Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
aaa
0171-5410
2941-0762
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2011
362
KettemannEwald Mengel, Michela Borgaza, Karin Orantes (eds.), Trauma, Memory and Narrative in Soth Africa: Interviews.
121
2011
Horst Zander
aaa3620164
((( / 2 + " 0 + *% " 0 9 F - 0 &* $ " * ,$ 5 + & 4 2 % + 0 G - (5 5A 2 H . ) 0 - I "Every South African has to some extent or other been traumatized. We are a wounded people". Unter anderem mit dieser Feststellung (die mehrfach in dem vorliegenden Band zitiert wird; S. 20, 54, 145) eröffnete Erzbischof Desmond Tutu, der eine zentrale Rolle beim Kampf gegen die Apartheid in Südafrika spielte und der für seinen Einsatz 1984 den Friedensnobelpreis erhielt, die Sitzungen der Truth and Reconciliation Commission, deren Vorsitzender er war. Die Kommission, die ihre Arbeit im Jahre 1996 aufnahm und vor der allein mehr als 7000 Täter (perpetrators) aussagten, sollte, wie ihre Bezeichnung verheißt, die 'Wahrheit' über den rassistischen Staat ans Licht bringen und zugleich eine Versöhnung zwischen den tief gespaltenen Bevölkerungsgruppen des Landes herbeiführen. Der anzuzeigende Band kreist ständig um die Arbeit dieser Kommission und vor allem um die Konzeption von Trauma, die Tutu in seiner Ansprache verwendet. Dabei ist Trauma ein Aspekt von Gedächtnis oder Erinnerung, und wie der Titel des Buches indiziert, wird dieser Gesichtspunkt verknüpft mit dem Narrativen, da es immer wieder darum geht, wie man ein traumatisches in ein narratives Gedächtnis überführen könne (S. vii, 52, passim). Das Buch ist ein Nebenprodukt eines größeren Projekts, das mit eben dem Titel "Trauma, Memory, and Narrative in the Contemporary South African Novel" an der Universität Wien durchgeführt wird. Im April 2010 gab es dort auch eine Konferenz zu dem Thema. Getragen wird der Band von der neueren Trauma-Forschung, wie sie sich etwa in der von Cathy Caruth edierten Studie Trauma: Explorations in Memory (1995) und Roger Luckhursts The Trauma Question (2008) manifestiert. Kein Bezug genommen wird in der "Introduction" des vorliegenden Buches (S. viixiii) hingegen auf die Schrift Das kulturelle Gedächtnis (1992) des Ägyptologen Jan Assmann, der ein enormes Interesse an dem Thema in der deutschen und österreichischen Anglistik entfachte und es zum Fokus diverser Anglistentage und Konferenzen avancieren ließ. Auch der markante Aufschwung, den der Forschungsbereich Narratologie in den letzten zwei Jahrzehnten genommen hat und der die Basis für die zentrale Bedeutung des Narrativen in der Publikation bildet, wird nicht erörtert. Insgesamt besteht der Band aus vierzehn Interviews, die die Herausgebenden mit Südafrikanern zum Thema traumatisiertes Südafrika geführt haben. Eingeteilt ist das Ganze in die Sektionen "Interviews with South African Authors", "Psychologists" und "Academics". Die Auswahl der befragten Personen wird nicht näher begründet (bei den "Authors" etwa haben wir einen Mann und vier Frauen von unterschiedlicher Hautfarbe), und gewiss erweist sich diese Einteilung auch als fragwürdig: Der Autor André Brink ist zugleich ein Akademiker, und das gilt ebenso für Don Foster und Ashraf Kagee, die in der Sektion "Interviews with South African Psychologists" erscheinen, beide aber Professoren an südafrikanischen Universitäten sind. Die Publikation ist mithin an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen angesiedelt und fest im südafrikanischen Kontext verankert. Fiktionale Literatur spielt in diesen Interviews, obgleich sie ständig wieder thematisiert wird, eine eher untergeordnete Rolle: Der Fokus liegt vielmehr auf den Bedingungen, die die Apartheid und die Zeit danach geschaffen haben, und darauf, wie sich diese Situation auf die Menschen in dem Land auswirkt. Dabei geht es im Zusammenhang mit der Apartheid regelmäßig um eine Traumatisierung durch Folter, im Post-Apartheid-Südafrika vor allem um eine Traumatisierung durch die notorischen Verbrechen, insbesondere Vergewaltigungen. Mehrfach werden in den Gesprächen Parallelen zum Holocaust (S. 8, 19, passim) und zur deutschen Vergangenheitsbewältigung (S. 22, 147) gezogen. Solche Parallelen sind naheliegend; doch obgleich das Konzentrationslager im südafrikanischen Burenkrieg entstanden ist (allerdings errichtet von den Briten mit dem Ziel, weiße Buren zu besiegen), haftet diesem Vergleich ein seltsamer Beigeschmack an. So schlimm die Situation im Apartheid- Südafrika war: Tötungsfabriken wie im Dritten Reich hat man dort nicht gebaut. Mithin tendiert eine solche Analogie eher zu einer Verharmlosung der Verhältnisse in der deutschen Vergangenheit. Trotz des Verweises auf solche Parallelen zeigt sich bei dem Thema Trauma - verständlicherweise - eine starke Fokussierung auf Südafrika; und man fragt sich, warum gerade Südafrika ein solch traumatisiertes Land sein solle. Gelten ähnliche Gegebenheiten nicht ebenso etwa für die Länder des ehemaligen Ostblocks, die sich in der gleichen Phase wie Südafrika von Regimen befreit haben, die von Unterdrückung, totalitärer Kontrolle, von großen Zahlen politischer Gefangener und ebenso von Folter in den Gefängnissen geprägt waren? Dementsprechend konzidiert Foster denn auch: "I say that three quarters of the world in the current climate - if not more of the world - live permanently in traumatic circumstances" (S. 124). Was die gegenwärtige Situation in Südafrika betrifft, sind die Diagnosen der Interviewten recht einheitlich. So stellt die Romanautorin Susan Mann fest: "Unfortunately, we are a violent nation" (S. 50), und ein Mord in dem Land, so Mann, schaffe es noch nicht einmal, als Geschichte in einer Zeitung berichtet zu werden. Damit aber würden Verbrechen und Gewalt in Südafrika normalisiert (S. 54). Foster erklärt dazu: "[W]e have the highest rape rate, we have the highest child rape rate, we have - dreadful - the highest murder rate, the highest assault rate, we have a very, very violent society in South Africa" (S. 108). Dabei tun sich die Befragten recht schwer, Erklärungen für diese Phänomene zu finden. Kagee versucht es mit einem Bündel von Gründen, bei denen etwa Armut, Perspektivenlosigkeit und auch Drogen eine Rolle spielen; festlegen mag er sich aber nicht (S. 133f.). Foster hingegen leitet die pandemische Gewalt in Südafrika unter anderem auf die Apartheidssituation zurück: Jene schwarzen Männer, die sich im Kampf gegen die Apartheid bewaffnet hätten, seien eben Waffenträger geblieben (S. 109). Die früher verbreitete These, dass die Gewalt- und Mordorgien (die es bereits zur Apartheidszeit gab) eine eindeutige Folge eben jener Apartheid seien, wird heute offenbar nicht mehr formuliert. Wenn man Schwarzen - so die Argumentation damals - permanent einrede, sie und ihr Leben gelten nichts, dann achten sie auch nicht das Leben anderer. Da es aber inzwischen eine gewalttätige Generation gibt, die die Apartheid nie erlebt hat, scheint dieses Argument nicht mehr zu greifen (obgleich diese Generation gleichfalls nachhaltig von dem Erbe des Rassismus geprägt ist). Die Arbeit der Truth and Reconciliation Commission in Bezug auf die Bewältigung der Apartheid wird recht unterschiedlich beurteilt. Einig ist man sich darüber, es sei gut gewesen, keine 'deutsche Lösung' wie mit den Nürnberger Prozessen zu suchen: Eine solche Strategie hätte das Land womöglich zerrissen (so der frühere Parlamentsabgeordnete und spätere Vizevorsitzende der Truth and Reconciliation Commission Alex Boraine; S. 147). Während Boraine die Arbeit der Kommission insgesamt positiv beurteilt, obgleich er manche Vorbehalte äußert, kritisiert der Historiker Neville Alexander, der in der Apartheidszeit selbst zehn Jahre im Gefängnis saß, noch nachhaltiger, dass nur vergleichsweise unwichtige Apartheidsverantwortliche vor der Kommission erschienen (S. 161). Recht weit auseinander gehen dann die Meinungen darüber, inwiefern das Narrative, das Erzählen oder letztlich auch die schriftliche Fixierung traumatischer Erlebnisse einen therapeutischen Effekt haben. Der Literaturwissenschaftler Tlhalo Raditlhalo betrachtet die Aussagen der Täter und Opfer vor der Kommission (wie die meisten Befragten zieht er jedoch den Begriff survivor dem Terminus victim vor; S. 214) als ein narratives, allerdings mündliches Ganzes, das deutlich von der je einzelnen Niederschrift traumatischer Erlebnisse zu unterscheiden sei (S. 213). Die Mehrzahl der Interviewten (z. B. Sindiwe Magona, S. 36; Maxine Case, S. 69; Pumla Gobodo-Madikizela, S. 176) glaubt an eine therapeutische Wirkung, die entstehe, wenn man traumatische Erlebnisse zu Papier bringe - etwa weil man dadurch eine Kontrolle über die Ereignisse gewinne (ebd.). Andere hingegen stellen einen solchen Effekt in Frage (Foster, S. 122f.; Kagee, S. 130, 135). Mehrfach wird überdies angesprochen, dass eine schriftliche Präsentation von Traumata zu einer Re- Traumatisierung bei den Schreibenden - und auch bei den Lesenden - führen könne (S. 99, 178). Darüber hinaus heben Foster (S. 116ff.) und Chris van der Merwe (S. 176ff.) hervor, dass sich im Zuge einer Traumatisierung eine eigene Körpersprache entwickle; daher der Titel des Foster-Interviews: "But Even Bodies Never Speak Pure Languages" (S. 103). Die Auswirkungen der unbewältigten Vergangenheit sowie eben des Bewältigungsversuches durch die Kommission auf die südafrikanische Gegenwartsliteratur werden gleichfalls recht unterschiedlich bewertet. Früher war südafrikanische Literatur bekanntlich dadurch gekennzeichnet, dass sie sich primär auf ein Monothema konzentrierte, nämlich auf die Darstellung der Lebensbedingungen, die die Apartheid geschaffen hatte; und bei dem Umbruch Anfang der neunziger Jahre glaubten dann viele Kritiker, die Autoren und Autorinnen müssten zunächst ratlos sein, worüber sie jetzt schreiben sollten. Entwickelt hat sich anschließend aber eine weitaus größere Vielfalt der Literatur, die vom magic realism über zahlreiche Werke, die sich im 'rea- listischen' Modus mit der traumatisierten Vergangenheit beschäftigen, bis zum postmodernen Roman reicht, wie z. B. David's Story (2001) der interviewten Zoë Wicomb (S. 19-29). Der einzige Autor, der bereits während der Apartheidszeit postmoderne Texte geschrieben hat, nämlich J.M. Coetzee, kommt mit seiner Form von Vergangenheitsbewältigung wie in Disgrace (1999) in den Interviews recht schlecht weg (S. 124, 191). Zudem fällt auf, dass sich gerade diejenigen, die fiktionale Literatur produzieren, in ihren Werken sowie in den Gesprächen oft mit dem Unaussprechlichen bzw. dem Schweigen befassen. Bezeichnend dafür sind bereits die Titel der Interviews: "Articulating the Inarticulate" (Brink, S. 3), "Speaking Through Silences" (Mann, S. 49) und "The Things We Still Don't Say" (Case, S. 61). Wenn es um die Aufarbeitung der Vergangenheit von Individuen geht, sind die wichtigsten literarischen Genres natürlich Memoiren und Autobiographien, und entsprechend oft werden diese Gattungen in den Gesprächen thematisiert (S. 31, 68, passim). Mehrfach wird hervorgehoben, dass sich viele neuere südafrikanische Romane eher wie Memoiren lesen (S. 61, 70, 217), und es wird versucht, die Arbeit der Kommission mit der Blüte der Gattung Autobiographie in der südafrikanischen Gegenwartsliteratur zu verbinden (S. 33f., 69, 213). In dem Interview mit Raditlhalo (S. 211-225) gibt es immerhin mehrfache Verweise auf die große Bedeutung, die die Autobiographie, Memoiren (und auch die Gefängnisliteratur) früher in der Apartheidszeit hatten. Bei dem Gespräch mit Magona (S. 31-48) hingegen gewinnt man den Eindruck, als sei weder der Autorin, die selbst zwei Autobiographien verfasst hat und die an einer Biographie über einen schwarzen Erzbischof arbeitet, noch der Interviewerin Orantes bewusst, welch einen großen Stellenwert die Gattung Autobiographie im Apartheid-Südafrika hatte. Vor allem in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren gab es eine Welle von Autobiographien schwarzer Autoren, die mit zu den ersten narrativen Langtexten jener Bevölkerungsgruppe in Südafrika gehörten, die aber zumeist im Exil geschrieben wurden. Sie alle folgten der Konzeption, dass es der Fiktion im Apartheid-Südafrika nicht bedürfe: Das Leben eines Schwarzen unter den Bedingungen jenes Regimes 'authentisch' darzustellen, sei wirkungsvoll genug, da die 'Realität' grausamer oder auch absurder sei, als es jede Fiktion sein könne. Dabei wurden jene Autobiographien in der Kritik durchweg als kollektive Autobiographien aufgefasst: Die Schilderung des eigenen Lebens galt als Repräsentation eines schwarzen Lebens in dem Unrechtsstaat schlechthin. Im Gegensatz zu solchen Vorstellungen meint Magona, Auto- und Biographien gäben der Geschichte ein individuelles, menschliches Gesicht jenseits von historischen Abstraktionen (S. 32). Probleme in dem Band bereitet gelegentlich die Terminologie. Gewiss ist es kaum möglich, im südafrikanischen Kontext den Begriff coloured zu vermeiden (S. 26, 118, passim; und in dem Beitrag von Boraine wird die Sonderstellung dieser Bevölkerungsgruppe in Südafrika explizit thematisiert; S. 146). Als irritierend allerdings erweist sich die Verwendung des Begriffs non-white (S. 95, 101). Schon vor Jahrzehnten haben sich Schwarze zu Recht dagegen gewehrt, durch ein Kriterium definiert zu werden, das sie eben nicht erfüllen. Und obgleich sich im Tourismusbereich der Terminus inzwischen teilweise etabliert hat, so zögert man doch, wenn Borzaga davon spricht, sie habe eine township tour unternommen (S. 80, 108): Hier klingt der Besuch südafrikanischer Armenviertel arg nach einem Zoobesuch. Wenig glücklich oder reflektiert ist die Terminologie auch in dem Interview mit Helen Moffett. Diese weiße Publizistin und Schreibtrainerin, der es vor allem um die Vergewaltigungen bzw. rape narratives in Südafrika geht, meint, die Gewalt von Weißen gegenüber Schwarzen sei nun ersetzt worden durch die Gewalt von Männern gegenüber Frauen. Dabei bezeichnet sie sich und andere als feminists (S. 235, 245) - obwohl sie wissen müsste, dass viele schwarze Frauen in Südafrika den Begriff feminism als westliche Konzeption ablehnen und ihn durch den Terminus womanism ersetzt haben. Die Anmerkungen und Literaturangaben, mit denen die Interviews versehen sind, erweisen sich als durchweg hilfreich; gelegentlich aber hätte man sich weitere Angaben gewünscht, etwa einen Kommentar zu Dori Laub (S. 191) oder eine Anmerkung sowie bibliographische Hinweise zu Malika Ndlovu (S. 194), da diese Lyrikerin trotz internationaler Auftritte nicht unbedingt allgemein bekannt ist. Spätestens bei der Erläuterung, dass Inkatha "Inkatha Freedom Party" bedeutet (S. 197), fragt man sich, für welchen Rezipientenkreis der Band eigentlich konzipiert ist. Diejenigen, die mit südafrikanischen Verhältnissen vertraut sind, wissen das; denjenigen, die sich in dem Bereich nicht auskennen, nutzt dieser knappe Hinweis wenig. Obgleich der Band aus Interviews besteht, so erzählen viele dieser Gespräche doch letztlich eine Geschichte, was sich insbesondere an der Unterhaltung mit Brink zeigt (S. 3-18). Folglich nimmt das Buch insgesamt selbst den Charakter eines narrativen Werkes an, das die jüngere Geschichte eines Landes entfaltet, die sich wiederum aus einzelnen Geschichten zusammensetzt. Dabei lassen sich die Darlegungen subsumieren unter dem Motto, das van der Merwe mit Bezug auf Charlie Brown formuliert: "What I'm hoping for is a better past" (S. 180). Trotz dieser Feststellungen kommt man letztlich nicht umhin zu fragen, warum ein solcher Band produziert wird. Er ist aufwendig gestaltet, kostet € 54 und präsentiert doch nur Interviews, deren Erkenntniswert für die Lesenden beschränkt bleibt. Denn geboten werden hier genau genommen bloße Meinungen, nicht hingegen fundierte wissenschaftliche Analysen. Zweifellos gibt es aufschlussreiche Einblicke in die gesellschaftlichen und literarischen Verhältnisse Südafrikas (allerdings nicht unbedingt in die 'südafrikanische Seele', wie es im Vorwort postuliert wird; S. vii), aber es ist wohl kaum ein Buch, das man sich ins Bücherregal stellt. Es muss offenbleiben, ob die Herausgebenden eine Bemerkung von Magona auch auf sich bezogen haben oder hätten beziehen sollen: "I can't do non-fiction books: the endless interviewing of people, and then what is it? " (S. 45). I E $ / " *% =% " 7 ' 8 +$ *%
