Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
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0171-5410
2941-0762
Narr Verlag Tübingen
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2009
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KettemannChristoph Bode und Sebastian Domsch (eds.), British and European Romanticisms. Selected Papers from the Munich Conference of the German Society for English Romanticism.
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Wolfgang G. Müller
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AAA - Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik Band 34 (2009) Heft 1 Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen Christoph Bode und Sebastian Domsch (eds.), British and European Romanticisms. Selected Papers from the Munich Conference of the German Society for English Romanticism. Trier: WVT, 2007. Wolfgang G. Müller Der zu besprechende Band, der ausgewählte Beiträge zum Münchner Symposium der Deutschen Gesellschaft für Englische Romantik (6. bis 9. Oktober 2005) abdruckt, kann aufgrund der Qualität der Artikel und seiner interdisziplinären und komparatistischen Anlage als außerordentlich gelungen bezeichnet werden. In seiner Einleitung bezieht sich Christoph Bode auf die bekannte Debatte darüber, ob sich die Romantik als Epoche durch eine Pluralität divergierender Positionen kennzeichnet und man also von Romanticisms sprechen sollte (Arthur O. Lovejoy) oder ob ein essentialistisches Romantikverständnis adäquat ist, das eine lokale und nationale Unterschiede übergreifende Identität annimmt (René Wellek). Wie der Titel des Bandes anzeigt, neigt Bode zum pluralistischen Romantikverständnis, ja, er sieht gerade in der “irreduziblen Heterogenität” (S. 8) der europäischen Romantiken, die ein Netz gemeinsamer Züge und Beziehungen nicht ausschließt, ein Authentizitätszeichen. Ob es allerdings notwendig ist, Esther Schors witzig gemeintes Akronym PFKAR (Period Formerly Known As Romantic) aus dem Jahre 1999 noch einmal unkommentiert zu zitieren (S. 7), ist die Frage. Das Zusammenspiel von Heterogenität und transnationaler Vernetzung, das die Epoche laut Bode kennzeichnet, spiegelt sich auch in den meisten der Beiträge zu dem Band, die nachfolgend (leider) in gebotener Kürze kommentiert werden sollen. Der erste Beitrag - aus der Feder von Frederick Burwick, der sich seit Jahrzehnten um die Erforschung der deutsch-englischen Literaturbeziehungen verdient gemacht hat - stellt eine literaturwissenschaftliche Sensation dar. Burwick ist es in Kooperation mit James McKusick gelungen, eine 1821 von unbekannter Hand angefertigte englische Blankversübersetzung von Goethes Faust I aus der Anonymität zu holen und Coleridge als Verfasser zu identifizieren. Eine Edition der Übersetzung durch Burwick und McKusick bei Oxford University Press ist in Vorbereitung. Rezensionen 162 Der vorliegende Artikel, “a guided tour” durch das Problemfeld (S. 19), zeichnet die detektivische Spurensuche nach, die Burwick im Bereich der zeitgenössischen englischen Übersetzungen und Nachdichtungen des Faust unternommen hat, und würdigt Coleridge in präzisen Fassungsvergleichen und Textanalysen als kongenialen Übersetzer. Mit diesem Beitrag ist die Messlatte hoch gelegt für die folgenden Artikel, die allerdings durchgängig das Niveau zu halten wissen. So kann Duncan Wu in seinem Beitrag “Stendhal and the British Romantics” nachweisen, wie sehr Stendhals Vorstellung von der Natur und der Wirkung der Imagination von William Hazlitts Petrarca- und Cervantes-Deutung und sein Romantikbegriff von Hazlitts Äußerungen über zeitgenössische englische Lyriker bestimmt wurde. Es kommt dabei nicht darauf an, dass Stendhal ein genaues Verständnis der britischen Literaturszene abging und er nicht immer zu unterscheiden wusste zwischen dem, was Hazlitt und dem, was Jeffrey, dem Herausgeber der Edinburgh Review, zuzuschreiben war, entscheidend ist, dass er in der Lektüre der Edinburgh Review einer ihm gemäßen théorie romantique zu begegnen glaubte, einer Alternative zu der Romantik seiner Landsleute Hugo und Lamartine und des Deutschen Schlegel. Bode spricht in seiner Einleitung in diesem Zusammenhang von einem der “fruchtbarsten Missverständnisse” der Epoche (S. 10). - Ein interpretatorisches Kabinettstück ist der folgende Beitrag von Marc Poirée, “De Quincey ‘à la française’”, der in den französischen Übersetzungen von de Quinceys Confessions of an English Opium Eater in einer scharfinnigen und spannenden Argumentation Hinzufügungen, Transformationen und Auslassungen beobachtet, die den englischen Text französisieren, gleichzeitig aber erhellend auf den Originaltext zurückverweisen. In seiner spielerischen und assoziativen Vorgehensweise erinnert der Text an die dekonstruktivistischen Interpretationen von Terence Hawkes - das ‘à la manière française wird gelegentlich zum ‘à la manière derridadienne’ - aber die Interpretationen zeichnen sich trotz des spielerischen Duktus durch Klarheit aus und die Performanzqualität des Texts dominiert nicht zu sehr. Ein weit gespannter und hervorragend dokumentierter und präzise analysierender Artikel ist Heike Grundmanns Studie über den Orientalismus bei Byron, Delacroix und Victor Hugo. Der Beitrag weist deutlicher nach, als bisher bekannt war, in welch hohem Maße Delacroix’ Orientalismus von Byron beeinflusst ist, und zeigt erhellend, dass sich die für einen Teil der französischen Romantik charakteristische Interdependenz des Erhabenen und Grotesken Byron und speziell der Wirkung Byrons auf Delacroix verdankt. Bedauerlich ist in diesem Artikel nur die schlechte Qualität der Reproduktionen der ausgezeichnet kommentierten Gemälde. - In seinem äußerst kenntnisreichen, wenn auch gelegentlich etwas sprunghaft argumentierenden Artikel über “Byron, Büchner, and Romantic Disillusionism” kann Rolf Lessenich zwar keinen direkten Einfluss von Byron auf Büchner nachweisen, aber eine Affinität in der beiden Autoren gemeinsamen Desillusionierungstechnik wird überzeugend aufgezeigt. Ob man Büchner als Romantiker bezeichnen sollte, bleibt dennoch fraglich. - Zwei sehr aufschlussreiche Artikel beschäftigen sich mit der Romantik im osteuropäischen Raum, die im allgemeinen von der komparatistischen Romantikforschung vernachlässigt wird. So gibt Mihaela Irimia einen faszinierenden Einblick in die Genese der Romantik in Rumänien, die unlöslich mit der Entwicklung der Nation zusammenhängt und die ihre Identität in der Abwendung von der griechisch-byzantinischen Tradition und der differenzierten und teilweise synkretistischen Hinwendung zu westlichen Rezensionen 163 Modellen sucht. Sie vermag äußerst komplexe kulturgeschichtliche und historischpolitische Zusammenhänge nicht nur souverän darzustellen, sondern auch geistreich und witzig zu formulieren, etwa wenn sie sich auf Byron bezieht, “that revolutionary Lord - that Romantic oxymoron alive” (S. 100). Ähnlich verflochten mit der politischen Frage nach der nationalen Einheit ist die Literatur in der polnischen Romantik, wie Miros awa Modrzewska am Beispiel des romantischen Dramas (speziell Adam Mickiewicz, Juliusz S owacki und Zygmunt Krasi ski) ihres Landes zeigt, das sich, ebenfalls unter äußerst schwierigen Umständen, zum großen Teil im Exil und unter dem Einfluss englischer, deutscher und französischer Traditionen entwickelte und kaum zeitgenössische Aufführungen erlebte. Auf der Grundlage von Goethes Faust, Byrons Manfred und Shakespeares Hamlet und anderer Vorgängerfiguren entstanden neue Personae, die ihre eigenen Mysterien und Mythen ausbildeten. Es ist bemerkenswert, dass, wie Vf.in zeigt, das romantisch-patriotische Moment auch ironisiert wird, etwa in S owackis Balladyna, wo sich das romantische Prinzip der Desillusionierung also auch gegen die Nation als größtes Heiligtum wenden kann (S. 113-114). Auf diese Beiträge folgt eine Reihe von Studien, die im engeren Sinne komparatistisch sind und spezifische englisch-europäische Literaturbeziehungen behandeln. Jeffrey Cox eröffnet seinen scheinbar einfach betitelten Beitrag - “British Drama in a European Context - mit einer aufschlussreichen Betrachtung der Begriffe “Text” und “Kontext” unter Rückgriff auf die in den Wörtern beschlossene Textilmetapher und macht so die ganze Komplexität der Betrachtung von Gattungen in ihren nationalen und internationalen Kontexten deutlich. Einbezogen in die Diskussion wird auch das Verhältnis von historischem und literarischem Kontextbegriff. Höchst instruktiv erläutert werden an Einzeltexten unter Bezug auf die historischen Momente der 1790er Jahre, des Jahrs 1802 (Friedensvertrag von Amiens) und der Zeit nach Waterloo die Problematik des nationalen Dramas, speziell die des sogenannten ‘deutschen’ Dramas (German Drama), die Übersetzung als grenzüberschreitendes Phänomen und die Frage eines kosmopolitischen romantischen Dramenstils. - Eine scharfsinnige Kritik von Coleridges viel zitierter Unterscheidung von Symbol und Allegorie führt Nicholas Halmi in dem Beitrag “Coleridge’s Most Unfortunate Borrowing from A.W. Schlegel”. In Coleridges Versuch, das Symbol als ästhetisches Produkt zu bestimmen, sei ihm ein Kategorienfehler unterlaufen, für den der Rückgriff auf Schlegels Definition verantwortlich sei. - Sehr aufschlussreich ist auch der Vergleich des Gebrauchs der Kleidermetapher bei Wordworth und Schiller in dem Beitrag von Monika Class, “The Role of Clothes in Wordworth’s and Schiller’s Poetry and Poetics”, der Vorstellungen wie ‘Nackheit’ des Stils, Stil als Einkleidung und Stil als Inkarnation von Gedanken bei Wordsworth (The Prelude, Essays upon Epitaphs) und Schiller (Kallias-Briefe) erläutert und wichtige stil- und dichtungsgeschichtliche Perspektiven eröffnet. - Eine weitere Verbindung zwischen einem englischen und einem deutschen Dichter stellt Joseph Swann her, dem es gelingt, Analogien im Erinnerungs- und Kreativitätskonzept bei so unterschiedlich anmutenden Dichtern wie Wordsworth und Hölderlin nachzuweisen. - Joel Faflak’s Beitrag “Coleridge and Philosophical Internationality” ist schwierig zu lesen, nicht weil die Argumentation etwa problematisch ist, sondern weil der Gegenstand, Coleridges Beziehung zur philosophischen Internationale und das Spannungsfeld zwischen den zur Sprache gebrachten Positionen - des Dichters neuerdings behauptete Stilisierung als viktoria- Rezensionen 164 nischer Weiser (“British Victorian Sage”) und britischer Imperialist (“British Imperialist”) und seine Anhängerschaft zu allem deutschen Denken sowie die jede Zuordnung unterminierende Orientierung am Mesmerismus - so facettenreich und vieldeutig ist, dass er keine entschiedene Aussage erlaubt. - Derartige Probleme gibt es in Alexandra Böhms Artikel “‘Romantic ideology’ and the Margins of Romanticism: Byron, Heine and Musset” nicht, der zu den besten des Bandes gehört. Böhm zeigt scharfsinnig Widersprüchlichkeiten auf, die in John McGanns Zurückweisung des traditionellen Romantikverständnisses beschlossen sind. Sie macht in einer intensiven und ausgezeichnet dokumentierten Argumentation, die von Mussets Kritik des Romantikbegriffs ausgeht, überzeugend deutlich, dass die Situierung von Byrons späten Texten und Heines Byron-Rezeption in einer europäischen Perspektive einen Übergang zu einer neuen, postromantischen Literatur dargestellt, der sich auch bei Autoren wie Puschkin findet und auf Baudelaire voraus weist. - Hat Böhm sich schon mit den Rändern (margins) der Romantik beschäftigt, so widmet sich Ute Berns mit Thomas Lovell Beddoes einem lange Zeit marginalisierten Dichter, dessen zu unrecht unterschätztes Gedicht “Isbrand’s Song” aus dem Stück Death’s Jest-Book sie sehr plausibel in Beziehung setzt zu dem Denken des Göttinger Medizinprofessors Johann Friedrich Blumenbach, dessen Vorlesungen über Physiologie und Naturgeschichte der englische Dichter begeistert besucht hatte. Beddoes’ Gedicht, dessen Sprecher, ein abgetriebener Foetus, als “a bodiless childful of life” bezeichnet, sich vorstellt, dass er eine Mischung aus verschieden Tieren, “the new Dodo”, werden könnte, wird erhellend mit Blumenbachs wissenschaftlichem Konstrukt des “Bildungstriebs” zusammengebracht. Beddoes’ Vision befindet sich im Gegensatz zu den von Hegel beeinflussten zeitgenössischen Entwicklungskonzeptionen. Berns bezieht sich auch auf den metapoetischen Charakter des Gedichts und interpretiert es im Kontext von Death’s Jest-Book. Sie macht deutlich, dass Beddoes Vorstellungen einer Höherentwicklung des Menschen - wie sie später Nietzsche formulierte - skeptisch gegenüberstand. Die vier folgenden Artikel sind nicht explizit auf die Romantik bezogen, wenn sie auch in je eigener Weise wichtige Themen behandeln: Tilottama Rajan (“Trial and Confession in Godwin’s Novels”) widmet sich unter Bezug auf Kant in scharfsinnigen und tief gründenden Analysen dem Problem von Gerechtigkeit in Godwins Romanen. Der Artikel ist ein wichtiger Beitrag zu dem in der letzten Zeit intensiv diskutierten Thema von Literatur und Recht. Angela Esterhammer (“The Improvatrice’s Fame: Landon, Staël, and Female Performers in Italy”) liest Gedichte der spätromantischem Dichterin Letitia Elizabeth Landon im Kontext der italienischen improvvisatori und improvvisatrici und findet die Lyrik der Engländerin weit entfernt von dem vielfach in ihr gefundenen spontanen romantischen Gefühlsausdruck. Jens Gurr (“Two ‘Romantic’ Fragments: Bürger and Shelley on Revolution”) erläutert argumentative Inkonsistenzen in politischen Texten von Bürger (“Die Republik England”) und Shelley (“A Philosophical View of Reform”), die erklären, warum diese Texte Fragmente bleiben mussten. Politische Implikationen hat auch, wie Frank Erik Pointner in einem vergnüglichen Beitrag ausführt, das satirische Gedicht “The Fudge Family in Paris” von Thomas Moore, das in den Pariser Episteln der Mitglieder der Familie Fudge, die sich auf den umstrittenen Außenminister Castlereagh beziehen, Nationalstereotypen einander gegenüberstellt. Den Abschluss des Bandes bildet ein knapper Beitrag zum englischen Garten als einer frühen Manifestation der romantischen Bewegung von Rezensionen 165 Raimund Borgmeier, der darauf hinweist, dass der englische Garten zu unrecht in vielen Darstellungen der Romantik unberücksichtigt bleibt. Insgesamt nehmen die Beiträge dieses Bandes aus einer Fülle unterschiedlicher Perspektiven Stellung zu Texten und Problemen der britischen und europäischen Romantik. Wenn auch in der Einleitung keine genauere Definition der einzelnen “Romantiken” gegeben wird, auf die der Titel des Buches anspielt, machen die Artikel die nationale und internationale Heterogenität der Literatur - und zum Teil auch der Kunst - der Epoche der Romantik aus verschiedenen Hinsichten deutlich. Dabei werden immer wieder die Vernetzung der einzelnen Literaturen im gesamteuropäischen Kontext und das wechselseitige Geben und Nehmen und die Anverwandlungen und Transformationen des Fremden erörtert. Nach der Lektüre des Bandes wird der in einer wissenschaftlichen Publikation eher seltene euphorische Ton, in dem die Einleitung geschrieben ist, verständlich. Eine kleine Bemerkung sei am Schluss noch gestattet. Die Artikel sind alle in englischer Sprache verfasst. Nur werden mehrfach Zitate aus deutschen Werken im Haupttext in englischer Übersetzung angeführt und in Fußnoten in der Originalsprache wiedergegeben. Lessenich verzichtet in seinen Büchner-Zitaten sogar gänzlich auf den Wortlaut des Originals, so dass es so aussieht, als habe Büchner englisch geschrieben. Ein solches Vorgehen sollten Philologen vermeiden, vor allem in einem Band, in dem so viel an gediegener und innovativer Forschungsarbeit geleistet wird. Wolfgang G. Müller Institut für Anglistik/ Amerikanistik Friedrich-Schiller-Universität Jena Margarete Rubik, Elke Mettinger-Schartmann (eds.), A Breath of Fresh Eyre. Intertextual and Intermedial Reworkings of Jane Eyre. (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft 111). Amsterdam & New York: Rodopi, 2007. Thomas Kullmann Charlotte Brontë’s Jane Eyre (1847) stands out among nineteenth-century British novels for its amazing capacity of raising controversies on issues which at the beginning of the 21 st century are still considered as central: gender, class, colonialism. The status of this classic in literary scholarship and academic instruction as well as its popularity with “a wider reading public” (10) are unchallenged. It is not surprising that Jane Eyre has engendered a considerable number of “intertextual and intermedial reworkings” (as indicated by the book’s subtitle), adaptations, films, theatrical and operatic versions as well as novels, plays and pictorial artefacts which in some way engage in a dialogue with Brontë’s novel and her heroine. AAA Band 34 (2009), Heft 1
