XII. 16, 120-122, 124, 129, 143, 151, 234 <?page no="276"?> Verzeichnisse 275 Platon 127 Quesnay, François 26 Rathenau, Walther 58 Robbins, Lionel 70-71 Roosevelt, Franklin D. 101, 105 Röpke, Wilhelm 113 Rüstow, Alexander 113 Samuelson, Paul Anthony 108 Scheidemann, Philipp 58 Schmoller, Gustav von 30, 47-48 Scholes, Myron S. 197 Schultz, Theodor W. 152 Schumpeter, Joseph A. 67, 79, 93 Sen, Amartya 166 Sm ith, Adam 128 Sombart, Werner 66-67 Spann, Othmar 63 Spengler, Oswald 67 Spiethoff, Arthur 67 Stalin, Josef 101 Stiglitz, Joseph 198 Taschereau, Elzéar Alexandre 25 Temple, William 104 Tobin, James 108, 165 Truman, Harry S. 102 Vogelsang, Karl von 24 Volpini, Alessandro 28 Wagner, Adolph 62 Weber, Max 71 Wehler, Hans Ulric h 58 Wilhelm I. 22 Wilhelm II. 27 Wirth, Joseph 58 Wolff, Christian 128 Young, Owen D. 60 Zigliara, Tommaso Maria 28 <?page no="278"?> 277 Sachverzeichnis Allgemeines Zoll und Handelsabkommen (GATT) 101, 152 Anthropozentrismus 220 Apostolische Rundschreiben 14, 213 arbeitende Klasse 20, 30 Arbeiterbewegung 21, 23-24, 46 Arbeiterbruderschaften 24 Arbeiterfrage 15, 19, 24, 27, 28-29, 34, 46, 50, 53, 90, 170, 189, 234, 244 Arbeiternehmerinteressen 43 Arbeiterorganisation 24, 134 Arbeiterpapst 14, 40 Arbeiterpriester 25 Arbeiterschaft 10, 20-21, 23, 31, 36, 49, 51, 63, 88, 232-233 Arbeiterschutz 21, 27, 73, 86 Arbeitervereine 23, 45 evangelische 23 katholische 23, 45, 79 Arbeitervereinigungen 25, 43-44, 48 Arbeitslosigkeit 10, 20, 61, 72, 84, 88, 108, 125, 131, 145, 163, 166, 168-169, 172, 176-177, 182-183, 189, 205, 210, 213, 234, 239 Arbeitsteilung 10, 19 Armut 7, 26, 140 , 153, 166, 181-182, 194, 203-204, 206-207, 210, 213, 223, 225, 228, 231, 239, 240, 242 Berufswahl, freie 9 Bischofskonferenz 27 Caritas in veritate 17, 149, 202-203, 206, 219, 222, 241 Centesimus annus 17, 169, 189, 195, 240, 242 Charta der Vereinten Nationen 101, 104 Christentum 54 Co rporat e Governance 8 Dawesplan 59 60 Demokratie 150, 192, 241 Demokratisierung 21, 91, 131 dritter Weg 11, 15, 227, 235, 243 Egoismus 10, 159, 181, 235, 246 Eigentumsordnung 119 Eigentumsrechte 34-36, 70, 87, 156, 157 Eigenverantwortung 132, 148 Einkommensumverteilung 115 Einkommensverteilung 19, 30, 51, 88, 92, 166, 188, 239 Entscheidungsfreiheit 35 <?page no="279"?> Der dritte Weg der Päpste 278 Entwicklungsländer 109, 141, 153, 155, 158-159, 160-161, 166, 169, 181, 183, 185, 194, 208, 210-211, 217, 224-225, 238, 240 Enzyklikenpapst 39 Erste Internationale 22 Ethik 113, 125, 179, 208, 245 European Recovery Programs (ERP) 102 Evangelii Gaudium 18, 213, 222, 242 Faschismus 16, 78 Finanzkrise 17, 197, 199, 201, 204, 206-207, 222, 241, 245 Fortschritt 64, 137, 143, 148, 159, 195, 226, 243 ganzheitlicher 229 kultureller 142 sozialer 116, 131-132, 141, 147, 158, 162, 236 technischer 141-143, 148, 159, 182, 216, 219, 223, 226-228, 238, 243 wirtschaftlicher 132, 158, 219 Freiheit 62, 74, 91, 129, 143, 147, 148, 154, 159, 165, 178, 193, 221, 228-229, 242, 244 materielle 62 persönliche 132, 153 Freimaurerei 24, 40 Frieden 88 Fundamentalismus 192 Fürsorgestaat 190 Gaudium et spes 129, 155 Gemeinwohl 50, 81, 87, 95, 121, 126-127, 130, 137, 147, 149, 157, 178, 186, 192, 202, 221, 227, 236, 238, 243, 244 Gemeinwohlprinzip 228 Genossenschaften 25, 43, 80, 83, 138 Gerechtigkeit 51, 91, 133, 143, 147-148, 177-178, 186, 189, 192, 194, 202, 207-208, 221, 241 ausgleichende 206 internationale 240 natürliche 41, 232 soziale 178, 236-237, 240 Gewerkschaften 21, 22, 43, 59, 106, 134, 177, 205, 210 christliche 44-45 katholische 44 Gewerkschaftsstreit 44-45, 83, 233 Gewerkschaftstheorien 47 Gleichheitsgrundsatz 51 Globalisierung 17, 203, 207, 209-210, 214 Habgier 30 Hirtenbrief 27 Historische Schule 30, 47, 50, 67, 71 Humanum genus 24, 40 Hyperinflation 58, 72, 164 Industrialisierung 9, 12, 19, 21, 30, 63, 109, 133, 170, 173-174 Inflation 108, 163-164, 166, 180, 239 Inquisition 25-27 <?page no="280"?> Verzeichnisse 279 Integralisten 45 Internationale Arbeiterassoziation (IAA) 21 Internationaler Währungsfonds (IWF) 104 Kalter Krieg 102 Kapitalismus 10, 11, 15, 63, 65, 157, 173, 175, 192, 216, 231, 232-233, 240, 243 gemäßigter 64 gezähmter 178 Kinderarbeit 10, 24, 42, 49, 73, 86 Kirche Institution 7 katholische 23, 44, 83, 90-91, 93, 123, 129, 239 Kirchenstaat 13-14 Klassenkampf 33, 125, 134, 173, 178 klassische Nationalökonomie 9-10, 35, 67, 71 Kleinkredite 208 Klimaenzyklika 216 Klimaerwärmung 223 Klimawandel 216-217 Klöster, mittelalterliche 7 Kollektiveigentum 34, 192 Kollektivismus 15, 81, 87, 113-114 Kommunismus 55, 81, 95, 129, 175, 179 Konkurrenz 10, 73-75, 94, 213, 231, 233 Konsum 69, 192, 195, 217, 226, 240, 243 Konsument 193, 210 Konsumentensouveränität 227 Konsumfreiheit 221, 228 Konsumgesellschaft 184, 191 Konsumismus 221, 243 Konsummentalität 216 Konsumverhalten 210 Krankenversicherung 21, 61, 168 Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) 103 Kulturkampf 39 Laborem exercens 17, 169, 178, 218, 239 laissez faire 9, 64, 71-72, 92 laissez passer 9 Laudato si’ 17, 149, 213-214, 216, 228-229, 242-243 Leistungsfähigkeit, wirtschaftliche 59, 71, 75, 103, 134, 158, 167, 168, 188, 231 Liberalismus 14, 28, 65, 73, 75, 81, 113, 119, 157-158, 172- 173, 190, 237 Lohn, fairer 7 Lohn, gerechter 36, 129 Löhne 10, 20, 26, 40, 46, 49, 88, 108, 132, 160, 173, 190 Lucas Paradoxon 164 <?page no="281"?> Der dritte Weg der Päpste 280 Maastrichter Vertrag 92 Macht 31, 48, 56, 74, 94, 95, 97, 102, 115, 121, 125, 130, 137, 156, 186, 190-192, 195, 204, 207, 210, 219, 221, 241 Manchesterliberalismus 87 Marktwirtschaft 114, 191, 211 Marshallplan 102-103 Marxismus 111, 173, 191 Mater et magistra 16, 123, 125, 129, 138, 144, 175, 237 Menschenrechte 176, 184, 218 Mikrofinanzierung 208 Mitbestimmung 24, 106, 117, 133, 176 Mittelweg 15, 65, 71-73, 226, 232-233 Mitverantwortung 134 Monopol 10, 30, 70, 175 Moral 70 Nächstenliebe 98, 202, 244, 245 Nationalsozialismus 16, 72, 101, 111 natürliche Gerechtigkeit 41 Naturrecht 31-34, 43, 51-52, 123, 129, 145, 231 neoklassische Nationalökonomie 67, 71 neo klassische Synthese 108 Neoliberalismus 113 Nord Süd Konflikt 13, 152 Nova impendet 15 Nutzen 69 Ökoenzyklika 216 Ökologie 218, 243 Ökonomie 7-9, 12 Oktoberrevolution 63 Ordoliberalismus 11, 72, 119, 234 Organisation for Economic Co operation and Development (OECD) 60, 104, 163, 236 Organisation for European Economic Co operation (OEEC) 103-104, 23 6 Ost West Konflikt 102 Pacem in terris 16, 123, 143, 144, 150, 237 Pfingstbotschaft 16, 120, 122, 129, 130, 132, 234 physiokratische Lehre 26 politische Ökonomie 47 Populorum progressio 16, 144, 152-153, 155, 162, 180-181, 183-184, 203, 205, 238-240 Privateigentum 26-28, 34-37, 40, 52, 87, 121, 126, 129, 137-138, 145, 150, 174-175, 178, 190, 192, 231, 234, 236, 244 Produktionsmittel 35, 65, 74, 87, 110, 137, 145, 157, 172-176, 178, 188 Proletariat 20, 87 Quadragesimo anno 15, 45, 54, 76-78, 80, 83, 87, 90-92, 96, 101, 120, 129, 130, 144, 170, 234, 235 Rationalisierung 19, 182, 240 Religion 7, 53, 159 R eligionsfreiheit 145 <?page no="282"?> Verzeichnisse 281 Rentenversicherung 21, 61, 107, 117, 167 Rerum novarum 14-15, 23, 25, 29, 36-37, 40, 44, 46, 48-49, 51, 53-54, 63, 78-79, 82-83, 86-87, 90, 120, 125, 129, 131, 144, 160, 169, 170, 175, 189-190, 195, 231-234, 244 Rezession 225 Risorgimento 13 Rüstung 15, 101, 103, 133, 141, 148, 159, 166, 238 Selbs theilungskräfte des Marktes 11 Selbsthilfeorganisation 24, 82, 233 Selbstverantwortung 80 Sicherheit 30, 198 des Arbeitnehmers 172 nationale 190, 241 soziale 104-105, 205 single tax 26 Sitte 50 Sitten 29, 44, 147 Solidarismus 79, 81 Solidarität 80-81, 125, 139, 147, 159, 172, 186-187, 206, 209, 236, 244 Solidaritätsbewegung 191 Solidaritätsprinzip 81 Sollicitudo rei s ocialis 17, 165, 169, 180-181, 194, 240 sozial Schwache 42, 82, 232, 236, 240 Sozialarbeit 23 Sozialdemokratische Arbeiterpartei 22 soziale Frage 15, 27, 29, 36, 52, 73, 153, 173, 181, 238 soziale Irenik 112-113, 237 soziale Krise 223 soziale Marktwirtschaft 109, 113, 116-118, 120, 237 ökologische 243 soziale Missstände 7, 25, 43, 156 -1 57, 221, 242 soziale Organisationsform 7 Sozialenzyklika 14-15, 17-18, 23-24, 27-29, 31, 76, 78, 90, 109, 120, 123, 144, 150, 153, 170, 180, 189, 216, 218, 231, 238, 240, 244, 245 sozialer Frieden 48 Sozialismus 10-11, 14, 19, 27- 28, 31, 33-34, 40, 63, 72-73, 81, 95-96, 111, 119, 12 9, 178, 188, 190-194, 231-233, 236- 237 Sozialistengesetz 22, 46 Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands 22 Sozialkatholizismus 44 Soziallehre 244 christliche 96 katholische 91, 112, 116-119, 155, 203, 205, 235, 237-238 kirchliche 153, 181, 202 Sozialordnung 16, 117, 149-150 Sozialpolitik 21, 24, 37, 117, 161, 167-168, 231 <?page no="283"?> Der dritte Weg der Päpste 282 Sozialstaat 61-62, 105-106, 233 Sozialstaatsklausel 117 Sozialversicherung 61-63, 80, 106, 130, 138 Staat 49-50, 66, 74, 91, 93, 107-108, 120, 122, 126-127, 131-132, 138, 147, 164, 167, 189, 233, 236, 239 staatliche Eingriffe 28, 121, 129 Staatsgewalt 49 Stagflation 108 steuerliche Subsidiarität 210 Steuern 52, 62, 159 Steuerstaat 62 Streik 46-49, 17 8 Streikbewegung 82 Streikrecht 24, 47 Streikverbot 21 Subsidiarität 90-92, 137, 209 Subsidiaritätsprinzip 149, 235 Sünde 40, 97, 185 Syllabus errorum 14 Tableau économique 26 Umverteilung 69-70, 207 Umwelt 7, 110, 216, 220, 224, 226, 228, 243 Umweltabkommen 227 Umweltenzyklika 17, 149, 216 Umweltkosten 224 Umweltschutz 221, 224-226 Umweltverschmutzung 169, 217, 22 3, 240 Unfall versicherung 21, 61, 107 Ungerechtigkeit 216, 224-225, 227, 231, 244 soziale 189, 197, 205, 228, 231, 243 Vatikan 12, 14, 24, 39, 76, 90, 144, 213, 231 Vatikanisches Konzil, I. 14 Vatikanisches Konzil, II. 33, 123, 136, 150, 152, 156, 179, 181, 212 Verantwortung 17, 34, 37, 62, 81, 13 4, 146, 154, 156, 162, 171, 197, 207, 224-225, 227-228, 234, 240-242 Verantwortungsgefühl 133 Verarmung 10, 14 Vereinte Nationen (UN) 105, 149, 152, 193, 242 Verelendung 10, 125 Vermachtung der Wirtschaft 94, 129 Vermögensbildung 37, 40 Vermögensverteilung 30, 51, 66, 88, 92 Versailler Vertrag 57-58, 83 Versorgungslücke 35 Verstädterung 19 Verteilung 13 2, 139, 153, 156, 170, 181, 235 Verteilungsfrage 51, 88, 234 Verteilungsunterschiede 17 Vertrauenskrise 201 Vietnamkrieg 152 Völkerbund 102 Völkerrecht 32 Währungsreform 117 Weihnachtsbotschaft 137, 143, 146 <?page no="284"?> Verzeichnisse 283 Weimarer Republik 72, 82 Weltbank 140 Weltfonds 159 Weltwirtschaftskrise 15, 60, 78, 105, 107, 115 Weltwirtschaftsordnung 163 Werte 142, 241 allgemeingültige 221 christliche 8, 16, 49-50, 54, 202, 238, 244 freiheitliche 191, 241 höhere 238 kanon 52, 142 konsens 53 menschliche 211 sittliche 238 übergeordnete 223 utilitaristische 191 verbindliche 206 wahre 18 , 236 Wertmaßstäbe 53 Werturteilsstreit, deutscher 71 Wettbewerb 10, 94-95, 102, 114-116, 125, 157, 161, 238 freier 93, 125, 130, 133, 157, 160-161, 235 zügelloser 130 Wettbewerbs beschränkungen 115-117 Wettbewerbsgedanke 232 Wettbewerbsordnung 74-75, 115, 119 Wettbewerbspolitik 114, 237 Wettbewerbsprozess 30, 157 Wettbewerbsvorteil 164 Wiener Kongress 13 Wirtschaftskreislauf 26 Wirtschaftskrise 17, 46 Wirtsc haftsordnung 101, 117, 150 Wirtschaftssystem 9, 63, 67, 71, 79, 93, 102, 114, 117, 163, 188, 213-214, 232, 244 Wirtschaftstheorie 68 Wirtschaftswachstum 56, 106, 132, 141, 164, 214, 216, 223, 225-226, 236, 243 Wirtschaftsweise 36, 63, 216, 229, 237 Wohlfahrt 43-44, 50, 52, 68-71, 88, 92, 98, 121, 127, 141, 14 7, 166, 239 Wohlfahrtsmessung 69 Wohlfahrtsstaat 49-50, 62, 91, 104-105, 234 Wohlstand 34, 36, 48, 69, 71, 79, 88, 98, 114, 117, 122, 130- 132, 139, 142, 147-148, 181, 206-207, 214, 235, 238 Würde 105, 140, 142, 148, 172, 190, 210, 213, 218, 225, 229, 232, 236, 244 Würde der Ar beit 240 Youngplan 60 <?page no="285"?> Von einem, der auszog, die Kirche zu reformieren Wir begeistern die Region. www.suedverlag.de Walter Rügert Jan Hus Auf den Spuren des böhmischen Reformators 112 Seiten, Klappenbroschur Ca. 70 farbige Abbildungen ISBN 978-3-87800-065-5 € (D) 16,00 Der böhmische Theologe und Reformator Jan Hus war nach Konstanz gereist, um auf dem Konstanzer Konzil seine Lehren zu verteidigen. Er wurde am 6. Juli 1415 im Konstanzer Münster verurteilt und gleich danach verbrannt. Höchst informativ und dabei gut verständlich bietet der reich bebilderte Band einen knappen Einblick in Leben, Wirken und Werk von Jan Hus, desgleichen einen fundierten Überblick über die weitere Entwicklung des Hussitentums sowie den Umgang mit Jan Hus in den späteren Jahrhunderten. [Walter Rügert hat] »zum Hus-Gedenktag das informativste und lesbarste Buch vorgelegt.« Neue Zürcher Zeitung »Walter Rügert gibt mit seinem Büchlein (…) einen knappen, aber lehrreichen Einblick in das Leben des Luther-Vorgängers und einen ebenso profunden Überblick über die Hus-Rezeption in den Jahrhunderten danach.« Focus <?page no="286"?> Auf den Spuren von Päpsten und Herrschern, Hübschlerinnen und Gelehrten Wir begeistern die Region. www.suedverlag.de Walter Rügert Konstanz zur Zeit des Konzils Ein historischer Stadtrundgang Klappenbroschur, 96 Seiten Ca. 90 farbige Abbildungen ISBN 978-3-87800-047-1 € (D) 14,- Dieser einzigartige historische Stadtrundgang entführt den interessierten Spaziergänger ins 15. Jahrhundert, in die Zeit des Konstanzer Konzils (1414 -1418). Ob Münster, Konzilgebäude oder heutiges Inselhotel: Zu mehr als 30 bedeutsamen Standorten werden die entscheidenden Ereignisse des Konzils anschaulich geschildert. Und kleine Anekdoten lassen das Mittelalter lebendig werden. »So schnell und anschaulich bekommt man die wesentlichen Infor mationen zu den einzelnen Konzil-Orten nur selten geliefert.« Südkurier <?page no="287"?> www.uvk.de Eine faszinierende Unternehmergeschichte Der Tourismuspionier Thomas Cook stammte aus einfachen Verhältnissen. Seine Geschichte ist deswegen eng mit der der arbeitenden Klasse im England des 19. Jahrhunderts verknüpft. Durch perfekt organisierte Reisen ermöglichte der tiefgläubige Baptistenprediger vielen Menschen eine kurze Flucht aus dem Alltag, der durch harte Arbeit, beengte Wohnverhältnisse und allzu oft auch durch Alkohol geprägt war. Auf geschickte Art und Weise legte er den Grundstein für ein bereits zu seinen Lebzeiten multinationales Unternehmen und ebnete dem Massentourismus den Weg. Jörn W. Mundt Thomas Cook Pionier des Tourismus 2014, 222 Seiten ISBN 978-3-86764-496-9 <?page no="288"?> www.uvk.de Neues Vertrauen schaffen! Das Vertrauen in unsere Währungen sinkt: Die Zentralbanken fluten die Finanzmärkte mit billigem Geld. In Deutschland boomt die Wirtschaft, während in anderen Euro-Ländern hohe Arbeitslosigkeit und Staatspleiten drohen. Kann ein System mit Niedrigzins, Deflationsgefahr und geliehenem Wohlstand dauerhaft bestehen oder sollte eine Suche nach alternativen Geldsystemen beginnen? Lernen Sie durch das Buch mehr über das aktuelle Geldsystem und seine Alternativen in Form von Ersatz- oder Komplementärwährungen, die neues Vertrauen schaffen könnten. Ottmar Schneck, Felix Buchbinder Eine Welt ohne Geld Alternativen zum bisherigen Geldsystem 2015, 256 Seiten ISBN 978-3-86764-601-7 <?page no="289"?>