eJournals Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 33/1

Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
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0171-5410
2941-0762
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2008
331 Kettemann

Monika Fludernik, Einführung in die Erzähltheorie.

61
2008
Birgit Neumann
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AAA - Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik Band 33 (2008) Heft 1 Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen Monika Fludernik, Einführung in die Erzähltheorie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006. Birgit Neumann Kaum ein anderer Teilbereich der Literaturwissenschaft erfreut sich seit gut einem Jahrzehnt einer ähnlichen Beliebtheit wie der der Erzähltheorie. Eine veritable Flut von Forschungsbeiträgen hatte jüngst entscheidenden Anteil daran, die Erzähltheorie z.B. durch die Hinwendung zu den soziokulturellen Kategorien der feministischen Literaturwissenschaft, der Kulturgeschichte oder postkolonialen Literaturkritik weiterzuentwickeln und neue Konzepte für die Analyse von Erzähltexten vorzuschlagen. Angesichts der schier unüberblickbaren Zahl von Publikationen in diesem Bereich, der inzwischen selbst für Fachleute kaum noch überschaubar ist, sind Einführungen, die zentrale Einsichten der Narratologie gebündelt vermitteln, ein ebenso notwendiges wie lohnenswertes Unterfangen. Die zusammenfassende Darstellung der narratologischen Forschung ist auch das erklärte Ziel der Monographie der Freiburger Anglistin Monika Fludernik. Ihr Band will “Erstsemestrigen” (S. 7) eine Einführung in erzähltheoretische Analyseinstrumente bieten und sie mit aktuellen Fragestellungen der Narratologie vertraut machen. Doch damit noch nicht genug: Die Monographie ist überdies als innovativer Forschungsbeitrag konzipiert, der englischsprachige Standardwerke wie Rimmon-Kenans Narrative Fiction oder Mieke Bals Narratology durch die Berücksichtigung kontextueller, thematischer und historischer Aspekte produktiv ergänzen will. Die Ziele dieses 190 Seiten starken Bandes sind somit hoch gesteckt. Am Anfang von Fluderniks tour de force durch die narratologische Forschungslandschaft steht die grundlegende Frage, was denn eigentlich eine Erzählung sei und wie sie sich von anderen verbalen Darstellungsformen, wie etwa dem Bericht oder der Beschreibung, unterscheiden lasse. Zu Recht weist sie darauf hin, dass sich Narrationen v.a. durch ihre Zeitlichkeit, d.h. die Darstellung einer Ereignissequenz, sowie durch anthropomorphisierte Erzählfiguren auszeichnen, die den dargestellten Ereignissen erst Intentionalität und Finalität unterstellen. Außerdem, so Fludernik, weisen Erzählungen in der Regel eine Vermittlungsinstanz auf, die die erzählte Welt auf der Darstellungsebene kreativ und individuell gestaltet (vgl. S. 15). Diese Definition - die sicherlich nicht falsch, aber angesichts der Möglichkeit von Geschichten ohne Erzählinstanz doch voraussetzungsreich ist - bietet Fludernik eine Grundlage, Rezensionen 142 um in den folgenden Kapiteln komplexere erzähltheoretische Kategorien wie die des Erzählers, des Plots oder der Fokalisierung einzuführen. Bevor sich Fludernik allerdings diesen textinternen Kategorien und damit dem klassischen Gegenstand der Narratologie zuwendet, lenkt sie in dem aufschlussreichen Kapitel zum ‘Erzählwerk’ den Blick auf die kontextuellen Bedingungen der Textproduktion, denen die bisherige erzähltheoretische Forschung kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat: Hier geht um die Rolle des Autors, den Einfluss von Zensur, um Vertriebs- und Vermarktungsbedingungen sowie um paratextuelle Phänomene wie den Klappentext oder das Umschlagbild, die die Rezeption des Texts präfigurieren. So wichtig und innovativ dieses Kapitel ist, so bedauerlich ist es, dass die hier diskutierten Konzepte für die weiteren Ausführungen der textuellen Strukturen kaum noch Beachtung finden. Sicherlich wäre es lohnenswert zu fragen, wie dieses ‘äußeren’ Faktoren in den Text hineinwirken und auch narrative Formästhetiken mitbestimmen. Das folgende Kapitel zu den ‘Erzählstrukturen’ bietet einen anschaulichen Überblick über die zentralen Analysekategorien, die die klassische Narratologie hervorgebracht hat (Erwähnung finden v.a. die Ansätze von Franz Stanzel, Gérard Genette, Seymour Chatman und Mieke Bal), und erläutert anhand zahlreicher Beispiele den Nutzen der vorgestellten Grundbegriffe für die Textinterpretation. Es verdient besondere Erwähnung, dass sich Fludernik nicht damit begnügt, bestehende Ansätze bloß zu rekonstruieren. Vielmehr setzt sie die oftmals heterogenen Forschungsbeiträge in einen vergleichenden Bezug, entwickelt sie weiter - so z.B. die kontrovers diskutierte Frage nach verschiedenen Fokalisierungsarten - und überführt sie in innovative, auf Vermittlung angelegte Modelle. Auch wenn man diesen Neukonzeptualisierungen nicht unbedingt in allen Details folgen muss, besitzen sie dennoch einen hohen Erkenntniswert, denn sie machen narratologische Problemstellungen an konkreten Beispielen nachvollziehbar und sensibilisieren Studierende für die Herausforderungen erzähltheoretischer Forschung. Das Kapitel zur ‘Erzähloberfläche’ setzt sich zum Ziel, die Projektion der fiktionalen Welt im Text zu erläutern, also zu zeigen, wie aus Wörtern und Sätzen fiktionale Welten werden. Um dies zu leisten, stellt Fludernik narratologischen Kategorien wie z.B. der Raum- und Zeitdarstellung linguistische Überlegungen, etwa zur Deixis und zur Struktur räumlicher Präpositionalphrasen, zur Seite. Durch den Rückgriff auf linguistische Kategorien gelingt es ihr, narratologische Konzepte methodisch zu operationalisieren und überzeugend darzulegen, wie gerade linguistische Details zur Bedeutungsdimension des Textes beitragen. Das darauf folgende Kapitel zu ‘Realismus, Illusionismus und Metafiktion’ illustriert, wie verschiedene textuelle Merkmale zusammenwirken können, um rezipientenseitig z.B. die ästhetische Illusion zu erzeugen, dass eine vorgängig bedeutsame Wirklichkeit bloß abgebildet wird. Roland Barthes’ Überlegungen zum effet de réel finden in diesem Zusammenhang ebenso Erwähnung wie Werner Wolfs Konzept der ästhetischen Illusion und Ansgar Nünnings Ausführungen zur Metanarration. Etwas bedauerlich ist bei dieser ansonsten sehr gelungenen Darstellung allein der Umstand, dass der Historizität der genannten Konzepte - abgesehen von gelegentlichen Verweisen auf die Postmoderne - kaum Beachtung geschenkt wird. Die gerade für eine kulturgeschichtlich ausgerichtete Literaturwissenschaft zentrale Frage, mittels welcher Strategien etwa die ästhetische Illusion oder die Suggestion von Authentizität in unterschiedlichen Epochen und Kulturen erreicht werden, bleibt ausgeklammert. Rezensionen 143 In dem Kapitel zu ‘Sprache als Rede und Stil in der Erzählung’ wendet sich Fludernik stilistisch-rhetorischen Aspekten des Erzählberichts zu, die in der traditionellen Narratologie bislang kaum Berücksichtigung gefunden haben. Spannend und innovativ ist dieses Kapitel vor allem deshalb, weil es zeigt, wie Metaphorik und Metonymik, die für die Semantik und Pragmatik von Texten von herausragender Bedeutung sind, konsequent in die erzähltheoretische Diskussion eingebettet werden können. So plädiert Fludernik dafür, die Bildlichkeit des Erzählerdiskurses “in der Theorie als separate fakultative Ebene einzubeziehen” (89). Metaphorik kann demnach, aber muss nicht, narratologisch relevant sein. Wie Fludernik zu Recht herausstellt, eröffnet diese Integration zahlreiche lohnenswerte Perspektiven auf Erzähltexte. Sie kann nämlich nicht nur dazu beitragen, die oftmals allzu leichtfertig vorgenommene Differenzierung zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten zu problematisieren, sondern auch eine integrative Grundlage für die vergleichende Analyse von Lyrik, Dramen und Erzähltexten schaffen. Nachdem in den ersten acht Kapiteln einzelne narratologische Konzepte und Forschungsfelder vorgestellt und elaboriert wurden, werden im neunten Kapitel ‘Erzähltypologien’ zentrale Kategorien von Stanzels und Genettes Erzähltheorien systematisch zueinander in Beziehung gesetzt. Kurze Zusammenfassungen neuerer Erzähltheorien wie die von Bal, Chatman, Susan Lanser, Marie-Laure Ryan, David Herman, Nünning und Fludernik selbst runden das Kapitel ab, indem sie demonstrieren, wie die klassische Narratologie in den letzten Dekaden z.B. aus feministischer, kognitionswissenschaftlicher, transmedialer oder kulturhistorischer Perspektive weiterentwickelt wurde. Den Abschluss des theoretischen Teils bildet ein kurzer Überblick über die ‘Geschichte der Erzählformen’, in dem einige textuelle Besonderheiten (z.B. der erlebten Rede oder des unzuverlässigen Erzählens) exemplarisch historisiert werden und das Potential einer diachronen Erzählforschung aufgezeigt wird. Darüber hinaus skizziert Fludernik, wie die Erzähltheorie auch für die Analyse solcher Gattungen und Medien fruchtbar gemacht werden kann, die lange Zeit als nicht-narrativ (wie z.B. Film und Computerspiele) eingestuft wurden. Sie spricht damit einen Bereich an, der gerade in jüngster Zeit verstärkt ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses gerückt ist und maßgeblich zur produktiven Weiterentwicklung der klassischen Erzähltheorie beigetragen hat. Die abschließenden Kapitel, die sich dezidiert an den Bedürfnissen der Zielgruppe orientieren, zeigen beispielhaft, wie die Systematik narratologischer Begriffe für die Textinterpretation fruchtbar gemacht werden kann, und geben Studierenden zahlreiche Ratschläge für die weitere Beschäftigung mit der Narratologie an die Hand: Nicht nur zentrale Einführungen in die Erzähltextanalyse, Nachschlagewerke, Zeitschriften und Homepages finden hier Erwähnung; auch die wichtigsten “Don’ts for Narratological Beginners” (S. 155) werden diskutiert. Eine kleine ‘Fibel erzähltechnischer Termini’, in der die vorgestellten Konzepte noch einmal knapp definiert werden, sowie eine kurze Bibliographie beschließen diesen gelungenen Band. Fluderniks Einführung in die Erzähltheorie bietet Studierenden einen sehr guten, leicht verständlichen und wissenschaftlich fundierten Einstieg in zentrale narratologische Problemfelder. Sicherlich wäre es wünschenswert, so genannten postklassischen Narratologien, wie etwa der kulturhistorischen, feministischen oder postkolonialen Erzähltheorie, größere Beachtung zu schenken und damit auch die dialogische Beziehung zwischen Texten bzw. narrativen Strukturen und ihren kulturellen Kon- Rezensionen 144 texten zu fokussieren. Und sicherlich mag man bedauern, dass Fludernik die Erzähltheorie fast ausschließlich für die Analyse fiktionaler Erzähltexte heranzieht und das Drama, aber vor allem die Lyrik nahezu unhinterfragt als nicht-narrative Gattungen ausschließt. Gerade transgenerisch und transmedial ausgerichtete Forschungsbeiträge haben der Erzähltheorie jüngst wichtige Impulse verliehen und dürften durch ihr interdisziplinäres Anwendungspotential maßgeblich zur Renaissance dieses schon totgesagten Forschungsansatzes beigetragen haben. Aber Fluderniks Monographie will vor allem als Einführung verstanden und gelesen werden, und als solche stellt sie zweifelsohne einen ebenso gelungenen wie wichtigen Beitrag dar. Der Band kann angehenden Literaturwissenschaftlern, die einen Einstieg in die Narratologie suchen, daher nur wärmstens empfohlen werden. Birgit Neumann Institut für Anglistik und Amerikanistik Gießen Richard Rorty, Philosophy as Cultural Politics: Philosophical Papers, Volume 4. Cambridge: Cambridge UP, 2007. Ulf Schulenberg One of the most scandalous claims of Shelley’s A Defence of Poetry was certainly that it would be possible to imagine a world not shaped by the thought of philosophers such as Locke, Hume, Voltaire, and Rousseau, but that it was impossible to imagine what the moral condition of the world would have been without the work of poets such as Dante, Chaucer, Shakespeare, or Milton. Richard Rorty’s texts always sought to underscore that in order to understand a culture, and to imagine the possibility of changing it, it is important to ask who its heroes are: the priests, the philosophers, the scientists, or the poets. Rorty, who died in June 2007, at least since Philosophy and the Mirror of Nature (1979) had felt closer to the poets, those innovative, creative, and imaginative redescribers who, as anti-Platonists and antifoundationalists, introduce new vocabularies and new and stimulating sets of metaphors. For Americanists and English Studies scholars it is crucial to see that Rorty always tried to present literary scholars and literary critics in a positive light because they contribute to what he termed a literary or poeticized culture. As a selfproclaimed neo-sophist, neo-Hegelian, nominalist, and leftist intellectual, Rorty fought on numerous fronts - against Platonists, realists, rationalists, positivists, Kantian moral philosophers, (some) analytic philosophers, and in general against those unreconstructed metaphysicians who look for the solidity, reliability, and purity of what is more than another human invention. In Philosophy as Cultural Politics, the final volume of his Philosophical Papers, Rorty once more makes it unequivocally clear that he sees philosophy not as an autonomous and esoteric discipline, but that he wants it to play an important role as AAA Band 33 (2008), Heft 1