eBooks

Digitale Diskurse und Wikipedia

Wie das Social Web Interaktion im digitalen Zeitalter verwandelt

1029
2018
978-3-8930-8653-5
978-3-8930-8453-1
Attempto Verlag 
Eva Gredel

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia dient im Alltag mittlerweile verbreitet zur ersten Orientierung bei Wissensfragen und kann als eines der erfolgreichsten Projekte im Social Web verstanden werden: Rund 17 Jahre nach ihrer Gründung verzeichnet die Wikipedia mehr als 46 Millionen Einträge, die von Tausenden von Freiwilligen gemeinschaftlich verfasst wurden. Nur wenige Internet-Nutzer wissen allerdings, wie die enzyklopädischen Inhalte der Wikipedia in digitalen Diskursen entstehen und welche Rolle Sprache bei der Erarbeitung der Einträge spielt. Der wissenschaftliche Blick hinter die Kulissen der größten Online-Enzyklopädie weltweit soll dabei unterstützen, mit Informationen im digitalen Zeitalter kompetent umzugehen. Er zeigt auf, wie der reflektierte Zugang zu digitalen Diskursen im Netz gelingen kann.

<?page no="0"?> ISBN 978-3-89308-453-1 W W W . N A R R . D E Die Online-Enzyklopädie Wikipedia dient im Alltag mittlerweile verbreitet zur ersten Orientierung bei Wissensfragen und kann als eines der erfolgreichsten Projekte im Social Web verstanden werden: Rund 17 Jahre nach ihrer Gründung verzeichnet die Wikipedia mehr als 46 Millionen Einträge, die von Tausenden von Freiwilligen gemeinschaftlich verfasst wurden. Nur wenige Internet-Nutzer wissen allerdings, wie die enzyklopädischen Inhalte der Wikipedia in digitalen Diskursen entstehen und welche Rolle Sprache bei der Erarbeitung der Einträge spielt. Der wissenschaftliche Blick hinter die Kulissen der größten Online-Enzyklopädie weltweit soll dabei unterstützen, mit Informationen im digitalen Zeitalter kompetent umzugehen. Er zeigt auf, wie der reflektierte Zugang zu digitalen Diskursen im Netz gelingen kann. Gredel Digitale Diskurse und Wikipedia Digitale Diskurse und Wikipedia Wie das Social Web Interaktion im digitalen Zeitalter verwandelt Eva Gredel ISBN 978-3-89308-453-1 W W W . N A R R . D E Die Online-Enzyklopädie Wikipedia dient im Alltag mittlerweile verbreitet zur ersten Orientierung bei Wissensfragen und kann als eines der erfolgreichsten Projekte im Social Web verstanden werden: Rund 17 Jahre nach ihrer Gründung verzeichnet die Wikipedia mehr als 46 Millionen Einträge, die von Tausenden von Freiwilligen gemeinschaftlich verfasst wurden. Nur wenige Internet-Nutzer wissen allerdings, wie die enzyklopädischen Inhalte der Wikipedia in digitalen Diskursen entstehen und welche Rolle Sprache bei der Erarbeitung der Einträge spielt. Der wissenschaftliche Blick hinter die Kulissen der größten Online-Enzyklopädie weltweit soll dabei unterstützen, mit Informationen im digitalen Zeitalter kompetent umzugehen. Er zeigt auf, wie der reflektierte Zugang zu digitalen Diskursen im Netz gelingen kann. Gredel Digitale Diskurse und Wikipedia Digitale Diskurse und Wikipedia Wie das Social Web Interaktion im digitalen Zeitalter verwandelt Eva Gredel <?page no="1"?> Digitale Diskurse und Wikipedia <?page no="3"?> Eva Gredel Digitale Diskurse und Wikipedia Wie das Social Web Interaktion im digitalen Zeitalter verwandelt <?page no="4"?> Umschlagabbildung: muratkoc/ istockphoto.com (Bearbeitung: Verlag). Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de ISSN 2626-0697 ISBN 978-3-89308-453-1 <?page no="5"?> Für Michael und Johanna. <?page no="7"?> 7 Inhalt Vorwort 9 1. Einführung: Relevanz und Reichweite der Wikipedia 13 1.1 Wikipedia als Online-Enzyklopädie und diskursiver Raum 16 1.2 Wikipedia als Diskussionsgegenstand 18 1.3 Wikipedia als Recherchewerkzeug und Nachrichtenquelle 21 1.4 Wikipedia als PR -Kanal 23 1.5 Wikipedia als Lehr- und Lerngegenstand in Schule und Hochschule 25 1.6 Wikipedia als Untersuchungsgegenstand in der Wissenschaft 28 2. Diskursanalysen als Methode für Sprach-, Kultur- und Gesellschaftsanalysen 29 2.1 Definition zum Begriff Diskurs 30 2.2 Metaphern als diskursive Einheiten 31 2.3 Konkrete Metaphern-Beispiele in verschiedenen Diskursen 32 2.4 Diskursbedingungen in nicht-digitalen Medien am Beispiel von Print-Zeitungen 36 3. Digitale Diskursanalysen 39 3.1 Nicht-Linearität mithilfe von Links 40 3.2 Dynamik und Offenheit: Eine Mitmach- Enzyklopädie im ständigen Wandel 42 3.3 Interaktivität und Kollaboration: Von Wikipedianer zu Wikipedianer 45 3.4 Multilingualität: Diskursanalysen zum Sprach- und Kulturvergleich 48 <?page no="8"?> 8 3.5 Multimodalität: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte? 55 4. Wer spricht wie in digitalen Diskursen auf Wikipedia? 63 4.1 Menschliche Diskursakteure 64 4.2 Institutionelle Diskursakteure-- NGO s, Parteien, Unternehmen 66 4.3 Maschinelle Diskursakteure in Wikipedia: Bots 67 4.4 Interaktionsrollen in Wikipedia: Vandalen, Trolle und Sockenpuppen 69 4.5 Praktiken in Wikipedia: Digitale Orden, Edit Wars, Fake News 71 5. Tools und Ressourcen zur Analyse der Wikipedia 75 5.1 Wikipedia-Korpora 75 5.2 Ein digitales Tool für multimodale Analysen der Wikipedia 77 5.3 Digitale Tools-- Sprachversionen im Vergleich 78 5.4 Akteursorientierte Perspektive 79 5.5 Zwei Tools zur Analyse von Konflikten 81 5.6 Ein Tool für Wikipedia-Analysen in didaktischen Kontexten 83 Literaturverzeichnis 87 <?page no="9"?> 9 Vorwort Das Verständnis des Internets, der dort angebotenen Plattformen und der dort vorzufindenden sprachlichen Handlungen hat sich in den letzten 20 Jahren grundlegend gewandelt: Die Auffassung des Netzes als virtuelle Welt wurde in den 2000er Jahren durch das Bild des Resonanzraums sozialer Realitäten abgelöst. Zuletzt hat sich die Haltung verbreitet, dass im Social Web durch Interaktion verschiedenster Akteure soziale Wirklichkeiten konstruiert und verändert werden. Internet-Phänomene wie Shitstorms und Trolling, Cybermobbing oder Memes, z. B. #lovewins und die Spendenkampagnen IcebucketChallenge, sind Ausgangspunkte für digitale Diskurse, die hohe Reichweiten erlangen und auch in nicht-digitalen Medien verhandelt werden. Diese Entwicklungen haben digitale Interaktion in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. In einer Zeit, in der weltweit Fundamentalismen und radikaler Populismus sowie alternative Fakten im Netz enorme Verbreitung finden und diskursive Dynamiken auf Twitter wahlentscheidende Effekte haben, ist eine große Verunsicherung gegenüber digitalen Plattformen spürbar. Auch gegenüber der Wikipedia werden Vorbehalte laut. Oftmals werden Diskussionen zur Wikipedia jedoch relativ uninformiert geführt und bleiben auf Themen wie deren Zitierfähigkeit oder einzelne inhaltliche Mängel beschränkt. Mit dem vorliegenden Buch möchte ich eine neue Sicht auf die Online-Enzyklopädie vorstellen und diese im Sinne der Diskurslinguistik als diskursiven Raum präsentieren. Diskurse werden in diesem Buch als Text- und Aussagenformationen zu einem bestimmten Thema verstanden (z. B. der Diskurs zum Brexit). Im Gespräch mit StudentInnen, LehrerInnen, JournalistInnen und WissenschaftlerInnen habe ich erfahren, dass mit erweitertem Grundlagenwissen zur Struktur und Verfasstheit der Wikipedia diese ganz neu wahrgenommen <?page no="10"?> 10 und genutzt wird. Dieses Grundlagenwissen habe ich im Folgenden zusammengefasst und möchte den LeserInnen eine neue-- überwiegend sprachwissenschaftliche und diskursanalytische- - Sicht auf die Online-Enzyklopädie eröffnen. Dass mein Beitrag in der Reihe mit dem Titel „ DIALOGE “ erscheint, hat für mich zwei Bedeutungen: Zum einen erhoffe ich mir, dass er den Ausgangspunkt für den Dialog verschiedenster Personengruppen darstellt, die sich mit digitalen Plattformen und vor allem mit der Wikipedia beschäftigen. Mein Ziel ist es, detaillierte Informationen zum großartigen Projekt der Online-Enzyklopädie zu vermitteln, um all jene zu begleiten, die die Möglichkeiten und das Potential der Wikipedia voll ausschöpfen möchten. Der Fokus liegt dabei auf einer (diskurs-)linguistischen Herangehensweise, bei der- - den medialen Unkenrufen zum Trotz- - auf der Grundlage sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse Sprachwandel und sprachliche Variation durch Digitalisierung nicht als „Sprachverfall“, sondern als „Normalfall“ verstanden werden. Zum anderen kann dieser Beitrag zur Reihe „ DIALOGE “ aber auch selbst als Ergebnis eines solchen Dialogs verschiedenster Personengruppen verstanden werden. Während meiner Arbeit an diesem Buch habe ich vom Austausch mit vielen verschiedenen Personen profitiert: An erster Stelle danke ich Prof. Dr. Angelika Storrer und Dr. Ziko van Dijk sowie den Mitgliedern des DFG -geförderten Netzwerks „Diskurse-- digital: Theorien, Methoden, Fallstudien“ für die ausführlichen Diskussionen zu digitalen Diskursen und Wikipedia. Neben den vielen einschlägigen Fachtagungen waren auch die Wikipedia-Tagungen WikiCon und Wiki DACH eine große Bereicherung für meine Arbeit: Rudolf Simon hat mir mit seiner Einladung zur WikiCon 2017 erstmals ermöglicht, an einer der Wikipedia-Tagungen als Referentin teilzunehmen. Ein weiterer Höhepunkt meiner Beschäftigung mit der Wikipedia war die Organisation der Wiki DACH 2017, bei der ich zusammen mit Sebastian Wallroth rund 50 Wikipedia-Autoren und Wikipedia- <?page no="11"?> 11 Begeisterte an der Universität Mannheim begrüßen konnte. Als sehr wertvoll habe ich auch den Austausch mit den Lehrerinnen und Lehrern im Workshop „Wikipedia: Wissensformat zwischen freiem Wissen und Fake News im digitalen Zeitalter“, den ich an der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen in Esslingen leitete, empfunden. Zu Dank bin ich außerdem den Studierenden meiner Hauptseminare im Frühjahrssemester (Wikipedia aus text- und diskurslinguistischer Perspektive) und Herbstwintersemester 2017 (Linguistische Wikipedistik) an der Universität Mannheim verpflichtet, die sich engagiert und wissensdurstig in die Seminare eingebracht haben. <?page no="13"?> 13 1. Einführung: Relevanz und Reichweite der Wikipedia Die meisten Internetnutzer sehen in der digitalen Plattform Wikipedia bei ihrer täglichen Nutzung ein Nachschlagewerk, das ihnen bei Alltagsfragen zur ersten Orientierung dient. Zwischenzeitlich geht die Relevanz der Wikipedia jedoch weit über die Funktion einer Online-Enzyklopädie hinaus. Je nach Blickwinkel kann die Wikipedia auch als Nachrichtenquelle, als Kanal für Public Relations oder als Lehr- und Lerngegenstand gesehen werden. Diese möglichen Sichten auf Wikipedia sollen im Folgenden eingehend beschrieben werden. Besonders wichtig und den anderen Perspektiven übergeordnet ist in diesem Buch das Verständnis der Wikipedia als diskursiver Raum: Wikipedia stellt mit ihrer großen Reichweite eine neue digitale Teilöffentlichkeit dar, in der sich grundsätzlich alle Interessierten mit Internetzugang zu einer großen thematischen Bandbreite äußern können. Neben Einträgen zu Allgemeinwissen (z. B. zur Tierart der Schneehasen) werden dort auch viele aktuelle Themen etwa aus dem Bereich der Politik thematisiert, die häufig Gegenstand ausführlicher Kontroversen sind (z. B. die sogenannte Krimkrise). Dies wird besonders deutlich, wenn man hinter die Kulissen der Wikipedia schaut, also die weniger bekannten Bereiche wie Diskussionsseiten oder Versionsgeschichten der Online-Enzyklopädie betrachtet. Wikipedia-Autoren ringen dort um die aus ihrer Sicht richtige bzw. neutrale Benennung aktueller Geschehnisse. Es kommen dann Fragen dieser Art auf: Soll der Wikipedia-Eintrag zu den Ereignissen auf der Krim im Frühjahr 2014 als Krimkrise oder als Annexion der Krim bezeichnet werden? Während eine Krise ‚eine <?page no="14"?> 14 schwierige Lage bzw. Situation’ 1 ist, bedeutet Annexion so viel wie ‚gewaltsame und widerrechtliche Aneignung fremden Gebiets’ 2 . Anhand solcher Diskussionen in Wikipedia wird sichtbar, dass das Ringen um Worte dann auch ein Ringen um Weltdeutungen ist. Mit dem Durchsetzen spezifischer sprachlicher Muster geht in der Folge auch die Dominanz gewisser Weltdeutungen einher. Die Untersuchung des Aufkommens und der Verbreitung solcher Sprachmuster in einzelnen Wikipedia-Einträgen, in der gesamten Online-Enzyklopädie sowie in der medialen Öffentlichkeit insgesamt ist zentrales Anliegen der Diskurslinguistik. Vor dem Hintergrund der Aushandlung von Wissensbeständen im digitalen Diskurs der Wikipedia lässt sich auch begründen, warum der Begriff Interaktion im Titel dieses Beitrags so prominent gesetzt ist, obwohl er sonst wenig in Verbindung mit diskursanalytischen Arbeiten gebraucht wird. Für die digitalen Diskurse in Wikipedia ist charakteristisch, dass die enzyklopädischen Inhalte der Artikelseiten durch die aufeinander bezogenen Sprachhandlungen auf den Diskussionsseiten von Wikipedia-Autor zu Wikipedia-Autor zustande kommen. Die reflektierte Betrachtung digitaler Diskurse ist nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch ganz allgemein für Internetnutzer von zentraler Bedeutung. Sie ziehen nur dann den größten Nutzen aus der Online-Enzyklopädie, wenn sie auf diese kompetent zugreifen und deren diskursive Dimension erkennen. Obwohl vier von fünf Internetnutzern regelmäßig auf die Wikipedia zugreifen, kennen viele mit den Artikelseiten nur den enzyklopädischen Kern der Wikipedia. Hier wird deshalb die Struktur der Wikipedia er- 1 Duden online (2018): Annexion, URL : www.duden.de/ rechtschreibung/ Annexion, letzter Zugriff: 18. 07. 2018. 2 Duden online (2018): Krise, URL : www.duden.de/ rechtschreibung/ Krise, letzter Zugriff: 18. 07. 2018. <?page no="15"?> 15 läutert, um die zentrale Funktion der weniger bekannten Bereiche wie Diskussionsseiten und Versionsgeschichte zu verdeutlichen. Dieses Wissen und der kompetente Zugriff sind in vielen verschiedenen Kontexten relevant: Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der reflektierte Umgang mit Wikis und vor allem mit der Wikipedia nicht nur unter dem Vorzeichen der Zitierfähigkeit in der Hochschullehre zu diskutieren ist. Wikipedia wird etwa auch als Anschauungsobjekt für Schreibtrainings genutzt. Im Dialog mit Lehrern hat sich herausgestellt, dass eine Heranführung von Schülern an die reflektierte Nutzung der Wikipedia sehr viel zielführender ist und zu mehr Medien- und Informationskompetenz führt als ein grundsätzliches Verbot der Wikipedia. Die Wikipedia wird zunehmend auch für die journalistische Recherche genutzt. Den Journalisten kommt in ihrer Funktion als Informationsmittler die besondere Aufgabe zu, Informationen aus dem Netz vor der journalistischen Weiternutzung besonders eingehend zu prüfen. Für diese Berufsgruppe ist deshalb ein kompetenter Umgang mit Wikipedia unumgänglich. Die Wikipedia ist aufgrund ihrer Reichweite auch für die Darstellung von Organisationen und Institutionen nicht zu unterschätzen. PR -Experten haben die Wikipedia als PR-Kanal entdeckt und es gibt Projekte zu bezahltem Schreiben in der Wikipedia. Nicht zuletzt können auch Wissenschaftler, die zum interdisziplinären Feld der Wikipedistik beitragen möchten, indem sie die Wikipedia oder grundsätzlich Wikis zum Untersuchungsgegenstand ihrer Forschungsprojekte machen, inspirierende Hintergrundinformationen in diesem Buch finden. <?page no="16"?> 16 1.1 Wikipedia als Online-Enzyklopädie und diskursiver Raum Die Wikipedia ist nicht nur ein kontrovers diskutiertes Nachschlagewerk, das vielen im Alltag zur ersten Orientierung dient, sondern mit über 40 Millionen Artikeln in rund 295 Sprachen auch die größte (Online-)Enzyklopädie weltweit. Monatlich greifen 500 Millionen Nutzer auf ihre Inhalte zu und Tausende ehrenamtlicher Autoren erweitern die Wikipedia kontinuierlich. Die Erfolgsgeschichte der Wikipedia begann 2001 mit der Idee des Gründers Jimmy Wales, der sich fragte: „Was wäre, wenn das gesamte Wissen der Menschheit frei zugänglich ist? “ (Wikimedia e. V. Deutschland 2011: 9). Zwischenzeitlich liegt Wikipedia auf Rang 5 des Alexa-Rankings und ist somit eine der erfolgreichsten digitalen Plattformen weltweit („The top 500 sites on the web“ 3 ) noch vor dem sozialen Netzwerk Twitter (Rang 10). Rund 17 Jahre nach ihrer Gründung verzeichnet die Wikipedia auch zahlreiche Artikel zu aktuellen Ereignissen oder prominenten Personen, die auf ein besonders großes Interesse stoßen: So wurde die Wikipedia-Seite zu Donald Trump in der englischen Wikipedia allein im Januar 2017 mehr als neun Millionen mal aufgerufen. 4 Zu vielen dieser Artikel in der Wikipedia gibt es hypertextuell verknüpfte Diskussionsseiten, die den Autoren die Möglichkeit geben, die Ausgestaltung der Einträge, aber auch den Prozess der kollaborativen Wissensproduktion zu thematisieren. Die Online- Enzyklopädie ist somit nicht nur als eines der erfolgreichsten 3 Alexa (2018): The top 500 sites on the web, URL: https: / / www.alexa.com/ topsites, letzter Zugriff: 19. 07. 2018. 4 Wikimedia Tool Labs (2017): Pageviews Analysis, URL : https: / / tools.wmflabs. org/ pageviews/ ? project=en.wikipedia.org&platform=all-access&agent=user &start=2017-01-01&end=2017-01-31&pages=Donald_Trump, letzter Zugriff: 18. 07. 2018. <?page no="17"?> 17 Projekte im Social Web zu verstehen, sondern auch als sozialer Raum zu deuten, in dem Wissen sprachlich von vielen Akteuren ausgehandelt wird. Ein Grund für die frequente Nutzung der Wikipedia ist sicherlich auch, dass sie in der Suchmaschine Google oftmals unter den ersten Treffern zu finden ist, wie Spoerri bereits in der frühen Phase der Wikipedia feststellen konnte: In einer Fallstudie fand er heraus, dass bereits 2007 rund 96 Prozent der Einträge in seinem Sample an Wikipedia-Artikeln unter den sieben ersten Google- Treffern zu finden waren (Spoerri 2007: o. S.). Bei einer Befragung deutscher Internetnutzer antworteten vier von fünf der rund 1000 Befragten, dass sie Wikipedia nutzen. Auch das Vertrauen in die Qualität der Wikipedia ist relativ hoch: Von den befragten Wikipedia-Nutzern stimmten 67 Prozent der Aussage zu „Die Inhalte der Artikel sind meistens verlässlich“. Weitere zwölf Prozent der Wikipedia-Nutzer hielten die enzyklopädischen Inhalte der Wikipedia für „immer verlässlich“. 5 Ausschlaggebend für den Erfolg der Wikipedia ist sicher auch das große Spektrum an Themen, das dort enzyklopädisch dokumentiert wird. Die im Folgenden überwiegend betrachtete deutsche Sprachversion belegt-- bei Betrachtung der Artikelzahl-- mit ihren rund 2,18 Millionen Artikeln Platz vier der Liste der größten Sprachversionen. Angeführt wird die Liste von der englischen Sprachversion mit 5,65 Millionen Artikeln, gefolgt von der Sprachversion in Cebuano 6 (5,38 Millionen Artikel) und der schwedischen Sprachversion (3,78 Millionen Artikel). Anzumerken ist 5 Bitkom (2016): Vier von fuenf Internetnutzern recherchieren bei Wikipedia, URL : www.bitkom.org/ Presse/ Presseinformation/ Vier-von-fuenf-Internetnutz ern-recherchieren-bei-Wikipedia.html, letzter Zugriff: 18. 07. 2018. 6 „Cebuano [ist eine] austronesische Sprache, die auf den Philippinen von etwa 18 Millionen Menschen gesprochen wird“ (Wikipedia (2018): Cebuano, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Cebuano_(Sprache), letzter Zugriff: 19. 07. 2018). <?page no="18"?> 18 jedoch, dass es große Unterschiede zwischen den Sprachversionen gibt: In der cebuanosprachigen Wikipedia etwa werden 99 Prozent und in der schwedischen Wikipedia 58 Prozent der Bearbeitungen von Bots durchgeführt, wohingegen in der englischen Version nur neun Prozent und in der deutschen Version lediglich zehn Prozent der Bearbeitungen durch Bots erfolgen. Vor allem in der Cebuano- Version sind viele Artikel kurze bot-generierte Übersetzungen aus anderen Sprachversionen. 7 Die Sprachversionen unterscheiden sich jedoch nicht nur durch den Anteil maschinell erzeugter Textpassagen. Es gibt auch große Unterschiede bezüglich der Seitenaufrufe, die die einzelnen Sprachversionen aufweisen können und die deren Relevanz und Reichweite belegen: Die englische Sprachversion wird 4,5 Millionen mal, die deutsche Sprachversion 640 000 mal pro Stunde aufgerufen. Die schwedische Version hingegen nur 34 500 mal, die Version in Cebuano sogar nur 1270 mal pro Stunde. 8 1.2 Wikipedia als Diskussionsgegenstand In den mittlerweile 17 Jahren ihrer Geschichte ist und war die Wikipedia immer wieder Gegenstand gesamtgesellschaftlich geführter Debatten. Besonders gut lässt sich die mediale Berichterstattung zur Wikipedia in Zeitungen, im Radio und im Fernsehen rekonstruieren. Dies gelingt der Wikipedia-Gemeinschaft eindrucksvoll auf einer eigens eingerichteten Seite des Wikipedia-Projekts unter dem Titel „Pressespiegel“ (Wikipedia 2018: Pressespiegel). Dieser Pressespiegel wird durch Wikipedia-Autoren erstellt und erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Deutlich wird über 7 Wikimedia (2018): Wikipedia Statistics, URL : https: / / stats.wikimedia.org/ EN / Sitemap.htm, letzter Zugriff: 15. 06. 2018. 8 Ebd. <?page no="19"?> 19 diese Zusammenschau dennoch, dass das mediale Interesse an Wikipedia nach wie vor ungebrochen ist. Berichteten anfangs eher besonders netzaffine Medien, finden sich mittlerweile monatlich Berichte zu unterschiedlichsten Aspekten der Wikipedia in Qualitätszeitungen wieder. Im Wikipedia-Pressespiegel werden Beiträge zur Wikipedia in deutschsprachigen Medien aufgeführt. Der Pressespiegel ist unter dem folgenden Link zu finden: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Pressespiegel. In den ersten Jahren der Wikipedia-Geschichte (2002 / 2003) dominierte in der medialen Berichterstattung die Präsentation des Formats einer kollaborativ erstellten Online-Enzyklopädie. Titel der Medienbeiträge gaben auch Auskunft über die ersten Erfolge der Wikipedia gemessen an deren Artikelzahlen, wie etwa „Online-Enzyklopädie Wikipedia mit mehr als 200 000 Artikeln“. 9 Thematisiert wurde in der frühen Phase die Offenheit der Wikipedia und die Möglichkeit aller Internetnutzer die Enzyklopädie zu editieren. Ab 2005 weist der Pressespiegel dann einige negative Meldungen auf, in denen Journalisten Überforderungsdiagnosen stellten. Manche Aspekte der Wikipedia werden in medialen Diskursen ambivalent diskutiert: So heißt es am 28. Mai 2005 im Focus noch „Die Reaktionsgeschwindigkeit ist Wikipedias Trumpf-- Schon am Abend der Papstwahl erschien in der freien Enzyklopädie ein umfangreicher Eintrag über den neuen Heiligen Vater“. 10 Während hier 9 Heise Online (2004): Online Enzyklopaedie Wikipedia mit mehr als 200 000 Artikeln, URL : www.heise.de/ newsticker/ meldung/ Online-Enzyklopaedie-Wik ipedia-mit-mehr-als-200-000-Artikeln-92875.html, letzter Zugriff: 01. 06. 2018. 10 Focus (2005): Gigantisches Wissenspuzzle. URL : www.focus.de/ digital/ internet/ lexikon-gigantisches-wissenspuzzle_aid_208464.html, letzter Zugriff: 19. 07. 2018. <?page no="20"?> 20 noch die Aktualität der Wikipedia gelobt wird, werden zu einem späteren Zeitpunkt des Jahres-- wiederum im Focus-- inhaltliche Mängel kritisiert: „Lexikon mit Lücken. Die Web-Enzyklopädie Wikipedia, unter Manipulationen und Fehlern leidend, ringt um ihr gutes Image“. 11 Ein wiederkehrendes Thema ist in den Medien auch die Finanzierung der Wikipedia: 2014 betitelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Beitrag wie folgt: „Spendenwunder Wikipedia. Warum das Online-Lexikon so erfolgreich Geld einwirbt“. 12 Nur zwei Jahre später heißt es dort abwertend: „Alle Jahre wieder bittet Wikipedia um Spenden. Aber was passiert mit dem Geld eigentlich genau? “ 13 Die Beispiele zeigen, dass sich die anhaltende mediale Auseinandersetzung mit der Online-Enzyklopädie insbesondere auf deren innovative Aspekte fokussiert: Es geht immer wieder um die kollaborative Natur der Wikipedia, die von vielen Autoren ehrenamtlich erstellt wird. Auch die Finanzierung durch zahlreiche (z. T. kleine) Geldsummen vieler Spender (Crowdfunding) führt zu umfangreichen Kontroversen in den Medien. 11 Focus (2005): Lexikon mit Lücken. URL : www.focus.de/ digital/ internet/ wissen-lexikon-mit-luecken_aid_212005.html, letzter Zugriff: 18. 07. 2018. 12 FAZ (2014): Spendenwunder Wikipedia: Warum das Online-Lexikon so erfolgreich Geld einwirbt. URL : www.faz.net/ aktuell/ finanzen/ spendenwunder-wiki pedia-warum-das-online-lexikon-so-erfolgreich-geld-einwirbt-13333301.html, letzter Zugriff: 19. 07. 2018. 13 FAZ (2016): Braucht Wikipedia unser Geld? , URL: www.faz.net/ aktuell/ wirtschaft/ netzwirtschaft/ faz-net-faktencheck-braucht-wikipedia-unser-geld-14533521. html, letzter Zugriff: 19. 07. 2018. <?page no="21"?> 21 1.3 Wikipedia als Recherchewerkzeug und Nachrichtenquelle Für die Nutzung der Wikipedia als Recherchewerkzeug durch Journalisten führen Neubart und Neuberger Folgendes aus: „83 Prozent der Leiter von Internetredaktionen sagten, dass die Informationen der Wikipedia ‚meistens‘ zuverlässig seien. Zwölf Prozent hielten sie sogar ‚(fast) immer‘ für richtig“ (Neubarth / Neuberger 2012). Insbesondere die Aktualität und das Spektrum der behandelten Themen mögen Gründe für die Nutzung der Wikipedia durch Journalisten sein. An einem Beispiel kann dies gezeigt werden: Bei den Terroranschlägen am 13. November 2015 in Paris ereignete sich die erste Detonation abends gegen 21: 20 Uhr. Bereits um 22: 00 Uhr, also lediglich 40 Minuten später, wurde in der französischen Version der Wikipedia ein Artikel zu den Anschlägen initiiert. Rund eine Stunde später folgte dann ein Eintrag in der deutschen Version der Wikipedia, der in der ersten folgenden Stunde insgesamt 71 mal aktualisiert wurde. Bei anderen aktuellen Ereignissen zeigt die Wikipedia-Gemeinschaft ähnliche Reaktionsgeschwindigkeiten. Bei einigen Wikipedia-Autoren ist dieses frühe und schnelle Aktualisieren der Wikipedia unerwünscht und wird mit despektierlichen Begriffen wie Newstickeritis belegt. Auf den Diskussionsseiten der Wikipedia finden sich immer wieder entsprechende Hinweise kritischer Autoren, um dem (nicht regelkonformen) Wunsch mancher, die Wikipedia nicht enzyklopädisch, sondern journalistisch zu bearbeiten, entschieden zu begegnen: Wikipedia ist kein Nachrichtenportal oder Veranstaltungskalender und dient nicht der aktuellen Berichterstattung. Einen Rahmen für Nachrichten und aktuelle Berichterstattung bietet das Schwesterprojekt Wikinews. 14 14 Wikipedia (2018): Meinungsbild / WP : WWNI , Punkt 8, URL : https: / / de. <?page no="22"?> 22 Um einen eigenen Raum für die journalistische Berichterstattung in den Projekten der Wikimedia-Bewegung zu schaffen, wurde Wikinews als internationales Wikimedia-Projekt zur gemeinschaftlichen Erstellung einer freien und neutralen Nachrichtenquelle gegründet: Wikinews ermöglicht es jedem Internet-Nutzer, Nachrichten zu einem breiten Themenkreis zu veröffentlichen.-[…] Das Projekt will die Idee des Bürgerjournalisten (auch Graswurzel-Journalismus) verbreiten. 15 Die Hauptseite des Projekts „Wikinews“ findet sich über den folgenden Link: https: / / de.wikinews.org/ wiki/ Hauptseite. Trotz dieses zusätzlichen Angebots ist es nach wie vor gängig, tagesaktuelle Themen auch in der Wikipedia zeitnah zu thematisieren, was diese sicherlich für viele Internetnutzer auch besonders attraktiv macht. Problematisch ist die hohe Aktualität dann, wenn (noch) ungesichertes Wissen oder gar vorsätzlich eingefügte Falschinformationen ungeprüft übernommen werden, wie der Fall um Karl-Theodor zu Guttenberg zeigt. Ein anonymer Autor fügte 2009 kurz vor dessen Amtseinführung als Bundesminister einen falschen elften Vornamen (Wilhelm) in den Wikipedia-Eintrag zum Politiker ein. Die Falschinformation fand in der Folge Eingang in die Berichterstattung mehrerer überregionaler Tageszeitungen. Im Interview mit der Zeitung „Die Zeit“ sagte der Urheber des falschen Eintrags: „Mich hat-[…] sehr überrascht, wie viele Medien den Fehler übernahmen. Mich überraschte auch die Tatsache, dass die Wikipedia wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Meinungsbilder/ WP : WWNI ,_Punkt_8, letzter Zugriff: 18. 06. 2018. 15 Wikipedia (2018): Wikinews, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikinews, letzter Zugriff: 28. 06. 2018. <?page no="23"?> 23 im Gegensatz zu den Journalisten den Fehler bemerkte und löschte. Und er erst dadurch, dass der falsche Name zu dieser Zeit schon in der Welt war, er wieder in die Wikipedia zurückkam.“ 16 In der Wikipedia forderte die Wikipedia-Gemeinschaft schnell Einzelnachweise für den elften Vornamen des Politikers, die dann allerdings aus der journalistischen Berichterstattung geliefert werden konnten, wie der anonyme Autor erklärt: Doch der falsche Vorname verschwand nur kurzzeitig aus der Online-Enzyklopädie. Denn der Einzelnachweis war schnell gefunden: Schließlich konnte man ja bei ‚Spiegel Online‘ nachlesen, dass sich der Minister selbst so nennt. Weil Journalisten ungeprüft von Wikipedia abschreiben und Wikipedia journalistische Texte als glaubwürdige Quelle betrachtet, wurde der erfundene Vorname schnell zur medialen Wirklichkeit. 17 Was man als Macht eines selbstreferenziellen Kreislaufs bezeichnen kann, zwang mehrere Medien zum Eingeständnis mangelhafter Recherche-Prozesse. Zwar sind solche Manipulationen eher die Ausnahme, dennoch ist es für Journalisten besonders wichtig, Inhalte der Wikipedia genau zu prüfen. 1.4 Wikipedia als PR -Kanal Zunehmend wird Wikipedia von PR -Experten auch als PR -Kanal verstanden und rückt somit aufgrund ihrer Reichweite in den Fokus von Unternehmen, Parteien und Non-Profit-Organisationen. Gerade in der frühen Phase der Wikipedia versuchten bei- 16 Die Zeit (2009): Mich hat überrascht, wie viele den Fehler übernahmen, URL : www.zeit.de/ online/ 2009/ 08/ guttenberg-bildblog-namensfaelschung, letzter Zugriff: 18. 07. 2018. 17 Bildblog (2009): Wie ich Freiherr von Guttenberg zu Wilhelm machte, URL : https: / / bildblog.de/ 5704/ wie-ich-freiherr-von-guttenberg-zu-wilhelm-machte/ , letzter Zugriff: 18. 07. 2018. <?page no="24"?> 24 spielsweise Firmen, das Bild ihrer Vergangenheit, ihrer Produkte oder einzelner Unternehmensangehöriger zu beschönigen. Die PR- Experten editierten die Wikipedia-Beiträge dann in (scheinbarer) Anonymität als nicht-angemeldete Nutzer (sogenannter IPler), um Manipulationsversuche zu vertuschen. Wiki-Projekte wie Wikiscanner oder Wikiwatchdog ermöglichen es jedoch, solche heimlichen Bearbeitungen aufzudecken. In Wikiwatchdog beispielsweise lassen sich zu einer IP -Adresse, die einer bestimmten URL zuzuordnen ist, alle Bearbeitungen eines Unternehmens sichtbar machen. So können für den 5. Mai 2005 Änderungen am Eintrag Wal-Mart von einer IP -Adresse nachvollzogen werden, die einer URL des Unternehmens zuzuordnen ist (Wal-Mart Stores Inc.). Vor der Bearbeitung durch eine IP -Adresse des Unternehmens war im Eintrag zum Unternehmen Folgendes zu lesen: As of 2004, about 70 % of the products sold in Wal-Mart stores have at least a component manufactured in China. 18 Dieser Absatz im Eintrag zu Wal-Mart wurde durch einen Internetnutzer mit einer Unternehmens- IP auf grundlegende Weise sprachlich abgewandelt und ersetzt: Eve [! ] today, though, Wal-Mart buys merchandise and services from more than 68,000 U. S [! ] suppliers and supports over 3.5 million supplier jobs in the United States. 19 Solche perspektivisch formulierten Änderungen laufen der Regel des Wikipedia-Projekts vom „Neutralen Standpunkt“ zuwider und werden deshalb- - häufig innerhalb kürzester Zeit- - von der Wikipedia-Gemeinschaft rückgängig gemacht. Diese negativen 18 Wikipedia (2005): Diskussion zum Lemma Wal-Mart, URL: https: / / en.wikipedia. org/ w/ index.php? title=Walmart&diff=next&oldid=13283659, letzter Zugriff: 18. 06. 2018. 19 Ebd. <?page no="25"?> 25 Beispiele waren Grund dafür, dass das bezahlte Schreiben in Wikipedia zunächst sehr kritisch gesehen wurde. Die Auffassung der Wikipedia-Gemeinschaft zu bezahltem Schreiben durch PR-Experten hat sich in den letzten Jahren jedoch gewandelt: Zwischenzeitlich werden in einem eigens eingerichteten Wikipedia-Projekt die Rahmenbedingungen für bezahltes Schreiben festgelegt. In vielen Fällen ist es durchaus wünschenswert, dass Mitarbeiter einer Organisation die enzyklopädisch relevanten Informationen über ihren Arbeitgeber in der Wikipedia aktualisieren. Häufig haben sie intern einen besseren und schnelleren Zugang zu Daten- und Wissensbeständen. Die Wikipedia- Gemeinschaft hat deshalb die Möglichkeit für Organisationen und Institutionen eröffnet, über einen sogenannten verifizierten Nutzer-Account ganz offiziell und transparent beispielsweise zum eigenen Firmen-Eintrag in der Online-Enzyklopädie beizutragen. Weitere Informationen zum Projekt „bezahltes Schreiben“ finden sich unter dem folgenden Link: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Wiki- Projekt_Umgang_mit_bezahltem_Schreiben. Begleitend haben Wikipedia-Autoren auch Leitfäden erarbeitet, die bezahlte Beiträge von PR -Agenturen oder von institutionell angebundenen PR -Experten reglementieren. 1.5 Wikipedia als Lehr- und Lerngegenstand in Schule und Hochschule Keine Werkzeuge und keine Medien [sind] aus sich heraus gut oder schlecht, sondern immer nur so brauchbar wie der, der sie sinnvoll benutzen kann oder eben nicht. Das heißt, Google und Wikipedia werden von den meisten Benutzern schlecht, wenn nicht gar kontraproduktiv, jedenfalls häufig völlig dysfunktional verwendet. Das ist aber kein Problem der Tools, <?page no="26"?> 26 wie man annehmen könnte, sondern Ergebnis mangelnder Kompetenz und Reflexion der Anwender. (Ballod 2010, 48) Rund vier Stunden beträgt die Nutzungsdauer des Internets in der Gruppe der 14bis 29-Jährigen in Deutschland täglich. In dieser Zeit greifen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus unterschiedlichsten Gründen über Smartphones, Tablets und Notebooks auf digitale Plattformen und Online-Dienste zu ( ARD / ZDF 2016: 3). Insgesamt 14 Prozent der Zeit im Internet verwenden sie für die Informationssuche, was in absoluten Zahlen etwa 34 Minuten entspricht. Bei dieser Informationssuche konsultiert ein beträchtlicher Anteil an Schülern regelmäßig Online-Enzyklopädien: Auf die Frage „Wie häufig nutzt Du zu Deiner Unterrichtsvor- oder -nachbereitung bzw. bei Deinen Hausaufgaben eines oder mehrere der nachfolgenden Online-Angebote oder -dienste? “ antworten immerhin 67 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit „mind. 1x pro Woche eine Online-Enzyklopädie (z. B. Wikipedia)“ (Initiative D 21 2016: 17). Laut einer Bitkom-Studie bejahen zudem 92 Prozent der befragten 14bis 29-Jährigen die Frage „Nutzen Sie die Online-Enzyklopädie Wikipedia? “ 20 In pädagogischen und didaktischen Diskursen wird die Wikipedia jedoch häufig nach wie vor als problematische Quelle diskreditiert, wie dies Virtue (2017: 6) zusammenfasst: „The intersection of Wikipedia and higher education has often seemed limited to the idea that students should not cite Wikipedia because it is not credible“. In vielen Fällen steht dann die Frage nach der Zitierfähigkeit der Online-Enzyklopädie im Vordergrund der Überlegungen: „Auch wenn es Gegenbeispiele in Form sehr guter Einzelartikel gibt, kann Wikipedia im Ganzen 20 Bitkom (2016): Vier von fünf Internetnutzern recherchieren bei Wikipedia, URL: www.bitkom.org/ Presse/ Presseinformation/ Vier-von-fuenf-Internetnutzernrecherchieren-bei-Wikipedia.html, letzter Zugriff: 18. 07. 2018. <?page no="27"?> 27 nicht als zitierfähig bewertet werden, denn das fachliche Niveau ist nicht immer garantiert“ (Gerstenberg 2013: 52). Warnen auch viele Lehrkräfte Lernende davor, auf die Wikipedia zuzugreifen, steht diesem Bannspruch jedoch eine rege Nutzung der Online-Enzyklopädie durch die Lehrkräfte selbst gegenüber: Auf die Frage „Wie häufig nutzen Sie für Ihre Unterrichtsvor- oder -nachbereitung Online-Lexika (z. B. Wikipedia)? “ antworten immerhin 63 Prozent der Lehrkräfte mit „mind. 1x pro Woche“ (Initiative D 21 2016: 17). Immer mehr setzen sich alternative Herangehensweisen an die Online-Enzyklopädie in didaktischen Kontexten durch, die unter dem Begriff Wikipedaktik zusammengefasst werden können: Vereinzelt wird Wikipedia als Gegenstand von Schreibtrainings, als Beispiel zur kollaborativen Textproduktion oder ihr Potential als Quelle in der universitären Lehre beschrieben (Gredel 2018). Es geht also nicht darum, den Zugriff auf Wikipedia in pädagogischen und didaktischen Kontexten per se zu verbieten, sondern Lernende an den reflektierten Umgang mit der digitalen Plattform heranzuführen. Weiterführende Informationen zum Einsatz der Wikipedia als Lehr- und Lerngegenstand in der Schule bietet das Wikipedia-Projekt „Wikipedia macht Schule“ unter diesem Link: https: / / meta.wikimedia.org/ wiki/ Wikipedia_macht_Schule. In Kapitel 5 wird exemplarisch das Tool Wikibu beschrieben, das sich für den didaktischen Einsatz in der Schule eignet. <?page no="28"?> 28 1.6 Wikipedia als Untersuchungsgegenstand in der Wissenschaft Die Wikipedia wird als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand intensiv beforscht. Für das interdisziplinäre Feld wissenschaftlicher Arbeiten hat sich der Begriff Wikipedistik etabliert, der folgendermaßen im Wiktionary definiert wird: Wikipedistik ist „die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen Wikipedia im Speziellen und mit Wikis im Allgemeinen“ 21 . So wird das Zusammenwirken der Wikipedia-Autoren im Rahmen der kollaborativen Textproduktion in sozialwissenschaftlichen Studien analysiert. Psychologen interessieren sich für die Motivationslagen einzelner Autoren, die diese dazu veranlassen, unentgeltlich bzw. ehrenamtlich zur Wikipedia beizutragen. Ein beträchtlicher Anteil wikipedistischer Arbeiten ist dem Teilbereich der Linguistischen Wikipedistik zuzuordnen, in dem die Wikipedia aus der Perspektive verschiedener linguistischer Teildisziplinen betrachtet wird: In der Grammatikforschung wird analysiert, welche neuen grammatikalischen Muster auf den Diskussionsseiten der Wikipedia genutzt werden. Lexikographische Arbeiten betrachten Wikipedia als Beispiel für ein sachlexikographisches Produkt und fokussieren die kollaborative Erarbeitung enzyklopädischer Inhalte. Der in diesem Beitrag zentrale diskurslinguistische Zugang untersucht die transtextuelle Verbreitung sprachlicher Muster über verschiedene Versionen eines Artikels, über verschiedene Artikel und Diskussionsseiten oder über mehrere Sprachversionen hinweg. 21 Wiktionary (2018): Wikipedistik, URL : https: / / de.wiktionary.org/ wiki/ Wikipedistik, letzter Zugriff: 19. 07. 2018. <?page no="29"?> 29 2. Diskursanalysen als Methode für Sprach-, Kultur- und Gesellschaftsanalysen Die Diskurslinguistik in der Tradition Foucaults ist eine der jüngeren linguistischen Teildisziplinen. Frühe diskurslinguistische Arbeiten entstanden bereits in den 1990er Jahren. Die Herausbildung als eigenständiges Forschungsfeld erfolgte dann in den 2000er Jahren. Im Gegensatz zu anderen Bereichen der Linguistik nimmt die Diskurslinguistik relativ große sprachliche Einheiten als Untersuchungsgegenstand in den Blick: Während sich- - vereinfacht gesprochen-- die Semantik mit Wörtern, die Grammatik mit Sätzen und die Textlinguistik mit Texten und Textsorten beschäftigt, nimmt sich die Diskurslinguistik transtextuelle Einheiten zu einem Thema vor. In Diskursanalysen wird eine große Zahl thematisch zusammengehöriger Texte analysiert, die häufig ein gesamtgesellschaftlich relevantes Thema (z. B. eine Finanz- oder Staatskrise) besprechen. Gefragt wird dann danach, wie bestimmte sprachliche Muster und Mittel in diesen transtextuellen Einheiten (Textformationen) genutzt und weiterentwickelt werden. Die in Diskursanalysen betrachteten sprachlichen Muster können ganz unterschiedliche Ebenen einer Sprache berühren. Potentielle Analyseebenen sind: ▷ Die Wortebene mit Wortbildungsprodukten: alternativlos ▷ Neue grammatische Muster: sie kann Kanzlerin ▷ Sätze / Phrasen: Wir schaffen das. ▷ Textuelle Muster wie Metaphern: Eurosklerose, Europa der zwei Geschwindigkeiten ▷ Bilder / Text-Bild-Kombinationen: Bilder von der Merkel- Raute <?page no="30"?> 30 Das Ziel von Diskursanalysen ist es unter anderem, sichtbar zu machen, wie sprachliche Muster ausdifferenziert werden, um in Texten (z. B. in Zeitungsartikeln, in Wahlprogrammen oder Werbeanzeigen) Weltsichten zu einem Thema zu konstruieren. Berücksichtigt wird in Diskursanalysen auch, wie sich bestimmte sprachliche Einheiten im sozialen Raum verbreiten. Geht man davon aus, dass Sprache immer auch sozial geprägt ist und ihrerseits wiederum Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse hat, sind Diskursanalysen nicht nur Sprachanalysen, sondern auch Gesellschaftsanalysen. Betrachtet man kontrovers verhandelte Themen, etwa europapolitische Entwicklungen wie den Brexit in mehreren Nationen, z. B. über den Vergleich von Zeitungen in verschiedenen Ländern, können Diskursanalysen darüber hinaus auch als Kulturanalysen verstanden werden. 2.1 Definition zum Begriff Diskurs Der Begriff Diskurs ist mittlerweile in vielen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen relevant und wurde dort vielfach definiert. Für den diskurslinguistischen Ansatz in der Tradition Foucaults bietet sich die folgende Definition an: Diskurse sind Mengen von Texten oder Aussagen, die - zeitlich aufeinander folgen, - bestätigend oder kritisch aufeinander bezogen werden, - differenzierend fortgeführt werden, - Wissensgemeinschaften kennzeichnen - und Traditionen etablieren. Verbreitet ist es in der Diskurslinguistik, Zeitungstexte als Untersuchungsgegenstand diskursanalytischer Studien heranzuziehen. <?page no="31"?> 31 Untersucht wird dann, welche sprachlichen Muster Journalisten nutzen, um über mehrere Monate oder Jahre hinweg über Themen wie beispielsweise die Finanzbzw. Eurokrise zu berichten. Als Datengrundlage dienen alle Texte einer (oder mehrerer) Zeitung(en), die zu diesem Themenkomplex journalistische Texte in einem bestimmten durch das Thema vorgegebenen Zeitraum veröffentlichten. Dabei können etwa mit Bezug zur Analyseebene Metapher folgende Fragestellungen untersucht werden: ▷ Welche Metaphern kommen zum Einsatz? ▷ Wie werden Metaphern im Diskurs variiert? ▷ Welche bildspendenden Felder kommen zum Einsatz? ▷ Wer kommt in den Texten zu Wort bzw. wer wird zitiert (z. B. Politiker)? Wer nutzt welche Metaphern? ▷ Wie prominent wird in einer Zeitung über ein Thema berichtet? Am Beispiel der Analyseebene Metapher sollen diskurslinguistische Erkenntnisinteressen im Folgenden weiter illustriert werden. 2.2 Metaphern als diskursive Einheiten Metaphern können diskursive Einheiten sein, das heißt sie stehen am Anfang von Diskursen, charakterisieren diese und werden dort aufgegriffen und abgewandelt. Insgesamt hat die Betrachtung von Metaphern eine lange Tradition, die sich bis auf Aristoteles zurückführen lässt. Allerdings hat sich die Auffassung von Metaphern grundlegend gewandelt. Lange Zeit wurden diese lediglich als „Schmuck“ in besonders ausgearbeiteten Reden verstanden. Hinzu kam die Auffassung, dass Metaphern immer auch durch nichtmetaphorische Ausdrücke ersetzt werden können. Spätestens seit dem 20. Jahrhundert hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass Metaphern eine große Relevanz in der Alltagssprache und in <?page no="32"?> 32 allen Bereichen der Gesellschaft (unter anderem in der Politik, in der Wissenschaft und in der Medizin) haben. Ihre Funktion wird nicht mehr nur als ornamentale Funktion verstanden, sondern darin gesehen, in Abgrenzung zu konkurrierenden Metaphern verschiedene Weltdeutungen und Weltsichten sprachlich zu realisieren. Mittlerweile wird die Metapher als ein grundlegendes Prinzip der Alltagssprache verstanden. Zudem hat sich die Auffassung verbreitet, dass das Auswechseln einer Metapher häufig den Sinn bzw. die Perspektive einer Äußerung wandelt. Aus Sicht der Sprachwissenschaft ist die maßgebliche Leistung des Metaphorisierens eine Syntheseleistung in Form einer Zusammenschau des scheinbar Unzusammenhängenden. Zentral für aktuelle Metapherntheorien ist die Idee, dass in einem metaphorischen Ausdruck zwei Bildfelder miteinander in Interaktion gebracht werden. Ist von Flüchtlingsflut im Migrationsdiskurs die Rede, dann ist das bildspendende Feld das der Naturkatastrophen und das bildempfangende Feld ist das der Flüchtenden. Vom bildspendenden Feld (Naturkatastrophen) werden Bedeutungsaspekte auf das bildempfangende Feld (Flüchtende) übertragen. Bereits an diesem Beispiel wird deutlich, dass Metaphern dazu dienen, in Diskursen Weltsichten zu konstruieren. Welche Effekte und welche Funktion solche Metaphern in Diskursen haben, soll im folgenden Abschnitt im Detail erläutert werden. 2.3 Konkrete Metaphern-Beispiele in verschiedenen Diskursen Metaphern kommen in allen Bereichen der Alltagssprache vor. Drei Beispiele aus den Bereichen der Migrationspolitik, der Medizin / Psychologie sowie der Europapolitik sollen dies illustrieren. In Medientexten zum Migrationsdiskurs ab 2015 fanden sich immer wieder Metaphern wie Flüchtlingsstrom, Flüchtlingswelle <?page no="33"?> 33 oder Flüchtlingsflut. Mit dem bildspendenden Feld der Naturgewalten bzw. Naturkatastrophen (Flut, Welle, Strom, teilweise auch Schwemme oder Lawine) wird das bildempfangende Feld der Flüchtenden entmenschlicht. Bereits 2014 verwendet die Bild- Zeitung sogar die Metapher Flüchtlings-Tsunami, die sie auf einen italienischen Politiker zurückführt: Ein italienischer Sicherheitspolitiker sprach schon zu Beginn des Jahres von einem ‚Flüchtlings-Tsunami‘, der im Sommer drohe, ‚Italien tut, was es kann‘, heißt es von Regierungsseite. Man sei aber auf die Hilfe der EU angewiesen, sollte es tatsächlich zu einem dramatischen Ansturm von Migranten kommen. 22 Über solche Metaphern werden die negativen Aspekte der Migration betont: Es werden Merkmale von Naturkatastrophen wie Unbeherrschbarkeit auf die Geflüchteten projiziert und die (angeblich verheerenden) Folgen der Migration werden mit den verschiedenen Metaphernvarianten sprachlich ins Bild gesetzt. Auch wenn im geschriebenen Text mancher Zeitungsartikel Metaphern wie Flüchtlings(zu)strom, Flüchtlingswelle oder gar Flüchtlingsflut nicht verwendet werden, setzen sie häufig mit Fotos solche Metaphern ins Bild, werden doch lange Züge von Flüchtenden präsentiert, die sich auf Landstraßen fortbewegen und dabei Wasserläufen gleichen, was auch auf den zugehörigen Diskussionsseiten metadiskursiv verhandelt wird. Vielfach sind diese Metaphern in medialen Diskursen sprachkritisch reflektiert worden. Deutlich wird an diesem Metadiskurs, dass Metaphern oftmals keine neutrale Beschreibung von Entwicklungen und Prozessen sind, sondern meinungsbildende und argumentationsstützende Funktion haben. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Medizin spielen 22 Bild (2014): Europa ist ihre letzte Hoffnung, URL : www.bild.de/ politik/ ausland/ fluechtling/ fluechtlings-tsunami-ueberrollt-europa-36308786.bild.html, letzter Zugriff: 19. 07. 2018. <?page no="34"?> 34 Metaphern eine zentrale Rolle. Das im Folgenden thematisierte Burn-out ist eine Metapher, die zur Beschreibung eines Krankheitsbildes bereits in den 1970er Jahren in den fachwissenschaftlichen Diskurs eingebracht wurde und seit den 1990er Jahren auch in populärwissenschaftlichen und alltagsweltlichen Diskursen hochfrequent thematisiert wird. Das Sprechen über dieses Krankheitsbild ist also auf das Engste verknüpft mit einer Metapher, die seither vielfach differenzierend fortgeführt bzw. variiert wurde. Burn-out ist zudem ein Beispiel dafür, „wie wissenschaftliche Theorien entlang sprachlicher Bilder entwickelt werden und wie diese in der Folge gesamtgesellschaftlich relevante Denk- und Vorstellungswelten prägen“ (Gredel 2016: 222). Die Metapher vom Ausgebrannt-Sein entsteht durch die Kombination des Bildfeldes Mensch bzw. Leben / Gesundheit mit dem Bildfeld Brennen bzw. Feuer. Das Leben wird imaginiert als (lineares) Aufbrauchen eines Brennstoffes, das allerdings in verschiedenen Situationen und Konstellationen durch Krankheiten oder extreme Situationen außer Kontrolle geraten kann. Je nach Sichtweise, die konstruiert werden soll, werden verschiedene Elemente aus dem Bildfeld Brennen / Brand / Brennstoff herangezogen: Sparflamme, Kerze oder Flächenbrand. Die Metapher vom Brennen (Ausgebranntsein, ausgebrannt, ausbrennen) ist sehr häufig und in journalistischen Texten weit verbreitet. Die metaphorische Variante Sparflamme wird genutzt, um sprachlich zwei Phasen eines Burn-outs zu konstruieren. Auf das Ausbrennen mit dem schnellen und heftigen Ressourcenverbrauch folgt die Phase der Sparflamme, die mit einem Minimum an Brennstoff auskommt und zu erlöschen droht. Die Variante Flächenbrand wird in Zusammenhang mit der volkswirtschaftlichen Dimension zu Burn-out gesetzt: Es geht um ein Phänomen, das viele Akteure in der Gesellschaft betrifft und nicht als Einzelschicksal thematisiert wird. Je nach Kontext werden auch elektrische Geräte (z. B. Computer) als Bildspender herangezogen: Die Prävention bzw. Heilung eines Burn-outs wird dadurch tri- <?page no="35"?> 35 vialisiert, dass sie als Aufladen eines Akkus inszeniert wird. Die Metapher der Elektro- und Informationstechnik ermöglicht es, Therapien und Bewältigungsmöglichkeiten als gangbar zu plausibilisieren: Dies äußert sich dadurch, dass zum Bildspenderbereich Mensch / menschlicher Körper Lexeme des Bildspenderbereichs Elektro- und Informationstechnik wie Energieproduktion, Schalter oder Akku gesetzt werden. Der aus europapolitischen Diskursen bekannte Begriff Eurosklerose ist als Krankheitsmetapher zu deuten, steht der Begriff Sklerose doch in der medizinischen Fachsprache für krankhafte Veränderungen von Gewebe und Organen 23 . In gemeinsprachlichen Wortbildungsprodukten behält die Wortendung- -ose die Merkmale degenerativ und chronisch (vgl. Nortmeyer 1997: 394). Im Wortbildungsprodukt Eurosklerose werden diese Bedeutungsmerkmale aus dem medizinfachsprachlichen Bereich in den gemeinsprachlichen Bereich der Europäischen Integration metaphorisch übertragen. Die Metapher Eurosklerose illustriert die Perspektive, dass die Integrationsprozesse innerhalb der Europäischen Union im Rahmen der Eurosklerose von der sonst üblichen Form abweichen, degeneriert sind und dieser normabweichende Zustand auch dauerhaft anhalten wird. Der Begriff wird ursprünglich auf den deutschen Volkswirt Herbert Giersch zurückgeführt. Mittlerweile finden sich jedoch auch Pendants der Metapher im Englischen (Eurosclerosis) und im Französischen (Eurosclérose). Dies verweist auf die transkulturelle Verbreitung von Metaphern über die Grenzen von Nationen hinweg. Weil in diesem Kapitel viele Beispiele aus journalistischen Texten entnommen wurden, soll im Folgenden erläutert werden, welchen Diskursbedingungen diese medialen Diskurse unterliegen. 23 Duden online (2017): Sklerose, URL : www.duden.de/ rechtschreibung/ Sklerose, letzter Zugriff: 20. 07. 2018. <?page no="36"?> 36 2.4 Diskursbedingungen in nicht-digitalen Medien am Beispiel von Print-Zeitungen Häufig wird im Rahmen von Diskursanalysen nach den medialen und institutionellen Bedingungen der Textproduktion gefragt, da diese Diskurse maßgeblich beeinflussen: Für das Beispiel der Print- Zeitungen hat die Gruppe der Journalisten als Informationsmittler eine herausgehobene Position in medialen Diskursen, da sie in der Zeitung als Massenmedium viele Mietglieder einer Gesellschaft erreichen. Sie haben dabei die Aufgabe, nach redaktionell vorgegebenen Kriterien (u. a. Relevanz und Aktualität) Informationen zu selektieren, da der Umfang von Print-Zeitungen unter anderem durch technische Aspekte beschränkt ist. Zeitungen erscheinen zudem mit einer gewissen Periodizität- - in vielen Fällen täglich, in manchen Fällen wöchentlich. Auf diese Periodizität ist auch die Textproduktion ausgerichtet: Bis zum Redaktionsschluss muss ein Text in einer finalen Version vorliegen, um in der Ausgabe des Folgetages veröffentlicht zu werden. Geschieht ein Ereignis kurz vor oder nach dem Redaktionsschluss der Zeitung, kann erst in der übernächsten Ausgabe darüber berichtet werden. Die Aufteilung in Textproduzent und Textrezipient ist klar gegeben: Die Leser einer Zeitung haben kaum Möglichkeiten, auf die Diskursäußerungen der Journalisten zu reagieren. Lediglich in Leserbriefen oder Leserumfragen kommen sie vereinzelt zu Wort. Und selbst hier behalten es sich die Zeitungsredaktionen oftmals vor, Leserbriefe und Leserkommentare nach ihren Vorstellungen auszuwählen. Journalisten sind im Prozess der Textproduktion bestimmten Regeln guter journalistischer Arbeit verpflichtet, um ihre eigene Position bzw. die ihrer Redaktion nicht zu gefährden: Ein Leitsatz ist dabei die Trennung von Information und Meinung. Zudem ist es in Zeitungen üblich, dass die Autorschaft der Journalisten und <?page no="37"?> 37 damit deren Verantwortlichkeit für einen Artikel klar markiert wird. Auf sprachlicher Ebene sind Journalisten den geltenden orthographischen Regeln verpflichtet. In vielen Redaktionen werden zudem weitergehende Vorgaben (z. B. zur Vermeidung von Anglizismen) gemacht. Weichen journalistische Texte von dieser Norm ab, werden sie häufig Gegenstand sprach- und medienkritischer Debatten. Für Diskursanalysen bedeutet dies, dass die einzelnen Zeitungsartikel als Diskursfragmente herangezogen werden. Viele der genannten Diskursbedingungen gestalten sich in digitalen Medien völlig anders als in nicht-digitalen Medien und stellen Diskursanalysen deshalb vor Herausforderungen. <?page no="39"?> 39 3. Digitale Diskursanalysen Im Rahmen der Diskurslinguistik in der Tradition Foucaults wurden bisher vor allem Diskursäußerungen herangezogen, die in nicht-digitalen Medien veröffentlicht wurden und dort Verbreitung fanden. Ingo Warnke attestiert der Diskurslinguistik sogar einen „Newspaper Bias“ (Warnke 2013: 191), da sich sehr viele diskurslinguistische Untersuchungen schwerpunktmäßig auf Zeitungstexte konzentrieren. Mit der digitalen Transformation sozialer Interaktion greift diese Materialauswahl jedoch nicht weit genug: Diskurse in digitalen Medien haben mit dem Aufkommen entsprechender Plattformen hohe Relevanz erlangt. Für die Analyse digitaler Diskurse in Wikipedia ist es unumgänglich, zunächst ihre medialen Rahmenbedingungen zu besprechen. Wikipedia ist ein Hypertext, der als Wiki realisiert ist. Als Wiki bezeichnet man allgemein eine Sammlung von zusammengehörigen, miteinander verlinkten Internetseiten. Ein Beispiel für ein weiteres Wiki neben Wikipedia ist das Wiktionary 24 . Wikis werden mit eigens entwickelter Wiki-Software erstellt, geändert und verwaltet. Die Software, mit der die Wikipedia betrieben wird, heißt MediaWiki. Weitere Informationen zu MediaWiki finden sich unter dem folgenden Link: mediawiki.org. Die medialen und technischen Grundlagen der Wikipedia bedingen die zentralen Merkmale der Online-Enzyklopädie wie Nicht- 24 Das Wiktionary ist ein „frei verfügbares, mehrsprachiges Wörterbuch für den Wortschatz aller Sprachen“, Wiktionary (2018): Hauptseite, URL : https: / / de. wiktionary.org/ wiki/ Wiktionary: Hauptseite, letzter Zugriff: 19. 07. 2018. <?page no="40"?> 40 Linearität, Interaktivität, Dynamik und Offenheit sowie Multimodalität (Storrer 2008: 318 ff.) und Multilingualität. Diese haben wiederum große Effekte auf Charakteristika digitaler Diskurse in Wikipedia. 3.1 Nicht-Linearität mithilfe von Links Während Leser beim Buch häufig vorne beginnend Seite um Seite und Satz für Satz- - also linear- - lesen, zeichnet sich Wikipedia durch eine Vielzahl von Links aus, die es dem Nutzer ermöglichen, die Inhalte der Online-Enzyklopädie nicht-linear zu rezipieren. Im Wikipedia-Eintrag zu Burn-out kann der Internetnutzer Links zu thematisch verwandten Einträgen wie Stress, Depression oder Depersonalisation betätigen, um sich über diese Begriffe auf den verlinkten Wikipedia-Einträgen zu informieren. Das so beschriebene Kriterium der Nicht-Linearität ist eines der wichtigsten Kriterien digitaler Plattformen, die die Natur von Diskursen auf digitalen Plattformen und ganz konkret in Wikipedia maßgeblich beeinflussen. Nicht-linear organisiert ist ein Hypertext dadurch, dass jedes Modul mehrere Links enthalten kann, sodass Nutzer je nach Vorlieben und Interessen selbst entscheiden können, welche Module sie in welcher Reihenfolge abrufen. Bei der Wikipedia finden sich eine ganze Reihe verschiedener Linktypen, die die besondere Struktur der Wikipedia ausmachen. Ein sehr charakteristischer und wichtiger Linktyp sind die sogenannten Interwiki-Links in der linken vertikalen Navigationsleiste, die thematisch passende Einträge verschiedener Sprachversionen hypertextuell verknüpfen und den Charakter der Wikipedia als multilinguale Ressource ausmachen (siehe mehr dazu in Kapitel 3.5). <?page no="41"?> 41 Wichtig für das Verständnis der Struktur der Wikipedia ist die Verlinkung der Wikipedia-Artikel (Abb. 1, A) mit den weniger bekannten Bereichen wie Diskussionsseiten (Abb. 1, B) und Versionsgeschichten (Abb. 1, C). Auf den Diskussionsseiten wird auch die Eigenschaft der Interaktivität deutlich: Während die Artikelseiten den enzyklopädischen Kern der Online-Enzyklopädie bilden, stellen die korrespondierenden Diskussionsseiten den Raum diskursiver Aushandlung dar. Diskursakteure versuchen dort, ihre präferierten Sprachmuster (z. B. Metaphern) durchzusetzen, um Sachverhalte perspektivisch zu konstituieren. Auf allen Artikelseiten der Wikipedia ist auch ein Link zu einer Benutzeroberfläche vorhanden, die die Bearbeitung des Artikels ermöglicht: Durch Betätigung des Links mit dem Aktionswort Quelltext anzeigen (Abb. 1, D) gelangt man zu dieser Benutzeroberfläche und kann dort mit der Bearbeitung der enzyklopädischen Inhalte beginnen. Abb. 1 : S cre enshot zum Wikipedia-Artikel Europa 2 5 . 25 Wikipedia (2018): Europa, URL : https: / / de.wikipedia.org/ w/ index.php? title=- Europa&oldid=177961729, letzter Zugriff: 15. 04. 2018. <?page no="42"?> 42 Diese zuletzt genannte Verlinkung ist zentral für die Merkmale Dynamik und Offenheit der Wikipedia. 3.2 Dynamik und Offenheit: Eine Mitmach-Enzyklopädie im ständigen Wandel Eng miteinander verbunden sind die Merkmale der Dynamik und der Offenheit: Die Zahl der Artikel und deren Inhalte können in Wikipedia grundsätzlich von allen Internetnutzern kontinuierlich bearbeitet werden. Durch die Offenheit der Wikipedia ergibt sich eine sehr viel größere Zahl potentieller Diskursakteure, als dies beispielsweise bei der Analyse von journalistischen Texten der Fall ist. Zudem wird der Diskurs vielstimmiger (vgl. Gredel / Mell 2018), da die Gruppe der Textproduzenten nicht grundsätzlich auf eine Berufsgruppe (wie bei den Journalisten) beschränkt ist. Die Dynamik beinhaltet, dass Autoren zu jeder Zeit einen Wikipedia-Eintrag initiieren oder einen bestehenden Eintrag verändern können. Ein neu erstellter Artikel muss die Relevanzkriterien der Wikipedia erfüllen, andernfalls wird er Gegenstand von Löschdiskussionen und wird je nach Votum der Gemeinschaft wieder aus der Online-Enzyklopädie entfernt. Die Relevanzkriterien der Wikipedia finden sich hier: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Relevanzkriterien. Dort ist unter anderem geregelt, dass ein Wikipedia-Eintrag zum Bürgermeister einer Kommune nur dann die Relevanzkriterien der Wikipedia erfüllt, wenn die Kommune über 20 000 Einwohner hat. Diskussionen um die Relevanz von Wikipedia-Einträgen und vor allem Löschdiskussionen sind diskursanalytisch sehr interessant, <?page no="43"?> 43 wird doch dort verhandelt, was in den (digitalen) Diskurs aufgenommen werden soll. Das Abändern von Artikeln findet, was die Zahl und Frequenz der Bearbeitungen angeht, mit ganz unterschiedlicher Intensität statt: Manche Artikel weisen innerhalb kürzester Zeit mehrere Tausend Bearbeitungen auf und werden im Minutentakt abgewandelt. Andere Artikel weisen nur ganz wenige Bearbeitungen auf. Wie viele Bearbeitungen an einem Eintrag vorgenommen wurden, lässt sich sehr leicht überprüfen: Zu jedem Wikipedia-Eintrag finden sich unter dem Link Seiteninformationen in der linken vertikalen Navigationsleiste Daten zu einem Wikipedia- Eintrag wie Zahl der Bearbeitungen, Anzahl der verschiedenen Bearbeiter, Seitenersteller, Datum der Seitenerstellung. Die Seiteninformationen zum Wikipedia-Eintrag Europa finden sich unter dem folgenden Link: https: / / de.wikipedia.org/ w/ index.php? title=Europa&action=info. Vielen Nutzern ist nicht bewusst, dass jede Version eines Eintrags der dynamischen Online-Enzyklopädie über die Versionsgeschichte rekonstruierbar ist. In der Versionsgeschichte ist für jede Version abgespeichert, welcher Wikipedia-Autor welche Bearbeitung vorgenommen hat. Die in der Versionsgeschichte verzeichnete Kommentarzeile bietet den Wikipedia-Autoren auch die Möglichkeit, ihre Bearbeitung zu beschreiben und zu begründen. Auch dieser Aspekt der Wikipedia ist zentral für diskursanalytische Studien, da hier die Entwicklung eines Wikipedia-Eintrags seit der Seitenerstellung rekonstruierbar wird. Mit diesen Ausführungen wurde die Struktur der Wikipedia verdeutlicht und die Relevanz der Wikipedia-Elemente für Diskursanalysen plausibilisiert: In Diskursanalysen reicht es nicht aus, die Artikelseiten (Abb. 2, a) zu betrachten. Ergänzend müssen die Diskussionsseiten (Abb. 2, b) herangezogen werden, um den dis- <?page no="44"?> 44 kursiven Aushandlungsprozess zu berücksichtigen. Erst die Versionsgeschichte macht dann auch die diskursiven Dynamiken zu einem Wikipedia-Eintrag seit der jeweiligen Seitenerstellung (Abb. 2c) analysierbar. Auch wenn alle Internetnutzer nach dem Prinzip der Offenheit als Wikipedia-Autoren aktiv zur Online-Enzyklopädie beitragen können, ist die Bearbeitung der Wikipedia durch ein ausdifferenziertes System an Grundprinzipien und Richtlinien (Abb. 2, d) geprägt, das Wikipedia zu einer stark regulierten Umgebung macht. Dies determiniert auch, welche Akteure auf welche Weise im Wiki interagieren können. Dort ist z. B. geregelt, dass die persönliche Profilseite (Benutzerseite, Abb. 2, e) nur von dem Autor bearbeitet werden kann, dem diese Seite „gehört“. Die jeweilige hypertextuell verlinkte Benutzerdiskussionsseite (Abb. 2, f) steht hingegen allen Wikipedia-Autoren zur Bearbeitung offen und erlaubt es, Beiträge eines einzelnen Wikipedia-Autors zur Online-Enzyklopädie zu diskutieren. Die Wikipedia-Autoren sind über die Grundprinzipien und Richtlinien auch dazu verpflichtet, alle enzyklopädischen Inhalte durch Einzelnachweise zu belegen. Häufig sind dabei externe Internetquellen im unteren Bereich der Wikipedia-Einträge verlinkt (Abb. 2, g). Die Abbildung 2 zeigt die beschriebene Struktur der Wikipedia schematisch und nach Namensräumen 26 geordnet: 26 „Namensräume sind ein Strukturierungskonzept, welches unter anderem im MediaWiki zum Einsatz kommt (siehe auch Namensraum) und hier zur Gruppierung von Seiten genutzt wird. So unterscheidet die Wikipedia etwa Benutzer-, Diskussions- und interne Wikipedia-Seiten wie auch die Seiten in den anderssprachigen Wikipedias“ (Wikipedia (2018): Hilfe: Namensräume, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Hilfe: Namensräume, letzter Zugriff: 29. 07. 2018). <?page no="45"?> 45 Abb. 2: Struktur der Wikipedia mit den verschiedenen Namensräumen. Quelle: Eigene Darstellung. 3.3 Interaktivität und Kollaboration: Von Wikipedianer zu Wikipedianer Wichtige Eigenschaften der Wikipedia sind Interaktivität und Kollaboration: Zielsetzung des Wikipedia-Projekts ist, dass die enzyklopädischen Inhalte nicht von einzelnen Autoren, sondern von vielen gemeinschaftlich verfasst werden. Initiiert ein Autor einen neuen Wikipedia-Eintrag, kann dieser grundsätzlich von vielen Autoren weitergeführt, variiert oder auch wieder gelöscht werden. Allerdings ist es so, dass es bei der Erarbeitung der vielen Wikipedia-Einträge unterschiedliche Grade der Kollaboration gibt. <?page no="46"?> 46 Manche Artikel werden von vielen Hunderten erarbeitet, andere von zwei oder drei Autoren. Um den kollaborierenden Autoren einen eigenen Raum für den Austausch zu bieten, besteht die Möglichkeit, auf den bereits beschriebenen Diskussionsseiten zu interagieren. Die auf den Diskussionsseiten ausgetragenen Konflikte und Kontroversen sind diskursanalytisch sehr interessant. Dort wird die Relevanz von Wikipedia-Einträgen verhandelt und es finden sich semantische Kämpfe um strittige Benennungen. So wird beispielsweise auf der Diskussionsseite zum Wikipedia-Eintrag Burn-out ganz grundsätzlich die Relevanz bzw. die Existenz des enzyklopädisch thematisierten Phänomens hinterfragt: Meint ihr wirklich, dass es Burn-out gibt? Oder ist das nur so eine Metapher wie auch die „Schlacken“, die’s angeblich im Körper gibt und die man bei einer Entschlackungskur loswerden soll. 27 Sprachlich auffällig ist, dass sich die Autoren der Wikipedia-Gemeinschaft duzen. Der Autor dieser Diskursäußerung adressiert die anderen Wikipedianer direkt. Metasprachlich bzw. metadiskursiv geht er darauf ein, dass die Benennung des Krankheitsbildes selbst als Metapher verstanden werden kann. Innerhalb weniger Tage antwortet ein anderer Wikipedia-Autor auf die gestellte Frage folgendermaßen: Soll das ein Witz sein? Allein in meinem Bekanntenkreis gibt es mehrere Leute, die topmotiviert und erfolgreich waren und jetzt nur noch dahinvegetieren, es nicht mehr regelmäßig schaffen den Müll rauszubringen-… Burnout ist kein Spaß, und wer es hat weiß auch wie schlimm es werden kann-… 28 27 Wikipedia (2018): Archivierte Diskussionsseite zu Burn-out, URL : https: / / de. wikipedia.org/ wiki/ Diskussion: Burn-out/ Archiv/ 1, letzter Zugriff: 18. 07. 2018. 28 Ebd. <?page no="47"?> 47 Bezüglich der in diesem Beitrag besonders hervorgehobenen Analyseebene der Metapher ist auffällig, dass sich die Artikel- und die Diskussionsseiten auch in diesem Punkt unterscheiden: Während die Wikipedia-Autoren auf der Artikelseite der deutschen Sprachversion nur die in (populär-)wissenschaftlichen und journalistischen Diskursen etablierte Metapher vom Ausbrennen nutzen, setzen einige Autoren in ihren Diskursäußerungen alternative Metaphern, um die Relevanz des Eintrags Burn-out zu begründen und das Krankheitsbild drastisch zu charakterisieren, wie die folgenden drei Beispiele zeigen: Auch die Formulierung „Infarkt der Seele“ veranschaulicht den meist hilflosen oder auch weniger Interessierten, dass ein Burn out nichts mit „mach mal ein paar Tage Urlaub“ zu tun hat. Dabei kann die „ HAN DO “-Methode, die von einem Betroffenen entwickelt wurde, ein Weg sein das Gestänge im Kopf, das wir uns durch innere und äußere Zwänge zu einem unausweichlichen Käfig geformt haben, aufzuweiten und einen anderen Blick zu bekommen. Burnout ist mehr als Überarbeitung. Es ist ein Hinweis auf die Welt, in der wir leben. Bisher von mir gesichtetete [! ] Programme zur Behandlung von Burnout- […] zielen häufig darauf ab, den Menschen und damit seine Arbeitskraft- […] schnellst möglich wieder für das Hamsterrad fit zu machen. 29 Während das bildspendende Feld vom Hamsterrad diskursiv etabliert ist, um erschöpfende Arbeitskontexte zu beschreiben, sind die bildspendenden Felder vom Infarkt und vom Käfig recht innovativ. Die Metaphern erfüllen je spezifische diskursive Funktionen. Wie die Diskursäußerung oben zeigt, wird die Existenz von Burn- Out in medialen Diskursen auch immer wieder grundsätzlich in Frage gestellt. Durch die Metapher Infarkt der Seele wird Burn-out 29 Ebd. <?page no="48"?> 48 durch die metaphorische Parallelisierung mit einer „anerkannten“ physischen Krankheit (Infarkt) legitimiert. Die Metapher unausweichlicher Käfig und Gestänge im Kopf beschreibt die Situation von Burn-out-Patienten bildlich. Die Diskussionsseiten sind also durch Interaktivität geprägt, was mit spezifischen Sprachmustern wie duzen, innovativen Metaphern oder Elementen des interaktionsorientierten Schreibens einhergeht. 30 Die Schnelligkeit der Reaktion ist wichtiger als sprachliche Elaboriertheit der Diskursäußerungen. 3.4 Multilingualität: Diskursanalysen zum Sprach- und Kulturvergleich Für die linguistische Diskursanalyse ist ein Aspekt der erwähnten Nicht-Linearität besonders relevant: Den Wikipedia-Autoren bietet die Online-Enzyklopädie über die Interwiki-Links die Möglichkeit, thematisch zu einem Eintrag passende Einträge in anderen Sprachversionen zu verlinken. Für den interessierten mehrsprachigen Nutzer bedeutet dies beispielsweise, dass zum Artikel unter dem Lemma Eurosklerose passende Wikipedia-Einträge in sechs anderen Sprachversionen der Online-Enzyklopädie über die Interwiki-Links abzurufen sind. Aktiviert der Nutzer den Link zur englischen Sprachversion, findet er dort das Lemma Eurosclerosis und nutzt er den Link zur französischen Sprachversion, findet er dort das Lemma Eurosclérose. Diese Verknüpfung macht es möglich, die 30 „Im Gegensatz zum textorientierten Schreiben, das die schulische Schreiberziehung bislang prägt, steht beim interaktionsorientierten Schreiben nicht das Schreibprodukt, sondern die laufende Interaktion zwischen den Akteuren des Netzwerks im Zentrum. Für den kommunikativen Erfolg beim interaktionsorientierten Schreiben sind deshalb andere Kompetenzen erforderlich als für das Verfassen von Texten“ (Storrer 2013: 332 f.). <?page no="49"?> 49 Wikipedia als Untersuchungsgegenstand für sprachvergleichende Diskursanalyse zu nutzen. Die hypertextuell über Links verknüpften 295 Sprachversionen der Wikipedia machen die Online-Enzyklopädie zu einer multilingualen Ressource. Die zentrale Idee der Wikipedia-Gemeinschaft ist es, freies Wissen für alle zugänglich zu machen und dieses Wissen auch in möglichst vielen Sprache anzubieten. Den Grundprinzipien der Wikipedia entspricht es dabei auch, dass Sprecher von Dialekten und Regionalsprachen (z. B. Alemannisch) mit eigenen Sprachversionen in der Online-Enzyklopädie vertreten sind. Bei der Einrichtung neuer Sprachversionen spielen Faktoren eine Rolle wie die Größe der Sprechergemeinschaft, Meinungs- und Redefreiheit sowie eine enzyklopädische Tradition (van Dijk 2009: 1) der jeweiligen National- oder Regionalsprache. Neue Sprachversionen können beim „Language Committe“ der Wikimedia Foundation beantragt werden und nach einer Testphase im Inkubator in die Systematik der Wikipedia integriert werden. Informationen zum Thema Sprachversionen finden sich hier: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Sprachen. Dieses standardisierte Verfahren haben mittlerweile 295 Sprachversionen erfolgreich durchlaufen, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen, wie Ziko van Dijk feststellt: Zwar ist das Grundkonzept stets dasselbe, in den Regeln oder Gepflogenheiten kommt es teilweise zu erheblichen Unterschieden. Unterschiedlich sind auch die Inhalte, also die Artikel zu einzelnen Themen-[…]. (van Dijk 2009: 1) Die zahlreichen Regeln und Grundprinzipien, die die Wikipedia zu einer stark regulierten Plattform machen, haben Auswirkungen darauf, wie die Sprachversionen sprachlich ausgestaltet sind: So <?page no="50"?> 50 gibt es in der deutschen Sprachversion zwei Meta-Seiten, die präskriptiv wirken, indem sie Vorgaben zur Orthographie und zum Textaufbau des enzyklopädischen Kerns, also der Wikipedia-Artikel, machen. In der deutschen Sprachversion der Wikipedia wird den Autoren vorgegeben, dass die Artikelseiten gemäß geltender orthographischer Regeln verfasst werden müssen. 31 Auf der korrespondierenden alemannischen Meta-Seite werden dazu folgende Angaben gemacht: Mer orientiere üs nooch de traditionele Schrybige i dr Literatur un nooch de neuri Schrybempfeelige wie dr Dieth Schrift oder Orthal. Eigni Erfindige un bsunders eigni Schriftzeiche yzfüere isch nüt erwünscht! E paar vo de Sache wo do unte ufglischtet sin sin numme Empfeelige, andri sin erwünscht bzw nüt erwünscht. 32 Zwar sind hier zwei Referenzen zur Standardisierung der Verschriftlichung der Dialekte Schweizerdeutsch und Elsässisch als Soll-Norm genannt. Tatsächlich wird jedoch nicht reguliert, in welchem Dialekt des alemannischen Sprachraums ein Artikel verfasst wird und wie dieser zu verschriftlichen ist. Dies zeigt der folgende Diskussionsbeitrag, der auf die Frage antwortet, in welchem Dialekt themenübergreifende Texte zu verfassen sind: Im Dialekt des jeweiligen Autors bzw. der Autoren, da gibt es keine Regel, das können also ganze verschiedene Dialekte sein. Und wenn mehrere Autoren an einem Artikel mitgeschrieben haben, kann sogar der Dialekt innerhalb eines Artikels wechseln. 33 31 Wikipedia (2018): Wikipedia: Rechtschreibung, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Rechtschreibung, letzter Zugriff: 19. 07. 2018. 32 Wikipedia (2018): Hilfe: Schrybig, URL : https: / / als.wikipedia.org/ wiki/ Hilfe: Schrybig, letzter Zugriff: 19. 07. 2018. 33 Wikipedia (2017): Diskussionsseite zur Hauptseite der deutschen Sprachversion, URL : https: / / als.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia_Diskussion: Houptsyte, letzter Zugriff: 15. 07. 2017. <?page no="51"?> 51 Vertreten sind laut Angaben der Statistiken tatsächlich mehrere Dialekte des alemannischen Dialektraums. Darunter finden sich das Schweizerdeutsche (52 %), Südbadisch (32 %), Elsässisch (10 %), Schwäbisch (6 %) sowie Dialekte aus dem Gebiet Vorarlberg / Fürstentum Liechtenstein (1 %). 34 Auch die textuelle Ausgestaltung der Wikipedia-Einträge ist in der deutschen und der alemannischen Version unterschiedlich geregelt: Die Meta-Seite der deutschen Sprachversion unter dem Titel „Wie ich gute Artikel schreibe“ liefert Vorgaben zum Aufbau der Wikipedia-Einträge. 35 In der alemannischen Wikipedia gibt es kein Pendant zu diesem Artikel, was etwa für kulinarische Diskurse zu regionalen Spezialitäten den Effekt hat, dass sich in Einträgen der alemannischen Sprachversion textuelle Elemente von Kochrezepten finden. Es geht dann weniger um die Dokumentation enzyklopädischen Wissens zu den Spezialitäten, sondern vielmehr um die Brauchtumspflege. Die alemannischen Wikipedia-Einträge in Form von Kochrezepten haben Bestand, da die Regeln der entsprechenden Gemeinschaft den Freiraum dazu lassen. Neben dem Vergleich mit dialektalen Sprachversionen ist auch der Vergleich von Sprachversionen in verschiedenen Nationalsprachen diskursanalytisch lohnenswert. Die Metadaten der drei korrespondierenden Wikipedia-Einträge zum Lemma Eurosklerose sind aufschlussreich: 34 Wikipedia (2017): Statistische Auswertungen zur Dialektverteilung, URL: https: / / als.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Statistische_Auswertungen, letzter Zugriff: 15. 07. 2017. 35 Wikipedia (2017): Wikipedia: Wie schreibe ich gute Artikel, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Wie_schreibe_ich_gute_Artikel, letzter Zugriff: 07. 08. 2017. <?page no="52"?> 52 Eurosklerose Eurosclerosis Eurosclérose Datum der Seitenerstellung 21. 10. 2005 11. 03. 2005 06. 08. 2011 Bearbeitungen 82 59 7 Anzahl der Autoren 44 33 6 Tab. 1: Metadaten zu den Wikipedia-Einträgen Eurosklerose, Eurosclerosis, Eurosclérose. Dass das Lemma zunächst in der englischen Wikipedia zu finden ist, ist erstaunlich, wird die initiale Verwendung des Terminus doch sowohl in der englischen Version wie auch in der französischen Version dem deutschen Volkswirt Herbert Giersch und somit einem deutschen Diskursakteur zugeschrieben: Eurosclerosis (German: Eurosklerose) is a term coined by German economist Herbert Giersch in the 1970. s, to describe a pattern of economic stagnation in Europe that may have resulted from government over-regulation and overly generous social benefits policies. 36 Le terme aurait été inventé par l’économiste allemand Herbert Giersch afin de décrire la réglementation excessive et la générosité de l’Étatprovidence, qui peuvent largement nuire à l’efficacité et à la création d’emplois. 37 Auch wenn der englische Eintrag zuerst angelegt wurde, ist auffällig, dass der Artikel in der deutschen Sprachversion am häufigsten bearbeitet wird: Dort findet sich die höchste Anzahl an Edits und die größte Anzahl an Autoren, die an der Erarbeitung des Artikels 36 Wikipedia (2017): Artikelseite Eurosklerosis, URL: https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ Eurosclerosis, letzter Zugriff: 20. 06. 2017. 37 Wikipedia (2017): Artikelseite Eurosclérose, URL : https: / / fr.wikipedia.org/ wiki/ Eurosclérose, letzter Zugriff: 20. 06. 2017. <?page no="53"?> 53 mitgewirkt haben. Bemerkenswert ist außerdem, dass sich die Metapher in allen drei Sprachversionen schon seit Jahren als eigenständiges Lemma etabliert hat, auch wenn auf den Diskussionsseiten die Relevanz des Themas verhandelt wird. Während am Beispiel Eurosklerose deutlich wird, dass es sprachliche Muster mit transnationaler Verbreitung gibt, finden sich auch Metaphern, die in den drei betrachteten Sprachversionen variiert werden: Die Metapher Europa der zwei Geschwindigkeiten projiziert den bildspendenden Bereich der Bewegung / Geschwindigkeit auf den bildempfangenden Bereich der Europäischen Integration. Politische Prozesse werden dabei sprachlich als Bewegungen im Raum konstruiert. Die Metadaten zum Diskursfragment Europa der zwei Geschwindigkeiten zeigen, dass der Eintrag zuerst in der deutschen, dann in der französischen und zuletzt in der englischen Wikipedia initiiert wurde: Europa der zwei Geschwindigkeiten Multi-Speed Europe Europe à deux vitesses Datum der Seitenerstellung 12. 12. 2003 01. 09. 2014 20. 04. 2012 Bearbeitungen 299 361 23 Anzahl der Autoren 117 115 3 Tab. 2: Metadaten zu den Wikipedia-Einträgen Europa der zwei Geschwindigkeiten, Multi-Speed Europe und Europe à deux vitesses. Deutlich wird bereits an den Lemmata in den drei betrachteten Sprachversionen, dass die vorgefundene Geschwindigkeitsmetaphorik variiert wird. Dieser Eindruck verstärkt sich durch den Blick auf die einleitenden Sätze der Wikipedia-Einträge: <?page no="54"?> 54 Das Modell des Europa der zwei (oder: der verschiedenen) Geschwindigkeiten ist ein Konzept flexibler Integration in Europa in der Form eines Modells europäischer Integration auf der Ebene der EU -Verträge (Primärrecht), wonach eine Gruppe von Mitgliedstaaten innerhalb der Europäischen Union („Kern“) eine verstärkte Integration im Bereich der alten EG anstrebt-[…]. Multi-speed Europe or two-speed Europe (called also „variable geometry Europe“ or „Core Europe“ depending on the form it would take in practice) is the idea that different parts of the European Union should integrate at different levels and pace depending on the political situation in each individual country. Les expressions Europe à deux vitesses, Europe à la carte ou encore Europe à géométrie variable, désignent un scénario d’intégration différentielle des États membres de l’Union européenne. À l’heure actuelle, il désigne surtout les opting-outs concédés lors des différents traités européens. Les aspects les plus visibles de ce phénomène sont la nonintégration dans l’espace Schengen du Royaume-Uni et de l’Irlande ainsi que la non-intégration à la zone euro du Royaume-Uni, du Danemark et de la Suède. Sichtbar wird, dass in der deutschen und in der französischen Version semantisch sehr ähnliche Lemmata gewählt sind: Europa der zwei Geschwindigkeiten und Europe à deux vitesses. In der englischen Sprachversion hat sich nach einer Abstimmung auf der Diskussionsseite das Lemma Multi-Speed Europe durchgesetzt, das als Variante der hier zentral analysierten Protometapher verstanden werden kann. In dieser Metapher wird der Aspekt hervorgehoben, dass die verschiedenen Integrationsstände bzw. Integrationstiefen der europäischen Nationalstaaten nicht als binäres System vorgestellt werden können, sondern diese diversifizierter sind. Auch hier dienen Varianten von Metaphern zur Konstruktion einer bestimmten Weltsicht. <?page no="55"?> 55 3.5 Multimodalität: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte? Redewendungen wie „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ thematisieren den (angeblichen) Mehrwert von Bildern gegenüber Sprache. Trotz der in alltagsweltlichen Zusammenhängen klaren Relevanbz von Bildern wurde in der Sprachwissenschaft Schriftsprache viele Jahre lang isoliert betrachtet. Erst in den letzten Jahren ist in der Linguistik eine Hinwendung zur Betrachtung von Bild-, Ton- und Videomaterial zu beobachten, die unter dem Konzept der Multimodalität auch Auswirkungen auf die Diskurslinguistik hat. Forschung zu Multimodalität berücksichtigt alle semiotischen Ressourcen (Bild, Ton, Film) eines Kommunikats in ihrem Zusammenspiel bei der Bedeutungskonstruktion. Ausgangspunkt für diese Entwicklung ist die Tatsache, dass es in vielen Fällen (z. B. in der Textsorte Werbeanzeige) viel zu kurz greift, nur den schriftsprachlichen Teil von Kommunikaten zu betrachten. Auch für die Analyse der Wikipedia ist es gewinnbringend, deren multimodale Verfasstheit zu berücksichtigen, ist es Wikipedia- Autoren doch möglich, in die Wikipedia Bild-, Audio- und Videomaterial zu integrieren. Viele Wikipedia-Autoren weltweit greifen dabei auf das Schwester-Projekt der Wikipedia unter dem Namen Wikimedia Commons zu, das Bildmaterial unter freien Lizenzen enthält. Die dort für die Nachnutzung zur Verfügung stehenden Bilder werden häufig nicht nur in einen einzigen Wikipedia-Artikel integriert, sondern finden sich auf verschiedenen Artikelseiten und manchmal auch in mehreren Sprachversionen der Wikipedia wieder. Möglich wird diese Integration der Bilder in verschiedene <?page no="56"?> 56 Artikel der Online-Enzyklopädie dadurch, dass die Bedeutung von Bildern als „vage und unterdeterminiert“ (Stöckl 2010: 49) zu beschreiben ist. Wichtig ist auch der Aspekt, dass die Bedeutung von Bildern in hohem Maße kontextspezifisch ist: Bilder bieten dem Rezipienten vielmehr ein Bedeutungspotenzial, das durch einen entsprechenden Kontext aktiviert und erschlossen werden muss. (Stöckl 2010: 49) Wichtig ist es deshalb, auch Bilder in der Wikipedia nicht isoliert zu analysieren, sondern ihre schriftsprachlichen Kontexte zu beachten. In der Online-Enzyklopädie haben Bilder eine ganze Reihe verschiedener Kontexte: Die Bildunterschriften, die in Wikipedia zu jedem Bild ergänzt werden können, beeinflussen sehr stark deren diskursive Funktion. Allein aus dieser Konstellation ergeben sich komplexe Text-Bild-Relationen, die im Hypertext auch permanentem Wandel unterliegen können. Interessant ist natürlich auch, wie sich das integrierte Bildmaterial zu den „benachbarten“ Textpassagen des Wikipedia-Eintrags verhält. Zu fragen ist dann danach, wie und ob der Text auf das Bildmaterial Bezug nimmt. Auch Bild-Bild-Relationen in den sogenannten Bildgalerien der Wikipedia, die z. B. dazu genutzt werden, um den Herstellungsprozess bestimmter Produkte ins Bild zu setzen, können diskursanalytisch interessant sein. Auch an dieser Stelle ist zu berücksichtigen, dass sich auf den Spezialseiten der Wikipedia präskriptive Angaben der Wikipedia- Gemeinschaft herausgebildet haben, die den Autoren vorgeben, auf welche Weise Bilder auszuwählen und in die Wikipedia einzufügen sind. Für die räumliche Platzierung von Bildern wird auf der Spezialseite „Artikel illustrieren“ Folgendes erläutert: „In der deutschsprachigen Wikipedia hat es sich durchgesetzt, die Bilder <?page no="57"?> 57 standardmäßig auf die rechte Seite des Artikels zu setzen.“ 38 Die auf den Seiten eingesetzten Bilder müssen gemäß der Spezialseite fünf Merkmale erfüllen: Bilder müssen einen inhaltlichen Bezug zum Lemma haben und ihnen muss eine gewisse Relevanz zukommen. Zudem müssen sie repräsentativ für die Thematik sein, authentisch und sich durch eine gewisse Individualität auszeichnen. 39 Auch funktionale Angaben finden sich im präskriptiven Text der Spezialseite: Die Einbindung von Medien [gemeint sind Bild-, Ton- und Videomaterial] kann zum Verständnis des Artikeltextes beitragen, außerdem lockern sie den Artikel auf. 40 Die Funktion und die Effekte der integrierten Bildinventare gehen jedoch aus einer diskursanalytischen Perspektive weit über das hinaus, was auf dieser Spezialseite genannt wird. Bilder dienen nicht nur dazu, „Artikel zu illustrieren“, wie der Titel der Spezialseite suggeriert, sondern sind ein zentrales Mittel, um Sachverhalte in Wikipedia perspektivisch zu konstruieren. Dies soll im Folgenden für das Beispiel Burn-out für die deutsche, französische und spanische Sprachversion gezeigt werden. Zunächst wird das Bildmaterial in der deutschen, spanischen und französischen Wikipedia verglichen, um dann die Bilder zu fokussieren, die multimodale Metaphern enthalten. In multimodalen Metaphern werden bildspendende und bildempfangende Felder in verschiedenen Modi (Text, Bild, Ton, Video) realisiert. 38 Wikipedia (2017): Wikipedia-Spezialseite Artikel illustrieren, URL : https: / / de. wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Artikel_illustrieren#Positionierung_von_Bildern, letzter Zugriff: 31. 10. 2017. 39 Ebd. 40 Ebd. <?page no="58"?> 58 Auffällig ist zunächst, dass in der Wikipedia ganz unterschiedliche Bildsorten integriert werden können. „Bildsortenbenennungen“ (Stöckl 2004: 126) wie z. B. „Fotografie, Diagramm, Karikatur, Aufriss, Röntgenbild“ sind „konventionalisierte Alltagsklassifikation und somit aus der kommunikativen Erfahrung gewonnenes Muster- und Strukturwissen“ (Stöckl 2004: 127). In den drei analysierten Wikipedia-Artikeln finden sich gemäß dieser Alltagsklassifikation die Bildsorten Diagramm, Fotografie, Zeichnung und- - für die Textsorte (Online)-Enzyklopädie überraschend- - eine Karikatur. Tabelle 3 zeigt die Bildsorten im Überblick: Bildsorten DE FR ES Diagramm 3 3 1 Fotografie 0 11 0 Zeichnung 0 1 0 Karikatur 0 0 1 Gesamt 3 15 2 Tab. 3: Bildsorten der Wikipedia-Einträge Burn-out, Syndrome d’épuisement professionnel, Síndrome de desgaste profesional. Die im deutschen Artikel im Verlauf des Artikelausbaus integrierten Diagramme zeichnen sich dadurch aus, dass es sich um komplexe Computerbilder mit symbolischem Gehalt handelt, die aufgrund ihrer Komplexität schwer bzw. langsamer rezipierbar sind. Die durch die Diagramme ins Bild gesetzten wissenschaftlichen Theorien und Modelle werden im weiteren Kontext eingehend thematisiert. Neben der Erklärung des Burn-outs in einem Diagramm gibt es auch eine Abbildung zur Burn-out-Vorbeugung und zu den Symptomen des Burn-outs. Alle drei Diagramme sind zwar typographisch durch farbliche Markierung verschiedener Bildflächen und durch Aufzählungszeichen gestaltet, werden aber <?page no="59"?> 59 dennoch durch den verbalen Code der symbolischen Sprachzeichen dominiert. Lediglich Abbildung 3 weist ein Piktogramm auf: Das thematisierte Ungleichgewicht von Anforderungen und Ressourcen des Burn-out-Patienten wird durch eine Waage in der Mitte des Diagramms ins Bild gesetzt. Gerade dieses Diagramm wurde jedoch im März 2017 aus dem Artikel mit der folgenden Begründung gelöscht: Nun noch die irreführende Abbildung entfernt, bei der einfach alles mögliche zu einem behaupteten Erklärungsmodell für das Burn-out-Syndrom zusammengemixt wurde. 41 Abb. 3: Bildmaterial aus dem Wikipedia-Eintrag Burn-out. 42 41 Wikipedia (2018): Versionsgeschichte zum Lemma Burn-out, URL : https: / / de. wikipedia.org/ w/ index.php? title=Burn-out&offset=20170316091232&action= history, letzter Zugriff: 31. 03. 2018. 42 Ebd. <?page no="60"?> 60 Das in der spanischen Version integrierte Bildmaterial zeigt, wie unterschiedlich die multimodale Ausgestaltung der Wikipedia vorgenommen wird. Dominiert wird der Eintrag durch eine Karikatur (Abb. 4): Abb. 4: Bildmaterial aus dem Wikipedia-Eintrag Síndrome de desgaste profesional. 43 In der dargestellten Situation der Arzt-Patienten-Kommunikation diagnostiziert der Arzt dem völlig verkohlt (bzw. ausgebrannt) dargestellten Patienten ein Burn-out. Auffällig ist jedoch, dass die Sprechblasen niederländisch abgefasst sind und nur die Bildunterschrift ins Spanische übersetzt ist. Über Wikimedia Commons lässt sich rekonstruieren, dass die Zeichnung von einem niederländischen Karikaturisten stammt. Dass die spanische Version auf eine Karikatur aus der niederländischen Sprachversion zugreift, 43 Wikipedia (2018): Wikipedia-Artikel und Versionsgeschichte zum Lemma Síndrome de desgaste profesional, URL: https: / / es.wikipedia.org/ wiki/ S%C3%ADndrome_de_desgaste_profesional, letzter Zugriff: 31. 03. 2018. <?page no="61"?> 61 verweist auf die transnationale Dimension digitaler Diskurse in Wikipedia. In der französischen Version enthält zwar die Überschrift des Eintrags Syndrome d’épuisement professionnel nicht das diskursiv etablierte Sprachbild, allerdings wird es an prominenter Stelle im Artikel im visuellen Code durch eine niedergebrannte Kerze realisiert und sogar metasprachlich in der Bildunterschrift thematisiert: „Le Burn-out d’une bougie illustre la métaphore de Herbert Freudenberger.“ Auch im korrespondierenden Absatz des Artikels findet sich ein metasprachlicher Hinweis zur Metapher, der einen direkten Verweis auf das in den Artikel integrierte Bild einer niedergebrannten Kerze darstellt: „Le terme qualifie par exemple, l’état d’une bougie qui, après avoir éclairé de longues heures n’offre plus qu’une flamme désuète.“ Mit Liebert kann zu den so sprachlich aufbereiteten enzyklopädischen Inhalten Folgendes festgehalten werden: Metaphernmodelle lassen sich somit als ein Textsorten und Diskurswelten transzendierendes Phänomen verstehen, das spezifische Übergänge im fachlichen-nichtfachlichen Feld ermöglicht. (Liebert 1996: 802) In der französischen Version findet sich noch ein weiterer Bildtyp, der in den beiden anderen Versionen so überhaupt nicht vorhanden ist: Bei zehn der in verschiedenen Versionen des Artikels integrierten Bilder handelt es sich um Fotografien. Davon zeigen vier Bilder Kunstobjekte, die Erschöpfungszustände (zum Teil nach getaner Arbeit) ästhetisch ins Bild setzen. Die kontrastiv konzipierte Analyse zum Thema Burn-out in drei verschiedenen Sprachversionen der Wikipedia hat große Unterschiede bei der multimodalen Ausgestaltung der untersuchten Artikel gezeigt. Allein die Zahl der integrierten Bilder variiert beträchtlich. Auch die Varianz der verwendeten Bildsorten (Fotografie, Diagramm, Zeichnung und Karikatur) und Bildtypen ist beträchtlich. Vor allem die französische Version unterscheidet <?page no="62"?> 62 sich von den anderen Versionen durch die integrierten Fotografien von Kunstobjekten und durch Bilder von Geschäfts- und Bankenvierteln, deren Einbettung in den korrespondierenden Absätzen der Artikel kaum oder gar nicht explizit thematisiert wird und dem Wikipedia-Nutzer einen erhöhten Aufwand bei der Rezeption abverlangen. Dennoch scheint diese multimodale Ausgestaltung des Artikels den Vorgaben der französischsprachigen Wikipedia-Gemeinschaft zu entsprechen, ist dieser französische Artikel doch der einzige prämierte Eintrag („article de qualité“) in der betrachteten Datenauswahl. <?page no="63"?> 63 4. Wer spricht wie in digitalen Diskursen auf Wikipedia? In der Diskurslinguistik hat es sich etabliert, nicht nur auf die Strukturen von sprachlichen Mustern zu achten, sondern auch darauf zu fokussieren, wer diese sprachlichen Muster in den Diskurs einbringt. Dabei werden Diskursäußerungen als sprachliche Handlungen aufgefasst, mit denen verschiedene Handlungsinstanzen unterschiedliche Intentionen verfolgen. Häufig werden in diesem Zusammenhang Termini wie Sprecher / Hörer oder Sender / Empfänger zugunsten des Begriffs Diskursakteur aufgegeben: Der Akteur als Actor, als Handelnder, ist zunächst einmal nicht notwendigerweise eine personale Größe. Akteure können Individuen, Gruppen von Individuen, Netzwerke von Individuen, aber auch nicht-personale Handlungsinstanzen wie Institutionen, Parteien, Medien etc. sein. (Spitzmüller / Warnke 2011: 172) Der so definierte Begriff Diskursakteur bietet sich für die Analyse von digitalen Diskursen und insbesondere für digitale Diskurse in Wikipedia besonders an, da hier neben personalen Akteuren institutionelle Akteure (Unternehmen, Firmen, NGO s) und auch maschinelle Akteure (Bots) beteiligt sind. Heidrun Kämper verweist auf die Relationen zwischen den Diskursakteuren: „Diskurse-[…] sind mehr oder weniger symmetrische oder asymmetrische Strukturen, innerhalb derer Akteure je entsprechende Rollen und Positionen einnehmen“ (Kämper 2017: 259). Durch diese Rollen und Positionen-- in der Wikipedia werden diese offiziellen und legitimierten Rollen und Positionen als Benutzertypen bezeichnet- - ergeben sich Machtstrukturen, <?page no="64"?> 64 die Auswirkungen darauf haben, welcher Diskursakteur wie in Wikipedia agieren kann. An Foucault orientiert definieren Spitzmüller / Warnke, was diskursanalytisch unter Macht zu verstehen ist: „Macht ist für Foucault primär ein Beziehungsgefüge, welches eine Gesellschaft durchzieht“ (Spitzmüller / Warnke 2011: 74). Auf Wikipedia projiziert ergibt sich ein solches Beziehungsgefüge durch die hierarchisch geordneten Benutzertypen, die mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten einhergehen. Daraus ergibt sich ein umfangreiches Machtgeflecht zwischen den in Wikipedia agierenden Diskursakteuren. Das System verschiedener Benutzertypen in Wikipedia ist sehr ausdifferenziert und soll in Kapitel 4.1 thematisiert werden. 4.1 Menschliche Diskursakteure Durch die Offenheit der Wikipedia haben seit ihrer Gründung Tausende von ehrenamtlichen Autoren zur Online-Enzyklopädie beigetragen. Diese unterscheiden sich jedoch erheblich in Bezug auf die Anzahl ihrer Bearbeitungen. Die Wikimedia Foundation bietet umfangreiche Informationen zu den je aktuellen Zahlen der Beitragenden für die deutsche Sprachversion der Wikipedia: Im Jahr 2018 trugen 5318 Autoren mit mehr als 5 Bearbeitungen zur Wikipedia bei (Durchschnitt der letzten drei Monate, Stand: Juni 2018). Insgesamt 873 Autoren führten mehr als 100 Bearbeitungen durch (Durchschnitt der letzten drei Monate, Stand: Juni 2018). Die deutsche Sprachversion hat mit 20 Prozent der Bearbeitungen durch nicht-angemeldete Autoren (sog. IP ler), einen relativ geringen Anteil dieser IP -Bearbeitungen. Der unangemeldete Autor wird durch Anlegen eines Benutzerkontos zum Wikipedianer und kann sich dann weitere Rechte erwerben: <?page no="65"?> 65 Wenn ein Neuling einen Artikel bearbeitet hat, dann wird dies für die Allgemeinheit erst sichtbar, wenn ein Benutzer mit Sichterstatus sein Okay gegeben hat-[…]. Man erhält den Status [eines Sichters] nach sechzig Tagen, außerdem muss man mindestens dreihundertmal bearbeitet haben. (van Dijk 2010: 34) Wahlämter wie das des Administrators gehen mit Rechten wie Sperren und Löschen von Seiten einher (van Dijk 2010: 35). Personale Diskursakteure müssen in Wikipedia die folgenden Voraussetzungen erfüllen, um Administrator zu werden: Um als Administrator gewählt zu werden, ist eine erfolgreiche Kandidatur erforderlich. Üblicherweise werden die Administratorenrechte nur Benutzern verliehen, die bereits eine längere Zeit zur Wikipedia beigetragen haben und sich aktiv in der Gemeinschaft engagieren. Jeder allgemein stimmberechtigte Benutzer darf sich und andere stimmberechtigte Kandidaten vorschlagen und sich bei der Wahl beteiligen. 44 Die 198 Administratoren der deutschen Sprachversion können als „diskursive Elite“ (Schwab-Trapp 2001: 271) verstanden werden. Schwab-Trapp beschreibt diskursive Eliten als elementare Bausteine diskursiver Ordnung: „Als kollektive Akteure besitzen diskursive Gemeinschaften i. d. R. Wortführer, die sie in der Öffentlichkeit vertreten.- […] Diese Wortführer können zum einen gewählte Vertreter ihrer Diskursgemeinschaft sein“ (Schwab-Trapp 2001: 271). Genau diese Funktion der Wortführer im Diskurs erfüllen die gewählten Wikipedia-Administratoren über die bereits oben genannten Rechte, die ihnen mit ihrer Wahl zugestanden werden. Die Versionsgeschichte bietet die Möglichkeit, die Autorschaft zu jeder einzelnen Bearbeitung nachzuvollziehen. Die Benutzerseiten geben ergänzend Aufschluss darüber, welchem wikipedia- 44 Wikipedia (2018): Administratoren, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Administratoren, letzter Zugriff: 23. 07. 2018. <?page no="66"?> 66 spezifischen Benutzertyp (Sichter, Administrator etc.) ein Wikipedia-Autor zuzuordnen ist. Viele angemeldete Wikipedia-Autoren nutzen die Option, Informationen zu ihrem Bildungsgrad, ihren lebensstilistischen Präferenzen und zu vielen weiteren biographischen Daten auf ihrer persönlichen Benutzerseite zu präsentieren. Es gibt die Möglichkeit, visuelle Elemente auf den Benutzerseiten zu integrieren, die zur (Selbst-)Positionierung in der Gemeinschaft der Wikipedia-Autoren dienen. Die Wikipedia-Autoren greifen dort sprachliche und visuelle Muster (z. B. die Babel-Bausteine 45 ) auf, die diskursiv geprägt sind. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Wikipedia-Autoren zum Teil auch Online-Identitäten entwerfen, die nicht mit ihren Offline-Identitäten übereinstimmen. 4.2 Institutionelle Diskursakteure-- NGO s, Parteien, Unternehmen Auch institutionelle Diskursakteure wie Unternehmen, Parteien und Non-Government Organizations haben die Relevanz der Wikipedia erkannt. In Kapitel 1.4 wurde bereits beschrieben, dass Unternehmen Interesse daran haben, auf digitale Diskurse zur Vergangenheit des Unternehmens, zu Produkten oder Unternehmensvertretern Einfluss zu nehmen. Die Studie von Marvin Oppong „Verdeckte PR in Wikipedia“ ist eine der umfangreichsten Studien, die belegt, wie institutionelle Diskursakteure in den letzten Jahren versuchten, Wikipedia-Einträge zu manipulieren (Oppong 2014). 45 „Das Babel-System bietet eine Möglichkeit, einheitlich darzustellen, welche Sprachen man spricht. Es wurde ursprünglich für die Wikimedia Commons und für Meta-Wiki entwickelt, wird aber inzwischen auch in allen Wikipedias eingesetzt, da es einen starken Informationsaustausch zwischen den verschiedensprachigen Projekten [gibt]“, Wikipedia (2018): Wikipedia: Babel, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Babel, letzter Zugriff: 19. 07. 2018. <?page no="67"?> 67 Über die Analyse der Versionsgeschichte und der Diskussionsseiten kann Oppong beispielsweise nachweisen, dass die Presseabteilung der Steyler Missionare sogar durch einen offiziellen Nutzerzugang über einen längeren Zeitraum hinweg sehr umfangreiche Änderungen am Wikipedia-Eintrag zur Ordensgemeinschaft vornahm. Auch Diskursakteure aus dem Bereich der Politik versuchten Einfluss auf die Online-Enzyklopädie zu nehmen: Die Relevanz der Wikipedia als digitales Nachschlagewerk erkannten die Sozialdemokratische Partei Österreichs ( SPÖ ) und die Österreichische Volkspartei (ÖVP) sehr früh. Der Österreichische Rundfunk berichtet schon 2007 von Manipulationsvorwürfen an beide Parteien: „Funktionäre von SPÖ und ÖVP sind offenbar bereits seit Jahren im Internet-Lexikon Wikipedia unterwegs, um dort jene Einträge, die die eigene Partei betreffen, zu schönen und die Konkurrenz entsprechend schlecht aussehen zu lassen.“ 46 Entdeckt wurden die Fälle durch das Recherche-Werkzeug WikiScanner, das Bearbeitungen in der Wikipedia mit IP -Adressen verknüpft ( IP -Adressen machen Rechner in Computernetzen adressierbar) und somit die Urheber der Wikipedia-Bearbeitungen systematisch nachvollziehbar macht. 47 4.3 Maschinelle Diskursakteure in Wikipedia: Bots Wer sich eingehend mit den Entwicklungen von Artikeln über die Versionsgeschichten beschäftigt, dem fällt auf, dass immer wieder Bearbeitungen der Wikipedia durch Bots durchgeführt werden. 46 ORF (2007): Der „permanente Aufwind“, URL : http: / / newsv1.orf.at/ 0708 3016013/ ? href=http%3A%2F%2Fnewsv1.orf.at%2F070830-16013%2F16014txt_ story.html, letzter Zugriff: 27. 02. 2017. 47 Wikipedia (2017): Wikipedia: WikiScanner, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: WikiScanner, letzter Zugriff: 27. 02. 2017. <?page no="68"?> 68 Diese Bots können mit ihren Beiträgen in der Online-Enzyklopädie als maschinelle Diskursakteure gesehen werden. Vorbehalte gegenüber diesen maschinellen Akteuren wurden in den letzten Jahren vor allem gegenüber Bots laut, die in sozialen Netzwerken an Diskussionen teilnehmen und in vielen Fällen mit ihren Diskursäußerungen simulierten, personelle Diskursakteure zu sein. Unter Bots in Wikipedia kann Folgendes verstanden werden: „Bots in der Wikipedia sind Computerprogramme oder Skripte, die ihren Betreibern automatisierbare regelmäßige oder wiederholende Aufgaben abnehmen“ (z. B. Tippfehlerkorrekturen). 48 Bei den Aufgaben handelt es sich beispielsweise darum, nicht funktionierende Links zu melden, Rechtschreibfehler zu korrigieren und Interwiki- Links zwischen den verschiedenen Sprachversionen zu setzen. Dabei sind die Möglichkeiten, Rechte und Pflichten von Bots bzw. von Bot-Betreibern in der deutschen Sprachversion der Wikipedia umfassend reglementiert. Für jeden Bot muss der Entwickler eine eigene Benutzerseite anlegen, auf der exakt beschrieben ist, für welche Aufgaben er eingesetzt wird. Durch eine interne Kennzeichnung von Bots in der Wikipedia (Bot Flag) können deren Bearbeitungen im Detail nachvollzogen werden. Reguliert ist auch, mit welcher Geschwindigkeit Bots arbeiten dürfen: Führen sie mehr als fünf Bearbeitungen pro Minute aus, droht ihnen eine Benutzersperre. Insgesamt belaufen sich die Bearbeitungen der Wikipedia durch die 381 Bots mit Bot-Flag 49 in der Wikipedia auf 10 Prozent der Gesamtbearbeitungen 50 . Bots dürfen zudem nur die Wikipedia-Artikel bearbeiten und dort beispielsweise in sehr be- 48 Wikipedia (2018): Wikipedia: Bots, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Bots, letzter Zugriff: 18. 07. 2018. 49 Wikipedia (2018): Benutzer mit Bot-Flag, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Spezial: Benutzer/ bot, letzter Zugriff: 14. 06. 2018. 50 Wikimedia (2018): Wikipedia Statistics, URL : https: / / stats.wikimedia.org/ EN / Sitemap.htm, letzter Zugriff: 15. 06. 2018. <?page no="69"?> 69 grenztem Umfang neue Artikel anlegen. Im Gegensatz zu anderen Sprachversionen ist die Gemeinschaft der deutschen Wikipedia- Sprachversion Bots gegenüber kritisch eingestellt, sodass deren Bearbeitungen keine allzu großen Effekte auf digitale Diskurse in Wikipedia haben. Da diese Regelung zu Bots und die Richtlinien in Wikipedia im Allgemeinen dynamisch sind und immer wieder neu ausgehandelt werden, ist es zukünftig interessant, die Entwicklung dieser maschinellen Diskursakteure aus diskursanalytischen Gründen zu verfolgen. 4.4 Interaktionsrollen in Wikipedia: Vandalen, Trolle und Sockenpuppen Akteure sind nicht nur hinsichtlich ihrer von Wikipedia vorgegebenen Benutzertypen (Administrator oder Sichter) zu unterscheiden. Neben diesen legitimierten Interaktionsrollen gibt es eine ganze Reihe nicht-legitimierter Interaktionsrollen, die mit Termini wie Vandalen, Trolle und Sockenpuppen belegt sind. Diese Termini sind Begriffe der Netzkultur, die sich im Laufe der Entwicklung sozialer Netzwerke herausgebildet haben. In den digitalen Diskursen der Wikipedia werden diese nichtlegitimierten Interaktionsrollen häufig mit einer Schädigung der Online-Enzyklopädie verbunden. So gehen zahlreiche Mängel auf Diskursakteure zurück, die nicht sachlich und regelkonform an der Online-Enzyklopädie mitarbeiten möchten, sondern Vandalismus in Form „vorsätzliche[r] Schädigung von Artikeln oder anderen Inhalten“ (Wikimedia e. V. Deutschland 2011: 332) betreiben. Die Strategien, die dazu genutzt werden, sind mehr oder weniger ausgefeilt. Es gibt grobe Verstöße, wie das Einfügen von vulgärsprachlichen Ausdrücken. Solche Verstöße sind leicht zu entdecken und werden häufig schnell rückgängig gemacht. Inhaltliche Fehler-- vor allem wenn sie sprachlich bzw. stilistisch gut eingebettet sind-- sind <?page no="70"?> 70 schwieriger zu entdecken. Manch ein Wikipedia-Autor agiert auch über sogenannte Sockenpuppen: Es handelt sich um einen Mehrfachaccount bzw. um einen „User, der sich in einem Forum, einem Chat oder einem Wiki mehrere Nicknames zulegt und unter diesen agiert“ (Schuler 2007: 249). Der Einsatz von Sockenpuppen ist nur in wenigen Ausnahmefällen genehmigt und wird in den meisten Fällen sanktioniert. Nicht erlaubt ist der Einsatz von Sockenpuppen beispielsweise, um in Abstimmungen auf Diskussionsseiten oder in Wahlen Mehrheiten herbeizuführen. Ein Troll hingegen ist ein „vermeintlicher Wikipedia Autor, der seine Mitarbeit ganz oder weitestgehend auf Provokationen beschränkt“ (Wikimedia Deutschland 2011: 332). Im Gegensatz zu Vandalen, die Artikelseiten schädigen, versuchen Trolle die Wikipedia-Autoren auf Diskussionsseiten in langwierige Diskussionen zu verwickeln, um die kollaborative Textproduktion zu stören. Auf den Diskussionsseiten findet sich deshalb der Ausspruch „Trolle bitte nicht füttern“. Den Diskursakteuren, die die Interaktionsrolle eines Trolls einnehmen, soll also kein Anlass geboten werden, die enzyklopädischen Arbeiten an der Wikipedia zu behindern. Auf der Wikipedia-Seite zu Trollen findet sich die folgende Definition: Trollerei ist ein Sammelbegriff für die Beiträge von Benutzern, die sich verstellen und so ein problematisches Verhalten aufweisen. Diese Benutzer werden gemeinhin abwertend als Trolle bezeichnet. Rücksichtslosigkeit, Rechthaberei und die Anlage von Wegwerf-Benutzerkonten für Störmanöver oder heikle Äußerungen sind ein sicheres Indiz für Trollerei. 51 Um Trolle und Vandalen zu enttarnen, gibt es ein eigenes Wikipedia-Projekt unter dem Titel „Vandalismusbekämpfung und Troll- 51 Wikipedia (2018): Wikipedia: Trollerei, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Trollerei, letzter Zugriff: 10. 07. 2018. <?page no="71"?> 71 dokumentation“. In vielen Fällen werden die Termini Troll, Vandale oder Sockenpuppe jedoch auch in Diskussionen unbegründet genutzt, um andere Diskursakteure abzuwerten. 4.5 Praktiken in Wikipedia: Digitale Orden, Edit Wars, Fake News Praktiken sind „typische Lösungen für wiederkehrende Situationsanforderungen“ (Deppermann / Feilke / Linke 2016: 10), die mit bestimmten sprachlichen Mustern einhergehen können. Eine Praktik, die aus der nicht-digitalen in die digitale Lebenswelt der Wikipedia-Gemeinschaft übernommen wurde, ist die Vergabe von Wikipedia-Orden: Um Wikipedia-Autoren, die sehr engagiert an der Erarbeitung enzyklopädischer Inhalte mitarbeiten und an den digitalen Diskursen regelkonform teilnehmen, zu würdigen, kann die Wikipedia-Gemeinschaft eine Reihe digitaler Orden verleihen. Diese können für die verschiedensten Arten der Mitarbeit am Projekt vergeben und durch standardisierte Wiki-Syntax-Elemente im Wiki sichtbar gemacht werden. 52 Diese Orden werden als Bilder auf den jeweiligen Benutzerseiten oder Benutzerdiskussionsseiten des so geehrten Autors eingefügt. Sie können als nicht-monetäre Anreize für das ehrenamtliche Engagement in der Wikipedia verstanden werden. Aus einer soziologischen Perspektive deutet Maeße Orden und andere Auszeichnungen zeichenhaft: Ämter, Orden, Posten und andere Auszeichnungen sind nicht nur Ausdruck von Macht; sie haben auch eine kommunikative Funktion, weil sie als Taxonomien die soziale Welt ordnen (Maeße 2015: 147). 52 Wiki-Syntax ist eine Auszeichnungssprache, die dazu genutzt wird, um Wiki- Seiten zu formatieren. <?page no="72"?> 72 Ein zentraler Unterschied zu nicht-digitalen Orden ist, dass die Vergabe der wikipediaspezifischen Orden und Preise nicht einer staatlichen Autorität oder einer bestimmten Institution vorbehalten ist, sondern diese theoretisch von jedem Wikipedia-Autoren an jeden anderen vergeben werden können. Dennoch werden Abstufungen und Vergaberegeln mehr oder weniger implizit vermittelt: Die Beschreibung des ranghöchsten „große[n] Wikipedia- Orden[s] für herausragende Verdienste“ wird mit dem Zusatz „sparsam damit umgehen“ versehen, um mit diesem Appell einer inflationären Vergabe des Ordens vorzubeugen und durch Verknappung des Ordens seinen Wert im positionalen System der Wikipedia-Akteure zu erhalten. Die Vergabe des Wikiläum-Ordens, den es für 5 (Bronze), 10 (Silber) und (irgendwann einmal auch) 20 Jahre (Gold) ehrenamtlicher Mitarbeit gibt, richtet sich schlicht nach der Dauer der aktiven Teilhabe an Wikipedia. Den Zusammenhang von Wert und Verknappung greift dieser Orden nochmals auf, indem er der auch offline üblichen Logik von Auszeichnungssystemen folgt: „Klassen oder Abstufungen [von Orden und Ehrenzeichen] werden häufig durch Metalle (Gold, Silber, Bronze), durch Metallfarben (dsgl.) oder durch die Größe deutlich gemacht“ (Henning / Herfurth 2010: 22). Die Vergabe von digitalen Orden ist also als Praktik einzustufen, die das Engagement regelkonform agierender Autoren würdigt und über die Darstellung auf deren Benutzerseite deren Position im digitalen Diskurs der Wikipedia stärkt. „Von Edit-War-[…] (wörtlich: Bearbeitungskrieg) spricht man, wenn zwei oder mehrere Benutzer abwechselnd die Änderungen anderer Benutzer rückgängig machen („revertieren“) oder überwiegend überschreiben.“ 53 Die Autoren der Wikipedia sind bei den kollaborativen Schreibprozessen verschiedenen Grundprinzipien 53 Wikipedia (2018): Edit War, URL: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Edit- War, letzter Zugriff: 23. 07. 2018. <?page no="73"?> 73 verpflichtet, um die Zusammenarbeit zur Wissensproduktion in der Wikipedia zu regeln. Ein zentrales Grundprinzip ist die Wahrung des „Neutralen Standpunkts“. Es handelt sich dabei um „eines der Grundprinzipien von Wikipedia, demzufolge Artikel in neutraler Weise verfasst und nicht als Propagandaplattform für bestimmte Meinungen benutzt werden sollen“ (Wikimedia e. V. Deutschland 2011: 330). Die Versionsgeschichte zum englischen Wikipedia-Eintrag zu den Ereignissen auf der Krim im Jahr 2014 gibt Aufschluss darüber, was Gegenstand eines Edit Wars sein kann: Insgesamt gibt es drei konkurrierende Termini zur Benennung des Eintrags, die im Zentrum einer Auseinandersetzung stehen. Die am Edit War beteiligten Autoren werfen sich gegenseitig die Verletzung des „Neutralen Standpunkts“ vor und ändern immer wieder in schneller Abfolge den Titel des Wikipedia-Eintrags von Annexation oder Incorporation zu Accession. Ein solcher Edit War wird oftmals begleitet durch kontroverse Diskussionen auf den korrespondierenden Diskussionsseiten. Dort finden sich zahlreiche Wortgefechte dazu, wie der Artikel benannt werden soll. Um den Edit War zu beenden, greift ein Administrator ein und eröffnet eine Abstimmung auf der Diskussionsseite: Solche Abstimmungen können durch einzelne Autoren initiiert werden, die andere Autoren der Wikipedia dazu auffordern, ihre Meinung zur Artikelbenennung zu formulieren. Abschließend fassen Administratoren die Abstimmungen zusammen und führen das Votum der Mehrheit aus. Im analysierten Beispiel wird der Artikel-Titel auf Annexation of Crimea by the Russian Federation festgelegt und ist für die weitere Bearbeitung gesperrt. Im Zusammenhang mit der Wikipedia kann unter Fake (News) eine „Fälschung meist in Bezug auf Artikel, die völlig falsche oder nicht existente Dinge abbilden“ (Wikimedia e. V. Deutschland 2011: 328), verstanden werden. Vor allem Fake News auf Wikipedia- Seiten zu lebenden Personen brachten die Wikipedia schon mehrfach in das Kreuzfeuer der Kritik. Eines der bekanntesten Beispiele <?page no="74"?> 74 ist dafür die Seigenthaler-Affäre: Im Jahr 2005 fügte ein damals anonymer Autor falsche Informationen in den Beitrag über den Journalisten John Seigenthaler senior ein und brachte ihn dabei in Verbindung zum Mordanschlag auf John F. Kennedy (Kallas 2015: 46). Seigenthaler setzte sich in einem Rechtsstreit gegen die Falschinformationen zur Wehr. Ein zweiter Fall betrifft den US -amerikanischen Komiker David Adkins, der am 14. 03. 2007 fälschlicherweise in der Wikipedia für tot erklärt wurde. Die Falschmeldung machte schnell die Runde im Internet und Adkins selbst erhielt zeitgleich zahllose Anfragen per Mail und Telefon. 54 Die Wikipedia ruft deshalb die Autoren zu besonderer Sorgfalt bei der Bearbeitung von Seiten zu lebenden Personen auf und warnt vor juristischen Sanktionen. 55 Die Wikipedia selbst verfügt über mehrere Maßnahmen, um die Online-Enzyklopädie vor Fake News zu schützen. Die sogenannten Benutzersperren dienen dazu, manipulative Beiträge einzudämmen: „Bei Missachtung der Grundprinzipien kann der Zugang zu Benutzerkonten zweitweise oder dauerhaft unterbunden werden“ (Wikimedia Deutschland e. V. 2011: 328). Bestimmten Wikipedia-Einträgen, die häufig Vandalismus ausgesetzt sind, wird ein Sonderstatus, der sogenannte Artikelschutz zugewiesen: Es handelt sich um die „Sperrung eines Artikels, damit er nicht weiter bearbeitet werden kann“ (Wikimedia Deutschland e. v 2011: 327). Verschiedene Recherche-Werkzeuge wie der WikiScanner und Wikiwatchdog 56 halfen und helfen dabei, anonym getätigte Beiträge über die IP -Adressen der genutzten Rechner zurückzuverfolgen. 54 Spiegel (2007): Wikipedia „tötet“ US -Komiker, URL : www.spiegel.de/ netzwelt/ tech/ netzwelt-ticker-wikipedia-toetet-us-komiker-a-472109.html, letzter Zugriff: 27. 02. 2017. 55 Wikipedia (2017): Artikel über lebende Personen, URL: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Artikel_über_lebende_Personen, letzter Zugriff: 27. 02. 2017. 56 WikiWatchdog (2018): WikiWatchdog, URL : http: / / wikiwatchdog.com, letzter Zugriff: 17. 07. 2018. <?page no="75"?> 75 5. Tools und Ressourcen zur Analyse der Wikipedia Digitale Diskurse mit ihren genuin digitalen Daten bzw. Objekten (z. B. Hyperlinks und IP s) und die sich daraus ergebenden Diskursstrukturen und Diskursfragmente stellen diskursanalytische Verfahren vor methodische Hürden. Hilfestellung bei der Auswahl und Erhebung von Daten können Ressourcen und Werkzeuge (Tools) geben, die häufig im Netz frei verfügbar sind. Für die Wikipedia als Gegenstand diskursanalytischer Studien existiert bereits eine große Anzahl verschiedener Tools und Ressourcen, die unterschiedliche Analyseoptionen für digitale Diskursanalysen eröffnen. 5.1 Wikipedia-Korpora Digitale Sprachressourcen sind in Form von Korpora in der Linguistik weit verbreitet. Korpora sind Textsammlungen geschriebener oder gesprochener Äußerungen, die in vielen Fällen digital oder digitalisiert vorliegen und computergestützt ausgewertet werden können. Eine für das Deutsche sehr wichtige Sprachressource ist das Deutsche Referenzkorpus (DeReKo, Institut für Deutsche Sprache 2018). Diese Textsammlung kann dazu genutzt werden, Ergebnisse sprachwissenschaftlicher Studien, die auf kleinere Korpora als Datenbasis zurückgreifen, mit dem großen Datenbestand als Referenz abzugleichen. Das Spektrum genuin digitaler bzw. digitalisierter Texte bzw. Textsorten in DeReKo ist entsprechend groß: <?page no="76"?> 76 So finden sich dort neben Zeitungstexten auch belletristische Texte oder Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages. Diese Korpora eignen sich dazu, die für diskursanalytische Studien relevanten Sprachgebrauchsmuster über Suchanfragen zu rekonstruieren und quantitativ deren Verwendungsweisen zu explorieren. In DeReKo sind mittlerweile auch Wikipedia-Korpora integriert, die über das Corpus Search, Management and Analysis System (COSMAS II 2017) zur Verfügung stehen. Diese Ressourcen werden bisher noch kaum diskurslinguistisch genutzt, sind aber für die Analyse digitaler Untersuchungsgegenstände sehr relevant. Aktuell verzeichnen die Korpora Sprachdaten aus Wikipedia bis zum Jahr 2015. Korpora können nicht nur in sprachwissenschaftlichen Analysen oder in der Hochschullehre, sondern auch im Deutschunterricht genutzt werden. Das didaktische Potential dieser Nutzung beschreiben Thomas Bartz und Nadja Radtke folgendermaßen: Die Ressourcen eröffnen nach einer kurzen Einarbeitungsphase Schülerinnen und Schülern vielfältige Möglichkeiten, den Lerngegenstand Sprache an authentischen Beispielen zu erkunden. (Bartz / Radtke 2014: 140) Das in Kapitel 3.4 vorgestellte Beispiel der Metapher Eurosklerose bietet sich für eine Thematisierung in der Schule aus den folgenden zwei Gründen an: In vielen Bildungsplänen zum Deutschunterricht ist eine Auseinandersetzung mit Metaphern explizit vorgesehen. Zudem ist für diese Suchanfrage in den Korpora zunächst keine intensive Einarbeitung in komplexe Abfragesprachen nötig, um die entsprechenden Belege aus der Sprachressource zu extrahieren. Die Schüler können die bereits erläuterten Wikipedia-Korpora des Deutschen Referenzkorpus auswählen und das Metaphernlexem direkt in das Suchfeld eingeben. Die Suchanfrage ergibt, dass das Wort bis 2015 über die Artikelseite Eurosklerose hinaus nur insgesamt 37 mal in den Wikipedia-Korpora zu finden ist und somit eher selten zur Anwendung kommt. Deutlich wird über die Treffer <?page no="77"?> 77 im Korpus auch, dass die Metapher auf den Diskussionsseiten sprachkritisch als politisches Schlagwort verhandelt wird. 5.2 Ein digitales Tool für multimodale Analysen der Wikipedia Ein Tool der Digital Methods Initiative Amsterdam, das die multimodale Dimension der Wikipedia in den Fokus rückt und bei der Betrachtung von Bildinventaren in den verschiedenen Sprachversionen eines Beitrags hilfreich ist, ist „Wikipedia Cross-lingual Image Analysis“. Wie Abbildung 5 am Beispiel des Diskursfragments zum Lemma Burn-out zeigt, extrahiert das Tool ausgehend von einem Wikipedia-Eintrag die Bilder und Grafiken aller hypertextuell verlinkten Sprachversionen. Das Bildmaterial eines Wikipedia-Eintrags einer Sprachversion wird in jeweils eine Zeile überführt. Das Tool „Wikipedia Cross-lingual Image Analysis“ ist im Wiki der Digital Methods Initiative Amsterdam unter dem folgenden Link zu finden: https: / / tools.digitalmethods.net/ beta/ wikipediaCrosslingualImage Analysis/ . Das Tool folgt somit dem Aufbau der Wikipedia mit ihren verschiedenen hypertextuell über Interwiki-Links verknüpften Artikeln. Das so erstellte Diagramm kann dann Ausgangspunkt für multimodale und kontrastive Diskursanalysen sein. <?page no="78"?> 78 Abb. 5: Tool „Wikipedia Cross-lingual Image Analysis“. <?page no="79"?> 79 5.3 Digitale Tools-- Sprachversionen im Vergleich Wie in Kapitel 3.4 bereits gezeigt, ist die Wikipedia mit ihren rund 290 Sprachversionen Hinweis darauf, dass Diskurse im Web 2.0 nicht auf einzelne Sprachen oder Kulturen begrenzt sind: Sie sind multilingual und multikulturell konstituiert. Die über Links verknüpften Sprachversionen der Wikipedia können diskursanalytisch als hypertextuell und thematisch zusammenhängende Korpora genutzt werden, die kulturelle Differenzen und Gemeinsamkeiten sichtbar machen. Das Tool Manypedia kann unter dem folgenden Link genutzt werden: www.manypedia.com. Das Tool Manypedia macht ebenfalls von den Interwiki-Links Gebrauch und bietet die Möglichkeit, zwei hypertextuell durch Interwiki-Links verknüpfte Seiten in zwei parallelen Fenstern anzuzeigen und in eine gewünschte Zielsprache übersetzen zu lassen. Grundlage für die Übersetzung ist die Google translate API . 5.4 Akteursorientierte Perspektive In Kapitel 4 wurde bereits vorgestellt, dass Akteure großen Einfluss darauf haben können, wie sich digitale Diskurse in Wikipedia entwickeln. Das Tool WhoColor befördert die akteursorientierte Perspektive diskursanalytischer Untersuchungen, indem es auf der textuellen Oberfläche der Artikelseite des analysierten Diskursfragments die jeweilige Autorschaft visualisiert: WhoColor is a- […] userscript for the Tamper-/ Greasemonkey browser extensions for Chrome and Firefox. when you open an (english) wikipedia article it creates a color-markup on the text, showing the original authors <?page no="80"?> 80 of the content, an author list ordered by percentages of the article written and (soon) additional provenance information. 57 Der prozentuale Anteil an der Erstellung des jeweiligen Artikels ist nach Autoren sortiert am rechten Rand der Seite gelistet. Die so auf die Artikelseite projizierten Informationen geben Aufschluss über die Rolle einzelner Akteure bei spezifischen diskursiven Aushandlungen (siehe Abb. 6). Weitere Tools wie Whovis und Wikiwho zur Visualisierung von Autoren-Beteiligung und Interaktion in der Online-Enzyklopädie Wikipedia befinden sich in der Entwicklung. Informationen zu den Tools WhoColor, Whovis und Wikiwho finden sich unter dem folgenden Link: www.f-squared.org. 5.5 Zwei Tools zur Analyse von Konflikten Das Tool Search Crystal detektiert und bewertet die Intensität von Edit Wars in mehreren Sprachversionen der Wikipedia. Die zugehörige Visualisierung dient dazu, Themen ausfindig zu machen, die in mehreren Sprachversionen der Wikipedia kontrovers verhandelt werden und Gegenstand von Edit Wars sind: The searchCrystal visualization toolset will be used to compare, visualize and identify Wikipedia pages that are highly contested in multiple languages. (Yasseri et al. 2014: 28) 57 F 2 -Web (2018): Whocolor, URL: https: / / f-squared.org/ whovisual/ , letzter Zugriff: 22. 07. 2018. <?page no="81"?> 81 Abb. 6: Funktionsweise des Tools WhoColor. <?page no="82"?> 82 Abbildung 7 zeigt die Visualisierung in Search Crystal für die deutsche, englische, französische und spanische Sprachversion: Abb. 7: Das Tool Search Crystal visualisiert Edit Wars. 58 Kontroversen in Wikipedia, die diskursanalytisch als agonale Zentren (besonders „umkämpfte“ Themen) gedeutet werden können, sind auch Gegenstand des Tools Contropedia. Das angewendete Verfahren kann folgendermaßen beschrieben werden: A score is calculated for each wiki link according to the volume of activity around it. More precisely, the score for each wiki link is based on the number of substantial disagreeing edits to sentences containing the wiki link. (Pentzold et al. 2017: 6) 58 Search Crystal (2018): Edit Wars, URL: http: / / aspoerri.comminfo.rutgers.edu/ searchCrystal/ searchCrystal_editWars_ALL.html, letzter Zugriff: 18.07.2018 (Flash Player erforder-lich). <?page no="83"?> 83 Die verhandelten Begriffe eines Wikipedia-Artikels werden je nach Grad der Kontroversität unterschiedlich intensiv eingefärbt. In der sogenannten Dashboard-Funktion kann zudem der zeitliche Verlauf der Kontroversen nachverfolgt werden. 5.6 Ein Tool für Wikipedia-Analysen in didaktischen Kontexten Wikibu ist ein digitales Tool, das für schulische Kontexte entwickelt wurde und dabei helfen soll, die unterschiedlichen Qualitäten von Wikipedia-Artikeln zu bewerten. Das Tool Wikibu kann unter dem folgenden Link genutzt werden: www. wikibu.ch. Auf dieser Internetpräsenz finden sich auch begleitende Unterrichtsmaterialien. Die zentrale Leistung des Tools ist es, Informationen bzw. Kennzahlen zu einem Wikipedia-Eintrag, die in Wikipedia selbst in verschiedenen Namensräumen bzw. auf verschiedenen Spezialseiten gesucht werden müssen, auf eine Benutzeroberfläche zu projizieren (Abb. 8). Nach Eingabe eines Begriffs in das Suchfenster links oben (Abb. 8, A; hier am Beispiel Europa) wird der entsprechende Wikipedia-Artikel direkt in das Tool importiert. In der linken Navigationsleiste werden die entsprechenden Kennzahlen ausgewertet und dort angezeigt (Abb. 8, B): <?page no="84"?> 84 Abb. 8: Screenshot zum Tool Wikibu. Quelle: wikibu.ch. Das Tool überführt die Kennzahlen zum Wikipedia-Eintrag in ein Fünf-Sterne-Bewertungssystem (Abb. 8, B), wobei sehr gute Werte der Kennzahlen mit fünf und schlechte mit nur einem Stern ausgezeichnet werden. Die ausgewerteten Kennzahlen werden zu sogenannten Wikibu-Punkten (Abb. 8, C) aggregiert, wobei besonders gute Artikel bis zu zehn Punkte erhalten können. Mit dieser Ausgestaltung stellt Wikibu einen ersten Schritt zur digitalen Informationskompetenz dar, wie sie auch von Stöcklin im Umgang mit der Wikipedia gefordert wird: Informationen werden oft zu wenig kritisch hinterfragt. Quellenkritik gehört deshalb heute unbedingt in den Unterricht. Sie kann gut von der Wikipedia ausgehend geschult werden, weil die Online-Enzyklopädie sehr transparent ist.-[…] Statt Schülerinnen und Schülern vorgefilterte Informationen zu geben, ist es wertvoller, wenn sie selbst ein Bewußtsein [sic! ] für die Beurteilung von Informationen entwickeln. (Stöcklin 2010: 131) Dennoch ist es lohnenswert, gerade in Unterrichtseinheiten mit Schülerinnen und Schülern höherer Klassenstufen den Bewertungsvorgang in Wikibu kritisch zu betrachten: Die wichtigsten Kriterien, die Eingang in die Wikibu-Bewertung finden, sind An- <?page no="85"?> 85 zahl der Besucher, der Autoren, der Verweise und die Anzahl der Quellennachweise. Die Bewertungsmaßstäbe in Wikibu stellen zwar erste Anhaltspunkte zur Bewertung einzelner Wikipedia-Artikel dar. Für eine umfassende Quellenkritik sollten sich Wikipedia-Analysen jedoch nicht auf das reine Auszählen beispielsweise von Quellen beschränken, sondern auch die Qualität einzelner Quellen reflektieren. Häufig werden inhaltliche Mängel in der Wikipedia auch durch die Gemeinschaft selbst markiert, wie das Beispiel zeigt: Abb. 9: S cre enshot zum Wikipedia-Eintrag Euroskleros e. 59 Der Wikipedia-Eintrag Eurosklerose erhält in Wikibu nur drei von zehn Punkten und auch die Wikipedia-Autoren selbst haben den Artikel auf die „Qualitätssicherungsseite der Redaktion Geschichte“ gesetzt, verbunden mit der Bitte, diesen zu verbessern. In Wikipedia selbst ist dieser Hinweis zudem mit einem Link zur korrespondierenden Diskussionsseite verknüpft, auf der inhaltliche Mängel detailliert besprochen werden. 59 Wikipedia (2018): Eurosklerose, URL : https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Eurosklerose, letzter Zugriff: 23. 07. 2018. <?page no="87"?> 87 Literaturverzeichnis Alexa (2018): The top 500 websites worldwide, URL : www.alexa.com/ topsites, letzter Zugriff: 23. 01. 2018. ARD / ZDF (2016): ARD - ZDF -Onlinestudie. Frankfurt a. M./ Mainz, URL : www.ard-zdf-onlinestudie.de/ in-dex.php? id=560, letzter Zugriff: 30. 05. 2017. Ballod, Matthias (2010): Ins Netz geschickt- - im Netz verstrickt? Zur Vermittlung der Schlüsselqualifikation „Informationskompetenz in der Schule“. In: Jörg-Dieter Gauger & Josef Kraus (Hrsg.): Bildung und Unterricht in Zeiten von Google und Wikipedia. St. Augustin / Berlin. URL : www.kas.de/ wf/ de/ 33.21634/ , letzter Zugriff: 12. 04. 2018, S. 47-57. 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Der wissenschaftliche Blick hinter die Kulissen der größten Online-Enzyklopädie weltweit soll dabei unterstützen, mit Informationen im digitalen Zeitalter kompetent umzugehen. Er zeigt auf, wie der reflektierte Zugang zu digitalen Diskursen im Netz gelingen kann. Gredel Digitale Diskurse und Wikipedia Digitale Diskurse und Wikipedia Wie das Social Web Interaktion im digitalen Zeitalter verwandelt Eva Gredel