Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
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0171-5410
2941-0762
Narr Verlag Tübingen
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2011
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KettemannUlfried Reichardt, Globalisierung. Literaturen und Kulturen des Globalen.
121
2011
Jörg Dünne
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((( 7 *% 0 = ( & % 9 & & C& & = ( % ( 5 1 $*% 9 2 *% - . ( 5 ! 6 "0 - KJ " $ Die Globalisierung als fortschreitender historischer Prozess ist eine Tatsache, die einem an jeder Straßenecke begegnet. Globalisierung als Perspektive zu denken, ist aber weit weniger einfach und auch weit weniger selbstverständlich. Mit dieser Frage beschäftigt sich die von Ulfried Reichardt verfasste, als „Studienbuch Kulturwissenschaften“ beim Akademie Verlag erschienene Studie (zur Frage der Perspektive vgl., im Anschluss an Sebastian Conrad und Andreas Eckert, v.a. 26). Dass es nicht einfach ist, so eine Perspektive einzunehmen, ist schon an den vielen Imperativen und Verpflichtungserklärungen ersichtlich, mit denen die Einführung daherkommt: Dass in den 14 Kapiteln des Buchs (an die sich ein „Serviceteil“ mit kommentierten bibliographischen Angaben und Internetlinks 1 sowie ein Anhang mit Gesamtbibliographie, Personenregister und Glossar anschließen) sehr viel ‚gemusst‘ wird, lässt zwar sicher auf ein nachhaltiges Interesse des Autors für seinen Gegenstand und einen didaktischen Impetus schließen, dieser kippt aber manchmal etwas ins Pathetische, wenn es z.B. heißt: „Wir brauchen nun eine Weltgeschichte der Welt“ (29). Reichardt entfaltet ein Panorama von wissenschaftlichen Ansätzen, die es möglich machen, Globalisierung zu denken. Dieses Panorama ist extrem umfassend und, soweit dies dem Rezensenten nachvollziehbar ist, auch bestens informiert, aber es treibt ein prinzipielles Problem von Einführungsliteratur (und noch dazu, wenn sie von den Verlagsvorgaben her so penetrant ‚durchdidaktisiert‘ sind wie die Studienbücher des Akademie-Verlags 2 ) auf die Spitze: Hier taucht ein Gespenst der Globalisierungstheorie als fortgesetzte Entgrenzung nationaler, disziplinärer und sprachlicher Zuständigkeiten auf, das nirgendwo greifbar wird, aber gleichzeitig eine Metaperspektive auf das gesamte Feld der Kulturwissenschaften einzufordern scheint. In diesem schlimmsten Fall wäre Globalisierung, wissenschaftlich gesehen, schlicht und ergreifend ‚Allzuständigkeit‘ für jede Form von Kultur auf der ganzen Welt und zu jeder nur denkbaren Zeit. 1 Ob es beispielsweise sinnvoll ist, in diesem Zusammenhang auch laufende Graduiertenprogramme anzugeben, kann aufgrund der Aktualisierungsbedürftigkeit solcher Informationen bezweifelt werden. Andererseits zeigt die Aufnahme solcher Informationen auch, wie kurzfristig die Absatzchancen eines solchen Buchs (bzw. einer Auflage davon) auf dem Buchmarkt offensichtlich eingeschätzt werden. 2 Sind die synoptischen Randglossen wie auch die kommentierten bibliographischen Angaben am Ende jedes Kapitels durchaus sinnvoll, dürfte sich das angesprochene Lesepublikum durch die „Fragen und Anregungen“, mit denen die Kapitel abgeschlossen werden, wohl eher in die gezwungene Atmosphäre der Abschlussklausur einer Einführungsvorlesung versetzt als wirklich zum Nachdenken angeregt fühlen. Zwar hat Reichardt eigentlich eine sehr sinnvolle Vorstellung dessen, was eine globalisierungstheoretische kulturwissenschaftliche Perspektive sein kann, indem er in Anschluss an William James’ Konzept des Pluriversums (vgl. 18) davon ausgeht, dass eine globale Perspektive keine umfassende und entgrenzte Metaperspektive auf die Welt bieten kann, in der ‚partikulare‘ Perspektiven wie diejenige, die sich auf Nationales konzentriert, aufgehen. Vielmehr geht es ihm um die aktive Konfrontation verschiedener Perspektiven auf ein Ganzes, das nie von außen beobachtet werden kann. Insofern beteuert Reichardt durchaus zu Recht: „Globales Denken bedeutet keineswegs, dass immer die ganze Welt erforscht werden muss.“ (63) 3 Die ersten Kapitel bieten in der Tat verschiedene Perspektiven auf das Phänomen der Globalisierung aus sozialtheoretischer bzw. geschichtswissenschaftlicher Sicht an und führen über eine Menge von divergenten, aber durchaus kenntnisreich dargestellten Begriffen zum zentralen, „Theorien des Globalen“ gewidmeten Kapitel 4, in dem die bislang entwickelte Argumentation zur These des aktiven Perspektivismus zusammengefasst wird. Dies erläutert Reichardt u.a. in Anlehnung an den Philosophen François Jullien, wenn er mit Letzterem darstellt, dass aus einer sinologischen Sichtweise das westliche Konzept der Rationalität durchaus nicht universalisierbar, sondern weltregional gebunden sei. Daraus zieht Reichardt folgende wichtige Konsequenz: „Auch globales Denken muss sich seiner Positionalität bewusst sein, diese mit anderen Standpunkten in Beziehung setzen und dann in einen Dialog eintreten.“ (67) Doch leider hält sich Reichardt selbst nicht durchgehend an diese Prämisse. Was nämlich folgt, sind zwei Kapitel, die genau diese Positionalität implizit dementieren und symptomatisch für den gänzlich unperspektivischen ‚Allzuständigkeitsanspruch‘ von Teilen von Reichardts Einführung stehen. So versuchen diese Kapitel allen Ernstes, in Häppchen von 10-15 Seiten allgemeine Grundlagen der Kultur- (Kapitel 5) und der Medientheorie (Kapitel 6) zusammenzufassen, anstatt solche Ansätze problemorientiert in andere Kapitel zu integrieren - damit wird eine perspektivische Beschreibung von Theorien der Globalisierung aufgegeben zugunsten der Illusion, dass die Theorie der Globalisierung nichts weniger als eine Metatheorie der Kultur- und Medienwissenschaften sei. An dieser Stelle muss man fast befürchten, dass der in Kapitel 5 von Reichardt mit für eine Einführung recht dezisionistischer Rhetorik in Aussicht gestellte global turn (vgl. 81) derjenige wäre, der alle weiteren turns, an denen es der Kulturwissenschaft in den letzten Jahren nun wahrlich nicht gemangelt hat, überflüssig machen könnte, weil er sich all diese turns irgendwie einverleibt. Hat man jedoch diese beiden in dieser Form nicht nur überflüssigen, sondern sogar der Gesamtargumentation zuwider laufenden Teil der Einführung hinter sich gebracht, wird man mit einer positiven Überraschung entschädigt: 3 Ein Beispiel für die didaktische Aufbereitung des Bandes durch die bereits erwähnten Fragen am Kapitelschluss: Am Ende des Kapitels 4, aus dem das Zitat stammt, heißt es unter „Fragen und Anregungen“ zu diesem Thema: „Bedeutet global zu denken, dass man immer die ganze Welt im Blick haben sollte? “ Ab Kapitel 7 wird Reichardts Einführung (endlich) sehr viel konkreter, weil sie beginnt, spezifische Felder zu untersuchen, auf denen ‚Kulturen des Globalen‘ fassbar werden. Zwar gibt es auch hier noch einmal ein eher allgemeines und teilweise redundantes Theoriekapitel zu „Interpretationen des Globalen“ (Kapitel 9, das in etwas unglücklicher Weise den „Repräsentationen des Globalen“ in Kapitel 8 gegenüber steht und damit eine scharfe Grenze zwischen ästhetischer Praxis und theoretischer Reflexion suggeriert), das aber zum Glück nicht versucht, Globalisierungstheorie als Meta-Standpunkt zu profilieren, sondern erneut das Prinzip der perspektivischen (Wolfgang Iser) bzw. kontrapunktischen Lektüre (Edward Said) für geeignet erklärt, globale Lektüren zu profilieren. Sinnvollerweise enthält dieser zweite Teil der Einführung aber vor allem Kapitel, in denen die Entwicklung eines ‚globalen‘ Blicks an bestimmten Arbeitsfeldern historisch nachvollziehbar wird, ohne dass damit eine vollständige kulturelle ‚Entortung‘ einhergeht: Exemplarisch zeigt Reichardt dies insbesondere an der Untersuchung der Populärkultur amerikanischer Prägung, die zum umstrittenen Agenten einer weltweiten Dynamik wird (Kapitel 7); in ähnlicher Weise bietet auch Kapitel 13 zur ‚globalen Stadt‘ eine problemorientierte und somit auch historisch nachvollziehbare Einführung in Bereiche, in denen Theorien des Globalen alternative Perspektiven sichtbar machen können. Ohne Abstriche gut gelungen und informativ ist auch das im engeren Sinn literaturwissenschaftliche Kapitel 10 zu „Nationalphilologien und Globalisierung“, weil es erkennbar macht, mit welchen konkreten Positionen neuerer literatur- und kulturwissenschaftlicher Debatten globalisierungstheoretische Ansätze in Verbindung zu bringen sind und von welchen anderen Positionen sie sich abgrenzen. Hier wird die Einführung zu einem wirklich hilfreichen Instrument, das dem Leser Argumente an die Hand gibt, wie sich eine ‚Literatur des Globalen‘ anders als bestehende Hinsichten auf Literatur positionieren kann. Verwunderlich ist allein, dass einem anderen historischen Kristallisationspunkt von Globalisierung, nämlich der Geopolitik, so gut wie keine Aufmerksamkeit geschenkt wird 4 - ein Kapitel hierzu hätte noch dazu den Vorteil gehabt, dass es Teile der vorgestellten medien- und kulturwissenschaftlichen Positionen aus Kapitel 5 und 6 problemorientiert hätte integrieren können. Das ebenfalls interessante Kapitel 11 zu „Versionen der Literatur des Globalen“ macht schließlich einen eigenständigen Vorschlag zur Unterscheidung verschiedener Analyseebenen, auf denen in literarischen Texten das ‚Globale‘ in den Blick kommen kann. 5 Dieser avancierten literaturwissenschaftlichen Reflexion gegenüber muss das darauf folgende Kapitel 12, das Musik, Kunst 4 Bspw. wird die einschlägige Studie von Niels Werber (2001): Die Geopolitik der Literatur. Eine Vermessung der medialen Weltraumordnung. München: Hanser, nur in Zusammenhang mit dem Schlagwort ‚Geopoetik‘ angeführt und nicht als eigenes, wichtiges Paradigma des Globalisierungsdenkens gewürdigt. 5 Reichardt unterscheidet: (1.) Texte, die Globalisierung in ihren Formen und Verfahren zeigen, z.B. durch den Gebrauch von Vielsprachigkeit; (2.) Texte, die Globalisierung als Prozess thematisieren, und schließlich (3.) Texte, die für sich selbst ‚Welten entwerfen‘, ohne dabei notwendigerweise auf die Globalisierung der ‚einen‘ Welt zu referieren. und Film gemeinsam abzuhandeln versucht, notwendigerweise abfallen. So sinnvoll es sein mag, angedeutet zu bekommen, auf welche ästhetischen Felder die Kulturen des Globalen auszudehnen sind, scheint hier doch wieder der bereits kritisierte Anspruch durch, eine globale Perspektive als ein Instrument misszuverstehen, das alle Felder kultureller Praxis ‚abdecken‘ will. Die Einführung mit dem Konzept des ‚Kosmopolitismus‘ (Kapitel 14) zu beenden, ist dagegen in einer Gliederung, die leider nicht durchgängig klar und stringent ist, ein starker Schluss, der die möglichen, jedoch durchaus umstrittenen politischen Ansprüche einer Theorie des Globalen aufs Beste dokumentiert. Zusammenfassend könnte man also gut und gerne auf diejenigen Kapitel der Einführung von Ulfried Reichardt verzichten, die die ‚Literaturen und Kulturen des Globalen‘ als häppchenweise portionierten Umarmungsversuch der gesamten Kultur- und Medientheorie darstellen. Interessant und sowohl zur Einführung als auch für versierte Literatur- und Kulturwissenschaftler hilfreich ist Reichardts Einführung hingegen immer da, wo sie problemorientiert zeigen kann, dass eine ‚globale‘ Perspektive nicht einfach ein entdifferenzierender ‚Sammelbehälter‘ aller denkbaren kulturellen Praktiken der Welt ist, sondern im durchaus interessierten und positionsgebundenen Dialog mit anderen Ansätzen steht. Davon würde man gerne mehr lesen. KJ " $ = $ 5 7 ' 8 /
