eJournals Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 32/2

Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
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0171-5410
2941-0762
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2007
322 Kettemann

Susanne Rohr, Die Wahrheit der Täuschung. Wirklichkeitskonstitution im amerikanischen Roman 1889–1989.

121
2007
Katrin Amian
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Rezensionen 338 anlayzes the ways in which the different writers achieve a metafictional effect in their texts. As Kušnír acknowledges in the preliminary section of the book, metafictional effects do also occur in the texts he has analyzed in the previous chapters. Although he systematizes the definition of metafiction in this third chapter, the notion has already been articulated earlier, e.g. in the analysis of Coover’s Briar Rose or Pinocchio in Venice in the second chapter. Such fragmentation of the defining characteristics of metafiction may be due to the fact that the remaining chapters do not follow the structure of the first one, in which Kušnír devotes a certain attention to the theoretical debate between modernism and postmodernism. This necessarily leads to a heterogeneous element in the definition of the term. Moreover, the fact that Kušnír identifies metafiction as a pivotal element in postmodernist fiction makes the restriction of its analysis to just one specific chapter somewhat impractical. Such fragmentation also affects the definition of parody as an aesthetic postmodernist strategy that aims at a revision of the past and a criticism of representation. One feels, however, that a more detailed discussion of the concept in theoretical terms would have been helpful. Kušnír’s drawing on Waugh’s - and, to a certain extent, on Hutcheon’s - theorization of the concept of parody as a strategy of subversion that lays bare the politics of representation seems to stand on the same grounds as Jameson’s. However, for the latter, parody is just a mimicry of previous forms that aims at casting ridicule at existing styles; it is, therefore, devoid of any political content. Again, a preliminary theoretical section might have eliminated such levelling. Kušnír’s book constitutes a significant contribution to the field of U.S. literature and the study of such iconic postmodernist authors as Coover. By showing how postmodern literature uses aesthetic strategies to question the politics of representation and identifying parody and metafiction as significant postmodernist literary manifestations, Kušnír provides a rich and diverse picture of postmodernist literature. Teresa Requena Department of English and German Universitat de Barcelona Susanne Rohr, Die Wahrheit der Täuschung. Wirklichkeitskonstitution im amerikanischen Roman 1889-1989. München: Fink, 2004. Katrin Amian Auf den ersten Blick kommt Susanne Rohrs Buch bescheiden daher. Der Titel verspricht eine Studie zur “Wirklichkeitskonstitution im amerikanischen Roman” zwischen 1889 und 1989, und tatsächlich widmet sich Rohr in drei großen Kapiteln ausführlich Werken von William Dean Howells und Henry James, Gertrude Stein und Vladimir Nabokov, Thomas Pynchon und Paul Auster. Doch schon die Frage, mit der sie ihre Einführung beginnt, zeigt, dass es ihr um mehr als eine epistemologische AAA Band 32 (2007), Heft 2 Rezensionen 339 Lektüre dieser Romane geht. “Warum eine neue semiotische Theorie? ” ist da zu lesen, und schnell kann von Bescheidenheit keine Rede mehr sein. Das ist aber auch gut so, denn hinter Rohrs Romanlektüren verbirgt sich eine theoretische Reflexion, die selbstbewusst neue Wege geht. Rohrs theoretisches Augenmerk gilt dem amerikanischen Philosophen Charles Sanders Peirce (1839-1914), der vielen als Mitbegründer der modernen Semiotik bekannt ist. Statt sich jedoch mit den üblichen Versatzstücken aus Peirces semiotischer Theorie abzufinden - mit der Klassifizierung von Zeichen in index, icon und symbol zum Beispiel -, kehrt Rohr zu seinen philosophischen Schriften zurück und präsentiert Peirce als Erkenntnistheoretiker und Logiker, für den die Semiotik fester Bestandteil einer pragmatistischen Theorie der Wahrnehmung und Erkenntnis war. Rohrs jahrelange Beschäftigung mit Peirce kommt ihr hier zugute und lässt Die Wahrheit der Täuschung als gelungene literaturwissenschaftliche Weiterentwicklung früherer Ideen erscheinen. Was nun aber ist die “neue semiotische Theorie,” die Rohr verspricht, und wie fügt sie sich in den Kontext ihrer Romaninterpretationen ein? Rohr beginnt ihre Ausführungen mit einer Abgrenzung. Dies ist zunächst nur konsequent, impliziert die Rede vom ‘Neuen’ doch die vermeintliche Überwindung von etwas ‘Altem’. Das ‘Alte’ ist in Rohrs Zusammenhang nichts Geringeres als der dyadische Zeichenbegriff Ferdinand de Saussures, der, wie sie selbst betont, die literaturwissenschaftliche Theoriebildung der letzten fünf Jahrzehnte maßgeblich beeinflusst hat. Rohrs Einleitung gerät so zu einer Generalabrechnung mit den “theoretischen und textanalytischen Arbeiten des klassischen Strukturalismus, Poststrukturalismus, Dekonstruktivismus, New Historicism wie auch der neuesten ‘race, class und gender-Theorien’”, denen sie allesamt unterstellt, zu einer “ermüdenden Gleichförmigkeit und Vorhersehbarkeit” literaturwissenschaftlicher Arbeit beigetragen zu haben (8). Diese Zuspitzung ist in ihrer verallgemeinernden Form schade und unnötig. Schließlich hält die pauschale Verurteilung einer solch breiten Palette von äußerst unterschiedlichen Ansätzen der wissenschaftlichen Literaturkritik kaum einer differenzierten Betrachtung stand und verstellt zudem den Blick auf das, was Rohrs spezifische Lesart der “Wirklichkeitskonstitution im amerikanischen Roman” so interessant macht: das produktive Ineinandergreifen von Peirce’scher Erkenntnis- und post-dekonstruktivistischer Literaturtheorie, das Rohr auf eindrucksvoller Weise in der Lektüre der ausgewählten literarischen Texte münden lässt. Auch wenn Rohr also in der Formulierung der theoretischen Ansprüche ihrer Arbeit über so manches Ziel hinausschießt, so lohnt sich doch eine intensive Auseinandersetzung mit ihrem Projekt. Die Peirce’sche Erkenntnistheorie, so argumentiert sie, erlaube es von einem Prozess der Wirklichkeitskonstitution zu sprechen, der Realität nicht allein als Ausgangspunkt, sondern “als Resultat zeichengetragener Interpretationsprozesse” begreift (47). Als Verfechter einer pragmatistischen Erkenntnistheorie stellt Peirce das kreative Subjekt in den Mittelpunkt seiner philosophischen Betrachtungen. Für ihn sind Wahrheit und Erkenntnis keine unveränderlichen metaphysischen Kategorien, sie unterliegen vielmehr intersubjektiven Interpretations- und Verständigungsprozessen, die erst im finalen Konsens einer unendlich großen Interpretationsgemeinschaft das hervorbringen würden, was landläufig als Realität bezeichnet wird. Rohr betont nun, dass sich unter diesen pragmatistischen Prämissen die Wechselbeziehung zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Wirklichkeiten neu denken und die Diskussion über das Konzept der Mimesis neu führen Rezensionen 340 lasse. Peirce ermögliche es, “von einer grundsätzlichen mimetischen Relation zwischen inner- und außertextlicher Realität” auszugehen, dies jedoch nicht im klassischen Sinne der Frage, wie “Realität in literarischen Texten abgebildet” wird, sondern in einer pointiert veränderten Form, die Rohr mit der Frage “Wie werden Prozesse der Realitätskonstitution in literarischen Texten abgebildet? ” auf den Punkt bringt (16). Die Betonung liegt somit auf dem prozesshaften Charakter eines pragmatistisch-semiotischen Realitätskonzeptes, das, wie Rohr hervorhebt, Wirklichkeit als ein fragiles Interpretationsprodukt versteht, das ständig neu verhandelt werden muss. Fiktionale Wirklichkeiten unterscheiden sich nach Peirce’scher Lesart in dieser Hinsicht nicht von nicht-fiktionalen Wirklichkeiten. Für Rohr sind sie jedoch ein privilegierter Ort der Reflexion “über die Konturen der Wirklichkeit” und damit “Teil - aber auch Träger” historisch spezifischer Prozesse der kulturellen “Selbstverständigung” über die Unsicherheitsmomente der Wirklichkeitskonstitution (14). Diese an kulturelle Verständigungsprozesse gekoppelte epistemologische Funktion literarischer Texte steht im Mittelpunkt der Textarbeit, die Rohr im Anschluss an ihr umfangreiches Theoriekapitel leistet. Ihre Textauswahl orientiert sich dabei an kanonischen Lesarten der amerikanischen Literaturgeschichte von 1889 bis 1989: William Dean Howells’ A Hazard of New Fortunes, Getrude Steins Blood on the Dining-Room Floor und Thomas Pynchons Gravity’s Rainbow repräsentieren die Literatur des klassischen amerikanischen Realismus, der Moderne und Postmoderne; Henry James’ The Golden Bowl, Vladimir Nabokovs Lolita und Paul Austers Moon Palace liest Rohr hingegen als “Schwellentext[e],” die die jeweiligen Übergänge zur Moderne, zur Postmoderne und zum “neuen literarischen Realismus post-dekonstruktivistischen Zuschnitts” markieren (15). Rohr interessiert an diesen kanonischen Texten und den Epochenbegriffen, die sie ihnen zuordnet, nun vor allem die Frage, “welche Momente der Realitäts-Unsicherheit in den jeweiligen historischen Kontexten besondere Aufmerksamkeit finden” (14). Im Falle des Realismus ist dies, wie ihre Lektüre von A Hazard of New Fortunes zeigt, die “Notwendigkeit zur intersubjektiven Auseinandersetzung über die Wirklichkeit”, die Howells’ Roman als endloses Gespräch inszeniert (88). Im Übergang zur Moderne verschiebe sich das Reflexionsbedürfnis, wie Rohr am Beispiel von The Golden Bowl und Blood on the Dining-Room Floor ausführt, von der interzur intrasubjektiven Ebene. Nun stehe der “sensible Moment[] des Welterratens” im Vordergrund, der durch überraschende Perspektivenwechsel endlos fortgeschrieben und als minutiöse Studie der “Tiefenstrukturen menschlicher Wahrnehmung” radikalisiert wird (188). An der Schwelle zur Postmoderne nehme der Grad der reflektierten Realitäts-Unsicherheit weiter zu. Zudem verlagere sich der Schwerpunkt der Reflexion von der Ebene der Wahrnehmung zur semiotischen Konstruktion von Welt, die, wie Rohrs Lektüre von Lolita und Gravity’s Rainbow zeigt, die Bewegung unendlicher Weltentwürfe auf die Spitze treibe. Mit Moon Palace schließt sich für Rohr an diese “radikale Stufe” schließlich eine “Rückkehr zur Reflexion des Moments der Intersubjektivität” an (17). Reduziert auf ein solches argumentatives Gerüst mag Rohrs Vorgehen schematisch klingen. Doch ihre Textinterpretationen sind in jeder Hinsicht überzeugend und absolut lesenswert. In elegantem Stil führt Rohr ihre Leser durch die fragile Zeichenwelt der sechs Romane, taucht ein in die Tiefen narrativer “Unsicherheitszonen” (238) und geht dem “epistemologischem Subtext” (12) der Romane feinfühlig nach. Dabei greift sie immer wieder bekannte Lesarten auf, wendet sie dann aber neu und Rezensionen 341 wirft so tatsächlich interessante neue Perspektiven auf die bereits ausführlich diskutierten Texte. Im Falle von A Hazard of New Fortunes gelingt es ihr zum Beispiel, die scheinbar triviale Wohnungssuche der Marches, die zu Beginn des Romans erstaunlich viel Raum einnimmt, als Schlüssel zu einer epistemologischen Interpretation des Romans zu begreifen und sie als bedeutende Szene zu lesen. Auch die vielen Verbindungen, die Rohr im Zuge ihrer Lektüren zwischen den einzelnen Romanen zieht, sind äußerst gewinnbringend. Da tritt Lolita in Dialog mit Gravity’s Rainbow, Steins Detektivroman knüpft Verbindungen zu James’ Spätwerk und Austers Moon Palace offenbart interessante Parallelen zu Howells’ A Hazard of New Fortunes. Die kanonischen Epochenbegriffe, auf die Rohr rekurriert, erweisen sich somit als durchlässiger als der Aufbau ihrer Arbeit zunächst vermuten lässt. Indem Rohr die amerikanische Literaturgeschichte aus Peirce’scher Perspektive neu liest, öffnet sie einen Raum für konzeptionelle Verschiebungen, die die Rede von Realismus, Moderne und Postmoderne einerseits bestätigen, letztlich aber auch inhaltlich neu verorten. Die Wahrheit der Täuschung verwirklicht dieses Potential einer Kritik an konventionellen Lesarten der amerikanischen Literaturgeschichte nicht explizit. Das aber zeichnet Rohrs Arbeit gerade aus. Das Buch animiert zum Weiterdenken und reicht in seinen theoretischen Implikationen weit über den Gegenstandsbereich hinaus, den Rohr sich selbst gesetzt hat. Es drängt sich zum Beispiel die Frage auf, wie eine Peirce’sche Lektüre jenseits der weißen und - bis auf eine Ausnahme - männlichen Autoren, die Rohr liest, nutzbar gemacht werden kann. Käme Rohrs “semiotischerkenntnistheoretische Perspektive” (7) dann unverändert zum Zuge? Ließe sich die schematische Ausrichtung ihrer literaturgeschichtlichen Argumentation beibehalten, wenn man weitere Texte einer Epoche hinzuzöge? Kritische Einwände wie diese sind berechtigt, doch sie stellen Rohrs Projekt nicht in Frage. Statt dessen verweisen sie auf die unzähligen Möglichkeiten, ihre Theorie weiterzuentwickeln und in neuen literarischen Kontexten zu erproben. So ist Die Wahrheit der Täuschung schließlich nicht nur ein Genuss für vertraute Leser der sechs Romane, die ‘ihre’ Texte noch einmal neu entdecken möchten. Das Buch ist auch eine Pflichtlektüre für alle, die sich fragen, was die pragmatistische Philosophie Charles Sanders Peirces für die Literaturwissenschaft leisten kann. Gerade deshalb ist es auf jeden Fall zu empfehlen. Katrin Amian Institut für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie Universität Bonn