Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
aaa
0171-5410
2941-0762
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2009
341
KettemannRenate Brosch, Short Story. Textsorte und Leseerfahrung.
61
2009
Arno Löffler
aaa3410192
Rezensionen 192 Wende’ in der Betrachtung der Radioliteratur beiträgt. Umgekehrt schafft diese Textzentriertheit jedoch auch den Nachteil, dass innerhalb des narratologischen Unterfangens das Medium ‘Hörspiel’ selbst, und zwar in seiner intermedialen Dimension als Kompositmedium und in seiner Bedingtheit durch sein Vermittlungsmedium, das “Unterhaltungsmedium Radio” und das “Speichermedium Tonträger” (9), gegen die ursprünglichen - intermedialen - Intentionen der Verf. Gefahr läuft, im buchstäblichen Sinne womöglich re-‘literarisiert’ bzw. re-‘philologisiert’ zu werden. Immerhin aber, und das kann nicht hoch genug geschätzt werden, hat Verf. mit ihrer hochaufwändigen und spürbar von Engagement und Enthusiasmus getragenen Untersuchung einen attraktiven Ausgangspunkt für eine angeregte Debatte im audiophilen Flügel der Literaturwissenschaft und der Intermedialität geschaffen. Nicht nur dafür gebührt ihr große Anerkennung. Doris Mader Institut für Anglistik Universität Graz Renate Brosch, Short Story. Textsorte und Leseerfahrung. Trier: WVT, 2007. Arno Löffler Der Umschlagtext verspricht eine neuartige Annäherung an die Short Story. Im Unterschied zu gattungstheoretischen Ansätzen oder zur Analyse textueller Strukturen fasst dieses Buch eine am Leseerlebnis orientierte Verfahrensweise ins Auge und versucht, auf diese Weise die Short Story als Textsorte gegen längere Erzählformen, vor allem den Roman, abzugrenzen. Wenn auch Renate Brosch (in der Folge: Vf.) im Vorspann mit sympathischer Direktheit eingesteht, dass die Fertigstellung des Bandes für sie eine Befreiung “von der quälend langsamen Arbeit an diesem Text” bedeutete, so lässt sie es doch leider offen, ob bzw. wieweit ihre schriftstellerischen Qualen (mit)bedingt waren durch Probleme, die das thematische Konzept oder auch der methodische Ansatz des Buchs mit sich brachten. Die Untersuchung, die ausschließlich englischsprachige Short Stories berücksichtigt, beruht auf der Erkenntnis, “dass Bedeutung nicht in Texten enthalten ist, sondern dass sie in einem Prozess der Interaktion zustande kommt, der sowohl vom Text strukturiert wie auch durch Reaktionen der Leser realisiert wird” (S. 12). Vf. setzt es sich zur Aufgabe, in ihrer “responsorientierte[n] Betrachtung pragmatischer vor[zu]gehen als die um historisch korrekte Exegese bemühte ältere Rezeptionsästhetik” (S. 12). Sie kann ihr Versprechen freilich nur in begrenztem Umfang einlösen, weil für sie der tatsächliche Leserrespons nicht greifbar ist und sie ausschließlich auf die Auseinandersetzung mit den Texten angewiesen ist. Auf erzähltheoretischer Grundlage analysiert Vf. textuelle Eigenschaften und textuelle Strategien, die die Interaktion von Text und Leser stimulieren und steuern, AAA Band 34 (2009), Heft 1 Rezensionen 193 insbesondere im Hinblick auf emotionale und kognitive Reaktionen, auf die “visuelle Imagination [...] und/ oder die gedankliche Extrapolation” (Umschlag). In eingestreuten Erläuterungen zum Wandel der Short Story seit dem 18. Jahrhundert sowie zu älteren und aktuellen Konzepten der Darstellung und Analyse von Zeit und Raum, Plot und Figuren gibt sie ihren Ausführungen einen klaren historischen Bezugsrahmen. Die Abgrenzungen, die Vf. gegenüber anderen Textsorten vornimmt, rufen gelegentlich kritische Reaktionen hervor und erscheinen zu stark pauschalierend oder etwas gewagt. Wenn etwa gesagt wird, dass die Kurzgeschichte “weder die völlige Immersion illusionistischer Lektüre noch die unproblematische Informationsextraktion der Gesprächskommunikation (erlaubt)” (S. 15), so mag dies ja auf viele Short Stories zutreffen, es gilt aber auch für viele Romane oder für erhebliche Teile der Lyrik. Andererseits: Es war doch gerade der Short-Story-Autor E.A. Poe, der die völlige “Immersion” des Lesers anstrebte, um die Totalität des Effekts sicherzustellen! - Wenn es heißt, “Die Kurzgeschichte ist eine Textsorte, für die leserpsychologische Gesichtspunkte zentral sind” (S. 15), so kann man dem nur zustimmen und zugleich mit der Frage kontern: Für welche literarische Textsorte sind “leserpsychologische Gesichtspunkte” nicht zentral? - Mag auch die “dialogische Wirkung zwischen Text und Leser” (S. 22) groß sein, so muss man doch erwägen, wieweit dies ein wirklich entscheidendes Kriterium der “Grenzsetzung” (S. 9) im Vergleich mit anderen literarischen Texten ist. - Auch die Beobachtung, dass sich “Kurzgeschichten im Spannungsfeld von textueller Beschränkung und rezeptiver Ergänzung entfalten” (S. 25), ist wohl eher ein Gemeinplatz, der für literarische Texte in einem erheblich weiteren Bezugsrahmen gilt, - hier hat ja u.a. Wolfgang Iser im Hinblick auf die “Appellstruktur der Texte” gründlich vorgearbeitet. Selbst wenn man der Argumentationslinie von Vf. i.G. folgt, so wünscht man sich doch immer wieder eine stärkere Problematisierung und Verdeutlichung der Differenz, zumindest zu den längeren Erzählformen hin. Bei einigen Aussagen wäre auch größere sachliche Fundierung angezeigt, so etwa bei der Feststellung, dass die Short Story vor dem 18. Jahrhundert “ungeheuer hybride und variationsreiche Anfänge” (S. 27) hat. Nicht unproblematisch erscheint es mir, dass mit Blick auf den Modernismus die Short Story als “diese strenge Form” (S. 27) markiert wird. Erweist sich die Short Story nicht gerade im Modernismus - etwa bei Joyce, Woolf, Lawrence, Mansfield, Maugham, Huxley - als eine sehr offene, variationsreiche Form? Eine Frage gibt auch die Behauptung auf, die Kurzgeschichte habe eine “unordentliche Entstehungsgeschichte” (S. 28). Wie sieht denn die “ordentliche” Entstehung einer Gattung aus? Im ersten Hauptkapitel liefert Vf. einen Überblick über den historischen Wandel der Kurzgeschichtenkonzepte seit dem 18. Jahrhundert, auch im Zusammenhang der sich wandelnden Leserschaft, nicht ohne zu betonen, dass “Leser, die schnell zum Phänomen Leseerfahrung vordringen wollen, diese Exposition getrost überspringen können”(S. 23). Wenn man sich auch in der Tat fragt, wieweit dieses Kapitel in Rahmen dieses Bandes thematisch relevant ist, so enthält es doch wichtige historische Informationen, insbesondere für Leser, die mit der Materie noch nicht aus anderen Darstellungen vertraut sind. Rezensionen 194 Im anschließenden Kapitel “Kurzes-Erzählen-Lesen” akzentuiert Vf. zunächst ihre Auffassung von der “Nähe von Kurzgeschichten zu natürlichem, alltäglichem Erzählen” (S. 58) und geht dabei auch auf die Bedeutung der “einfachen und suggestiven Sprache” (S. 58) für den Leseakt ein. In besonderem Maße richtet sich dann das Interesse auf die “Textgrenzen”, d.h. die Gestaltung von Anfängen (primacy effect) und Schlüssen (reading for closure) und in diesem Zusammenhang auch auf die Problematik von Rahmen und die Einbindung in Zyklen. Anhand einiger Textbeispiele, u.a. von Poe und Bradbury, thematisiert Vf. dabei die zentralen Aspekte der Leserinvolvierung, so etwa die Auswirkungen der Reduktion auf den Leseprozess, auf Erwartungshaltungen und kognitiv-analytische Bemühungen. In den darauffolgenden Hauptkapiteln untersucht die Vf. verschiedene Verfahren der Lesermobilisierung im Hinblick auf die Figuren- und Raumdarstellung, auf die Gestaltung der Perspektive und der Zeitstrukturen. Dabei geht sie auf einige Stories ausführlicher ein, etwa auf Woolfs “Kew Gardens”. Der letzte Hauptteil thematisiert den Übergang “vom Leseerlebnis zur Interpretation” und behandelt dabei u.a. Aspekte wie “Visualisieren und Konfigurieren”, “Metaphorisieren”, sowie projektives und transgressives Lesen, und geht auch kurz auf Auswirkungen der heutigen Medienkultur auf die Leseerfahrung ein. Das Buch enthält sorgfältig zusammengestellte Verzeichnisse der behandelten Short Stories und der Sekundärliteratur, leider jedoch kein Personen- und Sachregister, das die Suche nach den behandelten Autoren und Erzählungen erleichtern würde. Dies ist zweifellos ein anregendes Buch. Schade, dass die dargelegten Theorie- Positionen nicht durch mehr und detailliertere Textdemonstration und Textanalyse erhärtet werden. - Für eine zweite Auflage des Buchs wäre es wünschenswert, u.a. folgende Versehen zu beseitigen: Dürer (S. 111) sollte von dem falschen Vornamen “Alfred” befreit und der Name von Shakespeares berühmtem Narren Yorick korrekt geschrieben werden (also: “Yorick”, nicht “Yorrick” (S. 155, S. 213). Der Begriff “omniszent” (z.B. S. 156, 157, 162, 165) sollte durch “omniszient” ersetzt werden. Im Hinblick auf Graham Swifts Erzählung “Seraglio” sollte man eher von einer “orientalischen” als einer “orientalistischen” Folie (S. 185) sprechen. Und Dickens’ “Signalman” sollte korrekt beschrieben werden: Er ist nicht “Weichensteller an einem Bahnhof” (S. 188), sondern Signalwärter an einem Tunneleingang. Arno Löffler Institut für Anglistik und Amerikanistik Universität Erlangen