eBooks

Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts

Eine Kommunikationsgeschichte der Macht in der Vormoderne

0501
2004
978-3-8649-6952-2
978-3-8966-9694-6
UVK Verlag 
Mark Hengerer

Der fürstliche Hof war, indem er Herrscher, Administration und Adel zusammenführte, ein zentrales Element im Prozess der frühmodernden Staatsbildung. Die Teilhabe der Adelsgesellschaft an der fürstlichen Herrschaft war vom Hof ebenso abhängig wie die fürstliche Herrschaft von der Kooperation des Adels. Vom sozialen Wandel aber, den der Hof als Organisation in der Adelsgesellschaft und der Praxis fürstlicher Herrschaft selbst mitstrukturierte, blieb er selbst nicht unberührt: Er wurde in der Frühen Neuzeit zunehmend formalisiert, intensivierte damit aber die Unterschiede in den Erfolgschancen auch adeligen Einflusses und erhöhte somit den Bedarf für informelles Handeln. Mark Hengerer geht den Zusammenhängen zwischen dem Strukturwandel des Hofes und den Bedingungen sozialer Reproduktion des Adels am Beispiel des wohl bedeutendsten Hofes des Alten Reiches nach, nämlich des Kaiserhofes im 17. Jahrhundert. Er untersucht dabei, wie im Spannungsfeld von Anwesenheit und Amt, Interaktion und Organisation sowie im Austausch adeliger und fürstlicher Ressourcen Macht entsteht und auf Gegenmacht stößt. Mit dieser Arbeit wurde der Autor im Jahr 2002 an der Universität Konstanz promoviert.

<?page no="2"?> Mark Hengerer Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts <?page no="3"?> Historische Kulturwissenschaft · Band 3 Herausgeberkollegium Bernhard Giesen (Konstanz) Alois Hahn (Trier) Jürgen Osterhammel (Konstanz) Rudolf Schlögl (Konstanz) Neben Strukturen und Ereignissen rücken in den kulturwissenschaftlich orientierten Geistes- und Sozialwissenschaften Diskurse, Kommunikationsprozesse, Rituale, Symbole und Medien als Ebenen und Prozessoren von (Selbst-) Beobachtungs- und Wahrnehmungsprozessen in das Blickfeld der Forschung. Aus dieser thematischen Öffnung ergeben sich neue Möglichkeiten des methodischen und theoretischen Austausches zwischen den unterschiedlichen Fächern. Die Reihe H ISTORISCHE K ULTURWISSENSCHAFT versammelt vor diesem Hintergrund Monographien und Sammelbände aus allen Disziplinen, die eine kulturwissenschaftliche, disziplinübergreifende Fragestellung verfolgen und ihren Gegenstand in einer methodisch orientierten, historischen Perspektive bearbeiten. <?page no="4"?> Mark Hengerer Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts Eine Kommunikationsgeschichte der Macht in der Vormoderne UVK Verlagsgesellschaft mbH <?page no="5"?> Dissertation der Universität Konstanz Tag der mündlichen Prüfung: 28. November 2002 1. Referent: Prof. Dr. Rudolf Schlögl; 2. Referent: Prof. Dr. Clemens Wischermann; 3. Referent: Prof. Dr. Bernhard Giesen Die Abbildung auf der Einbandvorderseite zeigt einen Ausschnitt aus dem Gemälde „Nächtliches Bankett“ von Wolfgang Heimbach (s. S. 645) Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.ddb.de abrufbar. ISSN 1613-6624 ISBN 978-3-89669-694-6 (Print) ISBN 978-3-86496-952-2 (EPUB) ISBN 978-3-86496-951-5 (EPDF) © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2004 Einbandgestaltung: Annette Maucher, Konstanz Satz und Layout: Mark Hengerer, Konstanz Druck: Printed in Germany Diese Arbeit ist im KFK/ Sonderforschungsbereich 485 »Norm und Symbol. Die kulturelle Dimension sozialer und politischer Integration«, Konstanz, entstanden und wurde auf dessen Veranlassung und unter Verwendung der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="6"?> 5 Danksagung Es ist mir eine große Freude, am Ende der Arbeit an meiner Dissertation mit Dankesschulden beschenkt zu sein. Dank gilt zunächst meinem Chef, Prof. Rudolf Schlögl, der mich nach Kräften förderte und mir doch bei meiner wissenschaftlichen Arbeit völlige Freiheit ließ; sodann Prof. Ronald Asch, der mein Augenmerk noch in Münsteraner Studienzeiten auf die kaiserlichen Kämmerer lenkte und damit diese Arbeit anregte. Prof. Clemens Wischermann verdanke ich nicht allein wohlwollende Mahnungen, auch einmal zu einem Ende zu kommen, sondern die Erstellung des Zweitgutachtens; ebenso herzlich danke ich Prof. Bernhard Giesen für das dritte Gutachten und Prof. Hans-Georg Soeffner, der sich bereitfand, als fachfremder Prüfer an der mündlichen Prüfung mitzuwirken. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme des Bandes in die Reihe. Mein Dank gilt weiter den Mitarbeitern der aufgesuchten Archive und Bibliotheken sowie denjenigen, die großzügig Einsicht in ihre Familienarchive gewährten, insbesondere S.D. Heinrich Prinz von Auersperg, Gabrielle Lobmeyr von Hohenleiten und Niklas Altgraf zu Salm-Reifferscheidt Raitz, S.D. Franz Albrecht Metternich-Sandor, Rosa von Gutmann und Johannes Graf Trauttmansdorff. Für seinen Rat und Hinweise auf Archivalien danke ich besonders Hofrat Prof. Leopold Auer vom Haus-, Hof- und Staatsarchiv (Wien), für letzteres auch Petr Mat’a, Dr. Géza Pálffy und Dr. Stefan Sienell. Ohne großzügige finanzielle Förderung hätte diese Arbeit nicht entstehen können. Der Ausschuß für Forschungsförderung der Universität Konstanz genehmigte Sach- und Reisemittel, in den Jahren 2000 bis 2002 wurde die Arbeit ebenso wie die Drucklegung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Teilprojekts „Politische und soziale Integration am Wiener Hof (17. und 18. Jahrhundert)“ im Sonderforschungsbereich 485 „Norm und Symbol. Die kulturelle Dimension sozialer und politischer Integration“ unterstützt. Den Mitarbeitern der Forschungsverwaltung der Universität Konstanz und denen des Sekretariats des Sonderforschungsbereichs, Justine Overall und Gabriele Rutsche vor allem, danke ich für logistische Unterstützung, ebenso den Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl, insbesondere der Sekretärin Frau Renate Prinz. Herzlich danke ich auch den Hilfskräften Heike Bazak, Diotima Bogner, Eva Brugger und Jochen Klein für die Erstellung des Registers. Besonders für die Einrichtung der Literaturdatenbank, für logistische Hilfe bei der Literaturbeschaffung und Beistand in EDV- <?page no="7"?> 6 Nöten danke ich herzlich Hannah Flohr, Sven Jüngerkes, Helena Perinová, Christine Pflüger und Stefanie Schmid. Für ermutigende und klärende Diskussionen des Konzeptes der Arbeit bin in erster Linie Dr. Andreas Blank und Dr. Kay Junge zu großem Dank verpflichtet. Großen Dank schulde ich auch den Freunden, welche die Arbeit ganz oder teilweise korrekturlasen: Tobias Krämer, Insa Großkraumbach, Hanna Schelz und Prof. Thomas Winkelbauer, dessen Hilfsbereitschaft und besonderer Expertise ich darüber hinaus sachliche Richtigstellungen verdanke. Vor allem Karl und Doris Preszmayr-Mitsche sowie Rami Khadra verdanke ich es, daß ich in Wien nicht allein Archivalien, sondern auch Freunde fand; für ihre Freundschaft danken möchte ich auch Géraldine und Matteo Malvani-Lemaire, Dr. Susanne Pils und Dr. Friedrich Polleroß. Für ihre Gastfreundschaft danke ich Barbara Brüller und Familie Mitsche. Für stete Ermunterung und das unerschütterliche Ertragen des Konditionalsatzes „Wenn die Diss. fertig ist, …“ danke ich meinen Freunden Uwe Dörk, Dr. Stefan Haas, Markus Heß, Christian Nanz, Sylvia Rohlfer, Dr. Michael Steenbuck sowie Annalena, Kirsten und Sören Zanner. Zuletzt gilt es, an die größten Dankesschulden zu erinnern. Nennen möchte hier ich Anne Dechow, Wilgard Faber, Mechthild Felkel und Uwe Jansen. Meine Familie hat mich in einer Weise unterstützt, die ich nicht zu wünschen gewagt hätte und die nicht in Worte zu fassen ist, und so danke ich von Herzen Dr. Brigitte und Dr. Bruno Weber, meinem Bruder Dr. Olaf Hengerer sowie, an erster Stelle, meinen Eltern. Ihnen und dem Andenken an Franziska Ahsbahs und Alfred Hockel widme ich diese Arbeit. <?page no="8"?> 7 Einleitung ......................................................................................... 11 I. Thema und Gegenstand .................................................................... 11 1. Forschungsstand ............................................................................ 12 2. Konzept, Fragestellung und Vorgehensweise ...................................... 20 3. Grenzen ........................................................................................ 26 II. Quellen und Terminologie .............................................................. 29 Teil A. Personal und Präsenz............................................... 33 I. Stellenstruktur im Wandel ...................................................... 34 1. Einzelne Hofämter ................................................................................ 35 a. „Diener von Adel ohne Amt“ 35; b. Äußerer Hofstaat 42, Truchsessen 42, Panathier 45, Fürschneider 45, Mundschenke 47, Edelknaben 49; c. Kämmerer 50; d. Geheime Räte 59; e. Behörden 63, Hofkammer 64, Hofkriegsrat 67, Reichshofrat 70 2. Zwischenergebnis ................................................................................. 72 a. 16. Jahrhundert 72; b. 17. Jahrhundert 76 II. Tatsächliche Präsenz .............................................................. 78 1. Amtsversehung ..................................................................................... 80 a. Kämmerer 81, Terminologie, Restriktionen, Instruktionen 82, Besoldung und Präsenz 85, Rudolf II. 86, Ferdinand II. 88, Ferdinand III. 89, Leopold I. 91, Quartier 93, Verdichtungsmuster 98, Wochendienste und Präsenzzeiten 103, Zwischenergebnis 110; b. Äußerer Hofstaat 112; c. Geheimer Rat 116, Besoldungen 120, Protokolle 122; d. Reichshofrat, Hofkammer, Hofkriegsrat 127 2. Mobilität ............................................................................................ 130 a. Längere Aufenthalte außerhalb Niederösterreichs 130, Reisehofstaaten 134; b. Niederösterreich und Wien 141, Residenzen in Niederösterreich 141, Wohnen in Wien, Mobilität des übrigen Adels 146 Teil B. Interaktion und Organisation................................ 153 I. Elemente der Mitgliedschaft im Hofstaat .............................. 154 1. Eintritt und Stellenantritt ................................................................... 156 a. Einzelne Ämter 157, Oberste Hofämter 160, Justiz und Verwaltung 163, Kämmerer 165; b. Urlaub und Kleidung 172; c. Verschleierter Austritt 177 2. Anpassung und ihre Grenzen .............................................................. 186 a. Hierarchische Ordnung des Hofstaats 187; b. Sinn und Kritik 197; c. Gewalt, Duelle und Ehre 208 3. Zugang zum Kaiser ............................................................................. 215 a. Vorzimmerordnungen 218, Ferdinand II. und Ferdinand III. 220, Einzelbewilligungen 225, Hofstaatsgröße 231, Leopold I. 233; b. Audienzvergabe 242; c. Kammer und Tafel 256; d. Weibliche Dynasten und Erzherzöge 266 Inhalt <?page no="9"?> 8 II. Planung, Verfahren, Kontakte ............................................. 276 1. Normgenese und Flexibilität ............................................................... 278 a. Normen in Bewegung 279; b. Vertretungsregeln versus Personalhoheit 286; c. Geheimer Rat versus deputierte Räte 290 2. Schwache Sicherungen ........................................................................ 298 a. Papier 298; b. Geld und Geschenke 307 3. Reden und reden lassen ...................................................................... 317 a. Capella und Antecamera 322; b. Vernetzung, Essen 326; c. Präsenzsubsitute 350; d. Perspektiven auf An- und Abwesenheit und Stellenstruktur 358 Teil C. Ressourcen und Reproduktion .............................. 369 I. Hofamt und Einfluß ............................................................. 371 1. Laufbahn in Hofstaat und Ständen ..................................................... 376 Kämmerer 380, Herrenstandsverordneter 381, Landjägermeister 385, Oberststallmeister 389, Abgedankt 393, Geheimer Rat Erzherzog Sigismund Franz’ von Tirol und Kaiser Leopolds I. 398 2. Verteiler .............................................................................................. 412 a. Hofkammerpräsidentenamt 412, Georg Ludwig Graf von Sinzendorf 412; b. Obersthofmarschallamt 418, Heinrich Wilhelm Graf von Starhemberg 419 3. Verweiser ............................................................................................ 427 a. Obersthofmeisteramt 427, Maximilian Graf von Trauttmansdorff 437, Zugang, Beratung, unspezifische Hilfe 441, Präsenz 443, Stellen 444, Recht 449, Geld 454, Courtoisieschreiben und Bindungsanbahnung 458, Verdichtungen: Inhaber oberster Hofämter; Gundaker von Liechtenstein 464, Reichsstände, Monarchen, Nachrichtenkorrespondenz und Botschafter 476; b. Oberstkämmereramt 479, Johann Maximilian Graf von Lamberg 483, Zeitverbrauch 488, Kämmererschlüssel 491 II. Gnaden und Gelder ............................................................ 494 1. Stellen ................................................................................................. 494 a. Verfahren und Programmelemente 499, Qualifikationen, „Qualitäten“, Quantitäten 505, Laufbahnpfade und Stellenersetzungen 510, Ämterkauf 522; b. Reden, Schreiben, Reisen 524, Mobilität und Herrschertod 536; c. Hofstaat und Länder 541, Verwaltung und Justiz 547, Repräsentanz 553; d. Geschlechter 559 2. Fürstliches Füllhorn ............................................................................ 564 a. Standeserhöhungen, Prädikate und Landstandschaft 565; b. Orden vom Goldenen Vlies 573; c. Hochzeitspräsente 577; d. Rechtsstellung 581 3. Finanzen ............................................................................................. 586 a. Verschränkte Verfahren 597; b. Extraordinari Empfänge des Hofzahlamtes 604; c. Gnadengaben und Fondsauswahl 610 Zusammenfassung .....................................................................................625 <?page no="10"?> 9 Anhang ............................................................................. 641 I. Archive und Bibliotheken, Siglen, Abkürzungen ............................. 641 II. Abbildungen und Nachweise, Graphen, Tabellen.......................... 645 III. Literatur ....................................................................................... 646 IV. Register ........................................................................................ 671 1. Personen ..................................................................................... 671 2. Sachregister ................................................................................. 679 <?page no="12"?> 11 Einleitung I. Thema und Gegenstand Im Jahr 1651 klagte Kaiser Ferdinand III., die Zahl seiner Kämmerer sei übermäßig hoch, und dennoch werde er von diesen nicht ausreichend bedient. Seine Pläne zur Reduktion der Zahl der Kämmerer zeitigten allerdings keinen Erfolg. Unter seinem Nachfolger, Kaiser Leopold I., setzte sich dieses Wachstum fort. 1665 gab es bereits 300 Kämmerer, was wiederum „underschidtliche inconuenienzen“ zur Folge hatte, unter anderem den Verfall der Zutrittsordnung zu den kaiserlichen Vorzimmern. Aber auch seine Anweisungen zur Reduktion des Kämmererstabes blieben fruchtlos 1 . Diese fast ausschließlich den Hochadel begünstigende Form des Wachstums des kaiserlichen Hofstaats wurde vom niederen Adel als Gefährdung der eigenen Position wahrgenommen. 1665 beschwerte sich der niederösterreichische Ritterstand bei Leopold I., früher seien „taugliche Subiecta so wohl des Ritter: als Herrn Standts ohne Unterschiedt nicht allein zu Cammerern sondern auch zu andern höcheren kaÿserlichen unnd Landtsfürstlichen Hoffdiensten, Digniteten unnd Ambtern als obrist hoffmaister, obrist Cammerer, obrist Hoffmarschal, obrist Sthalmaister, obrist Landt Jägermaister, Landtshaubtman, und der gleichen Stöhlen“ berufen worden, gegenwärtig seien die Mitglieder des Ritterstands vom Hofe jedoch „ganz ausgeschlossen“ 2 . Was sich für die Kaiser als Wandel der alten Hofordnung darstellte, bedeutete für den Ritterstand den Ausschluß von Chancen sozialer und politischer Reproduktion. Es war nunmehr der Hofadel, der im kaiserlichen Dienst durch Nobilitierung ganz überwiegend Hochadel und vielfach sehr reich geworden war, der die primäre Rekrutierungsschicht für Ämter im Hofstaat und in den Erblanden bildete. Die grundlegende Umstrukturierung des Adels der Habsburgermonarchie 3 seit der Niederwerfung der Adelserhebung von 1618 bis 1620 war mit diesem Wandel des Hofes - das ist allgemein anerkannt - eng verbunden. Die Relevanz seiner Strukturen und seines Strukturwandels für diesen weitreichenden Prozeß sozialen und politischen Wandels genauer zu klären, ist das Ziel dieser Arbeit. 1 HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv r. 122, 4, rote Nr. 22, e.h. „Vernere instruction und Erclärung“, Wien, 2. März 1651; ebd., ÄZA, K. 7, Konv. 30, Reformkommission. 2 OÖLA, HSt, Sch. 1238, Fasz. 28, Nr. 577, Eingabe vom 10. März 1665. 3 Winkelbauer (1999), S. 21-46. <?page no="13"?> 12 1. Forschungsstand Der Hof ist ein komplexes Phänomen 4 , das in der Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts eher beiläufig im Rahmen nationalstaatlich orientierter Behördengeschichte oder aber im Zuge makrosoziologischer Fragestellungen betrachtet worden war 5 . Erst E LIAS ’ Analyse des Hofes Ludwigs XIV. lenkte die Aufmerksamkeit der Historiker nachhaltig auf diesen Gegenstand 6 . Seine Interpretation, wonach der Hof als Machtinstrument in der Hand des Monarchen den vormals weitgehend autonomen Adel domestiziert habe 7 , gab den bis dahin wenig beachteten nichtbürokratischen Elementen des Hofes ihren absolutistischen Sinn und ergänzte die Dyade Militär und Bürokratie zur Triade fürstlicher absolutistischer Machtmittel 8 . K RUEDENER zog die von E LIAS vorge- 4 Evans (1991). Zum Forschungsstand vgl. bes. Winterling (1986), S. 3-32, Bauer (1993), S. 9- 39, Müller (1995), S. 88-100, Persson (1999), S. 2-7, Hirschbiegel (2000). 5 Vgl. dazu Press (1986), S. 30, 31. Die Anfänge moderner Staatlichkeit wurden im 19. und 20. Jahrhundert zumeist im Bereich der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie in der Behördenreform Kaiser Ferdinands I. ausgemacht, vgl. besonders Fellner (1907a) und Žolger (1917), zur historiographischen Tradition auch Asch (1991), S. 1, 2, Müller (1995), S. 90-92, Winterling (1986), S. 4-7, Daniel (1995), S. 23. 6 Elias (1983). Vgl. zur Rezeption Goudsblom (2. Aufl. 1982), Hinrichs (1986), Hinrichs (2000), Schwerhoff (1998), S. 561-605, S. 562, Bauer (1993), S. 33, Anm. 3, LaVopa (2000), S. 119-134, Duindam (1994), Duindam (1998b). Zur Rezeptionsgeschichte im weiteren Sinn vgl. Winterling (1986), S. 18, Gleichmann (1977), S. 17 ff., Flap (1981), Müller (1995), S. 95. 7 Elias (1983), S. 137, 197. Nach Elias wurde der an den Hof gezogene Adel nicht nur materiell versorgt und geriet damit immer weiter in finanzielle Abhängigkeit von der Krone; seine Einbindung in das höfische Zeremoniell als ein vom Fürsten gesteuertes Regelsystem stellte auch seine soziale Existenz (Elias (1983), S. 122, 133) zur Disposition des Monarchen; dies konnte funktionieren, weil das Zeremoniell dasjenige Feld war, auf dem der Adel einen „Kampf um ständig bedrohte Macht-, Status- und Prestigechancen“ innerhalb einer „hierarchisch gegliederten Herrschaftsstruktur“ führte (Elias (1983), S. 132). Vgl. dazu Mörke (1997), S. 57-64, Cremer (1992), S. 78, 79, Bauer (1993), S. 33-39; scharfe Kritik formulierte Duindam (1994), Duindam (1998a), Duindam (1998b), Duindam (2001a), auch hinsichtlich des soziologischen Analyserahmens (vgl. dazu Winterling (1999), Paravicini (1997a), S. 126, 127, Hengerer (2001a), S. 343, Anm. 343). Duindams Theoriekritik an Elias ist freilich unsachgemäß. Elias stellt mit dem Figurationsbegriff nicht nur zur Diskussion, daß Personen und Strukturen zusammenhängen, sondern modelliert so konturiert, daß es möglich ist, die „entscheidende Frage zu stellen, wie die beiden Seiten zusammenhängen.“ Lenski (1973), S. 37. Duindam (1998b), S. 382, hingegen geht es darum, „den Wesenskern des Hoflebens“ zu erfassen, was kaum Gegenstand eines soziologischen Zugriffs sein kann (zur Ontologiekritik vgl. Carnap (1932)). Schlögl (vorauss. 2004), Anm. 9, stellt hierzu fest: „Duindam ersetzt Elias durch Bourdieu und Geertz.“ Auch dichte Beschreibung bringt uns Wesenheiten, wenn es denn welche gibt, nicht näher als andere Methoden (Burkard (1999), S. 1197). So sei denn auch Lob für den Pionier Elias erwähnt: Daniel (1995), S. 24, bezieht sich in Kenntnis der berechtigten Kritik auf „seine brillanten Studien zur französischen Hofgesellschaft und zur Rolle der Hofkultur“, Frühsorge (1988), S. 425, gibt zu Bedenken, daß erst Elias Hofforschung als integralen Forschungsansatz ermöglicht hat; vgl. auch Winterling (1986), S. 21. 8 Die Rezeption von Norbert Elias’ Studien zum Zivilisationsprozeß und zur höfischen Gesellschaft, die den Hof als Machtinstrument in der Hand des Monarchen interpretierten, verän- <?page no="14"?> 13 zeichneten Linien aus und entwarf ein Modell der „Rolle des Hofes im Absolutismus“. Höfischer Aufwand habe der Repräsentation und Prätention von Macht gedient, gegenüber den Untertanen die Herrschaft durch Kultisierung, Charismatisierung und Distanzierung gesichert. Zudem habe der Hof als Machtinstrument gegenüber dem Adel durch die Monopolisierung ökonomischer und sozialer Chancen sowie durch die Manipulation der Lebensführung den Adel im Sinne des absolutistischen Herrschers funktionalisiert 9 . E HALT adaptierte dieses Modell für den Kaiserhof und fand auch dort die von E LIAS postulierten Tendenzen der Zivilisierung, Disziplinierung und Rationalisierung. Das Ziel der Habsburger in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sei es in Anbetracht des Antagonismus zwischen Kaiser und Adel gewesen, „die althergebrachten ständischen Freiheiten und Rechte zu eliminieren oder wenigstens stark zu beschneiden, den Adel an den Hof zu ziehen und ihn eng an die Casa d’Austria zu binden“. Im Hinblick auf die politischen Vorstellungen sei auch der bedeutende Aufwand für den Hof adäquater Ausdruck höfischer Rationalität gewesen 10 . Unter Bezug auf das Modell K RUEDENER s sah E HALT in der Hofhaltung der Habsburger ein Mittel, den Adel mittels der geforderten standesgemäßen hofbezogenen Lebensweise unter Überspannung seiner wirtschaftlichen Kräfte in finanzielle Abhängigkeit von der Krone zu bringen 11 , während die am Hof erforderliche Selbstbeobachtung der disziplinierenden Affektkontrolle Vorschub geleistet habe. Das Zeremoniell hingegen sei Ranganzeiger, Mittel „kultischer Überhöhung der Macht“ 12 und Machtmittel der Fürsten gewesen 13 . Aus verschiedenen Richtungen sahen sich Modell und Adaption bald heftiger Kritik ausgesetzt 14 . Einerseits schien die intentionale Implemenderte die Situation grundlegend. Elias erschloß den Hof für die Absolutismusforschung, die den Hof in ihre Konzeption früher absolutistischer Staatlichkeit neben Militär und Bürokratie einordnen konnte. Knappe kritische Darstellungen des Modells bei: Bauer (1993), S. 33-39; Müller (1995), S. 32-33. Der Kaiserhof stellt in der Hoftypologie Bauers einen „Typ sui generis“ dar (Bauer (1993), S. 66); kritisch hierzu Sienell (2001b), S. 90. 9 Kruedener (1973). 10 Ehalt (1980), S. 63. 11 Ehalt (1980), S. 64. 12 Ehalt (1980), S. 126. 13 Ehalt (1980), S. 129 ff. 14 Winterling (1986), S. 18, 19, kritisierte u.a. Elias’ Figurationsmodell als zu „mechanistisch“ (ebd., S. 19). Gegen die „Höfische Gesellschaft“ führte er die schwache empirische Grundlage ins Feld (ebd., S. 21, 22), ein Einwand, der von Schwerhoff (1998), S. 573-581, auch hinsichtlich der „Höfischen Gesellschaft“ (ebd., S. 587) geteilt wird. <?page no="15"?> 14 tierung von Herrschaftsinstrumenten abwegig 15 , andererseits wurde das Funktionieren des Hofes als Herrschaftsmittel überhaupt in Frage gestellt. Am Beispiel des Hofes der Kurfürsten von Köln konnte W INTERLING zeigen, daß eine Generalisierung des E LIAS ’schen Modells jedenfalls nicht ohne weiteres möglich ist 16 . Auch E HALT sah sich der Kritik ausgesetzt, die Übernahme des Modells habe eine angemessene Interpretation der Sachverhalte verstellt 17 . In der Tat hatte er zahlreiche Phänomene, an denen das Konzept des Absolutismus nach und nach zerrieben werden sollte, gesehen. So war nach seiner Schilderung die „neue internationale Aristokratie [...] von Anfang an mit dem katholischen Hof befreundet und von ihm abhängig“ 18 , auch sah er den „Einfluß des an den Wiener Hof gezogenen Adels“, wenn er auch dessen Eingrenzung als Absicht der Habsburger betonte 19 . Weiter hatte er die Begünstigungen des Adels durch die Möglichkeiten der Nobilitierung, der Fideikommißrechtverleihung wie auch die finanziellen Vorteile und Karrierechancen 20 hervorgehoben, wenn er sich auch im Sinne einer einseitigen Verstärkung der Machtposition der Krone interpretierte. Ein weiterer Einwand bezog sich auf den vom Modell vorausgesetzten Antagonismus zwischen Krone und Adel und damit auf ein zentrales Element des älteren Absolutismuskonzeptes. Der Absolutismusbegriff hatte seit seiner Entstehung immer wieder Forschungen inspiriert, die Abweichungen von der Geschlossenheit des Konzeptes nachweisen konnten, und war so durch fortwährende Modifikationen schließlich insgesamt fragwürdig geworden 21 . Seit den 1980er Jahren verlor das 15 Henshall (1996), S. 48, kritisiert die Vorstellung, Fürsten seien als „innovators implementing blueprints“ angemessen beschreibbar; dagegen hielt Hinrichs (1996). Vgl. auch Asch (1993), S. 25-79, Schwerhoff (1998), S. 588, 589. 16 Winterling (1986). Asch (1993), S. 390, weist darauf hin, daß eine strenge Etikette und die damit einhergehende Erschwerung des Umgangs mit dem Herrscher für die politische Integration dysfunktional werden konnte. Auch für den französischen Adel ist Elias’ Darstellung in mancher Hinsicht durch Erträge der neueren Forschung mittlerweile überholt: Cremer (1992), S. 348, Winterling (1986), S. 22, Schwerhoff (1998), S. 585-589. 17 Müller (1995), S. 89, monierte denn auch bei Ehalt die Übernahme der „weder methodisch kritisierten noch empirisch intensiver hinterfragten Resultate der Hof-Forschung eines Elias“. Auch die Leistungen von Elias heben Winterling (1986), S. 26, und Le Roy Ladurie (1987), S. 61, 62, hervor. 18 Ehalt (1980), S. 28. Hervorhebung M.H. 19 Ehalt (1980), S. 31. 20 Ehalt (1980), S. 29-31, 61. 21 Wandruszka (1984), S. 266, relativierte Anfang der 1980er Jahre die Interpretation der Anstrengungen Ferdinands II. im Reich mit dem Begriff des „relativen Absolutismus“. Für die Regierungszeit Leopolds I. verwirft Bérenger (1993), S. 173, 174, die pauschale Verwendbarkeit des Begriffes und sieht nur Ungarn als Objekt entsprechender Anstrengungen. Zum 16. und 17. Jahrhundert vgl. Benda (1991) und Schimert (1995), zum 18. Jahrhundert Kessler (1995). Einen knappen Überblick bietet Barta (1999); zur Situation in den 1640er Jahren vgl. Hiller <?page no="16"?> 15 Konzept so nachhaltig an Überzeugungskraft, daß nun von einer „fast vollständigen Demontage des früheren Absolutismus-Bildes“ die Rede ist 22 . R EINHARD vertrat die Auffassung, der Begriff sei „in nicht rekonstruktionsfähiger Weise dekonstruiert“, weshalb auf ihn zu verzichten sei 23 , während andere aus sehr unterschiedlichen Gründen an diesem Begriff festhalten 24 . In jedem Fall war deutlich geworden, daß ohne den Adel kein Staat zu machen war 25 . Ein Teil der Forschung stand aufgrund der Beschäftigung besonders mit den österreichischen und ungarischen Ständen dem klassischen Absolutismuskonzept ohnehin eher kritisch gegenüber 26 ; selbst die Niederwerfung des widersetzlichen protestantischen Adels durch den katholischen Landesfürsten erst in Innerösterreich, später in den übrigen Erblanden ließ sich zwar als Paradefall einer absolutistischen Agenda interpretieren, doch wurde auch die früh einsetzende Orientierung katholischer Adeliger am Landesfürsten und deren Machtzunahme gesehen 27 . Zudem hatte die Forschung die Sonderstellung des kaisertreuen katholischen Adels, der nach dem Sieg über den 1618 bis 1620 aufständischen protestantischen Adel einen großen Teil der konfiszierten Besitztümer erhielt und die Adelsgesellschaft Böhmens und Mährens in der Folge dominierte, früh thematisiert. Forschungsschwerpunkte ergaben sich so besonders im Hinblick auf die ständische Verfaßtheit des Adels vor 1618 und die Rolle der Konfession in den Erb- (1995), zu Studenten aus Ungarn an der Universität Graz Andritsch (1965). Zum Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich und zu Habsburg vgl. Weber (1992), Bahlcke (1994) und Conrads (1995). Vgl. auch Bein (1994) und Arens (2001). 22 Muhlack (1986), S. 251. Vgl. den Überblick Duchhardt (1998), S. 166-171, zum aktuellen Stand der Diskussion Asch (1996). 23 Reinhard (1999), S. 51. 24 Henshall (1992) erklärt Absolutismus zum Mythos; andere halten am Begriff fest, weil er ein Problem konturiert (Hinrichs (1996), Schlögl (1988), Schlögl (2000b), Asch (1996)), andere schätzen seine Bedeutung als wenn auch problematischen Epochenbegriff (Duchhardt (1998), Mörke (1998)). B! žek (2001), deutet eine Distanzierung des nach wie vor wichtigen Begriffes durch Anführungszeichen an; ähnlich hält Auer (2001), S. 389, an dem Begriff fest, wendet sich aber gegen eine Überstrapazierung; wohl in diesem kritischen Sinne findet der Begriff Verwendung bei Bastl (1995), S. 205, die vom „habsburgischen Absolutismus“ spricht. Das opus magnum von Winkelbauer (1999a) operiert sehr zurückhaltend mit dem Begriff, Duindam (1998b), S. 371, spricht von Klischee. Asch (2001c) optiert als Epochenbegriff nunmehr für den Begriff des ‚Ancien Régime’. Andere dagegen konstatieren für das 17. Jahrhundert weiterhin den „Triumph des Absolutismus“ (Buchmann (2002), S. 43 (2002)), vgl. auch Sienell (2001a), bes. S. 392, 404. 25 Vgl. Reinhard (1999), S. 196 ff., 211-234. 26 Wandruszka (1984), Evans (1986), S. 119, 120, Köhler (1999). 27 Edelmayer (1992); Winkelbauer (1999a), drückt dies bereits im Titel seiner Studie aus. <?page no="17"?> 16 landen 28 , die konsolidierte absolutistische Herrschaft 29 sowie auf die Entstehung und Zusammensetzung des „neuen Adels“ nach 1620, was sich mit der Diskussion der „Krise des Adels“ verbinden ließ 30 . Die Rolle der Stände nach 1620 hingegen trat in den Hintergrund und so ist die Diskussion, ob das Beharren auf den ständischen Rechten als „Spiegelfechtereien“ 31 oder noch als ernstzunehmender Störfaktor innerhalb eines vom Hof aus dirigierten Herrschaftsverbandes zu beurteilen ist 32 , doch ein Randphänomen. E VANS konnte 1979 vor diesem Hintergrund für die Habsburgermonarchie eine Bilanz ziehen, die durch neuere Untersuchungen ergänzt wurde, an Überzeugungskraft aber nicht grundsätzlich eingebüßt hat 33 . Danach hatte im Rahmen der von den Habsburgern betriebenen Gegenreformation eine stark konfessionell ausgerichtete Rekrutierung von Höflingen lange vor 1620 zu einer Allianz der Krone mit Teilen des katholischen Adels geführt 34 . Hinzu kamen Aufsteiger aus dem unmittelbaren Umfeld des Hofes, die im Dienst der Habsburger stehenden Militärs des Dreißigjährigen Krieges und jene katholischen Adeligen, die in den Erblanden Besitz erwarben 35 . Die Dynamik dieses Prozesses hing einerseits mit der Verschränkung von Kriegsfinanzierung 36 und der Verteilung des konfiszierten Besitzes 37 zusammen, andererseits mit einer Flut von Nobilitierungen von Personen dieser Kreise durch die Habsburger 38 . 28 Vgl. Brunner (1949); Brunner (1957); Hassinger (1974), Hassenpflug-Elzholz (1982). Vgl. Bahlcke (1993), Gindely (1894), Polišenský (1995), Gindely (1886), Hassinger (1974), Heilingsetzer (1991), Auerbach (1997), Klingenstein (1982), Bahlcke (1996), Quarthal (1980); Klingenstein (1982). Zur Marginalisierung des protestantischen Adels Horn Melton (1995), S. 119 29 Bérenger (1975). 30 Stone (1965); vgl. dazu insbes. Thomas Winkelbauer (1999a), S. 21-45, Winkelbauer (1992b), Winkelbauer (1992a), zuletzt Ehrenpreis (2001). 31 Evans (1986), S. 132. Zu Bedeutung und Beharren des Adels gerade beim Steuerbewilligungsrecht vgl. Müller (1979), S. 128. 32 Vgl. die Darstellung des Schwankens der böhmischen Stände 1627 bis 1645 bei Winkelbauer (1999a), S. 38. 33 Vgl. Ingrao (1994). Zum Forschungsstand Asch (2001a); Asch (1991); Winkelbauer (1999a). 34 Vgl. Horn Melton (1995), S. 112, 113: „But in Bohemia as in Austria, the Crown made effective use of Court patronage to undermine the political position of the Protestant nobility“, was den böhmischen Adel bis 1618 nicht nur in Konfessionen, sondern auch in zwei Lager gespalten habe. Auf diesen früher vernachlässigten Aspekt verweist zu Recht auch MacHardy (1992), S. 415-427, und Winkelbauer (1999a), S. 42. 35 Vgl. Press (1986), S. 37; Evans (1986), S. 82, 83. Vgl. zu den Reichsgrafen im kaiserlichen Heer auch Press (1989), S. 15. 36 Pohl (1994), Albrecht (1956), Ernst (1991), Winkelbauer (1997b), Oberleitner (1858), Salm (1990), Ernstberger (1954), Schnee (1961). 37 Zur Umschichtung vgl. Bílek (1882) und Winkelbauer (1999a), S. 42-45; zum böhmischen Adel auch Fu"íková (1997). 38 Zu den Erhebungen in den Fürstenstand bis ins 18. Jahrhundert vgl. Evans (1986), S. 134- 136, Klein (1986). <?page no="18"?> 17 Die so in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstandene „übernationale, dynastisch orientierte Aristokratie“ 39 konnte neben dem Zugewinn an Besitz und Status vor allem ihre grundherrschaftlichen Rechte intensivieren 40 und den Familienbesitz durch Fideikommisse sichern 41 . Die Mitglieder dieser loyalen Familien gelangten nach der Niederwerfung des aufständischen protestantischen Adels in „fast alle führenden Positionen in der ständischen und in der landesfürstlichen Verwaltung der einzelnen Länder, am Hof, in den Zentralbehörden, in der Kirche, in der Armee und im diplomatischen Dienst.“ 42 Entsprechend komplexer wurde nun das Verhältnis von Krone und Adel selbst im Hinblick auf Religion beschrieben 43 . Auf die Frage, wie dieses vielschichtigere Verhältnis von Krone und Adel konzeptionell zu fassen sei, wurde in der Folge vornehmlich mit dem Konzept des Klientelsystems geantwortet 44 . Von diesem Ansatz aus zeigte beispielsweise K ETTERING , wie stark die französischen Könige für die Gewährleistung von Herrschaftsfunktionen in den Regionen auf Vermittlungsleistungen angewiesen waren, welche von Patronen, Brokern und Klienten auf der Grundlage reziproker Austauschbeziehungen hergestellt wurden 45 . Der Hof stellt sich in einer solchen Sicht als Zen- 39 Winkelbauer (1999a), S. 22. Zum übernationalen Besitz in verschiedenen Ländern der Monarchie: Horn Melton (1995), S. 121. 40 Evans (1986), S. 78-84, zur Robot, S. 132-140, 157; vgl. weiter Chesler (1979), S. 230-288; Horn Melton (1995), S. 126-136, Winkelbauer (1999a), S. 22, Maur (1999), S. 79-82. 41 Vgl. Ehalt (1980), S. 29-31 und Klingenstein (1975), S. 30 f. Immer wieder wird das Erfordernis der kaiserlichen Einwilligung in Verpfändungen bzw. Veräußerungen von Bestandteilen des geschützten Besitzes als Ausdruck der Abhängigkeit des Adels vom Kaiser interpretiert. Die Fideikommissse trugen auch zum Ausbau der adeligen Grundherrschaft bei (Horn Melton (1995), S. 126-136, Hofmeister (1990), Evans (1986), S. 84). 42 Winkelbauer (1999a), S. 22; ähnlich Müller (1979), S. 85. Die Interpretation der Rolle der Habsburger bei diesem Prozeß ist umstritten. Evans (1986), S. 82-84, sieht die Dynastie als „Geburtshelferin“ für die herausgehobene Stellung des Adels. Unter Verweis auf Status und Vermögen der Anwärter als Basis für Begünstigungen meint er, die Habsburger hätten durch die beschriebenen Mittel die Entwicklung zwar begünstigt, „aber sie verursachten sie nicht.“ Das wirft die Frage nach Kausalitäts- und Attributionstheorie auf. Press (1986), S. 37, 38, spricht von „set in motion“. Mit der Konsolidierung ging ein erheblicher Zuzug des hohen Adels nach Wien einher (Perger (1990), Horn Melton (1995), S. 122, mit einem Schwerpunkt auf der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Pircher (1984)). Zum Adel in Prag um 1600 vgl. Belzyt (2000). 43 Asch und Birke (1991), Hassenpflug-Elzholz (1982); Hassinger (1974); Heilingsetzer (1984); Heilingsetzer (1991); Knittler (1990), Maur (1999); Horn Melton (1995); das Forschungsgebiet ist auch der Schwerpunkt von Volker Press; vgl. seine nach wie vor gültige Zusammenfassung Press (1988), S. 248-251; Bireley (1991), Evans (1991); MacHardy (1992), MacHardy (1982), Mac Hardy (1992), Pánek (1991), Schimert (1995). 44 Maczak (1991), Pfister (1992), Kettering (1986), Asch und Birke (1991), Asch (1993). Hinsichtlich der Leistungen für die bildende Kunst war die Patronageforschung im Bereich der Höfe längst eingeführt. Vgl. hierzu etwa Ashworth (1991), Fidler (1990). 45 Kettering (1986); Kettering (1992). <?page no="19"?> 18 trum von Patronagebeziehungen dar, während in diesem Rahmen auch die Funktion von Familien stärkere Beachtung fand 46 . P RESS brachte dies auf die Begriffe „Integration“ und „Gewährleistung von Herrschaft“ 47 . Auf dieser Grundlage überzeugte die Beschreibung des politischen Systems der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als „Dyarchie“ bzw. als „Herrschaftskompromiß“ zwischen dem Kaiserhaus und dem auf den Kaiser hin orientierten erbländischen Adel 48 . Der Adel hörte nach 1620 auf, die Frage nach der Legitimität fürstlicher Herrschaft zu stellen und machte sich auch über Alternativen zum Haus Habsburg keine Gedanken mehr. Er nahm die von der Krone forcierte Gegenreformation hin (oder wanderte aus) und setzte sie selbst in seinen Herrschaftsgebieten um 49 . Er konnte seine Position in der Landesverwaltung noch festigen 50 und vermittels der Landesbehörden seinen Einfluß weiterhin geltend zu machen 51 und nur in Ungarn blieben die Habsburger wegen der noch ungebrochenen Eigenständigkeit der Magnaten bis in die 1670er Jahre auf Kompromisse angewiesen 52 . Hinsichtlich des nicht unumstrittenen Einflusses der Zentralbehörden 53 kommt die Forschung zu dem Ergebnis, daß ein Regieren von Wien aus letztlich nicht möglich war, ohne den örtlichen Interessen entgegenzukommen; dies lag nicht zuletzt daran, daß die Krone auf die 46 Vgl. die Beiträge im dritten Teil des Bandes Asch und Birke (1991), S. 315-477; Mörke (1997), S. 61, Kettering (1986), S. 35, 408-435; vgl. dazu auch Gräf (2001). Für den Kaiserhof hatte bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts Henry Frederick S CHWARZ mit seiner Analyse der Sozialstruktur des Geheimen Rats im 17. Jahrhundert nachdrücklich auf den Hof als sozial verflochtenen Raum hingewiesen (Schwarz (1943), S. 395), fand aber erst spät Gehör. 47 Zum Begriff „Gewährleistung von Herrschaft” siehe Press (1983), S. 282. Asch (1993), S. 4, bezieht sich auf diesen trefflichen Begriff. Vgl. auch Press (1997). 48 Den Begriff der Dyarchie prägte Bérenger (1975), S. 112. Aufgenommen wurde er von Klingenstein (1975), S. 22, Duindam (1994), S. 66-74, und Winkelbauer (1999a), auch S. 22; zum Begriff des Herrschaftskompromisses vgl. Winkelbauer (1999a), S. 23. 49 Vgl. Winkelbauer (1999a), S. 39. 50 Evans (1986), S. 153, 154, verwies zu Recht auf die Diskrepanz zwischen dem durch die „Verneuerte Landesordnung“ von 1627 gegenüber der vorherigen Situation grundlegend veränderten Verfassungsrecht, revidierte aber die von der älteren tschechischen Geschichtsforschung vertretene Auffassung, das Land habe seine Rechte verloren. Statt dessen habe erst die Regierungspraxis das Land in eine gewisse Abhängigkeit von Wien gebracht, die jedoch, da böhmische Aristokratie „bei Hof das Land und im Land den Hof repräsentierte und darüber hinaus nahezu ein Monopol auf die höchsten Würden des Staats besaß“ auf eine Kompromißlösung hinausgelaufen sei (ebd., S. 161, 162). Winkelbauer (1999a), S. 36-39, präzisiert diesen Befund mit dem Hinweis darauf, daß es dem alten böhmischen Herrenstand gelungen sei, sich auch innerhalb der neuen böhmischen Aristokratie durchzusetzen. 51 Evans (1986), S. 131, 132; Horn Melton (1995), S. 125; Das Steuerbewilligungsrecht verblieb bei den Landtagen. 52 Evans (1986), S. 177-201. 53 Zurückhaltend hierzu Evans (1986), S. 141. <?page no="20"?> 19 Untertanen mangels einer landesfürstlichen Lokalverwaltung selbst in den österreichischen Ländern von unmittelbar zugreifen konnte 54 . Der Adel der Erblande war so in der Lage, „to preserve a substantial degree of social, economic and political autonomy.” 55 E VANS stellt fest: „Hochadel und Klerus konnten vordergründig auf den Sitzungen der Landtage, etwas substantieller in ständischen Einrichtungen und durch jegliche Art kaum institutionalisierbarer Kanäle, mit ihrem Herrscher über Fragen der Verwaltung, über die Einhebung direkter Steuern, über die Zahl der Rekruten für die Armee, über die Rechtssprechung und über die höheren Geheimnisse der Politik verhandeln.“ 56 Diese Analyse des Verhältnisses zwischen Krone und Adel hatte Folgen für die Beschreibung der Funktion des Kaiserhofs 57 . P RESS spricht von der „thorough dependence“ des Adels vom Hof 58 und betont immer wieder dessen Integrationsfunktion 59 . E VANS sieht seine Funktion in der Aufrechterhaltung des internationalen Status der Adelsgesellschaft 60 und schreibt von der Einbettung der Zentralregierung in den Hof als größere Einheit, konzipiert diesen dabei aber als „als Instrument einer gleichsam absolutistischen Herrschaft“ 61 , obschon der Hof als institutionalisierter Kanal der Verhandlung zwischen Krone und Adel nahelag. A SCH ging es bei seiner Analyse des englischen Hofes explizit um die Integrationsfunktion des Hofes für die politisch-soziale Elite 62 ; unter Bezug auf ihn formulierte W INKELBAUER für den Hof der Habsburger: „Die Magna- 54 Sutter Fichtner (1994), S. 147, 148, für Böhmen Winkelbauer (1999a), S. 39, für Ungarn implizit Evans (1986), S. 132. 55 Horn Melton (1995), S. 122. 56 Evans (1986), S. 120. 57 Klingenstein (1995), sah hier ein Desiderat und Ehrenpreis (2001), S. 239, konstatierte: „Die konkrete Bedeutung, die den Höfen - und darunter besonders dem zentralen Kaiserhof - in der Gesamtentwicklung der österreichischen Adelslandschaft bis 1620 zugesprochen werden muß, ist noch weitgehend unerforscht.“ Cum grano salis gilt dies auch für die folgenden Dekaden. Vgl. auch Auer (2001), S. 395. 58 Press (1986), S. 40. 59 In seinen Arbeiten ist der Begriff der Integration zwar nicht zu einem Modell ausgebaut worden, doch immer wieder präsent: vgl. u.a. Press (1986), S. 34, 35, 36, 37; Press (1981), S. 230, S. 241. Vgl. dazu Sutter Fichtner (1994), S. 147, die Integrationsleistung hinsichtlich des Adels habe den habsburgischen Staatsbildungsprozeß nicht vorangebracht. 60 Evans (1986), S. 116. 61 Vgl. Evans (1986), S. 85, 120. Dort verweist Evans auf Kruedener (1973). Die Härte, mit welcher der nicht konforme Adel entrechtet wurde, wird in der jüngeren Literatur weniger betont (vgl. aber Sutter Fichtner (1994), 149). Für die ältere Sicht vgl. Preradovich (1965). 62 Asch (1993), S. 19: „Das eigentliche Leitthema der gesamten Studie soll dabei die Frage bilden, wie sich die politisch-soziale Elite zum Hof verhielt und in welchem Umfang der Hof in der Lage war, diese Elite zu integrieren.“ Vgl. auch ebd., S. 10. Zur Integrationsleistung als Thema der Hofforschung vgl. auch Mörke (1997), S. 14, 15. <?page no="21"?> 20 ten sonnten sich im Glanz des Kaiserhofes, dessen Spielregeln sie sich unterwarfen, ohne ihre höchst solide finanzielle Basis und Unabhängigkeit aufzugeben. Für die nachgeborenen Söhne bildeten sich eigene typische Lebenszyklen und ‘Berufslaufbahnen’ im Hof-, Staats- und Militärdienst sowie in adeligen Domkapiteln und Ritterorden aus.“ 63 Gestützt wurde die glanzvolle partielle Unterwerfung durch ein „ein auf den Wiener Hof justiertes System von konnubialen Beziehungsnetzen“, während die eigentliche Bedeutung des Hofes - in expliziter Anlehnung an A SCH - als eines „point of contact“ in seiner Funktion als Patronagemarkt für Klientelbildung zu sehen sei 64 . Der Begriff der Integration zieht die für den Hof kennzeichnenden Phänomene - adelsvermittelte „Gewährleistung von Herrschaft“, auf den Hof ausgerichtete „Klientelsysteme“, partielle Unterwerfung selbständiger, durch den Hof an Glanz, Vermögen gewinnende Adelsfamilien - elegant zusammen, wenn er in diesem Zusammenhang auch nicht als Konzept entfaltet und spezifiziert wird 65 . 2. Konzept, Fragestellung und Vorgehensweise Die vorliegende Arbeit bezieht sich zwar auf diese weitreichenden Integrationsleistungen des Hofes 66 , nimmt den Integrationsbegriff aber nicht als Ausgangspunkt, sondern geht seinem impliziten Hinweis darauf nach, daß Integration sich als Prozeßphänomen darstellt 67 . Die Konsti- 63 Winkelbauer (1999a), S. 45. 64 Winkelbauer (1999a), S. 257, 258. 65 Asch (1993), S. 10, 19. Auch Press entfaltet das Konzept nicht. 66 Seitdem von Integration die Rede ist, werden in der Hofforschung auch vermehrt Beiträge aus dem Bereich der Kunst- und Kulturwissenschaft im älteren Sinne rezipiert: zum Bereich Architektur vgl. Stürmer (1980), Asch (1995), Paravicini (1997b); zu Residenzen der Habsburger vgl. Benedik (1997a), Dreger (1914), Kühnel (1956), Raschauer (1958), Kühnel (1960), Kühnel (1964), Polleroß (1998), Pons (2000), zum Adel insofern Polleroß (1992); zu ephemeren Bauten vgl. Brix (1971), Brix (1973); zu Erbhuldigungen, Krönungen, Land- und Reichstagen und nicht zuletzt zur Kunstproduktion am Hof vgl. Seifert (1985), Rainer (1987), Hadamowsky (1955), Miranda (1991), Fidler (1990), Hammerstein (1986), Dietrich (1974), Antonicek (1989), Antonicek (1967); zu Bayern vgl. Klingensmith (1993); zur höfischen Fest- und Funeralkultur, zum kirchlichen wie alltäglichen Zeremoniell vgl. Berns (1995), Berns (1997), Berns (1984), Hawlikvan de Water (1989), Vocelka (1976), Bastl (1995), Polleroß (1985), Pons (2000); zur semiotischen Dimension vgl. Dinges (1993) und Frühsorge (1988); zur Relevanz von Ehre Dinges (1995). Eine Zusammenstellung von entsprechenden Ansätzen bei Bauer (1993), S. 10-27. 67 Aus einer handlungstheoretischen Perspektive läßt sich Integration als gelungen bewertete Ordnung bezeichnen. Peters (1993), S. 92-106, unterscheidet in diesem Sinne drei Dimensionen sozialen Handelns, die Orientierung in der objektiven Welt, die Interpretation von Bedürfnissen sowie den Ausgleich konfligierender Ansprüche, und leitet daraus die Bereiche funk- <?page no="22"?> 21 tution des Gegenstandes als Prozeß 68 verweist - bezieht man einen kleinteiligen Kommunikations- und Interaktionsbegriff in Kombination mit einem Evolutionsmodell ein - auf die Relevanz von Reproduktionszyklen auf unterschiedlichen Ebenen und macht darauf aufmerksam, daß es für Integration weniger auf Konsens als auf spezifische Kopplungen bzw. Relationen von Einheiten sowie von wechselseitigen Zuschreibungen ankommt 69 : Integration bezieht sich dann nicht unbedingt auf Menschen, sondern auf reproduktionsfähige Einheiten. Das können Menschen sein, aber auch Redebeiträge, Ämter, Pflichten, Güter, Verwandte, Zeit oder Geld. So wird der Blick auf die Koexistenz und die jeweilige Kopplung verschiedener Reproduktionszyklen gerichtet, deren historisch spezifische Ausprägung von Fall zu Fall zu prüfen ist. Von einer ähnlichen Perspektive her hat L UHMANN den frühneuzeitlichen Hof als Ort der Kommunikation von Mitgliedern der Oberschicht analysiert und auf die prekäre Situiertheit der Interaktion des bei Hof anwesenden Adels hingewiesen. Von dieser Oberschicht waren dort zwar die grundlegenden gesellschaftlichen Strukturprobleme der sozialen und politischen Reproduktion zu lösen; doch setzte eine solche folgenreiche Interaktion bei Hof voraus, daß sich Politik als Funktionssystem noch nicht ausdifferenziert und abgeschlossen hatte. Der frühneuzeitliche Hof zog allerdings beides, Interaktion in Oberschichten einerseits und ausdifferenzierte politisch-rechtliche Institutionen andererseits zusammen, und dies sowohl örtlich, zeitlich, sozial, sachlich 70 . Jedoch: „Politik und Interaktion lassen sich als soziales Geschehen noch nicht trennen, aber ihre Einheit ist schon unmöglich geworden. Die Trennlinie verläuft durch das Individuum hindurch“ 71 . tionaler Koordination, moralischer Integrität sowie expressiver Gemeinschaft ab, in denen Integration jeweils gelingen oder scheitern könne. Das Problem dieses Modells liegt in der normativen Dimension des Integrationsbegriffs. Integration geht wegen der Einbeziehung moralischer Bewertungsstandards (u.a. „Gerechtigkeit, Solidarität, moralische Anerkennung“, ebd., S. 105) in Richtung Harmonie. Man wird dem jedoch entgegenhalten können, daß soziale Zusammenhänge hiervon mitunter absehen und dennoch ganz hervorragend integriert sein mögen, etwa Gefängnisse. Integration ohne Desintegration ist nicht zu haben, was die Frage nach den Prozessen aufwirft, die über diese Differenz entscheiden. 68 Diese skizziere ich in Anlehnung an Weick (1995). 69 Weick (1995), S. 163. 70 Diese Dimensionen verweisen auf die Elemente der üblichen Hofdefinitionen: Der Ort, an dem der Fürst sich in der einen oder anderen zeitlichen Erstreckung aufhält, an dem verschiedene andere gesellschaftlich relevante Personen sich aufhalten und in dem - partiell in institutionalisierter Form - Themen von gesellschaftlicher Tragweite bearbeitet werden. Vgl. Winterling (1986), S. 1. 71 Luhmann (1993a), S. 107; vgl. bes. ebd., S. 74-78 und S. 107, 108. <?page no="23"?> 22 Diese an Höfen so relevante Trennlinie, an der Prozesse der Interaktion in Oberschichten von Prozessen sozialer und politischer Reproduktion ablösbar werden, möchte ich untersuchen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, den Hof als Bezugsrahmen verschiedener Reproduktionszyklen konturieren zu können. Darüber hinaus fällt auf, daß der frühneuzeitliche Hof sich bereits selbst als Hofstaat beschreiben, spezifizieren und organisieren konnte: Er war mehr als ein „point of contact“ 72 . Diese Differenz von Hofstaat als einer Mitgliederorganisation 73 und allem anderem (auch dem Hof), läßt sich als Differenz von formaler Organisation und nicht-formaler Organisation 74 fassen und zum konzeptionellen Ausgangspunkt der folgenden Analyse machen. Gerade die Unterscheidung von Hof und Hofstaat eröffnet auch für den Kaiserhof theoretisch ausgearbeitete Perspektiven auf die Funktionsweise formaler Organisationen. So stellt sich die Frage, was der Hof als Hofstaat mit jenem Integrationsprozeß in der Habsburgermonarchie zu tun hat, der für das zweite Drittel des 17. Jahrhunderts so prägend war. In das Blickfeld rücken, jeweils mit dem Fokus auf die historisch-spezifische Situation, Phänomene, die, rekursiv aufeinander bezogen, theorietechnisch im Zentrum der Organisationssoziologie stehen 75 : 1. die Stellen (des Hofstaats), 2. 72 Der Begriff von Elton (1976) wurde insbesondere von Asch (1993), S. 13, Winkelbauer (1999a), S. 258, Persson (1999), S. 9, und Persson (2001) aufgenommen. 73 Selbst Asch (1993), S. 15, 16, der eine weite Defintion des Begriffes Hof wählt, um die Offenheit dieses Sozialverbandes thematisieren zu können und nicht durch einen eingeengen Institutionsbegriff gefangen zu werden, kommt ohne den Verweis auf die formale Ordnung des Hofes und auf Mitgliedschaft nicht aus: Zwar sei der Hof „jener topographische, soziale und kulturelle Raum, der den Ort des königlichen ‚Hofhaltens’ bildet - in seiner Funktion als Forum politischer Entscheidungen und Auseinandersetzungen, als Markt für Ämter, Privilegien und andere von der Krone zu vergebende Vorteile und Machtchancen, als Szene fürstlicher Repräsentation und vor allem als ‚point of contact’ zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen“, er besteht jedoch auch „aus jenen Personen, die aufgrund eines Amtes, ihres Ranges oder aber auf Grund der persönlichen Gunst des Herrschers regelmäßigen Zugang zu ihm hatten und denen diese [...] Nähe zum Herrscher zumindest die Möglichkeit des Einflusses auf Entscheidungen [...] verschaffte.“ 74 Vgl. Luhmann (1999). 75 Im wesentlichen beziehe ich mich auf Luhmann (1999) und Luhmann (2000b); zur Entwicklung der Organisationssoziologie insgesamt vgl. Walter-Busch (1996). Eine kommunikationstheoretische Konzeptionalisierung empfiehlt für den Hof explizit Winterling (1997), bes. S. 15- 20, 25, was nicht zuletzt durch die Arbeit von Hirschbiegel (1993) inspiriert war. Kritisch vor allem im Hinblick auf die Verbindung zur Systemtheorie äußern sich besonders Müller (1995), S. 98, 99, und Bauer (1993), S. 25, unter Hinweis auf die Schwierigkeiten der Rezeption systemtheoretischer Terminologie. Gerade wegen des systematisch entwickelten kleinteiligen und deshalb sehr anschlußfähigen Begriffsapparats beziehen sich hierauf u.a. Reinhard (1999), S. 16, und Schlögl (2000a). Zur Auseinandersetzung um die Systemtheorie vgl. auch Churchman (1981). Daß es nicht viel austrägt, Weber gegen Luhmann auszuspielen, zeigt Greshoff (1999), S. 317, der aufgrund eines eingehenden Vergleichs dieser Theoretiker im Hinblick auf <?page no="24"?> 23 die Elemente der Mitgliedschaft (im Hofstaat) und 3. deren Relevanz für Prozesse sozialer Reproduktion. Diese drei Problembereiche bilden die drei Hauptteile der Arbeit (Teile A, B, C). Bei einer Spezifizikation des ersten Problemfeldes wird zunächst auffallen, daß die Stellenstruktur des kaiserlichen Hofstaats im 17. Jahrhundert eine dramatische Wandlung erfuhr; das Kämmereramt wurde, was in der Einführung schon anklang, ganz erheblich ausgeweitet, von drei Kämmerern zu Anfang des 16. Jahrhunderts auf etwa 300 Kämmerer etwa 150 Jahre später. Aber auch das Amt des Geheimen Rates wurde im 17. Jahrhundert an immer mehr Adelige verliehen. Hier wird zu fragen sein, was diesen Wandel verursachte und was er mit sich brachte. Dazu wird die quantitative Entwicklung der Hofämter seit dem 16. Jahrhundert detailliert untersucht. Die kontinuierliche Aushöhlung niedriger adeliger Hofämter und loser Anbindungsformen ging nicht nur der zeitweiligen Abschaffung niedriger Hofämter voraus, sondern brachte auch eine Abwechslung der im 16. Jahrhundert zahlenmäßig dominierenden losen Anbindung durch eine deutlich als Hofamt ausgeformte Mitgliedschaft im Hofstaat mit sich. Die spezifische Ausfüllung des Begriffes der Mitgliedschaft und des Hofamtes sind ihrerseits zu analysieren. Hinsichtlich von Dienstversehung, Präsenz und Besoldung entstanden so Verhältnisse, die weit eher an einen „virtuellen Hof“ denken lassen als an die Mitgliedschaft in einer modernen Behörde 76 . So sind deren Begriff des Sozialen zum Ergebnis kommt, daß „wir bisher viel zu wenig in der Lage sind, jeweilige Positionen angemessen dahingehend einschätzen zu können, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Komparative Bestandsaufnahmen, von welcher Konzeption was zu erwarten ist, sind dann schwer möglich. Das aber ist gerade für die Wissenschaft ein schwerwiegender Mangel - jedenfalls dann, wenn man mit ihr verbindet, möglichst gut begründete Problemlösungen vorschlagen zu können. […] Will man solche Bestandsaufnahmen nicht vordergründig vornehmen [...], und will man sie nicht ‘imperialistisch’ auslegen, indem sehr schnell eine eigene Position als die bessere präsentiert wird, sind sie distanziert und methodisch ausgewiesen durchzuführen.“ Darum habe ich mich jedenfalls bemüht. 76 Für den Kaiserhof des 17. Jahrhunderts ist es charakteristisch, daß zahlreiche Adelige dem Hofstaat als Amtsträger „einverleibt“, also Mitglieder wurden, die ihnen zustehenden Zugangsrechte und die damit zusammenhängenden Einflußmöglichkeiten jedoch nicht stets nutzten, nur selten beim „Hofhalten“ zugegen waren, und so einen „virtuellen Hof“ neben dem anwesenden Hof ausmachten. In Anbetracht der zahlenmäßig bedeutsamen Verleihung von Hofämtern an hohe Adelige insbesondere seit Kaiser Ferdinand II., in der darin liegenden Statusveränderung, der Begründung von Erwartungshaltungen; zwar waren „‘der Höfling’ und der ‘Landedelmann’“ Rollen, „die sehr wohl von derselben Person gespielt werden konnten“ und als solche grundsätzlich kompatibel (Asch (1993), S. 17, mit Hinweis darauf auch Winkelbauer (1999a), S. 39, Hengerer (2000a), S. 31). Die Akteure aber dürften die Bühnen, auf denen sie ihre unterschiedlichen Stücke spielten, präzise zu unterscheiden gewußt haben. Von daher scheint es gerechtfertigt, zur Definition von Asch für diesen Zusammenhang den durch die Hofämter vorstrukturierten potentiellen Kommunikationszusammenhang hinzuzufügen. Der Begriff „virtueller Hof“ (Hengerer (1998), S. 277), sollte auf dieses Problem hinweisen. Zu den Implikationen für die Konzeption früher Staatlichkeit vgl. Junge (1999). Anstelle des festen <?page no="25"?> 24 neben der Feststellung der Mitgliedschaft auch jene Faktoren zu analysieren, welche die Präsenz von Höflingen steuerten, unter anderem die Mobilität des Hofes sowie ihre eigenen Mobilitätsressourcen. Der Wandel in der Stellenstruktur führte darüber hinaus zur Umstrukturierung von Karrierewegen und neuen Formen der Verflechtung von Hofämtern im Bereich der Ehrenämter und der Behörden des Hofstaats. Diese Modifikationen waren es nicht zuletzt, welche in anderen Feldern - besonders im Bereich der tatsächlichen Dienstversehung und der Ordnung der kaiserlichen Vorzimmer - Probleme verursachten. Bei den Elementen der Mitgliedschaft im Hofstaat sticht an erster Stelle die Aufnahme, also die Situation der Verleihung des Hofamtes hervor. Der Eintritt in diese von der adeligen Gesellschaft gesonderte Organisation war im Untersuchungszeitraum ein freiwilliger Akt; wie er symbolisch vollzogen wurde und welche Verpflichtungen damit einhergingen, ist jedoch historisch spezifisch. Dies gilt sowohl für Erwartungen, die an die Mitglieder herangetragen wurden, also für die Ausprägung von Rollen, als auch für Zumutungen, wobei einerseits der tatsächliche Dienst von Adeligen, andererseits die Anerkennung der Hierarchie des Hofstaats von großer Bedeutung für die ohnehin schon stark differenzierte Adelsgesellschaft des 17. Jahrhunderts ist; vor dem Hintergrund der sonst üblichen Verhaltensweisen der adeligen Gesellschaft sind denn auch die Abweichungen der Höflinge von den Rollenerwartungen, ihr faktisches Verhalten zu sehen. Auch die besonderen Rechte der Höflinge sind in Augenschein zu nehmen, vor allem der differenziert-privilegierte Zutritt zum Kaiser. In diesem Zusammenhang ist auch Ordnung der formalen Organisation in den Umständen ihrer Genese wie ihrer Erhaltung zu untersuchen, wobei vor allem Entstehung und Geltungskraft sowie die Gefährdung von Normen des Hofstaats genauer zu diskutieren sind. Schließlich zählt zu den Elementen der Mitgliedschaft die Kontaktstruktur der Mitglieder, die aus den Normen des Hofstaats heraus sowie im Hinblick auf die personelle und hierarchische Struktur des Hofstaates sowie der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu beschreiben ist. Dieser Bereich verweist wiederum auf die zu vermessende Differenz zwischen formaler Organisation und faktischem Verhalten. Territoriums und der über negative Sanktionen integrierten Gesellschaft stellt der Hof im Fürstenstaat für den Adel noch einen Punkt im Netz dar - mit (entsprechend paradoxen) Folgen für die Sanktionierungstechnik, welche Macht über enttäuschbaren Erwartungshaltungen bezüglich positiver Sanktionen aufbaut (vgl. Hengerer (2000a), S. 23, 29). <?page no="26"?> 25 Die Relevanz von Stellen im Hofstaat und den Elementen der Mitgliedschaft für Prozesse sozialer Reproduktion verweist auf die Frage nach der Verteilung von Einfluß und Macht im Hofstaat und hierbei auf das sekundäre Phänomen formellen und informellen Einflusses; beide werden von der Hofstruktur ja figuriert bzw. präfiguriert. Deren Untersuchung ist auch deshalb wichtig, weil Normen und Programme nicht abschließend klärten, was in kaiserlichen Diensten wie zu tun war. Anhand von Inhabern der wichtigsten Hofämter ist dabei freilich auch die Differenz zwischen der formellen Zuständigkeitsordnung und den faktischen Möglichkeiten der Einflußausübung zu problematisieren; letztere ist wiederum danach zu befragen, inwieweit sie durch Elemente der formalen Organisation bedingt war. Über die mit Ämtern verbundenen Pflichten oder Rechte boten sich innerhalb wie außerhalb der vorgesehenen Verfahren spezifische Chancen für folgenreiche Kommunikation und damit die Möglichkeit der Partizipation am Zustandekommen von sozial relevanten Entscheidungen, sei es, daß sich diese Entscheidungen auf den Hofstaat selbst einschließlich der Stellen bezogen, sei es, daß es um die Verteilung von sonstigen Ressourcen wie Recht, Stand, Ehre oder Geld ging, welche an Beispielen untersucht werden. Gerade in diesem Bereich tritt aber auch die Relevanz der Umwelt des Hofstaates in Erscheinung: Sonstige Eigenschaften von Höflingen - als Inhaber einflußreicher landständischer Ämter, als Angehörige einflußreicher Familien, als reiche Leute - treten hier zutage. Inwieweit Rücksichten hierauf aber nicht allein als Phänomen von Korruption sichtbar wurden, sondern die Einflußbereiche von Landesfürst und Landständen füreinander aufschlossen, muß so Gegenstand der Analyse sein. Damit wird nicht zuletzt der Versuch unternommen, die über den Hofstaat und seine Verschränkung mit den landständischen Familien abgesicherte „Gewährleistung von Herrschaft“, Integration im weiteren Sinne also, als ein machtbasiertes Phänomen zu verstehen. Die ironische Definition des Integrationsbegriffes von L UHMANN , wonach Integration die „wechselseitige Einschränkung von Freiheitsgraden“ meine 77 , gewinnt nach dem oben gesagten an Plausibilität. Wer in der mobilen und aufwärts strebenden Adelsgesellschaft des 17. Jahrhunderts nicht zurückfallen wollte, war an den Hof verwiesen und gut beraten, sich im Hofstaat zu engagieren; wer sich hier engagiert hatte, mußte Rücksichten nehmen, welche die formale Ordnung des Hofes selbst zwar teilweise 77 Luhmann (2000b), S. 99. <?page no="27"?> 26 unterlaufen konnten 78 , aber noch der Verstoß nahm Bezug auf die Regeln. Die Relationierung der Relationen zwischen den zahlreichen Einheiten, die bei der Reproduktion des Hofstaats und seiner Umwelt relevant wurden: die Einrichtung der Stellenstruktur des Hofstaats, die Stellenbesetzung, die Justierung der Elemente des Hofstaats und die Entscheidungen über sonstige Ressourcen gab dem Kaiser - aber auch den mitwirkenden Höflingen je Hofamt, Stand, Familie, regionaler Verortung, Vermögen etc. - Ressourcen für die positive wie negative Sanktionierung von Verhalten und Personen an die Hand, also die Möglichkeit Macht zu zeigen und zu benutzen und darüber nachzudenken, wie man mit der spezifisch organisationalen Gegenmacht fertig werden konnte, die so erst entstand 79 . 3. Grenzen Bei der Spezifizierung des Untersuchungsgegenstandes fiel die Auswahl des zu untersuchenden Personenkreises auf die Inhaber der mit hohen Adeligen besetzten Hofämter. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß der Niederadel noch gewisse Residuen im Hofstaat behaupten konnte und daß Einfluß auch von Sekretären oder subalternen Amtsträgern ausgeübt wurde 80 , doch wurden in diesem Bereich des Hofstaats die stärksten und nachhaltigsten Modifikationen der Stellenstruktur vollzogen. Gerade die Inhaber dieser Bereiche waren mit sozial folgenreichen Rechten und Pflichten ausgestattet, hatten besondere Einflußmöglichkeiten und verklammerten als Höflinge die Sphären von Hof und Land. Hier wurde auch besonders stark nobilitiert, auch ergibt sich eine weitreichende Übereinstimmung mit dem wichtigen, aber nicht hinreichend 78 Wenn die Arbeit auch auf einem systemtheoretischen Fundament aufruht, ist sie nicht zuletzt wegen der breiten Kritik am „Jargon“ so gearbeitet, daß sich die einschlägige Terminologie nicht aufdrängt. Mit expliziten Hinweisen, wie Systemtheoretiker spezifische Zusammenhänge für sich übersetzen würden, habe ich mich von wenigen Kernbegriffen wie Organisation, Mitgliedschaft und formaler/ informeller Ordnung abgesehen weitgehend zurückgehalten und den Versuch der Herstellung einer vielschichtigeren Lesbarkeit dieser Arbeit unternommen. Diese Vorgehensweise erkennt an, daß nach einem Theorem Thorngates (Weick (1995), S. 54) komplexe Sachverhalte sich nicht zugleich genau, allgemein und einfach beschreiben lassen und sucht einen Ausweg im Wechsel. 79 Zum Machtbegriff vgl. Popitz (1992), aus dezidiert systemtheoretischer Perspektive Luhmann (1988), aus dezidiert handlungstheoretischer Perspektive Küpper (2000). 80 Vgl. kritisch zu meinem schon früher (Hengerer (1998), Hengerer (2000a), Hengerer (2000b), Hengerer (2001a)) formulierten Ansatz Sienell (2001b), S. 90. Richtig ist an dieser Kritik, daß die Erforschung des Hofes am Hofadel keineswegs Halt machen sollte; doch sollte auch dann die Differenz zwischen Hofstaat und „Hofgesellschaft“ bedacht werden. <?page no="28"?> 27 untersuchten „neuen Adel“ 81 . Was in dieser Arbeit freilich weder geleistet werden kann noch soll, ist eine Amtsträgerprosopographie, eine Biographie „en grande série“ 82 ; das hat seinen Grund nicht allein in den beschränkten Möglichkeiten eines Einzelunternehmens, sondern auch einen systematischen Grund: Für die Errechnung nicht auf der Hand liegender statistisch signifikanter Korrelationen zwischen den zahlreichen in diesem weiten Feld relevanten Faktoren und den Entscheidungen über Einheiten sozialer Reproduktion ist in Anbetracht der Vielschichtigkeit der Phänomens Person, Familie und Zeit ungeachtet der über tausend verschiedenen Amtsträger die Menge der Einheiten zu klein 83 ; mehr als eine höher formalisierte Deskription ist daher nicht möglich, weshalb ich mich methodisch für problemorientierte Hermeneutik entschieden habe. Der Untersuchungszeitraum ist dreifach abgeschichtet. Für die Analyse der quantitativen Entwicklung des Hofstaats gehe ich zurück bis etwa an den Anfang des zweiten Drittels des 16. Jahrhunderts. Vertieft wird die Regierungszeit der Kaiser Ferdinand II., Ferdinand III. und Leopold I. bis etwa 1665 84 ; die Eckpunkte sind die Adelserhebung und ihre Niederschlagung einerseits und andererseits die Konsolidierung der habsburgischen Herrschaft in den Erblanden 85 , und damit zugleich jener 81 Press (1986), S. 36-38; Winkelbauer (1999a), S. 39-46; Klingenstein (1995), S. 237; Müller (1995), S. 89. 82 Asch (1993), S. 14. Für Brandenburg vgl. die prosopographische Studie von Bahl (2001). 83 Zum Mangel an Grundlagenwerken für den habsburgischen Kreis vgl. bes. Winkelbauer (1999a), S. 13, 259-263, und Sutter Fichtner (1994), S. 143, 144. Das Prosopographie und Netzwerkanalyse verbindende Werk von Reinhard (1996b) legt die Hürden, wie die Zahl der Projektmitarbeiter zeigt (S. VIII-XI), recht hoch. Auf die Erträge zweier neuer Wiener Projekte zur Erforschung „dieser bis heute wirksamen höfisch-absolutistischen Lebenswelt“ wird man gespannt sein (Freisleben (2002); Heiss (2001), zit. ebd., S. 21). 84 Der verschiedene Herrscher erfassende Untersuchungszeitraum ermöglicht es nicht zuletzt, Prozesse in den Blick zu nehmen, welche bei der Verengung auf nur eine Regierungszeit wohl eher individuell zugerechnet würden. Zum Stand der Diskussion über biographische Ansätze vgl. Zöllner (1992). Ein Vergleich der Rolle des Hofes unter Kaiser Matthias und der Zeit nach 1665 wäre zwar reizvoll gewesen, hat es doch den Anschein, als hätten nicht zuletzt die Sparmaßnahmen im Hofstaat und die Bestrebungen, den Hof zu verkleinern dazu geführt, daß der Hof als „clearing-Stelle“ nicht mehr funktionierte. Darin könnte ein Grund für die außerordentliche Eskalation des Konflikts zwischen dem dann aufständischen Adel und der Krone zu sehen sein, während die große Reichweite der späteren Höfe solches verhindert hätte (vgl. auch Evans (1986), S. 59). Auch für das Scheitern der Sicherung der Herrschaft der Habsburger in Siebenbürgen am Anfang des 17. Jahrhunderts spielte es eine wichtige Rolle, daß nur ein kleiner Teil der Stände bei minimaler Einbindung in den Hofstaat die Habsburger unterstützte (Arens (2001), S. 36, 249). Es ist jedoch nicht erkennbar, wie ein solcher Vergleich die durch den militärischen Sieg der Habsburger gefundene „Lösung“ der politischen und konfessionellen Gegensätze methodisch bereinigen könnte: Da aber nicht allein die Variable Hofstruktur verändert war, wäre ihr Gewicht nicht mit Bestimmtheit auszumachen. 85 Evans (1986). <?page no="29"?> 28 Zeitraum, in dem erst die Besetzung des Kämmereramtes und von diesem aus die gesamt Stellenstruktur fundamental modifiziert wurde. Vor diesem Hintergrund durchlief auch der kaiserliche Geheime Rat seine Entwicklung kontinuierlichen Wachstums, bis er 1665 durch die Geheime Konferenz in funktionaler Hinsicht weitgehend substituiert wurde 86 ; auch kehrten 1665/ 66 jene zentralen Probleme der Hofstaatsordnung, vor allem die Frage der Personalmenge und der Vorzimmerordnung auf die Liste der Agenda zurück, die bereits Ferdinand II. und Ferdinand III. beschäftigt hatte. Der besonders in Teil B und C am dichtesten beschriebene Zeitraum ist das zweite Drittel des 17. Jahrhunderts und dabei das Doppeljahrzehnt zwischen 1645 und 1665. Dies hängt zwar auch mit den Zufällen der Überlieferungsdichte der Archive von hochrangigen Höflingen zusammen, hat vor allem aber systematische Gründe. Es ließ sich so vermeiden, eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, der großen Konfiskationen und der Redistributionen aus der Perspektive des Hofstaats zu schreiben 87 . Die geographische „Eingrenzung“ wird so zu einer abhängigen Variablen der Stellenstruktur des Hofstaats. Schwerpunktmäßig stammten die höherrangigen Höflinge aus den österreichischen Herzogtümern, den Ländern der böhmischen Krone sowie Ungarns, aber auch aus den italienischen Staaten. Auch Adel aus den cisalpinen Reichsgebieten, vornehmlich aus Schwaben, sowie sowie aus Ost- und Südosteuropa war in Hofämtern vertreten, wurde aber vermehrt in niedrigeren Hofämtern eingegliedert. Aspekte politischer und sozialer Reproduktion (Teil B und C) wurden im Hinblick auf Österreich ob der Enns und die innerösterreichische Ländergruppe etwas weitergehender analysiert, auf das Phänomen ständischer Mehrfachverortung in verschiedenen Territorien 88 kann nur hingewiesen werden. Die Detailstudien sparen auch wegen der Abgrenzung zur Arbeit von M AT ’ A daher den böhmischen Adel 89 weitgehend aus. 86 Vgl. dazu Sienell (2001a). 87 Vgl. v.a. die Studie von Barker (1982), Winkelbauer (1999a), Bílek (1882), Bílek (1883), zur Kriegsgeschichte vgl. Höfer (1997) und Broucek (2000). 88 Winkelbauer (1999a), S. 39, 40, 255-260. 89 Vgl. demnächst die Dissertation von Petr Mat’a, dazu B! žek (2001), S. 298-309. Auch der ungarische Adel kommt wegen der Barriere zur Rezeption der einschlägigen Sekundärliteratur nur am Rande vor. <?page no="30"?> 29 II. Quellen und Terminologie Dieser Zugriff auf Hof und Hofstaat führt, weil es um die Schnittstellen von Hofordnung und Hofstaatsentwicklung auf der einen Seite und um das Verhalten von adeligen Höflingen auf der anderen Seite geht, Quellen sehr unterschiedlicher Provenienz zusammen. Für die Analyse der quantitativen Entwicklung des Hofstaats wurden vornehmlich Personalstandslisten und Besoldungsvermerke aus der offiziellen Überlieferung in den verschiedenen Beständen des Österreichischen Staatsarchivs, aber auch aus verschiedenen Privatarchiven, ausgewertet, während für die Ermittlung der Präsenzverhältnisse der Mitglieder neben den Hofzahlamtsbüchern mangels systematischer Dokumentation eine sehr breite Quellengrundlage wie etwa Botschaftsberichte, Korrespondenzen, Kalendereinträge, Hofquartierbücher etc. erschlossen werden mußte. Eine ähnliche Kombination von Quellen offiziöser und privater Provenienz war auch erforderlich, um Differenzen von formaler Organisation und faktischem Verhalten herauszuarbeiten. Instruktionen und Nebeninstruktionen, Verzeichnisse sowie Dokumentationen zu zeremoniellen Fragen wurden vor allem mit Korrespondenzen von Höflingen und Kaisern konfrontiert. Vor allem die Familienarchive Auersperg, Dietrichstein-Hollenburg, Dietrichstein-Nikolsburg, Harrach, Lamberg, Piccolomini, Starhemberg und Trauttmansdorff wurden herangezogen. Die Terminologie dieser Arbeit zum Kaiserhof steht vor dem Problem, daß die Kaiser in der Regel zahlreiche weitere Kronen (Böhmen und Ungarn), Herzogshüte und sonstige Herrschaftstitel auf sich vereinigten 90 . Eine genaue und jeweils situationsangepaßte Aufschlüsselung ist vielfach jedoch nicht möglich und überforderte in bezug auf die Klassifikation einiger Hofämter schon die Zeitgenossen 91 ; vielfach wäre eine Spezifizierung jedoch auch sachwidrig. In der zeitgenössischen Praxis 90 Zu den üblichen Verwendungsweisen kritisch Klingenstein (1995), S. 244, 245. Zum Aufbau der habsburgischen Ländergruppe vgl. Evans (1991), S. 125-128, Buchmann (2002), S. 61, 62. Zur Geschichte des Titels vgl. Berger (1907). Asch (1991), S. 1, weist wie Redlich (1961), S. 3- 5, darauf hin, daß auch der Begriff „Österreich“ noch nach 1804 vielschichtig war. Zum Perspektivenwechsel von Dynastie zu Staatlichkeit, die hier verstärkt zu bedenken wäre vgl. Weber (1998); vgl. zum problematischen Verhältnis von Reich und Österreich neuerdings Höbelt (1996) und Klueting (1996); auch die Diskussionen um Khlesl sind im Lichte dieser Problematik zu betrachten (Angermeier (1993), S. 326, 327). 91 Das Problem stellte sich auch Höflingen, wußten sie doch in der Mitte des 17. Jahrhunderts beispielsweise nicht, ob der Hofkanzler kaiserlich war oder nicht (Hengerer (2001a), S. 357, 358). Vgl. auch Ferdinands III. e.h. „Instruction, wie es hinfiro beÿ unserer gesambten I. und N. Canzleÿ gehalten werden solle“, die der Kaiser sogleich änderte, indem er „I.[nnerösterreichischen] und N.[iederösterreichischen]“ (unter-)strich und darüber „geheimben österreichischen Hof“ schrieb (HKA, Instr., 518, Ebersdorf, 2. Aug. 1654). <?page no="31"?> 30 konsumierte der höchste Titel in der Regel die übrigen, und dem Kaiser wurde auch dann als Kaiser begegnet, wenn es um Detailfragen bezüglich seiner Grafschaft Görz ging. Dem wird hier im Bewußtsein um die Komplexität der Herrschaftstitel und auch aus stilistischen Erwägungen zumeist gefolgt. Das Attribut „kaiserlich“ ist so gelegentlich Chiffre sein, die der geneigte Leser aber zu entschlüsseln in der Lage sein wird. Wenn es um systematische Probleme des Verhältnisses von Kaiser und Adel geht, verwende ich den Begriff Krone 92 . Die Verwendung des Begriffes „Hofstaat“ orientiert sich an der zeitgenössischen Selbstbeschreibung, bezieht also neben Hofkammer und Hofkriegsrat auch den Reichshofrat ein und meint die Gesamtheit der in den als „Hofstaat“ bezeichneten Verzeichnissen als Mitglieder erfaßten Personen 93 . Wenn von Hofstaat gesprochen wird, ist damit seit Ferdinand II. der einheitliche Hofstaat des Kaisers gemeint, zu dem auch die mehr oder weniger eigenständigen Hofstaaten der übrigen Mitglieder der Dynastie gehörten 94 . In Zweifelsfällen stelle ich durch entsprechende Zusätze klar, um wessen Hofstaat bzw. Subhofstaat es sich handelt. Die Begriffe Hofmann und Höfling sowie sonstige Begriffe für Mitglieder des Hofstaats verwende ich ohne jede pejorative Wertung 95 , die Variationen sind ausschließlich einer annehmbareren sprachlichen Fassung geschuldet. 92 Mit dieser Klarstellung soll gewährleistet werden, daß mit der Verwendung Differenzen durchaus berücksichtigt und nicht „Tür und Tor für Mißverständnisse und falsche Meinungen geöffnet“ werden (Klingenstein (1995), S. 244). Das Attribut „österreichisch“ ist insbesondere der Kritik der englischsprachigen Literatur ausgesetzt: „Für das politische Gebilde, dessen Konsolidierung der Gegenstand dieses Buches ist, gibt es keinen Namen.“ Der Begriff Österreich sei „unrichtig und irreführend“ (Evans (1986), S. 13). Unter Bezug auf den von den Habsburgern geförderten Adel hebt er hervor: „Wie es keine ‘österreichische’ Regierung gab, so gab es auch keinen ‘österreichischen’ Adel.“ Er interpretiert die Erblande vielmehr als „gemeinsame[n] Nenner zwischen dem Reich und dem Rest der Monarchie“, verweist auf die Differenziertheit der verschiedenen Adelsverleihungen und macht deutlich, daß die Kategorien zwischen Reich und dem österreichischen, ungarischen und böhmischen Adel sich in der Praxis „weitestgehend“ überschnitten: „selbst Zeitgenossen dürften nicht genau gewußt haben, wo ‚Österreich’ endetete und die anderen begannen.“ Ebd., S. 133, 134, auch 136, 141. Zuletzt formulierte Duindam (1998a), S. 26: „the term ‘Austrian’ can rightly be questioned“. Von daher scheint ein zurückhaltender Gebrauch des Begriffes auch im Hinblick auf die Bezeichnung des von den Habsburgern geförderten Adels („neue Aristokratie“ (Evans (1986), S. 83) versus „neue[r] ‘(gesamt)österreichische[r] Adel“ (Winkelbauer (1999a), S. 39)) angezeigt. Müller (1979) bezieht den Adel dagegen auf seine Herren, die Habsburger. 93 Vgl. grundlegend Žolger (1917), im Hinblick auf das Kriterium der Jurisdiktion des Hofmarschalls ebd., S. 110, 111. Der Hofmarschall wurde teilweise zeitgenössisch teils Hofmarschall, teils Obersthofmarschall genannt; die Frage war wegen der Implikationen für den Rang partiell umstritten, die Variation im Text soll nicht andeuten, eine der beiden Auffassungen werde für richtig gehalten. Zur Stellung des Reichshofrat im Hof vgl. Ehrenpreis (1997). 94 Vgl. Žolger (1917), S. 170-198, Sienell (2001b), S. 91. 95 Vgl. Müller (2001). <?page no="32"?> 31 Zitate werden grundsätzlich nur in Ausnahmen normalisiert. Dies bezieht sich auch auf die Groß- und Kleinschreibung, besonders dann, wenn sich so Bedeutungsnuancen ohne Beeinträchtigung der Lesbarkeit erhalten lassen. Quellenzitate werden, wenn es für ein bessere Verständlichkeit nötig ist, ausnahmsweise hinsichtlich der Lautwerte, häufiger hinsichtlich der s-Schreibung, kaum hinsichtlich der Interpunktion normalisiert 96 . Abkürzungen lasse ich in der Regel stehen 97 . Ortsnamen werden in der deutschen Form wiedergegeben, Personennamen auch in ungarischer oder tschechischer Form 98 . Stehen, wie es zumeist der Fall ist, im übrigen mehrere Schreibweisen bei Namen nebeneinander, wird eine der gebräuchlicheren verwendet. Für die Drucklegung wurde die Arbeit gekürzt und geringfügig überarbeitet. Bis einschließlich 2002 erschienene Literatur wurde dabei noch aufgenommen. Von der Kürzung betroffen waren insbesondere die Listen der Amtsträger, auf die in der Arbeit verwiesen wird. Sie sind ab Juli 2004 separat auf der Website der UVK Verlagsgesellschaft publiziert und zudem auf Anfrage dort gedruckt erhältlich 99 . 96 Vgl. Winkelbauer (1999a), S. 19, 20. Vgl. auch Evans (1986), S. 13-15. Wie bei Evans wird bei einer Trennung von Familiennamen und Adelstitel das Bekanntere angegeben. Häufig wird in neueren Arbeiten auf die Angabe des Adelsranges zugunsten eines einfachen „von“ weitgehend verzichtet - nicht zuletzt aus dem nachvollziehbaren Grund, daß eine korrekte, geschweige denn vollständige Titulatur ganz erheblichen Aufwand erfordert. Weil die Unterschiede zwischen einfachem Adels-, Freiherren-, Grafen- und Fürstenstand in diesem Zusammenhang jedoch hoher Bedeutung sind, gebe ich dies meist an, obschon ich damit mit einiger Wahrscheinlichkeit einige Irrtümer in Kauf nehme, die sich v.a. aus dem Zeitpunkt der Erhebung von Freiherren in den Grafenstand ergeben dürften. Zur Namensgebung im tschechischen Adel vgl. knapp Vlasák (1866), S. 12, 13, 119. 97 Dies deshalb, weil in der Regel unklar ist, ob beispielsweise „Maÿl: “ als „Maÿestät“, „Maÿestet“ oder in anderer Weise ausgeschrieben worden wäre. Ausnahmen sind „gnädigst“, „Gnaden“, „Herr“. Der Buchstabe „l“ steht im übrigen für die Kürzungsschleife. 98 Vgl. dazu Winkelbauer (1999a), S. 20, der für Karl von Zierotin zeigt, daß dieser seinen Namen in einer Weise schrieb, die auf eines der vielen Potentiale von Sprache - Verständigung - zu realisieren bestrebt war, und der für die Notwendigkeit der Anm. wohl wenig Verständnis gehabt hätte: mal lateinisch, mal französisch, mal deutsch. 99 Adressen: „www.uvk.de/ app“; UVK Verlagsgesellschaft, Schützenstr. 24, D - 78462 Konstanz, Stichwort „Historische Kulturwissenschaft“. <?page no="34"?> 33 Teil A. Personal und Präsenz Der Hofstaat des 17. Jahrhunderts konstituierte sich als eine über Mitgliedschaft strukturierte Organisation. Im Bereich der mit mehreren Adeligen besetzten Ehrenämter, besonders im Kämmereramt, aber auch im Geheimen Rat, wurden Adelige in Größenordnungen und zudem mit einer Wachstumsdynamik aufgenommen, die das 16. Jahrhundert noch nicht gekannt hatte. So wurde in der Literatur zum Kaiserhof denn auch das Wachstum des adeligen Hofstaats hervorgehoben 100 . Bei näherem Hinsehen erweist sich jedoch, daß der Hof im 16. Jahrhundert ähnliche Mengen von Adeligen lose an sich gebunden, dabei aber nicht primär auf die über ein Hofamt vermittelte Mitgliedschaft abgestellt hatte. Doch war ein großer Teil der in den Ehrenämtern so zahlreichen Höflinge des 17. Jahrunderts mit Hofstaat materiell mitunter nicht wesentlich weniger lose verbunden. Die eigentliche Modifikation liegt so gesehen nicht im Wachstum der Zahlen, sondern in der Differenz von loser, präsenzorientierter, Anbindung einerseits und Mitgliedschaft andererseits. Die Opposition der Begriffe „Diener von Adel ohne Amt“ (16. Jahrhundert) und „wirklicher“, „unwirklicher“ bzw. „Ehrenkämmerer“ (17. Jahrhundert) deuten dies an. Der Hof, im 16. Jahrhundert eher noch ein „point of contact“, entwickelte sich so hin zu einer Art „virtuellem Hof“ 101 . Mit diesem Wandel ist die Aufgabe dieses Teils der Arbeit umrissen: Es geht zunächst um die Rekonstruktion der langwierigen Entwicklung der Stellenstruktur im Hinblick auf die Situation im 17. Jahrhundert. Vor dem Hintergrund der Resultate dieser Analyse gerät die Historizität der Kategorie Stelle als Element der Mitgliedschaft im Hofstaat in den Blick. In den verschiedenen Phasen des steten Strukturwandels des Hofstaats kamen besonders die Variablen Dienst, Präsenz und Besoldung zu sehr verschiedenen Typen von Ausprägungen. Wie sich diese entwickelten und zueinander verhielten, soll sodann untersucht werden, zum einen, weil diese Entwicklungen auf die Entwicklung der Hofstruktur zurückwirkten, zum anderen, weil so eine Grundlage für die Analyse der Interaktion in der Organisation sowie der Prozesse sozialer Reproduktion, also für Teil B und C, gelegt werden kann. 100 Ehalt (1980), S. 39, 40, Duindam (1998a), S. 30-32, Duindam (2001a), S. 186-190. Da das Interesse sich jedoch meist auf den Gesamtumfang des Hofstaates bezog, unterblieb mit Ausnahme der relativ gut erforschten Geheimen Räte in der Regel eine quellenbasierte kritische Sichtung der adeligen Amtsträger. 101 Vgl. Anm. 76. <?page no="35"?> 34 I. Stellenstruktur im Wandel Im folgenden gilt es also, die quantitative Entwicklung der Stellen des kaiserlichen Hofstaats zu untersuchen. Dies reicht, ausgehend von der Hofordnung Ferdinands I. 102 , von diesem über Maximilian II., Rudolf II., Matthias, Ferdinand II. und Ferdinand III. bis hin zu Leopold I. und bezieht sich vornehmlich auf den Bereich der mit mehreren Personen besetzten Ehrenämter des Hofstaats. Im rangniedrigeren sogenannten äußeren Hofstaat waren dies vor allem das Truchsessen-, Fürschneider- und Menschenkenamt, im inneren Hofstaat das Kämmereramt. Dem äußeren Hofstaat gleichsam vorgelagert waren die „Adeligen von Adel ohne Amt“. Gerade in diesen Ämtern ließen sich Stellen nicht nur mehrfach besetzen, sondern auch die Inhaberzahlen erheblich erhöhen. Dies war auch im Geheimen Rat möglich. Weil das Kämmereramt im 17. Jahrhundert quantitativ zum bedeutendsten Amt wird und der Geheime Rat in politischer Hinsicht dieses Attribut führen kann, wird diesen Ämter besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die nach insgesamt mehreren tausend zählenden Personen werden insbesondere im Hinblick auf das zahlenmäßige Verhältnis der Ämter zueinander sowie im Hinblick auf ihre Fluktation betrachtet. Dabei fällt auf, daß es nicht zuletzt vor dem Hintergrund gewisser ständischer Mobilität schon im Verlauf des 16. Jahrhunderts vom Bereich der unteren Ämter her zu einer quantitativen Aushöhlung des Hofstaats kam, welche durch Erweiterungen in ranghöheren Ämtern aufgefangen wurde. Von diesen Umschichtungen waren freilich nicht alle Ämter im gleichen Maße betroffen. Das zweite Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts brachte einen einschneidenden Wandel. Lassen sich die Hofstaatsreformen Kaiser Matthias’ hinsichtlich der Zahlen der Amtsträger noch als - fehlgeleiteter und fehlgeschlagener - Versuch der Wiederherstellung der Ordnung Ferdinands I. deuten, veränderte sich mit dem Wechsel zur innerösterreichischen Linie der Habsburger das zahlenmäßige Verhältnis der adeligen Hofämter zueinander grundlegend. Vor dem Hintergrund der innerösterreichischen Tradition erlosch unter Ferdinand II. die am Kaiserhof des 16. Jahrhunderts am stärksten besetzte Position des „Dieners von Adel ohne Amt“. Dagegen expandierte nunmehr das bis dahin doch noch sehr exklusive Kämmereramt. Es folgte zeitversetzt ein weit moderaterer, doch erheblicher Anstieg auch 102 Vgl. für die Zeit davor HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 3. Edition bei Fellner (1907b), S. 139-147. Die Hofstaatsordnung vom 1. Jan. 1527 mit Zusätzen vom 2. Febr. 1527 (HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 4, Original und Kopie), ebd., S. 100-116. <?page no="36"?> 35 der Zahl der Geheimen Räte. So läßt sich neben einer Tendenz zur mitgliedschaftlichen Anbindung im Hofstaat eine Tendenz zur Einbindung des hohen Adels in höheren Ämtern ausmachen. Diese steht im Zusammenhang mit der geradezu inflationär zu nennenden Nobilitierungspraxis des 17. Jahrhunderts. Anstelle eines niederadelig dominierten Hofes mit vielfach besetzten niedrigen Hofämtern und der losen Anbindung in der Form der „Diener von Adel ohne Amt“ war der Hofstaat im 17. Jahrhundert von Hochadeligen in hohen Hofämtern (Kämmerer, Geheime Räte) dominiert. Wenn man bei Hof in der Mitte des 17. Jahrhunderts darüber nachdachte, wie man die Kämmererzahl reduzieren könne, hatte man wohl nicht vor Augen, daß dieses eine Art Substitut für eine einst stark frequentierte Anbindungsform des 16. Jahrhunderts geworden war. Da der Schwerpunkt der Arbeit im 17. Jahrhundert liegt, muß das 16. Jahrhundert knapp behandelt werden 103 . Daher habe ich für dieses Jahrhundert auf die Analyse der Hofstaatsverzeichnisse beschränken und auf die Heranziehung der Hofzahlamtsbücher verzichten müssen. Es ist freilich nicht unwahrscheinlich, daß eine Zuziehung dieser Quellen die Zahlen - wenn auch moderat - noch nach oben verändern würde. Mit der zahlenmäßigen Entwicklung stellt sich zugleich das Problem der Fluktuation und Verweildauer im Amt. Die meisten der in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen entstandenen Hofstaatsverzeichnisse bieten für diese Frage Anhaltspunkte, nicht aber präzise Angaben, die zu genauen Dienstzeiten aufgerechnet werden könnten und so sind diesbezügliche Angaben als Hinweise auf Tendenzen zu verstehen. 1. Einzelne Hofämter a. „Diener von Adel ohne Amt“ Bereits im ersten Hofstaatsverzeichnis Ferdinands I. nach der Reform der Hofordnung von 1527 tauchen über 30 adelige „diener ausserhalb seiner M t . räth und officier“ auf 104 . Unter ihnen waren Mitglieder so beachtlicher Familien wie Strein von Schwarzenau, Sternberg, Herberstein 103 Ausführlich werde ich die Entwicklung dargestellen in Vaclav B"žek, Mark Hengerer und Géza Pálffy: Der Adel aus den böhmischen, österreichischen und ungarischen Ländern an den habsburgischen Höfen (1526-1619/ 20), voraussichtlich 2005. 104 Fellner (1907b), S. 153, 154. <?page no="37"?> 36 oder Erdödy. Die späteren Hofstaatsverzeichnisse Ferdinands I. seit 1539, die zumeist im Abstand von nur einem bis etwa fünf Jahren neu angelegt wurden, lassen in dieser Kategorie eine hohe Personalfluktuation sowie eine Differenzierung der „Diener von Adel“ nach ihrer Besoldung erkennen. Eingeteilt wurden diese hinsichtlich des Gehalts nach Pferden. Gezahlt wurde in der überwiegenden Zahl der Fälle nach einem bis vier Pferden: pro Pferd 10 fl. monatlich. Nur in Ausnahmen wurde auch nach fünf bzw. sieben Pferden besoldet 105 . Die Besoldung und die Listenführung stufte diese Kontakte zu einer Form noch loser, doch formeller Anbindung herauf. Zwar gelangten nicht wenige „Diener von Adel ohne Amt“ in Ämter des Hofstaates. Daß diese Stellung zumindest auch die Funktion einer Warteschleife erfüllte, wird explizit deutlich in einer Anmerkung in einem Hofstaatsverzeichnis Rudolfs II.: Danach wurde Daniel Rechlinger als Diener mit zwei Pferden geführt, „bis er mit ain andern dienst in österreich versehen würdt, darauf er vertröstung empfangen“ 106 . Doch war die Aufnahmekapazität des Hofstaates in den regulären Ämtern noch begrenzt. Es war nicht selten, daß eine Person als Diener von „Adel ohne Amt“ verschiedene Besoldungsstufen durchlief; unter Ferdinand I. kam das in über 40 Fällen vor. Zusammen beläuft sich die Zahl der adeligen Diener, die in den verschiedenen Stufen zwischen 1539 und 1563/ 64 verzeichnet wurden, so auf etwa 400; sie setzt sich zusammen aus rund 15 Personen in der Gruppe der auf vier Pferde besoldeten Diener, 70 in der Gruppe der auf drei Pferde besoldeten, 165 in der Gruppe der auf zwei Pferde besoldeten und 110 in der auf ein Pferd besoldeten Personengruppe. Hinzu kommen einige wenige „extraordinari“ 105 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 45v, Hofstaat Ferdinands I. (Fellner (1907b), verm. 1563- 1564) nennt Carl Herzog von Münsterberg mit einer Besoldung von 70 fl. monatlich, die Verzeichnisse Ferdinands I. in HHStA, OMeA 181, Nr. 27 (1550), ebd., K. 182, Nr. 30 (1551), Nr. 32 (1553), Nr. 34a (1554) sowie Nr. 35 (1554) nennen Bernhard von Manesis mit 50 fl. monatlich. Grundlage für die Analysen des Hofstaats Ferdinands I. auch hinsichtlich der übrigen Ämter sind die Verzeichnisse: HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 16 (1539), Nr. 17 (1641), Nr. 22 (1544), Nr. 23 (1545), Nr. 27 (1550); K. 182, Nr. 30 (1551), Nr. 32 (1553), Nr. 34a (28. Febr. 1554, Verzeichnis von zwei Monatsbesoldungen), Nr. 35 (1554, ediert bei Firnhaber (1861), S. 13-28), Nr. 32b (nach 17. Aug. 1556), Nr. 36c (s.d.), Nr. 36d (s.d.), Nr. 37 (1557), Nr. 38 (1558); K. 183, Nr. 45 (1563), Nr. 45b (1563/ 64). Nicht in den Rechnungen berücksichtigt wurden Oberleitner (1860), S. 224-228, und Cod. ÖNB, ser. nov. 3359, ser. nov. 3360; diese datieren zwischen etwa 1558 und 1560, bringen im Bereich der Ehrenämter und der „Diener von Adel ohne Amt“ weniger als 20 zusätzliche Personen, ganz überwiegend in den auf zwei und und ein Pferd besoldeten „Dienern von Adel“. Die hier gegebene chronologische Reihenfolge ergibt sich aus dem Fluktuationsmuster, die Datierungen beziehen sich hierauf, teils auf die Teileditionen bei Fellner (1907b), S. 156-182, und die Angaben des HHStA. 106 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 55 (Linz, 12. Dez. 1576), fol. 21. <?page no="38"?> 37 Diener 107 sowie zwischen 1541 und 1563/ 64 23 der Hofkammer zugeordnete Personen. Das sind insgesamt mehr als doppelt so viele Adelige, wie der übrige adelige Hofstaat Ferdinands I. in dieser Zeit umfaßte - die außerordentlich personalstarken Ämter der Mundschenke, Truchsessen und Fürschneider eingerechnet. Von daher erscheint die durch die „Diener von Adel ohne Amt“ realisierte hohe Personalfluktuation, die zeitlich begrenzte, nicht auf Dauer gestellte Präsenz am Hof weiter Teile des Adels als wesentliches Merkmal dieser Position bei Hof. Die ständige Präsenz war auch während der Zeit, in der die „Diener von Adel ohne Amt“ in den Verzeichnissen geführt wurden, nicht vorausgesetzt 108 . Auf vier Pferde wurden zwischen 1539 und 1563/ 64 im Mittel der Hofstaatsverzeichnisse 2 Personen besoldet, auf drei Pferde 13, auf zwei Pferde 26, auf ein Pferd 15. Pro Hofstaatsverzeichnis werden im Mittelwert 55 „Diener von Adel ohne Amt“ genannt, wobei die niedrigsten Werte mit weniger als 45 Personen auf die Jahre 1539 und 1541, die höchsten mit bis 81 Personen auf die Jahre 1553 und 1554 frühen 1550er Jahre. Das Monatssoldverzeichnis von 1554 macht, setzt man seine Verallgemeinerbarkeit voraus, deutlich, daß in einem so kurzen Zeitraum wohl nur etwa die Hälfte derjenigen Adeligen präsent waren, die in den jeweils einige Jahre umfassenden Listen verzeichnet waren: auf vier Pferde eine Person, auf drei elf, auf zwei zwölf, auf ein Pferd 15 109 . Das hohe Ausmaß der starken Fluktuation wird deutlich, wenn Hofstaatsverzeichnisse betrachtet, die vier bis fünf Jahre auseinanderliegen 110 . Von den rund 165 „Dienern von Adel ohne Amt“, die auf zwei Pferde besoldet waren, tauchen lediglich zehn in zwei derartig benachbarten Hofstaatsverzeichnissen auf, ein einiger in allen. Betrachtet man einen geringen zeitlichen Abstand, erhöhen sich die Zahlen zwar, verweisen aber weiter auf den hohen Grad der Fluktuation. In den nur wenig auseinanderliegenden Hofstaatsverzeichnissen für 1544 und 1545, 1550 und 1551 sowie 1551 und 1553 kommen nur je zwölf bis maximal 20 Personen in jeweils beiden Verzeichnissen als auf zwei Pferde be- 107 HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 16, Hofstaatsverzeichnis Ferdinands I. von 1539. 108 So wurde in HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 36d (verm. 1556), fol. 73, vermerkt, daß von den auf ein Pferd besoldeten Dienern 14 zwar im Hofstaat eingeschrieben seien, aber nicht mit in Regensburg am Hof oder zeitweise abwesend gewesen seien, so daß man nicht wisse, wieviel Besoldung zu zahlen sei. Für Bernhard von Manesis, der von 1639 an als Diener auf zunächst vier, dann fünf Pferde, seit 1556/ 57 als Stäblmeister geführt wurde, wurde 1545 die Besoldung bei Anbzw. Abwesenheit eigens geregelt (ebd., OMeA SR, K. 181, Nr. 23 (1545), fol. 27). 109 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 34a (28. Febr. 1554). 110 Vgl. oben Anm. 105. <?page no="39"?> 38 soldete „Diener von Adel ohne Amt“ vor. Der Hof tritt hier noch als „point of contact“ zutage, der die außerordentlich zahlreichen Kontakte meist nicht in eine Form dauerhafter Anbindung transformierte. Auch unter Maximilian II. wurden besoldete „Diener von Adel ohne Amt“ als Hofgesinde 111 in den Hofstaatslisten geführt. Auf dem Feldzug von 1544 wurden bei Erzherzog Maximilian vier „under Hoffgesindt vom Adl“ in das Verzeichnis eingestellt 112 . In seinem mit seinem Bruder gemeinsamen Hofstaat zählte man 1551 zehn Diener von „Adel ohne Amt“, die nach den üblichen Soldklassen differenziert wurden 113 . 1560 waren die Zahlen - erheblich - auf nunmehr knapp fünfzig angestiegen 114 . 1567 wurden annähernd 70 „Diener von Adel ohne Amt“ gezählt, die wiederum nahezu sämtlich zuvor nicht in den Hofstaatsverzeichnissen auftauchten 115 . 1569 wurden insgesamt knapp 100 in den verschiedenen Besoldungsstufen gezählt, von denen etwa ein Drittel neu hinzugekommen war 116 . 1574 waren es knapp 40 117 , so daß man insgesamt, mit einer sehr vorsichtigen Schätzung, für Maximilian II. von insgesamt wenigstens 200 „Dienern von Adel ohne Amt“ ausgehen kann 118 . Damit hielt sich, relativ zur umfaßten Zeitspanne, das hohe zahlenmäßige Niveau des Hofstaats seines Vaters. Ebenso verhielt es sich mit der Fluktuation der „Diener von Adel“. Bemerkenswert ist der deutliche Rückgang des Anteils der auf nur ein Pferd besoldeten adeligen Diener seit 1560 (1560 ca. 50%, 1567 ca. 111 Vgl. HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 39 (1560), fol. 62: Die vom Hof abgereisten Diener von Adel ohne Amt sollen, bei Rückkehr an den Hof „Hofgesind ohne Besoldung“ genannt werden; was für die ausgeschiedenen galt, wird auch für die aktiven Diener gegolten haben. Folgende Hofstaatsverzeichnisse wurden herangezogen: HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 21 (1544), Nr. 28 (1551); K. 182, Nr. 33 (1554) Nr. 39 (1560); ÖNB, Cod. 14458 (1567, Teiledition bei Fellner (1907b), S. 187-191); AUW, Cod. J 17 (1569); HHStA, FA AP, A-II-26 (26. Dez. 1574); HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 50 (26. Dez. 1574); außer bei den Kämmerern nicht berücksichtigt wurde ÖNB, Cod. 13621 (1574). 112 HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 21 (Speyer, 31. Mai 1544), fol. 3, 3v. 113 HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 28 (Wien, 1. Jun. 1551), fol. 40, 40v: Drei auf drei, sechs auf zwei und einer auf ein Pferd Besoldung. Später taucht oft die Besoldung auf vier Pferde auf. 114 HHStA, OMeA 183, Nr. 39 (1560), fol. 62-64. Darunter drei Diener auf vier, einer auf drei, 20 auf zwei und 23 auf ein Pferd. Von früheren Hofdienern wurden 1560 nur sehr wenige wieder aufgeführt. 115 ÖNB, Cod. 14458, fol. 13v-19. Davon wurden vier auf vier Pferde, acht auf drei, 43 auf zwei und 14 auf ein Pferd besoldet. 116 AUW, Cod. J 17, fol. 17v-41v. 117 Davon wurden nur zwei zuvor als Hofdiener geführt. HHStA, FA AP, A-II-26 (Wien, 26. Dez. 1574). Die Verteilung war: acht auf drei, 27 auf zwei Pferde und drei auf ein Pferd. 118 In der Rubrik derjenigen Diener von Adel, die von Hof Abschied genommen haben, tauchen nicht alle in den übrigen Verzeichnissen Genannten auf; überdies stehen zwischen den einzelnen Verzeichnissen, die auch in größeren Abständen entstanden, wegen der wenigen Überschneidungen der Personalstände Lücken zu vermuten, deren Ausmaß nur abschätzbar ist. <?page no="40"?> 39 20%, 1569 ca. 20%, 1574 ca. 10% der jeweiligen Diener). Diese Entwicklung hatte sich in den späteren Regierungsjahren, seit 1557, in ähnlicher Weise auch bei Ferdinand I. vollzogen. Hier war der Anteil von durchschnittlich etwa 30% auf etwa 12% bis 16% gesunken. Es kann festgehalten werden, daß die Institution des Dieners von Adel ohne Amt besonders im unteren Besoldungsbereich Auflösungserscheinungen zeigte 119 ; ein Umstand, der einen Beitrag zur Erklärung der Wandlungen der Hofstaatsstruktur im 17. Jahrhundert leistet. Wie bereits bei Ferdinand I. war auch unter Maximilian II. eine stete Präsenz der besoldeten Diener bei Hofe nicht gegeben. Für dessen Hofstaat wurde spätestens 1554 eine Regelung für die vorübergehende Abwesenheit getroffen, wonach Ehemännern zwei Monate, Ledigen sechs Wochen Abwesenheit ohne Besoldungseinbuße zugestanden wurde 120 . Wichtig ist eine Notiz in einer Hofstaatsordnung Maximilians II. für die Erzherzöge Rudolf und Ernst. Einer der verzeichneten sechs „Diener von Adel ohne Amt“, war demnach nie bei Hof erschienen 121 . Das Problem des Status nach dem Ausscheiden aus dem Hofstaat fand ebenfalls Aufmerksamkeit. Spätestens 1560 war festgelegt worden, daß bestimmte verheiratete „Diener von Adel“ und solche, die ihren Abschied vom Hof genommen hatten, „doch Hofgesind ohne Besoldung genannt“ werden sollten, wenn sie später an den Hof zurückkehrten 122 . Präsenz wurde damit unter der Voraussetzung früherer Anbindung als Zugehörigkeit zu einer Art okkasioneller Mitgliedschaft zum Hofstaat gedeutet. Danach sollten diese Diener, wenn sie an den Hof kämen, „iren Zuetritt als Hofgesind“ ohne Besoldung haben 123 . Sie wurden Mitgliedern des Hofstaates also gleichgestellt und erhielten damit gesicherte qualifizierte Zugangsrechte. Diese Formel wurde 1574 in einem weiteren Hofstaatsverzeichnis wieder aufgegriffen 124 . Sie bezeichnete zugleich eine eigene Rubrik und faßte in einer gesonderten Liste Ausgeschiedene 119 Gewisse Plausibilität hat die Annahme, daß dieses Amt mit einer Besoldung von monatlich nur 10 fl. den Ansprüchen des sich zum Hof hin orientierenden Adels immer weniger genügen konnte. Vgl. den Vermerk im Verzeichnis Maximilians II. von 1560, daß unter den Dienern auf ein Pferd vier aus der Reihe der ausgemusterten Edelknaben aufgenommen wurden (HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 39 (1560), fol. 63v). Inwieweit sich der ebenfalls in Betracht kommende Trend zum Aufenthalt des Hofes in einer dauerhaften Residenz (Mat'a (1999)) oder der Niedergang großer Teile des niederen Adels sich hierin spiegelt, sind offene Fragen. 120 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 33 (Wien, 1. Jan. 1554), fol. 43v, 44. 121 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 42 (1. Jan. 1562), fol. 8. 122 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 39 (1560), fol. 63v. 123 ÖNB, Cod. 14458, fol. 18. 124 HHStA, FA AP, A-II-26, Hofstaatsverzeichnis Kaiser Maximilians II. (Wien, 26. Dez. 1574), fol. 43. Die Formel wurde zudem vor dem Hintergrund einer Veränderung des Personalstandes um die Diener vom Fürstenstand (Herzog zu Münsterberg) erweitert. <?page no="41"?> 40 zusammen, die bei Rückkehr an den Hof diese Rechte haben sollten. Diese Rubrik umfaßte in den Verzeichnissen von 1560 16, 1557 29 und 1574 30 bzw. 32 Adelige, unter denen neben verschiedenen „Dienern von Adel ohne Amt“ zahlreiche Mundschenke und Truchsessen, aber auch Fürschneider und Panathiers waren 125 . Die systematische Einordnung in den Hofstaatsverzeichnissen unmittelbar nach den „Dienern von Adel ohne Amt“ zeigt jedoch die Nähe vor allem zu diesem Amt, waren die „Diener von Adel ohne Amt“ doch gleichsam eine Gruppe zwischen den Inhabern echter Hofämter und sonstigen bei Hof lediglich anwesenden Adeligen. Die Rubrik der „abwesenden Diener“ konnte sich jedoch nicht halten. 1576 wohl hier keine Einträge mehr gemacht 126 und in der kurz darauf entstandenen Abschrift wurde auch die Überschrift weggelassen 127 . In dem 1601 angelegten und über Jahre fortgeschriebenen Hofstaatsverzeichnis wurden in dieser Gruppe nur sechs Personen verzeichnet 128 . Zwar hatte die unter Maximilian II. gefundene Regelung eine Lösung des Zugangsproblems formuliert; diese nicht generalisierte und zudem von der Präsenz abhängige Gleichstellungsformel aber konnte sich als Statusbestimmung offenbar langfristig nicht bewähren. Auch erwies sich das Hofstaatsverzeichnis als Form der Selbstbeobachtung für die Bewältigung vergangener Mitgliedschaft und Präsenz ohne die Grundlage klar definierter Ämter insoweit als ungeeignet. Hinsichtlich des Anteils der auf ein Pferd besoldeten „Diener von Adel“ vollzog sich in der Regierungszeit Rudolfs II. eine kontinuierliche Fortsetzung der bisherigen Entwicklung. Ausweislich der Hofstaatsverzeichnisse waren unter seinen Hofdienern nur noch sehr wenige auf ein Pferd besoldet 129 . Ihr Anteil an den „Dienern von Adel ohne Amt“ lag zwar 1676, freilich bei sehr niedrigen absoluten Zahlen, noch bei etwa 125 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 39 (1560), fol. 64; ÖNB, Cod. 14558 (1567), HHStA, FA AP, A-II-26, Hofstaatsverzeichnis Maximilians II. (Wien, 26. Dez. 1574); HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 50 (26. Dez. 1574, mit Nachträgen), fol. 22-25v. 126 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 55 (Linz, 12. Dez. 1576), fol. 25. 127 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 56 (1576), fol. 5. Das Fehlen der Rubrik in ebd., K. 64 (1588) kann wegen der Eigenheit als Besoldungsübersicht nicht als Beleg angeführt werden. 128 HHStA, OMeA 184, Nr. 73 (1601 mit Nachträgen bis ca. 1608), fol. 15v. Daß unter diesen ein Kämmerer aufgeführt wurde, zeigt, daß der Schreiber die Usancen nicht sicher kannte. In der Entwicklung dieser Gruppe spiegeln sich zu einem gewissen Grad wohl auch die Beziehungen zwischen Reichsritterschaft und Kaiser wider (vgl. dazu Press (1991). Zu Spaniern im Hofstaat in der Zeit Ferdinands I. vgl. Laferl (1997) und Castrillo-Benito (1979), S. 452, 453, zum Adel in den Türkenkriegen Liepold (1998), Pálffy (1998), Pálffy (2001). 129 OMeA 183, Nr. 55 (Linz, 12. Dez. 1576), fol. 23v, 24: acht; ebd., K. 183, Nr. 45 (1576), fol. 5: zehn; ebd., K. 184, Nr. 73 (1601-1608): keiner. Vgl. Hausenblasová (2002), S. 131, 274, 275. <?page no="42"?> 41 30%, verschwand aber später völlig. Das gesamte Institut der „Diener von Adel ohne Amt“ erlebte unter Rudolf II. also eine Stagnation 130 . Ihre Zahl hielt sich im gemeinsamen Hofstaat der Erzherzöge Rudolf und Ernst seit den 1560er Jahren mit weniger als zehn Hofdienern im Rahmen des üblichen 131 , was sich nach 1576 mit der kaiserlichen Thronfolge Rudolfs II. zunächst nicht änderte: Ende 1576 umfaßte sein Hof fünf Diener auf drei bzw. vier Pferde, etwa 20 auf zwei Pferde und zehn auf ein Pferd 132 . Das 1601 angelegte und bis etwa 1607/ 8 fortgeschriebene Verzeichnis nennt mit Nachträgen 13 Diener auf drei bzw. vier Pferde sowie etwas mehr als 80 Diener auf zwei Pferde, keinen jedoch auf ein Pferd 133 . Zudem ging gegenüber Maximilian II. der Anteil des hohen Adels unter den „Dienern von Adel“ noch weiter zurück 134 . Kaiser Matthias zog daher offenbar eine in mehrfacher Hinsicht schlüssige Konsequenz, wenn er im Rahmen der Hofreform von 1614/ 15 die Zahl der wirklich besoldeten Hofdiener auf zwölf bis 16 festlegte, also reduzierte, und zugleich einen Verteilungsschlüssel bestimmte, der bei insgesamt 16 Dienern nur einen auf ein Pferd vorsah 135 . Mit dieser Ordnung wurde dem Bedeutungsverlust des Instituts insgesamt sowie den Verschiebungen der internen Anteile Rechnung getra- 130 Erst Hausenblasová (2000), S. 178, erwähnt die Hofdiener nach Žolger (1917), S. 35, 36, wohl erstmals in der Forschung und nimmt sie bei ihrer Edition der Hofstaatsverzeichnisse Rudolfs II. von 1580, 1584 und 1589 auf (Hausenblasová (1996), S. 52-54, 74, 94, 95). Vgl. nun Hausenblasová (2002), S. 131, 256-278. Zur nationalen Zusammensetzung des Hofstaats Rudolfs II. vgl. Hausenblasová (1999). Zugrundegelegt wurde die Edition der Hofstaatsverzeichnisse von Hausenblasová (2002), an Archivmaterial (auch): HHStA, OMeA SR, K. 182, Konv. 41 (1561, Rudolf und Ernst); K. 183, Nr. 51 (vor Nov. 1575, Rudolf und Ernst), Nr. 52 (24. Nov. 1574, Rudolf und Ernst), Nr. 50 (26. Dez. 1574), Nr. 53 (1576), Nr. 55 (1576, Teiledition bei Fellner (1907b), S. 191-198), Nr. 56 (1576), Nr. 60 (31. Dez. 1586), Nr. 64 (1588, Teiledition bei Fellner (1907b), S. 199-201); K. 184, Nr. 73 (1601). 131 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 42 (1. Jan. 1562, mit Nachträgen bis 1573), fol. 7v, 8; ebd., K. 183, Nr. 47 (1569), fol. 1; ebd., K. 183, Nr. 50 (24. Nov. 1575), fol. 2v. 132 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 56 (Ende 1576), fol. 4v-5; ebd., Nr. 55 (Linz, 12. Dez. 1576), fol. 21-24. Das Verzeichnis vom 12. Dez. diente als Grundlage für das andere (Übernahme der Korrekturen (fol. 3v, 4) des früheren Verzeichnisses (fol. 15, 15v)); später kommen die Diener auf drei bzw. vier Pferde hinzu; bei den Hofdienern auf zwei Pferde von erster Hand wurde eine Person hinzugefügt (von späterer Hand ein weiterer); der Stand der Diener auf ein Pferd ist nach der ersten Hand mit der Vorlage gleich; ein späterer Nachtrag. Hausenblasová (2002), S. 131, gibt für 1576 für auf ein Pferd besoldete die Zahl acht an. 133 Hausenblasová (2002), S. 131. HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 73 (1601, mit Nachträgen bis 1608), fol. 12v-15v. 134 Es entsteht der Eindruck, daß selbst innerhalb des Niederadels das Amt immer weniger von den bedeutenderen Familien frequentiert wurde. 135 HHStA, OMeA 184, Nr. 75 (7. Febr. 1615), fol. 20. Davon sollte einer mit 40 fl., drei mit 30 fl., elf mit 20 fl. und einer mit 10 fl. besoldet sein. <?page no="43"?> 42 gen 136 . Die Praxis wich davon nicht wesentlich ab und verstärkte insbesondere die Ausrichtung des Amtes auf weniger bedeutsame niederadelige Kreise 137 . Mit dem Wechsel zur innerösterreichischen Linie in der Nachfolge auf dem Kaiserthron verschwand das Institut der „Diener von Adel ohne Amt“ in seiner früheren Form. Dazu dürfte im wesentlichen der Bedeutungsschwund am Kaiserhof und die sehr schwache Besetzung am Grazer Hof beigetragen haben; das Institut des „Dieners von Adel ohne Amt“ stand Ferdinand II. weder als attraktives Modell für die Anbindung von Adeligen noch als eigene bedeutsame Tradition zur Verfügung 138 . b. Äußerer Hofstaat Truchsessen Für Ferdinand I. sind in den hier zugrundegelegten Hofstaatsverzeichnissen etwa 80 Truchsessen erwähnt. Ihre Fluktuation war überaus hoch, die Verweildauer in dem Amt entsprechend gering. Das Hofstaatsverzeichnis von 1539 nennt acht Truchsessen; ihre Zahl stieg mit der Zeit an und erreichte im Verzeichnis von 1554 ganze 16. Daß in 136 Vgl. die Anordnung, daß es bei den „Extraordinari Hoffdiener[n] oder Titulares, so kheine Besoldung haben“, keine zahlenmäßige Beschränkung geben solle. In einem Hofstaatsverzeichnis Ferdinands I. (HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 16 (1639), fol. 15, 15v) sind adelige „extraordinari Diener“ in einer eigenen Rubrik erwähnt. Diese ist jedoch nicht traditionsbildend, so daß fraglich ist, ob hierunter nicht verzeichnete Personen fallen oder Diener von Adel ohne Amt, die zwar bei Hof waren, aber keine Besoldung erhielten. Auch sind solche denkbar, die ihren Abschied hatten und daher keine Besoldung erhielten. 137 Vgl. das Hofstaatsverzeichnis HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 77 (29. März 1615), fol. 7, Teiledition bei Fellner (1907b), S. 202-206. Danach gab es 23 Hofdiener (einer gestrichen). 138 Thiel (1916), S. 175-181, S. 180. Das Verzeichnis des Hofstaats Erzherzog Karls II. von Innerösterreich von 1574 führte nur einen „Diener von Adel ohne Amt“ auf, das von 1587 lediglich neun (HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 63b (1587 Hofpennigmeisteramtsübergabe), fol. 12), das von 1590 nur zwei (Thiel (1916), S. 181-185, S. 184; HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 65 (1590), fol. 11v, 12). Dasjenige des späteren Kaisers Ferdinand II. von 1596 verzeichnete zunächst nur einen „Hofdiener“, zu dem im gleichen Jahr fünf Nachträge kamen (Thiel (1916), S. 196); neben je drei Kämmeren, Mundschenken, Fürschneidern und sieben Truchsessen wurden nur vier Hofdiener aufgeführt (HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 71b, undatiert, nach Jul. 1596, fol. 34v-36). Das Hofstaatsverzeichnis Kaiser Ferdinands II. von 1619 führt keinen Hofdiener auf (ÖNB, Cod. 8102). Auch in den späteren Verzeichnissen tauchen sie in der alten Form nicht mehr auf. Zwar gab es unter Ferdinand III. „Wirkliche Besoldte Hofdiener und Räth“, doch handelte es sich um einen andersartigen Personenkreis (HHStA, OMeA SR, Bd. 187, fol. 52), so um den späteren Geheimen Sekretär Peter Abel Schmalz, um Francisco Lisola; vgl. Pribram (1894) und Baumanns (1994) und Georg von Plettenberg (Resident in Hamburg, vgl. HKA, HZAB 97 (1651), fol. 390, 391). Überdies beziehen sich die Eintragungen nur auf 1637 bis 1642. <?page no="44"?> 43 diesem Verzeichnis acht - unter ihnen einer der vier später eingetragenen - wieder gestrichen wurden, deutet auf eine hohe Fluktuation hin und zeigt auch, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht alle zugleich dienten 139 . Seit der Mitte der 1550er Jahre stabilisierte sich die Zahl der in den Verzeichnissen zeitgleich erwähnten Truchsessen auf neun bis 14 Amtsinhaber. Der Anteil derer, die vier, fünf oder gar sechs Jahre im Amt verweilten, war nicht sehr hoch und schien im ganzen abzunehmen 140 . Unter Kaiser Maximilian II. war das Amt zahlenmäßig stärker besetzt und wies ebenfalls eine hohe Fluktuation auf. Zwischen 1544 und 1574 (Kaiser seit 1564) sind in den Hofstaatsverzeichnissen knapp 80 Truchsessen namentlich erwähnt, davon 22 in den vor den Krönungen entstandenen Verzeichnissen. Die Lücken zwischen den Hofstaatsverzeichnissen lassen den Schluß auf eine höhere Zahl zu. Die Hofstaatsverzeichnise von 1567 und 1569 weisen je etwa 25 Truchsessen aus, das von 1569 das von 1574 noch 19 141 . Die Hofstaatsverzeichnisse Rudolfs II. zwischen 1576 und 1608 weisen insgesamt ca. 120 Truchsessen namentlich aus, was auf den Zeitraum bezogen etwas mehr war unter Ferdinand I. 142 Nach einem die Dienstzeiten vermerkenden Hofstaatsverzeichnis von 1586 dienten im Zeitpunkt der Abfassung 143 sieben Truchsessen, etwa ebenso viele wie anfänglich bei Kaiser Ferdinand I. Die Verweildauer im Amt war im Vergleich zum Kämmereramt nicht sehr lang. Nur vier der dort aufgeführten 40 Truchsessen waren Ende 1586 fünf oder sechs Jahre im Amt gewesen, weniger als zehn hatten etwa vier Jahre gedient, viele blieben weniger als ein Jahr im Amt. Kaiser Matthias setzte in seinem Hofstaatsplan von 1615 sechs Truchsessen an 144 und scheint sich an diese Begrenzung auch gehalten zu haben 145 . Für Ferdinand II. ist mir, vom problematischen „Status particularis“ abgesehen, kein Hofstaatsverzeichnis bekannt geworden, das gegen Ende 139 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 35. Vgl. Anm. 105. 140 Langjährig dienende Truchsessen wie Wolf Dietrich Rauber, Julius Graf Salm oder Christoph Conzin waren selten. Conzin wurden 1563/ 64 denn auch 40 fl. statt 30 fl. gezahlt. 141 Vgl. Anm. 111. 142 Vgl. Hausenblasová (2002), S. 131, 237-243. 143 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 60. Ausgewiesen ist der Stand 31. Dez. 1586, doch ist ein mit Mitte Jan. 1587 einsetzendes Fernbleiben von Hof notiert (fol. 7v). 144 HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 75, Teil 6, fol. 19. Hofstaat des Kaisers, wie er am 22. Jan. beratschlagt und am 7. Febr. 1615 gebilligt wurde. In einer vom gleichen Tag datierenden Ordnung (ebd., Nr. 76, fol. 3v) ordnete er hingegen eine Zahl von zwölf Truchsessen an. 145 Das Hofstaatsverzeichnis vom 29. März 1615 führt zwar zwölf Truchsessen auf, aus den Zusätzen aber ist ersichtlich, daß davon sechs zu anderen Ämtern gezählt wurden oder nicht mehr dienten (HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 77, fol. 5). <?page no="45"?> 44 seiner Regierungszeit Truchsessen, Mundschenke, Fürschneider oder Panathiers auflisten würde 146 . Auch werden in den seine Regierungszeit als Kaiser betreffenden Hofzahlamtsbüchern Zahlungen lediglich noch an entsprechende Amtsinhaber seiner Vorgänger eingestellt. Eine gesicherte systematische Einordnung seiner Herrschaftszeit ist daher in diesem Zusammenhang schwer möglich. Vor dem Hintergrund allerdings, daß das Hofstaatsverzeichnis Kaiser Ferdinands II. von 1619 ebenfalls sehr geringe Zahlen in den niedrigen Ehrenämtern nennt 147 , muß vorsichtig davon ausgegangen werden, daß dieser Bereich des Hofstaates nur schwach besetzt war; 1632 wurden die noch vorhandenen kaiserlichen Truchsessen aus Kostengründen besonders im Bereich der Hoftafeln einstweilen ganz abgedankt 148 . Ferdinand III. ernannte zwischen 1634 und 1657 etwa 95 149 Truchsessen und damit durchschnittlich annähernd vier Truchsessen im Jahr. Dies bedeutet gegenüber dem 16. Jahrhundert einen gewissen Anstieg. Für Leopold I. gilt hinsichtlich der Hofstaatsverzeichnisse bedauerlicherweise das, was oben für Ferdinand II. gesagt wurde. Allerdings sind in den Hofzahlamtsbüchern im Untersuchungszeitraum Zahlungen an Truchsessen, Mundschenke und Fürschneider ausgewiesen 150 ; danach hatte Leopold I. zu Anfang der 1660er Jahre weniger als zehn (besoldete) Truchsessen gleichzeitig. 146 Der „Status particularis“, p. 109, führt nur drei Pocillatores, vier Praelibatores, drei Panetarii, und vier Dapiferi auf. HHStA, OMaA, K. 1, Quartierverzeichnis 1631, zieht Kämmerer, Mundschenke, Fürschneider und Truchsessen zusammen und nennt namentlich nur etwas mehr als ein Dutzend Personen, die kein Quartier haben bzw. umzuquartieren sind und verweist auf mehrere Ungarn und Polen, „so Ich nit alle auffgezaichnet.“ 147 Genannt werden sieben Truchsessen, nur ein Mundschenk, drei Fürschneider, kein Panathier (ÖNB, Cod. 8102, fol. 15, 15v). Zur Datierung der Quelle: Für Erzherzog Johann Karl, den 1619 verstorbenen Sohn Ferdinands II., ist noch ein Hofstaat aufgeführt (fol. 23). 148 HKA, NÖHA, W-61/ A/ 36, kaiserlicher Beschluß vom 19. Febr. 1632, als Maßnahme zur Reduktion der Hofstaatskosten auf der Grundlage einer Empfehlung deputierter Höflinge (Eggenberg, Bischof von Wien, Meggau, Trauttmansdorff, Maximilian Breuner, Berchtold): „Conclusum, daß die Truchsessen bei gegenartigen leufften auf aine Zeit bis Ihre K. M. Ihrer wieder bedürffen werden, allerdings abzudanckhen, Jedoch mit der vertröstung wann Ihre K. M. dero Hofstatt so weitth wieder aufrichten, daß auch Ieder aus Ihnen seine stell wieder haben solle.“ Allein über die Reduktion der Verköstigung sollten pro Jahr 16.076 fl. gespart werden, was auch eine hohe Truchsessenzahl hinweist: vgl. Hurter (1850), Bd. 11, S. 669: „Die Zahl der Truchsessen [...] brachte der Kaiser bis auf 60. [...] Sie erhielten keine Besoldung, blos die Kost.“ 149 Namentlich sind 94 bzw. 95 Truchsessen bekannt (evtl. eine Doppelnennung); weit überdurchschnittlich viele wurden 1637 (14 oder 15) und 1653 bis 1655 (sechs, sieben und fünf) ernannt, wohl wegen der nachfolgebedingten Umwälzungen am Hof. 150 HKA, HZAB 104-110. <?page no="46"?> 45 Panathier Das Amt des Panathiers taucht in den Hofstaatsverzeichnissen des 16. Jahrhunderts erst unter Maximilian II. auf und gehörte zu den zahlenmäßig schwach besetzten Ämtern. Die nach der Kaiserkrönung entstandenen Verzeichnisse weisen insgesamt acht (1567 fünf und 1574 drei) Amtsträger aus 151 . Unter Rudolf II. dienten nach Ausweis der Hofstaatsverzeichnisse zwischen 1576 und 1608 22 Panathiers, wobei anfänglich drei und 1588 und 1601 bis 1608 jeweils bis zu neun Panathiers aufgeführt wurden 152 . In der Amtshierarchie war der Panathier über dem Truchseß angesiedelt; sie wurden, wenn sie ihren Dienst bei Hof in anderen Ämtern fortsetzten, entweder Mundschenke oder Fürschneider. Die Amtsdauer variiert von wenigen Monaten bis zu weit mehr als zehn Jahren; nach dem Hofstaatsverzeichnis vom 31. Dezember 1586 waren von den sechs als Panathier gelisteten Personen nur zwei bei Hof. Die Anordnung von Kaiser Matthias, in seinem Hofstaat zwei bzw. vier Panathiers vorzusehen, hält sich in diesem Rahmen 153 . Bei der Anlage des die gesamte Regierungszeit dokumentierenden Hofstaatsverzeichnisses Ferdinands III. war für das Amt des Panathiers zwar noch eine Rubrik vorbehalten, doch wurden keine Einträge gemacht 154 . Auch finden sich in den Hofzahlamtsbüchern keine Zahlungen an Träger dieses Amtes. Man wird daher annehmen müssen, daß es als selbständiges Amt spätestens unter Ferdinand III. erlosch. Unter Leopold I. finden sich in den Hofzahlamtsbüchern des Untersuchungszeitraumes keine Einstellungen für dieses Amt. Fürschneider Ohne tiefgreifenden Wandel vollzog sich bis einschließlich der Amtszeit Ferdinand III. die zahlenmäßige Entwicklung im Bereich der Fürschneider 155 . Die quantitative Entwicklung des Amtes unter Ferdinand I. ist durch eine hohe Regelmäßigkeit gekennzeichnet. Die Zahl der in den einzelnen Verzeichnissen aufgeführten Fürschneider - insge- 151 ÖNB, Cod. 14458, und FA AP, A-II-26 (Wien, 26. Dez. 1574). Zuvor wurden seit 1551 elf verschiedene Panathiers genannt (HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 28; K. 182, Nr. 33 und Nr. 39). 152 Hausenblasová (2002), S. 131, 235, 236. Drei der 1586 genannten tauchen noch im Verzeichnis von 1601 bis 1608 auf. 153 Vgl. Anm. 144. Das Verzeichnis vom 29. März 1615 (HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 77) nennt neun Panathiers, von denen drei gestrichen sind (verstorben, entlassen, nicht dienend). 154 HHStA, OMeA SR, K. 187, fol. 35. 155 Für Ferdinand II. reicht das Datenmaterial leider nicht aus. <?page no="47"?> 46 samt etwa 30 zwischen 1539 und 1564 - unterlag im Laufe der Jahre nur geringen Schwankungen. In den meisten Verzeichnissen sind vier oder fünf erwähnt, 1539 drei, 1554 sieben. Die Verweildauer im Amt schwankt auch hier: Sie reicht von einer schon im selben Verzeichnis wieder gestrichenen Erwähnung 156 bis zu einer Dauer von etwa zehn Jahren (Volkhardt von Auersperg), für die meisten wird man eine Verweildauer von etwa drei bis vier Jahren angeben können. Die Besetzung des Fürschneideramtes setzte sich unter Kaiser Maximilian II. bruchlos fort. Wiederum finden sich wenige Amtsträger bei gleichmäßig hoher Fluktuation 157 . Die Hofstaatsverzeichnisse Rudolfs II. von Ende 1576 weisen sechs bzw. sieben Fürschneider aus 158 , das von 1586 20, die späteren jeweils knapp über 20 159 . Die hohen Zahlen ergeben sich freilich aus der Zusammenfassung größerer Zeiteinheiten. Am 31. Dezember 1586 waren 13 von den 20 Fürschneidern bereits seit einiger Zeit nicht mehr bei Hof 160 . Die Verweildauer im Amt schwankte auch hier beträchtlich zwischen nur einem Tag und über zehn Jahren, gehäuft traten lange Dienstzeiten von fünf bis neun Jahren und kurze von unter zwei Jahren auf 161 . Auch für die Fürschneider wurde von Kaiser Matthias im Februar 1615 die Sollzahl auf zwei bzw. vier festgelegt 162 ; entsprechend weist das Verzeichnis vom 29. März 1615 die geringe Zahl von nur sechs Fürschneidern aus 163 . Anders als bei Truchsessen und Mundschenken war unter Ferdinand III. die quantitative Entwicklung bei den Fürschneidern rückläufig. Zwischen 1637 und 1657 ernannte er lediglich 20 und damit im Durchschnitt weniger als Ferdinand I. und Rudolf II. Aus den Verzeichnissen geht bereits nach 1652 keine neue Ernennung mehr hervor. Dies könnte auch eine Folge des Umstandes sein, daß spätestens seit den 1640er Jahren zunehmend die Kämmerer zu den Dienstverrichtungen der Fürschneider herangezogen wurden 164 . Unter 156 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 32 und 38. Vgl. Anm. 105. 157 1551 und 1554 waren jeweils fünf, 1560 sechs, 1567 fünf, 1569 sechs und 1574 zwei, seit 1560 von Verzeichnis zu Verzeichnis vollständig ausgetauschte Fürschneider aufgeführt; nur im Verzeichnis von 1569 sind zwei genannt, die bereits 1567 genannt wurden. 158 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 55 (sieben) und Nr. 56 (sechs). 159 Hausenblasová (2002), S. 131, 230-233. 160 HHStA, OMeA SR. K. 183, Nr. 60. 161 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 60. 162 Vgl. Anm. 144. 163 HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 77, fol. 5v. Caretto wurde als verstorben gestrichen. 164 Vgl. Kap. A.II.1.a. „Wochendienste und Präsenzzeiten“. Als am 8. Nov. 1652 Ferdinand III., Eleonora II. und Ferdinand IV. mit Kurmainz, Kurtrier, Kursachsen, Kurbrandenburg und dem Kurprinzen zu Sachsen aß, bediente an jeder Ecke des Tisches „ein fürnehmer Herr“, der das „Fürschneider ambt verichtete“, u.a. der Kämmerer (Claudio) Graf Collalto; dem Kai- <?page no="48"?> 47 Leopold I. wurden sie in den Hofstaatsverzeichnissen zu den Mundschenken gezogen 165 . Mundschenke In den Hofstaatsverzeichnissen Ferdinands I. zwischen 1639 und 1563/ 64 tauchen insgesamt etwa 35 Mundschenke auf 166 . Deren Zahl liegt damit weit über der der Kämmerer. Sie dienten in der Regel weniger lange als diese; daraus ergibt sich auch die höhere Fluktuation. Wenn man zwar anhand der Hofstaatsverzeichnisse mangels genauer Ausscheidedaten die präzise Amtsdauer nicht angeben kann, sondern wiederum auf die Zeitspannen zwischen den Verzeichnissen angewiesen ist, wird man doch festhalten können, daß mindestens ein Drittel der Mundschenke Ferdinands I. relativ langjährig, zwischen vier und fünf Jahren bis hin zu über zehn Jahre Dienst taten. Obschon die Zahl der zeitgleich in den Listen geführten Mundschenke von drei im Jahre 1539 auf bis zu zehn im Jahre 1553 anstieg 167 , pendelte sich ihre Zahl seit den späten 1550er Jahren auf vier bis sechs ein. Unter Maximilian II. trat keine bedeutsame Veränderung ein. Die Zahl der zeitgleich dienenden Mundschenke scheint sich ebenfalls im früheren Rahmen gehalten zu haben. Vor den Krönungen wurde Maximilian von vier bis sechs Mundschenken bedient, sechs weist auch das Verzeichnis von 1574 aus, 15 das von 1567, das einen größeren Zeitraum zusammenfassen dürfte, zehn das von 1569. Der weit überwiegende Teil tauchte in nur jeweils einem Verzeichnis auf, die Fluktuation war damit recht hoch 168 . Die beiden Hofstaatsverzeichnisse Kaiser Rudolfs II. vom Ende des Jahres 1576 nennen jeweils die gleichen zwölf Mundschenke 169 . Von ser warteten an der Tafel die Fürsten und Geheimen Räte Piccolomini, Dietrichstein und Lobkowitz auf, der Kaiserin der Markgraf von Baden (HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 26, fol. 13v, 14); vgl. dazu auch Bastl (1995). Auch bei der Tafel anläßlich der ungarischen Krönung Eleonoras II. am 6. Jun. 1655 versah ein kaiserlicher Kämmerer, Niklas Graf Pálffy, das Vorschneideramt, während der kaiserliche Kämmerer Leopold Graf von Hohenzollern als Mundschenk fungierte (HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 4, fol. 197). Auch bei Ferdinand II. kam es zum Vorschneidedienst durch Kämmerer bei hochrangigen Gästen (HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 20, fol. 4). Die Schemata der Tafelordnungen weisen (fol. 6 und 7) bald wieder Fürschneider aus, doch weist die Besetzung des Amtes (fol. 4) mit Kämmerern darauf hin, daß dies die Funktion, nicht die tatsächliche Besetzung wiedergeben könnte. 165 HKA, HZAB 104, fol. 119, 120. 166 Vgl. Anm. 105. 167 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 32. 168 Dagegen wurden Georg Freiherr von Eizing und Johann Alfons Castaldo in den Verzeichnissen 1567, 1569 und 1574 genannt. 169 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 55 und Nr. 56. <?page no="49"?> 48 diesen hatten vier in dem früheren gemeinsamen Hofstaat der Erzherzöge Rudolf und Ernst gedient 170 . 1586 und 1588 wiesen die Verzeichnisse jeweils etwa zehn Mundschenke aus 171 , das über den langen Zeitraum von 1601 bis 1608 geführte Verzeichnis 16; namentlich begegnen uns in den Hofstaatsverzeichnissen zwischen 1576 und 1608 etwas weniger als 30 Mundschenke 172 . Gegenüber Ferdinand I. war damit die Zahl der durchschnittlichen Ernennungen etwas gesunken. Wiederum gab es bei einigen Mundschenken sehr lange Dienstzeiten von teilweise mehr als zehn Jahren 173 . Kaiser Matthias setzte 1615 für seinen Hofstaat lediglich zwei bzw. vier Mundschenke an 174 . Das mutet wie eine scharfe Reduktion an, doch waren auch unter Rudolf II. bei der Niederschrift des Hofstaatsverzeichnisses mit dem Stichtag 31. Dezember 1586 nur drei von acht aufgeführten Mundschenken bei Hof 175 . Bei Kaiser Matthias tauchten bei ähnlich mäßiger Fluktuation etwas mehr Amtsträger auf 176 . Ferdinand III. ernannte zwischen 1628 und 1656 78 Mundschenke. Ebenso wie bei den Truchsessen erhöhte sich damit gegenüber den Verhältnissen unter Ferdinand I. und Rudolf II. die Zahl der durchschnittlichen Ernennungen pro Jahr auf etwa 3,5 Mundschenke jährlich 177 . Mundschenke Leopolds I. sind nicht mittels zusammenhängender Listen, sondern lediglich aus den Hofzahlamtsbüchern zu ermitteln. Danach hatte 170 Sforza Pallavicino, Anton und Niklas Graf Arch sowie Niklas Graf Lodron. 171 Hausenblasová (2002), S. 131, 225-228. HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 60, fol. 1-1v, und Nr. 64. Von diesen tauchen zwei als Mundschenke im Verzeichnis von 1576 auf (HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 60, fol. 1). 172 Hausenblasová (2002), S. 225-227. HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 73. 173 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 60, fol. 1-1v, verzeichnet die Dienstzeiten der kaiserlichen Mundschenke bis zum 31. Dez. 1586: Anton Graf von Arch diente danach seit dem 1. Dez. 1576, Christoph Schworowsky seit dem 1. Dez. 1576, war aber seit dem 1. Sept. 1586 nicht mehr bei Hof erschienen, Friedrich von Falckenhan diente seit dem 1. Sept. 1560, Peter Graf von Collalto vom 7. Dez. 1578, war aber seit dem 28. Jun. 1586 nicht bei Hof erschienen, Sigmund Schmiersizkhi diente als Mundschenk vom 1. Dez. 1578 und war seit dem 12. Dez. 1586 nicht bei Hof, Niklas Wolfsky war seit dem 23. Febr. 1579 Mundschenk und erschien seit dem 7. Jun. 1582 nicht mehr bei Hof, Bonifaz von Zerego diente im Dez. 1584 nur wenige Tage als Mundschenk, Alexander Bonsago hingegen seit dem 1. Jan. 1585. 174 HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 75, Teil 6, fol. 19. Hofstaat, wie er von den Räten am 22. Jan. beratschlagt und am 7. Febr. 1615 gebilligt wurde. Auch hier weist die Verordnung in ebd., Nr. 76 doppelt so viele Amtsträger aus, im Fall der Mundschenke vier. 175 Anton Graf Arch, Friedrich Falkenhan und Alexander Bonsago (vgl. HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 60, 1, 1v). 176 HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 77, fol. 5, 29. März 1615: elf Mundschenke. 177 In den Jahren 1628 und 1633 wurde jeweils nur ein Mundschenk ernannt, erst seit 1635 wurden mit Unterbrechungen in den Jahren 1638 und 1645 jährlich Amtsträger neu berufen. Der Schnitt von 1635 bis 1657 führt auf 3,43 Mundschenke jährlich, läßt man das Todesjahr Ferdinands III. aus († 2. Apr. 1657), kommt man auf einen Durschnitt von 3,59. <?page no="50"?> 49 Leopold I. nur etwa soviel Mundschenke, wie im Jahr 1615 vorgesehen worden waren. Edelknaben Daß für die Anbindung des Adels an den Kaiserhof das Institut der Edelknaben eine wichtige Rolle spielte, wird man im Hinblick auf die besonderen Umstände der Sozialisation 178 im höfischen Umfeld anerkennen. Um so bedauerlicher ist der gravierende Mangel an seriellen Quellen, aus denen die Zahl der Edelknaben und mehr noch ihre Namen hervorgehen. Da sie anders als ihre Erzieher und das sonstige für sie abgestellte Personal nicht besoldet waren, werden sie in Quellen, die dem fiskalischen Bereich entstammen, nur selten, etwa im Zusammenhang mit Abfindungszahlungen, namentlich genannt, während man im übrigen auf eine eher zufällige Überlieferung angewiesen ist. In der Zusammenschau dieser verstreuten Hinweise kann man für die kaiserlichen und königlichen Hofstaaten des 16. wie des 17. Jahrhunderts jedoch festhalten, daß die Zahl der kaiserlichen Edelknaben in der Regel zwischen zwölf und 24 lag 179 , während die jungen Erzherzöge von einer etwas geringeren, jedoch mit dem Alter zunehmenden Anzahl von Edelknaben umgeben waren 180 . 178 Vgl. zu den Pagen im französischen Adel Motley (1990), S. 21-23, 171-187. 179 Im Hofstaatsverzeichnis Ferdinands I. von 1541 wird die Zahl von zwölf Edelknaben genannt (HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 17, fol. 13v). König Matthias hatte um 1608 acht (ebd., K. 184, Nr. 74, fol. 5v), als Kaiser sah er 1615 16 Edelknaben vor (ebd., Nr. 75, Konv. 6, fol. 26). Das Verzeichnis vom 29. März 1615 vermerkte nebst Angabe einer Sollzahl von 20, daß gegenwärtig nicht mehr als zehn vorhanden seien (ebd., Nr. 77, fol. 30). Für Ferdinand II. ist ob der Bezahlung von Livreen für die kaiserlichen Edelknaben die Zahl von 24 in den späteren 1620er Jahren wahrscheinlich (HKA, HZAB 75, fol. 659*). Hurter (1850), Bd. 11, S. 670, gibt die Zahl 20 an. Ferdinand III. ließ 1655 anläßlich des Todes Eleonoras I. 16 Edelknaben seines Hofstaates mit Klagkleidung versehen, vom Hofstaat Leopolds I. sieben (HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 12, fol. 278v und 280). Rinck (1708), S. 169, schrieb für die späte Zeit Leopolds I., die Zahl der Edelknaben schwanke zwischen 18 und 24. 180 HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 8, fol. 2v, 28. Aug. 1536: acht Edelknaben bei den königlichen Kindern. Namentlich genannt sind dreißig Edelknaben der Kinder Ferdinands I. (ebd., Nr. 9, fol. 7v, 1536), 1538 zwölf (ebd., Nr. 12, fol. 18, 18v, Instruktion, 13. Okt. 1538). Diese Edelknaben dienten auch als Mundschenke und Truchsessen. Von daher versteht sich möglicherweise die Reduktion auf acht Edelknaben, und die Ernennung zwei Schenken und zwei Truchsessen (ebd., Nr. 19, fol. 4 und 8, 1543). Als Erzherzog Ferdinand 1544 ohne seinen Bruder nach Speyer reiste, verordnete der Kaiser vier Edelknaben, einen Stäblmeister und zwei Mundschenke, mehrere Fürschneider und Truchsessen (ebd., Nr. 20, fol. 3-4v). Der Thronfolger, Erzherzog Maximilian, erhielt für den Feldzug gegen Frankreich im Jahr 1544 einen kleinen Hofstaat mit acht Edelknaben und drei Kämmerern, einem Mundschenk, einem Fürschneider, sieben Truchsessen zzgl. weiteres adeliges Hofgesinde (ebd., Nr. 21, fol. 3-5). 1539 waren es ebenfalls zwölf Edelknaben (ebd., Nr. 14, fol. 4v, 1. Apr. 1539). Für Maximilian als König von Böhmen waren von Kaiser Ferdinand I. 16 Edelknaben vorgesehen (ebd., Nr. 28, fol. 36). Für den Hofstaat des Erzherzogs Johann wurden in der Instruktion vom 23. <?page no="51"?> 50 c. Kämmerer Die Besetzung des Kämmereramtes unterlag einer dem „Diener von Adel ohne Amt“ entgegengesetzten Entwicklung. War es im 16. Jahrhundert zunächst dünn besetzt, zeigte sich später eine zunehmend höhere Fluktuation, bis unter Ferdinand II. das Amt an hunderte von Adeligen verliehen wurde, was unter seinen Nachfolgern fortgesetzt und nach einer Konsolidierung auf hohem Niveau unter Ferdinand III. - seit Leopold I. noch weiter verstärkt wurde. Die Hofstaatsordnung Ferdinands I. von 1527 sah neben dem Oberstkämmerer lediglich die Bestellung dreier „ehrlicher ansehenlich person vom adel“ vor 181 . Diese Bestimmung wurde mit einer leichten Modifikation in der Ordnung von 1537 aufrechterhalten 182 und bis wenigstens 1541 wohl auch befolgt. 1544 tauchten neben dem Oberstkämmerer erstmals fünf Kämmerer auf. Diese Zahl erhöhte sich unter Ferdinand I. zu Anfang der 1550er Jahre auf acht, hielt sich später aber zumeist bei fünf oder sechs Kämmerern 183 . Okt. 1538 13 Edelknaben namentlich genannt, für den der Erzherzoginnen namentlich zwölf Edeljungfrauen (ebd., Nr. 13, fol. 3, 3v). Die Erzherzogin Anna sollten auf ihrer Reise zu ihrem Gemahl neben adeligen Jungfrauen acht Edelknaben begleiten (ebd., K. 183, Nr. 49, fol. 1v, 8). Maximilian II. sah für seine Söhne Rudolf und Ernst acht Edelknaben vor (ebd., K. 182, Nr. 41, fol. 7v, 1561). Erzherzog Ernst war vor seiner Reise in die Niederlande 1594 von 13 Edelknaben umgeben (ebd., K. 183, Nr. 67, fol. 2). Erzherzog Leopold Wilhelm kleidete in den späten 1620er Jahren sechs Edelknaben ein (HKA, HZAB 75, fol. 640, 641*). Ferdinand IV. hatte vor seiner Krönung zum böhmischen König 1646 neben acht Kämmerern drei Edelknaben (HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 82, fol. 1v). 181 Fellner (1907b), S. 108. Vgl. die Umsetzung im Hofstaatsverzeichnis Ferdinands I. von 1527/ 28 (ebd., S. 147 ff., S. 149; HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 5, fol. 4v). 182 HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 10, fol. 17v. Es waren nunmehr neben dem Oberstkämmerer ein Amtsverwalter für den Fall von dessen Abwesenheit sowie zwei Kämmerer vorgesehen. Dort findet sich ein früher Hinweis auf die Eingrenzung des amtsfähigen Personenkreises auf den höheren Adel bzw. auf den Herrenstand: Es sollten die Personen Grafen, Herren oder von Adel sein. Die Modifikation schlug sich im Hofstaatsverzeichnis von 1550 nieder, als der spätere Oberstkämmerer neben dem Oberstkämmerer als vorderster Kämmerer hervorgehoben wurde (HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 27, fol. 9), weshalb im folgenden der mutmaßliche Vertreter als Kämmerer gezählt wird. 183 HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 22 (1544), fol. 9, 9v: fünf Kämmerer; ebd., Nr. 23 (1545), fol. 9v, 10: fünf; ebd., Nr. 27 (1550), fol. 9, 9v: sieben zuzüglich vorderster Kämmerer; ebd., K. 182, Nr. 30 (1551), fol. 7v: fünf besoldete, zwei unbesoldete; ebd., Nr. 32 (1553), fol. 14: in der ersten Hand sechs Kämmerer, von späterer Hand eine Streichung, eine Hinzufügung; ebd., Nr. 35 (1554) [=ebd., K. 181, Nr. 26, fol. 13v: von erster Hand sechs, von späterer eine Streichung; HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 30 [bei Einsicht in K. 182, im Behelf nicht enthalten] (1556), fol. 121v: fünf; ebendort findet sich ein weiteres im Behelf nicht erwähntes Verzeichnis: fol. 32v-33v: fünf; ebd., K. 182, Nr. 37 (1557), fol. 5v: sechs; ebd., Nr. 38 (1558) (Abweichungen zu Nr. 38 in der Teiledition bei Fellner (1907b), S. 175 ff. in den Anmerkungen): von erster Hand sechs, von späterer Hand eine Streichung; ebd., K. 182, Nr. 45 (nach fol. 36 um 1560), fol. 23v: fünf; ebd., Nr. 45b (1563/ 64), fol. 5: fünf. Die Angaben beziehen in der Regel die Nennung des Oberstkämmerers ein. Vgl. Anm. 105. <?page no="52"?> 51 Die zahlreichen Nachträge und Streichungen in den Hofstaatsverzeichnissen zeigen, daß der Auflösungsgrad der Hofstaatsverzeichnise die Verhältnisse hinsichtlich des tatsächlichen Dienstes nicht sehr präzise wiedergeben konnte, obwohl sie im Abstand von nur sehr wenigen Jahren immer wieder neu aufgenommen wurden. Ein den Zeitraum von zwei Monaten abdeckendes erhaltenes Soldverzeichnis von 1554 bestärkt diesen Eindruck: Hier sind neben dem Oberstkämmerer - in Entsprechung zur Ordnung lediglich drei, im Hofstaatsverzeichnis von 1554 hingegen drei weitere, bereits 1553 aufgeführte Kämmerer genannt 184 . Die lückenlose Präsenz einzelner Kämmerer wurde demnach offenbar schon zu diesem frühen Zeitpunkt nicht vorausgesetzt 185 . Es steht daher zu vermuten, daß etwa fünf bis sechs Personen erforderlich waren, um die Ausfüllung der drei vorgesehenen Kämmererstellen sicherzustellen. Die Systematik der Hofstaatsverzeichnisse des 16. Jahrhunderts erlaubt dabei eine Darstellung der vergleichsweise geringen Personalfluktuation (Tabelle 1) 186 . Der Hofstaat Maximilians II. macht im Kämmereramt bedeutsame Veränderungen sichtbar. Zunächst ist die hier erstmals explizit aufscheinende Differenzierung zwischen tatsächlich diensttuenden Kämmerern und solchen hervorzuheben, die weiterhin als Kämmerer geführt wurden, aber den Dienst nicht mehr versahen. Die Verzeichnisse von 1576 trennen die Kämmerer in zwei Gruppen und beschreiben die erste wie folgt: „Diese hernach volgende Personen sollen gleichwol den Schlissel zu unnserer Cammer haben, dörffen aber nit diennen.“ 187 Die so bezeichneten Kämmerer hatten nach Ausweis der früheren Hofstaatsverzeichnisse zuvor den Dienst versehen 188 , behielten nach dem Ausschei- 184 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 34 (Febr. 1554), fol. 7, 7v, und Anm. 203. 185 Für den Oberstkämmerer gab es eine Vertretungsordnung (HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 10 (1537), fol. 17v; nicht in der Teiledition Fellner (1907b), S. 116 ff.). 186 X: eingetragen, N: später nachgetragen, G: später gestrichen, T: Monatsverzeichnis, P: ÖNB, Cod. ser. nov. 3360, Q: ÖNB, Cod. ser. nov. 3359. Zwischen 1539 und 1563/ 64 wurden in den Verzeichnissen (vgl. Anm. 105), nur 15 Kämmerer verzeichnet. A Martin Guzman, B Georg Graf Polheim, C Zd'nek Heinrich Berkha, D Ott von Neudegg, E Adam von Schwetkowitz, F Eck Graf von Salm, G Markgraf Philipp (verm. von Baden), H Joachim von Neuhaus (ohne Sold Kolonne 1-3), I Stanislaus Pernstein (ohne Sold Kolonne 1-3) , J Peter von Macedonia, K Herr von Kreidt, L Johann von Heissenstein, M Ladislaus Popel von Lobkowitz, N Georg Graf zu Nagerol, O Hans von Welsperg. 187 HHStA, FA AP, A-II-26, Hofstaatsverzeichnis Maximilians II. (Wien, 26. Dez. 1574, p. 139); ebd., OMeA SR, K. 182, Nr. 50 (Wien, 26. Dez. 1574), fol. 69. 188 Dies ist sicher für Peter Molart, Wratislaus von Pernstein, Ludwig Ungnad, Berchtold von der Leipp und Peter Rosenberg, wegen des größeren zeitlichen Abstandes zwischen den Hofstaaten unsicher für Leonhard d.Ä. von Harrach. <?page no="53"?> 52 den aus dem aktiven Dienst die Amtsbezeichnung und wurden weiterhin als Mitglieder des Hofstaates geführt 189 . 39 41 44 45 50 51 53 54 54 56 56 56 57 58 P Q 60 63/ 4 A X X X X X B X X X X C X X X X G D X X X X X X X T X X X X X X X X X X E X X X X X X X X G F X X X T X X X X X X X X X G X X H X X X X I N X X X J X T X X X X X X X X X K X X X X X L X X X X X X X M X X N X O X Tabelle 1: Kämmerer Ferdinands I., Fluktuation 1539-1563/ 64 Dies bedeutet eine Steigerung gegenüber den „Dienern von Adel ohne Amt“, die nur als Hofgesinde betrachtet wurden, wenn sie nach ihrem Abschied von Hof wieder an den Hof kämen 190 , also am Hof wieder präsent waren. Als Beispiel wäre der als böhmischer Oberstkanzler in Prag residierende und nicht mehr diensttuende Kämmerer Wratislaus von Pernstein anzuführen, der weiterhin als Kämmerer betrachtet wurde. Ob man die Mitgliedschaft im Hofstaat auch bei längerer Abwesenheit behielt oder nicht, macht jedoch offenbar einen Unterschied 191 . 189 Soweit die späteren Bezeichnungen „Ehrenkämmerer“ und „Titularkämmerer“ den Umstand, daß einige Kämmerer den Dienst früher versehen hatten, andere dagegen nie Dienst versahen, pauschalisieren, geben sie den Sachverhalt nicht treffend wieder. Auch unter Ferdinand I. läßt sich der Fall nicht mit Sicherheit ausschließen, daß nicht mehr diensttuende Kämmerer in den neuen Hofstaatsverzeichnissen neu aufgeführt wurden. Dagegen spricht aber neben der absoluten Zahl von meist nur fünf oder sechs Kämmerern, die eine umschichtige Bedienung mit drei Kämmerern wohl erforderte, der Umstand, daß Adam von Schwetkowiz in zwei Hofstaatsverzeichnissen nicht, später aber wieder erwähnt wird (HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 36c und Nr. 36d (1556); wieder erwähnt ebd., Nr. 37 (1557), fol. 5v). 190 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 39 (Febr. 1560, Maximilian II.), fol. 63v. 191 Vgl. dazu Teil II. <?page no="54"?> 53 Spätestens mit dieser Differenzierung etwa erstreckte sich die Auffassung, daß Hofämter in der Regel nur mit dem Tod des Fürsten bzw. des Amtsinhabers erloschen, auch auf die Kämmerer. In engem Zusammenhang mit der Differenzierung der Kämmerer steht der weitere Anstieg ihrer Zahl. Bereits das erste Verzeichnis des nicht nur vorübergehend eigenen Hofstaates Maximilians II. enthielt mit sieben mehr als die ursprünglich vorgesehenen drei Kämmerer 192 . Darüber hinaus setzte sich der immer noch moderate Anstieg der Zahl der diensttuenden Kämmerer bis auf zwölf im Jahr 1576 fort 193 . Insgesamt bestellte Maximilian II. zwischen 1554 und 1576 ca. 25 Kämmerer und damit verhältnismäßig etwas mehr als Ferdinand I. Weiter ist hervorzuheben, daß unter Maximilian der Anteil von Hochadeligen im Kämmereramt ganz erheblich auf etwa die Hälfte anstieg. Unter Rudolf II. stabilisierte sich die Zahl der diensttuenden Kämmerer; in den rund vierzig Jahren seiner Regierungszeit bestellte der Kaiser insgesamt knapp 60, im letzten Jahrzehnt seiner Regierungszeit etwa 15 Kämmerer, also nur wenig mehr als einen im Jahr. Damit hielt er sich im Rahmen des unter Maximilian II. üblichen. Auch bei Rudolf II. war der Personalstand in diesem Amt demnach sehr stabil. Ein expliziter Hinweis auf die Trennung von aktiven und nicht diensttuenden Kämmerern fand sich in den benutzten Hofstaatsverzeichnissen nicht 194 . Indes taucht auch bei Rudolf II. eine später wiederkehrende Neuerung auf: Waren die Kämmerer bisher besoldet, wird für Georg Popel von Lobkowitz in dem Hofstaatsverzeichnis von 1576 vermerkt: „dient one Besoldung“ 195 . Wenn dies auch unter Rudolf II. noch ein Einzelfall war, war mit der Ausnahme von der Regel der Besoldung des Hofdienstes eine Erleichterung der späteren überaus großzügigen Vergabepraxis gegeben. Damit war eine zusätzliche Differenzierung in der Gruppe der 192 HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 33 (Wien, 1. Jan. 1554), fol. 22v, 23. Er übernahm dabei die meisten Kämmerer des gemeinsamen Hofstaates (ebd., Nr. 28 (Wien, 1. Jun. 1551), fol. 29v). 1544 hatte er reisebedingt einen eigenen Hofstaat mit drei Kämmerern (ebd., Nr. 21, Speyer, 31. Mai 1544), von denen Peter Molart in einem der Hofstaatsverzeichnisse von 1574 als nicht (mehr) dienstberechtiger Kämmerer Erwähnung fand (vgl. ebd., FA AP, A-II-26, Maximilian, Wien, 26. Dez. 1574, p. 140). Im Verzeichnis gleichen Datums ebd., OMeA SR, K. 182, Nr. 50, das Nachträge bis 1576 enthält, taucht er als Kämmerer nicht auf. 193 HHStA, OMeA SR, K. 182, Nr. 50 (Wien, 26. Dez. 1574; Nachträge bis 1576), fol. 70- 71v. 1560 wies das Hofstaatsverzeichnis zunächst sieben Kämmerer auf, zu denen später zwei nachgetragen wurden (ebd., Nr. 39 (Febr. 1560), fol. 53, 53v). Das Verzeichnis von 1569 weist gegenüber dem von 1574 nur sehr geringfügige Personalstandsänderungen auf. ÖNB, Cod. 13621, fol. 75-77v. 194 Vgl. Hausenblasová (2002), 394-401. 195 HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 55 (Linz, 12. Dez. 1576), fol. 75. <?page no="55"?> 54 Kämmerer zwischen besoldeten und unbesoldeten, den wirklich diensttuenden und den übrigen Kämmerern erreicht. Kaiser Matthias billigte im Februar 1615 Richtlinien für die Gestaltung seines Hofstaates, welche die Neuerungen, die sich seit der Hofordnung Ferdinands I. ergeben hatten, festschrieben. Danach sollte sich die Zahl der gewöhnlich wirklich diensttuenden Kämmerer auf zehn belaufen und sich damit auf dem unter Kaiser Maximilian II. erreichten Niveau halten. Die übrigen Kämmerer, deren „keine gewisse Zahl“ war, sollten keinen Sold erhalten und wurden in der Richtlinie als „Titulares“ bezeichnet 196 . Fraglich ist, ob Matthias damit die Fluktuation zwischen den in Reserve stehenden Kämmerern und den jeweils wirklich dienenden beenden wollte, die unter Rudolf II. üblich gewesen war, oder ob er an die unter Maximilian II. etablierte Gruppe der zwar mit dem Schlüssel versehenen, aber zum Dienst nicht mehr bestellten Kämmerer anschließen wollte. Daß wie bei Maximilian II. „Titulares“ den „Ehrenschlüssel“ haben und in eine eigene Rubrik eingestellt werden sollten 197 , spricht für eine Anlehnung an die Situation unter Maximilian II. Dort war die Grenze zwischen den beiden Gruppen aber anders als bei Matthias scharf gezogen („dörffen aber nit diennen“): Das im März 1615 aufgerichtete und später fortgeschriebene Hofstaatsverzeichnis macht deutlich, daß eine Trennung zwischen den „Ordinari würcklich dienend unnd besoldte[n] Camerer[n]“ und der Gruppe der „Camerer, die den Ehrenschlüßl haben“ 198 zwar nunmehr etabliert, in der Praxis jedoch ebenso fließend war wie die Trennung zwischen besoldet dienenden und unbesoldet dienenden Kämmerern. So war bei Gundaker von Liechtenstein, der in die Gruppe der wirklich dienenden Kämmerer eingereiht war, angemerkt, daß dieser ohne Besoldung diene; seine Umstellung in die Gruppe der Ehrenkämmerer kann sich auf das Ende seines Dienens beziehen, aber ebenso bedeuten, daß er nunmehr als unbesoldeter, doch diensttuender Kämmerer geführt wurde. Daß die Grenze zwischen diesen Gruppen fließend blieb und von der Praxis unter Rudolf II. nicht grundlegend abwich, zeigt der Umstand, 196 Die Unterlagen zur Reform sowie die Beschlüsse sind in HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 75 zusammengefaßt; das Zitat: fol. 24v. Die gleiche Anordnung wurde in der auf dieser Grundlage gefertigten Hofstaatsverordnung getroffen (7. Febr. 1615, fol. 9). Vgl. zur Reform Mitis (1908) und Winkelbauer (1999a), S. 174, 176, 208-216. 197 HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 75 (7. Febr. 1615), fol. 24v. 198 HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 77 (29. März 1615), fol. 26, 26v. Es ist fraglich, ob mit dieser Bezeichnung gemeint war, daß diese den Kämmererschlüssel tatsächlich nicht mehr abgeben mußten. Vgl. zu den Schlüsseln Anm. 337. <?page no="56"?> 55 daß drei Kämmerer in beiden Gruppen aufgeführt wurden. Der Verfasser des Hofstaatsverzeichnisses reihte sie zunächst in die der wirklich dienenden und besoldeten Kämmerer ein und führte sie sodann in der anderen an. Angefügt wurde danach bei den dreien der Zusatz „ist besoldt“, was zu ihrer Streichung in dieser Rubrik führte 199 . Bei der Erstellung des Hofstaatsverzeichnisses hatte der Verfasser offenbar keine genaue Vorstellung von der richtigen Einordnung. Hing diese vom tatsächlichen Dienst ab, gab die Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen nicht mehr als den Hinweis auf eben diesen aktuellen Dienst und, wie das Beispiel Liechtensteins zeigt, nur in der Regel einen Hinweis auf eine tatsächliche Besoldung. Man wird als Ergebnis das Bemühen um eine klare Differenzierung festhalten können, die sich in der Praxis jedoch wegen der fallweise erteilten Zulassung zum tatsächlichen Dienst von Kämmerern aus der Gruppe der nur zeitweise richtigerweise so bezeichneten „Titulares“ nicht durchhalten ließ. Wer „ordinari“ wirklich diente und wer extraordinari, ließ sich ex ante, ohne Beobachtung der Praxis, kaum treffend beschreiben. Andererseits hielt sich Matthias als Kaiser nicht an die Begrenzung auf zehn Kämmerer. Es fanden sich bereits in der von erster Hand erstellten Liste der wirklich dienenden Kämmerer aus dem Jahr 1615 zwölf Kämmerer 200 . Damit ging er über das insofern unter Maximilian II. erreichte Niveau jedoch nur sehr geringfügig hinaus und wahrte dieses auch hinsichtlich der neuen Bestellungen 201 . Nimmt man die 17 Kämmerer der anderen Gruppe hinzu, kommt man nach dem Verzeichnis für Kaiser Matthias für März 1615 auf einen Stand von insgesamt etwa 30 Kämmerern 202 . Darin sind von den 15 Kämmerern, die sein Hofstaat auf seiner Reise nach Innsbruck umfaßte 203 , 14 gar nicht (auch nicht als Kämmerer mit dem Ehrenschlüssel) enthalten. Insgesamt dürfte Matthias damit zwischen etwa 1600 und 1615 knapp 50 Kämmerer bestellt haben, was im Verhältnis zu seinen Vorgängern einen neuen quantitativen Höhepunkt bezeichnet und aufgrund der Differenzierungsform zudem eine neue Qualität hatte. 199 HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 77 (29. März 1615), fol. 26, 26v. 200 HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 77 (29. März 1615), fol. 26, 26v. Hinzu kommen von späterer Hand zwei Nachträge (Hans von Molart und Seyfried Leonhard Breuner). 201 Zum besoldeten Dienst wurden neue Kämmerer nach Ausweis der Hofzahlamtsbücher etwa in der Größenordnung wie bei Maximilian II. bestellt (HKA, HZAB 64, 66). 202 Bei den 17 sind die drei auch in der ersten Gruppe erwähnten (Wilhelm Vratislav, Burian Berka, Ferdinand Castelleti) nicht mitgezählt, bei den zwölf der ersten Gruppe nicht die beiden Nachträge von späterer Hand. 203 HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 74 (Hofstaat Erzherzog Matthias, Reise nach Innsbruck vor 1608), fol. 2-3; hier wurde noch nicht zwischen Kämmerergruppen differenziert. <?page no="57"?> 56 Mit dem Wechsel zur innerösterreichischen Linie des Hauses Habsburg änderte sich die Situation im Kämmereramt grundlegend. Mit Kaiser Ferdinand II. begann das bis dahin ungekannte Wachstum der Zahl der Kämmerer, wodurch das breitenwirksame Anbindungsmuster des kaiserlichen Hofes des 16. Jahrhunderts abgelöst und auf das Amt des Kämmerers konzentriert wurde. Der Grund für diesen Wandel scheint in der Struktur des Grazer Hofes zu liegen. Die Hofstaatsverzeichnisse Karls II. in Innerösterreich zeigen, daß sich die Zahl der Kämmerer innerhalb des Rahmens des am Kaiserhof üblichen hielten: Jenes von 1587 wies acht auf, 13 das von 1590 204 . Unter Ferdinand von Innerösterreich, dem späteren Kaiser Ferdinand II., blieb es zunächst bei einer moderaten Besetzung. Im Hofstaatsverzeichnis von 1596 waren ursprünglich sogar nur zwei Kämmerer verzeichnet 205 , doch stieg die Zahl bis 1606 auf über 20 206 . 1606 wurden zehn Kämmerer neu verzeichnet, bis einschließlich 1610 jedoch nur sechs. Das Hofstaatsverzeichnis von 1619, das aus dem Dienst ausgeschiedene Kämmerer wegzulassen scheint, führte - wohl deshalb - lediglich 22 besoldete Kämmerer auf 207 . Nach Ausweis der einzigen mir bekannt gewordenen, die gesamte Regierungzeit umfassenden Kämmererliste Ferdinands II., ernannte dieser zwischen 1610 und 1616 durchschnittlich etwa 7,5 Kämmerer jährlich. Die drei Krönungsjahre (Ungarn 1617, Böhmen 1618, Reich 1619) markieren eine Wende. Zwar sind die absoluten Zahlen bereits außergewöhnlich. Noch bedeutsamer aber dürfte der Umstand sein, daß sich die Ernennungen danach auf einem sehr hohen Niveau stabilisierten. Zwischen 1620 und 1635 ernannte Ferdinand II. jährlich durchschnittlich etwas mehr als 28 Kämmerer; rechnet man von 1620 bis 1634, kommt man auf durchschnittlich über 26 Ernennungen jährlich. Dies und die daraus resultierenden absoluten Zahlen der Ernennungen von 204 Hofstaatsverzeichnis Karls II. von 1574 (Thiel (1916), S. 175 ff.): sieben Kämmerer; HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 63 (1587) (Fellner (1907b), S. 190 ff. und Hurter (1850), Bd. 1, S. 586 ff.), fol. 24v: acht; HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 63b (1587), fol. 6v: zwölf; ebd., Nr. 69 (1590) (Thiel (1916), S. 181 ff.), fol. 6-7: 13; HHStA, OMeA SR, K. 183, Nr. 69 (1595): sechs bzw. sieben Kämmerer. 205 Hofstaatsverzeichnis Graz 1. Jan. 1596 (Thiel (1916), S. 192 ff., S. 196). 206 HHStA, OKäA, C/ F 1, fol. 5, 5v. Das Verzeichnis wurde gegen Ende der Regierungszeit Ferdinands II. in einem Zug verfaßt. So wird etwa für das Jahr 1614 Albrecht Wenzel Eusebius Waldstein als Fürst von Friedland geführt (fol. 6v). Vgl. auch die vielen Kämmerer, die den Erzherzog 1611 zur Hochzeit von König Matthias begleiteten (Schollich (1911), S. 182, 183). 207 ÖNB, Cod. 8102, fol. 5-6. <?page no="58"?> 57 kumulativ über 670 machten den Wandel gegenüber den Vorgängern auf dem Kaiserthron überdeutlich (Graph 1) 208 . Graph 1: Kämmerer Ferdinands II., Ernennungen 1606-1635 Im Bedeutungsverlust der Gruppe der „Diener von Adel ohne Amt“ flossen kaiserliche Tradition und ihre schwache Stellung am Grazer Hof zusammen. Die Institution stand weder als vielversprechendes Modell noch als eigene Tradition zur Verfügung. Überdies mußte sich das Interesse des erbländischen Adels in dem Maße, in dem er durch die kaiserliche Nobilitierungswelle seit den 1620er Jahren hohe Adelsränge erklomm, auf das nunmehr adäquate Kämmereramt richten, das bereits seit der Hofordnung Ferdinands I. von 1537 explizit auf den Hochadel fokussiert war 209 . Die Stellung als „Diener von Adel ohne Amt“ konnte zumal in Anbetracht des bereits in der kaiserlichen Tradition abgesunkenen Status der entsprechenden Personen immer weniger genügen. Von daher nimmt es nicht wunder, wenn die großzügige Ernennung von Kämmerern im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts Schule machte, so eine neue Tradition für die Anbindung des an den Hof kommenden Adels begründete und damit zugleich die kaiserliche Tradition fortgeschrieben werden konnte. 208 Die Rechnungen beruhen auf HHStA, OKäA C/ F 1, Namensliste bei Pickl von Witkenberg (ca. 1903/ 04), S. 58-84; der „status particularis“ wurde nicht berücksichtigt, vgl. Anm. 227. 209 HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 10 (1. Jan. 1537), fol. 17v. Danach sollten die Kämmerer aus dem Grafen- oder Herrenstand oder von Adel sein, während 1527 drei „erliche ansehenlich person vom adel“ noch ausgereicht hatten (Fellner (1907b), S. 108). 0 20 40 60 80 1606 1608 1610 1612 1614 1616 1618 1620 1622 1624 1626 1628 1630 1632 1634 <?page no="59"?> 58 Ferdinand III. setzte die von seinem Vater begonnene Praxis einer großzügigen Verleihung des Kämmereramtes in weit moderaterer Form fort; die relative Verringerung scheint mit den starken Erhöhungen der Ernennungszahlen im Truchsessen- und Fürschneideramt aufgefangen worden zu sein. Die Zahl seiner wirklichen Kämmerer belief sich zwischen 1615 und 1657 auf insgesamt etwa 280 Kämmerer 210 . Bis zu seiner ungarischen Krönung im Jahr 1625 hielt sich die Zahl seiner Kämmerer im Rahmen des für Thronfolger auch im 16. Jahrhundert üblichen. Die Jahre zwischen 1625 und der böhmischen Krönung 1627 markieren einen ersten stärkeren, jedoch nicht anhaltenden Anstieg der Ernennungen. Erst das Jahr der Übernahme des Befehls über die kaiserliche Armee 1634 sowie der Regierung im Jahr 1637 brachte eine fortgesetzte Steigerung, deren starke Schwankungen auf steigendem Niveau bemerkenswert sind. Blieb es in den Jahren 1638 bis 1645 bei durchschnittlich 5,5 Ernennungen jährlich, wurden in den Jahren 1647 bis 1656 durchschnittlich 15,4 Kämmerer im Jahr ernannt. Das Jahr 1646, selbst als Jahr überdurchschnittlich zahlreicher Ernennungen aus Anlaß des ungarischen Landtags von 1646/ 47 bemerkenswert, markiert damit den erheblichen Niveauunterschied zwischen den beiden Jahrzehnten der Regierung Ferdinands III. Ungeachtet der Schwankungen zeigt sich eine deutliche Tendenz, die, wenn auch bei weit niedrigeren absoluten Zahlen, an die Praxis Ferdinands II. anschloß (Graph 2). Für Ferdinand IV. (1633-1654) liegen insofern nur wenige Quellen vor. Dennoch ist erkennbar, daß die Entwicklung, welche die Besetzung des Kämmereramtes unter seinem Vater genommen hatte, auf etwas niedrigerem Zahlenniveau nachvollzogen wurde 211 . Im Jahr 1650 (zwischen den ersten beiden Königskrönungen in den Jahren 1646 (Böhmen) und 1647 (Ungarn) und der römisch-deutschen im Jahr 1653) hatte Ferdinand IV. etwa 20 Kämmerer 212 . Bei seinem Tode 1654, im Jahr nach der Krönung zum römisch-deutschen König, zählte sein Hofstaat etwa 50 Kämmerer 213 . 210 Kumulativ, d.h. einschließlich der Verstorbenen. Vgl. die Listen in APP. 211 Vgl. Listen in APP. Während der Reise Ferdinands IV. nach Mailand war die Personaldecke an königlichen Kämmerern sehr dünn. Einer von ihnen, Franz Ernst Molart, berichtete, der Kämmerer Maradas sei bisweilen krank, so daß er selbst und Rabatta meist allein in der Kammer und sonst dienen müßten (AVA, FA TM, K. 119, Rechnungen für den Hofhalt 1649, Molart an Maximilian Graf Trauttmansdorff, Trient, 29. März 1649). 212 Caprara und Lodron, bei Buccellini (1655) an 18. und 22. Stelle (den Oberstkämmerer Joseph Graf Rabatta eingezählt), wurden beide 1650 ernannt; Caprara Anfang Apr. 1650 (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12424 19/ 2, Raimondo Montecucoli an Ottavio Piccolomini, Wien, 6 IV 1650), Lodron im Okt. 1650 (ASV, SG, 148, 22. Okt. 1650). 213 Buccellini (1655), S. 282. <?page no="60"?> 59 Graph 2: Wirkliche Kämmerer Ferdinands III., Ernennungen 1620-1657 Unter Leopold I. dagegen erreichte die Besetzung des Kämmereramtes wieder jene Größenordnung, die unter Ferdinand II. gegeben war. In nur drei Jahren, zwischen dem Tod des älteren Bruders, durch welchen er 1654 in der Thronfolge an die erste Stelle gerückt war, bis zum Juli 1657, wurden für seinen Hofstaat über 60 Kämmerer ernannt, der damit das Niveau aufwies, das auch sein Vater im Jahr nach seiner Krönung erreicht hatte. Die Ernennungszahlen stabilisierten sich jedoch, auch wenn man die extrem ernennngsstarken Jahre 1657 und 1665 nicht einrechnet, auf etwa dem Niveau, das Ferdinand III. in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit erreicht hatte, und stiegen dann langsam weiter an. So wurden in den Jahren 1658 bis 1664 durchschnittlich etwa fünfzehn Ernennungen pro Jahr vorgenommen; zwischen 1677 und 1685 wurden im Schnitt bereits über 25 Kämmerer im Jahr ernannt, bis 1685 waren es über 600 Kämmerer 214 . d. Geheime Räte Der Geheime Rat als institutionalisiertes Gremium ist etwa seit den frühen 1520er Jahren faßbar 215 . Er trat im Verlaufe des 16. Jahrhunderts als 214 Vgl. Listen in APP. Besonders bis 1657 sind zahlreiche Kämmerer nicht eindeutig bestimmten Ernennungsjahrgängen zuzuordnen. 215 1522/ 23: Bernhard Cles als Präsident des Geheimen Rates (Rill (1987), S. 13 und 43, Anm. 54). Vgl. zur Frühzeit des Geheimrats Schwarz (1943), 53-57, und Sienell (2001a), S. 26-30. 0 5 10 15 20 25 1620 1623 1626 1629 1632 1635 1638 1641 1644 1647 1650 1653 1656 <?page no="61"?> 60 vornehmlich adelig 216 besetztes Gremium hervor. Die zahlenmäßige Entwicklung des Geheimen Rates verlief im 16. Jahrhundert sehr moderat. Erst um 1550 wurden in den Hofstaatsverzeichnissen mehrere Personen, explizit fünf, als Geheime Räte bezeichnet, während sich zuvor nur einzelne Nennungen finden 217 . Das Hofstaatsverzeichnis von 1553 weist als erstes eine eigene Rubrik „Gehaimrat“ auf. Wieviele Geheime Räte es nach dieser Hofordnung jedoch gab, kann wiederum nicht mit völliger Sicherheit geklärt werden. Doch gibt es Hinweise darauf, daß es in der Regel ungefähr vier oder fünf gewesen sein könnten 218 . Erst 1567 unter Kaiser Maximilian II. werden explizit sechs Geheime Räte genannt 219 . 1588 unter Rudolf II. läßt sich eine ähnliche Größenordnung finden 220 . Matthias versammelte 1615 einen Geheimen Rat mit mehr als zehn Personen 221 . Dieser Wandel könnte auch aus der Konkurrenz mit Rudolf II. erwachsen sein: Rudolf II. hatte seinem Bruder zwar einen Hofrat nach Art des Reichshofrats, nicht aber Ratgeber und damit einen Geheimen Rat verweigern können 222 . 216 Hofstaatsverzeichnisse 1550, 1551 (Fellner (1907b), S. 168) und 1567 (ebd., S. 188). 217 Fellner (1907b), S. 168. Es sind dies der Oberste Kanzler des Königreiches Böhmen und vier in der entsprechenden Rubrik eingestellte Personen. In den Ordnungen von 1539, 1541, 1544, 1545 und 1545/ 50 ist als Geheimer Rat jeweils nur eine Person bezeichnet (ebd., S. 156, 161, 164). Die Formulierung des Plurals in den Hofstaatsordnungen von 1544 und 1545, nach der das Verzeichnis den „Ordinari hofstaat röm. kgl. M t . etc. gehaimen und ander räte“ wiedergibt (ebd., S. 160), läßt vermuten, daß das Amt mehrfach besetzt war. 218 Die Interpretationsmöglichkeiten reichen dabei von Null, da keine Person den Titel eigens bei sich führt, bis zu zwei bis vier, da unter der Überschrift „Gehaimrat“ die unbesetzte Obersthofmeisterstelle und der Oberste Kanzler in Böhmen sowie der Freiherr Hans Hofman von Grünpuhl und schließlich die unbesetzte Stelle des Hofmarschalls erwähnt werden, bevor es mit den Hofräten in der Liste weitergeht (Fellner (1907b), S. 171, 172). 219 Fellner (1907b), S. 188, 189: Der Obersthofmeister außerhalb der Rubrik „Gehaime rät“, innerhalb dieser vier weitere, darunter zwei Juristen sowie wiederum der Hofvizekanzler. Das Problem der Versehung zweier Ämter, des Geheimen Rates sowie eines hohen Hofamtes, stellte die Verfasser der Verzeichnisse vor die Frage, wo man Geheime Räte aufführen sollte, als Mitglieder im Geheimen Rat und dann nicht dort, wo ihr Verwaltungsamt lag oder ebendort unter Nennung der Zusatzfunktion (vgl. ebd., S. 189, Anm. 2). 220 Fellner (1907b), S. 199. Explizit sind in diesem Hofstaatsverzeichnis vier Geheime Räte gezählt; 1576 waren es nur zwei oder drei: zwei Juristen sowie möglicherweise (dort, wo das Amt aufgeführt würde, ist im Verzeichnis eine Lücke) der Obersthofmeister (ebd., S. 191, 192). Der Geheime Rat erfuhr unter Rudolf II. in den letzten Regierungsjahren „its practical dissolution as a corporate body“ (Schwarz (1943), S. 69), was über die Zahl der Mitglieder noch nichts sagt; vgl. Schwarz (1943), S. 111: „For almost a century the number of Coucillors was rarely if ever greater than eight, and usually less.“. Sienell (2001a), S. 30, gibt für das 16. Jahrhundert „üblicherweise nur vier bis sechs“ Geheime Räte an. 221 Fellner (1907b), S. 202, 203: Der Obersthofmeister, acht Personen in der Rubrik „Gehaimbe räth“ und der Hofmarschall. Möglicherweise kommt der Böhmische Kanzler, der als „rath“ bezeichnet wird, sonst aber oft auch Geheimer Rat war, noch hinzu. 222 Schwarz (1943), S. 64-66. <?page no="62"?> 61 Die Nachfolge Ferdinands II. auf Kaiser Matthias war derjenigen Matthias’ auf Rudolf II. insofern ähnlich, als jeweils nicht der Sohn Nachfolger war, der ungeachtet des Abdankungsprinzips und der üblichen eigenen Hofstaatsführung schon als Thronfolger auf eine kontinuierliche Weiterführung der bestehenden Verhältnisse vorbereitet worden wäre. Beide hatten unabhängige Hofstaaten, die in gewissem Gegensatz zu denen der Vorgänger standen. Bei Ferdinand II. kommt hinzu, daß er aus der innerösterreichischen Tradition heraus seinen Kaiserhof aufbaute, so daß hinsichtlich der Anknüpfung an frühere Zustände wie beim Kämmereramt mehr als nur eine Traditionslinie zur Verfügung stand 223 . Über die frühe Entwicklung des Geheimen Rates Ferdinands II. nach seiner Wahl und Krönung zum Kaiser im Sommer 1619 sind wir aus den Hofstaatsverzeichnissen zwar nur relativ schlecht informiert. Das hohe zahlenmäßige Niveau des Geheimen Rates findet sich jedoch auch bei ihm 224 . Das früheste im Haus-, Hof- und Staatsarchiv erhaltene Hofstaatsverzeichnis Kaiser Ferdinands II. von etwa 1628 weist annähernd 20 Geheime Räte auf 225 . Auf etwa 20 Geheime Räte kommt in seiner Beschreibung des kaiserlichen Hofes von 1629 auch der Nuntius Carlo Caraffa 226 , während der „Status particularis“ für das Jahr 1636, also kurz 223 Vgl. dazu Schwarz (1943), S. 113, 114: „The accession of Ferdinand II brought with it […] the transfer of the Graz Court to Vienna. This did not mean that a completely new personnel was substituted for that of the government of Matthias. The majority of the members of the Privy Council […], were reappointed. But Ferdinand added to these a member of his own choice who had held office in Graz.“ Vgl. HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 26 und Thiel (1916). 224 Schwarz (1943), S. 114-116. 225 HHStA, OMeA SR, K. 184, Konv. 79, fol. 1-18, Hofstaatsverzeichnis Ferdinands II. von ca. 1626/ 27; Fellner (1907b), S. 206, gibt bei seiner Teiledition (ebd., S. 207-209) 1627 bis 1628 an; vgl. auch Schwarz (1943), S. 114, 115, und Fellner (1907a), S. 51, Anm. 1. Von diesen waren elf in der Rubrik Geheimen Räte eingestellt, welche auch ihre Rangordnung festlegte (HHStA, OMeA SR, K. 184, Konv. 79, fol. 7). Diese dienten „wirklich“, während die Kanzler bzw. Vizekanzler Böhmens, Schlesiens und des Reiches nur in ihren Zuständigkeitsgebieten gehört wurden und eine „sonderbahre Session“ hatten. Daneben führten zwei Personen „den geheimben Raths titul“. Der kaiserliche Geheime Rat Christoph Simon von Thun, Obersthofmeister Ferdinands III. (ebd., fol. 3v) taucht der entsprechenden Rubrik und in der Teiledition nicht auf (nach HHStA, OMeA SR, Bd. 186, fol. 2v, wurde er am 1. Jan. 1628 Geheimer Rat). Schwarz (1943), S. 115, weist auf die Auslassung von Gundaker von Liechtenstein und Maximilian von Waldstein im Verzeichnis hin. 226 Caraffa 1629 (Müller (1860), S. 295, 296, und Hurter (1860), S. 242, 243). Hurter (1860), S. 212-280, bietet eine Übersetzung einer Passage des bei Müller edierten Berichts von Caraffa. Die Angaben des Hofstaatsverzeichnisses Ferdinands II. stimmen hiermit weitgehend überein. Schwarz (1943), S. 114, interpretiert die Aufzählung als Nennung von 14 Geheimen Räten, läßt also die Kanzler und Sekretäre der anderen Kammern weg. Für die weitere Interpretation spricht das Verzeichnis von 1626/ 1628 (Schwarz (1943), S. 114), Fellner (1907b), S. 209, nach welchem die den Kanzlern folgenden Breuner und Werdenberg „auch“ den Titel eines Geheimen Rates hatten. <?page no="63"?> 62 vor dem Tod des Kaisers, nur 15 Geheime Räte angibt 227 , was jedoch zu tief angesetzt ist 228 . Ferdinand II. hatte bei seinem Tode etwa doppelt so viele Geheime Räte wie Kaiser Matthias. Diese steigende Tendenz setzte sich unter seinem Nachfolger, Ferdinand III., weiter fort. Zwar lassen sich aus verschiedenen Quellen teilweise nicht unbeträchtlich voneinander abweichende Zahlen ermitteln 229 . Eine kritische Sichtung jedoch ergibt in etwa folgende Entwicklung: Im Jahr seiner Thronfolge als Kaiser 1637 ernannte Ferdinand III. 16 Geheime Räte, von denen er aber nur einen kleineren Teil auch zu Ratssitzungen einberief, während viele Geheime Räte Ferdinands II. bestätigt wurden 230 . In der weiteren Regierungszeit lassen sich drei Phasen unterscheiden, die jeweils aus Abnahme und weitergehender Aufstockung des Geheimen Rates bestehen. Zunächst, 1637 bis 1642, glichen Neuernennungen eine Reihe von Todesfällen aus und sorgten für eine Stabilisierung des Geheimen Rates bei einer Größe von etwa 15 Personen. Das Jahr 1643 sah keine Ernennung, jedoch zwei Todesfälle, womit die Zahl insgesamt wiederum absank. Es blieb in der Folge jedoch nicht bei einem Ausgleich. Vielmehr stieg die Zahl der Geheimen Räte durch die Ernennungen der Jahre 1644 bis 1649 insgesamt auf ein stabiles Niveau von etwa 20 Geheimen Räten an. Dieser (zweiten) Phase der Stabilisierung folgte durch die zahlreichen Todesfälle der frühen 1650er Jahre ein signifikanter Rückgang auf weniger als 15 Geheime Räte. Wiederum wurde die Zahl nicht allein ausgeglichen, sondern auch erhöht und erreichte vor dem Todesjahr Ferdinands III. schließlich ein Niveau von annähernd 30 Geheimen Räten 231 . Vor seinem Tod im Frühjahr 1657 bestimmte Ferdinand III. eine größere Anzahl Geheimer Räte für den noch minderjährigen Leopold I., und bereits im August 1657 waren knapp 20 der alten Geheimen Räte 227 „Status particularis“ in der Teiledition von Fellner (1907b), S. 216-228; die Personalmengenangaben aus dem „Status particularis“ sind nicht zuverlässig. Unter diesen 15 sind solche, die bei Caraffa als zugezogene Kanzler oder Räte galten (vgl. Schwarz (1943), S. 115, Anm. 16 und 20). Diese fehlen als Geheime Räte bei Caraffa 1629 (Hurter (1860), S. 242, 243), was ein weiterer Hinweis auf die partielle Abhängigkeit des „Status particularis“ von Caraffa ist. Vgl. die Edition von Müller (1860) und die Teilübersetzung bei Hurter (1860). Caraffas Bericht liegt auch in späteren, teilweise ergänzten (Teil-)Abschriften vor (ÖNB, Cod. 5526*, 5608, 14273). Cod. 5526* ist ein Prachtexemplar von 1654, das der Nuntius Ferdinand III. schenkte. Vgl. auch ASV, SG, 26-A, fol. 1-332. 228 Schwarz (1943), S. 115, Anm. 20, nennt als weitere Geheime Räte dieser Zeit mindestens Gallas, Johann Ludwig von Kuefstein, Gundaker von Liechtenstein, Balthasar Marradas, Jaroslav Boržita von Martinitz, Rudolf von Teuffenbach und Maximilian von Waldstein. 229 Siehe zu den Details und Abweichungen die Listen in APP. 230 HHStA, OMeA SR, Bd. 186, 187; ebd., Hs. Weiß 706/ 23; HKA, HZAB. 231 Vgl. die Listen in APP. Titularräte sind nicht enthalten. <?page no="64"?> 63 neu vereidigt worden 232 . Von zeitgenössischen Beobachtern wurde die Auffassung vertreten, die zur Ineffektivität führende Größe des Geheimen Rates sei auf Betreiben des Obersthofmeisters Ferdinands III., des Fürsten Auersperg, zustande gekommen, da dieser in der Ineffizienz des Geheimen Rates eine Möglichkeit gesehen haben soll, seinen Einfluß auf Leopold I. zu sichern 233 . Tatsächlich scheint der Geheime Rat bald nicht mehr zufriedenstellend gearbeitet zu haben. Die Zahl vereidigter Geheimer Räte stieg zunächst nur geringfügig an, erreichte aber um 1665 einen Wert von etwa 30 Personen 234 . 1665 kam es mit der Einrichtung der Geheimen Konferenz aus dem Kreis besonders involvierter Geheimer Räte zu einer faktischen Neugründung des alten Geheimen Rates, während das überbesetzte alte Gremium seine Beratungsfunktion nachhaltig einbüßte, dafür aber zunehmend exklusive Mitgliedschaft im Hofstaat an immer größere Personenkreise in Ergänzung zum Kämmereramt vermittelte 235 . e. Behörden Die quantitative Entwicklung der mit Adeligen besetzten Verwaltungs- und Justizstellen vollzog sich ruhiger als die der Ehrenämter. Die Grundtendenz eines - sehr moderaten - zahlenmäßigen Wachstums tritt indes in der langfristigen Tendenz ebenso zutage wie eine zunehmend stärker auf den Hochadel ausgerichtete Stellenbesetzung. Dies ist umso bedeutsamer, als die im Verwaltungs- und Justizdienst bestellten und in diesen Ämtern im Vergleich zu den Inhabern von Ehrenämtern auch weit besser bezahlten Adeligen in der Regel ihr Amt fast sämtlich tatsächlich und auch langfristig versahen. 232 OÖLA, HSt, Sch. 1232, Fasz. 21, Nr. 350, Beilage zum Dekret für den Botschafter in Spanien, Johann Maximilian Graf von Lamberg (Prag, 28. Aug. 1657), mit welchem Leopold I. diesem die bei der Abreise nach Spanien von Ferdinand III. bereits 1652 verliehene Stelle als kaiserlicher Geheimer Rat und die Session nach dem Datum des Dekrets bestätigte, was später auch eingehalten wurde; zur Einhaltung vgl. HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 15v, und die Personalliste in APP. 233 Vgl. Schwarz (1943), S. 135. 234 Kumulativ waren es etwa 35, doch hatte der Sensenmann bereits gemäht. Den Ansprüchen Leopolds I. genügte der Geheime Rat bereits 1657 nicht (Sienell (2001a), S. 76). 235 Vgl. Sienell (2001a). 1669 waren es ca. 49 lebende Geheime Räte, in der Amtszeit des Obersthofmeisters Ferdinand B. Harrach wurden mehr als 160 lebende Geheime Räte gezählt (ÖNB, Cod. 7418). Vgl. auch AVA, FA TM, K. 88, S1, Nr. 16 und HHStA, FA GFE, K. 150. <?page no="65"?> 64 Hofkammer Die Hofkammer 236 war in ihren leitenden Rängen - sei es im Präsidenten-, Vizepräsidenten-, Direktoren- oder Hofkammerratsamt - seit ihrer Einrichtung unter Ferdinand I. ganz überwiegend mit adeligen Amtsträgern besetzt, anfänglich hauptsächlich mit niederem Adel, seit dem späteren 16. Jahrhundert zunehmend auch mit Hochadeligen. Hinsichtlich der Besetzungszahl begann die Entwicklung etwa auf dem Stand des Kämmereramtes mit drei bis fünf gleichzeitig dienenden Hofkammerräten 237 , hielt sich aber sehr lang auf diesem Niveau. Mit der Hofkammerordnung von 1568 wurde das Amt des Hofkammerpräsidenten eingerichtet 238 . Erst 1588 stieg die Zahl der Räte auf sieben 239 . Bei der Hofstaatsreform Kaiser Matthias’ wurden im Februar 1615 neben dem Hofkammerpräsidenten sechs Hofkammerräte vorgesehen, im Mai des gleichen Jahres wurde zudem noch die Position eines Hofkammerdirektors besetzt 240 . Der Wechsel zu Ferdinand II., der die innerösterreichische Hofkammer in ihrer Unabhängigkeit von der kaiserlichen Hofkammer beließ 241 , brachte eine gewisse Konsolidierung der in den späten Regierungsjahren des Kaisers Matthias auch hinsichtlich des Personalstands etwas herabgekommenen Behörde. Die Zahl von sieben Hofkammerräten (einschließlich des Präsidenten, Vizepräsidenten bzw. Direktors 242 ) wurde erst in der Mitte der 1620er Jahre wieder erreicht, 236 Vgl. Fellner (1907a), S. 68-89. 237 Fellner (1907b), S. 157 (1539 und 1541: vier Hofkammerräte), S. 162 (1544 und 1545: vier), S. 165 (zwischen 1545 und 1550: drei), S. 169 (1550 und 1551: ebenfalls drei), S. 173 (1553 und 1554: vier), S. 177 (1557 und 1558: fünf), S. 177 (1559: vier), S. 181 (1563-64: fünf), S. 189 (1567: vier). 238 Fellner (1907a), S. 77. 239 Fellner (1907b), S. 193 (fünf Hofkammerräte), S. 200 (sieben). Bei der Verlegung der Residenz von Wien nach Prag unter Rudolf II. wurde die Hofkammer geteilt, unter Kaiser Matthias wieder vereinigt (ebd., S. 81, 82). 240 HHStA, OMeA SR, K. 184, Nr. 75, darin Nr. 6, fol. 19. Die höhere Besoldung, die der Hofkammerrat Muschinger bezog, verweist auf eine Sonderstellung im Hofkammerrat, die sich in der Folge in der Entwicklung des Vizepräsidenten- und Direktorenamtes niedergeschlagen haben mag (vgl. Anm. 266). Nach dem Hofstaatsverzeichnis vom 29. März 1615 (ebd., Nr. 77 = Fellner (1907b), S. 202-206) waren die Stellen des Präsidenten und eines Hofkammerrats kurz darauf noch unbesetzt. 241 Fellner (1907a), S. 86. Zur Entwicklung im 17. Jahrhundert siehe Thiel (1930), zum Personalstand: StLA, Hs. II/ 15 bis 17, für die Zeit 1619 ÖNB, Cod. 8102. 242 Gundaker von Polheim erhielt das Direktorium in der Hofkammer am 1. Mai 1615 und wurde jedenfalls bis zum 31. Aug. 1622 als solcher besoldet (HKA, HZAB 79, 292*; vgl. auch HKA, HZAB 67, fol. 181*, 235*, 709* sowie HKA, HZAB 68, fol. 605*). 1622 wurde er - mit hoher Wahrscheinlichkeit schon im Febr. - (auch) als Hofkammervizepräsident geführt (HKA, HZAB 71, fol. 254* und 258*). Jacob Berchtold wurde schon vor 1630 (HKA, HZAB 76, fol. 906*) und 1632 u.a. als Hofkammerdirektor (HKA, HZAB 79, fol. 292* und 239*) besoldet, 1627 aber als Hofkammervizepräsident geführt (HKA, HZAB 75, fol. 1069*). Unter <?page no="66"?> 65 dann aber bei nur geringfügigen Schwankungen in dieser Höhe zwischen sechs und acht Räten stabilisiert 243 . Unter den Hofkammerräten Ferdinands II. dominierte anfänglich noch der niedere Adel. In den späteren Jahren verschoben sich auch hier die Gewichte zugunsten des Hochadels. Unter Ferdinand III. nahm der Personalstand der Hofkammer weiter zu. Nach einer Abschwächung in den Jahren 1645, 1646 und 1647, deren tiefster Stand auf eine Zahl von doch immerhin noch vier Hofkammerräten zzgl. Präsident und Vizepräsident führte, dienten 1649 erstmals zehn Räte gleichzeitig. Anfang 1657 waren es 15, wozu noch der Präsident und der Vizepräsident kamen 244 . Ferdinand III. wurde Berchtold neuerlich Hofkammerdirektor und bezog als solcher ein um 500 fl. jährlich höheres Gehalt als die Hofkammerräte (HKA, HZAB 85, fol. 139*; auch HKA, HZAB 84, fol. 242*, HKA, HZAB 86, fol. 76*), bevor er 1641 verstarb (HKA, HZAB 87, fol. 83*). Als nächster Hofkammerdirektor läßt sich im HZAB für 1645 Johann Bartholome Schellardt nachweisen (HKA, HZAB 91, fol. 480), der das Amt etwas früher angetreten haben könnte, sind doch mangels Soldzahlungen an Hofkammerräte in den Jahren 1643 und 1644 Veränderungen in diesem Zeitraum nicht hinreichend dokumentiert. Auf Schellardt, der schon 1647 verstarb (HKA, HZAB 95, fol. 525), scheint erst mit Clemens Radolt am 1. Okt. 1656 wieder ein Hofkammerdirektor zu folgen (HKA, HZAB 103, fol. 138, 139). Radolt behielt das Amt über das Jahr 1665 hinaus (HKA, HZAB 110, fol. 224, 225). Das Amt des Hofkammervizepräsidenten wurde nach den Inhabern Polheim - und, wenn HKA, HZAB 75, fol. 1069* eine richtige Angabe macht - auch Berchtold unter Ferdinand III. erst am 1. Sept. 1644 mit David Ungnad von Weissenwolff wiederum besetzt (HKA, HZAB 93, fol. 156; auf 1645 datiert die Ernennung Schwarz (1943), S. 382). Dieser hatte es bis zu seiner Ernennung zum Hofkammerpräsidenten am 1. Aug. 1648 inne (HKA, HZAB 97, fol. 164; ebenso Fellner (1907a), S. 286). Sein Nachfolger als Vizepräsident wurde nach einer mehr als zweijährigen Vakanz, in der wohl auch kein Hofkammerdirektor amtierte, am 25. März 1651 Georg Ludwig Graf Sinzendorf (HKA, HZAB 99, fol. 190). Nach dessen Erhebung zum Hofkammerdirektor am 12. Okt. 1656 (HKA, HZAB 103, fol. 138; Fellner (1907a), S. 286) war die Vizepräsidentenstelle über fünf Jahre vakant, bis sie am 1. März 1662 Ferdinand von Hohenfeld übertragen wurde (HKA, HZAB 107, fol. 128). Zu dieser Zeit war Radolt Hofkammerdirektor. Daraus geht hervor, daß das Direktoren- und Vizepräsidentenamt nicht immer im Verhältnis der Alternativität zueinander standen. Das mag auch daran gelegen haben, daß die Hofkammerdirektoren Berchtold, Schellardt und Radolt erst im Verlaufe ihrer Tätigkeit im kaiserlichen Finanzwesen den Adelsstand erlangten, während die Vizepräsidenten Ungnad, Sinzendorf und Hohenfeld bei Antritt ihres Dienstes bereits Hochadelige waren. Sowohl das Vizepräsidentenamt als auch das des Hofkammerdirektors wurden in der Hofkammerinstruktion von 1681 gestrichen (Fellner (1907b), S. 598). 243 Vgl. die Präsenznotizen aus den Besoldungseinstellungen in HKA, HZAB 65-76, und das Hofstaatsverzeichnis von 1626/ 1628 (Fellner (1907b), S. 211, 212) in dem neben Präsident und fünf Hofkammerräten auch ein Vizepräsident verzeichnet wurde. 244 Vgl. auch das Hofstaatsverzeichnis von 1655 bei Fellner (1907b), S. 231, wonach die Hofkammer neben dem Präsidenten und Vizepräsidenten mit 16 Räten besetzt war. Zwei dieser Hofkammerräte, Chaos und Plettenberg, tauchen in den Besoldungslisten nicht auf. Plettenberg war als Resident vom Hofe abwesend; Chaos war Münzmeister in Wien und wird aus diesem Grund mit dem Hofkammerratstitel versehen worden sein (vgl. zum Zutritt Chaos’ zum Kaiser Anm. 880, zum Verzeichnis von 1655, das nicht mit Ordinanzen versehene Amtsträger aufnahm, vgl. Anm. 282). Im übrigen gibt das Verzeichnis den durch die Besoldungslisten für die Zeit zwischem dem 22. März (der ab diesem Zeitpunkt berufene Pallingen ist bereits auf- <?page no="67"?> 66 Leopold I. knüpfte bei dieser Stärke an. 1659 zählte die Hofkammer neben Präsident und Vizepräsident 17 Räte; nach den Besoldungslisten dienten bis 1666 durchschnittlich je etwa ein Dutzend Hofkammerräte gleichzeitig, daneben der Präsident und ab 1662 auch wieder ein Vizepräsident 245 . 1681 wurde eine Personalstärke in dieser Größenordnung durch eine neue Hofkammerinstruktion festgeschrieben. Danach sollten hinfort weder ein Direktor noch ein Vizepräsident bestellt werden, sondern nurmehr ein Präsident sowie zehn Räte. Auch der Stand der Hofkammerräte wurde in dieser Ordnung erstmals explizit geregelt. Fünf sollten aus dem Herrenstand, drei aus dem Ritterstand kommen, zwei sollten Gelehrte sein 246 . In dieser Anordnung ebenso wie in der Formulierung der Qualifikation läßt sich der Versuch erkennen, auf eine Situation angemessen zu reagieren, die sich ungeachtet des Unterschieds zwischen Verwaltungsorganen und Ehrenämtern bei letzteren in ähnlicher Weise fand: Hier wie dort hatte es zunächst in der Regel längere Dienstzeiten gegeben, bevor höhere Ämter erreicht wurden. Solange Niederadelige noch höhere Ämter erlangen konnten, gab es, da niedrigere Fiskalämter für sie annehmbar waren, in diesem Adelsspektrum kaum ständisch bedingte Qualifikationssperren 247 . Nicht ein einziger Hofkammerrat dagegen, der zwischen 1619 und 1665 bei Antritt dieses Dienstes schon Freiherr oder Graf war, war zuvor Hofkammersekretär gewesen. Die sich bei der Hofkammer ebenso wie bei den Ehrenämtern ergebende Problematik hoher Eintrittsränge hochrangiger Adeliger wurde in beiden Bereichen auf verschiedene Weise gelöst: Im Bereich der Ehrenämter setzte sich unter Ferdinand III. die langfristige Präsenz recht weniger in Verbindung mit zeitlich begrenzter Anbindung sehr vieler Amtsträger durch 248 . Für die Hofkammer schrieb die Hofkammerordnung gegenüber dem Hochadel die Parität von Personen, die aufgrund ihres niedrigeren oder sogar fehlenden Adelsranges mehrere Qualifikationsstufen in der Hofkammer oder in anderen Fiskalämtern durchlaufen konnten, fest 249 . Von daher versteht sich auch die Stabilität der vielgenommen) und dem 20. Jun. 1655 (der an diesem Tag berufene Georg Andre von Sonnau fehlt) beschriebenen Stand richtig wieder. 245 Fellner (1907b), S. 236. 246 „aber (! ) mit lauter erfahrnen und abgerichteten subjecten geführt und beförderet werden solle“ (Fellner (1907b), S. 598). 247 Die Hofkammerräte Johann Carl von Aichbühl, Matthias Arnoldin, Hans Georg von Garnich, Menoldo Hillebrandt, Johann Adolf Merpold, Vincenz Muschinger, Marco Putz, Clemens Radolt, Bartholome Schellardt, Georg Wagner waren zuvor Hofkammersekretäre. 248 Vgl. die Listen der Truchsessen und Kämmerer Ferdinands III. in APP. 249 Hofkammerordnung Leopolds I. von 1681 ((Fellner (1907b), S. 598), S. 598). <?page no="68"?> 67 schichtigen ständischen Gliederung der Hofkammer. Durch zahlreiche Standeserhöhungen blieb diese jedoch in steter Bewegung. Mehrere Freiherren erlangten im Untersuchungszeitraum als Hofkammerräte den Grafenstand 250 , zahlreiche Angehörige des Niederadels gelangten in den Hochadel, viele Hofkammerleute gelangten in den Niederadel und konnten danach noch Hofkammerrat werden 251 . Vor dem Hintergrund eines unter Ferdinand III. und Leopold I. im Bereich der Ehrendienste bis in niedrigere Ränge wie das Truchsessenamt hinein ganz überwiegend hochadeligen Hofstaats wurden - im zivilen Bereich - somit Laufbahnen in der Finanzverwaltung und besonders der Hofkammer zur aussichtsreichsten Chance, den Wechsel in den Hochadel zu vollziehen. Hofkriegsrat Noch geringer als die Zahl der Hofkammerräte war die Zahl der im Untersuchungszeitraum überwiegend hochadeligen Hofkriegsräte 252 . Von der Errichtung des Hofkriegsrats im Jahr 1556 bis ins 17. Jahrhundert hinein umfaßte der Rat in der Regel zumeist etwa fünf Hofkriegsräte 253 , von denen einer die Präsidentenstelle innehatte 254 . Im Reformvorschlag für den Hofstaat von Kaiser Matthias vom 7. Februar 1615 wurden ne- 250 Freiherr von Brandeis, Graf: 1641; David Ungnad, Hofkammerrat: 1644, Graf: 1646; Johann Q. Jörger, Hofkammerrat: 1650, Graf: 1658; Losy, Hofkammerrat: 1648, Graf: 1655. 251 Einige Beispiele für Nobilitationen: Berchtold: Freiherr 1626; Muschinger: Adst. 1619, Freiherr 1622; Weber: Freiherr 1622/ 24, Walmerode: Freiherr 1631; Radolt: Freiherr 1656; Peverelli: Freiherr 1656, Hegenmüller: Freiherr 1658; Marco Putz: Freiherr 1680; Hohenfeld: Freiherr 1660, Graf: 1669; Plettenberg: Freiherr 1668; Selb: Freiherr 1673; Seeau: Freiherr 1665; Mayern: Freiherr 1666, Coenens: Ritterstand: 1657; Wagner: Adelstand 1636, Hofkammerrat 1648; Aichbühl: Hofkammerkonzipist, Sekretär: Adelstand 1625, Hofkammerrat 1654; Schellardt: Konzipist, Ritterstand 1621, Hofkammerrat 1632 und 1637; Bonacina: Ritterstand Österreich ob der Enns 1626; Angaben zum Adel nach Frank (1967-1974). 252 Zum Hofkriegsrat vgl. Fellner (1907a), S. 234-257, Regele (1949). Nur wenige Hofkriegsräte gehörten bei ihrer Ernennung noch dem niederen Adel an. So war Johann Georg Pucher zunächst Hofkriegsratssekretär, er wurde 1640 Hofkriegsrat und 1652 Freiherr (vgl. Frank (1967-1974), Bd. IV, S. 120 und 122). Johann Rudolf Schmidt zu Schwarzenhorn, Hofkriegsrat seit 1643, wurde erst 1650 Freiherr (Frank (1967-1974), Bd. IV, S. 258, 259, 286, 287) im Zusammenhang mit seiner Entsendung als Großbotschafter an Sultan Mehmet IV. (vgl. dazu Meienberger (1973), S. 121, 122). Der Hofkriegsrat war insofern in weit geringerem Ausmaß Anknüpfungspunkt für ständische Mobilität; für das Militär insgesamt gilt dies freilich nicht. 253 Fellner (1907a), S. 238 und 241; Regele (1949), S. 22. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts kam es unter dem Eindruck der Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Rudolf II. und Erzherzog Matthias zu den auch in anderen Ämtern üblichen „Confusionen und Verwürrungen“ (Fellner (1907a), S. 244). Fellner (1907b), S. 177; 1557 und 1558: fünf Hofkammerräte und der Präsident; ebd., S. 180, 181; 1559: fünf Hofkammerräte und der Präsident; ebd., S. 184: 1563-64: drei Hofkriegsräte. Das Hofstaatsverzeichnis von 1567 für Maximilian wies fünf adelige Hofkriegsräte aus (ebd., S. 189), unter Rudolf II. werden im Verzeichnis von 1576 sechs Hofkriegsräte angegeben (ebd., S. 193, 194), 1588 sind es wiederum fünf (ebd., S. 200). 254 Regele (1949), S. 22. <?page no="69"?> 68 ben dem nun gesondert ausgewiesenen Präsidenten sechs Hofkriegsräte vorgesehen 255 , im März des gleichen Jahres wurden aber weiterhin neben dem Präsidenten nur vier Hofkriegsräte genannt 256 . Unter Ferdinand II. stieg die Zahl der Hofkriegsräte zeitweise leicht an 257 . Dieser Trend setzte sich unter Ferdinand III. fort. Er bestellte bei seinem Regierungsantritt 1637 neben dem Präsidenten sechs Hofkriegsräte 258 , formte aber 1650 (in einer Parallelentwicklung zur Hofkammer) eine dieser Stellen in ein Vizepräsidentenamt um 259 . Somit sollten nunmehr ein Präsident, ein Vizepräsident und fünf Hofkriegsräte den Ratsdienst versehen. Unter den fünf Räten sollten, wiederum in Anlehnung an den Stand der 1630er Jahre, der Stadtobrist und Obristleutnant von Wien inbegriffen sein 260 . Die Festlegung der Zahl der Hofkriegsräte ist nur vor dem Hintergrund einer großzügigen Ernennungspraxis zu verstehen, die dazu geführt hatte, daß „wir derzeit [1650] mit einer grossen anzahl der hofkriegsräthe beladen sein“ 261 . Die Klage über die große Anzahl verweist auf die Praxis Ferdinands III., mehr Hofkriegsräte zu ernennen als zum Rat zu berufen. Das gedruckte Hofstaatsverzeichnis von 1655 führte 24 Hofkriegsräte einschließlich des Präsidenten auf 262 , doch wurden hierfür offenbar zwei Listen zusammengetragen, die hofintern getrennt geführt wurden und die deutlich machen, daß von den 24 genannten Hofkriegsräten 16 keine Ordinanz aus dem Hofkontraloramt erhalten hatten und damit dem Hofstaat formell nicht einverleibt worden waren 263 . Titular- 255 HHStA, OMeA SR, K. 184, Konv. 6, fol. 19. 256 Fellner (1907b), S. 204. 257 Das Hofstaatsverzeichnis von 1626/ 1628 (Fellner (1907b), S. 214-216), nennt unter der Überschrift „Röm. kais. M t . hofkriegsräthe“ neben dem Präsidenten Collalto die Hofkriegsräte Montecucoli, Löbl, Breuner und Reiffenberg. Danach folgen 14 nach ihrem Kommando bzw. militärischem Rang bezeichete Militärs, von denen nur Ernst von Kolonitsch (Obrister zu Komorn) und Antonio Minati sowie Johann Aldringen (Musterkommissare) als Hofkriegsräte bezeichnet werden. Im „Status particularis“ von 1637 wurden neben dem Präsidenten nur vier Hofkriegsräte sowie ein Vizepräsident genannt (ebd., S. 224). 258 HHStA, OMeA SR, Bd. 187, fol. 20-21v. 259 Fellner (1907b), S. 535. Die Instruktionen der Kaiser Matthias, Ferdinand III. und Leopold I. sind abgedruckt bei Firnhaber (1864), S. 147-176. 260 Fellner (1907b), S. 535. Im „Status particularis“ stehen nach den Hofkriegsräten der Hofkriegsratsvizepräsident und der Stadtobrist von Wien (ebd., S. 224). 261 Fellner (1907b), S. 535. 262 Fellner (1907b), S. 231, 232. 263 HHStA, OMeA SR, Bd. 186, fol. 210-211v, nennt einschießlich der Präsidenten insgesamt 15 bis 1645 ernannte Hofkriegsräte und vermerkt bei vier von diesen das Ausscheiden aus dem Amt (Schlick, Questenberg, Mansfeld, Löbl). Auch HHStA, OMeA SR, Bd. 187 gibt weniger Hofkriegsräte an. Nach der Reihenfolge der Nennungen im gedruckten Verzeichnis liegen die Ernennungen der in den handschriftlichen Verzeichnissen nicht aufgeführten Hofkriegsräte zeitlich nicht wesentlich nach den Nennungen in den handschriftlichen Verzeichnissen. Die <?page no="70"?> 69 hofkriegsräte im strengen Sinne ernannte Ferdinand III. zwar auch 264 , doch liegt ein Unterschied darin, ob eine Person zum Hofkriegsrat ernannt wurde, aber keine Ordinanz erhielt, oder aber von vorneherein zum Titularhofkriegsrat ernannt wurde. Die Klage über die zu hohe Zahl von Hofkriegsräten dürfte sich so vermutlich auf jene um 1650 etwas über zehn mit Ordinanz versehenen Hofkriegsräte beziehen. Die Anweisung aber, wie die Restriktion auf fünf Räte vorzunehmen sei, läßt es auch nicht zu, die nicht zu den Sitzungen gerufenen Personen im strengen Sinne als Titularhofkriegsräte zu bezeichnen: Von den fünf Hofkriegsräten waren zwei Stellen durch den Stadtobristen und Obristleutnant von Wien besetzt, während die übrigen drei nach Amtsanciennität berufen werden sollten, wobei diejenigen außer Betracht zu bleiben hatten, welche auswärts ortsgebunden im Grenzdienst oder in Landämtern dienten 265 : Mit der Ernennung zum Hofkriegsrat und der Ordinanz war also die Berufung in den Rat unter gewissen Umständen grundsätzlich möglich. Die Restriktion, die der Besoldungspraxis durchaus entsprach, erwies sich bald als so erfolgreich, daß 1659 unter Leopold I. neben Präsident und Vizepräsident nurmehr acht Hofkriegsräte Differenz zum gedruckten Werk von 1655 (Buccellini (1655)) läßt sich klären: Der Ernennung von Hofkriegsräten durch den Kaiser folgte nicht stets eine Ordinanz vom Obersthofmeister an den Hofkontralor; diese wurden dann dem Hofstaat „nit Einverleibt“; in HHStA, OMeA SR, K. 21, Buch Nr. 61 IX, liegen zwei Blätter, die solche Hofkriegsräte Ferdinands III. „allein Zuer nachricht“ verzeichnen. Es handelt sich dabei um Hofkriegsräte, die (mit Ausnahme Metternichs) zwar im gedruckten Hofstaatsverzeichnis von 1655 auftauchen, aber im hofintern gebrauchten Verzeichnis HHStA, OMeA SR, Bd. 187 (mit Ausnahme Gonzagas) fehlen: Max Willibald Graf von Wolfegg, Ernst von Traun Graf von Abensberg, Don Hannibal Fürst Gonzaga, Leopold Wilhelm Graf von Tattenbach, Hayn Graf Gelen, Johann Franz Freiherr von Fernemont, Georg Adam Freiherr von Kufstein, Johann Adolf Graf von Schwarzenberg, Wilhelm Freiherr von Metternich, Johann Reichhard Graf und Herr von Starhemberg, Don Felix Graf von Zuniga, Veith Dietrich Freiherr von Stainhaimb, Peter Graf Strozzi, Johann Jacob Graf von Zeill, Ludwig Freiherr von Souches, Johann Heinrich von Garnier. Vgl. zum Verhältnis von Ernennung, Ordinanz und Besoldung die Ordinanz für Johann Ferdinand Portia als Obersthofmeister des Erzherzogs Leopold, die vom kaiserlichen Obersthofmeister Dietrichstein ausgestellt wurde: Der Kaiser habe Portia als Obersthofmeister für Erzherzog Leopold „an: und auffgenommen“, bewilligte die Besoldung und wies den Hofzahlmeister an, Portia „in der Hoffstatt gehörigen Ohrts“ einzuverleiben und ihm die Besoldung zu zahlen (KÄLA, FA PT, C 32c, Ordinanz Dietrichsteins an Hofkontralor Triller, Prag, 3. Sept. 1652). Vgl. auch OÖLA, HSt, Sch. 1235, Fasz. 24, Nr. 412 h , Dekret über die Aufnahme von Johann Maximilian Graf von Lamberg als Geheimer Rat mit Besoldung; der Hofzahlmeister solle Lamberg am üblichen Orte ‚einverleiben’ und die Besoldung zahlen, Wien, 27. Apr. 1661, Abschrift. Vgl. auch Fellner (1907b), S. 653, Anm. 1. 264 AVA, FA TM, K. 122, Ferdinand III. an Maximilian Graf Trauttmansdorff, Preßburg, 13. März 1647, er habe dem Alexander Graf Henin, Duc de Bournonville, „Titl unnd praedicat meines kaÿl. Kriegs Raths gnedigst verwilligt“; doch taucht dieser selbst in dem gedruckten Hofstaatsverzeichnis von 1655 nicht auf (Fellner (1907b), S. 231, 232). 265 Fellner (1907b), S. 535. <?page no="71"?> 70 gezählt wurden. 1668 klagte man bereits über einen Mangel an Hofkriegsräten 266 . Reichshofrat Zahlreicher wiederum war der hohe Adel im 17. Jahrhundert im Reichshofrat als einem der beiden obersten Reichsgerichte vertreten. Seine Geschichte ist in der Literatur weit besser dokumentiert als die der anderen Ämter 267 , so daß an dieser Stelle eine sehr knappe Darstellung bei einer Konzentration auf das 17. Jahrhundert möglich ist. Zudem entwickelte sich der Personalstand moderater als in den Ehrenämtern des Hofes. Wichtig ist die der Umstand, daß bei der Auswahl der Reichshofräte die Belange des Reiches in ganz anderer Weise berührt waren als bei der Auswahl des sonstigen Hofstaatspersonals 268 , sei es, daß dieses Amt ein Anknüpfungspunkt für nicht nur adeliges Personal aus den nicht habsburgischen Teilen des Reiches war, sei es, daß vermittels des Reichsrechts Protestanten seit der Ordnung von 1654 ein Platz vorbehalten wurde 269 . Darüber hinaus galt es neben der nicht nur Hochadeligen vorbehaltenen Adelsbank auch die Gelehrtenbank zu besetzen, sowie bestimmte Sollzahlen einzuhalten 270 . Durch diese Normen war die Stellenbesetzung spezifischen Einschränkungen unterworfen, die in dieser Form am Hofstaat einzigartig waren. Den Reformvorschlägen für den Hofstaat des Kaisers Matthias vom 7. Februar 1615 zufolge sollte der Reichshofrat neben dem Präsiden- 266 Fellner (1907a), S. 252, und Fellner (1907b), S. 537. 267 Neben dem Gschließer (1942) vgl. besonders Ortlieb (2001), Sellert (1964), Sellert (1980), Sellert (1990). Zu den Mitgliederzahlen im 16. Jahrhundert vgl. die Editionen bei Fellner (1907b), S. 139-201. 268 So entstand bereits die Reichshofratsordnung von 1559 vermutlich anläßlich der wiederholt vorgetragenen Klage der Reichsstände, daß im Hofrat überwiegend Nichtdeutsche dienten (Sellert (1980), S. 25, 26). Die Ordnung des Reichshofrates gab noch im 18. Jahrhundert immer wieder Anlaß zu Beschwerden der Reichsstände, vgl. die Kapitel zur Entstehung neuer Ordnungen bei Sellert (1980) und Sellert (1990). 269 Schon in den 1590er Jahren wandten sich vor allem die protestantischen Reichsstände mit zahlreichen Beschwerden gegen die Ausbildung des zweiten kaiserlichen Gerichts und stießen so die über einen langen Zeitraum vorbereitete, allerdings nicht in Kraft getretene Reichshofsratsordnung von 1617 an (vgl. ausführlich dazu Sellert (1980), S. 79-105). 270 Vgl. die Quotelung im Mainzer Konzept zur Reichshofratsordnung von 1617, wonach der halbe Teil rechtskundig sein sollte: „graduiert“ oder „wohl fundirt und gelehrt“ (Sellert (1980), S. 111). In der kaiserlichen Reichshofratsordnung wurde dies nicht präzise aufgenommen, vielmehr hatten „Alle diese räth“ der Reichs- und anderen anfälligen Sachen „so viel möglich khundig“ zu sein, die Juristen „woll fundirt und praciticiert“, die anderen „aber gleichsfalß darinnen zimblich erfahren“ (ebd., S. 160, vgl. auch S. 111, Anm. s). <?page no="72"?> 71 ten 271 mit 14 Reichshofräten besetzt sein 272 , wohinter die Zahl der tatsächlichen Reichshofräte im März des gleichen Jahres nur wenig zurückblieb 273 . Unter Ferdinand II. stieg die Zahl der Reichshofräte etwas an: Im Verzeichnis von 1627/ 28 wurden neben Präsident und Vizepräsident 17 Reichshofräte genannt 274 . Der „Status particularis“ verzeichnet für 1636 auf der Adelsbank neben Präsident und Vizepräsident sogar 18, für die Gelehrtenbank zehn Reichshofräte 275 , doch wird man diese Aufzeichnung summarisch nennen müssen, wurden doch für die Aufrechterhaltung eines tatsächlich dienenden Stabes von etwa zwölf bis 14 Reichshofräten unter Ferdinand II. insgesamt etwa 50 Reichshofräte bestellt 276 . Ferdinand III. wiederum ernannte insgesamt annähernd 50 Reichshofräte 277 und erreichte damit einen relativ stabilen tatsächlichen Personalstand von etwa derselben Stärke, welche auch der in der Ordnung des Reichshofrats von 1654 bestimmten sehr nahe kommt 278 . In der Ordnung findet sich denn auch erstmals eine ausdrückliche Quotenregelung bezüglich der Räte. Demnach sollten sechs aus dem Herren-, Ritter- und Gelehrtenstand der Augsburgischen Konfession angehören 279 . Wie bei den Hofkriegsräten gab es auch unter den Reichshofräten 271 Auch in diesem Kollegialorgan wurde ein Präsidentenamt erst nach einiger Zeit geschaffen (Reichshofratsordnung von 1559, § 1), zuvor hatte der Obersthofmarschall, bei dem die Gerichtsbarkeit des Hofwesens lag, vorgestanden (Sellert (1980), S. 27). Im Hofstaatsverzeichnis von 1559 ist so ein Präsident neben zehn (Reichs-)Hofräten ausgewiesen (Fellner (1907b), S. 180). Ein Vizepräsident wurde in § 4 der Reichshofratsordnung von 1617 vorgesehen (Sellert (1980), S. 161). 272 HHStA, OMeA SR, K. 184, Konv. 74, Nr. 6, fol. 19. Ihre Zahl wurde auch im Mainzer Konzept zur Reichshofratsordnung von 1617 nicht festgelegt, sondern in Abhängigkeit von der Geschäftstätigkeit gestellt, auf daß er „in solcher anzahl besezt werde, damit meniglich schleunig und unpartheysche iustitia ohne clag administrirt werden möge.“ Sellert (1980), S. 111. In der Ordnung von 1617 hieß es dann, der Rat solle in „genugsamber anzahl der räthe“ bzw. mit Personen „in guetter anzahl statlich besezet“ werden (ebd., S. 159 und 158). 273 Hofstaatsverzeichnis vom 29. März 1615 (Fellner (1907b), S. 203). Danach dienten zwölf Reichshofräte. Zum weiteren Personal vgl. Gschließer (1942). 274 Fellner (1907b), S. 209-211. 275 Fellner (1907b), S. 222, 223. Von den 20 Reichshofräten auf der Adelsbank gehörten drei zum niederen Adel (Caspar Terz, Matthias Werdemann, Anton von Poppen), die übrigen zum Hochadel; später war auch auf der Gelehrtenbank Hochadel vertreten. 276 HKA, HZAB 68-83. 277 HKA, HZAB 84-103. 278 Nach § 2 der Reichshofratsordnung Ferdinands III. von 1654 sollte der Reichshofrat mit „genuegsamer anzahl“ besetzt sein, höchstens aber mit 18 Personen inklusive Präsident und exklusive Reichsvizekanzler. Zu diesem Zweck sollte kein neuer Rat ernannt werden, bis sich eine „ordentliche vacanz von obgemelten achtzehen personen sich eraignen wirdt.“ Sellert (1990), S. 55, bes. Anm. 363. 279 Sellert (1990), S. 56-61. Auch die Einteilung der Bänke in Adels- und Gelehrtenbank wurde ausdrücklich normiert (ebd., S. 77, 78). <?page no="73"?> 72 einige wenige, die keine Ordinanz erhalten hatten 280 . Mit der Ernennung von annähernd 40 Reichshofräten bis einschließlich 1665 konnte auch Leopold I. diesen Personalstand erhalten 281 . 2. Zwischenergebnis 16. Jahrhundert Nachdem die quantitative Entwicklung der einzelnen Ämter analysiert wurde, kann nun zur Betrachtung der Gesamtgröße der Hofstaaten und damit zur Untersuchung derjenigen Adeligen geschritten werden, welche mehrere Ämter im Hofstaat eines Kaisers innehatten 282 . Im Zusammenhang mit der Frage nach den Laufbahnen im Hofstaat wird nach der Verweildauer bei Hof gefragt. Wegen der oben dargelegten gravierenden Änderungen unter Ferdinand II. soll wiederum der Vergleich mit dem 16. Jahrhundert gezogen werden. Für die Prüfung der quantitativen Auswirkungen von Laufbahnen im Hofstaat auf die Zahl der Adeligen des Hofes insgesamt fiel die Wahl wegen der zahlreichen zeitlich eng aufeinander folgenden Hofstaatsverzeichnisse für das 16. Jahrhundert auf den Hof Kaiser Ferdinands I. zwischen 1539 und 1564. Addiert man die Inhaber der einzelnen adeligen Ämter des Hofstaats Ferdinands I. (Kämmerer, Mundschenke, Fürschneider, Truchsessen und Hofdiener einschließlich der der Hofkammer zugeordneten Hofdiener) auf, erhält man eine Summe von rund 550 Amtsträgern. Etwa 110 Personen aus diesem Kreis durchliefen mehrere Ämter 283 , einer unter ihnen fünf 284 , zwei von ihnen vier 285 , etwa 25 versahen drei Ämter 286 , etwa 80 zwei Ämter 287 . Zieht man die durch 280 Vgl. zu den Kriegsräten Anm. 282. HHStA, OMeA SR, K. 21, Buch Nr. 61 IX. Reichshofräte ohne Hofkontraloramtsordinanz, daher ohne Zeit des Einstandes: Ferdinand Carl Graf von Löwenstein, Emo Ludwig von Ostfriesland, Frobenius Maria Graf von Fürstenberg, Waldemar Graf von Holstein. Der ohne Ordinanz verbliebene Löwenstein findet sich im gedruckten Verzeichnis von 1655 (Fellner (1907b), S. 230, Gschließer (1942), S. 262, vgl. Anm. 592). 281 HKA, HZAB 104-110. 282 Die Gesamtsumme der Adeligen in einem Hofstaat ergibt sich vor dem Hintergrund von Avancements im Hofstaat nicht aus der Addition der Inhaber einzelner Ämter. 283 Darunter die einfach besetzten niedrigeren adeligen Ämter wie das Silberkämmereramt. 284 Hans von Panowitz: Hofdiener auf ein, zwei und drei Pferd, Truchseß und Fürschneider. 285 Johann Kinský (Diener auf ein Pferd, auf zwei Pferd, Truchseß, Fürschneider) und Jakob Khuen (Diener zur Hofkammer, auf ein Pferd, Truchseß, Fürschneider). 286 So Volkhard von Auersperg, Zwinek Berka, Seifried Breuner, Christoph Conzin, Bernhard von Freudenthal, Don Diego de Gusman, Peter de Gusman, Johann von Heissenstein, Carl von Herberstein, Hieronimus von Latour, Ladislaw Popel von Lobkowitz, Peter von Macedonia, Bernhard Manesis, Niklas Meseritsch, Wilhelm Muhegk, Georg Graf zu Nagerol, Adam <?page no="74"?> 73 die Mehrfachzählung dieser Personen verursachte Zahl (ca. 140) von der Summe von etwa 550 ab, gelangt man zu etwa 410 verschiedenen adeligen Amtsinhabern. Nimmt man zu diesen noch den Kreis der Inhaber der höchsten Hofämter, der adeligen Geheimen Räte, der Hofräte, Hofkammer- und Hofkriegsräte, erhöht sich diese Zahl wiederum um etwa 30 auf etwa 440 Personen. Bemerkenswert ist dabei, daß von den letztgenannten Räten nicht sehr viele zuvor in den übrigen adeligen Ämtern gedient hatten. Wenn dies doch der Fall gewesen war, dann waren sie zumeist „Diener von Adel ohne Amt“ gewesen, nur eine verschwindend geringe Zahl hatte zuvor höhere Ehrenämter wie das Mundschenken- oder Kämmereramt innegehabt 288 . Vor dem Hintergrund, daß im 16. Jahrhundert die wenigen Kämmerer und Mundschenke ihren Dienst in der Regel tatsächlich und langfristig versahen, ist dies verständlich. Verwaltung und höhere Ehrenämter erscheinen so unter Ferdinand I. als personell weitgehend distinkte Bereiche, während die Position des Dieners von Adel ohne Amt offenbar als Warteposition auch für Verwaltungsämter in Betracht kam. Im Hinblick auf das 17. Jahrhundert ist es wichtig zu betonen, daß im 16. Jahrhundert zahlreiche Adelige für eine größere Anzahl von Jahren in verschiedenen niedrigeren Hofämtern dienten. Am Hof Kaiser Ferdinands I. lag die Zahl derer, die als „Diener von Adel ohne Amt“ in zwei oder mehr verschiedenen Besoldungsstufen dienten, über 30. Mehr als 20 Truchsessen waren zuvor „Diener von Adel ohne Amt“. Die Zahl derer, die Fürschneider, Silberkämmerer, Mundschenke oder Kämmerer wurden, ohne vorher Truchseß oder zumindest „Diener von Adel ohne Amt“ gewesen zu sein, war außerordentlich gering 289 . Wenn es auch keine strikte Folge zu durchlaufender Ämter gab 290 , so brauchte es meist mehrere Jahre, um verschiedene Hierarchiestufen zu durchlaufen. Das Erreichen der im 16. Jahrhundert noch beachtlichen Mundschenken- Neudegg, Marquard Stain, Gabriel Strein, Ludwig Tobar, Georg Thanhausen, Johan de Valentius, Friedrich Waldstein, Hans von Welmsperg, Ruprecht Welzer. 287 Hofstaatsverzeichnisse in HHStA, OMeA SR, aus den Jahren 1539 bis 1564. 288 Darunter waren etwa Philip Breuner (Hofdiener und Hofkammerrat), Auferien Busbeck (Hofdiener und Hofrat), Wilhelm Graswein (Hofdiener und Hofkriegsrat), Bernhard von Manesis (Hofdiener und Hofrat), Wilhelm von Schwarzenburg (Fürschneider und Hofrat), Ludwig Tobar (Hofdiener, Fürschneider und Hofrat), Georg Thanhausen (Hofdiener, Truchseß, Mundschenk und Hofkriegsrat), Georg Welzer (Hofdiener und Hofkriegsrat), Hans Wolkenstein (Mundschenk und Hofrat). 289 So etwa Schwarzenburg und Neuhaus. 290 Dies war auch deshalb der Fall, weil es (auch) im 16. Jahrhundert kein Amt gab, das den Einstieg in den Hofstaat monopolisiert hätte. <?page no="75"?> 74 oder Kämmererstelle beanspruchte in den meisten Fällen erhebliche Zeit. Für das spätere 16. Jahrhundert läßt sich mittels eines die Eintritts- und Ausscheidedaten vermerkenden Hofstaatsverzeichnisses Rudolfs II. 291 präziser zeigen, daß die Erlangung höherer Ämter des Hofstaats grundsätzlich mit einer mehrjährigen vorherigen Dienstversehung in niedrigeren Ämtern einherging. Diese lag mit durchschnittlich etwa fünf Jahren besonders dort hoch, wo nur mittlere Ämter wie das des Fürschneiders oder Panathiers erreicht wurden, während höhere Ämter wie das des Mundschenks - und auch des Kämmerers - etwas schneller erreicht wurden. Diesem einzigartigen Verzeichnis zufolge, in dem Kämmerer leider nicht verzeichnet sind, hatten von den acht genannten Mundschenken fünf zuvor als Truchseß und von diesen wiederum zwei zuvor als „Diener von Adel ohne Amt“ gedient; einer der Truchsessen hatte vor dem Mundschenkennoch das Panathieramt versehen. Im Durchschnitt hatten die fünf vor der Erlangung des Mundschenkenamtes rund 1,9 Jahre in den niedrigeren Ämtern des Hofstaats gedient, davon als Truchseß im Durchschnitt 1,3 Jahre 292 . Unter den 20 genannten Fürschneidern, die kein höheres Amt erlangt hatten, hatte nur einer zuvor kein niedrigeres Amt innegehabt 293 . 17 waren zuvor Truchsessen, von diesen waren 11 zuvor „Diener von Adel ohne Amt“, einer von diesen letztgenannten auch Untersilberkämmerer, zwei auch Panathier gewesen. Für 14 der Fürschneider sind die Dienstzeiten als Truchseß angegeben; sie lag bei durchschnittlich etwas über 5,2 Jahren. Hinzu kommen bei den zehn Fürschneidern, für welche die Dienstzeiten als „Diener von Adel ohne Amt“ angegeben sind, noch durchschnittlich 1,4 Jahre pro Person in dieser Position sowie die mindestens 8,5 im Panathier- oder Untersilberkämmererdienst verbrachten Jahre 294 . Insgesamt verbrachten die Fürschneider vor der Erlangung dieses Amtes im Durchschnitt mindestens 4,8 Jahre in niedrigeren Ämtern des Hofstaats 295 . Von den sechs Personen, die als höchstes Amt das des Panathiers versahen, waren alle zuvor Truchseß und fünf auch „Diener von Adel ohne Amt“ gewesen. Einer von diesen hatte zudem noch das Un- 291 Wenn als Ausscheidedatum nur der Monat oder die Monatsmitte angegeben wurde, wurde für die Berechnungen jeweils der 15. des entsprechenden Monats eingesetzt. 292 1354, 26, 614, 698 und 807 Tage. 293 Ladislaus Popel von Lobkowitz. Georg Freiherr von Oppersdorf war, obschon dies in diesem Verzeichnis nicht aufgeführt wird, zuvor Truchseß. 294 Die tatsächliche Zahl liegt höher, da für einen Panathier die Dienstzeiten fehlen. 295 Dabei sind nur die in dem Verzeichnis angegeben Daten eingerechnet, tatsächlich liegt sie wegen fehlender Datumsangaben bei Oppersdorf, Hardegg, Hassenstein und Burguntio höher. <?page no="76"?> 75 tersilberkämmereramt versehen. Die Verweildauer im Truchsessenamt war zwar mit etwa 3 Jahren geringer als bei den Fürscheidern, doch lag ihre Verweildauer als „Diener von Adel ohne Amt“ so hoch, daß sie ingesamt durchschnittlich 5,6 Jahre in niedrigeren Ämtern des Hofstaates dienten, bevor sie das Amt des Panathiers erreichten. Bei denen, die als höchstes Amt das des Truchsessen innehatten, verhält es sich - vor dem Hintergrund, daß das Truchsessenamt in weit stärkerem Maße ein Einstiegsamt in den Hofstaat war als die höheren Ämter - etwas anders. Nur 19 der 40 aufgeführten Truchsessen hatten zuvor die niedrigere Position als Hofdiener inne, in der sie durchschnittlich 1,8 Jahre geführt wurden 296 . In den bis zum Zeitpunkt der Verfertigung des Hofstaatsverzeichnisses erlangten Ämtern verweilten die Personen, deren Ausscheiden noch vermerkt ist, dann unterschiedliche Dauer: Mundschenke durchschnittlich 5,5 Jahre, Fürschneider 2,9 Jahre, Panathiers 3,1 Jahre, Truchsessen 2,5 Jahre und Hofdiener 4,7 Jahre - Zahlen, die sich noch erhöhen, wenn man für diejenigen Amtsträger, für die kein Ausscheidedatum angegeben ist, annimmt, daß sie Ende 1586 noch in Diensten waren 297 . Nimmt man die Zeiten im schließlich erreichten Amt und die in niedrigeren Ämtern bis dahin verbrachte Dauer zusammen, zeigt sich, daß die 1586 als Mundschenke verzeichneten und bereits wieder als aus dem 296 Von diesen war einer 78 Tage zudem Untersilberkämmerer, einer Hartschier gewesen. 297 Von den Mundschenken, deren Ausscheidedatum Ende 1586 verzeichnet war, hatten drei etwa 7,5 Jahre gedient, einer etwas über drei Jahre, einer lediglich sechs Tage. Geht man davon aus, daß die drei Amtsträger, deren Ausscheiden nicht verzeichnet war, am 31. Dez. 1586 noch dienten, wird man Amtszeiten von je 16, zehn und zwei Jahren ergänzen müssen. Diejenigen, die als Fürschneider ausgeschieden waren und deren Ausscheidedatum verzeichnet ist, hatten in einem Fall etwa zehn Jahre, in zwei Fällen annähernd sechs Jahre, je einmal etwa vier und etwas über drei Jahre, zweimal knapp unter zwei Jahren und in vier Fällen weniger als ein Jahr gedient. Nur einer verließ den Hof am Tag nach der Ernennung, ein weiterer etwa drei Monate später. Geht man wiederum davon aus, daß diejenigen, deren Ausscheidedatum nicht angegeben ist, Ende 1586 noch dienten, kommen Amtszeiten von einmal ca. zehn Jahren, viermal zwischen sechs und acht Jahren sowie je einmal knapp vier und etwas über 2 Jahren hinzu. Bei denen, die als höchstes Amt das des Panathiers erreichten, wurden von denen, deren Ausscheidedatum verzeichnet wurde, Amtszeiten von je rund sechseinhalb, zweieinhalb Jahren und etwa drei Monaten erreicht. Bezieht man die übrigen als bis zum Stichtag dienend ein, wären Amtszeiten von 16 und knapp vier Jahren zu ergänzen. Die Truchsessen, deren Ausscheidedatum vermerkt ist, dienten in vier Fällen zwischen fünf und sechs Jahren, in sechs Fällen zwischen vier und fünf Jahren, in drei Fällen drei bis vier Jahre, in zwei Fällen zwei bis drei Jahre, in acht Fällen ein bis zwei Jahre, in sieben Fällen weniger als ein Jahr, in einem Fall wurde vermerkt, daß der Truchseß noch nie bei Hof gewesen sei. Rechnet man bei den übrigen bis zum 31. Dez. 1586, sind zwei Amtszeiten von vier bis fünf Jahren, zwei von zwei bis drei, vier von einem bis zu zwei Jahren und eine unter einem Jahr zu ergänzen. Von den Hofdienern, deren Ausscheidedatum vermerkt ist, diente einer etwas über zwölf Jahre, vier zwischen sieben und neun Jahren, einer zwischen vier und fünf Jahren, einer etwa drei Jahre, drei zwischen einem und zwei Jahren und schließlich zwei unter einem Jahr. <?page no="77"?> 76 Hofstaat ausgeschiedenen Höflinge 7,4 Jahre, die Fürschneider 7,7 Jahre, die Panathier 8,6 Jahre und die Truchsessen 4,3 Jahre in den verschiedenen Hofämtern zugebracht hatten. Im Vergleich zum 17. Jahrhundert fällt einerseits die auf eine breite Basis gestellte lange Verweildauer bei Hof in den niedrigeren Ehrenämtern ins Auge, andererseits die große Bedeutung der Ämterlaufbahn gerade im Fürschneider- und Panathieramt; in der Regel währte dort - anders als im höheren Mundschenkenamt - der Vorlauf wesentlich länger als die Amtszeit im schließlich erreichten Amt. 17. Jahrhundert Wenden wir nun den Blick auf das 17. Jahrhundert und fragen, wie viele verschiedene Adelige die Höfe des 17. Jahrhunderts in ihren verschiedenen Ämtern umfaßten. Da für die Amtsträger des äußeren Hofstaats (Truchsessen, Fürschneider, Mundschenk) Ferdinands II. nicht genügend Daten vorliegen, wird an dieser Stelle der Hof Ferdinands III. betrachtet. Dieser ernannte insgesamt rund 280 wirkliche und 31 unwirkliche Kämmerer, 78 Mundschenke, 20 Fürschneider und rund 95 Truchsessen und damit rund 460 Amtsträger zu den Ehrendiensten des Hofstaats. Diese Zahl liegt unter derjenigen der in einem sehr ähnlichen Zeitraum vorgenommenen Ernennungen Ferdinands I. 298 Innerhalb der Gruppe der Truchsessen, Mundschenke, Fürschneider und Kämmerer gab es aber weniger Fluktuation als in der - auch die „Diener von Adel ohne Amt“ in ihren verschiedenen Besoldungsstufen umfassenden - vergleichbaren Gruppe unter Ferdinand I.: 17 Truchsessen Ferdinands III. waren auch Fürschneider, Mundschenke, Kämmerer, Silberkämmerer oder Stäblmeister 299 . Elf seiner Fürschneider hatten ein anderes Amt inne, darunter waren sechs zuvor Truchsessen gewesen und sind also schon erwähnt worden und die übrigen fünf Mundschenke 300 oder 298 Die These vom Wachstum wäre also zu differenzieren. 299 Zwei waren Truchseß und Fürschneider (Christoph Ernst von Schallenberg, Anton Landöry), zwei Truchseß und Mundschenk (Johann Matthias Strassoldo, Ott Achaz Hohenfeldner von Aisterheim), drei waren Truchseß, Fürschneider und Mundschenk (Christoph Sigmund Thun, Johann Sigmund Gersdorf, Georg Zdenko Vratislav von Mitrovic), einer Truchseß, Fürschneider und Kämmerer (Franz Christoph Hyzerle von Chodov), drei waren Truchseß, Mundschenk, Kämmerer (Hans Sebastian von Hallweill, Adam Quintin von Herberstein, Hans Wenzel von Kolovrat), einer Truchseß und Kämmerer (Daniel Revey de Reva, Johann Ludwig von Starhemberg), Jarislaus Ferdinand Saverma von Jeltsch war Truchseß und Untersilberkämmerer, Michael Waywoda Truchseß, Mundschenk und Oberstäblmeister und Franz Christoph Hyzerle von Chodov war zudem Oberstsilberkämmerer. 300 Francesco Bonacossi, Franz Leopold Tierheim; Jarislaus Hassenburg (auch Oberstäblmeister). <?page no="78"?> 77 Kämmerer 301 . Von den rund 45 Mundschenken, die auch andere Ämter versahen, waren acht zuvor Truchseß gewesen, vier Fürschneider, drei Fürschneider und Truchseß. Etwa 30 Mundschenke wurden später Kämmerer; von diesen hatten aber nur fünf zuvor ein geringeres Amt innegehabt 302 . Rund 50 der Amtsinhaber Ferdinands III. hatten auf diese Weise verschiedene der genannten Ämter inne 303 . Von daher reduziert sich die Zahl der Personen gegenüber der Summe der Ämter bei Hof lediglich um etwa 60 auf rund 400 adelige Amträger im Bereich der Ehrendienste, eine Zahl, die der von Ferdinand I. erreichten Größenordnung nahe kommt. Die inflationäre Besetzung des Kämmereramtes fing so quantitativ den Verlust der Position der „Diener von Adel ohne Amt“ auf, und damit einhergehend verschoben sich die Laufbahnmuster in grundlegender Weise. Nur knapp 40 Kämmerer, nur 14 Mundschenke, nur acht Fürschneider Ferdinands III. durchliefen zuvor niedrigere Ehrenämter bei Hof. Die Laufbahn in den klassischen Ehrenämtern des Hofstaates verschwand zwar nicht, doch wurde sie fast zur Ausnahme. Zugleich verringerte sich - nicht nur aufgrund des Wegfalls der niedrigsten Einstiegsposition - die Zeit, die Höflinge im Ehrendienst für das Erreichen der nächsten Posten benötigten. Während unter Rudolf II. zwischen der Ernennung zum Truchsessen und der zum Fürschneider in der Regel wesentlich mehr als drei Jahre vergingen, von der Zeit, die viele benötigten, um überhaupt erst das Truchsessenamt zu erhalten, ganz zu schweigen, waren es unter Ferdinand III. in keinem Fall mehr als drei Jahre. Die Verweildauer von Höflingen, die eine Laufbahn in den Ehrenämtern des Hofstaates durchliefen, nahm im 17. gegenüber dem 16. Jahrhundert somit erheblich ab. Dagegen rückt der Bereich Verwaltung und Justiz in den Vordergrund. Wenn der Hofstaat Ferdinands III. gegenüber dem Ferdinands I. mehr Adelige umfaßte, liegt das an den rund 50 Geheimen Räten sowie den rund 80 hochadeligen Reichshof-, Hofkammer- und Hofkriegsräten, von denen rund 50 auch das Kämmereramt innehatten 304 ; nur sehr 301 Hans Bernhard Löbl und Christoph Ehrenreich Schallenberg. 302 Hans Sebastian Hallweill, Adam Quintin Herberstein, Hans Wenzel Kolovrat, Jarislaus Hassenburg, Michael Alvernia Clavesana. 303 Hinzuzurechnen wären u.a. Hartschierhauptmann, Falkenmeister, Oberstäblmeister, Oberst- und Untersilberkämmerer und Oberstkuchlmeister; vgl. die Listen in APP. 304 Etwa 50 Kämmerer, die zuvor kein niedrigeres Amt gehabt hatten, hatten sonstige Ämter: Etwa 30 waren Geheime Räte und in der Regel zugleich Inhaber höchster Ämter in Hofstaat, Verwaltung, Justiz oder Militär, etwa 20 waren Reichshofräte, Hofkammer- oder Hofkriegsräte; vgl. die Listen in APP. <?page no="79"?> 78 wenige von diesen hatten zuvor niedrigere Ehrenämter versehen 305 . Zwar blieben die klassische Laufbahn in den Ehrendiensten des Hofstaats und die in Justiz bzw. Verwaltung wie schon unter Ferdinand I. grundsätzlich distinkte Bereiche, sie wurden aber durch das Kämmereramt partiell verklammert. Unter Leopold I. schienen sich diese Trends angesichts der Ernennungszahlen im Geheimen Rat sowie im Kämmereramt und der wenigen nachgewiesenen Inhaber niedrigerer Ehrenämter noch weiter zu verschärfen. Die 1665 formulierte und zunächst kaum glaubwürdig scheinende Klage des Oberstkämmerers Leopolds I., daß der Kaiser von den Inhabern der adeligen Hofämter bei den Speisen kaum mehr bedient werde, so daß Kammerdiener deren Aufgaben übernehmen müßten 306 , wird vor dem Hintergrund der Entwicklungen in den niedrigeren Ehrenämtern plausibel. Auch der Hinweis, daß dieser Mißstand gerade deshalb eingetreten sei, weil die Kämmerer (! ) sich zu dienen schämten, wird nun verständlich: Nach der alten Hofordnung waren für das Auftragen der Speisen die niedrigeren Ehrenämter zuständig, die - das war oben gezeigt worden - nurmehr in sehr geringer Zahl besetzt wurden und, dieser Umstand kommt noch hinzu, auch immer kürzere Zeit ihren Dienst versahen. II. Tatsächliche Präsenz Die gravierenden Veränderungen bei der Besetzung von Hofämtern lenken den Blick auf das Verhältnis von Stelle, Dienst und Präsenz. Die strenge Kopplung, welche ein modernes Verständnis von Mitgliedschaft impliziert, war nur teilweise gegeben und erfolgte in besonderem Maße über die tatsächliche Besoldung. Gerade die teilweise lose Kopplung dieser Elemente aber war eine zentrale Voraussetzung für die Ausweitung des Bestandes an formellen Mitgliedern des Hofstaats - der Kaiser konnte so viele Höflinge weder bezahlen noch beschäftigen und diese hatten auch anderes zu tun. Die vielschichtige und pragmatische Kombination der verschiedenen Elemente unter Wahrung des formalen Status verweist damit auf die auf beiden Seiten auftauchenden Schwierigkeiten und Nachgiebigkeiten, landständischen Adel formell in den Hofstaat 305 Nur Franz Ernst Molart (Hofkammerrat), Claudio Collalto und Ferdinand Ernst Waldstein (Reichshofrat) waren zunächst auch Mundschenke. 306 OÖLA, HSt, Sch. 1224, Fasz. 13, Nr. 231, Konzept eines Memorials des Oberstkämmerers Lamberg an den Kaiser, Nov. 1666. <?page no="80"?> 79 einzubinden, bot aber verschiedene praktikable Lösungen an, die im einzelnen sehr unterschiedlich ausfallen konnten und hinsichtlich der Aspekte Besoldung und Dienstversehung mit der formellen Mitgliedschaft kaum noch etwas zu tun hatten. Diese informell hochpragmatisch ausgefüllte Mitgliedschaft aber, das kann in Teil II ausführlich gezeigt werden, blieb als formeller Ansatzpunkt für eine wachsende Zahl von Folgeunterscheidungen bis hin beispielsweise zu Sitzordnungen etwa im Grazer Geheimen Rat zentral und erweist sich aus der Perspektive einer Ordnungsfunktion des Hofstaates, die über diesen selbst noch hinausweist, als stabiles und für den Adel sehr wichtiges Element. Man kann das Bild einer Muschel bemühen, die ungeachtet der Gezeiten nach und nach an Substanz gewinnt. Neben dem Blick auf die Inkonsistenzbedingungen für die erfolgreiche Ausweitung des Hofstaats als Mitgliederorganisation ist die Frage nach dem Verhältnis von Mitgliedschaft, Dienst und Präsenz für Fragen der symbolischen und materiellen Einbindung von hoher Relevanz. Dienstliche wie außerdienstliche Einflußnahme, die Knüpfung von Kontakten, das Betreiben von eigenen Anliegen und damit Fragen der Reproduktion des Adels ingesamt waren in hohem Maße von wenigstens zeitweiliger persönlicher Präsenz bei Hof abhängig. Dabei konnte das Verhältnis von Dienst und Präsenz selbst wiederum verschiedene Ausprägungen annehmen: Kämmerer hielten sich mitunter mehrere Monate bei Hof auf, versahen in dieser Zeit aber nur einige Wochen Kammerdienst und nur fall- und stundenweise sonstige kleinere Aufgaben vom Tafeldienst bis zum Aufwarten in Kirchen. Auch schloß der Hofdienst häufige anderweitige Aufenthalte durchaus nicht regelmäßig aus. Die Verhältnisse waren komplex und komplexer als die Kategorien der Selbstbeobachtung des Hofstaats. Diese setzt bei unklaren und fließenden Bestimmungen der Kategorien von Amtsinhabern an, worauf der Begriff „wirklicher“ Amtsträger ein besonders helles Licht wirft. Daß die Dokumentation und die Selbstbeschreibung des Hofstaates aber mit der hohen Mobilität der Höflinge nicht Schritt halten konnte, zwingt dazu, in einigen Tiefenstudien auch hinter die einschlägige offizielle Dokumentation zurückzugehen und Quellen zu betrachten, die aus dieser Perspektive eine zufällige Überlieferung darstellen: Itinerare, Kalender, Sitzungslisten. Zu kleinsten Einheiten - zum Redebeitrag, zur bloßen Anwesenheit in spezifischen Situationen bzw. Interaktionen, zur Wahrnehmung der Präsenz durch Dritte - dringt man empirisch nur selten vor; derartige Hinweise haben ihren Platz denn auch im zweiten, <?page no="81"?> 80 detailnäher gearbeiteten Teil der Arbeit. Auf der Ebene großer Personenmengen müssen wir uns mit der Analyse spezifischer Ausprägungen, mit der Destillierung von Präsenzmustern und einer breiter angelegten Betrachtung von relevanten Faktoren begnügen. Wiederum ergibt sich ein vielschichtiger Befund. Zunächst werden um der Herstellung einiger Ordnung willen die Diskrepanzen zwischen Mitgliederzahlen und Dienstbzw. Präsenzzeiten vermessen und für die so wichtigen Kämmerer und Geheimen Räte besonders vertieft. Darüber hinaus sind ungeachtet des Prozesses der Verfestigung Wiens als Hauptresidenz und Hauptverwaltungssitz die langen Zeiten in den Blick zu nehmen, in denen der kaiserliche Hofstaat andernorts residierte. Unterschiedliche Aufenthaltsorte produzierten erhebliche Unterschiede auch in der Zusammensetzung und Größe des anwesenden Hofstaats, und bei genauerem Hinsehen lassen sich Differenzspuren auch für die Aufenthalte in der niederösterreichischen Residenzlandschaft festmachen; die dominierende Vorstellung von einem „Wiener Hof“ ist partiell revisionsbedürftig. Das oben ungeachtet des steten Wandels scheinbar so kompakt gebaute Bild eines mitgliedschaftlich organisierten Personenverbandes löst sich damit zwar nicht auf, wird aber durch zahlreiche Faktoren und Zyklen differenziert. 1. Amtsversehung Differenzen zwischen Amt und Präsenz treten im Bereich der Ehrenämter anders als bei den einfach oder doppelt besetzten Funktionsehrenämtern überdeutlich zutage. Funktionsehrenämter wurden regelmäßig tatsächlich versehen, mit kurzfristigen Vakanzen, Urlauben und sonstigen zumeist kürzeren Abwesenheitszeiten: Die Inhaber der obersten Hofämter, die Silberkämmerer, Stäblmeister, Kuchlmeister, Gardehauptleute etc. weilten in aller Regel stets bei Hof. Zwar kam es auch in diesem Bereich vor, daß Amtsträger zu eigenen Lebzeiten außerhalb von Hofstaatsauflösungen ausschieden, doch fällt dies in Anbetracht sehr langer Dienstzeiten oder hernach übernommener Hofämter kaum ins Gewicht. Ähnlich verhält es sich beim adeligen Personal der Hofkammer und des Reichshofrates; der Hofkriegsrat weist dagegen Besonderheiten auf 307 . Fluktuation von Amtsträgern in der Hofkammer ergab sich in der Regel todeshalber, kaum im Zusammenhang mit der Auflösung von Hofstaaten. Amtsträger im Bereich der Verwaltung und Justiz dienten in 307 Hier trug die Übernahme von Kommandos zu einer höheren Fluktuation bei. <?page no="82"?> 81 der Regel tatsächlich und waren denn auch bei Hof präsent oder in dienstlichem Auftrag abwesend. Von daher wird es vor allem darauf ankommen, die Präsenzdichte zu durchdringen, die sich aus den Gesamternennungszahlen nicht unmittelbar ergibt und diese teilweise auch namhaft zu machen. Wenn auch dies nicht immer einfach ist, so liegen die Hauptschwierigkeiten doch im Bereich der mit mehreren Personen besetzten Ehrenämter. a. Kämmerer Bei den Kämmerern verlor sich im Laufe des 17. Jahrhunderts der durch das Amt anfänglich noch gewährleistete Zusammenhang zwischen Inhaberschaft, tatsächlicher Dienstverrichtung im Kammerdienst 308 , Anwesenheit am Dienstort/ bei Hof und Besoldung in Gestalt aller denkbaren Merkmalskombinationen. Erschwert wird die Validierung der verschiedenen und nebeneinander existierenden Ausprägungen zum einen durch den Umstand, daß die jeweiligen Ausprägungen reversibel waren. Man verlor zwar nicht das Kämmereramt, konnte aber die Dienstverrichtung eine zeitlang verabsäumen, zeitweise von Hof abwesend sein, zeitweise Besoldung beziehen, aber eben auch den Dienst nach einiger Zeit wieder aufnehmen, sich ohne Dienstverrichtung bei Hof aufhalten oder sich irgendwann um Zahlungen bemühen. Auch sind die Quellen zu Dienst und Anwesenheit sehr spärlich gesät. Hinsichtlich des Kammerdienstes gibt es nur wenige Hinweise, hinsichtlich der Anwesenheit von Kämmerern gilt ähnliches. Die Besoldung indiziert zwar die Dienstverrichtung, doch gibt es nicht wenige Beispiele, wo dieser Zusammenhang nicht gegeben ist. Es ist also Vorsicht geboten. Da Kämmerer jedoch bei Antritt des Amtes einen Eid abzuleisten hatten, darf mit sehr wenigen Ausnahmen davon ausgegangen werden, daß jeder Kämmerer des 17. Jahrhunderts zumindest einmal bei Hof zugegen war 309 . 308 Die Kategorie des Dienstes ist bei den Ehrenämtern ohnehin schon weich. Hier sei sie so gefaßt, daß nur der Kammer- oder Tafeldienst oder die Erledigung besonderer Aufträge darunter fallen, die Präsenz in der Antecamera, soweit sie im Gutdünken des Kämmerers lag, jedoch unter Anwesenheit. 309 Die Nuntiaturberichte zeigen, daß auch Kämmerer, bei denen prima vista vermutet werden könnte, sie seien allenfalls Titularkämmerer geworden, tatsächlich Dienst versahen. Für Felix Pallavicino beispielsweis als Kämmerer Ferdinands III. wurden konstatiert: „hà preso il possesso della sua Carica”; auch der am 31. Dez. 1650 ernannte Sohn des englischen Gesandten Arundel nahm den Dienst in der Kammer auf (ASV, SG, 148, 8. Jan. 1650). <?page no="83"?> 82 Terminologie, Restriktionen, Instruktionen Auch die Entwicklung der zeitgenössischen Terminologie zur Beschreibung des Kämmereramtes gibt einige Hinweise auf das Verhältnis von Anwesenheit und Abwesenheit. Es war oben bereits angeklungen, daß die Terminologie zum Kämmereramt dem Umstand Rechnung getragen hatte, daß im Laufe des 16. Jahrhunderts die Zahl der Kämmerer deutlich angewachsen und es in der Folge zu Differenzierungen nach Besoldung und tatsächlicher Dienstversehung gekommen war. Der wichtigste Gesandtenbericht über den Hofstaat Ferdinands II. stammt vom Nuntius Caraffa und vermutlich aus dem Jahr 1629. Er berichtet darin von einer wichtigen Reform im Kämmereramt: Danach wurde unter Ferdinand II. die Zahl der um die Person des Herrschers dienenden Kämmerer auf zwölf Personen beschränkt: Die übrigen seien fortan nur noch Ehrenkammerherren gewesen 310 . Im Rahmen der Reduktion der Hofstaatskosten 1632 entschied Ferdinand II. in der Tat, nurmehr zwölf Kämmerer zu besolden und zu verköstigen, die übrigen aber abzudanken 311 . Die Einteilung, welche der 1637 anonym im Druck erschienene und teilweise von Caraffa abhängige „Status particularis“ für den Hofstaat Ferdinands II. trifft, gibt die Zustände kaum richtig wieder. Es werden 33 „Cubicularii Cæsarei, qui tales de facto sunt“ und 62 „Cubicularii Cæsarei Extraordinarii“ bzw. „de honore“ genannt 312 . Wäh- 310 Caraffa 1629 (Hurter (1860), S. 237, 238). Zu Caraffa vgl. Squicciarini (1999), S. 125-128. Nach Caraffa taten die Kämmerer beim Ankleiden und im Verweilen in den Gemächern bis zum Schlafengehen Dienst, im übrigen aber bei der Tafel als Vorschneider und Mundschenke. Dies stimmt mit den Notizen eines Kämmerers Ferdinands III. (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Herbst 1640) und der schwachen Besetzung des Mundschenke-, Fürschneider-, Truchsessen- und Panathieramtes unter Ferdinand II. überein; vgl. Kap. A.I.1.b. Auch unter Leopold I. war nach einer Denkschrift des Oberstkämmerers Lamberg der Tafeldienst in der (nicht guten) Hand der Kämmerer (Hengerer (2001a), S. 355). Diese Aufteilung des Tafel- und Kammerdienstes hatte Vorläufer in den Tätigkeiten der Edelknaben im Kammerdienst als Mundschenke, Truchsessen schon im 16. Jahrhundert (vgl. Anm. 180). 311 HKA, NÖHA, W-61/ A/ 36, ad 1. Unter Bezug auf das Gutachten des Oberstkämmerers, wonach in seinem Stab nur wenig erspart werden könne (vgl. Anm. 328), schlugen die Räte vor, „eine gewisse Zahl der würckhlichen Cammerer zu underhalten, welche fortan bei Hof verleiben, würckhlich dienen, auch darvon die Tafl haben und besoldet werden sollten, und daß die mit Obristschafften oder sonst anderen Kriegsdiensten occupirt und Ihre K: M. Hofhaltung nit beiwohnen […] gar wol reformirt [i.e. abgedankt] werden khünnen“, was der Kaiser guthieß. Es wurde festgehalten, „Daß Ihre K. M. sich auf eine gewisse Zahl der Cammerherrn gnädigst resolvieren, und es bei Zwelff verbleiben lassen möchten, doch anietzo die so beraith angenomben, abthankhen: und wann ainer hinwegh khombt, khainen uber die Zahl hinfüer annemben, Auch khainen zwai dienst zu lassen“; weiter sollten die Kämmerer sich entscheiden, ob sie ihren Kriegsdienst oder den Kammerdienst leisten wollten. 312 Lateinische auf den Stand im Jahr 1636 bezogene Ausgabe 1637; englische Ausgabe: The particular state of the government of Ferdinand the Second as it was in the year 1636, London 1637. Teiledition ohne Kämmerer bei Fellner (1907b), S. 216-228. Auch bei Wiedergabe des <?page no="84"?> 83 rend die Zahl 33 im Hinblick auf den Vorschlag des Oberstkämmerers aus den 1660er Jahren, 30 bis 50 Kämmerer mit der Bedienung zu betrauen, und auch im Hinblick auf die Zahl der besoldeten und mit Hofquartier versehenen Kämmerer Ferdinands III. noch in Einklang mit späteren besser abgesicherten Verhältnissen und Vorstellungen zu bringen ist und auf die Schwierigkeiten hinweisen könnte, die Restriktion auf zwölf Kämmerer zu realisieren, erscheint die Nennung der Zahl von 62 Ehrenkämmerern willkürlich. In den Quellen aus der Provenienz der Hofstaatsverwaltung für Ferdinand II. bis Leopold I. tauchen v.a. die Begriffe „wirklicher Kämmerer“, „Ehrenkämmerer“ bzw. „de honore“ und „unwirklicher Kämmerer“ auf. Die einsichtigste Unterscheidung ist dabei die zwischen den „wirklichen“ und den „unwirklichen“ Kämmerern. Diese Unterscheidung war jedoch nur sehr bedingt an tatsächliche Dienstverrichtung gebunden. Einen Beleg hierfür liefert das Memorial des Oberstkämmerers Lamberg aus dem Jahr 1666, in dem er dem Kaiser vorschlug, aus der Gruppe der wirklichen Kämmerer etwa 30 bis 50 zu ernennen, von denen der Kaiser sich in der Kammer regelmäßig bedienen lassen möge: „die übrige aber des wirklichen dienstes enthebt sein sollen, iedoch denenselben der Titl, schlissl und alle præeminenzen, die Ihnen sonst gebüren, allerdings reservirt bleiben“ 313 . Das Zitat macht deutlich, daß alle aus der Gruppe der wirklichen Kämmerer grundsätzlich dienstberechtigt waren, daß aber nicht alle tatsächlich dienten, und daß die Figur des Titularkämmerers einen späten Versuch darstellt, eine sich an die Dienstversehung anlehnende formelle Unterscheidung innerhalb der wirklichen Kämmerer einzuführen. Die Zahl von 30 bis 50 tatsächlich (turnusmäßig) dienenden Kämmerern liegt etwas über den oben ermittelten Zahlen präsenter Kämmerer. Die „unwürklichen Cammerern“ Ferdinands III., die uns in nur einer Liste und nur für Ferdinand III. überliefert sind 314 , scheinen sich von den wirklichen - gleich ob letztere Dienst taten oder nicht - dadurch zu unterscheiden, daß von ihnen feststand, daß sie in Zukunft den Kam- Stands der Geheimen Räte war der „Status particularis“ nicht auf dem aktuellen Stand (Schwarz (1943), S. 115, Anm. 20). „Status particularis“, p. 96-102, 65. Die Zahl ist in Anbetracht von HHStA, OKäA C/ F 1 (Teiledition: Pickl von Witkenberg (ca. 1903/ 04), S. 58-81), zu niedrig angesetzt. Andererseits enthält der „Status particularis“ Personen, die in der 1635 abbrechenden Liste nicht genannt sind. Zum Verhältnis der Listen Pickl von Witkenberg (ca. 1903/ 04), S. 82, 84. 313 OÖLA, HASteyr, Sch. 1224, Fasz. 13, Nr. 231, Memorial Lambergs an Leopold I. vom 7. Nov. 1666, Konzept. 314 Die Liste reicht bis 1648 und nennt 31 Personen (HHStA, OKäA C/ F 2, fol. 1, 1v). <?page no="85"?> 84 merdienst nicht mehr versehen würden. Diese eindeutige Zukunftsprognose hinsichtlich des tatsächlichen Kammerdienstes scheint den Unterschied zu den wirklichen Kämmerern auszumachen. Fast alle in der Liste als unwirkliche Kämmerer aufgeführten Personen waren höchstrangige Hofleute, mehr als die Hälfte der Genannten waren Geheime Räte. Einige von ihnen waren vor Anlage der Liste als wirkliche Kämmerer geführt worden, bei vielen war später das hohe Amt (beispielsweise die Landeshauptmannschaft, das Obersthofmeisteramt oder das Reichsvizekanzleramt) hinzugekommen, welches einen Kammerdienst ausschloß 315 . Die dritte terminologisch gefaßte Gruppe sind die Ehrenkämmerer, die von den wirklichen Kämmerern unterschieden werden; der Begriff taucht in verschiedenen Vorzimmerordnungen Ferdinands III. und Leopolds I. auf, nicht aber in den beiden Hofstaatsverzeichnissen und sonstigen Kämmererlisten Ferdinands III., welche sich auf „unwirkliche Kämmerer“ und „wirkliche Kämmerer“ beziehen 316 . Die „Ehrenkämmerer sind freilich nicht mit den „unwürklichen Kämmerern“ Ferdinands III. identisch. Unter Leopold I. scheinen Ehrenkämmerer auch außerhalb der Vorzimmerordnungen auf: Eine Liste nennt „Cammerherrn, welliche keinen dienst mer thuen, sondern nur den Ehren schlissel tragen“, sowie „Cammerherrn so dienst thuen“ 317 . Neben der Gruppe der diensttuenden Kämmerer, welche sich in dieser Liste mit den wirklichen Kämmerern deckt, stehen also diese Ehrenkämmerer. Beachtlich ist das Wort „mer“, ist damit doch angedeutet, daß diese Kämmerer zu den wirklichen Kämmerern gehört hatten. Mit dem Begriff Ehrenkämmerer scheinen damit diejenigen bezeichnet worden zu sein, welche zwar gedient hatten, von denen es in Zukunft aber nicht mehr zu erwarten stand; der Unterschied zu den „unwirklichen Kämme- 315 Franz Albrecht Harrach diente noch als Oberstfalken- und Landjägermeister Ferdinands III. als Kämmerer, aber nicht mehr als Oberststallmeister (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319). 316 Zu den Vorzimmerverzeichnissen vgl. Kap. B.I.3.a. Verzeichnisse Ferdinands III.: HHStA, OMeA SR, Bd. 186 und 187. Auch Buccellini (1655) trifft diese Unterscheidung nicht; Teiledition ohne Kämmerer: Fellner (1907b), S. 228-233. Dies gilt auch für das vom Hof aus gefertigte Kämmererverzeichnis Ferdinands II. ÖStA, HHStA, OKäA, C/ F 2. 317 ÖNB, Cod. 7418, fol. 63v, 64. Da die diensttuenden Kämmerer den Schlüssel dem Oberstkämmerer aushändigen mußten, „da es sich begeb, dass ihren einer etwann von Hof verruckhen oder sonst Schwachheit halben von ihren Dienst abwegig sein wirdten“ (Oberstkämmererinstruktion 1562 (Men"ík (1899), S. 521); vgl. Caraffa, Hurter (1860), S. 237), die in Cod. 7814 genannten Personen als Inhaber des Ehrenschlüssels jedoch diesen verm. nach ihrer Dienstzeit behalten durften, sind innerhalb der Gruppe der mit Schlüssel versehenen Kämmerer unterschiedliche Gruppen auszumachen, diensttuende und Inhaber der Ehrenschlüssel. Spätestens in den 1630er Jahren wurden die Schlüssel technisch nach schließenden und nicht schließenden differenziert. Vgl. Duwe (1990), S. 49, 50, und Anm. 675. <?page no="86"?> 85 rern“ liegt in der fehlenden ex-ante-Perspektive. Ein Aspekt der Problemlösung könnte auch in einer Vorschrift der Instruktion Ferdinands III. für den Oberstkämmerer von 1637 liegen. Danach sollten Kämmerer zwei bis drei Jahre wirklich dienen, damit ihnen die Vorrechte des Amtes dauerhaft zugebilligt wurden; diejenigen, die diese Voraussetzung nicht erfüllten, kommen als Ehrenkämmerer immerhin in Betracht 318 , zumal der Oberstkämmerer diese Regelung unter Leopold I. wieder vorschlug. Insgesamt entsteht der Eindruck, daß die Verfasser der Kämmererlisten in der Handhabung der unsicheren Unterscheidungskategorien auch in Anbetracht der schwankenden Praxis of unschlüssig waren. Die Entwicklung im Kämmereramt war vor allem im Hinblick auf die im Laufe der Zeit sich verändernden Verhältnisse jedenfalls vielschichtiger, als daß sie durch die zeitgenössischen Kategorien angemessen hätte beschrieben werden können 319 . Besoldung und Präsenz Für eine Analyse der Anwesenheit von einzelnen Amtsträgern bei Hof kommen zwar insbesondere die Hofzahlamtsbücher in Betracht. Sie verzeichnen mit den Besoldungen in der Regel die Zeiträume des tatsächlichen Dienstes, werden jedoch in vielerlei Hinsicht im Verlaufe des 17. Jahrhunderts unpräziser. So werden die genauen Daten von Abwesenheitszeiten, teilweise auch die genauen Besoldungszeiträume, in den späteren Hofzahlamtsbüchern seltener angegeben, so daß man in einigen Fällen auf die Errechnung von Präsenzzeiten über Soldhöhen angewiesen ist. Das wird dann problematisch, wenn die Zeitpunkte nicht bekannt sind, an denen die Besoldung einsetzte oder aufhörte. Für die Beurteilung der Validität der Hofzahlamtsbücher als Quelle für die Dienstversehung bei Hof stellt sich zudem die Frage nach ihrer Vollständigkeit. Zwei Umstände sind es, die hauptsächlich Bedenken 318 HHStA, HA FA, K. 100, Konv. 1637-1644, Instruktion, Wien, 20. März 1637. Auch diese Regelung scheint mitunter umgangen worden zu sein. So war nach dem Intimationsdekret dem Kämmerer Helmhard Ungnad die wirkliche Stelle vom Datum der Intimation an zu rechnen (OÖLA, HSt, Sch. 1240, Fasz. 30, Nr. 631, Ebersdorf 21. Aug. 1654, Kopie). 319 Ein Beleg hierfür ist das von HHStA, OKäA C/ F 2, fol. 21 ff. abhängige Verzeichnis der Kämmerer Ferdinands III. aus SOA Prag, RA St, 48, in welcher mit dem Reichsvizekanzler Kurz und dem Landeshauptmann Kuefstein zwei Personen als wirkliche Kämmerer verzeichnet sind, welche in der Liste der unwirklichen Kämmerer auftauchen (HHStA, OKäA, C/ F 2). Sie sind im Verzeichnis der wirklichen Kämmerer im richtigen Jahr eingereiht und, anders als in OKäA, in der richtigen Reihenfolge: Kuefstein, der den Schlüssel im Mai erhielt, steht in der Liste aus dem RA St vor Kurz, der im Okt. folgte. Ernennungsdaten waren dem Verfasser bekannt, die Einordnung in die Kategorien war problematisch. <?page no="87"?> 86 aufkommen lassen. Zum einen kommt es vereinzelt vor, daß Kämmerer mit ihren Besoldungen außerhalb des Hofzahlamtes angewiesen werden, zum anderen ist es so, daß Inhaber einiger Ehrenämter als Besoldungsempfänger in den Hofzahlamtsbüchern im Verlaufe des 17. Jahrhunderts zwar nicht ganz verschwinden, aber doch sehr weitgehend wegfallen. Gleichwohl wird man bei der Würdigung dieser Faktoren die Quelle für verhältnismäßig zuverlässig halten dürfen, wird doch auf von außerhalb des Hofzahlamtes bezogene Besoldungsquellen zur Vermeidung von doppelten Bezügen in den Hofzahlamtsbüchern hingewiesen 320 . Die in den Hofzahlamtsbüchern dokumentierte Ausdünnung von Zahlungsempfängern im Bereich der Ehrendienste dürfte daher der tatsächlichen Entwicklung zumindest tendenziell entsprochen haben. Da sich aber Besoldung und Präsenz auseinanderentwickelten, wurden für die Analyse auch andere Quellen herangezogen. Auch diese leuchten die Präsenz bei Hof nicht aus, lassen aber Umrisse erkennen. In Rechnung zu stellen sind, das sei hier angefügt, zudem noch urlaubsbedingte Abwesenheitszeiten sowie nicht angemeldete Abwesenheitszeiten. Diachrone Vergleiche mit der Situation im 17. Jahrhundert wurden gezogen, wenn wichtige Entwicklungstendenzen hierdurch besser konturiert und in ihren Ursprüngen verständlicher gemacht werden konnten. Rudolf II. Der sich im 17. Jahrhundert auflösende Zusammenhang zwischen Besoldung, Anwesenheit und Dienst scheint unter Rudolf II. noch bestanden zu haben. Unter Rudolf II. waren selbst in den letzten Regierungsjahren fast alle Kämmerer zeitweise noch besoldet. Eine Analyse der 320 Für Ferdinand II. sind die Hofzahlamtsbücher insofern wenig aussagekräftig, scheint doch die Zahlung aus Innerösterreich und dem innerösterreichischen Hofpfennigmeisteramt die Regel gewesen zu sein (vgl. auch HHStA, HA FA, K. 66, Konvolut 2, fol. 18v, 19). Zu Zahlungen aus Innerösterreich an Geheime Räte ohne Einstellung der Ausgaben in den Hofzahlamtsbüchern vgl. Anm. 455. Der Wechsel der Zahlungsanweisungen auf das Hofzahlamt zu Beginn der Regierungszeit Ferdinands III. markiert einen Umschwung. Aber auch Ferdinand Ernst Graf Waldstein, Kämmerer Ferdinands III., wurde 1643 teilweise aus dem innerösterreichischen Hofpfennigamt bezahlt (HKA, HZAB 93, fol. 152). Bei verspäteten Zahlungen wurde häufig der Zeitraum, für den gezahlt wurde, vermerkt. Auch wurden Anweisungen der Kämmererbesoldung auf andere Ämter im Hofzahlamtsbuch mitunter eingestellt (vgl. die Besoldung für David Ungnad von Weissenwolff, HKA, HZAB 105, fol. 204). So wurde in HKA, HZAB 106, fol. 131, festgehalten, daß der Sold für den Kämmerer Johann Adam Hersan laut Hofkontralor und Quittung als bezahlt abzuschreiben sei: „so ich umb khönfftiger nachricht und abrechnung willen, hieher notiere.“ Zu den erheblichen Umstimmigkeiten der Transaktionen zwischen Hofzahlamt und innerösterreichischem Hofpfennigmeisteramt unter Ferdinand II. vgl. Valentinitsch (1996b), S. 287. <?page no="88"?> 87 Einstellungen des Hofzahlamtes zwischen 1600 und Juni 1614 ergibt für die Jahre 1600 bis 1610 einschließlich den folgenden Befund (Tabelle 2) 321 . J F M A M J J A S O N D Arithm. Mittel 1600 8 8 8 7 8 8 8 8 8 7 7 7 7,7 1601 7 7 7 7 7 7 7 7 8 8 8 8 7,3 1602 8 8 7 7 7 8 8 7 7 7 7 8 7,4 1603 9 8 8 8 8 8 8 8 8 9 10 10 8,5 1604 10 9 10 9 10 10 10 10 10 10 9 9 9,7 1605 9 9 9 9 9 9 10 10 10 10 10 10 9,5 1606 8 8 8 9 9 9 9 9 10 10 10 10 9,1 1607 10 10 11 11 9 9 8 8 8 7 7 7 8,8 1608 7 7 7 6 8 8 8 8 9 8 8 8 7,7 1609 8 8 7 6 7 8 7 6 5 5 5 5 6,4 1610 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 3 3 3,2 Tabelle 2: Besoldete Kämmerer Rudolfs II., 1600-1610 Für Dienstverrichtungen wurden im fraglichen Zeitraum insgesamt 25 verschiedene Kämmerer besoldet. Dabei ergibt sich eine Spannbreite der Dienstzeiten von nur etwa zwei Monaten (Castiglion) bis hin zu zehn und sogar noch mehr Jahren. Drei Gruppen von Kämmerern gewinnen Kontur: Solche, die das Amt nur einige wenige Monate versahen (Doysellet, Gonzaga, Trška), solche, die einige Jahre dienten, und schließlich solche, die von Zeit zu Zeit bei Hof erschienen, dort jedoch nur kurz verweilten. Das Amt war offenbar flexibel genug, um kurzfristige ebenso wie langfristige Anwesenheit zuzulassen. Bei Rudolf II. stand jedoch die längerfristige bzw. langfristige Anwesenheit im Vordergrund. Beachtlich ist, daß trotz der Personalfluktuation die Schwankungen in der tatsächlichen Präsenz sehr gering waren. Bis Juli 1608 einschließlich wurden in jedem Monat zwischen sieben und zehn (in einigen wenigen Monaten auch elf) Kämmerer besoldet. Für die Besoldung der Kämmerer wurden zwischen 1600 und 1610 einschließlich etwa 40.550 fl. als Ausgaben in den Hofzahlamtsbüchern eingestellt, was im Mittel bei einer monatlichen Besoldung von 40 fl. etwas weniger als acht 321 HKA, HZAB 51-62. Gezählt wurden nur voll besoldete Monate. <?page no="89"?> 88 besoldete Kämmerer im Monat ergibt 322 . Der Abfall im Jahr 1608 kann seine Gründe in den Schwierigkeiten der letzten Jahre Rudolfs II. haben und damit die Situation abbilden, kann aber auch daraus resultieren, daß Zahlungen im Kämmereramt gerade in dieser Zeit häufig mit einiger Verspätung erfolgten; zudem verstarb 1614 noch der Hofzahlmeister, der in den letzten Jahren Rudolfs II. gedient hatte 323 . Damit sank die Chance, daß Zahlungen - nachweisbare zumal wie zu Anfang der Regierungszeit Ferdinands II. 324 - noch erfolgten. Ferdinand II. Während unter Kaiser Matthias Kämmerer noch in etwa der Größenordnung wie unter Rudolf II. besoldet wurden, weisen die Hofzahlamtsbücher in der Regierungszeit Kaiser Ferdinands II. keine Zahlungen an eigene Kämmerer auf. Lediglich Besoldungsausstände der Kämmerer seiner Vorgänger wurden noch beglichen und auch dies kam nach 1622 nur noch vereinzelt vor 325 . Zwar wurden etwa im Hofstaatsverzeichnis von 1619 noch die nominellen Bezüge von 480 fl. im Jahr angeführt 326 . Anders als etwa bei den Geheimen Räten Ferdinands II. finden sich kaum Hinweise auf eine aus anderen Finanzquellen bezogene Besoldung 327 . Damit erhebt sich die Frage, ob unter Ferdinand II. Kämmerern überhaupt eine Besoldung gezahlt wurde, zumal in Anbe- 322 Spätere Nachzahlungen (HZAB 63 ff.) wurden hier nicht berücksichtigt. 323 HKA, HZAB 62, fol. 1*. 324 Die HZAB der ersten Regierungsjahre Ferdinands II. enthalten Nachzahlungen für die Kämmerer der Kaiser Rudolf II. und Matthias 325 Das HZAB von 1619 notiert Einstellungen für Kämmerer bis zur Abdankung des Hofstaats des Kaisers Matthias am 30. Apr. 1619 (HKA, HZAB 68, fol. 268*-272*). 1620 wurde außer für den Oberstkämmerer nur für den Hofkammerpräsident Gundaker von Liechtenstein eine Zahlung in Höhe von 926 fl. eingestellt (HKA, HZAB 69, fol. 99*, 100*). Erst 1622 wurden wieder Kämmerer bezahlt, doch handelt es sich hier wiederum um Zahlungen an Kämmerer von Vorgängern Ferdinands II. (HKA, HZAB 70, fol. 139*-141*). Das gleiche gilt für die Einstellung von 150 fl. für Gilbert von Santilier im HZAB für 1624 und 1625 (HKA, HZAB 74, fol. 47*, 48*), eine Zahlung in Höhe von 10.802 fl. an Adam Waldstein als Kämmerer und Oberststallmeister Rudolfs II. (HKA, HZAB 76, 917*) sowie eine seit 1604 fällige Zahlung an Hans von Molart als Kämmerer (HKA, HZAB 76, 925*, 926*). 1625 wurden ausständige Gehälter an Höflinge des verstorbenen Erzherzogs Maximilian gezahlt, darunter an mehrere Kämmerer (HKA, HZAB 76, fol. 560*-623*). 1631 wurde eine Zahlung an einen Kämmerer Rudolfs II. eingestellt (HKA, HZAB 78, fol. 508*, 509*). Später erhielt nur mehr der Oberstkämmerer Khiesl eine Zahlung aus dem Hofzahlamt (HKA, HZAB 82, fol. 32*). 326 ÖNB, Cod. 8102, fol. 5-6. 327 Es gibt ein Indiz dafür, daß das innerösterreichische Hofzahlamt Besoldung auch für Kämmerer zahlte: StLA, FA DTH, Sch. 11, Heft 34, Kaiserin Eleonora I. an den innerösterreichischen Hofkammerpräsidenten Dietrichstein, Laxenburg, 18. Sept. 1638. Die Kaiserin übersandte ihm Unterlagen zu angeblichen Ausständen der Besoldung von Friedrich Graf Attems als Kämmerer Ferdinands II. und forderte zur Zahlung auf. <?page no="90"?> 89 tracht des Umstandes, daß (erst) 1632 eine tatsächliche Besoldung von zwölf Kämmerern ins Auge gefaßt wurde 328 . Das Fehlen jedweden Hinweises auf eine anderweitige Kämmererbesoldung in den Hofzahlamtsbüchern läßt sich dahingehend interpretieren, daß tatsächlich keine Gelder flossen; ausschließen lassen sich Zahlungen aus anderen Stellen jedoch nicht. Da das Hofzahlamt unter Ferdinand II. keine so schweren Liquiditätskrisen wie unter Ferdinand III. zu überstehen hatte und die Besoldungen an die Angehörigen der Justiz- und Verwaltungskammern, wenn zwar teilweise auch mit Verspätungen, aber dann doch irgendwann gezahlt wurden, wird man eine mangelhafte Führung der Hofzahlamtsbücher oder Geldmangel als Argument für Nichtzahlung kaum nicht ins Feld führen können. Die hohen Ernennungszahlen und die Anweisung von 1632 lassen eine gesicherte Dienstversehung ohne besoldete Kämmerer zudem möglich erscheinen. Ferdinand III. Für die Zeit Ferdinands III. führen die Hofzahlamtsbücher wieder besoldete Kämmerer auf, wenn auch nur wenig über 20 329 , während viele vermutlich von vornherein keinen Besoldungsanspruch erhielten 330 . Die Spanne der Dienstdauer lag wie bei Rudolf II. zwischen einem Monat und über zehn Jahren. Rechnet man von den Zahlungen auf Dienstzeiten zurück 331 , zeigt sich eine ähnliche Konturierung von Gruppen wie 328 Vgl. unten Anm. 311. Der langjährige Oberstkämmerer Ferdinands II. Khiesl (Schwarz (1943), S. 255, 256), antwortete auf die Frage, „was für reformation: und Ersparungen“ im Oberstkämmereramt vorgenommen werden könnten, daß „gar wenig in Ersparung khomen khan“, wolle nicht der Kaiser beschließen, „ein gewisse Zall der wirkhlichen Cammrern zu undterhalten, wellche forthan bei Hoff verbleiben, wirkhlichen dienen, auch davon die Taffl haben und besolt werden sollten, die jhenigen aber die mit obristschafften oder sonst andern khriegs diensten occupirt, und dero khaÿ: Maÿ: Hoffhaltung nit beÿwhonen khinnen gar woll reformirt und das Ihnen gebierende deputat in Ersparung gebracht werden“ (HKA, NÖHA W-61/ A/ 44, fol. 60, s.d.). Dieser Text läßt sich so lesen, daß eine Einsparung voraussetzen würde, daß zuvor die tatsächliche Besoldung anstelle einer Berechtigung für einen Teil beschlossen würde. 329 Ferdinand III. ließ vor der Aufrichtung seines kaiserlichen Hofstaats verlauten, der „ganze Hofstatt“ sollte richtig bezahlt werden (OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 49, Heinrich Wilhelm von Starhemberg an seinen Bruder Caspar, Wien, 26. März 1637). Nach HKA, HZAB 84- 103, 105, Kämmererbesoldungen, wurden als Kämmerer 22 Personen besoldet. Die Zahlung für Gilbert Graf St. Hilier (Santilier), Kämmerer seit 1654, in Höhe von 803 fl. (ca. 20 Monate Dienst) erfolgte erst an den Erben (HKA, HKA, HZAB 109, fol. 83), mit ihm sind es 23. 330 HKA, NÖK, rote Nr. 304, 3. Jan. 1652. Dekret an den Oberstkämmerer um Bericht über die Frage, ob der Obersthofmarschall Starhemberg ehedem als wirklicher Kämmerer mit Besoldung bestellt wurde oder ob ihm der Kämmererschlüssel nur ehrenhalber ohne Besoldung verliehen wurde; das Geld wurde später gezahlt (vgl. Anm. 418). 331 Geringfügige Verzerrungen ergeben sich durch die Defalcierung bei Vrbna und Hinweise auf einige Zahlungsausstände. <?page no="91"?> 90 bei Rudolf II. Etwa ein Drittel der Kämmerer wurde weniger als ein Jahr lang besoldet, drei davon nur für jeweils einen Monat. Daneben scheint ein Mittelfeld mit zwei Gruppen auf: Zwischen einem und drei Jahren dienten vier Kämmerer, zwischen vier und acht Jahren sieben. Schließlich gab es wiederum langfristig besoldete Kämmerer: Drei dienten länger als zehn Jahre 332 . Gegenüber Rudolf II. hatte sich der Schwerpunkt hin zu einer mittelfristigen Anwesenheitsdauer verschoben. Auffällig ist, daß die Personalstärke bei den besoldeten Kämmerern unter derjenigen Rudolfs II. lag. Hatte dieser in einem Dezennium 25 Kämmerer besoldet, waren dies in den zwei Dezennien der Regierung Ferdinands III. nur 22. Dies schlug sich in einer niedrigeren Präsenz besoldeter Kämmerer nieder. Rechnet man von den Zeitangaben der Hofzahlamtsbücher her, ergibt sich, daß zwischen dem Regierungsantritt im April 1637 und 1649 nur etwa fünf bis sieben besoldete Kämmerer im Monat bei Hof dienten 333 . Die bereits niedrige Zahl ist weiter nach unten zu korrigieren, müssen doch wegen der verzeichneten längeren Abwesenheit einiger Kämmerer vom Hof von den etwa 860 bezahlten Monaten von 1637 bis 1650 mindestens 100 Monate abgezogen werden 334 . Aus den Zahlungen aus dem Hofzahlamt an Kämmerer unter Ferdinand III. in Höhe von ingesamt ca. 38.000 fl. ergibt sich über seine gesamte Regierungszeit eine Dichte von knapp vier bezahlten Kämmerern im Monat; dabei sind jedoch die am Hof üblichen nicht geringen Zah- 332 Weniger als ein Jahr und ein Jahr waren besoldet Hermann %ernín, Sigmund Forgách, Franz Wilhelm Tallenberg, Ferdinand Ernst Waldstein, Johann Christoph Puchheim, Ferdinand Werdenberg, Johann Arbogaß von Thun; von diesen erhielten %ernín, Forgách, Puchheim und Thun jeweils nur 40 fl., also den Sold für nur einen Monat. Ein bis zwei Jahre dienten Albrecht von Zinzendorf, Franz Ernst Molart (dieser diente länger, bekam aber nur Abschlagszahlungen), Maximilian Dietrichstein (für diesen gilt das gleiche wie für Molart); zwei bis drei Jahre war Ulrich Adam Popel von Lobkowitz besoldet, die Klasse drei bis vier Jahre ist nicht besetzt, vier bis fünf Jahre waren Don Juan Giron (Beginn 1636), Adam Matthias Graf Trautmannsdorff, Raimondo Montecucoli und Georg Augustin Khevenhüller besoldet, fünf bis sechs Jahre Adolf Canossa, sechs bis sieben Jahre Wenzel von Vrbna und Georg Ludwig Sinzendorf, sieben bis acht Jahre Johann Friedrich Trauttmansdorff, acht bis zehn Jahre niemand, zehn und mehr Jahre Johann Ulrich Slavata (seit 1632 ohne Absentenabzug), Heinrich Johann von Bubna und David Ungnad von Weissenwolff. 333 Es wurden vollständig bezahlte Monate gezählt. Besoldete Dienstzeiten, die nicht sicher datierbar waren, wurden vom Amtsantritt an bzw. vom Zahlungstermin zurück (Tallenberg) gerechnet. 334 In den Hofzahlamtsbüchern sind für Wenzel Graf von Vrbna zehn Monate und später nochmals vier Jahre (HKA, HZAB 86, fol. 74*; ebd., 95, fol. 136, 137), für Heinrich Johann von Bubna elf Monate (ebd., 99, fol. 104), für Adolf Canossa 18 Monate Absenten vermerkt (ebd., 88, fol. 103*); bei Johann Ulrich Slavata ist der Umfang der Abwesenheit unklar (ebd., 97, fol. 156, 157). Da anders als in diesen Fällen nicht stets sichtbar ist, wie Absenten behandelt wurden, ergibt sich eine weitere Unsicherheit, die eine Korrektur der Anwesenheit nach unten nahelegt. Hinzu kommt der Urlaub, der Kämmerern gewährt wurde. <?page no="92"?> 91 lungsausstände zu bedenken. Betrachtet man die Zahlungen, die sich Jahren und Monaten zuordnen lassen, ergibt sich bis etwa 1650 eine lückenlose Personaldecke von meist fünf oder sechs (sehr selten vier und sieben) besoldeten Kämmerern. Um 1650 hingegen ging die Zahl besoldeter Kämmerer deutlich auf zwei bzw. drei zurück. Diese Kämmerer aber in zwei Fällen Personen, die die Zahlungen aller Wahrscheinlichkeit aufgrund ihrer ihrer Position in der Hofkammer zu realisieren verstanden: Georg Ludwig Graf von Sinzendorf 335 und Franz Ernst Molart; letzterer erhielt wie Maximilian Graf von Dietrichstein nur mehr Abschlagszahlungen 336 . Tatsächlich dürfte die ordentliche Besoldung zu Anfang der 1650er Jahre jedenfalls aus dem Hofzahlamt bis zum Tod Ferdinands III. gänzlich aufgehört haben. Ein Zusammenhang mit der Reformation des Hofstaates zu Anfang der 1650er Jahre ist denkbar, ließ sich bislang aber nicht eindeutig nachweisen. Eher wäre an eine Überlegung zu denken, die etwas später, bei der Planung des Hofstaats beim Regensburger Reichstag 1653/ 54 dahin ging, nur solche Kämmerer mitzunehmen, die aufgrund eigenen Vermögens sowie anderer Positionen im Hofstaat ohnehin versorgt waren; die dafür erforderliche Kompatibilität des tatsächlichen Kammerdienstes mit gewissen anderen Ämtern läßt sich trotz teilweise entgegenstehender Normen nachweisen 337 . Leopold I. Unter Leopold I. wurden im Untersuchungszeitraum zwar weiter Besoldungen an Kämmerer gezahlt, doch setzte sich der rückläufige Trend fort. In den unter Leopold I. erstellten Hofzahlamtsbüchern finden sich Zahlungen an Kämmerer, die Leopold I. noch vor dem Nachrücken in die Thronfolge gedient hatten, so an den 1651 aufgenommenen Wilhelm Graf Öttingen und den seit 1652 dienenden Ferdinand Maximili- 335 Sinzendorf war seit dem 23. Apr. 1650 Hofkammerrat (HKA, HZAB 97, fol. 164) und seit dem 25. März 1651 Hofkammervizepräsident (ebd., 99, fol. 190); die Kämmererbesoldung erfolgte innerhalb dieser Amtszeit: 1654 in Höhe von 2.000 fl. (ebd., 100, fol. 197) und 1657 in Höhe von 1.100 fl. (ebd., 103, fol. 134). 336 Franz Ernst Molart, Kämmerer seit 1645, war Hofkammerrat seit 1646 (HKA, HZAB 93, fol. 158) und war dies noch, als er 1654 eine Abschlagszahlung in Höhe von 305 fl. (ebd., 100, 197 und 201) und 1655 eine in Höhe von 100 fl. (ebd., 101, fol. 145 und 148, 149) erhielt. Dietrichstein, Kämmerer seit Jul. 1654, erhielt 1657 einen Abschlag von 840 fl. auf einen Anspruch in Höhe von 1418 fl. (ebd., 103, fol. 134). Unter Leopold I. wurden alte Ausstände auch an Kämmerern beglichen; so wurde u.a. die bis Ende 1650 verdiente Besoldung an David Ungnad von Weissenwolff ausgezahlt (HKA, HZAB 105, fol. 204). 337 Vgl. Anm. 506 und Kap. Kap. C.II.1.c. <?page no="93"?> 92 an Graf Sprinzenstein 338 . Kontinuierlich besoldet wurden daneben von 1660 bis 1665 Franz Bernhard Graf Urschenbeck und seit 1665 Johann Georg Freiherr von Strein 339 . Bei Johann Adam Hersan wurde eine Anforderung in nichtgenannter Höhe aus dem Kämmereramt mit einer Kaufpreisforderung des Fiskus verrechnet 340 . Daneben wurden Zahlungen an Kämmerer geleistet, bei denen die Annahme des aktiven Dienstes sehr unwahrscheinlich ist; vielmehr dürfte wie unter Ferdinand III. die Bündelung von Ämtern im fiskalischen Bereich zu den Zahlungen geführt haben 341 . So erhielt der schon bekannte Oberstkuchlmeister Franz Ernst Molart, seit 1657 Kämmerer auch Leopolds I., das Kämmerergehalt als Teil eines auf Lebenszeit zu zahlenden Gehaltes in Höhe von 2.000 fl., in das Ansprüche aus seinen anderen Ämtern einflossen 342 . Ferdinand Freiherr von Hohenfeld bezog eine Besoldung als Kämmerer erst, als er Hofkammervizepräsident war - das ist von Georg Ludwig Graf von Sinzendorf bereits bekannt und weist nicht auf eine ordentliche Dienstversehung hin 343 . Mit den bezahlten Kämmerern konnte, das wäre zu betonen, der Kammerdienst nicht sichergestellt werden. Im 17. Jahrhundert, so wird man den Befund vorläufig zusammenfassen können, fand die ordentliche Besoldung kaiserlicher Kämmerer ein Ende, während die Kämmerer junger Erzherzöge unter Leopold I. weiterhin besoldet wurden. Das Auslaufen der Besoldung ging mit der terminologischen Differenzierung innerhalb des Amtes sowie der erhebli- 338 An Öttingen wurde nach HKA, HZAB 104, fol. 119, erst vom 1. Jul. 1657 an gezahlt. Bis 1666 (ebd., 110) wurden inges. 3.850 fl. eingestellt, das sind 89,5 Monate. Sprinzenstein wurde in den 1660er Jahren ein Abschlag in Höhe von 2.480 fl. gezahlt, das sind 62 Monate (ebd., 110, fol. 221). Der Zeitraum, für welchen dieses Geld verfallen war, ist unklar. Die Kämmerer von jungen Erzherzögen wurden scheinbar regelmäßig bezahlt (vgl. für die Kämmerer des Erzherzogs Carl Joseph ebd., 109, fol. 212-214). Vgl. auch HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 19, fol. 483: erster Hofstaat für Carl Joseph Dez. 1659 mit vier Kämmerern. 339 Urschenbeck ab 1. Apr. 1660: HKA, HZAB 106, fol. 130; 107, fol. 125; 110, fol. 220; Strein vom 8. Jun. 1665 bis zum 30. Jun. 1666 (HKA, HZAB 100, fol. 221). 340 HKA, HZAB 106, fol. 130, 131. Die Höhe ist unklar. 341 Auch hochrangige Höflinge, welche aufgrund anderer Positionen Forderungen geltend machen konnten, bezogen die Kämmererbesoldung mit ein; vgl. A.II.1.a. „Ferdinand III.“ 342 HKA, HZAB 105, fol. 203, 204. Die Bewilligung auf Lebenszeit und die Zusammenfassung zu einem Gehalt weisen auf eine besondere kaiserliche Bewilligung hin. Er wurde insgesamt als Oberstkuchlmeister, Kämmerer und Hofkammerrat besoldet (HKA, HZAB 103, fol. 118, 119; 104, fol. 203, 204; 106, fol. 130; 107, fol. 125). 343 Hohenfeld war seit 1657 oder 1658 Kämmerer und seit 1662 Hofkammervizepräsident (HKA, HZAB 107, fol. 128). Er scheint daneben seit 1660 auch als Oberstkuchlmeister auf (HKA, HZAB 106, fol. 131) und leistete 1662 einen Vorschuß in Höhe von 30.000 fl. an den Kaiser (HKA, HZAB 108, fol. 14). Die Kämmererbesoldung taucht wie bei Molart in einem zusammengesetzten Gehalt auf (HKA, HZAB 108, fol. 6). <?page no="94"?> 93 chen quantitativen Ausdehnung des Amtes einher - hätte Leopold I. um 1665 seine 300 Kämmerer regulär besolden wollen, hätte er dafür jährlich 144.000 fl. aufwenden müssen. Bis etwa 1650 erscheint die Besoldung kaiserlicher Kämmerer noch als schwaches Indiz für tatsächlichen Dienst, steht die durch die Zahlungen gesicherte Personaldecke doch auch in einer gewissen Übereinstimmung mit den Beschreibungen der turnusmäßigen Dienstversehung. Später löste sich der Zusammenhang fast vollständig auf, so daß in einer Beschreibung des kaiserlichen Hofes von 1705 zu lesen ist, daß die Kämmerer auf eine Auszahlung der Besoldung gänzlich verzichteten 344 . Daß kaiserliche Kämmerer bereits in den 1650er Jahren unbesoldet waren, berichtete die Finalrelation zur Gesandtschaft des langjährigen päpstlichen Nuntius Pannochieschi: kaiserliche Kämmerer dienten danach „senz’altra mercede, che del Patrocinio di Cesare nelle loro occorrenze“ 345 . Damit scheidet Besoldung als zentraler Nachweis für tatsächliche Präsenz am Hof mit der Zeit aus, weshalb nach anderen Quellen zu suchen ist, welche ein Licht auch auf die vorangehenden Jahrzehnte werfen. Dies ist umso dringlicher, als in der eben zitierten Finalrelation darauf hingewiesen wird, daß die Gruppe der Kämmerer nicht allein die quantitativ stärkste sei, sondern auch jene, „che piu si rivede, et che maggiormente fà strepito per la Corte.“ 346 Quartier Das Hofquartiermeisteramt 347 führte Buch über die am Kaiserhof übliche Vergabe von Hofquartieren an Höflinge. In den Hofquartierbüchern war verzeichnet, „wo ein ieder kaÿl: und Erzherzogl: Minister, Cammerer, und Officier logiert“ 348 . Obschon damit eine wichtige Quelle vorliegt, sind allzu weitreichende Schlüsse aus den als Quartiernehmer eingetragenen Kämmerern auf die Präsenz von Kämmerern insgesamt aus verschiedenen Gründen auch hier nur sehr bedingt möglich; denn längst nicht alle bei Hof anwesenden quartierberechtigten Personen erhielten tatsächlich ein Quartier. 344 Rinck (1708). 345 ASV, FP, 212, fol. 14v. Weiter heißt es: Damit die Unterstützung durch den Kaiser noch besser gelänge, heirateten sie oft eine Hofdame der Kaiserin. 346 ASV, FP, 212, fol. 14. 347 Spielman (1993), S. 75-100. Kallbrunner (o. J.), Kallbrunner (1925). 348 HQB, Nr. 36, Verzeichnis der Hofquartierbücher. <?page no="95"?> 94 Dies lag zum einen daran, daß die Zahl derjenigen Wohnungen, welche aufgrund ihrer Qualität zur Unterbringung höherer Adeliger geeignet schienen, begrenzt war: In einem Gutachten des Hofquartiermeisters und der Hoffuriere heißt es, daß „doch nit mehr als in acht Heisern solche Hoffquartier zu findten [sind], darin ein Cauaglier oder hocher Officier, wie sich auf ihne gebürt, Commode logirt sein khönte“ 349 . Mit dieser Unterscheidung nahm man es indes nicht stets so genau; Kämmerern wurden auch geringere Quartiere angewiesen 350 . In der Tat war jedoch das Hofquartier vorrangig niederen Hofbedienten sowie den Reichshofräten und Hofkammerräten vorbehalten 351 ; auch verfügten viele Adelige über ein Haus in Wien 352 . Aber selbst dann, wenn die Bewerber ein Hofquartier erhalten hatten, bedeutete dies nicht zwangsläu- 349 HKA HQR, K. 1, Nr. 14 (1650), Nr. 166 (Quartier Öttingen). Das Gutachten steht im Zusammenhang mit der seit 1643 aktenkundigen Auseinandersetzung um das Quartier für den Reichshofrat Graf Öttingen, könnte allerdings, da es auf die Abwehr des Anspruchs gerichtet ist, die Situation überzeichnen. Daß in der Tat nicht viele Quartiere für Kämmerer in Frage kamen, zeigt die Zusammenschau der Extrakte des Hofquartieramtes (HKA, HQB 31-34), die seit den 1640er angelegt und bis in die 1660er Jahre geführt wurden. Ungeachtet einiger Verschiebungen der Hausnummern (in Extrakt 31, 32 und 33 etwa zwischen Nr. 256 und 262) läßt sich die Belegung einiger mit Kämmerern belegter Wohnungen nachvollziehen, wobei nicht selten Quartiere, die Kämmerern gehört hatten, in der Folge an Inhaber anderer Ämter gingen. Beispiele: Das Quartier in dem Haus mit der Nr. 724 gehörte im Extrakt 31 von etwa 1645 einem Grafen Thun; in Betracht kommen mehrere Kämmerer dieses Namens. Unter Leopold I. besaß es Georg Jacob Herberstein, Kämmerer unter Ferdinand III. und Leopold I. (HQB 14, Nr. 724 und Extrakt 33, Nr. 724). Das Quartier in dem Haus, Nr. 794, das nach Extrakt 31 noch dem Kämmerer Kinský gehört hatte, war unter Leopold I. einem Hofkammerrat verliehen worden (HQB 14, Nr. 794 und Extrakt 33, Nr. 794), Nr. 898 hatte lt. Extrakt 31 noch ein Maradas, auch hier kommen mehrere Kämmerer dieses Namens in Betracht, bewohnt, unter Leopold I. wohnte dort der Oberstsilberkämmerer und seit 1659 auch Kämmerer Ferdinand Hyzerle (HQB 14, Nr. 898 und Exkrakt 33, Nr. 898), der zuvor ein Quartier in dem Haus Nr. 891 besessen hatte (HQB 14, Nr. 891). Das Quartier Nr. 1061 das wohl erst in den 1650er Jahren vermutlich Franz Urschenbeck, Kämmerer Ferdinands III. seit 1655, zusammen mit einer anderen Person besaß, besaß nach HQB 14, Nr. 1061 der Reichshofrat Bohn (vgl. Gschließer (1942), S. 262, 263), nach dem etwas späteren Extrakt 33, Nr. 1061, neben einer weiteren Person der Hofkammerrat Wenzel Hegenmüller. 350 So bewilligte Ferdinand III. am 25. Sept. 1645 Franz Ernst von Molart, Kämmerer seit dem 27. Jul. 1645, ein Quartier. In der Bittschrift hatte Molart vorgebracht, seit etlichen Jahren kein Quartier bekommen, sondern auf eigene Kosten in Wirtshäusern logiert zu haben. Die Ausführung wurde am 6. Dez. 1645 befohlen (HKA, HQR, K. 1, Nr. 9 (1645), Nr. 113). 351 „Es haben ihnen dergleichen fürneme Cauaglire vor diesem für ein Disreputacion ein Quartier zubegern, erachtet“ (HKA, HQR, K. 3, Nr. 32 (1665), Nr. 530, Hofmarschall Starhemberg an den Kaiser). 352 Ausnahmsweise war damit die Hofquartierberechtigung nicht aufgehoben. Viele Adelige, die quartierpflichtige Häuser besaßen, bekamen in diesen Hofquartier angewiesen. So erhielt Johann Joachim Graf Sinzendorf mit kaiserlichem Dekret vom 19. Sept. 1663 Quartierfreiheit, die auf die Erben mit der Begründung, so der Bericht vom 26. Aug. 1663, erstreckt wurde, daß nicht daran zu zweifeln sei, daß die Erben in die „fußstapfen“ des Vaters treten und „als Cammerherrn zu dienen, sich meritirt machen“ würden (HKA, HQR, K. 3, Nr. 30 (1663), Nr. 505). Auch der Oberstfalkenmeister und vormalige besoldete Kämmerer Leopolds I., Graf Urschenbeck, besaß im eigenen Haus Quartier (ebd., Nr. 32 (1665), Nr. 530). <?page no="96"?> 95 fig, daß sie bei Hof anwesend waren. Es war üblich, das eigene Quartier unterzuvermieten 353 , im eigenen Haus Hofquartier zu nehmen und dieses so von Einquartierungen Dritter freizuhalten 354 oder es anderweitig für sehr persönliche Zwecke zu verwenden 355 . In der Regel aber wurde darauf Wert gelegt, daß nur Bewerber, die den Kammerdienst tatsächlich ausüben wollten, ein Quartier zugewiesen bekamen: Zur beantragten Vergabe eines Hofquartiers an den 1656 zum Kämmerer Leopolds I. ernannten Christoph Hans Graf Altheim riet der Hofmarschall 1665 nur unter dem Vorbehalt, daß diesem „aus keiner anderen ursach, als allein Ewer kaÿ: Mayestät underthänigst zu dienen, alhier beständig in loco verbleibet, Euer kaÿ: Mayestät auch beÿ underschidlichen raisen gefolget, und künfftig noch thun wird, und solchemnach ihm billich vor anderen, so nit stets in loco seind“ das Quartier gebühre 356 . In einem drastisch gefaßten Bericht an den für das Quartierwesen zuständigen Hofmarschall Starhemberg brachten die Hoffuriere zur Begründung einer angefochtenen Zwangsräumung in Erinnerung, „daß die maisten kaÿl: Cammerern und Hoff Cauaglieri [...], welche mit grosser spesa, zu bedienung Ihrer kaÿl: Maÿl: unsers Allergenedigisten Herrn, dero Hoffstatt hin und wider volgen, [...] bis dato mit kheinem Quartier 353 Kallbrunner (o. J.), S. 27-30. So bat Franz Ernst von Molart, Kämmerer seit 1645, den Kaiser, ihm das Quartier seiner verstorbenen Mutter zu überlassen. Diese hatte noch weitere Wohnflächen angemietet, so aber Mietzinsschulden angehäuft. Molart wollte das Quartier vermieten und mit dem Erlös die Schulden tilgen, was 1647 bewilligt wurde (HKA, HQR, K. 1, Nr. 11 (1647), Nr. 130, fol. 26-27v). Damit hatte er sein eigenes Quartier am Graben sowie das der Mutter unter den Tuchlauben (ebd., Nr. 13 (1649), Nr. 147, fol. 92). Auch Joseph Graf Rabatta, Obersthofmeister des Erzherzogs Carl Joseph, vermietete sein Quartier weiter (ebd., K. 3, Nr. 26 (1661), Nr. 446, fol. 65). 354 Viele Hofleute kauften Häuser nur, wenn ihnen im eigenen Haus das ihnen sonst zustehende Quartier angewiesen wurde. Auch Kämmerer besaßen im eigenen Haus Quartier, so der Kämmerer und Oberstfalkenmeister Ferdinands III., Franz Bernhard von Urschenbeck (HKA HQR, K. 3, Nr. 32 (1665), Nr. 530, fol. 30). 355 So war ein verm. erzherzoglicher Kämmerer seit anderhalb Jahren nicht mehr am Hof; in seinem Quartier jedoch befand sich eine junge Frau „so seithero geschwängert worden“. Da es nicht üblich sei, daß Kämmerer in eigenen Geschäften solange von Hof abwesend seien und ihr Quartier behielten, wurde die Räumung vorgeschlagen (HKA, HQR, K. 1, Nr. 8 (1644), Nr. 107, fol. 40). Wegen drohender Räumung bei längerer Abwesenheit bat der kaiserliche Mundschenk Waywoda 1652 darum, ihm sein Quartier während seiner vorübergehenden und vom Kaiser genehmigten Reise in die Walachei zu lassen (ebd., K. 2, Nr. 16 (1652), Nr. 213, fol. 106). Weil sie bereits zwei volle Jahre nicht mehr in Wien, sondern in Graz in ihrer eigenen Wohnung lebe, ihr Wiener Hofquartier aber teilweise leer, „thails aber andern leüthen, wider die kaÿl: Patenta, umbs gelt verlassen, und damit Finanzereÿ getriben, welches in der kaÿl: Quartiersordnung hoch verbotten“, wurde das Quartier der Anna Leonora Gräfin von Wolkenstein zwangsweise geräumt (ebd., Nr. 19 (1655), Nr. 244, fol. 132). 356 HKA HQR, K. 3, Nr. 32 (1665), Nr. 530, fol. 30, vom Kaiser bewilligt am 14. Apr. 1665. Einen Hinweis auf die Verbindung von tatsächlichem Dienst und Hofquartierbesitz bietet Wenzel Graf von Vrbna, der unter Ferdinand III. Hofquartier hatte (HKA HQR, K. 1, Nr. 13 (1649), Nr. 152, fol. 142) und für über sechs Jahre Kämmerersold bezog (3.073 fl.). <?page no="97"?> 96 versehen, sondern in denen Wirthsheüsern und bestandt Zimmern herumbfahren: das Ihrige zuebiessen: und dabeÿ gleichsamb erarmen müessen“ 357 . Die meisten Kämmerer hatten demnach kein Quartier, sondern wohnten zur Miete 358 . Wenn die Darstellung auch drastisch ist, traf sie im Kern doch zu 359 . In einem Memorial an Ferdinand III. bat Starhemberg etwa 1655 um die zeitliche Beschränkung der Quartierbewilligung für das Personal der verstorbenen Kaiserin Eleonora I., um so Höflinge, die einzuquartieren ihm befohlen worden war, endlich unterbringen zu können. Warten mußten zu diesem Zeitpunkt nicht allein der Obersthofmeister der Kaiserin, Graf Fugger, und der Geheime und Reichshofrat Isaac Volmar 360 ; auch gab es „ungefehr beÿ 20. Cammerern, welche Quart[ier] praetendirn“ 361 . Damit haben wir zwar immerhin die Nennung einer absoluten Zahl von Bewerbern aus dem Kämmereramt, bei denen vorsichtig eine gleichzeitige Anwesenheit bei Hof angenommen werden darf. Ausgegangen werden muß von langen Wartezeiten: 1647 beispielsweise bewilligte der Kaiser dem Freiherrn Christoph Teuffel ein Hofquartier; in der Bittschrift hatte Teuffel bedeutet, er habe „werend meier betienung kheines erhalten noch erlangen khinen“ - Kämmerer war er seit 1637, eine Besoldungszahlung aus dem Hofzahlamt ist nicht nachweisbar 362 . Der aus den Hofquartierbüchern hervorgehende Befund hält sich in dem durch das beschriebene Wohnungsangebot begrenzten Rahmen. Nach einem die ersten Jahre der Regierungszeit Kaiser Leopolds I. dokumentierenden Hofquartierbuch 363 hatten nur etwa zehn Kämmerer 357 HKA, HQR, K. 2, Nr. 19 (1655), Nr. 244, fol. 132 ff. 358 Georg Manrique Graf Tessio, Kämmerer seit 1639, hatte dagegen ein Quartier besessen. Nach seiner Eheschließung gab er es auf und mietete eine Wohnung, hatte aber das Quartierrecht offenbar behalten (HKA, HQR, K. 1, Nr. 10 (1646), Nr. 125, fol. 52). 359 Vgl. auch Anm. 372. 1657 berichteten die Hoffuriere, es sei „kein ainziges“ Quartier frei, große Teile des Personals des Erzherzogs Leopold Wilhelm lebten in Wirtshäusern (HKA HQR, K. 2, Nr. 21 (1657), Nr. 260, fol. 75, 76). HKA, HQB 33 (verm. trotz der Zuordnung „1670“ etwas früher), verzeichnet 28 Wirtshäuser, die von Einquartierungen verschont bleiben sollen, da sie zumeist mit Pferden und Amtsträgern belegt seien. 360 HKA, HQR, K. 2, Nr. 16 (1652), Nr. 238, fol. 108. 361 Ebd. Kallbrunner (1925), S. 32. 362 HKA, HQR, K. 1, Nr. 10 (1646), Nr. 125, fol. 4; Bewilligung vom 1. Febr. 1647. Nicht immer war die Bewerbung eines Kämmerers erfolgreich: 1639 hatten sich der Kämmerer Wenzel Graf von Vrbna, der Reichshofrat Gebhard und der neue Hofzahlmeister Eder um das durch den Tod des Hofzahlmeisters Castele freigewordene Quartier beworben, das Eder bekam, da „sonst khein gelegenheit vorhanden, daß daß Hoffzallambt der Notturfft nach undergebracht: und daß gelt und Raittung zuverwahren“ (HKA, HQR, K. 1, Nr. 5 (1639), Nr. 23, fol. 60). Das Quartier hatte Eder bis zu seinem Tod (vgl. HQB 14, fol. 43v). 363 HKA, HQB 14. Zur Datierung: Eder wird als Hofzahlmeister geführt (fol. 43v), wurde aber spätestens 1660 von Carlo Miglio abgelöst (vgl. HKA, HZAB 105, fol. 399, HKA, HZAB 106). Die Angabe 1642 (fol. 86) diente wohl der Datierung von Baufreijahren. Daß es sich <?page no="98"?> 97 ein Hofquartier 364 , von denen aber nicht wenige andere Ämter innehatten: so Wolfgang Graf Öttingen 365 und Johann Karl Graf von Portia als Reichshofrat 366 , Franz Ernst Molart, der seit 1646 Oberstkuchlmeister Ferdinands III. war, Ferdinand Victor Teuffel, der auch Oberstäblmeister war 367 sowie vermutlich ein Graf Weissenwolff 368 . Bei dem im Hofquartierbuch ausgewiesenen Grafen Rabatta ist die Identität unklar und daher auch die Frage, ob er nicht noch ein anderes Amt innehatte 369 . Lediglich das Kämmereramt versahen in der Zeit der Abfassung des fraglichen Hofquartierbuches wohl nur Wilhelm Graf von Öttingen, Johann Sebastian von Hallweill 370 , Georg Jacob von Herberstein, Franz Augustin von Waldstein 371 und vermutlich der als Quartiernehmer genannte Graf Losenstein 372 . Die Stellung der Kämmerer im Hofquartierwesen vermag den anhand der Besoldungen gewonnenen Befund somit zu bestätigen. Dafür, daß besoldete Kämmerer als solche Hofquartier hatten, finden sich für Ferdinand III. und Leopold I. wenige Hinweise. Geht man aber davon aus, daß mit Hofquartier versehene Kämmerer, jedenfalls in der Regel, tatsächlich dienten, erhöht sich die Zahl derjenigen Kämmerer, mit deren steter Präsenz bei Hofe zu rechnen ist - wenn auch nur um ein geringes Maß. Wenn die über die Extrakte erhobenen Daten repräsentativ sind, wird man in der Mitte des 17. Jahrhunderts zur Zahl der besoldeten Kämmerer allenfalls etwa vier oder fünf mit Quartier versehene un- (auch) um die Zeit Leopolds I. handelt, machen dessen kaiserliche Kämmerer Franz Augustin von Waldstein und Wilhelm Graf Öttingen (Häuser Nr. 846 und 165) deutlich. 364 HKA, HQB 14, Teil 5: Wilhelm Graf von Ötting (Nr. 165), Wolfgang Graf von Öttingen (Nr. 744), Rabatta (Nr. 205), Hallweil (Nr. 331, 332), Herberstein (Nr. 724), Portia (Nr. 814), Waldstein (Nr. 846), Losenstein (Nr. 280), Molart (Nr. 66, 67), Teuffel (Nr. 1037), Weissenwolff (Nr. 681). Joseph Graf Rabatta, Kämmerer Ferdinands III. seit Apr. 1645 und erster Kämmerer Ferdinands IV., sollte 1650 das Quartier des über mehrere Jahre besoldeten kaiserlichen Kämmerers Wenzel von Vrbna erhalten; auch, weil sein Bruder nun bei Hof diente (HKA, HQR, K. 1, Nr. 13 (1649), Nr. 152, fol. 142, 143v, Ebersdorf, 30. Aug. 1649). Vgl. zu Quartierwechseln auch HKA, HQR, K. 1, Nr. 14 (1650), Nr. 163. 365 Reichshofrat seit 1653, seit 1683 Reichshofratspräsident (Gschließer (1942), S. 268). 366 Reichshofrat seit 22. Dez. 1658 (HKA, HZAB 105, fol. 201), vgl. Gschließer (1942), S. 278. 367 HKA, HQB 14, Nr. 1037. 368 Der hier primär in Betracht kommende Helmhard Christoph, Reichshofrat 1655 bis zum Tod Ferdinands III. (Gschließer (1942), S. 273, 274), war seit dem 20. Febr. 1659 auch Hofkammerrat (so jedenfalls HKA, HZAB 105, fol. 209). 369 Es kann sich um den Obersthofmeister des Erzherzogs Carl Joseph handeln (seit 1. Okt. 1660, HKA, HZAB 106, fol. 225). 370 Vgl. Kallbrunner (o. J.), S. 81, 82; danach hatte Hallweil das Hofquartier 1654 verlassen. 371 Dieser wurde Mitte 1664 Trabantenhauptmann (HKA, HZAB 109, fol. 190, 191). 372 Weder Vorname noch Amt sind ausgewiesen, doch kommt als Amtsträger und Kämmerer Leopolds I. Franz Adam Graf Losenstein in Betracht. <?page no="99"?> 98 besoldete Kämmerer hinzufügen können, und dabei noch in Rechnung stellen müssen, daß nicht jeder das Hofquartier für eigene Wohnzwecke nutzte. Wichtig ist der Hinweis auf die Zahl der Bewerber um das Hofquartier und die zur Miete lebenden Kämmerer. Geht man davon aus, daß die Kämmerer, die sich um ein Hofquartier bewarben, zumindest häufig in der Residenz waren, ergibt sich aus den Quellen zum Hofquartier eine Zahl von etwa 25 kaiserlichen Kämmerern, von deren etwa gleichzeitiger Anwesenheit in Wien für die 1650er Jahre ausgegangen werden darf. Diese Größenordnung findet sich durch Angaben zur Anwesenheit von Kämmerern bei Bestattungen von Habsburgern bestätigt. Je zwölf Kämmerer trugen den Sarg ihres verstorbenen Herren, wobei die übrigen unmittelbar vorangingen 373 . Die Träger wechselten jedoch mitunter ab, so daß für die Begräbnisfeierlichkeiten für Ferdinand III. ebenso wie für seine Gemahlin Maria Leopoldina 374 die Anwesenheit von mindestens 24 Kämmerern gesichert ist, von denen einige auch andere Ämter im Hofstaat innehatten 375 . Der Tod Ferdinands IV. ist besonders aufschlußreich, reichten doch die königlichen Kämmerer trotz offizieller Ansage zum Begräbnis für das Tragen des Sarges nicht aus, obschon zu diesem Zeitpunkt weit über 40 ernannt waren; so trugen zwölf königliche und zwölf kaiserliche Kämmerer den Sarg 376 . Von den Kämmerern Erzherzog Leopold Wilhelms hingegen waren bei seinem Begräbnis 18 anwesend und durch sechs kaiserliche ergänzt 377 . Verdichtungsmuster Einen wichtigen Hinweis auf die Formen der Fluktuation der Kämmerer gibt der Zeremonialbericht zur Nuntiatur Pannochieschi. Aufgrund der im Rahmen der Darstellung des Besuchszeremoniells genannten 373 BAV, Vat. lat. 10423, fol. 290. Vgl. auch ASV, FP 212, fol. 95. 374 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Aug. 1649. Maria Leopoldina († 7. Aug. 1649) wurde von 24 Kämmerern getragen. Zur Bestattung von Maria Anna vgl. NÖLA, StäAk, A-9-31, fol. 47. 375 HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 23, fol. 453v, und ebd., Konv. 28, fol. 434v. Im Bericht des schwedischen Vertreters sind für das Begräbnis Ferdinands III. 30 kaiserlicher Kämmerer angegeben (RKA, G 283, Begräbnis Ferdinands III.). Vgl. Hawlikvan de Water (1989). 376 HHStA, ÄZA, K. 4, Konv. 29, fol. 209, 209v. Da Bestattungen in dieser Zeit kurzfristig erfolgten, konnten die Ansagen die Zahl der anwesenden Kämmerer nicht wesentlich erhöhen. 377 Der Sarg wurde von zwölf erzherzoglichen Kämmerern in die Augustinerkirche getragen, insgesamt aber von 24, davon sechs kaiserlichen und allen 18 anwesenden erzherzoglichen: „so viel als da zugegen gewesen“ (HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 36, fol. 503v, 504). Bei der Bestattung des Erzherzogs Carl Joseph († 27. Jan. 1664) wurde der Leichnam „von allen andwessendten Cammeren tragendt“ zu den Kapuzinern gebracht; der Landmarschall und der Oberstkämmerer hatten allen anwesenden Adeligen das Erscheinen befohlen (AVA, FA HR, K. 448, Franz Leopold Thierheim an F. A. Harrach, Wien, 23. Jan. 1664). <?page no="100"?> 99 Kämmerer läßt sich ungeachtet der allgemeinen Feststellung des Wachstums des Amtes („il più numeroso“) 378 ein spezifisches Präsenzmuster ablesen. Der Verfasser des Zeremonialberichts nennt die Namen derjenigen Kämmerer, an deren Besuch bei Pannochieschi er sich nach eigenen Angaben bei der Niederschrift erinnerte; neben immerhin knapp 30 Kämmerern steht noch der Hinweis auf „molti altri Ungheri de quali non mi ricordo“ 379 . Beachtlich ist dabei ein deutlich überwiegender enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Ernennung zu Kämmerern und ihrer Nennung im Zeremonialbericht 380 . Daß dieser Befund jedenfalls nicht allein auf Gedächtnisleistungen zurückzuführen ist, belegen zahlreiche Quellen ganz unterschiedlicher Provenienz. Das Merkmal einer besonderen Verdichtung von Kämmerern, die dieses Amt erst wenige Jahre innehatten, findet sich in der Begleitung Kaiser Ferdinands III. und König Ferdinands IV. beim Reichstag in Regensburg 381 . Auch an der Präsenz von Kämmerern bei der Bestattung der Kaiserin Maria Anna 378 ASV, FP 212, fol. 14. 379 BAV, Vat. lat. 10423, fol. 177. 380 Von denen, die eindeutig identifizierbar sind, wurden vier im Jahr 1656 zu Kämmerern ernannt, vier 1654, zwei 1653, einer im Jahr 1652, einer 1650, nur fünf dagegen in den 1640er Jahren (von denen wenigstens einer eines anderen Amtes wegen bei Hof blieb) Giliberto Pio (1656), Johann von Vrbna von Freudenthal (1656), Aeneas Caprara (1656), Vincenz Hercolani (1656), Franz Niklas Lodron (1654), Gilbert Santilier (1654), Peter Strozzi (1654), Maximilian Dietrichstein (1654), Johann Rechberg (1653), Johann Rabatta (1653), Johann Humbrecht %ernín (1652), Ludwig Rabatta (1650), Johann Maria Testa Piccolomini (1649), Ferdinand Jakob Dietrichstein (1649), Claudio Collalto (1648, seit 1651 Reichshofrat), Josef Rabatta (1645), Johann Jakob Truchseß von Zeill (1641). Weiter werden der Bruder des Erzbischofs von Salzburg (verm. Michael Oswald von Thun, Kämmerer seit 1654) sowie ein Neffe des Obersthofmarschalls genannt; unklar ist die genaue Identifikation des genannten Grafen Paar, für den drei verschiedene Kämmerer in Betracht kommen, die 1648, 1650 und 1652 ernannt wurden. Für den genannten Herberstein kommen vier Kämmerer mit den Ernennungsjahren 1648, 1651, 1655 und 1657 in Betracht (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 177, 177v). Der Bericht deckt den Zeitraum von 1652 bis 1658 ab. Der Wochenbericht der Nuntiatur vom 11. Febr. 1651 (ASV, SG, 149) weist auf eine Verdichtung auch bei Mundschenken hin: Danach war gerade der Genueser Graf Zani (Mundschenk seit dem 4. Sept. 1650) verstorben, der gegenwärtig einer der Mundschenken Ferdinands III. sei. 381 Beim Regensburger Reichstag von 1653/ 54 waren von den Kämmerern Ferdinands III., die nicht hauptsächlich aufgrund eines anderen Amtes bei Hof verweilten, die meisten erst wenige Jahre im Amt, wie die Ernennungsjahre zeigen: 1653: Ranzau und Adam Franz Graf Waldstein; 1652: Humbrecht Johann Graf %ernín, 1651: Franz Anton Graf Trauttmansdorff und Leopold Wilhelm Markgraf von Baden; 1650: Franz Graf Pötting, Ludwig Graf Rabatta und Carl von Paar; 1649: Johann Maria Testa Graf Piccolomini, Marches Don Luigi Gonzaga; 1648: Ernst Graf von Salm; weit früher ernannt wurden Adam Matthias Graf Trauttmansdorff und Franciscus Graf Maradas (1639) und Johann Jakob von Zeill (1641); vgl. HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 27, fol. 19v, 20, und unten Anm. 541. Von den Kämmerern Ferdinands IV. waren neben den früh ernannten Rabatta (1. Kämmerer), Colloredo (4.) und Strozzi (5.) vornehmlich Kämmerer anwesend, die seit Apr. 1650 ernannt worden waren: Caprara (18.), Jörger (20.), Lodron (22.), Dietrichstein (23.), Königsegg (24.), Kotz von Dobrž (25.), Breuner (26.), Tierheim (27.) und Reckheim; vgl. Liste in APP. <?page no="101"?> 100 im Mai 1646 lassen sich Spuren dieses Musters finden 382 . Ein weiteres Indiz für diese Verdichtung auch in den 1640er Jahren bieten die Hinweise auf Kämmerer, die mit Franz Albrecht Harrach zusammen Wochendienst bei Ferdinand III. hatten 383 . Der Befund stützt die Annahme, daß die Präsenz von Kämmerern, die kein weiteres Amt bei Hof innehatten, auf das zeitlich nicht allzu weit gesteckte Umfeld der Ernennung beschränkt war und daß sich auch von daher eine beachtliche strukturierte Fluktuation in diesem Amte ergab. Im Zusammenhang mit der Verdichtung der Präsenz erst kürzlich ernannter Kämmerer ist auch die Bedeutung der ältesten (anwesenden) Kämmerer zu beachten, die dem Anschein nach zu besonderen Diensten bevorzugt herangezogen wurden. So ist in der Schilderung der Bestattung Kaiser Ferdinands III. explizit davon die Rede, daß einer der ältesten Kämmerer das Herz in das Klarissinnenkloster und die Eingeweide nach St. Stefan brachte 384 . Bei der Taufe von Erzherzog Carl Joseph gingen die beiden ältesten Kämmerer neben der Obersthofmeisterin Urschenbeck, als sie den Prinzen in die Ritterstube trug 385 . Da es bei derartigen Anlässen jedoch um die Wahrung zeremonieller Rechte ging, die nach Anciennität im Amt gewährt wurden, ist von einer gewissen Diffe- 382 Bei der Bestattung der Kaiserin Maria Anna waren als Begleiter der Hofdamen die Kämmerer Georg Ludwig von Starhemberg (seit 1643), Ferdinand Marchese Caretto (seit 1643, auch Reichshofrat), Conrad Balthasar von Starhemberg (seit 1644), Hans Christoph von Puchheim (seit 1643, auch Hofkriegsrat) sowie ein Graf Maradas (seit 1635 oder 1639) anwesend (NÖLA, StäAk, A-9-31, fol. 47). Bei der Öffnung des Sarges der Kaiserin waren neben dem spanischen Botschafter nur Kämmerer Zeugen, an denen sich die zeitliche Verdichtung wiederum ablesen läßt: die o.g. Grafen Maradas (1635/ 39), Marchese Ferdinand di Caretto (1643), Georg Ludwig von Starhemberg (1644) sowie Ott Ehrenreich von Trauttmansdorff (Kämmerer seit dem 22. Apr. 1646). 383 Harrach erwähnte als solche Graf Schwarzenberg („zur nacht mit grafen von Schwartzenberg allein zu Hof”, AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 30. Nov. 1640), während bei Baden („neben dem Margrafen von Baden meine wochen angefangen”, ebd., Mai 1651) und Kaunitz die Formulierungen zweifelsfrei sind. Diese waren als Kämmerer unbesoldet und im Abstand von weniger als drei vollen Jahren Kämmerer geworden: Johann Adolf Graf von Schwarzenberg im Jan. 1640, gemeinsame Dienstwoche: 30. Nov. bis 6. Dez. 1642; Leopold Wilhelm Markgraf von Baden, Kämmerer seit Febr. oder März 1651, gem. Dienstwochen: 6. bis 13. Mai 1651 und 23. bis 30. Nov. 1652; Rudolf Kaunitz im Apr. 1646 und Leopold Wilhelm Kaunitz im Nov. 1648, gem. Dienstwoche einer der beiden: 1. bis 7. Febr. 1648. 384 HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 28, fol. 433v, 437. Genannt werden Albrecht von Zinzendorf und Johann Friedrich Graf Trauttmansdorff. Zinzendorf war Kämmerer seit 1640, Trauttmansdorff seit 1643. Beide waren zu diesem Zeitpunkt auch Reichshofräte. Der Begriff des ältesten Kämmerers bezeichnet sich offenbar auf jeweils anwesende Kämmerer. Das Herz Ferdinands III. wurde später in Graz bestattet. 385 HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 23, fol. 418-19v, Taufe Erzherzog Carl Josephs, 11. Febr. 1657. <?page no="102"?> 101 renz zu gewöhnlichen Präsenzmustern und dem Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren auszugehen 386 . Bei Leopold I. findet sich das Muster einer verdichteten Präsenz von neuernannten Kämmerern im Untersuchungszeitraum nicht. Bei ihm dominierte lange Zeit, etwa bis 1665, eine sehr starke Präsenz älterer Kämmerer, besonders jener, die noch vor der Kaiserwahl ernannt worden waren, und unter diesen wiederum eine Bevorzugung der in den sehr frühen Jahren ernannten Personen. Am deutlichsten ausgeprägt war dieses Muster bei Hofreisen. Bereits in Frankfurt waren 1658 ganz überwiegend vor 1655 ernannte Kämmerer anwesend 387 . Daß bei der Erbhuldigungsreise im Jahr 1660 mehr als die Hälfte der mitreisenden Kämmerer vor 1657 und nur ein oder zwei Kämmerer nach 1658 ernannt worden waren, verdeutlicht die Präferenz Leopolds I. für frühernannte Kämmerer. Noch bei der Reise nach Innsbruck im Jahr 1665 stellten in den Jahren 1654, 1657 und 1658 ernannte Kämmerer den größten Anteil, während die Ernennungsjahrgänge 1659 und 1660 sowie 1662 bis 1665 völlig fehlten. Dieser Verdichtungstyp läßt sich nur partiell auf weitere Hofämter der jeweiligen Kämmerer zurückführen. Auch für die Verhältnisse in Wien finden sich Belege für eine Dominanz der älteren Kämmerer; der Anteil von Inhabern anderer Ämter, die um deretwillen in Wien weilten, ist hier zwar höher, doch wiederum läßt sich der Befund nicht auf diesen Faktor reduzieren, zumal in der Hauptresidenz die Varianz höher war als bei Hofreisen. So war unter den Kämmerern, die 1659 ihre Wagen für den Einzug des außerordentlichen venezianischen Botschafters zur Verfügung stellten, keiner des Ernennungsjahrganges 1659 und nur ein im Jahr 1658 ernannter Kämmerer, während sich die Ernennungsjahrgänge bis einschließlich 386 Dabei ist auch auf die in der Regel sinkende Frequenz der Dienstversehung von Kämmerern hinzuweisen, die höhere Hofämter erhalten hatten; auch waren die Kaiser bemüht, den Zusammenhang von Anciennität im Kämmereramt und der daraus abgeleiteten Geltendmachung von Rechten hinsichtlich der Versehung bestimmter Dienste zu lockern: So u.a. in Fällen der Vertretung anderer Ämter, aber auch bei den Dienstwochen; vgl. Kap. A.II.1.a. 387 Vgl. zu den Kämmerern beim Einzug am 29. März 1658 Hengerer (2001a), S. 353-355, Anm. 56. In diesem Falle läßt sich keine besondere Verdichtung feststellen, deren Ernennung in engem zeitlichen Zusammenhang zur Dienstversehung steht. Sieht man von den Inhabern übriger Ämter (Königsegg, Molart, Hyzerle, Öttingen, Thun) ab, findet sich ein Schwerpunkt des Ernennungsjahrgangs bei 1654 (Portia, Hoyos, Colloredo, Weissenwolff), während aus den Jahren 1656, 1657 und 1658 je zwei Kämmerer (Altheim und Slavata, Paar und Losenstein, Harrach und Dietrichstein) mitgenommen wurden. Drei (%ernín, Öttingen und Waldstein) wurden vor 1653 ernannt. <?page no="103"?> 102 1656 und 1657 etwa die Waage hielten 388 . Noch deutlicher ausgeprägt findet sich die Bevorzugung älterer Kämmerer im Fasching des Jahres 1663; der Schwerpunkt der Ernennungsjahrgänge lag hier in den Jahren 1657 bis 1659 bei einer starken Beteiligung noch älterer Jahrgänge 389 . Erst die Liste der an der Faschingswirtschaft im Jahr 1666 teilnehmenden Kämmerer deutet einen moderaten Umschwung an. Hier waren Kämmerer der jüngsten Ernennungsjahrgänge (1663 bis 1666) und solche älterer Jahrgänge, darunter einige Inhaber anderer Ämter, zu etwa gleichen Anteilen vertreten 390 . Die Kämmerer früher Jahrgänge, welche bis etwa 1665 dominierten, hatten nunmehr in der Regel höhere Ämter inne oder aber den Hof verlassen. Die hierin angedeutete Modifikation stellt zugleich eine Angleichung an die Verhältnisse unter Ferdinand III. dar. Leopold I. war in sehr jungen Jahren Kaiser geworden und hatte von seinem Vater die leitenden Höflinge im wesentlichen übernommen; die etwa 20 Geheimen Räte, die bis einschließlich 1658 bestätigt oder neu bestellt wurden, waren im Durchschnitt etwa 52 Jahre alt. Vor diesem Hintergrund ließ sich ein 388 HHStA, OMaA, K. 519, Verzeichnis der Kämmerer, die zur Eingeleitung des venezianischen Botschafters Wagen sechspännig zur Verfügung gestellt hatten, 24. Jul. 1659. Kämmerer Nr. 2 [Joseph] Graf Rabatta (gestrichen), 3: Graf von Lamberg, 4: Friedrich Hartman von Herberstein, 11: 1654 Graf von Hoyos (gestrichen), 16: 1654 (Ernennungsjahrgang) Graf von Weissenwolff, 68: 1657 [Ludwig] Graf Rabatta, 39: 1656 Christoph Johann Graf von Altheim, 51: 1657 Rudolf Graf Kaunitz (gestrichen, statt dessen: Königseckh [18 verm.: 1654]), 52: 1657 Bartholomäus Graf von Maradas, 58: 1657 Georg Jacob von Herberstein, 70: 1657 Graf von Pötting, 77: 1657 Herr von Hofkirchen, 85: 1657 Adam Franz Graf von Waldstein, 100: 1657 [Franz Adam] Graf von Losenstein, 105: 1657 Graf von Santhilier, 121: 1658 Graf von Harrach d. J. 389 Fasching 1663: Rennen am 26. Apr. 1663, Teilnehmerliste bei Kalista (1936), S. 171. An Höflingen nahmen teil: Kämmerer Nr. 8: 1652 (Ernennungsjahrgang) Franz Waldstein, 14: 1654 Ludwig Colloredo, 17: 1654 Franz Cavriani, 31: 1656 Wenzel von Altheim, 39: 1656 Christoph von Altheim, 68: 1657 Ludwig von Rabatta, 85: 1657 Adam Franz von Waldstein, 103: 1657 Franz Leopold von Thierheim, 104: 1657 Franz Niklas von Lodron, 105: 1657 Gilbert Santilier, 121: 1658 Ferdinand B. Harrach, 122: 1658 Sigmund Helfried von Dietrichstein, 123: 1658 Adam Maximilian von Waldstein, 133: 1658 Ernst Rüdiger Starhemberg, 136: 1658 Maximilian Fürst von Liechtenstein, 142: 1659 Maximilian von Thun, 154: 1659 Emanuel Max von Schönberg, Hans Christoph von Schefftenberg, 156: 1659 Franz Christoph Graf Khevenhüller, Heinrich Marchese de Grana, Hans Ferdinand von Herberstein. Zu Wirtschaften und Bauernhochzeiten vgl. Schnitzer (1995). 390 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 13, fol. 298, 299, Verzeichnis kaiserlicher Kämmerer, die sich an der Faschingswirtschaft des Jahres 1666 beteiligten, fol. 298-299. Kämmerer Nr. 6: 1651 (Ernennungsjahrgang) Wilhelm Graf von Öttingen, 8: 1652 Franz Augustin von Waldstein, 28: 1655 Adam Graf von Brandeis, 123: 1658 Adam Max Graff von Waldstein, 139: 1658 Adolph Graff von Wagensperg, 173: 1660 Carl von Schäfftenberg, 199: 1661 Marchese de Grana, 216: 1662 Aineas Graf Caprara, 222: 1663 Ferdinand Freiherr von Schäfftenberg, 227: 1663 Sebastian Graff von Zeill, 242: 1664 Christoph Graf Vratislaus, 243: 1664 Rudolph Graf Marcin, 247: 1664 Geörg Sigmund Kaziäner, 255: 1664 Johann Lamprecht Graf von Lamberg, 289: 1665 Johann Seyried Fürst von Eggenberg, 326: 1666 Marchese Spinola, 105: 1657 Graf Santilier. <?page no="104"?> 103 Großteil der niederrangigen Mitglieder des eigenen alten Hofstaats nur relativ langsam in hohe Ränge des Hofstaats bringen, so daß als amtsmäßige Verankerung einer persönlich vertrauten Entourage anfänglich das Kämmereramt diente 391 . Es hat den Anschein, als sei unter Leopold I. bis in die Mitte der 1660er Jahre hinein ungeachtet der hohen Ernennungszahlen die Versehung des Amtes von einer höheren persönlichen und längerfristigen Kontinuität geprägt gewesen als unter Kaiser Ferdinand III. In dem Maße, in dem ihm altbekannte Hofleute hohe Chargen erlangten, scheint sich dieser Zusammenhang aber zu verflüchtigen. Wochendienste und Präsenzzeiten Die bisher nachvollzogenen Differenzierungen deuten darauf hin, daß die Semantik von Amt und Hofstaat recht erfolgreich invisibilisierte, daß die stabilisierten Dienstverhältnisse recht voraussetzungsvoll waren und dabei vornehmlich auf der selektiven Verdichtung zahlreicher verschiedener im einzelnen wiederum variabler Faktoren beruhte. Das bislang entstandene Bild kann durch den genaueren Blick auf einen Kämmerer Kaiser Ferdinands III. gerade in bezug auf die nichtlinearen Elemente ergänzt werden. Franz Albrecht Graf Harrach (1614- 1666) war ein jüngerer Sohn eines Geheimen Rats Ferdinands II. (Karl Graf Harrach) 392 . Man wird diese günstigen Ausgangsbedingungen bei der Laufbahn von Franz Albrecht Harrach zu bedenken haben, ohne darin in bezug auf das 1640 angetretene Kämmereramt aber Umstände sehen zu können, die für die Folgejahre eine besondere Ausnahmestellung seines Beispieles begründen könnten. Auch den Umstand, daß er die längste Zeit am Hof Ferdinands III. in mittleren Ämtern zubrachte und erst 1655 Oberststallmeister wurde, wird man eher als Argument für die Repräsentativität seines Falles für wichtige Erscheinungsformen des Kämmereramtes ansehen dürfen. 391 In das Bild fügt es sich, daß der starke Anstieg der Zahl der Geheimen Räte erst in der Mitte der 1662 und besonders seit 1665 einsetzte, nachdem zuvor weniger als zehn Geheime Räte ernannt wurden, die als solche nicht schon unter Ferdinand III. gedient hatten. 392 Der älteste Bruder Leonhard VII. Karl (1594-1645) war Oberststallmeister Ferdinands II., der nächstüberlebende Ernst Adalbert (1598-1667) Erzbischof von Prag, Kardinal und Geheimer Rat Kaiser Ferdinands III., seine Schwester Katharina (1598-1678) Gemahlin des Maximilian Graf von Waldstein, der am Hof Ferdinands III. Oberststallmeister und Oberstkämmerer wurde, die Schwester Isabella Katharina (1601-1656) war Gemahlin des Herzogs von Friedland, die Schwester Maximiliana (1608) war zunächst Gattin von dessen Vertrautem Trczka, später von Johann Wilhelm Graf von Scherffenberg, sein Bruder Otto Friedrich (1610-1639) kaiserlicher Militär. Vgl. Harrach (1906), Heilingsetzer (1995). <?page no="105"?> 104 Aus seinen Kalendernotizen aus den 1640er und den frühen 1650er Jahren geht hervor, daß er nach seinem Eid als „wirklicher Kämmerer“ am 20. September 1640 in Regensburg bis zum Ende des Jahres 1654 393 im inneren Kammerdienst 60 Wochen absolvierte und in jedem Jahr mindestens eine Woche diente (Graph 3) 394 . Graph 3: Franz Albrecht Graf Harrach, Kammerdienstwochen, 1640-1654 393 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 1640 bis 1657. Bei der Zählung wurden die aufgrund zu schwacher Tinte unleserlichen Monate Febr. und März und wegen eines Versehens beim Kopieren auch der Mai 1643 weggelassen. 394 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Tagebücher 1640 bis 1654. Der Wochendienst endete danach regelmäßig am Samstag; der Dienstbeginn hingegen fiel in den 1640er Jahren auf Samstage, in den späteren Jahren fast durchweg auf Sonntage. Da in vielen Fällen lediglich Anfang oder Ende explizit vermerkt sind, ist nicht immer klar, ob der Dienstantritt auf einen Samstag oder Sonntag fiel. Das mag auch damit zusammenhängen, daß wohl nur einer der beiden Kämmerer Nachtdienst hatte und der erste Nachtdienst erfahreneren Kämmerern zugeteilt wurde. Die Dienstwochen Harrachs lagen - bei nicht expliziten Anfangstagen wurde ein entsprechender Tagesverlauf als Indikator für die Festlegung verwendet - wie folgt: 1640: 30. Sept. bis 6. Okt., 25. Nov. bis 1. Dez., 23. Dez. bis 29. Dez.; 1641: 3. März bis 9. März, 24. März bis 30. März, 2. Jun. bis 8. Jun., 22. Jun. bis 29. Jun., 14. Jul. bis 20. Jul., 11. Aug. bis 17. Aug., 14./ 15. Sept. bis 21. Sept., 9. Nov. bis 16. Nov., 21./ 22. Dez. bis 28. Dez.; 1642: 9. Febr. bis 15. Febr., 11. Mai bis 17. Mai, 14. Jun. bis 21. Jun., 7. Sept. bis 13. Sept., 12. Okt. bis 18. Okt., 29. Nov. bis 6. Dez.; 1643, 18. Jan. bis 24. Jan., 27. Jun. bis 4. Jul., 13. Sept. bis 19. Sept., 15. Nov. bis 21. Nov.; 1644: 7. Febr. bis 13. Febr., 3. Apr. bis 9. Apr., 10. Okt. bis 15, 6. Nov. bis 12. Nov., 18. Dez. bis 24. Dez.; 1645: 16. Jul. bis 22. Jun., 30. Jul. bis 5. Aug., 3. Dez. bis 9. Dez.; 1646: 4. Febr. bis 10. Febr., 1. Apr. bis 7. Apr., 29. Apr. bis 5. Mai, 26. Aug. bis 1. Sept.; 1647: 13. Apr. bis 20. Apr.; 1648: 1. Febr. bis 8. Febr., 29. Febr. bis 7. März, 21. Nov. bis 27. Nov.; 1649: 6. Febr. bis 13. Febr., 21. Aug. bis 28. Aug.; 1650: 29. Jan. bis 5. Febr., 12. März bis 19. März, 28. Mai bis 4. Jun., 10. Sept. 17. Sept.; 1651: 28. Jan. bis 4. Febr., 4. März bis 11. März, 6. Mai bis 13. Mai; 1652: 5. Okt. bis 12. Okt., 23. Nov. bis 30. Nov., 14. Dez. bis 21. Dez.; 1653: 22. Febr. bis 1. März, 31. Mai bis 7. Jun., 23. Aug. 1653 bis 30. Aug., 22. Nov. bis 29. Nov.; 1654: 17. Jan. bis 24. Jan., 7. Febr. bis 14. Febr., 14. März bis 21. März, 18. Apr. bis 25. Apr., 9. Mai bis 16. Mai. Bemerkenswert ist, daß im ersten Dienstjahr auch die Urlaubsregelung eingehalten wurde (vgl. HHStA, HA FA, K. 100, Konv. 1637-1644, Instruktion Ferdinands III. für den Oberstkämmerer Puchheim, Wien, 20. März 1637). 0 2 4 6 8 10 1640 1641 1642 1643 1644 1645 1646 1647 1648 1649 1650 1651 1652 1653 1654 <?page no="106"?> 105 Es fällt zunächst die erhebliche zeitliche Erstreckung des Dienstes auf, welche verdeutlicht, warum die Kategorie „wirklicher Kämmerer“ sich trotz aller terminologischer Schwierigkeiten behaupten konnte. Harrach wurde als Kämmerer aus dem Hofzahlamt nicht besoldet 395 . Indes findet sich auch bei ihm die Verdichtung der Dienstzeiten in zeitlicher Nähe zum Ernennungszeitraum, für die der Zeremonialbericht zum Aufenthalt des apostolischen Nuntius Pannochieschi Hinweise liefert: 1641 und 1642 leistete er mit 15 Wochen in nur zwei von 15 Jahren ein Viertel seiner gesamten Dienstwochen. Harrachs Dienstfrequenz war offenbar ausreichend, um sein weiteres Fortkommen im Hofstaat zu befördern und genügte der in der Kammerordnung sowie 1665 von Lamberg formulierten Mindestanforderung einer zweibis dreijährigen regelmäßigen Dienstversehung im Kämmereramt 396 . Am 27. September 1642 - bis dahin hatte er seit seiner Eidesleistung 13 Wochen Kammerdienst geleistet - wurde ihm vom Kaiser mit Wirkung zum 1. November 1642 das Oberstfalkenmeisteramt übertragen 397 . Wichtig ist weiter die Feststellung, daß Harrach den Kammerdienst auch versah, nachdem er in der Ämterhierarchie des Hofstaats vorgerückt war. Dies blieb noch so, als er Landjägermeister wurde 398 und nahm ein Ende erst 1655 mit der Übernahme des Oberststallmeisteramtes als einem der vier obersten Hofämter. Selbst in der Zeit, als er seit März 1644 Verordneter des Herrenstands des Landes Österreich ob der Enns war 399 , versah er weiterhin den Kammerdienst 400 . Die beachtlichen 395 Beim Reichstag in Regensburg 1640/ 41 und 1652/ 54 hatte er Quartier wie 1640/ 41 (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 14. Jan. 1653). Ob er in Wien stets damit versehen war, ist fraglich. 1642 wohnte er in Wien zur Miete (vgl. Anm. 559), bezog aber im Jul. 1642 „von bestandt meines quartiers“ Geld. Im Nov. 1643 bezog er eine neue Wohnung (ebd., 13. Nov. 1643). 396 OÖLA, HASteyr, Sch. 1224, Fasz. 13, Nr. 231, Materialien Lambergs zur Reform des Kämmereramtes, 1665, 1666. 397 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Sept. 1642. Das Hofstaatsverzeichnis Ferdinands III. nennt dagegen den 1. Nov. 1642 (HHStA, OMeA SR, Bd. 187, fol. 154; ebd., SR 186, fol. 201). Die Diskrepanz wird sich aus der Kundgabe der Entschließung und der Übernahme der Geschäfte ergeben. Am 5. Nov. erhielt er von seinem Vorgänger Losenstein die Falknereirechnungen der Jahre 1634 bis Ende Okt. 1642 (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Sept. 1642). Die diesbezüglichen Angaben in Harrach (1906), S. 101, sind etwas ungenau. 398 Am 20. Mai 1649 wurde er Landjägermeister (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Mai 1649). Da dieses Amt ein niederösterreichisches Landesamt war, taucht es in früheren Hofstaatslisten meist nicht auf (ein knapper Überblick bei Sterneck (1901)); seine Bedeutung für Hoflaufbahnen wurde daher wenig beachtet (vgl. Harrach (1906), S. 101, siehe aber Ehalt (1980), S. 53, und Žolger (1917), S. 76). Harrach wurde als Jägermeister aus dem Vizdomamt bezahlt (u.a. HKA, NÖV, Nr. 659, 1652, fol. 84), als Obristfalkenmeister erhielt er seine Besoldung aus dem Hofzahlamt (HKA, HZAB). 399 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, März 1644; die Wahl erfolgte am 3. März 1644 in Linz. Vgl. zum Verordnetenamt in Österreich ob der Enns Putschögl (1978), S. 163-239. Mit „Hofämtern, welche die Anwesenheit bei Hof verlangten“, bestand nach Auffassung der Stände In- <?page no="107"?> 106 Konsequenzen für die politische Integration der Erblande können erst an anderer Stelle diskutiert werden; in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Dienstfrequenz mit der Erlangung höherer Ämter nicht lediglich abnimmt, sondern während des Reichstags in Regensburg 1653 und 1654 den Modalwert der Dienstwochen (3) und den Mittelwert (4) sogar noch überschreitet. Dies verweist auf die Relevanz des Faktores der Abwesenheit des Hofes von Wien und der damit verbundenen geringeren Fluktuation in den Ehrenämtern. Der Hinweis auf den sehr wahrscheinlichen Kammerdienst Schwarzenbergs würde im Falle der Richtigkeit zudem belegen, daß nicht lediglich Inhaber der Ehrenämter des Hofstaats, sondern auch Justizpersonal - Schwarzenberg war seit 1640 Reichshofrat und schien als solcher bis 1645 in den Präsenzlisten auf 401 - noch Kammerdienst tun konnte. Die niederösterreichische Regierung freilich wehrte sich in den 1620er Jahren dagegen, daß niederösterreichische Regimentsräte Kammerdienst versahen 402 . Das Kämmereramt war demnach nicht lediglich in zeitlicher Hinsicht ein Amt mit weitreichender Perspektive, sondern grundsätzlich auch mit höherrangigen Ämtern des Hofstaats im Bereich der Ehrenämter wie der Justiz- und damit wohl auch der Verwaltungsämter, partiell zumindest auch kompatibel mit einigen von den Ständen vergebenen Ämtern. Geht man anhand der Kalendernotizen Harrachs einen Schritt weiter zu Präsenzzeiten von Kämmerern bei Hof, differenziert sich das Bild noch weiter. Es stellt sich dabei vor allem die Frage nach Aufenthaltsorten und den damit verbundenen hofbezogenen Tätigkeiten von Kämmerern außerhalb ihrer Dienstwochen. Die wenigen Tage zwischen der Eidesleistung Harrachs am 20. September 1640 403 und dem Beginn der kompatibilität (Putschögl (1978), S. 122). Ders., ebd., S. 122, Anm. 259, verweist hierfür auf das Beispiel Starhembergs, der 1634 sein Verordnetenamt niederlegte, als Ferdinand III. ihn zu seinem Hofmarschall ernannte. Ausgenommen davon nach der Verordneteninstruktion von 1644 und 1660 „Kammerherren beim Landesfürsten oder einem anderen Mitglied des Hauses Österreich“ (ebd., S. 123). Zur Kompatibilität vgl. Kap. C.II.1.c. 400 Es gibt einen Hinweis, daß auch der Oberstkuchlmeister Ferdinands III. Franz Ernst Molart, Kämmerer seit Sommer 1645 und Oberstkuchlmeister seit 1646, über Jahre hinweg von Zeit zu Zeit den Kammerdienst versah. Er und ein Graf Maradas (vermutl. Bartholomäus, Kämmerer seit Okt. 1646) gingen als älteste Kämmerer bei der Taufe einer kaiserlichen Prinzessin am 30. Dez. 1654 neben deren Obersthofmeisterin (HHStA, ÄZA, K. 4, Konv. 33, fol. 1, 1v). Der Ausdruck ‚älteste’ dürfte sich hier auf die Anciennität anwesender Amtsinhaber beziehen. Auch war Molart in dieser Zeit als Kämmerer besoldet. 401 Gschließer (1942), S. 243. 402 Vgl. Starzer (1897), S. 22, und das Gutachten über die niederösterreichischen Regimentsräte von Statthalter Seyfried Christoph Breuner (HHStA, FA GFE, K. 151, Konv. 6). 403 „Den 20 habe Ich vormitdag umb 11 das gewehnliche Camerherrn Jurament geleist, und den schlüßel empfangen“ (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Sept. 1640). Zuvor, so notierte Har- <?page no="108"?> 107 ersten Dienstwoche am 30. September 1640 machen bereits deutlich, daß es für Kämmerer außerhalb ihrer Dienstwoche durchaus dienstbezogene Anwesenheitsgründe gab: Am 21. wartete er dem Kaiser vormittags in der Kirche und am Abend bei Hof auf, am 22. fand er sich am späten Vormittag bei Hof ein, ging dann zum Essen und wartete dem Kaiser wieder zwischen etwa 15 Uhr und dem Abendessen auf. Am 23. September begab er sich dagegen bereits morgens „umb 7 nach Hof“ und war erstmals beim Ankleiden des Kaisers anwesend: „das erste mal dem anlegen zugesehen“. Am 24. wartete er dem Kaiser morgens beim 40-stündigen Gebet auf und übernahm erstmals das „Speisen dragen“. Nachmittags wartete er zur Litanei nochmals auf. Dieser Ablauf wiederholte sich am 25. September: „Ihr Maÿ: zu dem angefangenen gebett aufgewart, und beÿ der dafel gedient“; nach dem Essen beschäftigte sich Harrach mit seiner Korrespondenz und fand sich später zur Litanei wieder bei Hof ein. Während sich am 26. nur geringfügige Änderungen ergaben - Harrach wartete nur zur Kirche und zum Essen auf - brachte der 27. September eine größere Abwechslung: „Den 27 nach dem Gebett Ihr Maÿ: zu felt auf der paiß [Beizjagd] aufgewart“. Abends wartete er dem Kaiser wiederum zur Litanei auf, trug bei der folgenden Prozession den Himmel und fand sich am Abend bei Hof ein, wo er bis 19 Uhr blieb. Weitere Modifikationen ergaben sich durch das Aufwarten zur Vesper am 28. September und durch das Vorschneiden am 29. September. Am 30. September übernahm Harrach erstmals den inneren Kammerdienst: „das erste mal angefangen in der Camer zu dienen“. Im Vordergrund der Tätigkeit des Kämmerers im zeitlichen Umfeld der Dienstwochen stand somit außerhalb des Kammerdienstes das Aufwarten: zu religiösen Handlungen, zu Hof oder zur Jagd, daneben der Tafeldienst mit Vorschneiden und Speisentragen. Das Aufwarten war keine Tätigkeit, die dem Kammerherrendienst eigentümlich gewesen wäre. Auch im Mai 1640, als Franz Albrecht Harrach weder ein Hofnoch ein Militäramt 404 hatte, wartete er dem Kaiser auf, als dieser in Österreich ob der Enns weilte: „Den 27. Ihr Maÿ: in die Kirchen aufgewart“, am 31. Mai „auf den abent haben Ihr Maÿ: ein weil geschossen, denen Ich aufgewart und 4 ducaten verlohren“. Zudem begleitete er den rach unter dem 12. Sept., habe er seinen „Hof dienst andreten“, indem er der Kaiserin aufgewartet habe. In der Zeit bis zur Eidesleistung begleitete er die Kaiserin auch ein Stück des Weges bei der Reise von Enns nach Regensburg. Am 17. Sept. traf er mit anderen Kaiser und Kaiserin nach kurzer Abwesenheit wieder, „denen wihr die händt geküßt, und hernach die halbe mail noch herein nach filtzhofen aufgewart.“ Ob sich der Dienstantritt am 12. Sept. bereits auf das kurz darauf übertragene Kämmereramt bezieht, ist nicht klar. 404 Nach Harrach (1906), S. 101, hatte er 1631 bis 1635 eine Kompanie.. <?page no="109"?> 108 Kaiser in die Kirche (28. und 29. Mai sowie 1. Juni 1640). Da Harrach Untertan war, schwingt ein gewissermaßen dienstlicher Aspekt hier wohl mit, doch entbehrt er jedweden spezifischen Bezugs zu einem Hofamt. Dasjenige, was Adelige bei Hof bzw. gegenüber ihrem Landesherrn ohnehin taten - aufwarten - wurde als Hofdienst betrachtet, nachdem ein Hofamt übernommen worden war. So traf Harrach am 12. September 1640 die Kaiserin, der er „das erste mal aufgewart“, womit er aus seiner Perspektive seinen Hofdienst antrat 405 , der seit dem 20. des Monats als Kammerherrendienst klassifiziert war. Das Aufwarten wurde damit zur Pflicht, und es verging bis zur ersten Dienstwoche kein Tag ohne Aufwarten oder wenigstens Erscheinen bei Hof - später ließ dieser anfängliche Eifer erheblich nach. Nach seiner ersten Dienstwoche wartete er dem Kaiser am 7. Oktober nochmals zur Kirche auf, schnitt zu Mittag vor, begleitete den Kaiser später zur Vesper bei den Dominikanern und reiste am 8. Oktober von Regensburg ab 406 . Erst am 20. November traf er nach seiner vornehmlich in Köppach und Linz verbrachten Abwesenheit von Hof wieder in Regensburg ein, wo er bereits am 21. November vorschnitt. Bis zum Beginn seiner zweiten Dienstwoche am 25. November diente er täglich bei Hof oder war mit dem Kaiser auf Jagd. Erst am 23. Dezember begann seine nächste Dienstwoche. In dieser Zeit blieb Harrach in Regensburg; am 2., 3. und 8. Dezember schnitt er vor, für den 9., 10., 14., 15., 16., 19. und 20. spricht er von „dienst“, womit in Anbetracht des für den 17. erwähnten Aufwartens bei Hof wohl das Vorschneiden gemeint sein dürfte, aber auch die Begleitung zur Kirche gemeint sein kann. Daneben begleitete er den Kaiser auf die Jagd (13. Dezember, evtl. auch am 5. Dezember) und aß an mehreren Tagen bei Hof (4., 7., 8., 17. Dezember). An diesem kurzen Zeitraum wird bereits deutlich, daß die Identifikation von Kammerdienstwochen über die Präsenzzeiten von Kämmerern bei Hof Untergrenzen beschreibt. Eine unmittelbare Abreise nach der Woche im Kammerdienst war ebenso möglich (8. Oktober 1640) wie ein kurzer Aufenthalt in der Residenz bis zur Übernahme des nächsten Wochendienstes (21. bis 23. November 1640). Während in diesen Fällen Dienstwochen und Präsenzzeiten nur geringfügig auseinanderfielen, verweisen die zahlreichen in der Residenz und auch bei Hofe zugebrachten Wochen ohne Kammerdienst auf die Möglichkeit hoher Diskrepan- 405 „und meinen Hof dienst andreten“ (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 12. Sept. 1640). 406 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 7. und 8. Okt. 1640. <?page no="110"?> 109 zen. Harrach blieb bis zur Übertragung des Oberstfalkenmeisteramtes am 1. November 1642 zumeist in der jeweiligen Residenz, obschon er 1641 insgesamt lediglich neun und 1642 bis November lediglich sechs Wochendienste versah. Dabei treten Unterschiede zwischen den Aufenthalten des Hofes in Regensburg und in der Hauptresidenz Wien mitsamt den niederösterreichischen Nebenresidenzen zutage. Während des Aufenthaltes des Hofes in Regensburg im Jahr 1641 war Harrach zweimal für mehrere Wochen vom Hofe abwesend und hielt sich dabei vornehmlich auf seinen Gütern bzw. bei seiner Familie auf 407 ; einmal unternahm er eine einwöchige Reise nach Altötting 408 . Zwei weitere kurze Abwesenheiten vom Hof hatten ihre Ursache in kleineren kaiserlichen Kommissionen 409 . Damit war Harrach während einer Zeit, in der er nur sieben Wochen Kammerdienst hatte, etwa acht von zehn Monaten am Hof, die Abwesenheitszeiten waren kompakt, die Nebendienste häufig. Etwas anders verhielt es sich in der Zeit, als der Kaiser seit Oktober 1641 wieder in Wien und Niederösterreich war. Es gab auch hier Phasen mehrwöchiger Abwesenheit: Vom 12. Juli bis zum 2. September 1642 war Harrach wiederum in Österreich ob der Enns, hauptsächlich in Linz, Köppach und Camer 410 ; zwischen dem 10. und 29. April war er vornehmlich in Linz, Köppach und Prag. Daneben stand auch eine Reise nach Linz - zum Landtag - zwischen dem 22. Januar und dem 3. Februar 1642. Dies entspricht etwa dem vorgesehenen Urlaub für einen verheirateten Kämmerer von sechs Wochen, ergänzt durch den häufigen Besuch des Landtages. Auch erledigte Harrach in Prag einen kaiserlichen Auftrag 411 . Anders als in Regensburg kamen bei Harrachs Aufenthalt in der Hauptresidenz zahlreiche kurzfristige Abwesenheiten von oft nur einem oder zwei Tagen hinzu. So weilte er vom 3. bis 5. November 1641 in Göllersdorf. In den Monaten Mai bis Juli reiste er sechsmal für jeweils einen oder zwei Tage nach Baden bei Wien 412 . Vor allem im Mai 407 Es folgen jeweils der Abreisetag und der letzte Abwesenheitstag: 2. Apr. bis 24. Mai 1641 mit Schwerpunkten Köppach, Linz und Wien sowie 22. Aug. bis 9. Sept. (vornehmlich Linz und Köppach). Harrach war mit einer Tochter des Freiherrn Karl Jörger verheiratet (Harrach (1906), S. 101, und Wurm (1955), S. 291); zu Köppach vgl. Wurm (1955), passim. 408 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 1. Jul. bis 6. Jul. 1641. 409 Ebd., 24. Febr. bis 28. Febr. 1641 (Begleitung der Hofdamen), 16. Okt. bis 22. Okt. (Kommission während der Rückreise des Kaisers von Regensburg (ab dem 14. Okt.) nach Wien, Ankunft Harrachs in Wien am 23. Okt. 1641). 410 „hab mein Urlaub beÿ Hof genohmen“ (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 11. Jul. 1642). 411 Kommission: 1. bis 8. Mai 1642; Ankunft in Wien: 9. Mai; Bericht in Laxenburg: 10. Mai. 412 Von Wien nach Baden am 31. Mai, am 1. Jun. zurück; ebenso: 4. und 5. Jun., 10. und 11. Jun., 22. und 24. Jun., 29. und 30. Jun. (am 30. bei der Rückreise den Kaiser in der Favorita angetroffen), 2. und 3. Jul. 1642. <?page no="111"?> 110 pendelte er zudem sehr häufig zwischen der kaiserlichen Jagdresidenz Laxenburg und Wien hin und her. Während seines Wiener Aufenthaltes war Harrach auch seltener bei Hof als in Regensburg und weniger häufig berichtete er vom Vorschneiden 413 . Während des Aufenthaltes des Hofes in der Hauptresidenz traten zu den Urlauben zahlreiche kürzere Abwesenheitszeiten hinzu, während die Nebendienste stark zurückgingen. Die Präsenz bei Hof stellte sich weniger kompakt dar. Zwischenergebnis Überdenkt man von hier aus nochmals die rechnerischen Möglichkeiten hinsichtlich der Dienstzeiten von Kämmerern am Hof Ferdinands III., wird ein Modell greifbar, das die verschiedenen Befunde zusammenführt. Geht man für Ferdinand III. von etwa 4200 Dienstwochen zwischen 1615 und 1657 aus und verteilt diese gleichmäßig auf die etwa 250 Kämmerer, fallen auf jeden Kämmerer knapp 17 Wochen Dienst. Dies kommt dem intern formulierten Schwellenwert eines für die Dauer von zwei bis drei Jahren regelmäßig versehenen Dienstes, wie ihn Franz Albrecht Harrach versah, sehr nahe. Gäbe es bei Harrach nach 1649 nicht wiederum den Anstieg der Dienstwochen und gäbe es nicht die besoldeten Kämmerer, hätte man hier eine befriedigende Verteilung ermittelt. Man kann den besoldeten Kämmerern und jenen Hofleuten, deren Laufbahnen und sehr hohe Hofämter sie nicht rasch dem Kammerdienst enthoben, diejenigen Kämmerer an die Seite stellen, die den Schwellenwert nicht oder nicht einmal annähernd erreichten und auch keine weiteren Hoflaufbahnen durchliefen; das waren von den nach der Regierungsübernahme im Jahr 1637 angenommenen Kämmerern immerhin etwa 170. Es ist aber unschwer zu erkennen, daß bei einer geringfügigen Überschreitung einer Dienstzeit dieser Kämmerer von nur einer Woche oder gar bei einer Normalverteilung unterhalb des Schwellenwertes die Wochenlast bei den besoldeten Kämmerern kaum höher gelegen haben wird als bei einer Woche im Monat. Auch kann man kaum annehmen, daß die etwa 40 Kämmerer, welche nach der Regierungsübernahme Ferdinands III. höhere Ämter erlangt hatten, im Falle einer schwellenwertorientierten Differenzierung bereits etwa 700 Wochen als Kämmerer gedient hätten; diese Differenzierung war bei allem Rückhalt in großen Zahlen und Einzelfällen keine strikte Voraussetzung und kaum erst Programm. Mit erheblichen Unterschreitungen (und Überschreitungen) ist 413 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 26. Febr. 1642. <?page no="112"?> 111 daher zu rechnen. Das Fluktuationspotential konnte dabei nur dann hinreichend groß bleiben für eine schwellenwertorientierte Differenzierung neuernannter Kämmerer, wenn die von den besoldeten Kämmerern erfüllten Dienstzeiten abnahmen. Dies paßt denn auch zum Befund des nochmaligen Rückgangs der Zahl besoldeter Kämmerer ab etwa 1650 414 . Betrachtet man nach diesem Durchgang durch das mehr oder weniger in systematischen Zusammenhängen entstandene Material nochmals die oben angeführten Differenzierungskategorien, kann man die Typen annäherungsweise validieren. Der diensttuende und als solcher besoldete Kämmerer verlor im 17. Jahrhundert fast völlig an Bedeutung. Nach den 1640er Jahren nahm dieser Typus nur für eine oder zwei Personen eine längerfristige Ausprägung an. Unbesoldet diensttuende Kämmerer scheinen dagegen weit stärker vertreten gewesen zu sein. Bis zu dem 1666 vom Oberstkämmerer Lamberg beklagten Einbruch der tatsächlichen Dienstversehung werden etwa jeweils zehn bis 20 Personen im Dienstturnus gestanden haben. Die zeitliche Erstreckung war abhängig von den finanziellen Ressourcen bzw. der Lage der Güter und Häuser. Reichtum der Familie, Hausbesitz in Wien oder zumindest das Hofquartier werden diese Ausprägung unterstützt haben, während Kämmerer ohne diese Randbedingungen in dieser Form nur kurzfristig bei Hof gewesen sein dürften. Kämmerer, die mit oder ohne Besoldung außerhalb des Hofes Kommissionen versahen, waren allein deshalb, weil sie meist aus den präsenten Kämmerern rekrutiert wurden, zahlenmäßig nicht sehr bedeutsam. Besoldete Kämmerer dürfen als Ausnahmen eingestuft werden, die eine etablierte Position bei Hof und zudem gute Beziehungen zur kaiserlichen Finanzverwaltung voraussetzten 415 . Unbesoldete Kämmerer, die fallweise an den Hof kamen und dort mitunter dienten, gewannen im 17. Jahrhundert an Bedeutung und waren dann auch am stärksten ausgeprägt. Für den selten oder nicht mehr im Kammerdienst tätigen, bei Hof ohne Besoldung anwesenden Kämmerer wird man bei steigender Tendenz spätestens unter Ferdinand III. und Leopold I. eine übliche Stärke von etwa 20 bis 30 annehmen dürfen. Die 414 Hätte jeder von durchschnittlich vier besoldeten Kämmerern auch nur zwei Wochen Dienst pro Monat, wäre rechnerisch das Potential ja bereits erschöpft. 415 So bezog beispielsweise Maximilian von Trauttmansdorff aufgrund eines besonderen kaiserlichen Befehls als Obersthofmeister der Kaiserin Anna (Gemahlin des Kaisers Matthias) sein Kämmerergehalt weiter und erhielt für die Zeit vom 1. Jan. 1616 bis zum 30. Apr. 1619 nach Abzug der Absenten 1360 fl. (HKA, HZAB 68, fol. 269*, 270*). <?page no="113"?> 112 zeitliche Erstreckung muß man wiederum im Zusammenhang mit den finanziellen Ressourcen und besonders dem adeligen Hausbesitz sehen. b. Äußerer Hofstaat Betrachten wir nun das Mundschenken-, Fürschneider- und Truchsessenamt. Mangels anderer ergiebiger Quellen können hier leider nur die Besoldungen herangezogen werden, die sich im 17. Jahrhundert bei Mundschenken und Fürschneidern auf jährlich 400 fl. 416 , für Truchsessen auf jährlich 360 fl. belief 417 . Für Ferdinand II. finden sich in den seine Regierungszeit betreffenden Hofzahlamtsbüchern keine Hinweise für die Zahlung an eigene Mundschenke, Fürschneider oder Truchsessen 418 . Allerdings wurden für die Ausstände von Amtsträgern der Kaiser Rudolf II. und Matthias sowie des verstorbenen Erzherzogs Maximilian teilweise hohe Summen eingestellt 419 . Bei Ferdinand III. dagegen sind wieder Besoldungen in den Hofzahlamtsbüchern ausgewiesen. Für die Mundschenke Ferdinands III. wurden in den Jahren von 1637 bis zur Abdankung des Hofstaats Ende Juni 1657 insgesamt rund 16.204 fl. eingestellt, für Fürschneider rund 9.013 fl. 420 und für Truchsessen rund 11.378 fl. Mit diesen Summen konnten, errechnet man über die gesamte Zeit einen Durchschnitt, in voller Höhe nur zwei Mundschenke, nur etwas mehr als ein Fürschneider und nur etwa anderthalb Truchsessenämter besoldet werden. Daß die durch besoldete Amtsinhaber gewährleistete Personaldecke in allen diesen Ämtern hauchdünn war, braucht kaum betont zu werden. Überdies handelt es sich bei diesen Angaben noch um Durchschnittswerte. Betrachtet man auch die Zeiträume, für welche die Besoldungen eingestellt wurden, läßt sich - weit deutlicher als bei den Kämmerern - ein tiefgreifender Umbruch erkennen, der in den Jahren zwischen 1643 und 416 HHStA, OMeA SR, Bd. 187, fol. 27, 30. 417 HHStA, OMeA SR, Bd. 187, fol. 36. 418 Bezeichnenderweise konnte der spätere Hofmarschall Starhemberg erst 1653 im Zuge der Zahlung seines 1642 bis 1652 aufgelaufenen Obersthofmarschallgehaltes von 11.713 fl. eine Zahlungsanweisung für seinen Dienst als Kämmerer und Mundschenk unter Ferdinand II. erhalten (HKA, HZAB 99, fol. 167), nachdem zuvor geprüft worden war, ob er überhaupt berechtigt war (vgl. Anm. 330). Die aus der Summe von 12.296 fl. sich errechnende Dienstzeit von etwa 26 Jahren läßt sich mit seiner Biographie (vgl. Heilingsetzer (1970)) vereinbaren, wenn man die Dienstjahre unter Ferdinand II. einrechnet (Kämmerer seit 1625, HHStA, OKäA, C/ F 1, fol. 13v); Absenzen wären u.a. mit dem Verordentendienst zu erklären. 419 Unter Ferdinand II. wurden einige wenige Zahlungen für Mundschenke eingestellt, die im Dienst Kaiser Rudolfs II., Kaiser Matthias’ und des Erzherzogs Maximilian gestanden hatten (HKA, HZAB 72, fol. 134*, HZAB 76, fol. 623*, 920*, 927*). 420 Ohne Naringer, da dieser die Besoldung anstelle einer Pension bezog. <?page no="114"?> 113 1646 anzusetzen ist. Als unmittelbare Ursache wird man die kaiserlichen Dispositionen über die knappen Geldmittel in der Zeit des ärgsten Liquiditätsmangels um 1645 angeben können 421 . In dieser Zeit bricht die Zahlung von Besoldungen an Fürschneider ganz ab, ohne unter Ferdinand III. wiederaufgenommen zu werden. Zuvor waren meist mindestens ein Fürschneider, häufig auch zwei Fürschneider gleichzeitig besoldet. Die Laufzeiten der Besoldung beliefen sich dabei in der Regel auf etwa sechs Monate bis zu anderthalb Jahren, kürzere Besoldungszeiten dagegen waren sehr selten. Bei den Truchsessen war dies bis zum vorläufigen Erliegen der Besoldungszahlungen im Jahre 1643 anders: Die meisten bezogen nur zwei oder drei Monate Sold, sehr wenige dienten ein halbes bis anderthalb Jahre. Nach der Wiederaufnahme der Besoldungszahlungen war dieses Muster verändert. Aus Kostengründen hatte man sich „zu ersparung mehrern spesa“ in den 1640er Jahren bei Hof entschlossen, sich der Truchsessen nicht mehr zu bedienen, beschloß jedoch, 1652 zur Erbhuldigung Ferdinands IV. nach Linz sowie zum Treffen mit den Kurfürsten in Prag zur Vorbereitung des Reichstages in Regensburg aus Prestigegründen zwölf Truchsessen mitzunehmen 422 . 1657 wurden nurmehr vier verschiedene Truchsessen besoldet, zeitgleich gab es nur zwei bis drei besoldete Truchsessen, die in zwei Fällen mindestens zwei Jahre, in den beiden anderen Fällen etwa ein Jahrzehnt dienten 423 . Bei den Mundschenken hatte es bis 1643 in der Regel noch drei zeitgleich längerfristig besoldete Amtsträger gegeben, zu denen von Zeit zu Zeit einzelne nur kurzfristig, ein bis drei Monate besoldete Mundschenke hinzugekommen waren. 1643 und 1644 wird die Personaldecke zunehmend dünner, um die längste Zeit danach nurmehr aus einem durchgehend und wie bei den Truchsessen langfristig besoldeten Mundschenken zu bestehen. Die nicht genau terminierten Abwesenheitszeiten der besoldeten Mundschenke machen es unmöglich festzustellen, ob im Jahr 1648 nochmals zwei besoldete Mundschenke gleichzeitig dienten. 1650 kam die Besoldung von Mundschenke Ferdinands III. aus dem Hofzahlamt ganz zum Erliegen. Doch deutet manches darauf hin, daß die ernannten Mund- 421 Vgl. Winkelbauer (1997a). 422 HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 19, fol. 4. Der Unterschied in der Bedienung „pro dignitate“ sollte erhalten bleiben. Vorlage vom 3. Apr. 1652 für die Sitzung des Geheimen Rates am 6. Apr. 1652 (fol. 4). Der Kaiser stimmte dem Vorschlag zu (fol. 9v). Vgl. auch unten Anm. 530. 423 Philip Emanuel von Suys war besoldet vom 21. Mai 1647 bis zum 22. Mai 1649, Johann Christoph von Globiz vom 25. Dez. 1648 bis zur Abdankung des Hofstaats Ferdinands III., Wagner bis zum gleichen Zeitpunkt seit dem 5. Febr. 1655. Hans Albrecht Hann war als Truchseß mehrere Jahre besoldet, der gleiche Zeitraum ist als Abwesenheitsdauer gezählt. <?page no="115"?> 114 schenke gleichwohl einige Zeit dienten. So ist im Nuntiaturbericht vom 11. Februar 1651 die Rede vom Tod eines der gegenwärtigen Mundschenke Ferdinands III. Ernannt worden war er im September 1650 424 . Auch hatte ein 1654 ernannter Mundschenk ein Hofquartier inne 425 . Vor diesem Hintergrund ist es beachtenswert, daß zwar im Kämmereramt in ähnlicher Weise die Besoldung auf immer weniger Amtsträger beschränkt wurde, daß aber im Gegensatz zu den soeben erörterten drei Ämtern weiter und durchgehend besoldet wurde. An der regelmäßigen Bedienung des Truchsessen- und Kämmereramtes hielt Ferdinand III. also fest, während die Amtsverrichtungen der Fürschneider und Mundschenke in die Hand unbesoldeter Amtsträger und, wie gesehen, Inhaber anderer Ämter gelegt wurde. Beachtlich ist weiter der Umstand, daß aus der Menge derjenigen Hofleute, die mehrere Ehrenämter bei Hof durchliefen, nur ein Teil besoldet war. Von den 18 Truchsessen, die später Ehrenämter innehatten, waren als solche nur acht besoldet 426 , von den 13 Fürschneidern, die vorher oder später ein Ehrenamt innehatten, waren es immerhin acht, von den 41 Mundschenken nur 13 427 . In diesen Zahlen tritt deutlich zutage, daß eine besoldete Laufbahn im Bereich der Ehrenämter sehr unwahrscheinlich war. Daß ein besoldeter Kämmerer zuvor ein anderes besoldetes Ehrenamt innegehabt hätte, kam unter Ferdinand III. bei etwa 280 wirklichen Kämmerern in nur vier Fällen vor 428 . Besoldete Laufbahnen, die im Bereich der unter dem Kämmereramt eingestuften Ehrenämter begonnen hätten, lassen sich denn auch an zwei Händen abzählen: Johann Sigmund von Gersdorf und Georg Zdenko Vratislav von Mitrovic waren besoldet als Truchseß, Fürschneider und Mundschenk, Michael Waywoda als Truchseß und Mundschenk (später als Oberstäblmeister), Christoph Ernst Schallenberg war besoldet als Truchseß und Fürschneider, Franz Christoph Hyzerle von Chodov als Fürschneider, Truchseß und Mundschenk 429 (später als Oberstsilberkämmerer), Francesco Bonacossi, Jarislaus Haasenburg und Michael Alvernia de Clavesana als Fürschneider und Mundschenk. Diese wenigen und bescheidenen Laufbahnen hatten sich noch vor dem Umbruch in der Mitte der 1640er Jahre vollzogen, später kam derlei unter Ferdinand III. 424 ASV, SG, 149, 11. Febr. 1651. Zani, „al presente uno de Coppieri“ des Kaisers, stammte danach aus Bologna; er war am 4. Sept. 1650 ernannt worden, vgl. Anm 414 am Ende. 425 HQB 14, Nr. 891. Hans Albrecht Haan in der Singerstraße. 426 Gersdorf, Vratislav, Waywoda, Hallweill, Herberstein, Schallenberg, Hyzerle, Starhemberg. 427 Khevenhüller bleibt hier außer acht. 428 Martinitz, Molart, Waldstein, Tallenberg. 429 Als solcher taucht er in den Hofzahlamtsbüchern auf, nicht in den Hofstaatsverzeichnissen. <?page no="116"?> 115 nicht mehr vor. Umgekehrt gab es partiell besoldete Laufbahnen, woraus zu schließen ist, daß das Merkmal unbesoldet nicht mit dem der Abwesenheit zusammenfallen muß. Aus partiell oder gänzlich unbesoldeten Laufbahnen im Bereich der Ehrenämter aber auf stete Präsenz zu schließen, scheint sehr gewagt. Unter Kaiser Leopold I. wurden wichtige Elemente der Entwicklung unter Ferdinand III. fortgeführt. Fürschneider wurden - das ist oben schon gezeigt worden - nicht mehr besoldet. Das Truchsessenamt, das unter Ferdinand III. bis zu seinem Tode sehr wenige längerfristig besoldete Amtsträger versahen, wurde unter Leopold I. wieder verstärkt, wobei bis 1665 zumeist zwei bis vier Truchsessen gleichzeitig besoldet waren. Wie unter dem Vorgänger dienten einige Truchsessen längerfristig, mehrere zwischen einem und drei Jahren, in drei Fällen weit darüber hinaus. Die Besoldung des Mundschenkenamtes wurde unter Leopold I. wieder aufgenommen. Bis 1665 wurde das Amt die längste Zeit (wie unter Ferdinand III. nach 1645) regelmäßig nur von einem, knapp zwei Jahre lang von zwei und vermutlich nur kurzfristig von drei besoldeten Mundschenken versehen, von denen einer zuvor Truchseß Leopolds I. gewesen war. Die übrigen Quellen zu der Frage, wie lange und wie viele Inhaber dieser drei Ämter sich bei Hof aufhielten, fließen für das 17. Jahrhundert sehr spärlich, tragen zu ihrer Beantwortung nur wenig bei und weisen statt dessen darauf hin, daß der Stellenwert dieser Ämter sich anders als bei den Kämmerern ähnlich verhielt wie ihre quantitative Entwicklung. So wurde den Mundschenken, Fürschneidern und Truchsessen bei der Reform des Hofstaats 1651 innerhalb der kaiserlichen Vorzimmer als Aufenthaltsraum lediglich die Ritterstube zugewiesen, wo u.a. jedweder Ritter aus dem Reich, die kaiserlichen Musiker oder die Fechtmeister der kaiserlichen Edelknaben sich aufzuhalten berechtigt waren 430 . Vom Ansehen der Zeitgenossen her standen sie damit auf der Stufe der „Servitori di Livrea“ unterhalb von „Persone di qualche grado ò conditione“ 431 . Eine unter Leopold I. entstandene Zusammenfassung dieser Ordnung Ferdinands III. ließ die Mundschenke und Fürschneider bereits weg 432 , was einen zusätzlichen Hinweis darauf gibt, daß nicht nur die Aufgaben dieser Ämter im Rahmen der kaiserlichen Tafel von 430 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 561. 431 ASV, FP 212, fol. 17. 432 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 563. Die Truchsessen waren vielfach ehemalige Edelknaben (ASV, FP 212, fol. 17). <?page no="117"?> 116 Kämmerern übernommen wurden 433 , sondern daß die Mundschenke und Fürschneider seit den 1660er Jahren für den Hofstaat des Kaisers - wenn überhaupt - nur noch eine marginale Rolle spielten. In seiner breiten Schilderung des Hofstaats Kaiser Leopolds I. von 1708 führte R INCK Inhaber dieser Ämter nicht mehr auf 434 . c. Geheimer Rat Die Untersuchung der Präsenz der Kämmerer bei Hof hat gezeigt, daß Dienst, Anwesenheit bei Hof und Besoldung nicht streng gekoppelt waren. Ebenso verhielt es sich mit den Geheimen Räten. Dank einer vergleichsweise besseren Quellenlage sind wir darüber hinaus in der Lage, die einzelnen Elemente für zahlreiche Geheimratssitzungen einiger Jahre etwas genauer nachzuzeichnen und zu Entwicklungstendenzen zu verdichten. Hervorzuheben sind zunächst einige für die Entwicklung der Präsenzmuster zentrale Gesichtspunkte: Der Geheime Rat war nicht als ein selbständig Entscheidungen fällendes Gremium konstituiert, sondern als Beratungsorgan 435 . Weiter ist das Ansageprinzip zu erwähnen, wonach die Geheimen Räte zu den Sitzungen individuell geladen wurden 436 . Aus der Mitgliedschaft folgte also nicht automatisch das Recht zur Teilnahme an den Sitzungen des Geheimen Rates; dies konnte dazu führen, daß so bedeutende Höflinge und Geheime Räte wie Gundaker von Liechtenstein bei Hofe weilten, ohne an den Sitzungen teilzunehmen 437 . 433 Hengerer (2001a), S. 355. In HKA, HZAB 104, fol. 119, werden diese Ämter zusammengefaßt (Truchseß, Mundschenk, Vorschneider). Die Übernahme von Aufgaben niedrigerer Ämter durch Kämmerer belegt auch der Plan eines Festessens anläßlich der Hochzeit Leopolds I. 1666. Dort steht an zwei Stellen neben den Bezeichnungen der Tätigkeitsbereiche Mundschenk und Vorschneider jeweils „Camerer“ (HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 515). Auch diente bei der bei Hof gefeierten Hochzeit eines Grafen Schlick mit einer Gräfin Weissenwolff der Kämmerer und Landjägermeister Harrach als Schenk (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 22. Sept. 1652); als Vorschneider an der kaiserlichen Tafel diente er Anfang der 1640er Jahre oft, gerade weil er seit Sept. 1640 Kämmerer war. 434 Rinck (1708). 1669 waren vier Truchsessen besoldet (HKA, HZAB 112, 1669, fol. 110). 435 Schwarz (1943), S. 131. 436 Leopold I. dekretierte dies bald nach dem Tod seines Vaters (Schwarz (1943), S. 131, 132, bes. Anm. 80). Belegt ist dieser Grundsatz auch im Ernennungsdekret für den Obersthofmeister Portia zum Geheimen Rat, wonach „hinfüro allein die ienigen von der Herrn Gehaimben Räthen zu denen haltenden Gehaimben Raths Sessionen würkhlich zuerscheinen, und dennenselben beÿzu wohnen haben, welche Ihre königl: Maÿl: iedes mahls nach beschaffenheit der vorfallenden sachen, und beratschlagungen, sepcialiter darzue berueffen, und ansagen lassen werden“ (KÄLA, FA PT, C Sch. 10, Nr. 32c, 17. Jun, 1657). In der Forderung Trauttmansdorffs nach einer Reduktion der Zahl der Sitzungsteilnehmer von 1646 (Schwarz (1943), S. 132) ist dies vorausgesetzt; vgl. auch Fiedler (1866), S. 400. 437 Winkelbauer (1999a), S. 180-189, bes. S. 184. <?page no="118"?> 117 Dienstverrichtung und Präsenz bei Hof fielen schon von daher immer wieder auseinander. Lag der Grund für die Nichteinladung Liechtensteins in Problemen der Präzedenz zwischen den Geheimen Räten 438 , wird man den Grund für die stete Ladung einer Gruppe der Geheimen Räte in ihrer Fachkompetenz suchen müssen. Damit ist ein zweites auch von den Zeitgenossen beobachtetes 439 wichtiges Strukturelement der Entwicklung der Präsenz im Geheimen Rat angesprochen: das der Ämterhäufung bzw. der Verbindung mit den Inhabern der Spitzenämter des Hofstaates. Mit dem bedeutenden Wachstum des Geheimen Rates seit Ferdinand II. bildete sich dieses Element zunehmend deutlicher heraus, wenn zwischen der Übernahme eines Spitzenamtes und der Ernennung zum Geheimen Rat durchaus einige Zeit vergehen konnte. Die unter Ferdinand II., Ferdinand III. und Leopold I. bis 1665 ernannten Reichshofratspräsidenten wurden wie die Hofkriegsratspräsidenten und Hofkammerpräsidenten allesamt Geheime Räte. Differenzierter verhielt es sich mit den Inhabern der höchsten Hofämter. Während die Obersthofmeister ausnahmslos auch Geheime Räte waren bzw. wurden, waren Ferdinand II. und Ferdinand III. mit der Ernennung von Oberstkämmerern, Obersthofmarschällen und Oberststallmeistern zu Geheimen Räten etwas zurückhaltender und ließen sich damit mehr Zeit. Regelmäßig war auch der Obersthofmeister der regierenden Kaiserin Geheimer Rat. Dies gilt auch für den Obersthofmeister des Erzherzogs Leopold Wilhelm. Ergänzt wurde dieser Reigen noch durch hohe Militärs sowie durch Inhaber hoher Landes- oder Verwaltungsämter vor allem der böhmischen Krone, aber auch Ungarns und der österreichischen Herzogtümer, und für den österreichischen Hofkanzler 440 . In dieser Konstellation lag die Zahl der Geheimen Räte bereits über derjenigen, welche die zeitgenössische Theorie als Optimum betrachtete. Der für den Kaiserhof vermutlich um das Jahr 1630 anonym verfaßte „Princeps in Compendio“ besagt zur Zahl der Geheimen Räte: „Quan- 438 Ebd., S. 184. 439 „Li Consiglieri secreti di S.M.C. erono molti [...], quasi tutti heueuano altre Carice“ (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 179). 440 Schwarz (1943), S. 114-116, 130. 1622 war bereits gefragt worden, welche Geheimen Räte kein weiteres Hofamt hätten (HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 9, fol. 1). Mit dem Umstand, daß die Behördenchefs mit der Zeit Geheime Räte wurden, dürfte die Titulaturgeheimratswürde zusammenhängen. Der Hofkammerpräsident David Ungnad von Weissenwolff (als Hofkammerpräsident vereidigt am 4. Sept. 1648 in Linz, HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 52) erhielt im Febr. 1650 den Titel eines Geheimen Rates (HKA, NÖ Kammer, rote Nr. 293, März Apr. 1650, 26. Febr. 1650), wurde aber erst am 7. Jul. 1653 als Geheimer Rat vereidigt (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 10,10v). <?page no="119"?> 118 tus autem numerus eorum esse debeat, videtur quatuor aut quinque et ad summum sex et non plures“ 441 . Die Elemente des Ansageprinzips, der Fachkompetenz sowie einer geringen Zahl tatsächlich beratender Geheimer Räte fand denn seit den 1620er Jahren nicht nur im Geheimen Rat selbst ihre Ausprägung, sondern auch in den fallbezogen arbeitenden Deputationen des Geheimen Rates 442 . Diese wurden vom Kaiser eigens bestellt, berieten ohne diesen verschiedenste Sachfragen und legten, meist in den Sitzungen des Geheimen Rates ihre Gutachten und Voten vor. Im stets wachsenden Geheimen Rat bildete sich auch auf diese Weise eine Gruppe besonders involvierter Räte heraus. Die Einholung von schriftlichen Voten von ausgewählten Geheimen Räten trug hierzu gleichfalls bei 443 . Die Ernennung von Personen, die ihres hohen Amtes wegen häufig von Wien abwesend waren, etwa den Militärs oder Statthaltern bzw. Landeshauptleuten, brach den Zusammenhang von Geheimer Ratsstelle und Präsenz bei Hof über die gewöhnlichen kurzfristigeren Abwesenheiten hinaus auf. Als ein frühes Beispiel wäre hier Eggenberg zu nennen, der auch als Statthalter in Innerösterreich um des Gewichts seines Votums willen weiterhin vermittels einer intensiven Korrespondenz seiner Beratungsaufgabe nachkam 444 . Von zahlreichen Geheimen Räten berich- 441 Bosbach (1991), S. 92. Evtl. im Sinne des „Princeps in compendio“ umfaßte der Geheime Rat, von dem die venezianischen Gesandten 1638 berichteten, fünf namentlich genannte Personen (Fiedler (1866), S. 187). Zwar waren wegen der Übernahme von Geheimen Räten Ferdinands II. weit mehr Räte vorhanden (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 3v-5), viele nahmen an den Ratssitzungen aber nicht mehr (regelmäßig) teil (vgl. Schwarz (1943), S. 115, 116, 302). Zum „Princeps in Compendio“: Die Edition Bosbachs folgt einem Druck von 1668, der als Nachdruck einer Ausgabe von 1632 bezeichnet wird. Ob die Schrift 1632 gedruckt wurde, ist zweifelhaft (Schreiber (1998), S. 18, Anm. 82). Zum Autor vgl. auch Redlich (1906/ 1907), Sturmberger (1979), Repgen (1990), S. 145-149, Winkelbauer (1999a), S. 231-233. 442 Vgl. Fellner (1907a), S. 50-52, Schwarz (1943), S. 130-132, Sienell (2001a), S. 31 ff. In diesen Zusammenhang wird man auch die Herausbildung einer Menge besonders involvierter Geheimer Räte sehen dürfen, die an verschiedenen Stellen Spuren hinterließ. So unterzeichneten 1621 einige Geheime Räte das Testament Ferdinands II. (vgl. Turba (1912), S. 351 und Tafel V), für einige gab es in Dechiffriercodelisten eigene Codes, so für Meggau, Trauttmansdorf, Khevenhüller, Werdenberg, Strahlendorf und Eggenberg (Ernst (1992), S. 117). 1625 wurde von Ferdinand II. zus. mit Eggenberg, Harrach, Slavata und Verda die böhmische Landesordnung ausgearbeitet; Liechtenstein und Nostiz wurden von Zeit zu Zeit hinzugezogen (Fellner (1907a), S. 50, Anm. 2). Ähnliche Konstellationen gab es 1627: Dort waren Eggenberg, Slavata, Trauttmansdorff, Strahlendorff, Nostiz und Werdenberg involviert (ebd., S. 50, Anm. 3). Unter Ferdinand III. setzte sich dies fort: So berieten 1652 nur vier Räte eine Belehnung Erzherzogs Leopold Wilhelms (ebd., S. 52, Anm. 1). Zur Implikation für den Entscheidungsprozeß vgl. Kap. B.II.1.c. 443 Zu schriftlichen Voten und Sondervoten vgl. Kap. B.II.1.c. und Kap. C.I.3.a. „Obersthofmeisteramt“, zu den Voten Liechtensteins siehe Winkelbauer (1999a), Kap. 5. 444 So berichtete Caraffa 1629 (Hurter (1860), S. 243, 244). Zur Ernennung Eggenbergs zum Statthalter in Innerösterreich im Jahr 1625 vgl. Heydendorff (1965), S. 95-99. <?page no="120"?> 119 ten denn auch die Gesandten, daß sie sehr häufig vom Hof abwesend waren 445 . Während längerer Abwesenheitszeiten des Hofstaats von Wien wurden diese jedoch häufig in den in Wien „hinterlassenen Geheimen Rat“ bestellt 446 . Unter Ferdinand II. führte die häufige zeitweilige Abwesenheit Geheimer Räte in den frühen 1620er Jahren dazu, daß die Personalstärke des Geheimen Rates zu dünn wurde. So berief der Kaiser 1622 wegen „geringer Anzahl der anwesenden Räth“ seinen Geheimen Rat Trauttmansdorff nach Wien, waren doch die Geheimen Räte Eggenberg und Liechtenstein in der Steiermark und in Österreich ob der Enns 447 . In dem Maße, wie das Amt des Geheimen Rates auch als Bezeugung besonderer kaiserlicher Wertschätzung verliehen wurde, ohne daß von den Neuernannten eine intensive Tätigkeit im Rat entfaltet worden wäre 448 , nahm die Zahl derjenigen Geheimen Räte, auf deren Dienstversehung oft verzichtet wurde oder die auch längerfristig vom Hof abwesend waren, weiter zu 449 . Vor diesem Hintergrund bildeten sich unter Ferdinand II., noch deutlicher unter Ferdinand III., verschiedene Grade der 445 Ähnlich wie für Ferdinand II. (Schwarz (1943), S. 115, 116), lassen sich für Ferdinand III. bereits in Gesandtenberichten verschiedenartig involvierte Geheime Räte ausmachen; vgl. bes. Giustiniani 1654 (Fiedler (1866), S. 400-403). Vom Oberstburggrafen Martinitz hieß es, dieser sei zwar fähig, doch brauche der Kaiser ihn in Prag, Colloredo sei weder bei Hof noch in Prag von Nutzen. Die Geheimen Räte Tattenbach und Rottal waren danach ebenfalls selten am Hof, auch Kardinal Harrach weilte meistens in Prag und war deshalb nur selten im Rat. 446 Während der Reise Ferdinands III. nach Prag 1637 führte der sonst in Graz residierende innerösterreichische Kammerpräsident Dietrichstein im hinterlassenen Geheimen Rat die Geschäfte, in den auch der in Linz residierende Geheime Rat und Landeshauptmann in Österreich ob der Enns Kuefstein, der Geheime Rat und Obersthofmeister der Khevenhüller sowie der Geheime Rat Ferdinands II. und Ferdinands III. Meggau, der Obersthofmeister Ferdinands II. gewesen war und unter Ferdinand III. sonst als Geheimer Rat nicht mehr hervortrat (Schwarz (1943), S. 302), bestellt worden waren (OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 49, Heinrich Wilhelm von Starhemberg an seinen Bruder Caspar, Wien, 30. Apr. und 17. Mai 1637). Auch während der Reise nach Regensburg 1640 kam Dietrichstein nach Wien, als der zuvor in Wien im hinterlassenen Geheimen Rat sitzende Khevenhüller als Obersthofmeister der Kaiserin diese nach Regensburg begleitete (StLA, FA DTH, Sch. 8, Heft 24, Ferdinand III. an Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein, Regensburg, 20. Jul. 1640) und wurde in dieser Funktion auch 1644 an den Hof nach Linz berufen (StLA, FA DTH, Sch. 9, Heft 29, Ferdinand III. an Dietrichstein, Linz 21. Okt. 1644). 447 AVA, FA TM, K. 122, Ferdinand II. an Trauttmansdorff, fol. 12, Ödenburg, 3. Aug. 1622. 448 Vgl. Schwarz (1943), S. 226, über Dietrichstein. 449 Ein Drittel der Geheimen Räte, die Giustiniani 1654 (Fiedler (1866), S. 400-403) aufzählte, waren meist nicht bei Hof; hinzu kommt eine andere Dimension der Ratsferne: Vom Obersthofmeister Dietrichstein heißt es: „e più per il Palazzo, che per il Consiglio“, der Oberstkämmerer Waldstein sei „introdotto nel Consiglio secreto più per honore che per il suo uoto“; Piccolomini habe den Posten wegen alter Verdienste erhalten, außer in Kriegsfragen werde er kaum gehört; Gonzaga habe gleichfalls in erster Linie militärische Erfahrungen und im Geheimen Rat weder „gran studio“ noch „pretensione di un gran statista“; Christoph Graf Puchheim werde eher im Krieg als im Rat gebraucht. Trautson sei zwar talentiert, doch habe sein Leib mehr Gewicht als seine Stimme. <?page no="121"?> 120 Intensität der Arbeit im Geheimen Rat heraus. Unter Ferdinand II. waren es etwa fünf bis acht besonders in Anspruch genommener und regelmäßig präsenter Geheimer Räte, während das Kollegium in der Regel in einer Stärke von acht bis zwölf Personen tagte 450 . Leopold I. setzte dagegen bei dieser Obergrenze an. Besoldungen Die Zahlung von Besoldungen der Geheimen Räte Ferdinands II., Ferdinands III. und Leopolds I. stützt zunächst den Befund eines kleineren Kreises hochrelevanter Geheimer Räte. Der Umstand, daß jemand nicht als Geheimer Rat besoldet war oder daß sich Zahlungen nicht nachweisen lassen, muß kein Indiz für die Nichtheranziehung zum Ratsdienst oder für Abwesenheit vom Hof darstellen. So bezog beispielsweise Johann Rudolf Graf Puchheim nach Ausweis der Hofzahlamtsbücher als Geheimer Rat keine besondere Besoldung, war aber als Oberstkämmerer Ferdinands III. stets in der Nähe des Kaisers und auch bei vielen Sitzungen des Geheimen Rates zugegen 451 . Daß aus dem Hofzahlamt mit etwa 25 weniger als die Hälfte der Geheimen Räte Ferdinands III. besoldet wurden 452 , muß daher nicht bedeuten, daß die anderen Geheimen Räte bei Hofe nicht präsent waren, während andererseits der Abgleich mit den Gesandtenberichten und den Protokollen darauf hinweist, daß vornehmlich solche Geheimen Räte ihre Besoldung aus dem Hofzahlamt bezogen, die für den Ratsdienst von höherer Relevanz waren 453 . Da aber Abwesenheitszeiten grundsätzlich auch bei Geheimen Räten in Anschlag gebracht wurden 454 , geben die Hofzahlamtsbücher so viel Anhaltspunkte für Dienst und Anwesenheit, daß eine Analyse hier vorgelegt werden kann. Unter Ferdinand II. bezogen nach Ausweis des Hofzahlamtsbuches wohl die meisten Geheimen Räte ihre Besoldung aus anderen Ämtern als dem Hofzahlamt und sind daher einer systematischen Analyse insoweit weitestgehend entzogen 455 . Unter Ferdinand III. hingegen bezogen 450 Nach Schwarz (1943), S. 114-116, befaßten sich von den 20 Geheimen Räten in der letzten Dekade der Regierung Ferdinands II. etwa acht bis zehn mit den täglichen Geschäften. 451 Vgl. AVA, FA Harrach, Hs. 102. 452 HKA, HZAB 84-103. 453 Kombination von Präsenzdaten und Besoldungslisten. 454 Ausnahmen wären hier Trauttmansdorff und Breuner. 455 So bezogen nach HKA, HZAB 76, fol. 191*, Geheime Räte ihre Besoldung unter anderem aus dem Hofpfennigmeisteramt. Eingestellt sind für die Geheimen Räte im HZAB an dieser Stelle 16.162 fl. Aus diesem Amt bezog der Geheime Rat und Obersthofmeister Meggau 15.000 fl. Besoldung und Zuebues, der Abt von Kremsmünster für sechs Jahre bis Ende Dez. 1629 an Sold 12.000 fl. und Zuebues 6.000 fl. (HKA, HZAB 76, fol. 192*). Auch Maximilian <?page no="122"?> 121 25 Geheime Räte ihre Besoldung wieder aus dem Hofzahlamt, ohne daß sich dort Hinweise auf andere Zahlungsquellen finden. Die Zahl der besoldeten Geheimen Räte lag somit deutlich unter derjenigen der bestellten. Zeitgleich besoldet waren zwischen 1637 und 1643 durchschnittlich acht bis zehn Geheime Räte. Diese Zahl nahm in der Folge ab, stabilisierte sich jedoch bei nurmehr leicht rückläufiger Tendenz 456 seit 1646 bei durchschnittlich fünf gleichzeitig besoldeten Geheimen Räten. Die Finanzkrise der 1640er Jahre hinterließ im Geheimen Rat damit Graf Trauttmansdorff erhielt unter Ferdinand II. seinen Geheimratssold aus dem innerösterreichischen Hofzahlamt, vom 1. Apr. 1637 an aus dem Hofzahlamt (StLA, FA DTH, Sch. 8, Heft 23, Ferdinand III. an Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein, fol. 25, Prag, 23. Jun. 1637). Die Zahlung der Ratsbesoldung in Höhe von 12.000 fl. an Kremsmünster ist neben der für den Geheimen Rat Rambold Graf Collalto im gleichen Hofzahlamtsbuch unter den gewöhnlichen Besoldungen nochmals ausgewiesen (HKA, HZAB 76, fol. 802*, 803*). Kremsmünster bezog nach HKA, HZAB 77/ 1, fol. 407*, im Zeitraum von 1629 bis 1630 eine Geheimratsbesoldung in Höhe von 7.350 fl. aus dem Hofpfennigmeisteramt. Collalto bezog 2.000 fl., doch wurde vermerkt, daß keine richtige Ordinanz für ihn ins Hofzahlamt gereicht worden sei. Johann Baptista Graf von Werdenberg bezog nach HKA, HZAB 82, fol. 32*, 1.000 fl. aus dem Hofkriegszahlamt. Aus dem Hofzahlamt erhielt Karl von Harrach seine Besoldung noch für den März und Apr. 1619 (HKA, HZAB 72, fol. 128*). Auch die im Hofzahlamt sonst ausgewiesenen Zahlungen an Geheime Räte beziehen sich auf die Zeit vor der Abdankung des Hofstaats Kaiser Matthias’, so die an Graf Meggau für die Zeit vom 22. Jun. 1616 bis zum 30. Apr. 1619 (HKA, HZAB 69, fol. 94*) oder die in HKA, HZAB 68, fol. 188*-190* eingestellten Zahlungen an Meggau, Harrach, Trauttmansdorff und Barvitius als Geheime Räte Kaiser Matthias’. Anläßlich des Aufenthalts des Hofes in Ödenburg wurden dem Obersthofmeister und Geheimen Rat Meggau sowie den Geheimen Räten Harrach, Trauttmansdorff, Werdenberg, Slavata und Kremsmünster Reisekostenzuschüsse gezahlt (HKA, HZAB 76, fol. 541*-543*, zwischen 1625 und 1629). Der Obersthofmeister der Kaiserin Maria Leopoldina bezog auch 1648 seine aiuta di costa aus dem innerösterreichischen Hofpfennigmeisteramt (MZA, FA DT, K. 447, 1911/ 60, Dietrichstein Sigmund Ludwig an Max Fürst Dietrichstein, Graz, 23. Sept. 1648). Der Obersthofmeister Ferdinands IV. und Ferdinands III. Auersperg wurde nacheinander auf verschiedene Stellen angewiesen (HHStA, FA AP A-21-5a). Als Obersthofmeister Ferdinands III. erhielt er zeitweise 7.000 fl. jährlich aus Landesmitteln (Wein, Täz, Salz und Biergefölle); vom 1. Dez. 1655 an sollte er aus dem Hofzahlamt bezahlt werden (HHStA, FA AP, A-21-5a, Ferdinand III. an Hofzahlmeister Eder, 16. Nov. 1653, Kopie v. 16. Nov. 1655), unter Leopold I. erhielt er wie seit Jun. 1651 jährlich 2000 fl. Sold sowie 3.000 fl. aiuta (Wien, 12. Jul. 1657), die ihm aber seit 1659 aus dem Pfennigmeisteramt der Landschaft Krain zu zahlen waren (Leopold I. an Landschaft Krain, 31. Jan. 1659 und 4. Jul. 1661 an die Verordneten in Krain); vom 1658 bis 1663 (1. Quartal) wurde seine Besoldung auch in den Hofzahlamtsbüchern notiert (HKA, HZAB 104- 109). Aus dem innerösterreichischen Hofzahlamt erhielt der kaiserliche Botschafter in Spanien Graf Schönberg seinen jährlichen Unterhalt, wurde 1638 aber auf Mittel in Spanien angewiesen; das freiwerdende Geld kam ins Hofzahlamt (StLA, FA DTH, Sch. 7, Heft 23, Ferdinand III. an Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein, Prag, 14. Aug. 1638). Gundaker von Dietrichstein wurde als Oberststallmeister Leopolds I. mit seiner Besoldung auf das Hoffuttermeisteramt angewiesen (OÖLA, HSt, Sch. 1242, Fasz. 32, Nr. 712); die Anweisung an andere Ämter als das Hofzahlamt war bei den Inhabern von obersten Hofämtern keine Seltenheit, unter Ferdinand III. und Leopold I. insgesamt betrachtet jedoch eher eine Ausnahme. Die enstsprechenden Akten des innerösterreichischen Hofzahlamts konnte ich weder in Graz noch in Wien finden. 456 Dies mag jedoch auch Zahlungsmodalitäten (Nachzahlungen) geschuldet sein. <?page no="123"?> 122 nur vergleichweise schwache Spuren und veränderte die bis dahin entwickelten Strukturen nicht wesentlich 457 . Unter Leopold I. wurden zwischen 1657 und 1665 relativ kontinuierlich etwa sieben bis zehn Geheime Räte besoldet 458 , jedoch wurde, wie oben gesehen, eine größere Zahl ernannt. Dies führte dazu, daß Albrecht von Zinzendorf sich 1665 sträubte, den Geheimen Ratsposten zu übernehmen, weil er um seine Einkünfte aus dem für den Fall der Ernennung aufzugebenden Landjägermeisteramt fürchtete und nicht mit der Zahlung der Ratsbesoldung rechnete. Die Besoldung sei „doch eine gnad und nicht alle bezahlt wirdt“ 459 . Protokolle Protokolle des Geheimen Rates sind bis in die 1660er Jahre hinein sehr selten und zudem noch je nach Materie auf verschiedene Archivbestände verteilt 460 . Um so wichtiger ist eine Reihe von Ergebnisprotokollen zu Sitzungen des Geheimen Rates, die zwischen 1646 und 1650 im Zusammenhang mit etwa 150 Sitzungen zum Problemkreis Westfälischer Friede und Nürnberger Exekutionstag entstanden und die Teilnehmer verzeichnen 461 . Da der Geheime Rat in der Regel annähernd täglich zusammentrat 462 , liegt auch mit diesen Protokollen keine chronologisch geschlossene Serie vor. Dennoch aber wurden als Teilnehmer nicht lediglich Fachleute herangezogen, sondern mit insgesamt 25 verschiedenen Geheimen Räten ein sehr viel breiteres Spektrum. Deshalb darf da- 457 Zwar wurden in den Jahren der ärgsten Finanznot (1643, 1644, 1646, 1648, 1650) aus dem Hofzahlamt auch an Geheime Räte keine Besoldungen gezahlt, doch wurde in den Jahren mit ausreichender Liquidität die Besoldung nachgezahlt. 458 Für einige dieser Geheimen Räte (Lobkowitz, Gonzaga, Leslie, Cavriani und Lamberg) wurden die Besoldungen allerdings erst in der Mitte der 1660er Jahre eingestellt. 459 AVA, FA HR, K. 449, Gottlieb Graf Windischgrätz an F. A. Harrach, Wien, 10. Sept. 1665. Am 17. Sept. 1665 berichtete Windischgrätz, Zinzendorf wolle lieber nicht Geheimer Rat werden als das Landjägermeisteramt aufgeben, welches etwas mehr einbrachte als 2.000 fl. jährlich; er erreichte mit diesem Zaudern demnach die Zusage des Kaisers, daß er die 2.000 fl. Ratsbesoldung tatsächlich erhalten solle und wurde daraufhin 1666 Geheimer Rat. 460 Sienell (2001a), S. 24; Gross (1933), S. 237-247. 461 AVA, FA HR, Hs. 102, 7 Bde. Die Differenz 149/ 150 resultiert aus der Einstufung von Sitzungen an Vor- und Nachmittagen. 462 Vgl. Fellner (1907a), S. 48. Die italienischen Gesandtenberichte über Sitzungen des Geheimen Rates unter Ferdinand III. sind im Detail zwar nicht ganz widerspruchsfrei, insgesamt aber stimmig: Ferdinand III. war danach „assiduo nei Consigli, ai quali semre interuiene“ (1638, Fiedler (1866), S. 190); der Rat tagte in der Regel morgens: „Si riduce ogni mattina a lume di candela nella damera stessa dell’Imperatore il Consiglio“ (1638, Fiedler (1866), S. 226). Zur Häufigkeit (etwa täglich) vgl. Fiedler (1866), S. 388, und BAV, Vat. lat. 10423, fol. 250v, 247v und 255v, zu deren recht langer Dauer Fiedler (1866), S. 278. Im Karneval pausierte der Rat allerdings mitunter (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 132). Vgl. auch Kap. B.II.3.a. Zum Nürnberger Exekutionstag Oschmann (1991), zur Armee Hoyos (1976). <?page no="124"?> 123 von ausgegangen werden, daß der thematische Bezug der Sitzungen die Zusammensetzung nicht so stark bestimmte, daß eine vorsichtige Verallgemeinerbarkeit der Befunde auf Sitzungen des Geheimen Rates insgesamt unzulässig wäre. Drei wichtige Befunde sollen kurz skizziert werden. Zunächst zeigt sich, daß die Zahl der Teilnehmer 463 an einzelnen protokollierten Sitzungen in den Jahren 1646 bis 1650 ungeachtet der oben dargelegten hohen Zahlen Geheimer Räte einschließlich des Obersthofmeisters im Durchschnitt bei leicht steigender Tendenz bei acht bis neun lag und damit der Zahl der besoldeten Geheimen Räte sehr nahe kommt. Sie lag zudem nicht wesentlich über der von der Theorie geforderten Höchstzahl von sechs Geheimen Räten. In seiner schwächeren Besetzung tagte der Geheime Rat häufig in der vorgegebenen Größenordnung, während die Obergrenze von zwölf und 13 Geheimen Räten den Berichten der Gesandten sehr nahe kommt. Das so bedeutsame Wachstum der Zahl der Geheimen Räte schlug also nicht unmittelbar auf die Ratssitzungen durch. Der zweite wichtige Befund liegt in der Bestätigung der Annahme verschieden relevanter Kreise Geheimer Räte. Die hinsichtlich von Ernennungen und Todesfällen nicht bereinigte Frequenz 464 der Teilnahme der Geheimen Räte an den protokollierten Sitzungen über den fraglichen Zeitraum liegt zwischen einem und ca. 91 Prozent. Sieben Geheime Räte nahmen an mehr als 50% der Sitzungen teil, acht zwischen 20% und 49%, zehn an weniger als 20% der Sitzungen. Auch mit diesem Befund stimmen die Ergebnisse aus den Besoldungen und den Gesandtenberichten weitgehend überein 465 . Zugleich läßt der Befund eine 463 Ohne Sekretäre. 464 Todeshalber schieden im Zeitraum aus: Trauttmansdorff († 8. Jun. 1650), Khevenhüller († 13. Jun. 1650), Gallas († 25. Apr. 1647), Schlick († 5. Jan. 1650), Kolovrat († 3. Jan. 1650), und der Burggraf Martinitz († 21. Nov. 1649). Vereidigt wurden Auersperg (21. Jun. 1646), Colloredo (3. Aug. 1646), Pálffy (17. Sept. 1646), Lobkowitz (22. Jan. 1647), Waldstein (28. Aug. 1647), Harrach (7. Jun. 1648) und Öttingen (16. Dez. 1649), Todesdaten nach Schwarz (1943), Vereidigungsdaten nach HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 7v-9. 465 Eher dem Gewicht seines Rates ist es zuzuschreiben, daß Ferdinand II. Maximilian Graf Trauttmansdorff 1633 zu Beratungen nach Wien zurückrief (AVA, FA TM, K. 123, Bb. 2, Nr. 2, Ferdinand II. an Trauttmansdorff, Wien, 21. Dez. 1633). Trauttmansdorffs Abwesenheitserlaubnis für eine Reise auf seine Güter in Innerösterreich über Ostern hatte er nur unter Hinweis auf zahlreiche wichtige Angelegenheiten verlängert (AVA, FA TM, K. 122, Ferdinand II. an Trauttmansdorff, Wien, 21. März 1633). <?page no="125"?> 124 differenzierte Betrachtung jener Geheimen Räte zu, welche seltener an den Ratssitzungen teilnahmen (Tabelle 3) 466 . Liechtenstein 1 Auersperg 33 Ferdinand IV. 4 Khevenhüller 33 J. B. Martiniz 7 Ötting 38 Hatzfeld 7 Kolovrat 40 Pálffy 9 J. R. Puchheim 47 Gallas 9 Lobkowitz 54 Trautson 9 Slawata 57 Kuefstein 10 Trauttmansdorff 66 Teuffenbach 13 Waldstein 67 Kardinal Harrach 20 Kurz 78 Schlick 21 Goldegg 91 Breuner 28 G. A. Martinitz 91 Colloredo 31 Tabelle 3: Teilnahme an Sitzungen des Geheimen Rates in %, 1646-1650 Es zeigen sich auch für die weniger involvierten Geheimen Räte spezifische Teilnahmemuster. Zunächst ist auf Tod und Ernennung innerhalb des dokumentierten Zeitraumes hinzuweisen. Doch auch Krankeit und die Beschwerden eines hohen Alters waren häufig Gründe für die seltenere Anwesenheit im Geheimen Rat. Der Geheime Rat und Bischof von Wien, Anton Wolfrad, bat 1638 unter Hinweis auf seine schlechte Gesundheit um Erlassung seiner Dienste bei der nächsten Hofreise 467 ; der 1580 geborene Lichtenstein etwa bat Ferdinand III. um die Befreiung von den Sitzungen des Geheimen Rates mit dem Argument, er höre so schlecht, daß er den Erörterungen nicht folgen könne 468 . Bei einem auf Lebenszeit verliehenen und ausgeübten Amt sind auch diese Faktoren von einiger Relevanz 469 . Man stellt weiter fest, daß die sporadische Teilnahme einiger Geheimer Räte keine Seltenheit war und daß flexibel auf Anwesenheit der Geheimen Räte bei Hof reagiert werden konnte. Die regelmäßige amtsbedingte Abwesenheit von Wien sorgte zwar über längere Zeiträume betrachtet für geringe Teilnahmeraten, so bei dem in Prag residierenden 466 Datensatz AVA, FA Harrach, Hs. 102; n=149, Prozente gerundet. Die Zählung der Sitzungen kann geringfügig anders ausfallen, wenn man Sitzungen am Vormittag und Nachmittag anders zählt. 467 AVA, FA TM, K. 138, Ff. 2, Nr. 4, Wolfrad an Trauttmansdorff, Krems, 16. Jun. 1638. Es gäbe genug Geheime Räte; wenn er doch mitkommen müsse, bitte er um ein gutes Quartier. 468 Winkelbauer (1999a), S. 187, 188. 469 Vgl. den Registereintrag zu „Krankheiten“. <?page no="126"?> 125 Burggrafen Martinitz 470 und dem dortigen Erzbischof Kardinal Harrach, dem in Linz sitzenden Landeshauptmann Kuefstein oder dem ungarischen Palatin Pálffy, verhinderte aber nicht, daß im Falle der Anwesenheit bei Hof der Rat mit hoher Regelmäßigkeit besucht werden konnte (Kardinal Harrach). Längere Abwesenheitszeiten entwickelten somit keine undurchlässige Sperre gegen Teilnahme im Falle der Anwesenheit. Diese grundsätzliche Offenheit ist bedeutsam insbesondere für die Einschätzung von Chancen der Einflußausübung Geheimer Räte, die in der Peripherie gebunden waren bzw. nicht um ihrer Ratstätigkeit willen sonderlich geschätzt wurden. Fluktuation innerhalb eines Amtes konnte demnach durchaus iterative Muster aufweisen, ohne die Zahlen zeitgleich präsenter Amtsträger allzusehr in die Höhe zu treiben. Auch unter Ferdinand III. blieb es nach den Darstellungen der venezianischen Gesandten bei einer Zahl von fünf bis sieben stets relevanter und präsenter Geheimer Räte, während etwa zwölf verschiedene Personen sehr regelmäßig die Ratssitzungen besuchten. Diese Befunde werden auch durch weitere Protokolle des Geheimen Rates und Hofkammeraudienzen in Gegenwart Geheimer Räte gestützt; Tabelle 4 veranschaulicht die Präsenz Geheimer Räte bei einer Auswahl von Sitzungen aus dem Mai 1650 471 . 470 Vgl. die Berichte Leopolds I. über seine Besuche in Wien 1661 und 1662 (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 72, 97), Wien, 9. Jul. 1661 und 17. Jan. 1662). 471 Hs.: Geheimer Rat; NÖ: Hofkammeraudienz. Die Stichprobe wurde gezogen aus: HKA, Niederösterreichische Kammer, rote Nr. 293 (März und Apr. 1650), 294 (Mai und Jun. 1650) und 296 (Sept. 1650) sowie 305 (März und Apr. 1652) und 406 (Mai, Jun. und Jul. 1652). Teilnehmer an Audienzen der Hofkammer beim Kaiser in Wien: am 28. Febr. 1650: Lobkowitz, Trauttmansdorff, Slavata, Breuner, Martinitz, Trautson, Coloredo, Auersperg, Waldstein, Goldegg, von der Hofkammer Ungnad und Radolt, am 15. März 1650: Trauttmansdorff, Slavata, Martinitz, Kurz, Coloredo, Auersperg, Waldstein, Goldegg sowie von der Hofkammer Ungnad und Molart (HKA, NÖK, rote Nr. 293, März Apr. 1650), am 5. Mai 1650: siehe Tabelle 4, weiter: Ferdinand IV., von der Hofkammer Ungnad und Radolt; 10. Mai 1650: Ferdinand IV., Slavata, Martinitz, Auersperg, Goldegg; Ungnad, Molart; in Laxenburg am 19. Mai 1650: siehe Tabelle 4, weiter: Ferdinand IV., von der Hofkammer Ungnad und Molart, am 24. Mai 1650: siehe Tabelle 4, weiter: Ferdinand IV., von der Hofkammer Ungnad und Hofkammersekretär Putz und am 25. Mai 1650: siehe Tabelle 4, weiter: von der Hofkammer Ungnad und Putz (HKA, Niederösterreichische Kammer, rote Nr. 294, Mai Jun. 1650; AVA, HS. 102). Vgl. weiter: 31. Aug. 1650: Lobkowitz, Slavata, Kurz, Trautson, Puchheim, Coloredo, Palffy, Goldegg; Ungnad, Radolt, Putz; 3. Febr. 1652: Lobkowitz, Piccolomini, Kurz, Auersperg, Waldstein, Goldegg; Ungnad, Hofkammervizepräsident Sinzendorf, Putz; 18. März 1652: Ferdinand IV., Piccolomini, Dietrichstein, Auersperg, Waldstein, Goldegg; Ungnad, Sinzendorf, Putz; 8. Apr. 1652: Ferdinand IV., Lobkowitz, Dietrichstein, Kurz, Auersperg, Goldegg, Öttingen; Ungnad, Sinzendorf, Marco Putz; 10. Mai 1652: Ferdinand IV., Lobkowitz, Trautson, Auersperg, Goldegg; Ungnad, Sinzendorf, Putz. David Ungnad von Weissenwolff war als Hofkammerpräsident stets anwesend, hatte auch im Febr. 1650 den Geheimratstitel bekommen, wurde aber erst 1653 vereidigt (vgl. Anm. 440). Ihn begleitete jeweils ein Hofkammerrat (Molart, Radolt) bzw. ein Hofkammersekretär (Putz). In den zeitlichen Rah- <?page no="127"?> 126 Hs. NÖ Hs. NÖ Hs. Hs. NÖ NÖ Hs. 4.5. 5.5. 6.5. 19.5. 19.5. 23.5. 24.5. 25.5. 29.5. G. A. Martinitz X X X X X X X X X Goldegg X X X X X X X X X Slavata X X X X X X X X Auersperg X X X X X X X Lobkowitz X X X X X X X Waldstein X X X X Puchheim X X X X Colloredo X X Öttingen X X X X Kurz X X Breuner X X Trautson X Tabelle 4: Präsenz im Geheimen Rat, Mai 1650 An dem Grundsatz differenzierter Teilnahme am Rat änderte auch der Tod zahlreicher Geheimer Räte zwischen 1649 und 1652 nichts, wie nicht wenige Sitzungen der Jahre 1652 bis 1654 zeigen 472 . Die Daten verweisen darüber hinaus auf den wichtigen Umstand, daß der Geheime Rat in Laxenburg und auf Hofreisen von einem kleineren Kreis, durchschnittlich von etwa sechs Geheimen Räten besucht wurde 473 . In der Regierungszeit Leopolds I. wandelten sich die Präsenzmuster. In den frühen 1660er Jahren war sein Geheimer Rat so groß wie der Ferdinands III. im Jahr 1657. Während aber unter Kaiser Ferdinand III. die Zahl der Sitzungsteilnehmer sehr deutlich unter der Zahl der Gemen gehört auch die Sitzung am 19. Jun. 1650 in Wien: Lobkowitz, Martinitz, Kurz, Puchheim, Trautson, Auersperg, Goldegg (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 260r, 260v). Die Daten „Hs.“ in der Tabelle sind aus AVA, FA Harrach Hs. 102. 472 10. Jul. 1652: Kurz, Auersperg, Goldegg, Ötting, 12. Jul. 1652: Ferdinand IV., Kurz, Auersperg, Goldegg, Ötting; 24. Aug. 1652: Ferdinand IV., Fürst Dietrichstein, Kurz, Auersperg, Goldegg, Ötting, Volmar (HHStA, RK, WKA, Fasz. 13 (Ferdinand IV.)); 24. Jan. 1653: Ferdinand IV., Kurz, Auersperg, Goldegg, Öttingen, Volmar; 29. Jan. 1653: Ferdinand IV., Dietrichstein, Kurz, Auersperg, Goldegg, Öttingen, Volmar; 22. März 1653: Ferdinand IV., Piccolomini, Dietrichstein, Kurz, Auerperg, Waldstein, Goldegg, Öttingen, Volmar; 2. Apr. 1653: Ferdinand IV., Dietrichstein, Kurz, Auersperg, Goldegg, Öttingen, Volmar; 21. Mai 1653: Ferdinand IV., Piccolomini, Dietrichstein, Kurz, Auersperg, Waldstein, Goldegg, Öttingen; 23. Mai 1653 (Konferenz? ): Dietrichstein, Kurz, Auersperg, Waldstein, Goldegg, Nostiz (ebd., Fasz. 15, Ferdinand IV.); 18. Jul. 1653: Ferdinand IV., Dietrichstein, Kurz, Hatzfeld, Auersperg, Waldstein, Goldegg, Öttingen (HHStA, ÄZA, K. 4, Konv. 9, fol. 29); Regensburg, 20. März 1654: Dietrichstein, Auersperg, Graf Waldstein, Goldegg (AVA, HHStA, ÄZA, K. 4, Konv. 26); 29. März 1654: Ferdinand IV., Dietrichstein, Auersperg, Waldstein, Goldegg (HHStA, ÄZA, K. 4, Konv. 26, fol. 163). 473 Vgl. dazu unten Anm. 573. <?page no="128"?> 127 heimen Räte gelegen hatte, schlugen sich die Ernennungszahlen unter Leopold I. spürbar auf die Teilnehmerzahlen durch: Der Oberstkämmerer bemerkte bereits 1662 anläßlich der Vereidigung zweier neuer Geheimer Räte, daß es eng wurde: „der Rhat ist so stark besezt, daß wir bald nit werden sitzen können.“ 474 Dies weist darauf hin, daß eine weit höhere Zahl anwesender Geheimer Räte zu den Sitzungen eingeladen wurde, wobei man als Sockel für die späten 1650er und frühen 1660er Jahre eine Zahl von etwa einem Dutzend annehmen muß. Dieser Sockel stellte unter Ferdinand III. die Obergrenze dar 475 . Auf dieses möglicherweise absichtlich herbeigeführte Problem 476 wurde mit der Formalisierung der Besprechungen im inneren Beraterkreis Leopolds I., mit der Ausbildung der Geheimen Konferenz reagiert. Diese tagte zusätzlich zum Geheimen Rat, vollzog später aber die quantitative Entwicklung des Geheimen Rates im wesentlichen nach. d. Reichshofrat, Hofkammer, Hofkriegsrat Die Beamten der Hofkammer, des Hofkriegsrats und besonders des Reichshofrats im Ratsrang waren auch unter Ferdinand II. in aller Regel besoldet und blieben es unter Ferdinand III. und Leopold I. Noch vor der Aufrichtung des kaiserlichen Hofstaats zum 1. April 1637 hatte Ferdinand III. verlauten lassen, er wolle, daß sein ganzer Hofstaat richtig bezahlt werde, „sonderlich die doctores“ sowie das Personal der Kanzleien 477 . Diese Ankündigung weist darauf hin, daß auch unter Ferdinand II. Besoldungen vielfach verspätetet ausgezahlt wurden, während unter Ferdinand III. wegen der besonderen finanziellen Engpässe in den 474 MZA, FA DT, K. 26, Johann Maximilian Graf von Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, Wien, 8. März 1662, fol. 159. Am 7. März wurde der Oberststallmeister, am 8. März der Reichsvizekanzler vereidigt. 475 Da unter Leopold I. rasch die regelmäßig bei Hof anwesenden Spitzen des Hofstaates wie der Oberststallmeister und der Obersthofmarschall Geheime Räte wurden, welche unter Ferdinand II. und Ferdinand III. mitunter erst nach Jahren in den Rat berufen wurden, waren allein in Gestalt der Inhaber der Spitzenämter einschließlich der Verwaltungs- und Justizstellen sowie des Niederösterreichischen Statthalters ohne weiteres regelmäßig mehr als zehn Geheime Räte anwesend. Wurden auch diese eingeladen, war ein Sockel von einem Dutzend Räten in einer Sitzung erreicht. Zur Präsenz Geheimer Räte unter Leopold I. in Wien vgl. als nur ein Beispiel das Verzeichnis der Geheimen Räte, die beim Einzug des venezianischen außerordentlichen Gesandten am im Jul. 1659 ihre Wagen zur Verfügung stellten (HHStA, OMaA, K. 519): Portia, Auersperg, Trautson, Schwarzenberg, Ötting, Rottal, Gonzaga, Nostiz, Cavriani, Starhemberg, Fürstenberg, Traun, Georg Ludwig Graf von Sinzendorf, Hans Joachim Graf Sinzendorf sowie Gundaker Graf Dietrichstein. 476 Vgl. Anm. 233. 477 OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 49, Heinrich Wilhelm von Starhemberg an seinen Bruder Caspar, Wien, 26. März 1637. <?page no="129"?> 128 1640er Jahren pauschal Besoldungskürzungen um ein Viertel vorgenommen wurden. Dennoch wurden die Räte der drei Kammern regelmäßig in die Hofzahlamtsbücher eingestellt, ohne daß sich, wie bei den übrigen höherrangigen Ämtern des Hofstaats, erhebliche Lücken auftun. Aufgrund der hier vorliegenden grundsätzlichen Kopplung von Besoldung und Dienst ist man auch verhältnismäßig gut über die Präsenzzeiten der Räte bei Hof informiert 478 . Freilich sind wieder Einschränkungen angezeigt. Zum einen verreisten zahlreiche Räte aller Kammern häufig dienstlich von der Residenz aus, um an anderen Orten Kommissionen zu erledigen; dies gilt besonders für den Reichshofrat 479 , aber in hohem Maße auch für die Hofkammer 480 . Zum anderen wurden bei Hofreisen die Kammern regelmäßig geteilt, wobei einige Räte mit dem Kaiser verreisten, andere als Mitglieder des jeweiligen „hinterlassen“ Rates in Wien blieben. Der Hofkriegsrat nimmt hier insofern eine Sonderstellung ein, als der Rückschluß von der Besoldung auf die Dienstversehung besonders problematisch ist. Hofkriegsräte bezogen ihre Hofkriegsratsbesoldung vermutlich nicht selten im Rahmen sonstiger kaiserlicher Militärdienstverhältnisse und scheinen wohl auch deshalb in den Soldlisten der Hofzahlamtsbücher mitunter nicht auf. Oben wurde darauf hingewiesen, daß die Binnendifferenzierung bei den Hofkriegsräten nach solchen mit und ohne Ordinanz bzw. Titularen früh relativ ausgeprägt war, ohne daß die Grenzen hier sonderlich dicht gewesen wären: So hatte etwa der Hofkriegsrat Metternich zwar keine Ordinanz, aber für 1647 eine Hofkriegsratsbesoldung erhalten. Der Hofkriegsrat Don Hannibal Gonzaga beispielsweise hatte keine Ordinanz erhalten und bezog dementsprechend aus dem Hofzahlamt auch keine Hofkriegsratsbesoldung, war anders als Metternich aber sowohl im gedruckten Hofstaatsverzeichnis von 1655 als auch in dem handschriftlichen Hofstaatsverzeichnis Ferdinands III. verzeichnet; auch nahm er an den Sitzungen des Hofkriegsrats 478 Der Reichshofrat Gottlieb Graf Windischgrätz wohnte zeitweise lieber außerhalb Wiens. Im Okt. schrieb er, er habe wegen zweier Ratssitzungen in die Residenz gemußt (AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an F. A. Harrach, Trauttmansdorff, 25. Okt. 1664) und wunderte sich nach seiner Rückkehr nach Wien, was während seiner Abwesenheit alles geschehen sei, wovon er nichts gewußt habe (AVA, FA HR, K. 449, Wien, 2. Nov. 1664). Am 7. Nov. Schrieb er wieder von Trauttmansdorff und war zwischenzeitlich auf vier Einberufungen in den Reichshofrat nicht erschienen. Dagegen gab es Hofkammerräte und niederösterreichische Regimentsräte, die ohne Besoldung dienten, aber Quartier und ein Salzdeputat hatten (HKA, HQR, K. 2, Nr. 23 (1659), Nr. 277, fol. 78), vgl. auch Kallbrunner (1925), S. 28. 479 Gschließer (1942), Ortlieb (2001), Ortlieb (1999). 480 Die Hofkammerkommissionen sind sehr gut über die Rubrik ‚Liefergeld’ bzw. ‚Kommissionsunkosten’ in den Hofzahlamtsbüchern zu erschließen. <?page no="130"?> 129 bis zu seiner Ernennung zum Geheimen Rat teil 481 . Ungeachtet der großen Zahl von Hofkriegsräten wurde die Personaldecke tatsächlich dienender Räte seit den 1640er Jahren mitunter extrem dünn. Ausfälle wegen der Krankheit des Hofkriegsratspräsidenten Schlick hatte es bereits 1640 gegeben 482 , nach der Hofkriegsratsreform aber konnte es wegen der dünnen Personaldecke 1651 dazu kommen, daß kaum Hofkriegsräte greifbar waren: So schrieb der Hofkriegsrat 1651, daß der Hofkriegsratspräsident Lobkowitz ebensowenig wie der Hofkriegsrat Puchheim anwesend seien, Gonzaga sei krank und somit sei „quasi nessuno del consiglio di guerra“ da 483 . Die Reduktionsreform Ferdinands III. war damit gar zu erfolgreich gewesen; die im Kontext der Reform für die Dienstversehung vorgesehenen Hofkriegsräte indes bezogen zu diesem Zeitpunkt aus dem Hofzahlamt keine Hofkriegsratsbesoldung (mehr), wohl aber andere 484 . Der Schluß von der Besoldung auf die Teilnahme an Sitzungen des Hofkriegsrates und die Präsenz bei Hof ist daher mit so schwerwiegenden Störfaktoren belastet. 481 Vgl. zu Gonzaga Anm. 282. Die Tätigkeit im Hofkriegsrat bis zur Ernennung zum Geheimen Rat ist durch einen Bericht des Hofkriegsratssekretär Sattler an Ottavio Fürst Piccolomini aus Regensburg vom 8. Jul. 1654 belegt (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12716 20/ 1). Die Vereidigung war am 26. Jun. 1654 erfolgt. Im gleichen Brief erwähnt Sattler die Ernennung de Souches’ zum Hofkriegsrat. 482 Am 19. Jan. 1640 wurde „wegen des grafen Schlicken Ubelauf sein, kein Kriegsratt gehalten“ (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 19. Jan. 1640). Laut Nuntiatur (ASV, SG, 148, 8. Jan. 1650) hatte der Tod Schlicks keinen besonderen Einfluß auf die kaiserlichen Geschäfte, weil dessen Dienste als Präsident - sei es wegen des hohen Alters, seiner häufigen Krankheiten oder aus anderen Gründen - für die Armee nicht sonderlich nützlich gewesen seien. Wegen der Erkrankung Schlicks hatte sein Nachfolger (formell seit 1652) de facto seit etwa 1644 allmählich die Führung des Hofkriegsrats übernommen (Meienberger (1973), S. 129). 483 SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12476 19/ 2, Raimondo Montecucoli an Ottavio Piccolomini, Wien, 24. Mai 1651. Passenderweise berichtete er weiter, die Exequien für den verstorbenen Oberstkämmerer Puchheim seien gerade beendet. Puchheim dürfte zu dieser Zeit in Ungarn gewesen sein (vgl. ASV, SG, 148, 15. Okt. 1650). Meienberger (1973), S. 129, weist darauf hin, dass wegen der häufigen Reisen des kaiserlichen Hofes der am 2. März 1652 ernannte Kriegsratspräsident Lobkowitz „im ersten Jahrzehnt seiner Amtszeit selten in Wien weilte.“ 484 Nach dem Schreiben Montecucolis über die Umsetzung der Reform des Hofkriegsrates und der neuen Hofkriegsratsinstruktion (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12412 19/ 2, 26. Febr. 1650, Montecucoli an Ottavio Piccolomini) sollten nur mehr vier oder fünf der ältesten Hofkriegsräte an den Sitzungen teilnehmen: (Johann Christoph) Puchheim, (Ernst) Traun, (Hannibal) Gonzaga und der Chef der Wiener Stadtwache Kuefstein; dieser sei zwar jünger als er, der nunmehr ausgeschlossene Montecucoli, nehme aber als Stadtwachehauptmann teil. Regelmäßig besoldet waren aus dem Hofzahlamt 1653 bis 1657 nur mehr Schmid und Puecher, 1652 hatte Metternich noch eine Zahlung erhalten, für Montecucoli waren 1651 als Hofkriegsrat Zahlungen in Höhe von 7.497 fl. eingestellt (HKA, HZAB 97), die teils vom 1. Jan. 1645 an aufgelaufen waren, teils als Abschlag galten. <?page no="131"?> 130 2. Mobilität Ein wesentlicher Faktor der Zahl und Zusammensetzung der bei Hof anwesenden Höflinge war der Aufenthaltsort des Hofstaats, der im Untersuchungszeitraum noch stark variierte. Neben Wien und den Schlössern der Umgebung sind als kaiserliche Residenzen besonders Regensburg, Linz, Prag und Preßburg hervorzuheben. Für Niederösterreich gilt dabei, daß der Kaiser sich lediglich während der Wintermonate primär in der Hofburg in Wien aufhielt, im übrigen aber seine um Wien herum gelegenen Jagdschlösser dem Aufenthalt in der Stadt vorzog. Aber auch in Abhängigkeit von der Jagdsaison und den besonderen Anlässen des Kirchenjahres bildete sich eine polyzyklische Jahreseinteilung des Hoflebens heraus. Auch dieser Zyklus war indes wiederum durch zahlreiche Einflüsse gebrochen, besonders durch die religiösen Verpflichtungen der Fastenzeit und durch den Fasching, der in der Regel in der Hauptresidenz verbracht wurde. Die Relevanz dieser Faktoren herauszuarbeiten, ist Aufgabe dieses Abschnittes. Weil sich die Quellenlage auch in Anbetracht der Komplexität des Sachverhaltes noch unbefriedigender darstellt als hinsichtlich der Amtsversehung, wird von gut belegten Einzelfällen ausgegangen, ohne den Blick auf systematische Zusammenhänge zu verlieren; anders lassen sich Komplexität und Konturen schwerlich erfassen, auf die es doch im Zusammenhang ankommt. Wenn an dieser Stelle nach der Mobilität von Kaiserhof und Höflingen gefragt wird und als Einheit hier vornehmlich Orte dienen, soll dies den Blick darauf nicht verstellen, daß unterhalb dieser Zurechnungseinheit weitergefragt werden kann: Hinter Orten liegen Viertel, Gebäude, Räume und Positionen in Räumen. Christian B ENEDIK hat mit der Dokumentation der Appartements in der Hofburg seit 1657 darauf hingewiesen 485 . Wiederum geht es in diesem Teil der Arbeit jedoch um größere Einheiten - die Ebene der kleinteiligen sozialräumlichen Gliederung wird dagegen an Beispielen im zweiten Teil der Arbeit relevant. a. Längere Aufenthalte außerhalb Niederösterreichs Nachdem das spätere 16. Jahrhundert eine Fixierung des Hofes auf Wien und unter Rudolf II. auf Prag mit sich gebracht hatte, erklärte 485 Benedik (1997a). <?page no="132"?> 131 Kaiser Ferdinand II. Wien zu seiner Hauptresidenz 486 . Aufgrund der fortgeführten zahlreichen Reisen v.a. zu Krönungsorten, Reichs- und Landtagen blieb der Hof jedoch auch zwischen 1619 und 1665 sehr mobil. Betrachten wir zunächst die längeren Aufenthalte außerhalb Niederösterreichs. Ferdinand II. residierte nach den Krönungsreisen nach Prag und Preßburg mit seinem Hof 1619 noch in Graz 487 . Die 1620er Jahre verbrachte Ferdinand II. zumeist in Wien, war jedoch anläßlich der böhmischen und ungarischen Krönung für Ferdinand III. und Kaiserin Eleonora I. auch in Ungarn (1625) und Prag (1627). Der Regensburger Kurfürstentag im Jahr 1630 sah den Kaiser mehrere Monate in der Reichsstadt 488 . 1635 weilte er für die Friedensverhandlungen längere Zeit in Prag, 1636 anläßlich des Reichstages und der Wahl und Krönung Ferdinands III. zum römischen König wieder längere Zeit in Regensburg 489 . Ferdinand III. ging seit den 1630er Jahren längere eigene Wege, vor allem im Rahmen des Oberbefehls über die kaiserlichen Truppen. Bald nach seiner Krönung kehrte er nach Wien zurück. Die nächste längere Abwesenheit von Wien ergab sich bereits 1637 durch eine Reise nach Prag, das Ende 1637 ebenso wie 1648 als dauerhafte Residenz wieder im Gespräch war 490 . 1640/ 41 war Ferdinand III. längere Zeit beim Regens- 486 Bidermann (1867), S. 36, sah aus der nationalstaatlichen Perspektive des 19. Jahrhunderts Wien unter Ferdinand II. als „erklärte Residenz des österreichischen Herrschers.“ Ihm folgt Buchmann (2002), S. 43. Zur Diskussion der Frage, seit wann Wien als feste Hauptresidenz betrachtet werden kann vgl. die zum Residenzbegriff (Patze (1991), Ahrens (1991), Neitmann (1990)). Ferdinand III. beschrieb seine Reise nach Regensburg im Jahr 1640 als Reise „ins Reich“ (StLA, FA DTH, Sch. 8, Heft 24, Ferdinand III. an Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein, Wien, 28. März 1640; ähnlich ebd., Sch. 9, Heft 27, Preßburg, 26. Nov. 1646: „Mein Reis in das reich“), und betrachtete die Rückreise nach Wien als „Heimb Rais“ (ebd., Sch. 8, Heft 24, Regensburg, 17. Sept. 1641). 487 Vgl. die Hofstaatsliste in ÖNB, Cod. 8102. 488 Albrecht (1990), S. 136. 489 Ferdinand II. kam am 4. Aug. 1636 an (Springell (1963), S. 79). Angereist war der Kaiser über Linz, wo Arundel am 6. Jun. 1636 Audienz hatte (ebd., S. 64, 65). Ferdinand III. kam am 5. Okt. 1636 in Regensburg an (ebd., S. 82), die Königin von Ungarn am 14. Okt. 1636 (ebd., S. 83). 490 Im Nov. 1637 wurde in einem Gutachten dafür plädiert, die Hauptresidenz nach Prag zu verlegen (SOA Prag, VS, 119, fol. 42-45v, Votum anonymi, Wien, 4. Nov. 1637, Abschrift). Man könne von dort aus u.a. den Schutz von Reich und Erblanden besser realisieren und sei dem Feind näher, die Armee würde von der Nähe des Kaisers ebenso profitieren wie dessen Reputation, Nachrichten liefen schneller ein; das Königreich Böhmen brauche um einer effektiveren Regierung willen einen dort residierenden Herrscher; in Prag könne man zudem den Hofstaat besser versorgen. Dagegen spräche lediglich: die kriegsbedingte Gefahr für den Kaiser, die kriegsbedingt notwendige Abwesenheit der Kaiserin und des Thronfolgers von Prag, der Umstand, daß Niederösterreich, Ungarn und Innerösterreich auf die Anwesenheit des Kaisers angewiesen seien und bei Abwesenheit mit einem Rückgang der Kontributionen zu rechnen sei. Das Argument der Kriegführung kam 1645 zum Tragen; Ferdinand III. begründete jeden- <?page no="133"?> 132 burger Reichstag 491 , 1646/ 47 mehrere Monate beim ungarischen Landtag 492 . Zuvor hatte er den Hof in Anbetracht der militärischen Bedrohung Wiens nach Linz verlegt, bevor er 1645 wegen der Übernahme des Oberbefehls nach Böhmen ins Hauptquartier nach Pilsen und darauf nach Prag reiste. Seit dem Sommer 1648 war er für vier Jahre wieder hauptsächlich in Wien, bis er 1652 bis 1654 anläßlich der Vorbereitung und Durchführung von Reichstag und Königswahl nach Prag und Regensburg reiste. Leopold I. war zu Lebzeiten des Vaters noch nicht zum römischen König gewählt worden und verlegte, um Absprachen mit den Kurfürsten zu erleichtern, 1657 den Hof nach Prag, von wo aus er 1658 zu Wahl und Krönung nach Frankfurt zog. Mit der Rückkehr nach Wien ließ er sich mehr Zeit, als seinen führenden Hofleuten in Anbetracht der Gefährdung durch die militärische Lage an der türkischen Grenze lieb war 493 . 1659 weilte er längere Zeit beim ungarischen Landtag 494 und unternahm 1660 zudem eine ausgedehnte Erbhuldigungsreise, die ihn bis nach Triest führte. 1662 war er mehrere Monate in Preßburg beim ungarischen Landtag 495 . Im Dezember 1663 reiste er von Wien zum Reichstag nach Regensburg, wo er bis in den Mai 1664 blieb 496 . Danach blieb er bis zur Reise nach Innsbruck anläßlich des Anfalls des Tiroler Erbes im Jahr 1665 497 vornehmlich in Niederösterreich. falls gegenüber Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein die Planung des Residenzwechsels von Linz nach Prag im Jun. 1645 damit, daß er dem Heer näher sein wolle (StLA, FA DTH, Sch. 9, Heft 29, Ferdinand III. an Dietrichstein, Linz, 17. Jun. 1645). Im Sept. 1646 begründete er wiederum mit militärischer Notwendigkeit den Plan, sich von Preßburg zum Heer zu begeben (StLA, Dietrichstein Sch. 9, Heft 27, Ferdinand III. an Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein, Preszburg, 22. Sept. 1646 und 26. Nov. 1646). 491 Vgl. dazu mit einer reichspolitischen Fragestellung Bierther (1971), zum Regensburger Reichstag von 1653/ 54, ebenfalls mit einer reichspolitischen Fragestellung Müller (1992). 492 Péter (1991), S. 261. 493 Die in Wien zurückgelassenen Geheimen Räte sandten einen Kurier zum Kaiser nach Linz, um dessen Rückkehr zu beschleunigen (AVA, FA HR, K. 448, Paul Sixt Graf Trautson an F. A. Harrach, Wien, 18. Sept. 1658). 494 Vgl. zum Einzug HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 16, fol. 455, 455v. Die Proposition wurde am 22. Aug. 1659 verlesen (ebd., Konv. 17, fol. 478-479). Leopold I. wohnte in Preßburg im Pálffy’schen Haus, wo für den Landtagsschluß am 2. Dez. 1659 eine Ritterstube mit Thron eingerichtet worden war. Am 4. Dez. 1659 reiste er mit Erzherzog Leopold Wilhelm nach Wien zurück, wo sie am 5. des Monats eintrafen (HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 20, fol. 1, 1v). 495 Mai bis Sept. 1662 (vgl. Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 114), Wien, 20. Mai 1662). 496 Vgl. Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 29), Wien, 13. Nov. 1663, zur Verschiebung der Abreise (ebd., S. 31, Wien, 29. Nov. 1663). Am 8. Mai 1664 reiste er mit dem Hof von Regensburg wieder ab (ebd., S. 53, Regensburg, 7. Mai 1664). 497 „Werde den 10. Sept. von hier abreisen, den ganzen October allda verbleiben, den 26. October die Huldigung einnehmen und darauf den 3. oder 4. Nov. wieder ab- und heimreisen. [...] Nächsten Erchtag werde ich meine Zeller Reis antreten etc.“ Leopold I. an Pötting (Pri- <?page no="134"?> 133 Insbesondere mit den längeren Aufenthalten der Kaiser außerhalb Niederösterreichs ging häufig eine Trennung der Hofstaaten der verschiedenen Mitglieder des Hauses Habsburg einher. In diesen Zusammenhang gehören auch Aufenthalte an sicheren Orten, Regentschaften, Witwensitze, unterschiedliche Reisetermine sowie eigene Reisen wie die Ferdinands IV. nach Italien 498 . Erzherzog Leopold Wilhelm trat während seiner Statthalterschaft in den Niederlanden und seines Oberbefehls über die kaiserlichen Truppen mit seinem Hofstaat aus dem Kaiserhof am deutlichsten heraus 499 . Der Kaiserhof als ganzes formierte sich auch auf diese Weise laufend neu. bram (1903), S. 149), Wien, 5. Aug. 1665. Länger wollte er in Tirol nicht bleiben: „Werde also über vier oder fünf Wochen nit oben bleiben, alldieweil dass in Winter oben gar abgeschmackt zu wohnen ist.“ Ebd., S. 152, Wien, 19. Aug. 1665. Am 19. Aug. 1665 war er denn auch in Heiligkreuz (Leopold I. an Pötting (ebd., S. 151, Heiligenkreuz, 19. Aug. 1665). Zu den Hofreisen Leopolds I. unter besonderer Berücksichtigung der Krönungsreise nach Frankfurt und der Flucht im Jahr 1683 Miller (1967). 498 Ferdinand III. bestimmte für die Kaiserinwitwe Eleonora I. zunächst Graz als Witwensitz. Am 6. Mai 1637 reiste sie dorthin (OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 49, Heinrich Wilhelm von Starhemberg an seinen Bruder Caspar, Wien, 26. März 1637), doch bemühte sie sich intensiv um die Rückkehr nach Wien; schon im Okt. 1637 war sie wieder dort (StLA, FA DTH, Sch. 7, Heft 23, Ferdinand III. an Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein, Wien, 10. Okt. 1637). Kaiserin Eleonora II. blieb nach dem Tod Leopolds I. in der Regel in Niederösterreich, 1658 war sie häufig in Laxenburg und in der Favorita. Wegen der militärischen Bedrohung verließen die Habsburger 1645 Wien und gingen zunächst nach Linz (der Thronfolger scheint nach Graz geschickt worden zu sein, AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 1645). Zur Abreise der Kaiserin Maria Anna im Aug. 1645 vgl. ebd., K. 438, Friedrich Graf Cavriani an F. A. Harrach, Wien, 19. Aug. 1645). Während der Kaiser nach Böhmen reiste, blieb die Kaiserin in Österreich ob der Enns. Kaiserin Maria Anna hielt währenddessen die Regentschaft in Linz, wofür Auersperg als Rat beigeordnet wurde (AVA, FA AP, A-21-5a, Regierung und Administration, 17. Jan. 1645). Regentin war Kaiserin Maria Anna in Wien auch während der Reise des Kaisers zum Regensburger Reichstag 1640 gewesen, reiste aber im Sept. nach, weshalb Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein als Ersatz für ihren Obersthofmeister Khevenhüller eine Stelle im hinterlassenen Geheimen Rat zugewiesen wurde (StLA, FA DTH, Sch. 8, Heft 24, Ferdinand III. an Dietrichstein, Regensburg, 20. und 31. Jul. 1640). Linz diente häufiger als Zufluchtsort, so der Kaiserin Eleonora II. und den jungen ErzherzogInnen 1663 im Türkenkrieg (Pribram (1903), S. 28, Anm. 2); vgl. auch Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 182), 1. Sept. 1663, zur Abreise der Kaiserin vgl. ebd., S. 178, Wien, 24. Jul. 1663. 1649 reiste Ferdinand IV. mit kleinen Hofstaat 1649 nach Mailand (vgl. Franz Ernst von Molart an den kaiserlichen Obersthofmeister Trauttmansdorff in AVA, FA TM, K. 119 und die Korrespondenz des königlichen Obersthofmeisters Auersperg mit Ferdinand III. in HHStA, FA AP, A-II-28). Erzherzog Leopold blieb während des Regensburger Reichstags 1653/ 54 in Wien, wohnte aber auch in Ebersdorf (KÄLA, FA PT, C Sch. 10, Ferdinand III. an Johann Ferdinand Graf Portia, Regensburg 8. Sept. 1653). 499 1639 bis 1642 und 1645/ 46 hatte Leopold Wilhelm den Oberbefehl über die kaiserliche Armada, 1647 bis in 1656 war er Statthalter in den Niederlanden, im Jul. 1656 kam er zurück nach Wien (Schreiber (1998), S. 36-44, 66). Er bezog 1656 einen Teil der Hofburg, visitierte im Herbst 1656 seine Bistümer Olmütz und Breslau, ließ seit 1657 seine Burg in Wiener Neustadt wiederherstellen, ohne sie dauerhaft zu beziehen (ebd., S. 71, 72). Vgl. zu den Sammlungen Garas (1968), Garas (1968), Haupt (1980b), Haupt (1980a), Haupt (1983). <?page no="135"?> 134 Reisehofstaaten Die Kriterien für die Gestaltung des Gefolges lassen sich an der gut dokumentierten Planung der Reise Ferdinands III. und Ferdinands IV. über Linz und Prag zum Regensburger Reichstag 1653/ 54 500 besonders prägnant herausarbeiten. Während des kurzen Aufenthaltes in Linz sollte die Erbhuldigung für Ferdinand IV. geleistet werden; danach wollte sich der Kaiser im Zuge des weitaus längeren Aufenthaltes in Prag vor dem Reichstag mit den Kurfürsten absprechen. Per Dekret beauftragte Ferdinand III. seinen Obersthofmeister Dietrichstein, die Geheimen Räte Auersperg (auch Obersthofmeister Ferdinands IV.) und Goldegg (auch Hofkanzler), den Hofmarschall Starhemberg, den Oberststallmeister Losenstein sowie den Hofkammerpräsidenten Ungnad 501 mit der Planung der Vorbereitungen. In diesem Rahmen war auch die Frage zu klären, „was auch fir Räthe und Canzleÿen mitzunemben [...] sein möchte“ 502 . Die Aufteilung des Hofstaats war also bereits vorausgesetzt, wurde durch Detailregelungen jedoch neu gestaltet. Zunächst riet der Ausschuß bezüglich des Reichshofrates, nach Linz lediglich den Präsidenten, den Kanzler und einen Sekretär mitzunehmen, die übrigen aber direkt nach Prag zu senden. Interessanterweise war daran gedacht worden, drei oder vier Räte „und zwar solche, so vor anderen, laboriosi und am besten zu gebrauchen sein“ nach Linz mitzunehmen, die übrigen nach Prag vorzuschicken und einzelne Reichshofräte bedarfsweise auch ins Reich auszusenden. Hiergegen hatte sich jedoch der Reichshofratspräsident mit dem Argument gewehrt, der Rat lasse sich nicht so teilen, daß er teils zu Prag, teils beim Kaiser „bestehen khönne“; daher seien alle Reichshofräte nach Prag zu „depudieren“ 503 . Nur der Präsident und der Kanzler sollten mit dem Kaiser reisen. Dieser bestand in Anlehnung an einen älteren Befehl darauf, beide in persona 500 HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 19, fol. 1-9. Zu Ferdinand II. vgl. auch Hurter (1850), Bd. 11, S. 575, 576, 581. Zu Reisevorbereitungen unter Leopold I. Miller (1967), S. 76-83. 501 Losenstein und Ungnad wurden 1653 Geheime Räte, Starhemberg folgte 1656. 502 Beratung am 3. Apr. 1652, das resultierende Gutachten wurde am 6. Apr. im Geheimen Rat referiert, in Anwesenheit Ferdinands IV. und der Geheimen Räte Dietrichstein, Waldstein, Auersperg, Goldegg sowie des Kammerpräsidenten Ungnad, und mit einigen Änderungen vom Kaiser genehmigt (HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 19, fol. 9v-10). Als 1663 erörtert wurde, ob Leopold I. sich zum Reichstag nach Regensburg begeben sollte, wurde erwogen, welche Räte man mitnehmen und welche man in Wien lassen sollte (OÖLA, HSt, Sch. 1241, Fasz. 32, Nr. 699, Gutachten über die Reise nach Regensburg, Wien, 18. Sept. 1663). 503 Damit überschrieb Dietrichstein „mitzunemben”. <?page no="136"?> 135 um ihrer mündlichen und einheitlichen Stellungnahmen willen um sich zu haben 504 . Beim Kriegsrat war man sich dagegen bereits bei der Beratung einig: Dieser sollte geteilt werden, nach Linz nur der Präsident und ein Sekretär mitreisen, nach Prag „etwa 2 Kriegs Räthe“ nach Wahl des Präsidenten. Doch sollten auch in Wien „solche subiecta, so von consideration und experienz sein“, hinterlassen werden, „weillen man gleichwohll, der gränizen halber und in anderweg, alda genueg zu thun haben wierdet“. Ebenso sollte es mit der Hofkammer und anderen Ratsstellen und Kanzleien gehalten werden, „allein diejhenigen und soviel, als man denn unentberlich vonnöten, nacher Linz mitzunemben, die ubrigen aber nacher Prag immediaté abzufirn sein“. Es stehe während des kurzen Aufenthaltes in Linz ohnehin nur die Erbhuldigung an, weshalb es „nit vil zuthun geben wirdet“ 505 . Die Zahl und Größe der Hofstaaten sei ein erhebliches Reisebeschwernis auch in bezug auf die Unterbringung: „mit sovillen und grossen Hofstätten, auf einmall und auf einen weeg, [sei] hart vortzukhumben.“ So aber könne der übrige Hofstaat in sechs Tagen nach Prag gelangen; über Linz sei dies langwieriger und damit auch teurer. Bezüglich der Hofstäbe wurden nicht überlieferte Listen angefertigt, doch ist immerhin die sehr aufschlußreiche Diskussion über Zahl und Auswahl der Kämmerer überliefert. Der Oberstkämmerer hatte offenbar eine Zahl von zwölf mitzunehmenden Kämmerern genannt; dieser Vorschlag wurde angenommen, doch durch einige Zusatzbestimmungen ergänzt: Danach sollten Kämmerer mitgenommen werden, die erstens dem Kaiser „behörlich dienen und aufwarten und vor anderen mit Mitel versehen sein, und daher [...] mit desto mehreren reputation bedienen khönen“, zweitens solche, „die ohne das ratione ihrer anderweitigen officia und dienste zureisen haben, damit hierdurch ein desto grössere spesa verhietet wurde“, und drittens sollten „unter solchen numero der 12 Camerer meisten thails teütscher Nation Personen sein, damit umb soviel mehrers Vertrauen gepflogen und alle sonst ereignenden anderwertige gedankhen, beÿ den Reich verhietet bleiben.“ 506 Um der Repräsen- 504 „Und dises nit schrifftlich, Sondern allein mündtlich, damit die occasion, sich alda mit Ihnen schriftlichen guetachten zu allongieren, und vielleicht auch abgeschnidten, und die vielleicht sich unterluftde contradicitiones verhietet werden.“ HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 19, fol. 2v. 505 HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 19, fol. 2v. Zur Erbhuldigung vgl. die 1656 in Linz gedruckte Beschreibung in OÖLA, HA WB, Sch. 43, A/ 4/ a/ 1. 506 HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 19, fol. 3v, 4. Die zwölf Kämmerer sollten dem Kaiser regelmäßig dienen und reputationshalber wohlhabend sein. Zum anderen sollte darauf geachtet werden, daß Kämmerer gewählt würden, die auch andere Hofämter hätten, da man so Ausgaben <?page no="137"?> 136 tativität und des Statusabstandes zu den Kurfürsten willen wurden zudem zwölf Truchsessen bestellt, nachdem das Amt bereits abgeschafft worden war. Zur Erbhuldigung nach Linz sollte auch ein Teil der Kapelle mitgenommen werden, „wers und sovil vonnötten“, wohingegen in Prag die gesamte Kapelle zur Verfügung stehen sollte, „weillen Sÿ zerthailter vileicht nit satisfaction geben wurde“. Bei der Aufteilung der Hartschier- und Trabantengarde wurde dreifach differenziert. Nach Linz sollte „allein die Nottdurfft, der rest aber nacher Prag zunemben.“ Doch sollten in Wien 25 Trabanten und acht Hartschiere bleiben, damit der dort zurückbleibende und „bisweilen ausraisen[de]“ Erzherzog „gebürendt bedienet sein khünen“. Als Kriterien für die Mengen- und Personalauswahl traten also neben thematische und verfahrenstechnische Erwägungen die Repräsentativität der Begleitung 507 und besonders die Faktoren Schnelligkeit der Reise und Leichtigkeit der Unterbringung; sie waren auch Teil der stark betonten Kostenproblematik. Zugleich wurde unter Rücksicht auf die verfahrensmäßig vorgegebenen Anforderungen an die Einheit der Behörden (freilich nur Reichshofrat) auf die Funktionsfähigkeit primär der mitreisenden Stäbe geachtet, die in Abhängigkeit vom erwarteten Arbeitsvolumen und damit in Abhängigkeit von der Aufenthaltsdauer gestellt wurde. Bewußt wurden Personen, die Justizbzw. Verwaltungsämter und zusätzlich das Kämmereramt innehatten, ausgewählt 508 . Beachtlich ist hierbei besonders, daß eine Tendenz beobachtet wurde, in Wien die für weniger tauglich erachteten Amtsträger zurückzulassen 509 . Indem einsparen könne und schließlich sollten von den zwölf Kämmerern die meisten zur deutschen Nation gehören, um mehr Vertrauen im Reich erwerben zu können. Damit stellte Kaiser Ferdinand III. die Kompatibilität zwischen Kammerdienst und anderen Hofdiensten wieder her, die er in seiner Instruktion von 1651 beschränkt hatte (ebd., OMeA SR, K. 73, Konv. r.122, 4 rote Nr. 22, e.h. „Vernere instruction und Erclärung“ Ferdinands III. für den Oberstkämmerer Waldstein, Wien, 2. März 1651), was aber schon im Juni durchbrochen worden war: Raimondo Montecucoli mußte seine Teilnahme an einer Hofkriegsratssitzung ausfallen lassen, weil er Kammerdienst hatte (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12478 19/ 2, Montecucoli an Ottavio Piccolomini, Wien, 7. Jun. 1651). Die Zahl der zwölf Kämmerer bestätigt auch ein Nuntiaturbericht: „Hà nominato dodici trà suoi Camerieri, acciò lo seguitino infallibilmente à Lintz, à Praga, et à Ratisbona“; die anderen könnten kommen oder gehen wie es ihnen beliebe (ASV, SG, 150, 25. Mai 1652). Zu Regensburg und den Reichstagen vgl. Schmid (2000); Reiser (1969); Ruville (1896): Bierther (1971); Müller (1992). 507 § 8 des Gutachtens widmet sich dementsprechend auch der Frage der Livreen. 508 In einer Sitzung vom 28. Nov. 1658 dagegen beschlossen die mit der Neubildung des Reichshofrats beauftragten Geheimen Räte, die Reichshofräte, welche auch Kämmerer waren, vor die Wahl zu stellen, welches der Ämter sie wollten; für den Fall, daß sie das Kämmereramt wählen würden, sollte sie den Reichshofratstitel erhalten (Gschließer (1942), S. 277, 278). 509 Vgl. für Leopold I. das Gutachten über die Frage, wer ihn 1663 zum Reichstag nach Regensburg begleiten sollte (OÖLA, HSt, Sch. 1241, Fasz. 32, Nr. 699, Wien, 18. Sept. 1663). <?page no="138"?> 137 man dem entgegenzuwirken suchte und auf die Bedienung der dort zurückbleibenden Mitglieder der Dynastie Rücksicht nahm, blieb die Situation in Wien auch während längerfristiger Abwesenheiten im Blickpunkt 510 . Die Entscheidung Ferdinands III. folgte diesen Vorschlägen im wesentlichen: Reichshofratspräsident und Kanzler sollten mit nach Linz kommen, die übrigen direkt nach Prag reisen, der Kriegspräsident mit einem Sekretär nach Linz mitkommen und zwei Kriegsräte nach Prag gehen. Bezüglich der Hofkammer und anderer Ratsstellen folgte der Kaiser dem Vorschlag ohne weitere Spezifizierung. Auch in bezug auf Kämmerer, Truchsessen, Trabanten und Hartschiere war der Kaiser einverstanden; von den Musikern sollten 22 oder 23 sowie der Kapellmeister nach Linz, die übrigen gleich nach Prag reisen. Das Gutachten bezog sich im Hinblick auf die Hofkammer explizit auf diesbezügliche Traditionen 511 und deutete damit ebenso wie die kaiserliche Zustimmung zu den Vorschlägen an, daß die so vorgenommene Teilung von Hofstaat und Stäben sowie die Bemessung der Größenordnungen im wesentlichen nach regelmäßig geübten Grundsätzen erfolgte 512 . Dementsprechend hatte der kaiserliche Hofstaat bei dem durch den Linzer und Prager Aufenthalt vorbereiteten Regensburger Reichstag von 1653/ 54 einen für die Zeit Ferdinands III. besonders großen Umfang und fügt sich damit in die Reihe der großen Wahl- und Krönungsaufenthalte 513 . Die Schiffahrtsordnung für die Abreise von Regensburg sah 91 Schiffe bzw. Boote vor und verweist damit auf die weitgehende Selbständigkeit des reisenden Hofes von der Hauptresidenz; nicht allein Reichshofrat sowie Teile von Hofkammer und Hofkriegsrat, sondern auch eine kontinuierliche Verwaltung der böhmischen, ungarischen, nieder- und innerösterreichischen Besitzungen war durch mitreisende Bedienstete gewährleistet 514 . Das recht gut dokumentierte kaiserliche Fa- 510 Dies wird nicht zuletzt an den hinterlassenen Geheimen und deputierten Räten sichtbar. 511 HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 19, fol. 3. 512 Hier ist besonders der Reichshofrat zu nennen. 513 Vgl. zu den Wahlen und Krönungen in Frankfurt Wanger (1994), zu den Krönungen im 17. Jahrhundert Reuter-Pettenberg (1963). Die Wahl Ferdinands IV. fand in Augsburg statt. 514 HHStA, ÄZA, K. 4, Konv. 31, fol. 177-179, Bootsfolge u.a.: 59. Reichshofrat Gebhard, 60. Reichshofrat Walderode, 64. deutsche und lateinische Reichskanzlei, Protokollisten, 65. Reichsfiskal, 66. Hofkammerräte Putz und Wagenau, 66. Hofkammersekretär, 68. Hofkammerregistrator, Konzipist, Expeditor, Kanzlisten, 69. Hofbuchhalter und Kollegium, 70. Geheime Sekretäre Schidenitz und Khager, 71. Sekretär Putterer samt niederösterreichischer und innerösterreichischer Expedition, 73. ungarischer und Hofmarschallamtssekretär, 74. böhmische Kanzlei, 75. Kriegssekretäre, 76. gesamte Kriegsexpeditionsverwandte „mit ihren Schriften und Notturften”, 89. Hofkammer, Notdurften. <?page no="139"?> 138 schingsfest des Jahres 1653 mit einer Wirtschaft 515 bietet Hinweise auf die Amstsstruktur großer Reisehofstaaten und steht dabei in weitgehender Übereinstimmung mit der Schiffsliste und der Planung der Prager und Regensburger Reise: Anwesend waren danach neben den Inhabern der vier obersten Hofämter der Reichsvizekanzler, der Reichshofratspräsident, der Hofkanzler, der Hartschierhauptmann, der Kammerpräsident, die Obersthofmeister Ferdindands IV. und der Kaiserin, welche mit Ausnahme des letztgenannten und des Hofmarschalls alle spätestens 1653 Geheime Räte geworden waren, sowie der Geheime Rat Volmar und der böhmische Kanzler Graf Nostiz, der erst 1654 Geheimer Rat wurde 516 . Damit waren, wie zumeist üblich, die Spitzen des Hofes versammelt. In der Gästeliste folgten in der Aufstellung nach der Reihenfolge ihrer Ernennung 21 Kämmerer Ferdinands III., von denen einige in der Tat andere höhere Ämter im Hofstaat innehatten, darunter der Oberstkuchlmeister Molart, die Reichshofräte Fürstenberg, Ranzau und Schlick, der Hofkammervizepräsident Sinzendorf, der Oberstfalken- und Landjägermeister Harrach und der Oberstsilberkämmerer Hyzerle 517 . Von den übrigen waren die meisten Kämmerer seit 1648 ernannt 515 Das Namensverzeichnis in HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 27, fol. 19-21, dürfte, darauf weist die weitestgehende Namensidentität hin, die Liste der adeligen Personen und Gäste darstellen, die beim kaiserlichen Faschingsfest am 20. Febr. 1653 zugegen waren (Ablauf und Personal: ebd., K. 4, Konv. 3). Danach saßen an der großen kaiserlichen Tafel für 42 Personen von den männlichen kaiserlichen Amtsträgern die kaiserlichen Kämmerer Adam Franz von Waldstein, Christoph von Ranzau (auch Reichshofrat), der Obersthofmeister Dietrichstein, der königliche Kämmerer Kotz von Dobrž, der kaiserliche Geheime Rat Hatzfeld, und die kaiserlichen Kämmerer Paar und %ernín, der kaiserliche Kämmerer Sinzendorf (Hofkammervizepräsident), der königliche Kämmerer Rabatta, der Obersthofmeister der Kaiserin Fugger, der Geheime Rat Fürst Piccolomini, die kaiserlichen Kämmerer Franz Anton Trauttmansdorff und Franz Pötting sowie der Oberstkämmerer Maximilian Graf Waldstein. An der kleinen Tafel für 15 Personen in der Ritterstube war der Anteil der königlichen Kämmerer höher: Strozzi, Jörger, Reckheim und Graf Dietrichstein (mehrdeutige Identifikation möglich) saßen zusammen mit den kaiserlichen Kämmerern Hans Ernst Schlick (auch Reichshofrat), Maradas, Harrach (auch Oberstfalkenmeister), Adam Matthias Graf Trauttmansdorff und Zeill. Nachdem diese wieder zum „Tanzblaz” gegangen waren, folgten zu Tisch diejenigen, die den Kaiser und die Kaiserin bedienten, u.a. der Herzog von Württemberg und der Markgraf von Baden. Von den kaiserlichen und königlichen Amtsträgern waren dies: Lodron, Auersperg, Breuner, Lostenstein, Collalto, Caprara, Tierheim, Maria Testa Piccolomini, Leopold Markgraf von Baden, Fürstenberg, Nostiz, Ötting, Salm, Ludwig Graf Rabatta, Frl. Portia, Ranzau, Graf von Starhemberg, Pallavicini, Waldstein, Öttingen, [Kaunitz-]Ridtberg, Weissenwolff und Molart. 516 Vgl. HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 27, fol. 19-21. Ein Teil der genannten Personen gehörte zu den unwirklichen oder wirklichen Kämmerern Ferdinands III.; Nostiz wurde hinter Adam Matthias Trauttmansdorff nachgetragen. 517 In der Reihenfolge ihrer Nennung: Adam Matthias Graf Trauttmansdorff, Franciscus Graf Marradas, Franz Graf von Harrach, (Franz) Ernst von Molart, Friedrich Graf von Fürstenberg, Ernestus Graf Salm, Marchese Don Luigi Gonzaga, Johann Maria Testa Piccolomini, Carl von Paar, Ludwig Graf Rabatta, Franz Graf von Pötting, Georg Ludwig Graf von Sinzendorf, Leopold Wilhelm Markgraf von Baden, Franz Anton Graf Trauttmansdorff, Christoph zu Ranzau, <?page no="140"?> 139 worden 518 . Nimmt man die zwölf in Regensburg anwesenden Kämmerer Ferdinands IV. 519 sowie die hochadeligen männlichen Bedienten der Kaiserin 520 hinzu, kommt man auf eine Präsenzzahl von etwa 40 männlichen hochadeligen Amtsinhabern; nimmt man die für den Aufenthalt in Prag vorgesehenen Truchsessen und die vermutlich auch in Regensburg anwesenden Mundschenke noch hinzu, kommt man auf etwa 50 bis 60, höchstens 65 Personen (ohne Edelknaben) 521 . Dem entspricht in etwa die Angabe zu den Tafeln anläßlich der Krönung Ferdinands IV. in Regensburg am 18. Juni 1653. Die Freitafel für die kaiserlichen und königlichen Obersthofmeister, Geheimen Räte und „vornehme Ministri“ war auf 20 Personen kalkuliert, wozu eine gleich bemessene Tafel für die kaiserlichen Mundschenke, Fürschneider und Truchsessen kam, die an der Reichsfürstentafel gedient hatten 522 . Obschon die politische Lage bei der unsicheren Wahl Leopolds I. nach dem Tode Ferdinands III. ungleich heikler war als bei der Wahl Ferdinands IV., setzte sich der Hofstaat, mit dem Leopold I. über Prag nach Frankfurt zog, hinsichtlich der hochadeligen Amtsträger in ähnlicher Weise zusammen 523 . Mit den zahlreichen Geheimen Räten und den Inhabern der Obersten Hofämter waren wiederum die Spitzen des Hofstaates und der Kollegien in ähnlicher Zahl wie beim Regensburger Reichstag versammelt. Ähnlich war auch die Zahl der Kämmerer: 16 Personen waren nach dem Extrakt als solche ausgewiesen, doch wird man die Zahl etwas höher ansetzen müssen; einige der Kämmerer versa- Humbrecht Graf %ernín, Franz Christoph Hyzerle, Franz Ernst Graf Schlick, Adam Franz Graf von Waldstein, Ferdinand Carl Graf zu Lewenstein, Ranzau (vgl. zu diesem Gschließer (1942), S. 264, 531; Peter von Ranzau wurde 1655 kaiserlicher Kämmerer). 518 Franz Graf Maradas und Adam Matthias Graf Trauttmansdorff (beide 1639) dürften wie Johann Jakob Reichserbtruchseß Graf Zeill aus besonderen Gründen in Regensburg gewesen sein. 519 Vgl. HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 27, fol. 20. Auch sie scheinen im Verzeichnis in der Reihenfolge ihrer Ernennung auf, im folgenden mit den im Anhang (KOPS) vergebenen Nummern: Rabatta (1), Colloredo (4), Strozzi (5), Caprara (18), Jörger (20), Lodron (22), Dietrichstein (23), Königsegg (24), Kotz von Dobrž (25), Breuner (26), Tierheim (27), Reckwein (? ). Rabatta (1) dürfte zu diesem Zeitpunkt bereits Oberstkämmerer gewesen sein. 520 HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 27, fol. 21. 521 Einen wichtigen Hinweis darauf, daß die Planung realisiert wurde, gibt der erhebliche Anstieg der jährlichen Ernennungen von Truchsessen in den Jahren 1653 bis 1655. 522 HHStA, ÄZA, K. 4, Konv. 7, fol. 13. Hier dienten besonders Höflinge mit Funktionen im Reich und/ oder Hauptsitz im außerösterreichischen Reichsgebiet: Zeill, Pappenheim, Baden. Zu den Silbergeschirren für die 30 königlichen, kaiserlichen und erzherzoglichen Kämmerer beim Krönungsessen für Leopold I. in Prag 1656 vgl. HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 19, fol. 331. 523 Zur Wahl vgl. Pribram (1888). HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 11, fol. 490-492, verzeichnet 430 Höflinge, darunter den Obersthofmeister und 13 Geheime Räte, 16 Kämmerer u.a.m. <?page no="141"?> 140 hen wiederum auch andere Ämter bei Hof 524 . Hinweise auf Mundschenke, Fürschneider und Truchsessen sind sehr spärlich, so daß in Frage steht, ob überhaupt Mitglieder aller drei Amtsbereiche vertreten waren 525 . Da Leopold I. von Erzherzog Leopold Wilhelm begleitet wurde, der seinerseits mit seinem Hofstaat kam, wird man für die Größe der hochadeligen Amtsträgerschaft Leopolds I. für den Aufenthalt in Frankfurt eine Zahl von etwa 40 bis 60 Personen (ohne Edelknaben) annehmen dürfen 526 . Bei der Erbhuldigungsreise Leopolds I. durch die südlichen Herrschaftsgebiete im Jahr 1660 begleiteten ihn nach Ausweis eines Verzeichnisses mitreisender Kammerpersonen 22 Kämmerer 527 sowie zahlreiche Inhaber von Spitzenämtern in Hofstaat und Administration mitsamt kleiner Stäbe 528 . Als der Kaiser 1665 nach dem Anfall Tirols „mit grosser Hoffstatt, und beglaitung aller ihre fürnembsten hochen Ministri“ 529 zur Huldigung nach Innsbruck reiste, sollten ihn zunächst neun Kämmerer als solche begleiten, doch wurde die Zahl noch auf zwölf erhöht 530 . Daneben reisten die Spitzen des Hofstaates mit kleinen Stäben mit 531 . Aus dem hohen Hofadel kamen damit insgesamt 524 Vgl. die Liste königlicher Kämmerer beim Einzug Leopolds I. zum Wahltag in Frankfurt am 29. März 1658 (Hengerer (2001a), S. 353-355, Anm. 56). Dort sind 18 Kämmerer aufgeführt, zu denen noch Franz Christoph Graf von Fürstenberg zu zählen wäre, der seit dem 18. Jul. 1657 Kämmerer Leopolds I. war (vgl. HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 5, fol. 485). 525 Gesichert für den Mundschenk Nicola Paravicini (HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 5, fol. 485v). 526 Im Zuge der Rückreise besuchte der Hof München (vgl. die Aufzeichnungen zum Einzug Leopolds I. am 26. Aug. 1658 in HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 8, fol. 508-509v, 510-511) und Linz, wo am 9. Sept. 1658 die Erbhuldigung der Stände des Erzherzogtums Österreich ob der Enns geleistet wurde (vgl. ebd., Konv. 9, fol. 1-7v, 12, 14-15). 527 HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 24, fol. 91-92. Zum Reiseverlauf ebd., Konv. 25, fol. 12-13v. 528 Vgl. ÖNB, Cod. 12602 und HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 26-28. Die Bedeutung der Reise kam auch in der bei längeren Reisen von Bedeutung üblichen Begleitung durch den Nuntius, den spanischen und venezianischen Botschafter zum Ausdruck (ebd., Konv. 27, fol. 17). Der spanische Botschafter fehlte bei der Erbhuldigung im Herzogtum Krain, da er von Klagenfurt aus nach Venedig verreist war (HHStA, ÄZA, K. 6, Konv. 30, fol. 146v). Vgl. auch Probszt- Ohstorff (1971), S. 141, 142, und ausführlich Porcedda (1996). 529 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 7, fol. 284. 530 Vgl. Anm. 602. 531 Die Inhaber der obersten Hofämter (Lobkowitz, Lamberg, Starhemberg und Dietrichstein, die alle Geheime Räte waren) sowie mit Ausnahme von Rottal, Traun, Montecucoli und Trautson alle anderen Geheimen Räte (AVA, FA HR, K. 445, Johann Maximilian Graf von Lamberg an F. A. Harrach, Königstetten, 10. Sept. 1665) als Auersperg, Gonzaga (Hofkriegsratspräsident), Schwarzenberg, Nostiz (böhmischer Hofkanzler), Sinzendorf (Hofkammerpräsident), Sinzendorf (Hofkanzler) und Walderndorf (Reichsvizekanzler). Hinzu kamen der ungarische Hofkanzler, der Trabantenhauptmann Franz Augustin Graf Waldstein, der Reichshofrat Walderode, die Hofkammeräte Freiherr von Hohenfeld und Merpold, der Hofzahlmeister, der Kriegsrat Dorsch, der Obristhofpostmeister Carl Graf Paar, aus dem Obersthofmeisterstab der Hofkuchelmeister, der Oberstsilberkämmerer, der Untersilberkämmerer und 17 Edelknaben mitsamt den Expeditionen. Vgl. auch HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 7. Da der Hofkanzler Sinzendorf krank wurde (HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 7, fol. 285), wurde Dr. Johann Paul Hocher aus Regensburg nach Innsbruck zitiert und zum Hofvizekanzler erklärt; <?page no="142"?> 141 nur etwa 20 Personen zuzüglich 17 Edelknaben mit nach Innsbruck 532 . Diese Beispiele zeigen ebenso wie die Comitate bei den böhmischen 533 oder ungarischen 534 Krönungen bzw. Landtagen, daß bei größeren Hofreisen die Präsenz des Hofadels bei den Hofreisen entsprechend den oben entwickelten Kriterien und in Abhängigkeit von den jeweiligen Aufenthaltsdauern im Grundsatz sehr ähnlich strukturiert war; bei kürzeren Reisen wurden meist Abstriche bei der Begleitung gemacht und größere Teile der Verwaltung in Wien belassen. b. Niederösterreich und Wien Residenzen in Niederösterreich Wenn auch deutlich wurde, daß die Kaiser im Untersuchungszeitraum einen ganz erheblichen Teil ihrer Zeit außerhalb Niederösterreichs verbrachten, lag hier doch der Schwerpunkt ihres Aufenthaltes und damit auch des Hofstaats. Gleichwohl ist weiter zu differenzieren. Die Kaiser besaßen in Niederösterreich neben der Wiener Hofburg in der näheren Umgebung der Stadt verschiedene Jagd- und Lustschlösser, in denen sie für gewöhnlich einige Monate des Jahres verbrachten 535 . Weil mit dem Sinzendorf reiste vorzeitig zurück nach Wien (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 177), St. Pölten, 12. Nov. 1665) und starb dort am 11. Nov. 1665 (Schwarz (1943), S. 341). 532 Aus dem Umfeld des Hofstaats reiste auch der seit 1662 am Kaiserhof weilende Herzog von Lothringen nach Innsbruck (AVA, FA HR, K. 550, Konv. Oberststallmeister, Starhemberg an F. A. Harrach, Wels, 17. Sept. 1665). Ebd., Verzeichnis der Pferde, informiert über die Entourage der o.g. Personen: Sie führten insgesamt etwa 300 Pferde mit, davon Lobkowitz: 63, Auersperg: 22, Gonzaga: 33, Lamberg: 18, Starhemberg: 27, Schwarzenberg: 30, Hofkammerpräsident Sinzendorf: 22, Hofkanzler Sinzendorf: 20, Walderndorf: 18, %ernín: 14; die Kämmerer führten im Durchschnitt etwa vier Pferde mit, der Kaiser ca. 200. 533 Vgl. zur Präsenz des Hofadels bei der böhmischen Krönung Ferdinands IV. im Aug. 1646 HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 8. Zugegen waren als Vertreter des kaiserlichen Obersthofmeisters der Obersthofmarschall Starhemberg, der Oberstkämmerer Puchheim, der Oberststallmeister Waldstein, der Reichserbmarschall und Kämmerer Pappenheim, als Leibwachehauptmann, Hofkriegsrat und Kämmerer Walter Graf Leslie; an den Tafeln waren u.a. der Reichshofratspräsient, der Hofkriegsratspräsident, der Geheime Rat Khevenhüller, der Hofkriegsratspräsident Schlick, die Geheimen Räte Teuffenbach und Colloredo sowie der Obersthofmeister Ferdinands IV. Auersperg, der Obersthofmarschall Starhemberg, der Oberstjägermeister, Graf Gallas, Leopold Wilhelm Tattenbach als Obersthofmeister des Erzherzogs Leopold Wilhelm, Walter Graf Leslie als Trabantenwachehauptmann, der Reichsvizekanzler, der Hofkanzler, die Reichshofräte Gebhard und Walderode, daneben als Kämmerer der innerösterreichische Kammerrat Carl Breuner, der niederösterreichische Regimentsrat Caretto von Grana, Hans Reichard von Starhemberg, Nadasdy, Otto Ehrenreich von Trauttmansdorff, Johann Heinrich von Bubna, Ambrosius Graf von Thurn, Christoph Teuffel, Albrecht Graf von Zinzendorf und Rabatta. Für die Krönung Leopolds I. vgl. HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 18, fol. 78. 534 Zu Ferdinand IV. vgl. HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 11, zu Leopold I. ebd., K. 5, Konv. 6. 535 Besonders frequentiert waren Ebersdorf, Laxenburg und die Favorita; vgl. Polleroß (1998). <?page no="143"?> 142 Wechsel der niederösterreichischen Residenzen Veränderungen in der Präsenz des Hofadels einhergingen, ist der Aspekt der Mikromobilität von Relevanz, und zwar besonders deshalb, weil anders als bei den Hofreisen weit weniger Vorkehrungen getroffen wurden, welche die Folgen dieser kleinräumigen Mobilität bearbeitet hätten. Aufenthalte in Ebersdorf oder Laxenburg waren zwar Gegenstand der Berichterstattung in adeligen Korrespondenzen, blieben aber unterhalb jener Schwelle der Selbstbeobachtung, welche Instruktionen für die Organisation der Geschäfte hervorbrachte. Desungeachtet vollzog sich der stete Prozeß von Verdichtung und Entflechtung von Kommunikationszusammenhängen hier in einer anderen Art und Weise als während der Anwesenheit des Kaisers in der Hofburg 536 . Um diesem Aspekt Konturen zu geben, wird im folgenden zwei Fragen nachgegangen. Zunächst geht es um die Frage der Frequentierung der verschiedenen Orte in Niederösterreich, danach wird an einigen Beispielen die Relevanz der Besuche in den betreffenden Orten für die Zusammensetzung des Hofstaats gezeigt. Der Aufenthalt der Kaiser auf ihren Jagdschlössern war primär saisonal bedingt. Besonders in den Frühlings- und Sommermonaten hielten sich die Kaiser längere Zeit ohne abendliche Rückreise nach Wien auf ihren Schlössern auf, während sie von Oktober bis April vornehmlich in der Hofburg residierten. Mit hoher Regelmäßigkeit wurde Laxenburg im Mai und Anfang bis Mitte Juni aufgesucht und bewohnt 537 , Ebersdorf dagegen eher im September 538 . Beim gesamten Komplex Mobilität in Niederösterreich ist desungeachtet ein vergleichsweise geringer Grad 536 Vgl. zu den Personen, mit denen Adelige während ihrer Aufenthalte in Wien und auf den Jagdschlössern zu abend aßen, Kap. B.II.3.b. 537 Ferdinand II., Ferdinand III. und Leopold I. unterschieden sich hinsichtlich der saisonalen Nutzung ihrer Jagdschlösser nur wenig voneinander. Vgl. dazu die Jagdtagebücher der Kaiser im HHStA und in der ÖNB (vgl. Hurter (1850), Bd. 2, S. 660-662). Einen Hinweis auf einen längeren Juniaufenthalt Ferdinands III. von geplanten 15 bis 20 Tagen gibt Raimondo Montecucoli in seinem Brief an Ottavio Piccolomini (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12530 19/ 2, Wien, 3. Jun. 1654). Vgl. für Leopold I. seine Briefe an Pötting: „und gedenke, so Gott will, in acht Tagen auf Laxenburg zu ziehen, mich in etwas in Feld zu recreiren, habe es wohl vonnöthen, dann die occupationes häufen sich merklich“ (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 118), Wien, 15. Apr. 1665). Weitere Briefe folgten aus Laxenburg: „Heut acht Tag vermeine ich mich wiederum in die Stadt zu geben wegen des corpus domini und vieler Processionen wegen.“ Ebd., S. 129, Laxenburg, 27. Mai 1665; im Jun. berichtete er von seiner Rückkehr nach Wien: „Wir sein allhier auch alle wohlauf und sein heut acht Tag wieder in die Stadt kommen.“ Ebd., S. 130, Wien, 10. Jun. 1665. Auch im Mai 1667 war er in Laxenburg: „Heut werden wir auf Laxenburg [fahren].“ Ebd., S. 299, Wien, 28. Apr. 1667; am 7. Jun. kehrte er wieder zurück: „Was uns allhier anlangt, sein wir alle wohlauf, und morgen gehen wir wiederum nacher Wien.“ Ebd., S. 305, Laxenburg, 6. Jun. 1667. 538 „Ich befinde mich sonsten gar wohlauf und bin allhier, mich ein wenig mit der Jagd zu recreiren.“ Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 71), Ebersdorf, 17. Sept. 1664; vgl. auch Leopold I. an Pötting (ebd., S. 68, Wien, 3. Sept. 1664). <?page no="144"?> 143 an genauer Planungssicherheit zu betonen. So konnten unvorhergesehene Faktoren wie Windverhältnisse 539 oder ansteckende Krankheiten 540 relevant werden 541 , doch auch auswärtige kirchliche Feiern wie etwa 1665 die Einkleidung der Marchesa di Grana als Karmeliterin in Wiener Neustadt sorgten für Bewegung 542 . Die für den August 1665 geplante Wallfahrt nach Zell wurde dagegen wegen des Todes des Erzherzogs Sigismund Franz verschoben 543 . Während der längeren Aufenthalte auf den Schlössern der Umgebung Wiens kam es häufig zu kürzeren Besuchen in Wien oder auf anderen Schlössern 544 . In diesen Kontext gehören auch die längeren Aufenthalte des Kaisers in Preßburg, die selbst wiederum häufig durch kurze Aufenthalte in Wien unterbrochen wurden 545 . 539 Zum Einfluß des Wetters auf die Wahl der Aufenthaltsorte: „Questa mattina venne und tal vento terribile, che nè il Gundakar, nè il sattelknecht, nè li cochieri si fidano da menacci a Vienna, et così bisogniamo restare qui et non havendo altro di fare.“ Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 52), Wien, 5. Febr. 1661; bei einer anderen Gelegenheit reiste er wegen starken Windes von Laxenburg nach Wien zurück: „Hieri et hoggi fui a Laxenburg, ma tornai questa mattina per il gran vento. Il Arciduca Leopoldo è restato lì col suo mal di testa et tornerà prima dimattina.“ Ebd., S. 96, Wien, 14. Jan. 1662. 540 Wegen einer Seuche waren die Kinder Ferdinands III. im Aug. 1646 in Bruck und Ebersdorf (StLA, Dietrichstein Sch. 9, Heft 27, Ferdinand III. an Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein, fol. 38, Preßburg, 14. Aug. 1646, fol. 51, Wien 9. Sept. 1646). Als Ferdinand IV. im Jul. 1654 an Blattern erkrankte, ließ Ferdinand III. seine Angehörigen nach Ebersdorf bringen (SOA Zamrsk, RA PC, Joseph Graf Rabatta an Ottavio Piccolomini, Inv. #. 12673 20/ 1, Wien, 8. Jul. 1654). 541 Bei Krankheit etwa wurde besonders Baden bei Wien häufig aufgesucht. Zum Aufenthalt der Kaiserin in Baden vgl. SOA Zamrsk, RA PC, Joseph Graf Rabatta an Ottavio Piccolomini, Inv. #. 12672 20/ 1, Laxemburg, 10. Jun. 1654. 542 Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 180, 184), Wien, 25. Nov. 1665 und Laxenburg, 9. Dez. 1665. 543 Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 135), Wien, 3. Jul. 1665. 544 Für die Exequien für Ferdinand IV. kam Ferdinand III. von Ebersdorf nach Wien (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12539 19/ 2, Raimund Graf Montecucoli an Ottavio Piccolomini, Wien, 26. Aug. 1654). Auch für die Exequien für Kaiserin Eleonora I. (1655) kamen er und die Botschafter von Ebersdorf nach Wien (HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 12, fol. 268, 268v). Regelmäßig kamen die Habsburger für die Teilnahme an Prozessionen von Laxenburg nach Wien: „Wir befinden uns sonsten alle wohlauf und werden nechsten Samstag uns wieder völlig in die Stadt ziehen. Heut bin ich nur wegen der Processionen hereinkommen.“ Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 15), Wien, 30. Mai 1663; „Meine jüngste Schreiben sein von 30. Mai gewesen; am 31., als ich nach vollbrachter Procession wieder auf Laxenburg kame“ (ebd., S. 12, Wien, 13. Jun. 1663). Auch aus anderen Gründen wurde der Aufenthalt auf den Jagdschlössern unterbrochen: So kam Leopold I. am 5. Mai 1665 nach Wien, um seinen Botschafter an der Pforte, Graf Leslie, auf den Weg zu bringen: Am 6. Mai erhielt Leslie den Orden vom Goldenen Vlies, am 7. den feierlichen Einzug in Wien mit Abreise in die Türkei (vgl. aus der Menge der Belege: AVA, FA HR, K. 448, Franz Leopold von Thierheim an F. A. Harrach, Wien, 19. Apr. und 3. Mai 1665). Ein Beispiel für einen Sommeraufenthalt in der Favorita und in Laxenburg bieten die Berichte Paul Sixt Graf Trautsons an F. A. Harrach aus dem Jahr 1658. Die Kaiserin Eleonora II. ging von der Favorita aus desöfteren nach Laxenburg zur Jagd (AVA, FA HR, K. 448, Wien, 11., 12. Mai und 14. Jun. 1658). 545 Ferdinand III. verließ Preßburg während des Aufenthaltes 1646/ 47 mehrfach: So begab er sich wegen der Exequien für die verstorbene spanische Prinzessin Ende Jan. 1647 nach Wien, <?page no="145"?> 144 Hinsichtlich der Präsenzmuster während der kaiserlichen Aufenthalte in Laxenburg und Ebersdorf ist besonders der Umstand hervorzuheben, daß einige Indizien darauf hinweisen, daß in diese Wochen einerseits ein Schwerpunkt der Abwesenheit zahlreicher Höflinge vom Hof fiel. So berichtete Raimondo Graf Montecucoli im Juni 1650, daß kurz vor der Abreise Ferdinands III. nach Laxenburg der Reichsvizekanzler Kurz die Erlaubnis bekam, für 15 Tage auf seine Güter zu gehen 546 . Ende Mai 1651 schrieb Montecucoli, praktisch keiner der Hofkriegsräte sei in Wien („quasi nessuno“), weshalb es auch nicht möglich sei, für ihn derzeit etwas zu tun 547 . Obschon der Hofstaat während längerer Aufenhalte in Laxenburg und Ebersdorf grundsätzlich präsent war, fiel in diese Zeiten eine erhebliche Verschlankung desselben. Andererseits resultierte aus den Aufenthalten in Laxenburg und Ebersdorf eine Modifikation der Geschäftstätigkeit. Aus einem Brief Montecucolis vom Juni 1654 stammt der sehr wichtige Hinweis darauf, daß dies vom Kaiser auch einkalkuliert war: Die Behördenchefs begleiteten den Kaiser nach Laxenburg, während die übrigen Bediensteten in Wien blieben; die Audienzen wurden auf zwei Termine pro Woche beschränkt, einige bekamen sie nur für den Fall, daß sie Gegenstände von höchster Wichtigkeit vorzubringen hätten; er selbst wolle nunmehr für vier oder fünf Wochen auf sein Gut Hoheneck fahren 548 . Es gibt auch besuchte am 29. und 30. die Messen, war am 31. bei einer Schweinehatz im Prater und reiste am 1. Febr. wieder nach Preßburg zurück. Am 25. war man lediglich von einem eintätigen Aufenthalt bei zwei Reisetagen (Dienstag und Donnerstag) in Wien ausgegangen. Bei der Reise begleiteten ihn männliche Höflinge (AVA, FA HR, K. 448, Johann Reichard von Starhemberg an F. A. Harrach, Preßburg 25. und 30. Jan. 1647). Am 5. März 1647 ritt er von Preßburg zu einem Kammerfest der Kaiserin Eleonora I. nach Wien; die Rückkehr wurde für den 6. März erwartet (AVA, FA TM, K. 133, Ee. 2 Hungarica, Franz Christoph Graf Khevenhüller an Maximilian Graf Trauttmansdorff, Preßburg 5. März 1647). 1662 unterbrach Leopold I. seinen mehrmonatigen Aufenthalt in Preßburg anläßlich des Landtages (Mai bis Sept. 1662) für einen kurzen Besuch beim kranken Erzherzog in Wien (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 131), Orth, 12. Aug. 1662). Am 26. Aug. ritt er von Preßburg nach Enzersdorf, wo er Eleonora II. besuchte, und wieder zurück (ebd., S. 134, Preßburg, 1. Sept. 1662). Von Preßburg wollte der Kaiser für einige Wochen nach Ebersdorf, wegen der Erkrankung des Erzherzogs Carl Joseph aber reiste man nach Wiener Neustadt: „era una confusione, che ben si poteva cantare in exitu Israe de Aegypto.“ Ebd., S. 134, Wien, 30. Sept. 1662. 546 SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12431 19/ 2, Raimondo Montecucoli an Ottavio Piccolomini, Wien 4. Jun. 1650. 547 SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12476 19/ 2, Montecucoli an Piccolomini, Wien, 24. Mai 1651. Lobkowitz und Puchheim waren abwesend, Gonzaga krank. 548 SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12530 19/ 2 Wien, 3. Jun. 1654. Der Kaiser reiste am 3. Jun. von Wien ab und wollte 15 bis 20 Tage in Laxenburg bleiben. Im Jul. war er in Ebersdorf (RKA, G 280, 5./ 15. Jul. 1654). Aus dem Umstand, daß zahlreiche Personen nicht anwesend waren, ergaben sich für Angelegenheiten des schwedischen Vertreters Verzögerungen und häufige Ortswechsel zwischen Wien und Ebersdorf. Auch der Oberstkämmerer Waldstein war zeitweise nicht in Ebersdorf; er nutze die Jagdstunden des Kaisers mitunter für die Erledigung <?page no="146"?> 145 Hinweise darauf, daß der Geheime Rat in Laxenburg von weniger Personen besucht wurde als in Wien: Bei neun Sitzungen von Februar bis Juni 1650 ergibt sich für Laxenburg ein Mittelwert von sechs, für Wien ein Mittelwert von neun Geheimen Räten je Sitzung 549 . eigener Angelegenheiten in der Stadt (vgl. Anm. 917). Der Zusammenhang zwischen kaiserlichem Aufenthalt in den Jagdresidenzen, Urlaub von Hofleuten, Geschäftsmodifikationen und Geheimratssitzungen ist für den Aug. 1655 anschaulich belegt. Ferdinand III. war in Ebersdorf und von dort aus in Neustadt zum Jagen und Fischen; für den schwedischen Vertreter stockten die Geschäfte, der in Wien verbliebene Ottavio Piccolomini nahm an Bedeutung zu: „und haben dero vernemste Ministri inmittels Zeit und erlaubnuß gleicher gestalt Ihrer recreation etwas nachzuhengen, maßen, dan einige auff Ihre benachbahrte Landgueter, andere aber nacher Baden, sich begeben, also daß außer dem Fürsten Gonzaga, als Ober Cammer Herren von den Geheimbten Räthen, wenig sich beÿ Hofe befinden werden. Der Spanische Ambassadeur aber, als absonderlich zu dem geiäge mitt eingeladen, ist dem Hofe gleicher gestalt gefolget. [...] Vorerwehnte abwesenheit des Keÿsers und vieler der vornehmen Ministrorum […], hat mir beÿ Hofe zu erscheinen, und zu mehrfaltigen visiten und verrichtungen, die gelegenheit dieses Zeit in etwas gehemmet.“ Ein Gesandter des polnischen Königs indes bekam in Neustadt Audienz, „wannen Er der resolution halber wieder anhero zu Ihrer keÿl. Maÿ. zurückunfft auff Ebersdorff verwiesen worden, und wie dieselben nunmehr daselbst wieder angelanget; so ist gestern geheimer Rath gehalten worden“ (RKA, G 281, Bericht vom 29./ 8. Aug./ Sept. 1655). Heinrich von Pflummern berichtete im Dez. 1635 über Verzögerungen der Geschäfte in Wien durch die Kombination von Jagd und Urlaub der Höflinge: „Darbei aber dise vngelegenheit eingefallen, daß den 4 Dezembris so wol die kayß alß kön. Mst. sambt dero hofstatt nacher Ort sich allda mit der schweinhatz zu erlustigen verraißt, vnd besorglich vor Weynachten nicht wider nach Wien kommen werden. Zu gleicher zeit auch her graff von Trautmannsdorf auf seine herrschaftten in Böhmen verraißt.“ Semler (1950), S. 223. Am 30. Dez. erfuhren sie vom Reichshofratspräsidenten, daß die Angelegenheiten, „weiln graff von Trautmanßdorf gestern wider alhier ankommen, ehister tagen fortgehn möchte.“ Ebd., S. 228. Am 8. Jan. 1636 erfuhr er, daß Kaiser, König und Erzherzog Leopold Wilhelm nach Laxenburg verreist waren und bekam einen Termin für den 10. Jan. (ebd., S. 232). Das Osterfest hatte einen noch stärkeren Effekt als die Residenz in den Jagdschlössern: 1636 brachte Pflummern im Kloster Göttweig zu, „dieweilen durch dise hailige österliche zeitt alle negotia zu Wien darnider gelegen vnd sich nirgendts nicht handlen oder sollicitirn laßen.“ Ebd., S. 270. 549 Sechs Hofkammeraudienzen in Gegenwart Geheimer Räte in den Monaten Febr., März und im Mai 1650 weichen diesbezüglich beträchtlich voneinander ab: In Wien waren neun bis elf Geheime Räte, in Laxenburg nur zwischen vier und sechs anwesend (HKA, NÖK, rote Nr. 293 und 294; nicht eingerechnet wurde der Vertreter der Hofkammer, Hofkammerpräsident David Ungnad von Weissenwolff, der zwar im Febr. 1650 den Geheimratstitel bekam, aber erst 1653 vereidigt wurde (vgl. Anm. 440)). Bei zwei Sitzungen des Geheimen Rates in Laxenburg in Reichsangelegenheiten am 12. Mai 1650 waren nur fünf Geheime Räte zugegen: Slavata, Martinitz, Puchheim, Auersperg, Goldegg; am 29. Mai 1650 hingegen acht: Lobkowitz, Slavata, Martinitz, Puchheim, Auersperg, Waldstein, Goldegg, Öttingen (AVA, FA HR, Hs. 102, Bd. 7, Nr. 23 und 27). Am 19. Jun. 1650 waren in Wien im Geheimen Rat wieder neun Geheime Räte zugegen (Lobkowitz, Martinitz, Kurz, Puchheim, Trautson, Auersperg, Goldegg: HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 260r, 260v). Im Mai 1650 nahmen während des Aufenthalts des Kaisers in Laxenburg verschiedene Geheime Räte sowie Botschafter Quartier in den umgebenden Dörfern, u.a. in Enzersdorf und Mödling (ASV, SG, 148, 7. Mai 1650). Vgl. auch BAV, Vat. lat. 10423, fol. 284, 285. Hielt sich der Kaiser in Wiener Neustadt auf, konnte es notwendig werden, daß Geheime Räte zu Sitzungen dorthin reisten (vgl. Leopold I. über Graf Schwarzenberg, „venuto qua per far mi certe conferenze di stato” (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 134), Wiener Neustadt, 8. Okt. 1662)), und den Bericht von Gottlieb Graf Windischgrätz an F. A. Harrach, wonach am 5. Okt. die Geheimen Räte nach Neustadt gehen würden (AVA, FA HR, K. 449, Wien, 4. Okt. 1662). <?page no="147"?> 146 Einen Hinweis auf die Tragweite der unterschiedlichen Aufenthaltsorte in Niederösterreich geben auch die Monate, in denen Kämmerer ernannt wurden. Diese wurden zwar auch in Laxenburg ernannt, doch ist dies eher eine Ausnahme. Ferdinand III. nutzte für Kämmererernennungen in den Jahren 1638 bis 1656 von 228 lediglich 104 Monate, diese aber recht ungleichgewichtig. In den Jahren, in denen der Kaiser hauptsächlich in Niederösterreich weilte, ernannte er in den Monaten September und März am seltensten Kämmerer (in ca. 30% der Jahre) und auch der Mai ist unterdurchschnittlich vertreten (unter 50%), während auf die Monate April, Juni und November in über 70% der Jahre Kämmererernennungen fielen; im August und Oktober wurden in knapp 60% der Jahre Ernennungen vorgenommen. Dieser Befund legt nahe, daß während der Aufenthalte auf den Jagdschlössern weniger Kämmerer ernannt wurden als in den übrigen Monaten. Auch die Abweichungen zu den Jahren, in denen der Kaiser längere Zeit oder durchgehend außerhalb Niederösterreichs weilte, stützen diese Feststellung. In den Monaten nach Aufenthalten in den Jagdschlössern wurden weit häufiger Kämmerer ernannt (April, (Ende) Juni, Oktober). Dieses Muster tritt in Jahren der Abwesenheit von Niederösterreich nicht auf. In den Monaten März, Juni, Oktober und November sind denn auch die Unterschiede zwischen Niederösterreich und anderweitigen Aufenthalten besonders ausgeprägt. Aufgrund des kleinen Datensatzes verbietet sich zwar eine pauschalisierende Interpretation; der Befund verweist dennoch einerseits auf die Relevanz der Mobilität in Niederösterreich 550 . Andererseits zeigt sich am Fehlen besonderer Vorkehrungen für die in Wien zurückgelassenen Teile des Hofstaats und an der Schwierigkeit, gravierendere Differenzen zu identifizieren, daß innerhalb von Räumen, die in wenigen Stunden zu durchmessen waren, die Funktionen des Hofstaats ortsunabhängig in ähnlicher Weise aufrecht erhalten werden konnten wie innerhalb der Hauptresidenz. Erst besondere Verdichtungen der Geschäftsfälle erforderten die Konzentration des Hofstaats in Wien 551 . Wohnen in Wien, Mobilität des übrigen Adels Wer bei Hof präsent sein wollte, mußte für die Dauer seines Aufenthaltes in der Residenz oder in deren Umgebung wohnen; das scheint zu- 550 Vgl. die Kämmererlisten in APP. 551 „Wenn nix darein kommt, so ziehe ich auf die Wochen auf Ebersdorf.“ Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 68), Wien, 3. Sept. 1664. <?page no="148"?> 147 nächst einmal trivial, doch liegt in den Formen adeligen Wohnens in den jeweiligen Residenzen und besonders in der Hauptresidenz Wien ein wichtiger Faktor für Präsenzmuster bei Hof und nachgeordnet für Beginn und Verlauf von Laufbahnen im Hofstaat 552 . Die besondere Relevanz ergibt sich zunächst aus den Kosten von Aufenthalten in Wien; auch Mitglieder begüterter Familien überlegten, ob sich ein Aufenthalt in der Stadt auszahlen würde. Bei hohen allgemeinen Lebenshaltungskosten konnten Mieten für Häuser, Wohnungen oder Zimmer, zumal in Anbetracht unsicherer Besoldungsverhältnisse, eine zu hohe Belastung darstellen 553 . Sie waren aber aufgrund der für die Unterbringung des Hofadels weder vorgesehenen noch ausreichenden Hofquartierressourcen oftmals unumgänglich. Während Reichshofräte 554 (sofern sie katholisch waren 555 ), Hofkammerräte 556 und Hofkriegsräte 557 in der Regel mit 552 Wien war als Hauptstadt Niederösterreichs und alte Residenzstadt schon vor dem Untersuchungszeitraum dieser Arbeit ein Zentrum adeligen Hausbesitzes, wobei das 17. Jahrhundert in noch stärkerem Maße als das 16. eine Erhöhung des Anteils des Hofadels gegenüber dem landsässigen Adel mit sich brachte. Vgl. Spielman (1993); Perger (1990); Pircher (1984); Pils (1993); Buchmann (2002); Heilingsetzer (1970); Baltzarek (1971); Lichtenberger (1977); Spielman (1993); Hengerer (2001b); Weigl (2001); Tersch (2001). Vgl. auch die maschinenschriftliche Erfassung der Hauseigentümer in Wien von Harrer im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Zu Graz vgl. Schmölzer (1993). 553 So klagte selbst der Obersthofmarschall Starhemberg mehrfach beim Kaiser, er müsse im Haus seiner Schwester, einer verheirateten Gräfin Meggau, einen Mietzins zahlen, der nicht länger tragbar sei (HKA, HQR, K. 1, Nr. 6 (1641), Nr. 75, fol. 18, Supplik mit Bewilligung vom 16. Jun. 1641, und HKA, HQR, K. 3, Nr. 32 (1665), Nr. 533, fol. 47). 554 Von den von Leopold I. 1658 bestätigten Reichshofräten (Gschließer (1942), S. 278) waren die meisten mit Hofquartier versehen und zwar insbeondere die gelehrten Räte: HKA, HQB 14, Nr. 1118 (Lindenspür), Nr. 1170, 1171 (Goppold), Nr. 1186 (Goes), Nr. 92 (Crane), Nr. 128 (Cridele), Nr. 1097 (Kaltschmid). Der Reichshofratspräsident Ernst Graf von Ötting (Nr. 740, 741) war ebenso wie der Vizepräsident Wolkenstein mit Quartier versehen (Nr. 745). Bei den Reichshofräten der Herrenbank war die Situation geteilt: Die Grafen Nothafft, Wolfgang Ötting (auch Kämmerer) (Nr. 1116 und, Nr. 744) und auch der 1658 zum Reichshofrat ernannte Carl Graf Portia hatten ein Hofquartier (auch Kämmerer, Nr. 814). Dagegen besaß Claudio Graf Collalto (Nr. 937) ebenso wie Johann Walderode von der Gelehrtenbank (Nr. 717) und der Reichshoffiskal Veit Sartorius (Nr. 1113) ein eigenes Haus. Leopold Wilhelm Graf Königsegg hingegen war weder im Besitz eines Hauses, noch scheint er um 1658 mit einem Quartier versehen gewesen zu sein. 1659 baten die Reichshofräte - vergeblich - gemeinsam um Quartier für diejenigen, die bis dahin keines bekommen hatten (HKA, HQR, K. 2, Nr. 23 (1659), Nr. 281, fol. 56). 555 Bei den protestantischen Reichshofräten (vgl. dazu Conrads (1974)) war die Situation uneinheitlich, was nicht zuletzt an gegenreformatorisch inspirierter Benachteiligung gelegen haben dürfte. Der Reichshofrat Sinold (vgl. Gschließer (1942), S. 262, 278) hatte lange Zeit kein Hofquartier. Er erhielt anstelle des Hofquartiers jährlich 300 fl. Wohngeld aus dem Hofzahlamt (HKA, HQR, K. 2, Nr. 23 (1659), Nr. 282, fol. 54, kaiserliches Dekret, Preßburg 13. Okt. 1659) und erinnerte 1661 den Kaiser daran, daß, obschon der Kaiser die Einquartierung befohlen habe, nichts geschehe (HKA, HQR, K. 3, Nr. 26 (1661), Nr. 452, fol. 44). Gottlieb Graf Windischgrätz hatte um 1658 weder ein Hofquartier noch ein Haus in Wien und wird deshalb, obschon er unfern von Wien das Gut Trauttmansdorff besaß, auf ein Mieteverhältnis angewiesen gewesen sein (vgl. Vocelka (ca. 1980); dem Verfasser danke ich herzlich für eine <?page no="149"?> 148 einem Hofquartier rechnen konnten, war die ausreichende Versorgung der Kämmerer bei weitem nicht gewährleistet, von Mundschenken, Fürschneidern und Truchsessen ganz zu schweigen 558 . Hier setzte hinsichtlich der Präsenz bei Hof für viele ein limitierender ökonomischer Faktor an. So machte Franz Leopold Thierheim, Kämmerer Leopolds I., den Aufenthalt in Wien im Sommer 1664 von seinen Aussichten auf ein höheres Amt im Hofstaat der Kaiserin Eleonora II. abhängig, dessen ehemaliger Inhaber ein Hofquartier gehabt hatte: In Wien Häuser zu mieten, das sei gegenwärtig teuer - verlasse er dagegen die Stadt, spare er, ein „Armer schlukher“, jährlich 450 fl. 559 Kopie des Manuskripts). Noch 1663 hatte er kein Quartier (AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an F. A. Harrach, Wien, 2. Aug. 1663). Auch der Protestant Rudolf Graf Sinzendorf, ein Bruder des Hofkanzlers Sinzendorf (vgl. Gschließer (1942), S. 271), hatte längere Zeit kein Hofquartier. 1654 ernannt, erinnerte er den Kaiser 1664, daß er nunmehr seit zehn Jahren als Reichshofrat diene und in dieser Zeit desöfteren vertröstet worden sei. Der Obersthofmarschall berichtete dazu, daß er während der Zeit durchweg gedient und auch auf „beÿ allen raisen“ anwesend gewesen sei, aber nur kurz einmal ein Hofquartier besessen habe, was er wegen dringlicherer Einquartierungen wieder hätte räumen müssen, „dahingegen seine Collegae gleich beÿ antrettung ihrer dienst mit guten quartiern wol seind versehen worden.“ 1665 befahl Leopold I. seine Einquartierung in einem Haus für die Zeit nach Ablauf der Baufreijahre (HKA, HQR, K. 3, Nr. 32 (1665), Nr. 526-550, Nr. 546, kaiserliches Einquartierungsdekret vom 13. Jan. 1665 mit Beilagen, Zitat: , fol. 151). 556 Die Hofkammerräte des Jahres 1658 waren zumeist gleichfalls mit Quartier versehen, einige besaßen jedoch auch eigene Häuser. So hatten nach HKA, HQB 14 der Hofkammerpräsident Sinzendorf (Nr. 728) sowie die Kammerräte Seeau (Nr. 281), Marcus Putz (Nr. 298 und 324) und der ehemalige Hofzahlmeister und Hofkammerrat Eder (Nr. 729) Hofquartier. Gabriel Selb hatte dagegen kein Quartier, sondern kaufte sich ein Haus auf dem Kohlmarkt, in dem er dann 1661 das Quartier bekam (HKA, HQR, K. 3, Nr. 26 (1661), Nr. 453, fol. 38 und 39). Johann von Conens (Nr. 46) besaß wie Ferdinand von Hohenfeld (Nr. 61), Clement Radolt (jeweils mit eigenem Quartier darin: , Nr. 878 und 721), Johann Quintin Graf Jörger (Nr. 472, zusätzlich Quartier Nr. 327) und Hegenmüller (HQB 33, Nr. 568, in HQB 14 verkauft) ein eigenes Haus. Die Hofkammerräte Plettenberg und Losinthal dienten in der Regel außerhalb Wiens (Gesandter in Norddeutschland, Steuereinnehmer in Böhmen). 557 Von den Hofkriegsräten hatten 1658 Hofquartier: Johann Georg Pucher (HQB 14, Nr. 86), Raimondo Graf Montecucoli (Nr. 1174, 1175), Don Hannibal Gonzaga (Nr. 949, 952; diese grenzten an das eigene Freihaus, Nr. 950-951 an). Vom hohen Adel tauchen als Quartiernehmer in fremden Häusern in HQB 14 v.a. Inhaber höherer Hofämter auf. So der Obersthofmeister Erzherzog Leopold Wilhelms Schwarzenberg (Nr. 744), dessen Hofkanzler und Reichshofrat Johann Kaltschmidt (Nr. 1097), der Obersthofmeister des Erzherzogs Carl Joseph und kaiserliche Kämmerer Rabatta (Nr. 205), der Vizeobersthofmeister der Kaiserin Eleonora II. Graf Maradas (Nr. 137) sowie aus dem Hofstaat Leopolds I. u.a. der Obersthofmarschall Starhemberg (Nr. 476), der Trabantenhauptmann Fürstenberg (Nr. 1123), der Oberstsilberkämmerer Hyzerle (Nr. 891, Nr. 898), der Oberstäbelmeister Teuffel (Nr. 1037), der Vizekanzler Pötting (Nr. 524). 558 Adelige konnten mitunter in Stiften wohnen; wer eine solche Berechtigung hatte, bekam kein Hofquartier (HKA, HQR, K. 1, Nr. 5 (1639), Nr. 34). Aus dem Kreis der kaiserlichen Mundschenke hatte Hans Haan Hofquartier (HQB 14, Nr. 981). 559 AVA, FA HR, K. 448, Franz Leopold Thierheim an F. A. Harrach. Mit Brief aus Wien vom 16. Jan. 1664 berichtete er vom Tod des Georg Jacob Graf zu Herberstein (Hofquartier: HQB 14, Nr. 723), durch den eine Stelle im Hofstaat der Kaiserin Eleonora II. freiwerde. Deren <?page no="150"?> 149 Zwar war auch der Hausbesitz in Wien nicht frei von Lasten wie besonders der Quartierpflicht - doch gab es die von Quartier und städtischen Steuern befreiten Freihäuser; Adelige, die ein bürgerliches Haus erwarben, konnten allerdings auf die rechtliche oder zumindest faktische Befreiung von der Quartierpflicht ebenso spekulieren wie auf eine Umwandlung in ein Freihaus 560 . Der Erwerb und besonders der Besitz eines Hauses in Wien enthob die Präsenz bei Hof dieser Belastung - unabhängig davon, wieviel Zeit man tatsächlich in Wien verbrachte 561 . Wenn auch beispielsweise der Obersthofmarschall Starhemberg im Hause seines Schwagers Meggau Miete zahlen mußte, standen die Häuser in der Regel nicht nur Angehörigen, sondern oft auch Verwandten und befreundeten Personen zumindest zeitweise zur Verfügung und erleichterten deren Aufenthalt in der Residenz. So nahm Adam Freiherr von Lamberg im November 1650 seine Bleibe bei Johann Maximilian Graf Obersthofmeister Gonzaga sagte Thierheim seine Unterstützung beim Kaiser zu, woraufhin Thierheim Harrach, der im März kurz zum Kaiser nach Regensburg reiste, die Frage nach seinen Chancen stellte. Ohne Aussicht auf die Stelle würde er wegen der Kosten den Sommer nicht in Wien verbringen (Wien, 23. Jan. 1664). Unter Hinweis auf die hohen Kosten für Hausmieten wiederholte er seine Anfrage am 1. März, am 8. März schrieb er, ohne die Stelle müsse er Wien verlassen und jene 450 fl. jährlich einsparen. Neben Thierheim gibt es weitere Beispiele für die Kalkulation von Kosten und Nutzen des Aufenthaltes am Kaiserhof: Im Okt. 1657 erwog Leopold Wilhelm von Königsegg, der mit dem Tod Ferdinands III. zunächst seine Stelle als Reichshofrat verloren hatte, ob er Wien nicht verlassen solle; es falle dem Vater wegen der großen Kosten nunmehr schwer, ihn zu unterhalten und allein um der Kammerherrenstelle bei Leopold I. willen sei dies inopportun (AVA, FA HR, K. 444, Königsegg an F. A. Harrach, Immenstaad, 29. Okt. 1657). Einen Hinweis auf die Aufenthaltskosten in Wien gibt auch das Deputat von 7 fl. täglich, das Dr. Christoph Ulrich von Pach erhielt, als er vom Hof in Innsbruck an den Kaiserhof abgeordnet wurde (vgl. Seeber (1977), S. 93). Vgl. auch das Wohngeld von 300 fl. jährlich für den Reichshofrat Sinold (vgl. Anm. 555). Franz Albrecht Harrach zahlte im Jahr 1642 eine Hausmiete von verm. 400 fl. im Jahr (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Febr. und Nov. 1642). Für ein Mietshaus in Wien mußte (verm. Marquard) Graf Fugger um 1655 jährlich 400 fl. Miete entrichten (HKA, HQR, K. 2, Nr. 16 (1652), fol. 65). Christoph Graf Althan gab die Kosten für eine Wohnungsmiete um 1665 mit 400 bis 500 fl. jährlich an (HKA, HQR, K. 3, Nr. 32 (1665), Nr. 530, fol. 30-33). Schon 1611 brauchte ein in der Residenz wohnhafter verheirateter Geheimer Rat mindestens 3.000 fl. jährlich, ein Reichshofrat mindestens 2.000 fl. (vgl. Fellner (1907b), S. 373). 1623 hielt sich der Erasmus d. J. von Starhemberg aus Österreich ob der Enns (ohne Hofamt) in Wien auf, um die Begnadigung wegen seiner Beteilung am ständischen Widerstand zu erreichen, was einige Zeit in Anspruch nahm: Seiner Mutter klagte er, von seinen 400 fl. habe er nun schon 200 fl. verzehrt, die Sache sei aber so wichtig, daß ihn „keine spesa regen“ solle; für die nötige Sommerkleidung mußte er sich beim Bruder Geld leihen (OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 48, Erasmus d.J. von Starhemberg, Wien 15. Jun. 1623, fol. 31). Daß die Mietpreise auch für Adelige drückend waren, berichtete der Hofmarschall Starhemberg dem Kaiser 1665 (HKA, HQR, K. 3, Nr. 32 (1665), Nr. 530). 560 Vgl. dazu Kapitel VIII. 1. b. Wer in Wien ein Haus besaß, hatte grundsätzlich keinen Anspruch auf ein Hofquartier (HKA, HQR, K. 1, Nr. 5 (1639), Nr. 34), doch auch hiervon wurden Ausnahmen gemacht. 561 Obschon die Liechtenstein in Wien mehrere Häuser besaßen, riet Karl Eusebius Fürst von Liechtenstein seinem Sohn Johann Adam in der Prinzeninstruktion, kostenhalber nur zwei mal jährlich jeweils einen Monat am Kaiserhof zu verbringen (FLH, VA 5-2-2, p. 256, 257). <?page no="151"?> 150 von Lamberg 562 , während Conrad Balthasar von Starhemberg im Februar 1654 die Wiener Wohnung von Franz Albrecht Harrach nutzten konnte 563 . Auf der einen Seite machte fehlender Hausbesitz es den hofquartierlosen und zumal den unbesoldeten Inhabern von Ämtern schwer, diejenigen Jahre im Hofdienst zuzubringen, welche erforderlich waren, um besser besoldete Stellen oder andere Vergünstigungen zu erhalten und führte damit zu einer Abdrängung dieses Personenkreises. Auf der anderen Seite erleichterte Hausbesitz in der Residenz den regelmäßigen oder dauerhaften Aufenthalt auch derjenigen Personenkreise erheblich, die als Mitbewohner oder Gäste in Betracht kamen, und war so vielfach die Grundlage für individuelle Hofkarrieren ebenso wie die Verankerung einer Vielzahl von Familienmitgliedern im Hofstaat 564 . Auf diese Weise sorgte die Verteilung des Hausbesitzes in Wien dafür, daß einerseits die Erlangung von Hofämtern, aber auch von Hoflaufbahnen außerhalb der verläßlich besoldeten Hofämter durch Hausbesitz begünstigt wurden, während unbesoldete Höflinge, wenn sie nicht rasch in den Genuß eines Hofquartiers kamen, nach einiger Zeit ihren Abschied nahmen. Deshalb klafft zwischen Mitgliedern von Familien mit und ohne Hausbesitz die Schere nicht schon bei der Erlangung insbesondere von niedrigeren Hofämtern auseinander, sondern dort, wo als Kriterium längerfristige Präsenz hinzukommt. Als Beispiel sei die Liste von 15 Geheimen Räten und 18 Kämmerern angeführt, die beim Einzug des außerordentlichen venezianischen Botschafters im Juli 1657 ihre Wagen zur Verfügung stellten. Von den Geheimen Räten konnte mehr als die Hälfte auf ein eigenes Haus oder eines im Familienbesitz zurückgreifen, etwa ein Drittel verfügte über ein Hofquartier. Etwa ein Drittel der Geheimen Räte konnte auf ein Haus in eigenem oder Familienbesitz zurückgreifen, während über ein Drittel mit einem Hofquartier versehen war, das ihnen in der Regel als Inhaber anderer Ämter zukam 565 . 562 HHStA, FA AP, A-21-5a, Konv. politische Briefe an Wolf Engelbrecht Graf Auersperg, Wien, 5. Nov. 1650. Er reiste noch im Nov. ab, vgl. Buccelinis Brief vom 19. Nov. 1650. Zur Miete Starhembergs bei Meggau Kallbrunner (1925), S. 32. 563 AVA, FA HR, K. 447, Conrad Balthasar von Starhemberg an F. A. Harrach, Wien, 18. Febr. 1654. Harrach war zu dieser Zeit mit dem Kaiser in Regensburg. Bei Besuchen in Prag wohnte Harrach bei seinem Bruder Ernst Adalbert (z.B. im März 1642 und im Jul. 1652). 564 Der Hinweis auf die Amtsträger ohne eigenes Haus ist nicht weniger bedeutsam als jener auf die Besitzer. Zahlreiche Hausbesitzer in Wien vermieteten, doch ist dies systematisch nicht zu erfassen. Für Gundaker von Liechtenstein ist bekannt, daß er sein Haus in der Herrengasse vermietete, 1629 an den Bischof von Mantua, 1632 an Philipp von Mansfeld, 1635 an Johann Anton Fürst von Eggenberg (vgl. Winkelbauer (1999a), S. 414). 565 HHStA, OMaA, K. 519. Zu den Besitzern eigener Häuser bzw. potentiellen Nutzern von Häusern im Familienbesitz unter den Geheimen Räte gehörten: Auersperg (Freihaus HQB 33, <?page no="152"?> 151 Von daher nimmt es nicht wunder, daß der adelige Besitz von steuerpflichtigen bürgerlichen und Freihäusern im 17. Jahrhundert erheblich zunahm und daß dabei der Anteil des alten landsässigen und niederen Adels zugunsten des hochadeligen Hofadels zurückging. Hierfür war neben der Verdrängung des protestantischen Adels von besonderer Bedeutung, daß Erben und vor allem wohl Erbengemeinschaften nach dem Tod von Hofadeligen mit Verwaltungsämtern ohne eine starke familiäre Einbindung in den Hofstaat ihre Häuser veräußerten. Gelang es dem Amtsadel nicht, Angehörige oder Verwandte mit Ämtern in den Hofstaaten der (noch) nicht regierenden Habsburger zu versorgen, war die Wahrscheinlichkeit des Hausverkaufs hoch. Da gerade der jüngere Amtsadel jedoch insbesondere vor dem Hintergrund des steten Strebens nach einer Verkleinerung des Hofstaates und der damit einhergehenden Bevorzugung alten Adels nur schwer Zugang vor allem zum Kämmereramt fand, war zwar der Anteil von Häusern in Familien des neueren, niederen und Amtsadels hoch, doch fluktuierten die Familien in hohem Maße 566 . Auch altadelige Geschlechter veräußerten mitunter ihre Wiener Nr. 770), der Statthalter Trautson (Freihaus HQB 33, Nr. 133), der Stadtwachenobrister Fürst Gonzaga (Freihaus HQB 33, Nr. 949-951, Nr. 952 über Quartier, HQB 14), Graf Cavriani (Freihaus HQB 33, Nr. 136), Graf von Fürstenberg (HQB 14, Nr. 474, 475, evtl. Freihaus), Graf von Traun (Freihaus HQB 33, Nr. 457 und 560), Graf von Sinzendorf Hofkanzler (Freihaus HQB 33, Nr. 20), Graf von Dietrichstein Oberststallmeister (Freihaus HQB 33, Nr. 465, 466). Die Geheimen Räte Schwarzenberg (Obersthofmeister Leopold Wilhelms), Ötting (Reichshofratspräsident), Starhemberg (Obersthofmarschall) und Georg Ludwig Graf von Sinzendorf (Hofkammerpräsident) besaßen Hofquartiere (vgl. Anm. 556), der Obersthofmeister Leopolds I. Portia wohnte als dessen Oberstkämmerer in der Hofburg (vgl. Anm. 686). Aus den Listen geht nicht hervor, wo zu diesem Zeitpunkt die Geheimen Räte Rottal und Nostiz wohnten. Zu den Kämmerern mit Hausbesitz gehörten Graf von Lamberg (Freihaus HQB 33, Nr. 458, 474, 498, wechselnd), Friedrich Hartman von Herberstein (verm. bürgerliches Haus, HQB 14, Nr. 1041), Graf von Hoyos (Haus, HQB 14, Nr. 510, 544, HQB 33: , Nr. 510, 528 und zugebaut, Nr. 544), Christoph Johann Graf von Altheim (Freihaus, HQB 33, Nr. 516, 552), Georg Jacob von Herberstein (verm. bürgerliches Haus, HQB 14, Nr. 902 und 1041), Adam Franz Graf von Waldstein (Freihaus HQB 33, Nr. 939), Ferdinand Bonaventura Graf Harrach (Freihaus HQB 33, Nr. 456). Zu den anderen Kämmerern und deren Versorgung mit Hofquartieren vgl. Kap. A.II.1.a. „Quartier“. Bei der Analyse der Wohnverhältnisse wurden die aufgeführten, in der Liste aber wieder gestrichenen Personen einbezogen. Das Merkmal Hausbesitz wurde bei eigenem Besitz als erfüllt angesehen, als Haus im Familienbesitz gilt hier jedes Haus, das im Besitz eines Mitglieds mit gleichem Geschlechternamen steht. Über die beiden Hofquartierbücher HQB 14 und 33 sind Hausbesitz und Hofquartier für die späten 1650er Jahre ermittelbar, was Abweichungen zum Stichtag der Liste nicht ausschließt. Bei Hausbesitz wurde der zusätzliche Besitz von Hofquartieren nicht aufgeführt. Daß die Stellung von Wagen Aufnahmekriterium für die Liste war, mag das Bild zugunsten wohlhabenderen Adels verzerren. Der Vergleich mit anderen Listen ergibt aber keine wesentlichen Abweichungen. 566 Bereits bei einem Vergleich des älteren HQB 33 mit HQB 14 fallen derartige Besitzwechsel ins Auge. Einige Beispiele: Hillebrandt (HQB 33, Nr. 18) an Kurz (HQB 14), Furt (HQB 33, Nr. 61 und 63) an Hohenfeld und Meggau (HQB 14), Schwendi (HQB 33, Nr. 76) an Khevenhüller (HQB 14), Roggendorf (HQB 33, Nr. 468) an Trautson (HQB 14), Landau (HQB 33, Nr. 508) an Marchese di Grana (HQB 14), Stozingen an Althan (HQB 33, Nr. 552) und <?page no="153"?> 152 Häuser; häufig gingen damit jedoch neue Käufe einher, bei denen sie auf die Verbesserung von Lage, Zusammenbaumöglichkeiten und rechtlichen Status der Häuser achteten 567 . So wurde in den späten 1650er Jahren ein Zustand erreicht, bei dem es eine in der Regel konfessionell bedingte Ausnahme darstellte, wenn ein Mitglied einer der annähernd 150 in Wien ein Haus besitzenden hochadeligen Familien kein Hofamt unter Ferdinand III. bzw. Leopold I. innehatte. Die Ausführungen zur Präsenz Geheimer Räte ebenso wie das Beispiel des Kämmerers Franz Albrecht Harrach zeigen jedoch, daß ein - wenn auch geringerer - Grad von Präsenz und Dienstversehung in Wien auch dann gewährleistet sein konnte, wenn die Hofleute sich hauptsächlich in den übrigen Territorien der Habsburger aufhielten. Daß es aber einen Unterschied machte, ob man seinen Hauptsitz in Trauttmansdorff bei Wien oder in Ostfriesland 568 hatte, liegt auf der Hand, doch bleibt die Frage, wo die Schwellenwerte lagen, wenn es um die Aufrechterhaltung bestimmter Frequenzen der Anwesenheit bei Hof ging. Daß hier neben der Entfernung zahlreiche andere Faktoren wie die Einbindung in das Korrespondenznetz der Höflinge, die jeweiligen Ämter in Hofstaat und Ländern, die Gestaltung der rechtlichen Beziehungen zum Kaiser (Landesherr oder Reichsoberhaupt), Vermögen und Stand u.v.a.m. relevant waren, setzt die Anforderungen an einen die vergleichende Analyse zulassenden Datensatz zu hoch, als daß eine solche in diesem Rahmen präsentiert werden könnte 569 . weiter an Kolonitsch (HQB 14), Hegenmüller an Ludwig (HQB 33, Nr. 568), Hasenburg (HQB 33, Nr. 584) an Landmarschall Geyer (HQB 14), Apfelmann an Breuner (HQB 33, Nr. 882) an Kollonitsch (HQB 14), Niesser vom Stainstrass an Gonzaga (HQB 33, aus, Nr. 949-951), Weber an Traun (HQB 33, Nr. 525-527). Zu den Konfiskationen der Jahre 1621/ 22 vgl. Stögmann (2001), S. 533, 534: So verlor Georg Ehrenreich von Roggendorf sein Freihaus, das dem Erblandhofmeisteramt unterstellt wurde und an die Trautson kam; die beiden Häuser Helmhard Jörgers gingen an Leonhard VII. Karl von Harrach und das Stift Kremsmünster, das des Georg Andreas von Hofkirchen an Gundaker von Liechtenstein. 567 Vgl. zum Stadthaus von Gundaker von Liechtenstein Winkelbauer (1999a) S. 411-414. 568 ASV, SG, 149, 1. Apr. 1651, über den Kämmerer William Stafford, einen Sohn von Lord Arundel, und Emo Ludwig Graf von Ostfriesland, die beide von Wien abreisten, nachdem sie dort einige Zeit verbracht hatten; Stafford war Ende 1650 Kämmerer geworden, Ostfriesland im März 1651 Reichshofrat, ohne je in den Präsenzlisten aufzuscheinen (Gschließer (1942), S. 262). Immerhin war Franz Albrecht Harrach am 9. Febr. 1651 beim Grafen von Ostfriesland zum Essen eingeladen (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319). 569 Vgl. Mat'a (1999), der anhand der Aufenthalte Adam d.J. von Waldstein von 1602 bis 1633 eine Urbanisierung des Adels konstatiert. <?page no="154"?> 153 Teil B. Interaktion und Organisation Teil A machte die spezifische Konfiguration der Stellenstruktur des kaiserlichen Hofstaats im Hinblick auf das hochadelige Personal und dessen Präsenz bei Hof deutlich. Die mitgliedschaftliche Anbindung einer wachsenden Zahl von Adeligen in den Ämtern des Hofstaates brachte für zahlreiche Amtsbereiche eine Lockerung von Anforderungen der Mitgliedschaftsrollen mit sich - eine Lockerung, der vielfach, etwa im Bereich der Besoldung, eine Absenkung des Leistungsvolumens des Hofstaats an seine Mitglieder entsprach. Ein Nullsummenwandel? Man wird sich einer Antwort auf diese Frage mit weiteren Fragen annähern können. Stärker als in Teil A möchte ich im folgenden die Differenz zwischen formaler Organisation und faktischem Verhalten in den Blick nehmen und nach den Bedingungen der Interaktion in der Organisation Hofstaat fragen. Mit Interaktion ist formalisierte ebenso wie informelle Interaktion gemeint, wobei besonders die Frage interessiert, inwieweit die formale Organisation Informalität präfigurierte. Es geht also nicht um die Rekonstruktion der Organisationsgeschichte des habsburgischen Hofstaats 570 , sondern um subtilere Implikationen der Mitgliedschaft im Hofstaat. Zunächst sollen die Grenzen, welche die Differenz zwischen Hofstaat und adeliger Gesellschaft zog, konturiert werden: der symbolisch aufgeladene Eintritt in den Hofstaat als Bereich einer sozialen Sonderordnung; die Anpassung an dessen Regeln, die besonders in der hierarchischen Ordnung des Zeremoniells so manche Zumutung an den Adel mit sich brachte; die Kritik am Hof und alternative Foren adeliger Selbstbeschreibung sowie der Hofstaat in seinem besonderen Bezug zu Gewalt, ihrer symbolischen Ordnung und ihrer Einhegung; Norm und Praxis des durch die Mitgliedschaft im Hofstaat privilegierten Zugangs zum Herrscher. Sodann sollen in den Blick genommen werden: die Bedingungen der normativen Steuerung des Hofstaats sowie seiner politischen und sozialen Funktionen; Norm und Normwandel, Regel und Regelverstoß, formelle Verfahren und informeller Einfluß und schließlich: die Strukturationsleistung des Hofstaats für die Kontaktstruktur der Höflinge, die Möglichkeiten und Grenzen des Miteinander-Redens. 570 Zur Vorbildfunktion des burgundischen Hofes vgl. Arnade (1996); Hofmann-Randall (1995); Paravicini (1991); Žolger (1917), S. 63, 64. <?page no="155"?> 154 I. Elemente der Mitgliedschaft im Hofstaat Der Ansatz bei der Untersuchung von Elementen der Mitgliedschaft adeliger Hofleute geht einher mit einer Verortung des Problems auf einer via media zwischen der in der älteren Literatur vertretenen Domestikationsthese, wonach die Fürsten den Adel durch das Herrschaftsinstrument Hof disziplinierten und unterwarfen, und der sehr breiten Kritik an diesem Modell 571 , die in dem Begriff der Dyarchie 572 verdichtet wurde. Im Rahmen dieser Diskussion wurde der Wechsel der jeweiligen Bezugsrahmen nicht hinreichend gewürdigt: Krone und Adel als Antagonismen zu begreifen macht, das zeigen neuere Forschungen zum weiterhin unruhigen böhmischen Adel der 1630er und 1640er Jahre 573 , auch nach der Niederwerfung des aufständischen Adels in den 1620er Jahren für Habsburg Sinn. Den gemeinsamen Rahmen dieser Auseinandersetzung bildete die ständische Ordnung der jeweiligen Territorien in ihrer jeweiligen Verfaßtheit. An zahlreichen Beispielen läßt sich zeigen, daß in diesem Rahmen auch in den österreichischen Herzogtümern mitunter auch formulierte Interessengegensätze zwischen Landständen und Adel erhalten blieben. Freilich kam es nach der Niederwerfung des böhmischen Aufstandes nurmehr in Ungarn zu einer offenen und von größeren Teilen des Adels mitgetragenen Erhebung gegen die Habsburger, doch waren damit nicht alle Konflikte aus der Welt - die kaiserlichen Sorgen um die Mittelbewilligungen der Stände zeigen dies sehr deutlich. Was den Habsburgern zu ihrem Glück widerfuhr, war, daß sich mit dem Hofstaat unabhängig von dieser politisch-rechtlich verfaßten Sphäre eine Organisation ausgebildet hatte, deren Strukturierung den Herrschern selbst zugänglich war 574 . Als Herren ihres eigenen Hauses waren sie in diesem Bereich weitestgehend autonom 575 . Die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft im Hofstaat zu formulieren lag im Zweifel bei ihnen und wurde weder durch Erblichkeit von Hofchargen 576 beschränkt noch dadurch, daß ein Nachfolger das Personal seines Vorgängers zu übernehmen hatte 577 . Der Aufbau des Hofes war zwar tradiert, jedoch 571 Vgl. Einleitung. 572 Bérenger (1975), S. 112, Winkelbauer (1999a), S. 22. 573 Winkelbauer (1999a), S. 37-39. 574 Die Habsburger hielten sich nach 1537 an die Grundzüge der Ferdinandeischen Hofordnung, nahmen aber fortlaufend Modifikationen vor (Žolger (1917), S. 47). 575 Grenzen waren etwa durch das Reichsrecht bei der Ausgestaltung des Reichshofrats gesetzt. 576 Anders zu dieser Zeit noch in Rußland (Zachar´in (2000), S. 100, 101). 577 Žolger (1917), S. 21, 60. <?page no="156"?> 155 abänderbar, was in den zahlreichen Reformen der Hofordnung ebenso zum Ausdruck kam wie in nicht normierten Modifikationen. Gewisse spezielle Verhaltensweisen und eine von der allgemeinen ständischen Ordnung grundsätzlich unabhängige Rangordnung waren als Teil der Mitgliedschaftsrolle anerkennungs- und mitwirkungspflichtig. Die Erfüllung von Voraussetzungen für die grundsätzlich attraktive Mitgliedschaft und die Anerkennung von Mitgliedschaftsregeln wird man aber, da Freiwilligkeit des Eintritts vorausgesetzt war, ebensowenig als Domestikation bezeichnen können, noch, da Gehorsam bezüglich der organisationsrelevanten Normen gleichfalls vorgesehen war, als Ausprägung eines gern als „dyarchisch“ bezeichneten Bauprinzips. Es wäre dagegen die freiwillige Unterwerfung unter die Normen des Hofstaats zu betonen; diese aber war durchaus Voraussetzung für das, was als höfischer Herrschaftskonsens zwischen Adel und Krone erscheint: Daß von den Habsburgern viel, aber nicht zuviel gefordert und zugleich viel geboten wurde, darf auch bei einer Interpretation als Konsens nicht darüber hinwegtäuschen, daß zusätzlich zum Verhältnis von Landesherr und Untertan ein Verhältnis von Herr und Diener etabliert wurde, das der Aushandelbarkeit und der bei Herrschereinführungen und Landtagen durchaus gepflegten Symbolisierung von Gegenrecht und Gegenmacht entzogen war. Dies würde zudem den Blick darauf verstellen, daß Macht in Organisationen fortlaufend Gegenmacht produziert 578 , daß die Verhältnisse von der Selbstbeschreibung durchaus abweichen können 579 und daß sich auf der strukturellen wie auf der symbolischen Ebene Gegenseitigkeitsarrangements in Organisationen einspielen, die zwar adeligen Ehrerbietungsansprüchen Rechnung trugen, dies aber nur in Kombination mit Latenzen und Redeverboten leisteten 580 . Der Begriff der formalen Organisation bietet die Möglichkeit, Verhaltensweisen in Organisationen daraufhin zu untersuchen, ob sie sich an Erwartungen ausrichteten, die als Element der Mitgliedschaftsrolle anerkennungspflichtig waren 581 . Er ermöglicht die Rekonstruktion zunächst der Trennlinien zwischen Organisationen und ihrer jeweiligen 578 Luhmann (1988), S. 107, 108. 579 Luhmann (2000a), S. 41. Beliebt ist es, „das, was sowieso geschieht, als symbolische Bestätigung der Macht auszuweisen. Dies mag miterklären, weshalb Machthaber gern so tun, als ob sie sich im Bereich des schon Konsentierten bewegen“ (ebd., S. 48). 580 Ein Höfling kann kaum wie Catull (c. 93) verlauten lassen: „Nil nimium studeo, Caesar, tibi velle placere, nec scire utrum sis albus an ater homo.“ Zu Redeverboten vgl. Hahn (1991). 581 Luhmann (1999), S. 38-53, S. 38: „Wir wollen eine Erwartung daher als formalisiert bezeichnen, wenn sie in einem sozialen System durch diese Mitgliedschaftsregel gedeckt ist, d. h. wenn erkennbar Konsens darüber besteht, daß die Nichtanerkennung oder Nichterfüllung dieser Erwartung mit der Fortsetzung der Mitgliedschaft unvereinbar ist.“ <?page no="157"?> 156 Umwelt und lenkt so die Aufmerksamkeit auf die Verknüpfung von Elementen beider Sphären. Im konkreten Fall ist dies noch etwas vielschichtiger, verfügte der Kaiser doch über vielschichtige Rollen: als Kaiser, als König von Böhmen und Ungarn, als Erzherzog, als Herr und als Landesherr, aber schließlich auch als Chef seines Hauses und seines Hofstaats. Auf der Seite des Adels gewinnt das Problem an Komplexität dadurch, daß nicht allein hofinterne und hofexterne Rollenträger räumlich zusammentrafen, sondern daß hofinterne Rollen durch Personenidentität mit organisationsexternen Rollen verbunden waren. Ein Kämmerer, der auch Herrenstandsverordneter war, mochte sich hier und da wohl fragen, welchen Interessen mehr zu dienen sei. Zugleich war so aber auch die Möglichkeit wechselseitiger Prestigemehrung und der Nutzbarmachung der jeweils anderen Rollen verbunden. Damit bot der Hofstaat ein Integrations- und Verflechtungspotential 582 , welches die ohnedies bestehenden Beziehungen zwischen landständischem Adel und Krone ergänzen und vertiefen konnte, aber nicht mußte. Die Einrichtung der Zentralbehörden 583 , welche partiell neben die landständische Verwaltung traten 584 , und ihre organistorische Einbindung in den Hofstaat mochte diesen begehbaren Pfad der „Gewährleistung von Herrschaft“ 585 noch verbreitern. 1. Eintritt und Stellenantritt Als Weikhart Graf von Auersperg, nachmals gefürsteter Obersthofmeister König Ferdinands IV. und Kaiser Ferdinands III., im Jahr 1637 nach seinen Studien an den kaiserlichen Hof reiste, um dort eine Charge zu erbitten, stattete er seinen Pagen mit einem neuen Hut und neuen Schuhen aus, ging zum Barbier, kaufte sich neue Stiefel und Kleider sowie eine schwarze Degenscheide 586 . Noch ohne ein Hofamt zu haben, paßte er sich den Erwartungen des Hofstaats an. Nicht nur in der Organisationssoziologie wird mit Nachdruck auf den Moment des Eintritts in eine Organisation hingewiesen und diesem 582 Zum Konzept der Verflechtung vgl. Sieh-Burens (1986). 583 Fellner (1907a). 584 Die beste Untersuchung ist dazu bislang Putschögl (1978). 585 Press (1983), S. 282; vgl. auch Maczak (1991), S. 319. 586 HHStA, FA AP A-I-21, Konv. 2, Ausgaben 1637, 24. Jul. 1637. Nach Schwarz (1943), S. 201, trat Auersperg kurz nach der Thronfolge Ferdinands III. in dessen Dienst. 1638 wurde er innerösterreichischer Regimentsrat (StLA, Hs. II/ 15, StLA, Hs. II/ 15 bis 17 (1638)), 1640 Reichshofrat (Gschließer (1942), S. 242, 243). <?page no="158"?> 157 sowohl für die Organisation als auch für das neue Mitglied weitreichende Bedeutung zugemessen. Begründet wird dies auf der einen Seite mit der deutlichen Sichtbarkeit des Umstandes, daß die Aufnahme von einer Entscheidung abhängig ist, was im Zweifel ein wichtiges Zurechnungsproblem wird. Auf der anderen Seite steht der Hinweis auf die Selbstverantwortlichkeit des neuen Mitglieds für den Eintritt und der Hinweis auf die Anerkennung der Verbindlichkeit von Merkmalen der Organisation, die sich zugleich als „besonderes soziales System“ auszeichnet und vom neuen Mitglied verlangt, dessen Selbstdarstellung mitzutragen: Der Eintritt begründe so die Selbstverpflichtung auf eine spezifische Rolle, die um der Erhaltung der eigenen Integrität willen nicht beliebig in Frage gestellt werden könne 587 . Der formelle Eintritt in den Hofstaat vollzog sich zumeist in mehreren Stufen von unterschiedlicher symbolischer Aufladung, welche die Begründung eines besonderen Treueverhältnisses zum Ausdruck brachten und bekannt machten. Die Intimierung der kaiserlichen bzw. erzherzoglichen Entschließung zur Übertragung eines Hofamtes, welche für zahlreiche Ämter schriftlich erfolgte, war in der Regel nur ein formeller Schritt unter anderen, der aber auch deshalb wichtig war, weil häufig zugleich mit der persönlichen Intimierung den Kanzleien des Hofstaats mitgeteilt wurde, wie der neue Amtsträger in Zukunft zu titulieren sei. Die Ausgestaltung der für den Eintritt zentralen Eidesleistung variierte je nach Amt 588 ; üblicherweise las bzw. hielt ein Dritter die Eidesformel vor und wurde damit Zeuge der Eidesleistung 589 . Darauf folgte bei Höflingen, die bedeutsamere Stäbe führten, häufig eine förmliche Investitur, bei der teilweise Zeichen des neuen Ranges übergeben wurden. Klargestellt wurde im Zuge der Amtsübertragung in der Regel auch die Verortung in der Hierarchie des Hofstaats. a. Einzelne Ämter Die Vereidigung von Johann Maximilian Graf von Lamberg als Geheimer Rat Ferdinands III. machte dem Titel alle Ehre, vollzog sie sich doch nach einer regulären Sitzung des Geheimen Rates „allein in beÿsein 587 Luhmann (1999), S. 40-50. 588 Vgl. v.a. die Eidsammlungen in HHStA, Hs. Weiß 706/ 23; HHStA, OMeA SR, K. 21, Buch, Nr. 59, Buch, Nr. 60 und Bündel Juramenta No. 1. Vgl. auch Regele (1949) und Men"ík (1899), ähnliche bei den Liechtenstein (FLH, HA 1, Hofmeistereid). 589 Vgl. u.a. HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 202, 202v (Oberstkämmerer), fol. 217 (Oberststallmeister). <?page no="159"?> 158 Ihrer Maÿl. des Khaÿsers, und Ihr Maÿl. des Khönigs [...] in Ihr Maÿl. Innern Zimer“. Die Eidesformel hatte ihm der Hofkanzler Prickhelmayer „nur allain“ vorgelesen, auch hatte „Ihr Maÿl. nit gewolt, daß man vill davon wissen soll.“ 590 Obschon dieser Fall hinsichtlich der Geheimhaltung eine Ausnahme darstellt, ist doch die Präsenz des Kaisers, das hochrangige, aber zahlenmäßig geringe Publikum, und die Wahl des sehr zurückgezogenen und sonst für nur sehr wenige Höflinge zugänglichen Raumes charakteristisch. Geheime Räte wurden teils wie Lamberg innerhalb des Appartements des Kaisers 591 , häufiger dagegen in der Geheimen Ratsstube 592 vereidigt. Da der Vereidigungsort nicht für alle Geheimen Räte bekannt ist, läßt sich dieser Umstand nicht voll ausleuchten. Es läßt sich aber feststellen, daß an die Stelle der Publizitätsvermeidung 593 weit häufiger die Herstellung von Publizität trat 594 und überdies über Vereidigungen Geheimer Räte besonders genau Buch geführt wurde 595 . Die ersten Geheimen Räte Ferdinands III. nach dem Tod Ferdinands II. wurden in Gegenwart des Obersthofmeisters Trauttmansdorff am 24. März 1637 vereidigt 596 . Bei der Vereidigung des Kardinals Harrach waren neben dem Kaiser diejenigen Geheimen Räte zugegen, welche zur darauffolgenden Sitzung gerufenen worden waren 597 . Sicher ist 590 HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 17, fol. 2. 591 So Pálffy, 17. Sept. 1646 (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 7v, 8), Lobkowitz „in dero aignem Zimmer“, 22. Jan. 1647 (ebd., fol. 8), zus. Losenstein, Weissenwolff und Christoph Graf Puchheim, 7. Jul. 1653 (ebd., fol. 10, 10v), Rottal, 13. Sept. 1653 (ebd., fol.11v). 592 Jaroslaus Boržita Martinitz d.Ä., 24. Febr. 1645 (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 7v), Auersperg, 21. Jun. 1646 und Colloredo, 3. Aug. 1646 (ebd., fol. 7v, 8), Maximilian Graf Waldstein, 28. Aug. 1647 (ebd., fol. 14), Aldringen, 13. Aug. 1654 in der Geheimen Ratsstube in Ebersdorf (ebd., fol. 12v), Mansfeld, 27. Febr. 1655 (ebd., fol. 12v, 13), Leslie, 10. Dez. 1655 (ebd., fol. 14), Kurz, 1. Jul. 1657 (ebd., fol. 5v), Walderndorff, 8. März 1662, Max Valentin von Martinitz, 26. Jun. 1662 und %ernín, 2. Sept. 1662 (ebd., fol. 16). 593 Dies mag auch bei der Vereidigung Pálffys eine Rolle gespielt haben. Pálffy war zwar jedenfalls 1648 bis 1650 öfter im Geheimen Rat; doch vermutete Fellner (1907a), S. 44, Anm. 2, daß er lediglich Titularrat gewesen sei; Schwarz (1943) läßt ihn bei den Biographien aus. 594 Zur Publizität mittels Berichterstattung vgl. Kap. B.II.3.d. Der schwedische Resident Kleye berichtete u.a. namentlich von der Eidesleistung des Geheimen Rats Leslie (RKA, E 180, Nr. 28, 10. Dezember 1655). Über die Eidesleistung von Kämmerern berichtete er ebenfalls, in dieser Relation aber ohne Namensnennung und nicht sehr genau: „des gleichen noch andere Cavalliere als kaÿserliche Cammerherren gethan“. Am 10. Dezember leistete jedoch nur Herberstein den Eid als Kämmerer, davor waren die letzten im August vereidigt worden. 595 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23. Vgl. die Notiz des Hofvizekanzlers Prickhelmayer (AVA, FA TM, K 144, Ff. 10, fol. 102), wonach er am 18. Juni 1640 in Regensburg mit Kurz den Eid als Geheimrat vor dem Kaiser leistete. An diesem Tag wurde er Hofkanzler (Schwarz (1643), S. 323). 596 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 3v. Der Bischof von Wien, Wilhelm Graf Slavata und Franz Christoph Graf Khevenhüller. 597 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 8v; Vereidigung vor Geheimratssitzung um 7 Uhr. <?page no="160"?> 159 dies auch für die Vereidigung Mansfelds im Februar 1655 598 , Leslies am 10. Dezember 1655 599 und des Reichsvizekanzlers Kurz 1657 vor Leopold I. 600 Die meisten der im kaiserlichen Zimmer vereidigten Geheimen Räte wurden kurz vor den Ratssitzungen vereidigt und danach mit einiger Wahrscheinlichkeit den übrigen Geheimen Räten vorgestellt 601 . Die Vereidigung war nicht nur deshalb wichtig, weil von ihr spezifische Rechte abhingen und erst die Vereidigung die Anwartschaft zum Vollrecht erstarken ließ 602 . Es ging gerade im Hinblick auf schwierige Sessionsfragen auch um die rituelle Einbettung der Realisierung zeremonieller Rechte vor Zeugen. So hatte Mansfeld im Jahr 1647 den Titel mit der Bestimmung erhalten, die Session solle sich nach dem Datum der Titelverleihung richten. Deshalb konnte er nach seiner Vereidigung 1655 vor denjenigen Geheimen Räten, welche zwischen 1647 und 1655 eingereiht worden waren, Platz nehmen. In diesem Fall faktischer Zurücksetzung ließ der Kaiser in seiner persönlichen Gegenwart und im Beisein „etlicher“ Geheimer Räte im Zusammenhang mit der Vereidigung das entsprechende Dekret vom Hofkanzler verlesen 603 . 598 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 12v, 13. Philipp Graf Mansfeld wurde am 27. Febr. 1655 in der Ratsstube vereidigt. Den Titel hatte er durch Dekret vom 10. Dez. 1647, nach welchem ihm nach Ablegung des Eides die Stelle und Session nach dem Datum des Dekrets eingeräumt wurde. Der Kaiser ließ das Dekret in eigener Gegenwart durch den Hofkanzler und einiger Geheimer Räte vortragen und Mansfeld dann die Session nach dem Hofkanzler einnehmen. 599 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 14. 600 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 5v. Beim Eid waren Leopold I., Erzherzog Leopold Wilhelm und die Geheimen Räte Auersperg, Schwarzenberg, Trautson und Nostiz anwesend. 601 Am 7. Jul. 1653 Losenstein, Weissenwolff und Puchheim morgens um 8: 30 Uhr, am 13. Sept. 1653 Rottal um 8 Uhr (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 10, 10v, 11v). 602 AVA, FA HR, K. 447, Hofmarschall Heinrich Wilhelm Graf von Starhemberg an F. A. Harrach, Wien, 9. Sept. 1665. Starhemberg teilte mit, daß in seinem Brief vom 3. Sept. 1665, der eine Hofstaatsliste enthielt, Humprecht Johann Graf %ernín als zu diesem Zeitpunkt lediglich resolvierter Geheimer Rat noch nicht enthalten gewesen sei; weil er das Jurament noch nicht abgelegt und noch nicht Besitz von der Stelle genommen hatte, habe er in die Hofstaatsliste nicht aufgenommen werden können; inzwischen aber sei beides geschehen, %ernín reise also als Geheimer Rat (und königlich böhmischer Statthalter, vgl. aber Schwarz (1943), S. 219) mit nach Innsbruck. Auch nannte Starhemberg zu den bisher nominierten neun Kämmerern drei weitere (Franz Leopold Graf von Thierheim, Graf Sigmund Helfried von Dietrichstein und Adam Max von Waldstein). %ernín wurde am 2. Sept. 1665 als Geheimer Rat vereidigt (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 16). Johann Adolf Graf Schwarzenberg legte Wert darauf, nach der Entscheidung Ferdinands III., ihn zum Geheimen Rat zu machen, in Wien den Eid abzulegen. Mit Brief aus Brüssel vom 19. Dez. 1648 dankte er dem Obersthofmeister Trauttmansdorff für das Dekret, mit dem Ferdinand III. ihm die Stelle übertragen habe und bat ihn, nach Wien zur Eidesleistung abgeordnet zu werden (AVA, FA TM, K. 141, Ff. 7, fol. 131). Am 11. Sept. 1648 hatte er Trauttmansdorff in einem Brief aus Tournay bereits dafür gedankt, daß er wirklicher Geheimer Rat (mit Session) werde (AVA, FA TM, K. 141, Ff. 7, fol. 133). Schwarzenberg war als Höfling des Erzherzogs und Statthalters Leopold Wilhelm mit diesem in den Niederlanden. 603 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 12v, 13. Die Sessionsregelung bezüglich des erst 1647 in den Herrenstand erhobenen Prickhelmayer wurde durch ein Dekret ergänzt (ebd., fol. 8, 8v). <?page no="161"?> 160 In dem Maße wie im Geheimen Rat Fragen der Anciennität und damit der Rangfolge bei Hof berührt waren, trat der kaiserliche Anspruch auf Gehorsam in Belangen der Hofordnung deutlicher und persönlich zutage; in Fällen, welche - wie bei Mansfeld - mit faktischer Zurücksetzung einiger Personen einhergingen, hätte Kritik an der legitimen kaiserlichen Normsetzung in Anwesenheit des erlassenden Kaisers und zudem noch unter Zeugen geäußert werden müssen. Daß die konfliktträchtige Sessionsordnung nicht allein über die Verlesung des Dekrets gesteuert und abgesichert, sondern zudem in Interaktion faktisch bestätigt wurde, verdeutlicht einerseits, daß Anwesenheit Schriftlichkeit mitunter stützen mußte, andererseits, in wie großem Maße die Hofordnung eine Hausordnung 604 und als solche im Rahmen der beeideten Gehorsamspflicht weder offen kritisierbar noch verhandelbar war. Dadurch, daß nach der Vereidigung die Session genommen wurde, wurden die Geheimen Räte in einer Weise in ihr Amt eingeführt, daß zugleich die Rangfolge ihre Bestätigung fand. Oberste Hofämter Die Vereidigung von Inhabern höchster Hofämter vor Ferdinand III. fügt sich in diese Tendenz. Die Spitzen des Hofstaates wurden in der Regel allein in Gegenwart des Kaisers, des Obersthofmeisters und des Eidvorhalters vereidigt und sodann installiert 605 . Eine Deutung, die hierin auch den Ausdruck des Anspruchs auf alleinige Entscheidung und souveräne Normsetzung in Belangen des Hofes sieht, dürfte nicht ganz fehlgehen. So wurde der kaiserliche Obersthofmeister Dietrichstein am 5. März 1651 in Gegenwart des Kaisers vereidigt - der Hofkanzler dürfte den Eid verlesen haben - und danach in der Ritterstube durch den Geheimen Rat Slavata installiert, was sonst eher die Oberstkämmerer taten 606 . Die Ritterstube gehörte nicht mehr in den Amtsbereich des Oberstkämmerers und war innerhalb der Hofburg derjenige Raum, in dem die größte Öffentlichkeit hergestellt werden konnte 607 . Dementsprechend vollzog sich die Installation in Gegenwart zahlreicher „Cavaliere“, Geheimer und anderer Räte, Kämmerer, des Hofmarschalls sowie 604 Vgl. Žolger (1917), S. 39-41. 605 Über die Vereidigung des Hofmarschalls sagt HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, nichts; Starhemberg diente Ferdinand III. schon vor 1637 und behielt das Amt unter Leopold I. 606 Auersperg wurde als Obersthofmeister durch Oberstkämmerer Gonzaga vorgestellt, Fürst Lobkowitz als Obersthofmeister Leopolds I. durch Oberstkämmerer Lamberg (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Nov. 1655; HHStA, HA FA, K. 102, Konv. OMeA, Misc. 1725-1787, fol. 1). 607 Vgl. Kap. B.I.3.a. <?page no="162"?> 161 von Mitgliedern des Obersthofmeisterstabes. Ob bei der Installation der Kaiser zugegen war, ist nicht sicher 608 , allerdings wurde dem neuen Obersthofmeister erst in der Ritterstube die vom Kaiser unterzeichnete Instruktion für die Amtsversehung ausgehändigt und damit gleichsam auch das kaiserliche Legitimationspapier in der Hoföffentlichkeit überreicht 609 . Der kaiserliche Oberstkämmerer Waldstein wurde 1651 in der Retirade in Anwesenheit lediglich des Obersthofmeisters Dietrichstein (und wiederum wohl des Hofkanzlers als Vorhalter des Eides) vor dem Kaiser vereidigt und hernach „gleich vor der Rathsstuben, in denen Innern Ante Camera, in beÿsein der Cammerern, Cammerdiener und anderer Cammer Persohnen, installiert und fürgestelt: wie auch die Instructiones und Cammer ordnung abgelesen worden.“ 610 Hier vollzog sich die Amtsübergabe durch den Kaiser im inneren Herrschaftsbereich 611 unter minimaler und höchstrangiger Anwesenheit, während die Installation im höchstrangigen Raum des Herrschaftsbereichs des neuen Amtsträgers vor dem entsprechenden zum Gehorsam verpflichteten Stab stattfand. Wie die Übergabe der Instruktion an den Obersthofmeister führte hier die Verlesung der für die Kammer relevanten Instruktionen und der Kammerordnung Inhalt, Geltung und Geltungsbereich des Sonderrechtes der kaiserlichen Kammer deutlich vor Augen. Für die Vereidigung des Oberstkämmerers Gundaker Graf Dietrichstein im Jahr 1675 ist zudem die verbale Anerkennung des neuen Oberstkämmerers durch den Stab überliefert: der älteste anwesende Kämmerer dankte dem zum Obersthofmeister aufgerückten vormaligen Oberstkämmerer Lamberg und beglückwünschte den neuen Oberstkämmerer 612 . Entsprechend vollzog sich unter Ferdinand III. die Vereidigung und Installation des Oberststallmeisters. Georg Achaz von Losenstein beispielsweise leistete 1651 dem Kaiser in der Retirade den Eid in Anwe- 608 Es ist unklar, ob die Geheimen Räte die Ritterstube von der Seite der Geheimen Ratsstube aus, also von der kaiserlichen Seite her betraten oder ob sie in der Ritterstube warteten. 609 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 193. Vgl. auch MZA, FA DT, K. 26, Oberstkämmerer Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, Wien, 25. Febr. 1665, fol. 268. Danach war Lobkowitz von Lamberg in der Ritterstube installiert worden. 610 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 202. 611 Der Oberstkämmerer Gonzaga leistete, wiederum in Anwesenheit des Obersthofmeisters, den Eid in der Ratsstube (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 202, 202v). Auf die Annahme des neuen Oberstkämmerers Gonzaga und des neuen Stallmeisters Harrach durch dem Kaiser am 22. Febr. 1655 folgte am 23. die Vereidigung und am 24. Febr. 1655 die Vorstellung (AVA, AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Febr. 1655). 612 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 202v, 203. <?page no="163"?> 162 senheit des Obersthofmeisters 613 - der Geheime Sekretär Schidenitz war zugegen und dürfte den Eid vorgehalten haben -, woraufhin er vom Obersthofmeister vermutlich in die Wachstube 614 begleitet, und dort installiert und vorgestellt wurde „in beÿsein der disem Staab Untergebenen Beambten, officiern, Edlknaben, und dergleichen“. Bei dieser Gelegenheit wurden ihm auch die Instruktionen für seinen Amtsbereich ausgehändigt 615 . Den Anspruch auf souveräne Gestaltung des Hofstaats unterstreicht der Umstand, daß Losensteins Nachfolger Gonzaga 1654 dem Kaiser in der Retirade im Beisein des Obersthofmeisters den Eid schwor, „obschon andre mehr Geheime Räte in der Ante Camera wahren“ 616 . Daß die Anwesenheit des kaiserlichen Oberststallmeisters bei der Vereidigung Dietrichsteins als Obersthofmeister der Kaiserin Margherita im Jahr 1666 gemäß nachträglicher kaiserlicher Entscheidung als „error“ galt 617 , weist darauf hin, daß sich die Vereidigungen der Obersthofmeister der Kaiserinnen noch exklusiver vollzogen. Sicher ist in einem Falle die Beteiligung anderer gekrönter Häupter: So legte Marquard Graf Fugger den Amtseid als Obersthofmeister der Kaiserin Eleonra II. 1652 in der Retirade des Kaisers im Beisein Ferdinands III. und Ferdinands IV. ab, Graf Cavriani schwor 1655 dem Kaiser in der kaiserlichen 613 Ebenso Gonzaga 1654 (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 217) und Harrach, der den Eid aber in der Ratsstube leistete (ebd., fol. 217v). Der Oberststallmeister Leopolds I. schwor am 10. Jan. 1658 dagegen den Eid in Prag zwar in der Retirade, aber dem Obersthofmeister Portia (ebd., fol. 217v); er wurde vor den Stabsangehörigen installiert, aber nicht in der Wachstube, sondern in Portias „Wohnzümber zu Hoff“ (ebd., fol. 218). 1677 wurde der neue Oberststallmeister nach dem Geheimen Rat in der Ratsstube vereidigt. 614 In HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 217, heißt es: „auf dem grossen Saal zu Hoff, installiert, und fürgestelt worden“, während es 1654 für Gonzaga heißt, der Obersthofmeister und der neue Oberststallmeister seien „auf den Saal, vor der Camer Capellen“ gegangen und hätten dort die Installation vorgenommen (ebd., fol. 217v). 615 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 216v, 217. Wann ihm die Instruktionen ausgehändigt wurden, ist nicht ganz klar, der Wortlaut könnte auf eine Aushändigung zwischen Vereidigung und Vorstellung und so auf eine nicht hoföffentliche Übergabe hindeuten; wahrscheinlicher ist die Übergabe in Anwesenheit des Stabes. Losenstein schwor am 9. März 1651 (ebd., fol. 216v, 217); dies bestätigt auch der Nuntiaturbericht (ASV, SG, 149, fol. 74v, 11. März 1651). 616 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 217, Hervorhebung M.H. Berichte von Introduktionen tauchen später auch im Zeremonialprotokoll auf, so die des Oberststallmeisters Leopolds I., Gundaker von Dietrichstein, vom 10. Jan. 1658. Danach las der innerösterreichische Geheime Hofsekretär und Referendar den Eid vor, während der Hofkanzler das Jurament vorhielt (HHStA, ZA Prot. 1, p. 669). Die Installation erfolgte am folgenden Tag (11. Jan. 1658) durch den Obersthofmeister Portia. In dem Hinweis, daß es sich hierbei um die Ernennung und Vereidigung des ältesten Kämmerers Leopolds I. handelte, liegt eine wichtige Bestätigung für die Richtigkeit des Kämmererverzeichnisses Nr. 208 (SOA Prag, RA St, 49). 617 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 244, 244v. Mansfeld wurde 1690 in der Retirade vereidigt (ebd., fol. 245). <?page no="164"?> 163 Ratsstube 618 . Eine Erklärung für diese Handhabung wird man in dem Bestreben nach Sonderung des kaiserlichen Frauenzimmers und nach dem Ausschluß von Einflußmöglichkeiten Dritter suchen 619 . Diese Sonderung wird dadurch versinnbildlicht, daß der Eid nicht nur dem Kaiser allein (nicht der Kaiserin), sondern auch ohne Anwesenheit von Personen geschworen wurde, die für das Vorlesen des Eides nicht benötigt wurden. Anders dagegen und zudem uneinheitlich wurden unter Ferdinand III. die Vereidigungen der Obersthofmeister der Erzherzöge bzw. der Thronfolger gehandhabt. So wurde Auersperg als Obersthofmeister des nachmaligen Königs Ferdinand IV. in Linz in der „Raths und Audienzstuben“ vor dem kaiserlichen Obersthofmeister Trauttmansdorff, dem Hofkanzler Prickhelmayer und anderen Geheimen Räten, die zu dieser Zeit am Hof und in der Antecamera zugegen waren, vereidigt 620 . Die Vereidigung des ersten Obersthofmeisters Leopolds I. im Jahr 1650 fand in der kaiserlichen Retirade in Gegenwart der Geheimen Räte Lobkowitz, Martinitz, Kurz, Puchheim, Trautson, Auersperg und Goldegg statt 621 . Die beiden Nachfolger Fugger (1651) und Portia (1652) wurden hingegen nurmehr in Gegenwart Ferdinands III. und Ferdinands IV. vereidigt 622 . Man wird vermutlich nicht zu weit gehen, wenn man in der öffentlichen bzw. auf Publizität hin ausgerichteten Vereidigung der jeweils ersten Obersthofmeister der Erzherzöge den Hinweis auf die neu eingerichteten Hofstaaten der jungen Fürsten sehen will, die nunmehr im Gefüge des kaiserlichen Hofstaats einen eigenständigen und sozial relevanten Platz erhielten. Justiz und Verwaltung Aufgrund der dürftigen Quellenlage ist nicht klar bestimmbar, ob die Vereidigungen von Vorständen der verschiedenen Gremien einheitlich vorgenommen wurden. Doch finden sich Hinweise auf gemeinhin größere personelle Beteiligung an der Vereidigung. Der Hofkammerpräsident Ungnad wurde 1648 in Linz nach einer Sitzung des Geheimen Rates im Beisein der Geheimen Räte vereidigt 623 . Die Frage, ob darin ein 618 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 244. Dies bedeutet nicht, daß Geheime Räte anwesend waren. Der Raumwechsel mag dem Aufenthalt in Ebersdorff geschuldet sein. 619 Vgl. Kap. B.I.3.d. 620 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 245v. 621 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 260, 260v. 622 Fugger wurde in der Retirade vereidigt (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 260v, 261). 623 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 52. <?page no="165"?> 164 Hinweis zu finden ist, daß die Hofkammer kein dem Präsidenten allein ausgelieferter Arkanbereich sei, kann nicht beantwortet werden, so nahe die Annahme auch liegt. Bei der Vereidigung Lobkowitz’ als Hofkriegsratspräsident König Leopolds I. am 1. Juli 1657 waren die Geheimen Räte Auersperg, Trautson, Nostiz und Sinzendorf zugegen 624 . Bei der Vereidigung der niederösterreichischen Regimentskanzler war die Beteiligung hochrangiger Hofleute - wohl des Geheimen Rates als Gremium - deutlich ausgeprägt: So waren 1639 bei der Vereidigung Carl Pergers die Geheimen Räte Trauttmansdorff, Slavata, Breuner, Martinitz und der Hofvizekanzler Prickhelmayer zugegen 625 , 1647 bei der Vereidigung Richtersbergers, bei der die Abwesenheit des Kaisers als Ausnahme vermerkt wurde, immerhin König Ferdinand IV. sowie Slavata, Breuner, Trautson und Auersperg 626 ; auch die Vereidigungen der Nachfolger fanden in der Geheimen Ratsstube in Anwesenheit von jeweils mehreren Geheimen Räten statt 627 . Man wird in der Beteiligung der Geheimen Räte ohne eine überzogene Interpretation eine Markierung des Status der Beteiligten sehen dürfen. Auch wenn durch die Vereidigung in Gegenwart der Geheimen Räte keine Rechte und Pflichten zwischen diesen und den Vereidigten begründet wurden, stellt die Anwesenheit der Räte doch deren Partizipation an der kaiserlichen Willensbildung vor Augen und gibt ihnen damit in bezug auf die Präsidenten und Kanzler eigene, wenn auch abgeleiteten, Relevanz und eigenes Gewicht. Ähnlich wie es bei den Kämmerern der Fall war, war der Kaiser bei der Vereidigung von nachgeordnetem Personal der Gremien nicht anwesend. So wurde die Vereidigung des böhmischen Vizekanzlers Kinský 1664 durch den böhmischen Kanzler Nostiz vorgenommen; daß dies in Ebersdorf stattfand, muß nicht heißen, daß die Räumlichkeiten des Kaisers genutzt wurden 628 : So wurde Montecucoli 1645 als Hofkriegsrat 624 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 79v, 80, Sinzendorf: Johann Joachim. 625 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 138. 626 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 138v. 627 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 181: Suttinger (23. Nov. 1649 in der Ratsstube unter Anwesenheit von Harrach, Trauttmansdorff, Slavata, Khevenhüller, Teuffenbach, Martinitz, Kurz, Colloredo, Auersperg, Waldstein und Goldegg), fol. 181v: Tavonat (nach der Sitzung des Geheimen Rates in der Ratsstube unter Anwesenheit von Lobkowitz, Portia, Schwarzenberg, Ötting, Lamberg, Gonzaga, Nostiz, Leslie, den beiden Sinzendorf sowie Walderndorff). Nach dem Tod Tavonats waren bei der Vereidigung Hörmanns am 21. Apr. 1665 Lobkowitz, Auersperg, Gonzaga, Schwarzenberg, Lamberg, Nostiz, Leslie, Rottal, der Kammerpräsident Sinzendorf und Dietrichstein zugegen (ebd., fol. 182). 628 MZA, FA DT, K. 26, Johann Maximilian Graf von Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, fol. 245, Ebersdorf, 21. Sept. 1664. Letzten Donnerstag habe Graf Kinský als Vizekanzler bei Graf Nostiz das Jurament abgelegt. Vgl. auch ÖNB, Cod. 13630, fol. 18, 18v, wonach Kinský als Appellationspräsident den Eid beim böhmischen Hofkanzler in Wien leistete und <?page no="166"?> 165 vom Hofkriegsratspräsidenten Schlick in Gegenwart des Hofkriegsrats Leslie vereidigt, aber nicht bei Hof, sondern im Haus des Hofkriegsratspräsidenten; Montecucoli notierte die Eidesinhalte, wobei ihm auch die Gehorsamspflicht, jedesmal zum Rat zu erscheinen, wenn er gerufen würde, eine Notiz wert war 629 . Die Reichshofräte wurden vom Obersthofmeister in den Reichshofrat eingeführt und von ihm vereidigt 630 . Auch die Träger des Titels „kaiserlicher Rat“ wurden vom Obersthofmeister in dessen Wohnung vereidigt 631 . Kämmerer Für die kaiserlichen Kämmerer scheint im Untersuchungszeitraum ebenfalls zu gelten, daß sie ihren Eid regelmäßig nicht (mehr? ) vor dem Kaiser persönlich leisteten. Für das Jahr 1645 ist eine Vereidigung in Gegenwart des Oberstkämmerers belegt 632 , für die mittleren und späteren 1640er Jahre ist zudem belegt, daß der Hofkontralor den zu leistenden Eid vorlas, was sich mit einer vor dem Kaiser persönlich vorgenommenen Vereidigung nicht gut verträgt 633 ; daraus, daß der Kämmerer Franz Albrecht Graf Harrach seinen Eid um 11 Uhr vormittags leistete und damit etwa zu der Zeit, zu welcher die morgendliche Sitzung des Geheimrats gewöhnlich endete, wird man auf die Vereidigung vor dem Kaiser nicht schließen müssen 634 . Daß es im Zuge der quantitativen Ausweitung unter Leopold I. sogar zu einem Irrtum über die Identität eines zu vereidigenden Kämmerers kam, gibt jedoch Anlaß zu der Vermutung, daß stärkere Modifikationen der Eintrittsformalitäten für Kämmerer im 17. Jahrhundert nicht unwahrscheinlich waren 635 . vom Statthalter am 9. Sept. 1667 in das Amt eingeführt wurde. Der niederösterreichische Landmarschall Trautson wurde nach seiner Ernennung am 3. März 1637 den niederösterreichischen Ständen vorgestellt (OÖLA, AS BR, Sch. 46, Nr. 56 a Erasmus d.J. von Starhemberg an Caspar von Starhemberg, Wien, 2. März 1637). 629 AVA, GD RM, a/ 4/ 3, Eintrag vom 18. Febr. 1645. Danach schwor er in Prag um 9: 15 Uhr im Haus des Hofkriegsratspräsidenten Schlick und des Grafen Leslie den Eid. Vgl. Schreiber (2000), S. 63. 630 Vgl. § 8 der Reichshofratsordnung, vgl. Sellert (1990), S. 70, Anm. 391. 631 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 282 (Eidesformel), 282v (Eidesleistung vom 18. Jul. 1637 im Haus des Obersthofmeisters und im Beisein des Vizekanzlers). 632 AVA, GD RM, a/ 4/ 3: „Alli 22 luglio 1645 sono fatto Cameriere de S. M tà. , e presto il giuramen. to in corte alla presenza del Cameriero maggiore Conte di Pucheim.” Die Vereidigung könnte hier noch vor dem Kaiser in Gegenwart des Oberstkämmerers erfolgt sein. 633 Für Ferdinand III. ist belegt, daß der Hofkontralor den Kämmerern den zu leistenden Eid vorlas (NÖLA, StäAk, A-2-33, fol. 26). 634 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 20. Sept. 1640. 635 Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 118-120), Preßburg, 28. Jun. 1662; vgl. Anm. 746. <?page no="167"?> 166 Obschon wohl nicht vor dem Kaiser vorgenommen, war die Eidesleistung doch auch für die Kämmerer von großer Wichtigkeit, da von ihrem Datum die Einreihung in die Rangfolge der Kämmerer abhing; an dieser wurden zeremonielle ebenso wie Entscheidungen über den Karriereverlauf festgemacht, deren Tragweite weit über das eigentliche Kämmereramt hinausreichten 636 . Die Sensibilität für diese Frage läßt sich auch mit der Handhabung eines Zweifelsfalls belegen. Wenzel Fürst Lobkowitz wird in einigen Kämmererlisten zwar unter dem 11. August 1641 geführt, das für Ferdinand III. gründlichste Verzeichnis hält aber fest, daß er zu diesem Zeitpunkt zwar beim Kaiser in Regensburg gewesen sei, das Jurament aber erst im Juni 1644 geleistet habe; entsprechend steht sein Name in diesem Verzeichnis unter 1644 637 . Belegt ist die Übereinstimmung des Tages der Eidesleistung und der Einschreibung in das Kämmererverzeichnis auch für David Ungnad 638 , während Johann Christoph Graf von Puchheim per Ordinanz zum Kämmerer bestellt wurde - was die Eidesleistung nicht ausschließt 639 . Von einigen Ausnahmen abgesehen wurde der Eid jedenfalls unter Ferdinand III. und in den ersten Jahren der Herrschaft Leopold I. regelmäßig geleistet. Es läßt sich zudem belegen, daß auch der Eidesformel von seiten der Kämmerer Aufmerksamkeit zuteil wurde. Während Franz Albrecht Harrach 1640 in seinem Kalender vermerkte, er habe „das gewehnliche Camerherrn Jurament“ geleistet 640 , faßte Raimondo Montecucoli die Inhalte der Eidesleistung in vier Punkten knapp zusammen, ließ dabei den allgemeinen Teil - dem Kaiser die Treue zu wahren, den Nutzen zu fördern, Schaden zu wenden - weg und konzentrierte sich auf im Eid aufgeführte konkrete Dienstpflichten: die Wahrung des Geheimnisses über Angelegenheiten der kaiserlichen Kammer, das Verbot, dort ohne kaiserliche Erlaubnis irgendwelche Briefe zu lesen, das Verbot, etwas ohne kaiserliche Erlaubnis mitzuteilen und schließlich das Gebot, dem Oberstkämmerer in Angelegenheiten des Dienstes gehorsam zu sein 641 . Ich sehe 636 Vgl. Hengerer (2001a), S. 352-359. Der Kämmerer Ranzau wurde nochmals zum Kämmerer erklärt, obschon er das Amt bereit innehatte; es hatte Probleme wegen Ambitionen auf den Reichshofrat gegeben (ASV, SG, 149, 1651, fol. 187-191v); zu Ranzaus Posten im Reichshofrat, die kurz vor der Ernennung zum Kämmerer am 19. Juni 1651 (Kämmerer 27. Juni 1651) zugesichert und im Januar 1653 angetreten wurde, Gschließer (1942), S. 264, 265. 637 Siehe Anhang in APP, Kämmerer Ferdinands III. 638 Siehe Anhang in APP, Kämmerer Ferdinands III. Die Vereidigung Ungnads war danach am 31. Dez. 1642. Vgl. auch den seinen Brief, Wien, 1. Jan. 1643, in dem er schreibt, er habe am Vortag das Jurament abgeleistet (FA Harrach, K. 449, Weissenwolff an F. A. Harrach). 639 Nach HKA, HZAB 91, fol. 105, wurde er Kämmerer per Ordinanz vom 18. Dez. 1643. 640 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 20. Sept. 1640. 641 AVA, GD RM, a/ 4/ 3. <?page no="168"?> 167 in dieser Aufzählung einen Nachweis dafür, daß Adelige, wenn sie in den Hofstaat aufgenommen wurden, sich auch über den Wechsel des formellen Ordnungsrahmens bewußt wurden. Anders als bei den sonstigen Eidesinhalten, welche die Adeligen dem Kaiser bzw. Landesherren als Untertanen im Zuge von Krönungen bzw. Erbhuldigungen nach der Einigung über die Kapitulationen schworen, wurde hier - zwar nicht ohne Gegenleistungen und den Erwerb von Rechten, aber doch einseitig - die Befolgung von Sonderregeln des Sonderverbandes zur Pflicht gemacht. Dabei wurden Gehorsamspflichten nicht allein gegenüber dem Kaiser begründet, sondern auch gegenüber anderen Höflingen. Daß diese Gehorsamspflicht in der Zusammenfassung auf den Bereich des Dienstes („in quello che è del servizio“) beschränkt wurde, macht zusätzlich zur Aufnahme des Punktes in die Aufzählung deutlich, daß diese Unterwerfung nicht leichthin vollzogen wurde; zumal „servizio“ sich tatsächlich auf Verhalten im Rahmen des Hofdienstes insgesamt bezog und nicht allein auf die Kammer 642 . Die explizite kaiserliche Anweisung an die niederadeligen Kammerdiener, dem jeweiligen Vertreter des Oberstkämmerers genauso zu gehorchen wie diesem 643 , belegt zudem, daß Gehorsam auch bei Hof, zumal dann, wenn er sich auf Stellen und Vertreter bezog, nicht immer leicht fiel. Zu den belegten Streitigkeiten zwischen Höflingen im Bereich der Vorzimmer gehört denn auch just einer zwischen zwei Kämmerern, von denen einer als ältester anwesender Kämmerer den Oberstkämmerer vertrat 644 . Sicher ist eine hohe Publizität der Verleihungen des Kämmereramtes. Über diese wurde zwar bei weitem nicht so umfassend berichtet wie über die Verleihung oberster Hofämter und des Geheimratsamtes, sie war aber Gegenstand privater Notizen und Mitteilungen 645 und bei schwankender und eher nachlassender Tendenz Gegenstand auch der diplomatischen Berichterstattung. 1650 etwa berichteten die Wochenrelationen der Nuntiatur nach Rom von der überwiegenden Zahl der Ernennungen namentlich; der schwedische Vertreter am Kaiserhof fand die Inhaber dieses Amtes offenbar weniger relevant 646 . 642 Vgl. unten Kap. B.I. 643 HHStA, OMeA SR, K. 74, Konv. 11, e.h. Instruktion Ferdinands III. für die Kammerdiener, 22. März 1651, Konzept (vgl. Anm. 859). 644 Vgl. Anm. 709 und 1180, Leslie war als ältester Kämmerer anwesend. 645 Vgl. Kap. B.II.3.d. Siehe auch AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 7. Jul. 1641, wonach der Truchseß Tallenberg Kämmerer wurde. Vgl. auch die zahlreichen Einträge im Tagebuch des Kardinals Harrach (AVA, FA HR, Hs. 477, u.a. 26. Jun. 1647). 646 Die Nuntiatur berichtete 1650/ 51 von mehreren Kämmererernennungen: der des Genuesers Duca Felice Pallavicini (ASV, SG, 148, 8. Jan. 1650); der des zweitgeborenen Sohnes des Lords Arundel (ebd., 148, 1650, 31. Dez. 1650), der des Ferdinand Graf von Werdenberg <?page no="169"?> 168 Zu dieser Publizität wird auch das Amtsabzeichen der Kämmerer beigetragen haben, das zu den wenigen Amtsabzeichen des Kaiserhofes dieser Zeit gehörte. Zu nennen wären außerdem der Stab des Obersthofmeisters, die Sporen des Oberststallmeisters, evtl. das Schwert des Obersthofmarschalls. Im übrigen aber dominierte die einheitliche Hoftracht. Kammerdiener erhielten einen schwarzen Schlüssel aus Eisen, Kämmerer einen vergoldeten 647 : Dieses Amtsabzeichen galt für das Amt und so notierte Franz Albrecht Harrach in seinem Kalender unter dem 20. September 1640: „habe Ich vormitdag umb 11 das gewehnliche Camerhern Jurament geleist, und den Schlüßl empfangen“ 648 . Der Schlüssel wurde deutlich sichtbar am Gürtel getragen. Im einzelnen ist trotz mancher Hinweise unklar, wie die Schlüssel im 17. Jahrhundert verwaltet wurden und ob bzw. seit wann es neben den tatsächlich schließenden Schlüsseln, welche jedenfalls unter Ferdinand II. beim Verlassen des Hofes vom Kämmerer dem Oberstkämmerer zugestellt werden mußten, Schlüssel gab, die lediglich als Abzeichen dienten und im Besitz der Kämmerer blieben; dafür spricht, daß Ferdinand III. 1637 die Schließfähigkeit von Schlüsseln für Kämmerer differenzieren ließ 649 . Die Darstellung eines nächtlichen Banketts in der Ritterstube der Wie- (ebd., 149, 1651, fol. 4), im ersten Halbjahr 1651, weiter: Ernennungen der Kämmerer Fugger, Ranzau und Trauttmansdorff (ebd., 149, fol. 57, 103, 150v, 187, 188, 191, 191v). Von der Eidesleistung des Grafen Caprara als Kämmerer Ferdinands IV. schrieb Raimondo Montecucoli Ottavio Piccolomini (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12424 19/ 2, Wien, 6. Apr. 1650). 647 Ehalt (1980), S. 40. 648 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 20. Sept. 1640. 649 Die diensthabenden Kämmerer scheinen die schließenden Schlüssel nach ihrem Dienst dem Oberstkämmerer gegeben zu haben (Hurter (1860), S. 237, Müller (1860), S. 292, Žolger (1917), S. 119). Dabei mag es sich um diejenigen Schlüssel handeln, welche nachts für die Schließung der Burg verwendet wurden. Ursprünglich hatten die Kämmerer nachts den Burgschlüssel in ihrer Verwaltung, während sie tagsüber einen Schlüssel trugen, der die Türen öffnen und schließen konnte. Die Instruktion für den Oberstkämmerer Ferdinands III. von 1637 zeigt den Prozeß der Differenzierung der Schließfähigkeit der Kämmererschlüssel (vgl. auch Duwe (1990), S. 49, 50): Nach § 7 sollte der Kämmerer, der bei Hof übernachtete, in der Nacht die Schlüssel zur Burg haben und darauf achten, daß die Trabanten und anderen Wachhabenden die Türen versperrten. Nach § 9 sollten sich die Kämmerer, wenn sie zum Kaiser wollten, durch den Oberstkämmerer anmelden lassen. Dafür sollten die Schlösser geändert werden und die Schlüssel so gefertigt werden, daß jeder Schlüssel so weit aufsperren könne, wie derjenigen, der ihn trage, den Zutritt habe (HHStA, HA FA, K. 100, Konv. 1637-1644, Wien, 20. März 1637). Im 18. Jahrhundert hieß es über die Kämmerer und ihre Schlüssel: „Von denjenigen aber, so es würcklich sind, haben allezeit zwey und zwey 4. Wochen die Aufwartung […], also, daß Tag und Nacht allezeit 4. Cämmerer bey Hofe sind […], und zum Zeichen von dem Obrist=Cämmerer den goldenen Schlüssel bekommen, welchen sie an einen schwartzen Bande an dem Gürtel, oder an der Tasche der Beinkleider tragen, doch wider die Art, als man andere Schlüssel zu tragen pfleget: Denn der Handgriff ist zu unterst gekehrt, und bey den andern / Theil oder Kamm, wodurch sich das Band schlinget, ist er feste gemacht“ (Küchelbecker (1730), S. 176, 177). <?page no="170"?> 169 ner um 1640 veranschaulicht unter anderem die Trageweise; links trägt einer der Höflinge den Kämmererschlüssel am Gürtel (Abbildung 1) 650 . Abbildung 1: Bankett in der Hofburg (Ausschnitt) Vom Besitzrecht unabhängig war die Aneignung des Amtsabzeichens auf der Ebene der symbolischen Repräsentation möglich. Mehrere Höflinge ließen sich mit dem Kammerherrnschlüssel porträtieren, so Paul Graf Esterházy 1668 in ungarischer Tracht (Abbildung 2) 651 . Ein anderes Porträt zeigt Hans Joachim Graf Sinzendorf 1653 allein als Träger der Kaiserkrone, zeigt aber auch den Kammerherrenschlüssel 652 . Vermutlich handelt es sich auch bei dem Schlüssel, den der Kämmerer Franz Albrecht Graf Harrach auf einem Porträt dem Betrachter zuwendet, um einen Kammerherrenschlüssel (Abbildung 3); ein Porträt seines 650 Siehe Abbildungsnachweis im Anhang. Zum Gemälde vgl. Gerhardt (1995). 651 Siehe Abbildungsnachweis im Anhang. 652 Vgl. Berns (1995), S. 748, Abb. 70; jetzt: Deutsches Historisches Museum Berlin. <?page no="171"?> 170 älteren Bruders Leonhard Karl zeigt den goldenen Schlüssel in der üblichen Aufhängung 653 . Abbildung 2: Paul Graf Esterházy Die Möglichkeit der symbolischen Repräsentation einer Identifikation mit dem Hofamt wurde auch in Grabmonumenten des Hofadels vollzogen: Das Epitaph des Oberstkämmerers Ferdinands III. Puchheim beispielsweise zeigt einen von einem Putto getragenen Kammerschlüssel 654 . 653 Siehe Abbildungsnachweis im Anhang. Die ostentative Präsentation des Schlüssels ist erstaunlich und verunsichert. Der Maler, Samuel van Hoogstraten, war wahrscheinlich 1651 bis 1654 in Wien, also noch vor dem Avancement Harrachs zum Oberstallmeister. Als er dieses Amt erreicht hatte, entstand ein neues Porträt (Maler: Johann Mair, Graf Harrach’sche Familiensammlung, Rohrau). Möglicherweise nimmt das Bild mit dem Kämmererschlüssel Bezug auf das von Franz Albrecht Harrachs Bruder Leonhard Karl Graf von Harrach (Geheimer Rat und Obersthofmarschall Ferdinands II.), das diesen als Kämmerer mit dem an den Gürtel gebundenen Kammerherrnschlüssel zeigt (Harrach (1906), S. 105). Es läßt sich immerhin ausschließen, daß es sich um das Zeichen des Oberst-Erbland-Stallmeister-amtes in Österreich ob und unter der Enns handelt, mit dem die Harrach belehnt waren, war dies doch ein in der linken Hand getragener Stab (Planck-Planckburg (1929), S. 10). 654 Vgl. Hengerer (2001b), S. 346. <?page no="172"?> 171 Abbildung 3: Franz Albrecht Graf Harrach Erst am Ende der Regierungszeit Kaiser Leopolds I. verlor die symbolische Aneignung an Wert, konnte über den Kämmererschlüssel als Abzeichen des einst exklusive Amtes doch nun gesagt werden: „Diesen schlüssel bekommt ein jeder von dem Kaiser leicht / wann er nur von einem guten stande ist, solcher massen / daß man auch in Wien saget: Es sey keine ehre ihn zu haben / aber wohl eine schande ihn nicht zu haben.“ 655 655 Freschot (1705), S. 153. <?page no="173"?> 172 b. Urlaub und Kleidung Der Eintritt in den Hofstaat war damit von bloßer Präsenz bei Hof klar abgesetzt und als Selbstbindung an die Ordnung des Kaiserhofes ausgestaltet. Durch Eid und Zeugen religiös wie rechtlich aufgewertet und durch die in der Regel mitvollzogene Einordnung in formelle Rang- und Dienstverhältnisse wurde er für wichtige Ausschnitte des weiteren Verhaltens maßgeblich. Besonders auf den Erlaubnisvorbehalt für Ortsveränderungen wird man hinweisen müssen. Für Höflinge teilte sich Zeit grundsätzlich in Dienst- und Urlaubszeiten 656 . Das stellte gegenüber dem Dasein von Landadeligen auch dann eine erhebliche Einschränkung von Freiheitsgraden dar, wenn die Gewährung von Urlaub im Bereich der Ehrenämter grundsätzlich locker gehandhabt wurde - fragen aber und sich abmelden mußte man dennoch: So schilderte Franz Albrecht Harrach an dem Tag, an welchem er während seiner Dienstzeit als Kämmerer von Regensburg nach Altötting reisen wollte, einen erhöhten und gezielten Courtoisieaufwand, vor allem aber explizit die Abhängigkeit von der Erlaubnis für den einige Tage währenden Ausflug: „den 1 habe Ich mich beÿ Hof ein wenig sehen laßen, beÿ Herrn ob: Camerer geßen, von torten, mit seiner erlaubnus, nacher erbensbach geritten“ 657 . Bitten um bzw. Dank für die Mitwirkung zur Bewilligung oder zur Verlängerung von Urlauben wurde an höherrangige Höflinge häufig herangetragen 658 . Der Hofstaat steuerte damit die Teilung von Zeit und gewann auch dadurch für die Verhaltenssteuerung der Höflinge an Bedeutung 659 , daß längeres Ausbleiben die Gunst des Kaisers gefährden konnte: So bat der länger ausbleibende Obersthofmarschall Starhemberg den Obersthofmeister, ihn beim Kaiser unter Hinweis auf seinen schlechten gesundheitlichen Zustand zu entschuldigen; der Kaiser solle 656 Die Mitglieder der Hofstäbe mußten sich vor Abreisen beim Obersthofmeister abmelden, nicht aber die Geheimen Räte (Winkelbauer (1999a), S. 194). Nach § 3 der Oberstkämmererinstruktion hatten unverheiratete Kämmerer sechs Wochen, verheiratete acht Wochen Urlaub (HHStA, HA FA, K. 100, Konv. 1637-1644, Instruktion Ferdinands III. für den Oberstkämmerer Puchheim, Wien, 20. März 1637); vgl. auch Anm. 214. 657 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 1. Jul. 1641. 658 Vgl. den Abschnitt Zugang, Beratung, unspezifische Hilfe in Kapitel VII. 3. a. 659 Vgl. das kaiserliche Dekret für Johann Quintin Jörger, wonach dieser berechtigt war, die Hofkammer und die Niederösterreichischen Regierung „allein nach seiner gueten gelegenheit undt Wohlgefallen, auf vorhergehends gewöhnliches ansagen“ zu frequentieren. Nur wenn er sich „auf ein geaumbe Zeit absentieren wurde“, sollte er sich beim Hofkammerpräsidenten abmelden (OÖLA, HSt, Sch. 1238, HSt, Sch. 1238, Fasz. 27, Nr. 522, 26. Mai 1660). <?page no="174"?> 173 nicht glauben, „als thäte Ich meine gehorsambiste Schuldigkeit nicht beobachten: sondern auff den Gütern meinem Spaß nach leben“ 660 . Als Möglichkeit, eigene Drohpotentiale sichtbar zu machen, gab der Urlaub andererseits Höflingen die Möglichkeit, die konkrete Ausgestaltung des Dienstverhältnisses in Frage zu stellen: Der Hofkriegsrat, Kämmerer und General Puchheim etwa schrieb 1648 dem Obersthofmeister mit der Bitte um Entlastung von der „wiederwertigkeit“, welche die Hofkammer ihm angedeihen lasse; er sei dadurch so „frustriret, daß mir unmöglich ist dergleichen strappazirung lenger auszustehen“ und bat für den Fall des Ausbleibens spürbarer Veränderungen um einen Urlaub von drei Monaten; reiche das nicht, wolle er gänzlich Urlaub von seinem Dienst nehmen, also resignieren 661 . Der habsburgische Hofadel hatte sich überdies auch im fraglichen Zeitraum einer strikten Kleidungsordnung zu unterwerfen 662 . Die Grundfarben der an Normaltagen in Innenräumen zu tragenden Klei- 660 MZA, FA DT, K. 449, 1911/ 225, Starhemberg an Dietrichstein, Wien, 17. März 1655, Dank für die Erlaubnis abzureisen und einige Tage bei der Schwester zu weilen; Bitte um Verlängerung der Abwesenheitserlaubnis. Am 23. Febr. 1654 dankte er ihm für die Nachricht, daß er dem Kaiser Starhembergs Bitte vorgebracht habe, wegen des Landtages in Österreich ob der Enns und damit im Interesse des Kaisers etwas länger vom Hof fernzubleiben. Mit Brief vom 3. Jun. 1654 teilte Starhemberg in Abwesenheit vom Hof dem Obersthofmeister mit, er könne nun wieder gehen, wenn er Treppen auch mit einem Stab laufen müsse, hoffe auf Gesundung und die baldige Rückkehr an den Hof; hierauf folgte das oben angeführte Zitat. Auch der Reichshofrat, Kämmerer und spätere Hofkanzler Sinzendorf bat Dietrichstein im Jahr 1655 um Verlängerung seiner Abwesenheitserlaubnis um sechs Wochen: er müsse sich nach dem Tod eines Familienangehörigen um rechtliche Dinge kümmern (MZA, FA DT, K. 449, 1911/ 221, Wien, 24. März 1655). Seyfried Christoph Breuner beschwerte sich in einem Gutachten über die niederösterreichischen Regimentsräte unter Ferdinand II. über den Vizestatthalter Georg Teuffel: Dieser diene nur nach seinem Belieben, man könne sich seiner zu keiner Zeit vergewissern, er verreise ohne die Erlaubnis des Statthalters, bleibe aus, solange es ihm gefiele; das sei „wider Instruction und alte Ordnung“ (HHStA, FA GFE, K. 151, Konv. 6). 661 AVA, FA TM, K. 157, Ff. 23, Nr. 77, fol. 334, Puchheim an Trauttmansdorff, Prag, 8. Aug. 1648. Der Obrist Jaques Gerhard bat den Oberstkämmerer Lamberg 1663 um einen Hinweis an den Vorgesetzten, dieser möge ihn ordentlich behandeln, sonst nehme er „ein Pickha“ (OÖLA, HSt, Sch. 1236, Fasz. 25, Nr. 467, Ungarisch Brodt, 2. Jun.1663). Auch Montecucoli erwog 1653 seine Resignation (Urlaub) wegen der langen Dauer der Erledigung seiner finanziellen Angelegenheiten mit dem Fiskus (vgl. Schreiber (2000), S. 86, 87). Der Hofkanzler Sinzendorf wollte 1659 seinem Vetter, dem Hofkammerpräsideten Sinzendorf bei dessen Vereidigung als Geheimer Rat nicht den Eid vorhalten und bat den Obersthofmeister Portia um Erlaubnis, vom Hof zu verreisen, um der Vereidigung zu entgehen (HHStA, FA JH VI/ 1, fol. 108, 24. Juni 1659). Eine Lösung wurde gefunden: Am 24. Jun. 1659 wurde der Hofkammerpräsident, darauf der Hofkanzler vereidigt (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 15v). Das Nichterscheinen bei Sitzungen gab Anlaß zu Mutmaßungen: als Auersperg 1665 mehrere Tage weder den Geheimen Rat noch die Konferenzen besuchte, wurde dies von einigen auf die Erkrankung eines Sohnes zurückgeführt, andere hielten das für eine Ausrede (AVA, FA HR, K. 449, Gottlieb Graf Windischgrätz an F. A. Harrach, Wien, 2. Sept. 1665). 662 Žolger (1917), S. 155, 156, Duindam (1998a), S. 40; zur Kleidung der Hofdamen Bastl (1996), S. 200-205. Zum Kontext vgl. Bulst (1993) und Dinges (1993). <?page no="175"?> 174 dung waren schwarz für die Oberkleidung und weiß für die etwaige durchscheinende Unterkleidung; die Schuhe hatten gleichfalls schwarz zu sein; hinsichtlich des Materials scheint eine gewisse Freizügigkeit bestanden zu haben, schwarze Seide zu tragen, war möglich 663 . Eine Funktion dieser Standardtracht wird man auch in der symbolischen Repräsentation einer Gleichheitsfiktion sehen dürfen - jedenfalls insoweit, als bei allen Hofleuten eine grundsätzlich gleiche „Oberfläche“ geschaffen wurde, in die hofrelevante Symbole einzuschreiben lediglich dem Kaiser bzw. der Hoforganisation zustand. Damit wurde die Möglichkeit der Symbolisierung fremder Systemrelevanzen unterbunden oder, hinsichtlich des Materials und der Textur der Stoffe zumindest auf eine hohe und damit im Zweifel ignorierbare Subtilität 664 verwiesen; auf der anderen Seite waren besondere Symbole auf diese Weise deutlich erkennbar: Der Orden vom Goldenen Vlies oder Amtsabzeichen wie der Kämmererschlüssel ließen erkennen, in welcher Position des Hofstaates die jeweilige Person angesiedelt war und welche Beziehungen und Eigenschaften über die Mitgliedschaftsrolle abgesichert waren. Hinzu kam hier auch die Livree, wie sie etwa die Edelknaben zu tragen hatten, und die vom Hof aus finanziert und beschafft wurde 665 . Die Zulassung anderer Arten von Kleidung war damit gleichbedeutend mit der Akzeptanz der Eigenheit und Eigenständigkeit anderer bei Hof vertretener Gruppen: So paßten sich die Botschafter in ihrer Kleidung zwar in gewissem Grade an, blieben aber grundsätzlich autonom 666 . Ebenso trugen die Geistlichen ihren Habit, die an den Hof kommenden Bürger ihre Tracht. Innen und Außen des Hofstaates standen so deutlich vor Augen, wobei die Innenseite über die Kleidung nach außen eine Gleichartigkeit ausdrückte, die nach innen durch in anderer Weise zum Ausdruck gebrachte Rangfolgen differenziert wurde. 663 Vgl. Anm. 668. Vgl. nur die Galeriebilder von David Teniers (u.a. Garas (1967), S. 40). 664 Persönlicher Distinktion waren so bei Hof recht enge Grenzen gesetzt. Auch außerhalb der Hofburg gab es Grenzen: So hinderte der Hofadel den Neufürsten Gundaker von Liechtenstein daran, in Wien fürstliches Gepränge zu entfalteten (vgl. Winkelbauer (1999a), S. 191). Der Hausbesitz entfaltete erst seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, verstärkt erst nach 1683 seine ostentative Distinktionsfunktion (Pircher (1984), Winkelbauer (1999a), S. 410, 411). Auch die persönliche Entourage der Hofleute taugte in der Mitte des 17. Jahrhunderts erst innerhalb eines nicht allzuweit gesteckten Rahmens für Distinkionszwecke. Mit dem in Ungarn üblichen Gefolge ungarischer Magnaten hätte keiner der übrigen Hofleute mithalten können (vgl. dazu Géza Pálffy, vorläufig bei Wagner (2000), S. 148). 665 Vgl. die zahlreichen Einträge HKA, HZAB. 666 BAV, Vat. lat. 10423, fol. 278, 279: Abschnitt über die Kleidung des Nuntius. <?page no="176"?> 175 Daneben gab es eine ganze Reihe von Situationen, in denen andere Kleiderregeln galten 667 . Hier sind neben dem Fasching, neben Krönungen und Erbhuldigungen, in denen der Hof hinter anderen sozialen Zusammenhängen zurücktrat, vor allem die Zeiten der Hofklage sowie Anlässe zu nennen, bei denen Gala 668 getragen wurde. Bei der Hofklage wurden die Livreeträger in schwarz gekleidet, für den nicht livreetragenden Hofadel änderte sich, da er ohnehin schwarz trug, wenig. So scheint es auch eine Regelung bezüglich der Stoffe gegeben zu haben: Die Krönung Ferdinands IV. zum böhmischen König fiel in die Zeit der Hofklage für die regierende Kaiserin Maria Anna, so daß Zustände zusammenfielen, die Gala und Klage begründeten. Ferdinand III. gestattete in dieser Situation das Tragen schwarzer Seide 669 . Die Kleidung für Ga- 667 Über die Kleidung bei Hof ist man noch unzulänglich informiert; so kann es überraschen, daß der schwedische Resident schrieb, den kaiserlichen Diplomaten Lisola „in reise Kleidern zweymahl zu Hofe in Ihre kaÿl: Maÿt Antikammer“ gesehen zu haben (RKA, G 283, Wien, 21./ 31. März 1657; zu Lisola vgl. Pribram (1894), Baumanns (1994)). 668 Zum Fasching vgl. Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 103, 104), Wien, 4. Febr. 1665: „am Samstag sein wir in Schlitten gefahren in mascara, und alle siebzehn (soviel sein wir gwest) sein wie die Schweizer gekleidt gwest, grün und Silber.“ Was bei feierlichen Anlässen getragen wurde, war zuvor offenbar nicht immer klar, so daß Maximiliana Gräfin von Scherffenberg ihren Bruder Franz Albrecht Harrach fragte, was sie zur kaiserlichen Hochzeit tragen müsse (AVA, FA HR, K. 446, Scherffenberg an F. A. Harrach, Linz, 28. Febr. 1651). Der Terminus Gala bezeichnete Festkleidung und festlichen Anlaß: „Heüt haben wir ein Gala zu Hoff wegen des Königs in Hispanien“ (AVA, FA HR, K. 448, Paul Sixt Graf Trautson an F. A. Harrach, Wien, 1. Mai 1658); „questa corte […] e vestì di Gala“ (ASV, SG, 148, 7. Mai 1650, über das Fest zum Geburtstag des spanischen Königs). 669 Zur Klagetracht vgl. Hawlikvan de Water (1989), S. 135-142, 145-153. Nicht bei jeder Hofklage trug auch der Hofadel Klagekleidung. So kam Leopold I. 1665 nach Innsbruck in Klagekleidung, die bei der Huldigung und beim Einzug in schwarzer Seide ausgeführt war, während der Hofadel „gefarbt“ anreiste (AVA, FA HR, K. 445, Johann Maximilian Graf von Lamberg an F. A. Harrach, Wien, 2. Sept. 1665). Der Brief zeigt jedoch, daß es sich hierbei um eine Regelungsmaterie handelte. Die formelle Zulassung farbiger Kleidung für Hofadelige bei festlichen Anlässen ist mehrfach belegt: Vgl. HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 8, fol. 3: „Und obwol wegen der Römischen Kayserin newlichsten Todtsfall bey Hoff die Klag noch dato gar streng gehalten worden / so ist doch die allergnädigste Erlaubnuß beschehen / daß sich die Cavallieri und andere Hoffofficirer in Seyden Zeich / jedoch alles schwarz / kleiden mögen.“ Eine ähnliche Situation gab es beim Landtag in Preßburg 1647. Ferdinand III. befahl, daß die Hofdamen vom 13. März an wieder Seide tragen und ihr Personal in bunte Livreen kleiden durften (AVA, FA TM, K. 133, Ee. 2, Hungarica, Franz Christoph Graf Khevenhüller an Maximilian Graf Trauttmansdorff, fol. 112, Preßburg, 5. März 1647). Die Bitte des Reichshofrats Windischgrätz an Harrach, er möge ihn über die Klagkleidung der Kammerherren bei Hof unterrichten, damit auch er sich so kleiden könne, verdeutlicht die Bedeutung der Regelungen der Hofkleiderordnung: „bite mich zu berichten wie d[er] Cammerherren undt dergleichen Ehrlichen leüth klag beÿ Hoff, dann so habe mich bis noch in allen Unsren trauer fähln gekleidet“ (AVA, FA HR, K. 449, Gottlieb Graf Windischgrätz an F. A. Harrach, Trauttmansdorff, 27. Okt. 1665). <?page no="177"?> 176 laanläße war für den Adel kostspielig, weshalb mitunter Zuschüsse an Hofleute, insbesondere an die Hofdamen, gezahlt wurden 670 . Neben diesen formellen Regeln des Hofstaats gab es auch hinsichtlich der Sprache, der sich Höflinge zu bedienen hatten, Erwartungen. Um 1700 war das Fanzösische eine Umgangssprache des Hofadels geworden, in den Räumlichkeiten des Hofes aber blieb es wegen der kundgetanen Abneigung des Kaisers gegen diese Sprache beim Deutschen und Italienischen 671 . Daß die Fülle derartiger Verhaltenszumutungen dazu beitrug, daß nicht jeder Höfling mit seinem Hofdasein sonderlich zufrieden war, ist durch Hofkritik vielfach belegt 672 und so wird es nicht allein auf hohe Aufenthaltskosten und Engpässe bei Beförderungen zurückzuführen sein, wenn die überwiegende Zahl der Höflinge besonders im Bereich der niedrigeren Ehrenämter, aber auch der Kämmerer, den Hof rasch wieder verließen oder über lange Zeiträume fernblieben. Im Hinblick auf Querelen um die Rangordnung des Hofstaats stimmte denn auch der Reichshofrat Windischgrätz 1664 das hohe Lied vom glücklichen Landleben an und schrieb, daß er aufgrund seiner „ohne dem große adversion ober den Hoff undt die statt“ kürzlich selbst auf vier „citationes“ nicht zum Dienst erschienen sei, sondern - in der Hoffnung, man würde ihm dies bei Hof nicht „eigennützig“ auslegen - lieber mit der Hasenjagd fortfahre: „Ich lebe hier in höchster stille undt zufriedenheit des gemüths [...] Gott weiß mit was schwehrem hertzen ich mich sonntags wider nacher Wien erhebe, es muß aber nur sein“ 673 . 670 Mitunter wurden Zuschüsse an Hofdamen gezahlt, so anläßlich der zweiten Eheschließung Ferdinands III. (HZAB 94, fol. 355-360). 671 Zur Sprachsituation um 1660 vgl. Anm. 841 am Ende. Zur Situation in der Regierungszeit Ferdinands II. vgl. den Status particularis“, p. 56: „Germanica, vel Italica semper, quandoque etiam Latina, quam quidem admodum expedite & accurate loquitur, utitur linguis, nunquam vero Gallica, vel Hispanica, ne cum ipso quidem Hispanico Legato.“ Um 1700 hatte sich dies partiell geändert: „Der hoff redet durchgehend Italiänisch / und der Kaiser hat öffters bezeuget / daß ihm ein gefallen geschehe / wenn man sich dieser sprachen bedienet“; desungeachtet spreche man im Adel Französisch, „wiewohl man sie nicht gerne so frey bey hoffe redet / weil sich einsmals der Kaiser in seiner anti-camera / vernehmen ließ / es wäre ihm eben nicht gefällig“ (Freschot (1705), S. 53, 54; zum Autor vgl. Lenderová (1996)). Leopold I. unterrichtete 1661 seinen Botschafter in Spanien vom Wunsch des Sekretärs Schidentz, daß dieser Korrespondenz in der deutschen Sprache besorgen möge (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 55), Wien, 5. März 1661; zu Schidenitz vgl. Sienell (2001a), S. 108, 109). 672 Vgl. Kap. B.I.2.b. 673 Gottlieb von Windischgrätz an F. A. Harrach, Trauttmansdorff (bei Wien), 7. November 1664 (AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz). Windischgrätz schrieb, daß sich auch seine Gesundheit auf dem Land in Ordnung sei. Zu den Windischgrätz vgl. Vocelka (ca. 1980); für die Überlassung einer Kopie des Manuskripts danke ich dem Autor sehr herzlich. Zu Hofkritik, Landleben, Gesundheit und Krankheit vgl. Kiesel (1979), S. 164, 165. Der Hochadel hatte zwar eine überdurchschnittliche Lebenserwartung bei unterdurchschnittlicher Säuglingssterb- <?page no="178"?> 177 c. Verschleierter Austritt Anders als beim Eintritt, so legen Organisationssoziologen nahe, weite sich beim Austritt aus Organisationen der Blick auf die Mitgliedschaft und ihre Implikationen erheblich aus und sei deshalb von besonderer Aussagekraft. Hervorgehoben werden dabei vornehmlich der zentrale Aspekt der Austrittsentscheidung, die Austrittssituation und das Sanktionspotential der Austrittsdrohung. Diese Situation stelle für das Mitgliedschaftsverhältnis „einen Testfall dar, an dem man zur Aufrechnung der Vor- und Nachteile der Mitgliedschaft“ geneigt sei; der Übergang erfordere daher „eine besondere, umfassende Bewußtheit“ 674 . Vor dem Hintergrund einer solchen Fragerichtung irritiert der empirische Befund am Kaiserhof des 17. Jahrhunderts zunächst ganz erheblich. Er läßt sich etwas überspitzt dahingehend zusammenfassen, daß es einen formell entscheidungsabhängigen Austritt aus der Organisation lichkeit (Weigl (2001), S. 74, Tab. 6, S. 77, 78, Tabelle 7). Dennoch: Krank waren Höflinge häufig, wobei ein als Grund der mitunter unlustige Hofdienst nicht stets auszuschließen ist. Das Bad Baden bei Wien wurde so regelmäßig von Höflingen besucht (vgl. auch Lunzer (1997), S. 60, 61), auch vom Hofmarschall Starhemberg (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Jun. 1644). Maximilian Graf Trauttmansdorff berichtete Ferdinand III. 1648, der Geheime Rat Colloredo, der für Ferdinand III. eine Reise unternehmen sollte, habe ihm geschworen, er wolle sich für den Kaiser zwar gern die Gurgel durchschneiden lassen, für ihn reisen könne er aber nicht; er habe ein „böses gehör“ und einen Bruch, was er beweisen zu müssen meinte: „dan ich ihn habe müssen greiffen“; Ferdinand III. antwortete, das habe er von Coloredo immer gedacht (AVA, FA TM, K. 126, Bb. 5e, fol. 152 ff.). Spätestens sei den späten 1640er Jahren war der Hofkriegsratspräsident Schlick an Podagra erkrankt, worüber selbst die Nuntiatur berichtete. Deren Hofbericht vom 1. Jan. 1650 liest sich wie ein Klinikbericht: Der spanische Botschafter Luminares sei fast wieder gesund, Schlick dagegen stärker als sonst erkrankt, fast drohe Lebensgefahr; von Ulrich Franz Graf Kolovrat, Geheimer Rat und Oberstburggraf von Böhmen, gebe es gute Nachrichten: Er sei nicht nur nicht tot, sondern erhole sich; eitle Hoffnung: am 3. Jan. war er tot (Schwarz (1943), S. 267, 268; ASV, SG, 148). Im März 1654 war der Obersthofmeister des Erzherzogs Leopold einige Wochen bettlägerig (MZA, RA DT, K. 447, 1911/ 57, Gundaker von Dietrichstein an Maximilian Fürst von Dietrichstein, Wien, 28. März 1654). Gundaker von Liechtenstein bat um Entlassung aus dem Geheimratsdienst: Er könne wegen seines schlechten Gehörs fast nichts mehr hören (Winkelbauer (1999a), S. 187-189). Weil die Ämter grundsätzlich auf Lebenszeit verliehen waren, war bei Hof häufig auch deren Sterben zu beobachten. So blieb, als der Kaiser im Mai 1650 nach Laxenburg gehen wollte, sein Obersthofmeister Trauttmansdorff krankheitshalber in Wien (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 11947 19/ 1, Walter Graf Leslie an Ottavio Piccolomini, Laxenburg, 18. Mai 1650). In weiteren Schreiben vom 21. und 28. Mai schilderte Leslie den Krankheitsverlauf, der Trauttmansdorff im Zimmer hielt und dessen Mitteilung an den Kaiser, er werde bald nachkommen („mà senza dirne quando“) wenig glaubwürdig machte. Am Tag, als Ferdinand III. - wegen Schmerzen in den Beinen - seine Badekur in Baden abbrach und nach Wien zurückkehrte, beobachteten Anhänger das Fieber Trauttmansdorffs (ebd., 1113, Wien, Jun. 1650), der bald darauf starb († 8. Jun. 1650) und dem der Geheime Rat Khevenhüller rasch folgte (Schwarz (1943), S. 253). 674 Luhmann (1999), S. 40; S. 39-53. <?page no="179"?> 178 Hofstaat grundsätzlich nicht gab 675 . Wie oben gezeigt, wurde der Eintritt mit mehr oder minder hohem, formalisiertem Aufwand gestaltet, der Austritt dagegen vollzog sich in der Praxis zwar zwangsläufig stetig, erschien aber entweder im Gewand der conditio humana oder überhaupt nicht: Höflinge starben im Amte oder weilten auf ihren Gütern, nachdem sie sich von Hof hatten beurlauben - nicht entlassen - lassen. Damit ist bereits angedeutet, daß sich das Ausscheiden aus dem Hofstaat vollzog, ohne einen Austritt zu markieren. Hier wirkten einige Regeln zusammen. Hofämter waren in der Regel in zweifacher Hinsicht auf Lebenszeit verliehen: auf die Lebenszeit des Inhabers, so daß ein altersbedingtes Ausscheiden nur in Ausnahmen wie bei den Edelknaben 676 stattfand, und auf die Lebenszeit des jeweiligen Herren. Dienst- und Lebenszeiten waren damit so gegeneinander versetzt, daß teils den Dienern die Herren, teils den Herren die Diener verstarben. Der Herrscherwechsel bot so formell keinen Anlaß für einzelne Relegationsentscheidungen, und so vollzogen sich Entlassungen nach dem Herrschertod formal infolge des Todes, nicht infolge der Entscheidung des Nachfolgers 677 . In der Regel war jedoch auch das Innehaben einer Stelle weder streng mit dem Erfordernis 678 noch stets mit dem Recht 679 zu ihrer Versehung gekoppelt. Krankheit 680 , mäßiger Begabung 681 oder Unlust 682 von Stelleninhabern konnte man flexibel begegnen: durch die Berufung von 675 Eine Ausnahme war der Reichshofrat, der aufgrund der ständisch, konfessionell und territorial offeneren Rekrutierung v.a. für Räte aus dem Reich oft nur eine Station war. Katholische Räte aus dem erbländischen Herrenstand erreichten vom Reichshofrat aus häufig hohe Posten, so etwa die Obersthofmeister Trauttmansdorff, Lamberg und Auersperg. Vgl. umfassend Gschließer (1942), S. 201-293. 676 Hofdamen schieden in der Regel durch den Tod ihrer Herrin, durch Eintritt in ein Kloster oder durch Eheschließung aus. 677 Vgl. Kap. C.II.1.b. „Mobilität und Herrschertod“. 678 Dies gilt für fast alle Ehrenämter, vgl. Žolger (1917), S. 39-44, oben Kap. A.II.1.a, b. 679 Vgl. das Ansageprinzip des Geheimen Rates. 680 Vgl. die zahlreichen einschlägigen Registereinträge zu „Krankheit“. 681 Zur mitunter zweifelhaften Eignung Geheimer Räte äußerten sich auch die Botschafter Venedigs: Colloredo sei weder in Prag noch bei Hof zu gebrauchen, der Statthalter Trautson eigentlich immer eingeschlafen, auch habe seine Person mehr Gewicht als seine Stimme (Fiedler (1866), S. 401-403). Vgl. auch Schwarz (1943), S. 342, zum Hofkanzler Sinzendorf. 682 Unlust wurde nicht selten hinter Krankheit und Entschuldigungen vermutet. Als Ferdinand III. Kolovrat nach Polen zur Königswahl schicken wollte, entschuldigte sich dieser: seine Frau sei krank und es könne sein, daß er ihretwegen zurückkehren müsse (vgl. Anm. 1576; vgl. auch Kap. B.I.2.b. Die insgesamt recht laxe Handhabung von Dienst, Präsenz und die Verabschiedung in Urlaube ungewisser Dauer dürfte die Zumutungen des Hofdienstes partiell kompensiert und damit zugleich - wegen der Möglichkeit auszuweichen - den Grad der Zumutungen noch gesteigert haben. <?page no="180"?> 179 Vertretern, durch die selektive Einberufung von Gremienmitgliedern 683 , durch die Überbesetzung von Ämtern bei gleichzeitigem großzügigen Umgang mit Urlaubs- und Abwesenheitsregeln. Dies war auch deshalb möglich, weil die Kopplung zwischen Besoldung und Amtsversehung ebenfalls nicht besonders streng war. Im Bereich der Besoldung von hochadeligen Amtsinhabern war - mit der bezeichnenden Ausnahme des Reichshofrates und der Hofkammer - der Kaiser nicht selten in Verzug, wenn überhaupt gezahlt wurde. Diese Mechanismen wirkten in der Weise zusammen, daß auf der einen Seite ein von der Soldzahlung abhängiges Mitglied des Hofstaates stets zu Diensten stehen konnte, während auf der anderen Seite eine finanziell vom Hof unabhängige Person dauerhaft abwesend, krank oder sonst außer Dienst stehend doch mit vollem Recht auf die eigene Mitgliedschaft verweisen konnte. Das sich hieraus ergebende Potential für Abweichungen von einer idealen und in Teilen ja auch schriftlich fixierten Hofordnung war enorm - und noch erweiterbar. Botschafterposten, Delegationen und Gesandschaften 684 sowie das Verschaffen von Ämtern außerhalb der Hauptresidenz einschließlich der Militärämter eröffneten neben der Hauptvariante der in hohe Fluktuation eingebundenen Nichtförderung zahlreiche Möglichkeiten, Personen ehrenvoll vom Hof zu entfernen, sei es gedankenlos, sei es in guter oder schlechter Absicht. Zur Latenz des Phänomens der Stellenaufgabe trug auch der Umstand bei, daß es innerhalb des Hofstaates Elemente eines „cursus honorum“ gab, welcher dafür sorgte, daß im Falle des meist todesbedingten Ausscheidens eines hohen Amtsträgers eine ganze Reihe von Personen jeweils ein Amt vorrückten 685 , und sich das Aufgeben eines Amtsbereiches somit als Aufstieg und innerhalb des Hofstaats vollzog. Da zudem die meisten Inhaber hoher Ehrenämter bei Hof keine zugewiesene Amtstube besaßen 686 , deren Räumung und Neubezug in diesen Fällen angestanden hätte, sondern ihre Geschäfte im wesentlichen von ihren Hof- 683 Vgl. Kapitel A.II.1.c. 684 So bemühten sich Höflinge, die bei Hof einen schweren Stand hatten, um auswärtige kaiserliche Dienste. Der Geheime Rat Volmar bemühte sich so im Jul. 1654 um eine auswärtige Aufgabe, um aus Wien wegzukommen: „Volmar vien puocho cortesemente trattato in Corte, vorebbe gia esse fuori, sollecita la sua spedite per andarsene.“ SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12718 20/ 1, Constantin Sattler an Ottavio Piccolomini, Wien, 29. Jul. 1654. 685 Vgl. dazu Kap. C.II.1.a. „Laufbahnpfade und Stellenersetzungen“. 686 Die wichtigste Ausnahme war der Oberstkämmerer, der in der Hofburg eine Wohnung hatte. Žolger (1917), S. 119, konstatiert für Oberstkämmerer den freiesten Zutritt zum Kaiser. Vgl. auch HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 218, wonach Portia 1658 in Prag ein „Wohnzümber zu Hoff“ hatte; er behielt seine Wohnung in der Hofburg nach der Aufgabe des Oberstkämmereramtes (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 64), Laxenburg, 30. Apr. 1661). <?page no="181"?> 180 quartieren oder Privatwohnungen 687 aus verrichteten, vollzog sich auch die Abgabe der Amtsgeschäfte oft ohne räumlich-symbolische Validität. Verließen dagegen die Hofdamen den Hofstaat, sei es wegen einer Hochzeit, sei es wegen des Eintritts in ein Kloster, wurden diese Austritte im Sinne eines Übertritts als Hoffeste gefeiert 688 . Der Austritt aus dem Hofstaat blieb im Grunde auch hier wegen einer auf andere Zusammenhänge gerichteten Perspektive latent, verbanden die Hochzeiten bei Hof doch zwei besonders bedeutsame Komponenten der Selbstbeschreibung des Hofes durch die Höflinge: Genealogie auf der einen Seite, kaiserlicher Gunsterweis auf der anderen Seite; deshalb zogen diese Ereignisse die besondere Aufmerksamkeit selbst der Botschafter 689 auf sich. Doch verweist die Äußerung eines Grafen Trautson aus dem Frühling 1658 über die Hofdamen mehr auf die Verbindung von Literatur und Anthropologie als auf den Zusammenhang von Norm und Symbol: „Und stimmett alles mit der Zeith des neüangehenten schönen früelings überainß, dann wie nach eröffnung der Erden, die schöne Plumen hervohrscheinen, also auch die schönen gesichter […] sonder schön geziehret und geglanzent sein.“ 690 Die Hochzeiten waren die einzige Gelegenheit, bei der Höflinge öffentlich - d.h. in Gegenwart des Hofadels 691 - an der kaiserlichen Tafel 687 Vgl. unten Kap. B.II.2.a. 688 Zu den Hofdamen in der Zeit Leopolds I. vgl. v.a. Bastl (1996), zu Eheschließungen auch Gudenus (1972a) und Gudenus (1972b), zum Heiratsverhalten im österreichischen Adel vgl. Mitterauer (1974). 689 Im Jahr 1650 berichtete die Nuntiatur u.a. von der Hochzeit der Gräfin Öttingen, einer Hofdame der Kaiserinwitwe Eleonora I. mit dem Markgraf von Baden (ASV, SG 148, 8. Jan.). Danach heirateten der Sohn des Obersthofmeisters Trauttmansdorff, Johann Friedrich, Clara von Dietrichstein, eine Tochter des späteren Obersthofmeisters und eine Gräfin Nagarol, ebenfalls Hofdame der Kaiserinwitwe, deren Silberkämmerer, einen Pötting (ebd., 22. Jan.). Weiter heirateten der General Pompei und die Gräfin Götz sowie die Gräfin Brandeis und der kaiserliche Kämmerer Rappach; diese speisten mit den Majestäten, Erzherzog Leopold und dem Herzog von Lothringen (ebd., 26. Febr.); später wurde von der Hochzeit der Gräfin Lodron, der Witwe Gallas’, mit Ferdinand von Liechtenstein, einem Sohn von Gundaker Fürst von Liechtenstein berichtet (ebd., 9. Jul.), im Sommer von der bei der Kaiserinwitwe mit einer gemeinsamen Tafel von Habsburgern und Brautleuten gefeierten Hochzeit des kaiserlichen Kämmerers Molart mit der Hofdame Gräfin Althan (ebd., 27. Aug.), im Nov. von der im Palast der Kaiserinwitwe gefeierten Hochzeit zwischen dem königlichen Kämmerer Ferdinand Wilhelm Graf Slavata und der Gräfin Náchod, die eigens dafür als Hofdame der Kaiserinwitwe aufgenommen wurde (ebd., 19. Nov.). 690 AVA, FA HR, K. 448, Trautson, Paul Sixt Graf Trautson an F. A. Harrach, Wien, 24. Apr. 1658. Auch am 22. Mai und 14. Jun. berichtete er von den Hofdamen: es gebe gerade vier Bräute; eine sei freilich noch nicht „in confesso“. Daß das Frauenzimmer eine Attraktion war, sieht man auch an den zahlreichen Grüßen, die in Briefen nach Wien an die Hofdamen gerichtet wurden. Zu Trautson vgl. Hadriga (1996), S. 92-95. 691 Ein solches Hochzeitsmahl ist im Hintergrund des Porträts eines Kammerfräuleins zu sehen (gedruckt bei Pils (1998a), S. 66; Berns (1995), Abb. 69, mit der Zuschreibung auf Anna Elisa- <?page no="182"?> 181 saßen und speisten; je nach Status der Eheleute im Hofstaat statteten die Dynasten die Brautleute für die Hochzeit mit Kleidung und Schmuck aus und vertraten Funktionen bei der kirchlichen Eheschließung. Eine ausführliche Beschreibung einer solchen (am 18. Oktober 1636 in Regensburg gefeierten) Hochzeit findet sich im Bericht über die Mission des englischen Botschafters Arundel zum Kaiser; sie zeigt die symbolische Übernahme spezifischer Bindungsformen besonders deutlich: „Alighthing from his horse, the bridegroom now advanced to meet the Emperors and the Empress, and was conducted by the Emperor and the King (of Hungary) to His Majesty’s private Chapel. Meanwhile the Empress and the Queen (of Hungary) escorted the bride to the Chapel, whereupon the Bishop, setting on the bridegroom’s head a splendid crown of diamonds and pearls belonging to His Majesty, merely joined the hands of the bridal pair when the Emperor gave the bride in marriage. Now followed the marriage supper, given in the Privy Chamber by the Emperor, at which the Emperor, Empress, the King and Queen of Hungary, the Archduchess and the Elector of Mentz and Cologne, sat at table with the married couple, the bridegroom still wearing the precious crown and the bride richly clothed at the Empress’s expense and wearing some of Her Majesty’s jewels. After the supper was concluded, the Emperor and Empress bedded the bridegroom and bride, for it is decreed that whenever a Court Lady (if she be a Maid) marries, she must spend her wedding night there (at court).” 692 Kaiser und Kaiserin vertraten die Stelle von Vater und Mutter, berührten die Brautleute und verliehen ihnen durch den geliehenen Schmuck ebenso vom eigenen Glanz wie durch die besondere Ehre des gemeinsamen Sitzens und Essens. Obschon die Hochzeiten der Hoffräulein und Kämmerer grundsätzlich bei Hof gefeiert wurden, blieb die Ausgestaltung des Festes ein jebeth von Kuefstein und Ferdinand II. mit seiner Familie, ca. 1630). Man kann in der Darstellung die Symbolisierung der mitgliedschaftlich begründeten Nähe der Hofdame zur Dynastie sehen. Im Notizbuch des Kardinals Ernst Adalbert Harrach findet sich eine knappe Beschreibung solcher Hochzeiten: Gegen 19 Uhr traute er zügig („assai brevemente“) Graf Hersan und Maximiliana von Waldstein in der „Capella privata“; danach begleiteten Kaiser und Kaiserin die Brautleute zur Tafel des Kaisers, wo man unter den Augen der geladenen Gäste wie üblich zu essen begann, bevor sich diese zum Essen an einem anderen Ort begaben (AVA, FA HR, Hs. 447, 20. Jun. 1647). Zur Öffentlichkeit vgl. die Notiz von Franz Albrecht Harrach über die Hochzeit des Grafen von Vrbna mit der Tochter des Oberstburggrafen (Bernhard Ignaz von Martinitz), der er krankheitshalber fernblieb: „Seint alle botschaffter und fast der ganze Hof und Statt darbeÿ gewesen“ (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 11. Nov. 1657). 692 Springell (1963), S. 83, 84. Der Bericht erwähnte, daß es sich bei der Braut um eine Tochter des vom Kaiser zum Tode verurteilten Grafen Schaffgotsch handelte. Vgl. dazu Schwarz (1943), S. 331: Hans Ulrich Freiherr von Schaffgotsch war Protestant und 1635 in Regensburg wegen angeblicher verräterischer Verbindungen zu Wallenstein hingerichtet worden. <?page no="183"?> 182 weils spezifischer Gnadenerweis; dies lag auch daran, daß die Präsenz des Kaisers und der übrigen Dynasten besonders dann nicht garantiert war, wenn Hofdamen der Kaiserwitwen heirateten oder dies außerhalb der jeweiligen Residenz taten: So war sich der Oberstkämmerer Lamberg anläßlich der Hochzeit seiner Tochter Eleonora mit dem Obersthofmarschall im Jahre 1662 in der Favorita als der Residenz der Kaiserin Eleonora II. nicht sicher, daß der Kaiser anwesend sein würde, hoffte aber darauf, daß dieser „uns die gnade thun“ 693 . Auch konnte es vorkommen, daß nicht Kaiser und Kaiserin, sondern lediglich Erzherzöge und Erzherzoginnen an dem Hochzeitsfest teilnahmen 694 . Auch andere Modifikationen waren möglich: So wurde bei der Hochzeit des Kämmerers Ferdinands IV. Ferdinand Wilhelm Slavata die Braut eigens für die Eheschließung in den Status einer kaiserlichen Hofdame erhoben 695 . Für die Inhaber der Ehrenämter stellte sich das Festessen als Teil ihres üblichen Tafeldienstes dar, doch zeigen sich hier Besonderheiten: So schnitt Franz Albrecht Harrach bei der Hochzeit des mit ihm befreundeten Grafen Leslie im Jahr 1647 vor, obwohl er diesen Dienst, den er als im Jahr 1640 neuernannter Kämmerer häufig versehen hatte, seit einigen Jahren kaum noch ausübte 696 ; ebenso diente er als Schenk bei der Hochzeit des mit ihm befreundeten Grafen Franz Ernst Schlick 697 . Hier erwies sich die Personalauswahl als partiell flexibel. Zu diesem Teil des Hochzeitsfestes kam die Eingeleitung und die Heimführung am Tag nach der Hochzeit hinzu, die üblicherweise eigens gefeiert wurden 698 . Die Begleitung richtete sich nach dem Rang der Brautleute bzw. dem der Eltern. Von der Hochzeit des Sohnes des kaiserlichen Obersthofmeisters Portia mit einer Tochter des Oberstkämme- 693 MZA, RA DT, K. 26, Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, Preßburg, 28. Jun. 1662. Lamberg selbst hatte - Kämmerer Ferdinands III. seit 1634 - am 25. Jul. 1635 ebenfalls „zu Wien zu Hoff“ geheiratet (OÖLA, HSt, Sch. 1219, Fasz. 8, Nr. 164). 694 So geschehen bei der Hochzeit des kaiserlichen Kämmerers und Reichshofrats Leonhard VII. Karl von Harrach, einem Sohn des Geheimen Rates Ferdinands II., Karl von Harrach, mit Maria Franziska von Eggenberg am 28. Jun. 1620. Bei der Hochzeit in der Burg waren zugegen die Erzherzöge Ferdinand Ernst (der spätere Kaiser Ferdinand III.) und Leopold Wilhelm sowie die Erzherzoginnen Maria Anna und Cecilia Renata (AVA, FA HR, K. 728, Leonhard VII. Karl, Familiensachen, Stück I). 695 ASV, SG, 148, 19. Nov. 1650. Von Hochzeit und vorhergehender Aufnahme als Kammerfräulein berichtete auch Buccelini an Wolf Engelbrecht Graf von Auersperg (HHStA, FA AP, A-21-5a, Konv. Buccelini an Auersperg, Wien, 19. Nov. 1650). 696 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 23. Apr. 1647. Zu Harrachs Beziehung zu Leslie vgl. Kap. B.II.3.b. 697 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 22. Sept. 1652. Schlick heiratete eine Weissenwolff; mit David Ungnad von Weissenwolff war Harrach befreundet; vgl. B.II.3.b. Zum Tafelzeremoniell bei den Hochzeiten Leopolds I. Bastl (1995), zum 18. Jahrhundert Barta-Fliedl (1998). 698 Heimführungen: u.a. AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 23. Okt. 1645, 20. Apr. 1649. <?page no="184"?> 183 rers Lamberg berichtete Kaiser Leopold: „Reiter waren sehr zahlreich zugegen, alle Geheimen Räte, hinter ihnen die drei Fürsten in einer Reihe, Portia in der Mitte, Lobkowitz zur rechten und Auersperg zur linken Hand. Der Bräutigam ritt zwischen den beiden Botschaftern Fuente und Molino.“ 699 Selbst in diesem Rahmen richtete sich die Ordnung der Teilnehmer der „cavalcata“ teilweise nach Gesichtspunkten der formellen Hierarchie 700 . Die Heimgeleitung führte indes aus der formellen Ordnung des Hofstaates heraus und machte Vermögen, Vernetzung und sonstige Orientierungen der Brautleute sichtbar: So heiratete der Reichshofrat Leopold Wilhelm Graf Königsegg am 13. Oktober 1658 in Wien bei Hof und feierte am 14. im Landhaus weiter 701 . Das regelmäßig vergebene kaiserliche Hochzeitsgeschenk aber erinnerte daran, daß dieser Austritt aus dem Hofstaat zugleich ein Moment öffentlich symbolisch dokumentierter Nähe von Hofadel und Dynasten darstellte. Schon deshalb, weil den Fällen des als Austritts deutlich markierten Ausscheidens aus dem Hofstaat der Ruch des Skandalons anhaftete, waren sie denn auch außerordentlich selten. Ein Beispiel ist die Entfernung eines Edelknaben Leopolds I. aus seinem Amt. Der Neffe des Oberstkuchlmeisters Graf Hohenfeld, vermutlich Otto Heinrich von Hohenfeld, war aus seinem protestantischen Elternhaus an den Kaiserhof geflohen, dort zum Katholizismus übergetreten und von Leopold I. als Edelknabe angenommen worden. Er entwickelte jedoch ein mehr als platonisches Interesse für eine Schwester des Hofbühnenbildners und Architekten Ludovico Burnacini, welches von dieser auch geteilt wurde. Da nicht nur entzückende Briefe („tanti schatzl, herzl, engel, schneewei- 699 Leopold I. italienisch an %ernín (Kalista (1936), S. 64), Laxenburg, 30. Apr. 1661. Zum Sohn des Obersthofmeisters Portia vgl. Probszt-Ohstorff (1971), S. 157, 159, 160. Die Braut war Anna Helena von Lamberg (ebd., S. 157). 700 Portia dürfte die mittlere Position als Obersthofmeister gehabt haben. Für die Reihung Lobkowitz - Auersperg kam dagegen nicht die Anciennität als Geheimer Rat zum Tragen; eher wird man an Lobkowitz’ älteren Fürstenstand oder auch den älteren Toison denken. 701 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 13. und 14. Okt. 1658 (Hochzeit und Feier im Landhaus). Königsegg stammte aus Schwaben, war 1653 Reichshofrat geworden und besaß 1658 in Wien kein eigenes Haus (vgl. Gschließer (1942), S. 265-267, Sienell (2001a), S. 164-168). Als Heinrich Wilhelm Graf von Starhemberg im Jahr 1631 seine Hochzeit mit einer Tochter des Obersthofmeisters Meggau plante, sollte im Haus des Fürsten Eggenberg, des Geheimen Rates und innerösterreichischen Statthalters, gefeiert werden, der zudem als kaiserlicher Kommissar an der Hochzeit teilnehmen sollte (OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 49, Starhemberg an seine Mutter, Wien, 11. März 1631, fol. 216-217). Zu kaiserlichen Vertretern bei Adelshochzeiten vgl. Bastl (1996), S. 217. In Graz wurde Sigmund Ludwig von Dietrichstein häufiger hierzu bestimmt (vgl. u.a. StLA, FA DTH, Sch. 8, Heft 22, Wien, 19. Aug. 1628, Ferdinand II. an Dietrichstein). Die Brautleute baten oft auch die Stände um die Entsendung von Abgesandten (StLA, LAA, III, K. 33, Hochzeitseinladungen). <?page no="185"?> 184 sse hendl”) geschrieben worden waren, entließ Leopold I. den achtzehnjährigen Edelknaben in Ungnade („con la disgratia mia“): In Gegenwart des Oberststallmeisters, in dessen Amtsbereich das Edelknabeninstitut fiel, ließ er ihn nach Art einer militärischen Degradierung seiner Livree entkleiden 702 . Es ist bemerkenswert, daß die späteren Nachfragen Leopolds I. nach seinem weiteren Schicksal bei dem kaiserlichen Botschafter in Spanien 703 zwar die Relegation offenlegen, diese aber lediglich in räumlichen Kategorien beschreiben: „er ist mein Knab gwesen, aber propter certas causas von Hof weg müssen.“ 704 Der endgültige Bruch einschließlich damnatio memoriae scheint im Bereich des kaum Vorstellbaren gelegen zu haben 705 . In den weit zahlreicheren geschilderten Fällen, in denen sich Hofleute nach Duellen ihrer Festnahme durch Flucht entzogen, finden sich keine Hinweise auf den formellen Entzug des Amtes; statt dessen drang man 702 Der Onkel schickte ihn daraufhin zur Armee nach Ungarn (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 108), Wien, 4. März 1662). Burnacini wurde nach vier Wochen aus dem Arrest entlassen (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 110), Wien, 8. Apr. 1662). Zur Degradierung: „feci cavare la livrea”, zu den Hohenfeld vgl. Wurm (1949). 703 Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 164), Innsbruck, 6. Okt. 1665 und Pribram (1903), S. 165: „Der Lecker wird sein Lebtag kein guet thun, würde nit übel sein, wann er ein wenig in Indien geschickt würde, seine Schalkereien abzuebüßen.“ 704 Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 143), Wien, 21. Jul. 1665. 705 Besonders um ehemalige Edelknaben scheinen sich die Kaiser gekümmert zu haben. Ferdinand III. ließ für seinen ehemaligen Edelknaben Globiz, der auf seiner Kavaliersreise in Paris „ohne ainigen Pfennig in höchster Noth“ war, 1.000 Taler aufbringen (StLA, FA DTH, Sch. 10, Heft 29, Ferdinand III. an Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein, fol. 92, Regensburg, 2. Mai 1653). Leopold I. wies seinen Botschafter in Venedig an, darauf zu achten, daß sich der ehemalige Edelknabe Montrichier dort keine Geschlechtskrankheiten holte und unterstützte die Reise seines Pagen, der ihm „a ipsis incunabulis (per dir così) già 13 anni continui fedelissimamente et diligentissimamente“ gedient hatte, mit 800 fl. jährlich (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 66), Laxenburg, 3. Mai 1661). Von Lyon aus sandte Montrichier dem Kaiser später seinen eigenen Diener als Kurier anstelle eines dort erkrankten Kuriers aus Spanien nach Wien: „Et così questo è il primo servizio, che il povero dopo haver havuto la spada mi fece“ (ebd., S. 112, 113, Wien, 29. Apr. 1662). Seinem Botschafter in Spanien empfahl Leopold I. einen ehemaligen Edelknaben besonders: „absonderlich aber den Zweyer, als der mir sechs Jahre vor ein Edelknaben gedient und sich allzeit also verhalten, dass er niemals einige Mortification und Straf verdient hat.“ Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 139, 149), Wien, 9. Jul. 1665. Ebenso empfahl Leopold I. diesem zwei Vettern des verstorbenen Fürsten von Portia, die sich in Spanien aufhielten: „Ramboldo [Graf Portia, M.H.], dem bin ich auch schuldig zu helfen, [dann] er ein sechs Jahr mein Edelknab gwest und fast von mir auferzogen worden, hat auch schon ein guete Anfange im Krieg, hoffe soll wohl riusciren.“ Ebd., S. 109, Wien 20. Febr. 1665. Den Tod von Michael Graf Rabatta bedauerte Leopold I., „dann wir fast mit einander auferzogen worden“ (ebd., S. 147, Wien, 5. Aug. 1665) und einem anderen ehemaligen Edelknaben, einem Althan, dem er das Studium finanziert hatte, gestattete er die geistliche Laufbahn: „fu mio paggio et condiscipulus, venne da Loviano (dove studiò a spese mie) improvisamente qui et mi diede parte, come vorrebbe farsi Giesuita; io li ho dato il mio consenso et lui appunto oggi fu da me, plenus spiritu“ (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 111), Wien, 8. Apr. 1662). <?page no="186"?> 185 auch von Seiten der Krone auf den Vergleich der Duellanten und die Wiederherstellung der kaiserlichen Gnade 706 . Ebenso verhält es sich in den Fällen, in denen Hofleute verstimmt den Hof verließen. Gundaker von Liechtenstein beispielsweise verließ nach seiner Resignation vom Obersthofmeisteramt den Kaiserhof, aber doch so, daß an ein Wiederkommen zu denken war 707 . Zahlreichen Hofleuten und anderen Personen erging es ähnlich. Die „aperta rottura“ zwischen Höfling und Kaiser, die zum Entzug des Hofamtes geführt hätte, war im Untersuchungszeitraum von höchster Seltenheit 708 . Im Zweifel reiste man einfach ab - selbst wenn dies seitens der Abreisenden „disgustato“ geschah, gewann es doch kaum Konturen. Dies auch deshalb, weil Mißerfolge am Hof regelmäßig nicht dem Kaiser, sondern vorzugsweise den üblicherweise verdächtigen Höflingen zugeschrieben wurden 709 . Wenn der Austritt aus der Organisation zwar faktisch möglich war, formell aber kaum Konturen gewann, primär auf die conditio humana abgewälzt und auch im übrigen weitestgehend latent gehalten wurde, stellt sich die Frage, was dies für die Organisation Hofstaat bedeutete. Eine Interpretation wird hier sehr vielschichtig sein können; in funktio- 706 Vgl. Anm. 848 und 841. 707 Das Beispiel von Gundaker Fürst von Liechtenstein läßt vermuten, daß ein derartiges Kommen und Gehen keine Seltenheit war: Er jedenfalls kam, ärgerte sich, und ging - und kam wieder an den Hof (vgl. Winkelbauer (1999a), u.a. S. 184, 195, 196, 295, 296). 708 Vgl. die Verbannung Auerspergs, Lobkowitz’ und Sinzendorfs im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts. Beachtlich ist bei Sinzendorf das förmliche Verfahren mit der Veröffentlichung des Urteils am 9. Okt. 1680 (vgl. Bérenger (1975), S. 364-373 und ÖNB, Cod. 14192). Lobkowitz wurde nach einer Beratung in der Geheimen Konferenz verbannt (Sienell (2001a), S. 93), Auersperg ohne Verfahren (Sienell (2001a), S. 90, 91). Für Ferdinand II. wären die Entführung Khlesls und die Tötung Wallensteins zu nennen. 709 Solche Fälle hinterließen formell kaum Spuren; man mußte wissen, warum jemand abreiste und war auf Insiderinformationen angewiesen. Beispielhaft sind die Berichte Formaninis und Colloredos an Ottavio Piccolomini über die Vergabe des Generalates in Kroatien, um das Leslie und Tattenbach konkurriert hatten. Daß Leslie es mit Hilfe Auerspergs erhalten habe, schrieben beide. Colloredo fügte hinzu, daß Tattenbach deshalb „disgustato“ abgereist sei (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 11604 18/ 2, Formanini an Piccolomini, Wien, 20. Aug. 1650, 899, 900 und ebd., Inv. #. 11373 18/ 2, 1197, Rudolf Colloredo an Piccolomini, Prag, 24. Dez. 1654). Ein Beispiel für ein Verlassen des Hofes auch aus Überdruß und mit nur halb erfülltem Wunsch bezüglich eines Regiments ist der Abzug von Johann Reichard Graf Starhemberg. Dieser war als Kämmerer mit Ferdinand III. 1647 und 1648 in Pilsen und Prag, spottete in über den „Hofkrieg” und gab seinem Wunsch, den Hof zu verlassen, mehrfach Ausdruck: Er sei des „Hoffkriegs so müde, als hette ich ihn mit löffel gesen“ (AVA, FA HR, K. 448, Starhemberg an F. A. Harrach, Pilsen, 16. Aug. 1647). Vornehmlich „aus lauter langweil unsers Hoffkriegs- und Leben, doch zugleich auch mit ainer kleinen mündlichen Commission“ reiste er zum Feldlager Tribl (ebd., Pilsen, 2. Sept. 1647). Daß er statt des gewünschten Regiments ein anderes erhielt, schrieb er dem feindlichen Einfluß Leslies zu: er habe es ihm gleich „deutsch gesagt“ (ebd., Prag, 21. Dez. 1648). Nach Kommissionen zum Feldmarschall Holzapfel und nach München (München, 16. März 1648, vgl. auch HKA, HZAB 94, fol. 241) verließ Starhemberg dann im Apr. oder Mai 1648 den Hof. <?page no="187"?> 186 naler Hinsicht wäre vor allem darauf zu verweisen, daß der so weitgehende Verzicht auf den formellen Austritt die Anforderungen an die Konsistenz der Mitgliedschaftsrolle ganz erheblich reduzierte. Wenn der nur formelle Verbleib im Hofstaat gegenüber dem formellen Austritt, der tendenziell skandalträchtig in Szene gesetzt zu werden drohte, bequem möglich war 710 , darf man davon ausgehen, daß Mißhelligkeiten weder von der Spitze noch von den Mitgliedern im Hinblick auf den Testfall Aufkündigung gern thematisiert wurden; und man sieht diese Hypothese vom Befund bestätigt. Die Organisation brauchte Abweichung und damit die Fälle des Versagens ihrer Normen weder ersichtlich zur Kenntnis zu nehmen noch zu thematisieren. Die Ordnung des Hofstaats ersparte sich diesen Testfall; so blieben auch die Selbstachtungs- und Ehrerbietungsansprüche der Hofadeligen gewahrt. Für die Domestikationsdiskussion läßt sich daraus ableiten, daß Disziplinierung durchaus stattfand - wenn und soweit die Hofleute dazu bereit waren. Dies verweist auf die Bilanz von Nutzen und Nachteil der Mitgliedschaft. Da aber das Bedingungsgefüge, das „wenn und soweit“ nicht sichtbar wurde, konnte der Anschein einer von einem breiten, ja allgemeinen Konsens der Mitglieder getragenen sozialen Sonderordnung entstehen 711 . 2. Anpassung und ihre Grenzen Dieser Anschein einer konsensgetragenen Sonderordnung wurde noch dadurch verstärkt, daß der Kaiserhof ein breites Spektrum an Situationen aufwies, in denen Elemente des Verhaltens der Höflinge zueinander formell durch die Hofordnung reguliert wurden. Dabei wird nicht allein auf Aspekte des Hofzeremoniells eingegangen, sondern auch auf die Hofkritik der Höflinge und des protestantischen Adels. Schließlich werden die Grenzen beschrieben, welche das Gewaltmonopol des Hofstaats dem Adel bei der Austragung seiner Konflikte setzte. 710 Das war möglich, weil ein Hofmann, der unter gewöhnlichen Umständen den Hof verließ, nicht eines „sozialen Todes“ starb. Selbst in Fällen des Scheidens in Ungnade waren die Kaiser nach einiger Zeit und dem Erfüllen einiger Wiederaufnahmebedinungen milde gestimmt. Zur Milde als Bestandteil des Katalogs Habsburgischer Tugenden vgl. Repgen (1990), S. 148. 711 Zum „Harmonisierungseffekt“, der durch die von der Mitgliedschaftsrolle nahegelegten Situationsdeutungen strukturiert wird, vgl. Luhmann (1999), S. 50, 51. Zu Dissens in Interaktion in Organisation vgl. Luhmann (1999), S. 269 und Kieserling (1999), S. 335-387. <?page no="188"?> 187 a. Hierarchische Ordnung des Hofstaats An anderer Stelle habe ich gezeigt, daß der Kaiserhof eine eigene Hierarchie entwickelte, die sich von der Hierarchie der Adelsränge abkoppelte. In der Interaktion bei Hof konnte es deshalb Situationen geben, in denen diejenigen Personeneigenschaften, die in Interaktion außerhalb des Hofstaats die Statusverteilung strukturierten, außer Betracht blieben: Dazu gehörten nicht nur Lebensalter, Alter der Familie, Alter der Landstandschaft, sondern auch die Einordnung in den Adelsrängen: Fürsten konnten gehalten sein, Grafen mit höherem Hofamt die Präzedenz zuzugestehen, Mitglieder des alten Herrenstandes mußten mitunter hominibus novis weichen 712 . Aus dieser Konstellation ergaben sich wichtige Konsequenzen: Die Einordnung von Personen im Hofstaat und in den Landständen bzw. im Reich lag in der Hand des Kaisers, der damit die Möglichkeit hatte, gewisse Kompatibililitäten zwischen Hofrängen und gesellschaftlichem Rang herzustellen oder es an ihr fehlen zu lassen 713 . Was sich für den Kaiser als äußerst bedeutsame Machtchance darstellte, führte auf der anderen Seite zur Frage, was die Person eines Höflings ausmache, welches Amt, welche Eigenschaften diesbezüglich relevant seien. In dem Präzedenzstreit zwischen dem Hofkammerpräsidenten mit dem Hofkanzler und dem Streit ihrer beiden Stellvertreter wurde 1658 nicht mehr auf Adelsqualitäten verwiesen. Statt dessen wurde versucht, persönlichen Rang im kaiserlichen Dienst und in den Ämtern des Hofstaats zu verankern, wobei je nach Standpunkt Amt um Amt von der Person abgeschichtet wurde. Schließlich wurde auch die Höherwertigkeit der Justiz gegenüber der Ökonomie angeführt und damit auf einer allgemeinen gesellschaftlichen Ebene argumentiert 714 . Auch aus Präjudizien und selbst aus dem Reichsrecht speiste sich das Ringen um die Behauptung von Rangansprüchen: Weil der Reichshofrat als Reichsgericht ausgestaltet war, die Reichshofräte aber Mitglieder des Hofstaats waren, konnte sich das Reichsrecht auch auf zeremonielle Rechte des Reichshofrates beziehen: 1654 wurde in der Reichshofratsordnung Ferdinands III. festgelegt, daß die Reichshofräte den übrigen Räten im gleichen Stand vorgehen sollten, was später insoweit klargestellt wurde, als es sich bei den Räten nicht um Geheime Räte handelte. Der Oberst- 712 Vgl. Hengerer (2001a), S. 356-358. 713 Am burgundischen Hof hatte sich das Verhalten der Adeligen noch primär an der Geburtshierarchie orientiert (Sterchi (2001), S. 316). Nicht zuletzt im Hinblick auf die Präzedenz im Hofstaat wurden Obersthofmeister in der Mitte der 1650er Jahre Fürsten bzw. Fürsten ausgewählt (Auersperg, Portia, Lobkowitz). Vgl. auch Ehalt (1980), S. 73. 714 Vgl. Hengerer (2001a), S. 358, Pons (2000), S. 113 ff. <?page no="189"?> 188 hofmeister aber sei im Rang dem Reichshofratspräsidenten vorgesetzt. Dagegen wurde bereits 1637 festgestellt, daß der Hofkanzler, wenn er nicht Geheimer Rat war, die Präzedenz vor den Reichshofräten haben solle 715 . Diese Spannbreite der Argumente (Problematische Personalität, Stand, Amt, Präzedenz, Reichsrecht, Relevanz von Funktionssystemen) macht deutlich, daß die Fortentwicklung der Hierarchie des Hofstaats ein außerordentlich schwieriges Unterfangen war. Die Diskussion machte verschiedene Typen sozialer Differenzierung (z.B. Adel vs. Funktion), verschiedene Optionen fürstlicher Zielorientierung (z.B. Recht vs. Ökonomie) sichtbar. Der konkrete Rang des adeligen Höflings wurde auf diese Weise zu einer entscheidungsabhängigen Folge seines Amtes; dadurch produzierte die Hierarchie des Hofstaats nicht nur eine erhebliche Nachfrage nach Hofämtern 716 , Adelsrängen und wichtigen Distinktionsmerkmalen wie dem Orden vom Goldenen Vlies 717 , sondern auch ein hohes Reflexionsniveau. Dieses legte, weil bei der Fülle möglicher Kriterien keines mehr seine unanfechtbare Richtigkeit bzw. Verbindlichkeit behaupten konnte, die Kontingenz kaiserlicher Entscheidungen bloß 718 . Ihr in der Regel im Alltag verorteter Vollzug ließ die Höflinge spüren, daß die Hofordnung band, was frei sich so nicht fügte. Entscheidungen in Zeremonialsachen waren deshalb in der Regel nicht von Konsens getragen, sondern von Herrschaft und in ihrer Legitimität zumindest zweifelhaft. Um so wichtiger war vor diesem Hintergrund der Ausbau der Möglichkeit, Entscheidungen in Rangfragen auf unproblematische frühere Entscheidungen zurückzuführen und den Eindruck zu erwecken, eine 715 Reichsrechtliche Implikationen finden sich etwa in der Reichshofratsordnung von 1654, § 9, wonach „reichshofräthe sambt oder sonders allen räthen von andern unßern mitteln (ausserhalb geheimbden raths) in gleichem standt vorgehen und vor denselben die präcedenz und oberstelle haben sollen.“ Sellert (1990), S. 71, 72. Moser (zit. ebd., Anm. 397), schrieb dazu: „Es ist auch vor diesem zwischen denen gelehrten Reichs-Hof-Räthen und denen Oesterreichischen Hof-Cantzlern (wann sie nicht geheime Räthe gewesen) in puncto praecedendiae Streit, und zwar nahmentlich mit Herrn Ferckelmann gewesen, sed Ferdin. III. A. 1637 pro hoc contra illos pronuntiavit.“ Die Präzedenz des Obersthofmeisters vor dem Reichshofratspräsidenten war in § 8 fixiert (Sellert (1990), S. 70, vgl. auch dort Anm. 391). 716 Daß der Präzedenzstreit zwischen Franz Albrecht Harrach und dem (Tiroler) Hofkanzler „hinfällig“ würde, wenn Harrach Geheimer Rat wäre, gab Gottlieb Graf Windischgräz im Nov. 1664 zu bedenken (AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an Harrach, Trauttmansdorff, 28. Nov. 1664). Der steirische Landeshauptmann Sigmund Friedrich von Trauttmansdorff bat den Oberstkämmerer Lamberg 1664 inständig um die Verleihung der Geheimratsstelle vor dem Hintergrund von Zeremonialstreitigkeiten mit dem Statthalter sowie der später zu erwartenden Präzedenzstreitigkeiten im Grazer Geheimen Rat; vgl. Kap. C.I.3.b. „Zeitverbrauch“. 717 Vgl. Kap. C.II.2.b. 718 Hengerer (2001a), S. 360, 361. <?page no="190"?> 189 neue Entscheidung liege gar nicht vor. Diese Möglichkeit bot vor allem die Anciennität, die in ihrem Bezug auf Zeit eine Referenz auf eine natürliche Ordnung enthielt und so als legitim gelten konnte 719 . Die Ämter, die für die folgenreiche Zeitrechnung des Hofes am wichtigsten waren, waren das Kämmereramt und das des Geheimen Rates. So bestimmte sich der Rang der Inhaber zahlreicher Funktionsehrenämter nach ihrer Anciennität im Kämmereramt, und auch Reichshofräte ließen sich in bestimmten Situationen von diesem gleichsam naturalisierten Kriterium aus ordnen 720 . Noch der Streit zwischen Hofkammerpräsident und Hofkanzler war 1658 unter Hinweis auf die Anciennität im Kämmereramt entschieden worden. Innerhalb der Rangordnung des Hofes gab es so befriedete Zonen, Stellen, denen kein eigener Rang zugeordnet werden mußte, wenn die Inhaber auch Kämmerer waren. Die Anciennität im Geheimen Rat entschied in einigen Fällen auch über die Präzedenz von Personen, die auch andere Spitzenämter innehatten sowie selbst über Aspekte des Ablaufs von Sitzungen des Geheimen Rates 721 . Da der Anciennität im Kämmereramt aber somit weitreichende Steuerungsfunktionen zukamen, wurde es zugleich bedeutsam, sie im 719 Bei Brüdern, die sich um den Kämmererschlüssel bewarben, scheint den Erstgeborenen kaiserlicherseits ein Vorrecht eingeräumt worden zu sein. Vgl. dazu die Schilderung Leopolds I. einer Verwechslung von Kämmereramtskandidaten: Aus Prag war Karl Maximilian Graf Lažanský nach Wien an den Hof gekommen, während der Kaiser in Laxenburg war, und bat um die Verleihung des Schlüssels: „Io li promisi la gratia.” Daraufhin reiste dieser nach Hause zurück und erkrankte. In Preßburg fand sich dann dessen jüngerer Bruder Franz Adam Lažanský ein, der um die gleiche Gnade bat. Der Oberstkämmerer glaubte, es handele sich bei dem in Preßburg anwesenden Lažanský um den von Wien nach Hause abgereisten und vereidigte ihn. Einige Tage später kam der erste und erbat die Ablegung des Eides. Erst jetzt bemerkte man den Irrtum. Nach der Beilegung des Streits zwischen den Brüdern „per l’antianità“ erhielt der Erstgeborene den Schlüssel (am 26. Mai 1662), starb aber wenige Tage später. Der überlebende Bruder, nunmehr Universalerbe („lui resta felice“), wurde noch vor dem 8. Aug. Kämmerer (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 118-120), Preßburg, 28. Jun. 1662). Auch der Bischof von Salzburg nutzte die Auffassung, einem älteren Bruder gebühre zuerst der Schlüssel, um einem seiner Brüder den Schlüssel zu verschaffen; vgl. C.I.3.b. „Kämmererschlüssel“. 720 Im Vorfeld des Eintritts der Reichshofräte Ferdinand Bonaventura Graf Harrach, Sigmund Graf Dietrichstein und Otto Heinrich Marchese di Grana am 23. April 1663 gab es Schwierigkeiten wegen der Reihenfolge ihrer Session; der Oberstkämmerer Lamberg schrieb Franz Albrecht Harrach, dem Onkel des neuen Reichshofrats Ferdinand Bonaventura, der zugleich sein eigener Schwiegersohn war, diesbezüglich, er habe diese unterbunden und hoffe, Harrach werde den anderen vorgehen, der Kaiser sei entsprechend geneigt; kämen die anderen, um sich zu beschweren, könne man sich darauf berufen, daß sie „auch in der Camer nachgehen.“ AVA, FA HR, K. 445, Lamberg an F. A. Harrach, Preßburg, 27. Mai 1662; zu den drei Reichshofräten vgl. Gschließer (1942), S. 285-287, wonach Harrach bereits 1659 ernannt wurde. Die Rangordnung, die durch den Einfluß des Schwiegervaters gesichert wurde, ließ sich über die Anciennität im Kämmereramt begründen: Harrach und Dietrichstein wurden in dieser Reihenfolge Kämmerer Leopolds I. am 17. Jan. 1658, Grana erst 1661. 721 Hengerer (2001a), S. 347, 348. <?page no="191"?> 190 Zweifel ohne allzu offensichtliche Denaturalisierung als Gegenstand der kaiserlichen Entscheidung erhalten zu können; dies galt auch für den Geheimen Rat. Für einige Kämmerer und Geheimen Räte läßt sich zeigen, daß ihnen die Bedeutung der Einreihung in das jeweilige Amt auch bewußt war. Nach dem Tod Ferdinands IV. wurden die Kämmerer des Erzherzogs Leopold neu gereiht; in diesem Zusammenhang wurde berichtet, daß aufgrund des Protests („strepito“), den neben einigen anderen der Reichshofratspräsident Öttingen zugunsten seiner Söhne geltend machte, der Kaiser die eben erst neu beschlossene Rangfolge der Kämmerer nochmals neu festlegte 722 . Ähnliches läßt sich für die Geheimen Räte beschreiben: So wurde 1665 Humprecht Johann Graf %ernín einen Tag vor dem Statthalter Starhemberg als Geheimer Rat vereidigt, womit letzterer „ubel zufrieden“ war 723 . Gegenstand der Auseinandersetzung war eine solche Differenz auch bei der Vereidigung von Georg Ludwig Graf von Sinzendorf (Hofkammerpräsident) und Hans Joachim Graf Sinzendorf (Hofkanzler) zu Geheimen Räten. Am 25. Juli 1659 sollte der Hofkammerpräsident vereidigt werden, weshalb der Hofkanzler am Vortag noch verreisen wollte, damit er, über dessen Ernennung der Kaiser noch keinen günstigen Bescheid erteilt hatte, seinem Konkurrenten nicht auch noch den Eid vorhalten müsse; das konflikgeladene Verhältnis wurde dadurch teilweise befriedet, daß beide am 25. Juli vereidigt wurden, der Hofkammerpräsident aber vor dem Hofkanzler 724 . Von Hof aus wurden Inhaber beider Ämter bewußt differenziert, d.h. auf verschiedene Anciennitätspositionen gebracht. In einem Fall wurde das ausschlaggebende Dekret für einen der Kämmerer einfach um einen Tag nachdatiert 725 . Eine solche aber Differenz von nur einem Tag taucht bei den Kämmerern Ferdinands III. ca. 15 mal auf - daß damit die 722 Ferdinand III. hatte die Folge Dietrichstein, Rabatta, Collalto, Caprara festgelegt und damit einige Kämmerer des Erzherzogs zurückgesetzt (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12535 19/ 2, Raimondo Montecucoli an Piccolomini, Wien, 1. Aug. 1654). Piccolominis Neffe Caprara wurde als ehemaliger Kämmerer Ferdinands IV. so begünstigt. Aufgrund des u.a. vom Reichshofratspräsidenten, dessen Sohn Wilhelm seit 1651 Kämmerer Leopolds und ursprünglich auf Rang vier gewesen war, vorgebrachten Protests änderte der Kaiser seinen Beschluß: Rabatta blieb erster Kämmerer, darauf folgte Dietrichstein (anders: SOA Prag, RA St, 49, Liste 208). Die übrigen Kämmerer, die vom König zum Erzherzog wechselten, wurden denen des Erzherzogs nachgeordnet (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12536 19/ 2, Montecucoli an Piccolomini, Wien, 5. Aug. 1654). Caprara fiel so zurück. 723 AVA, FA HR, K. 449, Gottlieb Graf Windischgrätz, Wien, 2. Sept. 1665. 724 Vgl. Anm. 661 am Ende. 725 Vgl. Hengerer (2001a), S. 356. <?page no="192"?> 191 Möglichkeit eröffnet wurde, ein breites Spektrum von Differenzierungskriterien zur Anwendung gelangen zu lassen, liegt auf der Hand 726 . In diesen Zusammenhang gehört auch die Ausstellung von Dekreten, aufgrund derer erst später angetretene Ämter verliehen wurden, nach denen jedoch explizit die jeweilige Anciennität berechnet wurde; für einen Kämmerer Leopold I. ist ein solches belegt 727 , für Geheime Räte gibt es mehrere Belege 728 . Leopold I. stellte diese Bestimmung bei der Ernennung seines Botschafters in Spanien Pötting als besonderen Gunstbeweis heraus: „Ich bin aber sonst mit Euch gar content, und dessen ein wahres Zeichn Euch zu geben, habe ich Euch zu meinem wirklichen geheimen Rath angenommen, wie dann der Graf von Lamberg das gebräuchige Decret (von dessen dato an Euch zugleich die Anciennität laufen thuet) zuschicken wird.“ 729 Die Anciennität im Kämmereramt und bei den Geheimen Räten lieferte so zwei varibel gestaltbare und scheinbar natürliche Ansatzpunkte für weite Bereiche der Rangordnung des Hofstaats. Problematisch wurde hier die Einordnung der Geheimen Räte in Graz. Kaiser Ferdinand II. hatte den innerösterreichischen Ländern beim Antritt der Nachfolge im Reich, den Königreichen und seinen übrigen habsburgischen Territorien eine sehr weitgehende bürokratische Selbständigkeit und damit auch den vormals erzherzoglichen Geheimen 726 So etwa bei: Schwarzenberg und %ernín (2. und 3. Jan. 1637); Losenstein gegenüber von Vrbna, Teuffel und Piccolomini (5. bzw. 6. Apr. 1637); nach widersprüchlichem Ausweis der Verzeichnisse Traun, Martinitz, Tessio und Waldstein (4. und 5. Mai 1639); Forgách und Wesselényi gegenüber Rottal (21. und 22. Sept. 1646); Metternich vor Bournonville (10. und 11. Febr. 1649); Truchseß von Friedberg vor Mikolitsch (24. und 25. März 1650); Hyzerle vor Homoncy, Balassi vor Proskowski (3. und 4., 7. und 8. Apr. 1652); Pappenheim vor Schellardt (23. und 24. März 1653); das Verhältnis von Pötting und Hohenzollern (12. und 13. Mai 1653) ist problematisch, weil der spätere früher geführt wurde; Johann Franz, Johann Eusebius und Christoph Rudolf Fugger (25. und 26. Mai 1653); Alexander und Ferdinand Gottfried Veleen (9. und 10. Jun. 1653); Schaffgotsch und Götz (11. und 12. Nov. 1654); Sternberg, Caretto, Wisniez gegenüber Metternich (20. und 21. Sept. 1656). 727 Das Dekret Ferdinands III., nach welchem die Dienstzeit nicht vom Dienstantritt, sondern vom Dekret an berechnet werden sollte, unterlief die Anweisung, nach welcher Kämmerer zwei bis drei Jahre wirklich dienen sollten. Ein solches Dekret wurde für Helmhard Ungnad von Weissenwolf als Kämmerer Erzherzog Leopolds ausgestellt (OÖLA, HSt, Sch. 1240, Fasz. 30, Nr. 631 Varia, Dekret Ebersdorf, 21. Aug. 1654, Kopie). 728 Ferdinand III. ernannte Johann Maximilian Graf von Lamberg am 3. Jun. 1652, kurz bevor dieser als Botschafter nach Spanien ging, zum Geheimen Rat mit der Bestimmung, er solle den Eid nach seiner Rückkehr ableisten, die Session aber nach der Anciennität der Ernennung haben (OÖLA, HSt, Sch. 1227, Fasz. 16, Nr. 250, Konv. Geheimer Rat, Kopie). Kurz zuvor, am 14. März 1652, hatte er Lamberg den Geheimratstitel erhalten (ebd.). Nach dem Tod Ferdinands III. war Lamberg über seine Anwartschaft beunruhigt. Per Dekret von Prag, 28. Aug. 1657 bestätigte Leopold I. die alte Regelung (ebd., Sch. 1232, Fasz. 21, Nr. 350, Prag, 28. Aug. 1657; vgl. Anm. 232; vgl. die Liste der Geheimen Räte in APP). 729 Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 155), Wien, 2. Sept. 1665. <?page no="193"?> 192 Rat in Graz als hinterlassenen Geheimen Rat belassen 730 . Im Laufe der Zeit wurde das Verhältnis zwischen den beiden Ratsgremien aufgrund personeller Überschneidungen indes problematisch. Im Februar 1654 wandte sich der hinterlassene Geheime Rat Kolonitsch aus Graz an den kaiserlichen Obersthofmeister Dietrichstein und setzte ihn von den vermuteten Zwecken einer Reise des innerösterreichischen Kriegsratspräsidenten Tattenbach an den Hof nach Regensburg in Kenntnis: Dieser wolle zulasten seiner Person und des Grafen Saurau die Stelle eines kaiserlichen Geheimen Rates erbitten, was in Graz Präzedenzprobleme bewirken könne. Damit warf er die schwierige Frage nach dem Status dieser hinterlassenen Geheimen Räte auf: Wenn man glaube, sie seien nicht kaiserliche Geheime Räte, sondern nur solche der innerösterreichischen Länder, würden sie den Kaiser bitten, er möchte sie „vermöge alten herkommens“ nicht allein als innerösterreichische, sondern als wirkliche Geheime Räte „declariern“. So seien die Vorgänger Wagensperg und Scherffenberg „ohne distinction“ für des Kaisers wirkliche Geheime Räte gehalten worden; auch habe (Ulrich Christph) Scherffenberg als älterer Geheimer Rat dem Grafen Dietrichstein vorgesessen, obschon dieser auch zu kaiserlichen Ratssitzungen einberufen worden sei 731 . Ungeachtet des Briefes wurden am 13. und 16. August 1654 der Bischof von Seckau (Aldringen) sowie Graf Tattenbach als kaiserliche Geheime Räte beim Kaiser in Ebersdorf vereidigt, wobei ihnen auch die Session im dortigen Geheimen Rat eingeräumt wurde, der von einem Berichterstatter in diesem Zusammenhang zur Klarstellung als „consiglio di stato” bezeichnet wurde 732 . Dies veranlaßte Kolonitsch im November zu einer Remonstration: Weil der Kaiser die Session im Geheimen Rat auch „daraussen“ zugewiesen habe, stehe zu befürchten, daß bei jeder weiteren Stellenbesetzung im Geheimen Rat in Graz die Stelleninhaber den Eid beim Kaiser ableisten und dort die Session erhalten wollten. Daraus aber würde in Graz „ratione votorum und praecedentiae abermahlen ein disput entstehen“. Weil er in Graz die Session nach dem Grafen Tattenbach habe, erbitte er diese auch im Geheimen Rat „daraussen“, was im 730 Thiel (1916); Thiel (1930). 731 MZA, RA DT, K. 447, 1911/ 113, Otto Gottfried Graf Kolonitsch an Maximilian Fürst Dietrichstein, Graz, 16. Febr. 1654. Zu Kolonitsch vgl. Maurer (1887), S. 18, 19. 732 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 12v, 15. Der innerösterreichische Statthalter und Bischof von Seckau Aldringen legte am 13. Aug. 1654 vor dem Kaiser den Geheimratseid ab, Wilhelm Leopold Graf Tattenbach, innerösterreichischer Kriegsratspräsident, folgte ebenfalls in Ebersdorf am 16. Aug. Am 28. März 1656 wurde Wolf Rudolf Graf Saurau als „herausiger“ Geheimer Rat vor dem Kaiser vereidigt (, fol. 15). Die Bezeichnung „consiglio di stato“ findet sich in SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12537 19/ 2, Wien, 15. Aug. 1654. <?page no="194"?> 193 Zweifel dadurch zu erreichen wäre, daß er beim Kaiser den Eid „auch daraussen“ ablege 733 . Doch nicht Kolonitsch, sondern Wolf Graf Saurau, wie Kolonitsch innerösterreichischer hinterlassener Geheimer Rat seit 1651, legte bald darauf als „herausiger“ Geheimer Rat beim Kaiser das Jurament als Geheimer Rat ab. Dabei kam es zu der Lösung des von Kolonitsch herausgearbeiteten Problems: Der Kaiser entschied im März 1656, daß „auch die jezige übrige gehaimbe Räth zu dero herausigen gehaimben Räthen, in der ordnung, wie Sÿ darinen zu Gräz sizen, und es aniezo alhier ist, gnädigst aufgenomben, doch daß Sÿ alzeit den drinigen negotien und Sessionen abwarthen sollen.“ 734 Damit war klargestellt, daß die innerösterreichischen hinterlassenen Geheimen Räte Mitglieder des (beim Kaiser tagenden) kaiserlichen Geheimen Rates waren und so die Einheit des kaiserlichen Geheimen Rates wiederhergestellt war. Anciennitäts- und Statusdiskrepanzen waren damit formell beseitigt; de facto löste man das Problem dadurch, daß man auf der räumlichen Trennung der Gremien beharrte 735 . Nicht immer ließen sich hierarchierelevante Probleme so elegant lösen; sie konnten ganz im Gegenteil auch genutzt werden, um Höflingen das Verweilen im Hofstaat oder im Amt unzumutbar zu machen. Höflinge wachten über die Erhaltung ihrer aus der Hofordnung erwachsenden Rechte vor allem im Hinblick auf Präzedenz und das für Gremien analoge Problem der Session und sicherten sich bei Modifikationen der Amtsführung, welche diese zu gefährden in der Lage waren, nach Möglichkeit mit Dekreten ab. Dies gilt auch für den problematischen Wechsel zwischen kaiserlichen Ämtern, die zwar nicht Hofämter, aber mit dem Hof eng verbunden waren, sowie für den Wechsel aus der niederösterreichischen Regierung in das Verordnetenamt. Peter Freiherr von Molart etwa, der auch Obersthofmeister der Kaiserin Eleonora I. war, wurde 1640 Verordneter des niederösterreichischen Herrenstandes, nachdem der Kaiser ihm die Reservierung seiner niederösterreichischen Regimentsratsstelle bestätigt hatte 736 . Nachdem seine Rückkehr 1648/ 49 sich nicht ohne Schwierig- 733 MZA, RA DT, G 140, 447, 1911/ 113, Otto Gottfried Graf von Kolonitsch an Maximilian Fürst Dietrichstein, Graz, 14. Nov. 1654. 734 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 15. 735 Die auf den zentralen Geheimen Rat bezogenen Listen für die Regierungszeit Ferdinands III. führen die neuen Grazer Geheimen Räte bis 1665 aber nicht auf. 736 AVA, FA TM, K. 141, F. 7, Nr. 35, fol. 212-221. Molart schrieb am 14. Mai 1648 an den Obersthofmeister (parallel zu einer Bittschrift an den Kaiser, ebd., fol. 220-221v), daß er seit 1640 Verordneter geworden und ihm die Regimentsratsstelle reserviert worden sei; nun bitte er um Wiedereinräumung und um den Vizestatthaltertitel. Er fügte ein Empfehlungsschreiben der Kaiserinwitwe Eleonora I. vom 14. März 1649 mit Hinweis auf seinen Dienst als deren <?page no="195"?> 194 keiten vollzogen hatte, bestand der niederösterreichische Regimentsrat (auch Kämmerer König Leopolds I.), Johann Franz von Lamberg, bei seinem Wechsel ins Verordnetenamt darauf, daß er den Regimentsposten „in der Ordnung allermassen er selbe derzeit bedienne“ später wieder antreten könne und erhielt die diesbezügliche Zusicherung Ferdinands III. 737 Ähnliches findet sich in bezug auf Hofämter: So wurde dem Hofkammerrat Johann Quintin Jörger 1660 im Rahmen seiner weitgehend in sein Belieben gestellten Abwesenheits- und Urlaubsregelung versichert, daß auch für den Fall längerer Abwesenheit nicht allein seine Besoldung und deren Anweisung, die Hofquartierfähigkeit, das Salzdeputat, die Neujahrsverehrung als die übrigen „accidentien unndt regalien“ erhalten bleiben sollten, sondern auch „Stimb unndt Session“ 738 . Der Hofkammerpräsident aber war bestrebt, Jörger von seiner Amtstätigkeit fernzuhalten, was ihm 1665 auch gelang 739 . Jörger beklagte sich deshalb im November 1666 beim Oberstkämmerer unter Verweis auf das kaiserliche Dekret und bat um diesbezügliche Weisung an den Hofkammerpräsidenten 740 ; diese Klage hatte den Erfolg, daß Sinzendorf nunmehr versuchte, Jörger dadurch von den Sitzungen der Hofkammer fernzuhalten, daß er auf Zurücksetzung Jörgers in der Session sann, was diesen zu einer neuerlichen Eingabe beim Oberstkämmerer veranlaßte: „Beÿ der khaÿl: Hof Cammer gehen nach ordnung der von Losenthal, Jörger und Weissenwolf in den Raht; aniezo aber will der von Losenthal persuadirt werden, dem von Weissenwolff seine stell zu cediren, in mainung weillen der Jörger ihme Losenthal nachgehen, auch folgendts dem von Majordomo bei (ebd., fol. 215); wegen des Titels führte sie die Beispiele Teuffel und Weber an. Die Regimentsratsstelle war per Dekret vom 19. Dez. 1639 reserviert worden (fol. 217). 737 NÖLA, FA LM, K. 21, Nr. 279. Die Reservierung der Regimentsratsstelle mit Vorbehalt der Anciennität datiert von Wien, 8. März 1657. 738 OÖLA, HSt, Sch. 1238, HSt, Sch. 1238, Fasz. 27, Nr. 522, 26. Mai 1660, vgl. Anm. 659. Zu den Jörger vgl. Wurm (1955), zu Johann Quintin Jörger S. 198-205. 739 Nach Jörgers Darstellung reichte es dem Hofkammerpräsidenten nicht, seine Bemühungen um das Amt des Hofkanzlers zu hintertreiben; Jörger erinnerte auch daran, „daß er mich ohne exempel von meinem ordinari sitz wieder-recht und billigkeit verstoßen“, womit er auf seine zeitweise Entfernung aus der Hofkammer anspielte (OÖLA, HSt, Sch. 1238, Fasz. 27, Nr. 522, Johann Quintin Jörger an Johann Maximilian Graf von Lamberg, Wien, 18. Nov. 1665). 1672 schrieb Jörger an Lamberg über Sinzendorf Klartext: „3 o . ist notorium: das er sein particulare mit denen cameralibus vermischt und des aerarij nicht verschonet, welches ich schon dazumahl vi juramenti & cum periculo offensionis geantet“ (ebd., Wien, 6. Apr. 1672, kursiv: nachgetragen). Zum Streit zwischen Jörger und Sinzendorf vgl. auch Anm. 1474 am Ende. 740 OÖLA, HSt, Sch. 1238, Fasz. 27, Nr. 522, Jörger an Lamberg, Wien, 20. Nov. 1666. In dem Brief ließ er durchblicken, daß er von der Kammer „ex odio mei“ ferngehalten werde. <?page no="196"?> 195 Weissenwolf werde weichen müessen.“ Dieser Versuch sei ersichtlich „zu meiner exclusion“ angelegt 741 . Auf Exklusion konnte man besonders deshalb abzielen, weil das Hofzeremoniell bezüglich des Verhaltens von Höflingen vor allem ihre Anordnung im Raum betraf. In Gremien verfeinerte sich zwar die Differenzierung von Verhaltensdimensionen nach verschiedenen Kriterien: So wurde das Verhalten von Geheimen Räten etwa nach Session, Präzedenz und Rederecht differenziert, was eine Berücksichtigung verschiedener Relevanzen - v.a. Stand und Anciennität - ermöglichte 742 . Im übrigen aber ging es bei zeremoniellen Anlässen in der Regel im wesentlichen um die räumliche Anordnung der Höflinge. Sich dieser zu entziehen, war für in der Residenz anwesende Höflinge deshalb problematisch, weil ebenso wie zu den Gremiensitzungen auch zu größeren zeremoniellen Anlässen explizit geladen wurde. Auf Befehl des Kaisers wurden die häufig als Ansage bezeichneten Aufforderungen an Höflinge, aber auch an sonstige kaiserliche und landesfürstliche Bediente sowie die Landstände auf verschiedenen Wegen übermittelt 743 . Die Teilnahme an den „functiones“ war deshalb regelmäßig Teil der Dienstpflicht. Fernbleiben fiel auf und wurde auch thematisiert - so wurde der Umstand, 741 OÖLA, HSt, Sch. 1238, Fasz. 27, Nr. 522, Jörger an Lamberg, Wien, 6. Jan. 1667 (Siegel ausgeschnitten), Sinzendorf gehorche dem Kaiser nicht, Weissenwolff werde vorgezogen. Jörger machte geltend, daß beim Adel Ehrenfragen kein Geschäftsgegenstand sein könnten: daß „dergleichen cessiones in reputationssachen nicht beÿ dem Adel, gleich wie die commercia under denen mercurialisten (von welchen gehalten wirdt, dz sie ihre actiones mehr ad avaritiam als ad punctum honoris dirigirn), mögen exercirt werden.“ Vgl. (Hengerer (2001a), S. 358). 742 Hengerer (2001a), S. 352, 353. 743 Vgl. hier nur einige von vielen Beispielen: Nach dem Tod Eleonoras I. kamen Ferdinand III. und die anwesenden Botschafter von Ebersdorf nach Wien: „undt so wohl die Cavalier des Landts, als Hoff Cavaliri, und Damas, sich beÿ diser Solennitet eingefunden, undt zwar denen Pottschafftern, Hoff Cavaliern undt ihren gemahlinen, von denen Hoff fouriern des tags vorhero hiezu ordentlich angesagt, die Cavlieri, undt Damen des Landts von den Landtmarschalchen eingeladen, denen Praelathen aber, von der österreichischen geheimen Hoff Canzleÿ aus, zu verrichtung der gewöhnlichen Cremonien zu erscheinen intimirt worden, den Cardinal aber, Nuntium Apostolicum undt Bischoffen von Wien, haben Ihr fürstl. Gnaden von Diettrichstein“ eigens durch den kaiserlichen Aumonier einladen lassen (HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 12, fol. 268, 268v). Ein ausführlicher Bericht über Tod, Kondukt und Bestattung der Kaiserin Maria Anna († 1646) in NÖLA, StäAk, A-9-31. Zur Taufe des Erzherzogs Carl Joseph am 11. Febr. 1657 wurde „wie sonst gewöhnlich, denen hochen Ministris, Cammerern, und Hoff Cavaglieren, wie nit weniger denen geheimben Raths, und Cammerern frauen, umb selbe stundt beÿ Hoff zuerscheinen, und zwar denen Cavagliern in Ihro kaÿserlichen Majestät Ante Camera, denen Damas aber in Ihro Majestät der Kaÿserin Ante Camera sich einzufindten angesagt, benebens auch die anwesende Potschaffter hierzu absonderlich eingeladen, und der Nuntius Apostolicus ersuecht worden, daß er die […] Tauff verrichten wolle.“ HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 23, fol. 418-19v. Bei den offiziellen Antrittsaudienzen der Botschafter wurden den Höflingen das Erscheinen in den Vorzimmern anbefohlen; so waren bei der ersten Audienz Pannochieschis „an diesem Morgen alle Räume voller Kavaliere und Herren, die dazu eigens eingeladen worden waren“ (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 134). <?page no="197"?> 196 daß die Obersthofmeister Trauttmansdorff und Auersperg nach Möglichkeit allen „functiones“ fernblieben, auf schwebende Präzedenzprobleme zwischen diesen und den Fürsten im Hofdienst zurückgeführt 744 . Über den Präzedenzstreit ließ sich mit dem durch die Hofordnung eingereihten Körper die Person angreifen, aber auch die Hofordnung insoweit in Frage stellen. Doch erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam es soweit, daß Leopold I. besondere Maßnahmen ergreifen mußte, damit der Hofadel etwa den Theateraufführungen wegen der schwebenden Rangstreitigkeiten nicht in zu großer Zahl fernblieb 745 . Daß es soweit kam, wird man auf eine Vielzahl von Faktoren zurückführen müssen. Der Grad der schriftlichen Dokumentation von zeremoniellen Anlässen stieg vor allem im 17. Jahrhundert erheblich an und dies sowohl in der thematischen Breite als auch in der Dichte 746 . Der Rückgriff auf die frühere Handhabung von Zweifelsfällen war grundsätzlich möglich 747 . Bedeutsam wurde das 1652 angelegte Hofzeremonialprotokoll, das seine Existenz dem gescheiterten Versuch einer Reform der Hofordnung verdankte und anstelle von Systematisierung auf Dokumentation setzte, damit aber Systematisierungen Vorschub leistete 748 . Doch ist auch auf den Stellenwert der Dokumentation von zeremoniellen Veranstaltungen durch Druckwerke 749 und die Dokumentation 744 Vgl. Hengerer (2001a), S. 347, und Anm. 1036. 745 Pons (2000), S. 127, und Sommer-Mathis (1995), S. 517, 518; Mittel waren Geschenke, Strafdrohungen oder Entgegenkommen in zeremoniellen Fragen. 746 Zur Verschriftlichung vgl. Duindam (2001b). 747 So schrieb Leopold I. über das Zeremoniell seiner Braut in Italien: „Dass ich solle den governador in Mailand instruiren, wie es allda mit den principibus Italiae gehalten werde, ist ein ziemlich harte Nuss, ich lasse aber die priora aufsuchen, obwohlen seit Maximiliani secundi Zeiten kein Exempel vorhanden.“ Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 217), Wien, 28. Apr. 1666. 748 Gundaker von Liechtenstein riet schon 1641, einen „magistrum ceremoniarum“ und „ein Prothocoll [zu] halten, wie es zu Hoff und anderstwo gehalten worden mit denen terminis ceremoniarum, damit man ein Nachrichtung haben könne bey denen Solleniteten und Ambasciaten.“ Mitis (1908), S. 114, vgl. auch Men"ík (1899), S. 461, Žolger (1917), S. 155, Duindam (2001a), S. 194. Häufig aber wurde ad-hoc entschieden. Noch während der Reise Ferdinands IV. nach Mailand erörterten Ferdinand III. und der königliche Obersthofmeister, Auersperg u.a. die Handreichung und Präzedenz gegenüber dem päpstlichen Legaten. Weil der Kaiser keine Abwehr des Handreichungsanspruches ableiten konnte, plädierte er für eine differenzierte Lösung und die Vermeidung eines Treffens außerhalb von Quartier und Wohnung des Königs (HHStA, FA AP, A-II-28, Briefe, Nr. 157: Ferdinand III. an Auersperg, Preßburg, 27. Apr. 1647, mit e.h. Zusatz). Als Herzog Karl von Lothringen am 31. März 1662 nach Purkersdorf bei Wien kam, wußte man nicht recht, was zu tun sei. Die Kaiserinwitwe Eleonora II. sandte ihm den Grafen Santilier, zunächst in Schönbrunn; am 1. Apr. sandte daraufhin Leopold I. den Kämmerer Sigmund Graf Dietrichstein, um Lothringen einzuholen (AVA, FA HR, K. 449, Gottlieb Graf Windischgrätz an F. A. Harrach, Wien, 1. Apr. 1662). 749 Einen Umschwung scheint es in der Mitte des 17. Jahrhunderts gegeben zu haben. Gedruckt wurden nunmehr vermehrt auch Berichte über Erbhuldigungen, so beispielsweise über <?page no="198"?> 197 durch die Inhaber nicht nur des Obersthofmeisteramtes hinzuweisen; ebensowenig ist die Archivierung der auf Zeremonialstreitigkeiten von Höflingen eingereichten Eingaben 750 und der Sammlungen von Dokumentationen durch Höflinge zu unterschätzen. Die Intensivierung der Dokumentation wurde nicht allein durch die Ämter des Hofstaats vorangetrieben. 1639 noch war dem außerordentlichen Nuntius Matthei in seiner Instruktion aufgegeben worden, er solle sich beim ordentlichen Nuntius über Angelegenheiten wie Präzedenzfragen und die Behandlung von Höflingen, Fürsten und anderen informieren und sich an die Usancen seines Vorgängers halten 751 ; auch 1652 instruierte der alte Nuntius diesbezüglich mündlich seinen Nachfolger 752 . Ein folgenreicher Streit zwischen dem Nuntius und dem spanischen Botschafter, der aus Unkenntnis des vorheringen Nuntius Melzi über die Usancen der Handreichung gegenüber kaiserlichen Kämmerern entstanden war, trug dazu bei, daß der Nachfolger, Pannochieschi, wohl als erster ein umfassendes Zeremonialprotokoll über seine Nuntiatur anfertigen ließ 753 . b. Sinn und Kritik Die Summe dieser zeremoniellen Regeln 754 wird auch in der aktuellen Forschung vornehmlich im Sinne der kaiserlichen Herrschaftsrepräsentation interpretiert, wonach die „von der Gesellschaft akzeptierten ‚Wahrheiten’ in der Repräsentation zum Ausdruck gebracht wurden.“ 755 Nun ist der Hinweis auf repräsentative Strategien der Darstellung fürstlicher Herrschaft zwar fraglos richtig - er wäre im Sinne Kruedeners freilich dahingehend zu ergänzen, daß zum einen der Begriff der Prätention die Huldigung der niederösterreichischen Stände für Ferdinand IV. (vgl. Gerhardt (1995), Abb. 198, 199). Auch die Huldigung der Stände des Landes Österreich ob der Enns am 30. Jun. 1652 wurde in einem Druck festgehalten („Beschreibung der Erbhuldigung / in dem Erz=Herzogthumb Oesterreich ob der Enns“, Linz 1656; HHStA, ÖA, Oberösterreich, Fasz. 5, 8 a , LK/ K/ 18, fol. 110-141). 750 Vgl. HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. 124 a, Nr. 7, fol. 357-358v, Oberststallmeister versus Obersthofmarschall; ÖNB, Cod. 7418, Hofkanzler versus Hofkammerpräsident. 751 ASV, FP, 21, fol. 120v-156v: Instruktion für Nuntius Mattei, Rom, 27. Apr. 1639, fol. 154v, Abschrift. Zu Mattei, Nuntius 1639-1644, vgl. Squicciarini (1999), S. 137, 138. 752 ASV, FP, 210, fol. 3, 3v: danach kam Pannochieschi am 3. Nov. 1652 in Wien an; sein Voränger Melzi empfing ihn bald, „per informarlo delle cose più essentiali circa la Carica da lui essercitata, per lo spatio di 9 anni.“ Zum Gebäude der Nuntiatur vgl. Lindeck-Pozza (1974), zu Melzi, Nuntius 1644-1652, vgl. Squicciarini (1999), S. 139, 140. 753 BAV, Vat. lat. 10423. Vgl. für den späteren Nuntius Caraffa BAV, Borg. lat. 80, fol. 1-18. 754 Neuerdings vgl. Pons (2000). Zu den Wahlen und Krönungen in Frankfurt vgl. Wanger (1994), zum Tanz bei Hof vgl. Sommer-Mathis (1992). 755 Pons (2000), S. 33. <?page no="199"?> 198 vielfach weit eher angebracht wäre 756 . Zum anderen läßt sich von der Teilnahme des Hofadels an der Repräsentation fürstlicher Herrschaft nicht darauf schließen, wieweit Deutungsangebote angenommen wurden, sondern lediglich feststellen, daß durch stetes Mitmachen der Druck gegen die Äußerung abweichender Auffassungen zunahm: Der Rückgriff darauf, daß „vieles am Wiener Hof [...] traditionell im Bewußtsein der Hofstaatsmitglieder und auch der Habsburger verankert“ und „mehr oder weniger unbewußte Übernahme bzw. Teil einer ‚kollektiven Identität’“ bzw. Mentalität gewesen sei 757 , verdeckt die Differenzen von Kommunikation, Verhalten und Bewußtsein, von Konformität und mitlaufender Kritik und den Blick auf alternative Foren und Formen subversiver Positionen des Hof- und sonstigen Adels. Nimmt man diese in den Blick, stellt sich die Frage, wie und ob der Symbolhaushalt situativ zur Geltung kam. Beispiele dafür, daß häufig die als Höhepunkte der Herrschaftsrepräsentation interpretierten Veranstaltungen wie Krönungen und Erbhuldigungen oder theatralische Aufführungen die Höflinge nicht erreichten, sind keine Seltenheit: So hatte etwa der kaiserliche Kämmerer Franz Albrecht Graf Harrach kaum Gelegenheit, sich am 18. September 1653 von der Krönung beeindrucken zu lassen, mußte er doch am Tor der Kirche Wache halten 758 . Berichte von Feiern anläßlich Erbhuldigungen aus der Hand von Adeligen enthielten in der Regel Hinweise auf „fressen und saufen“ 759 als auf die Erhabenheit des Geschehens, deren Darstellung man Druckwerken oder der offiziellen Dokumentation überließ 760 . Auch Kaiser Leopold I. berichtete 1665 nach der Erbhuldigung in Innsbruck in diesem Sinne an seinen Botschafter in Spanien: „Nebst diesem thue ich Euch zu wissen, dass die vorige Woche die Huldigung gehalten und gar wohl passirt. Weilen ich aber weiß, dass die Leut gar viel reden, als hab ich Euch dies Nachfolgende berichten wollen. Nämlich eben am selben Tag, weil die Stände mit Saufen und Fressen lustig sich gemacht, habe ich mich auch etwas divertiren wollen.“ 761 Im Fasching 1665 sandte ein Graf Scherffenberg an Harrach u.a. ein Exemplar der bei Hof aufgeführten Oper „welche gewißlich schön were“ und eine Liste über eine Nationenwirtschaft, mit der er gleichfalls zufrieden 756 Kruedener (1973), S. 22-24. 757 Pons (2000), S. 15; zur Kritik am Mentalitätsbegriff vgl. Schlögl (1995), S. 18. 758 „nicht vil gesen“ (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 18. Sept. 1653). 759 „vorgestern ist die huldigung mit fressn, und sauffen passiert“ (AVA, FA HR, K. 444, Leopold Wilhelm Graf Königsegg an F. A. Harrach, Klagenfurt, 4. Sept. 1660). 760 Vgl. Orttenfels (1660). 761 Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 174), Wörgl, 27. Okt. 1665. <?page no="200"?> 199 war: „Ich alter Jung Gesell [...] bin wohl contentiert worden mit einem Weib“; hinsichtlich der übrigen Qualität aber wußte er zu berichten, daß „lauter unhärbares“ zu hören war, so daß Leopold I. es „selbsten beendt hett“ 762 . Der Reichshofrat Windischgrätz schrieb 1664 in einem Brief an Harrach: „die letzte comedie hete schlechter nicht sein können, dahero habe ich gar kein exemplar schüken mögen“ 763 . Gundaker Fürst von Liechtenstein formulierte im Hinblick auf die Belastung der Untertanen grundsätzliche Kritik an aufwendigen Festveranstaltungen 764 , und auch Adolf Ehrenreich Graf Puchheim deutete in seinem Bericht über die an der Ruhr erkrankten Soldaten aus Komorn gewisse Schieflagen an: „hier ist elendt über elendt [...] ahn statt der wienschen comedien hier neue tragoedien“ 765 . Bemerkenswert ist, daß solche Kritik vornehmlich in Korrespondenzen von gleichrangigen und langjährigen Bekannten zu finden ist. Dies deutet darauf hin, daß skeptische Bemerkungen sich nicht mit den Erwartungen vertrugen, denen sich die Höflinge ausgesetzt wußten und zugleich, daß darauf außerhalb intimerer Kommunikationszusammenhänge Rücksicht genommen wurde; offene Kritik findet sich nicht. War despektierliche Vertraulichkeit zwischen den Korrespondenzpartnern nicht am Platz, hielten sich die Berichterstatter lieber an topische Wertungen. So schrieb der eben erst in den Freiherrenstand erhobene niederösterreichische Regimentsrat Buccelini 1652 an den Grafen Auersperg: „In Corte si dispose per gli ultimi giorni de Carneuale un altra Comedia in Musica intitolata la Dafne per introduttion ad un balletto delle Ill. me Dame di Corte. et si farà anco un bel Württschafft.” 766 Hier war bereits im Vorfeld der Veranstaltung klar, daß sie „schön“ sein würde. Mit derartigen empirieresistenten Zuschreibungen wurden Qualitäts- und Schlüssigkeitszuschreibungen dennoch verbreitet. Dies macht deutlich, daß bei den „functiones“ Verhaltensweisen, die auf funktionierende Vergemeinschaftung schließen ließen, zum Ausdruck gebracht wurden, ohne daß sich ermitteln ließe, ob die damit verbundenen Einstellungen 762 AVA, FA HR, K. 446, Graf Scherffenberg an F. A. Harrach, Wien, 4. Febr. 1665. 763 AVA, FA HR, K. 449, Gottlieb Graf Windischgrätz an F. A. Harrach, Wien, 20. Nov. 1664. 764 „da siehet man, wo die contributionsgelder undt armer leith schweiß und bluet hinkhombet“ (Hartmann Fürst von Liechtenstein an Gräfin Thurn, Wilfersdorf, 23. Aug. 1656, zit. nach Winkelbauer (1999a), S. 450). 765 AVA, FA HR, K. 445, Adolf Ehrenreich Graf Puchheim an F. A. Harrach, 7. Sept. 1661. 766 HHStA, FA AP, A-21-5a, Buccelini an Wolf Engelbrecht Graf Auersperg, Wien, 20. Jan. 1652. Hervorhebung M.H. Beachte auch die Zeitform: Futur. Vgl. dagegen: „Montags haben die Hoffdames eine schöne Comedi undt ballet gehalten“ (ebd., Berlinghoff an Wolf Engelbrecht von Auersperg, Wien, 17. Febr. 1652). <?page no="201"?> 200 vorlagen 767 . Wichtig für die Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Hofstaates ist nicht allein der Hinweis darauf, daß dies nicht stets der Fall war 768 , sondern vor allem darauf, daß es Höflingen offenbar gelang, Situationen gegeneinander so abzudichten, daß ihnen neben der vorhersagbaren Form der Mitwirkung die Pflege informeller Beziehungen möglich war, in denen sie von der offiziellen Situationsdeutung abweichen konnten 769 . Kritik von Höflingen am Kaiserhof speiste sich aus verschiedenen Quellen. Hinzuweisen wäre zunächst auf die Rezeption der literarischen Hofkritik 770 . Auch sehr erfolgreiche kaiserliche Höflinge zitierten in ihren für den eigenen Gebrauch verfaßten Schriften die einschlägigen Topoi. So setzte der von Ferdinand II. 1623 in den Freiherrenstand erhobene Höfling Werdenberg auf die Einbandinnenseite die Sentenz: „Paucos beauit Aula, Multos perditit, Imo et quos beauit in quantum potuit, perdidit“, berichtete davon unberührt aber auf den folgenden Blättern von seinem schrittweisen Vorrücken in den Rängen des Adels und Hofstaats 771 . Der kaiserliche Kämmerer, Hofkriegsrat und Geheime Rat Raimondo Montecucoli führte Buch über seine Lektüre und erwähnte dort neben anderen einschlägigen Werken den „Conseiller d’État“ von Balzac ebenso wie die Werkausgabe von Macchiavelli und den „Aulicus inculpatus“ und notierte in seinem Exzerptbuch unter dem Lemma Corte als ersten Kommentar: voller Gefahren („piena di pericoli“) 772 . Informell kommunizierte Hofkritik und Reflexion vertrug sich, 767 Weber (1972), S. 21: „‘Vergesellschaftung’ soll eine soziale Beziehung heißen, wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns […] auf subjektiv g e f ü h l t e r (affektueller oder traditionaler) Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t der Beteiligten beruht. [...] ‘Vergesellschaftung’ dagegen soll eine soziale Beziehung heißen, wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns auf rational (wert- oder zweckrational) motiviertem Interessen a u s g l e i c h oder auf ebenso motivierter Interessen v e r b i n d u n g beruht.“ 768 Dabei ist zu bedenken, daß auch unberechtigte Kritik funktional sein kann. 769 „Das Problem solcher doppelten Moral liegt […] in der faktischen Abdichtung der Situationen gegeneinander […] in den Anforderungen an Gewandheit im Symbolgebrauch und im Umschalten von einer Moral in die andere“ (Luhmann (1999), S. 49). 770 Vgl. dazu Kiesel (1979), Bok (2000). 771 HHStA, FA GFE, Bd. 39, Giornale Verdenberg. 1619: Geheimer Rat und Hofkanzler; 1620: Landstandschaft in Görz; 1623: Steiermark; 1623: Freiherrenstand; 1624: Mitglied der Stände Niederösterreichs und Böhmens, Kauf eines Wiener Hauses; Sohn „Ferdinand“; 1626: Landstand in Krain; 1628-1634: Hausausbau, Fideikommiß; 1629 kaiserlicher Kämmerer und Gnadenrecompens von 50.000 fl. Vgl. Schwarz (1943), S. 383-385. 772 AVA, GD RM, d/ 9/ 2, „piena di pericoli“: p. 30, vgl. auch p. 117 und 179. Unter den Werken waren u.a. „Le Conseiller d’État“ (1641), „Le Prince de Balzac in 8°“ (1642), „Aulicus inculpatus“ (1644), „Tutte opere di Nicolo Macchiavelli“ (1550). Vgl. zur Castiglionerezeption Burke (1996). Zum Buchbesitz des Obersthofmarschalls Starhemberg vgl. Heilingsetzer (1970), S. 86, 98, 99. Auch bei diesem fanden sich u.a. Althusius, Bodin, Botero, Castiglione, Machiavelli. Die beiden letztgenannten besaßen auch die Nostiz (Slaví"ek (1996), S. 491). <?page no="202"?> 201 stellte man keine allzu hohen Anforderungen an die Konsistenz der Person 773 , durchaus mit dem Hofleben. Durch die beobachtende Bearbeitung der Differenzen zwischen Prätention und Repräsentation auf der einen Seite und durch die individuelle Analyse des Funktionierens des Hofes auf der anderen Seite ließ sich der Zugriff von Repräsentation und Organisation auf Körper und Sinnproduktion und damit auf die eigene Person brechen, ohne daß dies sichtbar gemacht werden mußte. Nicht zufällig lagerte sich der zeitgenössische Diskurs über Dissimulation und Interesse, Täuschung und Moral an der Theorie des Hofes an: Der Verbleib im Hofdienst ließ sich als Ergebnis des individuellen Kalküls bestimmen und darstellen und in der den Widerwillen dissimulierenden Fortsetzung der Teilnahme noch Eigeninitiative entdecken und damit Personalität absichern 774 . So schrieb der Reichshofrat Gottlieb Graf Windischgrätz 1665 in einem Brief an Harrach, der zu diesem Zeitpunkt bereits Geheimer Rat war: Er bekenne, wäre sein Interesse wegen seiner böhmischen Angelegenheiten nicht so groß, „brächte mich noch sobald kein Mensch nach Hoff“ 775 . Auf einen Bericht über eine Hetzjagd folgte Windischgrätz’ Begründung, warum er „zu meiner großen Ungelegenheit“ wieder nach Wien müsse: „weill es aber einen so gute freind alls den Graf von Hohenloe betrifft, dessen Proceß referirt wirdt, muß ichs gleich verschmertzen“ 776 . Wieder zurück auf seinem bei Wien gelegenen Gut Trauttmansdorff, fuhr er fort: „Gott gedankt daß Ich wiedr herauss bin komen, da Ich mein lebetag in keiner größern ruhe gelebet undt dörffte schier sagen in keiner größern glüksehligkeit.“ 777 Windischgrätz drückte Harrach sein Mitgefühl aus, als dieser von seinem „neue unlust“ verursachenden Präzedenstreit mit dem Hofkanzler berichtete 778 . Mit genauer Kenntnis der Wege, die diese Angelegenheit ging - involviert waren unter anderem der Obersthofmeister Portia, der Geheime Rat Auersperg und Ferdinand Bonaventura Graf Harrach - unterrichtete Windischgrätz Harrach über die Bearbeitung des Problems und fügte hinzu, daß dies „meine ohne dem große adversion ober den Hoff undt die statt 773 Besonders die erzwungende Wahl zwischen Emigration oder Konversion dürfte nachsichtig gemacht haben. Vgl. zu den Motiven für die Konversion Winkelbauer (1999a), S. 85-145. 774 Vgl. zur emotionalen Neutralisierung Luhmann (1999), S. 49, 372-381. 775 AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an F. A. Harrach, Trauttmansdorff, 31. Okt. 1665. 776 AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an F. A. Harrach, Trauttmansdorff, fol. 166, Okt. 1665. Auch in dem Brief vom 2. Nov. 1664 zeichnet Windischgrätz das Bild des in Ruhe lebenden Landadeligen. Mit Hohenlohe war er im Herbst 1664 häufig unterwegs (ebd., Windischgrätz an F. A. Harrach, Wien, 26. Nov. 1664). 777 AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an F. A. Harrach, Trauttmansdorff, 8. Okt. 1665. 778 AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an F. A. Harrach, Trauttmansdorff, 3. Nov. 1664. <?page no="203"?> 202 vermehren“ werde; er verwies darauf, daß er bereits vier Ansagen zum Ratsdienst ignoriert habe, gab jedoch zugleich seiner Hoffnung Ausdruck, dies möchte ihm bei Hof nicht übel ausgelegt werden. Das Beispiel macht deutlich, daß die Verständigung auf eine kritische Sicht des Hofes der Fortsetzung der Teilnahme nicht schaden mußte, sondern zur Stärkung von Interessengruppen im Hofstaat beitragen konnte. So konnte sich die gemeinsam informell geäußerte Hofkritik der Höflinge auf Topoi beziehen, das Hohelied des Landlebens anstimmen, sich ins Satirische wenden und das Weitermachen mit leidvollem Nutzen begründen. Dies zeigt sich auch in wertenden Pseudonymen für andere Höflinge: Windischgrätz und Harrach verständigten sich etwa darauf, die Hofgranden beispielsweise als „Großvezir“, „Orontes“, „Artaban“ oder „Hasdrubal“, aber auch als „Marcellus“ zu bezeichnen 779 . Der kaiserliche Kämmerer Johann Reichard von Starhemberg schrieb 1648, er sei des „Hoffkriegs so müde, als hette ich ihn mit löffel gesen“, verließ ihn aber erst, als er ein Regiment bekommen hatte. Über Auersperg wurde 1664 geschrieben, er habe seine „mortificationes“ und lebe auch „wenig zufrieden“ 780 . Eine zweite, noch in den 1650er Jahren bedeutsame Quelle der Kritik am Hof war die Option einer ständisch orientierten Selbstbeschreibung von Höflingen. Teilweise hing diese mit der literarischen Hofkritik zusammen 781 , bekam harte rechtliche, politische und soziale Konturen aber vor allem dort, wo der Protestantismus des Adels in den Habsburgischen Territorien fortdauerte 782 . So war etwa der scharfe Kritiker Windischgrätz Protestant, was sich aufgrund der reichsrechtlich verankerten konfessionellen Parität des Reichshofrats mit dem Hofamt vertrug 783 . Allein 779 AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an F. A. Harrach, Trauttmansdorff, 7. Nov. 1664; Pseudoynme: ebd., Trauttmansdorff, Dez. 1664, fol. 101v. 780 Vgl. zu Starhemberg Anm. 968. AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an F. A. Harrach, Trauttmansdorff, Dez. 1664, fol. 101. 781 Vgl. Brunner (1949), Kiesel (1979). 782 Zur Gegenreformation vgl. Evans (1986), Coreth (1959), Gindely (1894), Stögmann (2001), Piringer (1950), Heiss (1991), Patrouch (1991), Duindam (1994), S. 126-133, Kolaska (1991), zu Gegenreformation und Grundherrschaft Winkelbauer (1999b). 783 Bei den Reichshofräten sorgte eine Quote die Aufnahme von Protestanten. Sie wurden in mancherlei Hinsicht aber schlechter behandelt, so etwa beim Hofquartier. Die protestantischen Reichshofräte Windischgrätz, Sinzendorf und Sinold (zu Sinold vgl. Gschließer (1942), S. 262, 278) hatten in den 1650er Jahren kein Hofquartier. Sinold bekam anstelle des Hofquartiers jährlich 300 fl. Wohngeld aus dem Hofzahlamt (HKA, HQR, K. 2, Nr. 23 (1659), Nr. 282, fol. 54, Preßburg 13. Okt. 1659) und erinnerte 1661 den Kaiser daran, daß, obschon dieser seine Einquartierung befohlen habe, nichts geschehe (HKA, HQR, K. 3, Nr. 26 (1661), Nr. 452, fol. 44). Windischgrätz hatte um 1658 weder ein Hofquartier noch ein Haus in Wien und wird deshalb, obschon er unfern von Wien das Gut Trauttmansdorff besaß, auf ein Mietverhältnis angewiesen gewesen sein. Auch der Protestant Rudolf Graf Sinzendorf, ein Bruder <?page no="204"?> 203 in Niederösterreich bekannten sich im Herren- und Ritterstand noch im Jahr 1652 über 230 adelige Männer aus über 70 Geschlechtern zum Protestantismus 784 . Ungeachtet des letztlich erfolgreichen landesfürstlichen Einsatzes für die Gegenreformation hatte der von den Habsburgern zum Gegner erkorene und dem Versuch der Marginalisierung ausgesetzte protestantische Adel seine konstitutionelle Existenzgrundlage zumindest in Niederösterreich und Teilen Schlesiens nicht verloren; er verfügte in den Ständen weiterhin nicht nur über eine gewisse politische Relevanz, sondern auch über ein Forum der Selbstdarstellung, was sich in der ständischen Festkultur und in anderen Formen ständischer Vergemeinschaftung fortsetzte. Diese alternativen Deutungsangebote können hier zwar nur angedeutet werden, ganz fehlen dürfen sie hier jedoch nicht. Als etwa für die niederösterreichischen Stände 1652 die Herrenstandsverordnetenwahl anstand, kamen auch die katholischen Höflinge im Herren- und Ritterstand nicht umhin, Kritik zur Kenntnis zu nehmen, die schärfer kaum sein konnte. Anlaß hierfür gab das Dekret, mit welchem den Protestanten das passive Wahlrecht zum Verordnetenamt entzogen wurde: Erasmus d. J. Graf von Starhemberg, der als Calvinist in Österreich geblieben war, enthielt sich bei der Verordnetenwahl ostentativ seiner Stimme, indem er der Wahl fernblieb und diesen Schritt unter Hinweis auf das Landhaus als Ort der landständischen Freiheit und Verantwortung ausführlich begründete: „daß an diesem ort des Landtshauses [...] also aus lieb gegen dem Vatterland und die posteritet, auch Ich mich understehe, nachfolgende meine ursachen beyzubringen und zu entdecken, warumb Ich vor dieses mahl meine stimm und votum zum verordneten ambt keinem Röml. Catholischen verantworttlich geben kann“. In seiner Begründung betonte er die Treue des protestantischen Adels zu Land und Landesfürst, verwies auf Qualifiktion und Unparteilichkeit der Amtsträger und entwarf mit der Darlegung der Verdienste, Rechte und Präjudizien der protestantischen Stände zugleich das Bild einer in Hof- und Landesämtern etablierten katholischen des Hofkanzlers Sinzendorf (Gschließer (1942), S. 271), hatte kein Hofquartier. 1654 ernannt, erinnerte er den Kaiser 1664, daß er seit zehn Jahren Reichshofrat sei und desöfteren vertröstet worden sei. Der Obersthofmarschall Starhemberg berichtete, daß Sinzendorf durchweg gedient und auch auf „beÿ allen raisen“ mitgewesen sei, aber nur einmal kurz ein Hofquartier besessen habe, das er wegen anderer Einquartierungen wieder mußte, „dahingegen seine Collegae gleich beÿ antrettung ihrer dienst mit guten quartiern wol seind versehen worden.“ HKA, HQR, K. 3, Nr. 32 (1665), Nr. 526-550, Nr. 546, 13. Jan. 1665, fol. 151. 784 Siehe die Liste in den Berichten des schwedischen Residenten: 154 Personen aus dem Herren- und Grafenstand, 79 aus dem Ritterstand (RKA, G 278, Beilagen 1652). Vgl. auch Evans (1986), S. 100, der unter Bezug auf ÖNB, Ms. 7757, die Zahl 235 angibt. <?page no="205"?> 204 Partei, die sich über gezielte Diskreditierung gegen das Recht, gegen die Mehrheit in den Landständen und gegen dessen Interesse Hof- und Landesämter monopolisiere, parteilich und mit anderen Interessen als denen des Landes verwalte: So führte er u.a. aus: „Ist also an sich selbst kläglich genug, daß wir Evangelische dieses landts von allen gerichts stellen ausgeschloßen, aller Hoff- Kriegs- und anderer landdienste priviret“ und daß nun das „noch aintzig ubrigen landts amtbt [...] darin bis auf dato der Kayl. Hoffe sich niemals eingemenget, sondern in diesen deren Ständen jederzeit freye disposition gelassen worden, in perpetuum entsetzt sein“ werde; den Grund verortete er, nachdem der Hofadel in die Argumentation eingeführt war, ebendort: „Weilen Ich dann aber ganz nicht zweiffele, daß solches decretum allein aus ubeler information eines oder etlicher unns Evangelischen ubelwollenden gönners hergeflossen“ sei, beharre er „aus Lieb zum Vaterland“ bei der Verweigerung seiner Stimmabgabe und bete statt dessen zu Gott für die Erleuchtung des kaiserlichen Gemüts, auf daß dieser „also die freye verordneten wahl nach altem herkommen, unns ohne underscheidt der Relligion freylassen, und ins künfftige mit dergleichen schwären exclusions decreten unns allergnädigst verschonen wollen“ 785 . Kritik an der Monopolisierung stän- 785 NÖLA,HSA-V, Verordnetenwahl, Nr. 78. Erasmus d. J. Graf von Starhemberg, Votum in der Versammlung der Stände, Wien 7. Jun. 1652. Hervorhebung M.H. Der Streit bei der Verordnetenwahl führte 1656 zum Druck einer Wahlordnung. Danach sollten die zu Wählenden u.a. „mit keinem Hoffdienst (ausser der kayserlichen Cammerherrn / welche allein / ratione Officij, von dem Verordneten: oder Raithambt nicht auszuschliessen) beladen“ sein und sich nicht gegen die Stände und ihre Rechte wenden; § 8 macht Vorbehalte gegen Höflinge besonders deutlich: „Achtens / daß Er wider der Ständt ins gemain / und eines jeden Standts besonders habende Privilegia, alt Löblichen herkommen / Gewohnheiten / Recht: und Gerechtigkeiten / weder von sich selbsten / noch durch andere / daß geringste gefährlich / und schädlich machinirt noch gehandelt.“ Auch sollten Klüngel und Empfehlungen bei der Verschaffung von Stimmen von Seiten des Hofes ausgeschlossen sein („noch auch / zu erlangung des Verordneten: oder Raithambts / bey Kayserlichem Hoff intercessionales außgewürckt habe.“). 36 Exemplare in NÖLA,HSA-V; nach Ausweis des Druckes wurde die Ordnung im Landtag am 9. Dez. 1656 beschlossen. Daß eine solche Ordnung ebenso nötig wie fruchtlos war, belegt eine Schilderung der Verordnetenwahl 1658 durch Paul Sixt Graf Trautson, ein katholisches Herrenstandsmitglied und Kämmerer Leopolds I.: „Heüte fruehe haben wür einen Verordneten gemacht undt die Catholischen unanimi voto Herrn gr: von Sprintzenstein darzue erkiset die Evanglischen aber haben durchaus einen von ihrer Religion darze bringen wollen dann vermög des getroffenen accords A o . 1611 […] gaben sie vohr hette Mann sich verglichen allezeit neben denen Catholischen einen uncatholischen zu halten. Undt dises auff begehren Ihr Maj des Kaÿsers dann dazu mahlen alle Verordnete von ihrer Religion wahren. Sie haben stark sich bemüehet aber die Maiora haben ein andrs geben undt der graff von Sprintzenstein mit 25 Votis den Herrn Herrn Erenreich von Pollhaimb übertroffen. Herr Ott Teüffel hat wohl darwider protestieret aber umbsonst. Man hatt sie auff den Kaÿser gewisen mit ihrer praetension“. Im Anschluß berichtet er, daß Graf Königsegg (ein Kämmerer und Reichshofrat) unter die Landstände aufgenommen wurde und daß er nach Vorlage des Ahnennachweises in den alten Herrenstand eingeordnet werden sollte - bei Erlassung der Tax (AVA, FA HR, K. 448, Trautson, Paul Sixt Graf Trautson an F. A. Harrach, 31. Aug. 1658). <?page no="206"?> 205 discher Ressourcen durch Höflinge wurde auch in Böhmen laut 786 ; in allen Territorien wachten die Stände über die ihnen verbliebenen Rechte und tauschten etwa im Vorfeld von Erbhuldigungen Informationen aus, um weitere Einbußen in deren Bestand zu verhindern 787 . Als einheitlicher Personenverband wurden die Landstände außerhalb der Erbhuldigungen, die Ferdinand III. in den südlichen Erblanden noch von Vertretern entgegennehmen ließ 788 , vornehmlich in Niederösterreich sichtbar. Die ostentative Demonstration des Gehorsams und der Treue gegenüber dem Landesfürst hielt die inhaltliche Deutung der Selbstdarstellung freilich offen. Während die einen in der ständischen Festkultur den Verweis auf die ständische Freiheit sehen konnten, mochten die anderen die Devotion erkennen; entscheiden ließ es sich ohne weiteres nicht. So zeigten sich die niederösterreichischen Stände im Rahmen ihrer Feste gegenüber ihrem Landesfürsten auch 1652 ungeachtet der Anerkennung des Herrschers selbstbewußt: „haben die Landt Cauallieri Ihre Wirdtschafft, so in ainer Schafferey bestanden also aufsehentlich undt köstlich gehalten, daß man deregleichen nit viel gesehen, undt zwar anfenglich seÿen Sÿ mit so schön gezierten offenen wägen mit 6. Pferdten, in denen ieden 2. dames undt 2. Cauallieri gesessen, vom Landthaus durch die fürnembsten Gassen derer stath auff den khaÿl: Porrgplatz gefahren, also Sÿ ein zeitlang in schöner ordnung firmiert, undt mit allerhandt beÿ sich gehabten aufsehentlichen musicalischen Instrumenten ein zeitlang stattlich auffmachen lassen, folgendts mit [...] zeigung gebührender reuerenz gegen Ihrer M tn ., sich widerumb in schöner ordnung zurück in daß Landthaus begeben, alwo Sÿ die gentze nacht bis morgens frühe umb 4. Uhr die Zeit lustig zugebracht“ 789 . Die Faschingsfeste der niederösterreichischen Stände wurden mit den kaiserlichen verglichen und schnitten dabei gut ab. Das Fest der Landstände im Landhaus beispielsweise war so bedeutsam, daß es auch in Nuntiatur- und Residentenberichten erwähnt wurde 790 . So berichtete Die Landhäuser waren im 16. Jahrhundert als Ausdruck ständischen Selbstbewußtseins gestaltet worden. Vgl. für das Landhaus der Kärntner Stände Wutte (1937), Deuer (1994), S. 171- 180. Vgl. auch die Namen kaiserlicher Kämmerer: unter den bis einschließlich 1660 ernannten Kämmerern Leopolds I. waren über 20, die (auch) den Vornamen „Ferdinand“ trugen; nur zwei hießen „Erasmus“. Zur Namensvergabe im Adel vgl. Götz (1976), S. 31-37. 786 Winkelbauer (1999a), S. 37, 38. 787 Vgl. nur KÄLA, Ständ. Archiv, C Akten, Abt. I, Sch. 459. 788 Zur Erbhuldigung in Niederösterreich vgl. Püchl (1954) und Planck-Planckburg (1929). 789 HHStA, FA AP, A-21-5a, Berlinghoff an Wolf Engelbrecht Graf Auersperg, Wien, 17. Febr. 1652. 790 ASV, SG, 149, 18. Febr. 1651, fol. 46. Vgl. auch AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 30. Jan. 1647, wonach Franz Albrecht Graf Harrach „den Kindern ein bauern Hochzeit gehalten“, bei welcher über 63 Kinder beisammen gewesen seien. <?page no="207"?> 206 der schwedische Resident nebeneinander von Faschingsfesten der Landstände, vom Programm des Kaiserhofes - dort gab man die Metamorphosen - und von privaten Festen, wobei die Teilnehmer sich aus Land- und Hofleuten sowie Botschaftern, Katholiken und Protestanten rekrutierten. Von der Präsentation der Landstände vor dem Kaiser im Februar 1652 berichtete auch er: mit 42 Wagen sei der landständische Adel in die Burg gefahren, „haben sie sich da gestellet und gegen Ihre kaÿl: Maÿl: praesentiret, hernachmahls sindt sie vöriger ordtnung zum anderen burgthor [...] hindürch und so gerahde nach dem Landhtausen“ 791 . Im Fasching des Jahres 1662 kamen über 80 Paare an den Hof „per lasciarsi vedere“ und begaben sich danach zum Fest der Landstände ins Landhaus. Auch daß Leopold I. mit der Kaiserinwitwe Eleonora II. sich über die Korridore inkognito dorthin begab und dem Fest eine zeitlang zusah 792 , kann man gleichermaßen als Ausdruck der vielfach belegten Freude dieses Kaisers an Spektakeln, als Hinweis auf absolutistische Kontrollabsichten oder als auf Konsens angelegte Gesten der Freundlichkeit und der gegenseitigen Anerkennung interpretieren; für den Zusammenhang der Argumentation ist hingegen primär wichtig, daß ein taktvoller Symbolhaushalt völlig entgegengesetzte Situationsauffassungen unterstützen konnte, deren Divergenz mangels spezifizierter Kommunikation möglicherweise ins Bewußtsein trat, aber nicht zutage 793 . Mehr oder weniger spektakuläre Symbolisierungen der Erfolge der kaiserlichen Politik vollzogen sich in Situationen, in denen die andere Seite nicht zugegen war, während die Austragung der Konflikte gern auf die niederösterreichische Regierung übertragen wurde 794 . So wurde just im Fasching 1652 im Wiener Profeßhaus auch eine Konversion im Bei- 791 Bericht des schwedischen Residenten über die Feier der Landstände, private Feiern, das Programm des Hofes und über Maßnahmen der Gegenreformation. Beigefügt sind Gravamina niederösterreichischer Protestanten des Ritter- und Herrenstandes u.a. über Einschränkungen bei Bestattungen und eine Liste protestantischer Stände (RKA, G 278, Beilagen 1652). 792 Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 103), Wien, 25. Febr. 1662. Zum Fasching in der Habsburgermonarchie vgl. Mat'a (2000). 793 Johanek (1991), S. 525, räumt dies ungeachtet der Betonung integrativer Aspekte ein; daß die „Integrationskraft“ des Festes nicht „absolut“ ist (ebd., S. 534), wird teilweise wenig beachtet. Bastl (1995), S. 206, betont dagegen die Prätention: „So gaben die Wiener Zeremonien vor, die ganze Macht würde beim Kaiser liegen.“ Vgl. auch Vocelka (2000) und Daniel (2000). Die Forschung zur Repräsentation im 17. Jahrhundert wird stärker zwischen Kunstdiskursen, Intentionen und Deutungsvielfalt unterscheiden müssen (Roeck (2001). 794 Bei der niederösterreichischen Regierung waren Reformationskommissare angesiedelt; auch der Hofmarschall war in dieser Richtung tätig (vgl. Strohmeyer (2000) und Stögmann (2001)). <?page no="208"?> 207 sein des Kaisers gefeiert, wobei dieser das Amt des Firmpaten vertrat 795 und der Erfolg einer Reformationskommission in einem der Niederösterreichischen Viertel registriert wurde. Im stillen dagegen entführten Höflinge beim Reichstag in Regensburg 1653 einen Vertreter der protestantischen österreichischen Stände 796 . Im übrigen wurde Gunst an Bekehrung geknüpft 797 und kaum sichtbar verlor der protestantische Landadel Stück für Stück an Boden - etwa durch die Regelung, nach welcher nur Katholiken zu Vormündern bestellt werden konnten; so äußerte sich der kaiserliche Oberstkämmerer Lamberg 1664 betrübt über das Aussterben des Geschlechtes Hofmann in der männlichen Linie („tut mir laid“) und bedauerte, daß die hinterlassenen Töchter vom Kaiser ihrer protestantischen Großmutter wohl kaum zur Erziehung gelassen werden würden: tangiert waren hier nurmehr private Emotionen 798 . Auch der Calvinist Erasmus d. J. Graf von Starhemberg verbrachte sein Leben in Wien aufs ganze gesehen ungeachtet der Einzelbewilligung für den Zutritt zu den kaiserlichen Vorzimmern eher abseits des Hofes und war primär mit seinen Erbschaftsangelegenheiten, Prozessen und Bekannten befaßt 799 . Im Symbolhaushalt der Residenz war der protestantische Adel weiter zurückgedrängt als in den Ständen; das schlug sich in der Sepulkral- und Funeralkultur nieder: Die Entfaltungsmöglichkeiten repräsentativer pro- 795 HHStA, FA AP, A-21-5a, Berlinghoff an Wolf Engelbrecht Graf von Auersperg, Wien 17. Febr. 1652. 796 Heilingsetzer (1970), S. 66, vermeidet den Terminus. 797 Vgl. Winkelbauer (1999a), S. 85-145. Das Bild läßt sich fast beliebig erweitern, vgl. HHStA, FA GFE, K. 93, Konv. 3, Ferdinand II. an Seyfried Christoph Breuner, Ödenburg, 24. Jan. 1635, Anmahnung einer Konversion. Ferdinand III. schrieb seinem Geheimen Rat Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein, der sich beim Kaiser mit dem Hinweis, er sehe Anzeichen für eine Konversion, für die Reisefreiheit eines protestantischen Vetters verwendet hatte, er möge zusehen, wie er ihn zum Katholizismus bekehre (StLA, FA DTH, Sch. 7, Heft 23, fol. 73, Ferdinand III. an Dietrichstein, Wien, 17. Okt. 1639). Der Bischof von Wien bat den Obersthofmeister Trauttmansdorff 1648 um die Verschaffung einer Stelle für einen konvertierten Arzt aus Frankfurt (AVA, FA TM, K. 138, Ff. 2, Nr. 4, fol. 185, Wien, 17. Jul. 1648), Leopold I. ließ einem Freiherrn von Stubenberg, der sich als Reichshofrat beworben hatte, 1658 mitteilen, derzeit seien die Stellen besetzt, wenn er aber konvertieren wolle, wolle er „seiner Accomodation eingedenk sein“ Gschließer (1942), S. 278. Souches sei vor seiner Konversion wegen der Verteidigung Brünns gegen die Schweden geschätzt worden, nunmehr werde er geliebt: „hora di piu è anco amato, per esserci ridotto al grembo della fede Cattolica havendo lasciati gli errori del Calvinismo“ (ASV, SG, 148, Bericht vom 23. Apr. 1650). 798 Ferdinand II. hatte 1631 angeordnet, daß verwitwete Väter und Mütter nichtkatholische Kinder auf Anforderung des Landmarschalls abgeben mußten (Bastl (1997), S. 226; vgl. Ehalt (1980), S. 28). Das Beispiel hier: MZA, RA DT, K. 26, Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, Wien, 20. Nov. 1664. Auch der protestantische Bruder des Hofmarschalls Starhemberg mußte seinen Sohn Bartholomäus katholisch erziehen lassen und an den Hof geben (Kühne (1880), S. 81, 82). 799 OÖLA, AS BR, Sch. 46, Nr. 56 a Erasmus d.J. von Starhemberg (vgl. Heiligensetzer (1976)). <?page no="209"?> 208 testantischer Begräbnisfeierlichkeiten wurden in den 1650er Jahren eingeschränkt 800 , nachdem seit den 1620er Jahren wichtige Teile des Hofadels die Kirchenräume der Residenz mit Symbolen ihrer Präsenz bei Hof durchsetzten; der Stadtraum wurde auch in dieser Hinsicht auf den Hof hin hierarchisiert, die Perspektive auf die Stadt von der Hofburg aus entworfen 801 . c. Gewalt, Duelle und Ehre Bei der in der jüngeren Forschung vorherrschenden Betonung des Ausgleichs zwischen Kaiser und Adel wird dem Aspekt des Wissens um den möglichen Rückgriff auf Gewalt zur Durchsetzung von Rechts- und Machtansprüchen meines Erachtens zu wenig Beachtung geschenkt, Harmonie zu sehr in den Vordergund gestellt, die Pflege der Musen mehr beachtet als die des Strafrechts - zur fürstlichen Repräsentation indes gehörte beides und das Publikum der Opern sah von Zeit zu Zeit auch Köpfe fallen. Mehrere Gesandte schilderten beispielsweise das Strafgericht an den aufständischen Bauern auf dem vom kaiserlichen Schloß nur einige hundert Meter entfernten Hauptplatz in Linz im Jahr 1636, das nach der Audienz des englischen Gesandten seinen Lauf nahm 802 . Die Justiz machte bei Bauern nicht halt: Auch der niederösterreichische Adel war vor Härten nicht gefeit: 1651 wurde ein junger - protestantischer - Windischgrätz verurteilt zur Aberkennung des Adels, zum Abschneiden der Zunge sowie zum Abschneiden des Kopfes mit dem Messer. Die Bitten der Eltern beim Kaiser und die Konversion des 800 Bericht des schwedischen Residenten Kleye (RKA, G 278, 7./ 17. Febr. 1652). 801 Vgl. dazu Pils (2002). Csendes (1999), S. 221, stellte fest, daß der Hof im 16. Jahrhundert „zur sozialen Mitte der Stadt“ wurde. Vgl. auch Reisenleitner (1993), Hengerer (2001b) und Hlinomaz (1996). Vgl. auch die Beteiligung an den Exequien für verstorbene Höflinge: So fanden die Exequien für den Oberstkämmerer Puchheim „con l’intervento di tutta questa nobilità“ statt (ASV, SG, 149, 11. Febr. 1651). Bei der Bestattung des Obersthofmeisters Portia, die nach einer Mitteilung des Oberstkämmerers Lamberg am 19. Febr. 1665 „ohne solennitet“ in der Schottenkirche stattfinden sollte (MZA, RA DT, K. 26, Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, Wien, 18. Febr. 1665, fol. 269), war der Hofadel zahlreich vertreten, u.a. die kaiserlichen Geheimen Räte und Kämmerer (AVA, FA HR, K. 448, Simon de Thomasi an F. A. Harrach, 21. Febr. 1665); nach offizieller Darstellung nahmen am Begräbis 14 kaiserliche Kammerdiener, die Vliesritter, die Geheimen Räte und Kämmerer, zwölf Pagen des Fürsten und des Oberstkämmerers teil; dem Hofstaat war angesagt worden (HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 17, fol. 230). 802 Springell (1963), S. 65, vergl. dazu auch die Zeichnung Wenceslaus Hollars (Lunzer (1997), S. 58); größere Teile der Serie bei Springell (1963), S. 168 ff., die Hinrichtung dort Nr. 39, Kat. Nr. LXXXI., zum Datum ebd., S. 112, Anm. 92, 93. <?page no="210"?> 209 Delinquenten brachte dem 27-jährigen noch die kaiserliche Gnade der Erschießung 803 . Daß sich der Zusammenhang von fürstlicher Herrschaft und Gewalt nicht stets über Recht herstellte, stand interessierten kaiserlichen Höflingen außerhalb der Erblande deutlich vor Augen: Der hingerichtete König Karl I. von England stand mit Trauttmansdorff in Schriftverkehr, Machiavellis „Principe“ fehlte in kaum einer Adelsbibliothek und schon der nicht minder bekannte Castiglione hatte darauf hingewiesen, daß es die erste Pflicht des Adels war, den Fürsten davon abzuhalten, zum Tyrannen zu werden; daß die Fürstenspiegel der Habsburger sich antimachiavellistisch gaben 804 , setzt Wissen um diese Möglichkeiten voraus. Es ließ sich von dort jedoch eine Brücke zu den Habsburgern schlagen; die Erinnerung an den Sturz mehrerer Favoriten Rudolfs II. 805 wird dabei noch vergleichsweise wenig beeindruckt haben. Gerade Ferdinand II. aber hatte seine Position dort mit Gewalt behauptet, wo sein Recht bestritten und unsicher gewesen war. Das macht es bis heute unmöglich, einen wertfreien Begriff für die Entführung (? ) des Kardinals Khlesl 1618 und den Aufstand (? ) des Adels von 1618 zu finden; bis heute ist die rechtliche Grundlage für die Tötung (? ) Wallensteins umstritten 806 . Diese Geschehnisse dürften indes auch für unbeteiligte Hofadelige geklärt haben, daß das Recht sich nach dem Sieg finden würde und daß der Adel vor diesem Kaiser und Landesfürst nicht unbedingt sicher war. Bis 1631 sah, wer über die Karlsbrücke kam, die Schädel der als Rebellen im Jahr 1621 Hingerichteten. Man wird darauf hinweisen dürfen, 803 ASV, SG, 149, 11. Nov. 1651. 804 Vgl. Sturmberger (1979), S. 204, 205. Persson (1999), S. 208, zeigt, daß die überwiegende Zahl königlich schwedischer Kämmerer der Jahre 1612 bis 1617 von Vätern abstammte, die von Karl IX. hingerichtet worden waren. 805 Vgl. Schwarz (1943) S. 330. 806 Vgl. zu Khlesl Rainer (1962) und Rainer (1964). Rainer spricht von „Gefangennahme“ (Rainer (1962), S. 35); zum Hergang S. 70, 71, Rill (1999), S. 306, 307, Rainer (1964), S. 30. Der Forschungsstand zum Tod Wallensteins (vgl. nur Kampmann (1992), und Polišenský (1997), S. 240-254) sollte nicht die polarisierte zeitgenössische Diskussion vergessen machen. Kampmann interpretiert den nach dem Tod geplanten kaiserlichen Feldzug von 1634 als Teil von „vertrauensbildenden Maßnahmen“, zu denen auch die Verteilung des konfiszierten Wallensteinischen Besitzes gehört habe (Kampmann (1992), S. 178-184). Suvanto (1963), S. 318, dagegen sieht einen „Meuchelmordplan“. Broucek (2001), S. 147, lebt Wert auf die Legalität des Geheimen Verfahrens. Vgl. Winkelbauer (1999a), S. 224, Anm. 130. Trauttmansdorff distanzierte sich später (Dickmann (1962), S. 456, Rechenschaftsbericht, 2. Febr. 1649): „Waß ich bey dempfung des angegangenen Fridtlendischen feuers gethan, ist E. K. M. gnedigst wissendt. Da hat man gleichwol auch umb cron unndt scepter periclitirt unndt ist ein haubtresolution und voto gewest, so billich zuforderist kayserlicher Mayestet, nacher aber denen wenigen, so darzu gerathen, zuzuschreiben.“ <?page no="211"?> 210 daß der habsburgische Adel Grund hatte, in Anbetracht von Krieg, Konfiskation, Katholisierung, Zwangsexilierung, im Hofstaat auch anderes zu sehen als den Abglanz einer harmonia coelestis. Kaiserliche und landesfürstliche Herrschaft der Habsburger gründete auf legitimer, aber auch auf zweifelhafter Gewaltausübung: Die Gestaltung der Schlösser, die Selbstdarstellung in Drucken und Bildern sowie die Epiphanien der Kaiser in der Öffentlichkeit hielten diese Dimension von Herrschaft in symbolischer Kondensation stets sichtbar. Die kaiserlichen Wachen, die Hartschier- und Trabantengarde, Hofprofoss und Hofmarschall, scharfe Regeln bezüglich des Waffenbesitzes in der Residenzstadt sowie bei Aufenthalten in Wien, zusätzlich die Wiener Stadtguardia sorgten nicht nur für Sicherheit 807 , sondern auch für ein Arrangement ostentativ dargestellter und konzentrierter Machtmittel. Dieser im Symbol vollzogene Einschluß des Ausgeschlossenen wirkte zurück auf die Möglichkeiten adeliger Gewaltausübung bei Hof. Aus der kaiserlichen Perspektive war der Raum des Hofstaats ein befriedeter Bereich, in dem das fürstliche Gewaltmonopol faktisch gesichert war, zudem symbolisch repräsentiert wurde und gerade deshalb durch Verletzungen besonders gefährdet war 808 . So waren Recht und Pflicht des Tragens von Waffen im Hause des Herrschers differenziert geregelt und flankiert von einer symbolisch aufgeladenen Verteilung von Waffen und Waffenträgern um den Kaiser herum. Während v.a. Bildquellen darauf schließen lassen, daß in den Vorzimmern grundsätzlich noch Degen getragen werden durfte, war dieses in der Retirade nicht mehr der Fall. Bei der Vereidigung von Geheimen Räten in der Ratsstube war das Tragen des Degens jedoch selbst Trägern des Ordens vom Goldenen Vlies untersagt. Daß dies 1648 „per errorem“ geschehen konnte, weist gleichfalls darauf hin, daß Hofadel in den Vorzimmern grundsätzlich Degen trug, sich zur Retirade hin das Recht zum Tragen von Waffen jedoch ausdünnte und auf die Wachhabenden konzentrierte 809 . Vor diesem Hintergrund war die gewaltsame Durchsetzung verletzter Ehre für Mitglieder des Hofstaats untersagt, eigenmächtig geübte Ge- 807 Den Gegensatz zwischen der „innata Clementia“ hier und Gegenreformation und Prager Blutgericht dort betont Sturmberger (1979), S. 201. Die Teilnehmer an der Sturmpetition der niederösterreichischen Stände traten Ferdinand II. 1619 in der Hofburg bewaffnet entgegen (Broucek (2001), S. 135); zur Stadtwache Veltzé (1902) und Broucek (2001), S. 133, 134. 808 Vgl. zum Problem der Anfälligkeit von Machtsymbolen Luhmann (2000a), S. 48. 809 HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 10v-11v. Bei der Vereidigung Schwarzenbergs als Geheimer Rat am 2. Aug. 1653 trug dieser Degen; einer später vertretenen Auffassung nach durfte dies geschehen, weil er Vliesritter war, doch befand der Kaiser, es sei ein Fehler gewesen. Bildquellen zu den Vorzimmern bei Gerhardt (1995). Vor der Waschung des Kaisers mußten die Kämmerer den Degen abgeben, nur der Oberstkämmerer durfte ihn behalten (vgl. Anm. 958). <?page no="212"?> 211 walt wurde prinzipiell geahndet 810 . Kam es dagegen unter Botschaftsangehörigen zu Auseinandersetzungen in Präzedenzangelegenheiten, hielten sich die Kaiser gern bedeckt und griffen erst ein, wenn die Querelen sich zu einer „offesa“ auch ihnen gegenüber auswuchsen 811 . Die Perspektive wäre aber verkürzt, wenn nur das kaiserliche Gewaltmonopol in den Blick geriete. Vieles weist darauf hin, daß den Kaisern nicht allein das Modell eines auf eigenmächtige Gewaltausübung verzichtenden, sondern das eines einträchtigen Adels vorschwebte 812 . So befahl Ferdinand III. dem Grafen Lamberg 1640, er solle einen Streit zwischen dem Obersthofmarschall und dem Grafen Stefan von Vrbna schlichten, der sich wegen seiner Arrestierung durch den Obersthofmarschall „offendiert“ fühle: Lamberg solle die beiden zu sich kommen lassen und den Streit „durch güettige Vergleichnungs Mittel totaliter [...] componiren“ 813 . Auch wenn Duellanten verhaftet worden waren, wurde regelmäßig die Beilegung der Streitigkeiten anbefohlen und/ oder im Hinblick auf die Furcht vor kaiserlicher Ungnade meist auch gesucht 814 . 810 Zum Duellverbot auch Ehalt (1980), S. 71. Zur Ehre als Forschungsparadigma vgl. bes. Schreiner (1995) und Dinges (1995). 811 Vgl. Anm. 1166; Vgl. auch den Bericht über Schläge bei Hof: „Wegen des Handels mit des Venedigischen Pottschaffters Laqueÿ, daß der Herr Graff von Altan denselben mit dem Steckhen vor der Comoedi geschlagen, solle von gedachten Herrn Graffen der Verlauff mit exageration des Laqueÿ, zumahlen beÿ einem Camerfest und zu Hoff veriebten insolenz, et cum omnibus circumstantijs aggravantibus verfast, und von dem Pottschafter Satisfaction begehrt werden.“ HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 569 (1666). 812 Vgl. die Instruktion für den Obersthofmeister Ferdinands IV.: „jemandt von dem Hoffgesindt den andern an seinen Ehren verlezte, oder antastet, der soll aus unseren bevehlch nimmer für unseres geliebten Sohns Angesicht gelassen werden. Vermaint aber ainer gegen den andern einiche billiche Clag und Beschwärung zuhaben, soll Er die nach gelegenheit vor dem Hoffmaister, oder andern gebürlichen ortten fürnemben, die sollen dem Clagenden iederzeit zu der gebür und billigkeit verhelffen.“ Konzept mit e.h. Ergänzungen Ferdinands III., Linz, 25. Nov. 1644 (HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv., Nr. 4, rote Nr. 11). 813 OÖLA, HSt, Sch. 1219, Fasz. 9, Nr. 173, kaiserlicher Befehl, 26. Jan. 1640. 814 So befahl Ferdinand II. seinem Geheimen Rat Trauttmansdorff, zusammen mit Wallenstein in einem Streit zwischen Oktavian Kinský und Wilhelm von Trška zu vermitteln, nachdem sich zwischen diesen ein „handel erreget“ hatte; Ferdinand II. hatte Trška befohlen, sich an den Hof zu verfügen und Kinský in Arrest setzen lassen (AVA, FA TM, K. 122, Ferdinand II. an Trauttmansdorff, Ebersdorf, 23. Sept. 1633, fol. 24). 1648 wandte sich der Freiherr Löbl an Trauttmansdorff und brachte vor, er habe Streit mit dem Grafen Strozzi gehabt, wobei er zur Verteidigung seiner Ehre und als „gefoderter“ gehandelt habe; er bat, die Sache dem Kaiser vorzubringen und u.a unter Hinweis auf seinen Vater um die Abwendung kaiserlicher Ungnade und Entlassung aus dem Arrest (AVA, FA TM, K. 141, Ff. 7, Nr. 35, fol. 208, Wien, 22. Jan. 1648). 1654 berichtete Adam Matthias Graf Trautmannsdorff dem Obersthofmeister Dietrichstein von einem „rancontre“, das am 26. Dez. 1653 zwischen Vratislav von Sternberg (Kämmerer Ferdinands IV.) und Gotthard Graf von Starhemberg (Fürschneider Ferdinands III.) vorgefallen sei; als selbst habe in beidseitiger Güte verglichen. Sternberg habe aber Bedenken, nach Prag zu kommen, da die Sache zweifelsfrei bereits bei Hof vorgebracht worden sei. Dietrichstein möge sich für Sternberg verwenden (MZA, RA DT, K. 449, 1911/ 247, Tainitz, 9. Jan. 1654, Trauttmansdorff Dietrichstein). Gotthard von Starhemberg, ein Neffe des <?page no="213"?> 212 Daß unter den aufgefundenen Beschreibungen von Kämpfen zwischen Höflingen kein einziger auf die Klärung von Rangfragen oder genuinen Konflikten des Hofstaats ersichtlich Bezug nahm, wird man dahingehend deuten dürfen, daß dieser Bereich einer teilautonomen Bestimmung des Adels vollständig und sicher entzogen und dies vom Hofadel auch anerkannt war. Berichte über die Entstehung von Zweikämpfen und Duellen vorwiegend jüngerer Höflinge verweisen überdies auf den pazifizierenden Druck des hofstaatlichen Friedensgebots und dessen räumliche Dimension; so fielen nach der Darstellung Leopolds I. bei einem Streit um einen Spieleinsatz in der Hofburg die Worte: „‘Wann es nit bei hof wer, so gäbe ich dir eine mentita’“, während am folgenden Tag bei einem Treffen in der Stadt der Fehdehandschuh geworfen wurde: „Gestern habe ich dir aus respect des hoffs keine mentita geben wollen. Itzo gib ich dir ins gesicht.“ 815 1658 berichtete Paul Sixt Graf Trautson über einen Streit, bei dem der Gewaltbereich des Hofes gleichfalls als befriedeter Raum anerkannt wurde: „als diser Frantzösich redete sagte der andre zu Ihm, was er lang wolte frantzösisch reden, seÿe er doch Nuhr ein Teütscher, welches dieser empfundten und geantwordtet, er wurde ihm dieses Vohr dem Thor nicht sagen, darauff sie sich zerkrieget, vorh das Thor geritten“; auf dem Weg wurden sie noch in Arrest gesetzt 816 . In beiden Fällen waren die Kontrahenten sehr jung, teilweise noch Edelknaben. Doch auch die sich zu Tätlichkeiten auswachsenden Streitigkeiten älterer Hofleute, die vielfach zugleich Soldaten waren, erhoben sich häufig außerhalb der Residenzstädte und wurden vornehmlich außerhalb der Stadt ausgetragen 817 . Kämpfe in Hofmarschalls Starhemberg, starb 1657 bei einem Duell (Heilingsetzer (1970), S. 79). Paul Sixt Graf Trautson schilderte ein „lächerliche[s] Duell“ zwischen einem Auersperg und einem Wangler (vgl. Anm. 816), das wegen eines Streits um die Verwendung des Französischen entstand; noch vor dem Duell wurden sie in Arrest gesetzt und verglichen sich: „auff Teutsch“ (AVA, FA HR, K. 448, Trautson an F. A. Harrach, 27. Apr. 1658). Als Leopold I. von einem geplanten Duell zwischen seinen Kämmerern Franz Adam Graf Waldstein und Sigmund von Dietrichstein hörte, ließ er sie verhaften und zum Vergleich bewegen (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 204), Wien, 17. Febr. 1666). 815 Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 123 und 124), Wien, 30. Jun. 1662 über den tödlich endenden Streit zwischen Johann Anton Lamberg und Jakob von Brandeis. Laut Oberstkämmerer Lamberg wurde Lamberg vom Grafen von Brandeis in Urschenbecks Quartier erstochen, Brandeis verwundet; die Freunde hätten sich wegen einer „bagatelle entzweyet“, die Sache sei kein formales Duell gewesen (MZA, RA DT, K. 26, Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, Preßburg 28. Jun. 1662). 816 AVA, FA HR, K. 448, Paul Sixt Graf Trautson an F. A. Harrach, Wien, 27. Apr. 1658. 817 Bei St. Marx bei Wien duellierten sich ein Herr von Pölnitz, Oberststallmeister und Leibwacheobrist in Preußen, und der kaiserliche Kämmerer Erhard Truchseß von Wetzhausen (vgl. Bahl (2001), S. 161). Pölnitz war aus Berlin angereist und schoß seinem Gegner „mit einer kugel die venam cauam entzwey mit der anderen durch die brust“, verhielt sich aber sehr „gene- <?page no="214"?> 213 Häusern gab es vor allem unter Alkoholeinfluß 818 und in Fällen entdeckten Ehebruchs 819 . War die Ehre weiblicher Familienangehöriger und damit die der Familie verletzt, konnten sich die Auseinandersetzungen zu langwierigen und an mehreren Orten ausgetragenen Serien von Kämpfen und offenen Duellen auf Straßen innerhalb der Stadt ausweiten; bei diesem Thema endete der Respekt vor dem Kaiser 820 . reux“, starb der Getroffene doch nach dem reuigen Geständnis der ungerechtfertigten Beleidigung in seinen Armen (AVA, FA HR, K. 449, Gottlieb Graf Windischgrätz an F. A. Harrach, 25. Okt. 1664). Windischgrätz kommentierte, man verliere den Respekt vor dem Kaiser: „hibevor ist man weicht von Wien gereist, ietzt reist man auff Wien um solche händel auszuführen“. Einen Monat zuvor hatte Windischgrätz von zwei Duellen berichtet, („relata referro“) die vermutlich beide während des Türkenfeldzuges stattfanden: Graf Pio und der beleidigte Oberst Dünewald stritten erst mit Worten, dann mit Waffen, wurden getrennt, Dünnewald in Arrest genommen, doch griff dieser bald wieder an. Wohl ebenfalls während dieses Feldzuges stand das Duell zwischen einem Marquis de Vigne und de la Traite an, wobei der Marchese di Grana (Reichshofrat und Kämmerer, für den Feldzug beurlaubt (Gschließer (1942), S. 286)) und ein Starhemberg Sekundanten waren; aus dem Duell sei aber nichts geworden (AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an Harrach, Wien, 25. Sept. 1664). Ebenfalls beim Heer wurde in einem Duell der Oberstleutnant Teuffel (Ferdinand Victor, kaiserlicher Kämmerer) von einem niederländischen Rittmeister erstochen, der daraufhin die Flucht ergriff. Einer der Beteiligten, Carl Graf Trauttmansdorff, ein Sohn des ehemaligen Obersthofmeisters (Kämmerer seit 1661), wurde in Arrest gesetzt (MZA, RA DT, K. 26, Johann Maximilian Graf von Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, 29. Nov. 1663; auch Leopold I. berichtete von diesem Duell Pötting (Pribram (1903), S. 31), 29. Nov. 1663). In einem Duell zwischen General Golz und dem Silberkämmerer Pappenheim wurde der letztere mit der Pistole erschossen (AVA, FA HR, Hs. 477, Notizbuch des Kardinals Harrach, 7. Jul. 1647). Am 13. Jul. 1647 wurde Franz Christoph Hyzerle von Chodov zum neuen Oberstsilberkämmerer ernannt. 818 Fernemont tötete Laschanksi in einem Streit unter Alkoholeinfluß (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 119, 120), Preßburg, 28. Jun. 1662). Lažanský war gerade erst, am 26. Mai 1662, kaiserlicher Kämmerer geworden; nach seinem Tod rückte ein Bruder nach. 819 Jedes Klischee übertrifft das Ende des Obristen Giulio Deodati, der im Zimmer der Giovanna Gonzaga-Castilgioni von den Dienern des Ehemanns, des böhmischen Kanzlers Georg Adam von Martinitz, überrascht worden war. Deodati hatte vergeblich versucht, sich zu verstecken und nach der Entdeckung auf Martinitz geschossen (Semler (1950), S. 259, 260). Franz Adam Graf von Waldstein forderte Sigmund von Dietrichstein zum Duell, wozu Leopold I. schrieb: „Ich aber bin tempestive von allem avertirt worden habe also alsbald die duellantes in Arrest genommen.“ Darauf wollte er die beiden zum Vergleich bewegen lassen (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 204), Wien, 17. Febr. 1666). 820 Über längere Zeit erstreckten sich gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Karl und Christoph Graf Scherffenberg auf der einen Seite und einem Grafen Khevenhüller auf der anderen Seite (vgl. Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 157), Wien, 17. Febr. 1663). Ursache war ein zweideutiges Verhältnis zwischen einer Schwester des Christoph von Scherffenberg und Khevenhüller, welches zur Verfolgung desselben durch Italien und zu einem gewaltsamen Zusammentreffen in Bozen führte, wo Khevenhüller gerade mit seiner Braut, einer Tochter des dortigen Landeshauptmanns Wolkenstein, vom Traualtar auf den Kirchplatz getreten war. Am 26. Febr. 1664 schrieb der Reichshofrat Leopold Wilhelm Graf Königsegg, er reise nach Innsbruck, wo er seinen Schwager Christoph von Scherffenberg noch im Arrest finden werde und berichtete von der Sache, die den Tiroler Erzherzog verärgert habe; am 27. März berichtete er über die nach Wien zurückgereisten Kontrahenten (AVA, FA HR, K. 444, Königsegg, Immenstaad, 26. Febr. 1664 und Innsbruck, 27. März 1664). Am 24. Nov. 1664 kam es zwischen Kärtner- und Stubentor zu einem Duell zwischen Christoph von Scherffenberg und Khevenhüller, der erst vor kurzem nach Wien gekommen war; die Form des Duells bezeichnete der <?page no="215"?> 214 Weitere Berichte über Duelle und Kämpfe zeigen, daß die Befriedung des Hofadels nicht vollständig gelang; doch wurde zumeist verdeckt vorgegangen, Duellanten flohen, wenn sie nicht verhaftet wurden, nach den Duellen 821 . Die meines Wissens an Kämpfen nicht beteiligten höchstrangigen Höflinge fragten - wie die Oberstkämmerer Waldstein und Lamberg oder der Reichshofrat Windischgrätz - zwar durchaus nach Gründen und Umständen der Auseinandersetzungen und beim Abwägen von Anlaß und Ausgang konnte Anerkennung tugendhaften und edlen Verhaltens das Ergebnis sein: Insgesamt aber dominiert Unverständnis für ein als unvernünftig erachtetes Verhalten: „ich weiß hald nicht wie ihnen zu helffen ist“ kommentierte Waldstein ein Duell und auch Leopold I. stellte Duelle neben Geschehnisse, deren Sinnhaftigkeit ihm nicht einleuchten mochte: neben den Totschlag an einem Fuhrmann und einen mit sehr wenig Bedacht agierenden spanischen Bot- Oberstkämmerer Lamberg als ungewöhnlich (zu Fuß mit Degen und Pistole), Sekundanten waren ein Graf Khevenhüller und Christoph Graf Altan, die der anderen Seite Marchese Pio und Carl von Scherffenberg (MZA, RA DT, K. 26, Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, Wien, 26. Nov. 1664). Gottlieb Graf Windischgrätz beschrieb das Duell ebenfalls. Zu Fuß habe man gekämpft, weil Scherffenberg sich nicht zu Pferd habe duellieren wollen, auf 15 Schritt habe man aufeinander geschossen, darauf drei Gänge mit dem Degen gefochten, wobei Scherffenberg dem Khevenhüller aber kein Haar hätte krümmen können. Erst am Ende des dritten Ganges traf Scherffenberg (was Windischgrätz auf den Beginn eines epileptischen Anfalls Khevenhüllers zurückführte) „undt sagt er sol ds leben begehren, der andere sagt Ich, das leben! und mit dem fählt er hin, der von schäfftenberg vermeindt er seye doht auff und darvon.“ Khevenhüller habe eine Viertelstunde „in dem paroxismo der freis“ gelegen. Ebensowenig wie Lamberg tadelte Windischgrätz in diesen Fall: „man hat beÿ den gantzen hoff ausgestrewet er habe 3. thöthlich wunden, ist kein wohrt wahr gewesen nicht eine, sondern hat sich so wohl gehalte, daß alle bekenn müssen“; ihn hätten Jugend und übler Rat geführt. Einige seien in Arrest, andere geflohen (AVA, FA HR, K. 449, Windischgrätz an F. A. Harrach, 26. Nov. 1664). 821 Am 9. März 1653 duellierten sich Strozzi und Caprara mit der Kugel vom Pferd aus, beide wurden arretiert (SOA Prag, RA W, Band 2788-2813, Maximilian Graf Waldstein an seinen Sohn Ferdinand Ernst, 10. März 1653); bei Caprara dürfte es sich um den Kämmerer Ferdinands IV. gehandelt haben, bei Strozzi evtl. um Peter Graf Strozzi (Kämmerer Ferdinands III. seit 1654). Nach einem Duell zwischen Strozzi und Gallas im Jahr 1661 ließ Leopold I. die Duellanten verhaften, Gallas gehorchte, Strozzi floh (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 81, 82), Ebersdorf, 15. Okt. 1661); bei Gallas dürfte es sich um Matthias Graf Gallas handeln, der erst am 18. Sept. 1661 Kämmerer geworden war, bei Strozzi könnte es sich wiederum um Peter Graf Strozzi handeln, der 1657 Kämmerer Leopolds I. geworden war. Über die Duelle zwischen den Grafen Collalto und Werdenberg im Jul. 1647 (AVA, FA HR, Hs. 477, Notizbuch des Kardinals Harrach, 15. Jul. 1647, „per certe parole mal interpretate“; evtl. Claudio Collalto und Ferdinand Werdenberg, diese beiden wurden später Kämmerer Ferdinands III.) und dem „duello formale“ zwischen einem Schönkirchen und einem Stadl (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 112), Wien, 8. Apr. 1662), für die mehrere Kämmerer Leopolds I. in Betracht kommen, sind mir keine Details bekannt. Daß die Bedienten des Grafen Santilier einen Fuhrmann erschlugen, der unverschuldet den Weg versperrte, bezeichnete Leopold I. zwar als „una brutta minconeria”, die Kennzeichnung Santiliers als „il nostro insolente Santilier“ aber fiel nicht sonderlich hart aus: „Sopra questo sospetto li ho intimato l’arresto, lui però partì di qua, come mi dicono adesso; se questo è vero, non so, come passerà il negotio, perchè fuga facit suspectum.” Leopold I. an %ernín Kalista (1936), S. 159), Wien, 17. Febr. 1663. <?page no="216"?> 215 schafter: Bei Hof sei man gerade „in questa materia de’ duelli, ammazzamenti et furberie” 822 . Weit mehr Verständnis war bei hochrangigen Hofchargen gegeben, wenn es um zeremonielle Fragen ging, um die Dependenz persönlicher Ehre von einer Stelle. Leopold I. beschrieb in einem Brief an seinen Botschafter % ernín einen Streit, bei dem der Obersthofmeister Portia - anders als der geringste Edelmann es getan hätte - nicht zur Waffe griff, sondern sich mit einem defensiven Standpunkt im Abtausch der Worte begnügte 823 . 3. Zugang zum Kaiser Vor dem Hintergrund des Wandels in der Struktur des Hofstaats kam es auch zu einem nachhaltigen Wandel der Zugangsregelungen und zur Ausbildung einer spezifischen Zugangsregelung 824 . Dabei zeigte sich das Bestreben, die neuartigen Probleme unter Rückgriff auf diejenigen Kategorien zu lösen, mit denen man sie überhaupt erst hervorgerufen hatte. Weil Kämmerer im 16. Jahrhundert leichten Zugang zum Kaiser hatten und das Amt Ehre brachte, hatte man es so häufig vergeben, daß die alte Zugangsregelung dysfunktional wurde und selbst Ehrerbietungsansprüche des Kaisers Schaden zu nehmen begannen. Deshalb war die Regelung des Zutritts zu den Vorzimmern bald nicht mehr von Erwägungen zu den Personalzahlen des Hofstaats zu trennen. Zu den Modifikationen des Zutritts für die Ämter des Hofstaats kam aber im Verlauf des 17. Jahrhunderts über den Zwischenschritt von Ausnahmeregelungen die Aufnahme neuer Personengruppen in die Vorzimmerordnungen. Der Prozeß der Formalisierung ging soweit, daß an eine Publikation der 822 Leopold I. äußerte sich so im Zusammenhang mit der Flucht Santiliers, Maximilian Graf Waldstein kommentierte ein Duell, bei dem vermutlich Carl Graf Waldstein einen Freiherrn von Schellardt verletzte, ablehnend: „ich weiß hald nicht wie ihnen zu helfen ist.“ SOA Prag, RA W, Band 2788-2813, Waldstein an seinen Sohn Ferdinand Ernst, 25. Sept. 1653. Carl Graf Waldstein wurde desungeachtet 1654 kaiserlicher Kämmerer. 823 Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 86, Wien, 26. Nov. 1661): „Lui di questo si chiamò offeso et disse tale cose al principe Portia, dele quali ogni minimo cavaliere sarebbe stato costretto a difendersi con la spada, ma il bon prencipe, per rispetto di di chi mandò, si difese con le sole parole.” 824 Vgl. für England Asch (1995). Zu Raum und Zeremoniell Stürmer (1980), insbes. S. 219, 220, und Paravicini (1997b). Vgl. zu England auch Starkey (1987), zu Schweden Persson (1999), S. 40-55, zu Wien Duindam (1998a), S. 41, 42, Hengerer (1998), S. 276, Hengerer (2000a), S. 24, Die Verbindlichkeit der hierarchisch geregelten Verortung von Personen im Raum betont Frühsorge (1984), S. 244, als ein zentrales Element zeremonieller Ordnung. In der Finalrelation des Nuntius Pannochieschi wurde der Zusammenhang von räumlicher und sozialer Differenzierung auf den Punkt gebracht: „distintione delle Camere assegnate pure à distini soggetti“ (ASV, FP 212, fol. 17). <?page no="217"?> 216 Regelwerke gedacht wurde. Doch war den an der Planung Beteiligten bewußt, daß sich weiterer Wandel in Anbetracht des hohen Drucks auf die Türen der Vorzimmer nicht aufhalten ließ. Diese einkalkulierte Abweichung von der Norm weist darauf hin, daß es neben der Ordnung der Vorzimmer andere Reglements des direkten Zugangs zum Kaiser gab. Auch diese waren teils deutlich formalisiert, teils waren dem Anschein nach informelle Gesprächsrahmen eine Folge formeller Aufgabenzuweisung. Der ungehinderte Zugang von Oberstkämmerer und Obersthofmeister etwa war Folge ihrer in den Instruktionen festgelegten Dienstpflichten. Bei aller denkbaren und auch vorkommenden persönlichen Sympathie für Höflinge und bei aller möglichen Zurückgezogenheit gab es für den Kaiser kaum so etwas wie ein Privatleben 825 . Hier wird wiederum das Paradox sichtbar, daß es dem Kaiser zwar grundsätzlich möglich war, Merkmale jeder Situation formal oder informell zu deuten. Weil der Vollzug darüber allein nichts sagte, mußte dies im Zweifel explizit festgestellt werden. So standen selbst dem Anschein nach informelle Kontakte mit dem Kaiser unter seinem Erlaubnisvorbehalt. Die große und kaum übersehbare Fülle solcher Kontakte macht deutlich, daß die Funktion der Kontaktregulierung in den Vorzimmern nicht lediglich aus der Perspektive der Innenräume betrachtet werden kann. Ihre Hauptleistung wird man im Aussperren sehen müssen, darin, daß Türen Durchgänge sind, die man verschließen kann - was freilich die Ausschau nach Hintertüren motivieren mag. Der Verfasser eines Ferdinand III. gewidmeten Fürstenspiegels hob, wie viele andere Theoretiker, die Bedeutung eines leichten und allgemeinen Zugangs zum Herrscher deutlich hervor. Die Begründung konnte in Anbetracht einer geläufigen Funktionsbestimmung des Herrschers in der zeitgenössischen Regierungs- und Staatslehre knapp ausfallen: Weil der Fürst Zufluchtsort des Volkes sei, müsse der Zugang zu ihm immer und ohne Schwierigkeiten offenstehen 826 . Der Schluß von den Herrscherpflichten auf die Möglichkeit, mit dem Fürsten in Kon- 825 Zum Zusammenhang zwischen Theorietechnik und der Semantik von Öffentlichem und Privatem vgl. Schlögl (1998), S. 170-172, mit einem Begriff des Privaten entwickelt, der nicht mit dem Ausschluß von Öffentlichkeit, sondern mit Personalität der Kommunikation argumentiert. Daß persönliche Kommunikation mit Dynasten möglich war, wird man nicht ausschließen wollen, muß aber die Möglichkeit des Wechsels zur formalen Deutung betonen. 826 „Princeps facilem ad se aditum praebere debet“; „omnibus interim faciles aditus ad se praebere“ [debet]; „Princeps populi refugium est, patere ad illum aditus semper & facile debet“ (Vernulaeus (1640), S. 185, 150, 151). <?page no="218"?> 217 takt zu treten, ist topisch. Das Programm gründet auf der Idealvorstellung einer Interaktionsgesellschaft, in der alle miteinander in persönlichen Kontakt treten können (sollent). Dabei tauchten jedoch verschiedene Probleme auf, die indes nicht mit gleicher Aufmerksamkeit reflektiert wurden. Es war das Problem der Wahrung der Majestät, welche bei zuviel Nähe Schaden erleiden könne. Bereits etwas abseits vom Pathos der Theoretiker wurde das Problem des Ungleichgewichts zwischen Andrang und faktischen Kontaktmöglichkeiten erörtert, und regelmäßig nur am Rande wird der Umstand diskutiert, daß man dem Kaiser ja auch ein Schriftstück überreichen konnte. Der Autor der in den späten 1620er oder 1630er Jahren für den fürstlichen Gebrauch am Kaiserhof verfaßten regierungstheoretischen Schrift „Princeps in Compendio“ setzte bei diesen Topoi an, handelte die Problemkreise jedoch im Lichte der Regierungspraxis Ferdinands II. ab 827 . So befürwortete auch er den leichten Zugang für jedermann 828 , führte aber vor Augen, daß die Wahrung der Autorität in jedem Falle Vorrang habe 829 . Deshalb verwarf er den Gedanken einer einmal in der Woche abzuhaltenden Audienz ohne Zugangsbeschränkung und schlug vor, an einigen Tagen eine Audienz für Gesandte und Adelige abzuhalten, den Zugang der Armen und Personen niedrigen Standes auf die Möglichkeit der Übergabe von Bittschriften und Briefen während des Aufenthalts des Fürsten in allgemein zugänglichen Räumen („publicum“) zu beschränken. Die Bittschriften sollte er selbst entgegennehmen, nach Möglichkeit lesen und danach zur Bearbeitung an einen „consiliarium fidelissimum“ weiterleiten 830 . Damit erweist sich der von der Intention her normative Text als weitgehend deskriptiv und ging über die Praxis bei Hof lediglich mit dem Vorschlag hinaus, einen Termin für die Gesandten- und Adelsaudienz zu fixieren und die Einzelterminierung durch den Oberstkämmerer insoweit obsolet zu machen - wozu es aber nicht kam. Was hier vorgeschlagen wurde, ergab sich schon dann, wenn der Kaiser seine Retirade verließ, seine mit genau diesem Personenkreis besetzten Vorzimmer betrat und sich gesprächsbereit zeigte. Der Zutritt zu diesen Zimmern aber war formell geregelt. Öffentlich zugänglich im heutigen Sinne waren Kaiser nur, wenn sie in der Ritter- 827 Vgl. zum „Princeps in Compendio“ oben Anm. 441. 828 Bosbach (1991), S. 106, 107. 829 Bosbach (1991), S. 96, 97. 830 Bosbach (1991), S. 106, 107. <?page no="219"?> 218 stube aufgebahrt waren 831 . Öffentliche Räume im Sinne des Verfassers des „Princeps in Compendio“ dagegen waren primär die kaiserlichen Vorzimmer sowie die Räume, in denen sich der Kaiser aufhielt, wenn er in der Stadt kirchliche Einrichtungen besuchte - aber auch hier war der Zugang beschränkt. Die Regelung des Zugangs zum Kaiser blieb damit im wesentlichen wiederum eine Frage des Zutritts zu den Vorzimmern. Durch räumliche Differenzierung und eine differenzierte Zulassung verschiedener Personen und Personengruppen zu diesen Räumen ließen sich die aus der Perspektive der normativen Texte wichtigsten Zugangsmöglichkeiten ordnen. a. Vorzimmerordnungen Daher sollen zunächst die Raumaufteilung und die Zutrittsreglements untersucht werden. Die längerfristig bezogenen kaiserlichen Residenzen wiesen in Grundzügen eine gleichartige Raumaufteilung auf 832 . Vor der kaiserlichen Retirade lag eine Reihe von Räumen, deren Zahl und Folge sich zwischen der Regierungszeit Ferdinands II. und der Erweiterung der Hofburg um den Leopoldinischen Trakt im Jahr 1666 kaum, jedenfalls nicht wesentlich, veränderte 833 . Die Raumaufteilung stellte sich nach B ENEDIK vor 1666 in der Wiener Hofburg etwa wie folgt dar (Abb. 4) 834 . 831 Vgl. Hawlikvan de Water (1989), S. 53-55, am Beispiel Leopolds I. 832 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 566, 556v. Die Vorzimmerordnung von 1666 bestimmte explizit, daß die Zutrittsregeln überall, wo der Kaiser kurz oder lang Residenz halte oder sich mit seinem Hofstaat aufhalte, fest und unverbrüchlich gelten solle. In Linz war es ähnlich, wenn auch weniger ausdifferenziert: Als Ferdinand III. sich im Sommer 1648 zur Hochzeit mit seiner zweiten Frau dorthin begab, wurden vor im Schloß fünf Zimmer hergerichtet („austapeciert“), „Ferdinand III. dorthin begab, um seiner zweiten Frau entgegenzureisen: die Ritterstuben, Antecamera, Camer, Retirade, und Schlaf Cammer (AVA, FA TM, K. 119, Aa. 2, Nr. 8). 833 Die Prager Burg wies unter Rudolf II. und Kaiser Matthias eine ähnliche Raumfolge auf (Muchka (1989/ 90), bes. S. 95). Zu Wien vgl. Dreger (1914), Kühnel (1956), Raschauer (1958), Kühnel (1964), Gerhardt (1995), Benedik (1997a) und Benedik (1997b). 834 Benedik (1997a), S. 552, 553, und Abb. 686, bezeichnet: 3. Antecamera, 4. Geheime Ratsstube, 5. Conferenzzimmer, 6. Retirade, 7. Kabinett. Vgl. auch Benedik (1997b), S. 7-12. Gerhardt (1995), Abb. 195 B, dagegen gibt für die Zeit um 1640 keine Kämmerer- und Heizstube an, teilt das Turmzimmer anders ein und vorortet darin die Retirade. <?page no="220"?> 219 Abbildung 4: Raumaufteilung in der Hofburg (Ausschnitt) Dem Treppenhaus schloß sich die Trabantenbzw. Wachstube an (1) 835 . Diese war durch die Kämmererstube und einen Heizraum (C, H) von der Ritterstube getrennt (2), die besonders für große feierliche Anlässe verwendet wurde; hier wurde bei Bedarf auch ein Thron aufgestellt 836 . Das Zimmer im Eckturm scheint keine spezifische Funktion in der Raumfolge gehabt zu haben. Ihm schlossen sich die äußere und die innere Antecamera an, die auch zweite und erste bzw. aus der anderen Perspektive erste und zweite Antecamera genannt wurden. Da es sehr wahrscheinlich ist, daß die Geheime Ratsstube nicht als innere Antecamera diente und da die Geheime Konferenz zu diesem Zeitpunkt als Institution erst entstand, dürften jedenfalls noch unter Kaiser Ferdinand III. die in der Abbildung als Nr. 3 und Nr. 4 bezeichneten Räume diese beiden Vorzimmer und Nr. 5 die Geheime Ratsstube gewesen sein, der sich das kaiserliche Appartement anschloß. Die Geheime Ratsstube wurde auch als Zimmer für Audienzen genutzt 837 . 835 Es gab noch weitere hölzerne Treppen; benutzt wurden sie am 26. März 1656 von russischen Gesandten, die mit ihrem Sekretär um 13 Uhr beim Kaiser eine Privataudienz in Gegenwart des Dolmetschers, des Obersthofmeisters Auersperg und des Reichsvizekanzlers Kurz hatten, die beide auch Geheime Räte waren. Daß zu dieser Zeit sei „fast niemand zu Hoff gewesen“, könnte dazu beigetragen haben, daß man die - wohl weitgehend leeren - Vorzimmer nicht vorführte (HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 13). 836 Vgl. Dreger (1914), Abb. S. 137, 211, 212, Fiedler (1866), S. 202. 837 Die Bänke, auf denen die Geheimen Räte während der Ratssitzungen saßen, sollten danach aufgestellt und später so verwahrt werden, daß man nicht darauf sitzen konnte: „nach gehaltenem gehaimben Rath, also balten die Raths benckh […] umb zu Kheren damit Niemant darauf Sizen kann, Zu erhaltung Ihr kaÿ: Mtl: Autoridet“ (OÖLA, HSt, 1224, Fasz. 13, Nr. 231, „Observaction“, § 7, ca. 1666). Unter Kaiser Matthias wurden 1618 noch 718 fl. für die Anschaffung von zwölf Sesseln eingestellt, die in die Geheime Ratsstube kamen (HKA, HZAB 67, fol. 718*). Im Bericht Caraffas von 1629 heißt es, in den drei Zimmern vor demjenigen, in <?page no="221"?> 220 Ferdinand II. und Ferdinand III. Bezüglich der Details der Vorzimmerordnung Ferdinands II. ist recht wenig bekannt. Der Nuntius Caraffa schrieb, daß bei der Rückkehr des Kaisers in seine Gemächer die Hartschiere, Trabanten und Edelleute in der Wachstube und der Ritterstube blieben, während nur Kämmerer, „altri Ministri e Consiglieri“, die beiden Vorzimmer betreten durften. Das letzte Zimmer sei den „Ministri supremi“, den Fürsten und Botschaftern der Fürsten vorbehalten 838 . Der unscharfe Terminus „ministro“ läßt es zwar nicht zu, präzise Angaben zu machen, doch liegt eine Gleichsetzung der „Ministri supremi“ mit den Inhabern der obersten Hofämter einschließlich der Geheimen Räte nahe. Aufgrund von Rekonstruktionen, Zustandsbeschreibungen und Plänen im Zuge der Reformen der Vorzimmerordnung vornehmlich in den Jahren 1637/ 38, 1651, 1666 und 1715 ist man über die Zustände unter Ferdinand III. und Leopold I. besser informiert. Die Reform der Zugangsregelung gehörte zu den ersten Amtshandlungen Ferdinands III. und fand noch vor der förmlichen Aufrichtung des neuen kaiserlichen Hofstaates (1. April 1637) statt. Der Obersthofmarschall Ferdinands III. berichtete Ende März 1637, daß in den Vorzimmern und der Ritterstube „grosse reformationes“ vorgenommen würden 839 . Für die Regierungszeit Ferdinands III. läßt sich die nachfolgende Ordnung rekonstruieren: welchem der Kaiser Audienz gebe, sei es nicht erlaubt den Kopf mit dem Hut zu bedecken („Nelle tre stanze anvanti quella, dove Sua Maestà dà audienza, non è lecito coprire ad alcuno“ (Müller (1860), S. 264, 265)). Nach der Ordnung Ferdinands I. für die Hofämter von 1537 sollte in die kaiserliche Schlafkammer „niemandt ordinari einganng haben“, der nicht gerufen würde, worüber der Oberstkämmerer oder in dessen Abwesenheit „ainer aus den Edlen, dem es bevolhen wirdt“ zu wachen habe (ebd., OMeA SR, K. 181, Nr. 10, fol. 22v, 23; vgl. auch ebd., OMeA SR, K. 72, 1537, p. 28). 838 Vgl. Müller (1860), S. 263. Das „letzte“ Zimmer war wohl die Ratsstube; man wird die Ministri als Inhaber der obersten Hofämter identifizieren, auch als Geheime Räte. 839 OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 49, Heinrich Wilhelm von Starhemberg an seinen Bruder Caspar, Wien, 26. März 1637, fol. 366v. Unklar ist die Bedeutung der Bemerkung, daß zahlreiche Personen, die unter Ferdinand II. Zutritt noch in die Ratsstube gehabt hätten, nunmehr auf die Ritterstube verwiesen seien. Es ist möglich, daß Ferdinand III. neue Gruppenzuteilungen vornahm, es ist aber ebenso denkbar, daß Starhemberg lediglich die Folgen des Verlustes der bei Ferdinand II. innegehabten Hofämter und der daraus resultierenden Zurückstufung beschrieb. Die Finalrelation des Nuntius Pannochieschi aus späten 1650er Jahren schildert in Grundzügen diese Ordnung (ASV, FP 212, fol. 17). <?page no="222"?> 221 Geheime Ratsstube - Ferdinand III. 840 die Kardinäle, Kurfürsten und Fürsten, Botschafter der Kronen und Venedigs und die Formalgesandten der Kurfürsten die kaiserlichen (obersten) Hofämter und die wirklichen Geheimen Räte die Geheimen Räte die Feldmarschälle der Erzbischof von Gran als Primas von Ungarn und der ungarische Palatin. Kämmerer 841 Zweite Antecamera - Ferdinand III. 842 die wirklichen Kämmerer des verstorbenen Kaisers (Ferdinand II.) die wirklichen Reichshofräte Ferdinands III. und andere wirkliche Räte von Stand die hohen Amtsträger der Kaiserinwitwe Eleonora I. die hohen Amtsträger des Erzherzogs Leopold Wilhelm und Räte von Stand die hohen Amtsträger Ungarns und Böhmens und die Generäle die Residenten der gekrönten Häupter die Prälaten und Domherren der adeligen Stifte ca. 40 Inhaber von Einzelbewilligungen 840 Das Verzeichnis folgt mit Ausnahme der Kämmerer am Ende der Abschrift eines Verzeichnisses von 1638, das 1666 im Rahmen der Reformbestrebungen Lambergs entstand (OÖLA, HSt, Sch. 1224, Fasz. 13, Nr. 231). Im Vorfeld der Reformen von 1712/ 1715 entstanden leicht modifizierte Abschriften der Ordnung Ferdinands III. (HHStA, ÄZA, K. 26). 841 Die Kämmerer durften den Kaiser auf dem Rückweg von der Kirche oder, wenn er sonst öffentlich in seine Kammer ging, bis in die Retirade begleiten, dort die Reverenz machen und hernach wieder abtreten. Ansonsten sollte nur der Oberstkämmerer und in dessen Abwesenheit der älteste Kämmerer Zutritt in die Retirade haben, sonst niemand. Durch den Oberstkämmerer oder dessen Amtsverwalter konnten sich die Kämmerer aber anmelden lassen (HHStA, HA FA, K. 100, Konv. 1637-1644, Instruktion Ferdinands III. für den Oberstkämmerer Puchheim, Wien, 20. März 1637, § 9). 842 Die Aufstellung folgt der Liste in HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 31, fol. 6v-8v. Das Verzeichnis wurde frühestens 1650 angelegt (fol. 6). HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 35, fol. 1, 1v, weist demgegenüber Abweichungen auf: Anstelle der Residenten der gekrönten Häupter stehen die Residenten und Envoyés der gekrönten Häupter; die Einzelbewilligungen fehlen. In den Unterlagen des späteren Oberstkämmerers Lambergs befand sich ein von ihm überarbeitetes Verzeichnis aus der Regierungszeit Ferdinands III. (OÖLA, HSt, Sch. 1224, Fasz. 13, Nr. 231), eine andere leicht modifizierte Abschrift eines Verzeichnisses von 1638 entstand 1666 im Rahmen der Reformbestrebungen Lambergs (ebd.). Gegenüber dem Verzeichnis HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 31, fol. 6v-8v hatten auch die Kämmerer des Erzherzogs Leopold Wilhelm Zutritt in die zweite Antecamera. In der Abschrift fehlt die Aufzählung der Einzelbewilligungen. Im Vorfeld der Reformen von 1715 entstanden neuerlich leicht modifizierte Abschriften der Ordnung Ferdinands III. (HHStA, ÄZA, K. 26). <?page no="223"?> 222 Erste Antecamera - Ferdinand III. 843 die gewesten Kämmerer „de honore“ die Obristen, die dem Kaiser gedient haben und noch dienen die wirklichen Räte, die nicht Standespersonen sind die wirklichen kaiserlichen Sekretäre und diejenigen des Erzherzogs Leopold Wilhelm die Residenten der gekrönten Häupter die Residenten ca. 136 Inhaber von Einzelbewilligungen, als solche die Räte der böhmischen Appellation, darunter die Residenten anderer Fürsten, die den Zutritt aus kaiserlicher Gnade erlangt haben 843 Die Aufstellung folgt wiederum HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 31, fol. 1-6. HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 35, fol. 1, 1v, hat demgegenüber kleinere Abweichungen: alle Kämmerer de honore. Anstelle der Punkte fünf bis sieben: Alle Residenten der Kurfürsten und Fürsten und unterschiedliche Edelleute, die den Zutritt aus kaiserlichen Gnaden erhalten haben. In den Unterlagen Lambergs befand sich auch ein von ihm überarbeitetes Verzeichnis aus der Regierungszeit Ferdinands III. (OÖLA, HSt, Sch. 1224, Fasz. 13, Nr. 231). Danach hatten anstelle der gewesten „Alle die grossen Cammern de honore“ den Zutritt in die erste Antecamera. Es fehlt in diesem Verzeichnis die vorletzte der oben aufgeführten Gruppen (Residenten anderer Fürsten, die den Zutritt aus kaiserlicher Gnade erlangt). In dem Verzeichnis hatte Lamberg die Residenten der gekrönten Häupter gestrichen und durch die Residenten der Kurfürsten ersetzt sowie die letzte der oben aufgeführten Gruppen, die Residenten und die - ohne Namensnennungen aufgeführten - Einzelbewilligungen gestrichen. Eine leicht modifizierte Abschrift eines Verzeichnisses von 1638 entstand 1666 im Rahmen der Reformbestrebungen Lambergs (OÖLA, HSt, Sch. 1224, Fasz. 13, Nr. 231). Gegenüber dem Verzeichnis HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 31, fol. 6v-8v, ergeben sich leichte Änderungen: Danach hatte „Alle die Cammerern de honore“ Zutritt. Es fehlen gegenüber der oben angeführten Liste (HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 31, fol. 1-6) jedoch die letzten drei Gruppen, an deren Stelle lediglich die Residenten der Kurfürsten stehen. Im Vorfeld der Reformen von 1715 entstanden neuerlich Abschriften der Ordnung Ferdinands III. Die Abschrift in HHStA, ÄZA, K. 26, fol. 2-4, weist für das erste Vorzimmer gegenüber ebd., K. 2, Konv. 31, fol. 1-6, wie die Abschrift Lambergs die Modifikation: „Alle die Cammerherrn de honore“ auf, folgt ihr auch in der Auslassung der letzten drei Gruppen und nennt statt dessen die Residenten der Kurfürsten. Die Abschrift in ebd., K. 26, fol. 15 ff. von 1715 folgt ebd., fol. 2-4; ebenso die Abschrift in ebd., fol. 18-20v. <?page no="224"?> 223 Ritterstube - Ferdinand III. 844 alle Mundschenke, Vorschneider und Truchsessen die Herren- und Ritterstandspersonen aus dem römischen Reich und aus den Königreichen und Erbländern des Kaisers, die den Zutritt in die Antecamera nicht erlangt haben die fremden adeligen bekannten Personen, seien es Kriegsoffiziere oder andere Personen von Stand die kaiserlichen und königlichen Edelknaben samt ihren Hofmeistern, Präzeptoren, Lautenisten, Fecht- und Tanzmeistern die kaiserlichen Hofsekretäre sowie die aus dem Reich abgeordneten Doktoren, Residenten und Agenten die bekannten Doktoren oder nobilitierte Personen die kaiserlichen und königlichen Hoffuriere und Hofoffiziere die kaiserlichen Musiker der Wiener Stadtmagistrat die Aufwärter der hohen Amtsträger und Geheimen Räte die kaiserlichen Forstmeister die adeligen Bedienten der Botschafter und Abgesandten, für jeden Botschafter zwei Pagen sowie die Aufwärter der Fürsten und deren Sekretäre an den Fest- und Feiertagen die Hartschiere und Trabanten der Leibwache diejenigen, die für eine terminierte Audienz aufwarten 844 Die Aufstellung folgt der Ordnung vom 8. Apr. 1651 (HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 561, 561v). Eine Ritterstubenordnung vom Obersthofmeister Trauttmansdorff, vermutlich von 1639, ist ebenfalls überliefert. Danach durfte sich niemand „einschleichen“, Zutritt hatten alle „officier“ oder diejenigen, die dem Kaiser gedient haben, die dienenden wie nicht mehr dienende Kriegsofficiere, alle im Ritter- und Adelsstand, auch die adeligen Pagen und adeligen Kammerdiener, sowie die bürgerlichen Ratsverwandten der Städte, an Sonn- und Feiertagen die kaiserlichen Edelknaben, an Sonn- und Feiertagen und bei öffentlichen Audienzen oder Belehnungen auch die kaiserlichen Hartschiere und Trabanten, im übrigen nach Bedarf. Der Saaltürhüter sollte sich für den Fall, daß jemand sich diesem kaiserlichen Befehl widersetzte, die Leibwache zur Hilfe nehmen (ebd., OMeA SR, K. 74, Konv., Nr. 15, Instruktion für den Saaltürhüter, Nr. 5, p. 333, 334, vgl. auch ebd., K. 74, Nr. 15, fol. 1, 1v, datiert auf 1639). Die Liste ebd., ÄZA, K. 26, fol. 2, 2v (eingesehen im Büro von HR Dr. Dirnberger †) schreibt sich selbst der Zeit Ferdinands III. zu, entspricht in Anbetracht der Abweichungen jedoch eher der Ordnung Leopolds I.: Punkt 1: nur die kaiserlichen Truchsessen, Punkt 2: Die Herren- und Ritterstandspersonen aus den Erbkönigreichen und Ländern, die den Zutritt in die Antecamera nicht erlangt haben. Punkt 3: Bis hinab auf die Kapitäne und noch niedrigere Befehlshaber, wenn sie adelig sind. Punkt 4: kaiserliche und erzherzogliche Edelknaben. In Punkt 5 fehlen die Residenten, ebenso die Musiker und der Magistrat sowie diejenigen, die auf ihre Audienz warten. Bei den Aufwärtern der Gesandten und Geheimen Räte werden nur die vornehmsten zugelassen, während bei den Hartschieren und Trabanten der Aufenthalt außerhalb der Festtage, soweit es der Dienst erfordert, vorgesehen ist. Das Verzeichnis von 1715 in ebd., ÄZA, K. 26, fol. 16, 16v, ist eine Abschrift von ebd., fol. 2, 2v, und dürfte ebenso eher der Zeit Leopolds I. zuzuordnen sein. <?page no="225"?> 224 Wachstube 845 die übrigen Diener und Knaben der Edelleute andere, die den Zutritt in die Ritterstube nicht haben Treppenhaus und Hof im Schweizertrakt 846 Lakeien, Stallpartei Bei der Interpretation dieser Ordnung wird man verschiedene wichtige Gesichtspunkte hervorheben müssen. Ein Blick auf die unterschiedlichen Kriterien der Zutrittsberechtigung macht zunächst die besondere Attraktivität eines qualifizierten Hof- und besonders des Kämmereramtes deutlich. Unterscheidet man die Eigenschaften, nach denen die Zuteilung zu den verschiedenen Vorzimmern unter Ferdinand III. vorgenommen wurde, lassen sich drei Gruppen bilden. Auf der einen Seite stehen die Ämter im Hofstaat oder in sonstigen kaiserlichen Diensten, zu denen hier auch die Amtsinhaber der Vorgänger oder sonstiger Mitglieder der Dynastie gerechnet seien, auf der anderen organisationsexterne Merkmale wie insbesondere Stand oder Funktionen in fremden Herrschaftszusammenhängen. Dazwischen stehen mit den Individualbewilligungen, den bekannten Doktoren und denjenigen mit terminierten Audienzen Personen, die weder organisationsintern vergebene Merkmale aufwiesen noch mit klassifizierten organisationsexternen Merkmalen formell abgesicherte Merkmale aufwiesen 847 . 845 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 561, Wien, 8. Apr. 1651, § 15. 846 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 561, Wien, 8. Apr. 1651, § 15. Die Lakeien blieben bei den Karossen oder auf den Stiegen, die Pagen der Edelleute hielten sich in der Wachstube auf, in die Ritterstube hatten die Bedienten der Edelleute, die nicht Livree trugen, Eintritt. 847 Organisationsinterne Eigenschaften: Geheime Ratsstube: Oberste Hofämter, Geheime Räte, Feldmarschälle, Kämmerer; zweite Antecamera: die wirklichen Kämmerer des verstorbenen Kaisers Ferdinand II., die wirklichen Reichshofräte Ferdinands III. und andere wirkliche Räte von Stand, die hohen Amtsträger der Kaiserinwitwe Eleonora I., die hohen Amtsträger des Erzherzogs Leopold Wilhelm und Räte von Stand; erste Antecamera: Kämmerer, Obristen, die wirklichen Räte, die nicht Standespersonen sind, die kaiserlichen Sekretäre sowie die des Erzherzogs Leopold Wilhelm; Ritterstube: die Mundschenke, Vorschneider und Truchsessen, die kaiserlichen und königlichen Edelknaben samt ihrem Hofmeistern, Präzeptoren, Lautenisten, Fecht- und Tanzmeistern, die kaiserlichen Hofsekretäre sowie die aus dem Reich abgeordneten Doktoren, Residenten und Agenten, die kaiserlichen und königlichen Hoffuriere und Hofoffiziere, die kaiserlichen Musiker, die kaiserlichen Forstmeister, an den Fest- und Feiertagen die Hartschiere und Trabanten der Leibwache; Inhaber der Einzelbewilligungen. Organisationsexterne Eigenschaften: Geheime Ratsstube: Kurfürsten, Fürsten, Botschafter der Kronen, Erzbischof von Gran und der ungarische Palatin; zweite Antecamera: die hohen Amtsträger Ungarns und Böhmens und Generäle, die Residenten der gekrönten Häupter, die Prälaten und Domherren der adeligen Stifte; erste Antecamera: die Residenten der Kurfürsten, Residenten; Ritterstube: die Herren- und Ritterstandspersonen aus dem Römischen Reich und aus den Königreichen und Erbländern des Kaisers, die den Zutritt in die Antecamera nicht erlangt haben, der <?page no="226"?> 225 Bemerkenswert ist nun, daß der Herrscher als Kaiser und als Landesherr auch den Stand und damit ein aus der Perspektive des Hofstaats betrachtet organisationsfremdes Merkmal einer Person verändern konnte. Auch wird ins Auge springen, daß außer den Kurfürsten, Fürsten und Kirchenvertretern lediglich Gesandte und die Spitzen der eigenen Kronländer Eintritt in die Vorzimmer fanden und dort auf die Inhaber aller Ämter des inneren Hofstaates - somit mit Ausnahme der Truchsessen, Mundschenke, Vorschneider und Edelknaben den gesamten mit einem Hofamt versehen Hochadel - trafen und sogar auf die nicht adeligen Sekretäre der Behörden. Der Adelsstand allein und selbst der Herrenstand reichte unter Ferdinand III. nicht aus, um in diese Kreise vorzudringen. Die Herren- und Ritterstandspersonen aus dem Reich, den Königreichen und Erbländern des Kaisers waren grundsätzlich auf die Ritterstube verwiesen und brauchten, wollten sie in die für den Hof relevanten Personengruppen vordringen, Einzelbewilligungen des Kaisers. Kämmerer dagegen gehörten hinsichtlich des Zugangs auch dann, wenn sie nicht „wirklich dienten“, zur privilegiertesten Gruppe. Die Vorzimmerordnung Ferdinands III. präferierte damit in erheblicher Weise Formen organisationaler Anbindung gegenüber der Zugehörigkeit selbst zum hohen Adel des habsburgischen Herrschaftszusammenhanges. Gerade in der Frage der Zugangsregelung der Grafen und Herren also wurde die Asymmetrie zwischen Hofstaat und Behörden und den Ländern zum Problem. Von daher erweist sich der Ansturm auf das Kämmereramt - ungeachtet der Motivlagen 848 - als Element der Umstrukturierung frühneuzeitlicher Herrschaftsform im Sinne des Ausgleichs einer organisational hergestellten Kontaktasymmetrisierung. Auch die in der Vorzimmerordnung angelegte Asymmetrie gegen den nicht mit Ämtern versehenen Adel durchzuhalten bedurfte es steter Anstrengung und einiger Ventile. Einzelbewilligungen Ein solches Ventil waren die vom Kaiser individuell erteilten Zutrittsbewilligungen 849 . Kaiser Ferdinand III. vergab zwischen 1637 und 1651 Wiener Stadtmagistrat, die Aufwärter der hohen Amtsträger und Geheimen Räte, die adeligen Bedienten der Botschafter und Abgesandten sowie für jeden Botschafter zwei Pagen wie auch die Aufwärter der Fürsten und deren Sekretäre; Ritterstube: die bekannten Doktoren oder nobilitierte Personen, diejenigen, die für eine terminierte Audienz aufwarten; Wachstube: die übrigen Diener und Knaben der Edelleute, andere, die den Zutritt in die Ritterstube nicht haben. 848 Man wird ob der Restriktionsbemühungen kaum annehmen, daß dieses Zusammenwirken bei den Überarbeitungen der Vorzimmerordnung im 17. Jahrhundert intendiert war. 849 Vgl. auch den Bezug hierauf in der Finalrelation Pannochieschis (ASV, FP 212, fol. 17). <?page no="227"?> 226 über 180 solcher Einzelbewilligungen für die beiden Vorzimmer, etwa vierzig davon für die exklusivere innere Antecamera. Davon entfielen etwas mehr als zwei Drittel auf die ersten vier Jahre seiner Amtszeit, wobei der Aufenthalt in Prag 1638 besonders hervorzuheben ist. Dieser Umstand verweist darauf, daß es bei der Vergabe auch um die Bewältigung der Abdankung des Hofstaats Ferdinands II. ging. Nicht jeder, der unter Ferdinand III. in seinem Amt nicht bestätigt wurde, sollte auch den Zugang zum Kaiser verlieren. Damit hatte es aber nicht sein Bewenden. Die bewußt rigide allgemeine Zugangsrestriktion wurde auf einer Ebene unterhalb der allgemeinen Norm modifiziert, wobei verschiedenen zentralen Problemkomplexen Rechnung getragen wurde. Zunächst wurde auf den Umstand reagiert, daß der Kaiserhof selbst und sein Personal hochmobil waren. Zahlreiche Amtsträger waren dauerhaft von der jeweiligen Residenz entfernt, hinterließen dort aber Vertreter, die aufgrund ihres niedrigen Status auf Individualbewilligungen angewiesen waren: So erhielten gleich mehrere Bediente und Verwandte von Ottavio Piccolomini Zugangsbewilligungen, aber auch ein Bedienter des Grafen Schwarzenberg, der als Oberstkämmerer Erzherzog Leopold Wilhelms mit diesem im Feld und in den Niederlanden war. In diesen Zusammenhang gehört auch Joseph Rabatta als Sohn des kaiserlichen Botschafters in Venedig. Den Botschaftern wurde diese Erleichterung der Kontaktherstellung sogar innerhalb der Residenz gewährt. Obschon sie selbst Zugang zur Ratsstube hatten, wurde auch ihren Bedienten und Verwandten - explizit den Sekretären des Nuntius und des venezianischen Botschafters beim Kaiser sowie dessen Sohn - der Zutritt in die Vorzimmer gestattet. Auf einer darunter liegenden Stufe wurde weniger wichtigen Militärs für ihre sinnvollerweise kurzen Aufenthalte in der Residenz der eigene Zutritt erleichtert. Auch zahlreiche Residenten und Abgesandte von Entsendern, die weder Kurfürsten waren noch Kronrang hatten und als solche nur in die Ritterstube vorgelassen wurden, kamen in den Genuß dieser Vergünstigung, darunter auch der Hofkanzler des Hofes in Innsbruck. Aufgefangen wurde mit den Individualbewilligungen auch das Problem, daß zahlreiche Amtsträger aus den Bereichen Finanzverwaltung und Justiz vielfach zwangsläufig außerhalb des Hofstaats oder dort in niedrigen Positionen angesiedelt waren und als solche keine Stellen bekleideten, welche über das hofstaatliche Regelsystem eine Raumzuordnung hatten. Unter den erheblichen finanziellen Belastungen gerade der Kriegszeit erschien die Beseitung von Zugangsproblemen offenbar geboten. Vielfach wurden Inhaber von Fiskalämtern ernannt. So war der <?page no="228"?> 227 Wiener Münzmeister Richthausen zwar zum Hofkammerrat ohne Ordinanz ernannt worden, versah diesen Dienst also nicht, hatte aber allein dadurch Vortritt zu den Vorzimmern; doch dieser wurde durch die Einzelbewilligung noch verbessert 850 . Daneben aber gab es wiederum die Möglichkeit der Einzelbewilligung. Diese wurde etwa dem niederösterreichischen Vizdom, dem Kammerprokurator und dem Landschaftseinnehmer ebenso zugestanden wie den Steuereinnehmern in Böhmen sowie aus dem Bereich der Justiz den Räten der böhmischen Appellation und zahlreichen Richtern anderer mährischer und böhmischer Gerichte. So bekam der Oberstlandrichter in Mähren, Johann Freiherr von Rottal, im November 1637 die Bewilligung für die äußere Antecamera; nachdem er nach seiner 1641 erfolgten Erhebung in den Reichsgrafenstand 1642 Oberstlandkämmerer geworden war, erhielt er im Dezember 1643 Zutritt zur inneren Antecamera, bevor er 1646 Landeshauptmann in Mähren und kaiserlicher Kämmerer wurde. Für den notwendigen Zugang zum Kaiser scheint dies ausgereicht zu haben, denn erst 1653 wurde er als Geheimer Rat vereidigt 851 . Einerseits wird an dieser Stelle sichtbar, wie über Ausnahmeregelungen invisibilisiert werden konnte, daß eine stete Anpassung des Zutrittsreglements des Hofstaats an die Erfordernisse der Landesverwaltung unterhalb der Ebene der Einbindung der meist hochadeligen Behördenchefs in den Geheimen Rat unabweisbar war und auch vorgenommen wurde 852 . Andererseits wird deutlich, daß die Zugangserfordernisse auch für hochrangige Amtsträger wie den Lan- 850 Von Johann Konrad Richthausen Freiherr von Chaos wird berichtet, daß er „ob er zwar kein geheimbter Rath noch von großer extraction ist, beÿ Ihre keÿl. Maÿ. tt für allen andern hohen Ministris, ohne eintziges anmelden einen freÿen access hat“ (RKA, G 281, Bericht Aug./ Sept. 1655). Chaos war Hofkammerrat ohne Ordinanz (vgl. Anm. 244) und hatte als solcher ein geringeres Zutrittsrecht. Als Wiener Münzmeister lieferte er Gold und Silber in die Geheime Kammer (vgl. u.a. HKA, HZAB 108, fol. 98, 106, 107). Zu seiner Person vgl. Newald (1882), S. 145-147, bes. 146. 1644 verlieh Ferdinand III. Johann Anton von Popp neben dem Titel eines Reichshofrats u.a. auch den „Zuetritt in die ante Camera“ (HKA, HQR, K. 1, Nr. 3 (1633, 1637), Nr. 16, fol. 20, 22. Jun. 1644). Popp war Reichshofrat seit 1625 und dürfte um 1639 ausgeschieden sein (Gschließer (1942), S. 214, 241). Eine Besoldung wurde für ihn bis 1645 eingestellt (HZAB 91), seit 1651 wurden unter Ferdinand III. Ausstände an seine Erben gezahlt (HZAB 97, 99-101, 103). Vgl. auch HKA, HQR, K. 1, Nr. 3 (1633, 1637), Nr. 16, fol. 16, 27v. 851 Johann Freiherr von Rottal: äußere Antecamera am 4. Nov. 1637; Johann Graf von Rottal: innere Antecamera am 21. Dez. 1643. Kämmerer und Landeshauptmann in Mähren wurde er 1646, Reichsgraf 1641 (vgl. Schwarz (1943), S. 328, 329). 852 Die Vergünstigung für den Oberstsilberkämmerer Bernhard Ignaz von Martinitz zeigt, daß das alte Laufbahnmuster, das mit Ämtern im äußeren Hofstaat begann und über Funktionsehrenämter (u.a. Oberstsilberkämmerer) evtl. zum Kämmereramt führte, von der Entwicklung des Kämmereramts und der daraus resultierenden Modifikation der Zutrittsrechte hinsichtlich der Zugangsrechte überholt worden war. Um dem Oberstsilberkämmerer sein früheres qualifiziertes Zutrittsrecht zu erhalten, mußte er begünstigt werden. <?page no="229"?> 228 deshauptmann Johann Graf Rottal so zufriedenstellend bewerkstelligt werden konnten. Ein weiterer wichtiger Kommunikationszusammenhang konnte auf diese Weise ebenso systematisch wie für die reguläre formelle Hofstaatsordung problemlos realisiert werden: Mittels der Einzelbewilligungen wurde zahlreichen protestantischen Adeligen Zutritt bei Hof verschafft, die für die ganz überwiegende Zahl der Hofämter nicht in Betracht kamen. Es ist hinlänglich bekannt, wie sehr sich die Kaiser der Gegenreformation verschrieben hatten, sie als Landesherren förderten, und daß sie im Alltag fortwährend v.a. dem Einfluß von Nuntius und Beichtvater ausgesetzt waren. Diese beschwerten sich ebenso eifrig wie prompt und ausdauernd, wenn Protestanten in den landesherrlichen Territorien des Kaisers Vergünstigungen gewährt wurden. Die Kaiser wollten und konnten besonders seit den späten 1620er Jahren nur wenige Protestanten zu Amsträgern im Hofstaat ernennen und ihnen auf diese Weise Zugang über die Ritterstube hinaus verschaffen. Allein in Niederösterreich jedoch waren noch im Jahre 1652 154 Männer aus 42 Geschlechtern des Herrenstandes und 79 Männer aus 30 Geschlechtern des Ritterstandes Protestanten, und dies vielfach aus Familien, die wie etwa die Hardegg, Polheim und Sinzendorf in Landesangelegenheiten noch Einfluß hatten. Mittels der Individualbewilligungen erhielt auch diese Adelsgruppe bei formeller Wahrung der katholischen Prägung des Hofstaats Zutritt zum Kaiser, interessanterweise mehrfach sogar zur inneren Antecamera: Hierfür wären aus dem niederösterreichischen Herrenstand aus den bedeutendsten Familien etwa Julius Graf Hardegg, Otto Heinrich von Zinzendorf, Otto Teuffel und Erasmus d. J. Graf von Starhemberg zu nennen. Aber auch für den Zutritt in die äußere Antecamera für Angehörige des niederösterreichischen Ritterstands gibt es Beispiele, wie etwa Wolf Sigmund von Prössing 853 . 853 HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 31, fol. 18v. Den Zutritt in die erste Antecamera erlangten nach diesem Verzeichnis zwischen 1637 und 1650 neben den Räten der Appellation (1637) 137 Personen: 1637: 53 einzeln aufgeführte Personen zuzüglich die Räte der Appelation, 1638: 31, 1639: 17, 1640: 10, 1641: 2, 1642: 10 (einer nach Befehl erst 1642 eingeschrieben, auch erst dort gezählt), 1643: 2 (einer davon dadurch, daß er Kämmerer wurde (Trauttmansdorff)), 1644: 2, 1645: 1, 1646: 3, 1647: 2, 1649: 3, 1650: 1. Den Zutritt in die zweite Antecamera erhielten 42 Personen: 1637: 23, 1638: 4, 1639: 2, 1640: 1, 1642: 5 (zwei davon als Kämmerer), 1643: 1, 1644: 2, 1646: 1, 1648: Erasmus d. J. von Starhemberg erhielt 1637 den Zutritt in die äußere, 1638 in die innere Antecamera. Eine Auswahl: Gruppe 1, Präsenzsubsitute: Cavalier bei Piccolomini, Sekretär von Ottavio Piccolomini, Resident des kaiserlichen Botschafters zu Rom, Aufwärter des Grafen von Schwarzenberg, Sohn des kaiserlichen Botschafters zu Venedig Joseph Graf Rabatta, Vetter von Piccolomini (Caprara). Sohn des venezianischen Botschafters (innere Antecamera); Sekretär des Nuntius, Sekretär des venezianischen Botschafters, Sohn des Statthalters Breuner, Abgesandte aus dem Jülicherland, kurbayerischer Resident, Re- <?page no="230"?> 229 Schließlich ist eine größere Anzahl von Adeligen hervorzuheben, die den Zutritt in die Antecamera erlangten, bevor sie ein Hofamt erhielten. Darunter waren unter anderem der nachmalige Oberststallmeister Franz Albrecht Graf Harrach, der spätere Hofkammerpräsident David Ungnad von Weissenwolff und der dritte Obersthofmeister Erzherzog Leopolds, Johann Ferdinand von Portia. Die so Begünstigten stammten zumeist aus wichtigen und teilweise auch in Hofämtern fest etablierten Familien der verschiedenen von den Habsburgern regierten Länder. Harrachs Vater war Geheimer Rat Ferdinands II. gewesen, ein Bruder war Kardinal, ein anderer Obersthofmeister Erzherzog Leopold Wilhelms; Ungnad gehörte einer der bedeutendsten Familien Österreichs ob der Enns an, Portia einer solchen Friauls. Zu jung waren diese Personen für die Übernahme eines Hofamtes nicht. Eher wird man annehmen, daß hier teils mit Rücksicht auf einflußreiche landsässige Herrenstandsfamilien, teils im Hinblick auf andere bei Hof bereits etablierte Verwandte gehandelt wurde. Es scheint sich aber auch um Vergünstigungen zu handeln, die während gewisser Wartezeiten bis zur Übertragung von Hofämtern bereits das Aufwarten und zugleich mit dem Aufenthalt in den Vorzimmern die Einbindung in den Kreis der Höflinge ermöglichten 854 . sident des Herzogs von Gustalla und Piombino, Resident Genuas, Hofkanzler zu Innsbruck. Gruppe 2, Militärs: Oberstleutnant Gundaker von Herberstein, Oberstleutnant Schmit, Obrister zu Komorn Collonitsch, Kavalleriegeneral Johann Ernst Freiherr von Scherffenberg. Gruppe 3, Verwaltung und Recht: Vizdom Veith Schinderl, Handgraf Tobias Helfried von Kaiserstein, Landschaftseinnehmer Carl von Carlstein, Kammerprokurator Weinzierl, Steuereinnehmer: Chiesa und Binago; aus dem Hofstaat: Schatzmeister Matthias von Pallingen, Kriegszahlmeister Peverelli, Kammerrechtsbeisitzer in Böhmen Ticho, Landesbesichtiger in Mähren, Landrechtsbeisitzer in Mähren, Gabriel Freiherr Serrini (Oberstlandrichter in Mähren und innere Antecamera 8. Apr. 1644, 1651 Kämmerer). Gruppe 4, Protestanten: Julius Graf Hardegg (innere Antecamera 17. Mai 1637), Otto Heinrich von Zinzendorf (innere Antecamera 9. Nov. 1637), Otto Teuffel (innere Antecamera 14. Apr. 1638), Erasmus d. J. Graf von Starhemberg (innere Antecamera 19. Jun. 1638), Wolf Sigmund von Prössing, Philipp Graf von Hardegg, Polheim, Hieronymus von Oberheim, der nachmalige Hofkanzler Hans Joachim Graf Sinzendorf (1642), Hans Christoph Geyer d.Ä., äußere Antecamera 21. Aug. 1637, Hans Paul Geymann 2. März 1639, Hans Sigmund Graf von Hardegg, 6. Jul. 1650; unklar: Bernhard Freiherr von Zierotin, äußere Antecamera, Prag 12. Sept. 1638. Höflinge Ferdinands II.: Francesco Bocamajor, Camillo Bocamajor, ehem. Oberstkuchlmeister; Hans Georg Vratislav von Mitrovic hatte bereits ein Amt, wurde aber durch die Einzelbewilligung hochgestuft (Truchseß 27. Apr. 1637, äußere Antecamera 7. Jun. 1637). Auch der Geheime Sekretär Peter Abel Schmalz wurde begünstigt. Zur Zahl der Protestanten vgl. Anm. 984. 854 Dazu gehörten u.a. mit Bewilligung für die äußere Antecamera: Conte Caretto de Millesimo (äußere Antecamera, 13. Apr. 1637; Truchseß 1639), Franz Albrecht Graf Harrach (äußere Antecamera, 27. Apr. 1637, Kämmerer 1640), Otto Graf Reichserbtruchseß von Friedberg (äußere Antecamera 7. Aug. 1637, Kämmerer 1650), Conrad Graf von Starhemberg (äußere Antecamera 7. Aug. 1637, Kämmerer 1644), Hans Reichard von Starhemberg (äußere Antecamera 7. Aug. 1637, Kämmerer 1644), Hans Wilhelm von Scherffenberg (äußere Antecamera 7. Aug. 1637, Kämmerer 1642), Brüder Scipio und Francesco Bonacossi (äußere Antecamera am 26. Nov. 1638; Scipio: 1639 Truchseß und Fürschneider; Francesco: Truchseß und Mund- <?page no="231"?> 230 Die Bewilligungen wurden also mit Bedacht vor allem an drei strukturell bedeutsamen Stellen vergeben: im Vorfeld der Vergabe von Hofämtern zum einen, zum anderen dort, wo eine Kompatibilität des Hofstaats mit weiteren Behörden, Landständen und dem Reich (noch) nicht formell hergestellt war und schließlich dort, wo das Problem der von Kaiser und Hofstaat entfalteten Mobilität zu lösen war. Die Individualbewilligungen ersparten dem Hofstaat damit differenziertere und größere formelle Anpassungsleistungen an seine Umwelt. Weil es sich um opportunitätshalber erteilte Ausnahmen handelte, Opportunität aber schwer einzuhegen ist, kam es auch hier zu Weiterungen: So klagte beispielsweise Graf Magni dem Obersthofmeister Ferdinands III. im Juli 1638, er habe in einer Audienz beim Kaiser um den Zutritt zur Antecamera gebeten, damit er vom Hof nicht ausgeschlossen werde („escluso dalla Corte“), habe aber bislang den Zutritt nicht erhalten. Der Obersthofmeister Trauttmansdorff verschaffte ihm darauf den Zutritt zur äußeren Antecamera 855 . Inhaber von Einzelbewilligungen sind für das 17. Jahrhundert systematisch nur für Kaiser Ferdinand III. dokumentiert. Mit der Lockerung der Zugangsregelungen unter Leopold I. verlagerte sich das Problem der Kontaktherstellung von verschlossenen Türen auf überfüllte Räume, schenk 1639), Hans Joachim Graf Sinzendorf (äußere Antecamera 22. Febr. 1642, Protestant noch 1652, Reichshofrat 1648, Kämmerer 1653 nach Konversion), Neffe des Obersthofmeisters Ferdinands III., Trauttmansdorff), Ferdinand Victor Teuffel (äußere Antecamera 11. Aug. 1644, Mundschenk 1649, Sohn des verst. Statthalters), Johann Matthias Graf Strassoldo (äußere Antecamera 21. Febr. 1649, Truchseß 24. Dez. 1649, Mundschenk 1652) sowie für die innere Antecamera: Zdenko Graf Vratislav von Mitrovic (innere Antecamera 7. Jun. 1637, Truchseß Zdenko Georg Graf Vratislav von Mitrovic 1640), Rudolf Graf Kaunitz (innere Antecamera 5. Mai 1644, Mundschenk und Kämmerer 1646), Ferdinand Graf Dietrichstein (innere Antecamera 20. Sept. 1648, Kämmerer 21. März 1649), Burian Ladislaus Graf Waldstein (innere Antecamera 25. Okt. 1637, Kämmerer 1639), David Ungnad von Weissenwolff (innere Antecamera 4. Jan. 1640, 1. März 1640 Hofkammerrat, 1642 Kämmerer, 1633 konvertierter Ex-Exilant) und Johann Ferdinand von Portia (innere Antecamera 20. Dez. 1639, Kämmerer 1645). Portia war am Kaiserhof bereits Edelknabe gewesen (vgl. Schwarz (1943), S. 322). Eingetragen sind auch die Kämmererernennungen von Johann Friedrich Graf Trauttmansdorff (äußere Antecamera und Kämmerer am 8. Jan. 1643), Carl Gottfried Breuner (innere Antecamera und Kämmerer, zu Laxenburg am 11. Mai 1642, Mundschenk seit 1640), Gottfried von Eibiswald (innere Antecamera und Kämmerer, zu Laxenburg am 17. Mai 1642). Diese Angaben entsprechen HHStA, OMeA SR, Bd. 186, 187. Interessanterweise geben die Verzeichnisse in HHStA, OKäA und HHStA, OMeA SR, K. 183, für diese drei Kämmerer geringfügig frühere Daten an, den 2. Jan. 1643 für Trauttmansdorff, den 29. Apr. 1642 für Breuner und den 5. Mai 1642 für Eibiswald. Auch der spätere Landeshauptmann von Mähren, Paul von Liechtenstein-Kastelkorn erhielt eine Einzelbewilligung, Prag 19. Jul. 1637. 855 AVA, FA TM, K. 140, Ff. 5, Nr. 26, fol. 162, 26. Aug. 1638. Ferdinand III. habe gesagt, der Oberstkämmerer würde ihn um die Resolution wissen lassen, bislang aber habe er nichts vernommen. Bereits im Aug. 1638 wurde dem Bittsteller in Prag der Zutritt zur äußeren Antecamera bewilligt (Einzelbewilligung vom 3. Aug. 1638). <?page no="232"?> 231 doch konnte Lamberg als Oberstkämmerer die Einzelbewilligungen aus der Zugangsordnung streichen 856 , zumal auch der protestantische Adel an Bedeutung abnahm und die Schwellen für die Erlangung niedrigerer Hofämter weiter sanken. Hofstaatsgröße Um so mehr muß für das 17. Jahrhundert der regelmäßige Zusammenhang zwischen den Reformen der Vorzimmerordnung und den Bemühungen um die Restriktion des Kämmereramtes betont werden. Die Gesichtspunkte Hofstaatsgröße und Zugangsregelung ließen sich nicht getrennt voneinander diskutieren. Bei den Bestrebungen um eine Reform der Vorzimmerordnung wurden diese Aspekte denn auch regelmäßig gemeinsam erörtert. Aufschluß über die aus der Sicht des Kaisers relevanten Aspekte geben für die Regierungszeit Ferdinands III. die von diesem am 2. März 1651 für den neuen Oberstkämmerer Waldstein eigenhändig verfaßte Ordnung für die kaiserliche Kammer und das am gleichen Tage ebenfalls eigenhändige Additional zu dieser Ordnung 857 . Diese Anweisungen Ferdinands III. machen deutlich, daß man die Verschränkung der Reform des Kämmereramtes und derjenigen der Vorzimmerordnung in der Reputation des Kaisers sah. Kämmerer gebe es zu viele und trotzdem werde er nicht hinreichend bedient. Deshalb versuchte er über die Kopplung von Dienstversehung und Präzedenzregeln zu erreichen, daß eine kleine Zahl von Kämmerern wenigstens zwei oder drei Jahre dauerhaft („continue“) diente 858 . Auf der anderen Seite bestand Ferdinand III. darauf, daß die diensthabenden Kämmerer während des Kammerdienstes keine Einflußfaktoren darstellten. Er verbot den Kämmerern, im Rahmen des Kammerdienstes in eigenen Angelegenheiten an ihn heranzutreten und verwies sie auf die beim Oberstkämmerer anzumeldenden Audienzen 859 . 856 Graf Hardegg und die protestantischen Reichshofräte wurden indes unter Leopold I. weiter gesondert mit privilegiertem Zugang bedacht. 857 HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. r. 122, Heft 4, rote Nr. 22, 2. März 1651. 858 HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. r. 122, Heft 4, rote Nr. 22, 2. März 1651. Danach vertraten die Kämmerer einander ohne seine Erlaubnis. 859 Die Instruktion Ferdinands III. für die Kammerdiener vom 22. März 1651 verbot den Kammerdienern und dem übrigen Kammerpersonal, Memorialien anzunehmen. zu übergeben oder beim Kaiser Angelegenheiten zu betreiben, in eigenem wie in fremdem Namen etwas vorzubringen und anders als auf Befragen hin mit dem Kaiser zu sprechen. Außerhalb ihres Dienstes und in Abwesenheit des Kaisers durften sie dessen Zimmer nicht betreten, „noch die auff unserer taffel liegende Memorialien, schrifften, und anbringen suechen, viel weniger dieselbigen lesen, verruken oder verwenden, noch das jenige, was sie von uns vernehmen, offenbahren und austragen“; sie sollten, wenn sie Wache vor den Zimmern hatten, zwar nahe bei der Tür <?page no="233"?> 232 Die Norm und ihre Wiederholung in bezug auf Vertreter des Oberstkämmerers zeigten indes, daß Kämmerer durchaus auf ihre Anliegen zu sprechen kamen; auch war mit der hier Abhilfe schaffen sollenden Anordnung, sie möchten sich für eigene Angelegenheiten einen Audienztermin vom Oberstkämmerer geben lassen, eine günstige Ausgangsposition für die Zulassung zur Audienz gegeben. Überdies war das Kämmereramt Anknüpfungspunkt für zahlreiche Rangregeln im Hofstaat 860 , auch blieb den Kämmerern die Sonderstellung in den Vorzimmern: Ferdinand III. erlaubte ausdrücklich den Zutritt zur Retirade nicht nur zur Versehung des Dienstes, sondern wann immer er aus der Kirche komme oder sonst öffentlich in seine Kammer gehe. Sie durften ihm dann dort aufwarten, ihre gebührliche Reverenz tun und dann wieder abtreten - und hernach in den Vorzimmern bleiben. Gerade bezüglich der Vorzimmer klagte Ferdinand III. über unhaltbare, dem Respekt vor seiner Hoheit abträgliche Zustände. Seine Höflinge, besonders Grafen und andere Standespersonen sowie Fremde schadeten dieser durch unberechtigten Zutritt, lautes Reden, durch Spazierengehen und dergleichen mehr 861 . Der Oberstkämmerer solle daher denjenigen den Zutritt zu den qualifizierten Vorzimmern wieder versagen, die ihn nach der alten Ordnung nicht gehabt hätten, besonders einigen Residenten. Da man aber nicht alle Fälle vorhersehen könne, sollte neben der alten Ordnung weiter mit Einzelbewilligungen verfahren werden. Aufrechterhaltung der Vorzimmerordnung, das wird deutlich, hing vor allem aber von der Durchsetzungskraft des Oberstkämmerers ab, der in der Kammerordnung lediglich Anhaltspunkte für die konkrete Ausgestaltung fand. In diesem Rahmen konnten sich auch die nicht diensttuenden Kämmerer in den Vorzimmern und sogar in der Ratsstube behaupten und hatten damit weiter Zugang zur relevanten Gesellschaft wie den Spitzen des kaiserlichen Regierungs- und Verwaltungsapparates. sein, „doch sich aber auch nicht zu nahend, und so hart an die Thür stellen, daß Sie die fürkommende sachen, Negotia, und geheimbnussen Hören, und Vernehmen können.“ Vor dem Hintergrund der Gespräche mit dem Kaiser bei dessen Weg durch die Vorzimmer ist das Verbot zu sehen, den Kaiser, wenn er durch seine Zimmer, die Ratsstube oder die Vorzimmer gehe, ungefragt anzusprechen. Das e.h. Konzept Ferdinands III. vom 22. März 1651 (HHStA, OMeA SR, K. 74, Konv. 11, Nr. 13) wurde ohne die vom Kaiser nachgetragenen Paragraphennummern und unter Auslassung eines Paragraphen über den Tafeldienst abgeschrieben (HHStA, ZA SR 10, fol. 393-395, dort ist das Datum 22. März 1651 richtig wiedergegeben, in anderen Abschriften steht 2. März 1651). 860 Hengerer (2001a), S. 352-358. 861 E.h. Kammerordnung Ferdinands III. (HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. r. 122, 5), Wien, 2. März 1651, in der beiliegenden Teilumschrift § 14. Die Türen vor dem kaiserlichen Zimmer sollten deshalb „fleißig zuegemacht und verwahret“ werden; das folgende in § 18. <?page no="234"?> 233 Leopold I. Nach dem Tod Ferdinands III. und der Etablierung eines neuen Hofstaats verfuhr der Kammertürhüter Rascher in Ermangelung einer neuen Ordnung weiter nach der alten. Er sah sich jedoch mit einem so gravierenden Verfall dieser Ordnung konfrontiert, daß er 1666 mit mehreren Denkschriften den Versuch einer Reform der Vorzimmerordnung anstieß. Die leitenden Gesichtspunkte in der auch von den Spitzen des Hofstaats geführten Diskussion waren wiederum die zu hohe Zahl der Kämmerer, die mangelhafte Versehung des Kammerdienstes, die Überfüllung der Retirade und der Vorzimmer, unberechtigter Zutritt und hinsichtlich der Wahrung des Respekts vor dem Kaiser untragbare Zustände in den Vorzimmern. Unter Ferdinand II. und dann auch unter Ferdinand III. war nach den Ausführungen Raschers 862 über den Zutritt zu den Vorzimmern Buch geführt worden. Die vom Oberstkämmerer getroffene Entscheidung, wer Zugang zu welchem Vorzimmer haben sollte, war im Falle, daß jemand am Kaiserhof „stetigs residirn hat wollen“ auf Anordnung des Oberstkämmerers in das „Buch der Ante Camera“ eingetragen worden. Vermerkt wurden Name, Titel und Zutrittsrecht. Aufgrund dieser Eintragungen hatten dann die Kammertürhüter den Zutritt in die verschiedenen Vorzimmer reguliert. Die beiden „Cammerbüecher“, die unter Ferdinand III. noch in der Amtszeit der Oberstkämmerer Waldstein und Gonzaga in Benutzung gewesen waren, waren unter Leopold I. dem Obersthofmeister Portia ausgehändigt worden. Da diese aber in seinem Besitz verblieben, keine neuen angelegt worden seien und zudem noch der alte Kammerfurier verstorben sei, sei die alte Ordnung herabgekommen. Der neue Kammerfurier habe mangels schriftlicher Anordnungen die Autorität des Kaisers „erligen lassen, Pflicht hin oder her“. Daher fühlte sich Rascher bemüßigt, den Oberstkämmerer zu bitten, die „alte burgundische Hoffstatt“ einzusehen, eine neue Ordnung zu erlassen und wiederum Kammerbücher anzulegen. Die weiteren Einlassungen des Kammertürhüters lassen erkennen, daß die Restriktion des Zugangs zu den verschiedenen Räumen vor dem Hintergrund einer laxen Handhabung selbst hinsichtlich statusniedriger Peronen eigens in Erinnerung gerufen werden mußte. Selbst die Truchsessen waren bis in die Antecamera vorgedrungen: „Truckhsässen gehören auch nit in die Ante 862 OOLÄ, HSt, 1224, Fasz. 231, Nr. 13, s.d., 1666, Eingabe Raschers an Lamberg. <?page no="235"?> 234 Camera sollen in der Ritterstuben allwo selbe dienen thun sollen verharren.“ 863 Das Personal konnte die Ordnung Ferdinands III. in den Anfangsjahren Leopolds I. also nicht aufrechterhalten. Angesichts des Umstandes, daß drei Protestanten nur unter Hinweis auf die Bewilligung des Oberstkämmerers Lamberg die Ratsstube betraten und zahlreiche weitere Personen in der zweiten Antecamera „ihre Residenz nehmen“, bat der Kammertürhüter denn in einem anderen Memorial um eine diesbezügliche Anweisung und insbesondere um die schriftliche Abfassung der Zutrittsregeln 864 . Raschers Versuch, die unter Ferdinand III. installierte Ordnung aufrechtzuerhalten, trug ihm seinem Bericht zufolge „nichts als Hass und Neüdt“ ein und setzte ihn diversen Tätlichkeiten aus: Er beklagte, geschlagen worden zu sein („Mauldaschen“), auch seien seine Fenster eingeworfen worden und man habe sogar nach ihm geschossen. Im übrigen gingen mittels der „aigenen gewaldt [...] alle herkhombende Graffen und Herren ohne ainziges anmelden, oder Consens“ des Oberstkämmerers in die zweite Antecamera, auch geleiteten die Zutrittsberechtigten unberechtigte Fremde in die Vorzimmer. Beklagt wurde weiter der außerhalb der Dienstversehung nicht gestattete Aufenthalt des Hofkaplans und des Aumoniers in den Vorzimmern oder gar in der Ratsstube, wo sich selbst der Narrenhofmeister aufhalte, ferner das zu weite Vordringen der kaiserlichen Musiker „mit allen Ihren Kindern“ und des niederen Kammerpersonals. Rascher erinnerte unter Hinweis darauf, daß der Oberstkämmerer Ferdinands III. Gonzaga dem Truchseß Haan den Aufenthalt in der Antecamera verboten habe, nochmals daran, daß die Truchsessen sich in der Ritterstube und nicht in der Antecamera aufzuhalten hatten: „gehen aber alle darein. und das mit gewaldt.“ Der Oberstkämmerer Lamberg, in dessen Herrschaftsbereich die Vorzimmer fielen, nahm die Klagen auf und trug diese und weitere Probleme in einer 31 Punkte umfassenden Denkschrift für eine Kammerinstruktion zusammen, deren Zweck neben der Wiederherstellung einer respektablen Ordnung die Sicherung der restriktiven Zugangsregeln war 865 . Dieser Entwurf einer Kammerordnung, die er dem Kaiser als An- 863 OOLÄ, HSt, 1224, Fasz. 231, Nr. 13, s.d., 1666, Rascher an Lamberg, Anlage, §§ 2 und 3. 864 Ebd. Die Protestanten waren danach Windischgrätz, Graf Hardegg d.Ä. und Zinzendorf. 865 Dem Oberstkämmerer Lamberg ging es auch um die Repräsentativität der Vorzimmer. Die „Autoridet und Reputation“ des Kaisers und die Rede, die Fremde und Reisende über den Kaiserhof führen würden (OÄLA, HSt, 1224, Fasz. 1224, Fasz. 231, Nr. 13, „Observaction“, § 21; Authorität auch §§ 7, 12, 25), die Verwunderung der „Fremdten“ über die chaotischen <?page no="236"?> 235 lage zu seinem Memorial bzgl. der Situation im Kämmereramt beizufügen gedachte 866 , verwies die Truchsessen, Hofkapläne und Musiker außerhalb ihrer unmittelbaren Dienstverrichtungen in der Antecamera aus der Geheimen Ratsstube und Antecamera und wieder an ihren alten Platz in der Ritterstube. Alle hohen und niederen Standespersonen „wie selbige Nahmen haben mögen“, die dem Kaiser nicht durch Eid und Pflicht, also durch ein Amt „zuegethan seint“, sollten ohne besondere Genehmigung des Oberstkämmerers und entsprechende Anordnung an die Türhüter keinen Zutritt zur Antecamera haben. Personen mit Antecamerazutritt sollte verboten werden, Fremde in die Antecamera zu führen. Bestätigt wurde in diesem Zusammenhang auch die Verfügungsmacht des Oberstkämmerers über die Zuordnung von Standespersonen zu den Vorzimmern. Lamberg erinnerte weiter daran, daß die Bedienten derjenigen, die Zugang zur Antecamera hatten, lediglich bis in die Ritterstube gelangen durften. Neu und im Hinblick auf die vom Kammertürhüter beklagten Zustände um 1665 bezeichnend ist die explizite Anordnung bezüglich des niederen Kammerpersonals (des Kammerlappenhofmeisters, des Kammerzwergendieners und „alle andere bediente Camer Persohnen“ sowie deren Diener und Jungen, aber auch die Stiefelwischer und „andere Diener mehr“), wonach diese vor der Ritterstube zu warten hatten. Den Kapelldienern und den Dienern der Kapläne sowie den Zwergendienern sei zu untersagen, weiter „unverschambter weis, wie in einem Paurnhaus“ in die kaiserlichen Zimmer zu laufen. Zu diesem Zweck sei den Antecameratürhütern eine unterzeichnete Aufstellung der Zutrittsberechtigungen auszuhändigen. In einer von Kaiser Leopold I. anbefohlenen Sitzung erörterten die Inhaber der obersten Hofämter - Lobkowitz als Obersthofmeister, Lamberg als Oberstkämmerer, Starhemberg als Obersthofmarschall und Dietrichstein als Oberststallmeister - am 25. Oktober 1666 diese Probleme, vor allem aber Fragen des Zeremoniells der bevorstehenden Hochzeit 867 . Lamberg schlug vor, dem Kaiser ein Verzeichnis zu überreichen, aus dem hervorgehe, wie die Zutrittsrechte vormals geregelt gewesen seien, und kam über den „abusu“ und die „confusion“ in Kammer und Ritterstube zur Zahl der Kämmerer. Diese habe sich unter Ferdinand II. und Ferdinand III. des Krieges wegen zu vermehren begonnen und unter Ferdinand III. 190 betragen. Da zahlreiche Kämmerer Ferdi- Zustände in den Vorzimmern („Observation“, § 24) waren Gründe für die für die Beseitigung der Mißstände, zu denen auch Spinnengewebe gehörten. 866 OÖLA, HSt, 1224, Fasz. 231, Nr. 13. 867 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 546-551, Protokoll der Sitzung vom 25. Okt. 1666. <?page no="237"?> 236 nands III. und Leopold Wilhelms von Leopold I. aufgenommen worden seien, sei man derzeit bei einer Zahl von 300 (zuzüglich 40 Prätendenten) angelangt. Die bevorstehende Hochzeit sei eine günstige Gelegenheit, die daraus entstandene „confusion“ abzustellen und mittels der Benennung von 30 bis 50 Kämmerern, die (turnusmäßig) wirklich dienen sollten, wieder zur Praxis unter Ferdinand III. zurückzukehren, der nur von acht Kämmerern wirklich bedient worden sei. Diese Kämmerer sollten zwei bis drei Jahre wirklich dienen, die adeligen Prätendenten aber erst eine gewisse Zeit im äußeren Hofstaat dienen, was auch dem Ansehen des Kaisers zuträglich sei. Ein Kämmerer, der seine Jahre nicht abgedient habe, solle auch die entsprechenden Präzedenz- und Zugangspriviliegien nicht haben 868 . Daß gegenwärtig 50 bis 60 Kämmerer die Retirade beträten, ginge nicht an. Der Obersthofmeister fügte an, daß die Vorstellungen des Oberstkämmerers dem burgundischen Hofstaat entsprächen, nach welchem nur wirkliche Kämmerer in die Retirade gehen sollten, und erörterte dann die Probleme mit den Abgesandten. Ungeachtet seiner grundsätzlichen Unterstützung des Vorschlags gab er zu bedenken, man möge dem Kaiser bezüglich der Ernennung von Kämmerern mit der Voraussetzung des vorherigen Dienstes im äußeren Hofstaat die Hände nicht binden. Am 26. Oktober 1666 wurde dem Kaiser schriftlich Bericht über die Sitzung und über die weiteren Veranlassungen erstattet, wonach der Oberstkämmerer ein Verzeichnis über Ordnung und Zahl der Kämmerer sowie den Zutritt in die Antecamera verfassen sollte, das dem Kaiser dann zur Ratifikation übergeben werden sollte 869 . Im Rahmen einer Sitzung am 21. November wurden Lambergs Vorschläge, die er am 7. November 1666 dem Obersthofmeister Lobkowitz eigens schriftlich empfohlen 870 und in einer Denkschrift gleichen Datums nochmals entfaltet hatte 871 , diskutiert. Zusätzlich zu den Inhabern der obersten Hofämter waren noch der ehemalige Obersthofmeister Ferdinands III., Fürst Auersperg, sowie dessen Intimfeind und Intimus des 1662 verschiedenen Erzherzogs Leopold Wilhelm, Graf Schwarzen- 868 Diesen Gedanken nahm Ferdinand III. 1651 wieder auf (HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. r. 122, 5), Wien, 2. März 1651, in der Reinschrift § 2: „Im fall aber einer oder der ander, die obgesagten Jähr, nit völlig erstrekhte, könnte Ihme die gesezte Gnad der Stöll halber, nicht aufgehalten werden.“ war er bereits in der Instruktion für den Oberstkämmerer Puchheim (ebd., HA FA, K. 100, Konv. 1637-1644, Wien, 20. März 1637, § 2). 869 Eine Kopie und ein Konzept des Schreibens in HHStA, OMeA, K. 1, Akten, Nr. 20. 870 HHStA, OMeA, K. 1, Akten, Nr. 14; Lamberg an Lobkowitz, 7. Nov. 1666. 871 OÖLA, HSt, 1224, Fasz. „die Cammerordnung betreffend“. Die Denkschrift des Oberstkämmerers vom 7. Nov. 1666 ist ausführlicher als Vortrag sein vom 25. Okt. 1666. <?page no="238"?> 237 berg, anwesend 872 . Lamberg trug erneut seine Pläne für eine Kämmererrestriktion vor, wies nochmals auf die „confusion“ in den Vorzimmern hin, erwähnte, daß er dem französischen Gesandten den Zutritt zur Ratsstube in Analogie zum Gesandten Genuas verweigern wolle und schlug vor, eine Vorzimmerordnung noch vor der kaiserlichen Hochzeit zu publizieren. Während Lobkowitz diesem Vorschlag beipflichtete, wandte Dietrichstein ein, daß es schwer fallen dürfte, die Kämmereramtsanwärter so wie Lamberg es sich vorstellte, auf den äußeren Hofstaat zu verweisen. Man solle vielmehr die „digniores“ für das Kämmereramt auswählen und sich um eine Reform erst nach der kaiserlichen Hochzeit kümmern. Auerspergs Einlassung ging in dieselbe Richtung: „ab uno extremo ad aliud zu ghehen, wehre nit woll zu rathen, und das medium zu erwehlen“. Die Reform solle „ratione laetitae“ nicht vor der Hochzeit, sondern erst nachher vorgenommen werden; einstweilen solle der Oberstkämmerer prüfen, wer wohl wirklich dienen wolle, die übrigen aber auf den äußeren Hofstaat verweisen. Auch in bezug auf den Zugang zu den Vorzimmern solle man nichts „innovieren“, sondern die alten Unterlagen aufsuchen und die Sache nochmals überdenken, derweil die diesbezüglichen Ansprüche „per viam ordinariam gehen und ob den statutis gehalten werden“ sollten. Auch Schwarzenberg war skeptisch und meinte, es würden sich „nit wol regulae generales machen lassen“, die auch eingehalten werden könnten. Was den Kammerdienst betreffe, solle der Kaiser ohne weiteres selbst jeweils zwei und zwei Kämmerer auswählen, die eine Woche hindurch dienen sollten. So schloß die Sitzung mit der Vertagung der Fragen auf die Zeit nach der Hochzeit. Die Idee der Restriktion auf etwa 50 Kämmerer, die nach dem Dienst im äußeren Hofstaat dann zwei bis drei Jahre wirklich dienen sollten, befand man „unmaßgeblich für gut“, wiederholte aber den bereits im Oktober erhobenen Einwand, dem Kaiser nicht die Hände binden zu wollen, wenn er den einen oder anderen mit dem Kämmererschlüssel begnaden wolle. Bezüglich der Zutrittsrechte war denn auch „nichts aigentliches ausgesprochen worden“, die Sache wurde mit dem Auftrag, die einschlägigen alten Akten aufzuarbeiten, an den Oberstkämmerer zurückgegeben. Die Skeptiker setzten sich durch: Niemand sollte vor der Hochzeit durch Restriktionen im Kämmereramt oder in den Vorzimmern verprellt und das Belieben des Kaisers bei der Personalauswahl nicht eingeschränkt werden. Überdies hatte Dietrichstein Grund, an der Akzeptanz 872 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 570-572v, vgl. auch 562-566v. <?page no="239"?> 238 des äußeren Hofstaats zu zweifeln, war dieser doch in den späten Jahren Ferdinands III. und erst recht unter Leopold I. zu schwach besetzt. Das Resolutionsprotokoll zur Sitzung unterrichtete über die Vertagung hinaus noch über den wichtigen Einwand Schwarzenbergs: Nachdem man anfänglich die Auffassung vertreten hatte, daß eine Ordnung vor der Ritterstube „zur Nachricht anzuschlagen wehre“, meinte man später, „das solche publicatio allerhandt Unwillen und Ungelegenheit nach sich ziehen, dieselbe etwan gleichwohl überschritten, in Verachtung gestellt und also es hernach fast erger als zu vor sein wurde, und dahero besser wehre, an statt diser publication denen Thürhiettern deswegen gewisse Regulas zu geben oder die vorigen zu renovieren“ 873 . Wenn schon mit Normübertretungen gerechnet werden müsse, solle man die Normen wenigstens nicht verschriftlichen. Man fürchtete bei Hof, eine restriktive Vorzimmerordnung 874 ebenso wenig aufrecht erhalten zu können wie eine entsprechende Ernennungspolitik. Schwarzenberg und Auersperg waren unter Ferdinand III., Ferdinand IV. bzw. Erzherzog Leopold Wilhelm Oberstkämmerer und Obersthofmeister gewesen und dürften von daher in Erinnerung gehabt haben, welche Schwierigkeiten sich in den 1650er Jahren gestellt hatten, als der Versuch unternommen worden war, Personen mit einmal gewonnenem Zugangsrecht wieder aus den Vorzimmern herauszudrängen. Ferdinand III. selbst hatte dies in seinem Additional vorhergesehen: „soviel möglich, alte confusiones nach und nach, mit guter manier [...] abstellen [...] und noch discretior verfahren, damit sich khein attension beÿ denselben“ einstelle 875 . Auch Ferdinand III. mied - anders als zu Beginn seiner Regierungszeit als Kaiser im März und April 1637 - die klare Reform und hatte inzwischen offenbar einsehen müssen, daß ohne Aufsehen und Ärger einmal eingeräumte Zugangsrechte oder die eingerissenen Zustände kaum zurückzunehmen waren. Der von verschiedenen Instruktionen und Ordnungen vorgesehene Rückgriff des für die Vorzimmer zuständigen Personals auf die Wache 876 half da wenig - stand das Personal doch selbst unter im Wortsinne scharfem Beschuß. So er- 873 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 572. Vec (1999), S. 60-62, weist auf die Diskrepanzen zwischen Hofordnungen und ihrer Durchsetzung hin. 874 Vgl. auch Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 174), Wörgl, 27. Okt. 1665, über seinen Besuch einer Musikaufführung bei Erzherzogin Anna in Innsbruck: „so habe ich selben Abend selbiger beigewohnt, doch quasi all incognito, und hätten keine Leut sollen dabei sein. Es haben sich aber viel dazu gestohlen.“ 875 E.h. Kammerordnung Ferdinands III. (HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. r. 122, 5, Wien, 2. März 1651). 876 OMeA SR, K. 74, Konv. Nr. 15, Saaltürhüterinstruktion, vgl. HHStA ZA SR 10, p. 333. <?page no="240"?> 239 staunt es nicht, daß Lambergs Aufstellung der Zugangspraxis von 1666 weniger restriktiv war als die Ordnungen Kaiser Ferdinands III. Geheime Ratsstube - Leopold I. 1666 877 die Kurfürsten und Fürsten Botschafter der Kronen und Venedigs, die Formalgesandten der Kurfürsten die kaiserlichen (obersten) Hofämter die wirklichen Geheimen Räte die wirklichen kaiserlichen Kämmerer die Feldmarschälle der Erzbischof von Gran als Primas von Ungarn und der ungarische Palatin vermittels einer Einzelbewilligung der französische, englische und spanische Envoyé (Gremonville, Carlingfort und der Baron de Prado) 878 Zweite Antecamera - Leopold I. 1666 879 die Kämmerer de honore alle Grafen und Freiherrn alle Obristen, Oberstleutnants und Oberstwachtmeister die kaiserlichen Truchsessen und Mundschenke die Reichshofräte und andere wirkliche Räte die hohen Amtsträger Ungarns und Böhmens die kaiserlichen Generäle die Envoyés und Residenten der gekrönten Häupter und Kurfürsten 877 OÖLA, HSt, Sch. 1224, Verzeichnis von 1666. Den Aufenthalt der Kämmerer bestätigt auch das Memorial von Rascher von 1666, wonach sich dort niemand außer Kämmerern, Geheimen Räten, Fürsten, Gesandten der Kronen und Kurfürsten und königlichem und ungarischem Kanzler aufhalten sollte. Im Vorfeld der Reformen von 1712/ 15 entstanden auch Verzeichnisse des Zugangsrechts Leopolds I. Die Abschrift in HHStA, ÄZA, K. 26, fol. 2-4 dürfte von 1712 stammen und läßt gegenüber der Zusammenstellung Lambergs die obersten Hofämter aus. Die Abschrift in ebd., fol. 15, von 1715 folgt ebd., fol. 2-4, wiederholt auch die Einzelbewilligungen, ergänzt diese aber um den Hinweis darauf, daß bei Reichstagen die Geheimen Räte und hohen Amtsträger der Kurfürsten „propria authoritate“ hineingehen. Die Abschrift in ebd., fol. 20, 20v, von 1715 folgt ebd., fol. 2-4, weist aber leichte Kürzungen auf: So sind bei den kurfürstlichen Gesandten nicht die Formalgesandten, sondern nur Gesandte erwähnt, bei den Kämmerern fehlt das Attribut „kaiserliche“. 878 Erwähnt sind auch die Reichshofräte Windischgrätz und Sinzendorf sowie Graf Hardegg. 879 OÖLA, HSt, Sch. 1224, Fasz. 231, Nr. 13. Im Vorfeld der Reform von 1712/ 15 entstanden Verzeichnisse des Zugangsrechts Leopolds I. Die Abschrift in HHStA, ÄZA, K. 26, fol. 2- 4 dürfte von 1712 stammen. Es zieht gegenüber der Zusammenstellung Lambergs die Zutrittsberechtigung der Oberstleutnants und Oberstwachtmeister mittels des Ausdrucks „auch wohl“ in Zweifel. Die Abschrift in ebd., fol. 15 von 1715 folgt ebd., fol. 2-4. Die Abschrift in ebd., fol. 20, 20v, weist gegenüber ebd., fol. 2-4, einige Modifikationen auf, die auf Nachlässigkeit bei der Anlage des Verzeichnisses hinweisen. Ebenso könnte die Einfügung von „alle geringere Persohnen“ nach den hohen Amtsträgern Ungarns und Böhmens eine Modifikation sein, die aus dem Verzeichnis der zweiten Antecamera Ferdinands III. ebd., fol. 18-20v, herrühren. <?page no="241"?> 240 Erste Antecamera - Leopold I. 1666 880 alle kaiserlichen Sekretäre alle fürstlichen Agenten die kaiserlichen Kapläne und Domherren, die nicht Standespersonen sind die „Landleuth“ und Rittermäßigen Rittmeister und Hauptleute der königl. Botschafter und Fürsten Aufwärter Ritterstube - Leopold I. 1666 881 die kaiserlichen Truchsessen die Herren- und Ritterstandspersonen der Erbkönigreiche des Kaisers und Landen, die den Zutritt in die Antecamera nicht erlangt haben die fremden adeligen Personen und Kriegsoffiziere, bis auf die Kapitäne auch noch niedrige Befehlshaber, wenn sie adelig sind die kaiserlichen und erzherzoglichen Edelknaben die Doktoren oder nobilitierte Personen die aus dem Reich abgeordneten Doktoren und Agenten die kaiserlichen Oberoffiziere (Hofämter) und Hoffuriere die Aufwärter und adeligen Bedienten der Gesandten und kaiserlichen Geheimen Räte an den Fest- und Feiertagen die Hartschiere und Trabanten der Leibwache, und wann sonst ihr Dienst es erfordert die Pagen der Botschafter 880 Nach der Aufstellung des Oberstkämmerers Lamberg aus dem Jahr 1666 (OÖLA, HSt, Sch. 1224, Fasz. 231, Nr. 13). Im Vorfeld der Reformen von 1712/ 15 entstanden auch insofern Verzeichnisse des Zugangsrechts Leopolds I. Die Abschrift in HHStA, ÄZA, K. 26, fol. 2- 4 dürfte von 1712 stammen und nennt gegenüber der Zusammenstellung Lambergs zusätzlich noch die Aufwärter der Kurfürsten. Die Abschrift in ebd., fol. 15, von 1715 folgt ebd., fol. 2-4, läßt aber die Aufwärter der Fürsten aus. Die Abschrift in ebd., fol. 18-20v von 1715 weist wie ebd., fol. 2-4, die Aufwärter der Kurfürsten auf, läßt aber die Rittermäßigen aus. Vgl. auch HHStA, HA FA, K. 102 (1712), Notizen zur Situation unter Ferdinand III. und Leopold I. 881 HHStA, ÄZA, K. 7, Konv. 30, fol. 563, 563v. Das etwa zeitgleich entstandene Verzeichnis in ebd., fol. 565, weist geringfügige Modifikationen auf: Es heißt dort zunächst alle Truchsessen, weiter alle Herren- und Ritterstandspersonen, die aus den Königreichen und Erbländern des Kaisers stammen. Die Pagen der Botschafter finden dort keine Erwähnung. Ein weiteres im Zusammenhang der Reform von 1666 angelegtes Verzeichnis (ebd., fol. 576) zieht gegenüber ebd., fol. 563, 563v, den Kreis der Aufwärter der Abgesandten und kaiserlichen Geheimen Räte etwas enger, indem es nur den Vornehmsten den Zutritt in die Ritterstube läßt. HHStA, OMeA, K. 1, Akten, fol. 26 (Konvolute durcheinander) dürfte das Verbindungsstück der Verzeichnisse sein. Es nennt alle kaiserlichen Truchsessen, gibt als Herkunft der Herren- und Ritterstandspersonen die Königreiche des Kaisers und seine Erbländer an, läßt nur die vornehmsten Aufwärter zu und spezifiziert den Dienst der Hartschiere und Trabanten, der ihnen den Zutritt in die Ritterstube verschafft - wenn sie Speisen tragen. <?page no="242"?> 241 Zahlreiche Personen waren gegenüber der Ordnung Ferdinands III. bis 1666 in den Zimmern vorgerückt, so die Truchsessen und Mundschenke aus der Ritterstube in die innere Antecamera. Die wirklichen Kämmerer hielten sich nun üblicherweise in der Ratsstube auf, auch rangniedrigere adelige Militärs waren in die zweite Antecamera vorgerückt. Der mit einem Hofamt versehene Hochadel war mit Ausnahme der Edelknaben auf die Ratsstube und die zweite Antecamera verteilt, während ihm unter Ferdinand III. teilweise lediglich die äußere Antecamera und die Ritterstube zugebilligt worden war. Der adelige Hofstaat hatte sich unter dem Druck auf die Vorzimmer in den beiden ersten Vorzimmern zusammengezogen und damit an räumlicher Binnendifferenzierung eingebüßt. Vergleicht man die von Maximilian Graf von Trauttmansdorff aufgezeichnete frühe Ritterstubenordnung Ferdinands III. mit derjenigen von 1651 und der Leopolds I., wird unschwer erkennbar, daß sich die Ritterstube bis in die 1650er und 1660er sehr weit geöffnet hatte. Die formale Organisation des Hofstaates setzte die Erkenntis um, daß seine Umwelt sich nicht nur nach dem Muster mitgliedschaftlichhofstaatlicher Anbindungsformen erfassen und bearbeiten ließ und daß man über den Zwischenschritt der Ausnahmen zu neuen Regeln kommen konnte. Die explizite Aufnahme der fremden Kriegsoffiziere, der aus dem Reich abgeordneten Doktoren, Residenten und Agenten sowie der übrigen Doktoren deutet an, daß die Organisation Hofstaat auch Habsburgs „Rückkehr ins Reich“ 882 in interne Ordnungsmuster umsetzte. So wird verständlich, daß wohl ausgehend von der Einzelbewilligungspraxis für Angehörige des erbländischen Adels nun „alle Graven und Freÿherrn“ in die zweite Antecamera gelangten. Damit hatte das bislang so wichtige Element der durch die Raumdifferenzierung hergestellten Asymmetrie zwischen dem organisational erfaßten Personenkreis und dem ämterlosen Adel an Bedeutung etwas verloren; da aber die Ratsstube unter Leopold I. den nunmehr so zahlreichen Geheimen Räten und wirklichen Kämmerern und damit dem zahlenmäßig größten Teil des adeligen Hofstaates offenstand, blieb eine nach innen vorrükkende Asymmetrie bestehen. Gleichwohl: Die Ratsebene der Verwaltung und Justiz sowie hohe Ränge des Militärs waren nun für den ämterlosen Hochadel ohne weiteres in den Vorzimmern erreichbar. 882 Repgen (1990), S. 166. Ähnlich Press (1974), S. 96. 97, in bezug auf die Reichsritterschaft im Kraichgau bereits für den Anfang des 17. Jahrhunderts. Vgl. zum Verhältnis von Reich und Österreich Höbelt (1996) und Klueting (1996). <?page no="243"?> 242 Innerhalb der Räte war die Differenzierung - vor dem Hintergrund, daß die Kammerräte unter Leopold I. zu diesem Zeitpunkt überwiegend hochadelig waren - weggefallen. Die Praxis der Einzelbewilligungen setzte Leopold I. fort, doch sind wir für eine Interpretation über eine zu geringe Anzahl informiert 883 . Ein knapper Blick auf die Zugangsrechte im Jahr 1715 zeigt, daß die Entwicklung sich noch weiter fortsetzte. Die Asymmetrisierung von organisationaler Anbindung und Adel wurde durch die Zulassung der Ritter in die zweite Antecamera und der regierenden Reichsgrafen in die Ratsstube weiter geschwächt, die Unterscheidung von Hofadel und Hofamt aber blieb dadurch aufrechterhalten, daß nunmehr alle Kämmerer ihren regelmäßigen Aufenthalt in der Ratsstube nehmen konnten 884 . Dies bewirkte, daß der über die Vorzimmerordnung regulierte Zugang zum Kaiser in weitaus geringerem Maße als noch unter Ferdinand II. und Ferdinand III. die Möglichkeit zu Gespräch, Einflußnahme und Geschäftsbesorgnung bot und sich mit der Überwindung des Zugangshindernisses der verschlossenen Türen das Problem in eines der wechselseitigen Wahrnehmung in stark frequentierten Räumen verwandelte. Zum anderen weist die Entwicklung auf eine Stärkung höher formalisierter Kontaktsteuerungssysteme von der terminierten Audienz bis hin zur formellen Bearbeitung von Anliegen durch Kammern und Räte hin; und auf die Notwendigkeit, ganz andere Wege zu gehen. b. Audienzvergabe Vor diesem Hintergrund wird man die Details der Gestaltung der kaiserlichen Audienzen in den Blick nehmen müssen. Unterschiedslos werden die Kaiser des Untersuchungszeitraumes als zugänglich, freundlich, leutselig, verständnisvoll etc. im persönlichen Umgang geschildert und sie verstanden es offenbar, in den Audienzen die ihnen von den allgemeinen wie eigens für sie verfaßten Fürstenspiegeln anempfohlene Ansprechbarkeit und Güte („affabilitas et benignitas“) jedenfalls im Gespräch glaubhaft vorzuführen und die Contenance selbst dann noch zu wahren, wenn man sie mit ihren Kammerdienern verwechselte 885 . Der 883 Nach Rascher gab es 1666 Amtsträger, denen der Kaiser „aus sonderbaren Gnaden“ den „Eintritt“ in die Ratsstube „Erlauben“ (OÖLA, HSt, 1224, Fasz. 231, Nr. 13, I vor § 1). Auch für die Antecamera gab es Ausnahmen, u.a. für einige Truchsessen (ebd., vor § 11.) 884 HHStA, ÄZA, K. 26, zwei Konvolute, Nr. wegen Neuordnung des Kartons unklar, fol. 58, 68v, 68, 68v. Vgl. auch die Zugangsregelung von 1745 (Benedik (1997a), S. 566). 885 Das Verwechslungsbeispiel bei Duindam (1994), S. 130. <?page no="244"?> 243 „Princeps in Compendio“ beschrieb das freundliche Wort und Gesicht des Fürsten sehr prägnant als eine der effektivsten Regierungsmethoden 886 . Die Verbindung von Interaktionskompetenz mit dem Programm des gerechten milden katholischen Habsburgers gab Anlaß zur mitunter trügerischen Hoffnung 887 , daß sie sich für dasjenige, was man nicht ohne Grund von ihnen erbat, auch einsetzten. Die zeitgenössische Diskussion über das nicht zufriedenstellend gelöste Problem, wie man nun wissen könne, ob der andere es ehrlich meine 888 , minderte den Zustrom zum Kaiser nicht. So ist der Brief des Erasmus d. J. von Starhemberg an seine Mutter beispielhaft für die Erwartungen, mit denen um kaiserliche Audienzen angesucht wurden: Er sei „an jetzo gleich im werck das suppliciren an die kayl Mayestet zu verfassen, wie es mir Herr Cantzler von Wertenberg gerhaten. Welches so bald es nur fertig werde Ich auff ferneres Herrn Cantzlers undt anderer meiner freindt gutachten, bey Herrn Obristen Cammerer Herrn Kisel anhalten lassen, ob Ich selbst zue audientz gelangen, und neben mündlichen fürtrag Ihr kays Mays mein schrifftliches anbringen uberraichen möchte. Erlang Ich da glük, so habe Ich im übrigen gute Hoffnung.“ 889 Der Begriff der Audienz umfaßte ein relativ breites Spektrum von Zusammenkünften und reicht vom hochgradig formalisierten Antrittsbesuch eines Botschafters 890 bis zum bloßen Anhören eines Sprechers. Für die Argumentation bedeutsam ist vor allem die Frage, ob es sich um eine vom Oberstkämmerer terminierte Audienz handelte oder um ein 886 Bosbach (1991), S. 96. Auch Ferdinand II. wird von Caraffa als „affabile e benigno con qualsivoglia persona“ beschrieben (Müller (1860), S. 259, Hurter (1860), S. 212, 213). 887 Vgl. Kap. C.II.2.b. 888 Geitner (1992), Luhmann (1999), S. 95, Kieserling (1999), S. 362. Deutlich wird das gravierende Problem in der erkenntniskritischen Einschätzung der kaiserlichen Haltung gegenüber Venedig durch den venezianischen Botschafter Grimani im Jahr 1641: „tuttauia, s’io deuo mirare alle cose più recenti, passando dai secreti dell’intentioni, non conosciute, che da Dio, all’euidenza delle cose, et alle più apparenti dimostrationi, le quali deuerebbero pure in questa ciuile società rendere almeno qualche uerace testimonio degl’affetti dell’anima stessa; et se à ciò, che cade sotto l’occhio sensibile si può donare alcuna credenza, io conuerrei dire di credere essere l’inclinatione di detta M. Caesarea uerso questa Ser ma . Rep ca . molto buona, e molto sincera“ (Fiedler (1866), S. 290). Zeichen und ihr unterschiedlicher Ausdruck sind Kernbegriffe von Gesandtenberichten dieser Zeit; auch des Zeremonialberichtes zur Nuntiatur Pannochieschi (BAV, Vat. lat. 10423). 889 OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 48 Erasmus d.J. von Starhemberg 1607-1631, Wien 15. Jun. 1623, fol. 31; er bat nach seiner Erhebung gegen Ferdinand II. um Gnade (vgl. Sturmberger, Tschernembl, S. 392, Kühne (1880), S. 73-77). Erasmus d. Ä. Graf Starhemberg wurde erst 1625 aus dem Arrest entlassen; für ihn hatten sich bei Hof sein Neffe, der kaiserliche Kämmerer und spätere Obersthofmarschall Starhemberg, verwendet. Diese Hilfe am Hof brachte ihn zu einer wichtigen Einsicht: „gar zu nahen und allzeit oder gar zu fere von Hoff zu sein ist beedes nit guett.“ Zit. nach Heilingsetzer (1984), S. 288. 890 Audienzdokumentation in HHStA, ÄZA, K. 2 bis 7 sowie in HHStA, ZA Prot. 1 und 2. <?page no="245"?> 244 Gespräch mit Personen, die sich aufgrund ihrer allgemeinen Zutrittsberechtigung in den Vorzimmern aufhielten. Vielfach weisen Autoren auf die Einschaltung des Oberstkämmerers hin. In den übrigen Fällen ist sie aus dem Zusammenhang oft zu erschließen. Dieser Umstand ist selbst bereits ein Indiz für den Funktionswandel der Vorzimmer im Sinne eines Wandels weg von der formellen Grundlage für Gespräche hin zu gegenseitiger Wahrnehmung bei Auslagerung der Geschäfte auf formelle Audienzen. Zulassung und Terminierung von Audienzen des Kaisers waren Sache des Oberstkämmerers. Man hielt bei ihm schriftlich oder mündlich um eine Audienz an, und mitunter nach Rücksprache mit dem Kaiser vergab er Termine - oder vertröstete auf unbestimmte Zeit. Bereits die Umstände der Anmeldung verweisen auf sehr unterschiedliche Zutrittschancen und komplexe Differenzierungskriterien. Während beispielsweise der Nuntius Pannochieschi seinen „auditore“ zum Oberstkämmerer mit der Frage schicken konnte, wann eine Audienz dem Kaiser denn „comode“ sei, und umgehend durch den Oberstkämmerer vom Kaiser einen Termin für den nächsten Morgen erhielt 891 , ging es bei anderen vielfach zunächst einmal um das mitunter auch versagte „ob“ der begehrten Audienz. Die formale Organisation des Hofstaates determinierte die Vergabe zwar nicht, aber sie präfigurierte sie in zweifacher Hinsicht. Die Vorzimmerordnung steuerte den Zugang nicht nur zum Oberstkämmerer, sondern auch zu anderen Personen, die auf eine Audienz hinwirken konnten. Die Bedeutung der Möglichkeit, die Türen auf dem Weg zum Oberstkämmerer zu durchschreiten, geht besonders deutlich aus dem Bericht des schwedischen Vertreters am Kaiserhof hervor und verdeutlicht den Unterschied zwischen jenen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den Vorzimmern, und jenen, die ihn außerhalb derselben hatten: „bin ich vormittages glock 11 nach der keÿserlichen Burg gefahren [...], hinauff durch die Ritterstube biß vor die andere antichambre gangen woselbst durch den Geheimen Thurwärter mich in des antichambre anmelden laßen, da erstlich des Keÿsers obrister Cammerer, Graff von Lamberg herauß kommen, welchen ich also [mit der Bitte um eine Audienz für zwei schwedische Abgesandte] angeredet [...]. Ille: eß were ihm derer Herren abgesandthen ankunfft lieb, sollte daß Creditiv Ihr keÿl. Maÿtt. uberreichen und weil selbige heute ein wenig außreisen würdten, konte es wohl morgen oder sonst geschehen, daß denen Her- 891 Als ein Beispiel unter vielen: BAV, Vat. Lat. 10423, fol. 133v. <?page no="246"?> 245 ren abgesandthen tag undt stund zur Audienz benennet werde.“ 892 Die Vorzimmerordnung produzierte nicht zuletzt Möglichkeiten, anderen zu einer Audienz zu verhelfen. So wurden vor allem Höflinge um Hilfe bei der Verschaffung einer Audienz gebeten. Bitten um Audienzen orientierte sich primär an der formalen Hierarchie des Hofes, zumal dann, wenn die Bittsteller oder Empfehlenden nicht um Interna wußten. Obersthofmeister und Oberstkämmerer wurden mit Bittbriefen für die Zulassung zu Audienzen geradezu überschüttet 893 . Grenzstellenkompatiblität wurde, war der eigene Rang nicht ausreichend oder die Wichtigkeit des Anliegens nicht unmittelbar einsichtig, mittels Empfehlungsschreiben hergestellt. Könige, Kurfürsten, Fürsten: Wer erreichbar war, wurde um solche Schreiben gebeten; gerichtet wurden sie an Kaiser und Höflinge, häufig an mehrere Personen zugleich. Daß zahlreiche Bitten an Hofleute so formuliert waren, daß sie sich als Bitte um eine kaiserliche Audienz ebenso verstehen ließen wie als Bitte um eine Audienz beim jeweiligen Höfling, verweist darauf, daß Erfolgsaussichten durch die Höflinge vorgeprüft wurden. In der bereits hier ansetzenden selektiven Bearbeitung der Bitten um Audienzen, der Abdrängung des Aussichtslosen, aber auch der Förderung des wenig Aussichtsreichen, ließen sich Einfluß und Prestige erwerben oder verlieren. So wurde die Frage der Zulassung zur kaiserlichen Audienz nicht allein zum Testfall für den tatsächlichen Status der um Hilfe gebetenen Personen bei Hof, sondern stellte häufig bereits die faktische Bearbeitung des Anliegens dar, ohne daß formell zuständige Stellen eingeschaltet wurden/ werden mußten. Zugleich wurden faktische Zuständigkeiten für die liegengebliebenen Anliegen gleich mitorganisiert - auch wenn es sich wiederum nur um Vertröstungen handelte. Unter diesen dreifachen Druck gerieten so neben dem Oberstkämmerer alle, von denen Dritte glaubten, sie könnten direkt oder indirekt auf diesen einwirken; dieser Glaube aber fand seinen wichtigsten Anhaltspunkt in der formalen Ordnung des Hofstaats. 892 Aus den Vorzimmern kam daraufhin der Obersthofmeister des Erzherzogs Carl Joseph, Rabatta sowie Fürst Gonzata als Obersthofmeister Eleonoras II.; beide gestatteten einen Besuch bei Ihren Herrschaften. Daraufhin wollte man Erzherzog Leopold Wilhelm aufsuchen: „In des alten Hertzogs Leopoldi Wilhelmi wohnungen in der keÿserlichen Burg kam der Graff von Schwartzenberg, so beÿ dem Ertz Hertzogs gemach, da er im Bette lag, heraus, und wie ich mein gewerbe anbrachten, hieß er mich verziehen, dem Ertzhertzog es erst an zu melden; kam wieder undt sagte, Ihr Ertz Hertzoglich Dhl: erfreweten sich derer Herren abgesanthen glücklichen ankunfft“ er sei aber krank, und sie sollten später wiederkommen (RKA, G 287, Extrakt aus dem Diarium Wallich, fol. 702 ff., beim Bericht vom 3./ 13. Apr. 1662). 893 Vgl. unten v.a. den Abschnitt Zugang, Beratung, unspezifische Hilfe in Kap. C.I.3.a. „Zugang, Beratung, unspezifische Hilfe“. <?page no="247"?> 246 Darüber hinaus regulierte das Zusammenspiel von Hofamt und Zutrittsordnung die Möglichkeit, durch die ostentative Darstellung von Zeitverbrauch sichtbar zu machen, wie wichtig ein Anliegen war bzw. genommen wurde. Selbst Erasmus d. J. Graf von Starhemberg durfte, obschon Protestant und ohne Hofamt, selbst Ferdinand II. aufwarten und berichtete in seinen Briefen, daß er den ganzen Tag mit Aufwarten und Herumlaufen im Umkreis des Kaisers zubringe, damit er endlich einmal zur Audienz gelange 894 . Daß der Zusammenhang zwischen hohen Vorzimmerrängen und Audienzdichte sich in dem Maße verdichten würde, wie die kaiserlichen Vorzimmer immer weiter geöffnet wurden, folgt aus der Verschränkung dieser Faktoren fast notwendig und führte bis 1700 paradoxerweise zu einer im 17. Jahrhundert ungekannten Verengung des Zugangs zum Kaiser 895 . Botschafter, Reichsfürsten und deren Gesandte hatten unproblematischen Zugang zu Audienzen, während für den übrigen diplomatischen Verkehr zu bemerken ist, daß er zwar grundsätzlich begünstigt war, aber nicht formell abgesichert 896 . Viele Probleme ließen sich freilich über die sehr unterschiedlich verfügbare Ressource Zeit „lösen“, und dies auch deshalb, weil im War- 894 Er sei gerade dabei, auf Anraten des Hofkanzlers die Supplik an den Kaiser zu verfassen; danach werde er u.a. auf dessen Rat hin beim Oberstkämmerer anfragen lassen, „Ob Ich selbst zue audientz gelangen, neben mündlichen fürtrag Ihr kays Mays mein schrifftliches anbringen uberraichen möchte.“ OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 48 Erasmus d.J. von Starhemberg an seine Mutter, Wien, 15. Juni 1623, fol. 31. 895 Vgl. Freschot (1705), S. 77-79: „Der Kaiser giebt ordentlich die woche zwey oder drey mahl öffentliche audienz von sieben oder halb sieben uhr biß auff den abend um 9. uhr [...] Und [...] kan man sagen, daß die anzahl derienigen / welche von der anti-camera vergnügt zurücke in ihr hauß kehren / sehr klein ist. Es ist die gewonheit / daß dieienigen welche zur audienz verlangen / den tag zuvor sich anmelden […]. Die etwas vor andern unterschieden / und zuvor recommendirt seyn wollen / melden sich erstlich bey dem obristen Kämmerer an / welcher wegen ihrer mit dem Kaiser redet […]. Wenn der Kaiser die liste empfängt / in welchen sich auch die fremden Ministri der andern classe oder Envoyees müssen aufzeichnen lassen, läßt er diese allezeit zu erst vorruffen / und hierauff die geistlichen personen. Und wie seine gütigkeit zu hören / und seine leutseligkeit zu fragen ungemein groß ist / so trägt sichs öffters zu / daß drey oder vier die ganze audienz=zeit wegnehmen / da denn die andern auff einen andern tag bestimmt seyn / das ist / sie müssen manchmal 6. ganzer monate warten / ehe sie vorgelassen werden.“ Weiter wird von einem kaiserlichen Militär berichtet, der nach langem vergeblichen Warten seiner Wut Luft machte und „überlaut zu schreyen anfieng: Cesare chiama li tui officiali, che si fanno amazzor per te, non i trati che ti vengono contare feloppe.“ 896 Ein Beispiel: Ein polnischer Gesandter hatte kein ausreichendes Gefolge für einen öffentlichen Einzug, weshalb der Kaiser ihm entgegen der Zusage des Oberstkämmerers nicht das Botschafterprivileg gab, den Hut in seiner Gegenwart zu tragen (BAV, Vat. Lat. 10423, fol. 265v). Die nächsten Gesandten agierten entsprechend und legten eine „unglaublich eindrucksvolle und pompöse Botschaft nicht nur im Hinblick auf die Livreen, sondern auf den anderen Schmuck und andere sichtbare Dinge“ vor (BAV, Vat. Lat. 10423, fol. 268v). Stollberg-Rilinger (1997), S. 151, weist dem zeremoniellen Zeichensystem im diplomatischen Verkehr explizit die Funktion der Bestimmung von Zugehörigkeit/ Nichtzugehörigkeit zu. <?page no="248"?> 247 tenmüssen eine Minderung der Ehre des Wartenden liegen konnte. Wegen gegen sein Anliegen gerichteter Umtriebe mußte ein Abgesandter längere Zeit auf eine Audienz warten und reiste schließlich unverrichteter Dinge ab. Unangemessener Zeitverbrauch konnte zum Kontaktabbruch führen und hatte offenbar auch Signalwirkung für die Höflinge, die sich auf weiteren Umgang mit dem Wartenden nicht einließen: „Parti di qua il Baron di Montwerd malissimo sodisfatto di questa Corte, parendoli di haver trovato troppo poca corrispondenza“. Differenzen, die zum Kontaktabbruch führten, waren am Kaiserhof jedoch selten, zumal gerade französische Gesandte, mit denen der formelle Verkehr wegen des umstrittenen Titels des französischen Königs besonders heikel war, sich als besonders flexibel erwiesen 897 . Quellen römischer Provenienz belegen eindeutig, daß die Kaiser den Nuntien besonders zugänglich waren. Gleichwohl blieb der Oberstkämmerer zwischengeschaltet. Aus den Wochenberichten von Pannochieschi geht hervor, daß er regelmäßig und mindestens einmal in der Woche, meist am Nachmittag oder am Abend, beim Kaiser Audienz hatte 898 . Die Botschafter wurden zu Audienzen mitunter auch einbestellt oder während ihres Vorzimmeraufenthaltes vom Kaiser zum Gespräch gebeten 899 . Die spanischen Botschafter wird man mit dem Nuntius auf eine Stufe stellen dürfen 900 . Selbst der Kanzler der Nuntiatur, der als solcher wenigstens in das dritte Vorzimmer vor dem Audienzzimmer gekommen sein dürfte, konnte ohne weiteres und rasch mit Ferdinand III. sprechen 901 . Bei den übrigen Gesandten scheint die kaiserliche Einschätzung der Dringlichkeit auf die Häufigkeit der Audienzen entscheidenden Einfluß gehabt zu haben. Als es im April 1637 um polnische Wer- 897 ASV, SG, 148, 22. Jan. 1650, über Montwert, einen Gesandten, der bis dahin keine Audienz bekommen hatte. BAV Vat. Lat. 10423, fol. 148v: Der Zeremoniar zum französischen Vertreter: „conoscendo d'essere ad una Corte, doue li Francesi non sono perordinario troppo ben uisti, uoleua credo io con le cortesie anche poco decorose al grado che'egli sosteneua d'Ambasre. cattar beneuolenze, et ammicantaggione in quella forma li suoi interessi, e però daua il titolo d'Eccza. e dell'Illmo. ad ogni persona, come la mano anche alli Residenti et altri Cauri. Ordinarij.“ 898 Im Okt. 1656 berichtete Pannochieschi, die Ärzte hätten dem Kaiser verboten, ihm und übrigen Amtsträgern Audienz zu geben (ASV, FP, 211, fol. 56, 56v). 899 ASV, FP, 211, Pannochieschi an Rospigliosi, Mitte Aug. 1656, fol. 16v, 17: „Hoggi doppo pranso inaspettamente mi è stato fatto intendere dal Signore Cam re Magg re , come S.M.C. alle cinque hore mi haverebbe volontieri data Audienza, ne sapendo à che fine, m’imaginai, che si fusse potuta fare qualche risolutione sopra li affari di Polonia“. Vgl. auch Fiedler (1866), S. 202. Zum engen schriftlichen Umgang Ferdinands III. mit dem spanischen Botschafter Castel-Rodrigo vgl. das Faksimilie bei Castel-Rodrigo (1929), S. 166, 167. 900 Vgl. nur die Korrespondenz Leopolds I. (Kalista (1936) und Pribram (1903)) und die Nuntiaturberichte (ASV, SG, 148, 149; BAV, Vat. lat. 10423). 901 BAV, Vat. lat. 10423, fol. 261. <?page no="249"?> 248 bungen ging, bekam der polnische Gesandte sehr schnell gleich zwei Audienzen 902 . Ebenso bekam der Abgesandte der Tiroler Linie, Simon de Tomasi, beim Kaiser Audienz in der Frage der Auswahl der Braut für die Heirat des Erzherzogs Sigismund Franz 903 . Neben den Botschaftern hatten zahlreiche kaiserliche Amtsträger regelmäßig Audienz beim Kaiser. Bereits im 16. Jahrhundert war die Hofkammeraudienz beim Kaiser in den Instruktionen anbefohlen worden 904 . Da selbst kleinste Ausgaben vom Kaiser bewilligt werden mußten, bestanden in diesem Bereich umfängliche Vorlagepflichten. Wohl auch aus diesem Grund wurde bei der Reform des Hofstaats im Jahr 1615 unter anderem Beschwerde darüber geführt, daß die Hofkammer zu selten Audienz beim Kaiser habe 905 . Unter Ferdinand II. und Ferdinand III. war die Hofkammeraudienz jedoch fest etabliert. Dabei trugen Vertreter der Hofkammer (in der Regel der Hofkammerpräsident und ein Hofkammerrat), dem von einigen Mitgliedern des Geheimen Rates umgebenen Kaiser Sachverhalte aus dem Amtsbereich vor, zumeist Sachstandsbericht, Gutachten und Voten. Die Vorlage wurde zumeist in der Sitzung beschieden, die Resolution auf den Aktenstücken vermerkt und wieder in den Geschäftsgang der Hofkammer eingespeist 906 . Beispielhaft ist hierfür die erste Quartalsrechnung des Salzamtes, die der Hofkammerpräsident Kolovrat und ein Hofkammerrat im April 1639 dem Kaiser in Gegenwart von vier der wichtigsten Geheimen Räte vorlegte 907 . Eine Stichprobe in den Akten der niederösterreichischen Kammer aus einigen Monaten der Jahre 1650 und 1652 ergab für diese späten Jahre Ferdinands III. einen Befund, nach welchem die Hofkammer zwar regelmäßig, teils wöchentlich, teils jedoch auch mit längeren Unterbrechungen in Gegenwart einiger Geheimer Räte, Audienzen beim Kaiser hatte 908 . Dem Aufenthalt des Kaisers in den Jagdschlössern um 902 OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 49, fol. 370, Heinrich Wilhelm von Starhemberg an seinen Bruder Caspar, Wien, 13. Apr. 1637. 903 AVA, FA HR, K. 448, Simon de Thomasi an F. A. Harrach, Wien 16. Apr. 1665. Die Sachfrage beantwortete Leopold I. „mit Schupfung der Axl“ und verwies ihn an Auersperg und den Oberstkämmerer, mit dem Thomasi in der „Camer Capeln“ sprach. 904 § 48 der Hofkammerordnung von 1537 (Fellner (1907b), Nr. 14, S. 265) sah wenigstens zwei Hofkammeraudienzen pro Woche vor; vgl. auch ebd., S. 77. 905 HHStA, OMeA SR, K. 184, Konv. 75, Nr. 8. Gutachten vom 15. Sept. 1615, fol. 42v. 906 Vgl. beispielhaft HKA, NÖHA, W-61/ C/ 53 D (Salzamt), fol. 1520-1530v, unten Kap. C.II.3.c. Von der Einspeisung der Audienzergebnisse zeugt der Hinweis auf einen „Audienz Zettl“ (HKA, HFP, 11. Febr. 1647). 907 HKA, NÖHA, W-61/ C/ 53 D (Salzamt), fol. 1809-1710v. Anwesend waren die Geheimräte Trauttmansdorff, Slavata, Dietrichstein und Martinitz sowie ein Hofkammerrat. 908 Vgl. Tabelle üüü. <?page no="250"?> 249 Wien waren die langen Unterbrechungen nicht geschuldet 909 , wenn auch die Zahl der Audienzen in diesen Zeiten geringer war 910 . Unter Leopold I. blieb es bei diesem Verfahren 911 . Der Hofkriegsrat hatte unter Ferdinand III. gleichfalls Audienzen, deren personelle Ausgestaltung Ferdinand III. bei der Überarbeitung der alten Hofkriegsratsinstruktion von 1556 in der neuen Ordnung normierte: Danach sollten „die gewöhnlichen audienzien vor uns in unserm geheimen rath“ lediglich vom Hofkriegsratspräsidenten oder seinem Vizepräsidenten besucht werden, nicht aber von mehr als zwei Personen 912 . Damit gestalteten sich formal die Audienzen der Hofkammer und des Hofkriegsrates in gleicher Weise. Zur Gruppe der Amtsaudienzen wird man auch die sich sehr unterschiedlich gestaltenden Audienzen für Inhaber der obersten Hofämter zählen können. Der von 1637 bis 1672 amtierende Obersthofmarschall Starhemberg, der in vielerlei Hinsicht keinen leichten Stand bei Hof hatte, war immer wieder damit beschäftigt, seine Kompetenzen insbesondere gegen das Hofmeisteramt und die österreichische Hofkanzlei zu verteidigen und der auch erst 1656 Geheimer Rat wurde 913 , war für die Besprechung seiner Amtsgeschäfte wie Hofkammer und Hofkriegsrat auf eine kaiserliche Audienz angewiesen, die jedoch zumindest bedarfsweise erteilt wurde 914 . Über deren nähere Umstände ist man nicht so gut informiert wie über die der Hofkammer oder des Hofkriegsrates. In Hofquartiersachen traf er den Kaiser jedoch immer wieder, ohne daß aus den Resolutionen eine genaue Frequenz abzuleiten wäre 915 . Über Amtsaudienzen des Oberststallmeisters habe ich in den bearbeiteten Materialien nichts gefunden. Wichtig ist jedoch der Hinweis, daß dieser den 909 Hofkammeraudienzen gab Ferdinand III. auch in Laxenburg (10. Mai 1650); der Hofkammerpräsident Ungnad sandte am 12. Mai die abgearbeiteten Audienzunterlagen nach Wien (HKA, Niederösterreichische Kammer, rote Nr. 294, fol. 194). 910 SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12581 19/ 2, Raimondo Montecucoli an Ottavio Piccolomini, Wien, 3. Jun. 1654. 911 Auf eine Hofkammeraudienz deutet auch der Brief des Hofkammerpräsidenten Sinzendorf an Harrach hin, in dem er ihn wissen ließ, er sei für den nächsten Tag zur Audienz gerufen, während am übernächsten Tag eine Konferenz angesetzt sei (AVA, FA HR, K. 447, Sinzendorf an F. A. Harrach, Wien 8. Febr. 1659). 912 Fellner (1907b), S. 536. Vgl. HHStA Hs. Weiß 706/ 23, fol. 94-97. Editionen der Hofkriegsratsinstruktionenen des 16. und 17. Jahrhunderts bei Fellner (1907a), S. 276-280, 397- 414, 534-537, und Firnhaber (1864) Vgl. auch AVA, GD RM, c/ 8/ 29, Synopse der Ordnungen von 1556, 1650 und 1668 vom Hofkriegsratspräsidenten Montecucoli. 913 Vgl. unten Kap. C.I.2.b. 914 Vgl. die kaiserliche Audienz in Sachen des Obersthofmeisteramtes (AVA, FA TM, K. 123, Bb 2, Nr. 2, fol. 347-351); auch eine Amtsaudienz in Hofquartiersachen ist belegt (HKA, HQR, K. 1, Nr. 10 (1646), Nr. 123, fol. 23v). 915 HKA, HQR, K. 1 ff. Vgl. HKA, HQR, K. 1, Nr. 10 (1646), Nr. 123, fol. 23v. <?page no="251"?> 250 Kaiser bei Fahrten in der Kutsche regelmäßig begleitete und in diesem Rahmen bei den zahlreichen Ausfahrten Zugang hatte 916 . Dieser Sachverhalt deutet darauf hin, daß bei den Inhabern der obersten Hofämter die Zulassung durch den Oberstkämmerer obsolet wurde und es oft lediglich um Details der Zeitplanung ging 917 , während die Form der Audienz vielfach grundsätzlich gewahrt blieb. Selbst der Obersthofmeister Maximilian Graf von Trauttmansdorff trug dem Kaiser den Bericht über den Westfälischen Frieden im Rahmen einer Audienz in der Ratsstube vor 918 . Dies verweist darauf, daß der privilegierte Zugang anderer Höflinge zu Audienzen auch von der Einschätzung der Dringlichkeit ihrer Dienstgeschäfte abhing. Noch am Abend des Tages seiner Rückkehr aus der Eidgenossenschaft an den Hof erhielt 1656 der Oberst Zweyer eine zweistündige Audienz beim Kaiser 919 . Franz Albrecht Harrach kam nach dem Tod des Erzherzogs Sigismund Franz im Laufe des 6. Juli 1665 in Wien an, erhielt eine Audienz für seine Relation aber erst für den 8. Juli 920 . Nach der Rückkehr von als minder bedeutsam erachteten Kommissionsreisen mußte er noch etwas länger warten 921 . Leichten Zugang zu Audienzen hatten Höflinge vor allem dann, wenn sie auswärtige kaiserliche Militärs am Hof vertraten und darüber hinaus auch noch ein Amt im Hofkriegsrat innehatten. So erhielt der Hofkriegsratssekretär Constantin Sattler, der auch für Ottavio Piccolomini tätig war, Audienzen bei Ferdinand III. 922 ; Raimondo Montecucoli hatte als Hofkriegsrat und 916 Žolger (1917), S. 134. 917 Die Bedeutung des freien Zugangs des Oberstkämmerers trat beim Rücktritt Portias als Oberstkämmerer Leopolds I. zutage: Dieser genehmigte ihm weiterhin den freien Zutritt eines Oberstkämmerers und eine Wohnung bei Hof (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 64), Laxenburg, 30. Apr. 1661). 1661 schrieb der Oberstkämmerer Lamberg, er habe „vast den ganzen tag zu Hof“ verbringen müssen, da der Kaiser aber nun auf Pirsch sei, könne er einmal von der Jagdresidenz nach Wien (MZA, RA DT, K. 26, Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, Wien, 3. Aug. 1661). Vor der Hofreise nach Innsbruck 1665 berichtete Lamberg: Der Kaiser „wollen niemanden von Ihren Ministris, außer mich, der stetts zu Hof aufwartten muß, in dero Burk logiren lassen“; für den Obersthofmeister erbat er ein gutes Quartier, das am besten auf der anderen Seite der Gasse einzurichten sei; über einen zu errichtenden hölzernen Gang über die Gasse könne dieser dann zum Kaiser gelangen (AVA, FA HR, K. 445, Lamberg an F. A. Harrach, 23. Sept. 1665). 918 Am 3. Febr. 1649 „zu Wien in dero Ratstuben“ (AVA, FA TM, K. 17, fol. 248-251). 919 AVA, FA HR, K. 449, Gottlieb Graf Windischgrätz an F. A. Harrach, Wien, 23. Apr. 1656. 920 AVA, FA HR, K. 550, Tagzettel des Franz Albrecht Harrach 1662-1665, 8. Jul. 1665. Den Rest trug er am 15. Jul. vor, die Audienz dauerte bis 17 Uhr. 921 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Differenzen zwischen Rückkehr und Vortrag beim Kaiser. 922 Vgl. SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12718 20/ 1, Constantin Sattler an Ottavio Piccolomini, Wien, 29. Jul. 1654, wonach Sattler am 28. Jul. Audienz beim Kaiser in Ebersdorf hatte. Auch als Ferdinand III. zuvor im Jul. krank im Bett lag, bekam er eine Privataudienz (ebd., Inv. #. 12717 20/ 1, 151-152, Sattler an Piccolomini, 11. Jul. 1654). <?page no="252"?> 251 Mittelsmann Piccolominis am Kaiserhof ebenfalls regelmäßig Audienz beim Kaiser 923 . Ähnlich verhielt es sich mit Mittelsmännern kaiserlicher Botschafter, die nicht zufällig häufig Hofämter oder Individualbewilligungen für die Vorzimmer besaßen: So schrieb Leopold I. seinem Botschafter in Spanien: „Was Eure particularia anlangt, werde ich solche von Euerm Vettern Sebastian anhören, auch mich also darüber erklären, dass Ihr werdt spüren können, dass ich alle Gnad Euch zu thun pronto bin, womit ich dann allzeit Euer gnädigster Kaiser und Herr verbleibe.“ 924 Sebastian Pötting aber war Kämmerer Leopolds I. Über den dienstlichen Bezug ließen sich auch Audienzen erlangen, in denen private Anliegen zur Sprache kommen konnten. Dort, wo Amtsträger unter Einsatz ihrer Privatvermögen dienstliche Aufgaben bestritten, also vor allem im Militärapparat, waren die zumal im Falle landsässigen Adels gegeneinander nur unscharf abgesetzten Sphären voneinander nicht zu trennen; so hat es auch den Anschein, als seien die Inhaber militärischer Ränge hinsichtlich der Vergabe von Audienzen besonders begünstigt gewesen. Der Hofkriegsrat Montecucoli hub in seinen Audienzen beim Kaiser denn auch mit dienstlichen Belangen an und kam danach auch auf den für sich erwünschten Orden vom Goldenen Vlies zu sprechen 925 . Die vom „Princeps in Compendio“ vorgeschlagene Kalkulation („incredibile est, quantam benevolentiam vel unicus benignus aspectus vel clemens unum a principe prolapsum verbum apud subditos generet.“ 926 ) ging mitunter auf: So berichtete der in Ungarn stationierte Adolf Ehrenreich Graf Puchheim von der Freundlichkeit des Kaisers bei seiner Audienz mehr und glücklicher als vom pekuniären Effekt seines Wiener Aufenthaltes: Der Kaiser habe ihn dermaßen freund- 923 Siehe Raimondo Montecucoli an Ottavio Fürst Piccolomini in SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12408 19/ 2, darunter: Wien, 19. Febr. 1650, mit einem Bericht über zwei Audienzen, in denen Montecucoli sich im Sinne Piccolominis beim Kaiser einließ; ebd., Wien, 2. März 1650, 279, 280, Ankündigung seiner Bitte um eine Audienz beim Kaiser, über deren Effekt ihm der Obersthofmeister Trauttmansdorff aber wenig Hoffnungen mache; ebd., Wien 9. März 1650, Audienzunterlagen und Bericht über den Vortrag. 924 Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 64), Wien, 6. Aug. 1664. Hans Sebastian Pötting war Kämmerer Leopolds I. seit 1657. 925 AVA, GD RM, d/ 8/ 14, Notizen über Audienzen am 13. Dez. 1664 und am 15. Dez. 1664. Am 13. Dez. sprach Montecucoli mit dem Kaiser über die militärische Situation und über den Orden vom Goldenen Vlies. In einer Bittschrift an Ferdinand III. bezog sich Johann Reichard von Starhemberg auf das, was er ihm in der letzten Audienz vorgebracht habe (OÖLA, AS BR, Sch. 46, Nr. 55, Starhemberg, s.f., s.d., um 1648/ 49). Isolano berichtete dem Obersthofmeister Trauttmansdorff über seine Audienz beim Kaiser in Prag (AVA, FA TM, K. 158, Ff. 27, Nr. 78, Offenburg, 4. Sept. 1637) und Ferdinand III. berichtete seinem Obersthofmeister darüber, wer durch wen seine Angelegenheiten vorbringen ließ (ebd., K. 122, Ferdinand III. an Trauttmansdorff, fol. 227, Linz, 23. Jan. 1646). 926 Bosbach (1991), S. 95, 96. Vgl. auch Vernulaeus (1640), S. 163. <?page no="253"?> 252 lich empfangen, „das ich mich gern lebendiger vohr ihn begraben wolte laßen“ 927 . Trotz der Möglichkeit derartiger Begeisterungsstürme hielten sich nicht allein der Oberstkämmerer, sondern auch andere um die Vermittlung von Audienzen gebetene Höflinge zurück, wenn es um „Audienzen in Partheÿ-Sachen“ ging: Diese waren „gar theuer“ 928 und zwangen zu einer Ökonomie der Hilfeleistung. Hier schuf der Zugang im öffentlichen Raum - inbesondere in den Vorzimmern und für adelige Damen besonders in den regelmäßig besuchten geistlichen Einrichtungen Wiens - Abhilfe. Der Kaiser verließ die Retirade fast täglich zu verschiedenen Anlässen, vor allem auf dem Weg zur Kapelle 929 , aber auch auf dem Weg zur Jagd oder zu den zahlreichen Messen in den Kirchen und Klöstern der Residenz 930 . So vermerkte der soeben aus Münster zurückgekehrte Reichshofrat und Gesandte Lamberg in seinem Diarium im Jun. 1649: „Audivi missam cantatam zu hof. Ihr Maiestät, Kayser und Kayserin, haben mir en passant à la chappelle die hand geben.“ Am 14. fuhr Lamberg wiederum „nacher hof“, am 15. erhielt er dann die Audienz, in der er dem Kaiser „beede instrumenta pacis von der cron Frankreich und Schweden in originali underthenigist“ übergab 931 . Die Gelegenheit, den Kaiser in den Vorzimmern zu sehen und anzutreffen, war von daher grundsätzlich fast täglich gegeben. Insbesondere auf dem Rückweg kam es in den Vorzimmern zu Begrüßungen, knappen Gesprächen zwischen dem Kaiser und den sich dort aufhaltenden Personen und in diesem Rahmen häufig zur Übergabe von Bittschriften. Auch diese Unterredungen wurden mitunter als Audienz bezeichnet; so ließ sich der Kaiser am 30. Dezember 1650 nach einer Erkrankung wieder in den Vorzimmern sehen „con dar’ audienza à molti“ 932 . Der Nuntius Caraffa beschrieb dies bereits für die 1620er Jahre relativ ausführlich und hob mit der Leutseligkeit und der eigenhändigen Entgegennahme von Schriftstücken die auch im „Princeps in Compendio“ betonten Gesichtspunkte besonders hervor. Der venezianische Gesandte Giustiniani berichtete 1654, verschiedene 927 AVA, FA HR, K. 445, Adolf Ehrenreich von Puchheim an F. A. Harrach, 10. Dez. 1663. 928 AVA, FA HR, K. 447, Hans Joachim Graf Sinzendorf an F. A. Harrach, fol. 1, Prag, 19. Jan. 1658. 929 Zu Ferdinand II. vgl. Caraffa 1629 (Müller (1860), S. 258 ff.), zu Ferdinand III. u.a. Fiedler (1866), S. 244, 245 und BAV, Vat. lat. 10423, fol. 142. 930 Vgl. zu Messen außerhalb der Hofburg besonders BAV, Vat. lat. 10423, fol. 184v-187. 931 Hageneder (1986), S. 248. Am folgenden Tag fuhr er „nacher hof“, am 15. traf er den Obersthofmeister, der ihm mitteilte, daß Ferdinand III. ihm am Abend Audienz geben werde. 932 ASV, SG, 148, 31. Dez. 1650. <?page no="254"?> 253 Zugangsformen zusammenfassend, ähnliches für Ferdinand III. und Leopold I. 933 Es läßt sich nicht sicher nachweisen, steht aber vor dem Hintergrund der Zeugnisse und Berichte zu vermuten, daß die meisten Memoriale, die Kaisern ohne Einschaltung anderer Höflinge übermittelt wurden, die Kaiser bei ihren Aufenthalten in den Vorzimmern erreichten. Daß Höflinge besondere Audienzen erhielten, um etwa ein Hofquartier zu erbitten, ist vor dem Hintergrund, daß dem Obersthofmarschall für dieses Regelungsgebiet regelmäßig Audienz gegeben wurde, nicht ausgeschlossen, aber wenig wahrscheinlich; und doch sind mündliche Vorbringungen in derartigen Angelegenheiten belegt 934 . Für gewichtigere Anliegen reichte die einfache Möglichkeit zur Übergabe von Memorialen nicht aus und so hatte etwa der Hofkammerdirektor Clement Freiherr von Radolt bei Ferdinand III. 1656 eine Audienz erhalten, in der er Höhe und Realisierungsmöglichkeiten des Recompenses für den resignierten Hofkammerpräsidenten David Ungnad von Weissenwolff erörterte, der Landeshauptmann in Österreich ob der Enns geworden war. Die Audienz war auch deshalb wichtig, weil entgegen den Forderungen verschiedener theoretischer Schriften in Partikularaudienzen mitunter ohne weitere Befassung von Räten kaiserliche Entscheidungen gefällt 933 Vgl. Müller (1860), S. 265, in der Übersetzung von Hurter (1860), S. 221: „Doch hört er im Vorübergehen leutselig jeden an, gibt wohlwollend Antwort, stellt ebenso wohlwollend Fragen […]. Ueberreichte Denk- und Bittschriften nimmt er selbst zur Hand und trägt sie, ohne dieselben jemandem zu übergeben, in sein Cabinet.“ Der Kaiser habe die niedrigeren Personen unterhalb des Botschafter- oder Fürstenranges in denjenigen Vorzimmern Audienz gegeben, in denen sie warteten (ebd., S. 221). Für Ferdinand III. konstatierte der venezianische Gesandte, dieser leihe sein Ohr auch Unglücklichen, gebe jedermann Audienzen, und sehe sich die Memoriale gründlich an (Fiedler (1866), S. 387). Leopold Wilhelm Graf Königsegg berichtete dem Hofkammerpräsidenten von seiner eigenen Memorialübergabe an den Kaiser, wobei ihn der Kaiser vertröstet habe (HHStA, FA JH VI/ 1, Königsegg an Sinzendorf, fol. 102, s.d. (ca. 1662-1665)). Für die Zeit Maria Theresias vgl. Raschauer (1958), S. 287. 934 In einer Hofquartiersache nahm der Hofmarschall in seinen Bericht an Leopold I. die Bemerkung auf, er habe vernommen, daß dieser schon informiert sei: nicht allein durch das Memorial, „sondern auch mündlich“, und daß der Prätendent die Gründe „albereit underthänigst hinderbracht, und zugleich umb allergdigste Verwilligung des quartiers [...] gebetten habe“ (HKA, HQR, K. 3, Nr. 32 (1665), Nr. 530, fol. 30-33); der betroffene Christoph von Altheim war Kämmerer Leopolds I. Der Kämmerer Johann Reichard von Starhemberg wollte im Dez. 1647 bei Hof einige Angelegenheiten erledigen, doch war gerade Audienz (AVA, FA HR, K. 448, Starhemberg an F. A. Harrach, 21. Dez. 1647). Einflußkanäle ließen sich auch andersherum nutzen: Bei einem anderen Hofaufenthalt bat ihn der Obersthofmeister Trauttmansdorff, sich bei Starhembergs Schwager Franz Albrecht Harrach in seinem Namen für den Verzicht auf eine Zahlung eines in Bedrängnis geratenen Dritten zu verwenden: Er gab die Bitte weiter: Harrach wisse selbst, „wer der Herr ist“ (AVA, FA HR, K. 448, Starhemberg an F. A. Harrach, 9. Sept. 1647). <?page no="255"?> 254 wurden 935 : In der besagten Audienz erhielt Radolt vom Kaiser etwa die Erlaubnis, noch am gleichen Tag das Dekret wegen der Zahlung der Geheimratsbesoldung Ungnads zur Unterzeichnung einzureichen. Die weitere Klärung des Recompenses stand hingegen noch aus. Radolts Bitte um eine weitere Audienz im November wurde unter Hinweis auf die Erkrankung des Kaisers abgelehnt, was Radolt, obwohl er den Zutritt zur zweiten Antecamera hatte, zu der Bemerkung veranlaßte, daß „Ich den access zu Ihr Khaÿl: Maÿl. nit hab“ 936 . Bis Ende Dezember hatte er das Memorial Ungnads vom 8. Dezember ungeachtet der leidlich wiederhergestellen Verfassung des Kaisers immer noch nicht übergeben und sich statt dessen lieber an den Hofkammerpräsidenten gewandt. Dies sei „allein darumben beschechen, weillen Ich es in meiner einfalt nit befinden khan, ohne sonderbahre guete apertur Ihre Khaÿl: Maÿl. was davon zu melden.“ Ohne Audienz war demnach wenig zu erreichen - doch selbst vor einer neuerlichen Bitte um eine Audienz wich Radolt zurück, weil er fürchtete, es könne geschehen, daß der Kaiser zu diesem Zeitpunkt nicht günstig geneigt sei und nicht sofort eine günstige Entscheidung fälle. Eine solche sei aber nötig; erfolge sie nicht, hätte er keinen Mut mehr, in der gleichen Sache nochmals eine Audienz zu nehmen, was aber erforderlich sei, da er nicht leicht an den Kaiser herankomme: „sollte Ich ein absonderliche audienz nemben undt Ihre Khaÿl: Maÿl: nicht in solchen humor antreffen, ds sÿ gleich ein allergnädigstes fiat von sich geben theten, so müesste Ichs führ ein lauttere negotium halten, unndt hette als dan das herz nimber, was weitters in einer absonderlichen audienz vorzubringen. Ohne ist es nicht, daß Ich wol selbst der meinung bin, daß sich mit mier nicht leicht ein gelegenheit schikhen würdet zu Ihrer Maÿl: zukhumben, aber Ich hette wol vermeint, daß solches durch Herrn Hoff Camer Praesidenten, als wel- 935 Das kritisierte ein anonymes Gutachten schon 1611 (Fellner (1907b), S. 374, 378): „so wäre ihre kais. M t . […] zu bitten, dass sie hinfür von keinem diener, er sei klein oder gross, keine relationes annehmen oder sich darüber allerdnädigst resolviren, sie seien denn zuvor in gehörigen räthen berathschlagt und die relatio in duplo sammt ihren motivis schriftlich verfassst und vom sekretario unterschrieben worden“ (ebd., S. 378). 936 WWAS, Akten, Fach 76, Nr. 45, Clement von Radolt an David Ungnad von Weissenwolff, Wien, 13. Dez. 1656. Vgl. die Briefe vom 1., 15., 29. Nov. sowie 13. und 27. Dez. 1656. Ungnad wurde am 9. Nov. 1656 im Linzer Schloß als Landeshauptmann installiert (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Nov. 1656), nachdem er am 13. Okt. vom Kaiser dazu und Sinzendorf zum Hofkammerpräsident erklärt worden war (ebd., Okt. 1656). Radolt erbat eine Audienz im Nov. 1656, bekam aber wegen einer Erkrankung des Kaisers keine (WASS, Radolt an Ungnad, Wien, 29. Nov. 1656). Auch Carl Ludwig von der Pfalz setzte für die Übergabe eines Briefes an den Kaiser darauf, daß Sinzendorf eine günstige Gelegenheit abpassen würde, und bat, wenn es dem Kaiser „einmahl gefallen wird, sich zu recreiren, Ihro solches einzulieffern“ (HHStA, FA JH VI/ 1, fol. 13, Heidelberg, 9./ 19. Jun. 1652). <?page no="256"?> 255 cher täglich den Zuetritt hat, gahr wol hette zu Werkh khönen gericht werden wie Ich Ihme dan willig darzue befunden, Allein ist Er eben meiner meinung, daß solches ohne absonderliche guete coniunctur nit beschechen solle.“ Der nahende Landtag in Österreich ob der Enns gebe dem neuen Landeshauptmann jedoch gute Gelegenheit, den Kaiser seine „vil vorträgliche operation, guete dienst“ spüren zu lassen und bei dieser Gelegenheit könne man eine Audienz wagen. Das alte Memorial, das „auf ein jungers datam zu sezen“ sei und nun inhaltlich ergänzt werden könne, sandte Radolt zurück 937 . Dieses Beispiel macht die Komplexität der Faktoren der Nutzung von verschiedenen Zugangsmöglichkeiten deutlich und zeigt, daß ungeachtet der Möglichkeiten des okkasionellen Zugangs über die Vorzimmer und der formellen Audienznahme selbst hochrangige Amtsträger sich lieber an diejenigen wandten, für die Audienzen und Gespräche mit dem Kaiser zum Tagesgeschäft gehörten. Das Zugangsreglement bot mit den verschiedenen Zugangsoptionen Bittstellern und ihren Vertretern bereits im Vorwege einen Maßstab für die Taxierung der Schwierigkeit, ihre Anliegen vor- und durchzubringen und trug damit zur Reduktion von Unsicherheit und Enttäuschung sowie zur besseren Einbettung von Anliegen in weitere zeitliche, soziale und sachliche Bedingungen bei. Die Funktion der Unsicherheitsabsorbtion erfüllte das Reglement auch für den Kaiser. Auf der einen Seite konnte er davon ausgehen, daß Personen, die mit Memorialen oder in der Audienz an ihn herantraten, im Vorfeld bei Höflingen ihre Anliegen bereits diskutiert und ihre Erwartungshaltungen dem Realisierbaren zumindest angenähert hatten. Auf der anderen Seite war noch die Konfrontation mit dem konkret doch noch Neuen durch die Rahmung von Audienz und Antecameradurchgang in typisierte Situationen eingebettet, in denen die Situations- und Gesprächshoheit des Kaisers auch dann, wenn er allein war 938 , fast ausnahmslos unangefochten blieb 939 und in denen niemand auf soforti- 937 WWAS, Akten, Fach 76, Nr. 45, Clement von Radolt an David Ungnad von Weissenwolff, Wien, 27. Dez. 1656. Selbst Geheime Räte wagten in den Sitzungen oft nicht zu fragen, was der Erläuterung bedurfte (Winkelbauer (1999a), S. 230); zum Problem vgl. auch Braungart (1988), Braungart (1995), Hahn (1991), Olsen (1972). 938 Vgl. die Bemerkung Giustinianis, Ferdinand III. sei bei Audienzen stets allein (Fiedler (1866), S. 388). Der „Auditore“ des Nuntius Pannochieschi konnte mit Ferdinand III. allein sprechen und so Auersperg umgehen (BAV, Vat. Lat. 10423, fol. 261). Auch für Ferdinand II. sind Audienzen belegt, in denen er mit Besuchern allein war, u.a. mit Lord Arundel und Crowne am 6. Jun. 1636 (Springell (1963), S. 64, 65). Vgl. auch die Audienz von Herinrich von Pflummern (Anm. 1094). Wie es mit den Wachen stand, läßt sich hier nicht klären. 939 Vgl. als Ausnahme Anm. 807. <?page no="257"?> 256 ger Bescheidung insistieren konnte. Dissens konnte in diesen Situationen zwar auftreten, aber zumindest keine Konfliktreife erreichen 940 . Daß sich dies auf die Form der Gesprächsführung - etwa auf Zulassung bzw. Auswahl von Themen und Konkretisierungsgrad - auswirkte, läßt sich anhand der wenigen Hinweise auf Gesprächsverläufe mit dem Kaiser belegen: So fragte Ferdinand III. bei der oben erwähnten Audienz den Hofkammerdirektor Radolt, mit welchem Betrag Ungnad zufriedengestellt werden könne. Radolt beschrieb seine Reaktion wie folgt: „Respondi: khöndte nichts anders sagen als daß er [Ungnad] dem Kaiser es in sein wohlgefallen stelle“, er (Radolt) gebe aber die Aufwendungen Ungnads für das Amt und die Vernachlässigung von Ungnads eigenen wirtschaftlichen Belangen zu bedenken; erst auf Nachfrage erhielt der Kaiser eine etwas konkretere Antwort: „Iterum replicavit Imperator: was meint Ihr aber doch? Respondi Ich were der allerdunderthenigisten meinung, wan man ein medium terminum zwischen dem von Crembsmünster unndt dem Herrn Breiner halten thet, das ist der von Crembsmünster hat über 300.000 fl. empfangen, Herr Breiner so vil mier bewust nicht gahr 200.000“, handele man angemessen, zumal Ungnad dann „nicht nur contentiert sondern auch modtiviert“ würde. Nach einer gemeinschaftlich vorgenommenen näheren Bestimmung der Summe stand dem Kaiser dem Anschein nach nicht der Sinn und so sagte er, er werde den Vorschlag überdenken. Erst nach der Kundgabe seiner eigenen Überlegung bezüglich der erforderlichen Einnahmequelle, die den Willen des Kaisers erkennen ließ, Ungnad Geld zukommen zu lassen („Additit deinde proprio motu, Ich vermein es würden der Camer nit vil entgehen“), fragte Radolt, ob er die Dekrete für die Besoldungsauszahlung einreichen dürfe 941 . c. Kammer und Tafel Neben dieser Gruppe von Situationen standen zahlreiche andere, wie etwa Aufstehen, Ankleiden und Baden, Beichten, Jagen, Fischen, Spielen, Musizieren 942 . Über diese Ebene kaiserlicher Kontakte ist man mit einigen Ausnahmen wie etwa der Rolle des Beichtvaters Ferdinands II. 940 Zum Konfliktbegriff vgl. Kieserling (1999), bes. S. 233-238. 941 WWAS, Akten, Fach 76, Nr. 45, Clement von Radolt an David Ungnad von Weissenwolff, Wien, 1. Nov. 1656. 942 Ferdinand III. hatte wie Leopold I., Kompositionsunterricht und engen Kontakt zu seinen Lehrern und Musikern (Antonicek (1989), S. 2, 3); vgl. auch Hammerstein (1986), S. 229. <?page no="258"?> 257 oder des Bibliothekars Leopolds I. Lambeck, nur wenig informiert 943 . Soweit man es aber ist, läßt sich eine Tendenz feststellen, die zugleich die Schwäche des empirischen Befundes erklärt: Nicht typisierte und vielfach heikle Kontaktsituationen wurden vor allem dadurch gesichert, daß sie im Sinne einer Kommunikationsvermeidung ritualisiert wurden; die Anwesenden und Mitwirkenden waren zudem oft mit Mitteilungsverboten belegt und/ oder in besondere Vertrauensverhältnisse einbezogen und die Situationen auf diese Weise fast durchweg der breiteren Thematisierung entzogen. Dies ist zwar im Hinblick auf „arcanum“ und „decorum“ naheliegend, aber, wie der Blick auf den englischen Hof Karls I. oder den französischen Hof Ludwigs XIII. zeigt, keinesfalls selbstverständlich und soll deshalb im folgenden näher untersucht werden. Die Tendenz zur Invisibilisierung bezog sich in besonderem Maße auf die kaiserlichen Kammerdiener 944 . Die eigenhändige Instruktion Ferdinands III. für die Kammerdiener von 1651 war darauf ausgerichtet, ihnen jedwede Gesprächsinitiative und nach Möglichkeit noch die Wahrnehmung dessen, was in der Kammer vorging, zu untersagen. Weder die Kammerdiener noch der Leibbarbier, der Kammerheizer oder das übrige subalterne Kammerpersonal durften danach Memoriale entgegennehmen, übergeben, oder beim Kaiser empfehlen; sie durften nichts in eigener Sache vorbringen und nicht einmal in den Vorzimmern den Kaiser ansprechen; wenn sie mit ihm sprachen, durften sie lediglich antworten. Sie durften in Abwesenheit des Kaisers die kaiserlichen Zimmer nicht betreten „noch die auff unserer taffel liegende Memorialien, schrifften, und anbringen suechen, viel weniger dieselbigen lesen, verruken oder verwenden“, dasjenige, was sie vom Kaiser vernahmen, nicht mitteilen und sie sollten, wenn sie Wache hielten, zwar vor der Tür stehen, aber nicht so nahe, daß sie hören konnten, was ge- 943 Zum Verhältnis zwischen Ferdinand II. und seinem Beichtvater Lamormaini und dessen Anteil an der kaiserlichen Politik vgl. Bireley (1981). Spuren hinterließen Patres auch in den Codelisten für die Chiffrierung von Briefen: Der Schlüssel des kaiserlichen Botschafters in Madrid, Schönburg (1635-1640), hatte Codes für Lamormaini und die Patres Lucas und Quiroga (vgl. Ernst (1992), S. 105). Kleriker hatten auch Zugang zum Kaiser, wenn dieser außerhalb der Hofburg Klöster besuchte und dort speiste (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 184v-187v, 279- 280v). Zur Korrespondenz Leopolds I. mit Höflingen und Beichtvätern vgl. Mat'a (1998). Im Nachlaß des Oberstkämmerers Lamberg finden sich Schriften zur Verschlüsselung von Schreiben und Codelisten (OÖLA, HSt, Sch. 1223, Fasz. 12, Nr. 200). Ferdinand III. korrespondierte mit Lamberg 1644 über einen neuen Schlüssel, über den sich Lamberg „wol den Khopf [...] zerbrechen“ werde (Ferdinand III. an Lamberg, Linz, 28. Dez. 1644). Zu den Geheimschriften (Ernst (1992), Ernst (1996)), zu den Codes für Höflinge Anm. 464, 974. 944 Vgl. Hurter (1850), Bd. 11, S. 669, 670; zum Kammerdiener als Unternehmer Kellenbenz (1991), für die Habsburger des 16. Jahrhunderts vgl. Sutter Fichtner (1995), S. 56. <?page no="259"?> 258 sprochen wurde; diese breite Kasuistik läßt die „eingeschlichene Unordnung“ 945 erkennen. Andererseits bedienten sich die Kaiser ihrer Kammerdiener für Tätigkeiten, die der Kontrolle anderer Hofleute entzogen werden sollten: So waren häufig Kammerdiener auch Geheime Kammerzahlmeister und verwalteten als solche die kaiserliche Schatulle. Daß diese Verwaltung ausschließlich mittels Frage und Antwort reguliert werden konnte, ist zumindest zweifelhaft. Das breite Spektrum uneinsichtiger informell aufgefaßter Situationen zeigt auch, daß Leopold I. sich von einem Kammerdiener zeichnen ließ: Auch wenn der Kaiser „ihm fast nix gesessen“ hatte: Er saß ihm doch und auch das Porträt kam von einer Hand in die andere 946 . Außer ähnlich spärlichen Hinweisen aber ist über solche Situationen kaum etwas bekannt. Ebenso verhält es sich mit den Kontakten der Kaiser zu Sekretären und Kurieren von Höflingen oder Dritten, die vielfach leichten Zugang hatten 947 . Der Anspruch der Kaiser auf eine repräsentative adelige Bedienung - die Kammerdiener waren Niederadelige - verhinderte freilich, daß sich Kammer und Retirade vollständig der sozial relevanten Sichtbarkeit entzogen. Gerade deshalb war das Lever des Kaisers außerordentlich streng reglementiert und dürfte den Kaiser vor der Geltendmachung von Einfluß sicher geschützt haben. Dazu trugen nicht zuletzt die Gegenwart von Hofzwergen, Hofnarren und vermutlich geistig Zurückgebliebenen („matti“) sowie die ritualisierten Handreichungen der zumeist knienden und ihres Mantels und Degens entledigten Kämmerer unter der Aufsicht des Oberstkämmerers bei 948 . Die Situation des Lever war keine relevante Situation und grundsätzlich keine Gesprächssituation 949 . 945 E.h. Instruktion Ferdinands III. vom 22. März 1651 (vgl. Anm. 859). 946 Leopold I. sandte Gerard van Schloss nach Spanien, weil er ein guter Maler sei: „Zur Prob seiner Malerei schicke ich Euch […] mein Conterfect, so dieser mein Kammerdiener gmacht und bin ihm fast nix gesessen, sondern hat es nur also della testa gmacht“ (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 82), Wien, 25. Okt. 1664). 947 Keine besondere Zulassung war für wichtige Kuriere nötig: „Diesen Augenblick kommt des de Souches sein Secretari und bringt, dass den 3. dies durch die Genad Gottes [Neutra] an die Unsrige mit Accord übergangen“ (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 54), Regensburg, 7. Mai 1664). Auch bei der Jagd war so Zugang möglich: „Als ich den 7. dies eben morgens [...] mich mit dem Waidwerk delectirt, kommt der Courier Heinrich […]. Als er aber in die Nähe kame, so fragte ich ihn, wann er weggeritten. Er sagte den 18., […] und gabe mir die Brief“ (ebd., S. 167, Innsbruck, 17. Okt. 1665). 948 Kammerfrühdienst, Darstellung von Raimondo Montecucoli, Kämmerer Ferdinands III. seit 1645 (AVA, GD RM, c/ 6/ 1). Eine etwas ungenaue Übersetzung bei Veltzé (1900b), S. 17, eine neue zuverlässige bei Schreiber (2000), S. 63, 64; „matti“ übersetzt Schreiber mit „Schalke“, was neben dem spezifischeren „buffoni“ (Hofnarren) aber möglicherweise nicht überzeugt. Gelegentlich notierte auch der kaiserliche Kämmerer F. A. Harrach, daß er den Kaiser anbzw. ausgekleidet hatte (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 1. Dez. 1640, 29. Nov. 1642). Vgl. dagegen für das 18. Jahrhundert Graf (1997), S. 576, und Duindam (1998a), S. 38. 39. Kämmerer <?page no="260"?> 259 Kommunikationssituationen waren auch die übrigen typisierten Dienste nicht, weder das Reichen der Frühsuppe noch der Tafeldienst, sei es, daß der Kaiser in seinem Zimmer, sei es, daß er öffentlich in der Antecamera aß 950 . Die eigenhändigen Instruktionen Ferdinands III. von 1651 belegen zudem die Gefährdung der beanspruchten Ehrerbietung: Insonderheit das Verhalten der Kammerdiener und Kämmerer in den Vorzimmern und hierbei vor allem der Tafeldienst ließen zu wünschen übrig, wurden im Hinblick auf die „erhaltung unserer Reputation“ aber ernst genommen. So insistierte er in der Kammerdienerinstruktion darauf, daß die Kammerdiener beim Heranbringen der Speisen ihren Hut nur bis zur ersten Tür der ersten Antecamera tragen dürften, damit die Distanz zwischen ihnen und den Kammerherren gewahrt bleibe; auch wurde ihnen unter Hinweis auf entsprechende Vorkommnisse eingeschärft, die Frühsuppe selbst zu tragen und sich dabei nicht durch subalternes Kammerpersonal wie den Kammertrabanten vertreten zu lassen, andererseits beim Tafeldienst nichts selbst dem Kaiser zu reichen, sondern den Edelleuten und Kämmerern, welche Tafeldienst hätten. Ihre Mäntel sollten sie in der Antecamera nicht auf die Mundtafel legen, die diensthabenden Kämmerer als Vorgesetzte ebenso respektieren wie den Oberstkämmerer und „parieren“ 951 . In der Instruktion für den Oberstkämmerer wurde er im Abschnitt „Wie man sich in der Antecamera und Ritterstube zu verhalten habe“ nicht minder deutlich. Der Oberstkämmerer sollte darauf achten, daß niemand ohne Mantel, außer dem Stallmeister niemand mit Stiefel und Sporen die Räumlichkeiten betrat. spielten mit den Habsburgern und pflegten sie auch (vgl. Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 177), Wien 24. Jul. 1663). 949 Vgl. auch die Einlassung eines Hofnarren, der erwartbare Sinnproduktion konterkarierte: Beim Tod des Erzherzogs Leopold Wilhelm nannte der Hofnarr diesen nicht nur mit seinem Spitznamen, sondern ironisierte die Situation: „Juhu, der hochwirdt (così lo chiamano) ist schon im himmel! “ (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 143, 144), Preßburg, 26. Nov. 1662). Ein vielzitierter Witz eines Hofnarren Ferdinands III. über den Hofkammerpräsidenten ist durch den venezianischen Gesandten Molin (Fiedler (1867), S. 56), überliefert, vgl. Anm. 1471. Ein Nachweis für eine Auftragserteilung Ferdinands III. an einen Kämmerer beim Lever findet sich in einem Brief des kaiserlichen Kämmerers Johann Reichard von Starhemberg an F. A. Harrach: Der Kaiser habe ihm „heüdt beÿ dem anzihen befohlen, dem Herrn Bruder zu schreiben“, dieser möge etwas für den Kaiser besorgen, er wisse schon, was (AVA, FA HR, K. 448, Starhemberg an Harrach, Pilsen, 21. Aug. 1647). Vgl. zu kaiserlichen Narren und Narren von Hofadeligen Tersch (2001), S. 197-199, vgl. auch Sienell (2001b), S. 101. 950 Zur Frühsuppe siehe die e.h. Instruktion Ferdinands III. für die Kammerdiener vom 22. März 1651 (HHStA, OMeA SR, K. 74, Konv. 11, vgl. Anm. 859). 951 § 12 der e.h. Instruktion Ferdinands III. für die Kammerdiener vom 22. März 1651 (vgl. Anm. 859). Vgl. zum Essen Hurter (1850), Bd. 11, S. 575, 576: „Das Mittagmahl nahm der Kaiser in dem Vorzimmer der Kammerherren, das Abendessen in den Gemächern der Kaiserin; an Festtagen speiste er öffentlich in der Ritterstube.“ <?page no="261"?> 260 Ein besonderes und gänzlich abzustellendes Ärgernis war dem Kaiser das Verhalten „unserer eigenen diener beamten und offiziere aber auch andere, sonderlich graven standspersonen“, die in der Antecamera und dann, wenn Tafelmusik gespielt würde, erschienen und „darin spazieren, laut reden, und andere Abscheulichkeit üben“. Auch beim kaiserlichen Essen in der Antecamera sollte niemand, dem die Zugangsordnung dies nicht zugestehe, den Zutritt dorthin haben: „durchgehend“ sollte der Oberstkämmerer darauf achten, daß der Respekt vor dem Ort und „unsere[r] hohen gegenwart“ mittels „bescheidenheit mit still sein und schweigen auf ein all und weg“ gewahrt blieben 952 . Die bezüglich der Vorzimmer besonders hohe Empfindlichkeit in Belangen der Wahrung des kaiserlichen Respektes machte mitunter auch vor Zurechtweisungen von Mitgliedern der Dynastie nicht halt. So berichtete der Hofkriegsratssekretär Sattler 1654 von zwei ihm bedeutsam erscheinenden Vorfällen in Ebersdorf: Einige Wochen nach dem Tod Ferdinands IV. sprach ein Edelknabe den in Gedanken versunkenen neuen Thronfolger an und sagte nach Sattlers Schilderung: „Ich ersuche Euer Hoheit, fröhlich zu sein, denn Euer Stand hat sich verändert, bald seid Ihr König und Herr“, was der Erzherzog mit einer Ohrfeige beantwortete („un buon schiaffo“), woraufhin er sagte, er wolle keine Schmeichler um sich haben und über die Sache zu reden sei nicht an der Zeit. Der Edelknabe hatte - und in diesem Sinne wird man den Hinweis des Erzherzogs auf die Zeit verstehen können - sachlich zwar recht, beachtete aber in nicht genügendem Maße die Selbstdarstellung des Thronfolgers als trauernder Bruder. Dem jungen Erzherzog unterlief einige Tage später im Zimmer des Kaisers beinahe selbst ein faux pas. Bei Ferdinand III. waren gerade die Jesuiten Gans und Geier zugegen und trugen einige Angelegenheiten vor, als der Erzherzog zu einem jungen Mönch über die beiden eine Bemerkung machte, für die er die deutsche Sprache wählte, damit die Patres sie auch sicher registrierten: „das sein zweÿ grosse Vögl“. Sie fragten ihn, warum er sich so verächtlich äußere; der Erzherzog fing daraufhin an zu lachen, was den Blick auf den Kaiser lenkte. Dieser sah sich dadurch, daß der Erzherzog in seiner Gegenwart lachte, in seiner eigenen Wertschätzung der Patres beleidigt 953 und schritt auf zwei Ebenen zur Sanktionierung des Verhaltens: Mit einer 952 HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv r. 122, 4, rote Nr. 22, e.h. „Vernere instruction und Erclärung“ Ferdinands III. für den Oberstkämmerer Waldstein, Wien, 2. März 1651. 953 Beide Geschehnisse: SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12718 20/ 1, Constantin Sattler an Ottavio Piccolomini, Wien, 29. Jul. 1654: „Supplico l’AV: di star allegramente, perche il stato suo si è mutato sará presto Ré, & Padrone”; „e ció, ridendo, in presenza di S.M. tà , la questa si trovo in parte offesa per il puocho respetto portato alli Religiosi“. <?page no="262"?> 261 Gebärde gab er seine Entrüstung zu verstehen („gli mostrò qualche sdegno“), achtete in dem Knaben aber den Erzherzog und hob mit der verbalen Gegenrede auf dessen Selbstachtung ab: Ob er nicht anderes gelernt habe. Der Erzherzog konnte nun antworten, er habe nicht übel und zudem wahr gesprochen und stellte die Frage, ob es denn nicht wahr sei, daß Gans und Geier große Vögel seien („un occa et un aerove“). Der Kaiser war mit der auf das Wortspiel ausweichenden Antwort mehr als zufrieden („non si poteva satiare della bella risposta“) und auch die Patres waren erleichtert. Derartige Zurechtweisungen setzten Standards hinsichtlich der Übernahme von Situationsauffassungen und Achtungsansprüchen. Der gelehrte Disput hatte daher am Kaiserhof keinen leichten Stand, hatte er sich doch in Form von „bellissimi discorsi et dispute“ zu realisieren und insofern enge Grenzen 954 . Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß die nach italienischem Vorbild gestalteten Akademien, die Fürst und Adel zur Diskussion verschiedener Themen zusammenführten, am Kaiserhof nicht traditionsbildend wurden. Die Wahl primär ästhetischer und moralischer Themen mit vorhersehbaren und bekannten Auffassungen konnte die soziale Schieflage der doch gleichwohl offenen Situation nicht auffangen, zumal einige der Teilnehmer keine Höflinge waren. So nahmen 1647 an den Akademien neben einigen Kämmerern italienischer Herkunft der niederösterreichische Regimentsrat Horatio Buccelini, aber auch der toskanische Resident und ein Verwandter des Nuntius teil 955 . Anfänglich äußerte sich der Kaiser sehr angetan, dennoch hielten sich die Akademien nicht lange 956 . Die Präferenz für bewährte typisierte Situationen bedeutete weder, daß es nicht andere Situationen gab, noch, daß diese ohne Regeln auskamen. Der Vollzug anderer Kontakte zu den Höflingen aber realisierte sich in der Regel außerhalb der Vorzimmer und grundsätzlich im nichtöffentlichen Raum; überdies ist darauf hinzuweisen, daß sich engere Kontakte vor dem Hintergrund langjähriger Beobachtung und Bewährung innerhalb jeweils rigiderer Interaktionsreglements etablierten und damit auf persönliche Verläßlichkeit bauten. Bis dahin war es allerdings 954 Leopold I. schildert das Treffen des Burggrafen Bernhard Ignaz von Martinitz und des kaiserlichen Bibliothekars Lambeck in der Bibliothek; anwesend waren auch der Beichtvater des Burggrafen und ein anderer Priester: „et cosi habbiamo havuti bellissimi discorsi et dispute“ (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 97), Wien, 17. Jan. 1662). Hervorhebung M.H. 955 ÖNB, Cod. 10108, fol. 18 ff. Teilnehmer waren auch die Kämmerer Raimondo Montecucoli und Francesco Piccolomini. Vgl. zu Akademien auch Vat. lat. 10433, fol. 148-170. 956 Leopold Wilhelm belebte diese Form im Jan. 1657, doch endete dies mit dem Tod des Kaisers. Erst Eleonora II. gründete 1668 wieder eine Akademie (Schreiber (1998), S. 107-110). <?page no="263"?> 262 ein weiter Weg, bei dem vor allem neue Kämmerer unter ausgeprägter Beobachtung durch die Spitzen des Hofstaates standen 957 . Die formellen Diensthandlungen der Kämmerer waren, wie oben dargelegt, zwar hochgradig typisiert und beruhten auf dem Verzicht auf Kommunikation mit dem Kaiser, boten aber aufgrund der annähernd permanenten Begleitung und Bewachung 958 die Möglichkeit des von diesem initiierten oder wenigstens gebilligten Situationswechsels. So konnte beim Aufwarten in Gärten oder im Ballhaus ein Kämmerer zur Teilnahme gebeten werden, etwa zum Kegeln 959 , zum Ballspiel, oder, selbst für den späteren Oberststallmeister Harrach außerordentlich selten, in die Retirade zum 957 Vgl. Kap. B.II.3.b. 958 Begleitung war grundsätzlich üblich, auch wenn einer der diensthabenden Kämmerer auch dann, wenn der Kaiser den jeweiligen Palast kurzfristig verließ, vor der Retirade, in Wien und Preßburg in einer eigenen Kammerherrenstube Wache hielt. Die Übernachtung scheint in Prag im älteren Stil gehandhabt worden zu sein; hier notierte Franz Albrecht Harrach: „vor Ihr Maÿ Zimmer geschlaffen“ (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 2. Febr. 1648). In Preßburg hatten die Kämmerer ein „Camerern dienst Zimer“ (HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 4, fol. 199). Auch in Laxenburg und Ebersdorf gab es für die diensthabenden Kammerherren ein Zimmer (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 29. Mai 1650); Ebersdorf: 7. Sept. 1642: „in dem Schlos gelegen“; 12. Sept. 1650: „in den Camerer Zimer“. Auch in Regensburg gab es ein Zimmer für die wachhabenden Kämmerer: „Zue nacht in Zimer allein“ (ebd., 20. Apr. 1654). Am 30. Sept. übernahm Harrach erstmals den inneren Kammerdienst: „das erste mal angefangen in der Camer zu dienen“. Zu Mittag schnitt er dem Kaiser vor, aß bei Hof und übernachtete auch dort: „drinen geschlafen.“ Am nächsten Morgen kleidete er den Kaiser an und begleitete ihn zur Messe. Den Vormittag verbrachte er lesend auf der Wache „beÿ der thier“. Zu Mittag aß er allein vor, nach dem Abendessen bei Hof übernachtete er dort (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Okt. 1640). Vgl. auch den Eintrag Harrachs vom 4. März 1641: „weillen mein dag geweßen, bin Ich stätz zu Hof gebliben“; am 5. März war er dagegen nicht durchweg am Hof, sondern verrichtete zu Hause eigene Angelegenheiten, und ließ sich danach wieder bei Hof sehen; am 6. März verbrachte er „meinen gantzen dag“ zu Hof, war allerdings zum Mittagessen auswärts beim Oberstkämmerer, woraufhin er aber „gleich wieder nacher Hof“, dort allein aß und wieder „drinen“ schlief. Den ganzen Tag bei Hof verbrachte er wiederum in seiner Dienstwoche am 10. Nov. 1641, auch am 27. Dez. 1641, am 10., 12. und 14. Febr. 1642, am 11. März 1642 (außerhalb einer Woche), 20. Jun. 1642. Zum Essen begab er sich jedoch auch während der Dienstwochen nicht selten von seinem Platz und aus dem jeweiligen Schloß heraus. Es hinderte ihn später nicht mehr, von einem „ganzen“ Tag Dienst zu reden, wenn er anderweitig essen war (14. Mai 1642, bei der Gräfin Trautson, auch 16. und 17. Mai 1642). Wenn es wie am 8. Sept. 1642 hieß: „weillen mein dag geweßen hab Ich den selben stätz zu Hof zuhe gebracht“, konnte sich dies („mein Tag“, auch etwa am 16. Jul. 1641) bezüglich des Aufenthaltes auf das „Cammerer Zimer“ (12. Sept 1650) konzentrieren. Die Wache konnte zeitraubend sein: Der kaiserliche Kämmerer Johann Reichard Graf Starhemberg schrieb an Harrach, er habe kaum Zeit zum Schreiben, weil er für seinen Vetter immer bei der Schildwache für den Kaiser gedient habe (AVA, FA HR, K. 448, Starhemberg, Pilsen, 21. Aug. 1647). Die Wache scheint nur von geringerem Belang. Bei der Entführung des Kardinals Klesel waren in den Vorzimmern des Kaisers Kämmerer involviert (vgl. Anm. 606); vor der Verhaftung des Infanten Don Carlos, ließ König Philipp II. dessen Kämmerer wissen, daß die Türen nachts offen zu bleiben hätten (ASV, Vat. lat. 10445, fol. 183). 959 Ferdinand III. und Franz Albrecht Harrach kegelten am 30. Jul. 1641 (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, ebenso am 15. Sept.); am 19. Aug., 19. und 26. Sept. 1641 wartete Harrach dem Kaiser zum Kegeln auf. <?page no="264"?> 263 Kartenspiel 960 . Die Tage im Kammerdienst konnten auch „in zimlicher Langen weil“ zugebracht werden 961 . Nur in diesem Sinne einer stets ausgeprägt asymmetrischen Situationsauffassung waren die Kammerherren auch Gesellschafter und Gesprächspartner des Kaisers. Während es den Kammerdienern untersagt war, den Kaiser ungefragt anzusprechen, war es den Kämmerern zwar nur verboten, „in Ihren eigenen sachen, bei uns etwas vorzubringen“ und ohne ausdrückliches Verlangen des Kaisers die Retirade zu betreten; dieses Verbot reichte aus, um klarzustellen, daß die Interaktion von Seiten der Kämmerer von thematischen Belastungen und unerwünschter Präsenz freigehalten werden sollte 962 . Im Rahmen der verschiedenen den Kämmerern aufgetragenen Besorgungen sowie kleineren diplomatischen Kommissionen kam es im Laufe der Zeit doch zu thematischen Weiterungen 963 und dann auch zur Übergabe jedenfalls von Memorialen Dritter durch die Kämmerer. So schrieb etwa der Kämmerer Hans Reichard von Starhemberg 1648 in einem Brief, daß er dem Kaiser im Namen der Verordneten der Stände des Landes Österreich ob der Enns ein eigenes Memorial in Armeefragen übergeben habe und im gleichen Brief berichtete er: „Beÿ Hoff würdt algemach in höchster geheimb debattiert und deliberirt wo Ihr Mayt: für Persohn, und dero Hoffstatt, mit ehisten Ihr residenz nemben 960 Vgl. u.a. AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 15. Nov. 1641; 16. Dez. 1641: „frühe mit Ihr Maÿ in dem balhaus gespilt“; nach der Ernennung zum Falkenmeister Ballspiel mit dem Kaiser im Ballhaus, 28. Okt. 1642. Spielpartner Leopolds I. waren u.a. Gundaker von Dietrichstein, Franz Lodron, Marchese Pio, Johann Sigmund Trauttmansdorff (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 147), Wien, 9. Dez. 1662). Vgl. auch ebd., S. 87 und 97, Wien, 26. Nov. 1661 und 17. Jan. 1662. Das Spiel war eine Gesprächssituation. Der Oberstkämmerer Leopolds I. ging etwa davon aus, daß dieser die Ernennung von Ferdinand Fürst von Dietrichstein zum Landeshauptmann von Mähren, von der am Abend der Entscheidung erst der Obersthofmeister, der böhmische Kanzler und er selbst wußten, nach dem Nachtessen beim Spiel dem Oberststallmeister mitteilen würde (MZA, RA DT, K. 26, Lamberg an Dietrichstein, Wien, 30. Jul. 1664). Vgl. zu den Spielen Zollinger (1997). 961 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 14. Okt. 1642. 962 Vgl. HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv r. 122, 4, rote Nr. 22, e.h. „Vernere instruction und Erclärung“ Ferdinands III. für den Oberstkämmerer Waldstein, Wien, 2. März 1651: Die diensthabenden Kämmerer sollten nicht befugt sein, sich ohne Erlaubnis des Oberstkämmerers vertreten zu lassen. Wer diente, sollte nicht „in […] eigenen sachen, bei uns etwas vorzubringen“; hätten sie etwas vorzubringen, sollten sie beim Oberstkämmerer um eine Audienz bitten. Sie durften nicht an die Schriften rühren, die Memoriale nicht ansehen, sie nicht berühren oder verrücken. Auch derjenige, der den Oberstkämmerer im Falle von dessen Abwesenheit verträte, sollte nichts in eigener Sache vorbringen dürfen. Überdies hatten sie Verschwiegenheit über ihre Wahrnehmungen im Kammerdienst zu beschwören. 963 So entsandte Ferdinand III. am 16. Okt. 1641 Franz Albrecht Harrach, der gerade von einer Kommissionsreise zurückgekehrt war, nach der Relation mit einem neuen Auftrag von neuem. Vgl. auch kleinere Aufträge: Sendung von Laxenburg nach Wien, von Ebersdorf nach Schönbrunn (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 2. Mai 1642; 9. Sept. 1642). <?page no="265"?> 264 möchten“ 964 . David Ungnad berichtete an Franz Albrecht Harrach von seiner Vereidigung als kaiserlicher Kämmerer mit dem Ausdruck seiner Hoffnung, mit dieser „occasion“ dem Briefempfänger besser als bisher dienen zu können 965 . Das implizierte zumindest gelegentliche geprächsweise Einflußnahme. Außerhalb einer Dienstwoche überreichte Harrach 1648, als er bereits Herrenstandsverordneter war, dem Kaiser „meine brief“ 966 . Da Kämmerer auch von anderen Angehörigen der Dynastie eingesetzt wurden, um einander Schreiben zukommen zu lassen, war dies nicht ganz ungewöhnlich 967 . In einer Kammerdienstwoche dagegen schüttete Ferdinand III. im März 1654 das Füllhorn über den nunmehr langjährigen Hofmann Harrach aus, und schenkte ihm am 15. „zwaÿ geschier, eines von Cristal, das andere von Topas“, entschied sich am 17. für die Anweisung einer ererbten Hofschuld, wies diese am 19. an und überließ Harrach am letzten Tag der Kammerwoche das Pachtbzw. Pfandrecht an der Grafschaft Ohrt 968 . Bis Ferdinand III. aber Harrach zum gemeinsamen Bad zuließ, mußte er erst Oberststallmeister werden. Unter dem 10. Mai 1656 notierte Harrach, zu diesem Zeitpunkt „haben Ihr Maÿ vor ordinari mit sich Baden lassen, dero obristen Camern Herrn Don Hanibal Conzaga mich, Herrn Albrechten von Zintzendorf, und grafen Hans Reichardten von Stahrmberg“ 969 ; die drei erstgenannten - Zinzendorf war zu diesem Zeitpunkt Landjägermeister - waren 1640 zu Kämmerern ernannt worden, Starhemberg 1644. Harrach hatte bis dahin 60 Wochen lang den Kammerdienst, hunderte Male den Tafeldienst versehen, bis in die späteren 1640er Jahre häufig vorgeschnitten, auch als Vorkoster gedient und dem Kaiser mehrere hundertmal an den verschiedensten Orten auf- 964 AVA, FA HR, K. 448, Johann Reichard von Starhemberg an F. A. Harrach, Pilsen, 23. Aug. 1647. Die Armee war nur wenige Meilen entfernt, es gab Scharmützel mit schwedischen Truppen. Als Ausweichorte wurden Prag, Budweis und Linz diskutiert. 965 AVA, FA HR, K. 449, David Ungnad von Weissenwolff an F. A. Harrach, Wien, 1. Jan 1643. Vgl. auch die Instruktion für den Nuntius Caraffa von 1621: Dieser sollte die Favoriten des Kaisers gewinnen, an erster Stelle den Obersthofmeister Eggenberg, aber auch die Kämmerer „che haveranno il modo di fargli continui piaceri.“ BAV, Vat. lat. 13416, fol. 135-177v, Rom, 12. Apr. 1621, hier fol. 173, 173v, Abschrift. 966 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 17. Nov. 1648. Die Kammerwoche begann am 21. Nov. 967 AVA, FA HR, K. 438, Friedrich Graf Cavriani (Obersthofmeister Eleonoras I.) an F. A. Harrach, Steyr, 15. Dez. 1645, Bitte, dem Kaiser einen Brief der Kaiserin zu übergeben. 968 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, März 1654. Am Ende seiner Dienstzeit wurde auch der Kämmerer Johann Reichard von Starhemberg durch Übertragung eines akzeptablen Regiments zufriedengestellt (AVA, FA HR, K. 448, Starhemberg an F. A. Harrach, Prag, 25. Dez. 1647). 969 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Mai 1656. <?page no="266"?> 265 gewartet: zur Tafel, zur Messe, zum Schlittenfahren, zu Komödien, Festen, und vor allem und besonders häufig zur Jagd 970 . Vor diesem Hintergrund realisierte sich der Dienst im Hofstaat für dasjenige Hofpersonal, das nicht zum Kreis der Inhaber der Spitzenämter und Berater gehörte, ganz wesentlich als ein stetig wiederholtes Sichsehen-lassen. Die diesbezüglichen Fundstellen belegen, daß auch dann, wenn kein Hofdienst zu verrichten war, Höflinge sich, wenn zwar nicht täglich, so doch häufig bei Hof zeigten: Auf besonderen Befehl des Vaters etwa war Herward Graf Auersperg 1632 bei der Audienz des bayerischen Herzogs zugegen 971 , 1648 schrieb der Kämmerer Johann Reichard von Starhemberg aus Prag: „daß ich für 2. stunden wol hier komben beÿ 970 Zu den Kämmerern als Vorkoster vgl. auch Žolger (1917), S. 118. Aufwartung in die „Schatz Camer“ (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 11. Febr. 1656), die Anfang der 1640er Jahre renoviert worden war (vgl. StLA, FA DTH, Sch. 8, Heft 24, Ferdinand III. an Sigmund Ludwig Graf von Dietrichstein, fol. 26, Regensburg, 24. Sept. 1640). Bei der Jagd ließen sich Bonuspunkte sammeln; so galt der spätere Obersthofmarschall Ferdinands III., Starhemberg, nachdem er mit Ferdinand II. als Kämmerer 1623 auf Jagd gewesen war und einen Hirschen erlegt hatte, beim Kaiser als guter Schütze (OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 48 Erasmus d.J. von Starhemberg 1607-1631, Wien 11. Jul. 1623, fol. 37). Am Ende seiner Hoflaufbahn ließ ihn Leopold I. ihn bei einer Gamsjagd in Tirol mittun (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 176), St. Pölten, 12. Nov. 1665). Bedeutung hatten die Jagden auch für den Kontakt zu Botschaftern, die zur Teilnahme mitunter eingeladen wurden; dies galt auch für Pannochieschi: „Alle Caccie che soleua fare S.M.C. [...] andò una uolta doppo la Morte del Re de Romani inuitato da S.M.C. in compagnia delli Sig ri Ambas ri di Spagna e di Venetia“ (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 284). Den Jagden im Prater blieb der Nuntius lieber fern, folgte aber mehreren Einladungen, v.a., wenn der Kaiser längere Zeit auf seinen Jagdschlössern war und der Nuntius seinen Wohnsitz in deren Nähe verlegte (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 285). In seinen Jagdtagebüchern verzeichnete Ferdinand III. als Begleiter meist nur Angehörige (HHStA, Familienarchiv, K. 89/ 90). Mit über 600 Jagden zwischen 1637 und 1657 war das Kontaktpotential allerdings groß. Leopold I. berichtete wie Ferdinand III. (Ledel (ca. 1992), S. 14) auch von Kontakten anläßlich von Jagden: „Als ich den 7. dies eben morgens [...] mich mit dem Waidwerk delectirt, kommt der Courier Heinrich […]. Als er aber in die Nähe kame, so fragte ich ihn, wann er weggeritten. Er sagte den 18., sei aber durch ganz Frankreich aufgehalten worden, und gabe mir die Brief. Ich aber sagte gleich zu dem Oberstkämmerer und Graf Franz von Harrach: Auweh dies bedeut nichts Guetes“ (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 167), Innsbruck, 17. Okt. 1665). Oberstkämmerer war Lamberg, bei dem erwähnten Harrach handelt es sich um Franz Albrecht Harrach (vgl. auch Pribram (1903), S. 170, 171, Anm. 1, 2 und 3); „Heut habe ein Jagen gehalten […], und ist der Nuntius Pignatelli auch dabei gwest, hat ihm zwar wohl gefallen, doch existimabat, esse rem plenam periculis.“ Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 417), Wien, 23. Okt. 1668; bei anderer Gelegenheit berichtete Leopold I. vom Nuntius Caraffa: „Monsignor Caraffa fu presente; li piqaque assai il modo di cacciarle, ma l’aria et li crepuscoli notturni non li vollero piacere, perchè teme, che siano li maligni, come queli die Roma, et poi chi mai ha visto un prete Romano, che non tien estrema cura dela sua vita? ” (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 78), Ebersdorf, 24. Sept. 1661). Auch andere Botschafter goutierten die Jagdbegleitung Leopolds I. eher weniger: Am 10. Dez. 1661 war er mit den Botschaftern Manzera und Sagredo auf Jagd: „han fatto de bravi und habe di bachen an die spiss lassen anlauffen. Il Sagredo tremò di paura; il Manzera fece assai bene e fu d’uno buttato a terra, però non si fece male, ma fu ben un poco ferito il Cacciator maggiore Zinzendorf” (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 91), Wien, 10. Dez. 1661). 971 AVA, FA AP A-II-28, Herward von Auersperg an Dietrich von Auersperg, 21. Jan. 1632. <?page no="267"?> 266 Hoff, mich nur ein augenblick sehen lassen weilen aber gleich audienzen gewesen, habe ich all mein Sach auf morgen differirt“ 972 . Der Ende September 1640 ernannte Kämmerer Harrach war im ersten Dienstjahr außerhalb der Dienstwochen meist an vier bis fünf Tagen bei Hof, und ging auch dorthin, wenn er keinen Dienst zu versehen hatte, wie etwa am 12. Januar 1641 („mich zu Hof ein wenig sehen lassen“). Am 30. Juni wartete er dem Kaiser in der Kirche auf, ließ sich am folgenden Tag „beÿ hof ein wenig sehen“, aß danach beim Oberstkämmerer, erhielt von diesem die Erlaubnis für eine Visite in Altötting und kehrte am 7. Juli nach Regensburg zurück und zeigte Präsenz: „habe ich mich nach deme Ich umb 6 ankohmen beÿ Hof sehen lassen“. Nachdem er sich am Vormittag des 11. Juli mit seiner Korrespondenz beschäftigt hatte, ließ er sich „beÿ Hof sehen“. Nach dem Tafeldienst am 22. November war er mehrere Tage nicht bei Hof, ließ sich aber am 9. Dezember wieder sehen und wartete am 10. wiederum auf. Als der Kontakt zum Kaiser sich auch aufgrund seines Falken- und Jägermeisteramtes stark intensiviert hatte, folgte das Sich-Sehen-Lassen häufiger auf krankheitsbedingte Abwesenheiten. So war Harrach von Oktober 1651 bis März 1652 so schwer erkrankt, daß er kaum seine Wohnung verlassen konnte; eine der wenigen Ausnahmen machte er wegen einer Komödie bei Hof, um am folgenden Tag wieder mit Fieber zu Hause zu bleiben; im März ging es ihm langsam besser: Am 17. März war er beim Oberstkämmerer zum Essen, aber erst am 30. wieder soweit hergestellt, daß er den Nachmittag in seinem Garten verbringen konnte; am 31. besuchte er dann die Frühmesse, aß mittags zu Haus und ging dann zum Hof: „und nach essen, mich zu Hof sehen lassen“ 973 . d. Weibliche Dynasten und Erzherzöge Die Zugangsregelung zu den Kaiserinnen, Königinnen und Erzherzoginnen sowie den jungen Erzherzogen war grundsätzlich ähnlich ausgeformt wie die des regierenden Kaisers, weist aber restriktivere Züge auf. Aufgrund der schwächeren Überlieferung ist es indes schwierig, die Stellung der nicht regierenden Mitglieder des Hauses Habsburg im Kommunikationsnetz des Hofes ähnlich präzise zu bestimmen. Wie sich 972 AVA, FA HR, K. 448, Johann Reichard von Starhemberg an F. A. Harrach, Prag, 21. Dez. 1647. 973 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319. Mitunter ließ Harrach sich trotz Purgatio sehen: „Zum purgiern eingenohmen, und in beht gesen, auf die nacht zu Haus, und zu vor mich beÿ hof noch sehen lasen“ (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 26. Mai 1651). <?page no="268"?> 267 konkret der Zugang der regierenden Kaiserinnen und Königinnen zum Kaiser gestaltete, darüber wissen wir - abgesehen von den Zusammenkünften im Rahmen offizieller Ereignisse und bei der Tafel - nur sehr wenig. Die Retiraden von Kaiser und Kaiserin jedoch lagen in der Hofburg nebeneinander und waren räumlich miteinander verbunden 974 . Daß die Ehen Ferdinands II. und Ferdinands III. von den Gesandten, die ihr hohes Erstaunen hierüber vielfach deutlich zum Ausdruck brachten, fast durchweg als innig beschrieben werden, wird angesichts der Berichte über den Hof des allerchristlichsten Königs nicht allein dem Leitbild des katholischen Herrschers geschuldet sein, zumal auch andere Quellen auf ein einges Verhältnis der Gatten hinweisen 975 . Der Zugang zu den Kaiserinnen war von daher geeignet, einen mittelbaren Zugang zum Kaiser auch dann darzustellen, wenn diese wie Ferdinand III. verlauten ließen, sie ‚dependierten’ nicht von ihren Gemahlinnen 976 . Was den Zugang zur Kaiserin bzw. Königin anbetrifft, ist man insbesondere durch die Instruktionen für deren Obersthofmeister vergleichsweise gut informiert. Mehr noch als beim Kaiser stand der Schutz von „authoritet, hoheit, Ehrerbiettung, respect und Erbarkeit“ unter dem Vorzeichen gerade der weiblichen Ehre. Die sehr restriktiven Zugangs- und Aufsichtsregeln zielten besonders auf diesen Aspekt ab und behandelten das Problem der Regulierung einflußrelevanter Kommunikation auch aus dieser Perspektive. 974 Vgl. die Pläne bei Benedik (1997a) und Benedik (1997b). 975 Über die Zugangsmöglichkeiten der kaiserlichen Familie außerhalb der Tafel geben die Quellen kaum Auskünfte (zu gemeinsamen Jagden vgl. HHStA, FA, K. 89/ 90). Doch dürften hier kaum formelle Hindernisse bestanden haben. Zur Tafel siehe die Instruktion Ferdinands III. für die Obersthofmeister der Kaiserin Eleonora II. Graf Cavriani, Ebersdorf, 24. Sept. 1655, § 8: Danach hatte für den Fall, daß der Kaiser bei der Kaiserin in ihrer Retirade insbesondere zu Abend Tafel hielt, „kein Mans Persohn, außer der hochen Hoffs officieren“ des Kaisers und Königs diensthabenden Kämmerer „und sonsten nothwendig zugegen sein müeßen, hineingelaßen“, die übrigen aber sollten sobald der Kaiser zur Tafel ginge, zum Abtreten gewiesen „und weiter nit admittirt werden.“ Auch die Pagen sollten in das Zimmer nicht gehen, sondern für den Fall, daß sie Speisen brächten, dieselben außen an der Tür den Damen geben und dort zurücknehmen. (HHStA, OMeA SR, K. 73, Nr. 13/ 5). 976 „von der Kaiserin leonora rath und dictaminibus dependir ich ganz nicht“ (HHStA, OMeA SR, K. 146, Konv. Nr. 6, Ferdinand III. an Auersperg, Konzept, s.d., fol. 22-23). Erzherzog Leopold Wilhelm bemühte sich als Statthalter in den Niederlanden um gute Beziehungen zur zweiten Gemahlin Ferdinands III., Maria Leopoldina. Er bat den Geheimen Rat Khevenhüller, er möchte dem Obersthofmeister der Kaiserin Dietrichstein seine Bitte ausrichten, ihn in der Gnade der neuen Kaiserin erhalten; er hoffe, auch bei dieser etwas „zu gelten“ und sah hierfür ein „dopeltes augurium“: „eines dass sie die Maria haist das ist eben der vorigen Kaiserin Namen und das ander Leopoldina, das ist mein Nam. Also hoffe der Leopold durch Mariam Leopoldinam in des Khaÿsers Ferdinand gedechtnis erhalten zu werden“. Khevenhüller solle den Inhalt dieses Briefes der Kaiserin zu Ohren kommen lassen, sie solle ihn aber um „Gottes willen“ nicht lesen. Mit der neuen Kaiserin sei er „noch nit so bekhant, daß ich mich solle so vertreilich machen“ (ebd., OMeA SR, K. 76, Konv. 3, Hauptquartier, 2. Aug. 1648). <?page no="269"?> 268 Vor der Retirade der Kaiserinnen und Königinnen lagen gleichfalls, wenn auch in geringerer Zahl, Vorzimmer: eine Antecamera sowie die Wartstube 977 . Die Entscheidung über den Zutritt zu den Zimmern der Kaiserin im Bereich der Vorzimmer einschließlich der Wachstube lag grundsätzlich beim Obersthofmeister der Kaiserin, der ihren Türhütern diesbezügliche Anweisungen gab, doch konnte auch sie selbst oder eine zu dienstlichen Zwecken befugte, aber nicht näher bestimmte Person Zutritt gewähren 978 . Für die Zulassung aller Personen zur Audienz war - mit Ausnahme der Angehörigen des Frauenzimmers - der Obersthofmeister der Königin zuständig. Punkt 14 der Instruktion von 1631 sollte vornehmlich in Zeremoniellfragen die Rückkopplung an die kaiserliche Praxis sichern und ging dabei ganz selbstverständlich von der Zulassung von Fürsten, Botschaftern und Gesandten aus. Daß er aber dem adeligen Gefolge dieser Personen erlaubte, nach der Audienz der Königin ihre Aufwartung zu machen 979 , weist darauf hin, daß die Königin und mit ihr das adelige Frauenzimmer im übrigen sehr abgeschirmt waren. Wenn auch die Wahrung des Respekts vor der Majestät hier hineinspielt, gehört es doch in diesen Zusammenhang, daß bei Festivitäten in den Räumen nur geladene und berufene „von Weib und Mans Personen zugelassen werden“ 980 . Zur Sicherung der Ehre von Königin und Hoffräulein, aber auch zur Zugangskontrolle trug weiter bei, daß im Falle der Abwesenheit des Kaisers nach Punkt 4 der Instruktion der Obersthofmeister „zu Hoff in einem Ime darzue ausgezaichneten Gemach oder Zimer ligen, und fleißig Acht haben [solle], damit die Porten und Thüren zu rechter Zeit gespert, und kainer Er seÿe wer da wolle, ohne sein Erlaubnus und bevelch weder hinaus, noch hinein gelassen werde.“ 981 Auch dann sollte der Obersthofmeister bei der Königin sein, wenn sie durch die Galerie, den Saal, den Gang in die Kirche, im Garten oder sonst bei Hof sich aufhalte, wenn sie auf Jagd sei oder in die Felder reite oder fahre 982 . So war denn der Zutritt auch im übrigen restriktiv geregelt. Der Zutritt der Hofkapläne war auf das Lesen der Messe sowie das Benedicite und Gra- 977 Siehe Benedik (1997a) und Benedik (1997b). 978 Vgl. die Instruktion für den Obersthofmeister der ersten Frau Ferdinands III., Franz Christoph Graf Khevenhüller, Wien, 11. Apr. 1631 (HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, fol. 361- 372), § 5. Ein überarbeitetes Konzept zu dieser oder einer noch früheren Instruktion war am 13. Apr. 1629 zur Beschlußfassung vorgelegt worden; diese wurde in die auf 37 Punkte gekürzten Instruktion von 1631 eingearbeitet (HKA, Instr. Nr. 435). 979 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 14. 980 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 7. 981 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 4. 982 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 6. <?page no="270"?> 269 tias vor der Tafel beschränkt, sonst sollten sie „den Zuetritt nit haben“ 983 . Die Kammerdiener sollten nur bis in die Antecamera gehen dürfen, es sei denn, sie würden wegen irgendwelcher Verrichtungen weiter gerufen 984 . Ebenso sollte, wenn die Kaiserin allein aß, „sich dabeÿ niemandts von Mans Personen, als der Obrist Hoffmaister befinden, und die Camerdienner die Speisen nit weiter tragen, als für das Zimer, wo die Königin essen thuet, und Sie dort auf den Schenkhtisch sezen, da es die Freÿlein zunemen, und auf die königliche Tafel zu tragen“ und dabei die Fräulein sich „nirgens andershin divertiern, wie auch daß die Thürhietter kaine Cauavlieri oder andere Person so nit dahin gehören, hinein lassen“ 985 . Mit der Regelung des Zugangs zur Königin, das wird hier deutlich, war die Regelung von Kontakten der Hoffräulein eng verbunden. Entsprechend sollte auch der Guardarobba „ in alle frauen Zimer und Gemach, wann die Antecamera offen, gehen“, um „alle Fenster und Thüren, sonderlich zue Nacht verspören, und wo Er etwas daran zerissen, zerbrochen oder unsauber funde, es zumachen und zu seübern anbevehlen“. Diese Kontrollfunktion gab ihm das Zutrittsrecht für alle Zimmer der Kaiserin mit Ausnahme der Schlafkammer sowie das Recht, eine Waffe zu tragen 986 , was den Kammerdienern verwehrt war 987 . Wenn er in den Zimmern etwas „verspuere“, solle er es dem Obersthofmeister oder der Frauenzimmerhofmeisterin melden 988 . Weil der Guardarobba so weitreichende Zutrittsrechte und allein anläßlich seiner Besprechungen mit der Obersthofmeisterin über die von der Kaiserin für den nächsten Tag gewünschte Kleidung 989 erhebliche Kommunikationsmöglichkeiten hatte, war es ihm und seiner Familie verboten, ohne Erlaubnis seiner Vorgesetzten Geschenke von Dritten anzunehmen, „auf daß Er weder von Cauagliern noch dem Adelichen Frauen Zimer oder andern zu Hoff diennenden weibsbild ainige Dependenz habe“ 990 . Die Abschirmungsversuche betrafen auch noch die Familien der Hoffräulein. Wollten ihre Mütter, Verwandten oder Freundinnen sie „in ihren Zimmern Kranckheit oder anderer accident halber haimbsuechen 983 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 32. 984 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 35. 985 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 8. Dies resultiert aus einem Zusatz zum Konzept von 1629. 986 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 33. 987 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 35. 988 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 34. 989 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 33. 990 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 34. Nur im Falle der Heirat eines Hoffräuleins durfte er auch ohne Erlaubnis Geschenke annehmen. <?page no="271"?> 270 [...], so solls kaines weegs zugelassen werden, Es seÿ dann mit unserer Gemahlin L de . aignen austruckhlicher Erlaubnus.“ 991 Auch der Besuch von Eltern oder Verwandten außerhalb der Hofburg war unter den Erlaubnisvorbehalt der Königin gestellt 992 . Das Gespräch mit Eltern, Brüdern und Verwandten mußte die Frauenzimmerhofmeisterin gestatten, stattfinden konnte es dann in deren Gegenwart in der Antecamera 993 . Dies scheint denn auch der Ort gewesen zu sein, wo die kaiserlichen Höflinge die Hofdamen besonders am frühen Abend häufig aufsuchten, während es ansonsten etwa auf der Burgbastei Bereiche gab, zu denen die Höflinge auch dann keinen Zutritt hatten, wenn die Hofdamen etwa kegelten 994 . Es drängt sich - ungeachtet des expliziten Hinweises auf den Respekt vor der Königin - vollends die Parallele zur Regelung der kaiserlichen Kämmerer hinsichtlich der Wahrung der Geheimnisse der kaiserlichen Kammer auf, wenn den Hoffräulein untersagt wird, bei der Tafel „vor sich selber ainichen Discurs, Sie seÿen dann gefragt“ anzufangen und der Königin ohne Befehl der Vorgesetzten „Post“ auszurichten oder anzuempfehlen 995 . Wie die diensthabenden Kämmerer sollten auch die Hoffräulein die große Nähe nicht für Einflußnahme ausnutzen können. Dies war um so wichtiger, als die Königin eine eigene Korrespondenz „so wol die compliment als negotia begreffendt“ führte und in diesem Rahmen auch Empfehlungsschreiben ausfertigen ließ. Doch auch dieser Bereich unterlag einer gewissen leicht verbrämten Kontrolle. Der Obersthofmeister sollte in Zweifelsfällen die Entscheidung der Königin und, wenn sie es verordne, die des Königs einholen. Damit war eine Aufsicht des Obersthofmeisters vorausgesetzt, die verhindern sollte, „daß die Intercession schreiben nit Gmain gemacht, und so baldt vor einen Unverdient und Unqualificierten ein bessere Intercession als vor einen 991 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 21. 992 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 22. 993 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 23. Die Bestimmung des Ortes Antecamera wurde im Konzept von 1629 vorgenommen. 994 „Nachdeme sie [die Kaiserin] nach Haus kommen ist ein andere Jagt entstanden, dann die Hoffdamas thaills pflegen Nachmittag auff der Pasteÿ gegen die neüe Purk Kegel zu schieben. Da haben sie […] ihr Wildstuk angetroffen, mit welchem sie anfangen zu scherzn, Aber der Knab so die Kägel aufgesezt, warffe undterdessen mit einem kägel auff das wildt so disen Scherz nicht verstehen wollen sondern gegen den Freÿll geloffen darauff sie auch anfangen zu lauffen, thails in das wachtheüsel sich retirieret, Etlich aber Erreichet worden, darunter die Fr: von wolkenstein die nögste wahr, welche als sie gesehen, das das Thier auf sie staigen wollen sich geleget, aber ein weihl getretten worden, doch ohne gefahr ist diese Caravana abgangen, kein Cavallier wahr nicht dabeÿ zu retten dann der zuetritt an selbiges orth nicht erlaubet.“ AVA, FA Harrach, K. 448, Paul Sixt Graf Trautson an Franz Albrecht Harrach, Wien, 27. Apr. 1658. 995 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 21. <?page no="272"?> 271 Verdient: und Qualificierten gegeben“ würden. Die zusätzliche Zuständigkeit des Sekretärs der Königin sollte zudem nicht allein die Erfüllung der formalen Anforderungen an die Schreiben gewährleisten, sondern zusammen mit dem angeordneten Unterschriftstermin sicherstellen, daß „nit etwan anderwerts allerlaÿ Schreiben und intercessionen erpracticiert“ würden 996 . Die Instruktion für Marquard Graf Fugger, den Obersthofmeister der dritten Gattin Ferdinands III., vom 9. September 1652 997 fiel gegenüber der eben zitierten wesentlich kürzer aus. Um so wichtiger ist der Umstand, daß die Problemkreise des Kontaktes zur Kaiserin sowie die zu ihren Untergebenen weiterhin große Beachtung fanden. Bemerkenswert ist die Anweisung an den Obersthofmeister der Kaiserin, zur Frühmesse sowie abends um 17 Uhr bei Hof zu erscheinen, um die Befehle der Kaiserin zu empfangen 998 - die stete Präsenz des Obersthofmeisters scheint sich etwas gelockert zu haben. Bei den Audienzen für männliche Besucher sollte der Obersthofmeister indes persönlich zugegen sein und nur er hatte männlichen Besuchern nach Erkundigung über ihre Person Audienzen zu erteilen oder zu versagen 999 . Bei hochrangigen Besuchern war vor dem Zusammentreffen das Zeremoniell mit dem Obersthofmeister des Kaisers abzustimmen 1000 , auch das Zutrittsrecht zu den Vorzimmern der Kaiserin wurde dem des Kaisers angeglichen 1001 . Um die Ordnung dort muß es jedoch zeitweise zweifelhaft bestellt gewesen sein, wurde doch nunmehr angeordnet, daß der Hofmeister für den Fall, daß in „appartamento, antecamera oder Ritterstuben, ainige inconuenienz mit 996 HHStA, OMeA SR, K. 76, Konv. 2, Wien, 11. Apr. 1631, § 30. Im Konzept von 1629 hatte der Obersthofmeister noch ohne Einschaltung der Königin den König um Entscheidung bitten sollen. Die Zwischenschaltung des Obersthofmeisters erschwerte es, Enttäuschung von an sie diesbezüglich gerichteten Bitten individuell zuzurechnen. Effektiv abgeschirmt war sie jedoch gegen Bittsteller nicht. So schrieb die Kaiserinwitwe 1648 an den Maximilian Graf von Trauttmansdorff und empfahl eine Supplikation, „weÿllen sie mich täglich überlauffen und keine Ruehe geben“ (AVA, FA TM, K. 126 Bb 5, Nr. 9, fol. 303, Eleonora I. an Trauttmansdorff, 18. Mai 1648). 997 Instruktion für Marquard Graf Fugger als Obersthofmeister der Kaiserin Eleonora II., Prag, 9. Sept. 1652 (HHStA, OMeA SR, K. 69, Prag, 9. Sept. 1652, Abschrift in HHStA, ZA SR 10, p. 419-423). 998 HHStA, OMeA SR, K. 69, Prag, 9. Sept. 1652, § 1. 999 HHStA, OMeA SR, K. 69, Prag, 9. Sept. 1652, § 5. Berichte von Audienzen männlicher Höflinge bei der Kaiserin sind vergleichsweise selten. So berichtete Graf Scherffenberg an Franz Albrecht Harrach über die Audienz des Maximilian Graf von Martiniz, welcher der Kaiserin Eleonora II. seine Tochter für die Aufnahme als Hofdame empfehlen wollte (AVA, FA Harrach, K. 447, Scherffenberg an Harrach, Wien, 24. Jun. 1664). Korrespondenzen von Hofdamen, wie etwa der schreibfreudigen Maximiliana von Harrach, dürften hier weit mehr ergeben. 1000 HHStA, OMeA SR, K. 69, Prag, 9. Sept. 1652, §§ 1, 6. Vgl. dazu die dichte Dokumentation von Audienzen von Fürstinnen, Fürsten und Diplomaten (u.a. ebd., ÄZA, K. 4). 1001 HHStA, OMeA SR, K. 69, Prag, 9. Sept. 1652, § 7. <?page no="273"?> 272 Carten Spill, Lesung sectischer, oder sonst verbottener Bücher, oder tractätlein, noch in anderweg, ainige Ungebühr fürgehe, und da dergleichen etwas beschähe“ dieses abstellen, und „wan Er kein beßerung vermerckte, es an höchere orth bringen und remedium suchen“ solle 1002 . Der Kontakt der Hofdamen mit Familienmitgliedern wurde in dieser Instruktion nicht neuerlich geregelt 1003 , lediglich der Kontakt zu männlichen Adeligen wurde näher umrissen. Vor 17 Uhr durfte kein Adeliger ohne Erlaubnis des Obersthofmeisters in der Antecamera mit den Da- 1002 HHStA, OMeA SR, K. 69, Prag, 9. Sept. 1652, § 11. Höherer Ort waren nur noch der kaiserliche Obersthofmeister, die Kaiserin und der Kaiser selbst. 1003 Das mag seine Ursache darin haben, daß Teile der Materie in der Instruktion für die Hofmeisterin der adeligen Frauen geregelt waren. Die Instruktion der zweiten Gattin Ferdinands III., Maria Leopoldina (verh. 1648, † 1649) für Francisca Quiroga Freiin von Paar diente als Vorlage für die Instruktion der Eleonoras II. für Maximiliana von Scherffenberg (HHStA, OMeA SR 73, Konv., Nr. 4, 8. Mai 1651) und ging selbst auf die Instruktion der Kaiserin Eleonora I. für ihre „Underhofmaisterin“ Isabel Thonrädl vom 19. Jul. 1627 zurück (ebd., ÄZA, K. 2, Konv. 11, fol. 1-6). Während sie unter Eleonora I. und Maria Leopoldina noch Unterhofmeisterin genannt wurde, wurde ihr Titel in der neuen, inhaltlich nicht veränderten Instruktion in Hofmeisterin geändert. An der Spitze der Regelungen der Kommunikationswege steht in den beiden späteren Instruktionen das Verbot für die Hoffräulein, der Kaiserin Audienzen anzusagen, Briefe oder Memoriale anzunehmen und weiterzuleiten oder sich durch fremde Personen in die Stadt bitten zu lassen; für beides sei die (Unter-) Hofmeisterin zuständig (§ 5). Geschenke durften sie ohne Wissen der (Unter-) Hofmeisterin nur von nächsten Verwandten annehmen, mit einem Dritten sprechen durften sie nur mit Vorwissen und im Beisein der (Unter-) Hofmeisterin oder dann, wenn alle Fräulein in der Audienzstube zusammen sein sollten (§ 8). Sie durften allein nicht zur Wache, auf die Treppen oder an andere Orte gehen, sich dort aufhalten oder mit jemandem sprechen und keine Frau über die Antecamera hinaus begleiten (§ 9), nur mit Erlaubnis der Kaiserin zum Besuch einer Frau in die Stadt fahren, von dort weiter „in die Kirchen, garten, oder andre Gesellschaft weiters“ nur mit Erlaubnis der Kaiserin oder (Unter-) Hofmeisterin. Die Erlaubnis der (Unter-) Hofmeisterin brauchten sie auch, wenn sie sich sonst bei Hof oder im Hofgarten aufhalten wollten (§ 10). Der Kontakt mit Handwerkern, Kaufleuten, Geistlichen etc. war gleichfalls streng reglementiert. Reglementiert war auch der Außenkontakt der Dienerinnen der Hoffräulein, denen ohne Erlaubnis der (Unter-) Hofmeisterin die Residenz zu verlassen verboten war. Auch die Auswahl der Dienerinnen unterlag der Kontrolle der (Unter-) Hofmeisterin (§ 13). Die beiden späteren Instruktionen wichen von der Eleonoras I. zwar in zahlreichen Punkten ab. Die Restriktion der Außenkontakte wurde aber in weiten Teilen übernommen und dabei teilweise noch verschärft bzw. präziser formuliert. In der Fassung von 1627 fehlt vor allem das Verbot der Annahme und Weiterleitung von Memorialen und die Vermittlung von Kontakten an die Kaiserin. Es war den Fräulein lediglich verboten, ohne Erlaubnis der Unterhofmeisterin „Brief oder Zöttel [zu] schreiben, und Inn oder ausser Hof [zu] verschickhhen“ (§ 9). Die Regelung des Zugangs zu den Wachräumen (§ 10), die Erlaubnis zum Ausgang in die Stadt oder in den Garten (§ 11) und auch die Regelungen bzgl. der Dienerinnen (§ 15) finden sich - ohne gewichtigere Änderungen - bereits in der Instruktion von 1627. Restriktiver wurde unter Eleonora I. das Gespräch mit Verwandten, Hofleuten oder Dritten gehandhabt. Dieses war nur an zwei Tagen in der Woche, an Samstagen und Sonntagen, erlaubt und auf etwa eine Stunde beschränkt. Sonstige Gespräche bedurften der Erlaubnis der Kaiserin und mußten dann in Gegenwart der Unterhofmeisterin geführt werden (§ 9). Vgl. für das spätere 17. Jahrhundert die Instruktion der Kaiserin Claudia Felicitas für ihr Fräuleinhofmeisterin Maria Theresia von Rappach vom 3. Jan. 1675 (ebd., ZA SR 10, fol. 423v-429), die den Instruktionen für die (Unter-) Hofmeisterinnen im wesentlichen folgt, aber wiederum Änderungen bringt. <?page no="274"?> 273 men sprechen 1004 , was die Frage aufwirft, unter welchen Einschränkungen dies später erlaubt war. Bei anderen Gelegenheiten waren derartige Gespräche jedenfalls untersagt und zu unterbinden 1005 . In modifizierter Form wiederholt und teilweise erweitert wurden die Regelungen, wonach die Möglichkeiten der Einflußnahme des Personals der Kaiserin beschränkt werden sollten. Keiner der unteren Bedienten sollte sich „underfangen, immediatè für sich selbst, oder durch andere, ohne sein obristen Hofmeisters Vorwissen, etwas beÿ Ihrer Mtl: und Ld e . anzubringen“ und „sich niemandt anmaßen, von andern, außer sein des obristen Hoffmeisters, memorialia anzunemben, oder Ihrer Mtl: und Ld e . zuübergeben.“ 1006 Bezüglich von der Kaiserin ausgehender Empfehlungsschreiben wurde die Vorlage beim Kaiser dem Obersthofmeister zur Verpflichtung gemacht, auf daß „mit den ansuchenden intercessionen, gespärig und gewarsamb gehandlet, auch Ihrer Mtl: und Ld e . auctoritet und reputation nit zuvil inpegnirt“ werde. Wichtig ist auch die Anordnung über die bei der Kaiserin einlaufenden „recommendationes, und sonderlich die jenige, so etwo den Statum publicum, oder die Justitiam, oder sonsten ein Considerabel materi concernierten“. Der Obersthofmeister sollte dafür sorgen, daß diese dem Kaiser „iederzeit communicirt werden, welche wir sodan, an gehörige orth und Stöllen zu remittiren, die Notturfft darüber bedenkhen zulaßen, und der sach recht zuthuen gedacht sein wollen.“ 1007 Mit diesen Anordnungen war der Versuch unternommen, auch die an die Kaiserin gerichteten Bittschriften in denjenigen Verfahrensgang einzuspeisen, den der Kaiser grundsätzlich einhielt. Der Umstand, daß diese für den Grafen Fugger erlassene Ordnung mit nur sehr geringfügigen Änderungen am 24. September 1655 für dessen Nachfolger als Obersthofmeister bei der Kaiserin Eleonora II., Friedrich Graf Cavriani, wiederum ausgestellt wurde 1008 , weist darauf hin, daß die Instruktion sich wohl bewährt hatte. 1004 HHStA, OMeA SR, K. 69, Prag, 9. Sept. 1652, § 9: Kein Kavalier durfte ohne Wissen und Erlaubnis des Obersthofmeisters vor 17 Uhr in der Antecamera mit den Damen sprechen. Später war Konversation erlaubt, doch sollte es hell bleiben: Im Winter sollten bei Einbruch der Dämmerung Lichter entzündet und solange wie nötig unterhalten werden. 1005 HHStA, OMeA SR, K. 69, Prag, 9. Sept. 1652, § 12: Die Guardadama sollte für den Fall, daß „ein: oder anderer Cauaglir, in der Kirchen, in fahren, und dergleichen occasionen, mit denselben zu reden, oder gespräch mit denselben zu führen undterstehen wollte, denselben Cazaglier darvon abmahne“. 1006 HHStA, OMeA SR, K. 69, Prag, 9. Sept. 1652, §§ 13, 14. 1007 HHStA, OMeA SR, K. 69, Prag, 9. Sept. 1652, § 15. 1008 HHStA, OMeA SR, K. 73, Nr. 13/ 5, Ebersdorf, 24. Sept. 1655. <?page no="275"?> 274 Auch die Instruktionen für die Obersthofmeister der Erzherzöge gehen - während über den Kontakt zu Kaiser und Kaiserin sowie zu den anderen Mitgliedern der Dynastie darin nichts enthalten ist - recht ausführlich auf deren Kontakt zu Dritten ein. Die Instruktion Kaiser Ferdinands III. von 1644 für Weikhardt Graf von Auersperg als Obersthofmeister seines 1633 geborenen ersten Sohnes Ferdinand sah vor, daß sich der Obersthofmeister ständig in der Nähe des jungen Erzherzogs aufhalten sollte („gegenwertig und beÿwesig“) und deshalb mit einem Hofquartier in der Nähe der Hofburg und bei Hof selbst „mit ainem Zimmer, darinnen Er undter tags seinen Abtritt nemben könne“ zu versehen war 1009 . In diesem Rahmen sollte er den Kontakt des Erzherzogs mit fremden Besuchern überwachen und auch für ihn sprechen: „Gleicherweis soll Er, der Hoffmaister, so frembde Personen, hohes und Niders Stadts, Sein L. de besuchen und ansprechen wollen, iederzeit Persönlich zugegen sein, und solche ansprechung mit seinem vorwissen undt willen beschehen, und Er der Hoffmaister von Irer L de . wegen, die emfahung thune, Redt und Antwort geben, Es werde dann von Uns nach Gelegenheit der Sprachen Jemandt anderer zu solchem verordnet, solle auch Irer L de : in allweg anweisung und Lehrung geben, wie sich Ire L de . gegen ainen Jeden nach gelegenheit seiner Person, Standts, Herkommens, mit Wortten und Geberden erweisen sollen“. Wenn der Kontakt zu Dritten im allgemeinen schon vollständiger Kontrolle unterlag 1010 , war diese noch gesteigert, wenn Personen im Range von Fürsten oder Botschaftern mit dem Erzherzog sprechen wollten. Der Obersthofmeister war gehalten, solche Kontakte vorher beim Kaiser zu melden. Allein und abgesondert mit dem Erzherzog zu sprechen, war unter Strafe verboten und auch das Gespräch mit Dritten 1009 HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. 4, Nr. 11/ 7, Linz, 25. Nov. 1644. Das Exemplar enthält e.h. Zusätze Ferdinands III., die auch auf eine ganz e.h. Instruktion für Auersperg hinweisen und das Spielen um Geld restringieren. Unter den älteren Ordnungen für die Hofstaaten der Kinder wären die Ordnung von 1536 (HHStA, OMeA SR, K. 181, Nr. 7) hervorzuheben, die bereits verbietet, daß eine unbekannte Person zu den Kindern gelangen könne (fol. 1), aber auch jene für den Hofstaat der Erzherzoge Maximilian und Ferdinand von 1538 (HHStA, OMeA SR, K 181, Nr. 12, Linz, 13. Okt. 1539). Danach sollte der Oberstkämmerer nachts bei den Erzherzogen in der Kammer liegen, die jeweiligen Kammerdiener „zu nechst beÿ sich an der handt haben, und Ihre Lden. beÿ tag und nacht, und sonderliche beÿ der nacht nit allein oder ainig lassen“ und ihnen u.a. auch die Regeln der Konversation vermitteln. 1010 Ferdinand III. ermahnte den Obersthofmeister, darauf zu achten, daß Personen, die Tag und Nacht ihrer Ämter wegen in das Zimmer und Gemach des Erzherzogs Zutritt hatten, „kain Leichtfertigkeit und Unzuecht zugestatten“ (HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. 4, Nr. 11/ 7, Linz, 25. Nov. 1644). <?page no="276"?> 275 oder dem Personal des eigenen Hofstaates hatte unter Anwesenheit der übrigen Höflinge stattzufinden 1011 . Daß die Zimmer des jungen Erzherzogs mit mehreren Personen längere Zeit des Tages gefüllt waren, geht aus dem Verbot des Spielens im Appartement des Erzherzogs und Verbannung in die Tafelstube hervor. In der von Ferdinand III. eigenhändig modifizierten Vorlage war dem Hofgesinde das Spielen der Kurzweil wegen in Stube und Kammer noch erlaubt. Es wird insbesondere in dem Verbot des Geheimen Gesprächs deutlich, daß er bei dieser Instruktion nicht allein um die Abhaltung von der Erziehung schädlichen Einflüssen geht, sondern bereits um die Restriktion von weiterreichendem Einfluß. Mit einer zusätzlichen, Teile der älteren Instruktion aufnehmenden Instruktion vom 12. Januar 1645 paßte Ferdinand III. diese Instruktion an den nunmehr um einige seiner eigenen Kämmerer vergrößerten Hofstaat des zwölfjährigen Erzherzogs Ferdinand an 1012 . In Entsprechung zur kaiserlichen Regelung wurde die Anwesenheit beim An- und Auskleiden, beim Kirchgang und bei der Tafel den diensthabenden Kämmerern zur Pflicht gemacht. Sie hatten zudem das beim Kaiser selbstverständliche Recht bzw. die Pflicht, die hier jedoch explizit erwähnte wurde, auf Erfordern des Erzherzogs in die Kammer gelassen zu werden. Die übrigen nicht im Kammerdienst beschäftigten Kämmerer hatten beim öffentlichen Kirchgang und bei Audienzen für hohe Besucher anwesend 1011 HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. 4, Nr. 11/ 7, Linz, 25. Nov. 1644. 1012 HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. 4, Nr. 12/ 9, Linz, 12. Jan. 1645. Auf der Grundlage dieses Exemplars wurde das Original gleichen Datums gefertigt (AVA, FA AP, A-21-5a). Weitere Kämmerer waren danach nur mit Wissen und Bewilligung des Kaisers aufzunehmen. Die übliche Urlaubsregelung wurde aufgenommen. Die beiden Kämmerer, die Dienst und Wache hatten, sollten beim Anlegen, bei der Messe, der Tafel und beim Entkleiden des Erzherzogs aufwarten, im übrigen konnten sie ihren Geschäften nachgehen, sollte sich ein Kämmerer außerhalb der Präsenzpflicht aber bei Hof befinden, sollte er auf Anweisung des Erzherzogs in dessen Kammer dürfen. Beim öffentlichen Zug in die Messe oder zur Vesper oder bei höherrangigen Audienzen sollten alle Kämmerer geschlossen anwesend sein. Die Kämmerer durften nach dem Kirchgang oder nach sonstigen öffentlichen Auftritten den Erzherzog in die Kammer begleiten, ihm dort aufwarten, hatten aber nach Erweisung der Reverenz die Kammer wieder zu verlassen. Bei der Tafel sollten sie vollständig zugegen sein und sich erst entfernen dürfen, wenn der Erzherzog erstmals trank. Die Türen vor dem Zimmer des Erzherzogs sollten geschlossen und bewacht werden, niemand durfte mit Stiefeln und Sporen die Antecamera und Ratsstube betreten, und es müsse „auch den Jenigen, so den Zuetritt haben, anbevohlen werden, gebürunden respect in beeden Ante Camern zuhalten, nit hin undt wieder zuspazieren, lauth reden, Niederzusizen, das Haubt zubedecken, an die Tafel zulainen, oder auch ohne Mantl hinein zukommen. Insonderheit aber ist vleissige Aufsicht zuhalten, daß kaine frembde gehmaine Leuth zur Audienz, gar in unsers Sohns L de . Zimmer oder Camer gelassen, vorhero auch allzeit aines Jedwedern condition, Weesen und Standt, ob es auch schon Religiosi, so unbekannt, sein, erkhundiget, und nach befindung, dieselben zu fürbringung Ihrer sachen, aintweder in die Ritterstuben, oder Saal zur auffwartung gewisen werden.“ <?page no="277"?> 276 zu sein, woran sich wie beim Kaiser die Erlaubnis knüpfte, beim Rückgang des Erzherzogs in die Kammer „derselben [dem Erzherzog, M.H.] gar in Ihr Zimmer aufwarten, alda Ihr gebürunde reuverenz thuen, und sodan widerumb abtreten.“ Die Zuweisung von Personen auf die verschiedenen Vorzimmer (Ritterstube und Saal) durfte wie bei den Kaiserinnen nur nach der Erkundigung nach „condition, Weesen und Standt“ geschehen und entsprach damit gleichfalls der kaiserlichen Praxis. Bemerkenswert ist, daß dies explizit in der Erwartung geschah, daß die Besucher dort dem Thronfolger ihre Angelegenheiten vorzubringen gedachten. Die beiden Instruktionen wurden zusammengeschrieben und mit jeweils nur geringfügigen Änderungen für die Obersthofmeister des Erzherzogs Leopolds und des Erzherzogs Carl Joseph verwendet 1013 . II. Planung, Verfahren, Kontakte In den an kaiserliche Amtsträger gerichteten Briefen wie auch in Berichten über Gespräche von Höflingen und Herrschern findet sich eine bemerkenswert enge Verbindung zweier semantischer Felder, die vor dem Hintergrund der Erträge politologischer und organisationssoziologischer Forschung erklärungsbedürftig erscheint. Dank und Information sind Kernbegriffe höfischer Rede und höfischer Korrespondenz. Sie gehören jedoch zu zwei unterschiedlichen Typen von Motivationsstrukturen: Dank wird geschuldet für etwas, wozu der andere nicht verpflichtet ist: „Wohlwollen und Unterwürfigkeit, Dienstleistungen, Beiträge zur Festigung von Statusunterschieden, Unterstützung von Meinungen, überhaupt jedes Eingehen auf die Situationsaufassung des anderen kann zu Dank verpflichten oder durch Dankesschuld gefordert bzw. ein geeignetes Mittel sein, Dankesschuld abzustatten.“ 1014 Während Dank somit auf persönliche Einstellungen und Unterstützung abstellt, setzt der Begriff der Information das Vorhandensein von Programmen voraus, die auf die Einspeisung von Daten mit der Ausga- 1013 Vgl. die Instruktion Ferdinands III. für den Obersthofmeister des Erzherzogs Leopold für Johann Maximilian Graf von Lamberg von Wien, 10. Jun. 1650 (HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. 4, rote, Nr. 15), die Bezug auf den aktuellen Stand des Kämmereramtes nimmt. Die Instruktion für den späteren Obersthofmeister des Erzherzogs Leopold I. Portia (Prag, 1. Sept. 1652), findet sich in Abschrift ebd., Nr. 12/ 2, das Original in KÄLA, FA PT, C, Sch. 10, Nr. 32c. Die Instruktion Leopolds I. für den Obersthofmeister des Erzherzogs Carl Joseph vom 21. Dez. 1659 weist e.h. Zusätze auf, hat eine neue Einleitung, lehnt sich im übrigen aber an die Ferdinands III. für Portia von 1652 an (Abschrift in HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. 4, ohne Nummer; HKA, Instr. 527). 1014 Luhmann (1999), S. 91, unter Bezug auf Simmel. <?page no="278"?> 277 be von Ergebnissen reagieren und zudem den gesamten Prozeß motivieren und steuern. Treten beide Semantiken gemeinsam auf, weist dies auf das Vorhandensein von Programmelementen hin, die ohne persönliche Motivation und ohne persönlich zurechenbare Bemühungen um Datenverarbeitungsleistungen keine vorhersagbaren Ergebnisse erzielen, wenn sie überhaupt in Gang kommen 1015 . Dies ist ein allgemeines Merkmal formaler Organisation, das nur dort ganz fehlt, wo Vorgänge weitestgehend technisiert sind. Dennoch nimmt die Ausprägung dieses Merkmals verschiedene Grade und Formen an, die je nach historischer Konstellation sehr verschieden sein können. Der Hinweis darauf, daß die eigene Kommunikation Information sei und die gleichzeitige Betonung von Dankbarkeit im Falle der erwünschten Informationsverarbeitung verweist darauf, daß der Betrieb der formalen Organisation in wesentlichen informell motiviert werden muß. Dabei ist zu berücksichtigen, daß formale Organisationen mit ihren aus Normen bestehenden Programmen selbst Anhaltspunkte für die Beobachtung sozialer Zusammenhänge liefern und damit Annahmen über Zusammenhänge von Ursachen und Wirkungen strukturieren. Die hierdurch ermöglichte Unterscheidung und Beobachtung organisationsinterner und organisationsexterner Referenzen vermag dann auch Wirkungsgrade von Normen anderer sozialer Zusammenhänge sichtbar zu machen und kann so auch zu einer kritischen Selbstbeobachtung des Systems führen. Das Grundproblem ist außerhalb trivialer Maschinen allgemein, weist jedoch in verschiedenen sozialen und historischen Zusammenhängen sehr unterschiedliche Ausprägungen auf. In Grundzügen und Beispielen soll deshalb zunächst gezeigt werden, wie sich das elaborierte normative Binnengefüge des Hofstaats über die Regelungen des Zugangs zum Herrscher und des „Zeremoniells“ hinaus gestaltete. Daß Normierungsmöglichkeiten nicht nur an der wahrgenommenen Komplexität der Umwelt des Hofstaats ihre Grenzen fanden, sondern daß auch gesetzte Normen gerade dort nicht oder nicht streng befolgt wurden, wo es darum ging, dem Kaiser Anpassungsfähig- 1015 Den Grad der Differenz zwischen Hof und idealtypischer Organisation wird hier besonders deutlich: „Die Funktion der Formalisierung für Motivationsfragen muß vielmehr von den grundlegenden Strukturentscheidungen eines Systems […] her gesehen und untersucht werden. Sie ergibt sich daraus, daß die Motivation der Mitglieder von anderen Systemproblemen abgesondert und durch gezielte, spezifische Leistungen sichergestellt wird, die an die Mitgliedsrolle anknüpfen. Damit wird erreicht, daß (1) Kommunikation nur noch informieren und nicht mehr motivieren muß, daß (2) Autorität im System generell, unbestimmt und ohne Rücksicht auf die Person akzeptiert und infolgedessen abgeleitete Autorität möglich wird, daß (3) die Systemzwecke von ihrer Aufgabe zu motivieren, entlastet werden und (4) Teilnahmemotivation und Leistungsmotivation sich trennen.“ Luhmann (1999), S. 89-108, zit. S. 90. <?page no="279"?> 278 keiten zu erhalten, verweist auf das Problem der Verortung von Souveränität just an der Quelle von Normen und damit auf eines der Grundprobleme positiven - und damit dem Wandel unterworfenen - Rechts. Die in gebildeten Adelskreisen wie der bildenden Kunst gepflegte Gleichsetzung auch Kaiser Ferdinands III. mit Jupiter läßt an mitunter äußerst kritische Anspielungen auf die nicht banale Sentenz „quod licet Iovi“ denken 1016 und weist damit auf die problematische Gestaltungshoheit des Kaisers auch bezüglich der Normen des Hofstaats zurück. Am Beispiel der Handhabung von in verschiedenen Instruktionen festgeschriebenen Vertretungsregeln für Höflinge und der Bestellungen in den Geheimen Rat soll dieser Problemkomplex beleuchtet werden. Die Betrachtung von Sicherung, Unterhaltung und Gefährdung von Entscheidungsprozessen durch verschiedene Grade räumlicher Differenzierung, eine Analyse materieller Zuwendungen an Verfahrensbeteiligte sowie ein Blick auf die problematische Steuerung und Transparenz von Papierströmen macht deutlich, an welchen Systemstellen in welchem Maße das Betreiben von Anliegen interaktionsabhängig und damit an Personen und deren organisationsexterne Präferenzen gekoppelt war. Programme, das wird dabei sichtbar, stützen somit einerseits Prozesse der Differenzierung, sei es semantisch, organisationale bzw. verfahrenstechnisch; andererseits präfigurieren sie zugleich diejenigen Punkte, an denen Tendenzen zur bedarfsweisen Entdifferenzierung ansetzten. Präsenz und Präsenzsubsituten sowie Strukturierungsleistung der Ordnung des Hofstaats in bezug auf informelle höfische Interaktion ist deshalb der letzte Unterabschnitt dieses Kapitels gewidmet. 1. Normgenese und Flexibilität Es ist für ein Verständnis des Zusammenhangs zwischen Hofstaat und politischem System des Hofes wichtig, daß auf Wandel, wenn er sichtbar wurde und zu drücken begann, bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts vornehmlich mit dem meist vergeblichen Versuch von Reformen reagiert wurde. Einiges weist zwar darauf hin, daß sich in der Mitte der 1660er Jahre ein gewisser Umschwung in der Sichtweise der Habsburger und der Inhaber der Spitzenämter des Hofstaats auf das Verhältnis von 1016 Erasmus d. J. von Starhemberg kritisierte auch so das Verbot, Protestanten zu Verordneten der niederösterreichischen Stände zu wählen; vgl. Kap. B.I.2.b. und die Geburtstagsoper für Ferdinand III. von 1642 (Antonicek (1989), S. 12, 13). <?page no="280"?> 279 Tradition und Innovation abzeichnete 1017 . Grundsätzlich aber orientierte man sich weiter an der (vielfach vermeintlichen) Ordnung des Burgundischen Hofstaats und verzichtete auf eine systematisierende Neuordnung. a. Normen in Bewegung Die normative Festigung von Produkten des Wandels fand ihren Platz einerseits in der Entfaltung einer breiten und zumeist nicht verschriftlichten Kasuistik. Dies war vermutlich auch deshalb der Fall, weil es nicht gelang, die normative Konkretisierung der burgundischen Hofordnung in Form der Hofordnung Ferdinands I. in den Fassungen von 1527 und 1537 in einem Corpus zu ersetzten. Zum anderen berührte die Hofordnung Ferdinands I. zwar nicht alle Regelungsbereiche, aber im Gegensatz zu den früheren Gagenlisten machte sie die Vielzahl von Stellen als Einheit greifbar und stellte zugleich zahlreiche knappe Instruktionen für die Stelleninhaber ein 1018 . Als Referenzpunkt behielt sie ihre Gültigkeit bis zum Ende der Monarchie. Drittens griffen spätere Normierungen hinter diese Hofordnungen Ferdinands I. zurück, wenn sich etwas „dem uralten Hoffgebrauch, und der Burgundischen Hoffstatt zu wider lauffendt“ entwickelt hatte 1019 . Die schriftliche Fortentwicklung der Hofordnung vollzog sich nach 1537 nicht mehr in der Überarbeitung des Gesamtcorpus von 1527/ 37, sondern vornehmlich in der Fortschreibung alter und der Erstellung neuer und zusätzlicher Instruktionen. Zur Fortschreibung kam es zudem 1017 Einige Indizien: Die Vorschläge zur Reduktion im Kämmereramt von 1666 setzten voraus, daß die Verhältnisse vor der Zeit Ferdinands II. nicht wiederherzustellen waren. Die Geheime Konferenz war seit 1665 ein Äquivalent des Geheimen Rates alter Prägung. In der Hofkammerinstruktion von 1681 wurde die von 1568 zwar als „hochvernünftig“ beschrieben und der gegenwärtige schlechte Zustand auf „höchstschädliche neuerungen“ zurückgeführt; „unser neue hofcamerordnung“ aber war azf einen guten „statum cameralem“ gerichtet, nicht auf die alte Ordnung der Hofkammer (vgl. Fellner (1907b), S. 576, 597). 1018 Vgl. die „Ordnung und instructionen unser hohen und nider hofembter“ von 1537. Bereits die erste dort erwähnte Instruktion war schon übergeben und nicht mehr inseriert (Hofkanzler), Teiledition bei Fellner (1907b), S. 116-126. 1527 fanden sich Instruktionen für Hofmeister, Hofkanzlei, eine Instruktion für das Hofmarschallamt, den Hofprofoss, Schatzmeister und Hofkammer, Hofrat u.a.m. (ebd., S. 100-116). Zum Hofstaat Ferdinands I. vor 1519 vgl. Castrillo-Benito (1979), bes. S. 436, 437. 1019 Vgl. das Dekret Ferdinands III. zur Beschränkung der Geldforderungen (Manca, Neujahrsgelder, Ehrengelder etwa bei Besoldungen oder Lehen), die teilweise recht handfest vom niederen Hofpersonal gegen hochrangige Höflinge und Besucher erhoben wurden (NÖLA, Ständ. Akten, A-2-33, 1644/ 46, vgl. die Einleitung in Anm. 1128). Neben Ferdinand I. ist auf Maximilian I. zu verweisen (vgl. Fellner (1907b), S. 1-91, Duindam (2001a)). Zur Entstehung der Hofordnungen vgl. Vec (1999), S. 45, zum Vorbild Burgund Paravicini (1991), S. 97-99. <?page no="281"?> 280 in der Regel aus Anlaß des Wechsels der jeweiligen Amtsinhaber, so daß die Fortschreibung der Quellen der Hofordnung rasch desynchronisiert wurde. Herrscherwechsel sorgten ungeachtet der formellen Aufrichtung kaiserlicher Hofstaaten nicht stets für eine Resynchronisierung der Instruktionsausfertigung, da die Höflinge der Thronfolger bereits häufig mit Instruktionen, die sich an den kaiserlichen orientierten, ausgestattet waren. Da die meisten Inhaber ihre Instruktionen behielten, vielfach ältere sammelten 1020 , standen diese nach deren Ausscheiden aus dem Hofstaat für die Erstellung neuer Instruktionen nicht stets zur Verfügung, weshalb Modifikationen nicht immer geradlinig tradiert wurden und auch nicht jederzeit feststand, woran angeknüpft wurde 1021 . Auf diese Weise erhöhte sich zwar der Grad schriftlicher Normierung der Regeln des Hofstaats stetig, die Transparenz der Normgenese und auch der Personalstände dagegen nahm ab. Der Wechsel zur innerösterreichischen Linie der Habsburger auf den Kaiserthron fügte der Vielschichtigkeit eine neue Dimension hinzu, indem Grazer Instruktionen - gleichfalls an denen von 1527/ 37 orientiert, aber nicht identisch - weiterverwendet wurden. Das schriftliche Regelwerk des kaiserlichen Hofstaats des 17. Jahrhunderts basierte so zu einem großen Teil auf einer Mixtur innerösterreichischer und kaiserlicher Instruktionen verschiedener Provenienz 1022 . Die Einheit der formalen Ordnung des Hofes blieb vor allem durch die nach wie vor als Hofstaat bezeichneten Besoldungslisten gewahrt 1023 , durch die Verweise der Instruktionen aufeinander, durch Erläuterungen zu den Instruktionen 1024 , durch die Vorstellung der Fortführung der burgundischen Hofstaatstradition sowie vor allem durch die oft asynchronen und langjährigen 1020 Vgl. Sammlung von über 60 Instruktionen, Hofstaatsverzeichnissen etc. (verm. um 1560 im Besitz Adams von Dietrichstein entstanden), RKA, E 193, Nr. 1 (Nikolsburg, p. 89-93). Familienarchive beinhalten oft Instruktionen für Höflinge, ihre Vorgänger und Untergebene (etwa FA Harrach, FA TM, FA AP). Man beachte vor diesem Hintergrund die Abholung von amtsbezogenen Schriftstücken des 1665 verstorbenen Obersthofmeisters Portia aus dessen Haus durch den Oberstkämmerer (HHStA, ZA Prot. 2, p. 1150, 1151). 1021 Vgl. Hofordnung von 1527: „Nota, es soll der hofstat in ain ordenlich puech eingeschriben werden und daz der hofmeister den bei handen behalten und daraus einem jeden officir instruction des artickels sein ambt betreffent zustellen, damit ein jeder seis ambts phlihct in gedechtnus haben mug.“ Fellner (1907b), Nr. 12, S. 115, 116. 1022 Die Instruktion des Obersthofmeisters Trauttmansdorff wurde auf der Grundlage der Rudolfs II. erlassen und war Grundlage für die Revision von 1651 (HHStA, OMeA SR, K. 72, Konv. 121, Reformvorschläge von 1651; HHStA, OMeA SR, K. 69, Konv. 121). 1023 Vgl. zum Verhältnis von Gagenlisten und Hofstaat und der Herausbildung einer festen Kopplung in den burgundischen Gagenlisten im 15. Jahrhundert Kruse (1996), S. 274. 1024 Gundaker von Liechtenstein holte Bescheide zu Fragen zur Obersthofmeisterinstruktion ein, die ihm mit Schreiben vom 6. Jul. 1625 erteilt wurden. Auf diesen Bescheid wurde 1651 rekurriert (HHStA, OMeA SR, K. 72, Konv. 121). <?page no="282"?> 281 Amtszeiten der Inhaber von Hofämtern. Der Stellenwert der Gedächtnisleistungen bezüglich der Hofordnung einschließlich der Personalstände ist dabei besonders hervorzuheben 1025 . Daß die im 17. Jahrhundert unternommenen größeren Versuche einer systematischen Neuordnung der Hofordnung im Zuge von Häufungen personeller Diskontinuitäten in den obersten und höheren Hofämtern 1026 angegangen wurden, weist darauf hin, daß die kontinuierliche Besetzung der mit Instruktionen ausgestatteten obersten Hofämter für das Funktionieren der jeweiligen Normbereiche erforderlich war, aber auch ausreichte 1027 . Wandel in der Praxis des Hofstaats - wenn er nicht zunächst unbeobachtet blieb - vollzog sich nicht ohne Rücksicht auf die Inhaber der jeweiligen Ämter. Streit entstand deshalb nicht ohne Rücksicht auf Machtlagen, wurde durch diese aber zugleich eingehegt. Grundlegende Revisionen der Hofordnung brachten die Gefahr der Entscheidungsreife teilweise jahrelang nur schwelender Konflikte konkurrierender Amtsbereiche oder Höflinge mit sich. Auch die Kaiser wichen Entscheidungen in derartigen Konstellationen gern aus und stellten nach Möglichkeit Normsetzung als Normanwendung dar 1028 . Normsetzung im Hofstaat konzentrierte sich vornehmlich auf Bereiche, in denen Kompetenzstreit und Konkurrenzverhältnisse möglichst geringfügig berührt waren. Schon vor dem Tod des kaiserlichen Obersthofmeisters Trauttmansdorff im Juni 1650 wurde Ferdinand III. von verschiedenen Seiten zu einer Reform des Hofstaats gedrängt, lehnte eine solche jedoch zunächst ab 1029 . Es war absehbar, welche Streitigkeiten insbesondere zwischen Obersthofmarschall und Obersthofmeister, aber auch zwischen Obersthofmarschall und Reichshofrat sowie zwischen Obersthofmeister und Hofkammer etc. präsentiert, wieviel Eingriffe in diverse Rechte beklagt und welche unausweichlichen Verärgerungen durch Entscheidungen hervorgerufen werden würden - nicht umsonst trat der am stärksten be- 1025 „se ben mi ricordo, come anche il Prencipe Portia, fu Truchses in questa corte ” (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 68), Laxenburg, 14. Mai 1661). 1026 1615 und 1651: 1615 fehlten u.a. Obersthof- und Oberststallmeister und der Trabantenhauptmann. Im Jun. 1650 war der kaiserliche Obersthofmeister verstorben, woraufhin der Oberstkämmerer Puchheim dessen Amt vertrat. Erst nach dessen Tod Anfang 1651 wurden beide Ämter neu besetzt. Überdies war das Obersthofmeisteramt während Trauttmansdorffs Zeit in Münster durch Khevenhüller vertreten worden. 1027 So wurde 1651 zwar festgestellt, daß gar keine kaiserliche Instruktion für den Oberststallmeister vorhanden gewesen war (vgl. Men"ík (1899), S. 476). 1028 Vgl. Hengerer (2001a), S. 357-361. 1029 SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12431 19/ 2, Raimondo Graf Montecucoli an Ottavio Piccolomini, Wien 4. Jun. 1650. <?page no="283"?> 282 drängte Obersthofmarschall im Januar 1651 im Zuge der Neubesetzung der beiden obersten Hofämter und der nunmehr anstehenden Reform vorsichtshalber zurück, um dann doch weiterzumachen 1030 . Entsprechend begann der Bericht der erst nach dem Tod des Oberstkämmerers und Verwalters des Obersthofmeisteramtes Puchheim eingesetzten Kommission mit dem Hinweis darauf, daß eine generelle Neuordnung nicht möglich sei: Zugleich die alte Ordnung und „observanz“ wiederherzustellen und sie an den gegenwärtigen Zustand anzupassen sei nicht möglich: wegen des unablässigen Wandels der Zeit und der Zustände, der Verschiedenartigkeit der Personen und Orte, sowie wegen der vielen Einzelfälle und Umstände. „Newe statuta und reformationes“ seien „odios“ und in der praktischen Durchsetzbarkeit zweifelhaft; ein solches Unternehmen sei bislang auch noch nie gelungen und so halte man es für tunlich, es bei einer Revision der Instruktionen der obersten Hofämter zu belassen 1031 . Die Hofordnung war demnach einem so vielschichtigen Wandel unterworfen gewesen, daß sie als Regelsystem zwar weiterhin funktionierte, aber so dicht und komplex geworden war, daß sie sich nicht mehr in ein Corpus zusammenfassen ließ. Sie präsentierte sich den Kommissionsmitgliedern als macht- und ehrgestütztes („odios“) Zusammenspiel der verschiedenen oben genannten Rechtsquellen sowie einer Kasuistik, die sich zum großen Teil in Kontakten von Höflingen mit Nichtmitgliedern wie etwa fremden Fürsten ergeben hatte. Eine bewertende Systematisierung dieser Einzelfälle, die sich für den Hofstaat als Teil ihres normativen Binnengefüges darstellte, wurde gar nicht erst unternommen. Auch die Revision der Instruktionen der obersten Hofämter bestand im wesentlichen in der Wiedergabe älterer kaiserlicher Bescheide und der historischen Erklärung von Neuerungen und Problemfällen 1032 . Dabei war den Inhabern der obersten Hofämter vor allem an der Klärung, Abgrenzung und Sicherung ihrer eigenen Kompetenzen und Rangverhältnisse gelegen. So bat der designierte Obersthofmeister Dietrichstein 1651 um kaiserlichen Bescheid zu der Frage, ob der Obersthofmeister - wie die alte Instruktion es vorsah - für die erste Person beim Kaiser gehalten und wie die abweichende Praxis des Obersthofmeisters Trauttmansdorff gewertet werden solle. Die Frage hatte sich gestellt, weil Trauttmansdorff anders als andere Mitglieder des Hofstaats nicht Fürst gewesen war. Im Geheimen Rat war die Session nach dem Stand 1030 Vgl. Anm. 1490. 1031 HHStA, OMeA SR, K. 72, Konv. 121, s.f., Konzept. Vgl. Duindam (2001b), S. 375, 376. 1032 Vgl. Kap. B.I.3.a. „Leopold I.“ <?page no="284"?> 283 genommen worden, in der Hofkirche hatte man die Entscheidung für eine Rangordnung dadurch vermieden, daß Trauttmansdorff unter einem Vorwand von einem Fenster aus an den Messen teilnahm 1033 . Die zweite Frage ging dahin, bei welchen Anlässen diese Rangnorm gelten solle 1034 und macht ebenso wie die dritte Frage, welchen fremden Fürsten der Obersthofmeister entgegenreiten solle, deutlich, daß die Konturierung verschiedener Rechtskreise und eine subtilere gesellschaftliche Hierarchisierung innerhalb des Hofstaats aufgefangen werden mußten. Die Kommission kam auch hier zu dem Ergebnis, daß „propter multitudinem casuum, fast unmüglich, eine gewiße regel disfals zu sezen“ und daher geboten sei, von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der Vielzahl relevanter Faktoren neu zu entscheiden 1035 ; sie optierte damit für die Fortschreibung einer Kasuistik, die in Zukunft allerdings systematisch zu dokumentieren sei. Dazu sollte ein Sekretär der österreichischen Hofkanzlei abgeordnet werden, der jedoch auch „alle Ambts sachen“ registrieren und protokollieren und „in ordnung erhalten“ solle, damit „man künfftig in allem, gute nachricht von dem fürgangenen geschäfften haben, auch alles desto ordentlicher hergehen möge.“ Dietrichstein ließ sich zudem mit einem Dekret für die leichtere Abforderung von Verzeichnissen ausstatten und erweiterte so auch die vierteljährliche Sichtung des Hofstaats um die Teilnahme von Kuchlmeister, Hofkontralor und eines Hofkammerbedienten 1036 . Der Obersthofmarschall drang in diesem Sinne auf eine Wiederherstellung seiner von verschiedenen Seiten angegriffenen Jurisdiktion und bemühte sich so um die Wiederherstellung des zweiten Ranges seines Hofamtes, scheiterte in der Kommission aber nicht allein damit, sondern auch mit seinem wichtigsten Anliegen: Die Justizfragen wurden, das wurde als einleitendes Ergebnis festgestellt, in der Konferenz nicht behandelt. Einen der Kommission „ohne effect“ scheinenden Punkt, 1033 HHStA, OMeA SR, K. 72, Konv. 121. Trauttmansdorff habe diese Regelung gerade im Hinblick auf die Fürsten dieses „durch etliche actus fast in contrarium usum & possessionem gesezt“. Kursive nachtegragen. Zur Zurückhaltung Trauttmansdorffs gegenüber den Fürsten vgl. Hengerer (2001a), S. 347, 348. Der erste Rang des Obersthofmeisters war normiert als § 1 der Instruktion von 1527 (Fellner (1907b), S. 101). 1034 HHStA, OMeA SR, K. 72, Konv. 121. 1035 Auch zwischen den Fürsten seien diese Fragen of ungeklärt, also müsse nach „aintweder der verwandtnus, Stands, mehrern oder wenigern Confidenz, wie auch des Orths, in: und außerhalb der Residenz, und anderer Umbstände halber“ gesehen werden: „und es einen großen absaz darmit hat, also ist auch nit müglich khünen auch nit, alle casus & circumstantiaes“ vorhergesehen werden (HHStA, OMeA SR, K. 72, Konv. 121). Kursive nachgetragen. 1036 Schon am 9. März 1651 kam es bei der Installation des Oberststallmeisters Losenstein in der Ritterstube dazu, daß „benebens Ihme auch entzwischen die Alte Instructiones eingehändiget worden“ (HHStA, Hs. Weiß 706/ 23, fol. 217). <?page no="285"?> 284 den der Obersthofmarschall gern gestrichen gesehen hätte, weil er „nur differenzen und unrichtigkeiten verursachen kann“ wollte man in der Instruktion belassen wissen mit dem Argument, daß „solcher Punct in den alten instructionen inseriert zu finden“ und riet für die Zukunft zur Einholung von Einzelentscheidungen. Ob ihm das abhandengekommene Recht der Ansage restituiert werden sollte, stellte man gleichfalls ins Belieben des Kaisers und ging im übrigen auf die Ordnung in der Trabantenstube und das Problem ein, wie man die Anzahl der Kutschen und die Gespanngrößen der bei Hof vorfahrenden Personen reduzieren könne 1037 . In Anbetracht eines Gutachtens, das dem Obersthofmarschall selbst noch den dritten Rang streitig machte, konnte sich dieser glücklich schätzen, daß sein Amt nach der Reform von 1651 noch zu den obersten Hofämtern gezählt wurde 1038 . Der designierte Oberststallmeister Gonzaga dagegen hatte das Glück, daß sein Vorgänger seiner Amtsführung keine kaiserliche, sondern eine erzherzogliche Instruktion zugrundegelegt hatte. Er sollte zunächst auf die alte Instruktion vereidigt werden und nach einer Sichtung des Amts und der Beratschlagung mit seinem Vorgänger Vorschläge für eine neue Instruktion unterbreiten 1039 . Im Ergebnis blieb es - wie bei allen Versuchen von Reformen des Hofstaats im 17. Jahrhundert - also eher beim status quo ante. Die Reformkommission empfahl, Erläuterungen und Ergänzungen so wie bereits im Jahr 1625 geschehen in Form kaiserlicher Additionale anzufügen, im übrigen aber im Bedarfsfall einzelne kaiserliche Resolutionen zu erbitten. Die Kommission kapitulierte mit diesem Ergebnis einerseits vor der Komplexität des Normgefüges des Hofstaats, andererseits vermied sie die aus einer weitergehenden Generalisierung unausweichlich folgenden Zerwürfnisse; sogar der Obersthofmarschall wurde geschützt. 1037 Gutachten in HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. 27, 2, Nr. 10. Kursive nachgetragen. 1038 Nach „dem Burgundischen Stat“ gehe der Oberstallmeister vor; weil das Haus Österreich „desselben Hofstatt gebraucht“, müsse dies entsprechend gehandhabt werden. 2. In allen Hofstaaten finde man nur drei Oberste Hofämter und Stäbe, der Hofmeister gehöre zum Stab Obersthofmeisters; daher könnten die Obersten Hofämter dem Hofmarschall vorgehen. 3. Der Hofmarschall werde nie Obersthofmarschall genannt und sei instruktionsgemäß Stellvertreter des Obersthofmeisters, also nachgesetzt. Er habe keinen räumlichen Hoheitsbereich, der Kaiser halte sich nur im Bereich von Oberstkämmerer und Oberststallmeister auf. Es komme vor, daß der Oberststallmeister dem Obersthofmeister vorgehe (in der kaiserlichen Kutsche), „welches mit dem Hof=Marschall in Ewigkeit nit geschicht“; er stehe zweifelsfrei unter dem Obersthofmeister und dem Oberstkämmerer und und daher auch unter dem Oberststallmeister. Er diene „in actis Publicis“ mit dem Schwert nicht als Hofmarschall, sondern als „Vice Marschall eines Vice Marschall“. Es folgt die Diskussion von Präzedenzfällen. Das Hauptargument aber steht am Schluß: „Und wenn kein anderes argument wer für den Obr: Stallmaister, So wer doch dz genug, dz Er in burgundischen Statt allzeit über dem Hofmarschall steht.“ HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv. r. 124 1 , fol. 357-358v. 1039 HHStA, OMeA SR, K. 72 und Žolger (1917). <?page no="286"?> 285 Da Ferdinand III. seinerseits primär an der Wahrung des „decorum“, der Vermeidung neuer Entscheidungen über konkurrierende Interessen, und dabei an einer möglichst hohen Disponibilität der ihn unmittelbar involvierenden Kommunikationszusammenhänge lag, lief die auf seine kaiserlichen Additionale abgewälzte „Reform“ auf die Lösung vornehmlich dieser Bereiche hinaus. Die eigenhändigen Additionale Ferdinands III. bezogen sich ebenso wie die Reformversuche des Oberstkämmerers in den Jahren 1665/ 66 vor allem auf eine Reduktion des Personals und die Aufrechterhaltung einer repräsentativen Vorzimmer- und Tafelordnung, nicht aber auf eine grundlegende Revision des Hofstaats 1040 . Der Verzicht auf eine Neuordnung der Verhältnisse war jedoch mit der Systematisierung der Selbstbeobachtung des Hofstaates einhergegangen: Die Kommission empfahl eine in ähnlicher Form bereits in der Hofordnung Ferdinands I. vorgesehene Sammlung von Instruktionen in einem Band sowie die Erstellung eines als Buch gebundenen Hofstaatsverzeichnisses. Diese Empfehlungen wurden unter Ferdinand III. umgesetzt 1041 , doch wohl erst seit in den 1670er Jahren wurden weitere Hofstaatsverzeichnisse angefertigt. Im wesentlichen behalf man sich weiterhin mit Listen, die den für die jeweiligen Amtsträger jeweils erforderlichen Überblick verschafften 1042 . Die Kapitulation vor der Generalisierung von Normen für Interaktion hingegen wurde abgefangen durch die Einrichtung des Hofzeremonialprotokolls, das von 1652 an kontinuierlich geführt wurde 1043 . Umfassende Reformen des Hofstaates scheiterten im 17. Jahrhundert durchweg. Es war zwar üblich, den Hofstaat als historisch gewachsenes Gebilde zu betrachten, weshalb - wie im Falle des Kämmereramtes - Wandel teilweise zutreffend beschrieben wurde. Der immer wiederkeh- 1040 Die Nuntiatur sah in Neubesetzung der obersten Hofämter (Obersthofmeister, Oberstkämmerer, Oberststallmeister, Obersthofmeister der Kaiserin und Ajo des Erzherzogs Leopold) auch die Absicht, den Hof „al Posto antico di decoro“ wie unter Rudolf II. und Kaiser Matthias zu bringen (ASV, SG, 149, 4. März 1651): Der kleine Hofstaat als rechte Form. Vgl. Duindam (2001a), S. 194. Die Gutachten von 1651 wurden wohl wegen des Beschlusses, die alten Instruktionen durch Zusätze zu ergänzen, in den Kopialband mit der Sammlung von über 40 Instruktionen aufgenommen (HHStA, ZA SR 10). 1041 HHStA, ZA SR 10; HHStA, OMeA SR, Bd. 186, 187. 1042 Lamberg zahlte als Oberstkämmerer einem Kammerfurier 6 fl. dafür, „das er mir die Lista aller ihr Maÿl: Cammerherren geschribner gegeben“ (OÖLA, HSt, Hs. 1499, März 1669). Die Drucke von 1636/ 37 und 1655 dürften Unternehmen von Personen mit Zugang zu Listen gewesen sein (Teileditionen bei Fellner (1907b), S. 216-233). 1043 HHStA, ZA Prot. 1, beschlossen als Dokumentation wegen der Unmöglichkeit, das Zeremoniell abstrakt-generell, also normativ, zu regeln (HHStA, OMeA SR, K. 69, Konv. 121). Vgl. zu Entstehung und Führung Duindam (2001b), S. 376, 377. <?page no="287"?> 286 rende normative Bezug auf Burgund - anstelle eines Bezuges auf Bodin - macht deutlich, daß die Struktur des Hofstaates grundsätzlich und am liebsten als Mittel der Aufrechterhaltung des decorums des Herrschers und damit vor allem im Hinblick auf repräsentative Funktionen wahrgenommen und thematisiert wurde. Entscheidungen, die auf der Analyse eines solchermaßen eingegrenzten Problemhorizontes beruhten, griffen regelmäßig zu kurz. Die Analyse der sozialen Funktionen und Folgen des Wandels der Hofstruktur für das politische System der Erblande aber hätte den Höflingen die Offenlegung ihrer eigenen Machtlagen, Netzwerke und Nutzziehungstechniken zugemutet, dem Kaiser dagegen das explizite Eingeständnis, daß von Monarchie, von seiner Macht und Herrschaft in den Erblanden nur in einem recht eingeschränkten Sinn gesprochen werden konnte. Daß ein derartiges, womöglich noch durch Bezüge auf die zeitgenössische politische Theorie inspiriertes Diskussions- und Reflexionsniveau gegenüber dem eingespielten „muddling-through“ 1044 , das die Realisierung gewisser Ziele wie etwa der Gegenreformation durchaus ermöglichte, besonders wertvolle Vorteile gehabt hätte, ist wenig wahrscheinlich. Die Selbstdarstellung der Beteiligten aber hätte durch die gutachterliche Darstellung der Diskrepanzen zwischen Zielen und Möglichkeiten, formaler Ordnung und Praxis wohl ganz erheblichen Schaden genommen. b. Vertretungsregeln versus Personalhoheit Im Zusammenhang mit den Verdichtungsmustern anwesender Kämmerer und der sie betreffenden Präzedenzrechte war deutlich geworden, daß am Kaiserhof Anciennität als Differenzierungskriterium für Aufgabenzuteilung herangezogen wurde. Dies bezog sich grundsätzlich auch auf die Vertretung des Oberstkämmerers im Fall von dessen vorübergehender Abwesenheit vom Dienst. Ferdinand III. legte im Additional zur Oberstkämmererinstruktion von 1651 für diesen Fall fest, daß die Abwesenheit dem ältestesten Kämmerer angezeigt werde, „damit Er entzwischen an desen statt, den dienst verrichten möge.“ 1045 In der Instruktion Ferdinands III. für seinen Oberstkämmerer Puchheim von 1637 heißt es dagegen, daß der Kaiser in Abwesenheit von Inhabern hoher Ämtern bei der Vertretung „nicht an die elter“ gebunden sein wolle, „sondern solche 1044 Lindblom (1959). 1045 HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv r. 122, 4, rote Nr. 22, e.h. „Vernere instruction und Erclärung“ Ferdinands III. für den Oberstkämmerer Waldstein, Wien, 2. März 1651, zu § 8. <?page no="288"?> 287 nach unsern belieben, auch nach gestalt eines oder des anderen qualitet und meriten zu disponiren vorbehalten haben“ 1046 . Ferdinand III. optierte in der Frage, ob Personalvertretung nach Anciennität im Amt oder nach persönlichen Vorstellungen geregelt werden sollte, also uneinheitlich. So finden sich in kurzen Abständen Belege für die Anwendung der Anciennitätsklausel ebenso wie für Abweichungen: Im Dezember 1647 wurde aus Prag berichtet, daß Graf Leslie „allein, als Obr Camrer, zu stöll gewesen“ 1047 . Leslie war Kämmerer seit 1634 und es ist kein älterer Kämmerer ersichtlich, der zu diesem Zeitpunkt in Betracht gekommen wäre 1048 . Im März 1647 hingegen erfuhr Trauttmansdorff aus Preßburg, daß mit der Vertretung von Hofmarschall und Oberstkämmerer „nimmer der Eltist Cammerer“, sondern derjenige, dem der Kaiser es „absonderlich auftragen wirdt“, betraut werden sollte. Das habe den Grafen von Vrbna verstimmt („disgusto“), der bei der alten Ordnung bleiben wolle 1049 . Dagegen vertrat nach dem Tod des Oberstkämmerers Puchheim 1651 „per modo di provisione“ Ernst Graf Traun für einige Monate das Amt; er war seit 1639 Kämmerer und gehörte zu den ältesten, die nicht auswärts oder durch andere Ämter okkupiert waren 1050 . Der Umstand, daß die Übertragung des Oberstkämmereramtes sich unter Ferdinand III. an der Anciennität der Kämmerer orientierte, gab immerhin Anlaß zu verhaltener Klage, wenn diese Orientierung wie im Jahr 1654 nicht den Ausschlag gab 1051 , während zugleich der älteste Kämmerer Erzherzog Leopolds dessen Obersthofmei- 1046 HHStA, HA FA, K. 100, Konv. 1637-1644, Instruktion Ferdinands III. für den Oberstkämmerer Puchheim, Wien, 20. März 1637, § 10. 1047 AVA, FA HR, K. 448, Joh. Reichard Graf Starhemberg an F. A. Harrach, Prag, 21. Dez. 1647. 1048 Vgl. Listen in APP. 1049 AVA, FA TM, K. 133, Ee. 2, Nr. 54, Franz Christoph Graf Khevenhüller an Maximilian Graf Trauttmansdorff, Preßburg, 12. März 1647. Wenzel Graf von Vrbna war immerhin seit 1637 Kämmerer und fand sich bei der Auswahl der Vertreter zurückgesetzt. 1050 ASV, SG, 149, 21. Jan. 1651. Der Oberstkämmerer Puchheim war am 19. Jan. gestorben. Ältere Kämmerer waren zwar vorhanden, hatten jedoch noch andere Ämter; Traun wurde 1651 Landmarschall (vgl. Schwarz (1943), S. 199). 1051 Wolf von Stubenberg, Kämmerer seit 1634, gab bei seiner Bewerbung um das Statthalteramt in der Steiermark zu bedenken, daß „das jüngsthin vaccierte“ Oberstkämmereramt ihm „nit unbillich zuegestanden were“ (MZA, RA DT, K. 449, 1911/ 229, Stubenberg an Maximilian Fürst Dietrichstein, Graz, 18. Aug. 1654). Die Vakanz dürfte nicht die nach dem Tod Puchheims gewesen sein, war der neue Oberstkämmerer Waldstein als Kämmerer doch älter als Stubenberg. Gegen die Zeit bis zu Waldsteins Ernennung Anfang 1651, in denen Traun das Amt vertrat (Stubenberg war gegenüber Traun älterer Kämmerer) spricht der Wortlaut („jüngsthin“). Möglicherweise ist die Abwesenheit Waldsteins von Wien 1654 gemeint; er wurde vom Kaiser für einige Zeit nach Prag geschickt. <?page no="289"?> 288 ster und Oberstkämmerer während einer Krankheit vertrat 1052 . Andererseits stellte der Kaiser die Auswahl von Vertretern diensthabender Kämmerer durch diese selbst unter den Erlaubnisvorbehalt des Oberstkämmerers und lehnte damit eine freie Vertreterwahl der Kämmerer „für sich selbst und eigenes gefallens andere an ihrer statt hier zu bestellen“ ab 1053 . Die Anwendung von schriftlich fixierten oder mit Präzedenzfällen begründbaren Anciennitätsregeln stand demnach vor allem dann, wenn eine längerfristige persönliche Bedienung davon abhing, unter Opportunitätsvorbehalt 1054 . Ähnliches gilt auch dort, wo die Vertretungsansprüche sich auf Instruktionen und sogar auf die Hofordnung Ferdinands I. berufen konnten. So wurde während der Abwesenheit des zu den Friedensverhandlungen nach Münster entsandten Obersthofmeisters Trauttmansdorff nicht der Obersthofmarschall, wie es den Instruktionen entsprochen hätte, sondern Franz Christoph Graf Khevenhüller, der Obersthofmeister der Kaiserin, mit der Vertretung des Obersthofmeisteramtes betraut. Die Beschwerde des Obersthofmarschalls Starhemberg vermochte daran nichts zu ändern. Daß jedoch auch das Beharren auf der Hoheit über die Personalauswahl sich nicht gern willkürlich gab, zeigt der Umstand, daß die Ablehnung von Starhembergs Anspruch auf eben jene Norm Bezug nahm, mit welcher er selbst argumentierte - wobei sie gemäß dem Belieben des Kaisers ausgelegt worden war 1055 . Aber nicht nur der 1052 MZA, RA DT, K. 447, 1911/ 57, Gundaker von Dietrichstein an Maximilian Fürst von Dietrichstein, Wien, 28. März 1654. 1053 HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv r. 122, 4, rote Nr. 22, e.h. „Vernere instruction und Erclärung“ Ferdinands III. für den Oberstkämmerer Waldstein, Wien, 2. März 1651. 1054 Bei der Ernennung der zwölf Kämmerer, die 1652 bis nach Regensburg folgen sollten, bezog man sich gleichfalls nicht primär auf Anciennitätsregeln (vgl. Anm. 506). Auch das Oberststallmeisteramt scheint vom ältesten Kämmerer vertreten worden zu sein. So habe sich Hans Franz von Lamberg bewährt habe, als der Oberststallmeister Dietrichstein krank gewesen sei, „onde a lui toccò il fare il suo officio“ (Leopold I. an %ernín (Kalista (1936), S. 168), Laxenburg, 28. Apr. 1663). Lamberg war der dritte Kämmerer Leopolds I., Dietrichstein der erste; Joseph Graf Rabatta als zweiter Kämmerer kam als Obersthofmeister bei Erzherzog Carl Joseph nicht in Betracht. 1055 „Und ob es sich begäb, dass unser hofmaister […] nit am hof were, so soll sein ambt und handlung […], auf ihme hofmarschalk gewendt sein, also dass der hofmarschalk dasselb in allen dingen, als wann der hofmaister selbst gegenwertig wäre, verrichten und vertreten und nothürftiglichen handlen solle.“ Instruktion für den Obersthofmarschall Starhemberg, Wien, 16. Apr. 1637, § 17, insoweit wie die Instruktion von 1537, Fellner (1907b), S. 133; man argumentierte, dies gelt nur bei kürzeren Abwesenheiten des Obersthofmeisters (vgl. Heilingsetzer (1970), S. 64). Starhembergs Memorial an den Kaiser: AVA, FA TM, K. 123, Bb. 2, Nr. 2, fol. 347-351; Ferdinand III. ließ es Trauttmansdorff mit der Bitte um ein Gutachten zukommen (ebd., Wien, 30. Jan. 1647, fol. 346). Dem Memorial war ein Briefwechsel zwischen Starhemberg und Trauttmansdorff vorausgegangen (Oschmann (1993), S. 736). 1646 hatte Starhemberg bei der Krönung Ferdinands IV. das Obersthofmeisteramt vertreten <?page no="290"?> 289 dupierte Obersthofmarschall, sondern auch der abwesende Obersthofmeister war bei der Regelung dieser Vertretung hochgradig sensibel und bat den Kaiser, das ursprüngliche Bestellungsdekret für Khevenhüller zu annullieren. Ferdinand III. versicherte umgehend, weder er noch Khevenhüller hätten „ainigen gedanckhen darin gehabt“, in die Obersthofmeisteramtsrechte einzugreifen. Er teilte im gleichen Zuge mit, er habe das ursprüngliche Dekret und das Konzept „zu meinen selbst aignen handen abgefordert, und cassirt“ und sandte das neue Dekret in Abschrift zu 1056 . In diesen Fällen wird zugleich mit der mitunter tragenden Rolle von Opportunität und Machtlagen für die Gestaltung des Hofstaats die permanent mitlaufende normative Fixierung der Praxis und erst recht des Dekretierten sichtbar. Was bei einer Gelegenheit Belieben sein mochte, konnte in der Folge begründete Beschwerden auslösen, was durch Machtlagen gesichert schien, konnte unter geänderten Vorzeichen ins Gegenteil ausschlagen. In diesem Dilemma bot ein bestimmter Normtyp dem Kaiser gesicherte Freiräume und erlöste die Höflinge davon, alle möglichen Resolutionen auf präjudizielle Wirkungen hin zu prüfen: In der Instruktion des Obersthofmarschalls von 1637 taucht gerade bezüglich der Bestimmung von Vertretern des Obersthofmarschalls eine Ermessensvorschrift auf, mit der Ferdinand III. seine Entscheidung explizit ins eigene Belieben stellte und sich selbst einen nicht weiter normierbaren Freiraum dekretierte 1057 . Diese Normierungstechnik scheint sich (auch bei der Vertretung der Vertreter) bewährt zu haben: Ungeachtet der häufigen Stellvertretung des Obersthofmarschalls habe ich Beschwerden beim Kaiser über die Auswahl von Stellvertretern jedenfalls nicht gefunden - die jeweilige Amtsführung bot im Hinblick auf Kompetenzabgrenzungen noch genug Anlaß für Streit 1058 . (HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 8), nach dem Tod Portias 1665 verwaltete er es einige Tage „vermäg der Hoffordnung“ bis zur Bestellung des Nachfolgers (HHStA, ZA Prot. 2, p. 1150, 1152). 1056 AVA, FA TM, K. 123, Bb. 2, Nr. 2, fol. 316, Preßburg, 11. Jan. 1647, Antwort Ferdinands III. an Trauttmansdorff auf dessen Brief vom 28. Dez. 1646 über das Dekret vom 21. Sept. Weder er noch Khevenhüller hätten ihn präjudiziell benachteiligen wollen, zumal ob der „Merita umb Mich und mein gesambtes Haus und das allgemaine Wesen“. Das neue, zurückdatierte, Dekret war denkbar spärlich: Weil Trauttmansdorff lange Zeit abwesend und ungewiß sei, wann er wieder zum Hofstaat zurückkehre, es aber erforderlich sei, daß das Obersthofmeisteramt administriert werde, solle Khevenhüller die Verwaltung bis zur Rückkehr Trauttmansdorffs übernehmen (datiert auf den 21. Sept. 1646, Abschrift ebd., fol. 317). 1057 „So sich dann zutrug, dass gedachter hofmarschalk am hof nit wäre, so stehet zu unserm gefallen und willen eine person zu verrichtung und verwesung solches des hofmarschalkamts zu verordnen“ (Fellner (1907b), Nr. 12, S. 133, 134). 1058 Streit gab es u.a. zwischen dem Obersthofmarschall und seinen Vertretern: Starhemberg klagte während seines Dienstes in Preßburg über Einmischungen des Vertreters Losenstein in <?page no="291"?> 290 c. Geheimer Rat versus deputierte Räte So ist es gut nachvollziehbar, daß bereits Kaiser Ferdinand I. den Gedanken verworfen hatte, für den Geheimen Rat eine Instruktion zu erlassen. Noch die Geheime Konferenz Kaiser Leopolds I. blieb ohne Instruktion; sie ging sogar insofern noch einen Schritt hinter den Formalisierungsgrad des Geheimen Rates zurück, als es keine Ernennungen zum Geheimen Konferenzrat gab, sondern lediglich Teilnehmer an Geheimen Konferenzen 1059 . Daß damit vielen der wenig willkommenen Formalisierungsfolgen des Geheimen Rates nicht ausgewichen werden konnte, wurde oben bei der Erörterung zeremonieller Problemlagen deutlich. Zahlreiche Faktoren wie beständige Bitten von Höflingen, die für die Kaiser nützlichen Konsequenzen der Amtsverleihung für Prestige und Attraktivität von Höflingen und damit der Möglichkeit der Etablierung und Sicherung von Einflußbereichen der Kaiser ebenso wie die Relevanz für die Regierungsführung sorgten indes dafür, daß der nominelle Zweck des Geheimen Rates, die geheime uneigennützige Beratung des Fürsten, für die Besetzung des Geheimen Rates in vielen Fällen nicht ausschlaggebend war: weder für die Personalauswahl noch für die Größe des Geheimen Rates. Die Berichte über die Qualitäten mehrerer Geheimer Räte der Kaiser Ferdinand II., Ferdinand III. und Leopold I. lassen ungeachtet des gepflegten diplomatischen Duktus tief blicken 1060 . Die von der zeitgenössischen Theorie als optimal erachtete Zahl von vier bis maximal sechs Geheimen Räten wurde bereits von Ferdinand II. überschritten, alle Restriktionsbemühungen im Bereich der Ernennungszahlen waren vergeblich und wurden, nachdem entdeckt worden war, daß ein stark besetzer Geheimer Rat dessen Einfluß qua Ineffizienz stark reduzieren konnte, konterkariert 1061 : Die zunehmende Formalisierung von Sitz- und Redeordnung schützte primär die Ehrerbietungsansprüche der Geheimen Räte, indem der formelle Rang die Redebeiträge präfigurierte und damit die (im Wortsinne: ) Hinterbänkler marginalisierte. Die wedas Wiener Quartierwesen (HKA, HQR, K. 3, Nr. 29 (1662 Jul.-Dez.), Nr. 485). Streit erhob sich auch zwischen der österreichischen Hofkanzlei und der Hofquartierverwaltung bei der Vertretung des Vertreters: Der angesetzte Hofmarschall Hans Friedrich Graf Trauttmansdorff beklagte Übergriffe des Hofkanzlers (vgl. Žolger (1917), S. 110, 111), zudem maße sich der nachgeordnet angesetzte Hofmarschall Hans Franz von Lamberg das Quartierwesen an (HKA, HQR, K. 2, Nr. 22 (1658), Nr. 268, fol. 11, Bericht Trauttmansdorffs an König Leopold I.). 1059 Sienell (2001a), S. 397. Vgl. Schwarz (1943), S. 131, 132. 1060 Vgl. Fiedler (1866), S. 401-403. 1061 Die Absicht wurde dem Obersthofmeister Ferdinands III., Fürst Auersperg, zugeschrieben (vgl. Schwarz (1943), S. 135), das Phänomen setzte aber bereits unter Dietrichstein ein. <?page no="292"?> 291 nigen Verlaufsprotokolle von Sitzungen des Geheimen Rates dokumentieren dies deutlich 1062 . Daß die Rücksichtnahme auf persönliche Interessenlagen - einer vielschichtig interdependenten und auch durch verwandtschaftliche Beziehungen vernetzten Personengruppe - mit jedem Ratsmitglied exponentiell wachsen mußte, verstand sich 1063 . Vor diesem Hintergrund stand die konkrete Ausgestaltung des Geheimen Rats von verschiedenen Seiten unter hohem Druck und wandelte sich stetig. Das für die Kaiser wichtigste Kontinuum formulierte schon S CHWARZ : Der Geheime Rat war unter den Regierungen von Ferdinand II. bis Leopold I. zu keiner Zeit ein unabhängiges, mit Beschlußhoheit ausgestattetes Gremium 1064 , sondern hatte stets lediglich beratende Funktion: „It never, indeed, acquired the power to act on its own initiative, but remained, as a corporate body, on a purely advisory level. Its power as always depended upon its influence as a body, or even upon the influence of some individual members, on the Emperor.” 1065 Zur 1062 Vgl. das Verlaufsprotokoll der Geheimratssitzung vom 17. Sept. 1649 (AVA, FA HR, Hs. 102, Bd. 6, Abschrift). Zu Beginn verlas Kurz die Unterlagen, woraufhin sich Trauttmansdorff äußerte; Khevenhüller sah keine Schwierigkeiten; er sei der gleichen Meinung wie Trauttmansdorff. Martinitz meinte, auch er sei dieser Meinung und ergänzte eine Kleinigkeit; es folgte Auersperg: der Abschluß vertrage zahlreiche weitere Bedingungen nicht, auch er sei der Meinung Trauttmansdorffs; Goldegg meinte, es sei keine Zeit zu verlieren; der Kardinal machte zwar deutlich, daß er eine eigene Meinung habe, folgte aber der bis dahin entwickelten Linie. Abschließend äußerte sich der Kaiser. Zur Redefolge Hengerer (2001a), S. 351, zur Geheimen Konferenz (Sienell (2001a), S. 402, 403). 1063 Max Graf Waldstein dankte David Ungnad 1647 für dessen Gratulation zur Ernennung zum Geheimen Rat und setzte hinzu, er werde sich „alzeit befleißigen“ ihm die „angenehmsten Dienste“ zu erweisen (OÖLA, HSt, Sch. 1224, Fasz. 13, Nr. 214, Pilsen, 16. Sept. 1647). 1064 Schwarz (1943), S. 85. 1065 Hier stellt sich die Frage nach der Erstellung der Tagesordnung und der Themenauswahl. Klammert man die oben skizzierten Amtsaudienzen in Gegenwart Geheimer Räte aus, bleiben vornehmlich Gegenstände, die vom Reichshofrat, vom Reichsvizekanzler und von den zu Beratungen jeweils deputierten Geheimen Räten kamen (vgl. HHStA, Hs. 102, Bd. 1-6). Sienell (2001a), S. 303, weist darauf hin, daß in den 1670er Jahren Probleme, welche mit den inneren Angelegenheiten der Erblande zu tun hatten, in der Geheimen Konferenz „nur in seltenen Ausnahmefällen“ thematisiert wurden. Auf die Rolle des Reichsvizekanzlers weist hin, daß selbst der Oberstkämmerer und Geheime Rat Lamberg 1664 ein an ihn selbst gerichtetes Memorial mit disem besprach, damit er es später dem Kaiser im Geheimen Rat vortrug (MZA, RA DT, K. 26, Lamberg an Ferdinand Fürst Dietrichstein, Wien, 12. Nov. 1664). Dies weist auf eine Orientierung an den Zuständigkeiten Geheimer Räte als Chefs von Behörden hin. Wo diese unklar waren, ergab sich ein breites Spektrum an Unsicherheiten; nicht nur für uns, auch für die Zeitgenossen. Christoph von Eibiswald etwa bat den Obersthofmeister Trauttmansdorff, sein Bitte um eine innerösterreichische Kammerstelle zu unterstützen, wenn sie im Geheimen Rat zur Sprache käme (AVA, FA TM, K. 142, Ff. 8, Nr. 36, Graz, 28. Apr. 1648); Freiherr von Schifer bat ihn, er möge ihn schützen, falls seine Beteiligung an der Entstehung einer Bauernerhebung im Geheimen Rat zur Sprache kommen sollte (ebd., K. 168, Ff. 34, Nr. 111, fol. 122, Linz, 3. Okt. 1648). Personalfragen wurden häufiger vermtulich außerhalb des Geheimen Rates entschieden (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 219), Wien, 7. Nov. 1668). <?page no="293"?> 292 fehlenden Möglichkeit der Selbstkonstituierung gehörte, daß Ferdinand II. und Ferdinand III. sowie im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit auch Leopold I. bei Sitzungen des Geheimen Rates fast immer präsent waren 1066 . Damit optierten diese drei Habsburger gegen einen selbständigen Geheimen Rat, obschon das Modell mit dem Grazer Geheimen Rat in Innerösterreich 1067 etabliert war und auch in Zeiten längerer Abwesenheit des Kaisers von Niederösterreich in Wien eingesetzt wurde. Die sogenannten „hinterlassenen deputierten Geheimen Räte“ hatten zwar gewisse Vorlagepflichten, aber auch eigene Entscheidungsspielräume und Exekutivrechte 1068 . Die Arbeit des kaiserlichen Geheimen Rates war dagegen seit den späten 1620er Jahren von der systematischen Ausgliederung der Beratungen auf kleine Gruppen sogenannter deputierter Geheimer Räte gekennzeichnet, die von den Kaisern hierzu abgeordnet wurden, wobei er Beratungsgegenstand und beratendes Personal bestimmte - und fallweise dafür sorgen konnte, daß sich die Beratungsfunktion des Geheimen Rates in dieser Form im wesentlichen erfüllen ließ. Kleine Gruppen Geheimer Räte wurden auch häufig zu Verhandlungen mit Dritten abgeordnet, sei es im Falle von Landständen, sei es bei Botschaftern. Die fallweise Abordnung ermöglichte auch die unproblematische Teilnahme von Räten anderer Kammern, was im Geheimen Rat eine Ausnahme darstellte 1069 . 1066 Schwarz (1943), S. 131. Ferdinand II. sei bei Sitzungen des Geheimen Rates ebenso wie Ferdinand III. und anfänglich Leopold I. grundsätzlich zugegen gewesen. Ferdinand III. nahm im Krankheitsfall auch vom Bett aus an Ratssitzungen teil (ASV, SG, 148, 15. Jan. 1650: „dove ne più ne meno è stato presente al solito Consiglio”); nach dem Bericht vom 22. Jan. war er weiter krank, aber (ob im Bett oder nicht, ist unklar) bei den Sitzungen zugegen, obschon er nicht an der Capalla teilnahm. Kurz vor dem Tod Ferdinands III. fand der Geheime Rat „nella Camera dell’ Imperatore“ statt (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 268v). 1067 Vgl. Thiel (1930). 1068 Instruktionen für hinterlassene deputierte Räte bei Fellner (1907c), S. 17-24. Vgl. auch Winkelbauer (1999a), S. 184, 185. Vgl. auch das Dekret, das die Unterstellung des Stellvertreters des Obersthofmarschalls in Wien unter das explizit mit einer Instruktion versehene hinterlassene „Collegium der Geheimen, und deputirten Räthen“ bis zur Rückkehr des Kaisers nach Wien anordnet (OMaA, K. 1, Mandat, Linz, 21. Okt. 1645). Gegenüber dem Wiener Vertreter des Hofmarschalls fungierte der Geheime Rat als anweisende Stelle, welche die kaiserlichen Befehle teilweise durch Berichte vorbereitete (HKA, HQR, K. 2, Nr. 16 (1652), Nr. 208, Befehl des Rats hinterlassener Geheimer und deputierter an den angesetzten Hofmarschall Hannibal Gonzaga auf kaiserliche Weisung, ein Quartierrecht zu bestätigen (22. Aug. 1652)). Vgl. auch die Quartierzusicherung für Michael Waywoda für die Zeit einer Reise (HKA, HQR, K. 2, Nr. 16 (1652), Nr. 213, kaiserlicher Befehl per hinterlassenen Geheimen und deputierten Rat, 2. Jan. 1653). Bei Regentschaften erstellten die hinterlassenen Geheimen und deputierten Räte Gutachten und ließen sie durch wenige Geheime Räte vortragen (siehe beispielsweise AVA, FA TM, K. 140, Ff. 5, Nr. 26, Franz Christoph Graf Khevenhüller an Maximilian Graf Trauttmansdorff, Wien 7. Jul. 1638). Vgl. auch 708 am Ende. 1069 Es handelte sich „nicht um ein eigenständiges Gremium, sondern vielmehr um eine Gruppe von Räten, die ‚deputiert’, d.h. abgeordnet wurden, um in einer bestimmten Angelegenheit <?page no="294"?> 293 Die zumeist als „deputierte Räte“ bezeichneten Räte berieten teils in der Hofburg, teils im Haus des Obersthofmeisters oder eines Fürsten die ihnen aufgetragenen Problemkomplexe 1070 und legten ein Conclusum zur Erörterung im Geheimen Rat oder zur unmittelbaren Kenntnisnahme des Kaisers vor 1071 . Strukturell ähnelt diese Vorgehensweise den Verfahrensweisen von Hofkammer, Hofkriegsrat und Reichshofrat insofern, als diese dem Kaiser gleichfalls die Ergebnisse ihrer Vorberatungen zur Entscheidung in der Regel im Rahmen des Geheimen Rates vorlegten 1072 . Vorschläge auszuarbeiten, die dann durch den mehr oder weniger vollzähligen Geheimen Rat akzeptiert oder verbessert werden konnten“ (Sienell (2001a), S. 31, zur Teilnahme von Reichshofräten ebd., S. 31, Anm. 37, und S. 32, Anm. 40). Zu den 1620er und frühen 1630er Jahren vgl. Hiller (1992), S. 25, 26. Vgl. auch NÖLA, StäAk, A-5-9, fol. 53, 22. Mai 1629: von kaiserlicher Seite anwesend u.a. die Geheimen Räte Trauttmansdorff, Breuner (auch Statthalter), Werdenberg (auch Hofkanzler), ähnlich NÖLA, StäAk, A-5-9, fol. 117, 2. Jun. 1631, fol. 134, 14. Jun. 1631, fol. 123, 23. und 27. Sept. 1070 Die Stücke sind verstreut. Das kaiserliche Treffen mit den Kurfürsten in Prag 1652 und verwandte Fragen war Sache einer Runde Geheimer Räte (3., 12. und 17. Aug. 1652: Dietrichstein (Obersthofmeister), Auersperg (Obersthofmeister Ferdinands IV.), Waldstein (Oberstkämmerer), Goldegg (Hofkanzler), HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 20, fol. 1-12v). Gutachten über die Reise von Regensburg nach Wien 1654: Deputierte: 25. März: Geheime Räte Dietrichstein, Auersperg, Waldstein, Goldegg; und: Obersthofmarschall Starhemberg und Oberststallmeister Gonzaga; Geheimer Rat: 29. März: Ferdinand IV., Dietrichstein, Auersperg, Waldstein, Goldeg (HHStA, ÄZA, K. 4, Konv. 26, fol. 163-174v). Auch die Planung der Reise nach Regensburg wurde von deputierten Räten vorgenommen (HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 18; Beschlußvorlage: 3. Apr. 1652: Dietrichstein, Auersperg, Goldegg, Starhemberg, Losenstein, Ungnad; Geheimer Rat: 6. Apr.: Ferdinand IV., Dietrichstein, Waldstein (gestr.), Auersperg, Goldegg; Ungnad als Hofkammerpräsident (vgl. Anm. 440)). Deputationen im Vorfeld der Wahl Ferdinands IV.: 5. Aug. 1651 (bei Martinitz): Martinitz, Kurz, Auersperg, Ötting, Goldegg; Geheimer Rat am 15. Aug. 1651 in gleicher Besetzung. Gutachten der deputierten Räte von Prag, 10. Jul. 1652 (Kurz, Auersperg, Goldegg, Öttingen, (Reichshofrat) Gebhard), Geheimer Rat: 12. Jul.: Ferdinand IV., Kurz, Auersperg, Goldegg, Öttingen. Votum der deputierten Räte (Dietrichstein, Kurz, Auersperg, Goldegg, Öttingen, (Reichshofrat) Volmar); Geheimer Rat: 24. Aug. 1652: Ferdinand IV., Dietrichstein, Kurz, Auersperg, Goldegg, Öttingen, (Reichshofrat) Volmar (HHStA, RK, WKA, Fasz. 13). Noch stärker war die Präsenz von Reichshofräten bei Deputationen bei Vorberatungen zu Geheimratssitzungen bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden und zum Nürnberger Exekutionstag (AVA, FA HR, Hs. 102). Vgl. auch HHStA, RK, WKA, Fasz. 15b, u.a. Deputattion: 1. Apr. 1653: Dietrichstein, Kurz, Auersperg, Goldegg, Öttingen, Volmar; Geheimer Rat: 2. Apr.: in gleicher Besetzung zuzüglich Ferdinand IV. (ebd., Konv. 1653, März, Apr.). Deputation über Krönungszeremoniell: 23. Mai 1653: Dietrichstein, Kurz, Auersperg, Waldstein, Goldegg; Notiz (böhmischer Kanzler); Konferenz: 24. Mai: zusätzlich als Geheimer Rat Öttingen sowie Obersthofmarschall und Reichserbmarschall Pappenheim (Konv. 21.-31. Mai 1653). Krönungsakten Leopolds I.: Deputierte: 2. Nov. 1658 (bei Reichsvizekanzler Kurz): Auersperg, Portia, Kurz, Schwarzenberg, Ötting; Reichshofrat Walderode; Geheimer Rat: 3. Nov. 1648: Erzherzog Leopold Wilhelm, Auersperg, Portia, Schwarzenberg, Ötting und Walderode (HHStA, WKA, Fasz. 20 b , Konv. 2, fol. 49-50). Die o.g. Ratssitzungen fanden in Anwesenheit des Herrschers statt. 1071 Schwarz (1943), S. 130. 1072 Das war bei Hofkriegsrat, Hofkammer und Reichshofrat Usus, beim Reichshofrat aber sehr systematisiert; vgl. zu HHStA, RHR, Resolutionsprotokolle Gross (1933), S. 174, zum Verfahren im Reichshofrat unter Rudolf II. Ehrenpreis (1997), S. 196-200. <?page no="295"?> 294 In den Sitzungen des Geheimen Rates wurden die Conclusa vorgetragen und - soweit die Quellen eine Aussage zulassen - nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt. Dazu trug bei, daß unter den jeweiligen deputierten Räten nicht allein die fachkundigsten Räte saßen. Da die deputierten Geheimen Räte - häufig unter Mitwirkung von fachkompetenten Räten der einschlägigen Behörden - in der Regel in einer Stärke von vier bis sieben Personen tagten und dies häufig in Anwesenheit Geheimer Räte, die im Geheimen Rat in der Session günstige Positionen hatten, mußte, wer die Conclusa nicht billigte, Widerspruch formulieren. Dabei war mit der Verteidigung der Conclusa durch eine größere Zahl Geheimer Räte zu rechnen. Fachkompetenz, die Verschriftlichung, die in der Regel nicht sofort erfüllbare Forderung nach ebenso komplexen, ausgewogenen und besseren Gegenvorschlägen sowie Reputation, Ehre und Empfindlichkeit der vorn sitzenden Geheimen Räte waren Faktoren, welche grundsätzlichere Kritik kaum zuließen 1073 . Es ist bei dieser Rahmung der Sitzungsdynamik verständlich, warum so viele Protokolle von Sitzungen des Geheimen Rates in der Zeit Ferdinands III. überschriebene Conclusa sind, die in der Regel „placet“ und allenfalls geringfügige Modifikationen vermerken 1074 . Beispielhaft wird die Diskussionsfeindlichkeit der Ratssitzungen in dem Umstand deutlich, daß der Geheime Rat Auersperg 1651 nicht im Geheimen Rat gegen ein Conclusum protestierte, an dessen Entstehung er als deputierter Geheimer Rat beteiligt gewesen war, sondern sich in einem Memorial direkt an den Kaiser wandte. Seine Beschwerde macht indes zugleich deutlich, daß auch die deputierten Geheimen Räte sich nicht stets von der optimalen Realisierung kaiserlicher Interessen leiten ließen. Er begründete diesen Schritt wie folgt: „aber ich beÿ Beratschlagung derselben vermuthet, daß nicht eben der Schluß also gefallen wie 1073 Als nach dem Tod Kaiser Ferdinands III. Leopold I. seinem Geheimen Rat Auersperg die dritte Stelle im Geheimen Rat gab, galt dieser damit auch als politisch zurückgesetzt: „Questa riforma, come si vede, cadde principalmente senza l’Auspergh sodetto. Poiché oltre l’essere decaduto dal Ministero supremo si vede sià Consiglieri porto nel terzo luogo” (ASV, FP 212, fol. 103v). Die Reihenfolge der Voten verband Rang und Argumentationslast. Im deputierten Geheimen Rat in Innsbruck brach 1665/ 66 Streit um die Reihenfolge beim Votum aus. Der Kanzler Christoph Ulrich von Pachner klagte im Dez., die Memoriale würden anderen Geheimen Räten früher zugestellt und berichtete im Febr., daß der Geheime Rat Bertoldi nach dem Tod des Grafen Königsegg das erste Votum an sich bringen wolle; später schrieb er, daß ein neuer kaiserlicher Befehl ihm selbst das erste Votum zubillige, Bertoldi diesen aber bereits drei Tage zurückhalte, damit er nicht publiziert würde (AVA, FA HR, K. 445, Pachner an F. A. Harrach, Innsbruck, 9. Dez. 1665, 17. Febr. und 3. März 1666). 1074 Siehe die Angaben oben, auch HHStA, ÄZA, K. 4, Konv. 9, fol. 29 (Protokoll betr. die Krönung Eleonoras II. in Regensburg mit Marginalien, Regensburg, 18. Jul. 1653). <?page no="296"?> 295 es die maiora oder doch der substanz wohll erfordert hetten“ 1075 . Daß seine Diagnose, die deputierten Räte optierten für suboptimale Lösungen, außerordentlich heikel war, war ihm bewußt und so sah er sich zu einer Entfaltung der Rechtfertigung veranlaßt. Er betonte die Legitimität seines Handelns unter Verweis darauf, daß er zu niemandes persönlichem Nachteil rate, sondern sich vielmehr von der Verteidigung und Beförderung des Rechts und seinem Diensteifer leiten lasse: „undt eines dem anderen ein licht gibt, undt nicht iemandt zum nachtheil sondern alles legitime defensionis & tanta in promoventa iure & studio gesagt wird“ 1076 . Auch die Kommunikationssituation bei Sitzungen der Geheimen Räte unterlag also Beschränkungen und persönlicher Rücksichtnahme, um die die Kaiser wußten. Schien den Kaisern die Abordnung deputierter Geheimer Räte inopportun, forderten sie von einzelnen Geheimen Räten schriftliche Voten ein oder berieten sich mit einzelnen Geheimen Räten allein 1077 . Vor diesem Hintergrund erweist sich die Teilnahme von Personen, die ohnehin vom Kaiser zu Beratungen jederzeit herangezogen werden konnten, im Hinblick auf die Beratungsfunktion des Geheimen Rates im Grunde als ebensowenig erforderlich wie die Teilnahme von zu qualifizierter Beratung ungeeigneten Geheimen Räten. Im Hinblick auf Hierarchisierungslasten und das Prestige der Geheimratswürde aber machte sie durchaus Sinn, zumal es immer noch genug Themen gab, die so wichtig nicht waren, daß man sie nicht ohne Vorberatung den gesamten Geheimen Räten überlassen konnte. Der Geheime Rat als solcher wurde so zu einem Gremium, das in den für wichtig erachteten Fällen Partizipation ohne unmittelbare Einflußmöglichkeit gewährleistete. Für die Erzielung eines scheinbar konsensgetragenen Votums des Geheimen Rates reichte die Übereinstimmung einer Mehrheit deputierter Geheimer Räte 1075 HHStA, OMeA SR, K. 146, Konv. 6, Gutachten Auersperg, 11. Dez. 1651, fol. 2. 1076 HHStA, OMeA SR, K. 146, Konv. 6, Gutachten Auersperg, 11. Dez. 1651, fol. 2v. 1077 Ein Beispiel sind die Stellungnahmen zu den Friedensperspektiven, auf deren Grundlage Ferdinand III. die Geheiminstruktion für Trauttmansdorff verfaßte. Vgl. Dickmann (1962), S. 440-452, Ruppert (1979), S. 133. Auch bei der Frage, wie 1634 mit Wallenstein zu verfahren sei, wurden Gutachten von Geheimen Räten eingeholt (Winkelbauer (1999a), S. 223, Anm. 129). Ein Zettel mit Fragen Ferdinands III. für einige Geheime Räte findet sich in AVA, FA TM, K. 126, Bb. 5, Nr. 8, Ferdinand III., fol. 298, s.d., (verm. um 1645), wohl als Adressaten notierte Ferdinand III.: Trauttmansdorff, Khevenhüller, Schlick, Martinitz, Kurz. Zur Einholung von Gutachten vgl. bereits Hurter (1850), Bd. 11, S. 583. Zur Alleinberatung vgl. den Rechenschaftsbericht Trauttmansdorffs vom 2. Febr. 1649, § 16 (Dickmann (1962), S. 456). „Die heroische resolution im Januario 1641 (alß Banier auf Regenspurg mit aller macht angezogen), aldort zu verbleiben unndt sich zu defendiren, haben E. K. M. allein mit mier beratschlagt unndt darauf allerdnedigst resolvirt, welches E. K. M. bey aller welt grossen ruhm unndt das Römisch reich in ihrer handt erhalten hat.“ <?page no="297"?> 296 aus; zwei oder drei deputierte Geheime Räte konnten so grundsätzlich den gesamten Geheimen Rat zur Unterstützung ihres Ergebnisses verpflichten 1078 . Auch sonst sollten Vorlagen keinen Anlaß für persönlich zurechenbaren Dissens bieten. So wurde beispielsweise für die Zusammensetzung von Reisehofstaaten die Kopräsenz von Behördenchefs beim Kaiser angeordnet, damit sie ihre Voten mündlich abstimmen konnten: „Und dises nit schrifftlich, sondern allein mündtlich, damit die occasion, sich alda mit Ihnen schriftlichen guetachten zu allongieren, und vielleicht auch abgeschnidten, und die vielleicht sich unterluftde contradicitiones verhietet werden.“ 1079 In dem Maße, wie sich die Arbeitsteilung zwischen den deputierten Geheimen Räten als effektiv vorentscheidenem Gremium und dem Geheimen Rat einspielte, verloren die Bemühungen um eine Restriktion der Zahl der Geheimen Räte an Dringlichkeit, zumal Ferdinand III. eine Deckelung der Zahl der Sitzungsteilnehmer bei etwa einem Dutzend gelang. So setzte sich auch Trauttmansdorff in den 1640er Jahren für eine Restriktion nicht im Hinblick auf die Effizienz der Beratungen, sondern im Hinblick auf das Problem der Geheimhaltung ein 1080 . Nach seinem Tode war es auch damit vorbei und schon im Einvernehmen Ferdinands III. mit dem Obersthofmeister Dietrichstein setzte der letzte starke Wachstumsschub der Zahl der Geheimen Räte in der Regierungszeit Ferdinands III. ein. Die Geschäfte ließen sich mittels der formalisierten Vorlagen aus den Behörden und mittels der nach Gutdünken des Kaisers deputierten Geheimen Räte in einer Weise führen, die zugleich die kaiserliche Entschließungsfreiheit, die Adäquanz von Ehre und Rede der Räte und die Eindämmung der Dependenzen optimierte und die so erzielten Ergebnisse als Konsens darstellen konnte. 1078 Vgl. zum Problem der verfahrenstechnisch gesicherten Herstellung von Mehrheiten durch Minderheiten Weick (1995), S. 27-30. 1079 HHStA, ÄZA, K. 3, Konv. 19, fol. 2v. Nach der Hofkammerordnung von 1681 sollte für den Fall, daß Hofkammerräte sich über einen Sachverhalt auch nach mehreren Durchläufen nicht einigen konnten, dieser „sambt jedes thails bewegnus und bedenken schriftlich für uns komben“ (Fellner (1907b), S. 605). Vgl. Luhmann (1999), S. 68-71. 1080 Schwarz (1943), S. 132, unter Bezug auf einen Brief Trauttmansdorffs an Kurz (Münster, 5. Febr. 1646). Schon zuvor scheint Ferdinand III. hierauf Rücksicht genommen zu haben: AVA, FA TM, K. 126, Bb. 5e, Ferdinand III. e.h. an Trauttmansdorff, Ebersdorf, 11. Sept. 1644. Er berichtete über die Beratung vom gleichen Tag, bei der von den Geheimen Räten „niemandt alls“ Schlick, Teuffenbach und Kurz zugegen gewesen seien. In einer Sitzung des Geheimen Rates Anfang Febr. 1646 über die Relationen der Gesandten wurde besondere Geheimhaltung bzgl. der Voten beschlossen (AVA, FA HR, Hs. 102, Bd. 1, Nr. 8, Geheimer Rat in Gegenwart von Slavata, Gallas, Martinitz, Kurz, Kolovrat, Puchheim, Kuefstein, Prickhelmayer, Reichshofrat Gebhard (eingerückt) und dem Sekretär Söldner). <?page no="298"?> 297 Leopold I. war bei seinem Regierungsantritt auf die Beherrschung dieser etwas undurchsichtigen Praxis, welche dafür sorgte, daß der Kaiser nicht in die Fänge der Formalisierung des Geheimen Rates geriet, nicht vorbereitet und erwartete von den Sitzungen des Geheimen Rates Beratung 1081 . Die enttäuschend verlaufende Sitzung am 25. April 1657, zu der alle in Wien anwesenden Geheimen Räte Ferdinands III. geladen waren, befreite ihn von dieser Illusion und so lud er am Nachmittag wenige Geheime Räte von neuem zu einer Sitzung 1082 . Rasch deputierte auch Leopold I. Geheime Räte und schloß an diese Praxis unter Ferdinand III. an. Der neue Kaiser zog seine Präsenz bei den Sitzungen der deputierten Geheimen Räte vor, weil in seiner Regierungszeit die Zahl der an Sitzungen teilnehmenden Geheimen Räte weniger effektiv als unter seinem Vater beschränkt wurde und sich die Sitzungen des Geheimen Rates so recht unergiebig gestalteten 1083 . Im Hinblick auf die Kritik an seinen zahlreichen Ernennungen schrieb er 1665 seinem Botschafter in Spanien: „Ihr wisst aber selbst wohl, dass die wichtigen Sachen, absonderlich aber die hispanische und Hausnegotia niemal in pleno, sondern nur in Conferenzen oder Junten proponirt werden, allwo ich nur aufs meiste fünf oder sechs Räthe brauche, et sic numerus hic non potest causare malum.“ 1084 Seit 1665 wurden diese Beratungen als Geheime Konferenz institutionalisiert - obwohl der Kaiser im gleichen Jahr in Innsbruck einen Geheimen Rat einrichtete, der wie der Grazer teils selbständig regieren konnte, teils vorlagepflichtig war 1085 . Weil er soviel Vertrauen in Wien nicht entwickeln konnte, wiederholten sich die Entwicklungsschritte des Geheimen Rates in der Entwicklung der Geheimen Konferenz, die S IENELL im einzelnen dargelegt hat: eine Ausgangsgröße von fünf bis sieben Räten, die in Anwesenheit des Kaisers berieten, Formalisierung, zahlenmäßiges Wachstum, Klagen über Ineffizienz, neuerliche Deputationen, Bedeutungsverlust des Gremiums 1086 . 1081 Erstmals nahm Leopold I. am 14. Febr. 1657 an einer Geheimratssitzung teil (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319), am 2. Apr. 1657 war Ferdinand III. bereits tot. 1082 Vgl. Heilingsetzer (1970), S. 68. 1083 Vgl. Schwarz (1943), S. 132, und Anm. 1488. 1084 Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 156, 157), Wien, 2. Sept. 1665. 1085 Vgl. zum Geheimen Rat in Innsbruck nach der Regierungsübernahme durch Leopold I. die Briefe von Johann von Spaur und Christoph Ulrich von Pachner an Franz Albrecht Harrach (AVA, FA HR, K. 447 (Spaur), K. 445 (Pachner)), zur Instruktion vgl. Anm. 1455. 1086 Sienell (2001a), S. 397: „Kaiser Leopold I. erließ nie eine Instruktion oder Ordnung für die Geheime Konferenz, die diesem Gremium eine Art von ‘gesetzlicher Legitimation’ gegeben hätte.“ Daraus folgert er, daß man nicht von Ernennung sprechen kann, sondern „eine Art von ‚Berufung’“ anzunehmen hat und deshalb nicht von Mitgliedern, sondern von Teilnehmern <?page no="299"?> 298 2. Schwache Sicherungen Der Umstand, daß man Entscheidungen nur unter der Voraussetzung erkennt, daß sie als solche sichtbar gemacht werden, sei es performativ wie im Zeremoniell, sei es mündlich oder in Schriftform, ermöglicht es, das Zustandekommen von Entscheidungen und Entscheidungen zu unterscheiden. Diese Unterscheidung erleichert die Beobachtung, Analyse und damit die Optimierung der Entscheidungsgenese ebenso wie die Erhaltung des Wissens um Entscheidungen. Versuche der Programmierung und Archivierung von Entscheidungen sind allgemeine Phänomene, die unter der Voraussetzung schriftgebundener Verwaltung lediglich besonders sichtbar werden 1087 . In diesem Zusammenhang ist der Blick auf Elemente der diesbezüglichen Reflexionsebene und Praxis am Kaiserhof deshalb wichtig, weil die Etablierung programmierter und zudem papiergebundener Entscheidungsprozesse eine erhebliche Abkopplung von benachbarten sozialen Prozessen ermöglicht. Es ist aber gerade für die Möglichkeiten der zuständigkeitsübergreifenden Einflußnahme von Höflingen wichtig zu wissen, wie die einen um Sicherungen bemühten waren, andere dagegen diese zu unterlaufen suchten. a. Papier Bereits Kaiser Maximilian I. hatte auf Verschriftlichung gesetzt und so finden sich lange vor dem 17. Jahrhundert in verschiedenen Instruktionen Punkte, die auf den Umgang mit Schriftgut Bezug nehmen, Buch- und Listenführung, Archivierungen und Sammlungen, sowie die Führung einer Registratur anordnen 1088 . Obschon in weiten Teilen diesen Ordnungen mehr oder weniger nachgelebt wurde, blieb Schriftgut gefährdet. Das lag auch daran, daß viele Ordnungen sich auf den Schutz des immobilen Schriftstücks bezogen, nicht aber seine Bewegung kanaligesprochen werden müsse; dennoch sei bereits in den 1660er Jahren von Konferenzräten die Rede gewesen, die als solche später auch in Hofstaatslisten auftauchten. 1087 Vgl. Vismann (2001) mit besonderer Berücksichtigung der Behördenreform Maximilians I. (vgl. aus historischer Perspektive Wiesflecker (1999), S. 221-274). Das mediale Argument ergänzt die bisher eher personenbezogene und ideengeschichtliche Interpretation der Rolle der hohen Beamtenschaft am Prozeß der Staatsbildung (Weber (1999), Weber (1994), Hoffmann (1974)). Bohn (1999), S. 77, weist darauf hin, „daß die an Mündlichkeit gebundenen Spezifika des Interaktionssystems in der soziologischen Theoriebildung zum Modell für Sozialität schlechthin“ wurden, während der (Ko-)Evolutionsparcours von Organisation und Funktionssystemen (Lieckweg (2001)) sich dann rasch vollziehe, wenn Schriftlichkeit ins Spiel kommt - und, so steht zu vermuten, anfänglich über Interaktion gestützt werden kann. 1088 Vismann (2001), S. 154 ff. Vgl. die Instruktionen Maximilians I., Fellner (1907b). <?page no="300"?> 299 sierten. Eine systematische Durchdringung der Materie des Umlaufs, welche über den Regelungsbereich der Einzelinstruktionen hinausging, fehlte zumeist - wo ein Schriftstück in welchem Moment gerade war, ließ sich aus Normen selten erschließen. Besonders eindrücklich ist das Beispiel der vom reichsstädtischen Gesandten Heinrich von Pflummern in den Jahren 1635-1637 geschilderten Papierströme am Kaiserhof. Nachdem er am 10. Januar 1636 zur kaiserlichen Audienz gelassen worden war, trug er Ferdinand II. sein Anliegen mündlich, entsprechend der bereitgehaltenen schriftlichen Supplik, vor: „Und ob zwar mein vortrag zimblich lang geweßt, hab ich doch nit vermerckhen können, daß ihr Mst dadurch offendirt worden.“ In seiner Antwort äußerte sich der Kaiser gutwillig und verlangte abschließend nach einem Schriftstück: „Fragten mich ob ich, waß ich vorgebracht, nicht auch auf dem papier und schrifften hette. Darauff ich die schrifftliche supplication aller underthenigst praesentirt“ 1089 . Drei Tage später wiederholte sich diese Prozedur in der Audienz bei König Ferdinand III. Pflummern trug das Anliegen mündlich vor. Nachdem sich der König willig gezeigt hatte, wollte auch er die Sache in schriftlicher Form: „Ich solle aber den einen puncten, den ich vorgebracht, zu papier setzen, und den andern wegen Württemberg auch absönnderlich. Darauff ich meine supplication herfürgezogen und gesagt, ich habe alle puncten, die ich vorgebracht, auf dem papier und die urkunden darbei, darauß zu sehen, daß mein vorbringen der wahrheit gemäß [...] Ihr Mst namen hierzwischen die supplication, thatten dieselben auf, und weiln sie gleich frontisicio alle puncten distincte vermerckht sahen, sagten sie, daß sie der statt Überlingen [...] mit königlichen gnaden wol gwogen seyn.“ 1090 Formale Audienzen vollzogen sich regelmäßig in Vortrag und Replik, unter Umständen wiederholte sich die Abfolge. Die formalisierten Körperhaltungen mit Einschluß des Kniens und Neigens konturierten die Audienzsituation als körperdominiertes Geschehen und verwiesen Sinnproduktion auf situativ gerahmtes Sprechen und Hören 1091 . 1089 Semler (1950), S. 223. 1090 Semler (1950), S. 235, 236. Audienz am 13. Jan. 1091 Ferdinand II. saß bei dieser Audienz, Pflummern kniete am Ende nieder: „Bei diser audienz hab ich observirt [...], daß ihr kayß. Mst wegen der mit dem allter wachsenden geschwulst an den füeßen, wan sie erachten können, daß der gesandte ein lange proposition thun werde, die audienzen an einem mit rothem sammet bedeckhten tafelin sitzendt zu erthailen pflegen, wie sie mich auch der gestallt mit gedullt angehört; vnd alß vast mitten vnder meinem vortrag man daß ave Maria geleüttet, so ich nicht gehört, sagten sie mit disen worten: Es ist das ave Maria, wir wollen betten, stoßen darmit daß täfelin von sich vnd knüeten mit beeden gebognen knüen auf den boden. - Nach vollendtem gebett gaben sie mihr daß zaichen mit meiner proposition fortzufahren. - Alß ich zu beschluß die petition mit disen worten gethon: es bitten die suppli- <?page no="301"?> 300 Sachfragen wurden in den Audienzen grundsätzlich nur mitgeteilt und vernommen, aber möglichst nicht entschieden und deshalb zwecks Einholung von Gutachten und Voten auf Papier gebracht. Die Audienz beim Kaiser wies, das wurde bei der Erörterung der Audienzen oben bereits deutlich, in bezug auf Entscheidungsprozesse einen doppelten Charakter auf: Sie stellte auf der einen Seite eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Willensbildung dar, auf der anderen Seite war sie ein Durchlaufposten für Papierströme. Da der Kaiser über eine formalisierte Stelle zur Entgegennahme von Schriftstücken weder personell noch örtlich und auch nicht selbst über eine Registratur verfügte, war vielfach unklar, ob die Weiterleitung gelang und wo Schriftstücke sich befanden 1092 . So bat Rudolf Graf Kaunitz den Grafen Franz Albrecht Harrach, dem Kaiser ein Schriftstück zu übergeben, das er zuvor zur Weiterleitung an den Landjägermeister gesandt hatte. Er zweifle, daß jener es dem Kaiser übergeben habe 1093 . Der in der Hofordnung verankerte Zusammenhang zwischen Zugangsrecht, Übergabemöglichkeit und Übergabesicherheit strukturierte in grundlegender Weise die Verteilung von Zuschriften an Hofleute in ihrer Funktion als Durchlaufposten von Papieren auf dem Weg zum Kaiser 1094 . War ein Schriftstück indes so weit gekommen, setzten besondere Sicherungen ein, die auch in den Fürstenspiegeln für die Kaiser reflektiert wurden 1095 . Ferdinand III. ordnete im eigenhändigen Additional zur Incanten vor e. kayß. Mst füeßen aller vnderthenigst, vnd damit mich zu der erden genaigt, sagten ihr Mst. alsbald, ich sollte aufstehn.“ Semler (1950), S. 233. Vgl. auch Hurter (1850), Bd. 11, S. 585: „Audienzen gewährte er Jedermann, und zwar zu der Stunde, welche er dem Nachsuchenden für die gelegenste hielt. Gewöhnlich ertheilte er dieselben stehend, an ein Tischchen gelehnt. Nöthigte ihn körperliche Schwäche zu sitzen, so geschah es bisweilen, daß er auch dem Hineingetretenen einen Stuhl bieten ließ.“ 1092 Leopold I. versuchte mit § 8 der Hofkammerordnung von 1681 einen mit Ausnahme seiner Person einheitlichen Eingang durchzusetzen: „Zu desto richtiger handlung und beförderung unserer hofcamersachen sollen alle befelch, schreiben und anbringen, die nicht uns immediate zuegeschickt und übergeben werden, sondern zu unserer hofcamer gesendet und dorthin gehören, auch dahin überschriben und gestelt seind, iemand andern als unserm hocamerpraesidenten oder deme, der an seiner statt ist, übergeben, auch von keinem rath, secretario oder jemand dergleichen angenomben werden, und solle er hofcamerpraesident solche ime zuekombende schriften alsobald eröffnen, übersehen und auf jedes das praesentatum des tags und des jahrs machen“ (Fellner (1907b), S. 604). 1093 AVA, FA HR, K. 444, Rudolf Graf Kaunitz an F. A. Harrach, Prag, 19. Jul. 1661. Kaunitz hatte an den Hofkammerpräsidenten und an Albrecht von Zinzendorf geschrieben, letzterer sollte das Papier an den Kaiser weiterleiten. Vgl. zu Kaunitz Klingenstein (1975), S. 39, 40. 1094 Vgl. etwa die von Johann Quintin Jörger an den Oberstkämmerer Lamberg gerichtete Bitte, dem Kaiser ein Memorial zu überreichen; der Hofkammerpräsident arbeite bei einigen Geistlichen gegen ihn (OÖLA, HSt, Sch. 1238, Fasz. 27, Nr. 522, Jörger an Lamberg, ex domo, 18. Nov. 1665). Zur Subsidiarität des Zugangs anderer Höflinge vgl. Kap. C.I.3.b. 1095 Vgl. § 15 des „Princeps in Compendio” (Bosbach (1991), S. 106-108). <?page no="302"?> 301 struktion des Oberstkämmerers an, daß die wachhabenden Kämmerer sich „nit an unsere schrift und auf der tafel legenden memorialien umbsehen, noch dieselbe berühren oder verrukhen“, was auch für den ältesten Kämmerer gelte: „auch nichts in eigener Sache anbringen noch in unseren schriften übersehen oder dieselben verrukhen solle“ 1096 . Auch in der Instruktion für die Kammerdiener wurde das Lesen, Berühren und Referieren der Memoriale verboten: „noch die auff unserer taffel liegende Memorialien, schrifften, und anbringen suechen, viel weniger dieselbigen lesen, verruken oder verwenden, noch das jenige, was sie von uns vernehmen, offenbahren und austragen, alles bei verlust Ihres Camerschlüssels.“ 1097 Da die Kaiser der unbedingten Normtreue ihres Kammerpersonals nicht trauen mochten, versteckten sie einerseits besonders brisante Dokumente 1098 , vermochten andererseits Schriftstücke wegen des Ausschlusses von Mitwissern mitunter nicht gleich wiederzufinden 1099 . Dieses Problem stellte sich auch denjenigen, die zunächst zumindest Gewißheit bezüglich der Übergabe hatten. Die Kaiser leiteten die Eingaben weiter und damit begann die Ungewißheit über Verbleib und Verfahrensstand von neuem. Das Beispiel Pflummerns macht das Ausmaß des Potentials für Schwierigkeiten besonders deutlich. Nach der Übergabe der Memoriale am 10. und 13. Januar 1636 besuchte er einige Räte sowie Sekretäre und erfuhr, daß der König in seinem Rat die Supplik habe verlesen lassen. Daraufhin erhielt er, nachdem er mehrfach abgewiesen worden war, endlich am 22. Januar eine Audienz beim kaiserlichen Hofkriegsratspräsidenten. Dieser gab nun vor, die Papiere nicht bekommen zu haben, wobei er sich zunächst auf die Zuständigkeitsaufteilung zwischen königlichem und kaiserlichem Hofkriegsrat bezog, woraufhin Pflummern ihm jedoch mitteilte, daß die Papiere auch beim Kaiser eingereicht worden seien 1100 . Auf die ausweichende Antwort 1096 HHStA, OMeA SR, K. 73, Konv r. 122, 4, rote Nr. 22, e.h. „Vernere instruction und Erclärung“ Ferdinands III. für den Oberstkämmerer Waldstein, Wien, 2. März 1651. 1097 HHStA, OMeA SR, K. 74, Konv. 11, e.h. Instruktion Ferdinands III. für die Kammerdiener, Wien, 22. März 1651 (vgl. Anm. 859). 1098 Ferdinand III. bewahrte in seinem Schreibtisch die Geheiminstruktion für Trauttmansdorff auf. Vgl. Dickmann (1962), S. 440-452, Ruppert (1979), S. 133. 1099 „Ferners kann ich Euch gnädigst nit bergen, dass ich die mit Euch habende Zifra der nomina secundum alphabetum verlegt habe und nicht finden kann“ (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 130), Wien 24. Jun. 1665). „Weilen ich aber seithero in Nachsuchen selbe wieder gefunden, als habe ich es Euch hiemit wieder erindern wollen.“ Ebd., S. 136, Wien, 3. Jul. 1665. 1100 „Demnach aber herr graf noch darvon nichts, wie er sagt, empfangen vnd darbei vermellt, waß dem könig vberraicht werde, daß komme nicht in sein expedition, hab ich bericht gethon, <?page no="303"?> 302 Schlicks, er wolle beim Sekretär fragen, wo die Bittschriften sich befänden, war Pflummern vorbereitet und übergab weitere Abschriften: „Inmittelst hab ich ihme ettliche copias deren beilagen, so mit der supplication an ihr kön. Mst. sub lit A biß F vergeben worden, uberraicht“ 1101 . Der Verbleib der beim Kaiser übergebenen Memoriale blieb unklar. Da Schlick geäußert hatte, Pflummern möchte doch in Erfahrung bringen, wo sich diese befänden, fragte er am 27. Januar den kaiserlichen Kriegsratssekretär Pucher, „der aber auch nichts empfangen zu haben vermellt.“ Am 28. fragte er den kaiserlichen Kriegsratssekretär Otman, „ob ihme vnsere dem kayßer ubergebne supplicationes nicht zukommen“ und berichtete von der Audienz bei Schlick und der Anfrage bei Pucher. Otman sagte, er habe sie nicht erhalten, kaiserlicher und königlicher Kriegsrat seien nicht in der Weise wie Schlick behaupte getrennt, auch sei die Sache noch nicht vorgebracht worden 1102 . Der Vormittag hatte die scheinbaren Gewißheiten zerstört und Zweifel zumindest an der Stimmigkeit der verschiedenen Verlautbarungen gesät. Im höfischen Humus ging diese Saat rasch auf und kam bereits am Nachmittag zu voller Blüte. Pflummern suchte wie von Otman empfohlen den Kriegsratssekretär Dr. Kielman auf, der aber nicht selbst mit dem Besucher sprach, sondern über seinen Diener kommunizierte. Zunächst erhielt Pflummern den Bescheid, er möge sich bei der Kriegskanzleiregistratur anmelden. Nachdem Pflummern ausrichten ließ, daß die von ihm vertretene Stadt Überlingen dem Kielman „noch zu danckh obligirt“ und damit seine Bereitschaft zum Ausdruck brachte, ihm finanzielle Zuwendungen bzw. Schmiergeld zukommen zu lassen 1103 , erhielt er über den Diener weitergehende Auskünfte: In einem Teil der Angelegenheit werde man in der Tat bei der Registratur fragen müssen, im anderen „seye decretirt und dem secretario Bucher anbevolhen mit herrn generalcommissario Walmerode zu reden, alß der ohne daß mehr sachen halb mit ihme zu tractirn bevelch bekommen.“ Diese Auskunft stellte frühere Auskünfte erneut in Frage: „So uns abermaln verwunderlich gedunckht, weil secretarius Bucher gestern so gar außtruckhentlich vermellt, daß er daß wir gehörter maßen auch bei kayß. Mst einkommen vnd schriftliche supplicationes eingeben“ (Semler (1950), S. 242). 1101 Semler (1950), S. 242. 1102 „Vnd vermellt diser secretarius beneben, daß der kaiserliche vnd königliche kriegsrath ein ding seye, vnd waß bei einem vorkommen oder angebracht, daß komme auch zumaln vor den andern. Welliches vnß desto befremdtlicher vorkommen, daß herr Kellner vnß verschinen tagen referirt, vnsere supplicieren währen berait im königlichen rath vnd in ihr Mst beiwesen consultirt vnd hierauf die expedition dem secretario Vischer vnder sein expedition geben worden.“ Semler (1950), S. 247. 1103 Semler (1950), S. 247. Vgl. unten Kap. B.II.2.b. <?page no="304"?> 303 keine partheyen sachen under seiner expedition, vnd also nicht [...] bei hannden habe, sonder wir müeßen denselben bei dem secretario Kielman oder Othman nachfragen. Ebenmeßig wir nicht verstehen können, daß herr graff Schlickh kriegsrathspraesident unsselbst die anzaig gethon, was bei dem könig angebracht werde, das komme zu seiner expedition nicht: hergegen sagte secretarius Othman, daß der kayßerlich und königlich kriegsrat ein corpus seye.“ Pflummern gab nicht auf, sondern begab sich noch am gleichen Tag zum Kriegskanzleiregistrator. Dieser gab an, er sei krank gewesen, deshalb zu Hause geblieben und wisse daher nichts von der Sache; Pflummern solle bei der Kanzlei und dem Expeditor nachfragen. Für die weitere Suche gab er einen aufschlußreichen Hinweis hinsichtlich der Konstitution des Kriegsrats, der die Verwirrung nicht gemindert haben dürfte: „währe die kayßerliche kriegscantzley in der kayßerlichen burg: die königliche aber in dem closter zu S. Dorothea, also weiln die ort different, muß consequenter auch die expedition different sein.“ 1104 Die in den Instruktionen vorgeschriebene Verfahrenstransparenz war intern zwar partiell in recht hohem Maße verwirklicht 1105 , aber von außen kaum nachvollziehbar. Angesichts des insgesamt rasch zum Erfolg führenden Bemühens von Pflummerns wird indes deutlich, warum Schriftverkehr am Kaiserhof sich mannigfach duplizierte, regelmäßig Kopien gefertigt und bereitgehalten, Originale und Quittungen nach Möglichkeit genau verfolgt wurden. Es wird deutlich, an wie vielen Punkten Geschäfte ins Stocken geraten konnten, an wie vielen Stellen Schmiergelder zum Einsatz kommen, welche Mengen von Zeit verwendet werden mußten und welche Schwierigkeiten für die Zurechnung von Erfolgen, Mißerfolgen und Gesinnungen sich stellten, wie interaktionsabhängig das immer mehr an Bedeutung erlangende schriftliche Verfahren blieb. Dabei stellte sich die Situation in Hofkammer- und Reichshofratsangelegenheiten nicht prinzipiell anders dar 1106 , wenn der 1104 Semler (1950), S. 247. § 4 der Hofkammerordnung von 1681 verbot daher, gewisse Schriftstücke außerhalb der Hofkammer zu lesen, „weilen darduch oft vil schriften verzogen oder wohl gar verloren werden“ (Fellner (1907b), S. 600). Zu Möglichkeiten der Formalisierung vgl. de Soto (2000). Der Vergleich mit dem Kaiserhof macht dreierlei deutlich: Eine Hauptfunktion von Korruption liegt mehr im Abkürzen formeller Wege als im Herbeiführen von materieller Illegalität. Die Komplexität der Behörde sichert die Orientierung an eigenen Kriterien, macht Verstöße aber schwerer kenntlich. 1105 Vgl. Fellner (1907a), Gross (1933). 1106 Die Reichshofräte bearbeiteten Akten in ihren Wohnungen; vgl. zum angeblichen Verlust von Unterlagen Winkelbauer (1999a), S. 278. Der schwedische Resident berichtete über den Rückruf von Akten durch den Reichshofratspräsidenten nach dem Tod Ferdinands III. (RKA, G 283, 25. März / 4. Apr. 1657). <?page no="305"?> 304 Reichshofrat auch als transparenteste und verfahrensfesteste Behörde am Kaiserhof erscheint 1107 . So werden an diesem Beispiel zugleich die Vorteile deutlich, über welche Mitglieder des Hofstaats verfügten: Insiderwissen, Zeitvorteile bei der direkten Einreichung von Bittschriften, Sicherheitsvorteile bei der indirekten Übergabe, Vorteile bei der Beobachtung des Geschäftsverlaufs, Zeitvorteile bei der Herstellung von Kontakten mit adeligen Räten und Präsidenten sowie die über die ständische Hierarchie abgesicherte Möglichkeit der Interaktion mit anderen an Verfahren beteiligten Personen; die besondere Leistung von Schriftlichkeit, die „Abkopplung der Kommunikationspartner aus einem interpersonalen Wahrnehmungskontext“ war noch nicht recht zuverlässig 1108 . Und nur ein Teil des Höflinge mußte wie von Pflummern über Aufenthaltskosten klagen, welche die über Zeitverbrauch differenzierte Erledigung von Geschäften so leicht grenzwertig machen konnten 1109 . Dies setzte jedoch bereits voraus, daß auch gegenüber dem nicht unmittelbar mit einer Sache befaßten Hofadel vieles im Bereich des Verwaltungshandelns effektiv abgedichtet werden konnte 1110 . Die Sicherung und Gefährdung des Schriftgutes hatte, das machen Pflummerns Gänge durch Wien und die verschlossene Tür Kielmans deutlich, auch eine räumliche Dimension. Präsidenten, Räte und Sekretäre und sonstige Bedienstete erledigten ihre Amtsgeschäfte einerseits nicht selten in ihren zudem wechselnden Wohnungen, andererseits war 1107 Zum Geschäftsgang der Reichshofkanzlei vgl. Gross (1933), S. 143-180 1108 Bohn (1999), S. 134. Schriftlichkeit führe auch einen eigenen Zeitindex mit (ebd., S. 125- 129); dies mag erklären, warum Bittschriften meist undatiert waren: Man scheint sich gescheut zu haben, dem Kaiser eine eigene Zeitindexierung zuzumuten. Auch die Differenz zwischen Fertigstellung und Übergabe scheint für die Datierung ein Hemmnis dargestellt zu haben; vgl. Anm. 937, und die Anweisung der Hofkammerordnung von 1681, auf einlaufenden Schriftstücken das Datum zu notieren (vgl. Fellner (1907b), S. 604). 1109 Vgl. den Abschnitt zu Aufenthaltskosten bei Hof Kap. A.II.2.b. „Wohnen in Wien“. Pflummern schrieb, er brauche wöchentlich für Miete, Holz, Licht, Speise und Trank 15 fl. (Semler (1950), S. 248). 1110 Gundaker Fürst von Liechtenstein zahlte 1653 für die Information, welcher Reichshofrat mit seinem Fall befaßt war, was er wissen mußte, um den richtigen Adressaten für weitere Schmiergelder zu ermitteln; er erhielt die Antwort aber nur nach weiteren Bemühungen, war eine solche Mitteilung dem Personal des Reichshofrats doch streng untersagt (Winkelbauer (1999a), S. 281). Darauf, daß der Reichshofrat von allen kaiserlichen Behörden noch die am stärksten abgedichtete war, deutet die Einschätzung des Nuntius Pannochieschi hin, wonach dieser nicht ganz so funktioniere wie der Hof, weshalb er sich für eine Hilfestellung in einer Sache vor dem Reichshofrat ganz besonders anstrengen müsse (ASV, FP, 211, Kopialbuch der Briefe des Nuntius Pannochieschi an Rospigliosi, Aug. 1656, fol. 20v, 21). Vgl. auch Ehrenpreis (1997). <?page no="306"?> 305 es nicht leicht, die Amtsräume Unbefugten effektiv zu verschließen 1111 . Die Vergabe des Hofquartiers des Hofzahlmeisters an dessen Nachfolger sollte so auch die Aufbewahrung von Akten und Geldern sichern. In diesem Sinne empfahl der Obersthofmarschall Starhemberg im Jahr 1639 nach dem Tod des Hofzahlmeisters Johann Marienbaum von Homberg, dessen erledigtes Quartier dem neuen Hofzahlmeister Thomas Eder von Khainbach zu geben, da „sonst khein gelegenheit vorhanden, daß daß Hoffzallambt der Notturfft nach undergebracht: und daß gelt und Raittung zuverwahren“ 1112 ; das überzeugte den Kaiser. Obwohl ein Hofkammerrat aufgrund einer kaiserlichen Versicherung 1661 nach dem Tod Eders auf das Quartier Ansprüche erheben konnte, erhielt es der neue Hofzahlmeister Carlo Miglio, so daß auch dieser sein Fiskalamt in dem am Petersfriedhof gelegenen Quartier verwesen konnte 1113 . Andere Ämter und Kanzleien wie die böhmische Hofkanzlei oder die des Erzherzogs Leopold Wilhelm mußten gleichfalls - teilweise mit geringeren Graden an Stabilität - auf das Hofquartier zurückgreifen. Bei der schwierigen Erlangung desselben wurden die Vorteile räumlicher Differenzierung von Wohn- und Amtsräumen relevant: Als beispielsweise der Hofkanzler König Ferdinands IV. nach seiner Eidesleistung von Prag nach Wien zog, bat er den Kaiser um ein Quartier für die Kanzlei 1111 Vgl. die Instruktion für die österreichische Hofkanzlei von 1628 (Fellner (1907b), S. 457, 458), die in §§ 5 bis 10 versuchte, die Probleme zu lösen, die sich daraus ergaben, daß Personal außerhalb der Kanzlei arbeitete und regelte auch den grundsätzlich abgelehnten Zutritt von Dritten zu Amtsräumen. Die Sitzungen sollten nach der Instruktion von 1650 weiterhin „in unserer hofkriegsratsstuben bei hof allezeit gehalten“ werden (Fellner (1907b), S. 536). Eigene Häuser hatten im Bereich der heutigen Hofburg die Niederösterreichische Regierungskanzlei, die Reichshofkanzlei und die Hofkammer (HKA, HQB 14, Nr. 4, 5 und 6). Nach Csendes (1999), S. 221, waren 1563 mehrere Ämter, darunter die Reichshofkanzlei und das Kriegszahlamt zwar in der Nähe, aber außerhalb der Hofburg untergebracht. Nach der Instruktion des Kaisers Matthias für den Hofquartiermeister sollte auf Reisen die Geheimratsstube, der Reichshofrat und die Hofkammer samt Kanzleien in der kaiserlichen Herberge untergebracht werden (HHStA, ÄZA, K. 2, Konv. 4, fol. 1). Zur Unterbringung der böhmischen Hofkanzlei vgl. HKA, HQRes, K. 1, Nr. 10 (1646), Nr. 121, fol. 29-47. Die Kanzlei des Erzherzogs Leopold Wilhelm konnte während seiner Statthalterschaft in den Niederlanden zunächst an ihrem Orte im Rahmen des Hofquartiers bleiben (ebd., K. 2, Nr. 16 (1652), Nr. 231, fol. 77, 78v). Vgl. auch ebd., K. 3, Nr. 32 (1665), Nr. 533, wonach 1641 ein Quartier, das der Obersthofmarschall Starhemberg im Jun. 1641 erhielt, einer Kanzlei zugeschlagen worden war. 1112 HKA, HQRes, K. 1, Nr. 5 (1639), Nr. 23, fol. 60. Bittsteller waren neben dem Hofzahlmeister Thomas Eder auch der kaiserliche Kämmerer von Vrbna, der Reichshofrat Justus Gebhard, Bericht des Obersthofmarschalls an den Kaiser, 3. Mai 1639, placet vom 11. Mai 1639. 1113 HKA, HQRes, K. 3, Nr. 26 (1661), Nr. 453. Das Gutachten, Wien, 20. Apr. 1661, stellte fest, daß dem Hofkammerrat Selb das Quartier des verstorbenen Thomas Eder in der Marienbaum’schen Behausung, das er zum Teil selbst besaß, assigniert wurde. Da aber der jetzige Hofzahlmeister Miglio kein Quartier hatte, wurde ihm das Quartier gelassen. Auch die Kostenfrage sprach für diese Lösung. Das Hofkammergutachten in dieser Sache argumentierte denn auch nicht mit der Wohnung des Hofzahlmeisters, sondern mit dem Hofzahlamt. <?page no="307"?> 306 und Registratur. Auch nach zwei kaiserlichen Einquartierungsbefehlen vom 30. Oktober 1649 und 8. November 1649 stand eine adäquate Deckung des Raumbedarfs noch aus. Erst der Hinweis, daß auch die geheimen Angelegenheiten zu den Kanzlisten in deren Behausungen gingen, führte im Februar 1650 zu einem neuen Einquartierungsbefehl 1114 . Geheimhaltung als Argument für erhöhte räumliche Differenzierung fruchtete wohl nicht ohne Grund. Doch konnten die kaiserlichen Stellen auch ohne ersichtliche Absicht den Überblick verlieren. Veranschaulichen läßt sich dies am Beispiel des Umgangs mit der Bittschrift des kaiserlichen Leibschiffmeisters Hans Haydt, der 1652 nach langjährigem Warten um die Zahlung eines Besoldungsausstandes von 480 fl. bat. Mit der Bitte um einen Bericht wurde eine Abschrift von der Hofkammer an den Geheimen Rat und Oberststallmeister Losenstein übermittelt. Dieser leitete das Papier mit der gleichen Aufforderung an den Hoffuttermeister der Kaiserin Eleonora I. weiter, der als früherer Hoffutterschreiber - antwortete, daß Hayt 1634 mit monatlich 10 fl. bis zum Tod Ferdinands II. gedient habe; ob er aber eine Ordinanz gehabt habe, wisse er nicht. Losenstein schrieb darauf der Hofkammer, er wisse in der Sache nichts, obschon er früher das Oberststallmeisteramt verwaltet habe, aber auch der jetzige Hoffuttermeister wisse nichts, weshalb er mit dem beschriebenen Ergebnis den damaligen Futterschreiber vernommen habe. In der Rechnung des damaligen Hoffuttermeisters aber in der Hofbuchhalterei müßte etwas zu finden sein. Im übigen zweifle er am Besoldungsausstand, sei aber der unmaßgeblichen Meinung, man möge dem Bittsteller helfen, weil er „ganz abgebrent, ins Eüsserist Verderben, und Betelstab gerathen“ sei. Die Hofkammer bat daraufhin die niederösterreichische Buchhalterei um ihren Bericht und ein Gutachten. Der Hofbuchhaltereidirektor wies die Kammer darauf hin, das Hoffuttermeisteramt um Auskunft zu bitten. Daß dort nichts zu erfahren sei, wußte man jedoch bereits und so wiederholte die Hofkammer ihre Anfrage bereits am folgenden Tag. Daraufhin erstattete der Hofbuchhaltereidirektor Bericht: Die in der Hofbuchhalterei vermuteten Rechnungen seien in der niederösterreichischen Buchhalterei; weil die Futtermeisterausgaben in die innerösterreichische Buchhalterei gelangt seien, müsse man von dort aus einen Be- 1114 Franz Scheidler bat um ein Quartier für Kanzlei und Registratur; er müsse sein Amtsdomizil mit Weib und Kindern aus Böhmen nach Wien transferieren (HKA, HQRes, K. 1, Nr. 13 (1649), Nr. 156, fol. 162, Dekrete vom 20. Okt. und 8. Nov. fol. 163v). Möglicherweise war der Hinweis darauf, daß Kanzlisten, zu welchen die geheimen Sachen gehen würden, kümmerlich hausen würden, ein zusätzlicher Wink. <?page no="308"?> 307 richt abfordern. Weil aber in anderen Rechnungen von Futterschreiber und Futtermeister nichts zu finden sei, wäre es doch fraglich, ob man nicht dem Vorschlag Losensteins folgen und ein Almosen geben solle. Die Hofkammer retournierte den Bericht mit der Bitte um ein Gutachten, in dem der Hofkammerdirektor anstelle der Zahlung des Ausstandes in Anlehnung an Losenstein ein Almosen von 80 bis 100 fl. vorschlug. Dieser Vorschlag wurde - nachdem im Konzept des Referates die Hinweise auf die Gründe für das Fehlen sicherer Daten kaschiert worden waren - dem in Wien hinterlassenen Geheimen Rat unterbreitet, von diesem angenommen und zur Entscheidung an den auf Reisen befindlichen Kaiser weitergeleitet 1115 . b. Geld und Geschenke Bereits in der Hofordnung Kaiser Maximilians I. wurde dem Hofpersonal die Annahme von „miet“ (Schmiergeld) verboten. Die entsprechene Formulierung zeigt die ganze Bandbreite der Möglichkeiten: „Item wir seczen und ordnen auch, daß die obgemelten unser hofrete der canzler oder obrist und die andern zwen secretarien globen und sweren, daß ir keiner von niemand, wer der sei oder in was gestalt solichs beschehen möchte, kein miet oder gab von gelt gold oder geltzwert nehmen, desgleichen von keinem andern kunig fürsten herren oder stetten sold oder dinstgeld haben“ 1116 . Von niemandem durfte demnach Geldwertes angenommen werden. Nach der Hofordnung von 1537 wurden die Hofkammerräte darauf vereidigt, „das sie von niemands kain muet gab oder dergleichen vererung, in sachen ir amtshandlung betreffend, noch auch on unser vorwissen und zuelassen von andern fursten, herrn oder stetten kain provision noch dienstgeld nehmen“, doch sollte dieser Eid dem Personal „die vererungen, so inen von ern und nit sonders geniess wegen an fischen, wildpräten, wein und dergleichen beschehen, abstricken solle, darin wird dann ir jeder auch wol zu halten wissen werdet.“ 1117 Das Verbot wurde damit in zweierlei Hinsicht eingeschränkt: Lebensmittel und Ehrengeschenke waren erlaubt und die Entscheidung über die Annahme in das Gutdünken der Räte gestellt. In der Hofkammerordnung von 1568 wurde die Fassung von 1537 mit einigen Erweiterungen 1115 HKA, NÖK, rote Nr. 307, Aug. Sept. 1652, Akte Hayden. 1116 Entwurf zur Hofordnung von 1497, Fellner (1907b), S. 9. Vgl. zum Verhältnis von Schenken und Korruption Groebner (2000). 1117 Hofkammerinstruktion von 1537, § 2 (Fellner (1907b), S. 249, 250). <?page no="309"?> 308 grundsätzlich beibehalten 1118 , bevor es 1681 nach dem Prozeß gegen den Hofkammerpräsidenten Sinzendorf in bezug auf das gesamte Personal der Hofkammer verschärft wurde. Selbst die Annahme von Viktualien und Ehrengaben wurde untersagt und zum Ausgleich eine indirekte Erhöhung des Einkommens in Aussicht gestellt. Die Begründung macht die Tragweite des Einsatzes von Schmiergeldern 1119 deutlich: Vielfach mußte bereits die Annahme von Anliegen in der Kammer erkauft werden. Doch war das Problem nicht auf die Hofkammer beschränkt. Ein für Kaiser Matthias verfaßtes Gutachten zur Hofreform schlug schon 1611 für Geheime Räte und Reichshofräte deutliche Gehaltserhöhungen vor. Das für eine angemessene Lebenshaltung zu geringe Einkommen habe „den muneribus und corruptionibus die thür also eröffnet [...], dass sich etliche derselben anjitzo gar nit mehr schamen, anderes nicht daraus als uebel und zerrüttung erfolgt ist“ 1120 . Die geldwerte Zuwendung konnte als Ehrengabe eingeordnet werden; die Verbotsnorm hielt ihre eigene Nichtanwendung schließlich schon bereit. Für den Untersuchungszeitraum ist der Einsatz von Geld bei Hof vielfach belegt oder erschließbar 1121 , so daß es mir nicht unangemessen 1118 § 3 der Hofkammerinstruktion Maximilians II. (Fellner (1907b), S. 321); Die Abgrenzung privater und fiskalischer Geschäfte der Hofkammerräte wurde klarer geregelt. 1119 Hofkammerinstruktion von 1681, § 15: „Nachdeme uns zu grossen missfallen vorkomben, es auch die tägliche erfahrung gegeben, das bei ainigen bei unserer hofcamer das aigennuzige interesse dergestalt eingerissen, das ohne grossen schank- und verehrungen ainige partheien nicht vorkomben, vil weniger zu ainer expedition habe gelangen könen, wür aber dergleichen dergleichen […]abgestellte haben wollen, als befelchen wür hiemit ernstlich, das unsere hofcamerpraesident und räthe, secretarien und andere untergebene bediente sich hinfüro von annembung aller und jeder regalien und schankungen so unfehlbar und gewiss gänzlich enthalten“ (Fellner (1907b), S. 609, 610); nach § 81 sollte die Besoldung des Hofkammerpersonals nicht angehoben werden, aber „eine gewisse adjuta“ gereicht werden, „herentwegen alle zuunsern grosen schaden eingeschlichene verehrungen, sollicitaturn und dergleichen unser cameralbedienten gänzlich verbieten lassen“ (ebd., S. 654, 655). Weiter gebot die Ordnung, Akten nur in den Amtsräumen zu lesen, „und sonsten in keinem andern ort, vilweniger aber zu haus, weilen dardurch oft vil schriften verzogen oder wohl gar verloren werden.“ Ebd., § 4, S. 600. 1120 Die Geheimen Räte brauchten danach zur Erhaltung ihres Hauswesens über 3.000 fl. jährlich; das Gehalt der Reichshofräte sei auf 2.000 fl. zu erhöhen, da sonst nicht zu erwarten stehe, daß sich diese „von verbotenen schmieralien enthalten.“ Fellner (1907b), Nr. 21, S. 373, 379. Zur Diskussion der Korruption im „Princeps in Compendio“ Sturmberger (1979), S. 206, 207; dort gilt „corruptela“ als „causa, fons et origo omnium malorum“ (Bosbach (1991), S. 98, 99). Zum Zusammenhang zwischen Gehalt, Unterschlagung und Untreue bei Gutsbeamten vgl. Winkelbauer (1990). Nach Heilingsetzer (1970), S. 60, wollte Ferdinand III. „den ganzen hofstatt und sonderlich die doctores secretarios und cameralisten allen quartall richtig bezallen lassen, herentgegen wollen sie durchauß nicht, daß sie smiralien nemen, noch die parthein wie bishero beschehen aufziehen sollen, und hof zu gott die justitia soll ein besseren weg gewahren. So gibt’s auch in den antecamern und ritterstuben grosse reformationes.“ Vgl. zum Reformeifer Ferdinands III. auch Anm. 501 und 869. 1121 Gerade das Vermögen einiger Hofkammerleute wuchs in stärkerem Maße, als es aufgrund der regulären Einnahmen möglich gewesen wäre (vgl. allein den Hausbesitz, HKA, HQB). <?page no="310"?> 309 scheint zu betonen, daß der Kaiserhof nicht nur ein Ort der Aristokratie und Bürokratie war, sondern in jedem seiner Bereiche auch der einer entwickelten Plutokratie. Spätestens mit den Darlehen der Fugger und ihrer Nobilitierung unter Kaiser Karl V. trat die Offenheit der ständischen Ordnung für das gleichmachende Geld deutlich zutage und ist auch für den Kaiserhof des 17. Jahrhunderts grundsätzlich bekannt und nachgewiesen 1122 . Im Hinblick auf die systematische Tragweite für die formale Organisation Hofstaat läßt sich jedoch fragen, warum die unzweideutigen Verbotsnormen bezüglich des Geldes nur schwer griffen. Als ersten Gesichtpunkt möchte ich ein Medienargument hervorheben. Geldwerte Zuwendungen an Höflinge erfolgten häufig nicht in Form von Bargeld, das im Umlauf hier typischerweise Silbergeld war, sondern in Form von goldenen Gegenständen. Die handwerkliche Verarbeitung trat zum Symbolgehalt des Materials und dieser zum Geldwert hinzu und unterstützte die Interpretation der Schenkung als Ehrengabe, welche von 1537 bis 1681 ja erlaubt war. Das am Kaiserhof verbreitete Geschenk der goldenen Kette machte damit jede zweifelsfreie Interpreta- 1122 Vgl. Winkelbauer (1999a), S. 277-281. Die von den Geheimen Räten über den Hofkriegsratspräsidenten bis zum Kanzleipersonal reichende Spannweite der Vorteilsnahme bei Höflingen zeigen auch die Tagebücher von Dr. Johann Heinrich von Pflummern, der sich 1636 bis 1637 am Kaiserhof in Wien, Linz und Regensburg aufhielt (Semler (1950)). Der Versuch, einen in Südbaden rechtswidrig agierenden kaiserlichen Bediensteten über einen kaiserlichen Befehl in die Schranken zu weisen, wurde dadurch konterkariert, „daß herr graff Schlickh des kayserlichen kriegsraths praesident per munera, die ihme oder seiner gemahlin zugschmaicht worden, vom o. Vitzthumb starckh eingenommen worden, der nemme sich hinwiderumb deß Vitzthumb hitzig an vnd vermaine, daß dem könig nicht gebürt ein sollechen proceß mit dem Vitzthumb zu brauchen“ (Semler (1950), S. 283). Vgl. auch Pflummerns Notiz, daß er aus Geldmangel keine Einsicht in dessen Rechtfertigungsschrift erkaufen konnte („daß wir die communication erst mit gellt erkhauffen sollen, darzu wir aber wegen ausbleibenden wechselß dißmal keine mittel gehabt“) und deshalb dem Oberstkämmerer ein diesbezügliches Memorial für den Kaiser gab (Semler (1950), S. 283). Für kaiserliche Dekrete mußte dem zuständigen Personal wie dem ausfertigenden Kanzlisten neben der festgesetzten Taxe offenbar regelmäßig Geld zugewendet werden: „Ich hab in wahrhaitt große mühe anwenden vnd beneben auch waß spendirn müeßen, biß ich zu disem beschaidt gelangt, hab an ein ort 12 vnd daß ander 10 ducaten verehren müeßen vnd werde auch die expedition ein paar ducaten erfordern.“ Einen anderen Befehl habe er wiederum nur durch „nambhafftes spendirn“ von Kanzleipersonal erlangen können (Semler (1950), S. 317); über die nach Regensburg mitgereisten kaiserlichen Amtsträger berichtet er: „Es seye unglaublich, wie gelltdurstig jdermann seye, waß ich zu Wien mit einem thaler hette richten können, daß erfordere alhie 3 oder 4 mal so vil.“ Im Zusammenhang mit der Restitution Württembergs gab der Hofkammerpräsident ihm am 5. Jan. 1635 zu verstehen, daß die kaiserlichen Geheimen Räte „intereßirt gemacht würden“ und sie eher zur Restitution rieten, wenn sie „mit ettwaß güettern in Würtemberg devincirt. - Dargegen aber wir vermellt, daß dise gehaimbe räthe, wie man vernemme, berait so weitt disponirt, daß sie mit ettwaß gellt sich würden contentirn vnd abweisen laßen.“ Semler (1950), S. 231. Unter diesen Geheimen Räten waren der Hofkriegsratspräsident Schlick und Maximilian Graf Trauttmansdorff. Vgl. zur Restitution Press (1984), S. 424, 425, in diesem Zusammenhang zu Schlick und Trauttmansdorff Philippe (1976), S. 30. <?page no="311"?> 310 tion des Verhaltens von Beschenktem und Schenker unmöglich. Beide Seiten konnten sich mit Goldgeschenken im Rahmen der geltenden Normen halten und zudem Schenken und Empfangen, ohne über die Interpretation ein Einverständnis zu erzielen oder dieses gar zum Ausdruck bringen zu müssen. Selbst wenn der Konnex von Leistung und Gegenleistung eindeutig gegeben war, werden Symbolwert des goldenen Geschenks und Geldwert doch voneinander nicht getrennt: Die Aspekte wurden vielfach auch nicht weiter unterschieden, wie die Notiz des abgedankten Oberststallmeisters Ferdinands III. zeigt: „den 4. habe Ich mein decred von hof empfangen, darin Ihr Maÿ der König mier die 70.000 von meinen herrn den Kaiser conferirn, und zur abferdigung noch 30.000 fl. adiungiern, auch Selbige auf extraordinari mitel die Ich vorschlagen solle, anweisen. wegen disen expetition habe Ich den secredari Merbolden geben, ein ketten von 100 Cronen, und in die Canzeleÿ 12 Ducaten“ 1123 . Der in (Gold-)Kette und Goldmünze zum Ausdruck gebrachte Symbolwert und der Geldwert bleiben zwar unterscheidbar, gehen aber in eins. Der Umstand, daß in autobiographischen Skizzen und Verlassenschaftsaufstellungen nicht selten Goldketten und Goldgeschenke auftauchen 1124 , zeigt zudem, daß handwerklich verarbeitetes Gold nicht stets in den Wirtschaftskreislauf eingespeist wurde. Auch auf der Seite der Bewahrung des Goldgeschenks ließen und lassen sich somit Thesaurierung des Geldwertes und Erhaltung des Ehrenzeichens nicht trennen, da Gold typischerweise als Geldanlage im strengen Wortsinne dienen konnte, ohne die Referenz auf die erwiesene Ehre zu verlieren. In diesem Sinne unterlief das Goldgeschenk zumindest auf der Ebene der immer möglichen symbolischen Interpretation nicht die Normen des Hofstaats, sondern unterstützte - sichtbar - die wechselseitige Anerkennung der Ehre im Kreis der Höflinge. Zur Invisibilisierung der möglichen Konnexität von Geldwert und Gegenleistung trug auch der Umstand bei, daß Gabe und Gegenleistung zeitlich so auseinander gehalten wurden, daß 1123 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Jul. 1657. Kursive M.H. Merbold war Hofkammersekretär (HKA, HZAB 103, fol. 142-144). Daß in der Kanzlei mit Dukaten Gebühren bezahlt wurden, ist unwahrscheinlich; vgl. die Taxen der österreichischen Hofkanzlei und der Hofkammer (Fellner (1907b), S. 462-465, 327). 1124 Im Giornale des Geheimen Rates Werdenberg tauchen u.a. eine goldene Kette und ein goldener Pfennig auf, den ihm die niederösterreichischen Stände wegen seiner Bemühungen bei der Erbhuldigung 1622 schenkten (HHStA, FA GFE, Bd. 39, fol. 5). 1623 schenkte ihm der spanische Botschafter Oñate eine Kette mit Gnadenpfennig und ein Porträt des spanischen Königs. <?page no="312"?> 311 die Zurechnung des mitunter prophylaktischen Geschenks auf die Achtung vor der Person leichter möglich war. Die Habsburger gaben mit ihren Goldgeschenken ein Vorbild nicht nur im Sinne der Anerkennung der mitunter detailliert abgestuften und dabei an der Hierarchie des Hofstaats orientierten Ehre der Höflinge 1125 , auch sie agierten im Bedeutungsnebel des Symbols. Nicht selten läßt sich hierbei eine ausgeprägte Ergebnisorientierung ausmachen, wenn sie beispielsweise Schuldforderungen in Gnadenketten umwandelten, deren Materialwert niedriger war als die Forderungshöhe. Bei ihren Geschenken an Dritte, die nicht Mitglieder des Hofstaates waren, ging die Anerkennung der Mühewaltung im Sinne der Habsburger mit dem Einsatz als Erfolgsmedium nicht lediglich bei Königswahlen häufig einher 1126 . 1125 Ferdinand IV. schenkte dem kaiserlichen Obersthofmeister Trauttmansdorff anläßlich seiner böhmischen Krönung „etlich auswurfpfennig“ und ehrte ihn mit einem e.h. Dankschreiben, in dem er dessen Abwesenheit von der Krönung bedauerte; der älteste Sohn habe ihn aber gut bedient (AVA, FA TM, K. 18, Aa. 3, Nr. 81, Ferdinand IV. an Trauttmansdorff, Prag, 7. Aug. 1646). Zur auch nach Gold und Silber differenzierten Verteilung von Auswurfpfennigen anläßlich der böhmischen Krönung Leopolds I. im Jahr 1656 vgl. HKA, RsA, Fasz. 203, Konv. III., fol. 66-67v, 93v. Als der „Maestro di Camera“ des venezianischen Unterhändlers beim Westfälischen Frieden (vgl. Dollinger (1982)) 1649 in Paris den kaiserlichen Geheimen Rat Schwarzenberg traf und auf die wegen des Friedensschlusses versprochene kaiserliche Gnade ansprach, schlug letzterer dem Obersthofmeister vor, man solle ihn u.a. „mit einer mittelmeeßigen gülden Ketten“ abfertigen (AVA, FA TM, K. 141, Fr. 7, Nr. 34, fol. 124, Madrid, 30. Dez. 1649). 1126 Personal des diplomatischen Verkehrs wurde auch als Ausdruck der Wertschätzung des Entsenders besonders reich beschenkt. Der mitunter auch in diesem Zusammenhang verwendete Begriff der „gewissen“ Verehrung und der „geheimen Ausgabe“ zeigt jedoch, daß Geheimhaltung mitunter geboten war. So erhielt Freiherr Peter von Schwarzenberg regelmäßig nicht unerhebliche Gelder für Geschenke in der Schweiz, teils Ketten „zur Verehrung“, teils Bargeld (vgl. für 1633 bis 1635 HKA, HZAB 81, fol 224*, ebd., HZAB 80, fol. 420*). Bekannt sind die Zahlungen für die Wahl Leopolds I.; vgl. Pribram (1888); auch das kurfürstliche Personal bekam große Summen. Nach HKA, HZAB 103, fol. 330-343 wurden allein 1657 über 250.000 fl. in die Geheime Kammer gegeben, der ganz überwiegende Teil in Goldmünzen. Daneben nehmen sich goldene Ketten und sonstige Geschenke bescheiden aus, so eine Goldkette für einen sächsischen Edelmann (300 fl), für einen Oberstleutnant des Fürsten von Holstein (zuzüglich 500 Dukaten); 300 fl. bekam der Geheime Rat Nostiz für Informationsbeschaffung („Korrespondenz“), was an die Aufwendungen für die Wahl Ferdinands IV. zum römischen König erinnert, wobei u.a. Geschmeide, goldene und silberne Ketten und dergl. an die Kurbayerischen Abgesandten zu Prag gegeben wurden (HKA, HZAB 98 II, fol. 508, 509). Man erinnerte sich auch daran, daß man den kurfürstlichen Bediensteten wegen ihrer 1653 ausgesetzten kaiserlichen „Remuneration“ anläßlich der Wahl Ferdinands IV. Gelder assigniert, aber nur ausnahmsweise bezahlt hatte, was nun „in baaren geldt auf Abschlag“ nachzuholen sei; wieder wurde die direkte Geldübergabe in Form von Dukaten, also in Gold vorgenommen (HHStA, WKA, Fasz. 20 b ; Signatur auf Akt: 19 a / 10, Nr. 21). Vgl. Pribram (1888), S. 27-81, 119, 125, 129, und Wolf (1869), S. 91-94. Der Bedeutungsnebels der Symbole Gold, Geld, Geschenk blieb: Einige wenige Hinweise zu den frühen 1660er Jahren. 1665 wurden in die Geheime Kammer zahlreiche Ketten geliefert, unter den Empfängern waren vor allem kurbayerische und kurmainzer Bediente (HKA, HZAB 110, fol. 389). 1664 waren unter den Einstellungen in die kaiserliche Geheime Kammer vor allem Dukaten und goldene Ketten, darunter goldene Ketten für David Ungnad zur Verehrung an Abgesandte unterschiedlicher Reichsfür- <?page no="313"?> 312 Doch setzten auch sie selbst regelmäßig bloßes Geld ein, um Bedienstete anderer Fürsten für sich einzunehmen. Durch die Zuständigkeit des Oberstkämmerers und des ihm unterstellten Geheimen Kammerzahlmeisters für die geheimen Kammerausgaben und die dabei nicht stets ohne Bedacht aufscheinenden Lücken in den Nachweisen ist eine auch nur annähernd vollständige Darstellung solcher Zuwendungen von Habsburgern an Dritte nicht möglich. Doch macht das Sichtbare deutlich, daß nicht nur höherrangigen Amtsträgern kaum verborgen bleiben konnte, in welchem Maße Kaiser selbst taten, was sie weder entschieden noch eindeutig verboten 1127 . Solange Geldwerte in ehrbarer oder nicht allzu offensichtlicher Form den Besitzer wechselten, fühlten sie sich zum Eingreifen selten bemüßigt. Als aber nicht lediglich Gold, sondern auch Geld sichtbar wurde und nicht allein über Mittelsmänner floß, sondern in den Räumen der kaiserlichen Schlösser und den Wohnungen der Residenz vom rangniedrigen Dienstpersonal kaiserlichen Amtsträgern, Botschaftern und Besuchern abverlangt und offenbar auch gegeben wurde, schritten sie ein. Da ihm „solche eingerissene Mißbräuch zu nicht geringer verkleinerung dero kaÿl: hochheit geraichet“, wiederholte Ferdinand III. 1647 ein bereits 1644 erlassenes Dekret, in dem die Ansprüche auf Zahlung von Neujahrsverehrungen und ähnlichen Abgaben der niedrigen Hofbediensteten gegen das hochrangige Hofpersonal und Fremde unter Berufung auf die burgundische Tradition festgelegt wurden 1128 . Sichtbares Verlangen sten beim Reichstag in Regensburg im Wert von 2250 fl. (HKA, HZAB 109, fol. 248); vgl. zu Regensburg Kubitza (2000). 1663 gelangten Wertsachen, Edelmetalle und Geld im Wert von annähernd 200.000 fl. in die Geheime Kammer (HKA, HZAB 108, fol. 97-108), darunter ein Teil für goldene Ketten an Bedienstete fremder Herren. 1662 gingen etwa 240.000 fl. in die Geheime Kammer (HKA, HZAB 107, fol. 228-241), darunter goldene Ketten. 1127 Diese Ambivalenzen machten eine normorientierte Beobachtungsweise kaiserlicher wie adeliger Zuwendungspraxis unwahrscheinlich. Kaum ein Hofzahlamtsbuch des Untersuchungszeitraumes weist keine umfängliche Auflistung von Geschenken an Besucher des Hofes, Abgesandte, Bedienstete Dritter sowie eigene Höflinge oder Amtsträger der eigenen Landesverwaltungen auf. Reichweite und Wert dieser Gnaden waren so erheblich, daß man von einem - wohlstrukturierten - Dunstkreis symbolisch aufgeladener materieller Attraktivität sprechen kann, der von Lübeck bis Rom reichte und auch Madrid einschloß. Die Skala reichte von Diamantringen bis zu wenigen Gulden. Unter den kunsthandwerklichen aufwendigen Geschenken wurden unter Ferdinand II. goldene Ketten und Gießbecken, unter Ferdinand III. und Leopold I. eher Ketten bevorzugt. Die regelmäßige Verwendung der Golddukaten wurde in der Regel nicht spezifiziert. 1128 Der Kaiser habe „mit sonderbaarer befremdung und höchstem müßfahlen vernohmen, wasgestalten erst vor wenig Jahren hero, durch einer aufkhombenden müßbrach, der beraith vor dreÿ Jahren ergangenen allergdigisten resolution zuwider, underschidliche Partheÿen von dero hoffstatt sich understehen, von denen kaÿl: hochen und vornehmen officiren, Cammerern, Räthen, und Ministris, dann auch von denen anwesenden, und ankommenden Pottschaffteren, gesandten, residenten, Agenten, und Aventurieren nicht allein Jährlichen das neue <?page no="314"?> 313 nach Geld über die von der Hofordnung zugestandenen Ansprüche hinaus rührte an „scheuch“ und „schamb“ und deutet wie die Klage von 1611 darauf hin, daß für die Wahrung der Hofordnung auch im Hinblick auf prekäre pekuniäre Regeln das persönliche Ehrgefühl mobilisiert werden konnte. Maximilian Graf von Trauttmansdorff stellte 1646 mit der Einholung der Erlaubis Ferdinands III. für die Entgegennahme von 1.000 Dukaten, welche ihm die Stadt Bremen „verehren“ wolle, gleichwohl eher eine Ausnahme dar. Ferdinand III. schrieb ihm denn auch, er hätte „ein mehrers verdient“ und könne es „ohn alle bedenckhen wohl annemen.“ 1129 Im übrigen duldeten die Kaiser die Entgegennahme von Geschenken vielfach selbst dann, wenn allgemein Klage geführt wurde und man die Höhe der Schmiergelder aus bekannten Präzedenzfällen in etwa abschätzen konnte. So zog vor allem der österreichische Hofkanzler Prickhelmayer offene Beschwerden auf sich. Da er ein homo novus war, konnte man sich über ihn leicht empören und ein ebenso allgemeines wie strukturell bedingtes Phänomen auf den verdorbenen Charakter des neuen Amtsadels zurechnen. Erst gegen Ende seiner Amtszeit stellte Ferdinand III. ihm möglicherweise auch zum Zweck der besseren Kontrolle Personal zur Seite 1130 . Im allgemeinen Wissen um die Praxis unterblieb Jahr, sondern auch von offenen und privat Audienzen die verehrung und Mancia mit hochstem ungestümb einzufordern, und gleich samb als aine schuldigkheit ohne scheuch zu exigieren derentwegen dieselbe in Ihren Quartieren, losamenteren und gastheüsern importunieren und anlauffen solle.“ Es folgt die Abschrift des in Linz 1644 publizierten Patents, vgl. Anm. 1019. 1129 AVA, FA TM, K. 125, Konv. Bb. 4c, fol. 129, Ferdinand III. Trauttmansdorff, Preßburg, 16. Okt. 1646. Er habe gehört, daß Trauttmansdorff die Dukaten ohne sein Wissen und seine Einwilligung nicht annehmen wolle. Trauttmansdorff teilte dem Kaiser später mit, daß er die Erlaubnis erhalten habe und nun annehmen werde (ebd., Konzept, Münster, 9. Nov. 1646, fol. 130). Trauttmansdorff stand in den 1630er Jahren neben dem Obersthofmeister Meggau und anderen auf der Liste der Empfänger einer spanischen Pension von jährlich 1500 fl. (Ernst (1991), S. 278; vgl. auch Hiller (1992), S. 26, 27). Der Ruf der Unbestechlichkeit war Trauttmansdorff so wichtig, daß er diese in den Rechenschaftsbericht über seine Tätigkeit in Münster aufnahm („so mir von E. K. M. reichsstendt unndt erblandten wegen des geschlosenen fridt freywillig mit E. K. M. einwilligung geschenkht wierdt“, Hervorhebung M.H.; Dickmann (1962), S. 456). Gundaker von Liechtenstein versuchte, einem Reichshofrat, dem er 100 Reichstaler „occulto“ schenken wollte, die Wahrung des Scheines der Unbestechlichkeit durch eine Geldübergabe durch einen Agenten zu erleichtern, der sagen solle, daß er nicht wisse, warum er das Geld übergebe (Winkelbauer (1999a), S. 278). Den Tod eines Reichskanzleikonzipisten beklagte Pflummern wegen dessen Unbestechlichkeit: „Disen todt hatt meniglich betaurt, weiln diser herr, multis quasi è millibus unus, meniglich ohne geschenckh vnd corruption mit willen gedient“ (Semler (1950), S. 245; zu Ferre ebd., S. 244, Anm. 707). 1130 Vgl. Schwarz (1943), S. 322-325; Fiedler (1866), S. 402, der Kaiser wisse um Prickhelmayers Käuflichkeit. Da er ihn sich selbst gegenüber aber für „fedele“ halte, lasse er ihn gewähren, gab ihm aber altershalber und zur Kontrolle „due Assistenti“; zu diesem Zeitpunkt war er in den Freiherrenstand erhoben (Goldegg) und etwa 65 Jahre alt († 26. Aug. 1656). Raimondo <?page no="315"?> 314 fast jede Verfolgung ebenso wie die in finanzieller Hinsicht nicht wirklich zwingend erforderliche Anpassung der Gehälter an das bereits 1611 als notwendig erachtete Niveau 1131 . Bedeutsam erscheint mir der Umstand, daß der Einsatz von Geld zur Motivation des Handelns kaiserlicher und landesfürstlicher Behörden augenscheinlich machte, daß der Katalog formell vorgegebener Kriterien, nach welchem einer nicht zu bewältigenden Zahl von Geschäftsfällen am Kaiserhof Prioritäten zugeteilt wurden, bei weitem nicht ausreichte, um eine auch materiell in der Hofordnung oder Instruktionen begründete Reihung herzustellen. Die Erstellung der Prioritätenlisten für die Bearbeitung von Gegenständen war im wesentlichen Sache der Behördenchefs 1132 . Daß aber sowohl in formeller wie materieller Hinsicht bei der Bearbeitung von Anliegen weder das 1611 vertretene Programm „salus populi summa lex esto! “ 1133 noch das Programm des Nutzens für Kaiser, Haus und Land 1134 eindeutige Ergebnisse zeitigen, sondern auf sehr vielen Ebenen „das privatum interesse“ 1135 des einen oder anderen sich irgendwie Geltung verschaffen würde, war am Kaiserhof des 17. Jahrhunderts ein Erfahrungssatz. Ausgleichende Zuwendun- Montecucoli berichtete von der altershalben Beifügung des „Assistenten” (SOA Zamrsk, RA PC, Inv. #. 12535 19/ 2, Wien, 1. Aug. 1654, Montecuoli an Ottavio Piccolomini), Sattler erwähnte einen beigestellten Doktor (ebd., Inv. #. 12718 20/ 1, Sattler an Piccolomini, Wien, 5. Aug. 1654). Dem Kardinal Harrach dankte Prickhelmayer brieflich für 500 fl. und deutete die Geltendmachung von Einfluß auf die Ernennung Harrachs zum Geheimen Rat an: Er teilte im Postskriptum mit, der Kaiser wolle Harrach in den Geheimen Rat aufnehmen, „weillen die österreicher umb ainen so vornemben Patron mehr bekhomben, wan nuer dß Pragerische Ertzbistumb nit ander werths hinzieht.“ AVA, FA HR, K. 445, Prag, 2. Jun. 1648. Als Gundaker von Liechtenstein die Erlangung von Session und Votum im Reichstag betrieb und nach einer gefürsteten Grafschaft suchte, äußerte er, dafür brauche man Goldegg und müsse ihm mehrere tausend Gulden versprechen; vom Fürsten Eggenberg habe Goldegg 10.000 fl. erhalten (Winkelbauer (1999a), S. 330). Noflatscher (1988), S. 480, konstatiert für den Hofkanzler Hocher „einen erdrückenden Einfluß“ auf Standeserhöhungen. 1131 Ferdinand III. war wie gesehen bei Regierungsantritt auf die Beseitigung des Problems bedacht, erhöhte einige Gehälter und erließ wie Rudolf II. ein Strafedikt gegen zweifelhaften Gelderwerb von Beamten (Fellner (1907b), S. 595); der Zuschuß von 300 fl. zum Grundgehalt der 1.000 fl., den die Reichshofräte unter Ferdinand II. erhielten, wurde mit der Zeit Teil der gewöhnlichen Besoldung. Zum Anstieg der Gehälter der Geheimen Räte, Obersthofmeister und anderer Höflinge im 17. Jahrhundert vgl. Schwarz (1943), S. 193-195, zur Ajuta für Hofkammerpersonal anstelle der Gehaltserhöhung 1681 und dem Schmiergeldproblem vgl. Anm. Fellner (1907b), S. 609, 610, 653-655. 1132 Nur wenige Aspekte wie die verfahrensmäßige Bevorzugung armer Parteien, der Kriegsfinanzierung und der Füllung der Geheimen Kasse gaben materielle Anhaltspunkte. 1133 Fellner (1907b), Nr. 24, S. 374. 1134 „uns und unsern geliebten kais. sonen und erben, auch unsern künigreichen landen und leuten hinfuran zu merer frucht nutz gueten trost auch aller wolfart“ Hofkammerinstruktion von 1568 (Fellner (1907b), S. 319). 1135 Hofkammerordnung von 1681 (Fellner (1907b), S. 597). <?page no="316"?> 315 gen an Zuständige konnten so den Charakter einer defensio iuris annehmen und der Schwerpunkt scheint nicht auf materiell widerrechtliches Handeln abgezielt zu haben, sondern auf Zeitvorteile und die Nutzung von Ermessensspielräumen bei der Produktion und Exekution von Recht. Deshalb war es nicht ausgeschlossen, daß sie wie bei Gundaker von Liechtenstein in bestem Gewissen erfolgten 1136 und desungeachtet für die Perpetuierung von „uebel und zerrüttung“ 1137 sorgten. Erst als überdeutlich wurde, daß der Hofkammerpräsident Sinzendorf nicht nur Höflinge und Dritte zu mitunter erheblichen Aufwendungen und zu Bestechung veranlaßte, sondern darüber hinaus das kaiserliche Vermögen wesentlich geschmälert hatte, kam es zur Reform der Hofkammer auch in bezug auf diesen Punkt. Verboten wurde aber nicht nur wie oben angedeutet die Annahme von geldwerten Vorteilen: Der Versuch der Abstellung dieser Praxis bot 1681 die Gelegenheit, andere nicht minder wirksame Medien zumindest im Bereich der Hofkammer gleich mit unter Berücksichtigungsverbot zu stellen: „Wan sich auch zuetruege, das eine sach vorkombete, die unsers camerpraesidentens und camerräthe gebrüeder und andere nechste befreundte quoad secundum gradum consanguinitatis vel affinitatis inclusive antreffe oder si selbst darbei interessiert weren, so werden si die bescheidenheit zu gebrauchen wissen, das si selbst im rath aufstehen und die andern dieselbe sach handlen lassen, wie dan das widrige mit straf angesechen werden sollte“ 1138 . Statuiert wurde damit die Vermutung der Parteilichkeit bis in den zweiten Verwandtschaftsgrad; dies war ein Mittelweg zwischen dem, was sich an familienbasierter Verwendung beobachten ließ und dem, was sich in Anbetracht familialer Vernetzung im Hofstaat überhaupt realisieren ließ 1139 . Die Beobachtung der mißbräuchlichen Ordnungsleistung des Geldes organisierte die Sichtbarmachung von anderen im Hofstaat wirksamen Faktoren der Stiftung von Ordnung gleich mit. Formale Ordnung, Familie und Geld gewannen so als verschiedene Normbereiche klarere und gegeneinander absetzbare Konturen. Die Möglichkeit, Gabe und Wir- 1136 So beurteilt Winkelbauer (1999a), S. 281, die Zahlung von Gundaker von Liechtenstein an diverse Reichshofräte, konzediert jedoch, daß dieser sich bei allem, was er tat, im Recht fühlte. Sein Insistieren auf der Redlichkeit von Räten bei der Reform der Hofkammer unter Kaiser Matthias (ebd., S. 208) lag schon einige Zeit zurück, als er sich im Jahr 1646 den Empfang von „Laudemien“ von diversen Reichshofräten quittieren ließ (ebd., S. 279, 280). 1137 Gutachten zur Reformation des Hofstaats von 1611 in bezug auf die Korruptibilität der Geheimen Räte (Fellner (1907b), Nr. 24, S. 373). 1138 Hofkammerinstruktion von 1681, § 14 (Fellner (1907b), S. 609). 1139 Bei einem Ausschluß von Beteiligten im vierten oder fünften Grad von Verwandschaft und Verschwägerung wäre der Geheime Rat arg geschrumpft. Vgl. Schwarz (1943), Tafel I-VIII. <?page no="317"?> 316 kungen von Schmiergeldern zu beobachten und daraus Erklärungsmuster für das Funktionieren des Hofstaats zu erproben, brachte dem kaiserlichen Hofstaat paradoxerweise einen ganz erheblichen Gewinn an Transparenz 1140 . So wurde es möglich, Reformvorhaben denjenigen aufzutragen, die in geringerem Maße über die der formalen Organisation schädlichen Ressourcen verfügten. Leopold I. gab die Ausarbeitung der Hofkammerinstruktion von 1681 vornehmlich in die Hände von Personen, die nicht dem Hochadel entstammten und zog mehrere Amtsträger der hofstaatsexternen Finanzverwaltung hinzu. Deren Möglichkeiten zur Ausbildung von lohnenden Reziprozitäten gegenüber bei Hof agierenden und hochadeligen Räten waren begeschränkt. Bei der Formulierung der neuen Hofkammerinstruktion kamen nur drei von elf Personen aus dem alten Hochadel, obschon die Reform von einem durch den verbannten Hofkammerpräsidenten übervorteilten Angehörigen des niederösterreichischen Herrenstandes angestoßen worden war 1141 . Das Problem des Geldes im Hofstaat macht gleich mehrere Schwierigkeiten bei der Anpassung des ehedem primär landsässig-feudalen Adels an die Teilnahmebedingungen des Hofstaats sichtbar. Es wird deutlich, wieviel Boden der Hofadel dem Adelsstand als Kriterium sozialer Differenzierung an Bedeutung dadurch entzogen hatte, daß er sich in diesem hohen Maße auf Geld im Hofstaat eingelassen hatte. Besonders betonen würde ich dabei die Bedeutung zeitlicher Engführung von Konnexitäten. Familiale Bindungen waren notwendigerweise langfristig angelegt, der Zugriff auf die Ressourcen eines Hofamtes und die hierüber erzielbaren zusätzlichen Zuwendungen war zeitlich begrenzt, so daß anstelle von Verwandtschaft und Freundschaft vermehrt Partnerschaften geschmiedet werden mußten. Damit wird ersichtlich, wie sehr der in Gestalt verschiedener Hofämter differenzierte Zugang zu und Be- 1140 Die Zurückweisung eines Schmiergeldangebotes durch den Hofkammersekretär Wagner ermöglichte Gundaker von Liechtenstein eine eindeutige Kausalannahme für die Langsamkeit der Erledigung seiner Anliegen in der Hofkammer: „Dises thuet der Wagner, ungeacht ich ihm ein namhaftes honorarium, wover er mein anbringen zu schleiniger guter expedition befürdert, zugesagt.“ Winkelbauer (1999a), S. 278, 279. 1141 Heinrich Wilhelm Graf von Starhemberg, Johann Hartwig Graf von Nostiz und Albrecht Graf von Zinzendorff. Hocher war erst in den Freiherrenstand erhoben worden, die übrigen waren Niederadelige oder Bürgerliche vornehmlich aus dem Bereich der Finanzverwaltung (Fellner (1907b), S. 597; zu Hocher vgl. auch Noflatscher (1988), S. 475-480). So sollte vermutlich verhindert werden, was der Autor der Reformvorschläge von 1611 vorausgeahnt hatte: „Dieweil aber ieziger Zeit die kais. M t . und der kai. hof nit allein mit hiezu [einer Reform, M.H.] tauglichen leuten nit versehen, sonder es sein auch diejenige kais. räth und officierer, die sich der hocameradministration bishero und noch underfangen, also beschaffen, das sie selbst der reformation bedürftig, und es derwegen bei ir kais. M t . dahin dirigieren werden, das man gar zu keiner reformatio schreiten thue.“ <?page no="318"?> 317 darf an Geld die Stärke und Reichweite althergebrachter sozialer Bindungen in der Adelsgesellschaft verringerte - die ständisch-korporative Ordnung hatte zahlreiche Märkte über lange Zeiträume sehr effektiv abgedichtet, die nun mit klingender Münze geöffnet wurden. Die von Höflingen gepflegte über tatsächliche verwandtschaftliche Beziehungen ausgreifende Semantik von Verwandtschaft und Freundschaft verdeckte nur mit einem dünnen Schleier, daß Ressourcen nunmehr aus „Kompetenzen ‚abgezweigt’“ wurden, welche Positionen in Organisationen zur Verfügung stellten 1142 . 3. Reden und reden lassen Die im Jahr 1621 ausgestellte Instruktion für den Nuntius Caraffa am Kaiserhof gab diesem auf, unablässig den Beichtvater Ferdinands II. im Blick zu behalten und bezog sich dabei auf „i suoi discorsi, e consegli” 1143 . Die in dieser Instruktion ins Blickfeld des Nuntius gerückten „discorsi“ blieben im Zentrum der Aufmerksamkeit: Nicht nur 1653 berichtete etwa der spätere Nuntius Pannochieschi nach Rom explizit über die „discorsi che intanto si fanno alla Corte“ 1144 . Belege für die Aufmerksamkeit von Botschaftern und Höflingen für diverse „discorsi“ lassen sich fast beliebig vermehren. Dies deutet an, daß vor dem Hintergrund der elastischen Programmierung des Kaiserhofes für jedes von Höflingen 1142 Auch für den Kaiserhof ist zu beobachten „daß die Gewohnheit, in Netzwerken der Hilfe, der Förderung und der erwartbaren Dienstbarkeit zu denken, erhalten geblieben, aber von der gesellschaftlichen Stratifikation auf die Organisationen übertragen worden ist. Die ‚ansprechbaren’ Ressourcen liegen jetzt nicht im Eigentum, im Prestige der Familie, in der Verpflichtung durch Herkunft und in den sozial weiterreichenden Kontakten einer Oberschicht. Sie werden vielmehr aus den Kompetenzen ‚abgezweigt’, die Positionen in Organisationen zur Verfügung stellen.“ Luhmann (1995), S. 22. Der Vergleich mit dieser Analyse von Kausalattributionen im heutigen Süditalien macht darauf aufmerksam, daß die Korruptibilität des kaiserlichen Hofadels eine beachtliche Anpassungsleistung im Zuge der Umstellung von einer feudalen auf eine funktional differenzierte Gesellschaft darstellt. Für die von Maczak (1991), S. 317, aufgeworfene Frage nach der Modifikation von Patronageverhältnissen durch Geldwirtschaft rückt eine Antwort damit näher: Geld untergräbt langfristige Patronagebeziehungen, weil saldierende Punkt-zu-Punkt-Beobachtungen möglich werden. Pfister ordnet denn auch Klientelismus an der Schnittstelle von „Familismus“, formalen staatlichen Institutionen, Brauchtum/ Ideologie und Korruption an den Achsen Universalismus/ Partikularismus und Institutionalisierungsgrad ein (Pfister (1992), S. 53-65). Zur Aufweichung des Codes der Ehre durch Geld im 18. Jahrhundert vgl. Dinges (1994). 1143 ASV, Vat. lat. 13416, Instruktion vom 12. Apr. 1621 für Carlo Caraffa, designierten Nuntius bei Kaiser Ferdinand II., fol. 135-177, Abschrift, hier: fol. 173v. 1144 ASV, FP, 210, fol. 22v, Kopialbuch der Briefe des Nuntius Pannochieschi an Pamphilij, Jan. 1653. „Corte“ wurde selbst Zurechnungseinheit („li discorsi che faceua la Corte“, BAV, Vat. lat. 10423, fol. 259); Belegstellen wären beinahe beliebig vermehrbar. <?page no="319"?> 318 gesprochene oder gehörte Wort die Anfangsvermutung einer jeweils zu prüfenden Relevanz bestand. So nimmt es nicht wunder, daß der Begriff „Corte“ in Gesandtenberichten nicht nur eine Konnotation mit zeremoniellem Handeln aufweist, sondern besonders als Subjekt des Sehens verwendet wird („uista di tutta la Corte“) 1145 . Dabei ist hervorzuheben, daß das gemeinsame Auftreten der Begriffe „Corte“ und „discorso“ mit der Bezeichnung der kaiserlichen Amtsträger als „Ministri“ einherging, während bei Bezügen auf zeremonielle Fragen „Corte“ und „Cavagliere“ zusammengezogen wurden 1146 . Wenn die Zurechnungseinheit Hof sprach, verschob sich der Akzent auf die bei Hof betriebenen Angelegenheiten und Geschäfte, was deutlich macht, daß neben der Wahrnehmung des Hofstaats als einem durch zeremonielles Handeln charakterisierten Verband von Höflingen eine Wahrnehmung des Hofes als „Konversationsmaschine“ stand 1147 . Die „affabilitas“ des Fürsten war nur eine - wenn auch besonders relevante - unter anderen. Es ist bezeichnend für diese Kultur des Redens, daß Personen, die ihren Themen nicht genügend Aufmerksamkeit verschaffen konnten, zur Verbreitung von Schriftstücken und mitunter zum Druck derselben griffen, um damit die Relevanz von gemiedenen Gesprächsstoffen sichtbar zu machen: Weil ein polnischer Sondergesandter wegen zeremoniellbedingter Nichtzulassung zur Audienz seinen Vortrag bei Ferdinand III. nicht halten konnte, ließ er die Rede drucken und verschenkte die Exemplare 1148 . Schriftlichkeit erweist sich für den Kaiserhof als partiell subsidiär, obschon ein Blick auf die Gesprächstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts deutlich macht, daß das Gespräch als wichtiger Operationsmodus sozialer Strukturbildung betrachtet wurde. Mit der Betrachtung von Elementen der Kontaktstruktur von Höflingen wird auch eine Voraussetzung dafür geschaffen, die Funktion der Diskrepanz zwischen formaler und informaler Struktur des Hofstaats zu konturieren. Formale Kontakte zwischen Höflingen waren in der Hofordnung nur vergleichsweise spärlich vorgezeichnet - v.a. für Gremiensitzungen, für den Austausch in Über- und Unterordnungsverhältnissen, 1145 „in uista di tutta la Corte“ setzte der venezianische Botschafter Grimani gegen den Fürsten von Pfalz-Neuburg sein Präzedenz durch (Fiedler (1866), S. 245), in „uista di tutta la Corte“ mußte der neue spanische Botschafter ein zeremonielles Recht, das sein Vorgänger durchgesetzt hatten, aufgeben (Fiedler (1866), S. 240). Vgl. auch die Formulierung: „con osseruatione di tutta la Corte“ (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 309). 1146 Begriffsanalyse anhand von BAV, Vat. lat. 10423. 1147 Zum Begriff Berger (1997), S. 163. 1148 „l’oratione in ogni modo fù uista, perche la fece stampare, e ne regalo poi tutta la Corte“ (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 149v). Vgl. Fiedler (1866), S. 250. <?page no="320"?> 319 für Kommissionen. Auch in den Vorzimmern war das leise Sprechen nur toleriert, einen generellen Gesprächsauftrag gab es dort nicht - ohne die Einbindung in die Gesprächskreise der Höflinge aber waren Aufenthalte bei Hof wenig aussichtsreich; so wurde der Grund für die Abreise des genuesischen Abgesandten Montwerd wie oben beschrieben darin gesehen, daß er zu wenig Kontakte hatte knüpfen können 1149 . Für eine Operationalisierung von Ansätzen wie der Theorie kommunikativer Gattungen oder soziometrischer Ansätze zu interaktionsrelevanten Körperhaltungen reicht das Quellenmaterial nicht einmal ansatzweise aus - der linguistic turn schafft zwar ein Problembewußtsein, Lösungen aber finden sich allenfalls bei der Beobachtung von Beobachtungen, die meist nur äußerst ausschnitthaft und zudem auf Fürsten zugeschnitten sind 1150 . Desungeachtet läßt sich die Frage nach dem Funktionieren der „Kommunikationsmaschine“ Hof als Frage nach der durch den Hofstaat präfiguierten Kontaktstruktur spezifizieren. Bezogen auf Kommunikation unter Anwesenden geht es um Implikationen der Hofordnungen für die Kontaktdichte und ihre Reichweite 1151 . Das Problem läßt sich exemplarisch an einem Schreiben des Reichshofrats und kaiserlichen Kämmerers Leopold Wilhelm Graf Königsegg vom Reichstag in Regensburg an Franz Albrecht Graf Harrach vom Januar 1664 verdeutlichen. Königsegg versicherte darin, er wolle sich um ein Anliegen Harrachs beim schwäbischen Reichsgrafenkolleg kümmern und fuhr fort: „ich mueß bekennen, daß mich nit ein wenig mortificiert, daß bei meiner hissigen 4. wechigen Anwesenheit mich die maiste kaÿsl: ministri, fürsten, und Herrn, thails persönlich: besuecht, thailß durch die ienige besuchen lassen, der Herr franz Augustin von Waldstain aber der ainige von allen Cammerherren, ob wohlen er wohl 20. mahl bei meinemb haußsvorüber gefaren, mier nie einmahlen die ehr gethan hat sich nur ain ainigs mahl meines Zustands zubefragen; ich schreibe Euch 1149 Über den Abzug des Gesandten berichtete die Nuntiatur nach Rom am 22. Jan. 1650: „Parti di qua il Baron di Montwerd malissimo sodisfatto di questa Corte, parendoli di haver trovato troppo poca corrispondenza“ (ASV, SG, 148). 1150 Hier wäre insbesondere an Regeln für die Interaktion zwischen Fürst und Untertanen einschließlich des Adels zu denken, wie sie etwa im Fürstenspiegel für den jungen Ferdinand III. von Ambrosius Roggerius niedergelegt ist („Cap. XI. Qualiter se habere debeat ad illos qui sunt circa ipsum, scilicet consiliarios et Iudices“, vgl. Repgen (1990), S. 480). Vgl. auch die diesbezüglichen Instruktionen für die Obersthofmeister der jungen Erzherzöge, Kap. B.I.3.d. 1151 Luhmann (1999), S. 273, weist darauf hin, daß die Diskrepanz zwischen formaler und informaler Kontaktstruktur für Organisationen sehr nützlich sein kann. <?page no="321"?> 320 so im Vertrauen, weil Ihr vom alten Hofstaat seid und meiner Zeit.“ 1152 Königsegg war 1653 Reichshofrat geworden und hatte damit Gelegenheit gehabt, mit Harrach in Kontakt zu treten, der zu jener Zeit Oberstjägermeiser war und unter Ferdinand III. noch Oberststallmeister wurde. Diese Jahre gemeinsamen Dienstes im Hofstaat des verstorbenen Kaisers reichten aus, um einen Anknüpfungspunkt für ein positiv bewertetes persönliches Verhältnis zu bieten („Vertrauen“) 1153 . Zum anderen belegt der Brief die Existenz von Erwartungshaltungen bezüglich der Kontakte zwischen Hofleuten außerhalb des Palastes auf der Grundlage gegenseitiger Visiten bzw. Vertretungsvisiten der Amtsträger. Bemerkenswert ist dabei, daß diese Besuche offenbar mit einer solchen Sicherheit abgestattet wurden, daß ihr Ausbleiben als Verletzung der persönlichen Ehrerbietungsansprüche gelten konnte 1154 . Mitglieder des Kaiserhofes sahen sich damit grundsätzlich der Erwartung ausgesetzt, andere Mitglieder ähnlichen Standes mit einem Mindestmaß an persönlich ausgestaltetem Kontakt zu beehren. Indem sie diesen Erwartungen entsprachen, wurde über die unmittelbar amtsbezogenen Kontakte hinaus, die ja etwa in diesem Beispiel, zwischen einem Oberststallmeister und einem Reichshofrat, keinerlei Kontakte stifteten, eine weitgehende Vernetzung erreicht. Davon, daß die Höflinge sich untereinander kannten, konnte ausgegangen werden, aber nicht mehr davon, daß Informationen über Interaktion für das Funktionieren des Hofstaats hinreichend verteilt werden konnten 1155 . 1152 AVA, FA HR, K. 444, Königsegg an, Regensburg, 30. Jan. 1664. Als Harrach, zu dieser Zeit Oberstjägermeister, im Sept. 1653 von Wien aufbrach, verbrachte er einen Tag mit Abschiedsbesuchen: „aller ohrten urlaub genohmen“ (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 28. Sept. 1653). 1153 Zum Vertrauen als Medium sozialer Strukturbildung Luhmann (1989). 1154 Die Symbolisierung von Interaktionsbereitschaft findet sich in Form der Eigenhändigkeit auch in Schriftlichkeit. Der Obersthofmeister Lobkowitz entschuldigte sich bei Franz Albrecht Harrach in einem e.h. Postskriptum dafür, daß er (anders als sonst) nicht eigenhändig schreibe; aus dem eigenhändigen Postskriptum solle Harrach seine günstige Neigung erkennen (AVA, FA HR, K. 445, Lobkowitz an Harrach, Innsbruck, 18. Okt. 1665). Die Hinweise unter den meist nicht e.h. Briefen des innerösterreichischen Hofkammerpräsidenten Dietrichstein an den Obersthofmeister Trauttmansdorff auf Krankheiten entschuldigen die Nichteigenhändigkeit und heben sie auf; auch in einem Schreiben an Wolf Engelbrecht Graf Auersperg entschuldigte sich Dietrichstein dafür, daß der Brief nicht eigenhändig ge- und unterschrieben war (HHStA, FA AP, A-21-5a, Dietrichstein an Auersperg, Graz, 29. Apr. 1652). 1155 Leopold I. ging davon aus, daß sein Botschafter in Spanien den in einem Duell getöteten Ferdinand Victor Teuffel „ohne Zweifel kennen“ würde (Leopold I. an Pötting (Pribram (1903), S. 31), Wien, 29. Nov. 1663). Teuffel und Pötting waren bereits in den 1650er Jahren Höflinge. Der Obersthofmarschall Starhemberg dagegen bekam über Interaktion offenbar nicht mehr stets mit, wie mit neu ankommenden Botschaftern zu verfahren sei und beklagte, er erhalte Weisungen zu spät (Heilingsetzer (1970), S. 65, Strobl-Albeg (1908), S. 61). <?page no="322"?> 321 Der Begriff des Netzwerkes ist als analytischer Begriff erfolgreich und auch in der historischen Forschung mit Ertrag rezipiert worden 1156 . Daß der Begriff bei der historischen Umsetzung jedoch oft Metapher (die eigentliche Frage richtet sich ja nicht auf das Netz, sondern auf seine Wirkung) bleibt, liegt vor allem in den Diskrepanzen zwischen der Schärfe des Analyseinstrumentariums und den Möglichkeiten der Generierung ausreichender und zudem dynamischer Datensätze. Die Möglichkeit, auszurechnen, was nicht anhand anderer Indikatoren in ähnlicher Weise beschrieben werden kann, setzt bei netzwerktheoretischen Politikfeldanalysen Datensätze mit einem Vollständigkeitsgrad von annähernd 100% voraus. An Treffen wie das an der Donaubrücke zwischen Karl Fürst Liechtenstein nach seiner Abreise von Wien und den auf der Jagd vorbeireitenden Herren Trautson, Pálffy, Windischgrätz, Breuner und dem Landjägermeister würde man freilich kaum gedacht haben 1157 ; in nicht einmal zehn Fällen können wir für Ferdinand III. bestimmen, welche Kämmerer zusammen den Wochendienst versahen 1158 . Für den Kaiserhof folgt daraus die Ausweisung der Bereiche des Nichtwissens und eine Verknüpfung des heuristischen Potentials der Netzwerkmetapher mit dem für einen einzelnen Machbaren 1159 . Vor diesem Hintergrund möchte ich im folgendenden den Kontakten von Höflingen nachgehen, wobei im Sinne der Fragestellung dieses Kapitels die Differenz zwischen formaler Organisation und faktischem Verhalten hervorgehoben werden soll 1160 . Dabei wird von den in der Hofordnung vorstrukturierten Pfaden und Verdichtungen von Kommunikation ausgegangen und ihrer Reichweite an Beispielen in der Residenz und auf dem Land nachgegangen. So gilt es auch hier zu zeigen, inwieweit Elemente der Stellenstruktur des Hofstaats wie formalisierte Zuständigkeiten und Kommunikationsnetze die Entwicklung informaler Verhaltensweisen nach sich zogen. 1156 Reinhard (1996b); Reinhard (1996a); Le Roy Ladurie (1976); Pappi (1984), Kappelhoff (1987), Nolte (1989), Scott (1991), Kappelhoff (1993), Pappi (1993). Topolski (1989), S. 24, betont, daß für Einzelstudien von ‚Patronage und Klientel’ wegen der weiten Verbreitung von Phänomenen, die unter diesen Begriff zu bringen sind, eine trennscharfe Definition einerseits und andererseits eine theoretische Einbettung erforderlich sei. Bei Gesellschaften, die für ihre eigene Beschreibung diese Semantik verwenden, ist aber gerade die Dynamik der Differenz von Struktur und Semantik zu beachten. 1157 AVA, FA HR, K. 448, Paul Sixt Graf Trautson an F. A. Harrach, Wien, 17. Apr. 1658. 1158 Vgl. Anm. 383. 1159 Vgl. demnächst Freisleben (2002), Heiss (2001). 1160 Zum Verhältnis von faktischer Kontaktstruktur und formaler Organisation vgl. Luhmann (1999), S. 272-277, und oben Anm. 1148. <?page no="323"?> 322 a. Capella und Antecamera Der Kaiserhof verfügte mit seiner Vorzimmerordnung nicht allein über eine Möglichkeit der Steuerung von Kommunikation und Wahrnehmung zwischen Kaiser und anderen Personen. Die Zulassung zu den verschiedenen Vorzimmern organisierte zugleich Gesprächsräume, wobei die jeweilige Zulassung über die Wahrscheinlichkeit der dort entstehenden Kontakte entschied. Oben war bereits gezeigt worden, daß die Vorzimmer sich besonders anläßlich der Tafel und der Capella füllten und somit die statische Raumordnung über verschiedene zeitliche Rhythmen vitalisiert wurde. Die ausdrücklichen Einladungen an Höflinge, bei gewissen Akten zu erscheinen, ebenso wie auch die Klagen über die zu spärliche Bedienung bei der Tafel unter Ferdinand III. deutet an, daß die Vorzimmer nicht stets gut besucht waren. Erst recht konnte es zu anderen Tageszeiten dazu kommen, daß die Vorzimmer allein mit Wach- und subalternen Personal besetzt waren. So berichtete der schwedische Resident Kleye 1661, daß er nach einer Audienz bei Kaiser Leopold I. sogleich wieder zu seiner Wohnung zurückgekehrt sei „weil von den fürnehmen Ministris niemandt im kayserl: Vorgemach gewesen“ 1161 , auch wäre an den Weg des englischen Botschafters Arundel zu einer Audienz bei Ferdinand II. im Jahr 1636 zu erinnern, den in der Antecamera gleichfalls nur wenige Höflinge säumten: „There we found three or four cavaliers who had only a little while before hurried from the Emperor to inform the Empress of the audience arranged for His Excellency [...]. After the audience, we returned through the same darkened rooms excorted by an attendant bearing a light.” 1162 Eine ähnliche Situation ist auch für Ferdinand III. belegt: Am 26. März 1656 erhielt eine kleine russische Gesandtschaft um 13 Uhr eine Privataudienz beim Kaiser, „da fast niemand zu Hoff gewesen“ 1163 . Auch ließen Höflinge sich in den Vorzimmern nicht selten nur sehen, um dann rasch wieder zu gehen 1164 . 1161 RKA, G 287, Bericht vom 10./ 20. Jul. 1661. 1162 Springell (1963), S. 82, 83. Schon auf dem Weg zur Audienz am 12. Okt. 1636 war kaum jemand da. „On our way to the audience chamber, […] there was no one to direct us, so that we were compelled to grope our way to the little door that leads into the Imperial antechamber. There we found three or four cavaliers who had only a little while before hurried from the Emperor to inform the Empress of the audience arranged for His Excellency“. 1163 HHStA, ÄZA, K. 5, Konv. 13. 1164 Vgl. Kap. B.I.3.c., Anm. 1121. Die Kämmerer hatten die Pflicht, zur kaiserlichen Tafel und zu öffentlichen Audienzen zu erscheinen und kurz zu bleiben. <?page no="324"?> 323 Ein normaler Tag sah früh morgens die Ankunft der geladenen Geheimen Räte vor, während sich nach der Ratssitzung die erste Gelegenheit für ein allgemeines „Sich-sehen-lassen“ ergab, wonach sich die Vorzimmer - während der Audienzen, Jagdstunden oder des Rückzugs - bis zur kaiserlichen Tafel am späten Nachmittag wieder geleert zu haben scheinen, um sich dann v.a. anläßlich des Besuchs der Hofdamen noch einmal zu füllen, bevor abends die Vorzimmer verschlossen wurden 1165 . Dieser Tagesrhythmus führte verschiedene Personen- und Amtskreise jedoch in nur begrenztem Ausmaß örtlich und zeitlich geschlossen zusammen - viele Geheime Räte hatten sich nach den Ratssitzungen zu ihren Behörden zu begeben, andere verfügten sich in ihre Häuser, um dort zu arbeiten; auch war die Präsenz der obersten Hofämter bei der gewöhnlichen kaiserlichen Tafel nicht angeordnet. Alltag strukturierte zwar die Präsenz von Adeligen in den Vorzimmern, sorgte aber für einen hohen Grad an Differenzierung. Vor diesem Hintergrund wird die herausragende Bedeutung der Capella für den Kaiserhof nicht allein im Hinblick auf dessen zeremonielle Ordnung, sondern auch auf die Verdichtung höfischer Interaktion deutlicher. Die Capella sorgte wohl für den höchsten Grad regelmäßiger adeliger Kopräsenz bei Hof und brachte die Grundzüge der hierarchischen Ordnung regelmäßig zur Geltung 1166 . Capella wurde in den 1650er Jahren in der Regel dreimal wöchentlich in der Hofburg gehalten: am Sonntag, Mittwoch und Freitag 1167 . Diese Regel war jedoch flexibel handhabbar und ließ die Verlegung der gewöhnlichen Capella auf andere Wochentage und die Erstreckung auf zahlreiche weitere Festtage zu; häufig wurden statt der Hofburg andere Kirchen, Klöster und Konvente Wiens und der näheren Umgebung aufgesucht 1168 . Fand sie in der Hof- 1165 F. A. Harrach notierte unter dem 19. Jan. 1640, daß er „erst umb 11 gen Hof gangen“ sei, was einen Hinweis darauf gibt, daß die erste Verdichtung der Präsenz dort etwas früher angesetzt werden muß (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319). Vgl. Hurter (1850), Bd. 11, S. 575, 576. 1166 Vgl. Caraffa 1629 (Hurter (1860), S. 220; Müller (1860), S. 263, 264. Diese Situation war für die Teilnehmer grundsätzlich gesichert, überschaubar und bestätigte die Grundordnung des Hofes immer neu - sie war deshalb für Präzedenzstreitigkeiten attraktiv, aber auch gefährlich. So reihte sich der Fürst von Pfalz-Neuburg zu Beginn des Weges gegenüber dem venezianischen Botschafter an der höherrangigen Stelle: Dieser wehrte den Angriff ab, indem er vor der ersten Tür so lange stehen blieb, bis der Kaiser persönlich den Stillstand des Korsos monierte; diesem Druck hielt Pfalz-Neuburg nicht stand und ließ „in uista di tutta la Corte“ Grimani Tür um Tür den höheren Rand (Fiedler (1866), S. 245). 1167 ASV, SG 148, 19. März 1650: „Le tre Capelle ordinarie che si tengono qui da S.M.Ces ea la Domenica il Mercordi, et il Venerdi à Palazzo“. Die Berichte sind bezüglich der Capelle ausführlich und geben oft an, wenn Dynasten Messen außerhalb der Hofburg besuchten. 1168 Sie wurde in der Regel auch auf den Schlössern um Wien herum abgehalten. Bedeutsam für eine Analyse der über die formelle Organisation strukturierten Zusammenkünfte des Hofadels ist der Umstand, daß dieser zur Capella teilweise zu erscheinen hatte; schloß sich eine <?page no="325"?> 324 burg statt, schlossen sich nach der Rückführung der Dynasten in ihre Retiraden regelmäßig Gespräche in den Vorzimmern an 1169 . Die Messen waren für regelmäßige Treffen mit Höflingen und Dritten so wichtig, daß etwa der Zeremoniar des Nuntius Pannochieschi in seiner Finalrelation den Abschnitt über die Capelle hinter diejenigen über die Hauptgesprächspartner, Kontakte und Besuche des Nuntius stellte 1170 . Die Capella führte Botschafter und Amtsträger des Kaisers regelmäßig zusammen und schuf so Gesprächskonstellationen, deren Vertaktung Problemlösungen auch dadurch erleichterte, daß man die Erörterungen vor dem Horizont sicherer künftiger Termine unterbrechen und später wiederaufnehmen konnte. Ein Beispiel hierfür ist die über drei Capelle sich erstreckende Erörterung verschiedener Botschafter und eines kaiserlichen Amtsträgers, ob und wie beim Kaiser zwei Hofleute rehabilitiert werden könnten, die nach einer Prügelei in Anwesenheit des Kaisers in Ungnade gefallen waren. Nachdem das Thema bei der Capella bei den Carmelitern aufgegriffen worden war, wurde es bei der folgenden Capella bei den Jesuiten weiter ventiliert; bei der nächsten, in der Hofburg stattfindenden Messe erörterten die anwesenden Botschafter und der Obersthofmeister Auersperg das Problem noch einmal, da man gerade einmal zusammen war 1171 . Auch weil die Capelle als Anknüpfungspunkt für Gespräche bedeutsam waren, konnten Ausgrenzungsversuche bei scharfen Interessengegensätzen hier ansetzen: So gelang es dem venezianischen Gesandten Grimani nach Verhandlungen mit dem kaiserlichen Obersthofmeister Trauttmansdorf, einen Gesandten des Großherzogtums Toskana mona- Mahlzeit des Kaisers an hatte er bis zum Beginn derselben aufzuwarten. Die venezianischen Gesandten und der Zeremoniar des Nuntius Pannochieschi waren sich einig darüber, daß es der Capelle eher zuviel als zuwenig gäbe: „Le Capelle per il piu si sogliono fare in palazzo, e queste sono freqentissime, poiche oltre le Domeniche, e feste comandate ui ne sono molt’altre di deuotione che uengono propriamente à fastidio” (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 184v), wurde Capella doch auch an den sonstigen Festtagen gehalten (ebd., fol. 138) sowie häufig in Klöstern und Konventen Wiens (ebd., fol. 184v-187v, 279-280v). Vgl. auch Fiedler (1866), S. 238. In Mönchsklöstern war der Nuntius nicht zugegen, da er es für unwürdig hielt, den Mönchen beim Essen mit dem Kaiser zuzusehen, wohl bei den Jesuiten (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 185). Auch der Umstand, daß im Anschluß an die Capelle der Weg zu einem Kommunikationszentrum offenstand, mochte es angebracht erscheinen lassen, zur Capella einzuladen. Für wen im einzelnen das Prinzip der grundsätzlichen Einladung galt, ist nicht abschließend zu klären; sicher bezog es sich auf die Botschafter und die anderen Gesandten (ebd., fol. 146v: „si staua in dubio dalla Corte, se questo Sig r [...] si fosse douuto inuitato alle Capelle“); vgl. auch Fiedler (1866), S. 248, 252-255. 1169 „l’occasione che haueuano frequentem te di uedersi alle Capelle di Palazzo“. 1170 Kap. 16-22 des Zeremonialberichts (BAV, Vat. lat. 10423, fol. 315, 315v). 1171 BAV, Vat. lat. 10423, fol. 140v-142. <?page no="326"?> 325 telang von der Capella ausschließen zu lassen 1172 . Als dieser unerwartet eines Tages dennoch erschien, erreichte Grimani mit Hilfe des anwesenden Nuntius und des spanischen Botschafters, daß man ihm auswich „wie einem Pestkranken“ („appestato“) und dieser frustiert die Antecamera verließ, noch bevor der Kaiser sie betrat 1173 . Das Verhalten im Zuge der Capella hatte damit auch präjudiziellen Charakter für das generelle Verhalten in den kaiserlichen Vorzimmern 1174 . Ausgrenzung bei der Capella zog die Ausgrenzung in den Vorzimmern nach sich. Die kaiserliche Order, er möge zur Capella nicht erscheinen, wenn er nicht eigens eingeladen werde, trieb einem Gesandten Tränen in die Augen und führte zum Abbruch der Gesandtschaft 1175 . Als so stark im Zentrum der Aufmerksamkeit stehender Anlaß eignete sich die Capella auch für das Gegenteil derartiger Ausgrenzungen und so wählte der spanische Botschafter nicht zufällig die Capella am 6. Januar 1650, um nach einer Krankheit wieder außerhalb seines Hauses aufzutreten: „giovedi giorno dell’ Epifania [! ] cominciò à lasciarsi rivedere à Palazzo et à Capella” 1176 . Auch ohne expliziten Hinweis auf die Capelle sind Gespräche zwischen Höflingen und Dritten in den Vorzimmern belegt. Sieht man von den Kämmerern ab, beschränkt sich diese Überlieferung leider fast ausschließlich auf Streitigkeiten. Notorisch waren die Auseinandersetzungen zwischen dem spanischen Botschafter und dem kaiserlichen Obersthofmeister Auersperg in der Mitte der 1650er Jahre, bei denen die Kommunikationsanweisungen Castigliones häufig keine Beachtung mehr fanden. So berichtete der schwedische Resident Kleye, daß es „gestern in der Kaÿserl. Anti Camera zwischen dem spanischen Ambassadeur und dem Fürsten von Awersperg (: unter welchen es bei der Unterösterreichischen Huldigung des ungarischen Königes hiebevor schon einige disputation abgegeben: ) ganz hefftige reden“ gegeben habe 1177 . Dort, „in pubblica, e piena anticamera” des Kaisers, kam es dann zu weiteren Beschimpfungen und Beleidigungen zwischen den beiden und zum offenen Bruch („aperta rottura“) 1178 . In den Vorzimmern wurden nicht zuletzt Briefe von Höflingen, die nicht Kämmerer waren, ver- 1172 Fiedler (1866), S. 253. 1173 Fiedler (1866), S. 254. Auch bemühte sich der venezianische Gesandte, den Gesandten Genuas („con tutti i mezi da me stimati più ualidi“) von der Capella fernzuhalten, so daß dieser es schließlich nicht mehr wagte, zu Audienzen oder Messen zu erscheinen (ebd., S. 250). 1174 Nach Giustiniani wurde dem savoyischen Gesandten „negata la Capella più uolte: mà anco prohibito à Ministri, e Gentilhuomini di Corte, che seco tratassero” (Fiedler (1866), S. 395). 1175 Fiedler (1866), S. 255. 1176 ASV, SG, 148, 8. Jan. 1650. 1177 RKA, G 282, Bericht vom 22. Dez. 1655 / 1. Jan. 1656. 1178 BAV, Vat. lat. 10423, fol. 138. <?page no="327"?> 326 faßt 1179 , und sie gehörten zu denjenigen Orten, an denen man mit einiger Wahrscheinlichkeit Obersthofmeister und Oberstkämmerer antreffen konnte 1180 . b. Vernetzung, Essen Bedeutsam für die formal vorstrukturierte Verdichtung von Kommunikation waren neben Antecamera und Capella auch die verschiedenen Tafeln für die Höflinge. Neben einer Freitafel gab es tägliche Tafeln für Kämmerer, Mundschenke und Truchsessen 1181 , an denen die jeweils bei Hof präsenten Amtsträger - aber auch Dritte - die Möglichkeit hatten zu speisen. Die Tafeln bei Hof fügten sich in eine breit angelegte Praxis von Essenseinladungen und Besuchen zwischen Hofleuten und anderen Personen ein und nur vor dem Hintergrund der Mahlzeiten bei Einzelpersonen erschließt sich die Bedeutung und Relevanz auch der Essen am Hof. Die meist in Gesellschaft eingenommenen Essen bei Hof führten auf der Grundlage von Dienst und Tafelberechtigung Personen zusammen und realisierten eine Form geselligen Verhaltens, ohne daß die Initiative zum Erscheinen bei der Tafel eindeutig bestimmbar war - weder mußte man gehen, noch war bei den Anwesenden stets klar, ob sie aus Mangel an anderen Gelegenheiten bzw. Geld oder aus Geselligkeit bei Hof aßen. Diese Kontaktzone unterlief damit das Erfordernis der persönlich-reziproken Ehrerbietung des Besuchs und trug zur Vernetzung von Höflingen auf einer weitgehend deutungsoffenen Ebene erheblich 1179 HHStA, FA AP, A-II-28, Hofkanzler Goldegg an Auersperg (verm. Wolf Engelbrecht), 4. Mai 1652, der Kaiser habe Auerspergs Bruder Herward das Generalat zu Karlstein übertragen. Um die Zurechnung von Einfluß auf diese Ernennung bemühte sich nicht nur Goldegg (Ortsangabe des Briefes: „in Ihr Maÿl. Ante Camera“); auch der Obersthofmeister Dietrichstein reklamierte eigenen Einfluß; er sei zwar gerade vereist, habe aber vorher noch mit dem Kaiser und König gesprochen, im Namen aller drei Auersperger (HHStA, FA AP, Max Fürst von Dietrichstein an Wolf Engelbrecht Auersperg, Nikolsburg, 6. Mai 1652). 1180 AVA, FA HR, K. 448, Johann Reichard von Starhemberg an F. A. Harrach, Prag, 21. Dez. 1647, er sei zum Hof gekommen, um sich „nur ein augenblick sehen lassen“; Graf Leslie sei als (stellvertretender) Oberstkämmerer aber „zur stöll gewesen“. Der Oberstkämmerer Lamberg erörterte 1665 mit dem Vertreter Tirols die Hochzeit von Erzherzogs Sigismund Franz in der „Camer Capeln“. Als Erasmus d.J. Graf von Starhemberg 1623 Unterstützung von Höflingen für sein Gnadengesuch suchte, traf er am 21. Jun. 1623 Gundaker von Liechtenstein, Maximilian von Trauttmansdorff und andere „Hoff grandes“ im Ballhaus an, mochte sie „mit einem unlustigen discurs“ aber nicht ansprechen, weil sie sich „im Spielen was eufferig erzaigt“. Nach dem Essen ließ er sich bei Liechtenstein anmelden, der ihn „nach Hoff, wann der Kayser werde aus der Vesper gehen, beschaiden“ ließ, wo er ihm „gute audientz“ gab (OÖLA, AS BR, Sch. 44, Nr. 48, Erasmus d.J. von Starhemberg, Wien, 23. Jun. 1623, fol. 35, 35v). 1181 Besoldungen an die entsprechenden Tafeldecker sind durchweg belegt (HKA, HZAB). Vgl. aber die massiven Restriktionen unter Ferdinand II. im Jahr 1632 (Anm. 148). <?page no="328"?> 327 bei; dabei ist zu bedenken, daß die Zuordnung der Hoftafeln zu Gruppen von Amtsträgern nicht hierarchisch vertikale, sondern horizontale Kontakte verdichtete 1182 . Vertikale Kontakte zwischen Höflingen waren dagegen grundsätzlich auf Einladungen durch höherrangige Höflinge angewiesen. Die Bedeutung der Einladungen wurde auch in normativen Texten in Betracht gezogen. So riet Karl Eusebius Fürst von Liechtenstein in der Instruktion für den Prinzen Johann Adam zwar wegen der Kosten von längeren Aufenthalten bei Hof ab, empfahl aber zwei jeweils einmonatige Besuche pro Jahr. Er begründete dies auch mit den Beziehungen zu Adel und Höflingen und beschrieb die Aufgaben des Prinzen wie folgt: „Caressirest beÿ Hof die Ministros, und deine Gutte freünd, und machest dich geliebt von allen, massen wan du aldorten seÿn wirst, gegen Jedermann du dich sehr höfflich erzeügen sollest, sie in deinen Haus zu Gast tractiren sollest welches allen wohlgefällig ist, und besonders in diesen deütschen Ländern gebräuchlich, alle in seinem Haus beÿ der Taffl zu Caretzieren“ 1183 . Liechtenstein ging davon aus, daß es möglich sei, bei Hof auf sehr breiter Ebene Kontaktpflege durch gemeinsame Essen zu betreiben. Der Verweis auf die „Ministri“ und „Freunde“ aber deutet an, daß nach den Kriterien von Relation und Position ausgewählt werden mußte und gibt damit bereits einen Hinweis darauf, daß qualifizierte Interaktion - wie sie die gemeinsame Mahlzeit und zumal die Einladung darstellt - das Hofpersonal nur ausschnitthaft erreichen konnte. Allein das zahlenmäßige Wachstum des Hofstaats setzte der umfassenden Vernetzung von Hofleuten Grenzen. Für die Ausbildung einer über umfassende gegenseitige Essenseinladungen qualifiziert vernetzten Interaktionsgesellschaft des hochadeligen Hofadels war diese Gruppe zu groß, zu stark hierarchisiert und hierarchieorientiert sowie nach Familien, Herkunft und wohl Sympathien zu stark gegliedert. Selbst mehrjährige Aufenthalte bei Hof vermochten die dadurch entstehenden erheblichen Asymmetrien bei der Etablierung qualifizierter Kontakte nicht auszugleichen. 1182 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß wir kaum wissen, wie derartige Essen eingeleitet wurden; das Spektrum scheint sich von der einseitig kundgetanen Einladung über die sich gesprächsweise ergebende Verabredung bis zum Befolgen von generellen Einladungen zu erstrekken; in diesem Sinne verwende ich den Begriff der Einladung um der sprachlichen Varianz willen, ohne diesbezügliche Aussagen zu treffen. 1183 FLH, VA 5-2-2, Instruktion von Fürst Karl Eusebius von Liechtenstein für Johann Adam (um 1680; Winkelbauer (1999a), S. 475, Anm. 20), p. 256-259, hier p. 257). Das wußte schon Hesiod: „Beim gästereichen Mahl sei nicht ungesellig; aus der Gemeinschaft erwächst das meiste Wohlwollen, und der Aufwand ist winzig“ (Werke und Tage, Verse 721, 722). <?page no="329"?> 328 Am Beispiel der Essen von Franz Albrecht Harrach soll im folgenden der Entwicklung eines solchen Netzes qualifizierter Kontakte im Verlauf einer Hoflaufbahn nachgegangen werden. Grundlage der Analyse sind die Essen Harrachs bei anderen Personen und bei Hof während seiner Präsenz bei Hof vom Monat seiner Ernennung zum kaiserlichen Kämmerer im September 1640 bis zu seiner Abreise vom Hof nach dem Tod Ferdinands III. und seiner Abdankung im Juli 1657. Hinsichtlich des Erfordernisses der Kopräsenz von Kaiser und Franz Albrecht Harrach wurde eine zeitliche Toleranzdifferenz von bis zu zwei Monaten zugelassen 1184 , um Modifikationsfolgen der Mikromobilität von Kaiser und Adel ins Blickfeld zu bekommen 1185 . Ausgelassen wurden die Aufenthalte des Hofes in Österreich ob der Enns 1186 . Über Essen bei Harrach sind wir nur ungenügend informiert, so daß auch diese keine Berücksichtigung finden konnten 1187 . 1184 Zu den im analysierten Datensatz auf 2974 Essen bei Dritten kommen 932 zusätzliche Essen bei Hof; letztere Zahl dürfte aufgrund der häufig fehlenden expliziten Erwähnung v.a. während der Kammerdienstzeiten um - geschätzte - 300 höher liegen. Der Datensatz wurde generiert aus folgenden Monaten von Harrachs für den Fall teilweiser oder vollständiger Präsenz bei Hof in Niederösterreich, Ungarn, Prag und Regensburg; die jeweils wichtigsten Aufenthaltsorte: 1640: Jan. (Prag), März (Wien), Sept., Nov., Dez. (Regensburg); 1641: Jan. bis März, Mai bis Okt. (Regensburg, ohne Wienbesuch im Apr.), Okt. bis Dez. (Okt. bis Dez.); 1642: Jan. bis Dez. (Niederösterreich; Apr.: Laxenburg, Jun.: Baden; Okt. und Nov.: Ebersdorf); 1643: Jan., Apr., Jun. bis Dez. (Niederösterreich und Mähren, Jan.: Neustadt, Okt. Ebersdorf); 1644: Jan. bis Apr. (Niederösterreich); 1645: Jul., Aug.; Sept. und Okt.: Hof abwesend (alle Monate: Niederösterreich); 1646: Aug. bis Okt. (Niederösterreich, Sept: Ebersdorf, Kaiser v.a. Preßburg; Okt. mit aufgenommen); 1647: Febr. bis Apr. (Preßburg, Ebersdorf, Niederösterreich), Mai: ausgelassen; Nov. (Wien); 1648: Jan. bis März (Prag), Ende März bis Anfang Apr. (Wien), Nov. und Dez. (Wien); 1649: Jan. bis März (Wien), Mai (Preßburg, Niederösterreich), Jun. bis Dez. (Ebersdorf, Laxenburg, Wien); 1650: Jan. bis Dez. (Wien; Mai: Laxenburg; Sept. und Okt.: Ebersdorf); 1651: Jan. bis Dez. (Wien; Apr. und Mai: Neustadt, Laxenburg; Sept.: Ebersdorf); in den Monaten Okt. bis Dez. war Harrach wegen Krankheit nicht bei Dritten zum Essen; 1652 war er weiterhin krank und reiste erst im Jul. nach Prag; 1652: Jul. bis Nov. (Prag); Aug. und Sept.: Jagdorte, so Brandeis; Dez. (Prag und Regensburg); 1653: Jan. bis Dez. (Regensburg); Mai: Augsburg; 1654: Jan. bis Mai (Regensburg); Mai bis Dez. (Laxenburg, Wien; hauptsächlich: Ebersdorf, Jagdorte, ab Ende Okt. hauptsächlich Wien); 1655: Jan., Febr. (Wien), März bis Jun. (Preßburg), Jul. bis Okt. (Ebersdorf), Nov. und Dez. (Wien); 1656: Jan., Febr. (Wien), Apr., Mai (Laxenburg), Jun. bis Aug. (Wien und Prag), Sept. (Prag), Okt. bis Dez. (Wien); 1657: Jan. bis Jul. (Wien); Tod des Kaisers: 2. Apr.; Entlassung aus dem Amt im Jun. Wegen zu schwacher Kopien mußten die Monate Febr., März und Mai 1643 sowie der 14. bis 31. Aug. 1654 weggelassen werden. Von den 2974 Essen waren 14 nicht namentlich zuweisbar; n=2960. 1185 V.a. während der Abwesenheit des Kaisers wurde Harrach vom Landadel geladen, weshalb auch Kurzausflüge (nach Wien von Regensburg, von Preßburg aus) aufgenommen wurden. 1186 Harrach war hier fest im geselligen Leben der Spitze des Herrenstandes etabliert. 1187 Über die Präsenz von Höflingen bei Harrach geben die Kalender nur anfänglich spärliche Auskünfte; es ist bezeichnend, daß er das Essen des Fürsten Auersperg bei sich am 29. Okt. 1654 nicht auf den Kalenderseiten verzeichnete, sondern auf Seiten für besondere Notizen. „Gesellschaften“ waren im Untersuchungszeitraum zwischen ca. 80 und 100 bei Harrach, wobei seine Dienstzeit als Kämmerer in den Jahren 1640 bis 1642 mit der Hälfte aller „Gesell- <?page no="330"?> 329 Am Anfang der Analyse stehen die Jahre 1640 und 1641, in denen die Einbindung des Kämmerers untersucht wird, wobei die Bezugsgruppen Hofadel, Familie und Personen aus Österreich ob der Enns sowie Unterschiede zwischen dem Aufenthalt des Hofstaats in Regensburg und Wien, aber auch in Österreich ob der Enns konturiert werden; wie es sich mit anderen Gästen, Besuchen und Spielen verhielt, wird hier ebenfalls exemplarisch betrachtet. Weil Harrach im Laufe der Zeit höhere Ämter bei Hof erklomm und viele derjenigen Personen, die ihn zum Essen eingeladen hatten, selbst Hoflaufbahnen durchliefen oder starben, kann die Analyse dabei nicht stehen bleiben. Vielmehr schließt sich eine straffere diachrone Untersuchung der Weiterungen des Kreises der Einladenden in Abhängigkeit vom Aufenthaltsort des Hofstaats und der Laufbahn Harrachs an. Abschließend wird die Dichte und hierarchische Qualität der etablierten Kontakte geprüft. Noch bevor Franz Albrecht Harrach kaiserlicher Kämmerer wurde, hielt er sich, um für die Stände des Landes Österreich ob der Enns ein Anliegen zu betreiben, vom Abend des 16. bis zum Mittag des 29. Januar 1640 am Kaiserhof in Prag auf, wo er bei seinem Bruder, dem Kardinal und Erzbischof von Prag, Ernst Adalbert, wohnte 1188 . Während seiner Anwesenheit aß er mehrfach bei Hof und zwar ebenso an der Tafel der Kammerherren, an der Freitafel und der Tafel für die Geistlichen sowie zumeist zu Mittag bei ingesamt sechs verschiedenen Militärs bzw. Höflingen 1189 . Mit Ausnahme des Frühstücks nahm er fast sämtliche Mahlzeiten in Gesellschaft von kaiserlichen Bediensteten ein und dabei mit 16 Mahlzeiten bei Hof annähernd doppelt soviele wie bei einzelnen Höflingen. Mit der Ernennung zum kaiserlichen Kämmerer am 20. September 1640 in Regensburg ergaben sich wichtige Veränderungen vor allem schaften“ bei ihm herausragt. Sonst war dies nicht vom Aufenthaltsort nicht sonderlich abhängig. Da er 1652 in Regensburg wieder das gleiche Quartier „beÿ dem gulden brunen“ bezog (Eintrag 11. Dez. 1652), auf diese Zeit aber wohl nur zwei „Gesellschaften“ bei ihm entfallen, wird man den Rückkgang anderen Faktoren als der Wohnung zuschreiben. Da Harrach nicht sehr vermögend war (Harrach (1906), vgl. auch AVA, FA HR, K. 437, wonach er einen Unterhalt von 2.000 fl. jährlich bezog), kommen als reduzierender Faktor die Kosten in Betracht, aber auch die hierarchische Höherstufung. In den letzten Jahren hatte er im Durchschnitt etwa viertelbis halbjährig „Gesellschaften“ zu Hause zu Gast. 1188 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 13. Jan. 1640. Die Stände zahlten ihm für die Reise 100 Dukaten. 1189 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Jan. 1640. Obschon ich keine positiven Hinweise darauf habe, daß Harrach Kämmerer von Erzherzog Leopold Wilhelm war, läßt sich dies in Anbetracht der Quellenlage nicht sicher ausschließen. Beide standen sich nahe; immerhin wählte der Erzherzog in einem Brief „Lieber franz“ als Anrede (AVA, FA HR, K. 438, Erzherzog Leopold Wilhelm an F. A. Harrach, Apr. 1643, ganz e.h.). <?page no="331"?> 330 hinsichtlich des Ranges der Einladenden. Die erste Mahlzeit nach seiner Eidesleistung und dem Empfang des Schlüssels nahm er beim kaiserlichen Obersthofmeister Trauttmansdorff ein, am Abend speiste er dann beim Obersthofmeister der Kaiserin Khevenhüller, am 21. aß er zu Mittag beim Oberstkämmerer, am Abend wiederum bei Khevenhüller 1190 . Der Kämmererschlüssel verschaffte ihm Zutritt nicht nur zu den Tafeln bei Hof, der Dienstneuling wurde von den Inhabern der obersten Hofämter mit Gastmählern gewürdigt 1191 . Im zeitlichen Umfeld seiner ersten Woche im Kammerdienst war er damit zu Gast bei drei von vier Inhabern kaiserlicher oberster Hofämter, regelmäßig beim Obersthofmeister der Kaiserin sowie bei vier weiteren Kämmerern (Trautmannsdorff, Lamberg, Waldstein, Schwarzenberg), die teilweise noch andere Ämter bei Hof innehatten, und lud einmal drei Kämmerer selbst zum Essen. Während der Kammerdienstwoche aß er zumeist bei Hof. Häufig ergaben sich im Anschluß andere Gelegenheiten, vor allem Spiele, Besuche und vor allem eine deutliche Intensivierung der Kontakte zu den Hofdamen 1192 . Die Kontakte in diesen wenigen Tagen, an denen die in der Regel mit Kollegen durchgeführten Dienste der Bekleidung, Begleitung und Bedienung des Kaisers noch fehlen, machen deutlich, in welch hohem Maße mit der Verleihung des Amtes die nachgeordneten Kontakte sich auf andere Mitglieder des Hofes ausrichteten. Im Zuge der Präsenz- und Dienstzeiten am Hof erweiterte sich nach und nach das Spektrum der Essenseinladungen und Besuche. Harrach 1190 Bei Khevenhüller hatte er bereits am 12., 13. 14. und 16. Sept. gegessen, als Harrach am Hof der Kaiserin war (AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Einträge Sept. 1640). Mit einem Grafen Trauttmansdorff hatte er am 23. Febr. 1640 bei einem Kurzaufenthalt in Wien gegessen, am 22. auch bei Khevenhüller. Der Obersthofmeister - vermutlich auch derjenige der Kaiserin - hatte eine vom Kaiser unterstützte Freitafel zu halten (ASV, FP, 212, fol. 14v). 1191 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 20. Sept. bis 7. Okt. 1640. So luden zu Mittag: am Tag der Vereidigung der Obersthofmeister Trauttmansdorff (mehrfach) und am folgenden Tag der Oberstkämmerer Puchheim; die Kämmerer Adam Matthias von Trauttmansdorff (mehrfach), Burian Ladislaus von Waldstein und Johann Adolf von Schwarzenberg, der Obersthofmeister der Kaiserin (Khevenhüller), zu Abend derselbe (mehrfach), der Kämmerer Johann Maximlian von Lamberg (mehrfach), der Obersthofmarschall Starhemberg. 1192 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 20. Sept. bis 7. Okt. 1640. Harrach spielte in dieser Zeit bei Trauttmansdorff (20. Sept.), beim Oberstkämmerer Puchheim (21. Sept.), bei Adam Matthias von Trauttmansdorff und beim Obersthofmeister Khevenhüller (22. Sept.), mit Lamberg, Trauttmansdorff und Waldstein (25. Sept.), bei Trauttmansdorff (26. Sept.), mit Adam Matthias von Trauttmansdorff (27. und 28. Sept.), beim Obersthofmeister Khevenhüller (4. Okt.) und beim Oberstkämmerer Puchheim (6. Okt.), mit Damen des Frauenzimmers sprach Harrach bzw. besuchte sie am 26. bis 28. Sept., am 1., 3. bis 5. Okt.; am 6. Okt. besuchte er den Obersthofmeister Trauttmansdorff, den Oberstkämmerer Puchheim und die Hofdamen, am 7. Okt. besuchte er Khevenhüller beim Aderlaß und verbrachte den Abend beim Frauenzimmer. Nachtdienst in der Kammer hatte er vom 1. Okt. bis zum 6. Okt. inklusive. <?page no="332"?> 331 reiste am 8. Oktober 1640 zurück nach Österreich ob der Enns, kam am 20. November jedoch wieder an den Hof nach Regensburg, wo er abgesehen von einer Kommissionsreise nach Linz (zwischen dem 24. Februar und 1. März) zunächst bis zum 2. April blieb. Während dieser Zeit nahm er über 110 Mahlzeiten bei anderen Personen ein, die mit Ausnahme des Herzogs von Sachsen ausnahmslos Mitglieder des kaiserlichen Hofstaats oder deren Frauen waren. Die bisherige Dominanz der Mahlzeiten bei Hof trat nunmehr deutlich zurück. Sie läßt sich aufgrund der teilweise unklaren Angaben besonders während der drei in dieser Zeit absolvierten Dienstwochen nicht eindeutig bestimmen, beläuft sich aber auf mindestens vierzig 1193 . Bemerkenswert ist zunächst die höhere Streuung der Einladenden. War bisher ein enger Bezug zum dienstlichen Umfeld vorherrschend (Obersthofmeister und Oberstkämmerer sowie andere Kämmerer), wurde Harrach nunmehr vermehrt bei Inhabern verschiedener anderer Ämter geladen und damit in die Gesellschaft der Höflinge einbezogen. Dabei deutete sich bereits eine Ausdifferenzierung verschiedener Kontaktformen an. Der Obersthofmeister und der Oberstkämmerer Ferdinands III. luden Harrach besonders in einem sehr engen zeitlichen Zusammenhang mit seinen Dienstwochen in der kaiserlichen Kammer oder bei sonstigen engeren Kontakten zum Kaiser. Bei Trauttmansdorff war Harrach am 22. Dezember und 31. Dezember (Dienstwoche vom 23. bis 29. Dezember 1640), sowie am 8. und 12. März (Dienstwoche 3. bis 9. März 1641). Die Einladungen vom 11. und 18. Dezember 1640 standen in engem zeitlichen Zusammenhang mit Harrachs Morgendienst bei Hof (evtl. Ankleiden, Vorschneiden). Am 14. Januar aß Harrach wiederum bei Trauttmansdorff und wartete am gleichen Tag dem Kaiser bei einer Schlittenfahrt auf; die Einladung am 3. Januar folgte der Ankunft von Harrachs Bruder in Regensburg (2. Januar) und ging einer Jagdpartie mit dem Kaiser voraus (4. Januar). An eine zufällige Verdichtung von Kontakten zum Kaiser und Einladungen beim Obersthofmeister möchte man um so weniger glauben, als Harrach im Februar 1193 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 20. Nov. 1640 bis 2. Apr. 1641. Bei Hof (ohne Dienstwochen): 22; Khevenhüller (Obersthofmeister der Kaiserin): 50; Gräfin Khevenüller: 4; Zinzendorf (Kämmerer): 18; Frau von Zinzendorf: 5; Puchheim (Oberstkämmerer): 9; Gräfin Puchheim: 1; Trauttmansdorff (Obersthofmeister): 8; Adam Matthias Trauttmansdorff (Kämmerer): 3; Lamberg (Kämmerer, Reichshofrat): 3; Waldstein (Schwager, Oberststallmeister): 3; Leslie (Kämmerer, Hofkriegsrat): 2; Losenstein (Kämmerer, Landjägermeister): 2; Schwarzenberg (Kämmerer, Reichshofrat): 2; Kronegg (Oberstkuchlmeister, Hofkammerrat): 2; Herzog Julius von Sachsen: 1; Ötting (Reichshofratspräsident): 1; Traun (Kämmerer, evtl. Hofkriegsrat): 1; Ladislaus Burian Waldstein (Kämmerer): 1. <?page no="333"?> 332 wegen einer Erkrankung seiner Frau keinen Hofdienst versah, ohne daß dies zu einer Verringerung seiner sonstigen Einladungen geführt hätte - vom Obersthofmeister jedoch wurde er in dieser Zeit nicht zum Essen geladen 1194 . Beim Oberstkämmerer war das Phänomen noch ausgeprägter: Am 9., 15. und 16. Dezember aß Harrach bei diesem, nachdem er am 9., 14. und 16. morgens beim Kaiser vermutlich den Ankleidedienst versehen hatte („nach verrichtem Dienst, beÿ Herrn Ob: Camerer gessen“, 9. Dezember). Im März aß Harrach bei Puchheim während seiner Dienstwochen sowie unmittelbar im Anschluß (Essen: 3., 4., 5. und 6., 24. März, 1. April; Dienstwoche: 3. bis 9. März, 24. bis 30. März). Man wird diesen gemeinsamen Mahlzeiten die Funktion einer Prüfung des neuen Kämmerers durch die Spitzen des Hofstaats nicht absprechen können. Der Obersthofmeister der Kaiserin dagegen wurde regelmäßig von Harrach aufgesucht, wenn die Frequenz der Essen bei diesem im Zuge der Zunahme sonstiger Kontakte auch etwas abnahm 1195 . Aus dem Kreis der übrigen Inhaber von Spitzenämtern wurde Harrach vorerst nicht geladen, von außerhalb nur einmal vom Herzog von Sachsen (22. November 1640) 1196 . Im übrigen Spektrum überwogen Höflinge, die als Kämmerer gleichrangig auch dann waren, wenn sie sonstige Ämter innehatten (Reichshofrat, Kriegsrat, Landjägermeister). Der Hofkammerrat und Hofkuchlmeister Hans Wilhelm Freiherr von Kronegg war der rangniedrigste Höfling, den Harrach zum Essen aufsuchte, wobei freilich eine der beiden Mahlzeiten auf einem Donauschiff eingenommen wurde (22. Januar, 23. Februar 1641). Einmal aß er mit einem Grafen Ötting (24. November 1640) einem Reichshofrat oder Kämmerer. Es ist bei den Essen davon auszugehen, daß häufig, wenn nicht gar in der Regel noch andere Personen zugegen waren, worauf Harrach mitunter explizit hinweist: so aß er beispielsweise bei Khevenhüller am 27. Januar 1641 „in gueder gesellschaft“, am 20. Februar 1641 „in großer gesellschaft von Hof Damas“. Auch die Hinweise bei von Harrach selbst ausgerichteten Zusammenkünften machen dies deutlich: Bei ihm zu Gast waren in diesen Monaten „eine guede Companie von Damas und Herren“ (25. November 1640), „eine guede geselschafft“ (3. Dezember), „etliche Hofdamas (beÿ mier gessen)“ (6. Dezember), „ein guede gesel- 1194 Daß dieser nicht unbedacht zum Essen lud, zeigt auch seine Einladung an den aus Münster zurückgekehrten kaiserlichen Bevollmächtigten, den Kämmerer und Reichshofrat Lamberg im Jun. 1649: „Audivi missam cantatam zu hof. Ihr Maiestät, Kayser und Kayserin, haben mir en passant à la chappelle die hand geben. Zu Mittag hat mich herr graf von Trautmanstorff, Ihr Maiestät obersthofmaister, zu gast geladen.“ Hageneder (1986), S. 248. 1195 Der Obersthofmeister der Kaiserin hatte vermutlich eine Freitafel (vgl. Anm. 148). 1196 Am 27. Febr. 1641 war er beim Obersthofmeister Starhemberg in Linz eingeladen. <?page no="334"?> 333 schafft“ (12., 17. Dezember); „eine guede geselschafft von Hoff Damas“ (18. Dezember), eine „guede gesellschaft beÿ mier, seint hernach in Schliden gefahren“ (30. Dezember ), „in gueder geselschafft zu Haus, hernach mit einer musica wieder in schlitten gefahren“ (14. Januar 1641), „die Grandes von Hof und graf picolomini beÿ mier gessen, und den gantzen dag gespielt“ (15. Januar 1641) und auch am 21. Januar war er „mit einer gueden geselschafft zu Haus“ 1197 . Zugleich wird aber deutlich, wie stark die Abhängigkeit der jeweiligen Gesellschaft von der Präsenz bei Hof war. Während der Krankheit seiner Frau wohnten zwar zeitweise die Damen Öttingen und Nothafft als Pflegerinnen im Haus; just in dieser Zeit der fast völlig wegfallenden Präsenz Harrachs bei Hof besuchten ihn auch rangniedere Personen: so speiste er mit dem behandelnden Arzt einmal zu Mittag (1. Februar 1641), auch erwähnt er erstmals den Freiherrn (Karl Gottfried) Breuner, der zu dieser Zeit kaiserlicher Mundschenk war und seit Februar 1641 Harrach häufiger besuchte 1198 ebenso wie den Graf Khünigl, der am Kaiserhof zu dieser Zeit kein Amt innehatte. Im übrigen beschränkten sich seine Essenskontakte im Februar im wesentlichen auf Khevenhüller, Waldstein und Zinzendorf; dabei ist anzumerken, daß Waldstein sein Schwager, Khevenhüller in Österreich ob der Enns ein Nachbar war - Harrach besaß dort das Gut Köppach, Khevenhüller das Gut Kammer (Camer) - und Zinzendorf Angehöriger einer österreichischen Apostelfamilie war 1199 . Harrachs neuerlicher längerer Aufenthalt in Regensburg vom 26. Mai bis zum 13. Oktober, der durch zwei Reisen nach Altötting und Linz unterbrochen wurde 1200 , sah eine sehr ähnliche Verteilung seiner Essenskontakte. Der Obersthofmeister Trauttmansdorff lud ihn wiederum vorwiegend während seiner Kammerdienstwochen zum Essen 1201 . Beim Oberstkämmerer war Harrach, der in dieser Zeitspanne fünf Dienstwochen absolvierte und häufig als Vorschneider diente, mit 32 Mahlzeiten weit öfter als im Winter, was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß Khevenhüller vom Hof abwesend war; seit dem Tag von dessen Rück- 1197 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, unter dem jeweiligen Datum. 1198 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, Ende Jan. bis Mitte Febr. 1641. Mit Breuner reiste Harrach Ende Febr., Anfang März nach Linz. 1199 Harrach nächtigte zwischen 1640 und 1647 auf Khevenhüllers Gut Kammer über 20 mal. 1200 Die Reise nach Altötting begann am 1. Jul., am 7. Jul. 1641 war er wieder zurück in Regensburg, die Reise von Linz begann am 22. Aug.; am 10. Sept. war Harrach wieder zurück. 1201 Während vier von fünf Kammerdienstwochen: 5. Jun., 28. Jun., 14. Jul., 15. Sept. sowie einige Tage nach der Rückkehr an den Hof am 29. Mai 1641, nach der Reise nach Altötting am 11. Jul., zwei Tage nach einem Kegelnachmittag mit dem Kaiser (2. Aug. 1641). <?page no="335"?> 334 kehr am 30. September aß Harrach wieder überwiegend dort, oft sogar zu Mittag und zu Abend 1202 . Harrach besuchte auch Puchheim in dieser Zeit häufiger, verfügte dieser doch über einen Garten und eine Kegelbahn. Eine deutliche Intensivierung sahen die Kontakte mit Leslie (18 Essen), stabil blieben die Kontakte mit Lamberg (9), seinem Schwager Waldstein (6), Graf Traun (4) und Kronegg (3). Mit Schwarzenberg und Losenstein aß er ebenso oft wie im Winter oder seltener, während er bei Zinzendorf, Adam Matthias Graf von Trautmannsdorff und Burian Ladislaus von Waldstein und Sachsen in dieser Zeit nicht mehr aß. Wichtig ist der Hinweis auf neue Speisegenossen, die sich drei Gruppen zuordnen lassen: Die Höflinge ähnlichen und gleichen Ranges, bei denen Harrach in dieser Zeit aß, waren ein %ernín, ein Graf Thun, ein Graf Serényi, ein Graf Öttingen, der Kämmerer Georg Manrique Tessio sowie der Reichshofrat Nothafft 1203 . Das Essen beim Obersthofmarschall Starhemberg am 22. September 1641 komplettierte die Einladungen aus dem Kreis der Inhaber der obersten Hofämter bei Hof 1204 . Die Einladungen beim Fürsten von Pozzolo, bei Conte Torquato und beim Nuntius 1205 markieren nach der Einladung beim Herzog von Sachsen im Winter Harrachs Ladefähigkeit im Kreis auswärtiger Fürsten und der drei höchstrangigen Botschafter am Kaiserhof. Etwa ein Jahr nach seiner Ernennung zum kaiserlichen Kämmerer und nach neun Monaten Präsenz bei Hof waren damit zahlreiche Kontakte in qualifizierter Form etabliert - von den „Granden“ herab bis zu den Höflingen gleichen und ähnlichen Ranges. Die Essenskontakte des Kämmerers Harrach mit anderen Höflingen folgten damit Mustern, deren deutliche Orientierung an der formalen Organisation des Hofstaats unübersehbar ist: Die Obersthofmeister und Oberstkämmerer luden am Anfang des Hofdienstes bei Verdichtungen des Kontaktes des niederrangigen Höflings mit dem Kaiser, der Obersthofmeister der Kaiserin stellte mit seiner vom Kaiser finanzierten Tafel eine Basis für regelmäßige Vergemeinschaftung, die übrigen Spitzen des Hofstaats luden allenfalls aufgrund gemeinsamer ständischer Verortung, 1202 Khevenhüller: 30. Sept. (Ankunftstag Khevenhüllers), 1. Okt., 2. Okt., 3. Okt. (Gräfin Khevenhüller), 4. Okt., 4. Okt., 8. Okt., 8. Okt., 9. Okt., 9. Okt., 10. Okt., 10. Okt., 12. Okt.; beim Oberstkämmerer nur mehr am 5. und 11. Okt. 1203 Nothafft: 24. Jun., 18. Jul., 6. Aug.; Graf %ernín: 26. Sept. (verm. Kämmerer seit 1637); Graf Thun: 29. Sept. (Johann Arbogaß, Stäblmeister seit 1640 oder Christoph Sigmund, Mundschenk seit 1639), Graf Öttingen: 30. Sept.; unklar: Graf Tessio: 7. Jun., 17. Jun., 17. Jul.; Graf Serényi (Niklas, Kämmerer seit 1637 oder Peter, seit 1636 Mundschenk). 1204 In Linz hatte er bereits bei ihm gegessen. 1205 Fürst Pozolo: 18. Jun., Torquato: 22. Jul., Nuntius: 22. Sept. <?page no="336"?> 335 Gleichrangige bei Gelegenheit, Niederrangige grundsätzlich nicht. Nach unten öffnete sich die Hierarchie bei geringerer Hofpräsenz über Besuche und eigene Einladungen. Bei mangelnder eigener Präsenz bei Hof kamen subsidiäre Beziehungen zu Höflingen zum Tragen: Verschwägerung, Nachbarschaft, evtl. Sympathie (Zinzendorf). Daß der Hof in den fraglichen Monaten in Regensburg weilte und damit die Konzentration von Amtsträgern höher war als in Wien, macht die Orientierung der informellen an der formellen Ordnung besonders deutlich. Noch die Orte der Spiele lassen sich nach diesen Gesichtspunkten zuordnen. In den Monaten Januar und Februar 1641 beschäftigte sich Harrach an mehr als der Hälfte der Tage mit Spielen 1206 . Unter den Nennungen der Spielorte in Regensburg zwischen November und März stehen Spiele Khevenhüller an der Spitze (18); es folgen der Oberstkämmerer Puchheim (9., 15. und 16. Dezember 1640) und Zinzendorf (14. und 17. Februar „in gueder geselschafft“) 1207 . Besuche galten in der Regel Damen und Kranken, wobei besonders Visiten aus Anlaß eines Aderlasses hervorzuheben sind 1208 . Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß zwischen den Ladenden und dem Hofadel deutliche Diskrepanzen bestanden: Die hochadeligen Mitglieder von Hofkammer, Reichshofrat und Hofkriegsrat waren nur zu einem kleinen Teil Einladende oder Geladene, Kanzler, Vizekanzler, Vizepräsidenten und Präsidenten fehlten völlig. Dies gilt auch für Truchsessen, Fürschneider und Mundschenke, aber auch für die im Juli ernannten beiden neuen Kämmerer des Jahres 1641. Zu gegenseitigen Essenseinladungen mit sämtlichen anwesenden Höflingen des Hochadels kam es in keinem Amt und keiner Ranggruppe. Die Verteilung zeigt vielmehr eine ausgeprägte Orientierung an Obersthofmeister und 1206 Dabei gewann er mit 682 Talern mehr als er als Kämmerer an Sold bezogen hätte. Auch Ferdinand III. führte Buch über seine Spieleinsätze (vgl. u.a. HHStA, HA FA, K. 89). 1207 Bei Khevenhüller: 3. Dez., 10. Dez., 14. Dez., 16. Dez., 19. Dez., 20. Dez., 21. Dez., 29. Dez., 7. Jan., 12. Jan., 13. Jan. ‚in guter Gesellschaft’, 23. Jan., 24. Jan., 28. Jan., 15. Febr., 16. Febr., 19. Febr., 18. März; Zinzendorf: 14. Febr., 17. Febr. ‚in guter Gesellschaft’; Oberstkämmerer: 9. Dez., 15. Dez., 16. Dez., Gräfin Khevenhüller: 13. Febr., Graf Trauttmansdorff: 13. Febr.; bei Breuner: 12. Febr., mit Breuner: 2. März (Karl Gottfried, Mundschenk oder Christoph Seyfried Geheimer Rat); im Ballhaus: 9. Jan., mit Gräfin Öttingen: 5. Febr., gespielt: Jan. 3., 4., 5., 9., 10., 16., 17., 18., 19., 20., 22., 23., 24., 27., 29., 31. (18 Tage). 1208 Aderlaßbesuche ausgewählter Jahrgänge (1641-1643, 1650-1655): Herr von Sinzendorf und seine Frau: 23. März 1641 (evtl. Zinzendorf), Oberstkämmerer Puchheim: 6. Okt. 1641, Franz Christoph Graf Khevenhüller: 18. Mai 1642, Albrecht von Zinzendorf: 3. Jun. 1642 und 23. Apr. 1643, Graf Puchheim: 26. Apr. 1643 (Oberstkämmerer? ), Graf Sinzendorf: 30. Apr. 1643 (s.o.), Gräfin Khevenhüller 7. Okt. 1643; Herr von Rappach: 27. Jul. 1650, 25. Jun. 1651; Maximiliana von Scherffenberg, Harrachs Schwester: 11. Apr. 1651 („Mäxel“), Hannibal Gonzaga: 3. Okt. 1654, Albrecht von Zinzendorf: 2. Mai 1655. <?page no="337"?> 336 Oberstkämmerer, im übrigen aber neben den Lücken bereits nach wenigen Monaten deutliche Asymmetrien in der Wahl der Kontakte, welche man auf verwandtschaftliche, regionale Gemeinsamkeiten oder Sympathie zurechnen kann. Es wurde erwähnt, daß sich Harrachs Einbindung in den Kaiserhof in Regensburg vollzog und daß die Konturen hier schärfer waren als in Österreich. Ein Blick auf die Kontakte der Jahre 1640 und 1641 in Österreich ob der Enns und Wien macht deutlich, daß die Verteilung dieser Kontake am Anfang seiner Hoflaufbahn sich nicht voraussetzungslos ergab, war seine Familie doch in den Ständen und in den Ämtern des Kaiserhofes fest etabliert. Allein in den ersten 14 Tagen des Jahres 1640 traf er sich in Linz teils als Gast, teils als Gastgeber, oft in Gesellschaft mit anderen und oft einschließlich der Ehefrauen mit amtierenden und künftigen Mitgliedern der landständischen Exekutive und nachmaligen Inhabern hoher Hofämter: so mit dem Landeshauptmann Kuefstein, dem Herrenstandsverordneten und späteren Hofkammerpräsidenten Ungnad, Johann Reichard von Starhemberg und Hans Wilhelm von Scherffenberg, der auch sein Schwager war (beide Verordnete des Herrenstandes seit 1640), dem Herrenstandsverordneten und nachmaligen Statthalter von Niederösterreich Conrad Balthasar Graf von Starhemberg (Herrenstandsverordneter ab 1649) sowie einem Freiherrn Schifer (verm. Alexander, Herrenstandsverordneter ab 1647) 1209 ; am 12. Januar 1640 gaben ihm die Stände den Auftrag zur Reise an den Kaiserhof nach Prag 1210 . Der Landeshauptmann, David Ungnad, die Starhemberg, Scherffenberg, etwas nachgeordnet Angehörige der Geschlechter Abensberg- Traun, Fernberg, Salburg, Schallenberg, Schifer, Sprinzenstein bildeten in Österreich ob der Enns die Hauptbezüge und nur einen geringen Teil seiner Tage in Linz verbrachte Harrach, ohne Personen aus diesem Kreis zu treffen, das Landhaus aufzusuchen oder mit durchreisenden Höflingen und Militärs zu speisen, während er nicht selten Besuche auf den Sitzen der Familien abstattete 1211 . Personen aus diesem Kreis luden Harrach zeit seines Lebens bei jedem seiner auch nur etwas längeren Aufenthalte in Österreich ob der Enns ein. Vor dem Hintergrund dieser außerordentlich dichten Kontakte mit Angehörigen des Herrenstands des Landes Österreich ob der Enns in und um Linz herum läßt sich seine 1209 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319. 1210 AVA, FA HR, Hs. 318/ 319, 12. Jan. 1640. 1211 V.a. auf Spielberg und Kammer (Scherffenberg bzw. Khevenhüller). Zu Besuchen beim Oberstlandkämmerer Collalto in den Jahren um 1690 vgl. Chocholác (1999). <?page no="338"?> 337 Einbindung in den Hofstaat verstehen. Die Kombination von Hoflaufbahn und Ständeamt verdichtete indes auch diese kompakten Beziehungsnetze. So wohnte Harrach während seiner Dienstzeit als Herrenstandsverordneter zumindest zeitweise im Landhaus und bewirtete dort über Jahre ausgiebig vor allem Adelige des Herrenstandes. Besonders nachdem er Oberststallmeister geworden war, besuchten ihn zudem vermehrt Gesellschaften sogar dann, wenn er auf Köppach weilte, was in den frühen 1640er Jahren eher eine Ausnahme darstellte. Betrachten wir nun Harrachs frühe Wiener Kontakte. Vor seiner Annahme als Kämmerer war Franz Albrecht Harrach vom 17. bis 23. März 1640 dort; die Essenskontakte machen deutlich, daß er auch ohne Kämmereramt als Mitglied seiner Familie grundsätzlich Zugang zu den - mit Ausnahme Trauttmansdorffs teilweise weitläufig verwandten - hochrangigen Hofleuten hatte 1212 : So aß er nicht allein mehrfach bei seiner Mutter, sondern u.a. bei dem kaiserlichen Kämmerer und Landmarschall Johann Franz Graf Trautson, dem Obersthofmarschall Starhemberg, beim Obersthofmeister der Kaiserin Maria Anna Khevenhüller, beim Oberststallmeister Max Graf Waldstein und schließlich bei dem kaiserlichen Obersthofmeister Trauttmansdorff. Während seines Kurzbesuches in Wien vom 15. bis 22. April 1641 besuchte der junge Kämmererer die Hofdamen der Kaiserinwitwe, wartete an zwei Tagen dem Prinzen auf und aß bei seiner Mutter, beim Bischof von Wien (Breuner), bei den Trautson, vermutlich beim Geheimen Rat Meggau, bei David Ungnad sowie zwei Mitgliedern des niederösterreichischen Herrenstandes ohne Hofämter 1213 . Mit den Trautson und Breuner war Harrach zunächst über Schwestern seines Vaters verwandt, Khevenhüller und Ungnad waren ihm aus Linz bestens bekannt. Der Befund, der sich aus Harrachs Aufzeichnungen über seine Mittag- und Abendessen während seines Aufenthaltes am Kaiserhof zwischen Ende Oktober und Ende Dezember 1641 ergibt, gibt Anlaß, die Vorstellungen vom Hof als einer Gesellschaft von komplex interagierenden Höflingen noch weiter zu revidieren und dies, obschon es anfänglich den Anschein hatte, die Dinge würden sich so fortentwickeln wie sie in Regensburg begonnen hatten: Am 23. Oktober 1641 kam Harrach in Wien an, am 24. wurde bei Hof eine Komödie aufgeführt, am 26. begleitete Harrach den Kaiser auf ein „Schwein Jagen“, im November absolvierte er zwei Wochen Kammerdienst, im Dezember eine. Dennoch 1212 Mangels Aufzeichnungen ist die Relevanz seines ständischen Raitratamtes nicht feststellbar. 1213 Hoyos, Fünfkirchen; Leonhard: vermutl. Meggau oder Breuner. <?page no="339"?> 338 bestätigt sich, was bei dem Vergleich von Hofreisen mit Aufenthalten des Kaiserhofes in Niederösterreich bereits anklang: Hofreisen organisierten für den Kämmerer Harrach ein weiter geknüpftes Netz zwischen Hofleuten als Aufenthalte in Niederösterreich. Dort bezogen sich Kontakte vor allem auf bereits bewährte Beziehungen: Bei Harrach dominierten in Wien unter den Einladenden Angehörige seiner Familie: 28 mal aß er bei seiner Mutter; neunmal war er zu Gast bei den über seine Tante verschwägerten Breuner 1214 , siebenmal bei den über eine Cousine verschwägerten Trautson 1215 , ferner zweimal bei seinem Schwager und Oberststallmeister Max von Waldstein. Einige der aus Regensburg bekannten Höflinge luden Harrach weiterhin ein. Dabei dominierten Höflinge aus Österreich ob der Enns wie Ungnad, Losenstein und Lamberg 1216 gegenüber sonstigen wie dem Niederösterreicher Zinzendorf und dem in Böhmen begüterten Leslie 1217 . Dazu paßt es, daß Harrach je einmal zu Gast bei Angehörigen einiger Familien des Ob- und unter der Ennserischen Herrenstandes war, die Mitglieder auch in Ämtern des Hofstaates hatten 1218 . Die Kontakte zu den Inhabern der Obersten Hofämter gingen deutlich zurück: Immerhin 14 mal aß Harrach noch bei Khevenhüller, aber nurmehr zweimal beim Oberstkämmerer, nur einmal beim Obersthofmarschall und nur einmal beim Obersthofmeister Trauttmansdorff. Die geringe Zahl von erstmaligen Einladungen von anderen Höflingen wie Wenzel Graf von Vrbna (Kämmerer seit 1637) und eines Grafen Martinitz 1219 überrascht vor diesem Hintergrund nicht und zeigt, daß die Dominanz der Auswahlfaktoren Familie und Stände innerhalb der Gruppe der Höflinge in Wien weit stärker war als bei Hofreisen, während zugleich die vertikal-hierarchische Integration in Wien in ihrer Kontaktdichte schwächer ausgeprägt war. Dieser geringeren Bandbreite von Essenskontakten begegnete Harrach nicht durch vermehrte Frequentierung der Kammerherrentafel. Von Ende Oktober bis Jahresende 1214 Die Schwester von Har