Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
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Narr Verlag Tübingen
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2009
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KettemannChristoph Bode, Selbst-Begründungen. Diskursive Konstruktion von Identität in der britischen Romantik. Band 1: Subjektive Identität.
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2009
Gerold Sedlmayr
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AAA - Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik Band 34 (2009) Heft 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen Christoph Bode, Selbst-Begründungen. Diskursive Konstruktion von Identität in der britischen Romantik. Band 1: Subjektive Identität. (Studien zur englischen Romantik [Neue Folge] 5). Trier: WVT, 2008. Gerold Sedlmayr Wenn Christoph Bode zu Beginn der Selbst-Begründungen schreibt: “Identität hat man überhaupt nicht mehr (am allerwenigsten die Dichter) - sie ergibt sich [prozessual] stets aufs Neue” (7), so diagnostiziert er damit keineswegs zum wiederholten Male unsere heutige, postmoderne Befindlichkeit, sondern behauptet - und das mag zunächst verblüffen -, dass es sich hierbei vielmehr um den charakteristischsten Zug romantischer Ich-Konstitution handle. Romantische Dichtung zeichnet sich nach Bode gerade deswegen als Schwellenphänomen zur ‘Moderne’ aus, weil sie einerseits und bekanntermaßen die Frage nach der Natur individueller Identität auf radikale Weise fokussiert, andererseits aber keine bestimmenden, essentiellen Antworten darauf bieten kann: Identität ist in der Romantik nicht mehr innerhalb eines durch binäre Oppositionen gekennzeichneten Feldes fest-stellbar, sondern kann nur noch als “das vorläufige und instabile Ergebnis einer diskursiven Verhandlung” (7), mithin also als performative Möglichkeit, augenblicklich aufscheinen. Dass dies gerade nicht ein eintöniges Verflachen der Literatur, ein Verlieren im Indifferenten, bedeutet, sondern die Verschiedenheit von Konstruktionsansätzen diskursiver Identität den besonderen Reiz und Reichtum romantischen Schreibens ausmacht, illustriert Bode an repräsentativen Fallbeispielen. So widmet er sich, mit Ausnahme Blakes, den großen kanonischen Dichtern Wordsworth, Coleridge, Byron, Shelley und Keats; als repräsentativ für sie alle wird aber überraschenderweise Charlotte Smith herausgestellt, deren Werk entgegen der ansonsten eingehaltenen Chronologie im Sinne einer Zusammenfassung ganz am Ende diskutiert wird. Wordsworth weist, wie so oft, den Weg in die Debatte. Das geplante, letztlich aber nie vollendete Epos über “Man, Nature, and Society” - “The Recluse” (vgl. 21) - soll, so seine Absicht, ein Gegengewicht zu Miltons Paradise Lost darstellen, indem es eine Positionsbestimmung des Menschen vom Menschen (und nicht von Gott) her Rezensionen 334 vornimmt. Die Realisierung dieses Projekts erweist sich allerdings von Anfang an als schwierig. In einer Schreibblockade befangen, widmet sich Wordsworth, der Hauptaufgabe ausweichend, dem so genannten Prelude, einer autobiographischen Schilderung seines dichterischen Werdens, welches somit ursprünglich lediglich als Hinführung zum Eigentlichen gedacht ist. Um allgemein über “the Mind of Man” schreiben zu können, muss der Schreibende zunächst klarstellen, wie es um die eigenen Kräfte und die eigene Entwicklung bestellt ist; wie er zu dem geworden ist, der er ist: “das säkulare Epos hat schließlich seine Voraussetzungen zu nennen, denn selbstverständlich sind sie nicht.” (23) Grob formuliert: Gerade weil es für Wordsworth keine feste externe Bezugsgröße mehr gibt, im Verhältnis zu der er den eigenen Standort und den der Menschheit mehr oder minder eindeutig bestimmen könnte (so wie Gott in Paradise Lost), bleibt nur das eigene Ich, welches als solche herhalten muss. In diesem Zusammenhang erweist es sich als vielsagend, dass Wordsworth das Prelude zu seinen Lebzeiten nie veröffentlichte, sondern kontinuierlich überarbeitete: Selbst jenen begrenzten Zeitraum seines Lebens, den das Prelude behandelt (bis 1798/ 99), konnte er niemals als tatsächlich abgeschlossen betrachten und zwar genau deswegen, weil er auch und vor allem als schreibendes Subjekt dem ständigen Wandel unterworfen war und sich somit auch die Perspektive auf sein Ich als Objekt der Darstellung (und dessen Wandel) fortwährend ändern musste. Somit zeigt das Prelude - als Konglomerat all seiner Versionen, als immer nur Vorläufiges, als ständiger Neuentwurf des erzählten Selbst (‘Wordsworth’) - zum einen ganz eindrücklich, wie stark die Frage nach der Identität während der Romantik zur Verhandlungssache wird. Zum anderen macht es aber auch deutlich, dass die Welt/ Natur nicht als etwas Konkretes ‘da draußen’ verstanden werden kann, sondern Produkt der Imagination, also immer schon ‘Verinnerlichtes’, ist: “Das Prelude führt vor, wohin das führen muss, wenn ein sich selbst begründendes Subjekt, das sich nur prozesshaft begreifen lässt, die ‘objektive’ Realität nur als Reflex seiner eigenen Bewegung auffassen kann.” (48) Inwiefern Coleridge genau damit Probleme hatte und dementsprechend eine recht eigenwillige Lösung suchte, verdeutlicht Bode, indem er - anhand von “Frost at Midnight”, der Biographia Literaria sowie anderer philosophischer und poetologischer Schriften - Coleridges Position als eine zwischen und gegen jene Wordsworths, Kants und Schellings gelagerte begreift. So nimmt zwar auch Coleridge ein selbstreflexives Subjekt an, begründet es aber letztendlich in Gott, den er somit setzen muss. Dieser “metaphysical turn” (105) wiederum bedingt allerdings eine “radikale Diskontinuität” (115), insbesondere weil das sich selbst schreibende Subjekt irgendwann an einen Punkt kommen muss, an dem die Philosophie ins Stocken gerät. Dem Subjekt bleibt dann, entweder sich weiterhin im Diskurs zu verorten und die philosophischen Engpässe durch fiktional-literarische Brücken zu überqueren oder aber den Abbruch der diskursiv-prozessualen Ich-Konstitution in Kauf zu nehmen und das selbstbezogene Reflektieren durch Glauben zu ersetzen. Byron geht einen dritten Weg, einen, der aus dem Text hinaus in einen öffentlichen Raum zu führen scheint und zwar so, dass ‘Lord Byron selbst’, das Leben des Schreibenden, die Lektüre des Geschriebenen leitet. Somit wird von Byron der Versuch gestartet, die ontologisch eigentlich zwingende Unterscheidung zwischen Autor und Erzähler/ Sprecher wenigstens scheinbar aufzulösen, um den Rezipienten zu ermöglichen (bzw. sie dazu zu bringen), eine Figur wie Childe Harold als Byron Rezensionen 335 lesen zu können. Entscheidend ist aber natürlich, dass jener angeblich vorgängige ‘Byron’, der in die Figuren hineingelesen werden soll, selbst auch nur eine fiktive Figur ist, deren Wirkmächtigkeit paradoxerweise steigt, je öfter sich der Autor von der Identifikation mit seinen Figuren distanziert. Der “tiefere Witz” daran ergibt sich laut Bode jedoch weniger durch das Infragestellen des “Realitätsstatus der Fiktion […], als vielmehr dass dadurch das Fiktionale der Realität aufgedeckt wird” (142). Das, was die Identität des Subjekts ausmacht, ist somit tatsächlich nicht mehr als das performative Ausfüllen einer (fiktiven) Rolle. Shelleys philosophische und poetologische Position ist vermutlich die radikalste unter den besprochenen Dichtern, und so nimmt es nicht wunder, dass dieses Kapitel das vielleicht am dichtesten gestaltete ist. Zunächst wird anhand des Essays “On Life” nachgewiesen, dass Shelley in einem prekären Spannungsfeld zwischen epistemologischem Idealismus und ontologischem Materialismus einzuordnen ist (vgl. 157). Das heißt: Einerseits ist alles, was ich wissen kann, immer schon Teil meines Bewusstseins (“Nothing exists but as it is perceived.” [145]). Andererseits ist dieses Bewusstsein selbst - das also, worauf sich mein Sein gründet - bloße Funktion einer hoch organisierten physikalischen Materie, wobei Shelley letztere genauso setzen muss wie Coleridge es im anderen (nämlich metaphysischen) Extrem mit Gott tut. Verbunden (sowie gleichzeitig dekonstruiert) werden die beiden Pole des Materialismus und des Idealismus durch die Sprache: Sie ist es, welche es im Sinne eines “großen Intertext[es]” auf entschieden diesseitige Weise erlaubt, die ‘Liebe’ genannte Verbindung des Selbst zu Anderen erst herzustellen, und so eine “große textliche Seinskette” (171) errichtet. An “Mont Blanc”, “Ode to the West Wind”, Prometheus Unbound und The Triumph of Life demonstriert Bode auf verblüffende Weise, wie sich das (poetische) Subjekt im Sinne dieser grundlegenden philosophischen Haltung gerade durch Zurücknahme, das heißt die “Löschung [von] Selbstheit” (182), in seiner Subjektivität behaupten kann. Das romantische Subjekt Shelleys ist, die Annahmen des Poststrukturalismus vorwegnehmend, nur als ewig flüchtiges im Spiel der Differenz ‘identifizierbar’: “Die letzte Wahrheit ist nicht aussagbar; die aussagbaren Wahrheiten sind Serien von Annäherungen, Transpositionen, Umschreibungen, Überschreitungen, Differenz-Spiele, in denen das Gleiche im Nicht-Identischen gesucht und Differenzierung vorangetrieben wird.” (193) Ähnlich wie Shelley entfernt sich auch Keats immer weiter von dem, was er selbst das “wordsworthian or egotistical sublime” (206) genannt hat. Der Dichter zeichnet sich vielmehr durch seine “Negative Capability” (206) aus, also jene ‘Fähigkeit’, das Ich ganz zurückzunehmen, um für das Andere Raum zu schaffen: “Keats besteht auf der Möglichkeit eines subjektlosen Schreibens” (208), was impliziert, dass das Ich zur reinen Form-Sache degradiert wird. Durch die totale Identifizierung mit dem sinnlich erfahrenen Objekt ist das Subjekt lediglich noch über jene Stadien fassbar, in denen sich ebendiese Identifizierung vollzieht. Bode nennt die daraus entstehende Dichtung, insbesondere Keats’ Oden, “Differential-Dichtung” und bezeichnet die solchermaßen hergestellte subjektive (Dis-)Kontinuität als “Kontinuität des Protokolls” (212). Dies heißt nun gerade nicht, dass Keats ein fassbares ‘Ding an sich’ hinter dem Objekt annähme, welches das Subjekt mit seiner Wahrheit ‘(er)füllen’ würde: Im Gegenteil, paradoxerweise sind jene Objekte ihrerseits nichts anderes als “Produkte eines Sinn-Begehrens, das sich seine Objekte selbst schafft” (220). Die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt muss somit letztlich kollabieren. Was bleibt Rezensionen 336 ist das Protokoll, die Spur, welche somit stets (und ganz wörtlich) vorläufig bleibt. Registriert wird sie durch den Text, nichts sonst. Das Werk Charlotte Smiths, das wie gesagt unter chronologischen Gesichtspunkten vor dem der anderen Dichter diskutiert hätte werden müssen, bildet den Abschluss, weil es vieles von dem fasst, was diese später entwickeln werden: “Zwischen den Polen Elegiac Sonnets und Beachy Head spannt sich noch einmal der ganze Möglichkeitsraum auf, der […] der diskursiven Konstruktion von subjektiver Identität in diesen Jahrzehnten freisteht” (15). In der Weise, wie Smith in ihren Sonetten - ähnlich wie Byron - die Einheit von Sprecher-Ich mit Autor-Ich inszeniert und dekonstruiert, nimmt sie voraus, dass jegliches Authentische immer schon fiktiv ist (vgl. 246). Diesbezüglicher Höhepunkt von Smiths Schaffen - und ganz allgemein Höhepunkt romantischen Schreibens über Identität - ist allerdings Beachy Head, weil dieses Langgedicht auf eindrückliche Weise nicht bloß illustriert, dass jegliche Setzung von Ursprünglichkeit mit einer gegenläufigen Setzung relativiert werden kann, sondern auch darlegt, dass das Subjekt nur mittelbar greifbar ist, also als ein in ein Medium eingeschriebenes. Ein solches Medium, sei es ein Text, sei es die ‘Natur’, ist aber dauernd in Veränderung begriffen, unterliegt der Sedimentation. Wie Muschelfossilien in einer tiefer gelegenen geologischen Schicht wird das Subjekt damit allerdings lediglich “in perfekter Form präserviert, aber nicht in seiner Substanz” (258). Was bleibt, ist die Spur des Selbst im Anderen, “die irreduzible Alterität des Selbst” (260). Würde der gegebene Raum ausreichen, hätten hier selbstverständlich jene Passagen erwähnt werden müssen, in denen sich Bode kritisch (aber stets respektvoll) mit konkurrierenden wissenschaftlichen Positionen auseinandersetzt, weil gerade in ihnen deutlich wird, wie stark es ihm an einer tatsächlichen und lebendigen Auseinandersetzung innerhalb des akademischen Diskurses gelegen ist. So wie er ist, kann dieser kurze, leider allzu sehr verknappende Abriss höchstens einen Eindruck davon vermitteln, auf welche Weisen Christoph Bodes komplexe, gleichzeitig aber erfrischend unterhaltsame und spannende Studie veranschaulicht, wie radikal gegenwärtig die Romantiker doch sind. Seine auf einer äußerst breiten Textbasis fundierten Analysen, in denen er sich dankenswerterweise nicht scheut - dem Trend gegen das close reading trotzend - genau hinzuschauen und präzise zu lesen, bestechen durch ihre hohe Sorgfalt, aber auch provozierende Eindringlichkeit. Bodes Lesarten fordern heraus, erzwingen ein dezidiertes Eindenken und Querdenken, sie überraschen und (was ganz positiv gemeint ist: ) verstören. Wie er uns nicht nur an Wordsworth vorführt: Jedes Schreiben, autobiographisch oder nicht, geschieht im Spannungsfeld zwischen dem schreibenden Ich und dem beschriebenen Objekt. Nicht anders ist das, wenn wir etwas wie die Romantik beschreiben: Wir müssen uns dabei immer selbst mitschreiben. Beziehungsweise mitlesen. Daher: Jede und jeder, die oder der an der Romantik interessiert ist, aber überdies auch an sich selbst, sollte sich dieses Buch unbedingt zu Gemüte führen. Gerold Sedlmayr Lehrstuhl für Englische Literatur und Kultur Universität Passau