eJournals Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 32/1

Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
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0171-5410
2941-0762
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2007
321 Kettemann

Genevieve Susemihl, “…and it became my home.” Die Assimilation und Integration der deutschen Hitlerflüchtlinge in New York und Toronto.

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2007
Karin M. Schmidlechner
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Rezensionen 108 schungsinteresses zur Thematik ist, wenngleich sie in diesem Band nur einen vergleichsweise schmalen Raum einnimmt. Es ist zu hoffen, dass weitere Studien dazu folgen. Karin M. Schmidlechner Institut für Geschichte Universität Graz Genevieve Susemihl, “…and it became my home.” Die Assimilation und Integration der deutschen Hitlerflüchtlinge in New York und Toronto. (Studien zu Geschichte, Politik und Gesellschaft Nordamerikas, Band 21). Münster: LIT Verlag, 2004. Karin M. Schmidlechner Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Assimilation und Integration der deutschen Hitlerflüchtlinge in den USA und in Kanada. Dabei handelt es sich um etwa 120.000 Emigranten, die, aus Deutschland und aus Österreich stammend, während der Nazi-Ära emigrierten, wobei Susemihl nicht zwischen Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich unterscheidet. Dies begründet sie damit, dass Österreich seit 1938 Teil des Deutschen Reiches war und von der nordamerikanischen Einwanderungspolitik als solches behandelt wurde. Die Autorin problematisiert leider nicht, ob die für die Flüchtlinge zweifellos unterschiedlichen Lebensbedingungen in Deutschland und Österreich Einfluss auf ihr weiteres Leben in den USA bzw. in Kanada gehabt haben. Studien, die sich speziell mit österreichischen Flüchtlingen in den USA auseinandersetzen, zeigen allerdings, dass für diese die nationale Komponente eine wesentliche Rolle spielte (siehe Strutz 2006, Lechner/ Strutz 2005). Etwa 16% der Flüchtlinge waren Kinder bis zu 16 Jahren, etwa 60% Erwachsene zwischen 16 und 45 Jahren. Ein Großteil von ihnen ließ sich in New York nieder. Von Kanada wurden etwa 5.000 Flüchtlinge aufgenommen. Dazu kamen noch 2.000 deutsch-jüdische Flüchtlinge, die zunächst in England waren und von dort nach Kanada transportiert wurden. Die Letztgenannten unterscheiden sich von den anderen insofern, als sie unfreiwillig eingewandert sind. Die meisten Kanadaflüchtlinge zogen in den Westen, in und um Toronto und Montreal ließen sich nur wenige nieder. S. weist darauf hin, dass die Amerikanisierung der Hitlerflüchtlinge vielfach beschrieben wurde, wobei schon im Jahre 1941 die Feststellung erfolgte, dass wahrscheinlich keine andere Gruppe von EmigrantInnen so schnell die Sprache, Sitten und Kultur Nordamerikas annahm wie die deutschen Hitlerflüchtlinge. Diesem Befund schließt sich auch die Autorin an, die in New York 30 und in Toronto neun Interviews führte, aber auch auf unveröffentlichte Memoiren, Autobiographien und AAA Band 32 (2007), Heft 1 Rezensionen 109 Monographien zur deutsch-jüdischen Migrationsproblematik zurückgreift. Susemihl geht bedauerlicherweise nicht darauf ein, ob und wie viele Personen die Bitte um ein Interview abgelehnt haben, was im Hinblick auf die zu Beginn der Erörterungen konstatierte positive Einschätzung der InterviewpartnerInnen mit dem Verlauf ihres Lebens nicht uninteressant gewesen wäre. Hier könnte sich nämlich ein Phänomen zeigen, das bei biographischen Interviews immer wieder zu beobachten ist, nämlich, dass Menschen, die bereit sind, Auskünfte über ihr Leben zu geben, dieses häufig als Erfolgsgeschichte darstellen, bzw. nur jene, die ihr Leben als “erfolgreich” betrachten, darüber sprechen wollen, während jene, die mit dem Verlauf ihres Lebens nicht zufrieden sind, Auskünfte darüber verweigern. Somit wird mit den präsentierten Erfolgsgeschichten nur ein Teil der Möglichkeiten eines Lebenslaufes ausreichend abgedeckt, die Frage nach den Lebensläufen der anderen, die möglicherweise nicht so erfolgreich waren, bleibt offen. Susemihl begründet dieses “Defizit” mit dem Hinweis - allerdings, ohne eine Begründung dafür abzugeben -, sich mit Fragestellungen nach Erinnerung, Gedächtnis, Konstruktion persönlicher Lebensgeschichten sowie Vergangenheitsbewältigung nicht auseinandergesetzt zu haben, weist auf deren Relevanz allerdings ausdrücklich hin. Susemihl stellt fest, dass in der Forschung der Tatsache, dass sich die Assimilation der deutschen Flüchtlinge nicht vollständig vollzog, erstaunlich wenig Beachtung geschenkt wird, und findet auch durch ihre eigenen Studien bestätigt, dass ein Festhalten an deutschen und europäischen Werten zu konstatieren ist. Ziel ihrer Untersuchung ist nun, herauszufinden, ob sich die Hitlerflüchtlinge heute als nordamerikanische Menschen fühlen oder eher mit ihrer deutschen Heimat identifizieren, und in weiterer Folge, wie stark sie an ihren Wurzeln festhalten. Sie untersucht auch, ob und wie sich der jüdische Glaube und ihre Identifikation mit dem Judentum durch die Migrationserfahrung änderte. Interessanterweise gibt es bislang keine konkreten empirischen Untersuchungen zum Ergebnis der Assimilierungs- und Integrationsbestrebungen der Hitlerflüchtlinge, wobei Susemihl eben auch darauf verweist, dass Emigration und Exil der deutschen Hitlerflüchtlinge im allgemeinen besonders in New York vielfach untersucht wurden. Weiters stellt sie fest, dass die Verarbeitung der Fluchterfahrungen einen wichtigen Untersuchungsgegenstand in der Forschung darstellt, wobei sich die Hauptdebatte der Forschung mit den Beiträgen der Flüchtlinge zur amerikanischen Gesellschaft beschäftigt und dabei zunächst vor allem berühmte Persönlichkeiten Gegenstand von ausgiebigen Forschungen waren. Aber auch dabei wurden die Probleme bei der Assimilierung bzw. Integration nur selten beachtet. Ebenso wenig Beachtung wurde auch den Emigrantenkindern geschenkt, d.h. jene, die als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene nach Amerika kamen, und ihren spezifischen Problemen bei der Einwanderung und Anpassung, die sich doch sehr stark von jenen der Elterngeneration unterschieden. Bezüglich Kanada ist auch darauf hinzuweisen, dass der Forschungsgegenstand noch wesentlich weniger bearbeitet wurde und auch die Zahl der Publikationen geringer ist. Als Gründe dafür werden die begrenzte Einwanderung, weiters die räumliche Verteilung der Flüchtlinge im Land sowie mangelnde statistische Daten angeführt. Es ist vor allem die Ungleichgewichtigkeit der vorhandenen Informationen, die den Versuch eines Vergleichs der Bedingungen in New York und in Toronto problematisch erscheinen lässt, obwohl die prinzipielle Intention - nämlich eine Differenzierung von Anpassungserfahrungen nach regionalen Kriterien - sehr zu begrüßen ist. Rezensionen 110 In der Auflistung ihrer Ergebnisse verweist Susemihl u.a. darauf, dass alle ihre InterviewpartnerInnen im Laufe ihres Aufenthalts zu loyalen AmerikanerInnen bzw. KanadierInnen wurden und sich im zunächst fremden Land ein neues Zuhause aufgebaut haben. Generell lebten sich dabei junge Flüchtlinge leichter ein als ältere und Frauen leichter als Männer. In diesem Prozess des Einlebens haben die ImmigrantInnen nicht nur die Wertestrukturen und Verhaltensmuster der Einheimischen übernommen, sondern auch die Empfängergesellschaft bzw. deren kulturelle Strukturen entscheidend beeinflusst. Das bedeutet aber nicht, dass sie ihre ursprüngliche Identität, sowie die Normen, Werte und Gewohnheiten ihrer Herkunftsgesellschaft vollständig und zugunsten einer neuen Identität abgelegt hätten. Ihr Erfolg war auf ihre Hintergrundvariablen (Bildung, Fähigkeiten, Talent) aber auch auf ihre Motivation und überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft zurückzuführen. Daneben waren aber auch die Rahmenbedingungen der Empfängergesellschaft, die in New York völlig andere waren als in Toronto, für die Integration der Flüchtlinge von Bedeutung. Dies zeigt sich vor allem am anfänglichen Engagement in jüdischen Gemeinschaften. Während dies infolge der hohen Zahl von deutschen Juden in New York problemlos möglich war, konnten die Flüchtlinge in Toronto aufgrund der geringen Anzahl keine deutsche Subkultur aufrecht erhalten und integrierten sich in die bestehende Gruppe der einheimischen, vorwiegend orthodoxen Juden. Ein weiterer Unterschied ergibt sich in der Selbsteinschätzung bezüglich der Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Schichten, für welche weniger Ausbildung oder Beruf die Grundlage bildeten als der Lebensstandard. Hierbei ergibt sich eine vorwiegende Einordnung der Flüchtlinge in die Mittelschicht für New York und in die obere Mittelschicht für Toronto, wobei sich die Frauen in New York derselben Schicht zurechneten wie ihre Männer. Mit der Adaptierung der Frauen beschäftigt sich Susemihl im vierten Teil in einem eigenen Kapitel. Immerhin sind zwischen 1939 und 1943 fast 30.000 Frauen aus Deutschland und Österreich in die USA und Kanada emigriert, wobei der größte Teil davon in der Heimat nicht berufstätig war. Viele von ihnen waren in der neuen Heimat gezwungen, ihren Anteil am Erhalt der Familie zu leisten, weil ihr Mann entweder zu wenig verdiente oder überhaupt arbeitslos war. Hier zeigt sich, dass die Flüchtlingsfrauen trotz fehlender beruflicher Erfahrungen im Allgemeinen schneller eine Arbeit fanden als die Männer und sich leichter den neuen Bedingungen am Arbeitsplatz anpassten. Sehr oft kam es auch vor, dass Frauen ihre eigenen Karriereambitionen zugunsten ihrer Männer zurücksteckten. Durch diese neue Rollenverteilungen veränderte sich auch die Binnenstruktur der Flüchtlingsfamilien. Wie schon zu Beginn erwähnt, interessiert sich Susemihl speziell für das Schicksal der Immigrantenkinder und weist darauf hin, dass deren Assimilation und Integration besonders erfolgreich verlaufen ist. Sie waren im Allgemeinen flexibler als die Eltern, lernten die Sprache schneller und waren aufgeschlossener für das Neue, das ihnen begegnete. Trotzdem war es auch für sie nicht leicht, sich in der fremden Kultur zu Hause zu fühlen, und viele litten auch sehr unter dem Verlust ihrer Heimat. Im Bereich der Familie mussten sich die Kinder an die neuen Rollenverteilungen gewöhnen, was sehr häufig bedeutete, dass auch sie selbst neue Aufgaben übernehmen mussten, wie etwa Tätigkeiten im Haushalt oder die Beaufsichtigung der Geschwister. Oft konnte aus finanziellen Gründen die begonnene Schulbildung nicht beendet oder eine höhere gar nicht eingeschlagen werden. Im Bereich der Schule Rezensionen 111 fanden sich die meisten sehr gut zurecht, trotz der Tatsache, dass das primäre Ziel der Schulen damals nicht die Berücksichtigung unterschiedlicher ethnischer Identitäten, sondern eine möglichst rasche Anpassung und Eingliederung von Immigrantenkindern war. Die Kinder waren ungewöhnlich strebsam und leistungsorientiert. Susemihl weist darauf hin, dass v.a. der Umgang mit einheimischen Gleichaltrigen sich günstig auf die Eingewöhnung auswirkte, wobei jüngere Kinder schneller Anschluss an amerikanische Gleichaltrige fanden als Jugendliche, die Kontakte mit Immigrantenfreunden zumindest anfangs bevorzugten. Als besonders vorteilhaft erwiesen sich Partnerschaften mit Einheimischen; solche einzugehen, war allerdings für die jungen ImmigrantInnen oft schwierig. Neben Sprach- und Finanzproblemen stellten auch die unterschiedlichen Wertvorstellungen sowie kulturell bedingte unterschiedliche Auffassungen vom Anbahnen bzw. von der Bedeutung von Beziehungen große Hemmnisse dar. Darauf ist zurückzuführen, dass binationale Ehen erst in späteren Jahren üblicher wurden. Das Buch stellt einen sehr wertvollen Beitrag bzw. eine Bereicherung zur Migrationsthematik dar, wobei Susemihls Ausführungen über die Situation von Kindern und Jugendlichen als besonders aufschlussreich und interessant hervorzuheben sind. Als weniger geglückt kann der Vergleich zwischen unterschiedlichen regionalen Einheiten bezeichnet werden, was, wie schon erwähnt, nicht am grundsätzlichen Vorhaben liegt, sondern v.a. auf das Defizit an Materialien für Kanada zurückzuführen ist. Dies ändert aber nichts daran, dass die Ergebnisse, die Susemihls Forschungen zeitigen, ohne Zweifel zu neuen Einsichten führen, wobei sich aber auch die Notwendigkeit zu weiteren Studien zeigt. Literaturverzeichnis Strutz, Andrea (2006, im Druck). “‘… Something you can recreate’. Aspekte der Erinnerung und des intergenerationellen Gedächtnisses am Beispiel aus Österreich vertriebener Jüdinnen und Juden und ihrer Nachkommen.” In: Exilforschung. München: edition text + kritik. 250-266. Lechner, Manfred / Andrea Strutz (2005). “‘Unfortunately the Apfelstrudel died with my father’s mother.’ Fragmente generationsübergreifender Erinnerungen.” In: Christian Gerbel et al. (Hg.). Transformationen gesellschaftlicher Erinnerung. Studien zur “Gedächtnisgeschichte” der Zweiten Republik. Wien: Turia + Kant. 218-244. Karin M. Schmidlechner Institut für Geschichte Universität Graz