Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
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0171-5410
2941-0762
Narr Verlag Tübingen
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2007
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KettemannDieter Fuchs, Joyce und Menippos. ‘A Portrait of the Artist as an Old Dog’ (ZAA Monograph Series 2)
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2007
Andreas Mahler
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Rezensionen 354 Dieter Fuchs, Joyce und Menippos. ‘A Portrait of the Artist as an Old Dog’ (ZAA Monograph Series 2). Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006. Andreas Mahler Im auf den ersten Blick gesucht wirkenden Untertitel steckt das ganze Argument. Denn was der schmale, dichte Band unternimmt, ist eine fundamentale Re-Lektüre des gesamten Joyce’schen Werks - und Lebens - aus dem Geist vorchristlich kynischer Philosophie. Hierzu skizziert das erste Kapitel den Begründungsrahmen (3-5), das zweite rekonstruiert die Menippea als Form und Forum antik egalitärer, zyklisch offener Weltanschauung samt den sie über die Zeiten christlich wahrheitsbewusster Repression hinwegrettenden ‘Textbausteinen’ (7-26), das dritte plausibilisiert den Joyce und Menippos einenden biowie bibliographischen Zusammenhang (27-43), bevor das zentrale, umfangreiche vierte Kapitel das eigentliche Porträt des sich im kynischen Schreiben schrittweise aus den Zwängen des Jesuitentums wie des Aristotelismus befreienden Künstlers entwirft (45-150), welches das fünfte synoptisch beschließt (151-52). Leitthese ist die auf dem Grund bewusster, hartnäkkiger Aneignung menippeischen Denk- und Formenrepertoires erfolgende, schreibende Loslösung Joyces sowohl aus der paralytisch-bigotten Enge des zeitgenössischen Dublin (3) wie auch aus der die Literatur um 1900 prägenden Krise der Repräsentation (4) über ein die menippeischen Palimpseste archäologisch ergründendes Über- oder eher Unterbzw. Rücküberschreiben der mimetisch-teleologischen Tradition. Auf diese Weise erscheint Joyces Schreiben als ganz persönliches, individuelles Monument sich konsequent selbst beobachtender “Lebens-Kunst” (4, 31ff.), als unendliche ‘Arbeit am Text’. Systematisch steht und fällt ein solchermaßen programmatisch um Joyce und Menippos zentriertes Argument mit dem notorisch unscharfen Begriff der Menippea. Dessen ist sich Vf. wohl bewusst. Dementsprechend postuliert er in einem ersten Schritt einen von ihm so genannten “sympotischen Diskurs” (12ff.) als von der hellenistischen Kultur der Polis geprägtes System egalitären Denkens und Argumentierens mit dem Dispositiv eines frei und urdemokratisch imaginierten Symposiums als unverwechselbarem Sitz im Leben und profiliert sodann über dessen literarische Konkretisation bei Varro, in der römischen satura, bei Lukian und in der Spätantike die Menippea als dialogisch bestimmte “anthropologisch-weltanschauliche Form des Satirischen ” (8; Hervorh. v. Vf.), als alles einziehende und alles relativierende, sich auf nichts verpflichtende und in der Indirektheit des von ihr bevorzugten “ductus obliquus” (Thomas Morus; 16) schwer belangbare scherzernste Rede des spoudogeloion. Menippeen erscheinen ihm folgerecht als literarische Realisationen sympotischen Denkens und Argumentierens; ihr Gegenstand ist der Mensch in seiner skeptischen Variante nicht als animal rationale, sondern lediglich als animal rationis capax (Swift), und dessen im Unbeantwortbaren verbleibende ‘Letzte Fragen’, ihre Verfahren das der ineinssetzenden Äquivalenz wie das der ausweichenden Alterierung. Diese grundständige Relationalität erweist die Menippea “als literarische Hülse, die den sympotischen Diskurs bespiegelt und deren generischer Grundkonsens darin besteht, […] Kritik an der Natur und Erkenntnisfähigkeit des Menschen zu üben”: sie ist “flexible Form”, und nicht “geschlossene Gattung” (25). Theoretisch mogelt sich AAA Band 32 (2007), Heft 2 Rezensionen 355 dies um etliches herum - die Frage des Satirischen, der Gattung überhaupt, des Karnevalesken samt seiner von Bachtin so prominent gemachten programmatischen Funktionalität und der von ihm profilierten Kategorien, des problematisch proliferierenden Begriffsfeldes des Komischen (Ironischen, Grotesken, Burlesken etc.), ganz zu schweigen von der Gefahr definitorischer Ineinssetzung des ‘Menippeischen’ mit dem ‘Sympotischen’ oder auch beider Metaphorizität. Analysepraktisch hingegen eröffnet eine solche Argumentation ein einleuchtendes Gegen-Porträt des Joyce’schen Werdegangs wie Œuvres aus kynisch-exzentrischer Perspektive und stellt die wesentlichen Motive und Textbausteine für eine “im Zeichen des Hundes” (24) antretende, kongeniale Präsentation eines der größten Literaten des 20. Jahrhunderts. Historisch entsteht auf dieser Grundlage eine zivilisationsgeschichtlich wie entwicklungspsychologisch inverse “Lebenserzählung in fünf Kapiteln” (45). Sie zeichnet die dekonstruktive Geschichte einer konsequenten Hintergehung christlichabendländischer Setzungen: bewusster ironischer Umkehrung des in der Spätantike einsetzenden Prozesses eucharistischer “Ablösung sympotischer Strukturen durch das Christentum” (ebd.). Ihre erste Station zeigt die experimentelle Überkreuzung christlicher und menippeischer Sinnstrukturen von den “Epiphanies” über Stephen Hero hin zu “The Sisters” und “Grace” (45-58), die zweite bezeugt den Versuch programmatischer Wiedergewinnung ‘sympotischen’ Denkens aus der intertextuellen Unterlegung der ursprünglich als “The Last Supper” konzipierten Erzählung “The Dead” mit den spätantiken Saturnalia des Macrobius (58-72), die dritte dialogisiert die aristotelische Bildungsgeschichte des Portrait mit den Metamorphosen des Ovid und den Gegen-Metamorphosen des apuleianischen Goldenen Esels zum synkretistischen Nebeneinander teleologischer und serieller Denkstrukturen (72-96), bevor sich in der vierten und entscheidenden Station des Ulysses die Relation von ‘realistischer’ Oberfläche und menippeisch-‘sympotischem’ Palimpsest umkehrt oder, besser noch, als fiktionswie fingierensbewusste Mischung von Wahrheit und Lüge in steter Schwebe hält (97-146), was in einem letzten, nurmehr angedeuteten Schritt - in der Penelope-Episode, bei Molly Bloom und Finnegans Wake - in der endgültigen Abkehr von der Mimesis und der prinzipiell endlosen freien Performanz des seriellen offenen Kunstwerks endet (146-50). Dies ist die Ästhetik des to have the cake and eat it: eine Konzeption des Wortkünstlertums als eines Prozesses beständigen Schreibens, möglichkeitsreichen Einbettens und Ausbettens aus Kontexten, diskursiver Konstruktion und konterdiskursiver Auflösung. Es ist die Geschichte grundständiger Doppelung, der “Relativität, Duplizität, Nonexklusivität von Oppositionen” (16); vom anfänglichen Hund “[a]t the fork of the roads” (46) zur bewusst synkretistisch kynisch-menschlichen, antik-christlichen Ausschreibung beider Möglichkeiten: von Abendmahl und Symposion mit “gleichermaßen an- und abwesendem Jesus” (63) bei Macrobius und in “The Dead”, von teleologischem Bildungsroman und mythisch relativierender Skepsis im programmatisch auf den ‘Young Man’ eingegrenzten Portrait, von Roman und Menippea, Mimesis und Performanz im Ulysses, von ‘GOD’ und ‘DOG’ (112). Dies ist die Arbeit des textmachenden ‘Poeten’, das ‘So-war-es-und-so-war-es-nicht’ aller Fingierenskunst, erkenntnisskeptische, erkenntnisoffene Ataraxie. Das Porträt des wandernden Exilanten James Joyce als eines welterfahrenen, kontingenzbewussten, Offenheit aushaltenden ‘Old Dog’ überzeugt. Es ist umsichtig Rezensionen 356 angelegt, sorgsam gestützt und wohl begründet, kenntnisreich durchargumentiert und weit über die trouvaille des unabweisbar komplementären Macrobius-Bezugs für “The Dead” (69) hinaus jeweils einlässig am Text belegt. Gelegentlich irritiert ein allzu direkter Anflug biographischen Interesses. Denn was die Arbeit in provokanter Textgenauigkeit für Joyces Œuvre zeigt, ist nicht so sehr rastloses Leben, sondern lebensbegleitende, lebensbe/ erschreibende Textualität als unstillstellbaren, endlosen Prozess: ein zeitgleich für Conrad, Proust, James, Woolf, Gide, Musil, Kafka reklamierbares - und reklamiertes - Schreiben ohne Ende. Von hier aus öffnen sich Fenster zu Fragen des Imaginären, zu Konterdiskursivität, zu Äquivalenz, Alterität, zu Skepsis und zu ‘Literatur’ allgemein. All diese Wege geht das Buch nicht mehr; gleichwohl ist es fortan der Joyce-Forschung hierfür unumgängliche, unleugbare solide Basis. Andreas Mahler Institut für Englische Philologie Universität München Rüdiger Heinze, Ethics of Literary Forms in Contemporary American Literature (Villigst Perspektiven. Dissertationsreihe des Evangelischen Studienwerks e.V. Villigst, Band 6). Münster: Lit Verlag, 2005. Thomas Austenfeld Rüdiger Heinze offers his readers the opportunity to approach works by contemporary fiction writers Paul Auster and Don DeLillo, dramatists Tony Kushner and Suzan- Lori Parks, and poets John Ashbery and Jorie Graham through the lens of formal, genre-based ethical criticism. Heinze’s project is ambitious in several ways: contemporary texts do not, at first glance, obviously lend themselves to ethical criticism, and the ethical implications of formal features of the traditional genres fiction, drama, and poetry are by no means self-evident. But this is precisely Heinze’s point. As “the formal presentation of literary texts has ethical consequences” (11), writers make ethical choices by choosing a form and thereby imposing ethical obligations on their readers. The book comprises 189 pages, including 21 pages of bibliography. Five chapters, evenly balanced in length, structure the argument as follows: chapter one introduces the terms of the debate, establishes the working hypothesis suggested above, justifies the formalist reductions of the approach, and discusses the choice of texts. Chapters two, three, and four, each numbering roughly 40 pages, discuss each of the familiar genres in turn, focusing on point-of-view questions in the fiction chapter, staging and setting in the drama chapter, and imagery and syntax in the poetry AAA Band 32 (2007), Heft 2
