Colloquia Germanica
0010-1338
Francke Verlag Tübingen
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2010
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Vorwort Am 13. März 1967 schreibt Theodor W. Adorno an Alexander Kluge, der zu dieser Zeit einen Film über die Kälte plant: Lieber Axel, [. . .] Du kannst nicht wissen, daß diese Frage mich seit geraumer Zeit beschäftigt, und zwar im allerernstesten Zusammenhang, nämlich dem, daß [. . .] die Barbarei sich unablässig reproduziert. Schon im Kommunistischen Manifest findet sich die Ahnung davon. [. . .] Ich würde nun sehr gern mit Dir einmal darüber geredet haben, wie und ob man in Deinem Plan diese Intention einsenken kann - es sei denn, daß eben dies, wie ich fast vermute, bereits Deine Absicht ist. Ein solcher Film käme einer Sache sehr nahe, die mich immer mehr beschäftigt: der Frage nach der Kälte. In dem Vortrag über Auschwitz habe ich darüber gesprochen, plane aber doch, wenn meine großen Pläne etwas weiter sind, einmal einen Essay über die Kälte zu schreiben. Mir ist gegenwärtig die wirklich unvergleichliche Stelle aus «Abschied von gestern», wo Lexi auf die Vorhaltungen der Untersuchungsrichterin sagt: Ich friere auch im Sommer. Darum geht es wirklich im allertödlichsten Ernst. [. . .] (Kluge, Stroh im Eis 4) Diesen Essay hat Adorno vor seinem Tod nicht mehr fertigstellen können, den Film hat Kluge erst über 40 Jahre nach dem Briefwechsel mit Adorno im Jahre 2010 realisiert. Er trägt den Titel Wer sich traut, reißt die Kälte vom Pferd - Landschaften mit Eis und Schnee und besteht aus 31 unterschiedlich kurzen oder langen Sequenzen. Diese beschäftigen sich mit gescheiterten persönlichen und politischen Hoffnungen, mit der Ausbeutung der Natur durch den Menschen, mit dem Kältetod im Schneesturm in Galizien oder in Stalingrad, den Merkwürdigkeiten der Polarforschung, dem Verhältnis von Kunst und Kälte, der Ästhetik von vereisten Landschaften, der Schönheit eines schmelzenden Eiszapfens, dem Durcheinander der Flocken im Schneetreiben vor dem eigenen Fenster sowie mit einer Vielzahl von weiteren Winter-Szenen und Kälte-Erfahrungen. Begleitet wird der Film von einer Sammlung von Geschichten, die sich zum Teil auf Kapitel der DVD beziehen, zum Teil unabhängig davon gelesen werden können. Die Eingangserzählung «Stroh im Eis», die der Sammlung den Titel gegeben hat, enthält eine Kindheitserinnerung des Filmemachers: Jedes Mal im Winter, wenn das Thermometer unter Null fällt, eilt der Vater pünktlich um 11.30 Uhr, nur mit einem leichten Arztkittel bekleidet, aus dem Haus, schlägt mit der Spitzhacke Löcher in die Eisdecke des Gartenteiches und steckt ein Bündel Stroh ins Eis, um die Fische mit Sauerstoff zu versorgen: Mein Vater nannte das «den Fischen Freiheit geben». Er meinte damit, daß die kristalline Absperrung durch das Eis nie vollständig sein sollte. Es schwammen unter der Eisdecke dicke Karpfen und fettleibige Goldfische. Ihnen galt die Einfühlung meines Vaters. (7) Der Sohn hat diese Gewohnheit des Vaters als eine warmherzige Geste in Erinnerung behalten. Merkwürdigerweise hat sich der Vater bei dieser Aktion nie erkältet, er ist auch nie von der Uferböschung abgerutscht oder im Eis eingebrochen. Kluges mitempfindender Vater ist ein Gegenbild zu jenen «eisigen Helden», deren Männlichkeit sich durch Gefühlskälte herstellt - ein Typus, den Helmuth Lethen in seiner bahnbrechenden Studie Verhaltenslehren der Kälte (1995) analysiert hat und den Christoph Ransmayr in seinem Roman Die Schrecken des Eises und der Finsternis (1984) wiederaufleben lässt. Das Filmprojekt, das Werner Herzog auf der Basis dieses Romans Anfang der 90er Jahre realisieren wollte, hat sich schließlich zu dem Dokumentarfilm Encounters at the End of the World (2007) entwickelt. 1 Mit seinen Geschichten schreibt Kluge sowohl gegen die heroischen polaren Diskurse als auch gegen die emotionale und soziale Kälte an, die auf dem Theater der Gegenwart zunehmend zum Thema wird, wie z. B. die vielbeachteten Aufführungen von Falk Richters Unter Eis (2004) oder Elfriede Jelineks Winterreise (2010) zeigen. Durs Grünbein lässt in seinem Poem Vom Schnee (2003) die Kälte des Denkens mit Descartes beginnen. In einem Gespräch mit Kluge stellt der Autor eine Verbindung zwischen den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges und der Geburt des Rationalismus aus dem Geist des Schnees her. 2 Auch Kluge ist - im Anschluss an Adorno - der Meinung, dass die «Frage nach der Kälte» über die Zukunft des Menschen entscheiden wird: Wesentliche Eigenschaften, ohne welche die Menschheit nicht überlebt hätte, stammen aus der Eiszeit. So z. B. die für Warmblüter wichtige Unterscheidung zwischen heiß und kalt: Grundlage aller GEFÜHLE. Insofern kann man sagen, daß wir Menschen aus der Kälte stammen. Zugleich wird man aber beobachten können, daß Herzenskälte dauerhaft nicht zu ertragen ist. (Stroh im Eis 5) Der Film von Kluge fällt in eine Zeit, in der das Kältethema eine neue Aktualität gewinnt. Das Schmelzen der Gletscher und der Polkappen, das 100-jährige Jubiläum des legendären «Wettlaufs» von Amundsen und Scott zum Südpol, die zunehmende soziale Kälte in einer durch Wirtschaftskrisen und Bankenzusammenbrüche geschüttelten Welt lenken die öffentliche Aufmerksamkeit auf die «kalten Fronten», welche uns allen bedrohlich näher rücken. Zeitgleich mit dem Film Landschaften mit Eis und Schnee (2010) veröffentlicht Alexander Kluge zusammen mit Gerhard Richter das Buch Dezember (2010), das 39 Geschichten von Kluge und 39 Bilder von 2 Vorwort Richter enthält. Im Jahre 2011 publiziert Richter, der sich seit Jahren für polare Landschaften interessiert, das Buch Eis, in dem ein historischer Text über Grönland aus der Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste (1871) mit Bildern aus seinem Atlas (2006) so kombiniert ist, dass der Text von hinten wie von vorne gelesen werden kann. Auch bei den Bildern sind oben und unten auswechselbar. Eine solche Anordnung irritiert gezielt die Lesegewohnheiten und die Wahrnehmungsweisen. Um Irritationen der Wahrnehmungsweisen im Zusammenhang mit Kälteerfahrungen in Schnee und Eis geht es auch in dem vorliegenden Band. Er basiert auf Vorträgen, die auf der Tagung der German Studies Association (GSA) im September 2011 in Louisville gehalten wurden. Dort beschäftigten sich wohl nicht zufällig drei Sektionen unabhängig voneinander mit dem Kältethema. Im Mittelpunkt der ersten Sektion stand das Schnee- und Eis- Projekt von Kluge und Richter, in den beiden anderen Sektionen dominierten historische Zugänge zum Thema in der Literatur. Der vorliegende Band versammelt ausgewählte Beiträge aus der zweiten und dritten Sektion und wird ergänzt durch einige zusätzlich eingeworbene Texte. Wir danken Harald Höbusch für sein großzügiges Angebot, den Sonderband Cold Fronts. Kältewahrnehmungen in Literatur und Kultur vom 18. bis 20. Jahrhundert im Rahmen von Colloquia Germanica als polnisch-deutsches Herausgeberinnen-Team so betreuen zu dürfen, dass die unterschiedlichen Sprach- und Wissenschaftstraditionen respektiert werden und produktiv miteinander ins Gespräch kommen können. Inge Stephan, Berlin Monika Szczepaniak, Bydgoszcz Anmerkungen 1 Zu seinem damaligen Filmprojekt hat Kluge den Filmemacher befragt. Das Gespräch findet sich als Sequenz 21 («Schrecken des Eises und der Finsternis») auf der DVD Wer sich traut, reißt die Kälte vom Pferd - Landschaften mit Eis und Schnee. 2 Das Gespräch findet sich als Sequenz 19 («Die Welt war kalt und jung! Durs Grünbein über die Entstehung des rationalen Denkens in Eis und Schnee bei Ulm») auf der DVD Wer sich traut, reißt die Kälte vom Pferd - Landschaften mit Eis und Schnee. 3 Vorwort Bibliographie Wer sich traut, reißt die Kälte vom Pferd - Landschaften mit Eis und Schnee. Filme. Dir. Alexander Kluge. Berlin: Suhrkamp, 2010. Kluge, Alexander. Stroh im Eis. Geschichten. Begleitheft zur DVD Wer sich traut, reißt die Kälte vom Pferd - Landschaften mit Eis und Schnee. Filme. Dir. Alexander Kluge. Berlin: Suhrkamp, 2010. — , und Gerhard Richter. Dezember. Berlin: Suhrkamp, 2010. Richter, Gerhard. Eis. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König, 2011. — . Atlas. Hg. Helmut Friedrich. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König, 2006. 4 Vorwort «Die Fahrt gegen Süden war ein ewiges und im höchsten Grade langweiliges Einerley.» Georg Forsters Reise zur Antarktis ANNE D. PEITER U NIVERSITÉ DE LA RÉUNION FÜR IRENE Es schien, als ob wir die Trümmer einer zerstörten Welt, oder, nach der Beschreibung der Dichter gewisse Gegenden der Hölle vor uns sähen. (Forster 464) 1. Die Leere ist die Leere Ist Land Land? Als Teilnehmer der zweiten Weltumsegelung Captain Cooks gehört Georg Forster zu den Reisenden, die nach ihrer Rückkehr Auskunft gegeben haben über den ebenso mühsamen wie vergeblichen Versuch, in der südlichen Hemisphäre einen neuen Kontinent ausfindig zu machen. Von diesem Kontinent war bis dahin angenommen worden, er werde so beschaffen sein, dass neue koloniale Projekte möglich würden. Letzte weiße Flecken auf der Landkarte sollten beseitigt und das Wissen um die Beschaffenheit der Erde seiner Vollendung zugeführt werden. 1 Doch die Erwartung, im Auftrag der britischen Admiralität neues Land in Besitz nehmen zu können, war gebunden an etwas, was nur scheinbar selbstverständlich war: Die Entdeckung neuen Landes setzt Land voraus. Doch was das eigentlich sei - Land - , das wurde während der Reise Richtung Süden zunehmend zum Problem. 2 Vor die Erwartung, das Unbekannte ins Bekannte hinein zu holen, schoben sich nämlich eins ums andere Mal Eis und Schnee. Und diese verstellten die Sicht auf eine fundamentale Definitionsfrage: Ist allein Land Land? See-Gras ist kein Land Die Fahrt der beiden Schiffe mit den sprechenden Namen Adventure und Resolution war eine, die sich nur auf wenige, unzureichende Informationen stützen konnte. Man war sich bewusst, dass neue Erfahrungen auf dem Programm stehen würden, auf die man sich folglich mit größter Sorgfalt vorzubereiten hatte. Wasser und Nahrungsmittel waren eingekauft und verstaut, warme Kleidung schon in Großbritannien angefertigt und die Beschreibungen anderer Reisenden, die sich Richtung Süden vorgewagt hatten, studiert worden. Da man jedoch nicht wusste, wo der erwartete Kontinent beginnen und wo er enden würde, war man stärker auf Zeichen aus der Wirklichkeit denn auf dieses Buchwissen angewiesen. Die Geschichte der Entdeckungsfahrten lehrte, dass Land, bevor es am Horizont auftaucht, von anderen Phänomenen angekündigt wird. Nicht das Land selbst war das Erste, was Entdeckungsreisende gemeinhin zuerst zu sehen bekamen, sondern Dinge, die als eine Art «Vorboten» auftraten. Das Land pflegte die Prämie für Beobachtungen zu sein, die zunächst nicht ihm selbst, sondern ganz anderen Dingen gegolten hatten. Land zeigte sich dem, der von ihm ab- und auf Anderes hinzusehen vermochte. Und zu diesem Anderen, dem Nicht-Land, gehörten Tiere und Pflanzen, die Vorboten schlechthin: Am 8ten, da die See noch immer sehr unruhig und der Wind sehr heftig war, hatten wir auf allen Seiten um uns her eine Menge Vögel von den vorgedachten Arten, auch ließen sich heute zum erstenmal Pinguins und Hauffen von See-Gras welches See- Bambu genannt wird (fucus buccinalis Linn.) ohnweit dem Schiffe sehen. Diese Umstände begünstigten unsre Hofnung Land zu finden, denn bishero wards für ausgemacht gehalten, dass See-Gras, besonders solch Felsenkraut als dieses, und Pinguins, niemals fern von der Küste angetroffen würden. (Forster 110 - 11) Die Präzision bezüglich der Namen von Tieren und Pflanzen, die die Hoffnung auf Land auslösen, steht im umgekehrten Verhältnis zu der Ungewissheit, die sich mit dem Land selbst verbindet. Pinguin und See- Gras lassen sich benennen, das Land hingegen ist nur in der Hinsicht anwesend, dass Pinguin und See-Gras in Abhängigkeit von ihm gedacht werden. Mit der genauen Datierung der ersten Hoffnung auf Land behält Forster zwar anfänglich den tagebuchartigen Stil der Aufzeichnungen bei, auf die er sich bei der Abfassung seiner «Reise um die Welt» stützte, doch der rückwärtsgewandte Blick eines Mannes, der es jetzt besser weiß als damals, durchbricht sogleich die Erzählung: «Die Erfahrung aber hat gelehrt, daß man sich auf diese Zeichen nicht verlassen kann, sondern daß sie ihren Credit nur einzelnen, zufälligerweise günstig gewesenen Proben und dem Zeugniß eines oder des andern berühmten Seefahrers zu danken haben» (111). Die eigene Erfahrung und das Zeugnis Anderer werden gegeneinander gehalten. Zwar wird den anderen Seefahrern ihre Berühmtheit zugestanden, doch das ist alles. Pinguine und See-Gras erscheinen Forster folglich nicht als Dinge, die den Blick auf das gesuchte Land erleichtern, sondern im Gegenteil als etwas, was den Blick auf es zu verstellen droht. Die Hoffnung nämlich, Land sehen zu können, noch ehe es zu sehen ist, bewirkt eine unzulässige 6 Anne D. Peiter Konzentration auf das, was zu sehen ist - Pinguine und See-Gras. In Wirklichkeit aber ist nicht wichtig, dass es Pinguine und See-Gras zu sehen gibt, sondern wichtig ist, dass es nichts zu sehen gibt. Die Leere als totale zu erkennen, darin liegt die Schwierigkeit. Und so nimmt sich denn Forsters Bericht über die erste Fahrt Richtung Antarktis auch wie eine nachträgliche Beschäftigung mit der Frage aus, warum die herrschende Leere verleugnet wurde: Ein Nordcaper und verschiedne Walfische, welche sich zwischen dem Eise zeigten und die traurigen Seegegenden in diesem eiskalten Clima einigermaßen belebten, brachten uns auf den Gedanken, daß wir, wo nicht etwas besseres, doch vielleicht noch ein südliches Grönland zu gewarten hätten. (114) Weil See-Gras und Pinguine nicht gehalten hatten, was sie zu versprechen schienen, werden nun Wale zu Hoffnungsträgern erklärt. Der Vergleich zu Grönland zeigt, dass man der unbekannten Leere entkommen und etwas von dem Gleichgewicht herstellen zu können hofft, auf dem ohnehin das Projekt der Suche nach der Terra Australis Incognita beruht: Forster und seine Zeitgenossen sind, wie die Jahrhunderte vor ihnen, davon überzeugt, dass bei der Verteilung von Land- und Wassermassen zwischen Nord und Süd eine gewisse Balance herrschen müsse. Der Vergleich zu Grönland trägt also nicht allein der Kälte Rechnung, mit der man beim Kreuzen im südlichsten Teil des «Stillen Ozeans» konfrontiert ist, sondern auch der Erwartung, im tiefen Süden müsse eine ähnlich große Landfläche wie im hohen Norden zu finden sein. Doch auch die Bescheidung - wenn schon kein paradiesisches Land, dann zumindest ein zweites Grönland - trägt ebenso wie die Präsenz von Nordcapern und Walfischen zum Trug bei. Man wünscht weiterhin, es möge bald Land kommen, doch dieses bleibt unauffindbar. Schwarze Flecken sind kein Land Konsequent wird die Rolle des Vorboten nun weiteren Tieren zugewiesen: Eine [der Eis-Massen; A. P.] war voller schwarzen Flecke, welche von einigen für Seehunde von andern für Wasser-Vögel angesehen wurden, ob sie gleich unbeweglich auf einer Stelle blieben. Da nun Seehunde bis jetzo noch für untrügliche Zeichen nahen Landes galten, so sondirten wir Abends mit einer Leine von hundert und funzig Faden, fanden aber keinen Grund. (114) Unsicherheit und erste Zweifel bezüglich des unbekannten Kontinents scheinen hier kontaminierend auf die Zeichen selbst, die notwendig sein Vorbote seien, überzugreifen. Zu erkennen sind schwarze Flecken auf Eis. Klar ist, dass schwarze Flecken kein Land sind, doch was sie seien, das ist plötzlich ebenso zweifelhaft wie das, auf das sie verweisen. Land definiert sich durch Festigkeit. Festland ist fest, weil es sich nicht bewegt. Umgekehrt sind 7 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» Tiere kein Festland, weil sie nicht fest, sondern beweglich sind. Hier aber steht die Schiffsbesatzung vor dem merkwürdigen Umstand, dass das, was «unbeweglich auf einer Stelle» bleibt - die Flecken - , dem Bereich der Tierwelt zugewiesen wird, während gleichzeitig das Konzept, was im Polarkreis eigentlich unter Festland zu verstehen sei, in Bewegung gerät. Das Festland ist also kein Festland mehr. Dafür aber verfestigt sich die übrige, bis dahin bewegliche Welt der Tiere als das Einzige, worauf man in all der Leere noch fest vertrauen könne. Eine Leine wird ausgeworfen, es wird sondiert, aber die Hoffnungen erweisen sich im Wortsinn als grundlos. Wolken sind kein Land In dem Maße, in dem die Wirklichkeit der Leere nicht nur eine der Horizontalen, sondern auch eine der Vertikalen ist, gerät der Blick auf den Himmel ebenso in Bewegung wie der Blick nach unten, in die Tiefe. Die vor uns liegenden Wolken wurden alle Augenblick sorgfältig betrachtet, ob nicht irgendwo eine Bergspitze zum Vorschein käme, denn jedweder wollten gern der erste seyn Land! ausrufen. Die trügliche Gestalt der Nebelbänke oder der in Schnee-Gestöber gehüllten Eis-Inseln hatte schon manchen falschen Lärm veranlasst, und die Adventure, unser Reise-Gefährte, ward durch solche Täuschungen oft verleitet uns Signale zu geben, daß sie Land sähe. (115) Während die Suche nach Zeichen sich in einem ersten Schritt auf Dinge bezog, die offen zutage traten und so die Hoffnung auslösten, man werde auch das Land entbergen können, deutet das Interesse für Wolken, Nebelbänke und Schneegestöber auf eine Veränderung der Verweisstruktur des Zeichens hin: Von den Dingen wird nicht länger angenommen, dass sie Land offenlegen, sondern das Misstrauen kommt auf, sie arbeiteten in Wirklichkeit seiner Verbergung zu. Zeichen erfüllen also nicht mehr die Aufgabe, etwas Anderes - nämlich den neuen Kontinent - direkt zu vertreten. Vielmehr führt ihre Stellvertreterschaft zu einer grundlegenden Verunsicherung des Interpretanten, der in der triadischen Relation von Zeichen und Objekt des Zeichens notwendig in Aktion treten muss. Zeichen sind Zeichen jetzt nur noch insofern, als sie die die Verborgenheit des Kontinents erklären. Dass die Zeichen verbergen, ist jedoch letztlich positiv. Die Leere eines Raumes, in dem Tiere und Pflanzen ihren Zeichenstatus einzubüßen drohen, kann nur ausgehalten werden, weil Wolken, Nebelbänke und Schnee-Gestöber als verantwortlich für eine Aufsplitterung der Zeichen betrachtet werden. Die triadische Beziehung erweitert sich. Tiere und See-Gras müssen nicht gänzlich zu den Akten gelegt werden, denn möglich erscheint plötzlich die Interpretation, sie seien durch äußeren Einfluss in ihrer Funktion als Stellvertreter des Kontinents eingeschränkt worden: Wolken, Nebelbänke 8 Anne D. Peiter und Schnee-Gestöber schieben sich nicht nur vor den Kontinent, sondern in gewisser Weise auch vor die Tiere und das See-Gras selbst. Zu entschlüsseln ist demnach nicht so sehr das Verhältnis von Tieren und See-Gras als Zeichen des Kontinents zu diesem Kontinent, sondern wichtiger ist es, das Verhältnis zu bestimmen, das zwischen Tieren und See-Gras auf der einen Seite und Wolken, Nebelbänken und Schnee-Gestöber auf der anderen Seite besteht. Tieren und See-Gras kann erneut Vertrauen entgegengebracht werden, weil die Schuld des Verbergens nicht von ihnen ausgeht, sondern von Wolken, Nebelbänken und Schnee-Gestöber. Letztere versuchen gleichsam, Tiere und See-Gras an der Ausübung ihrer Funktion als Zeichen des Kontinents zu hindern. Doch sobald das erkannt ist, können sie wieder voll in ihre Rechte als Zeichen eingesetzt werden. Tiere und See-Gras kommen einer Aufforderung gleich, hinter den Nebel zu sehen. Damit tragen sie dann aber umgekehrt dazu bei, auch Wolken, Nebelbänke und Schnee-Gestöber als Zeichen wieder stark zu machen. Wenn davon ausgegangen wird, dass ihre Funktion im Verbergen besteht, dann ist sicher, dass es etwas gibt, was entborgen werden kann, mitten in der «weiße[n] Wüste einer leblosen Urwelt» (Zweig 223). Berge sind kein Land Und so erklärt sich, warum dann Wolken, Nebel und Schnee-Gestöber selbst zum Kontinent werden. Ihre Form ist durch Wandelbarkeit gekennzeichnet. Weil sie aber ohne Festigkeit sind, fühlt sich der Blick auf sie veranlasst, die Beweglichkeit des Zeichens endlich zum Stillstand zu bringen und ihm die Festigkeit der Bergspitze des unbekannten Festlandes zu verleihen. Die Überzeugung, den Gefahren des Meeres endlich das Feste des Landes abgewonnen zu haben, bringt die gesamte Besatzung an Deck: Unter andern hatte die Idee von Bouvets Entdeckung die Einbildungskraft eines unsrer Lieutnants, dergestalt erhitzt, dass er einmahl über das andre auf den Mastkorb kletterte und endlich am 14ten des Morgens um 6 Uhr, dem Capitain sehr ernsthaft entdeckte: Er sehe ganz deutlich Land. Diese Neuigkeit brachte uns alle aufs Verdeck. Wir sahen aber nichts weiter als ein ungeheures flaches Eisfeld vor uns, das am Rande in viele kleinere Stücke gebrochen war; und eine große Menge von Eis-Inseln aller Gestalt und Größe stiegen, so weit das Auge nur reichen konnte, hinter demselben empor. Einige der entferntern schienen, vermittelst der Strahlenbrechung in den Dünsten des Horizonts, weit höher als sie in der That waren, und sahen würklichen Bergen ähnlich. Dieser Anblick war so täuschend, dass viele unsrer Officiers dabey blieben, sie hatten hier Land gesehen [. . .]. (Forster 115) Ein regelrechter Kampf der Interpretationen entbrennt, in dem es um die Frage geht, ob die Wirklichkeit flach oder im Gegenteil erhoben sei. Die Vertreter der Theorie, es sei deutlich Land zu sehen, erklären Berge und 9 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» Erhobenheit für echt. Die Vertreter der Theorie, es gebe kein Land, sind hingegen der Auffassung, das Ungeheure beschränke sich allein darauf, dass alles aus Eis bestehe. Zwar meinen auch sie, zu sehen sei, dass etwas in die Höhe steige, doch die Idee der Täuschung, die semantisch schon die vorherige Passage bestimmte, wird auch hier nicht aufgegeben. Die Berge sind nicht wirkliche Berge, sondern diesen nur ähnlich. Die Schwierigkeit besteht also darin, dass etwas, was zu sehen ist, der gleiche Status zugewiesen werden muss wie dem, was nicht zu sehen ist. Bei Nebel war nichts zu sehen gewesen, doch dass dem so war, verleitete dazu, an die Existenz von Festland nur umso fester zu glauben. Bei einer bestimmten Strahlenbrechung ist jetzt etwas zu sehen, nämlich Berge, doch gerade der Umstand, dass sie zu sehen sind, ist in Forsters Augen ein Grund für verstärkte Skepsis. Die Metapher der «erhitzt[en] Einbildungskraft» setzt er in Beziehung zu dem Wunsch, Wirkliches aus dem Unwirklichen emporsteigen zu lassen. Er selbst hingegen hält an der kalten Idee gebrochener Zeichen fest: So wie vom Eisfeld «viele kleinere Stücke» abgebrochen sind, d. h. die fehlende Festigkeit des Feldes bewiesen zu sein scheint, so bewirkt auch die Strahlenbrechung, dass das Sehen nichts Festes ist und nichts Festem gilt. Die Kälte des Eingeständnisses, dass nichts zu sehen ist, eröffnet allein Zugänge zur Wirklichkeit. 3 Wasser ist kein Land Und doch kommt man ohne das Sehen nicht aus. So unversöhnlich auch die beiden Realitätskonzeptionen einander gegenüberstehen - letztlich siegt, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, der Augenschein. Captain Cook und seine Mannschaft unternehmen nämlich die Fahrt gen Süden nicht nur ein-, sondern gleich zweimal. Der ausbleibende Erfolg sowie die Unsicherheit bezüglich der Frage, ob man die Zeichen richtig interpretiert habe, machen eine Fortsetzung der abgebrochenen Suche im darauffolgenden Jahr nötig. Und so muss das obige Zitat noch einmal aufgenommen und seine Fortsetzung betrachtet werden, in der es um die Wirklichkeit der Berge geht: Dieser Anblick war so täuschend, dass viele unsrer Officiers dabey blieben, sie hatten hier Land gesehen, bis endlich Capitain Cook zwey Jahren und zwey Monath nachher (nemlich im Februar 1775) auf seiner Fahrt vom Cap Horn nach dem Vorgebürge der guten Hofnung gerade über denselbigen Fleck weg seegelte wo es hätten liegen müssen, wo aber damals weder Land noch Eis mehr zu sehen war. (115) Die Zeichen sind leere Versprechungen gewesen: Da, wo etwas gewesen war, ist jetzt nichts mehr. Sogar das Eis, dessen Wirklichkeit Forster anerkannt hatte, ist verschwunden. Die These von der Existenz festen Landes wird also 10 Anne D. Peiter abgewiesen, weil Festigkeit nicht allein eine räumliche Dimension hat, sondern auch eine zeitliche. Ein Festland, an dessen Stelle plötzlich Wasser zu finden ist, ist kein Festland, sondern Wasser. Das will nicht heißen, dass das Wasser nicht zuvor Eis gewesen sein und die Form von Bergen gehabt haben kann. Doch Wandelbarkeit in diesem extremen Maß ist in der Konzeption von Festland nicht vorgesehen. Das Auge kann Wirklichkeit nur dann verbürgen, wenn das, was zu sehen ist, auf Dauerhaftigkeit gestellt ist. Dunst und Nebel erweisen sich als das, was sie immer gewesen sind: Als etwas, was nichts anderes verbarg als absolute Leere. Insofern aber Leere gar nicht das Gesuchte war, gab es in gewisser Weise auch keine Verbergung: Die Leere war die Leere war die Leere, ganz offen und unverstellt und gerade darum so schwer wahrnehmbar. Nebel ist kein Land Doch noch ist die Möglichkeit zum Vergleich zwischen Heute und Damals nicht gegeben. Noch beschäftigt sich Forster in seinem Buch mit der ersten Reise, dem ersten Versuch, Land zu finden. Noch ist die Besatzung gefangen im Hier und Jetzt, in dem den Dingen, wie sie sich zeigen, Glauben geschenkt werden kann oder nicht. Am Nachmittage kamen wir durch viel gebrochnes Eis, und sahen ein zweytes großes Eisfeld, jenseit dessen verschiedne unsrer Leute noch immer Land zu sehen behaupteten, ohngeachtet auch dies, so wie das vorige, im Grunde, aus nichts als Nebelbänken bestand. (116) Forster behauptet, auch das Eis sei in Wirklichkeit kein Eis gewesen, sondern Nebel. Nicht nur das Konzept von Festland gerät also ins Wanken, sondern auch das von Eis. Während Forster zu Anfang zugibt, sich selbst auf trügerische Zeichen eingelassen und auf ihren Verweischarakter vertraut zu haben, setzt er sich jetzt zunehmend von denjenigen ab, die weiterhin auf die Existenz von Festland hoffen. Der Hinweis auf die Nebelbänke hat dabei eine geradezu politische Funktion: Forster will seine Leser offenbar davon überzeugen, dass sie seinem Zeugnis Glauben schenken müssen. Der südliche Kontinent, der auf Karten verzeichnet zu werden pflegte, müsse, so das Resultat der Reise, wieder von diesen gestrichen und Kolonialprojekte aufgegeben werden. Dies ist ein schmerzlicher Prozess, da die Glorie von Entdeckungen mit Darstellungen in Verbindung gebracht zu werden pflegten, in denen der konturlosen Wasseroberfläche Ländereien eines bestimmtes Umrisses eingezeichnet werden konnten. Darauf aber muss im Fall des Südpols verzichtet werden. Er existiere nicht. An die Stelle der Kontur sei der Nebel zu setzen. Nebel ist sozusagen die Schwundstufe von Eis. Als Schwundstufe aber markiert sie für die Leserschaft die Aufgabe, die Mühe der Reise nicht ins falsche Verhältnis zum Grad der Enttäuschung zu setzen, die ihre Ergebnisse 11 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» hervorrufen. Forster argumentiert: Es ist genug gesucht, nicht das Geringste versäumt worden. Der Augenschein hat den Nebel schließlich durchdrungen und die Wirklichkeit ans Licht gebracht. Die Besatzung der beiden Schiffe hat Mühen und Gefahren im Superlativ auf sich genommen, um den Nebel als Nebel zu erweisen. Jede weitere Hoffnung verbietet sich. Der Auftrag, mit dem Cook und seine Leute aufgebrochen waren, ist erfüllt worden. Jede Kritik wäre deplatziert. Und doch scheinen die Reisenden, allen voran Forster, mit einer solchen Kritik zu rechnen, denn ein weiteres Mal werden alle Zeichen durchgegangen: Da sich in dieser Gegend abermahls Seehunde und Pinguins zeigten, so fassten verschiedene von unsrer Gesellschaft neue Hofnung, hier Land zu erblicken, und ließen es an fleißigen Umsehen danach nicht fehlen. Nachdem wir aber eine gute Strecke weit auf diesem Striche fortgeseegelt waren, fanden sie sich in ihren Erwartungen schmerzlich betrogen, und jene vermeinte Anzeigen verlohren bey dieser Gelegenheit aufs neue etwas von ihrem bisherigen Credit. (122) Hier ist zu erkennen, dass die zeitliche Dimension zunehmend ins Zentrum der Aufmerksamkeit tritt. Es ist nicht wichtig, ob bestimmte Zeichen vorhanden sind, sondern ob auf sie in einer angemessenen Zeit das folgt, worauf sie zu verweisen schienen. Ist dies nicht der Fall, dann muss erneut konstatiert werden: Die Leere ist leer. Eine Insel ist kein Land Die Zick-Zack-Bewegung, zu der sich Cook von nun an entschließt, entspringt dem Wunsch, nachzuweisen, dass es im südlichsten Süden keine große zusammenhängende Landmasse geben kann. Wieder häufen sich die Zeichen, doch ihre Widerlegung beruht jetzt auf ins Große ausgreifenden Bewegungen. Solange das Schiff auf kein Land stößt, müssen die Zeichen als ebenso leer qualifiziert werden wie der Raum, der durchkreuzt wird. Am folgenden Morgen trieb ein großer Haufen See-Gras bey dem Schiffe vorüber; und Nachmittags rief uns der Capitain Furneaux von der Adventure aus zu, er sey bey einem großen Beet von treibenden Seegrase vorbey gekommen, und habe eine Menge Taucher gesehen, die denen im englischen Meer ähnlich wären. In der Ungewissheit, ob dieser Anzeigen wegen nicht Land in der Nähe seyn möchte, legten wir die Nacht über bey, und seegelten erst mit Anbruch des Tages wiederum fort nach Osten, auf welchem Striche uns mancherley Arten, besonders schwarze Sturmvögel (Shearwaters) begleiteten. [. . .] Nachdem wir in vorgedachter Richtung bis zu Mittage fortgeseegelt waren, ohne irgend etwas vom Lande ansichtig zu werden; so wandten wir nunmehro das Schiff gen Nordwesten, um in dieser Gegend nach Land zu suchen. [. . .] [D]a nun auch hier nirgends Land zu finden war; so gaben wir alle fernere Nachsuchungen auf und giengen, der Hauptabsicht unsrer Reise gemäß, von neuem nach Südost. (128 - 29) 12 Anne D. Peiter Diese ruhelose Fahrt verbindet sich mit einer merkwürdigen Ironie des Schicksals. «Dieselben Anstrengungen, die einen hypothetischen Kontinent aus den Kartenwerken verschwinden ließen, wären ausreichend gewesen, diese durch den wahren, wenn auch anders beschaffenen Südkontinent zu substituieren [. . .]» (Katalog 98). Das Paradox besteht darin, dass Cook und seine Leute schon so weit nach Süden vorgedrungen waren, dass die Entdeckung der «eigentlichen» Antarktis durchaus greifbar war. Doch «eine unüberwindbare Eisbarriere» habe, so die VerfasserInnen des eben zitierten Ausstellungskatalogs, «ein weiteres Vordringen nach Süden und folglich die Auffindung des antarktischen Festlandes unmöglich gemacht» (98). Im Kontext des Umgangs mit den sich häufenden Zeichen - See-Gras, Taucher, Sturmvögel - stellt sich jedoch die Frage, ob es wirklich eine Eisbarriere war, die den Weg zur «Entdeckung» versperrte oder ob nicht vielmehr der Akzent darauf zu legen ist, dass der Südkontinent anders beschaffen war, als man erwartet hatte. Das Problem scheint mir nicht so sehr die Tatsache zu betreffen, dass Cook nicht weit genug nach Süden vordrang, sondern eher die Erwartungshaltung, mit der die Reise begonnen worden war. Die Hauptarbeit bestand nicht in der Fahrt durch Stürme und Treibeis, klirrende Kälte und Schnee-Gestöber, sondern darin, sich von hergebrachten Konzepten verabschieden zu müssen. Der Südkontinent war nicht wie andere Kontinente, er war unvergleichlich und darum in gewisser Weise nicht wahrnehmbar. Das hing damit zusammen, dass er, anders als andere Kontinente, gewissermaßen keinen Anfang hatte. 4 Seine Konturen waren nicht klar, seine Ufer «ausgefranst». Das Eis bildete seinen Rand, doch dieser Rand als seine Grenze war, je nach Jahreszeit, im Fluss. Nicht umsonst ist bei Forster viel von brechendem Eis die Rede. Genau in der Beweglichkeit des Eises liegt der Grund dafür, dass das Festland, wäre es denn erreicht worden, als Festland nicht unbedingt erkannt worden wäre. Wie bitter es war, alle Hoffnung auf festes Land und feste Konzepte aufgeben zu müssen, hat niemand so gut in Worte gefasst wie Cook selbst. «Wenn ich die Entdeckung eines Kontinents verfehlte», schreibt er an den Sekretär der Admiralität, «so deshalb, weil er nicht existiert» (Zitiert nach: Katalog 97). Dieser Satz enthält die gleiche Rechtfertigungsrhetorik, die uns auch bei Forster begegnet, doch die Ironie des Hinweises, etwas geleistet zu haben, was als Leistung nur schwer, ja vielleicht sogar überhaupt nicht wahrnehmbar ist (gefunden wurde ja nichts anderes als eben - das Nichts), überzeugt bei Cook durch ihre aphoristische Kürze. Cook versteht, dass der Bote einer Nachricht für die Nachricht verantwortlich gemacht zu werden pflegt. Wer das Nichts gefunden hat, hat nichts gefunden. Wer Zeit und Geld für eine Entdeckungsfahrt ausgegeben hat, die ihr Objekt nicht fand, hat Zeit 13 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» und Geld verschwendet. Die Schwierigkeit nach der Rückkehr bestand darin, dass die Größe dessen, was geleistet worden war, nur ex negativo zu definieren war. Man hatte entdeckt, dass es nichts zu entdecken gab. Damit aber hatte man zugleich auch entdeckt, dass Fortschrittshoffnungen nicht stets durch zähes Festhalten an bestimmten Projekten ihre Erfüllung finden. Die Hoffnung, etwas zu finden, und die Fähigkeit, voranzublicken, hatten sich im Gegenteil als hinderlich erwiesen. Die Zick-Zack-Fahrt war das, was sie war: Eine Fahrt ohne Ziel, solange zumindest, wie nicht anerkannt wurde, dass das Ziel nicht am Ende der Reise lag, sondern die ganze Zeit über schon erreicht worden war. Die Fixierung auf Land und Ländereien musste aufgegeben und Meer und Eis das zugestanden werden, was ihnen zustand: Der Respekt, dass sie es den Reisenden nicht leicht gemacht hatten, in der Leere die Leere zu erkennen. Forster versucht seinerseits, durch einen Vergleich zu Hypothesen, die französische Reisende aufgestellt hatten, den Ergebnissen der Cookschen Reise den Nimbus zu verschaffen, der ihnen zustehe: Ob wir nun gleich das Land selbst nicht fanden, so haben wir dennoch der Geographie durch unser hin und her kreutzen in dieser Gegend einen Dienst erwiesen, indem daraus unläugbar erhellet, dass die französische Entdeckung nichts weiter als eine kleine Insel, keinesweges aber das nördliche Ende eines unter diesem Himmelsstrich belegenen großen festen Landes sey, wie man anfänglich geglaubt hat. (Forster 129) Mit diesen Worten fasst Forster das Ergebnis der ersten Fahrt gen Süden zusammen. Nichts scheint Anlass zu geben, es erneut zu versuchen. Und doch: Nachdem die Besatzung auf den Inseln der Südsee zu neuen Kräften gekommen ist, machen sich die Schiffe ein zweites Mal auf den Weg. 2. Stoffwechsel ist Abwechslung Die Langeweile ist die Langeweile Die größte Schwierigkeit, der sich Forster bei Abfassung seines Berichts über die Fahrt zur Antarktis gegenüber sieht, rührt von dem Umstand her, dass das Interessante dessen, was die Besatzung der beiden Schiffe erlebt hatte, in ihrer - Langeweile bestand. Langeweile aber ist nicht einfach zu erzählen, zumal dann, wenn man sie, um des Zeugnischarakters willen, der darauf beruht, von der ganzen Reise zu berichten, gleich zweimal erzählen muss. So erklärt sich denn wohl auch das Ungleichgewicht bezüglich des Umfangs der Kapitel über die verschiedenen Reisestationen. Cook und seine Leute befanden sich weit länger auf dem Meer als auf den Inseln. So war zum Beispiel der Aufenthalt auf Tahiti im Vergleich zu den beiden Fahrten 14 Anne D. Peiter Richtung Süden nur kurz. Dennoch widmet Forster Tahiti weit ausführlichere Beschreibungen als dem Eis und dem Schnee, auf die er im Polarkreis traf. Die Zeit auf Tahiti war eine dichte, erlebnisreiche; die beim Kreuzen im äußersten Süden hingegen eine gleichsam verdünnte, erlebnisarme, langweilige. Hinzu kommt, dass es Eines ist, das Nicht-Vergehen von Zeit zu erleben - ein Anderes, es zu erzählen. Wollte man Langeweile für die Leserschaft erlebbar machen, müsste das Nicht-Vergehen von Zeit in den Leseprozess integriert werden. Zu erwarten wäre demnach, dass die Kapitel über den Polarkreis besonders lang sind. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Um der Leserschaft nicht zu lange die Langeweile zuzumuten, die Forster selbst als unzumutbar erlebt hat, hält er diesen Teil seines Berichts bewusst kurz. Das gilt besonders für all das, was er über den zweiten Versuch, den Kontinent zu finden, schreibt. Die Langeweile ist von dem anderen, die Fahrt Richtung Süden betreffenden Kapitel her schon bekannt, und als Bekanntes legitimiert sich die Wiederholung nur dadurch, dass ja gleichzeitig doch das geradezu «Heldische» übermittelt werden soll, das darin bestand, sich der Wiederholung der Mühen überhaupt gestellt zu haben. Daraus folgt wiederum, dass die Zustände auf dem Schiff sowie die Verfassung, in der sich die Besatzung befand, weit mehr Raum einnehmen als die Beschreibung des eigentlich zu Entdeckenden außerhalb des Schiffes. 5 Die Außenwelt ist die Innenwelt Der Topos der Melancholie, der sich auch in anderen Polarberichten mit großer Regelmäßigkeit findet, 6 beruht wesentlich auf klimatologischen Überlegungen. Das Kommende werde, so Forster, in angenehmer Wärme anders wahrgenommen als in extremer Kälte. Die Melancholie scheint demnach zunächst einmal eine von Außen induzierte zu sein. Eis und Schnee, die mehr als alles Andere den Polarkreis ausmachen, stehen den Matrosen als etwas von ihnen Getrenntes gegenüber. Doch in einem zweiten Schritt wird deutlich, dass Innen und Außen gerade hier, im «Nichts», zusammengehören. Zwar nehmen die Männer die Umgebung, in der sie sich befinden, als feindlich wahr. Doch die Umgebung ist nicht einfach nur das, was um sie herum ist, sondern die Umgebung dringt in die Körper der Männer ein, wird ihr Inneres, und das gleich mehrfach: Da aufgrund der Kälte keine nutzbaren Pflanzen wachsen, stellt die Versorgung mit Lebensmitteln ein zentrales Organisationsproblem dar. Immer wieder steht die Besatzung der beiden Schiffe vor der Frage, womit sie ihren Körper nähren und wie sie ihren Durst stillen solle. Zur Verfügung steht nur das, was man mitgebracht hat: Wasser vom Kap, Pökelfleisch, durch Salz haltbar gemachtes Gemüse. Diese Vorräte aber werden nicht etwa als eine 15 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» Erinnerung an bessere Zeiten wahrgenommen, sondern im Gegenteil als etwas, was ebenso viel Überdruss verursacht wie die Kälte des Nichts umher. Das Essen ist gleichsam die Umgebung; eine Umgebung, die vom Inneren aufgenommen werden muss. Der Ocean um uns her war wütend, und schien über die Keckheit einer Hand voll Menschen, die es mit ihm aufnahmen, ganz erboßt zu seyn. Finstre Melancholie zeigte sich auf der Stirn unsrer Reisegefährten, und im ganzen Schiff herrschte eine fürchterliche Stille. Die eingesalzenen Speisen, unsre tägliche Kost, waren uns allen, sogar denen zum Ekel geworden, die von Kindheit an zur See gefahren. Die Stunde des Essens war uns verhasst, denn der Geruch der Speisen, kam uns nicht sobald unter die Nase, als wirs schon unmöglich fanden, mit einigen Appetit davon zu genüssen. Dies alles beweiset wohl genugsam, dass diese Reise mit keiner von den vorhergehenden zu vergleichen sey. (466) Ekel ist Ekel vor sich selbst Langeweile ist also nicht allein ein Problem, das daher rührt, dass es so wenig zu sehen (und damit zu bedenken) gibt. Die Langeweile ist vielmehr auch und vor allen Dingen eine des Stoffwechsels. Eine Gewöhnung an das Übermaß an Salz, das zur Konservierung der Nahrung unumgänglich ist, hält Forster für ausgeschlossen. Der Ozean selbst verwehrt das Fangen von Fischen. Der ekelerregende Geruch der Speisen, über den Forster klagt, liegt also letztlich in seiner, des Ozeans Verantwortung. Gewünscht wird, dieser möge etwas bieten, was man sich einverleiben, zum Eigenen machen kann. Doch da der Polarkreis sowohl durch die Abwesenheit von Land, als auch durch die Abwesenheit von Nahrung, pflanzlicher wie tierischer, gekennzeichnet ist, beschränkt sich die Einverleibung stets auf das Mitgebrachte, d. h. das Eigene. Ekelerregend sind die Mahlzeiten, weil man gleichsam ständig nur sich selbst isst. Der Stoffwechsel ist kein Wechsel mehr, weil Abwechslung und Austausch mit dem Außen ausbleiben. Paradoxerweise wird die Umwelt aber gerade zudringlich, weil sie sich den Menschen entzieht. Sie dringt in ihn ein, weil sie nichts bietet, was er aufnehmen könnte. Sie beweist ihre Präsenz bei jeder Mahlzeit, indem sie zu dieser nicht das Geringste beisteuert. Und damit sind wir bei einer ähnlichen Denkfigur wie bezüglich des Landes: Nicht etwas Bestimmtes treibt die Matrosen in die Verzweiflung, sondern das Nichts. Dieses ist es, wogegen sie sich am schwersten wehren können. Das Nichts entzieht sich, bietet keine Angriffsfläche. Und so sind die Matrosen stets von Neuem, und das gleich mehrere Male am Tag, auf sich selbst und ihre Vorräte, die vollkommen versalzenen, zurückgeworfen. Doch genau dadurch verstärkt sich ihre Abhängigkeit von der Außenwelt. Die Stille der Schiffsbesatzung korrespondiert nicht zufällig mit der Stille der Umwelt. 16 Anne D. Peiter Die Menschen stehen unter ihrem Diktat, nehmen sie in dem Maße auf, in dem sie nichts finden, was sich aufnehmen ließe. Der Ekel wird schließlich zu einem Ekel vor sich selbst. Und dieser Ekel verhindert dann auch den Austausch, das Gespräch zwischen den Matrosen selbst. In dem Maße, in dem die Außenwelt schweigt, verstummen auch die Menschen. Und doch führt, so Ludger Lütkehaus, der Versuch zu sagen, was das Nichts sei, auf ein Problem: Was per definitionem nichts, nichts als nichts sein soll, ist als Gedachtes, Gesagtes, Vorgestelltes nicht mehr nichts. Es soll etwas gedacht werden, was nichts ist. Aber das kann nur um den Preis getan werden, dass etwas gedacht wird, was nichts ist; also nicht völlig nichts ist. (611) Menschen sind Pflanzen Wie unvergleichlich schwierig Situationen der Kommunikationslosigkeit waren - wegen des Nichts als etwas, was doch irgendwie «da» war - , das macht Forster durch den Hinweis auf andere Arten von Reisen deutlich: Wir hatten mit einer Menge von Mühseligkeiten und Gefahren zu kämpfen, die unsern Vorgängern in der Südsee unbekannt geblieben waren, weil sie sich mehrentheils nur innerhalb der Wendezirkel, oder doch wenigstens in den besten Gegenden des gemäßigten Himmelsstrichs gehalten hatten. Dort fanden sie immer gelindes Wetter; blieben fast immer im Gesicht des Landes, und dieses war selten so armselig und unfruchtbar, dass es ihnen nicht von Zeit zu Zeit einige Erfrischungen gegeben haben sollte. Solche eine Reise wäre für uns eine Lustreise gewesen; bey der beständigen Unterhaltung mit neuen und größtentheils angenehmen Gegenständen, würden wir guten Muths, aufgeweckt und gesund, mit einem Wort, glücklich und fröhlich gewesen seyn. Aber von alle dem, war unsre Reise gerade das Gegentheil. Die Fahrt gegen Süden war ein ewiges und im höchsten Grade langweiliges Einerley. (467) Es sind keine hohen Ansprüche, die Forster an die Umwelt stellt. «Gute[r] Muth[.]» und Glück wären schon durch ein Minimum an «Erfrischungen» zu sichern. Der Kontrast, der sich zu anderen Reisen, selbst den schwierigen, auftut, ist so groß, dass Forster alle Fahrten, die nicht dem Polarkreis galten, als pure «Lustreisen» zu betrachten scheint. Er und seine Mitreisenden haben, weil sie weiter als alle anderen Reisenden in der Kälte vorgedrungen sind, zugleich auch den höchsten Grad von Melancholie erreicht. Die Kälte der Umgebung, in der sie sich bewegten, war eine des Superlativs, und die Fühllosigkeit, die sich in «finsterer Gleichgültigkeit» äußerte, auch. Eis, Nebel, Stürme, und eine ungestüme See, machten finstere Scenen, die selten genug durch einen vorübergehenden Sonnenblick erheitert wurden. Das Clima war kalt, und unsere Nahrungsmittel beynahe verdorben und ekelhaft. Kurz, wir lebten nur ein Pflanzen-Leben, verwelkten, und wurden gegen alles gleichgültig, was sonst den Geist zu ermuntern pflegt. Unsre Gesundheit, unser Gefühl, unsre Freuden 17 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» opferten wir der leidigen Ehre auf, einen unbeseegelten Strich durchkreuzt zu haben! Das war im eigentlichen Verstande: - Propter vitam vivendi perdere causas. JUVENAL. (Forster 467) Die Adventure und die Resolution leisten auf das zum Leben Notwendige - Glück, Fröhlichkeit, Gesundheit - Verzicht, doch paradoxerweise mit dem Ziel, sich dadurch das Leben zu erhalten. Die Ehre, in menschenleeren Gegenden herumgefahren zu sein, wird von Forster als eine «leidige» bezeichnet. Dies ist im Wortsinn zu verstehen: Forster schönt das Erlebte nicht, sondern betont das Leid, das darin bestanden habe, durch die fehlende Verfügbarkeit frischer, pflanzlicher Nahrung selbst zur Pflanze, und zwar zu einer welkenden, geworden zu sein. Die Besatzung der Schiffe hat also nicht die Furchtbarkeit des Klimas ausgehalten, um durchhalten zu können, sondern sie hat durchgehalten, indem sie den eigenen Körper der Unaushaltbarkeit ganz hinhielt. Jeder Einzelne wurde sich selbst unaushaltbar, und im gleichen Zuge wurde es auch der jeweils Andere. Genau in dieser Sicht auf das Unaushaltbare aber besteht der Verzicht auf Ehre. Mehr noch: Die zweimalige Fahrt durch den Polarkreis ist für Forster eine Erfahrung des Ehrverlustes. In seinen Augen ist es nämlich nicht entscheidend, dass die Leserschaft sein und der Anderen Durchhaltevermögen als Ehre bezeichnen könnte, sondern der Maßstab ist allein der eigene Stoffwechsel, wie er damals erlebt wurde: Als etwas Lebensfeindliches, Pflanzenartiges, mithin als etwas, was man auf keinen Fall der Leserschaft zur Nachahmung empfehlen darf. Da das Konzept von Ehre eines ist, mit dem der Mensch sein Leben einem Höhepunkt zuführt, stellt sich die Ehre, die Forster erwähnt, gerade als Versuch zur Abschreckung dar. Der Mensch hat das Recht, ja vielleicht sogar die Pflicht, glücklich zu sein. Die Bereitschaft, Kontinente zu sehen, wo keine waren, beziehungsweise Glück und Ehre zu behaupten, wo das Leben alles dessen entbehrte, was das Leben lebenswert macht, kam einer Blindheit gleich. Forster tritt ein für das Glück Anderer, indem er das Ausmaß seiner damaligen Melancholie unterstreicht. Es ist sinnlos, um des Durchhaltens willen durchzuhalten. Es ist kein Leben, nur um eines Lebens willen auf einer Schwundstufe zu leben. «Gesundheit», «Gefühl» und «Freuden» sind legitim. Der Wunsch, kolonisierend einen neuen Kontinent in Besitz zu nehmen, verbietet sich, weil die Kolonisierung nicht an sich ein Fortschritt ist, sondern nur, wenn sie einen Stoffwechsel zwischen dem Eigenen und dem Fremden ermöglicht. 18 Anne D. Peiter 3. Wasser ist Wasser Die Schildwache ist das Auge Die Sorge um den Stoffwechsel betrifft nicht zuletzt die Basis jeden Lebens, das Wasser nämlich. Vorsichtsmaßnahmen werden getroffen, damit Durst die Reise nicht gefährde: Da wir jetzt auf einer Reise begriffen waren, die noch Niemand vor uns unternommen hatte, auch nicht wussten, wenn, oder wo wir einen Erfrischungs-Ort finden würden, so gab der Capitain die gemessensten Befehle, daß mit dem Trinkwasser gut hausgehalten werden sollte. Zu dem Ende ward eine Schildwache an das Wasserfaß gestellt und von dem Schiffsvolk bekam der Mann täglich ein gewisses Maas zugetheilt. Außerdem durfte ein jeder auch noch beym Fass trinken, aber nichts mit sich nehmen. Der Capitain selbst wusch sich mit Seewasser und unsre ganze Reisegesellschaft musste sich ein gleiches gefallen lassen. (106) Die hierarchisch übergeordneten Besatzungsmitglieder, zu denen neben James Cook und seinen Offizieren auch Johann Reinhold und Georg Forster als Wissenschaftler gehören, haben Vorbildfunktion. Ihre Fähigkeit zur Selbstbescheidung wird eingesetzt zur Disziplinierung der Matrosen: Die Hierarchie soll nicht dazu dienen, demjenigen, dem die Befehlsgewalt zukommt, gleichzeitig auch Vorrechte bezüglich der Trinkwasserversorgung zuzugestehen. Vielmehr soll die Schiffsbesatzung durch die Objektivierung der Beschränktheit ihrer Mittel zu einer gehorsamen Einheit verschmelzen. 7 Dass die Gleichrangigkeit Cooks, die er symbolisch durch das Waschen mit Meerwasser vorführt, dann letztlich aber doch einer handgreiflichen, konkret machtpolitischen Absicherung bedarf, zeigt sich in der zusätzlichen Aufstellung einer Schildwache. Diese wird aus den Besatzungsmitgliedern, die Forster im Begriff des «Schiffsvolks» zusammenfasst, herausgelöst und zwischen den Einzelnen, nämlich den Befehlshaber, und die Masse, nämlich die Befehlsempfänger, gestellt. Auf dass aber diese Schildwache nicht selbst zur Zielscheibe der allgemeinen Unzufriedenheit werde, versucht Cook, die Idee der körperlichen Disziplinierung aller mit einer Zufriedenstellung der fundamentalsten physischen Bedürfnisse des Einzelnen zu vereinbaren. Trinkwasser wird täglich ausgegeben, und zwar an alle das gleiche Maß. Wer danach noch Durst hat, darf diesen stillen, jedoch allein da, wo die Schildwache als Zeuge anwesend ist. Diese Anwesenheit ist wie die Anwesenheit aller. Die Schildwache ist das Auge, mit dem die gesamte Besatzung darauf sieht, dass die Gleichheit als Gleichheit der Selbstbescheidung keine Ausnahme duldet. Zugleich ist das Trinken am Wasserfass aber eine Ausnahme, wenn auch eine Ausnahme, die in dem Maß akzeptabel bleibt, in dem Cook sicherstellt, 19 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» dass die Übertretung des vorgegebenen Maßes nicht zum Übermaß wird. Das wichtigste Maß ist das des Durstes jedes Einzelnen. Dieser Durst darf aber nicht durch Übermäßigkeit den Durst aller verursachen, und daher bleibt die Stillung der Bedürfnisse des Einzelnen gebunden an die Stillung des Bedürfnisses aller; der disziplinierende Blick möge nicht nur von oben, sondern zugleich auch von unten kommen. Dieser Versuch, die Selbstkontrolle durch eine Kontrolle der Anderen von Seiten der Schildwache annehmbar zu machen, bleibt dennoch ambivalent. Obwohl die Schildwache das Wasser für alle schützt, erscheint sie doch vor allen Dingen als Schutz vor der Versuchung, selbst zum Ersten zu werden, der sich des Wassers im Übermaß bemächtigt. Die Schildwache stellt sich also nicht so sehr vor die Anderen, als vielmehr vor einen selbst. Die Schwierigkeit des Durstes besteht paradoxerweise darin, dass das Recht zu seiner Stillung gegeben ist. Diese Stillung bedeutet, dass Cook sich keiner Ungerechtigkeit schuldig macht. In dem Maß aber, in dem seine Maßnahmen als gerecht anerkannt werden müssen, ist es die Schuldigkeit des Einzelnen, die Befriedigung seiner Bedürfnisse zuzugeben und Cook wiederum das Recht zuzuerkennen, durch Befehle weiterhin für die Bedürfnisbefriedigung aller zu sorgen. Privilegien sind Bilder Auch Georg Forster definiert seine soziale Position über seine Definition von Wasser: Am 9ten des Morgens war eine große Insel von Eis, mit vielen Bruchstücken umgeben, zu sehen, und da wir eben gelindes Wetter hatten, so ward beygelegt und ein Boot ausgesetzt, um von dem losen Eise so viel als möglich aufzufischen. Diese Eisschollen wurden hernach auf das Hinterdeck des Schiffs geworfen, daselbst in Stücken zerschlagen und alsdenn in Fässer gepackt. Nach Tische ließen wir etwas davon in Kesseln schmelzen, und auf das übrige in Fässer verpackte Eis ganz warm ausgießen, damit diese desto eher zergehen möchte. Auf diese Art bekamen wir heute in ofner See, und unter einem unbewohnten Himmelstrich, im 61. Grad 36 Minuten südlicher Breite, einen für dreyssig Tage hinreichenden Vorrath an frischen Wasser. (123) Der Prozess der Wassergewinnung ist mit Gefahren verbunden: Eis kann nur dann auf das Deck geholt werden, wenn das Wetter den Abstieg vom Schiff zulässt. So erklärt sich, warum Cook seiner Besatzung die Mühe abverlangt, Vorräte gleich für dreißig Tage anzulegen. Offenbar will er Vorsicht walten lassen für den Fall, dass das Wetter wieder umschlägt und eine Wiederholung der Wasserbeschaffung unmöglich macht. Das Wetter jedoch zeigt sich unberechenbar, und so fährt Forster fort: 20 Anne D. Peiter Zwey Tage nachher hatten wir wiederum Gelegenheit uns mit Eis zu versehen; und unser Volk that diese saure Arbeit mit frohem Muth, ob ihnen gleich, durch Kälte und Schärfe des Seewassers, die Hände wund dabey wurden. In Captain Cooks gedruckter Beschreibung dieser Reise findet man eine malerische Abbildung von solchen Eis-Inseln, in deren Nachbarschaft das Schiff und die Boote, mit Einsammlung des Eises beschäftigt, zu sehen sind. Wir erblickten in dieser Gegend einige große Wallfische, die dem Augenmaaß nach sechzig Fus lang seyn mochten, und viele Pinguins trieben auf kleinen Eisstücken neben uns vorbey. (123) Der Kontrast zwischen wunden Händen und «malerischer Abbildung» ist ein Zeichen für die Rückkehr der Hierarchie, die mit der Gewinnung von Wasser verbunden ist. Georg Forster ist zwar mit Fragen des Wassers befasst, doch allein als Wissenschaftler, und nicht etwa als einer aus dem «Volk», der das Wasser in Form von Eis überhaupt erst zu beschaffen hat. Während die Matrosen der «Kälte und Schärfe des Seewassers» direkt ausgesetzt sind, befindet sich Forster schon in dem Moment, in dem er ihre Arbeit beobachtet, in der Position eines Mannes, der diese Arbeit als ästhetisches Ereignis wahrnehmen darf. Damit ist aber die Gleichzeitigkeit von Arbeit und Beobachtung der Arbeit nicht wesentlich unterschieden von dem Blick, den Forster nach seiner Rückkehr auf das Bild werfen wird, das von dieser Arbeit angefertigt worden ist. In der Gleichzeitigkeit wird die Möglichkeit der künstlerischen Distanz des Nachhinein schon antizipiert. Auf der anderen Seite ist der Kontrast zwischen der Mühe der Arbeit und ihrer Ästhetik den Beobachtungen Forsters zu verdanken. Forster ist insofern mehr als ein allein an Bildern Interessierter, als er die wunden Hände der Matrosen durchaus nicht ausblendet. Wunde Hände sind wunde Hände, auch für denjenigen, der sich am Einsammeln des Eises nicht beteiligen muss. Dennoch erklärt das Privileg, von oben die Szene beobachten zu dürfen, warum nicht allein das Eis, von dem die Stillung des Durstes erhofft wird, in der Beschreibung Forsters auftaucht, sondern auch Walfische und Pinguine. Während die Matrosen sich ganz auf die Stücke konzentrieren müssen, die von den Eisinseln abgebrochen sind, hat Forster die Möglichkeit zur Gesamtschau. Er nimmt, noch während das Eis auf die Beiboote gehoben wird, den Moment vorweg, in dem der Maler wird malen können, wie das Eis, umgeben von Pinguinen und Walfischen, auf die Beiboote gehoben wurde. Das malerische Bild existiert also, noch bevor es gemalt wurde. Süßwasser ist Salzwasser Das Problem der Süßwassergewinnung schien durch die Möglichkeit, im Meer nach Eis zu fischen und es anschließend zum Schmelzen zu bringen, wenigstens in Ansätzen gelöst zu sein. Doch bei dem Versuch, die Vorräte 21 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» während der zweiten Fahrt gen Süden wieder aufzufüllen, ergeben sich plötzlich Schwierigkeiten, mit denen die Besatzung während der ersten Fahrt offenbar nicht konfrontiert gewesen war: Am 16ten Nachmittags und auch am 17ten wurden die Boote ausgesetzt, um lose Eisstücken, zur Anfüllung unsrer Wasserfässer, einzunehmen. Das Eis war alt, schwammigt und mit Salzwasser-Theilchen durchdrungen, weil es schon lange Zeit und thauend in der See herumgeschwommen; doch ließ sich das Wasser davon noch wohl trinken, wenn die Stücke eine Weile auf dem Verdecke liegen blieben, damit das Salzwasser abtröpfeln konnte. (460 - 61) Lange war das Eis schlicht als Süßwasserreservoir und mithin als beimischungsfrei betrachtet worden - ganz im Gegensatz zum Meerwasser, das erst destilliert werden musste, um das Salz aus ihm herauszulösen. Doch jetzt muss diese Sicht korrigiert werden. Ebensowenig wie Meer und Kontinent strikt voneinander zu trennen sind, sind es Meer und Eis. Das Eis schwimmt zwar als fester Körper auf dem Meer, doch zugleich speist sich das Meer auch aus dem Eis. Beide gehen also ineinander über, können sich ineinander verwandeln. So aber entstehen Verunreinigungen, die erneut verschwimmenden Grenzen gleichkommen. Die Frage nach dem jeweiligen Grad der Mischung von Süß und Salzig ist für die Besatzung der Adventure und der Resolution von großer Bedeutung, weil die Möglichkeit, das jeweilige Wasser zu trinken, von ihm abhängt. Alter ist Unreinheit Mischungen gelten Forster zugleich als Indikator für Alt und Neu. Während das aus Eis gewonnene Wasser zunächst dem Wasser vom Kap vorgezogen worden war, weil es «reiner», d. h. neuer und frischer schmeckte, wird jetzt umgekehrt das Eiswasser als «alt» und «schwammigt» abqualifiziert. Und damit stellt sich plötzlich das Problem, das für das Essen galt, auch für das Wasser. So wie das Salz mit der Zeit immer stärker ins eingepökelte Fleisch eindrang und dieses dadurch zunehmend ungenießbar wurde, so erhöht sich auch der Salzgehalt des Eises umso mehr, je länger die Schmelzung des Eises im Meer und nicht auf Deck der beiden Schiffe erfolgt. Die Schiffe dienen der Grenzziehung: Süßwasser lässt sich nur dann rein von Salz halten, wenn das Schiff das Eis vom Meer sondert. Eines der Bilder, das Forster als «malerisches» gefeiert hatte, zeigt den Weg hin zu dieser Sonderung. Zu sehen ist nicht nur eines der großen Schiffe, sondern auch drei kleine Beiboote, die damit befasst sind, abgebrochene Eisstücke aufzufischen. Diese Eisstücke nehmen sich aus wie ein Miniaturmodell der zerklüfteten Eis-Inseln, die das im Hintergrund befindliche, große Schiff fast gänzlich einschließen. Eis muss klein gemacht werden, auf dass an 22 Anne D. Peiter Deck das Salzige von ihm abtropfen könne. Neu und frisch ist nur der Kern, alt all das, was ihn umhüllt. Um die Bloßlegung von Schichten geht es also, um Schichten, die, bevor der Tauprozess einsetzt, als angelagerte Zeit zu interpretieren sind. Auf Deck schmilzt dann nicht allein das Eis, sondern auch die Zeit. Um aber dies bewerkstelligen zu können, ist es wünschenswert, Eis zu nehmen, das so wenig wie möglich Eis vom Rande der Eis-Inseln ist. Je stärker das Eis vom «Herz» der Inseln stammt, desto weniger kontaminiert ist es durch das Salz und die Zeit im Meer. Doch das Bild zeigt, wie sehr die arbeitenden Matrosen auf die Ränder, d. h. die Zeit angewiesen sind. Die Werkzeuge, die ihnen zur Verfügung stehen, erlauben die Zerkleinerung ganzer Insel nicht. Eine solche Zerkleinerung nähme zu viel Zeit in Anspruch. Die Männer können nur das zerkleinern, was ohnehin schon abgebrochen, d. h. mit der Zeit klein geworden und dem Schmelzprozess im Meer anheimgegeben ist. Obwohl der Mann, der am Bug des vorderen Beibootes steht, seinen Pickel ähnlich wie beim Abwurf eines Jagdspeeres hebt, d. h. in voller Aktion des Jetzt gezeigt wird, wirkt er im Vergleich zur Wucht der Zeit, die das Eis gebraucht hat, um sich zu bilden, klein und machtlos. Den Einfluss des Salzwassers auf das Süßwasser zu begrenzen, ist mühsam und gefährlich, weil die Ablösung der Beiboote vom Hauptschiff nur von kurzer Dauer sein darf. Es sieht aus, als seien sie von diesem ebenso abgebrochen wie die Eisschollen von den Eis-Inseln, als träten sie mit ihrer Fahrt von ihm weg zugleich auch in neue zeitliche Dimensionen ein. 23 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» Nur die sparsamen Farbflächen zeigen, was eigentlich zusammengehört: Das Eis der Schollen zu den Eis-Inseln, die rot bemützten Männer der Ruderboote zu ihrem rot beflaggten Segelschiff. Die Farben markieren zugleich eine Grenze: Die zwischen Eis und Mensch, Weiß und Nicht-Weiß, 8 den großen Zeiträumen des «ewigen Eises» und der kurzen Frist sterblicher Menschen. 9 Zu allem Überfluss erfahren Letztere auch den Himmel als Verbündeten des Eises: Die Wolken sind ebenso gezackt wie die Eisinseln. Das Eis befindet sich also nicht nur neben den Schiffen, sondern gleichsam auch über ihnen. Weil aber mit dem Eis auch Zeit wegschmilzt, und zwar aufgrund der herrschenden Kälte unmerklich langsam, muss erneut festgestellt werden, dass die Besatzung ganz von Langeweile umgeben ist: Ihr Versuch, Schmelzprozesse zu beschleunigen, aus Eis das Wasser zu machen, auf das sie im Hier und Jetzt angewiesen sind, wird von der Macht des Eises immer wieder zunichte gemacht. Zeit zu schmelzen bleibt die Ausnahme. Und so zeigt denn auch das «malerische» Bild einen Augenblick, der das Außergewöhnliche zum Thema hat: Einen der raren Momente, in denen die Loslösung vom Hauptschiff und die Annäherung an das Eis gewagt werden konnten; einen Moment, in dem die Farbe hinauswanderte und Weiß und Langeweile durchbrach. 4. Eis ist Krankheit Disziplinlosigkeit ist Gefahr Trotz aller Mühe, die mit der Wasserbeschaffung verbunden war, stellten sich bald neue Probleme ein. Forster vermutet, dass sich bestimmte Krankheiten, unter denen die Besatzung litt, dadurch erklären ließen, dass das Eiswasser «die fixirte Luft im Frieren verlohren hatte» (123). «Um diese Zeit klagten viele von uns über rheumatische Beschwerden, Kopfweh, geschwollne Drüsen und Schnupfen-Fieber, lauter Zufälle, die dem aus Eis aufgethauten Trinkwasser zugeschrieben wurden» (461). Die Schwellungen waren nach Forsters Zeugnis derart stark, dass er in ihnen Parallelen zu der in Gebirgsgegenden häufig auftretenden Kropfbildung sah. (vgl. Forster 123 - 24) Weitaus besorgniserregender jedoch war der Skorbut, zu dessen Symptomen «böses Zahnfleisch, schweres Ohtemhohlen, blaue Flecke, Ausschlag, Lähmung der Glieder, und grüne fettichte Filamente im Urin» (132) gehört hätten. Außerdem sei die gesamte Besatzung durch «eine so mühselige Fahrt und aus Mangel gesunder Speisen ganz entkräftet» gewesen (131). «Alle ohne Unterschied» hätten «ein sieches, ausgemergeltes Ansehen» gehabt, «das schlimme Folgen anzukündigen schien» (464). 24 Anne D. Peiter Trotz vieler vorbeugenden Maßnahmen blieb der Skorbut nicht aus. Es war die lange Fahrt Richtung Antarktis, die die Krankheit bei einigen Matrosen zum Ausbruch kommen ließ. Für die Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit Manövrierfähigkeit der Schiffe war der Skorbut ein großes Problem. Die Arbeitskraft jedes Einzelnen, besonders aber der Spezialisten, wurde gebraucht, um für alle eine sichere Fahrt zu gewährleisten. Der Zimmermann beispielsweise hatte nur wenige Gehilfen; die Verfügbarkeit seiner Fähigkeiten war im Falle eines Lecks oder gar in Situationen, in denen ein ganzes Schiff neu gebaut werden musste - das dafür notwendige Holz hatte die Resolution geladen - von größter Bedeutung. 10 Forster verzeichnet denn auch mit großer Genauigkeit, wie sich die Krankheit bei diesem Mann namens Georg Jackson geäußert habe: Das Zahnfleisch gieng bey ihm in Fäulniß über und die Zähne waren so los, daß sie ganz seitwärts lagen. Man machte mit einer Marmelade von gelben Rüben oder Carotten, die uns gegen den Scorbut vorzüglich war empfohlen worden, und davon wir ebenfalls Vorrath hatten, einen Versuch bey ihm, allein sie half zu weiter nichts als daß sie den Leib offen hielt. (122) Obwohl die Symptome der Krankheit dramatisch waren - der drohende Verlust der Zähne konnte als Zeichen einer derartigen Schwächung gedeutet werden, dass Lebensgefahr zu befürchten war - , betont Forster, dass Georg Jackson zu den Ausnahmefällen gehört habe. «Nur zwey bis drey von unsern Leuten, die eine ungesunde Anlage hatten, konnten dem Scorbut nicht entgehen» (122). Dass die anderen Besatzungsmitglieder weitgehend symptomfrei blieben, führt er auf die Umsicht zurück, mit der Cook, sich stützend auf schon gemachte Erfahrungen, gerade dieser Krankheit vorgebeugt habe. Bereits während seiner ersten Reise auf dem Schiff Endeavour hatte Cook drakonische Strafen gegen diejenigen verhängt, die den vorgesehenen Speiseplan nicht respektierten. Als zwei Matrosen sich damals geweigert hatten, «in Madeira an Bord genommenes Frischfleisch zu essen», hatte er beide auspeitschen lassen (Katalog 135). Die Härte dieser Strafe hatte offenbar ähnliche Hintergründe wie die strikten Regelungen bezüglich des Wasserfasses: Die Kontrolle von außen, durch den Kapitän, schien zur Aufrechterhaltung der Disziplin an Bord nicht ausreichend zu sein. Die Herstellung von Selbstkontrolle war das eigentliche Ziel. Der Körper des einzelnen Matrosen war nicht mehr nur der seine, sondern wurde zum Gemeingut. Sorglosigkeit im Umgang mit sich selbst stellte eine potentielle Gefährdung der gesamten Besatzung dar und war daher strafwürdig. 25 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» Selbstdisziplin ist Gefahr Die größte Gefahr sah Forster jedoch in der Erkrankung von James Cook selbst. Für ihn sei gerade die Wärme «nachtheilig» gewesen: Aber in eben der Masse, als das warme Wetter ihm [Forsters Vater; A. P.] heilsam war, ward es der Gesundheit des Capitains nachtheilig. Seine Gallen-Krankheit war zwar während unsers letzten Zuges gegen Süden verschwunden, er hatte aber nie wieder zu Appetit kommen können. Jetzt bekam er wieder eine gefährliche Verstopfung, die er zum Unglück anfangs nicht achtete, noch Jemandem im Schiff entdeckte, sondern vielmehr für sich allein durch Hunger abzuhelfen suchte. Hiedurch aber verschlimmerte er nur das Übel, denn sein Magen war so schon schwach genug. (471) Cooks Selbstdisziplin, der Forster sonst großen Respekt zollt, gilt ihm im Fall der beschriebenen Gesundheitsprobleme des Captains nicht länger als probates Mittel, den Matrosen ein Vorbild zu sein. Der Umstand, dass der Kranke den Arzt über seine Verstopfung nicht informiert und außerdem eigenmächtig über die medizinischen Therapien bestimmt, zeigt, dass sein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein gegen seine eigene Person und damit auf die gesamte Besatzung zurückschlägt. In dem Maße nämlich, in dem Cook über Gebühr auf seine Stärke und Selbstkontrolle vertraut, schwächt er das gesamte Schiff, das ohne ihn jeder Kontrolle zu entgleiten droht. Es stellten sich also bald gewaltige Schmerzen ein, die ihn in wenig Tagen bettlägerig machten, und Hülfe beim Arzte zu suchen, nöthigten. Man gab ihm ein Abführungsmittel; allein statt des gewöhnlichen Effects, verursachte dasselbe ein heftiges Erbrechen, welches der Arzt sogleich durch Brechmittel noch mehr beförderte. Aber alle Versuche, auf eine andre Art Öffnung zu verschaffen, waren umsonst, Speise und Arzneyen giengen durch Brechen wieder fort, und nach ein Paar Tagen zeigte sich ein fürchterliches Aufstoßen, welches ganzer vier und zwanzig Stunden so stark anhielt, dass man an seinem Leben verzweifelte. (471) Das Hungern ist eine Reaktion auf die Verstopfung. Da Cook aber schon länger unter Appetitlosigkeit leidet, erscheint das Hungern weniger als wirkliches Hungern als vielmehr als Reaktion darauf, das Gefühl von Hunger komplett eingebüßt zu haben. Dass dann aber die Nahrung, die Cook dennoch zu sich genommen hat, überhaupt nicht mehr ausgeschieden werden kann, wirkt wie die Zuspitzung der Probleme, unter denen die gesamte Besatzung zu leiden hat: Wie schon gezeigt wurde, bestand die Gefährlichkeit der Nahrungsmittelversorgung darin, dass sie extrem einseitig war und daher das Essen zur Qual machte. Im Fall von Cook stellt sich das Paradox ein, dass er von außen nichts mehr aufnehmen mag, gleichzeitig aber das Außen, das schon in seinem Körper steckt, nicht mehr loswerden kann. Die Außenwelt 26 Anne D. Peiter droht, ihn zu töten, weil keine Öffnung mehr vorhanden ist, die als Ausscheidungsorgan normal funktionieren würde. Seine Krankheit besteht im genauen Gegenteil der Krankheit, die Georg Jackson widerfährt. Dieser gerät dadurch in Gefahr, dass sein Körper «offen» bleibt. Bei James Cook hingegen ist gerade diese Öffnung nicht zu erreichen. Es ist, als habe Cook den Grad seiner Verantwortung umgesetzt in eine Abdichtung gegen die Unzumutbarkeit der Außenwelt - eine Abdichtung durch die insgeheim praktizierte Weigerung, sie seinem Körper einzuverleiben. Gleichzeitig ist aber auch das Gegenteil wahr: James Cook sieht sich verpflichtet, so lange wie möglich nach dem Südkontinent zu suchen, d. h. trotz seines uneingestandenen Widerwillens die Außenwelt (in Form von Eiswasser und von verschimmelter Nahrung) in sich einzulassen. Da er aber vor seiner Besatzung stets behaupten muss, diese Zudringlichkeit der Außenwelt mache ihm nichts aus, beginnt schließlich der Körper seine eigene Sprache zu sprechen. Mitgeteilt wird, dass die Außenwelt durch das hohe Maß an Verschwiegenheit und Selbstdisziplin, die Cook sich selbst auferlegt hatte, zum krankmachenden Übermaß geworden ist. Das im Inneren verschlossene Außen dringt nach draußen, indem die Weigerung, es nach außen dringen zu lassen, qua Krankheit für die anderen plötzlich sichtbar wird. In dem Moment aber, in dem Cook ans Bett gefesselt ist und ganz und gar von der Zuwendung der Anderen abhängig wird, zeichnet sich ab, dass die Suchaktionen nach dem Kontinent abgebrochen und so schnell wie möglich die Inseln erreicht werden müssen, die Georg Forster stets als Orte der «Erfrischung» bezeichnet. Zum Glück zeigt sich bald eine Besserung des Gesundheitszustandes des Kapitäns: Endlich thaten warme Bäder und Magenpflaster von Theriac, was Opiate und Clystiere nicht vermogt hatten. Sie erweichten nemlich den Cörper und hoben allmählig die Verstopfung, nachdem er eine ganze Woche lang in größter Gefahr des Lebens gewesen war. (471) Die Metaphorik der Sprache der Medizin ist eine sprechende. Der Körper «erweicht», die Härte der Disziplin macht dem Eingeständnis Platz, nicht weiter zu können. 5. Weißes Land ist Land Das Neue ist das Vergleichbare Einen ganz besonderen Blick auf die Gefahr, die mit dem Weiß von Eis und Schnee verbunden ist, wirft ein Besatzungsmitglied, dessen Beobachtungen in Forsters Augen ihrerseits besonderer Beobachtung verdienen. Es handelt sich bei diesem Mann nicht um einen Matrosen, der schon von England aus mit 27 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» Cooks Schiff aufgebrochen wäre, sondern um einen jungen Mann aus Tahiti, der sich von Cook die Erlaubnis ausgewirkt hatte, die Europäer auf ihrem Weg Richtung Süden zu begleiten. Sein Name lautete Maheine. Er hatte sein bisheriges Leben in tropischer Wärme verbracht, erfuhr die extreme Kälte der Antarktis also als etwas vollkommen Neues. 11 Am folgenden Morgen war das Thermometer wieder um einen halben Grad gestiegen, und wir liefen mit einem frischen Winde gen Osten, ohne uns an das dicke Schneegestöber zu kehren, bey dem man oft kaum zehn Schritte weit vor dem Schiff hinsehen konnte. Unser Freund Maheine hatte schon an den vorhergehenden Tagen über die Schnee- und Hagelschauer große Verwundrung bezeigt, denn diese Witterungsarten sind in seinem Vaterlande gänzlich unbekannt. «Weiße Steine» die ihm in der Hand schmolzen, waren Wunder in seinen Augen, und ob wir uns gleich bemüheten, ihm begreiflich zu machen, dass sie durch Kälte hervorgebracht würden, so glaube ich doch, dass seine Begriffe davon immer sehr dunkel geblieben seyn mögen. (457) Die Anwesenheit Maheines verändert den Blick der Europäer auf den Schnee. Während bei der ersten Suche nach dem vermuteten Kontinent vor allen Dingen die Unvergleichlichkeit der Kälte im Vordergrund stand, geraten durch die Verwunderung Maheines die Parallelen zwischen europäischem und arktischem Winter ins Blickfeld. Es wird mit einem Male deutlich, dass man, anders als dieser, weiß, was Schnee und Hagel sind. Das Wissen zeigt sich darin, dass Begriffe zu ihrer Benennung zur Verfügung stehen. Maheine ist hingegen noch damit befasst, Begriffe für Dinge zu bilden, die es in seiner Heimat nicht gibt. Diese Begriffsbildung wird dadurch erschwert, dass er nicht die gleiche Sprache wie die übrige Schiffsbesatzung spricht. Bei seinem Versuch, Informationen über Schnee und Hagel einzuholen, ist er also in mehrfacher Hinsicht auf Übersetzungen angewiesen. Erstens muss er die neu gemachten Erfahrungen zurückübersetzen in die Begrifflichkeit dessen, was ihm vertraut ist; zweitens muss er für die englischen Erklärungen tahitische Entsprechungen finden; und drittens und letztens muss er die Worte, die er dem Neuen beilegt, zugleich den Anderen so weit verständlich machen, dass diese überprüfen können, ob sie dem Englischen (und den mit den Worten vermachten Konzepten) angemessen sind oder nicht. Georg Forster tut dann einen letzten Schritt, indem er die englische Übertragung aus dem Tahitischen verdeutscht. Die Leserschaft erfährt, dass Schnee und Hagel für Maheine «weiße Steine» sind. Dieser Begriff aber wird von Forster als naiv dargestellt. Die Konsistenz und Leichtigkeit von Schneeflocken lässt die Idee, es handle sich um Steine, nicht zu. Was jedoch aus dem Blick gerät, ist der Umstand, dass Hagel sehr 28 Anne D. Peiter wohl von einer Härte ist, die der von Steinen gleichkommt. Das Problem der Kommunikation zwischen Forster und Maheine besteht also darin, dass für Maheine offenbar die Veränderung des Aggregatzustands von Wasser im Vordergrund steht. Das Erstaunliche, dass Hartes weich wird, wird ergänzt durch Hinweise auf die Farbe von Schnee und Hagel. Der Eindruck von Weiße, der in der Arktis vorherrscht, führt zur festen Bindung des Adjektivs «weiß» an das Substantiv «Stein». Und damit stellt sich die Frage, ob nicht gerade Maheine, für den die Anschlussfähigkeit von Schnee und Eis doch aufgrund seiner bisherigen lebensweltlichen Erfahrungen geringer als für die Europäer ist, die Vergleichbarkeit von Dingen privilegiert. Immerhin impliziert er mit der Wahl der Bezeichnung «weißes Land», dass es sich bei der Außenwelt, die sich seinem Blick darbietet, um Land, also um das handelt, was die Europäer die ganze Zeit über gesucht hatten. Die Europäer definieren Land, ähnlich wie Steine, Schneeflocken oder Hagelkörner, durch zweierlei: Erstens durch ihre Konsistenz - Land ist etwas Hartes - , zweitens durch die Beständigkeit dieser Konsistenz in der Zeit: Land kann nicht etwas sein, was im nächsten Augenblick wegzuschmelzen, d. h. zu Wasser zu werden droht. Maheine hingegen definiert Land offenbar allein durch die Konsistenz, hält den zeitlichen Index nicht für ausschlaggebend. Noch ist das Land kein Wasser, also kann es als Land angesprochen werden. Wichtig ist nicht das «Noch», sondern der Jetztzustand. Stärker als die möglichen Veränderungen dessen, was er Land und die anderen Schnee und Eis nennen, steht für ihn die Farbe im Vordergrund. Für die Europäer ist diese wiederum eine bloße Akzidenz. Denn die Farbe kann sich, sobald Schnee und Eis in andere Aggregatzustände übergehen, erneut ändern, ja sogar komplett verschwinden. Maheine beharrt indes auf dem Weiß: Das heutige dicke Schneegestöber setzte ihn in noch größere Verwundrung, und nachdem er auf seine Art die Schneeflocken lange genug betrachtet, sagte er endlich, er wolle es, bey seiner Zurückkunft nach Tahiti, weißen Regen nennen. (457 - 58) Das Neue ist das Mitteilbare Hier taucht der zeitliche Index plötzlich auch bei Maheine auf. Dieser Index bezieht sich jedoch nicht auf die Phänomene, die er beobachtet, sondern auf den Austausch mit den Menschen seiner Heimat, denen er von seinen Beobachtungen wird erzählen müssen. Während die Europäer die Veränderungen vorherzusagen versuchen, die einen Stoff in einen anderen verwandeln, antizipiert Maheine die Schwierigkeit, seine verwandelte Begriffswelt den Anderen verständlich zu machen. Beide Gruppen, die Europäer wie Maheine, haben ihre Gründe, wenn sie ihre Aufmerksamkeit 29 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» bestimmten Aspekten der Wirklichkeit zuwenden. Für die Europäer ist beispielsweise die Frage, ob Wasser, das aus Eis gewonnen wurde, einen hinreichenden Sauerstoffgehalt hat, bedeutender als die Frage nach der Farbe. Für Maheine geht es hingegen darum, Worte zu finden und diese Worte in vorstellbare Bilder für sein Volk umzusetzen. Er freut sich daher über Dinge, die umgekehrt für die Europäer im höchsten Grade unerfreulich sind: Das erste Stück Eis, welches uns aufsties, hatte er nicht zu sehen bekommen, weil es am frühen Morgen vorbey trieb, da er noch schlief. Desto größer war sein Erstaunen, als er zwey Tage nachher, ohngefähr unterm 65sten Grade südlicher Breite, ein ungeheures Stück Eis erblickte. Am folgenden Tage stießen wir auf ein großes Eisfeld, das unserm Weiterseegeln gen Süden ein Ende, ihm aber viel Freude machte, weil ers für Land hielt. (458) Während das Eisfeld für die Europäer die Suche nach Land erschwert, ist das Eisfeld für Maheine ein Land, das er nicht gesucht, aber gefunden hat. Während die Europäer eine klare Vorstellung von dem haben, was es zu entdecken gilt, entdeckt Maheine, wie viele Dinge es gibt, die er sich zuvor nicht hatte vorstellen können. Die Klarheit der Erwartungen der Europäer kontrastiert also mit den Überraschungen, die Maheine ein ums andere Mal erlebt. Die Aushandlungen zwischen Maheine und der Schiffsbesatzung, was das Gesehene zu bedeuten habe, stellen sich mehr und mehr als Versuch heraus, die jeweils andere Seite von den eigenen Ideen zu überzeugen. So entspinnt sich eine Diskussion über Maheines Position, der im Eisfeld Land erblickt zu haben behauptet: Wir erzählten ihm, es sey nichts weniger als das, sondern es bestehe bloß aus erhärtetem süßen Wasser: Allein, da war an keine Überzeugung zu denken, bis wir ihn auf dem Verdeck an das offne Wasserfass brachten, und ihm augenscheinlich zeigten, wie sich das Eis dort nach und nach ansetzte. Dennoch blieb er dabey, dass ers auf allen Fall, und, um es von anderm Lande zu unterscheiden, weißes Land nennen werde. (458) Die Europäer versuchen, Maheine davon zu überzeugen, dass Wandlungsprozesse in beide Richtungen erfolgen: Eis kann Wasser werden, so wie Wasser Eis. Der Augenschein soll ihn von der Richtigkeit der Erklärung der Europäer überzeugen. Der Mikrokosmos des Wasserfasses dient zur Exemplifizierung dessen, was im Großen vor sich geht. Maheine hingegen erkennt das Wasserfass als Eisfeld nicht an. Jetzt ist er es plötzlich, dem es um Unterscheidungen geht, und nicht mehr die Europäer. Für ihn ist «weißes Land» klar vom adjektivlosen Konzept «Land» unterschieden. In dieser Hinsicht kommt er mit den Europäern aber in gewisser Weise wieder überein: Auch für diese ist ja das, was Maheine das «weiße Land» nennt, kein Land. Auch sie treten ein für Unterscheidungen. In anderer Hinsicht aber miss- 30 Anne D. Peiter glückt die Verständigung. Das liegt daran, dass über die Relevanz bestimmter Fragestellungen keine Einigkeit erzielt werden kann. Während die Europäer auf den verschiedenen Aggregatzuständen des Wassers und damit auf der Übersetzbarkeit zwischen Wasserfass und Eisfeld beharren, ist Maheine an dieser Übersetzungsfrage nicht interessiert. Er steht offenbar in Auseinandersetzung mit dem Umstand, als Einzelner und noch dazu Fremder auf dem Schiff stets in der Minderheit zu sein. Dass seine eigenen Leute in seiner Argumentation so häufig auftauchen, hat auch damit zu tun, dass die Europäer ihm stets mit einem «Wir», d. h. als geschlossene Einheit, mit bestimmten Erklärungsangeboten entgegentreten. Indem Maheine die Unmöglichkeit betont, nach seiner Rückkehr seine Familie und Freunde von dem Gesehenen zu überzeugen, macht er deutlich, dass es auch jetzt weniger darum geht, ihn selbst von bestimmten wissenschaftlichen Erklärungen zu überzeugen, als vielmehr darum, Beschreibungsmuster zu finden, mit denen sich später die Menschen auf Tahiti werden überzeugen lassen. Maheine ist also nicht nur jemand, der für sich beobachtet, sondern auch einer, der eine Stellvertreterrolle inne hat. Sein Auge ist zugleich auch das Auge der anderen, die nicht die Gelegenheit hatten, mitzureisen. So wie Cook mit seiner Verantwortung für die Besatzung ringt, ringt Maheine mit den Erwartungen, die an ihn als Zeuge einer Reise gestellt werden, die den Anderen stets vorenthalten bleiben wird. 12 Letztlich aber besteht er auf dem, was er gesehen hat: Die Leere ist nicht leer. Weißes Land ist Land. Anmerkungen 1 Damit wurde Abschied genommen von Konzeptionen des Mittelalters, denen zufolge der Südpol aufgrund des Ratschlusses Gottes dem menschlichen Blick entzogen sei. Vgl. Richter 171 - 72. 2 «Die geheimen Instruktionen der Admiralität, an deren Abfassung Cook selbst maßgeblich beteiligt war, schickten ihn auf die Suche nach der Terra Australis Incognita, dem Jahrhunderte lang vermuteten südlichen Kontinent, der hier mit erwartungsvoller Phantasie als bevölkertes Land mit Häfen, Flüssen, Bodenschätzen, nutzbaren Pflanzen und Tieren ausgemalt wird» (Uhlig 53. Vgl. dazu auch Cook II clxvii - clxx). 3 Carl Schmitt zelebriert in seinem 1942 erschienenen Buch Land und Meer etwas, was er «planetarische Raumrevolution» (54) nennt. Er meint damit die Überwindung einer «jahrhundertelange[n] Raumverdunkelung» und der «Verlandung des europäischen Mittelalters» (61). Entscheidend sei der «Weltkampf zwischen Katholizismus und Protestantismus». Diesen «Weltkampf» verstehe man erst, «wenn wir auch auf die damals beginnende Trennung der Welt des freien Meeres von der Welt des festen Landes achten» (79). Grossbritannien habe hier die entscheidende Rolle gespielt: «Das Land 31 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» gehört jetzt einem Dutzend souveräner Staaten, das Meer gehört niemand oder allen oder in Wirklichkeit schliesslich nur einem: England» (86). «Eine kleine Insel am nordwestlichen Rande Europas war zum Mittelpunkt eines Weltreiches geworden, indem sie sich vom festen Lande abwandte und für die See entschied» (89). Dieser «Entlandung» (94), die Schmitt als elementares Ereignis und Durchsetzung des Rechts des Stärkeren feiert, kann man das konkrete Verhalten der Equipage Cooks entgegenhalten: Die Fixierung auf das Land war sehr gross, die Bereitschaft, die Leere von Meer und Eis auszuhalten, keineswegs so ausgeprägt, dass man daraus die Berechtigung zu kolonialer Herrschaft und Inbesitznahme der Welt ableiten könnte. Schmitts Blickwinkel ist zudem einer, der auf die Durchsetzung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg hofft. Das macht sein Eintreten für die «Entlandung» - zu der er implizit auch Deutschland auffordert - nur umso unheimlicher. Das Unvermögen Cooks und seiner Besatzung, die alleinige Präsenz von Wasser auszuhalten, macht deutlich, dass Schmitt mit seinen Thesen einer Mystifizierung der Raumbeherrschung zuarbeitet, die vor dem Hintergrund postkolonialer Ansätze Kritik verdient. 4 Noch heute stellt die Antarktis einen Sonderfall dar. Das Antarctic Treaty System, das 1961 in Kraft trat, «sieht vor, dass der antarktische Kontinent jenseits des 60. Breitengrades ein internationales Territorium sei, in dem keine nationalen Souveränitätsansprüche gelten. [. . .] Damit wäre die uralte Idee von einem Wunderland im Süden doch nicht ganz verschwunden» (Richter 179). 5 Einen Augenblick soll jedoch noch einmal, und zwar bevor die zweite Fahrt in den Blick rückt, an die erste Fahrt Richtung Süden erinnert werden. Schon hier hatte sich der Blick über den Schiffsrand hinaus als eine Suche nach dem Neuem dargestellt. Einige Sturmvögel, die in die Nähe des Schiffes kamen, zogen zeitweise die Aufmerksamkeit der Besatzung auf sich: «Es war uns angenehm Gegenstände zu finden, die zu solchen kleinen Betrachtungen Anlaß gaben. Bey der traurigen Einförmigkeit, in welcher wir sehr lange unangenehme Stunden, Tage und Monathe in diesem öden Theil der Welt zubringen mussten, dienten sie uns wenigstens dann und wann zu einer kleinen Abwechslung. Fast immer in dicke Nebel eingehüllt; Regen, Hagel und Schnee, die um die Wette mit einander abwechselten; der Mitte des Sommer ohngeachtet eine bis zum Gefrier-Punct des Thermometers kalte Luft; rund um uns her unzählbare Eis- Inseln, gegen welche wir stets Gefahr liefen zu scheitern; unsre tägliche Kost nichts als Eingesalzenes, wodurch neben Frost und Nässe unser ganzes Blut in Unordnung gerieth . . . Dies zusammengenommen, waren Unannehmlichkeiten, die uns allen den sehnlichen Wunsch abnöthigten, dass wir endlich in eine bessere Lage und mildere Himmelsgegenden kommen mögten» (Forster 121). Und diese «mildere[n] Himmelsgegenden» standen denn auch auf dem Programm, wenn auch allein mit dem Ziel, in ihnen Erholung zu finden für einen erneuten Aufbruch in den «öden Theil der Welt». 6 Man denke etwa an Robert Falcon Scotts Beschreibung: «Die Luft ist voll von jener seltsamen kalten Feuchtigkeit, die binnen weniger Augenblicke das Mark in den Knochen erstarren lässt. Wir sind wieder etwas abwärts gezogen, wie mir scheint; aber vor uns geht es offenbar von neuem bergan. Sonst ist hier nichts zu sehen - nichts, was sich von der schauerlichen Eintönigkeit der letzten Tage unterschiede. Großer Gott! Und an diesen entsetzlichen Ort haben wir uns mühsam hergeschleppt und erhalten als Lohn nicht einmal das Bewusstsein, die ersten gewesen zu sein» (Scott 258. Zitiert nach Richter 172). Stefan Zweig entwirft im Blick auf Scotts Tagebücher das Bild eines «völlig traumlosen Menschen», eines «Fanatiker[s] der Sachlichkeit», «ohne Muskelspiel, gleichsam hart gefroren von verinnerlichter Energie» (218). Diese Energie 32 Anne D. Peiter aber ändert nichts an der Tatsache, dass alles beängstigend geworden sei, weil in der «endlose[n], eisig-eiserne[n] Wüste» (232) «die Werte so furchtbar sich verwandeln» (224). Die «Stahlfeder des Willens» sei gelockert gewesen nach der Entdeckung, nicht als erster den Pol erreicht zu haben (229). 7 In der Sekundärliteratur findet man jedoch den Hinweis, die Gleichheit aller sei schließlich doch nicht ohne Ausnahme geblieben: «Den Offizieren und Wissenschaftlern war es gestattet, täglich ein Quart Wasser (1,136 l) zusätzlich zur Bereitung von Tee zu verwenden» (Katalog 131). 8 Vgl. Stephan. 9 Der Afroamerikaner Matthew Henson, der zusammen mit Robert E. Peary den Nordpol erreichte, reflektiert die Frage der Farbe des Eises. Er betont weniger seine Weiße, als vielmehr seine Buntheit: «The south sides of the lofty peaks have for days reflected the glory of the coming sun, and it does not require an artist to enjoy the unexampled splendor of the view. The snows covering the peaks show all of the colors, variations, and tones of the artist ’ s palette, and more. Artists have gone with us into the Arctic and I have heard them rave over the wonderful beauties of the scene, and I have seen them at work trying to reproduce some of it, with good results but with nothing like the effect of the original. As Mr. Stokes said, ‹ it is color run riot › » (Henson 48). In Hinblick auf Hensons eigene «Farbigkeit» und die Worte, die Peary in seinem Vorwort zu Hensons Buch schreibt, ist die Wiedergabe dieses letzten Satzes - «it is color run riot» - von einigem Interesse: «Henson, son of the tropics, has proven through years, his ability to stand tropical, temperate, and the fiercest stress of frigid, climate and exposure [. . .]» (Peary XXVIII). 10 Der Schiffszimmermeister der Resolution hieß J. Wallis. Er hatte drei Gehilfen: P. Reynolds, G. Jackson und H. Smock. Außerdem standen vier Zimmerleute zur Verfügung. Der Segelmacher R. Rollett hatte sogar nur einen einzigen Gehilfen: Th. Snowden. So auch der Schmied M. Brown. Sein Gehilfe hieß W. Drew. (Katalog 110) 11 Eine gewisse Parallele könnte man in dem oben schon erwähnten Afroamerikaner Matthew Henson sehen, der nach zahlreichen Expeditionen mit Peary an der Erreichung des Nordpols beteiligt war. Von ihm schreibt Peary im direkten Fortlauf seines Vorworts zu Hensons Autobiographie: «[. . .] while on the other hand, it is well known that the inhabitants of the highest north, tough and hardy as they are to the rigors of their own climate, succumb very quickly to the vagaries of even a temperate climate» (Peary XXVIII). Das Interesse für die Fähigkeit von «Tropenmenschen», sich an ein kaltes Klima anzupassen, reicht also bis ins 20. Jahrhundert hinein. 12 Die Langeweile setzt aber auch ihm zu: «Die Langweiligkeit unsrer jetzigen Fahrt mogte ihn vielleicht begierig nach dem Ende machen; und die eingesalzenen Speisen nebst dem kalten Wetter trugen wohl ebenfalls das ihrige dazu bey, ihm das Reisen nach gerade zu verleiden. Seine gewöhnliche Beschäfftigung bestand in Abtrennung der rothen Federn von den Tanz-Schürzen, die er zu Tongatabu gekauft hatte. Er band acht oder zehn Stück derselben, vermittelst einiger Coco-Nussfasern, in kleinen Büschchen zusammen. Die übrige Zeit brachte er mit Spatzierengehen auf dem Verdeck zu, oder er besuchte die Officiers, oder er wärmte sich beym Feuer in des Captains Cajütte. Bey müßigen Stunden machten wir uns seine Gesellschaft zu Nutze, um in der tahitischen Sprache weiter zu kommen: Unter andern giengen wir das ganze Wörterbuch mit ihm durch, welches wir auf den Societäts-Inseln zusammengetragen hatten. Auf diese Art erlangten wir von seiner und den benachbarten Inseln manche neue Kenntniß, mit deren Hülfe wir bey unsrer Rückkehr wegen verschiedener Umstände, genauere und 33 «Die Fahrt gegen Süden war ein . . . langweiliges Einerley» richtigere Nachfrage halten konnten, als zuvor» (Forster 458 - 59). Zur Bedeutung der roten Federn vgl. Peiter. Bibliographie Cook, James. The Journals. London: Penguin, 2003. Forster, Georg. Reise um die Welt. Frankfurt a. M.: Insel Verlag, 2004. Forster, Johann Reinhold. Observations Made During a Voyage Round the World. Honolulu: U of Hawaii P, 1996. Georg Forster. Südseeforscher, Aufklärer, Revolutionär. Hg. vom Dezernat für Kultur und Freizeit der Stadt Frankfurt am Main. Frankfurt a. M.: Druckerei Henrich, 1976. (Zitiert als: Katalog) Henson, Matthew. A Negro Explorer at the North Pole. Montpelier: Invisible Cities Press, 2001. Lütkehaus, Ludger. Nichts. Abschied vom Sein, Ende der Angst. Frankfurt a. M.: Haffmans Verlag, 2010. Peary, Robert E. Foreword. A Negro Explorer at the North Pole. By Matthew Henson. Montpelier: Invisible Cities Press, 2001. xxvii - xxix. Peiter, Anne D. «Fremde Federn. Zur Bedeutung der Farbe Rot für die Handelsbeziehungen zwischen Europäern und Tahitianern in Georg Forsters ‹ Reise um die Welt › .» Die Farben imaginierter Welten: Beiträge zu Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Moderne. Hg. Monika Schausten. Berlin: Akademie Verlag, 2012. Richter, Dieter. Der Süden. Geschichte einer Himmelsrichtung. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 2009. Schmitt, Carl. Land und Meer. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag, 2011. Scott, Robert Falcon. Letzte Fahrt. Kapitän Scotts Tagebuch. Tragödie am Südpol 1910 - 1912. Stuttgart: Edition Erdmann, 1992. Stephan, Inge. «Weiß in polaren Diskursen der Moderne. Überlegungen zu Caspar David Friedrichs Eismeer (1823/ 24), Alfred Anderschs Hohe Breitengrade (1969) und Gerhard Richters Eis (1981).» Die Farben imaginierter Welten: Beiträge zu Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Moderne. Hg. Monika Schausten. Berlin: Akademie Verlag, 2012. Uhlig, Ludwig. Georg Forster. Lebensabenteuer eines gelehrten Weltbürgers. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004. Zweig, Stefan. «Der Kampf um den Südpol. Kapitän Scott, 90. Breitengrad. 16. Januar 1912.» Ders. Sternstunden der Menschheit. Frankfurt a. M.: Fischer-Taschenbuchverlag, 1998. 216 - 36. Anne D. Peiter 34 2 - . 55 270 «Ich hatte dieses Ding nie so gesehen wie heute.» Zur Verunsicherung der Wahrnehmung in Adalbert Stifters «Eisgeschichte» KATHRIN MAURER U NIVERSITY O F S OUTHERN D ENMARK Zahlreiche Texte des österreichischen Schriftstellers Adalbert Stifter enthalten Eis- und Schneelandschaften wie z. B. die Schilderung der von einem Schneefall überraschten Kinder in der Erzählung «Bergkristall» (1845/ 53) oder die beklemmende Beschreibung eines heftigen Schneesturms in der Erzählung «Aus dem bairischen Walde» (1867). Als Stifters berühmtester Text über Eis und Schnee gilt jedoch seine sogenannte «Eisgeschichte,» 1 die Teil der in mehreren Fassungen vorliegenden fiktiven Autobiographie Die Mappe meines Urgroßvaters ist. 2 In der «Eisgeschichte» schildert der in einem böhmischen Dorf lebende Arzt Augustinus das Ereignis eines beeindruckenden meteorologischen Phänomens, nämlich die mehrtägige vollkommene Vereisung der Landschaft während eines schneereichen Winters. Augustinus als Ich-Erzähler beschreibt in seinen Lebensaufzeichnungen, wie das Winterwetter die ihm sonst so vertraute Umgebung in ein undurchdringliches Weiß hüllt und er damit an seinen täglichen Patientenbesuchen gehindert wird. Er versucht sich in der entstellten Umgebung zu orientieren, doch seine Augen scheinen ihm keinen zuverlässigen Dienst mehr zu leisten. Immer wieder muss er das Gesehene neu interpretieren und verarbeiten. Diese durch Eis und Schnee hervorgerufenen Sehstörungen möchte ich zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen zu Stifters «Eisgeschichte» machen. Im Folgenden werde ich darlegen, wie Stifters Beschreibung der Eislandschaften und die damit verbundene Störung der Wahrnehmung die wirklichkeitsschaffende und konstruktive Konstitution des menschlichen Sehens reflektiert. Diese spezielle Sichtweise des Eises in Stifters Text soll in Verbindung mit Hermann von Helmholtz ’ Theorien der visuellen Wahrnehmung gebracht und als eine gegen abbildtheoretische Modelle der Wirklichkeitsrepräsentation gerichtete ästhetische Reflexion gelesen werden. Neuere Forschungsansätze haben auf die diskursive Verbindung zwischen Stifters Texten und denen des Naturwissenschaftlers Helmholtz aufmerksam gemacht, indem sie auf die gemeinsamen Aspekte einer abbildtheoretischen Wahrnehmungskritik sowie einer Theorie über die Naturgesetze hingewiesen haben. 3 Augustinus beschreibt in der «Eisgeschichte» die Auswirkungen des extremen Winterwetters. Der Schnee fällt ohne Unterlass: «Einmal waren wir vier Wochen in ein fortdauerndes graues Gestöber eingehüllt, das oft Wind hatte, oft ein ruhiges dichtes Niederschütten von Floken war» (294). Die Dorfbewohner schützen sich durch warme Kleidung, entsprechende Nahrung und das Abdichten ihrer Wohnräume gegen die Gefahren der Kälte. Nach den Schneefällen beginnt ein lang anhaltender Eisregen, der zu einer totalen Vereisung und Vergletscherung der Landschaft führt: «[. . .] der Regen floß fein und dicht hernieder, aber nicht in der Gestalt von Eiskörnern, wie im Winter oft, sondern als reines fließendes Wasser, das erst an der Oberfläche der Erde gefror, und die Dinge mit einem Schmelze überzog» (297). Der Wald, die Wege, die Bäume und die Gegenstände des Alltags sehen durch den Eisüberzug ungewohnt und fremd aus. Die Vereisung hat die Dinge dermaßen deformiert, dass Augustinus Schwierigkeiten hat, sich in seiner gewohnten Umgebung zurechtzufinden. Auf dem Weg zu seinen Patienten in Eidun und anderen Dörfern muss er im Wald bei Thaugrund mit seinem Knecht Thomas umkehren, da der Wald zu vereist und verschneit ist. Nachdem sie ihr Fuhrwerk bei einem Nachbarhof versorgt haben, kommen sie nur auf Umwegen nach Hause. Augustinus hat Mühe, sein Haus in dem «fahlen Glanz» (309) der vereisten Umgebung überhaupt noch zu erkennen. In der Forschung sind die Eislandschaften in Stifters «Eisgeschichte» häufig in einen autobiographischen Zusammenhang gestellt worden, der auf Stifters zunehmende Vereinsamung und Krankheit anspielt. 4 Auch der Aspekt der Identitätssuche und deren Verarbeitung im Genre der Autobiographie stellt einen wichtigen Deutungsansatz dar. 5 Neben diesen Lesarten gibt es eine ganze Reihe von sprachtheoretischen Interpretationen, die in Stifters Beschreibung des Eises eine Allegorie auf die Beschaffenheit und die Funktionsweise der literarischen Rede sehen. Zu einem der prominentesten Vertreter dieser Lesart gehört Martin Heidegger, der in seinem Aufsatz «Adalbert Stifters Eisgeschichte» in der Vereisung der Landschaft das Wesen der dichterischen Sprache versinnbildlicht sieht. Stifters Schilderung der vereisten Welt deute auf den zeigenden Gestus der Sprache, der weder metaphysisch-diskursiv noch intersubjektiv konfiguriert sei, sondern die welteröffnende und wahrheitskonstituierende Dimension der poetischen Sprache aufzeige. Diese Omnipräsenz des Deiktischen, die laut Heidegger in Stifters Text vorliegt, erklärt wohl auch die sechsseitige wortwörtliche Übernahme einer Stifterpassage, die Heideggers Aufsatz zu gut zwei Dritteln dominiert. Sprachtheoretische Forschungsarbeiten haben diesen selbstrefe- 36 Kathrin Maurer rentiellen Gestus der Sprache Stifters weiter entfaltet. In enger Auseinandersetzung mit Martin Heideggers und Walter Benjamins Sprachtheorie erörtert Eva Geulen die Verselbständigung der sprachlichen Bedeutung in Stifters Text. 6 Ihrer Meinung nach entwickelt Stifters Sprache keine außertextuelle Referenz, sondern beschreibt, indem sie die buchstäbliche und metaphorische Bedeutungsebene nivelliert, eine innertextuelle und innersprachliche Wirklichkeit - ein Zusammenhang, den Geulen mit Stifters eigener Wortschöpfung der «Worthörigkeit» zum Ausdruck bringt. 7 Die Figur des Eises steht in diesen sprachphilosophischen Deutungen somit auch für die Prozesse der literarischen Verschriftlichung. Die Dynamik zwischen den verschiedenen Aggregatzuständen des Flüssigen und Festen symbolisiert die Entwicklung der mündlichen Mitteilung zur literarischen Schriftkultur und kennzeichnet die Erstarrung des Lebendigen im kalten Wort. 8 In diesen sprachtheoretischen Auslegungsvarianten fungiert das Bild der Vereisung als eine Allegorie auf die poetische Selbstreferenzialität. So innovativ diese Lesarten auch sind, übersehen sie jedoch, dass die Figur der Vereisung nicht nur als Sinnbild für die Literarizität von Stifters Texten zu verstehen ist, sondern auch die Beschaffenheit visueller Wahrnehmung und deren poetologischer Fixierung aufzeigt. Stifter war ein Augenmensch, wie u. a. seine leidenschaftliche Betätigung als Landschaftsmaler belegt. Stifter malte sein Leben lang und fühlte sich zur bildenden Kunst weitaus mehr berufen als zur Schriftstellerei. 9 Auch seine Texte reflektieren seine Begeisterung für das Sehen, indem sie oft zum Hinschauen auffordern und der Blick, das Bild und das Auge zentrale Motive sind. Die «Eisgeschichte» bildet da keine Ausnahme. Die vereiste und somit äußerlich veränderte Landschaft fordert die visuelle Wahrnehmung des Erzählers geradezu heraus. Er muss seine Umgebung immer wieder genau anschauen, um sie erkennen und deuten zu können. Augustinus sieht oft in den Schnee, der die Welt mit einem undurchdringlichen Weiß bedeckt hat; er blickt in den Winterhimmel und schaut auf das schillernde glänzende Eis: Die blauen mitunter bleifarbenen Wolkenballen waren nicht mehr an dem Himmel, der dafür in einem stillen Grau unbeweglich stand, welches Grau an allen Stellen dasselbe war, und gegen das Dunkel von Bäumen konnte ich erkennen, daß ein feiner dichter Regen nieder falle. Als ich aber auf die Gegenstände des Bodens blikte, sah ich auf ihnen ein schilleriges Glänzen, das nicht die Farbe des Schnees war, in welchen Regen eingesickert, sondern das blasse Glänzen eines Überzuges, der über Schneeflächen und Schneehügel gelegt war. (297) Augustinus ’ Beschreibungen seines eigenen Sehens vermitteln eine physiologische Dimension, indem vor allem die Farbreize, die von der veränderten Umgebung und den ungewöhnlichen Lichtverhältnissen ausgehen, hervor- 37 «Ich hatte dieses Ding nie so gesehen wie heute» gehoben werden. Augustinus ’ Augen reagieren auf den physischen Stimulus des Lichts, der seine Wahrnehmung der Außenwelt beeinflusst. Der Erzähler schildert seine subjektiven visuellen Eindrücke wie z. B. die verschiedenen Farbschattierungen des Waldes (meist blaue, weiße und graue Töne in gradueller Abstufung), den Verlust von scharfen Kontrasten und das Blenden des weißen Schnees. Die wandhafte, dunkle Erscheinung des Waldes wird zu einer Projektionsfläche, auf der Augustinus den Regen erkennen kann, und der vereiste Boden verändert die Farbe des weißen Schnees in ein blasses Glänzen. Der Text spiegelt ein Sensorium von visuellen Sinneseindrücken wider. Augustinus scheint jedoch seinen Augen nicht mehr trauen zu können, denn seine Wahrnehmung befindet sich im Modus der permanenten Sinnestäuschung: «Aber es war eine Täuschung gewesen» (308). Sein Blick versucht ständig, eine sich ihm entzogene Wirklichkeit neu zu erschließen: «[. . .] als ich des Morgens die Augen öffnete, und es nach und nach lichter wurde, war alles ganz anders, als ich erwartet hatte» (297). Die Vereisung hat den Boden der vertrauten Welt verdeckt, das Weiß der Landschaft wird zu einem Projektionsfeld für neue Sehmöglichkeiten. Für Augustinus erscheint ein vereister umzäunter Obstgarten: «An mehreren Planken waren die Zwischenräume verquollen, als wäre das Ganze in eine Menge eines zähen Stoffes eingehüllt worden, der dann erstarrte. Mancher Busch sah aus wie viele ineinander gewundene Kerzen oder wie lichte wässerig glänzende Korallen» (301). Das Eis lässt die Oberfläche des Zaunes wie verpackt erscheinen, und die Büsche suggerieren eine glitzernde Unterwasserwelt. Augustinus reagiert auf die Vereisung, indem er das Gesehene mit neuen Formen vergleicht. Seine mit Eis behangene Regenkappe nimmt er wie eine «Kriegshaube» (299) vom Kopf, die vom Eis gebeugten Bäume erscheinen als «Leuchter» (304), der Berg liegt wie eine «ungeheure gläserne Spiegelwalze» (308) da und «wie tausend bleiche Perlen» (299) hängen die gefrorenen Regentropfen in den Mähnen der Pferde. Augustinus benutzt immer wieder die modale Konstruktion des «als-ob» und konstruiert dadurch hypothetische Vergleichssätze, die seine Wahrnehmung in den Modus des Irrealis setzen. Die Dinge erscheinen nicht mehr als die ihm bekannten, sondern er muss sich ihre Bedeutung erst neu erschließen. Dabei übersetzt er die erinnerte Bedeutung in neue Zusammenhänge; die verschneiten und vereisten Gegenstände werden zu Zeichen, deren Sinn er erst durch Vergleiche entziffern kann. Die sprachtheoretische Forschung zu Stifters «Eisgeschichte» sieht gerade in diesen Übersetzungsversuchen den Schlüssel, um die Brechung der Referenzfunktion der Sprache zu zeigen und auf die sprachliche Verfasstheit der Wirklichkeit zu verweisen. Doch anstatt einer dekonstruktiven Lektüre geht es mir darum, den wirk- 38 Kathrin Maurer lichkeitsschaffenden und konstruktiven Aspekt des Sehens zu untersuchen, den Stifters Erzählung durch die Figur des Eises betont. Dabei weist, wie im Folgenden gezeigt werden soll, Augustinus ’ Wahrnehmung strukturelle Ähnlichkeiten mit Helmholtz ’ Ausführungen über das menschliche Sehen auf. Als Arzt, Physiologe und Physiker verknüpfte Helmholtz die Wissensbereiche der Biologie, der Neurophysiologie und der Physik. Seine Betrachtungen über das menschliche Sehen stellen die multidisziplinäre Dimension seines Schaffens besonders dar, da sie die Aspekte der mechanistischen Optik mit organologischen Theoremen über die menschliche Wahrnehmung verbinden. Helmholtz ’ Überlegungen zur Beschaffenheit, Funktionsweise und Leistung des Sehens sollen in meinem Beitrag zu einer neuen Lesart von Stifters «Eisgeschichte» inspirieren, wobei ich mich auf ein paar ausgewählte Gesichtspunkte beschränken möchte. Helmholtz vergleicht in seiner frühen Schrift «Ueber das Sehen des Menschen» (1855) die Eigenschaften des menschlichen Auges mit denen der Camera obscura. Genau wie diese in der Form eines dunklen Behälters Bilder projizieren kann, weist das menschliche Auge Ähnlichkeiten zum Modell der Lochkamera auf. Das menschliche Auge als ein Kamera-Auge zu sehen war in der Experimentalphysik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts keine Seltenheit. Doch Helmholtz, als einer der Pioniere der organischen Physik, erweitert dieses optische Modell auf entscheidende Weise, indem er eine Brücke zwischen den physikalischen Gegenständen der mechanistischen Optik und ihrer physiologischen Subjektwahrnehmung schlägt. Schon Descartes hat mit dem Modell der Camera obscura auf die Wahrnehmungsweisen des menschlichen Sehens geschlossen. Er experimentierte mit einem von den Außenhäuten befreiten Ochsenauge, dessen Linse er in einen abgedunkelten Raum mit nur einer einzigen punktuellen Lichtquelle hängte. In die Innenseite dieser Linse schob er eine gewölbte Scheibe (z. B. ein Papier oder eine Eierschale), auf der sich wie auf einer Netzhaut die Bilder der Außenwelt projizierten. Dieses Experiment gilt als das Beispiel, welches demonstriert, dass der Mensch die äußere Welt nicht direkt wahrnimmt, sondern innere Bilder betrachtet, die sich in seinem Kopf bilden. Diese Sichtweise wird laut Claus Zittel von Kulturtheoretikern als das «klassische Modell der Wahrnehmung für die Neuzeit» (290) gesehen, da es sich gegen einen strikten Abbildungsrealismus wendet. 10 Entsprechen diese inneren Bilder nun genau der Außenwelt oder kann man sich nie gewiss sein, was das menschliche Auge eigentlich sieht? Eine schwierige Frage, die bis heute Gegenstand der Hirnforschung ist und die zahlreichen philosophischen Debatten über Wahrnehmung und Kognition dominiert. Für meine Inter- 39 «Ich hatte dieses Ding nie so gesehen wie heute» pretation ist demnach wichtig festzustellen, dass Helmholtz auf der Seite der Skeptiker eines Repräsentalismus einzuordnen ist. Für ihn schließt nämlich das Bild der Linse an die subjektiven Erkenntnisleistungen des Gehirns an, weshalb die Repräsentation der Außenwelt immer schon ein Produkt der Vorstellungskraft darstellt. Das menschliche Gehirn empfängt über die Nervenbahnen physiologische Reize, die von der Umwelt in Form von Licht und Ton ausgesendet und dann vom Gehirn verarbeitet werden. Damit entsteht die Perzeption des Gesichtssinnes aus einer direkten sinnlichen Affizierung: «Insofern die Qualität unserer Empfindung uns von der Eigentümlichkeit der äusseren Einwirkung, durch welche sie erregt ist, eine Nachricht giebt, kann sie als ein Zeichen derselben gelten, nicht aber als Abbild» (Helmholtz, Die Thatsachen in der Wahrnehmung 12). Das Auge empfängt also lediglich Zeichen und Signale der Außenwelt, die vom Gehirn erst zu einer Welt konstruiert werden müssen. Der Mensch sieht insofern keine Abbilder der Welt, sondern zwischen Welt und Wahrnehmung schiebt sich die Interpretationsleistung des Gehirns. Helmholtz bezweifelt damit die Vorstellung, dass das Auge eine objektiv vorhandene Wirklichkeit ablichtet und stellt darüber hinaus die nativistischen, sich auf angeborene Fähigkeiten berufenden Wahrnehmungstheorien in Frage. Die Realität erscheint ihm vielmehr als eine Konstruktion aus verschiedenen Wahrnehmungsreizen, die in Abhängigkeit zu der evolutionären und historischen Entwicklung des wahrnehmenden Subjekts steht. Dieses konstruktive Sehen kann man auch in Stifters «Eisgeschichte» beobachten. Gerade der durch die Vereisung hervorgerufene Entzug des gewöhnlichen Blicks macht die Beschaffenheit des Sehens deutlich. Das ständig wachsende und sich scheinbar unendlich ausdehnende Eis projiziert perzeptive Leerstellen, die von Augustinus ständig neu visualisiert und hermeneutisch erschlossen werden müssen. Augustinus bringt die durch die Vereisung veränderte Umwelt mit einem prägnanten Satz auf den Punkt: «Ich hatte dieses Ding nie so gesehen wie heute» (301). Dieses «Ding» verweist dabei nicht auf einen konkreten Gegenstand, denn obwohl Augustinus die veränderten, nun wie «Korallen» (301) glänzenden Obstbäume schildert, bezieht sich sein Kommentar auf seine gesamte Lebensumwelt, die sich durch das Ereignis des Eisregens verändert hat. Augustinus beschreibt seine Umwelt nur noch als ein unbestimmtes Ding: «Wir harreten, und schauten hin, ich weiß nicht, war es Bewunderung oder Furcht, in das Ding hinein zu fahren» (304). Die Wirklichkeit erscheint also nicht als eine objektive und stabile Gegebenheit, in der Augustinus sich ohne Mühe orientieren kann und von der seine Augen verlässliche Abbilder produzieren, sondern als etwas Unbestimmtes und Undeutliches. Durch den Schnee 40 Kathrin Maurer entzieht sich die Welt. Augustinus findet sich nur zurecht, indem er die Realität durch Vergleiche neu auslegt. Dadurch werden die Eisfiguren zu Chiffren, die den Interpretationsprozess zwischen Auge, Subjektivität und Außenwelt markieren. Immer wieder zeigt der Text, wie die Gegenstände in den neuen Licht- und Wetterverhältnissen anders erscheinen und wie Augustinus sie erst allmählich erkennen kann. Das «Geglizzer und Geglänze» (304) der Eislandschaft entzieht dem Betrachter die Möglichkeit einer objektiven Wahrnehmung. Ebenso wie die Figur des Eises in den sprachphilosophischen Ansätzen auf die Literarizität der poetischen Rede verweist, reflektiert sie die Konstruktionsleistung des menschlichen Sehens. Doch kann man deshalb schließen, dass Stifters Text einen radikalen wahrnehmungstheoretischen Konstruktivismus vorgibt? Wird die im literarischen Medium abzubildende Realität zu einer kontingenten und rein subjektiven Konstruktion? Interessant ist, dass sowohl Stifters als auch Helmholtz ’ Werke sich mit dem Konstruktivismus auseinandersetzen und diesen zu relativieren bzw. zu kompensieren versuchen. Bei aller konstruktivistischen Modernität darf man Helmholtz ’ Theorien jedoch nicht dahingehend interpretieren, dass sie die Außenwelt als eine von Subjekt zu Subjekt gänzlich verschiedene Konstruktion festlegen. Obwohl das menschliche Auge lediglich die Zeichen wahrnehmen kann, geht Helmholtz von gegebenen Gesetzen aus, die die Wirklichkeit a priori strukturieren. Wenn also unsere Sinnesempfindungen in ihrer Qualität auch nur Zeichen sind, deren besondere Art ganz von unserer Organisation abhängt, so sind sie doch nicht als leerer Schein zu verwerfen, sondern sie sind eben Zeichen von Etwas, sei es etwas Bestehendem oder Geschehendem, und was das Wichtigste ist, das Gesetz dieses Geschehens können sie uns abbilden. (Die Tatsachen in der Wahrnehmung 13) In Helmholtz ’ Theorie des Sehens ist zwar eine «zeichenhafte Entsprechung an die Stelle der originalen Abbildung getreten» (Frost 298), doch diese Eindrücke sind gerade durch das Gesetzmäßige der Außenwelt bedingt. Die Zeichen, die die Sinne registrieren, können keine Abbilder der Dinge in der Welt liefern, aber sie können die Existenz der Naturgesetze anzeigen. Insofern kann die Wirklichkeit keine reine Konstruktion («leerer Schein») sein, sondern muss eine Gesetzmäßigkeit aufweisen, die vom Menschen wiederum erkannt werden kann. Für Helmholtz bestimmend in diesem Zusammenhang ist das Gesetz der Kausalität, das dem Prinzip von Ursache und Wirkung folgt und dadurch die Außenwelt organisiert und prognostizierbar macht. In Stifters literarischem Werk kann man ebenfalls über die konstruktive Beschaffenheit des Sehens (und der Sprache) Hinweise auf derartige substantielle und allgemeingültige Naturgesetze feststellen. Silke Brodersen hat ein sogenanntes «phänomenologisches Sehen» in Stifters Roman Der Nach- 41 «Ich hatte dieses Ding nie so gesehen wie heute» sommer (1857) und den Begriff des «sanften Gesetz[es]» im Hinblick auf Helmholtz ’ populärwissenschaftliche Schriften erörtert. Doch auch in Stifters «Eisgeschichte» liegt diese Spannung zwischen einem konstruktivem Sehen und der Annahme einer substantiellen Wirklichkeit vor. Bei allen «alsob»-Konstruktionen, die Augustinus angesichts der Schneemassen vollzieht, beruft er sich auch immer wieder auf die Existenz einer naturgegebenen Ordnung. Trotz der Ungeheuerlichkeit der vereisten Landschaft und der damit verbundenen Entstellung der vertrauten Welt kann der Erzähler die Gesetzmäßigkeiten der Natur dennoch berechnen. Er betont nicht nur die sich zyklisch wiederholenden Jahreszeiten - ein Motiv, das sich übrigens durch alle Texte der Mappe meines Urgroßvaters zieht - , sondern kennt auch die meteorologischen, physikalischen und biologischen Regeln der Natur. Er kann beispielsweise vorhersehen, wann die Äste unter der Last des Eises brechen werden: «Ein neuer Baumsturz sei nicht mehr zu befürchten; denn die Bäume tragen das Eis, welches sie noch haben, nunmehr sehr leicht, und es schwindet sichtlich zusammen» (320). Weiterhin betrachtet Augustinus die frisch gebrochenen Zweige und schließt nach genauer Untersuchung der Bruchstelle auf den Zeitpunkt der Vereisung (300). Er weiß auch, dass die Nadelbäume das Eis auf andere Art und Weise tragen als die Hausdächer und zieht daraus den Schluss, dass die Eisschichten auf den Dächern so schnell wie möglich zu entfernen seien (314). Man könnte noch viele Beispiele dieser Ursache-Wirkung-Verknüpfungen geben, von denen Augustinus ’ Beobachtung der Welt geprägt ist. Seine Schlüsse auf bestimmte Naturgesetze bilden einen konstanten Pol in seiner Wahrnehmung, die die durch das Eis veranlassten Orientierungsstörungen auffangen sollen. Augustinus kann sogar vorhersehen, dass der aufkommende Sturm, vor dem sich die Dorfbewohner fürchten, im Gegensatz zu der lang andauernden Windstille die «Erlösung» (317) bringen werde. Die Erlösung steht hier für den Wetterumschwung sowie symbolisch für die Präsenz einer göttlichen Ordnung. Somit bekommen die Naturgesetze bei Stifter eine metaphysischreligiöse Konnotation, 11 die bei Helmholtz nicht zu finden ist. Doch die Parallele zwischen physiologischer Wirklichkeitskonstruktion einerseits und naturgesetzlicher Ordnung andererseits beschreibt einen auffallenden Zusammenhang zwischen den Werken des Naturwissenschaftlers und denen des österreichischen Schriftstellers. Eine Verbindung, die nicht nur die wohlbekannte enge Vernetzung naturwissenschaftlicher und ästhetischer Diskurse im 19. Jahrhundert veranschaulicht, sondern auch Stifters poetologische Funktionalisierung dieser Erkenntnisse zeigt. Auch die Art und Weise, wie die naturgesetzliche Ordnung sich in die Vorstellungswelt des Menschen einprägen soll, ist in Stifters und Helmholtz ’ 42 Kathrin Maurer Texten ähnlich. Für beide Autoren spielt die kognitive Leistung der Erinnerung eine wichtige Rolle, um sich in der Welt wahrnehmungstechnisch zurechtzufinden. Bei Helmholtz besitzt für die Abbildung von Gesetzmäßigkeiten das Gedächtnis eine zentrale Funktion, denn der Mensch eignet sich im Zuge seiner Entwicklung die Wirklichkeit über Erinnerungsleistungen an. Die Orientierung in der Außenwelt wird erlernt und gespeichert. Dadurch kann Helmholtz beispielsweise auch erklären, dass man sich trotz Sinnestäuschungen noch immer in der Umwelt zurechtfinden kann. Erst das Gedächtnis ermöglicht die Feststellung einer Wiederholung von Geschehnissen in der Außenwelt und bildet die Basis für die Schlussfolgerungen, die einen gesetzmäßigen Zusammenhang bestätigen. Ähnlich wie beim kindlichen Spracherwerb erlernt der Mensch die Bedeutungen der Außenwelt über Konventionen, die vom Gedächtnis gespeichert werden. Auch in Stifters «Eisgeschichte» spielt das Erinnern eine wichtige Rolle und ermöglicht eine zentrale Orientierungsleistung in der Wirklichkeit. Augustinus versucht sich in der verschneiten Umgebung zurechtzufinden, indem er die «ursprüngliche» Landschaft in sich aufruft. Die Erinnerung an den Zustand ohne Schnee ist lebenswichtig für seine Fahrten durch den Winterwald. Als er sich einmal nur noch schwer an die Wege erinnern kann, zieht er es vor, seinen Knecht Thomas mitzunehmen: Ich sah das alles ein, was mein Knecht Thomas sagte, und da ich mich auch nicht ganz genau erinnerte, ob überall, wo ich zu gehen vor hatte, keine Bäume ständen, oder ob ich nicht einen viel weiteren Umweg zu machen oder gar wieder zurük zu gehen hätte, wenn ich nicht vordringen könnte, so gestattete ich ihm, daß er mitgehe, damit wir unser zwei wären, und die Sache mit mehr Kräften beherrschten. (307) Zusammen mit Thomas besitzt Augustinus mehr Kräfte. Einerseits sind die Kräfte physisch zu verstehen, da sich die beiden mit vereinten Kräften besser den Gefahren des Eises stellen können. Anderseits kann die Rede von der Kraft in dieser Passage auch als Fähigkeit aufgefasst werden, die Erinnerungsleistungen zu aktivieren und dadurch die Ordnung der Dinge wieder erkennen zu können. Helmholtz verwendet den Begriff der Kraft häufig synonym für den des Gesetzes. Das Gesetzmäßige kann nur dadurch erkannt werden, dass die Erscheinungen in der Welt der Phänomene erinnert und durch Wiederholung induktiv wahrgenommen werden. Auch für Stifter besitzt die Erinnerung eine «metaphänomenale» Kraft, mit der sich der Mensch in seiner persönlichen Lebensumwelt sowie in seiner Geschichte zurechtfinden kann. Die Mappe meines Urgroßvaters ist das Erinnerungsprojekt per se. Durch den Rat des Obristen, seine alltäglichen Lebens- und Arbeitserfahrungen aufzuschreiben, erlangt Augustinus seine seelische Ausgeglichenheit wieder und gewinnt sogar seine verflossene Verlobte Margarita 43 «Ich hatte dieses Ding nie so gesehen wie heute» zurück. Durch das erinnernde Aufschreiben seiner Vergangenheit und damit das schriftliche Verarbeiten seiner Erlebnisse lernt Augustinus, seine eigene Identität zu finden und sich in die Ordnung des Dorfes einzufügen. Das Erinnern beschreibt einen heilsamen und lebensbejahenden Prozess der sozialen und geschichtlichen Integration. Stifters «Eisgeschichte» verarbeitet somit auf ästhetischer Ebene zentrale Aspekte der Helmholtzschen Wahrnehmungs- und Kognitionstheorie und schreibt - bei allen Bemühungen um Realitätstreue - gegen einen strikten Abbildrealismus an. Diesen Sachverhalt kann man auch als eine direkte Auseinandersetzung mit dem Medium der Fotografie deuten, 12 zumal Stifter von den Möglichkeiten der damaligen Fotografie durchaus begeistert war und das Attribut «fotografisch» verwendet, um die Realitätsnähe seiner Texte auszudrücken (Begemann, Die Welt der Zeichen 370). Doch trotz seiner Faszination blieb er der Fotografie gegenüber skeptisch; eine Haltung, die er in einem Brief an seinen Freund und Verleger Gustav Heckenast im Jahr 1857 zum Ausdruck brachte: Im ganzen bin ich den Photographien feind, sie müssen außer Verhältnis sein, weil jede Sammellinse nur treue Bilder gibt, wenn der Gegenstand nicht in der Raumtiefe sondern in einer Ebene ist, die parallel der Linsenbreite ist, und weil jeder Mensch in dem Augenblicke, als er von der Linse gefangen wird, starr sein muss, also nicht er ist, wobei meistens der Mangel an Leben in den Photographieen rührt. («Brief an Gustav Heckenast» 35) Stifter scheint die Mechanik der Fotografie gut zu kennen, da er das Potential der Verzerrung der fotografischen Abbildung treffend erwähnt. Weiterhin weist er auf die Leblosigkeit der Fotografie und das Erstarren der abfotografierten Menschen vor der Kamera hin. Stifter will nicht nur einfach die Wirklichkeit im Sinne einer naturalistischen Ästhetik kopieren, sondern die lebendige Wirklichkeit in der Kunst neu konstituieren. Die Fotografie stellt sich gerade durch ihre Kapazität einer totalen Mimesis als antiästhetisches Medium dar; eine Auffassung, die übrigens von vielen Schriftstellern des deutschsprachigen Realismus geteilt wurde. Stifter war eben vor allem Zeichner und Schriftsteller, und wenn er sich als Augenmensch auf das Sehen spezialisierte, so war dies kein Sehen, das eine Daguerreotypie erfordert: «Ich möchte alle, die ich liebe, in recht lebendigen farbigen Bildern und nicht in toten Photographien als Kunstfreund sehen» («An Gräfin Anna Revertera de Salanda» 50). Die Figur des Eises in Stifters Erzählung steht nun - etwas überraschend - für den Wunsch nach Lebendigkeit in der Kunst. Die Vereisung bei Stifter funktioniert nämlich gerade nicht fotografisch als Erstarrung alles Lebendigen (oder als Verschriftlichung, die das Lebendige in toten Buchstaben 44 Kathrin Maurer einfriert), sondern verkörpert eine eigene Vitalität. Der erstarrte Wald entwickelt sich ja, wie oben gezeigt, zu einem lebendigen sensorischen Raum. Das Sehen in Stifters «Eisgeschichte» ist immer ein lebendiges Sehen; ein visuelles Affiziertsein durch die Farben, die Lichtverhältnisse und die Witterung. Obwohl Augustinus sich in der Eislandschaft zu verirren droht, beginnt er auf eine neue Weise durch das Eis zu sehen und sich die Wirklichkeit dynamisch zu erschließen. Dementsprechend herrscht im Wald auch keine Totenstille, sondern der Eiswald wird zu einem lebendigen Klangraum, in dem es braust, kracht, saust und rauscht. Immer wieder registriert Augustinus die Geräusche der Vereisung: «zartes Klingeln» (299), «zitterndes Brechen» (299), «dröhnende[r] Fall» (304), «Knall» (304), «Geschinner» (304). Das Eis tötet nicht ab, sondern entwickelt durch akustische Signale und Schallwellen eine eigene Lebendigkeit. Die Prozesse des Schmelzens und Gefrierens, die diese Klangkulisse verursachen, bedeuten kein Totfrieren, sondern symbolisieren lebensspendende Energien. Auch das Eis, das Augustinus in seiner Eiskammer zu ärztlichen Zwecken sammelt, hat eine heilende Wirkung. 13 Diese Hinwendung zum Lebendigen deutet auch auf die ideale Denkrichtung von Stifters realistisch-ästhetischem Programm. Begemann verweist in Bezug auf Stifters Real-Idealismus auf seine Nähe zur klassischen Kunstautonomie Goethes (Die Welt der Zeichen 387). So wie Goethe das Lebendige als eine Brücke zwischen Idealität und Realität sieht, versucht auch Stifter die Wirklichkeit im Kunstwerk gleichzeitig zu erschaffen und zu transzendieren. Auch wenn man diesen Real-Idealismus in Stifters eigenen ästhetischen Reflexionen finden kann, ist wichtig festzustellen, dass sie auch immer wieder an ihm scheitern. Wie bei Helmholtz geht es bei Stifter um die Spannung zwischen dem physiologisch-konstruktiven Wahrnehmen und der Annahme von substantiellen Naturgesetzen. Helmholtz versucht diese Spannung mittels erkenntnistheoretischer Argumente aufzulösen, und auch Stifters «Eisgeschichte» strebt dies an. Doch wo der naturwissenschaftliche Text diesen Widerspruch auf argumentativer Ebene harmonisieren kann, zeigen Stifters literarische Texte die Brüche eines solch real-idealistischen Konzepts auf. Wie meiner Argumentation zu entnehmen ist, drohen Augustinus ’ gewohnte Wahrnehmungsweisen sich in der Schnee- und Eislandschaft zu verlieren. Augustinus ’ Augen halten zwar an den wahrnehmungstechnischen Routinen fest, doch sie sind ständig der Gefahr ausgesetzt, dass das Eis und der Schnee diese Erinnerungsspuren vollkommen «ausweißen» und damit unsichtbar machen. Die Naturgesetze werden zwar aufgerufen und als allgemeingültige Sinnhorizonte angegeben, doch der Schock und die Unordnung, die der Eisregen verursacht hat, werden nicht so schnell vergessen 45 «Ich hatte dieses Ding nie so gesehen wie heute» werden. So bemerkt Augustinus, als sich das Ende der Eiszeit bereits andeutet: «Ich werde die Größe und Herrlichkeit der Erscheinung nie vergessen» (327). In diesem Satz treffen sich ein ängstliches Erschauern und eine Faszination für den Ausnahmezustand, den das Ereignis des Eisregens mit sich brachte. Augustinus ’ Wahrnehmung pendelt ständig zwischen den Polen der Instabilität und der Stabilität hin und her und macht dabei die Orientierungsverluste kenntlich, die dann durch das Aufrufen von Naturgesetzen und religiösen Ordnungsschemata zu kompensieren versucht werden. Damit repräsentiert die Figur der Vereisung auch ein typisches «Stifter-Moment», das sich in der Dynamik zwischen dem Auflösen von und dem Beharren auf festen, sinnstiftenden Strukturen dokumentiert. Ein Spannungsfeld, das sich in seinen Texte immer wieder zeigt und sie somit an die Ränder des Übergangs zwischen vormodernen und modernen Weltsichten platziert. Anmerkungen 1 Stifter hat seinen Text nicht eigens so betitelt, doch der Einfachheit halber verweise ich in meiner Analyse auf die «Eisgeschichte». 2 Ich konzentriere mich auf die 4. Fassung (Lesetext). 3 Die Verbindung zwischen Hermann von Helmholtz ’ optischer Theorie und Stifters Realismuskonzeption wird in den Arbeiten von Sabine Frost und Silke Brodersen erörtert. Ich konzentriere mich vor allem auf das Eis als eine Figur, die das menschliche Sehen veranschaulicht und gehe dabei ausschließlich auf Stifters «Eisgeschichte» ein. 4 Siehe in dieser Hinsicht den Aufsatz von Friedbert Aspetsberger. 5 Mit Hinblick auf die Rolle von Identität und Autobiographie siehe den Beitrag von Cornelia Blasberg. 6 Siehe dazu auch die semiotisch orientierte Arbeit von Christian Begemann. 7 Isolde Schiffermüller knüpft eng an Geulens Thesen an und zeigt anhand von dekonstruktiven Lesarten die differentielle Konstitution der «sich-versprechenden» Sprache auf. 8 Frost zeigt jedoch, dass die Opposition zwischen Oralität (Flüssigkeit, Wasser, Regen, Leben) und Literalität (Eis, Vergletscherung, Erstarrung, toter Buchstabe) in der autobiographisch strukturierten Erzählung Die Mappe meines Urgroßvaters, in der sich Augustinus ja durch das Aufschreiben der eigenen Lebenserfahrungen Heilung erhofft, aufgebrochen wird. Die Eismetapher kennzeichnet nicht stringent die erstarrende und leblose Konservierungskraft der Schrift, sondern, wie Frost betont, einen offenen und dynamischen Identitätsfindungsprozess im Medium des autobiographischen Schreibens (125 — 60). 9 Siehe dazu auch Erika Tunners Aufsatz über die Rolle des Sehens bei Stifter. 10 Als Beispiel für diese These nennt Zittel die Arbeit von Jonathan Crary. Zittel hat jedoch diese Sichtweise auf Descartes in Frage gestellt, da sie dennoch eine Form des Repräsentalismus suggeriert, der von Descartes kritisiert wurde (291). 46 Kathrin Maurer 11 Siehe Brodersen (12) und Begemann «Metaphysik und Empirie: Konkurrierende Naturkonzepte im Werk Adalbert Stifters». 12 Zur Rolle der Fotografie im literarischen Realismus des 19. Jahrhunderts siehe Christiane Arndt. 13 Siehe dazu auch Frosts Anmerkungen über die lebensaffirmierende Rolle des autobiographischen Schreibens, die sich in den Prozessen des Schmelzens und Gefrierens ausdrückt (125 — 60). 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Beispielhaft hierfür sind Wilhelm von Humboldts einflussreiche philosophische Abhandlungen Ueber den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organische Natur sowie Ueber männliche und weibliche Form (beide 1795), die im Umfeld der Französischen Revolution entstanden sind und die ins Wanken geratenen Geschlechterverhältnisse neu zu fundieren versuchten (vgl. Stephan, «Gender»). Polaritäten spielen in den Mythologien, die sich um die Geschlechter und ihr Verhältnis zueinander gebildet haben, aber nicht nur im übertragenen, sondern auch in einem ganz wörtlichen Sinn eine Rolle: Wie hell und dunkel, schwarz und weiß, aktiv und passiv, oben und unten - um nur einige Gegensatzpaare zu nennen - sind auch kalt und warm wichtige Gradmesser im Gefühlshaushalt der Geschlechter. Die Kälte der Pole steht dabei in einem ambivalenten Verhältnis zu den Regionen der Wärme und Hitze, die Joseph Conrad in seinem Roman Heart of Darkness (1899) im Innersten von Afrika situiert hat. In solchen geographischen und thermischen Phantasmagorien sind «Weiblichkeit» und «Männlichkeit» variable Größen, die in paradoxer Weise auf Kälte und Wärme bezogen sind. Im Zentrum der üppigen, feuchten und wilden Dschungellandschaft Afrikas trifft Conrads Held Kapitän Marlow auf ein grauenerregendes Mischwesen aus alttestamentarischem Leviathan und mythischer Gorgo-Medusa, während Jules Verne in dem Roman Le Sphinx des Glaces (1897) seinen Helden, den Kapitän Len Guy, auf ein nicht weniger erschreckendes Wesen in den eisigen Wüsten des Südpols stoßen lässt. Eine gewaltige Sphinx, die den zu Eis erstarrten Arthur Gordon Pym zwischen ihren Tatzen als Beute hält, wartet dort auf die Männer, die sich auf die Suche nach dem Verschollenen gemacht haben, dessen «denkwürdige Erlebnisse» Edgar Allan Poe als The Narrative of Arthur Gordon Pym (1837/ 38) herausgegeben hatte. Beide Romane erzählen Geschichten zölibatärer Helden; Frauen kommen in den Texten entweder - wie bei Verne - gar nicht vor oder sind - wie bei Conrad - auf den Status von «lebenden Bildern» wilder und domestizierter Weiblichkeit reduziert. Das auf der Handlungs- und Figurenebene weitgehend ausgeschlossene Weibliche kehrt auf der metaphorischen und symbolischen Ebene jedoch in die Texte zurück. Es ist verlagert in die Landschaft, in welche die Helden eindringen und in der sie zu Tode kommen (vgl. Stephan, «Viva Medusa! »). Vernes merkwürdige Eissphinx ist für den Zusammenhang von Kälte und Weiblichkeit vor allem deshalb interessant, weil im Allgemeinen eher Männlichkeit und Kälte zusammengedacht werden, wie Helmut Lethen in seiner bahnbrechenden Studie Verhaltenslehren der Kälte (1994) gezeigt hat. Ohne Lethens Thesen hier in Frage stellen zu wollen, muss doch auf einen blinden Fleck in seiner Argumentation aufmerksam gemacht werden: Neben dem Komplex von «kalter Männlichkeit» existiert auch ein solcher von «kalter Weiblichkeit», auf den ich mich im Folgenden konzentrieren möchte, ohne alle Facetten dieses Konzeptes, das spätestens in der Romantik entsteht und bis heute wirksam ist, ausleuchten zu können. Ich beschränke mich hier auf zwei Beispiele: Auf Hans Christian Andersens Märchen «Die Schneekönigin» (1846) und auf das Gedicht «Winternacht» (1846) von Gottfried Keller. Beide Texte sind zeitgleich erschienen und an ihnen können die Interdependenzen zwischen «kalter Männlichkeit» und «kalter Weiblichkeit» deutlich gemacht werden. Bei dem Konzept von «kalter Weiblichkeit» handelt es sich um ein ideologisches und literarisches Muster, das den realen Polareroberungen um 1900 vorausgeht und den Typus des «kalten Geschlechts» im 20. Jahrhundert in ganz spezifischer Weise an weibliche Figuren bindet, wie ich in einem Ausblick auf die Schauspielerin und Regisseurin Leni Riefenstahl zeigen möchte. 2. Im Herzen der Kälte. Hans Christian Andersens «Die Schneekönigin» (1846) In den Kältediskursen der Moderne ist Andersens Kunstmärchen «Die Schneekönigin» als Vorläufertext der späteren Heldenerzählungen, die 50 Inge Stephan sich um die Eroberung des Nord- und Südpols um 1900 ranken, weitgehend unbeachtet geblieben. Für die Geschichte der Geschlechter-Images ist dieser Text jedoch nicht weniger einschlägig als das Märchen «Die kleine Meerjungfrau», in der das Wasser als erotisches Element eine zentrale Rolle spielt. Im Vergleich zu den «Kältetexten» von Stifter und Fontane nimmt Andersens Kunstmärchen eine Sonderstellung ein, nicht nur wegen seiner populären literarischen Form, sondern auch aufgrund der expliziten Verbindung zwischen Kälte und Weiblichkeit, die in der Phantasie der mächtigen, schönen und todbringenden Schneekönigin zum Ausdruck kommt. 2 Das Märchen wird eröffnet mit einer Geschichte, in der sich ein böser Troll als «der Teufel» (Andersen, Märchen 337) entpuppt. Um Gott zu verhöhnen und die Menschen zu verwirren, hat er einen Zerrspiegel konstruiert, in dem Gut und Böse sich jeweils in ihr Gegenteil verkehren. Die Anhänger des Teufels fliegen mit dem Spiegel hoch in den Himmel, aber als sie sich Gott und den Engeln nähern, erzittert der Spiegel, stürzt zur Erde und zerspringt in «hundert Millionen, Billionen und noch mehr Stücke» (339). Diese Stücke, knapp so groß wie Sandkörner, fliegen seitdem in der Welt umher und richten großen Schaden an. Wenn sie in das Auge eines Menschen gelangen, sieht dieser alles verzerrt, wenn sie jedoch sein Herz treffen, dann verwandelt sich dieses in einen «Klumpen Eis» (339). An dieser Stelle fällt zum ersten Mal das Stichwort «Eis», welches als Leitmotiv in den folgenden sechs Geschichten fungieren wird und sich in der Figur der Schneekönigin metaphorisch verdichtet. Die Verbindung von Teufel und Eis, die in der ersten Geschichte konstruiert wird, ist nicht so abwegig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. In der christlichen Vorstellungswelt werden der Teufel und die Hölle, die ja eigentlich vom Feuer dominiert wird, häufig mit Kälte und Eis assoziiert. Ein Schlüsseltext hierfür ist Dantes «Inferno», der Teil seiner Divina Commedia (nach 1307) ist. Im letzten Höllenkreis sind alle Verräter im Eis eingefroren, die von Gott abgefallen sind; in ihrer Mitte befindet sich Luzifer. 3 Auf der anderen Seite wird zur Zeit der Hexenverfolgungen intensiv über die Sexualität des Teufels spekuliert. Die Vorstellung, dass sein Same und sein Ejakulat kalt seien und deshalb aus dem Geschlechtsakt, den er regelmäßig mit den Hexen auf dem Blocksberg vollziehe, kein Leben entstehen könne, gehört zu den sexuellen Obsessionen, die sich wie ein roter Faden durch die Verhörprotokolle der Hexenverfolger ziehen (vgl. Wolf). Wie weit Andersen solche Anschauungen vertraut gewesen sind, mag dahingestellt bleiben. Sein Märchen ist in einer kindlichen Welt angesiedelt, in welcher Sexualität in der geschwisterlichen Liebe zwischen Kay und Gerda infantilisiert bzw. in der Figur der dämonischen Schneekönigin kaltgestellt 51 Kalte Weiblichkeit wird. Ich verzichte auf eine Nachzeichnung der bewegten Handlung, die sich aus der Suche der warmherzigen kleinen Gerda nach ihrem verschwundenen Freund entwickelt, und konzentriere mich auf die Figur der Schneekönigin. Sie wird von der Großmutter als Königin eines Schwarms von «weissen Bienen» (Andersen, Märchen 340) eingeführt: Sie fliegt dort, wo sie am dichtesten schwärmen. Sie ist die grösste von allen und nie bleibt sie ruhig auf der Erde, sie fliegt wieder hinauf in die schwarze Wolke. In so mancher Winternacht fliegt sie durch die Strassen der Stadt und guckt in die Fenster hinein und dann frieren die so sonderbar zu, dass es wie Blumen aussieht. (341) Dieser Vergleich von Bienen- und Schneekönigin mutet ähnlich merkwürdig an wie die Teufels-Assoziation, hat aber ebenfalls eine gewisse Logik. Die Bienen gelten als ein Insektenstamm, der sich nicht nach klassischen heterosexuellen Mustern reproduziert, und über ihr Fortpflanzungsverhalten kursierten in der Forschung lange Zeit die abenteuerlichsten Hypothesen (vgl. Johach). Zu Andersens Zeiten war die vermeintliche Keuschheit der Bienen ebenso wie deren angebliche Jungfernzeugung als Mythos entlarvt; trotzdem hielten sich solche Vorstellungen noch lange in der Literatur, wie Maurice Maeterlincks schwärmerische Abhandlung Das Leben der Bienen (1919) zeigt. Für den kleinen Kay ist die Begegnung mit der Schneekönigin schicksalhaft. Aus einem Guckloch im vereisten Fenster sieht er eine Schneeflocke, die immer größer wird: Sie wurde zuletzt zu einem ganzen Frauenzimmer, in den feinsten, weißen Flor gekleidet, der wie aus Millionen von sternartigen Flocken zusammengesetzt war. Sie war so schön und fein, aber aus Eis, aus blendendem, blinkendem Eis, und doch war sie lebendig; die Augen starrten wie zwei klare Sterne, aber es war weder Ruhe noch Rast in ihnen. Sie nickte gegen das Fenster und winkte mit der Hand. (Andersen, Märchen 341) Kay ist erschrocken, gibt der Versuchung aber nicht nach. Erst als ihn im folgenden Jahr ein Spiegelsplitter zunächst ins Auge und dann ins Herz trifft, kann er der Verführung nicht mehr widerstehen. Er bindet seinen kleinen Schlitten an den großen Schlitten einer Unbekannten und lässt sich in rasender Fahrt Richtung Norden in ein immer dichter werdendes Schneetreiben ziehen: Die Schneeflocken wurden größer und größer, [. . .] der große Schlitten hielt, und die Person, die ihn gefahren hatte, richtete sich auf, der Pelz und die Mütze war aus lauter Schnee; eine Dame war es, so groß und so rank, so schimmernd weiß - es war die Schneekönigin. (346) Die Schneekönigin nimmt den kleinen Kay zu sich auf ihren prächtigen Schlitten, wickelt ihn in ihren Pelz ein und küsst ihn auf die Stirn: «Das war 52 Inge Stephan kälter als Eis, es drang ihm bis ans Herz, das ja schon halbwegs ein Eisklumpen war; er fühlte es, als sollte er sterben, aber nur einen Augenblick, dann tat es ihm recht wohl; er spürte nicht mehr die Kälte ringsumher» (346). Nach einem zweiten Kuss der Schneekönigin vergisst er nicht nur Gerda und die Großmutter zu Hause, sondern sieht auch die Schneekönigin mit neuen Augen: «[. . .] sie war so schön; ein klügeres, schöneres Gesicht konnte er sich nicht denken; jetzt schien sie nicht aus Eis zu sein wie damals, als sie draußen vor dem Fenster saß und ihm zuwinkte; in seinen Augen war sie vollkommen» (346). Zusammen mit der Schneekönigin unternimmt er weite Reisen um die Welt, die in ihrer Symbolik an den Hochzeitsflug der Bienen und die Flugorgien des Hexensabbats erinnern: [. . .] sie flog mit ihm, flog hoch in die Lüfte auf die schwarze Wolke, und der Sturm sauste und brauste, es war, als sänge er alte Lieder. Sie flogen über Wälder und Seen, über Meere und Länder; unter ihnen sauste der kalte Wind, die Wölfe heulten, der Schnee glitzerte, die schwarzen, krächzenden Krähen flogen über ihn hin, aber darüber schien der Mond so groß und hell und auf ihn schaute Kay in der langen langen Winternacht; am Tage schlief er zu Füßen der Schneekönigin. (346 - 47) Bald schon beginnt sich Kay in dem Schloss der Schneekönigin zu langweilen und sie verliert offenbar rasch das Interesse an ihrem kindlichen Gespielen. Die Zeit der Ausflüge ist vorbei, Kälte und Einsamkeit bestimmen den Alltag: Leer, gross und kalt war es in den Sälen der Schneekönigin [. . .]. Mitten in dem leeren, unendlichen Schneesaal war ein gefrorener See. Er war in tausend Stücke zerborsten, aber jedes Stück glich dem andern so genau, dass es ein wahres Kunstwerk war; und mitten darauf saß die Schneekönigin [. . .]. (370) Die einzige Beschäftigung von Kay in dieser kalten Umgebung ist das «Verstandes-Eisspiel» (370). Um sich die Zeit zu vertreiben, legt er kleine Eisplättchen zu artifiziellen Mustern. Die Schneekönigin, die sich ihren «Gefangenen» durch einen eisigen Kuss gefügig gemacht hat, erweist sich als untreue Mutter und Geliebte. Sie verlässt ihn, um die warmen Länder mit Schnee und Eis zu überziehen. Zum Abschied stellt sie ihm eine unlösbare Aufgabe: Wenn es ihm gelingt, aus den Eisplättchen das Wort «Ewigkeit» zu bilden, soll er seine Freiheit zurückbekommen. «Und dann flog die Schneekönigin davon, und Kay saß ganz allein in dem viele Meilen großen, leeren Eissaal und schaute die Eisstücke an und dachte und dachte, so dass es in ihm knackte; ganz starr und still saß er da, man hätte glauben können, er sei erfroren» (370). Natürlich kann Kay diese Aufgabe nicht aus eigener Kraft lösen, sondern benötigt dazu die Hilfe von Gerda, die zur rechten Zeit im Schloss der Schneekönigin auftaucht. Ihre «heißen Tränen» tauen die «Eisklumpen» (371) auf und schwemmen das Spiegelstückchen hinweg. Stärker noch als die kindliche, geschwisterliche Liebe erweist sich der christliche 53 Kalte Weiblichkeit Glaube, der die kleine Gerda ihren Weg finden lässt. Gegen die Figur der teuflischen Schneekönigin und ihre verführerischen Schneeblumen wird das Bild vom Jesuskind und den blühenden Rosen wohl nicht zufällig gleich dreimal im Text beschworen (342, 371, 373). Es liegt nahe, das Märchen psychoanalytisch auszudeuten; für meine Fragestellung ist es ausreichend, die Figur der Schneekönigin als Verkörperung einer begehrten und zugleich verteufelten Weiblichkeit zu verstehen. Dabei ist die Mischung zwischen Bienenkönigin, Hexe und Zauberin besonders bemerkenswert. Die Ablehnung, die der Schneekönigin von der Erzählinstanz entgegengebracht wird, ist unüberhörbar und doch geht von ihr eine starke Faszination aus, die der Autor mit großem Aufwand zu bannen versucht. Die christliche Rahmung und Unterfütterung der Handlung sowie die Ausführlichkeit, mit der die Suche der kleinen Gerda nach dem Verschollenen geschildert wird, können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schneekönigin - wie es ja bereits der Titel suggeriert - die eigentliche Hauptfigur des Märchens ist. So ist es wohl auch nicht zufällig, dass gerade Illustratoren sich auf die Figur der Schneekönigin konzentriert und eindrucksvolle Bilder von der Schönheit der Schneeflocken und der Pracht des Eispalastes geschaffen haben. 4 In gewisser Weise ist sie ein Gegenpol zur kleinen Meerjungfrau, welche ebenfalls zu einer bevorzugten Figur für Illustratoren geworden ist (vgl. Stephan, «Volksmärchen - Kunstmärchen - globale Mythen»). Schneekönigin und Meerjungfrau verhalten sich wie zwei Seiten einer Medaille. Beide sind in paradoxer Weise mit dem Wasser als «weiblichem Element» verbunden: Die kleine Meerjungfrau verlässt das Wasser aus Liebe zu dem Prinzen, die Schneekönigin entführt den kleinen Kay in ihr Reich, in dem das Wasser zu Eis erstarrt ist. Die kleine Gerda - der «warme» Gegenpol zur kalten Schneekönigin - ist für den Zusammenhang von Weiblichkeit und Kälte jedoch ebenfalls eine interessante Figur. Durch ihre Suche nach dem Freund wird sie - unfreiwillig - zu einer mutigen Polarfahrerin, an der sich die späteren arktischen Eroberer und die noch späteren «Polarfrauen» (vgl. Herbert) ein Beispiel nehmen können. «Ohne Schuhe, ohne Handschuhe» (Andersen, Märchen 366) läuft sie allein durch Lappland und die Finnmark bis zum äußersten Kältepol: Sie lief weiter, so schnell sie es vermochte; da kam ein ganzes Regiment Schneeflocken [. . .] und je näher sie kamen, desto größer wurden sie. [. . .] Einige sahen aus wie garstige, große Stachelschweine, andere wie ganze Knäuel aus Schlangen, die die Köpfe hervorstreckten, und wieder andere wie kleine, dicke Bären, deren Haare sich sträubten, alle glänzend weiß, alle waren lebendige Schneeflocken. 54 Inge Stephan Da betete die kleine Gerda ihr Vaterunser, und die Kälte war so groß, dass sie ihren eigenen Atem sehen konnte; wie Rauch strömte er aus ihrem Mund [. . .] und formte sich zu kleinen, lichten Engeln, die zusehends wuchsen [. . .] alle hatten sie Helme auf dem Kopf und Speer und Schild in den Händen. Es wurden immer mehr, und als Gerda ihr Vaterunser beendet hatte, war sie von einer ganzen Legion umgeben. Sie hieben mit ihren Speeren auf die gräulichen Schneeflocken ein, so dass sie in hundert Stücke zersprangen, und die kleine Gerda ging ganz sicher und unverzagt weiter. Die Engel streichelten ihre Füße und Hände, und da fühlte sie weniger, wie kalt es war, und ging rasch auf das Schloss der Schneekönigin zu. (366 - 67) Gegenüber den beiden starken weiblichen Heldinnen - der Schneekönigin als eisiger Verführerin und der kälteunempfindlichen Gerda als rettendem Engel - ist der kleine Kay eine schwache Figur. Er entspricht in keiner Weise dem Bild der arktischen Eroberer, die nach 1900 den Wettlauf um die Eroberung der Pole beginnen. Er bleibt Objekt der beiden Frauen und ist in seinem Begehren tief verunsichert - auch wenn die warmherzige Gerda am Ende den Sieg über ihre gefühlskalte Kontrahentin davonträgt. Die kalte Schönheit der Schneekönigin und der Reiz, der von ihren künstlichen Eisblumen - den «Blumen des Bösen» - ausgeht, bildet jedoch einen beunruhigenden poetischen Subtext in dem Märchen, der in einem irritierenden Widerspruch zur christlichen Botschaft steht. 3. Am Kältepol der Gefühle: Gottfried Kellers «Winternacht» (1846) Um zwiespältiges Begehren geht es auch im zweiten Textbeispiel. Die Kältemetaphorik in Kellers Gedicht erinnert an Caspar David Friedrichs Gemälde Das Eismeer (1832/ 34), das als Sinnbild für gescheiterte revolutionäre Hoffnungen im 19. Jahrhundert gedeutet werden kann. 5 Auch Kellers Gedicht spricht von gescheiterten Hoffnungen: Das Wasser ist zu Eis erstarrt, der «stille Grund», nach dem sich die Helden der Romantik gesehnt hatten, ist zu einem unerreichbaren Ort geworden, die Nixe - Sinnbild einer freien Sexualität - ist wie ein Insekt im Bernstein in einem Eisblock quasi schockgefroren. WINTERNACHT Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt, Still und blendend lag der weiße Schnee. Nicht ein Wölklein hing am Sternenzelt, Keine Welle schlug im starren See. Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf, Bis sein Wipfel in dem Eis gefror; An den Ästen klomm die Nix herauf, Schaute durch das grüne Eis empor. 55 Kalte Weiblichkeit Auf dem dünnen Glase stand ich da, Das die schwarze Tiefe von mir schied; Dicht ich unter meinen Füßen sah Ihre weiße Schönheit Glied um Glied. Mit ersticktem Jammer tastet ’ sie An der harten Decke her und hin - Ich vergeß ’ das dunkle Antlitz nie, Immer, immer liegt es mir im Sinn! Das Gedicht entwirft ein gespenstisches nächtliches Szenario, das zu der Regelmäßigkeit des Strophenbaus, des Versmaßes und des Reimes in einem bedrückenden Kontrast steht. Das lyrische Ich befindet sich auf der Eisfläche eines zugefrorenen Sees und schaut nach unten, wo eine Nixe vergeblich an einem «Seebaum» heraufzusteigen sucht. Weder kann die Nixe das Ich erreichen, noch kann das Ich zur Nixe gelangen - nicht weil das Wasser zu tief ist, wie es in der bekannten Volksballade von den zwei Königskindern heißt, sondern weil es zur «harten Decke» erstarrt ist, die sich als unüberwindliche Trennwand zwischen Ich und Nixe geschoben hat. Der «erstickte Jammer» der Nixe, die vergeblich an die Oberfläche zu kommen versucht, ist das einzige Geräusch in einer wie ausgestorben wirkenden Welt. Das Funkeln der kalten Sterne findet eine Entsprechung in dem Glitzern der Eiskristalle der Schneelandschaft. Der «Seebaum» - ein merkwürdiges Bild für die Verbindung von Land und Wasser - droht ebenso abzusterben wie die vom Schnee bedeckte Erde. Das Ich ist ein passiver Beobachter in einem Todeskampf, der ihn selbst betrifft. Das «dunkle» Antlitz der Nixe, das dem Ich nicht aus dem Sinn geht, lässt verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu: Wenn man es als narzisstischen Spiegel des Ichs versteht, bedeutet es den «Kältetod» eben dieses Ichs; wenn man es als das dem Ich entgegengesetzte «Andere» und «Fremde» interpretiert, signalisiert es das Ende der Liebe zwischen den Geschlechtern. Welche Deutung man auch favorisiert, die Aussage des Gedichts ist in beiden Fällen trostlos: Die lebensnotwendige Verbindung zum Wasser als dem «geheimnisvollen Urgrund des Seins» - um ein in der Romantik häufig gebrauchtes Bild vom Zusammenhang zwischen Wasser und Weiblichkeit zu zitieren - ist so nachhaltig gestört, dass kaum vorstellbar ist, dass ein Frühlings- oder Sommermorgen die eingetretene elementare Entfremdung rückgängig machen kann. Die Nixe jedenfalls hat sich von diesem «Kälteschock» nicht mehr erholt: Als Wasserleiche schwimmt sie fortan in Kunst und Literatur der Jahrhundertwende durch Flüsse und Seen und legt ein bedrückendes Zeugnis ab von dem Scheitern einer harmonischen Beziehung zwischen Mensch und 56 Inge Stephan Natur einerseits und zwischen den Geschlechtern andererseits (vgl. Stephan, «Wasser und Weiblichkeit»). Wie stark Keller vom Zusammenhang zwischen Weiblichkeit und Wasser in seinen verschiedenen Aggregatzuständen fasziniert war, zeigen motivverwandte Gedichte wie «Im Schnee» und «Winterabend». In «Nixe im Grundquell» dagegen findet sich eine gegenläufige Phantasie: Es ist Frühling, das Wasser ist geschmolzen, das Ich spiegelt sich lustvoll in der Flut und aus dem Grund sprüht eine heiße und perlende Quelle hervor, in der eine Nixe mit goldenem Haar badet. Dieses Gedicht bildet eine Ausnahme unter den zahlreichen Winter- und Schneegedichten von Keller, es zeigt jedoch sehr deutlich, wie stark Keller das Verhältnis zwischen den Geschlechtern an den jeweiligen Wärme- oder Kältezustand des Wassers bindet. Die Kältemetaphorik in dem Gedicht «Winternacht» funktioniert anders als in dem Märchen von Andersen, die zugrundeliegende Polarität von Wärme und Kälte ist jedoch die gleiche. Hier wie dort geht es um Begehren und um dessen Stillstellung im Eis. Andersens Schneekönigin residiert auf einem riesigen gefrorenen See am Nordpol, Kellers Nixe ist in einem gefrorenen See in einem Eisblock eingeschlossen. Während Andersen die Sexualität der Schneekönigin verteufelt und Gott und seine himmlischen Heerscharen zu Hilfe ruft, fehlen bei Keller sowohl die christliche Hoffnung als auch ein weiblicher Wärmepol, der das Eis zum Schmelzen bringen könnte. Wasser und Eis sind zwei verschiedene Aggregatzustände, an denen das Verhältnis der Geschlechter zueinander abgelesen werden kann. Beide Texte zeigen aber auch, dass es eine «kalte Weiblichkeit» an sich nicht gibt, sondern dass diese literarisch hergestellt wird. Sie ist das Ergebnis von Projektionen der Helden, ein Effekt ihrer Ängste und geheimen Wünsche. Weiblichkeit wird an den Pol versetzt oder ins Eis gebannt, um sich vor dem eigenen Begehren zu schützen. Damit wird ein narratives Muster etabliert, das in romantischen Texten bereits vorformuliert ist: Die weißen Marmorstatuen Eichendorffs, die gefühlskalten Automaten E. T. A. Hoffmanns und die todbringenden Sirenen und steinernen Sphinxe bei Heine sind Vorläuferinnen jener «kalten Weiblichkeit», für die Andersen und Keller in der Mitte des 19. Jahrhunderts populäre und anrührende Bilder gefunden haben. Sie bereiten den imaginären Boden für die realen Polareroberungen um 1900 vor und stellen ein hybrides Bildreservoir zur Verfügung, aus dem sich Autoren und Autorinnen bis heute bedienen. Zugleich sind sie Teil eines die Jahrhunderte umspannenden Diskurses über die Kunst. Die eingefrorene Nixe Kellers und die in der Mitte eines vereisten Sees thronende Schneekönigin von Andersen können als Symbole einer 57 Kalte Weiblichkeit Poesie gelesen werden, die ihre Entstehung - vor allem aber ihre Unsterblichkeit - der Kälte verdankt. Sie sind «kalte Schwestern» jener «schönen Leichen», denen Edgar Allan Poe in seiner Schlüsselerzählung «The Oval Portrait» (1842) ein poetologisches Denkmal gesetzt hat. 6 4. «Wahre Kunst ist kalt.» 7 Das Beispiel Leni Riefenstahl Die von Andersen und Keller narrativ und lyrisch hergestellten Zusammenhänge von Kälte und Kunst kann man im 20. Jahrhundert paradigmatisch an einer Künstlerin studieren, die - wie kaum ein anderer Künstler jener Zeit - für ihre impassibilité gescholten worden ist: Leni Riefenstahl verkörpert jenen Künstlertypus, der bereit ist, für die Kunst «über Leichen» zu gehen. Zu Beginn ihrer Karriere auf eine interessante Weise mit Eis und Kälte verbunden, ist sie nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nach Afrika ausgewichen (Die Nuba von Kau, 1976) und hat sich dann im hohen Alter auf spektakuläre Unterwasserfotografien spezialisiert (Korallengärten, 1978). 8 Erfolgreich als Schauspielerin war sie vor allem mit den beiden Filmen Die weisse Hölle vom Piz Palü (1929) und S. O. S. Eisberg (1933), aber auch die Filme Der heilige Berg (1925/ 26), Stürme über dem Montblanc (1930) und Der weisse Rausch (1931) spielen in Schnee- und Gletscherlandschaften. In ihren Erinnerungen Kampf in Schnee und Eis (1933) erzählt Riefenstahl von der Faszination, die Gletscher und Eisberge auf sie ausüben, und schwärmt von der Schönheit der Arktis. Illustriert ist das Buch mit einer Vielzahl von eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Fotos, die Riefenstahl in der Eiswand, auf der Flucht vor einer Eislawine, im Schneesturm oder im Angesicht von Eisbergen und Eismeer zeigen. Im Klappentext heißt es anerkennend: Eine Filmschauspielerin ganz eigener Art, weiß sie von der überwältigenden Schönheit der Berge und von der Eiswelt des hohen Nordens zu berichten. Die Kapitel über Grönland, wo der neue Film «S. O. S. Eisberg» entstand, sind ganz besonders packend. Fast auf jeder Seite dieses Buches ist von Gefahren die Rede; denn Leni Riefenstahls Filme sind, wie man weiß, nicht im Atelier entstanden, sondern in der freien Natur, namentlich in der Bergeswelt mit ihren Schrecken und ihren unliebsamen Überraschungen. Hinter all diesen Berichten steht ein starker und mutiger Mensch, der sein Ziel mit eiserner Willenskraft zu erreichen strebt. Man könnte daher das Buch eine Schule des Heroismus nennen. Es ist bekannt, dass Adolf Hitler von Leni Riefenstahl tief beeindruckt war. 9 In der Bevölkerung kursierte der Witz von der «Reichsgletscherspalte», der den «Führer» und seine Lieblingsschauspielerin in eine obszöne Beziehung zueinander setzte: «Das weibliche Geschlecht nähert sich dem Führer, indem es ‹ vereist › » (Seeßlen 232). Hitler schätzte Riefenstahl nicht nur als Schauspielerin, die sich in der Kälte bewährte, sondern auch als Regisseurin. In dem 58 Inge Stephan Film Das blaue Licht (1932) führte Riefenstahl erstmals Regie und spielte zugleich die Hauptrolle der wilden und ungezähmten Junta, die allein in den Bergen in einer Höhle voller schimmernder Bergkristalle lebt. Mit Junta hat sich Riefenstahl eine Traumfigur geschaffen, die einem Märchen von Andersen entsprungen sein könnte. Als unabhängige Bewohnerin des Monte Cristallo, der im Film wie ein Eispalast inszeniert ist, weist sie frappierende Ähnlichkeiten mit der mächtigen Schneekönigin auf, als rührendes Naturkind trägt sie Züge der kleinen Meerjungfrau. Diese märchenhafte Selbstinszenierung sollte ihre Wirkung nicht verfehlen. In der Folgezeit zieht sich Riefenstahl ganz auf die Position der Regisseurin und Produzentin zurück und findet im «Führer» einen Darsteller, in dem ihr eigener Heroismus eine grandiose Steigerung erfahren konnte. Triumph des Willens (1935) gilt als Vorzeigestück faschistischer Selbstinszenierung und hat Riefenstahl zur berühmt-berüchtigtsten Filmemacherin des 20. Jahrhunderts gemacht. Der Film knüpft in seiner Bildsprache deutlich an das Genre des Eis- und Bergfilms an, in dem Riefenstahl Triumphe in der Weimarer Republik gefeiert hatte (vgl. Meurer). Sie selbst hat gegenüber ihren Kritikern stets behauptet, dass es ihr immer nur um Schönheit und Harmonie gegangen sei und sie sich von der Politik daher stets ferngehalten habe. In einer solchen Selbsteinschätzung sind ihr die Medien nur allzu gern gefolgt. In ihrem 99. Lebensjahr widmete das deutsche Fernsehen Riefenstahl ein Feature, in dem, vor imposanter Bergkulisse natürlich, Reinhold Messner bekundete: «Ob dass der Reichsparteitag war oder der Olympiafilm, ist nicht so wichtig, entscheidend ist, dass sie immer das Beste gemacht hat» (Seeßlen 217 - 18). In einem Essay in Die Zeit zum 100. Geburtstag von Leni Riefenstahl hat Elisabeth Bronfen differenzierter argumentiert und die These vertreten, dass Riefenstahl weniger von einem «fanatischen Nazismus» als vielmehr von einem «grenzenlosen Narzissmus» angetrieben worden sei: Die immer wieder aufgekochte Frage, ob Riefenstahl eine propagandistische Dokumentaristin oder eine über moralische Fragen bis zur Verantwortungslosigkeit hinwegsehende Künstlerin gewesen sei, ist vielleicht insofern sekundär, als sie sich selbst stets ihr wichtigstes Gesamtkunstwerk war: der Triumph ihres Willens, ihrer Gestaltungsgabe, ihres Gestaltungsdrangs, ihrer ungeheuren Ausdauer und Verdrängungsbereitschaft [. . .]. Die «Versteinerung», von der Bronfen in Hinsicht auf Riefenstahl gesprochen hat, könnte man auch als einen Vorgang der Vereisung verstehen, mit dem Riefenstahl sich aus der Verantwortung für die eigene Bildproduktion gestohlen und auf die Position des Künstlers zurückgezogen hat. Im Gegensatz zu der melancholischen Grundstimmung in Kellers Gedicht «Winter- 59 Kalte Weiblichkeit nacht», in dem die Verluste durch die Kälte eindringlich thematisiert werden, ist Riefenstahl von Selbstzweifeln frei oder hat diese so souverän überspielt, dass am Ende nur das Bild einer «kalten Weiblichkeit» übrig bleibt, die ihre Opfer mit eisigem Schweigen übergeht. Anmerkungen 1 Vgl. Bloom. 2 Auf der DVD Landschaften mit Eis und Schnee (2010) von Alexander Kluge findet sich ein Gespräch mit Ulrike Sprenger über Andersens Märchen (Sequenz 25). 3 Vgl. Alighieri 130 - 42 (XXXII. - XXXIV. Gesang). 4 Beispielhaft sei hier genannt: Andersen, Die Schneekönigin. 5 Vgl. « ‹ Die gescheiterte Hoffnung. › Paraphrase zu einem Bild Caspar David Friedrichs. Das Bild trägt den Titel ‹ Das Eismeer › » auf der DVD Landschaften mit Eis und Schnee (Sequenz 6) von Alexander Kluge. Siehe auch Stephan, «Eiskalte DDR». 6 Vgl. Berger und Stephan, dort insbesondere die Einleitung. 7 Hierbei handelt es sich um einen Ausspruch von Arnold Schönberg. Er findet sich auf der undatierten, vom Verlag Neue Kritik herausgegebenen Bildpostkarte «Wiener Melange I». 8 Eine gute Übersicht über das Gesamtwerk bietet der vom Filmmuseum Potsdam herausgegebene Band Leni Riefenstahl. 9 «Hinter vorgehaltener Hand wird sie ‹ Reichsgletscherspalte › genannt. Damit ist nur vordergründig ihre Bergfilmvergangenheit gemeint, vielmehr gilt sie als die Frau, die mit eiskaltem Kalkül arbeitet, um ihre Ziele zu erreichen. Man weiß, dass der Führer sie verehrt und sie ihn schätzt. Alles weitere überlässt sie der Phantasie und baut so eine Aura der Macht auf. Wie weit ihr Einfluß wirklich reicht, weiß niemand genau» (Wieland 327). Bibliographie Andersen, Hans Christian. Märchen. Bilder von Nikolaus Heidelbach. Aus dem Dänischen von Albrecht Leonhardt. Weinheim: Beltz und Gelberg Verlag, 2004. — . Die Schneekönigin. Mit Bildern von P. J. Lynch. Hamburg: Carlsen, 1994. Alighieri, Dante. Die göttliche Komödie. Übertragen von Wilhelm G. Hertz. Frankfurt a. M., Hamburg: Fischer Bücherei, 1955. Berger, Renate und Inge Stephan (Hg.). Weiblichkeit und Tod in der Literatur. Köln, Wien: Böhlau, 1987. Bloom, Lisa. Gender on Ice. American Ideologies of Polar Expeditions. Minneapolis, London: U of Minnesota P, 1993. Bronfen, Elisabeth. «Die zerkratzte Schallplatte. Nächste Woche feiert Leni Riefenstahl ihren 100. Geburtstag. Wäre die Regisseurin ein ideales Holocaust-Mahnmal? » Die Zeit 15. August 2002. 60 Inge Stephan Herbert, Kari. Polarfrauen. Mutige Gefährtinnen großer Entdecker. Aus dem Englischen von Frank Auerbach, Theresia Übelhör und Linde Wiesner. München: Piper Verlag, 2010. Johach, Eva. «Jungfrauenmaschinen. Über die Zumutungen und Verheißungen der Bienenkönigin.» Dämonen, Vamps und Hysterikerinnen. Geschlechter- und Rassenfigurationen in Wissen, Medien und Alltag um 1900. Hg. Ulrike Auga, Claudia Bruns, Dorothea Dornhof und Gabriele Jähnert. Bielefeld: Transcript, 2011. 115 - 29. Keller, Gottfried. «Winternacht.» Gesammelte Werke. Band 1. Hg. Hans Schumacher. Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch, 1960. 80. Wer sich traut, reißt die Kälte vom Pferd - Landschaften mit Eis und Schnee. Filme. Dir. Alexander Kluge. Berlin: Suhrkamp, 2010. Leni Riefenstahl. Hg. Filmmuseum Potsdam. Berlin: Henschel Verlag, 1999. Meurer, Ulrich. «Wolken-Formation. SOS Eisberg und die Urmaterie des faschistischen Bildes.» Riefenstahl revisited. Hg. Jörn Glasenapp. München: Fink, 2009. 39 - 69. Riefenstahl, Leni. Kampf in Schnee und Eis. Mit 155 Bildern. Leipzig: Hesse & Becker Verlag, 1933. Seeßlen, Georg. «HITLER. Bilder eines Un-Menschen. Un-Bilder eines Menschen. ADOLF.» Das Hitler-Bild. Die Erinnerungen des Fotografen Heinrich Hoffmann. Aufgezeichnet und aus dem Nachlass von Joe J. Heydecker. Mit einem Nachwort von Georg Seeßlen. St. Pölten, Salzburg: Residenz-Verlag, 2008. 213 - 39. Stephan, Inge. «Eiskalte DDR. Polare Metaphern in Kunst und Literatur vor und nach 1989.» Thirty-Third Annual Conference German Studies Association (GSA). Crystal Gateway Marriott, Washington, D. C. 11. Oktober 2009. — . «Volksmärchen - Kunstmärchen - globale Mythen. Geschlechter-Konstruktionen und mediale Umsetzungen am Beispiel der Wasserfrau.» Metamorphosen des Märchens. Hg. Gundel Mattenklott und Kristin Wardetzky. Baltmannsweiler: Schneider, 2005. 54 - 70. — . «Wasser und Weiblichkeit. Von den Gefahren des Ertrinkens und der Lust am Untergang.» Wasser. Hg. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Köln: Wienand, 2000. 177 - 93. — . «Gender. Eine nützliche Kategorie für die Literaturwissenschaft.» Zeitschrift für Germanistik NF 9 (1999): 23 - 35. — . «Viva Medusa! » Musen & Medusen. Mythos und Geschlecht in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Hg. Inge Stephan. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 1997. 1 - 13. Wieland, Karin. Dietrich & Riefenstahl. Der Traum von der neuen Frau. München: Carl Hanser Verlag, 2011. Wolf, Hans-Jürgen. Geschichte der Hexenprozesse. Schwarze Messen - Kinderhexen - Zeitdokumente - Hexenwahn bis heute. Hamburg: Nikol Verlag, 1998. 61 Kalte Weiblichkeit CG_42_1_s1-96_End_Korr.indd 26 19.08.11 17: 56 047211 Auslieferung Mai 2011.indd 8 18.05.11 10: 31 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BESTELLEN! Karl S. Guthke Die Reise ans Ende der Welt Erkundungen zur Kulturgeschichte der Literatur Edition Patmos, Band 15 2011, VIII, 509 Seiten geb. €[D] 148,00/ SFr 234,00 ISBN 978-3-7720-8415-7 Von Grenzen geht ein Reiz aus: was liegt darüber hinaus? Wie aber, wenn es sich um die Erfahrung der »letzten Grenze« handelt? Eine Herausforderung an den Menschen, zu erfahren, wer er ist? Die Überraschung, daß das »Ende der Welt« vielleicht ihre Mitte ist? Eine definierende Erfahrung allemal. Oder hat Durs Grünbein recht: es gäbe »keine fernen Orte mehr«? Und doch war ein Reisebuch mit dem Titel »Die Enden der Welt« 2010/ 2011 ein Bestseller. Dieses Buch vereinigt neuere Studien über reale und imaginative Erkundungen der jeweiligen »ultima Thule« in der Literatur seit dem »Zeitalter der Entdeckungen«. Vom Faustbuch über Goethe bis zu Traven erscheint die Faszination von den »Enden der Welt« in unerwarteten Variationen. Ein paar thematisch anders orientierte Essays bezeugen: die Literatur dieser Jahrhunderte war auch imstande, sich dem Reiz der »großen Öffnung in die weite Welt« zu verschließen. Doch warum? «Helden in Fels und Eis.» Militärische Männlichkeit und Kälteerfahrung im Ersten Weltkrieg MONIKA SZCZEPANIAK U NIWERSYTET K AZIMIERZA W IELKIEGO Die kulturell inszenierte Opposition Kälte - Wärme ist geschlechtlich kodiert. Der in bürgerlich-intimen Räumen angesiedelten, mit Frauen und Weiblichkeit verbundenen Wärme steht die exklusiv männlich konnotierte, mit Sachlichkeit, Distanz und Affektkontrolle assoziierte Kälte gegenüber. 1 Eine extreme Variante der außerhalb von Wärme-Zonen agierenden Männlichkeit ist die kulturelle Konstruktion des Heros, die die spezifisch männliche Kampf- und Siegerkultur als ein Paradigma der Härte und Kälte erscheinen lässt und die in den modernen Gesellschaften sehr wirksame diskursive Zuschreibung von Männlichkeit und Gewalt sowie Weiblichkeit und Gefühlen illustriert. Dabei ist zu beachten, dass die soziokulturellen Konstruktionen von Männlichkeit in hohem Maße emotional fundiert sind, jedoch das Narrativ der männlichen Gefühle in den kulturellen Heldennarrationen sichtlich vernachlässigt wird. 2 Die naturbezogenen Attribute «steinhart» und «eiskalt» (Fels und Eis), die der modernen Männlichkeit attestiert werden, dienen als Charakteristika des sich in spezifischen Männerräumen konstituierenden maskulin-heroischen Habitus der Mobilität, Aneignung, Überwindung und Effizienz. Zu diesen spezifischen Männerräumen gehört ohne Zweifel die Armee, die nicht nur in der modernen Männlichkeitskonstruktion, sondern auch im Modernisierungsprozess überhaupt einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Als Institution der männlichen Vergemeinschaftung und Disziplinierung, die die Männer von der zivilen Gesellschaft separiert, 3 stahlharte, gepanzerte Körper formt, Kampftechniken trainiert und Gefühlskälte bzw. Affektkontrolle fördert, präsentiert sich das Militär als Ort einer «kalten Kultur» inmitten der Industriegesellschaft (Lethen, Verhaltenslehren der Kälte 21). Die militärischen Disziplinierungspraktiken sind mit dem Begriff der Manneszucht verbunden und zielen auf Entindividualisierung und Entemotionalisierung (vgl. Voss 33 - 60) sowie auf das Anerziehen bestimmter Eigenschaften wie Mut, Entschlossenheit, Kampflust, Kameradschaftsgeist, die es ermöglichen, «Nerven und Muskeln willensmäßig zu beherrschen und den Einzelwillen dem Gesamtwillen zu unterwerfen» (Hanisch, Männlichkeiten 17 - 18). Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt sich in Österreich, ähnlich wie in Deutschland, ein Männlichkeitsdiskurs, der auf diverse bereits im Krieg entstandene Maskulinitätsmuster und -mythen rekurriert. Ein für die österreichische Erinnerungskultur 4 besonders signifikanter Gendermythos, der sowohl traditionell-aktive als auch modern-passive Elemente der militärischen Männlichkeit mobilisiert, ist der alpine Kämpfer, der im Gebirgskrieg gegen Italien besondere Möglichkeiten hatte, heroische Sehnsüchte und Abenteuerlust auszuleben, seine Kräfte maximal zu mobilisieren, Mut zu beweisen und Ruhm zu erwerben. Aus der Perspektive der Nachkriegszeit wird der Alpenkrieg zu einem von auserwählten, sich durch hervorragende «Bergtüchtigkeit» auszeichnenden Männern unter extremen Gelände- und Wetterbedingungen ausgetragenen titanischen Kampf stilisiert. 5 Die Konstruktion der steinharten Männlichkeit des «Eisfrontkämpfers» (Röck), dem die Konfrontation mit der Eisen-, Stein-, Schnee- und Eiswelt einen unverkennbaren Stempel aufgedrückt hat, ist ein ideologisches Produkt der stark politisierten und militarisierten Kultur der frühen 1930er Jahre, in der der Einfluss der Deutschnationalen und der Nationalsozialisten erheblich gestiegen war. Sie ist nicht nur mit der Ideologie der militärischen Männlichkeit und des Heroismus, sondern auch mit dem nationalistischen Gedankengut felsenfest verbunden und bietet eine Antwort auf die seit 1919 allgemein empfundene Krise der Maskulinität, indem sie gerade auf die Krisensituation der extremen Kälte und körperlichen wie psychischen Belastung «in Eishagel und Stahlgewitter» (Fein) rekurriert. Es scheint interessant, danach zu fragen, wie die Erfahrung von Landschafts-, Wetter- und Kampfbedingungen, allen voran aber der Kälte in den Erinnerungstexten und Romanen zum Alpenkrieg sich auf den männlichen Kriegskörper, auf die mentalen Dispositionen und auf die emotionale Lage auswirkt und welche Rolle die Konstruktion der «Helden in Fels und Eis» 6 im Konkurrenzfeld von Männlichkeiten bzw. Männlichkeitspolitiken und im kulturellen Kontext des sich breitmachenden Kältekults spielt. Die von Helmut Lethen in seiner grundlegenden Studie Verhaltenslehren der Kälte (1994) analysierten, von technischen, sozialen und ökonomischen Transformationsprozessen geprägten rigiden Verhaltensdirektiven zielen auf eine Panzerung des Subjekts und Abkühlung der Affekte ab und sollen gegen eine zunehmend erkaltende Umwelt Schutz bieten, sind also an sich eine Form des Krisenmanagements durch Anpassung oder des Überlebens in der technisierten Welt der «kalten» Metropolen. 7 Das Muster der militärischen Männlichkeit nimmt in ihnen eine wichtige Stelle ein und der Soldat wird - nicht nur von Ernst Jünger 8 - zu einer Art entpsychologisierten Kälte-Maschine ohne Gefühle und ohne Psyche stilisiert. 9 Der 64 Monika Szczepaniak moderne Raum ist - so Lethen - «erfüllt von dem Gesang des gepanzerten Subjekts und den Legenden der gnadenbedürftigen Kreatur» (256). Die heroischen Narrationen diagnostizieren dort eine Schande, wo das gepanzerte Subjekt an seine Grenzen stößt und zum erbarmungswürdigen Geschöpf wird. Allerdings können die Weimarer «Verhaltenslehren der Kälte» als «der Angstabwehr dienendes Gefühlsmanagement» (Morat 168) interpretiert werden. Die kalten Temperaturen der modernisierten Lebensräume bedeuten also nicht notwendig eine Abwesenheit von Gefühlen, sondern vielmehr das Bedürfnis nach deren Bändigung und Modellierung. Die als Kältekult beschriebenen «Lebensversuche zwischen den Kriegen» beziehen sich ausschließlich auf Männer, und Lethen, der nicht ausdrücklich einer geschlechtertheoretischen Perspektive folgt, sieht sich zur folgenden Fragestellung gezwungen: «Liegt es in der Natur der Sache, etwa in den Verhaltenslehren als virilem Genre, daß meine Abhandlung zu einem Männerbuch geraten ist? » (14) «Mancher, der es hörte und nicht kannte, wird sich aus dem flandrischen Schlamm herausgesehnt haben in die glitzernde Freiheit der Berge, in den strahlenden Glanz ewigen Schnees und den bläulichen Schimmer einsamer Gletscherwelt.» Diese von Fein (26) formulierte Apotheose der in der erhabenen Naturwelt der Berge vollbrachten Gipfelleistungen der alpinen Kämpfer attestiert den letzteren einen exklusiv-elitären Status nicht nur gegenüber der mit Tiefländern assoziierten Nicht-Bergsteigern, Zivilisten, Untauglichen, Frauen, sondern auch gegenüber der Masse der im flandrischen Schlamm passiv verharrenden Kameraden. 10 Um den Besonderheiten eines Krieges auf Gletschern und Graten gewachsen zu sein, musste man nämlich ganz besondere Qualitäten mitbringen: Einen athletisch-trainierten Körper, urwüchsige Kraft, Bergsteigerkompetenzen, alpinistische Kühnheit, Ausdauer und psychische Stärke. Der Gebirgskrieger ist «vertraut mit den Tücken der Natur und virtuos im Ertragen von Strapazen», «der heroischen Landschaft gleichgeartet» (Hofer 275), ausgestattet mit einem untrügerischen Instinkt, guten Augen und Ohren, beherrschten Nerven. In der Erinnerungsliteratur zum Alpenkrieg wird immer wieder eine elitäre Gruppe («auserlesene Schar») von vitalen, harten, unerschrockenen Männern gefeiert, die ihre ohnehin abgehärteten Körper extrem ausreizen, dem permanenten Gegner Natur und dem Feind unter Todesgefahr die Stirn bieten, als heroische Einzelgänger kühne Kletterleistungen vollbringen und Gipfelpositionen beziehen und trotz Niederlage die «Bergkameradschaft» als einen alles überdauernden Wert in die Friedenszeit hinüberretten können oder aber für Gott, Kaiser und Vaterland gefallen sind und in sinnstiftenden Legenden 65 «Helden in Fels und Eis.» fortleben. 11 Eine knappe Charakteristik des Gebirgskämpfers liefert Luis Trenker in Meine schönsten Berggeschichten: Die Art und Taktik des Kampfes wurde von den Bergen bestimmt, hart wie die Felsen mußten die Kämpfer sein, selbständig, allein auf sich, ihre bergsteigerischen und soldatischen Tugenden angewiesen, mußten sie handeln, schnell, entschlossen und flink, wie die Gemsen sich zum Sprung entschließen. Kälte und Wärme lernten sie schon meist in der Jugend mit Gleichmut ertragen [. . .]. (192) In Berge in Flammen heißt es über die «Helden der Berge»: «[S]ie waren alle berggewohnt, zäh, tüchtig und zuverlässig» (78) - bestens präpariert für die «Todessymphonie in den Bergen» (69). Die Konfrontation mit der klirrenden Kälte, mit Eis und Schnee, mit Feuchte und Nässe, mit Stein und Fels bleibt nicht ohne Einfluss auf die harten Gebirgler, 12 die lange Wochen ein «Eskimoleben» in den Schneekavernen führen (Langes 20) und dem Toben der Naturgewalten ausgesetzt sind. Sie verwachsen mit den Bergen, werden als Mönche oder Einsiedler beschrieben, als «Beduinen» 13 in ihren leichten Schneemänteln (Trenker, Berge in Flammen 131), als «vermummte Gestalten, die in ihrer winterlichen Unförmigkeit an die Bewohner des Polargebietes erinnern» (Kaltenboeck 218), als «treue Hüter der Eisfront», die hart und unerbittlich «wie die Natur der Gletscherregion» geworden sind und die «Schmarotzer und Maulhelden, Drückeberger und Nutznießer» (Röck 151) nur verachten können. Ihre «mit Eisnadeln» bombardierten Gesichter (Langes 35) sind vom Gebirge geformt - «hart und kantig wie der Fels, der um sie wuchs» (Trenker, Berge in Flammen 84). Die Erfahrungen an der Hochgebirgsfront werden mit den Erlebnissen der Naturforscher und besonders der Arktisforscher verglichen. 14 Bei Fritz Weber kommen die Gebirgskrieger den «im Eismeer gefangenen» Polarfahrern gleich; sie kennen nur Schlafen, Essen und Schnee schaufeln (Granaten und Lawinen 96). Es ist die Rede von «schneesturmdurchpeitschten» Nächten und «nebelverhangenen», in trostlosem Grau verdämmernden Tagen «in der «weißen Hölle» (Röck 131). Bei Röck legt sich die Kälte «wie ein eiserner Ring» um die schwitzenden Körper, der eisige Wind peitscht in die Gesichter (15); bei Weber frieren die Wollhauben an den Wangen fest, «in den Zehen und Fingern prickelt es, Nase und Ohren werden gefühllos» (Granaten und Lawinen 125); bei Trenker zieht «die nasse Kälte» erbärmlich durch Kleider und Knochen (Berge in Flammen 80) oder sie «frißt sich» durch die Kleider, mit «frosterstarrten» Fingern werden die Skier angeschnallt, der Posten bei Nacht und Sturm und Winterkälte ist «das Härteste, was der Bergkrieg von den Männern fordert» (104): 66 Monika Szczepaniak Der Wind, der scharf aus den Scharten pfeift, brennt wie höllisches Feuer auf den Wangen. Die Lippen zerspringen vor Kälte und Trockenheit, der Bart starrt vor Eis. Kein wirklicher Schutz, keine Rettung vor dieser Kälte, vor dem beißenden Wind, den jagenden Eiskörnern, die wie Nadeln die Haut spießen. (105) Die ganze Körperkraft wird angestrengt, der Hautpanzer angegriffen, die Männer sind immobil, «halberfroren», steif; sie können kaum die Glieder rühren, können nicht sprechen, müssen in der Kaverne mühsam «aus ihrer Vereisung geschält» werden (126). Zu den Entbehrungen des strengen Winters gehört auch das mit Kälte einhergehende Sickerwasser, das überall eindringt, alles feucht werden und verschimmeln lässt und rheumatische Erkrankungen oder - wenn man es trinkt - schwere Darmkrankheiten verursacht. 15 Mit den massiven körperlichen Beeinträchtigungen und motorischen Einschränkungen gehen Auswirkungen auf die psychische Kondition einher. Dass es im Hochgebirgswinter ununterbrochen «mörderisch schneite» (Langes 36), gehört zu den deprimierendsten «Teufeleien» des Krieges. Das Ringen mit der «Sintflut von Schnee», vollkommen von der Welt abgeschnitten, lässt den Krieg vergessen und Freund und Feind in den treibenden Schneemassen gleich werden. Schnee, Sturm und Kälte scheinen die Feindschaft der kämpfenden Männer zu überwinden, so dass tagelang keine Schüsse mehr fallen. Der Aufenthalt in Schneelöchern und eisigen Kerkern zermürbt ihre seelischen Kräfte, macht sie stumm und gleichgültig. Bei Weber wird der Schnee - der furchtbarste aller Feinde - als eine «schleichende Krankheit» erlebt, «die einem den Willen lähmt, die den Menschen niederwirft» (Granaten und Lawinen 124). «Nicht die Patrouillengefechte und Postenüberfälle sind es, die an den Nerven zerren, sondern der Schnee [. . .] und die Gefahren und Entbehrungen, die er nach sich zieht» (133). Das unendliche Weiß der Landschaft, bittere Kälte und drückende Nebel erfüllen die zähen Kämpfer mit lähmender Melancholie, «mit einer Gleichgültigkeit, die einer schweren Gemütserkrankung ähnlich ist» (133). Zusätzlich wirkt eine ungeheure Spannung, die die kaltblütige Gelassenheit oder Nervenstärke als Beschaffenheit des militärischen Raumes in Frage stellt, gereizte Stimmung hervorruft, die Sinne strapaziert und das psychische Gleichgewicht stört. Die «kalte» Nähe des Todes ist entweder mit der ständigen Gefährdung durch Lawinen oder mit den Bohrungen im Berg (das Rattern feindlicher Bohrmaschinen) und der lauernden Gefahr der Sprengung verbunden. 16 Die ideologisch geforderte Widerstandskraft scheint oft durch die raue Witterung, gleichsam meteorologisch, zunichte gemacht zu werden. 67 «Helden in Fels und Eis.» Die heroisierenden Männlichkeitsnarrationen zum Alpenkrieg inszenieren Momente, in denen die zähe Maskulinität der Gebirgler an ihre Grenzen stößt. Die Männer versuchen zwar, es mit dem Schnee aufzunehmen, sich trotz Tücken des Eises im Gletscher einzurichten 17 und die «weiße Decke» wegzuschaufeln, um Wege zu ebnen, sich zu bewegen, Wärme zu gewinnen oder Langeweile totzuschlagen. Doch wo die an Luft und Licht gewöhnten Kaiserjäger zu «Stubenhockern» in «stickigen Löchern» und finsteren Kavernen verkommen und nur noch fürchten müssen, dass die Füße oder die Hände erfrieren, da kann schwer von militärischer Männlichkeit die Rede sein: «Waren Sie denn überhaupt noch Menschen? » (Fein 68). Es wird gezweifelt, ob das Postenstehen und Schleichen, das Spähen und Lauschen, das «wortlose Ausharren in Sturm und Kälte» und das Hocken in «stickigen Eiskavernen» noch Krieg, noch eines Soldaten würdig ist (Röck 134). Viele Eisfrontkämpfer humpeln mit erfrorenen Gliedern, viele liegen in Lazaretten - halbe Krüppel, lebensschwache und «sieche Greise [. . .] in den besten Mannesjahren» (Fein 68). Viele mussten vor dem gewaltigen Gang der entfesselten Natur kapitulieren und sind dem «weißen Tod», gegen den Mut und Entschlossenheit nichts bedeuten, zum Opfer gefallen: «Wenige nur fallen durch die Waffe; der ungeheure Rest liegt erstickt, zermalmt unter der weißen Decke oder schlummert sanft ins Jenseits hinüber: ermattet, eingeschlafen, erfroren» (Weber, Granaten und Lawinen 124). 18 Einige können durch die Kameraden vor dem Erstickungstod in Schneemassen oder vor der Erfrierung gerettet werden. Weber schildert eine solche Rettungsaktion, die die restlos erschöpften Soldaten (keiner Erkenntnis mehr fähige «Kreaturen») kaum durchführen können, doch vom Erzähler mit zwei Flaschen Rum aufrechterhalten und ermuntert werden (127). Röck beschreibt eine ebenfalls gelungene Rettung von restlos Erschöpften und fast Erfrorenen durch Schütteln und Reiben und durch Einflößen von Rum (20 - 21). 19 Bei Trenker kommt die Hilfe zu spät und Dimais jüngster Kamerad, «zu jung für den Männerkrieg», wird Opfer von Schnee und Frost (Berge in Flammen 127 - 28). In Kaltenboecks Armee im Schatten wird in Bezug auf das Jahr 1918 geklagt, dass die Soldaten kein eigenes Schicksal leben können und nur noch erdulden und dahinvegetieren müssen: «Pflanzen, Sträucher, Bäume, die sich an ein Stück Erde heften, auf das sie der Zufall warf, an ein Stück Fels klammern, hilflos, verdorrend» (277). Aus dem stolzen Verwachsensein mit der Natur der Berge wird hier ein erbärmliches Sich-Klammern an ihre vitalen Kräfte - ein Paradigma, das in vielen Texten als eine Schmach empfunden und skandalisiert wird. Weber spricht den verwahrlosten Vagabunden, die 1918 aus dem Krieg entlassen wurden, nicht nur den Status des Soldaten, sondern sogar die Männlichkeit ab: «Vor vierzig Monaten waren wir Soldaten, vor 68 Monika Szczepaniak einem halben Jahr noch Männer. Heute sind wir verschüchterte Nervenkrüppel, hungrig, krank, feige, hoffnungslos [. . .]» (Das Ende der alten Armee 306). Und doch haben diese Männer - so Weber an mehreren Stellen - ein unerhörtes Heldentum oder eine nachahmenswerte «heldische Gesinnung» (359) demonstriert. 20 Im alpinen Kriegsraum, dessen dominierende Qualitäten - Kälte und Schnee - maskuline Energien extrem mobilisieren, wird auch noch gekämpft, und zwar hauptsächlich unter Einsatz von traditionellen Kampftechniken und soldatischen Tugenden, die im Grabenkrieg obsolet geworden sind. Diese Rückkoppelung an vertraute Männlichkeitsbilder manifestiert sich im Kräftemessen zwischen aktiv agierenden Männern - in der uralten Kampfform «Mann gegen Mann», in der der Stärkere siegt. Erbitterte Nahkämpfe gegen die Alpini mit Händen, Fäusten, Kolben und Messern schildern alle Autoren der in den Alpen angesiedelten Weltkriegsnarrationen. Es sind kurze Raufereien der weißgekleideten Gestalten, die sich kaum von den Schneemassen abheben: «[. . .] das Schreien der Getroffenen - dann wieder die Stille einer eisigen Winternacht» (Weber, Granaten und Lawinen 130). 21 Motiviert werden sie nicht zuletzt, wie Trenker notiert, vom «abenteuerlichen Fieber» (Meine schönsten Berggeschichten 194) 22 oder, wie es bei Weber heißt, von der alten Romantik des Soldatentums, der Tradition der Wildwestgeschichten, von männlicher «Neugier und Abenteuerlust» (Das Ende der alten Armee 194). Die Wüste von Fels und Eis wird als Bewährungsfeld für echte Männer, als Kampfarena für wahre Helden charakterisiert. Ein Paradebeispiel für die individuelle heroische Leistung eines Alpensohnes als mythischem «Helden der Berge» ist die im Roman Berge in Flammen zentral stehende einsame und waghalsige Aktion Florian Dimais unter extremen Wetter- und Kampfbedingungen. Sein athletisch-viriler Körper setzt sich überall abenteuerlich durch (er nutzt sogar taktisch die Lawine, um in die Tiefe zu fahren - ein «verteufeltes Wagnis» (160)). Sein untrügerischer Instinkt führt ihn durch die Schneemassen und er erreicht Gipfelpositionen, um auf geschickt gestohlenen Skiern und in Alpiniverkleidung ins Tal hinabzufahren, dann wieder nach oben zu klettern und die Kameraden zu erlösen. Der einsame Heros 23 gewinnt gegen die Übermacht der «weißen Hölle», auch wenn er «nicht in einem technisch-phantastischen Sinne als Maschine gezeichnet» (Winkler 320) und nicht ganz frei von Sehnsüchten nach Wärme ist. In den Wüsten von Fels und Schnee, in denen sich harte Männer unter extremen landschaftlichen und meteorologischen Bedingungen zu bewähren versuchen, fehlt es nicht an Wärmevorstellungen und Wärmeoasen. Die Männer aus der «Festung im Gletscher» blicken sehnsuchtsvoll hinunter ins Tal und suchen nach Spuren von Grün: 69 «Helden in Fels und Eis.» Etwas vermissen sie trotz all der glitzernden Herrlichkeit ihrer Umwelt: den herben Geruch frisch gepflügten Bodens, den sie zu bearbeiten gewohnt waren, die bunten Prachtblumen bestandener Wiesen und das leuchtende Gold wogender Ährenfelder, die seit frühester Kindheit ihre Sommer durchzogen. (Röck 99) In Trenkers Berge in Flammen denken die Männer aus Cortina stets an ihre Heimat und als Dimai den Heimatort vom Gipfel aus sieht, «jubelt sein Herz» und er wird ein anderer Mensch: Was Krieg ist, fällt von ihm ab, er ist nur mehr der Bergführer Dimai, der sein Heim dort unten sieht, in dem sein junges Weib lebt, die gute Mutter und das Kind, das er noch nie gesehen hat. Mag die Welt dagegen stehen, Freund und Feind, nur für dieses Haus, für die Menschen, die er liebt, lebt er. (135) Besonders der Gedanke an seine Frau Pia ist stärker «als jede andere Gewalt auf dieser Erde» (136). Was inmitten von Schnee und Eis für etwas Wärme sorgt, sind auch rein männliche, kameradschaftliche Geselligkeits- und Fröhligkeitsformen. Weber lobt Trenker für seine immer gute Laune und seine zur Gitarre gesungenen Lieder, die überdauern halfen (Feuer auf den Gipfeln 9). In seinem Band Frontkameraden inszeniert er diverse Versuche, sich eine Spur Wärme zu verschaffen. Die Gespräche der Kämpfer drehen sich um Ernte, Frauen, Kinder, zivile Lebensformen; Kartenspielen und Singen lassen Zonen der Gemütlichkeit entstehen. In Frontkameraden scheinen «weichere» Eigenschaften und Verhaltensformen durch, die vom geschlechtsspezifisch harten und kalten Habitus des «Stahlhelden» Jüngerscher Prägung abweichen. Man begegnet Männern, die sich nach dem Komplex «Urlaub - Heimat - Frau» sehnen, den «Helden der Vaterliebe», die das Glück ihrer Kinder als obersten Wert betrachten, Männern schließlich, die verliebt sind oder sich verlieben und Augenblicke der Freude genießen: «[. . .] sein Herz singt» (53). Für Jüngers empfindungslose Männlichkeitsmaschinen, die im Kampf aufgehen und für die das Kalt-Metallische auch den Umgang mit Frauen vordefiniert, wären solche emotionalen Exzesse, die an «warme», zivile Lebenszusammenhänge erinnern, wohl undenkbar. Trotzdem muss festgehalten werden, dass in den analysierten Texten feminine Lösungen nicht zugelassen sind und die Frauen keinen Zugang zu alpinistisch-kriegerischen Herausforderungen haben. Sie erscheinen nur in Verbindung mit Heimat und Familie - den Wärme-Sphären, in denen natürliche, unkontrollierte Gefühlsausbrüche möglich sind. Die literarischen Erinnerungstexte und Romane zum Alpenkrieg scheinen auf den ersten Blick das kalte und harte Männlichkeitsmuster eines Gebirgskriegers ideologisch zu transportieren. Und doch sind sie voll von jenen «Affekt-Ambivalenzen» (Sloterdijk), die die Helden zweifeln und schwanken lassen und die den Anschluss an das ideologisch gewünschte Kälte-Ideal der 70 Monika Szczepaniak militärischen Männlichkeit als eine schwer abgerungene Leistung inszenieren. Bei Röck verursacht ein Augenblick der Schwäche beim Klettern («Schwindel, Zittern, Herzklopfen wie ein Salontourist») Scham und das Gefühl, als wäre man «alt und verbraucht»; doch wird die Krise überwunden und der Körper schwingt sich geschmeidig nach oben (213). Bei Weber finden sich zahlreiche Passagen, die an erlebte Krisenmomente erinnern. Der Erzähler hat mehrmals Angst, bekommt Schweißausbrüche und Schüttelfrost, kann sich aber immer zusammennehmen und findet neue Kraft zum weiteren Kampf. Trenkers Dimai, der den Fortschritt der Bohrungsarbeiten abschätzen soll, wird «weich» beim Anblick des Heimatortes, doch kann er sich wieder «ermannen» (Berge in Flammen 162). In Cortina angekommen, stockt sein Herz «im Überschwang der Gefühle» (167), und die Entscheidung, die Frau zu verlassen, um die Kameraden zu retten, wird durch Tränen begleitet: «Eine harte Hand wischt sich über tränennasse Augen. Dimai weint. Niemand sieht es. Er droht niederzubrechen - doch die Kameraden warten! » (170). Und der Heros wird wieder der alte: Hart und zäh, bereit, eine riesige Herausforderung anzunehmen und das uralte heroische Narrativ durchzuspielen - die Geschichte von einem Mann, der die Frau verlässt, um eine «eigengeschlechtliche» Kultur- oder Kampfmission zu erfüllen. 24 Trenkers Männlichkeitsnarration basiert nicht auf einer Gefühlskälte, die «warme» Emotionen gar nicht aufkommen lässt, sondern auf Gefühlsbeherrschung oder auf einer Dialektik von Macht und Krise, die für die männliche Gefühlskultur oft charakteristisch ist. Die verklärende Heroismusvariante der Alpenkriegsromane und Erinnerungsbücher schließt die «warme Nische» der Kameradschaft 25 «in der Kälte des technisierten Massenvernichtungskrieges» (Kühne 178) mit ein und preist sie als einen bleibenden, in die Zukunft verweisenden maskulinen Wert. 26 Von besonderer Bedeutung ist dieser Wert in einer Zeit, in der «militante Geselligkeit» Hochkonjunktur hat und männerbündische Gemeinschaftsformen nicht nur identitätsbildende Kraft besitzen, sondern auch die politische Kultur stark mitbestimmen (vgl. Bösch). Es ist die Zeit der Popularisierung des Skisports, 27 dem neue kulturell-weltanschauliche Dimensionen zugeschrieben werden; der Nationalisierung des Körpers und der politischen und ästhetischen Bildung der Jugend, 28 der die nationalistisch gesinnten politischen Kräfte nicht nur bündische Strukturen, sondern auch den Alpinismus als eine Form körperlicher Ertüchtigung und Fluchtbewegung aus den Städten offerieren. Die in den Bergen «geborene» Kameradschaft wird als eine besondere Männlichkeitsressource gepriesen und als ein alternatives Modell gegen die kalte Ordnung einer rationalisierten und individualisierten Gesellschaft inszeniert. Die «Vergötzung» von Gletschern und Felsen sowie 71 «Helden in Fels und Eis.» der damit «verwachsenen» Männlichkeit korrespondiert mit der nationalsozialistischen Ideologie und wird von ihr bekanntlich - in der Formulierung von Siegfried Kracauer - bald «ausgeschlachtet» (121). Kein Zweifel kann darüber bestehen, dass die Erinnerungstexte und trivialen Romane zum Alpenkrieg einen mythischen Erlebnisraum inszenieren und eine Elite von harten «Gebirglern» aus den Alpenländern privilegieren, von intakter Willenskraft und heldenhafter Gesinnung, virtuos im Ertragen von Strapazen, ausgestattet mit massiven Körpern und starken Nerven - ein Gegenbild zu neurasthenischen Biographien der Großstädter. 29 Diese Männlichkeit ist steinhart, aber sie scheint nicht «eiskalt» zu sein. Sie integriert bestimmte Gemütswerte und emotionale, gelegentlich «warme» Attitüden, die nicht unbedingt - wie etwa bei Jünger oder den deutschen nationalistisch gesinnten Autoren - mit Gewalt gekoppelt sind. Ein ambivalentes und gebrochenes Bild der österreichischen heroischen Männlichkeit ist bereits das Erbe des Krieges. Alice Schalek notiert 1915: «Künstlerisch wirken diese markigen mittelalterlichen Gestalten und dennoch ungeschlacht, treuherzig sind sie und doch mißtrauisch, kühn und doch vorsichtig, leidenschaftlich und doch bedächtig, poetisch und zugleich theatralisch und ehrlich, aber verschmitzt [. . .]» (52). «Offene Gemütlichkeit» und «gemütliche Kameradschaft» (111) wird den Tirolern auch Anfang der 1930er Jahre attestiert - begleitet durch bellizistische Emotionen bei Weber oder in einer kitschigen Heimatstilisierung bei Trenker. Die deutsch-österreichischen «Söhne der Alpen», die das Inferno der Hochgebirgsfront überlebt und männlichen Kameradschaftsgeist gerettet haben, fühlen sich dazu verpflichtet, den Kampf für das große Deutschland fortzuführen oder den Bergen verpflichtet zu bleiben. 30 Und sie können - auch das geht aus den analysierten Texten hervor - mit den «unsicheren», «kleinlichen», «selbstsüchtigen» (Schalek 69) Männern, den «Salontouristen» aus den Städten - erfolgreich konkurrieren. In diesem Sinne versucht Trenker zu überzeugen, dass die Bewohner aller «Schneeländer» sich durch eine besondere «Art und Kraft» auszeichnen (Berge im Schnee 11), denn: «Kälte strafft. Hitze erschlafft» (20). Die Weimarer «Verhaltenslehren der Kälte» können als ein Beitrag zur Restabilisierung der nach dem Ersten Weltkrieg stark verunsicherten militärischen Männlichkeit interpretiert werden. Die österreichischen Texte zum Alpenkrieg, die vorwiegend Anfang der 1930er Jahre erschienen sind und oft eine deutschtümelnde Grundierung aufweisen, müssen ebenfalls als ein Beitrag zur Remaskulinisierung der Gesellschaft bzw. Reetablierung soldatischer Männlichkeitsideale gelesen werden, auch wenn die militärische Männlichkeit in ihnen mehr oder weniger emotionalisiert wird. In literarischer Verarbeitung bringt die Alpenkriegsfront als vorstellbarer Trainings- 72 Monika Szczepaniak raum der Kälte nicht unbedingt (oder nicht nur) schmerzlose Körpermaschinen hervor, die sich in den Strom der Modernisierung problemlos eingliedern und mit den Trennungsprozeduren der Moderne einverstanden sind. Offensichtlich gibt es unterschiedliche, in nationalen, regionalen und politischen Kontexten verwurzelte Versuche, die hegemoniale Männlichkeit zu modifizieren bzw. neue politische Männlichkeitskonzepte zu etablieren. Einer von ihnen läuft darauf hinaus, die im Krieg beschädigte und in der Ersten Republik angeblich gedemütigte militärische Männlichkeit durch die Konfrontation mit den «erhabenen» Bergen zu regenerieren. Dieser Diskurs basiert auf einer grundsätzlichen Überzeugung, dass die Herausforderungen von extremen Landschafts-, Wetter- und Kampfbedingungen jenseits der Kälte und Künstlichkeit der Metropolen die Möglichkeit schaffen, Krisen zu überwinden und Gipfel der Männlichkeit zu erreichen. Anmerkungen 1 Zum Kälte- und Coolnessbegriff vgl. Mentges. 2 Dem Heros werden höchstens negative, mit Gewalt gekoppelte Emotionen zugeschrieben, nicht aber die mit dem Objekt- und Opferstatus verbundenen, als «weiblich» geltenden Affekte (Angst, Scham und Trauer). Vgl. dazu Scholz. Die (wärmende) Liebe erscheint in den meisten heroischen Narrationen als ein Hindernis auf dem Weg zum Ziel, als eine Krise oder Verweiblichungsgefahr - sie wird entweder ausgegrenzt oder überwunden und nur selten in die Heldenbiographie integriert. 3 Diese Separation ist ein Trennungsakt, der mit dem Verlust der familiären Wärme in bürgerlichen Binnenräumen assoziiert wird. Sie bedeutet einen Übergang in die Kälte- Zonen der gesellschaftlichen Institutionen. 4 Zur revanchistischen Aktivität der ehemaligen Offiziere, u. a. zur Bedeutung der Erinnerungsarbeit, die auf Rehabilitierung durch Heroisierung abzielt, vgl. Melichar. 5 Vgl. dazu Suppanz und Eisterer. 6 Vgl. Kabischs Titel Helden in Fels und Eis. Kabisch war ein deutscher Offizier und Militärschriftsteller, der in der Weimarer Republik der Reichswehr angehörte und in den 1930er Jahren zahlreiche Bücher zum Ersten Weltkrieg veröffentlichte. 7 In besonderer Weise bezieht sich diese Aufwertung der Kälte auf die Metropole Berlin (die Vorstellung vom «kalten Wien» ist wohl nicht so selbstverständlich). Zum Topos der Modernisierung als Vereisung vgl. Lethens Aufsatz «Wir bedienten die Gefriermaschinen». 8 Lethen nennt Jüngers Schriften Die totale Mobilmachung (1930), Der Arbeiter (1932) und Über den Schmerz (1934) als repräsentativ für die Konstruktion der kalten Persona. Diese verkörpert sich in der Gestalt des Arbeiters, der am Vorbild des «in Stahlgewittern» geborenen Frontkämpfers modelliert ist. Theweleit analysiert in seiner psychoanalytisch fundierten Studie Männerphantasien (1977/ 78) den Prozess der Ausbildung eines intakten «Körperpanzers», der als kalte, emotionslose, «gestählte» 73 «Helden in Fels und Eis.» Männlichkeit phantasiert wird (die um ihre Körpergrenzen ringenden soldatischen Männer sehen sich durch das Flüssige bedroht - vgl. das Phantasma des «Sumpfes»). 9 Zur Politik der kalten Männlichkeit in der Weimarer Republik vgl. Morat. 10 Zur männlichen Höhe-Position in der Abgrenzung von Weib und Masse sowie von Tod und Schrecken vgl. Theweleit, Bd. 2: Masse und Kultur - Der «hochstehende Einzelne», 54 - 74. 11 Ein Paradebeispiel für diese Legendenbildung ist der Tiroler Bergführer Sepp Innerkofler, der 1915 beim Versuch, den Paternkofel zu erobern, ums Leben kam und nach dem Krieg «zum Heldenheiligen des Alpinisten und Kriegers» (Hanisch, Männlichkeiten 400) stilisiert wurde. Der Alpinist und Kaiserjäger im Alpenkrieg Gunther Langes widmet ihm das erste Kapitel seines Buches Front in Fels und Eis und betont, dass er in der aus grauer Vorzeit stammenden Kampfform Mann gegen Mann den Heldentod gestorben ist und vom Feind in Ehre begraben wurde (5). Auch Trenker würdigt Innerkofler als einen der «Helden der Berge», der sich auch als Bergführer, Hauswirt und Vater ausgezeichnet habe. Trenkers Narration über Innerkoflers Tod unterscheidet sich kaum von der bei Langes: Der Heros starb im Zweikampf für sein Heimatland Tirol und für die Berge und wurde zu einer Legende, die durch die «ritterliche» Bestattung und Ehrenbezeugung durch den Feind zusätzliche Wirkungskraft bekommt (vgl. Trenker, Helden der Berge 118 - 42). 12 «[. . .] und was auf Erden unermäßliche Kräfte aufspeichert in der Gestalt von Gletschern, Kälte und Eis, das kann nicht ohne Einfluß sein auf den Menschen [. . .]» (Trenker, Berge im Schnee 20). 13 Die Beduinen sind nomadische Wüstenbewohner, die die Naturkräfte kultivieren und mit der Landschaft sehr stark verbunden sind. Wie die Alpenkrieger müssen sie ihre natürliche Umgebung erkunden und sich ein Wissen verschaffen, um in der Hitze überleben zu können. 14 Vgl. Langes 17, 18. 15 Der Schnee war oft mit chemischen Mitteln aus Sprengstoffen verseucht. 16 Die Lawinengefahr und den «weißen Tod» beschreiben alle Erinnerungsbücher zum Alpenkrieg; auch die Gefahr der Sprengung wird oft thematisiert, v. a. bei Luis Trenker in Berge in Flammen. Auch Röck beschreibt die «Minengänge in Fels und Eis» und das ewige Horchen und Warten. Weber erzählt über die Bohrungen und Sprengschüsse im Inneren des Berges Pasubio, die die körperliche und seelische Energie der Österreicher und Italiener «aufs Äußerte anspornte» (Granaten und Lawinen 132) und über das lange Leben im Betonwerk Verle, wo jeder Anschlag unerträgliches Ohrensausen und Kopfschmerzen, manchmal Übelkeit und Erbrechen verursachte und an der «oberösterreichischen Nervenkraft» zehrte. «Nur Menschen mit eisernen Nerven halten diese Form des Kampfes aus» (Das Ende der alten Armee 35). 17 Vgl. die Schilderungen des «Eiskrieges» im Marmolata-Gletscher, wo die Soldaten zu Schnee- und Eisingenieuren geworden sind, eine Eisstadt im Gletscher gebaut und unter Eise gelebt haben (z. B. Langes 20 - 30). Zu der historischen Darstellung der «Stadt im Eis» vgl. Jordan 288 - 93. 18 Vgl. Langes 28; Trenker, Berge in Flammen 122; Röck 47 - 59 (in der Reihe der «starren Gesichter» der toten Opfer werden Züge des «slawischen Typus» erkannt); Weber, Feuer auf den Gipfeln 91, 105 (Weber betont stets die besonderen Qualitäten der Deutschösterreicher - sowohl im Schnee als auch im Werk Verle), ders. auch: Granaten und Lawinen 123 - 24. Die künstliche ausgelöste Lawine avanciert zur schrecklichsten aller Waffen. 74 Monika Szczepaniak 19 Alkohol ist, neben dem Schweiß, eine Flüssigkeit, die den Körperpanzer nicht bedroht und wärmende Kraft besitzt. 20 Erwähnenswert ist die in einigen Texten betonte Rolle der Frauen, die gelegentlich Mittel zum Kälteschutz und vor allem Liebesgaben zu Weihnachten schicken. Nicht zuletzt die Fürsorge liebevoller Frauen im Hinterland hilft den strengen Hochgebirgswinter überdauern. 21 Handgemenge beschreibt Weber auch in Feuer auf den Gipfeln: Die Masse der Landsknechte «individualisiert sich» in der Wahl zwischen Messer und Gewehr, Spaten und Handgranate (55 - 56; auch 98). 22 Trenker schildert den Ausgang der Auseinandersetzung mit dem Alpini, der sich «ritterlich» benimmt und ihn nicht «wie einen Hasen [. . .] über den Haufen schießt». 23 «Der Alpinist wird zum Helden, weil er die Landschaft überwunden hat und sie [. . .] geschlagen unter ihm liegt» (Rapp 27). Der Alleingeher, der unter Todesgefahr souverän die Gipfelpose erreichen kann, ist ein alpinistisches Männlichkeitsideal. 24 Vgl. die psychoanalytische Annäherung an dieses Thema von Pietzker. 25 Allerdings hat diese Kameradschaft auch ihre Grenzen entlang der militärischen Rangordnung. Besonders bei Weber kann sie schwer als eine egalitäre bzw. «weiche» Gemeinschaftsform, die über Hierarchien hinausgeht, interpretiert werden. 26 Bei Röck wird die «eiserne Kameradschaft» gepriesen, die nach dem Zerfall Österreichs geblieben ist. Weber verweist auf das «Wunder der Kameradschaft», das auch in der desaströsen Lage am Ende des Krieges ein homosoziales Netz von Beziehungen und gegenseitigen Hilfeleistungen entstehen lässt. Trenker zeigt die Freundschaft von Bergkameraden, die über die Kriegsfronten hinausgeht. Neben unterschiedlichen «Kältetechniken» (Lethen) sind Wärmesphären der rechten (und auch linken) Gemeinschaftsideologien aus der politischen Kultur der Nachkriegszeit nicht wegzudenken. 27 Vgl. auch die hohe Konjunktur der Ski- und Bergfilme in den 1920er und 1930er Jahren, die den Nerv der Zeit zu treffen scheinen (Rapp 9 - 11). 28 Zu der politischen Situation im Österreich der Zwischenkriegszeit, der Remilitarisierung der Gesellschaft und der Erziehung der Jugend aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive vgl. Hanisch, «Die Rückkehr des Kriegers». 29 In den 1920er Jahren hat sich das Bergsteigern stark ausgebreitet. Der Massentourismus führte zur Überflutung des Gebirges und zur Gefährdung des elitären Charakters der alpinistischen Abenteuer. Daher rühren die Versuche, die heroische «Gipfelpose» des Bergsteigers als Einzelgängers zu retten. 30 Trenkers «Bergkameraden» Dimai und Franchini mussten in feindlichen Armeen kämpfen. Ihre Freundschaft konnte den Krieg überdauern. 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Dass die Verkoppelung von faszinierendem Märchenwunder und novellistischem Ereignis die vermeintlich klaren Gattungsgrenzen jedoch nicht selten aufweicht, ist in der Forschung bislang weitgehend ausgeklammert und die kontrastive Misch-Gattung wenig treffend als „Kunstmärchen“ bezeichnet worden. Das vorliegende Buch will eine seit Langem bestehende Lücke in der deutschen Gattungsgeschichte schließen und den nahe liegenden Begriff der Märchen-Novelle etablieren. Dazu werden exemplarisch bekannte und weniger bekannte Novellen vorgestellt und analysiert: von Novalis’ „Hyazinth und Rosenblütchen“, über Ludwig Tiecks „Der Runenberg“, Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“ und Franz Kafkas „Die Verwandlung“ bis hin zu Peter Rühmkorfs „Auf Wiedersehen in Kenilworth“. Kalte Stimmung, or the Mode of Mood: Ice and Snow in Melodrama INGA POLLMANN U NIVERSITY O F N ORTH C AROLINA The strange power of images of coldness in melodrama presents a particular case of the aesthetic question of the relationship between images of landscapes or nature in films on the one hand and affect and spectatorship on the other hand. Images of snow, frost, ice and other signs of coldness often partake in a particular aesthetics of nature or, at least, an aesthetics of natural processes, exemplified by, for example, the aesthetics of the sublime in the infamous German Bergfilme of the 1920s and ‘ 30s by Anton Fanck, Leni Riefenstahl or Luis Trenker. I argue that these signs of coldness function in other mediaspecific ways as well. These images have a narrative function, indicating, for example, place and time, and also play an important role in the affective economy of the film, an economy that might best be described as an atmosphere or Stimmung (attunement, mood). The most haunting instances of coldness in melodrama perform yet a third function: with cold hands, they inscribe technological mediation into the film so that the cinematic image becomes suspended between nature and technicity, eternal cycle and historicity, love and death. My argument unfolds in three stages. I begin by looking at Alexander Kluge ’ s recent film Landschaften mit Eis und Schnee (Landscapes with Ice and Snow, 2010) as a contribution to media theory in the name of coldness. Kluge draws on Theodor W. Adorno ’ s discussions of coldness, (instrumental) reason and natural beauty. Looked at through an Adornian lens, the film provides us with a blueprint for thinking about how to correlate coldness and media as well as nature and technological mediation. I then turn to D. W. Griffith ’ s melodrama Way Down East from 1920 with its spectacular dramatic climax in which the heroine is rescued from an ice floe after getting lost in a snowstorm. I argue that this film not only illustrates the various correlations among cinema, coldness, and pathos outlined in the first section, but it also highlights how these correlations are always organized according to a particular historic constellation, in this case the film-historical context of Griffith ’ s drama. In the third and final section, I focus on Max Ophuls ’ s 1932/ 33 film adapation of Arthur Schnitzler ’ s play Liebelei (Flirtation), in which Ophuls marks moments of love and death by situating them in winter landscapes. I argue that Ophuls ’ s film indicates how in a different film-historical moment, both coldness and pathos are internalized in melodrama, so that cold landscapes not only threaten the melodramatic heroine as they do in Griffith ’ s film, but also mirror the impossible conflation of coldness and pathos, love and death by means of a pervasive, cold Stimmung. Alexander Kluge ’ s recent film Landschaften mit Eis und Schnee and accompanying slim book Stroh im Eis 1 are a meditation on, and investigation into, images of and stories about ice and snow. They explore the potential of technological mediation to create an aesthetic of ice and snow in tandem with a critical gaze at the role of coldness in modern society. The central question of Kluge ’ s film is driven by conversations Kluge had with Adorno shortly before the latter ’ s death, in which Adorno urged him to make a film about coldness. In one of the stories in Stroh im Eis, Kluge describes how Adorno conceived of coldness in modernity as a dialectical image. Adorno suggested that in the ice age, coldness produced intelligence and reason by creating the fundamental distinction between warm and cold, thus forcing human beings to find ways to keep warm. He also suggested that instrumental reason itself eventually engendered a more fundamental coldness as a by-product of the modern process of alienation (Kluge 2010, 69 - 70). It is this latter point in particular that Adorno discusses in «Education after Auschwitz.» Adorno posits that humans, under the pressure of the forces of capitalism, technology, authoritarian structures and superceded bourgeois ideals, develop a «reified consciousness»; they «have, as it were, assimilated themselves to things. And then, when possible, they assimilate others to things» (6). These individuals are «cold through and through» (6) - indeed, according to Adorno, coldness is a basic trait of the human condition. Love, especially as an imperative, «is itself part of the ideology coldness perpetuates. It bears the compulsive, oppressive quality that counteracts the ability to love. The first thing therefore is to bring coldness to the consciousness of itself, of the reasons why it arose» (6). The stories Kluge tells in both his film and the book explore the correlation of coldness, love, clarity of vision, adventurous quests, social norms and imperatives, community formation, and capital and state interests. In combination with this dialectical pursuit on the narrative level of coldness as a state of being corresponding to a society under industrial capitalism that has embraced instrumental reason, Kluge ’ s film performs an aesthetic inquiry into the aesthetic potential of texts about, and images and sounds of, coldness, including wind, ice, and snow. The film consists of 31 parts and combines interviews, photographs, drawings, portraits, computer generated imagery, 80 Inga Pollmann and clips from films spanning the history of film, thus juxtaposing different formal conceptions and media that constantly permeate one another. While all parts revolve around coldness, snow, and ice thematically, they vary in the way they approach the topic. In their arrangement in the film, the parts not only inscribe themselves into the film as a whole, but each part also consists of a multiplicity of visual, acoustic, and narrative layers. This second pursuit concerns the role of technologically mediated nature in and for aesthetics, a question that can also be traced back to Adorno and especially his thoughts on natural beauty, «das Naturschöne» (Adorno 2004, 91 ff.). «The technical medium par excellence,» Adorno said cryptically in his essay «Transparencies on Film,» is «deeply related to natural beauty» (201). Fig. 1: Drops swell at the tip of an icicle and reflect the surrounding landscape (Kluge, Landschaften mit Eis und Schnee). The potential of natural beauty is probed in Kluge ’ s film by many images and sounds, including scenes of snowscapes, snowstorms, ice crystals, an icicle, and footsteps in the snow. Technical mediation, however, is always inscribed in these images, so that even as we give ourselves over to the aesthetic experience of what we see and hear, we cannot separate the experience from technological mediation and manipulation. A case in point is the repeated 81 Kalte Stimmung, or the Mode of Mood static closeup of the tip of an icicle releasing water drops. The image ’ s duration brings us into close contact with the icicle ’ s peculiar temporality - a form that recounts its genesis and makes visible the passing of time only in its disappearance through a change of states of matter. But ice and film refer to one another in other ways as well. The sequence of swelling and falling water drops recounts the materiality of the filmstrip, that is, the vertical sequence of discrete images; the genesis of fluid water out of static ice reiterates the magic of film ’ s creation of movement out of photograms. The image in the drop of water, in this case the silhouette of a forest against a sky with a radiating sun, comes into being again and again inside the swelling drop, creating a precious, ephemeral apparition. In these images of nature as technological mediation and technological mediation as expression of natural beauty we may glimpse a historical configuration of human, nature and technology wherein these three elements are not antithetical to one another, but rather each includes the other. 2 In the image of the dripping icicle we come to understand coldness as the latent storehouse of an energy that can produce discrete images, images that retain their power of difference and differentiation, but nevertheless afford a moving aesthetic experience. It is this complex intertwining of coldness and aesthetic expression, of nature and technological mediation, that I want to apply to melodramas of ice and snow. The power of melodrama as a mode rather than a distinct genre lies in its ability to produce strong affective and emotional responses. As such, it has traditionally been understood, produced, and marketed as a woman ’ s genre. However, what makes melodrama so interesting is not just its female protagonist and its predominantly female audience, but also its emphasis on a «feminine» mode of communication between spectator and film, that is, a form of communication that exceeds the logic of the narrative and which is based on emotional affection. Critics such as Linda Williams, Tanja Modleski, and more recently Hermann Kappelhoff have articulated part of this logic of melodramatic affection by emphasizing differentiated and productive ways of understanding female communication and suffering in women ’ s melodramas. They have demonstrated that even as its plot lines often simply reinscribe conservative patriarchal norms and values by means of passive female roles and a narrative that ultimately reaffirms gender stereotypes, melodrama can nevertheless be a productive and creative cinematic mode since the affective engagement with the dramatic conflict that melodrama demands does not necessarily or ultimately believe in its narrative resolutions. The combination of melodramatic mode and images of ice and snow, of passion in a cold atmosphere, demands a complex affective negotiation 82 Inga Pollmann between temperatures. D. W. Griffith ’ s 1920 film version of the stage melodrama Way Down East provides some of the starkest imagery of melodramatic action, female suffering, and coldness. In this film, snow and ice not only mediate nature and technology, passion and reason, but also mark a particular film-historical configuration in the negotiation of melodramatic mode and realist impulse. Lillian Gish plays the passive heroine Anna Moore who, in classical stage melodrama fashion, cannot herself speak up and announce her innocence and virtue. 3 Succumbing to the wiles of the nobleman Lennox Sanderson (Lowell Sherman), she is tricked into a fake marriage. When she finds out the truth, he deserts her. She gives birth to a child who dies soon thereafter. After finding new employment with Squire Bartlett on a country estate, she finds out that her former lover lives nearby. Soon rumors of her past reach the Squire and he orders Anna to leave the house. She leaves despite a raging snowstorm outside. The Squire ’ s son David (Richard Barthelmess), who has fallen in love with her, follows and rescues her from the drifting ice floes on a river. Back home, the Squire forgives her, Sanderson is expelled, and Anna marries David. The snowstorm and ice floe sequences combine the symbolism of raging storm and thawing ice with the visual spectacle of a real snowstorm and real ice floes, and thus constitute the melodramatic climax. The melting and breaking of the ice enables the physical and psychological movement that is necessary to bring about the transition from doomed victim to rescued bride. In other words, if it were not for the wild winter weather, the woman ’ s rescue would just have been a physical rescue not resulting in a transformation. She needs the cold and, in particular, the dangerous and extreme weather conditions of the ice melt to open up to the warmth of family love and hearth. Our interest in and excitement about the scene is informed by both the emotional implications of the melodramatic story and the visual attraction of the breaking ice itself. This combination was not lost on contemporary viewers and reviewers, who scorned the old-fashioned stage melodrama on which the film was based, but lauded the ice floe sequence. 4 Analyzing reviews from the era, Lea Jacobs shows how Griffith ’ s film emphasized the cinematic medium ’ s specificity precisely by breathing new life into this melodrama «of fearful dialogue and even more fearful construction» (Smith 84), as one critic put it in 1920. Jacobs argues that Griffiths was able to do so especially because of his skillful parallel editing and the visual attraction of real nature. In other words, there was both a formal and a phenomenological change that turned a dusty stage melodrama into a riveting, acclaimed film melodrama, even though Griffith made hardly any changes to the main plot and its melodramatic conflict. 83 Kalte Stimmung, or the Mode of Mood Figs. 2 and 3: Anna (Lillian Gish) lies unconscious on ice floe (D. W. Griffith, Way Down East). 84 Inga Pollmann Dramaturgy, natural scenery, and montage in Way Down East establish a triangulation of cinematic medium, melodramatic convention, and cold landscape that, as I will suggest below, perseveres through film history and not only complicates any account of what is modern, but also inscribes film melodrama with a coldness that will permanently reflect back on the technological mediation of both nature and emotional artifice. Griffith ’ s film accomplishes this first through dramaturgy. The melodramatic ordeal sets in with a snowstorm in which Anna gets lost and David searches for her in vain. When Anna reaches the river a moment of retardation and calm sets in as she falls down on the ice exhausted. The breakup of the ice adds a new dramatic element as, on these shifting grounds, David tries to get to Anna ’ s floe. Finally, the introduction of a waterfall, preceded by shots of rapidly moving ice and breaking floes, provides the sequence (and the film) with a race to the lastminute rescue. The orchestration of threatening nature thus proceeds from the chaotic, blinding, disorienting storm, to the clear, abstract pattern of shifting, swiftly moving ice floes, to a final intensification that juxtaposes the deadly waterfall with Anna and her savior. The sequence moves from chaotic to more orderly movement when the multi-directionality of the storm is replaced by the linearity of the river and the two-dimensional shifting patterns of floes, which in turn are eclipsed by the forceful dramatic linearity of the last-minute rescue. In his discussion of Way Down East in his treatise on Film Technique and Film Acting, Russian director Vsevolod Pudovkin claims that the sequence of storm, river, and waterfall repeats, «on large scale as it were, the same line of that increasing despair - despair striving to make an end, for death, that has irresistibly gripped the chief character» (129). The strength of Griffith ’ s filmmaking lies in the fact that «the action of the scenario develops among characters blended directly with that which takes place in the surrounding world» (Pudovkin 128). For Pudovkin, the sequence stands out in its achievement of homogenizing, as it were, human drama and environment, not in the sense of one symbolizing the other, but rather in the sense that one expresses and intensifies the other, such that internal and external drama become indistinguishable. In addition to the dramaturgy, the photographic realism of snow, ice and water in Griffith ’ s film impacts its melodramatic economy. Moving beyond Pudovkin, Linda Williams argues that within the logic of the melodrama, the snowstorm and breaking ice are able to restore the virtue of the passive heroine and reestablish order not only because the melodrama «blends» the characters with the surrounding world, but precisely because the punishment is transferred from the punishing patriarchal figures (Sanderson and David ’ s father) to the cold, hostile natural elements: 85 Kalte Stimmung, or the Mode of Mood Ice, icy water, and snow are frigid elements that counter the sexual fires that produced the illegitimate child [. . .]. They cool and wash Anna metaphorically clean of the crimes she technically did commit and which the patriarchal double standard still believes stain her. The ‹ moving picture › of the frozen heroine passed out on the ice, hair and hand trailing in the water, rushing toward the falls - enhanced by the extratextual legend that Lillian Gish suffered acutely from frostbite during the shooting of the film - moves us not only because it combines the pathos of her suffering with the action of David ’ s rescue; it also punishes the heroine in the most appropriate manner for a sexual crime that the melodrama both believes and does not believe she is guilty of committing (Williams 2001, 37). According to Williams, snow and ice have both a metaphorical and an actual, a melodramatic and a realist function. Their realism as well as the somatic ordeals for heroine and spectator guarantee the melodramatic structure of having it both ways: presenting, preserving and confirming the patriarchal order as well as proving the heroine right and defending her. One could even say that in this sequence, a social and moral struggle is eclipsed by a struggle against cold nature. This melodrama thus transposes the general thrust of Adorno ’ s connection between coldness and instrumental reason into the specific constellation of cold nature and patriarchal order. Finally, Griffith ’ s montage further ties cold nature to the formal properties of cinema. The mise-en-scène of the storm highlights the violent, chaotic movement of storm-tossed branches, whirling snow, and rushing ice floes; Griffith ’ s parallel editing draws a direct line from the melodramatic conflict to the snowstorm. He cuts from David ’ s violent movement as he attacks the culprit Sanderson following Anna ’ s accusation, to Anna ’ s similar, rushed movement of throwing a scarf over her hair and fleeing outside, where strong, snow-carrying winds immediately tear at her scarf and coat. Another graphic match occurs moments later when David storms out of the living room and up the stairs, where he bangs against Anna ’ s door and calls her name, not knowing that she has already left the house. The shot is followed by the intertitle, «And then the storm,» whereupon we see Anna in the raging storm, reduced to a mere shadow, turning around. When David enters her quiet, neat room and looks around, we cut back to Anna again, who is enclosed by bushes and trees and seems trapped in the blinding weather. David begins to look for her outside and goes over to the camp, where he meets Sanderson who, during his rushed exit, fell from his carriage. A similar «match-on-movement» cuts from the fight between the two men back to Anna, who is flanked by two dark, wind-shaken fir trees. These examples of Griffith ’ s intricate parallel editing indicate how the dramatic action and emotional conflicts are transferred visually and emotionally onto the snowstorm. The parallel editing between Anna and David 86 Inga Pollmann gives no clues as to their location vis-à-vis one another nor do we get a coherent sense of the landscape and the river as a whole. The same destabilization takes place with respect to time. As Michael Allen notes, Anna seems to be outside from dinnertime, when she is expelled from the house, to early morning, when she and David return to the house, although there is no visible ellipsis in the depiction of the search and rescue (157). Likewise, the conflict between «too late» and «in the nick of time» that provides the suspense for the final rescue stretches time unbearably; we feel we cannot wait for the rescue. The disorientation provided by the snowstorm and the threatening breakup and erratic movement of the ice provide visual, physical parallels to Griffith ’ s montage technique which is itself a cinematic disorientation and breakup of time and space. The storm and breakup of the ice thus have a medial function; they are inseparable from the film ’ s form. In Way Down East, snowstorm and melting ice play out the reflexivity of the technological medium and cold nature that was not only illustrated, but also instantiated, in Kluge ’ s film by the image of the icicle. By marking the moment the drama switches from internal to external conflict, patriarchal to natural force, emotion to action, snow and ice also indicate the historical, formal, and media-specific relevance of the film. As an early cinematic melodrama, it still retains certain elements from nineteenthcentury stage melodramas such as the combination of pathos and action; yet by making use of cinema ’ s visual-photographic powers, the film translates the old-fashioned dramatic conflict into something else, namely a modern visual spectacle. 5 Snow and ice simultaneously tie the film drama to its past stage format and instantiate film drama ’ s very modernity in form and effect by means of montage, close-ups, and long distance shots of the landscape. Following Adorno and Kluge, one can posit that by means of the formal and visual affiliation of film technology and cold nature, the film seems to illustrate the cruel coldness of patriarchal law, revealing that love and the bourgeois hearth are no more than cold ashes. Yet due to its particular film-historical form, namely the point at which film melodrama still externalizes the dramatic conflict and combines pathos with action, Way Down East is able to instrumentalize cold nature on two levels. Narratively, cold nature serves as the Other as patriarchal punishment is displaced onto nature and the outside in order to enable a happy ending in the protected bourgeois home. Formally and visually, however, this cold nature becomes the ally of the technological medium and thus is not Other at all; on the contrary, cold nature reflects the technological medium in its capacity to visualize, i. e., externalize, inner turmoil and to manipulate time and space. A contradiction runs through the melodrama; namely, the contradiction between cold nature as naturali- 87 Kalte Stimmung, or the Mode of Mood zation of patriarchal order and cold nature as reflexive technological mediation. Another way of putting the contradiction would be to ask how we conceive of the particular modernity of film melodrama. Adorno ’ s dialectics of coldness make it difficult to comprehend fully the function and effect of cold nature in melodrama, since the dramatic affect, which is so undialectical and very much inscribed onto the bodies of both heroine and spectator, can only be conceived as ideologically complicit with the culture industry in his theory. A framework is thus needed that can incorporate spectatorial affection into deliberations on the nature of coldness. For this reason, more recent attempts to focus on the expressivity of landscapes, while making useful distinctions, are ultimately unsatisfying as well since they likewise separate out environment, action, and affection. In a recent volume on landscape and the cinema, Martin Lefebvre distinguishes between landscape and setting. Landscape, as Lefebvre rephrases an expression used by Anne Cauqelin, is a «space freed from eventhood» (21). He thus defines cinematic landscapes as those moments in which the view of a landscape escapes or exceeds the confines of the narrative for a moment. It is in these precise moments that a view of an environment is more than a mere setting for an action that takes place in it. While this definition is useful in helping us to think about the roles of «environment,» «nature,» or «place» in films, and while it highlights that what is seen is cinematic (presented/ represented rather than real, and thus imbued with cinematic value) and dependent on the spectator ’ s perception and involvement, it nevertheless begs several questions. How can «action» or «narrative» be delineated? Is the definition of narration vs. spectacle - a distinction Lefebvre takes from early cinema scholarship - sufficient? Finally, what is the relationship between cinematic landscape and «real» landscape? 6 According to Lefebvre, landscape in narrative film becomes visible only in flashes, that is, in moments in which the setting draws attention to itself and attains meaning outside of or beyond the narrative context. However, such a conceptualization seeks to distill autonomous meaning from the landscape, rather than focus on the intricate ways in which setting and action interact. Because setting remains a relatively passive concept in Lefebvre ’ s account that carries meaning only insofar as it relates to the narrative action, it also does not incite a particular spectatorial affect. Additionally, this definition of landscape and setting reduces cinematic landscapes to what would be considered a landscape in reality as well. As a consequence, the idea of a cinematic capacity to imbue objects with a quality akin to landscape falls by the wayside (Béla Balázs ’ s description of the landscape as face and Gilles Deleuze and Félix Guattari ’ s correlation of face and landscape as parallel mechanisms of 88 Inga Pollmann subjectification and signifiance are two examples of this capacity. See Balázs, 52 - 53; Deleuze and Guattari, 172 - 73). Therefore, I suggest that we collapse the distinction between landscape and setting into a third term that has the capacity to encompass autonomous expression, interaction with narrative, and spectatorial investment: namely, the notion of Stimmung. The German word Stimmung is closely related to the notions of «atmosphere» or «aura» and has assumed a prominent place in recent German literary studies. 7 In contrast to Adorno ’ s dialectical coldness and theories of landscape, the concept of Stimmung can account for the complex interplay of cinematic image, dramatic narrative, and spectatorial affect. Yet there is a problem with the conventional notion of Stimmung. Stimmung, especially the way it was used as an analytical concept by the art historian Alois Riegl and the philosopher Georg Simmel in the late 19 th and early 20 th centuries, always presumes a holistic congruence of inner disposition and environment and is thus quite similar to Walter Benjamin ’ s concept of aura (Benjamin 1999 a, 518 - 19; 1999 b, 103 - 05, 112). Stimmung is a «warm» concept; it envelops us like a coat. Hans-Ulrich Gumbrecht recently advocated for Stimmung as a reading practice that foregrounds the prosodic element of literary texts and focuses on presence rather than representation, on atmosphere, tone, and rhythm rather than plot and interpretation, thus allowing for a merging of historical and aesthetic experience. For Gumbrecht, the capacity of literary texts to «surround» and «envelop» us with a Stimmung fulfills a need felt in times characterized by technological mediation to experience the thickness of material presence (Gumbrecht 29). Against this concept of Stimmung and (literary) mediation, I want to invoke the role of technological mediation and its capacity to reflect on (cold) technological conditions by means of what I would like to call a cold Stimmung. Melodramas of snow and ice interweave not only cold nature and dramatic narrative with somatic affection, a texture we could describe by means of the traditional concept of Stimmung, but they also interweave cinema ’ s own technological conditions, so that the technological medium becomes the place where nature is empowered to speak of and against coldness and rationalization in a language that addresses the reasonable subject as much as the embodied subject. This is even more obvious in later, more classical film melodramas that have turned the elements of action from stage melodrama into affective passion. In order to illustrate the cold Stimmung in melodramas of snow and ice, I want to conclude by looking at a somewhat later film that has the historical context of cold society written into its passive structure; cold nature does not act out in place of a patriarchal force, but rather provides the pervasive subtext 89 Kalte Stimmung, or the Mode of Mood for all passion. In contrast to Way Down East, Max Ophuls ’ s Liebelei (1932/ 33), the film version of Arthur Schnitzler ’ s play of the same name, has completely internalized the dramatic conflict, so that most of the time, it is the inner landscapes of many of Ophuls ’ s characters that make us shudder with cold, rather than a dangerous snowstorm. The many winter landscapes that populate Ophuls ’ s films thus seem more like mirages of social dispositions than natural environments. While Schnitzler ’ s play takes place in spring, but quickly disappoints our expectations of spring folly, Max Ophuls ’ s film is set in a bleak, militarized fin-de-siècle Vienna that is wintry cold and snowy. Most of Ophuls ’ s other films, for example, Die verliebte Firma (Company in Love, 1930), Letter from an Unknown Woman (1948), or La Ronde (1950) are set in similar winter landscapes. Both the fun-loving shopgirl Mitzi (Luise Ullrich), who starts a flirtatious affair with Theodor, and her friend Christine (Magda Schneider), who falls in love with Fritz (Wolfgang Liebeneiner), have to protect themselves from the cold throughout the film, much like the heroine in Alexander Kluge ’ s Yesterday Girl (1969), who steals a sweater because she is freezing even in the summer. Theodor ’ s insistence that one should not love too much, and Mitzi ’ s commitment to living for the moment as well as her obvious familiarity with many other military men, stand in stark contrast to Christine ’ s feelings, which constitute the emotional focus of the film. Half way through the film, a sequence outside the city set in a blinding white landscape of soft, snowcovered shapes surprises the spectator; the soundtrack too makes a shift as the scene is smothered in a relentlessly repetitive, dramatic tune despite the otherwise sparse use of music in the film. Christine and Fritz, both wrapped up in white furs, ride in a horse-drawn sleigh. They are caught up in a discussion of the meaning of «forever» (ewig). Fritz announces that he will be late to their rendezvous that night due to a meeting and Christine expresses her desire to find out more about Fritz ’ s life. The spectator knows that he will have to visit the baron with whose wife he had an affair. Throughout the scene, telegraph poles and lines interrupt the idyllic scenery. A final pan over the snowy landscape reveals that the snow is covering up a graveyard. And indeed, the next time a wintry landscape is again seen it is the setting of Fritz ’ s deadly duel with the baron. This time, the ground has only a thin, harsh snow cover that stands in stark contrast to the dark trunks of barren trees. The duel itself is concealed from our eyes; we only hear the bullet echo through the forest. After Mitzi has thrown herself from a window in despair, the film ends by returning to the snowy landscape for a final pan over the graveyard, and over the music, we hear Fritz ’ s and Mitzi ’ s alternating voices again: «I swear. . . » - «I swear. . . » - « . . . that I love you. . .» - «that I ’ ll love you forever . . .» 90 Inga Pollmann Fig. 4: Christine (Magda Schneider) and Fritz (Wolfgang Liebeneiner) talk about love and eternity during a sleigh ride (Max Ophuls, Liebelei). In Liebelei, coldness prevails. Men and women are locked into a societal arrangement that discourages or even disables genuine love. As Alan Williams observes, in Ophuls ’ s films, society is not the opposite or repression of instincts, but their expression. The films are not structured around a play of total opposites, but a «union of opposites» (74). As a consequence, social coldness underlies the love story from the outset. Like Hans Christian Andersen ’ s Snow Queen, who is a key figure for Adorno and Kluge alike, ice has penetrated the heart of Ophuls ’ s film. While Way Down East still worked with the opposition of cold and warm, wild nature and bourgeois idyll, and only momentarily conflated them qua technology in the snow and ice sequence, in Liebelei, love means death, nature is a bourgeois construction, and technology invades emotional moments. Yet the film makes the spectators ’ cheeks burn and their hearts beat fast, to the point of provoking weeping, precisely because the film is able to indicate and expose its cold conditions. Liebelei warms because it affirms the power of the technological medium to reveal coldness. As such, what I have called cold Stimmung to indicate the historical genesis of this quality is similar to what Benjamin 91 Kalte Stimmung, or the Mode of Mood Fig. 5 and 6: A final pan across the snowscape reveals telephone lines and poles as well as the headstones and crucifixes of a graveyard (Max Ophuls, Liebelei). 92 Inga Pollmann describes by means of the ambivalence of the decline of the aura and Adorno by means of «Hauch» (breath) as a counter-term to Stimmung (Benjamin, 1999 a, 518 - 19; 1999 b, 104 - 05). An artwork ’ s «Hauch» is its approximation of nature not by means of imitation, but rather by exposing its facticity, its forming process (Adorno 2004, 170 - 71). The Stimmung that Liebelei produces thus stands in contrast to the linear identification and the corporeal kinaesthetic involvement that dominates the reception of, for example, straight action films, as well as the reflective, critical, and less immersive engagement with certain documentary or avant-garde films. The reception of melodrama is a «passive activity,» since it is dominated by an emotional investment in the drama of passion on the screen, which generally depends less on an exclusive identification with the central female protagonist than on a more diffuse empathic feeling for the dramatic conflict that extends to all of the characters involved. In that sense, crying, as ultimate dissolution, is paradigmatic for a model of melodrama spectatorship. 8 If Stimmung and coldness are correlated, and the latter is understood, with Kluge and Adorno, as the basis for reason and instrumental rationality, the safe warmth can be subtracted from the discourse on Stimmung and it becomes available as a concept that can describe precarious, unprotected states. This precariousness is historical and film-historical. It is film-historical, since film melodrama gradually abandons the externalization of the dramatic conflict and folds it inside into affective intensity. It also seems to indicate a historical moment in which the natural bond between subject and environment breaks, after which the safe cloak of Stimmung, which connected the individual to its environment while simultaneously affirming the boundaries of the subject, had worn off. In this sense, the last image of Liebelei visualizes what the previous scene had slowly prepared. At first glance, the sleigh scene seems to have picturepostcard value as Stimmungsbild. A closer look reveals, however, that telegraph poles and lines disturb the idyll and the soft snow cover conceals a graveyard. Additionally, Ophuls ’ s otherwise fluid camera and inventive framing is replaced by static frames at right angles, techniques that emphasize the awkwardness of Fritz and Christine ’ s conversation. The scene thus already indicates the breaks in the relationship between subject and environment, a relationship the film completely severs in the final image. Making use of its potential to separate image track and audio track, this early sound film projects the voices of the dead couple over the snow-covered graveyard as a technological specter that reveals that the bond between subject and environment can no longer be sought in an authentic expression of life, but may only be mediated by technology. 93 Kalte Stimmung, or the Mode of Mood Notes 1 Film and booklet are sold together under the title Wer sich traut reißt die Kälte vom Pfred (He Who Dares Can Tear Coldness from the Horse). 2 I am indebted to both Lutz Koepnick and Richard Langston for their outstanding papers on Kluge ’ s film for the panel «Aesthetics after Adorno» at the 35th Annual German Studies Association Conference in Louisville, Kentucky (2011) 3 On the silent virtue in melodrama, see Brooks (1976). 4 See, for example, Sherwood (1921) and the anonymous review in Variety (1920). 5 On this aspect of the history of stage and film melodrama, see Brooks (1976), Singer (2001), and Gledhill (1987). 6 The examples Lefebvre cites - Pier Paolo Pasolini, Michelangelo Antonioni, and Michael Snow - stem, not coincidentally, from a particular modernist strand in film history, i. e., from films that explore the expressive potential of images to thwart, complicate, or undermine narrative coherence. 7 This is due in particular to David Wellbery ’ s genealogy of the concept, which unearthed the multiple meanings and contexts in music, painting, literature and philosophy that make Stimmung such a productive concept for literary studies. See Wellbery (2000), Gisbertz (2009 and 2011) and Gumbrecht (2011). On an exploration of the notion of atmosphere, see Böhme (1995). 8 According to philosopher Helmuth Plessner ’ s comprehensive theory of crying, crying entails giving up our controlled relationship to our body: the body takes over and answers. Crying is a combination of reflexive response and bodily reaction, a combination of the individual as person and as body; the human being «lets himself fall into crying» (234) in an act of self-abandonment, and thus «respond[s] with his body as body as though it was impossible for him find another answer at this point. And in this lost mastery over himself and his body [Leib], he simultaneously proves himself to be a being also of a non-corporeal [außerleiblich] kind, which exists in tension with his physical existence, yet entirely bound to it» (235, my translation). In crying, the ambivalent relationship of a human being to his/ her body, to both having a body and being a body (a distinction German expresses with the words Leib and Körper) - becomes apparent (Plessner, 1982). For theories of crying at the movies, see Neale (1986) and Koch (2004). Works Cited Allen, Michael. Family Secrets: The Feature Films of D. W. Griffith. London: BFI Publishing, 1999. Adorno, Theodor. W. Aesthetic Theory. New York: Continuum, 2004. — . «Transparencies on Film.» New German Critique 24/ 25 (1981): 199 - 205. — . «Education after Auschwitz.» Can One Live after Auschwitz? A Philosophical Reader. Ed. Rolf Tiedemann. Stanford: Stanford UP, 2003. 19 - 33. Anonymous. «Way Down East.» Variety (September 10, 1920). Balász, Béla. Early Film Theory: Visible Man and the Spirit of Film. Ed. Erica Carter. New York: Berghahn, 2010. 94 Inga Pollmann Benjamin, Walter, «Little History of Photography. Selected Writings. Eds. Howard Eiland, Michael Jennings and Gary Smilth. 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Inga Pollmann 96 Memories of Cold in the Heat of the Tropics: Hans Ertl ’ s Meine wilden dreißiger Jahre CAROLINE SCHAUMANN E MORY U NIVERSITY In his influential analysis of New Objectivity, Cool Conduct: The Culture of Distance in Weimar Germany, Helmut Lethen interprets the loss of World War I as a freezing shock, setting into motion an ethos of distance and rationality in order to cope with the traumatic aftermath of defeat. In what Lethen calls the shame culture of the interwar period, individual emotions and their expression tended to be replaced by reflexive behavior and the masking of sensation. He notes that «People, seeking escape from the heat of shame, trying to establish themselves as separate from it, assumed a variety of attitudes marked by their ‹ coolness. › In doing so, they were obliged to elaborate doctrines of cool behavior» (10). Lethen suggests that in the decade between 1920 and 1930, codes of conduct covered feelings of guilt and inadequacy, defined both individual and collective behavior, demarcating the borders between man and woman, inside and outside. Artists and writers built on the fearful fantasies of glacial epochs at the turn of the century, attempting to outdo each other in tributes to cold in avant-garde literature (Brecht), philosophy (Jünger), architecture (Bauhaus), and even politics. Lethen calls cold the central metaphor of modernizaton and reads these tributes as a response to the experience of alienation from a religious, parental, and residential home. 1 According to Lethen, cinema in particular lends itself to the newfound modus of distance. After the emotional outbursts and experimentation of expressionist cinema, the films of New Objectivity celebrate realism and mechanization by staging feelings through actions and gestures rather than exaggeration and expression, and thus, according to Lethen, depict the self as «the object of others ’ perceptions» (16) rather than the subject and origin of action. Ingeborg Majer-O ’ Sickey, however, distinguishes the cool conduct of New Objectivity from what she calls the cult of cold, visible in the German mountain film of the same time period. To her, both artistic movements respond to urban modernity. Therefore cool conduct is a response of measured restraint; the cult of cold, as embodied in Arnold Fanck ’ s mountain films, is one of sentimental idealism: «Fanck ’ s male hero expresses himself by transferring his alienation unto sublime experiences in nature. The urbanite - imitating the figure of the dandy or the flâneur - armors himself with a cool mask» (373 - 74). Majer-O ’ Sickey also adds a gendered reading to studies of cold, suggesting that Leni Riefenstahl (1902 - 2003) exemplifies the entrenched distinction between a cool, masculine space in the mountains and an urban feminized space. In Der heilige Berg (1926), for instance, Riefenstahl embodies a de-sensualized, frozen beauty on the one hand but on the other is staged as a somewhat naive and ultimately destructive girl. Majer-O ’ Sickey assesses that «Riefenstahl oscillates between empowerment and disempowerment, an oscillation that would find its equivalents in many of her acting roles in mountain films» (372). This axis of masculine/ feminine and cold/ hot is complicated even further by Riefenstahl ’ s prominent off-screen persona and eventual directorial influence. Similar to Riefenstahl ’ s public persona, Hans Ertl (1908 - 2000) acquired and nurtured a persona vitally shaped by Nazi ideology, an image that invites critical engagement beyond the confines of his work in film and offers many nuanced readings of cold. This essay does not focus on Ertl ’ s films, rather on his memoir, Meine wilden dreißiger Jahre: Bergsteiger, Filmpionier, Weltenbummler (1982), which recalls the beginnings of his mountaineering and film career. His memoir, which is a mixture of trip reports, accounts of film shoots, and political observations, offers an astonishingly candid portrayal of interpersonal relationships and love affairs, among them an affair with Leni Riefenstahl. Conceptions of cold provide both a framework and reference point to the narrative. The Alps, Berlin, Greenland, the Himalayas, and Chile constitute the space in which Ertl ’ s «adventures» unfold. Specifically, Ertl reverts to images of ice and cold in order to access memories of his burgeoning career in the Nazi years. Expanding on Lethen, who views fantasies of cold as a manifestation of detachment («Trennung»), I suggest that Ertl uses the distance in time and temperature not only to detach himself from Nazi Germany but also to revel unencumbered in nostalgic fantasies of the past. Thus, in Ertl ’ s book cool conduct as well as the cult of cold come into play by presenting codes of behavior and an outlet for unrestrained passion in the mountains, both of which are highly gendered. In addition, ice in Ertl ’ s memoir fulfills three functions: it provides a portal to the past, it guarantees authenticity, and endows his sometimes questionable conquests during the Nazi rule with purity and potency. Born in 1908 in Urschalling am Chiemsee, Ertl began climbing mountains in his early twenties and soon earned a reputation for his daring accomplishments; these include being the first to ascend the north faces of the Königsspitze and the Ortler. In 1932, he was hired as a replacement mountain guide, ice specialist, and camera assistant for the production of Arnold Fanck ’ s 98 Caroline Schaumann S. O. S. Eisberg (1933), shot in Greenland. He continued his collaboration with Fanck in the fictionalized story of the first ascent of Mont Blanc, Der ewige Traum (1934), and advanced to lead cameraman in Leni Riefenstahl ’ s Olympia films (1938), rising to fame through his celebrated underwater diving shots. During World War II, Ertl became one of Field Marshal Erwin Rommel ’ s preferred cameramen at the front in France, Africa, and the Caucasus. After the Allies temporarily barred Ertl from filming in 1945, he worked as a photo journalist until he emigrated to Bolivia in 1950. In Bolivia, Ertl wrote Meine wilden dreißiger Jahre and a second memoir, Als Kriegsberichter 1939 - 1945 (1985), which begins where the first book leaves off and recalls his experiences and his work as a war correspondent in minute detail. Ertl died at the age of 93 at his residence Dolorida, near Concepción, Bolivia, on October 23, 2000. 2 Meine wilden dreißiger Jahre begins with a prelude called «Die Kulisse,» and indeed Ertl ’ s memories unfold as if staged in front of a camera, neatly separated from his life in Bolivia, and isolated from the historical and political context. His residence in the Bolivian lowlands merely offers Ertl a ready contrast with which he highlights in diametrical tropes the differences between Europe and the tropics, cold and heat, idealized past and present, colonizer and colonized. As such, the text begins: Gnadenlos brannte die Tropensonne in der ersten Julihälfte des Jahres 1975 auf eine riesige Dunstglocke, die über den Urwaldbergen und Sümpfen am Südrand des großen Amazonas-Beckens hing, durch die sich träge der Rio Blanco windet. Das Palmblatt-Dach meiner einsamen Hütte knisterte in den Mittagsstunden vor Hitze, während ich - leicht geschürzt - im Schatten der kleinen Veranda meine alte Schreibmaschine Baujahr 1935 betriebsfertig machte, um diese meine Erinnerungen zu Papier zu bringen. (7) The description employs the classic markers of colonized tropical nature such as heat, humidity, lethargy, and primitivism. This type of nature is unmistakably coded as female and, in the spirit of nineteenth-century colonization, given pervasive and threatening power. Tracing depictions of the tropics from the nineteenth to the twentieth century, Nancy Stepan notes that the tropes of representation in the wake of colonial expansion mark tropical nature in its uniqueness and otherness: Even within European representation, tropical nature stood for many different values - for heat and warmth but also for a dangerous and diseased environment; for superabundant fertility but also for fatal excess; for species novelty but also for the bizarre and deadly; for lazy sensuality and sexuality but also for impermissible racial mixings and degeneration. (21) 99 Memories of Cold in the Heat of the Tropics While representations of the tropics have varied widely, ranging the gamut from Alexander von Humboldt ’ s romantic vision of sublime tropical nature to early twentieth-century images of destruction and disease, the very category of «tropical» has solidified diverse and heterogeneous environments into a world that is imagined as strangely exaggerated and innately different from the temperate regions. Ertl ’ s text begins with a number of personifications that embody these themes. An overwhelming, personified nature emerges as the first subject in the narrative: the merciless sun, a steamy sky, a lazy river, and a primitive hut. The narrative «I,» conversely, surfaces only later and has to retreat into the shade, forced to discard his clothing, the distinguishing attributes of man in temperate Europe. The words «Baujahr 1935» signal yet another trope of differentiation. With the reference that his typewriter was (presumably) manufactured during the Nazi regime and is «betriebsfertig,» i. e. ready to battle the heat of the tropics, Ertl evokes, consciously or unconsciously, racial purity versus the established image of tropical degeneration. 3 A similar reference to the very same typewriter appears in the short afterword of the book where the author thanks his second wife with the words: «Durch ihre tatkräftige Mitarbeit im primitiven Urwald-Alltag und ihre Meisterschaft an der Schreibmaschine hat sie wesentlichen Anteil am Zustandekommen dieses Buches» (325). To counter the corroding influences of tropical nature, Ertl thus invokes mastery, technology, cold, family values, and Germany ’ s past; in short, a cool conduct not unlike the attitude Lethen describes so appropriately of the era Ertl seeks to revive in his memories. The temporal contrast is significant: Ertl does not draw a line of distinction between West Germany and what he calls his «asylum» in Bolivia, but sees himself as a victim of both democratic Germany and South American guerilla warfare. After his emigration, Ertl continued climbing in the Andes and the Himalayan mountains, participating in the German Bolivian Expedition in 1950 and the expedition in memory of Willy Merkl to Nanga Parbat in 1953; the latter formed the basis of Ertl ’ s Nanga Parbat that documented Hermann Buhl ’ s controversial first ascent of the mountain. Ertl ’ s deep disappointment with postwar democratic Germany surfaced when the Secretary of the Interior withdrew Nanga Parbat at the last minute from the German Film Award competition of 1954 along with the eagerly anticipated cash award. 4 His petition for a reversal of the decision was rejected. His life in Bolivia was hampered by political tensions. Ertl soon befriended Klaus Barbie who also immigrated to the country under the name of Klaus Altmann; Ertl ’ s oldest daughter Monika, however, parted ways with her father and became a member of the Bolivian National Liberation Army 100 Caroline Schaumann (ELN) originally founded by Che Guevara. Monika Ertl was most likely involved in the shooting of Roberto Quintanilla Pereira, the Bolivian consul in Hamburg who in 1967 had ordered Guevara ’ s hands to be cut off and sent to La Paz for identification. Reportedly, Monika Ertl, together with Régis Dubray, had unsuccessfully attempted to kidnap Barbie to bring him to justice in France. She was ambushed and killed by Bolivian security forces in 1973; Barbie is likely responsible for her death. 5 Thus, in 1975, at the time when he wrote the preface, Ertl ’ s life must have been overshadowed by the brutal murder of his daughter, yet the text only mentions Monika indirectly, as «liebe Menschen, die man auf tragische Weise verloren hat.» (8). Rather than accuse her killers, Ertl turns his pain and anger into nebulous and empty complaints, grumbling that he lost his diaries, films, and photos «unverschuldet» to what he calls «das Mahlwerk südamerikanischer Guerrillero-Politik» (8) and to termites. Deciding to emigrate in a «freiwillig gewähltes Exil» (8), Ertl, embittered, fashions his life in the postwar era as a hotbed of disappointments, unexpected blows, and unjust setbacks. Against this backdrop, Ertl revels in memories of heroic adventures in snow and ice, memories that, as if frozen in time, revive his youthful energy in the mountains, his swift career rise, cool conduct, and success in Nazi Germany. The concluding paragraphs of the foreword prove just how closely these memories are linked to temperature: Ertl proclaims to have received «unverhoffte Unterstützung direkt vom Himmel» for the book chapters «die von meinen Abenteuern in den kältesten Regionen unserer Erde berichten» (8). A sudden storm results in an uncharacteristic temperature drop below zero, and frost covers the palm trees and meadows overnight. It is this cold that puts Ertl in touch with his youth in Nazi Germany. He recounts that he feels «plötzlich jungenhaft glücklich inmitten dieser über Nacht entstandenen Winterdekoration und tobte mit meiner Leibgarde deutscher Schäferhunde ausgelassen auf den schneebedeckten Wiesenhängen umher» (9). Ertl uses the cold spell in order to conjure up his memories of the past, memories that come fully into sharp focus against a background that projects darkness, lethargy, and ambiguity as the menacing, effeminate byproduct of heat: Mit meinen Gedanken aber klammerte ich mich fest an dieses unvergeßliche Winterbild wie an einen Ariadnefaden, der in die dunklen Tiefen der Erinnerung führt, die ich nun aufzuspulen begann. Mit der Frische, die der jähe Wintereinbruch brachte, wurde der Nebelschleier der Lethargie, den Schicksalsschläge und das jahrelange Leben in den Tropen wie ein Spinnennetz über mich geworfen hatten, schlagartig zerrissen. (9) 101 Memories of Cold in the Heat of the Tropics Ertl divides his memories in Meine wilden dreißiger Jahre into distinct parts: after the foreword sets the tone and temperature, a chapter with the momentous title «Wenn Berge zum Schicksal werden» outlines Ertl ’ s Alpine ascents in the years between 1930 and 1932 in the spirit of the so-called Munich school of mountaineering, a group of climbers joined by renewed nationalistic fervor and boldness. As the title promises, these pursuits serve as a reference point to which all later memories are related. After an extensive chapter on his film work in Greenland, he includes chapters on climbing and filming in the Himalayas as part of Oskar Dyhrenfurth ’ s Der Dämon des Himalaya (1935), and his camera work on Riefenstahl ’ s Olympia films in Berlin, Luis Trenker ’ s Liebesbriefe aus dem Engadin (1938) in Davos, and finally, Arnold Fanck ’ s Ein Robinson (1940) in Chile. The narrative abruptly ends with Ertl ’ s draft into the army in October 1939. Remarkably, Ertl elaborates on his exploits in frigid locales in many more and more voluminous chapters than on the progression of his work in film and on the politics in Germany. Even the account of his camerawork in the landmark Olympia films comprises a mere twelve pages compared to seventy-six pages about the filming of S. O. S. Eisberg. Snow and ice thus remain a constant theme that threads together memories of diverging activities and locales. Written in the overdramatic style typical of many past and present mountaineering narratives, the chapter «Wenn Berge zum Schicksal werden» provides a journalistic account of Ertl ’ s most prominent ascents. By his own admittance, Ertl faithfully followed the advice given by his editors of the Münchener Illustrierten Zeitung: « ‹ Bleiben Sie ruhig bei der Wahrheit, aber verfassen Sie den Bericht so, daß es unseren 600,000 Lesern eiskalt den Buckel herunterläuft, wenn sie in Wort und Bild an so einer modernen Eiskletter- Tour teilnehmen können! › » (11). Ice, which Ertl also calls «das glatte kalte Element» (17), is one of the most overriding motifs in this chapter. Ice is used to amplify the danger and daring of the expeditions as the climbing teams seek the dangerous, ice-laden north faces of mountains, and to emphasize the enormous scale of their objectives («die riesige Eis- und Felsrippe,» 13). Snow, according to Ertl, whitens the peaks («die Bergflanken von Graupelschnee frisch geweißt,» 23) and wipes away debris («Eine riesige Staublawine putzt vor Tagesende zu unserer großen Freude die Nordflanke blank,» 23). Cleansing the peaks to a virgin white, snow purifies and christens the mountaineering endeavor, even covering the corpses of those who met their fate on less agreeable terms. In this virgin territory of snow and ice, the fight for the summit can begin anew. As was customary for the day, Ertl infuses military language into his descriptions of mountain climbing, viewing, for example, the mountain as an enemy to be conquered. He recounts how men 102 Caroline Schaumann ritualize the ascent: «ein fester Händedruck noch und Freund Hans eröffnet den Kampf» (14), and sanction it as a matter of winning or losing: «Mut, der Wille zu siegen und eine gehörige Portion Glück, das waren die Bundesgenossen bei unserer Fahrt» (18). In contrast to Germany ’ s fate on the historical battlefield, Ertl can look back to a number of victorious mountain ascents, reveling in the experience of conquest: «Die letzten Zweifel um das Gelingen der Fahrt verfliegen.Wir wissen, wir haben gewonnen» (35). Furthermore, the model of a military battle provides a fitting ideology for male bonding on the mountain. While women are completely absent in the first part of the book, Ertl elevates the importance of mountain comaraderie to a matter of life and death. The climbing rope becomes an umbilical cord linking the mountaineers to a Bergkameradschaft encompassing body and soul, life and death: «Nur die platonische Idee und die kameradschaftliche Moral verbinden uns mit dem Seil» (34). The climbing partner turns into a substitute for family and friends by offering a relationship that is at once homosocial and homophobic: «Wie gut das tut, einen Menschen in der Nähe zu wissen, der alles, Freud und Leid, mit dir teilt und der dich heraushaut, wenn du nicht mehr kannst» (33). In Höhenrausch: Der deutsche Bergfilm, Christian Rapp traces the close affinity between militarism and Alpinism that surfaced in the latter half of the nineteenth century and gained renewed popularity with the outbreak of World War I and the Alpenkrieg. After the war, mountain climbing was envisioned as being able to fulfill what could not be achieved on the battlefield. As membership in the German and Austrian Alpine Club surged in numbers, the various publications of the Club touted mountaineering in increasingly aggressive, nationalistic tones as a collective recipe for German recovery and renewal. 6 In her study Militärische Männlichkeiten in Deutschland und Österreich im Umfeld des Großen Krieges, Monika Szczepaniak suggests that masculine military values such as «Willenskraft, Mut, Unerschrockenheit, Härte» gained increasing currency in the Wilhelmine Empire, prepared young Germans for battle in World War I, and offered quick regeneration after 1918 (20). Mountaineering not only embraced those same values but also demanded physical vigor and strength, literally hardening and steeling the body. Ertl ’ s text introduces yet another timely parallel, characterizing the climbing process as mechanized and perfected: «Kein Handgriff zu viel, keiner zu wenig, alles geht wie am Schnürchen oder - zeitgemäßer ausgedrückt - wie am laufenden Band» (25). The more modern image of an industrial assembly line rather than a piece of string leads back to Lethen ’ s arguments and promotes cool conduct over emotional entanglement, idea- 103 Memories of Cold in the Heat of the Tropics lizing a course of action that progresses perfunctorily and robotically was idealized. Central, too, is «Trennung» (detachment) separating action and feeling as well as measured cold calculation and idle tropical excess. Despite the book ’ s tone of youthful fervor, Ertl embraces such coolness and combines it with the steely poise of military engagement: «Mechanisch saust der Pickel nieder und heulend entführt der Sturm die losgeschlagenen Splitter» (17). In the description of his early climbing career, Ertl uses words coded as feminine, such as warmth, wetness, and laziness, as an antipode to cold and ice. Warmth does nothing more than seduce the men to sluggishness and pleasure: «Mein Kamerad und ich liegen stinkfaul auf warmen Schieferplatten und genießen in vollen Zügen die Wonnen eines sonnigen Rasttages» (12). In order to stay firm and focused such rest can only be a temporary respite. On a mountain ’ s slope, the thawing of ice results in dangerous rockfall, a process Ertl depicts in dramatic, gendered style: Nun spitzt auch die Sonne ein wenig in die Nordwand herein, die ersten Strahlen tasten sich über Firn und Eis herab und streicheln mit gefährlich warmen Fingern über das schlummernde, eingefrorene Gestein der Türme und Zinnen vom Tschirfeck bis Rothböckgrat: Der Feind inspiziert die schußbereiten Batterien hoch über unseren Häuptern. (24) By personifying the sun as a deadly seductress, Ertl delineates an image of female sensuality that endangers a successful struggle and jeopardizes male coldness and firmness: «Hart ist der Körper an die Wand gepreßt» (25). Yet these fearful fantasies hint at the fact that firm snow can quickly soften and acquire the very characteristics Ertl seeks to escape: «Im faulen, nassen Schnee brechen wir bis zu den Knien ein. Wir brauchen harten Firn» (23). Snow and water are not two polar opposites but changeable and dangerously close to each other, so that the ideal of cold carries with it the possibility of a destruction coded as feminine. The idea is made further explicit when Ertl makes women responsible for mountaineering accidents, repeating the warning words of his mentor, the Bergführer Emil Solleder: «Und laßt mir die Pfoten von de Weiba! » ermahnte er uns immer wieder mit hocherhobenem Zeigefinger. «Die Weiberleut bringen jungen Bergsteigern nur Unglück! » Ganz so unrecht schien unser Lehrmeister in dieser Hinsicht nicht zu haben. Er wurde fast zum Menetekel, als ein Bergfreund nach dem anderen bei äußerst gefährlichen Touren abstürzte und - war es Zufall oder nicht - irgendein weibliches Wesen direkt oder indirekt mit der Katastrophe in Beziehung gebracht werden konnte. (19) The aforementioned context of perilous warmth and wetness intruding upon men ’ s mountain climbing leaves no doubt that Ertl views women ’ s involvement in mountain catastrophes as an extension of the overall opposition 104 Caroline Schaumann between heat, weakness, and femininity on the one hand, and cold, hardness, and masculinity on the other. To counter the dangers of warmth, it seems no coincidence that many mountaineers have acquired nicknames in reference to ice, for instance the Eispapst Willo Welzenbach, the Eisfloh Hans Schneeberger, and of course, the Eisspezialist, Ertl himself. The arrival of Leni Riefenstahl complicates the overall dichotomy of hot and cold since Ertl characterizes her in terms distinctly different from those used with other women. In the chapter on the filming of S. O. S. Eisberg, 7 Ertl relates his brief affair with Riefenstahl, the female lead in the film, a relationship characterized by distance, passion, and competition. In Ertl ’ s text, Riefenstahl ’ s character oscillates between icy queen to naive girlie, roles similar to those Majer-O ’ Sickey outlined in Riefenstahl ’ s early mountain films. Ertl begins his most extensive chapter in the book, «Auftakt für ein abenteuerliches Leben,» by detailing the handling of three domesticated polar bears, a gift from the Hagenbeck Zoo, that were transported to Greenland and filmed swimming and walking on the ice before being killed after the filming was completed. He proceeds to depict the struggle of climbing the dynamic, unstable icebergs, a mere bantering and less earnest affair than mountaineering in the Alps, with the same vocabulary of conquest. Im Vorüberfahren sahen wir uns diese gleißenden Ungeheuer genau an, denen wir später mit Eispickel und Eishaken und Steigeisen zu Leibe rücken sollten. Mochten diese riesigen weißen «Seepferde» noch so widerspenstig sein und uns abwerfen: bei einigermaßen Glück mussten wir ins Wasser fallen; und wenn alles gutging, konnte man sich schwimmend retten. In den Alpen aber - wenn man stürzte - lag man zerschmettert in irgendeinem Kar. (49 - 50) These shifting, unpredictable icebergs, characterized as capricious and volatile animals throwing their conquerors into the water and resisting discipline and domestication, are unmistakably coded as female cold. This progression from the taming of ice bears to the taming of icebergs, amidst a shifting landscape culminating in the inferno of sounds, water fountains, and explosions of a glacier calving, sets an appropriate, if not metaphorical, stage to Ertl ’ s involvement with Riefenstahl. In fact, Ertl ’ s above description of icebergs seems a fitting characterization of Riefenstahl herself: Far from terra firma, Ertl is at once fascinated and startled by the icy queen and seeks to encounter her in full mountaineering attire, with hob-nailed boots and an ice-axe, attempting to stay put on the drifting ice. Yet Riefenstahl does not seem to yield easily to male domination, ultimately discarding him. According to Ertl, it is Riefenstahl who initiated the affair, unabashedly inviting herself into the young mountaineer ’ s tent. Their relationship proceeds in secret, in a «weiße Welt» on floating ice shelves and icebergs where Ertl und Riefenstahl 105 Memories of Cold in the Heat of the Tropics withdraw to be alone. Ertl seems entirely smitten with the actress who allegedly even performs private dances for him on the ice; the surreal surroundings contribute to the appeal and simultaneous detachment of their union. Despite the passion, Ertl keeps his distance from the woman he characterizes as seductive, demanding, and unpredictable. As he reports, Riefenstahl deemed him artistically non-gifted, a judgment that he secretly sought to revise by withholding from Riefenstahl his plans of advancing his career as a cameraman. Thus from the beginning, calculated competition is part of their icy affair, which ends abruptly when Riefenstahl departs from the set and Ertl concludes: «ganze 70 Tage, genauer gesagt für die Dauer ihres Aufenthaltes in Grönland, war ich ihr verfallen» (73). Riefenstahl ’ s cool conduct must have titillated and dismayed Ertl who continues to detail their relationship, this time without amorous overtones, during the filming of Olympia. Freshly married to Aurelia Friedl, Ertl is now eager to denounce Riefenstahl ’ s fame and tarnish the image of the renowned filmmaker: Der Film «Olympia» gilt heutzutage fast ausschließlich als ein Werk Leni Riefenstahls, und die Feministinnen aller Länder feiern ihre «Filmgöttin» fast überschwänglich. Bei allem Verständnis für diese besondere Art von «Leni-nismus» sollte man jedoch nicht vergessen, dass es ausschließlich Männer waren, die diesen Film gedreht haben! Gewiß, Lenis unorthodoxe Arbeitsweise, ihre besondere Ausstrahlung als bildschöne und begehrenswerte Frau sowie die künstlerische Freiheit, die sie selbständigen Kameraleuten gewährte, weckten deren Enthusiasmus und spornten sie zu Leistungen an, dass sie sich oft selber übertrafen. Die künstlerischen Fähigkeiten Lenis - ihre unendliche Geduld beim Puzzle-Spiel am Schneidetisch sowie ihr Durchstehvermögen - hoch in Ehren! (255) Of course, films are always a collaborative product, with the director receiving most, if not all of the credit. By stressing that men were filming Olympia, Ertl not so subtly renounces Riefenstahl ’ s work. He does so further by cracking jokes and play on words such as «Leni-ismus» or « ‹ OLYMPIA › - ein Film aus dem ‹ Leni Riefen-Stall › ! » (256). Rather than artistic talent, Ertl grants Riefenstahl credit for the stereotypically female qualities of beauty and patience, suggesting her beauty and femininity inspired men to do their best. In a similar vein, he continues: Nun galt es, die einzelnen Teile des großen Puzzle-Spiels kunstvoll zusammenzufügen und in den Gesamtrahmen einzupassen; eine ebenso zeitraubende wie mühselige Kleinarbeit, zu der meines Erachtens überhaupt nur eine von ihrer Aufgabe so besessene Frau wie Leni Riefenstahl fähig war. Ein Mann hätte sich von vornherein gar nicht mit soviel Kleinkram abgegeben und wäre mit mehr Logik und dafür weniger Intuition and Basteleien vorgegangen. (241) 106 Caroline Schaumann Aside from her good looks, Riefenstahl merely contributes persistence when editing the film, which Ertl depicts as child ’ s play, a puzzle of «Kleinarbeit» and «Kleinkram» born from female intuition and a desire to do handicraft. If these comments devalue her work, Ertl adds details about Riefenstahl ’ s personality that substantiate the impression of a spoiled, moody girl: craving attention, she repeatedly presents herself in the Olympic Stadium, disrupting the games and bursting into tears when viewers insult her. During the filming, she takes young athletes as lovers for her «amourösen Ausgleich» (219); her work suffers from the distractions. Ertl ’ s estimation of Riefenstahl thus changes from an icy prima donna to a huffy girl. This metamorphosis mirrors Majer-O ’ Sickey ’ s assessment of Riefenstahl ’ s role in Der heilige Berg, proving her malleability in responding to distinct male fantasies that became entrenched in her onand off screen personae. In this way, a jilted and detached Ertl uses his characterization of Riefenstahl in order to reaffirm male bonding: Die Faszination, die auf solche Weise von dieser Frau ausging, erzeugte bei den meisten Angehörigen unseres Teams - nach Beilegung oft deftiger Auseinandersetzungen - auch wieder ein Gefühl der Ritterlichkeit und der Kameradschaft. Wir bewiesenermaßen «harten Männer» wurden dann weich in solchen Augenblicken und schworen uns insgeheim - trotz mancher Vorkommnisse - , für diese Frau einzustehen, um die große Aufgabe, die uns allen mit dem Film von der Sommerolympiade 1936 gestellt war, erfolgreich zu Ende zu führen. (222 - 23) In Ertl ’ s book, Riefenstahl is the only woman who is not consistently situated in contrast to icy environs but is shown to easily adapt to them. Despite Riefenstahl ’ s cool reign and calculated directorship, her importance and artistic vision is ultimately diminished. Rather than heterosexual passion, cold and ice enables a homosocial bonding mirrored in the men ’ s evening toast in Greenland «Prost, Kameraden! Ich hab ’ das Gefühl, heut nacht wird ’ s kühl» (109). The night ’ s cold encourages both drinking and male closeness but at the same time prevents erotic tensions. In other words, the plunging temperatures demand close contact and a warm community yet simultaneously make such environment safe and free of heated passion. 8 In this context, it comes at no surprise that in Greenland Ertl formed a special bond with Luis Trenker (1892 - 1990), the Tyrolean mountaineering and skiing guide, actor, author, and director. Once again mirroring the close connection between mountaineering and warfare, Trenker served in World War I as a mountain guide for Austrian soldiers. After the war his career in film began when he was able to secure the male lead starring opposite to Riefenstahl in Der heilige Berg; he soon became a crowd favorite for his distinctive face symbolizing vivacity, dedication, and authenticity. Trenker ’ s 107 Memories of Cold in the Heat of the Tropics vast literary output, written with the help of ghost writers, underscored the aforementioned attributes in heroic novels and essays about mountaineering and his war experiences. 9 Though sixteen years apart, Trenker ’ s and Ertl ’ s lives bear many parallels, from their climbing achievements in the Alps to their involvement in World War I and II, respectively, from the beginnings of their filmic careers to their entanglements with Riefenstahl, from their enthusiastic writings about snow and ice to their ambiguous roles in Nazi Germany. In the winter of 1937/ 38, Ertl worked with Trenker when filming Liebesbriefe aus dem Engadin (1938) and recalls the filming in the Alps in the most nostalgic of terms: «Nach dem Kirschblüten-Zauber und dem ewig süßen Lächeln kimonobekleideter Geishas während der Fanck ’ schen Japan-Expedition war mein 205 cm großer Freund gemeinsamer Grönlandabenteuer in dieser Winterfrische wieder so richtig in seinem Element» (246). Ertl remembers these times as the happiest and «unbeschwertesten» (245) of his life. A more critical reader, however, cannot help but wonder if Ertl used this lightheartedness in the snowy Swiss Alps as a way of avoiding more serious concerns back home. Indeed, Ertl ’ s «wild thirties» seem largely unaffected by political upheaval and Hitler ’ s seizure of power. Nazi politics, racial discrimination and persecution, and the outbreak of World War II are mentioned only peripherally with no apparent consequences for the author ’ s life. In this way, Ertl uses «Winterfrische» and «Grönlandabenteuer» as a means to escape political engagement. Thus, Ertl ’ s rhetoric of cleansed mountain faces, virginal snow, and an other-worldly, untouched land in Greenland, positions cold as a neutral space in the midst of Nazi Germany, a space seemingly untainted by politics and one which can safely engender nostalgic memories. In keeping with the book ’ s overall apolitical bias, decisive political turns in Ertl ’ s career are acknowledged only in passing. During the time he filmed with Trenker, Ertl received an offer to make a color film for the Reichspropagandaleitung. He continued working for the ministry of propaganda and completed several short documentaries, such as «Glaube und Schönheit» (1940), «Der Sinn des Lebens» (1940), and, after his draft into the army, «Sieg im Westen» (1941). Ertl ’ s remarks on these works remain brief and elusive. Another short film features the exhibit «Entartete Kunst» in Vienna, with Ertl taking a rather distanced and disparaging view of the displayed artworks he filmed on a rotating platform: Manche Bilder und Skizzen der Ausstellung waren eher ergreifend als abstoßend. Bei anderen «Kunstwerken» allerdings benötigte man als Normalverbraucher tatsächlich eine Gebrauchsanweisung, um überhaupt zu verstehen, was die eingerahmten Kleckse und Kritzeleien vorstellen sollten. (253) 108 Caroline Schaumann These are among the few frank observations in a text that must have been carefully edited for any questionable political content. Rather than dwelling on anything remotely political, Ertl retreats to snow and ice, treating his readers to detailed accounts of his travels. After his work with Fanck, Ertl applied for a place on the coveted 1934 Himalayan expedition, headed by the Swiss-Jewish Professor of Geology, Dr. Günter Oskar Dyhrenfurth. Ertl mentions in passing that Hitler ’ s coming to power considerably impeded the planned expedition and delayed funding for the geological, cartographical, and climbing expedition that was to scale an 8,000 m peak in the Karakoram and produce a feature film. The objectives of the expedition failed on all accounts. Plagued by financial constraints and difficulties in working with indigenous Balti porters, the expedition was not able to climb an 8,000-meter peak, produce a successful film, or contribute valuable scientific findings. Ertl ’ s description is governed by frustration concerning the continued setbacks, but rather than elaborating on the context and ramifications of these financial hurdles, he focuses on his brief affair with Hettie Dyhrenfurth and his success in climbing a 7,000-meter peak, framing once again his achievements in categories of hot and cold. While the weather in India is «brütend» (136) and «glühend» (146), stifling any zest for action, Ertl connects the all-encompassing heat with the «forbidden fruits» of his affair with Hettie Dyhrenfurth. In contrast to Riefenstahl ’ s cool demeanor, the interlude with Dyhrenfurth, almost twenty years his senior, is a product of «jene mystische Dämmerung, die klare Gedanken auslöscht und in einer Art Trance das Verlangen nährt, von verbotenen Früchten zu naschen» (147). Limited to a few heated nights in the lowlands, the affair quickly ends when Ertl admits his shortcomings to Hettie ’ s husband and the expedition leader oddly erupts in generosity: «So etwas kann vorkommen, mein junger Freund! » (148). In contrast to this temporary transgression, the peaks remain ever pure, and Ertl soon devotes his energies to claiming some highly desired summits, exclaiming, «der ganze Gipfelkranz ringsum erstrahlt im frischen Neuschneekleid» (174). Once again, the regions of snow and ice offer an escape that promises redemption and deliverance. The final chapter in Ertl ’ s memoir touches on similar themes of heated transgression and cool climbing. Ertl resumed his collaboration with Fanck for Ein Robinson (1940), an adaptation of Robinson Crusoe ’ s story set in Chile. In contrast to complaints about the «greedy» local porters in India, Ertl conceives of Santiago de Chile as a veritable Garden of Eden, with its «europäischem Zuschnitt, trotz mannigfachen Kolorits aus der spanischen Kolonialzeit» (260), expunging the Incas and indigenous Mapuche civiliza- 109 Memories of Cold in the Heat of the Tropics tions. If the colonial gaze of Ertl ’ s descriptions foreshadows his later time in South America, he likewise continues the by now familiar themes of his book: he elaborately details his filming, escapades with wild animals, in this case sea lions, and proudly details his affair with Elisabeth Kind, Fanck ’ s wife. Once again he returns to the tropes of virginal snow, contrasting the purity of the mountains with his complicated love life in the lowland: «Oben in den Bergen und in der frischen Luft der Anden genossen wir die Freiheit des Alleinseins; und als unser Hochlager in 5000 m Höhe stand, war ich als Bergsteiger wieder so richtig in meinem Element» (270). On the way back to Germany, however, both Ertl and his colleague Robert Dahlmeier are briefly arrested in Argentina for their involvement in Nazi politics. Even though Dahlmeier was a member of the SA and Ertl a participant in the Reichsfilmkammer, both were able to convince the Argentinean authorities that they were not members of the NSDAP and were let go. Ertl does not elucidate or comment on such political matters, turning, instead, to more personal details. He concludes his book with words of high praise for his wife who generously decided to forgive his extramarital affairs: «Ihr Männer seid nun einmal polygam veranlagt,» fuhr sie entschuldigender Weise fort, «damit müssen wir Frauen uns abfinden. Außerdem halte ich mich nur an mein Versprechen, das ich dir kurz vor unserer Hochzeit gegeben habe - die Zusage, dir keine Schwierigkeiten bei ‹ berufsbedingten Seitensprüngen › zu machen. Gelegenheit macht Diebe! » (312) The jovial conclusion affirms the separation between private and professional life, between highand lowland, between hot and cold. Just as Ertl claims that his romantic interludes in Greenland, the Himalayas, and Chile do not affect his relationship and marriage in Germany, the construction of a virgin territory of snow and ice exonerates him for his entanglements in Nazi politics. Utilizing snow and ice to literally whitewash his past, Ertl revels in memories of mountaineering achievements, romances, and adventures while shooting films that seemingly remain disconnected from the events unfolding in Germany in the 1930s. A brief introduction and epilogue, both set in Bolivia in 1975, the time and place of the writing of the memoir, frame his memories of cold as a counterpoint to tropical heat and to both the German and Bolivian present. Ertl ’ s second book, Als Kriegsberichter 1939 - 45, concludes with the words «Auf den wirklichen Frieden in Einheit und Freiheit aber warten wir Deutsche heute noch» (270), followed by an epilogue thanking his wife for editing and typing the book «in den schweren Regenzeit-Wochen des Jahres 1981 trotz des feucht-schwülen Klimas und der Moskito Plage bei Tag - und nachts beim trüben Schein einer Petroleumlampe in unserer Urwaldhütte» 110 Caroline Schaumann (271). By evoking once again the markers of tropical nature, Ertl ’ s construction of ice and cold, so intrinsically connected to his mountaineering, love life, and film career in Nazi Germany, remains an unquestioned ideal. Creating a nostalgic reconstruction of his younger years in front of the mirror, Ertl reaches not for the hot faucet but the one that is cold, always able to adjust the temperature of his own mythology. Notes 1 See Lethen, «Lob der Kälte» and «Kältemaschinen der Intelligenz.» 2 For more on Ertl ’ s life in Bolivia, see Semper. 3 For more on this, see Stepan ’ s chapter «Racial Degenerations,» which analyzes in detail Louis Agassiz ’ s photographs of nude racial hybrids taken on his trip to Brazil 1865 - 66. 4 See also Heissenberg. 5 Source: Historisches Alpenarchiv der Alpenvereine in Deutschland, Österreich und Südtirol. 6 See Rapp 30 - 38. 7 In the film, Riefenstahl plays Hella, the wife of the scientist Dr. Karl Lorenz who has become lost on an expedition in Greenland. The search party finds the missing scientist but becomes trapped on an iceberg floating off to sea, they send out an SOS that is eventually routed to Europe and picked up by Hella Lorenz. The trained pilot finds the stranded party but crashes her helicopter into the iceberg at the landing. Finally, Ernst Udet (playing himself) comes to the rescue by mobilizing Eskimos from a nearby village to come to their aid via canoe. 8 In some ways, my argument here corresponds to Susi K. Frank ’ s analysis of Soviet Arctic discourses in the 1930s. As Frank suggests, Stalinist fiction delineates social warmth as a way to overcome the harsh conditions of Arctic nature. In contrast to a Nietzschean rejection of community, Soviet narratives configure cold places as utopian spaces of community, solidarity, and warmth. 9 See for instance Helden der Berge, published in 1935, which glorifies mountaineering history in military terms similar to Ertl ’ s language. Works Cited Ertl, Hans. Als Kriegsberichter 1939 - 45. Innsbruck: Steiger, 1985. — . Meine wilden dreißiger Jahre. Bergsteiger, Filmpionier, Weltenbummler. München: Herbig, 1982. Frank, Susi K. «City of Sun on Ice: The Soviet (Counter-) Discourse of the Arctic in the 1930s.» Arctic Discourses. Eds. Anka Ryall, Johan Schimanski and Hennig Howlid Wærp. Newcastle: Cambridge Scholars Publishing, 2010. 106 - 31. Heissenberg, Claudia. «Der alte Mann im Urwald - Hans Ertl: Abenteuerer [sic], Bergsteiger, Kameramann.» Der alte Mann im Urwald - und andere Geschichten 111 Memories of Cold in the Heat of the Tropics aus Bolivien. Heinz-Kühn-Stiftung Yearbook 13, 1998. May 2012. <www.heinz kuehnstiftung.de/ pdf/ jahrb13> http: / / www.heinzkuehnstiftung.de/ index.php/ en/ yearbooks/ 13-yearbook. Historisches Alpenarchiv der Alpenvereine in Deutschland, Österreich und Südtirol. May 2012. <www.historisches-alpenarchiv.org/ data/ dokumente/ main/ 30/ 001311 05_m.pdf>. Lethen, Helmut. Cool Conduct: The Culture of Distance in Weimar Germany. Trans. Don Reneau. Berkeley: U of California P, 2002. — . «Kältemaschinen der Intelligenz. Attitüden der Sachlichkeit.» Industriegebiete der Intelligenz. Literatur im Neuen Berliner Westen der 20er und 30er Jahre. Eds. Ernest Wichert and Herbert Wiesner. 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In addition to such perceptions of individual human interface with these landscapes, the polar regions also figure prominently as harbingers of impending ecological disaster. In the summer of 2008, for instance, both the North-East and the North-West Passage, the routes along the Northern edges of the Eurasian and the American continents, were free from ice for the first time in recorded history. The disappearing ice has acquired iconographic status in the debates about the impact of collective human activity on the ecosystem and has perhaps been captured most prominently in a photograph of a polar bear perched on a precariously small piece of floating ice. 2 In either case, the polar regions engage the fantasies and the fears of a dramatic and potentially lethal struggle between humans and the planet ’ s most extreme environments. Just how much the ice incites our imagination is evident also in the literary production since and even before the Romantic era. Imagined either as «icy hell» or as «uninhabitable paradise,» as the editors of the recent anthology Artic Discourses observe about the Arctic (x), the globe ’ s ice caps are depicted in genres ranging from biography to crime fiction, addressing concerns from the human motivation for ultimate exploration to environmental issues, offering critiques of imperial expansion and hierarchies of gender, while continuing to probe fantasies of life under extreme circumstances, to name just a few. 3 Ice and frozenness, furthermore, are versatile tropes that can be applied to a range of contexts from political circumstances to psychological states of being. «Heat and cold probably provide the oldest metaphors for emotion that exist,» Francis Spufford remarked pertinently in his study about the importance of the literary imagination for the exploration of the polar regions (13). This essay attempts an interpretation of a text that engages with the literary tradition of polar discovery in a complex and pointedly irreverent fashion: written by Andreas Ammer with music by FM Einheit, the radio play Frost 79°40' (1998) is an acoustic version of Robert Falcon Scott ’ s voyage to the South Pole and his subsequent death in the ice. Ammer ’ s piece, even though it relies to a large part on quotations from Scott ’ s original diaries, strips the story of its established meanings, in particular the common depiction of Robert Scott as a tragic hero. At the same time, Ammer plays with the topoi of coldness and frozenness in ways that make clear that he is not interested in their metaphorical meanings but, rather, in the artistic possibilities they open up. The following discussion of Frost analyzes the work in the context of the traditions within and against which Ammer positions his work, arguing that the iconoclastic impulse is ultimately more important than the establishment of a stable counter reading. Specifically, two frames of reference are important here: The melancholic travels into the ice that were so numerous in the literature of the 1980s; and the many existing versions, literary as well as in other media, of Robert Falcon Scott ’ s journey to the South Pole. In the 1980s, literary expeditions into the ice enjoyed a remarkable popularity with readers and writers, who often used such journeys as metaphors for political and psychological states-of-being they perceived as frozen. 4 The best-known example is perhaps Christoph Ransmayr ’ s 1984 Die Schrecken des Eises und der Finsternis, a complex novel that blends the story of the 1872 Austro-Hungarian expedition aimed at finding the Northeast Passage with a fatal (and fictitious) contemporary journey. 5 The list also includes W.G Sebald ’ s «Und blieb ich am äußersten Meer,» the middle section of his 1988 prose poem Nach der Natur, which is based on a 1740 journey from the Russian peninsula Kamchatka to Alaska undertaken by Georg Wilhelm Steller, a German explorer and biologist, under the leadership of Vitus Bering. 6 This historic expedition resulted in the destruction of nature and indigenous populations, vividly exemplified in Sebald ’ s poem by Steller ’ s sea cow, a manatee species named after the explorer and hunted to extinction within a few years after the expedition ’ s arrival. One of the earliest examples of these literary expeditions is Guntram Vesper ’ s 1980 Nordwestpassage, a cycle of poems about failed artic expeditions that describe a world in which people do not live in harmony with nature or one another and whose goals are either elusive or misguided. Vesper ’ s explorers die in the ice, commit ethical violations, or return deeply disillusioned. In these texts of 114 Katharina Gerstenberger the 1980s, the willingness to take risks and the desire to gather new knowledge about the world do not lead to extraordinary achievement but end in physical, ecological as well as moral catastrophes that become symptomatic for the failures of Western history in general and German history in particular. The arctic regions, in the words of Friedhelm Marx, provided writers disillusioned by the failed student movement and skeptical of the possibility of enlightened progress with the perfect setting to illustrate the «Sinnlosigkeit eines Fortschritts» («Leben im Eis» 137). 7 Working in the 1990s, Andreas Ammer does not share this melancholy view of the world. He charts, instead, new narrative paths by introducing humor and irony, by focusing on the material rather than the psychological aspects of travels into the ice, and by presenting the story in a medium that leaves behind what Bettine Menke has called the «Polargebiete der Bibliothek.» 8 In her comprehensive article about the literary tradition of polar exploration, Menke argues that the lure of the uncharted territories of the polar regions is inspired by a long series of texts that depict the very emptiness the traveler expects to encounter. This «Paradoxie» (545), in Menke ’ s words, can be found in the texts themselves as they simultaneously invoke the prohibition of boundary transgression and motivate exploration (564). The white spots on the map that the explorers aspire to fill in are always already described in literature, turning the polar regions into a metapoetic metaphor for the texts themselves. With its collage of voices and sounds, Ammer ’ s Frost interrupts the textual production of the polar imagination and its theme of uncharted emptiness, opening up new ways of tapping the material ’ s artistic potential. Robert Falcon Scott and his journey have been repeatedly portrayed in fictional as well as non-fictional texts which often cast the explorer in the role of tragic hero whose fate merited more attention than that of Roald Amundsen who was the first to reach the South Pole. Reasons given for this public resonance include Scott ’ s arrival as the second in a contest about being first, but also the fact that Scott recorded his voyage and, ultimately, his dying in a document intended for public consumption. Scott ’ s extensive diary of his journey concludes with a «Message to the Public» that was broadcast around the world immediately after the bodies of the expedition leader and his two remaining companions had been found in November of 1912, about nine months after their deaths. This document, according to Max Jones, editor of a recent edition of Scott ’ s diaries, «laid the foundation of the legend of Scott of the Antarctic» (xxxi). In his «Message,» Scott insisted that not his organization was at fault but, rather, that the «misfortune in all risks which had to be undertaken» (421) led to the expedition ’ s disastrous end. He appeals to English nationalism when he believes that his journey has shown that 115 «YOU ARE FROZEN» «Englishmen can [. . .] meet death with as great a fortitude as ever in the past» (422). Scott ’ s widow and his young son, for whose support after his death Scott pleads in the document ’ s last sentence, became instant celebrities. The reach of modern mass media added greatly to the public ’ s reception of the story of Scott as a tragic hero who died in the service to his fatherland, ever mindful of his family. The first edition of Scott ’ s diary came out in 1913 to great critical acclaim. The first biography was published in 1929. 9 The notion of Robert Scott as a tragic hero shapes the reception of his story well into the recent past. In a catalogue accompanying a 1991 exhibition on «Kunsteis, Kälte und Kultur,» Heidi Caroline Ebertshäuser writes that «[Scott ’ s] Mut und seine aufrechte Haltung angesichts des Todes wie auch die Treue seiner Gefährten» bestows on his «Scheitern tragische, fast antikische Ausmaße» (42). The British journalist Diana Preston used a quote from Scott ’ s surviving team member Apsley Cherry-Garrard, himself the author of a book on Scott, as the title of her 1997 biography of Robert Scott. Preston ’ s A First Rate Tragedy is a work inspired by the question why Scott «became and remained a far greater hero than if he had survived» (2). Within the German tradition, Stefan Zweig ’ s beautifully rendered 1927 novella «Der Kampf um den Südpol,» one of five stories included in the first version of his Sternstunden der Menschheit, is perhaps still the bestknown literary re-telling of the explorer ’ s fate. In line with contemporaneous views, Zweig celebrates Scott as an unassuming captain in the British Navy whose steadfast commitment to serving his fatherland even in the face of defeat turned him into a tragic hero in the Aristotelian sense. Zweig ’ s novella draws on the principle of peripetie, sudden change of luck, when he subtitled his piece «Capitan Scott, 90 degrees longitude, January 16, 1912,» referring to the day on which Scott and his group realized that the Norwegian Roald Amundsen and his team had beaten them to the Pole. Even more importantly, Zweig ’ s focus on the loser of the race to the South Pole privileges intention and integrity over the final outcome, following the Aristotelian notion that the hero is a character whose plight is the result of an unfavorable course of events rather than of a personal fault or character flaw. 10 At the end of Zweig ’ s novella, Scott and his men rise from the dead as they become visible once more in the photographs left behind in their cameras. The scene anticipates Roland Barthes ’ s observation that «photography has something to do with resurrection» (82). Photography, for Barthes, documents «reality in a past state» (82) and proves that someone was «there» (82). This is precisely the kind of confirmation that pictures such as the ones Scott and his party took at the South Pole aim to provide. In his conclusion Zweig once more invokes the Aristotelian concept of tragedy when he interprets Scott ’ s story as the result of 116 Katharina Gerstenberger an «unbesiegbare Übermacht des Schicksals» (240). With its emphasis on male friendship, the willingness to endure hardship, and unfailing loyalty to the nation, Zweig ’ s novella celebrates a pre-War Europe in which individual heroism has not yet been rendered obsolete by the mass carnage of World War I. With its detailed descriptions of the technology available to the explorers and their use of modern media, Zweig ’ s novella, which describes Scott as a «Fanatiker der Sachlichkeit» (225), also shares characteristics of Neue Sachlichkeit with its emphasis on task-oriented characters and unembellished prose composed to convey facts. 11 Written at about the same time as Stefan Zweig ’ s «Kampf um den Südpol,» Reinhard Goering ’ s drama «Die Südpolexpedition des Kapitän Scott» (1929) also emphasizes physical hardship and, even more importantly, the psychological suffering Scott and his men had to endure as a consequence of their failure to be the first to reach the South Pole. 12 Born in 1887, Goering made a name for himself with his expressionist drama «Seeschlacht» (1917), a piece that references the Skagerrak battle of 1916 between the German and the British fleet. «Die Südpolexpedition,» for which Goering was awarded the Kleist-Preis, borrows from Greek tragedy and includes a chorus that relates the facts of and offers commentary on Scott ’ s voyage. The drama first shows Scott and his companions on January 16, 1912, the day they spot Amundsen ’ s tent at the Pole. As in Zweig ’ s novella, «fate» plays a significant role, guiding not only Scott ’ s but Amundsen ’ s life as well. Roald Amundsen, whose team, according to the chorus, let its «Schlitten von Hunden ziehen,/ Und oft noch sich selbst» and was «vortrefflich ausgerüstet» (Goering 523), wins the race with the help of superior technology and planning but at the cost of being a true hero. An astrologer reads Amundsen ’ s fate written in the stars: «Schuldig wirst du befunden werden,/ An manches Menschen Tod» (558). Privileging Scott ’ s heroism over Amundsen ’ s seemingly easy and presumably guilty success, the drama presents the struggle between the two explorers as symptomatic of European history. The comment of the chorus doubles as a critique of civilization: «O Europa! So mordet dir den Zweiten der Erste/ Und nur die eine Frage bleibt: wer tötet den? » (525). Goering ’ s drama links the rivalry over the South Pole to Europe ’ s history of wars among peoples who share the same cultural heritage. 13 Both Zweig ’ s and Goering ’ s versions of Scott ’ s expedition were written during the late Weimar Republic and under the influence of Neue Sachlichkeit, a literary style whose proponents rejected the pathos of expressionism and argued instead for the need to create characters that somehow stood up to the ardors of modern life. 14 Although Helmut Lethen ’ s conclusions about the period and the figure of the «kalte persona,» whose characteristics include «Illusionslosigkeit» (65) but also the 117 «YOU ARE FROZEN» resolve to persevere before the « ‹ Gletschern › der Zivilisation» (43), have come under scrutiny recently, the way both Zweig ’ s and Goering ’ s texts script Scott ’ s stoic acceptance of his fate confirms the importance of emotional detachedness for the literature of the late Weimar Republic, making Scott a «cold hero» in more than one sense of the word. 15 Andreas Ammer ’ s radio play Frost, in a significant departure from this tradition, eliminates the metaphorical dimensions of the dispassionate hero and instead turns its attention to the fact that Robert Scott literarily froze to death. Ammer, born in Munich in 1960, is a journalist and artist who has made a name for himself with his innovative and often provocative radio plays. Before entering into the field of TV and radio work, he studied German literature, philosophy and the history of science at the University of Munich, where he also taught for a brief period of time. Among his best-known works are Radio Inferno (1993), his radio adaptation of Dante ’ s Divine Comedy; Deutsche Krieger (1995), a radio play that features and distorts original soundtracks of speeches and utterances by Kaiser Wilhelm, Adolf Hitler, and Ulrike Meinhof; and Crashing Aeroplanes (2001), which includes original radio coverage of the Hindenburg explosion in Lakehurst, NJ, in 1937 and incorporates voice recordings from the cockpits of actual planes shortly before they crashed. Several of Ammer ’ s radio plays, including Crashing Aeroplanes and also Frost, were created in cooperation with the musician and composer FM Einheit, a former member of the music group Einstürzende Neubauten. 16 Ammer has won awards for several of his radio plays, including the Hörspielpreis der Kriegsblinden for Crashing Aeroplanes and Apocalypse Live, which was also awarded the 1995 «Special Prize for Fiction» in the Prix Italia competition. «Ammer and F. M. Einheit,» according to radio play expert Elke Huwiler, «are the most influential and successful German radio drama artists of the last decade» («Engaging the Ear,» 144, endnote 6). Virtually all critics who comment on Ammer ’ s radio plays point to the innovative combination of music and words in his work, with some suggesting that Ammer ’ s focus on «musikalische Semantik» makes secondary the significance of words (Schmedes 47). My analysis of Frost suggests that text, much of which consists of quotations from original documents, remains important but that meaning is rendered ambiguous by the musical performance and by Ammer ’ s way of manipulating wording and context, a technique Knut Hickethier has aptly described as «wiedererkennende(s) Zitieren» (142). Unlike the experimental radio plays of, for instance, Peter Handke, which contest the semantic meaning of words, Ammer alters contents through the modification of original language, the combination 118 Katharina Gerstenberger of words and music, the creation of new contexts, as well as the performance as such. 17 Frost was performed live at the city theater in Oberhausen on August 28, 1998 and broadcast simultaneously by the Westdeutscher Rundfunk. 18 Traditional radio plays rely largely on the spoken word for meaning and use sound effects to make up for the missing visual element. A piece like Frost, however, which the recipient can comprehend with or without the stage performance, displays allegiance to as well as independence of the radio through its innovative use of acoustic and visual media. The ad for the CD describes Frost as «Das letzte Abenteuer der Menschheit/ akustisches Roadmovie. Irgendwann am Anfang des Jahrhunderts,» stripping Scott ’ s journey of its tragic aspects by stressing the collective fascination with discovery over individual achievement and by highlighting its connection to media and entertainment. 19 Given the media attention and the public interest in Scott ’ s fate, the ad expresses an irreverent yet entirely fitting take on the story. Frost consists of 26 individual segments, which can be subdivided into the four themes of preparation, journey, arrival at the Pole, and death during the return trip. Preserving the story ’ s chronology, the text largely follows Scott ’ s diary, which it quotes selectively and whose wording it modifies at times. 20 The title, which shifts attention away from the person or the journey to the physical conditions encountered by the expedition, may well be a reference and homage to Stefan Zweig, who uses the word «Frost» repeatedly in his novella to describe one of Scott ’ s main adversaries. The text is performed by three speakers: Scott, spoken by the East German actor Günter Rügen; «She,» a commentator and female counterpart to Scott and enacted by the Danish singer Gry Bagøien; and a «Scientist» who provides factual information on topics like «whiteout» or the medical specifics on freezing to death and is played by theater actor Yorck Dippe. The generic designations of the two characters vis-à-vis Scott suggest that gender politics and professional expertise - or lack thereof - play a role in Scott ’ s story and ultimate demise. 21 Also included are two sections with historical recordings in which the Norwegian explorer and expert skier Tryggve Gran recalls how he and his team members found the bodies of Scott and his companions. The sections performed by the character Scott are rendered in spoken German translation. «She» speaks and sings almost entirely in English. Stage directions for the Scientist, who speaks in German, instruct him to present his lines like a master of ceremonies. Music and sounds, which are performed on electronic instruments by FM Einheit together with the Finnish group Pan Sonic, are an integral part of the production, creating meanings and associations that go well beyond the historical events described in the play and referenced in the 119 «YOU ARE FROZEN» words. The music, with recurring motifs like «IceMusic [sic],» «Music for Things,» «WanderMusic [sic],» and «DeathMusic [sic],» creates cohesion and interconnections beyond the chronology of the textual narrative. The combination of words and acoustics allows, in the words of Elke Huwiler, «a story to unfold indirectly instead of telling it in a baldly linguistic manner» («Engaging the Ear» 136). In the case of Frost, the music possesses artistic significance of its own, underscoring and supporting Ammer ’ s intention of breaking with previous interpretations and versions of a legendary narrative. Radio plays are by definition a hybrid genre that combines word and sound, often in experimental fashion. Its connection to literature on one hand and music and sound effects on the other poses challenges to the scholarly expertise that is often limited to one of those areas and perhaps accounts for its somewhat neglected status as a research focus. Historically, the genre is associated with the radio ’ s task of reporting «live» on unfolding events. From early on it has been placed in the service of cultural and political projects. Walter Benjamin ’ s broadcasts for children are an example, as are Bert Brecht ’ s attempts at overcoming the one-directional character of radio and to turn it into a medium of communication. Importantly, from the very beginning the genre was viewed as closely linked to literature, in effect the radio ’ s way of adapting literary texts. The combination of social and political criticism with literary aesthetics reached its peak in the 1950s and 1960s, arguably the period during which the radio play in Germany enjoyed its highest public significance. To this day the form is most often associated with the critical content that was central to the literary radio plays of the post-War period. 22 A pertinent example in this context is Wolfgang Weyrauch ’ s version of Robert Scott ’ s expedition to the South Pole, his radio play Das grüne Zelt, first aired by Bayrischer Rundfunk in 1957 and published together with his anti-atomic testing piece Die Japanischen Fischer in 1963. Dying in his tent, Weyrauch ’ s Scott conjures up his dead companions who then proceed to accuse him of having been a poorly prepared leader. A dialogue between Scott and Amundsen, in which the latter suggests that a hero is someone who survives so that others can live (29), hints at the play ’ s message. Rattling tin cans and sounds mimicking wind reinforce the implications of the spoken words but do not add layers of meaning. An instance of the postwar engagement with the Nazi period, Das grüne Zelt presents us with a leader who must question his own actions in the face of death. Andreas Ammer and FM Einheit ’ s Frost retains elements of social criticism but with his use of acoustics and, in the stage version, visuals means that Frost goes well beyond the scope of the literary radio drama of the 1950s and 1960s. Frost and pieces like it, such as Heiner Goebbels ’ s Schwarz auf Weiß (1997) 120 Katharina Gerstenberger and Die Wiederholung (1997), begin to appear in the 1990s and are typically categorized as «Neue Hörspiele»; they are routinely performed live on stage and broadcast simultaneously. Media scholar and journalist Götz Schmedes has emphasized the importance of what he terms the «Interaktivität» (43) between the radio play and the theater, arguing that both forms influence one another but retain autonomy at the same time. Ammer himself has noted that the task today is to write radio plays «die aus dem Medium heraus ihren Platz finden und vielleicht auch auf der Bühne funktionieren können, ein Spektakel sind» (qtd. in Schmedes 45). The term «Spektakel» suggests that linear narration and the meaning it produces is dissolved in favor of the visual elements and the act of seeing absent from a conventional radio play and draws attention to the importance of performance and the imperative to entertain the audience. At another occasion Ammer notes that «Kultur besteht daraus, die Geschichten immer wieder zeitgemäß zu erzählen. In den Opern wurden immer schon dieselben zwanzig Geschichten neu erzählt. Das machen wir auch. Da sind wir ein Teil des Ganzen» (Neuhauser 117). Rather than breaking with tradition Ammer lays claim to participation, insisting that culture must constantly renew itself and develop ways of presenting its material for the contemporary period. Frost differs from traditional literary voyages into the ice in multiple ways. The most obvious departure is the insertion of a female voice into a male story of conquest. Another difference manifests itself in Ammer ’ s and Einheit ’ s way of blending words and sounds into a new way of telling the story: «She» is the only voice that sings as well as speaks; oscillating between speech and song, her voice hints at the intent to move beyond established conventions. 23 Her function in the text is to offer commentary and to create an interpretative framework for Scott ’ s journey that diverges from previous versions of his story. «She» opens the play with an adapted quotation from the very end of Scott ’ s diary, his «Message to the Public: » «These rough notes/ And your dead bodies/ Must tell the tale» (iii). 24 The change from the original first person to the third is an exemple of the liberties Ammer tends to take with citations and underscores the fact that Scott ’ s story has long ceased to be his own. Used as an opening line, the passage also introduces the play ’ s focus on the body as an element already present in Scott ’ s original story. The mention of the explorers ’ deaths at the play ’ s beginning makes clear that this will not be a story about heroic struggle but one that takes the final outcome as its point of departure. Immediately following «She ’ s» lead-in comes a technical explanation of «Whiteout,» the loss of orientation in the all-white environment of the Pole. Presented by the Scientist with clinical precision, the passage is a sarcastic comment on polar travel but also a parody on scientific discourse itself. 121 «YOU ARE FROZEN» Stefan Zweig, in the opening sections of «Kampf um den Südpol,» compares the globe to an abused female body that attempts, in vain, to protect its remaining immaculate spots, the poles, against the «Gierigen» (223), deploying eternal winter and «Frost» as guardians. Frost picks up on this sexualized imagery in its second section titled «Two Letters & A Telegram,» in which Scott, speaking about himself in the third person, proclaims in a confident voice: «Das ganze Land ist eine Frau/ und in deren Mitte/ - meine Damen und Herren - / muß er die Fahne seines Königs stecken. Als erster. JUS PRIMAE NOCTIS» (iv). Invoking a tradition of male sexual privilege in a class society, Ammer ’ s parody takes aim at the «gendered model of natural conquest» Susanne Zantop and others have shown to be at work in the colonial enterprise. 25 The scene is accompanied by low-intensity electronic sound in the background that perhaps mimics blowing wind. A little later the narrative shifts to the first person: «Da steh ich, frauenloser Scott,/ im Anorak. Friere und bin königstreu/ Ich werde Ponys schlachten/ und laufen und schreiben/ und laufen und Held sein,/ bis der letzte Arm abfriert» (v). 26 Clearly not from the original diaries or letters, the sentence anticipates some of the most gruesome aspects of the story, including the slaughter of the ponies that accompanied the team, turning Scott into a dispassionate observer who comments on his own fate from a subject position only possible in the realm of fiction. The pronouncement strips the narrative of its heroic aspects, instead highlighting the brutality as well as the irrationality of the undertaking and adding an element of irony. In response, «She» reads the famous telegram in which Amundsen announces his departure for the South Pole. The female voice draws attention to the rivalry between two men without taking anyone ’ s side. Throughout the play, «She» and Scott engage in a dialogue of sorts even if they do not speak to one another directly. Rather, «She ’ s» passages add commentary and different perspectives. For instance, Frost contains two segments titled «Litanei der Dinge,» which list items placed in one of several storage depots the members of the expedition created along their route in preparation for the journey to the Pole. In the first instance, Scott recites the list of items, culled from his original diaries but rendered in German - «8 Wochen Tee Extra/ 6 Wochen Extra Butter/ 7 Wochen Vollkornkekse.» In its repetition, «She» recounts a very similar but not completely identical list, this time in English - «8 weeks ’ tea/ 6 week ’ s full biscuit/ 8 1/ 2 gallons oil.» What seems impeccably precise in the first version becomes more arbitrary and less reliable in the second. Both scenes are accompanied by «Music for Things,» a rhythmic and somewhat choppy sequence of electronic sounds that emphasizes the element of repetition. In the second iteration, which comes during the expedition ’ s return trip, Scott asserts that «jede Einzelheit der Planung unserer 122 Katharina Gerstenberger Vorräte und Lager [. . .] erwies sich als perfekt.» A quotation from Scott ’ s «Message to the Public,» the original passage places responsibility for the expedition ’ s demise with unforeseeable human weakness and adverse weather rather than poor planning. In Frost, the statement takes on an ironic effect not initially intended (Scott 421). «She» comments: «You-are-frozen,» taking literally a line from Madonna ’ s 1998 pop song «Frozen» about a lover ’ s emotional unresponsiveness. The rhythmic recitation hints at the quasireligious power of the things with which Scott seeks to triumph over the harsh environment of the South Pole. The repetition in German and in English privileges linguistic play over actual meaning. The same musical theme accompanies a scene called «Men without Women,» which lists the names and occupations of all men who participated in the expedition and states whether or not they survived. While the gendered discourse about virgin territories is metaphorical, the section title takes the absence of women at face value. Presented by «She» in a fast and matter-of-fact fashion, music and words together call into question the difference between the expedition ’ s human participants and the items placed in the depots for their survival. Women ’ s traditional exclusion from male enterprises like polar exploration in Ammer ’ s version becomes part of his critique of traditional masculinity and the selfreification to which Scott and his team members succumb. Ammer ’ s technique of «wiedererkennendes Zitieren» (Hickethier 142), a stylistic device that renders strange familiar phrases, also applies to his use of Lawrence Oates ’ s famous line «I am going outside - and may be some time,» recorded in Robert Scott ’ s diary has having been spoken by Oates as he left their tent with the intention of freezing to death. Sung several times by «She,» the melodious repetition becomes an antidote of sorts to the grimness of the severely incapacitated Oates ’ s decision to die rather than be a burden to the other team members. 27 Similarly, in a section titled «Choral über das Nichts,» all of whose lines are from the original diary, «She» and Scott recite Scott ’ s famous observation about the Pole that «[t]here is very little that is different from the awful monotony of [past] days» (xx). 28 «She» sings in English, Scott speaks in German. Turned into a «chorale,» i. e. a comparatively simple piece of church music meant to be sung by the entire congregation, the deadly conditions at the Pole as described in Scott ’ s diary become material for a lyrical exchange and even hope of redemption. The perhaps most important element of critique that runs through the entire radio drama is the refusal to deploy coldness and freezing as metaphors for emotional or political states of being. Frost thus can be read to inhabit a counter position to the voyages into the ice of the 1980s and the frozen melancholia they purport to represent. The Scientist is an example of this anti- 123 «YOU ARE FROZEN» metaphorical stance when he expounds on the physical implications of extreme temperatures: «Gegen Unterkühlung hilft/ - neben äußerem Kälteschutz durch Kleidung - / kräftige Bewegung./ Sinkt die Rektaltemperatur unter 22 Grad tritt Kältetod ein.» Spoken quickly and without compassion in a section titled «The Killing Effect,» the lines explain in medical terms how Scott and his men died without inviting the listener to identify with the explorers ’ suffering. The music, providing a background to the human voice, consists of individual sounds whose increasing volume adds dramatic emphasis to a scene otherwise devoid of emotional expression. Played on electronic instruments as well as on «IceBlocks» (ii), according to the stage directions, the music foregrounds the acoustic representation of coldness rather than Scott ’ s unsuccessful struggle against it. In its focus on coldness as an artistic theme, Frost adapts two existing pieces of music which offer variations on the topic: «Frost Scene» from Henry Purcell ’ s 1691 «semi-opera» King Arthur and Madonna ’ s song «Frozen» from 1998, the year Frost appeared. 29 The pieces in Henry Purcell ’ s «Frost Scene,» in which Cupid warms a «Chorus of Cold People» with his love, are played and sung in a way that emulates shivering. The singers perform repeated notes in a slurred staccato or tremolo fashion, exhaling several times while holding one tone (Sawkins 257). Madonna ’ s «Frozen,» by contrast, is a pop song that appeals to the beloved to open his heart. In this case, the music does not try to emulate coldness or shivering but the lyrics are such that they can be applied to Scott as well: «You're so consumed with how much you get,» reads one line, perhaps recognizing that unbridled ambition has the potential to destroy love as well as life. Frost borrows freely and creatively from different cultural traditions, often with little regard for the original context or purpose. Furthermore, the reception and enjoyment of these intertextual and intermedial references does not ultimately depend on the audience ’ s ability to decipher them. The linguistic play on frozen/ freezing/ free is most pertinent in the second half of the radio play, which chronicles the expedition ’ s arrival at the Pole and the return trip until the three surviving members ’ death about 11 miles south of One Ton Depot. The section «Vom Pol bis in den Tod» (xxi) includes a «Refrain» that goes: «She: You are free. Scott: Mir ist kalt. She: You are freezing./ You are freezing to death.» In «Shattering Interlude,» the segment based on Purcell ’ s «Cold People,» these lines are changed to «You are freezing./ You are free» (xxiii), hinting at Scott ’ s impending death. Scott ’ s «Ich zittre» is followed by «She ’ s» line «You shatter - shatter - shatter - shatter,» which can perhaps be read as an extreme translation of Scott ’ s statement. In addition to the semantic meanings, these word plays make use of sounds and alliterations and the acoustic excess they offer beyond representation. «She ’ s» 124 Katharina Gerstenberger response to Scott ’ s fatalistic observation «Den inneren Südpol verläßt du nie» is a not very comforting but soothingly enunciated «Never-nevermore» (xxiii). In «IceLyrics,» a section whose music does not fall into one of the four main themes, «She» confronts Scott with the inanity of his undertaking: «cold hero/ stupid collage of flesh/ with only one simple thought in your brain: / be the first be the first down nowhere, where nobody is» (xxviii). Condemning Scott ’ s pursuit of undiscovered territory as single-minded and masculinist, this passage is one of the few direct expressions of criticism. In section twentyfive, the play ’ s last segment set to words, Madonna ’ s melodious characterization «You ’ re frozen» becomes a statement of physical fact: «You - are - frozen» (xxxiii). Taken literally, frozenness conjures up neither stoic acceptance of a tragic fate nor does it evoke the figure of a hero. Linguistic playfulness and intermedial references throughout the piece add an element of artistic excess beyond its socio-sexual critique of Scott ’ s voyage into the ice. Creative adaptation of the historical record and the forging of new associations are Ammer ’ s foremost method. Historical records report that Robert Falcon Scott was probably the last of the three remaining team members to have died, his coat slightly open. Those who found him about eight months after his death interpreted this detail as an effort on his part to remain conscious for as long as possible. In Ammer ’ s version, Scott compares freezing to death with his neck exposed to being beheaded, recalling that dying under the guillotine, according to its inventor, merely instills the «Gefühl einer leichten Erfrischung am Hals» (xxx). Certainly far-fetched, the link between the open coat and the guillotine is the temperature sensation they cause. Yet in the final section Scott observes: «Nach mir: Kein Abenteuer mehr. Nach mir: Der Krieg» (xxxii), referring to a historical context of which the real Robert Scott had no knowledge. The passage continues with a vision of a Europe where male corpses hang from trees, «das Glied noch vom Strangulieren erigiert» (xxxiii). The sexualized colonial fantasies invoked at the radio play ’ s beginning return in a grotesque triumph of masculinity beyond death. Inspired by nationalistic fervor and violent competition between groups, Scott ’ s undertaking becomes part of a historical continuum that spans the violence of the French Revolution and the killing of World War I. Ammer ’ s Frost, even though it uses authentic material and does not alter basic facts, presents us with a rather different version of Scott ’ s well-known race to the pole than previous interpretations. His Scott is neither a hero in the tradition of Stefan Zweig nor an anti-hero à la Wolfgang Weyrauch. Furthermore, Frost breaks with the approach to travels into the ice created in the 1980s, which, like Sebald ’ s «Und blieb ich am äußersten Meer» or Ransmayr ’ s Die Schrecken des Eises und der Finsternis, draw on arctic exploration for 125 «YOU ARE FROZEN» stories that contain significant elements of contemporary political critique. Andreas Ammer ’ s Frost shares the rejection of heroic conquest expressed in the earlier texts, highlighting the potentially devastating consequences of gender hierarchies, nationalism, and human exploitation of other species. Yet Ammer, according to whom the radio drama is «der einzig zeitgemäße Platz, an dem sich heute noch große Geschichten erzählen lassen,» (qtd. in Huwiler, Erzähl-Ströme 13), expresses his critique through aesthetic means that also challenge the listener ’ s expectation that a work of art must contain a decipherable message. «Große Geschichte» in Ammer ’ s sense means to present the audience with a stimulating performance rather than immersion in a world of mimetic illusion. Instead of simply demoting Robert Falcon Scott from his position of hero, which, after all, has been done before, Frost refuses to portray him as mirror for our times from whose story we must extrapolate a message about the current state of affairs. 30 Frost is not a piece that wants to teach. More than anything, it invites the audience to experience the performance as a work of art that entertains and possibly provokes. The fascination with journeys into the ice does not end with Frost and the late 1990s. Martin Mosebach ’ s 2001 Der Nebelfürst is a satirical take on artic exploration, linking the fantasy world of the North with the desire for financial gain in a novel about a (historical) con-artist who seeks to exploit coal deposits on an island off Spitsbergen. Falk Richter ’ s theater play Unter Eis (2004), with its farcical scenes about the world of international finance, outsourcing, and high-power consulting, ends by letting it characters freeze to death as they reflect on questions of beauty, love, and the meaning of life. Jo Lendle ’ s Alles Land (2011) is a detached and somewhat ironic recounting of the story of Alfred Wegener, the German geologist and explorer who first put forward the theory of the continental drift and died in 1930 during an attempt to cross Greenland. Ilija Trojanow ’ s novel Eistau (2011), which tells the story of a glaciologist whose concern for the melting ice of the Antarctic drives him to an act of sabotage, will probably not be the last work about a disastrous journey into then ice.The age of cold heroes, at least for now, seems over. The allure of the globe ’ s icy regions and the stories they inspire persists. Notes 1 I thank Tanja Nusser for her careful reading of this piece and her many helpful suggestions for making it better. Kingson 1; 4. 2 This image exists in various versions. For instance, http: / / www.greenpepperblog.com/ greenpepper_blog/ 2009/ 10/ just-how-helpful-will-the-new-alaskan-polar-bear-habitat -be.html. A more humorous adaptation shows a polar bear on a piece of ice with 126 Katharina Gerstenberger London ’ s Tower Bridge in the background: <www.treehugger.com/ corporate-responsibility/ polar-bear-in-londons-thames-river.html>. 3 A good overview of this literature can be found in Marx, Wege ins Eis and Spufford; see also Kastura. Werner Herzog ’ s documentary Encounters at the End of the World (2007) asks what motivates people to live at the South Pole; examples of crime fiction are Stan Jones ’ Nathan Active series, set in a remote Alaska village, and Melanie McGrath ’ s White Heat, which takes place on Canada ’ s Ellesmere Island. 4 Several scholars have remarked on this phenomenon at the time including Grimm and Frank, who argues that the polar regions - depicted as «Orte der Sinnlosigkeit und Symbole des Bestehenden» (129) - stand for a critique of capitalism and a social system in which human relationships are measured in monetary terms only. 5 Before writing Schrecken, Christoph Ransmayr published two journalistic pieces based on this material (Extrablatt 1982 and TransAtlantik 1983). 6 «Und blieb ich am äußersten Meer,» first published in the Austrian literature journal Manuskripte, is W. G. Sebald ’ s earliest literary publication. 7 Heinz-Peter Preusser makes a similar argument when he writes that «Eisberg, Vereisung, Eiszeit» are widely used metaphors for the catastrophic thinking of the late 1970s and early 1980s (48). 8 Menke. 9 There also exists ample visual documentation, most notably Herbert Ponting ’ s (1870 - 1935) photographs as well as his film The Great White Silence (1924). According to the stage directions in Ammer ’ s manuscript, Ponting ’ s film was shown during the Oberhausen performance of Frost. 10 Alt 33. 11 For a thorough analysis of Neue Sachlichkeit see Becker. 12 The drama was first staged in Berlin ’ s Staatliches Schauspielhaus on February 16, 1930. Goering later turned the drama into a libretto for which the composer Winfried Zillig wrote the music. The twelve-tone work premiered in 1937 under the title Das Opfer. For a careful analysis of «Südpolexpedition» see Fäth ’ s chapter on the drama. In her conclusion Fäth rightly rejects as problematical Goering ’ s espousal of «Männlichkeitsethos und Nationalgefühl» (250). 13 Roald Amundsen died in the arctic in 1928 during a rescue mission. 14 An interesting comparison is Georg Heym ’ s 1911 «Die Südpolfahrer,» an expressionist vision of the discovery of the South Pole in which the explorers reflect on the insanity of their undertaking but nevertheless keep on moving towards their goal. 15 Becker rejects Lethen ’ s approach as not appropriate for the assessment of Neue Sachlichkeit as a literary movement but does acknowledge the validity of his arguments concerning «identity» towards the end of the Weimar Republic (31 - 32). 16 FM Einheit is the stage name of the musician Frank Martin Strauss, born 1958 in Dortmund. 17 Peter Handke ’ s experimental radio plays Hörspiel (1968) and Hörspiel Nr. 2 (1969) use language as «verbal material» that is no longer intended to convey plot or meaning (Corry and Haggh, 266). 18 A CD version came out in 2000. 19 <www.amazon.de/ Frost-79 %C2 %B040-Andreas-Ammer/ dp/ 3939444332>. 20 Ammer describes his writing method as « ‹ literarisches Sampeln, › : Ich ziehe Bücher aus dem Regal und dann kommt ein Satz, der plötzlich paßt» (Neuhaus 118). This method applies to Frost as well. 127 «YOU ARE FROZEN» 21 The question of Scott ’ s professionalism shaped the reception of his expedition right from the beginning. Diana Preston, in her biography of Scott, points out that Amundsen was by many considered a «professional» who turned the journey to the Pole into a race (5). There seems to be general agreement that the use of dogs instead of ponies and clothing made from animal skins rather than wool, something Amundsen had adopted from the Inuit he encountered during his extensive travels in the Arctic, in addition to a shorter route, a start earlier in the year, and favorable weather conditions account for Amundsen ’ s success. Amundsen ’ s sole focus on reaching the Pole without seeking to collect geological specimens or taking numerous photographs is at times interpreted as an unfair advantage. Francis Spufford, in his study on ice in the English imagination, simply notes: «The English were uniquely unprepared for the job» (5). 22 For an excellent overview see Huwiler, «80 Jahre Hörspiel.» 23 «She» may well be an allusion to the heroine of H. Rider Haggard ’ s 1887 best-selling novel in which the 2000 year old African queen Ayesha figures as a cruel yet alluring ruler also dubbed as «She who-must-be-obeyed.» Unlike Haggard ’ s male fantasy of a powerful female figure, Ammer ’ s speaker challenges such notions. 24 All page references are to the unpublished manuscript. 25 Zantop 55. 26 Scott ’ s arm apparently broke off with a sound like a pistol shot when E. L. Atkinson sought to retrieve his diary. Tryggve Gran revealed this piece of information in an interview conducted many years later. It is not included in any of the other accounts, presumably out of respect for Scott and his men. See Scott, 502. 27 The line has such resonance that Francis Spufford could choose it as the title for his book on ice in the English imagination. 28 The omission of the word «past,» which is included in the original text and without which the line does not really make sense, seems to be a mistake. 29 A third, a version of blues singer Oscar Brown ’ s 1960 song «But I was Cool,» is included in the manuscript but not on the CD. The song, which mixes original lyrics with references to Scott ’ s journey, was to have been performed by «She.» The play on «coolness» and cold is obvious. 30 Most memorably perhaps in a 1970 Monty Python sketch about a film team in the process of shooting a movie titled «Scott of the Antarctic.» The sketch ridicules Scott himself as well as the self-importance of those who work in the film industry. Works Cited Anon. 30. October 2012. <www.amazon.de/ Frost-79 40-Andreas-Ammer/ dp/ 3939444332>. Alt, Peter-André. Komödie der Aufklärung. Eine Einführung. Tübingen, Basel: Francke, 1994. Ammer, Andreas. Frost. 79° 40'. CD. 2000. — . «Frost. Robert F. Scotts Tod im Eis.» Unpublished Manuscript. Westdeutscher Rundfunk. 1998. Barthes, Roland. Camera Lucida: Reflections on Photography. Trans. Richard Howard. New York: Hill and Wang, 1981. 128 Katharina Gerstenberger ° Becker, Sabine. Neue Sachlichkeit. Vol. 1. Die Ästhetik der neusachlichen Literatur (1920 - 1933). Cologne: Böhlau, 2000. Cory, Mark and Barbara Haggh. «Hörspiel as Music, Music as Hörspiel: The Creative Dialogue between Experimental Radio Drama and Avant-Garde Music.» German Studies Review 4.2 (1981): 257 - 79. Ebertshäuser, Heidi Caroline. «Träume im Packeis.» Unter Null. Kunsteis, Kälte und Kultur. Ed. Hans-Christian Täubrich et. al. Munich: Beck, 1991. 35 - 49. Fäth, Dagmar. Probleme der Weltorientierung in den Dramen Reinhard Goerings. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 1999. Frank, Manfred. Die unendliche Fahrt. Ein Motiv und sein Text. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1979. 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M.: Fischer, 1986. 221 - 41. 130 Katharina Gerstenberger Kältelehren der Winterreise ULRIKE VEDDER H UMBOLDT -U NIVERSITÄT Z U B ERLIN Das Universum der Tonkunst ist eine Landschaft des Todes. Weiße Wüsten, Eis, gefrorene Flüsse, Bäche, Seen! Riesige Scheiben Arktis, durchsichtig bis zum Grund, keine Tatzenspur des Raubtiers Eisbär. Nur geometrisch angeordnete Kälte. Schnurgerade Frostlinien. Totenstille. Alle zehn Finger kann man stundenlang dagegen pressen, und das Eis zeigt keine Spur eines Abdrucks. (Jelinek, «Clara. S.» 127) In Elfriede Jelineks Stück Clara S., musikalische Tragödie (UA 1982) spricht die Komponistin und Pianistin Clara Schumann diese Sätze über das «Universum der Tonkunst«. Eine zwar geordnete, doch unbeeindruckbare und spurlos bleibende Landschaft aus Eis und Tod, «durchsichtig bis auf den Grund«, ohne dass zu sehen wäre, welchen Prozessen und Operationen, welchen Projektionen und Zerstörungen, welchen Ein- und Ausschlüssen sich diese eisige grandiose Landschaft verdankt - ein starkes Bild in diesem Stück über die Zerstörung weiblicher Kreativität und über die Abgründe des Geniekults, die anhand der beiden im Stück auftretenden Künstler Robert Schumann und Gabriele d ’ Annunzio exerziert werden. Montiert aus Tagebüchern und Briefen Clara Schumanns aus dem 19. Jahrhundert, aus Romanen von Gabriele d ’ Annunzio um 1900 und aus Ria Endres ’ Studie Am Ende angekommen (1980) über Männlichkeiten in Thomas Bernhards Texten wird hier in plakativer Dramatisierung ein Angriff auf die Prätexte und die in ihnen wirksamen Weiblichkeitsbilder geführt. Wenn Elfriede Jelinek in ihrer Winterreise (2011) den Zyklus Die Winterreise von Wilhelm Müller und Franz Schubert aufgreift, wie sie in ihren Texten immer wieder Prätexte aufnimmt und ‹ zerschreibt › , so treibt sie damit ihr über Jahre entwickeltes Textverfahren fort, das auf Kombinatorik anstelle von auktorialer Erfindungsgabe setzt, auf uneigentliches Sprechen anstelle von originellen Selbstäußerungen, auf diskurskritisches Zitatwesen anstelle von utopischen Gegenentwürfen, auf Textflächen anstelle von figurenkonturierender Rede. Auch hier also finden sich wörtliche Zitate und szenische oder semantische Anspielungen auf die Winterreise; die acht Szenen der Jelinekschen Winterreise lassen sich mehr oder weniger je einem Lied, also acht aus 24 Liedern aus Müllers/ Schuberts Zyklus zuordnen. Auch hier werden Diskurspartikel der Gegenwart zusammengeführt, Figurenidentitäten aufgelöst, Machtverhältnisse und die darin zentrale Kategorie des Geschlechts analysiert. Dabei aber geht es Jelinek nicht, wie in so vielen anderen ihrer Texte, um eine erhellende Zertrümmerung der ‹ Vorlagen › und ihrer identitäts-, diskurs- und machtpolitischen Implikationen, einschließlich der Destruktion männlicher Weiblichkeitsprojektionen, sondern um eine vielschichtige produktive Bezugnahme. Zwar enthält Jelineks Winterreise eine Fülle brutaler Sprachszenen und Identitätszertrümmerungen, doch verfährt sie in anderen Passagen geradezu behutsam. So sind beispielsweise die wenigen zarten Momente eines ins Pflegeheim abgeschobenen, dementen Vaters gegenüber seiner Tochter, die den Vater dort ‹ abgeworfen › hat, wie es heißt, an Winterreise-Zitate gebunden: «Erkennst du noch mein Bild, Kind? [. . .] Weißt du denn nicht mehr, wie ich ausgesehen habe? Schreib im Vorübergehen ans Tor dir gute Nacht. Damit du mögest sehen, an dich hab ich gedacht. Ich weiß schon, du liest das sicher nicht» (Jelinek, «Winterreise» 79 - 80). Dass dieser Versuch einer Begegnung, dieser kleine Moment der Wärme seitens des verloren gegebenen Vaters nur im Zitat artikulierbar ist, liegt zum einen sicherlich «in der Logik von Jelineks sarkastisch überhöhendem Sprachverfahren, das kaum Öffnungen lässt für eine konventionelle Identifikation von und mit ihren Figuren» (Caduff 24). Zum anderen liegt es aber auch in Jelineks Verständnis von Schuberts musikalischem Verfahren, das sie als eines der Entortung und des Verlorengebens beschrieben hat. So hebt Jelinek in ihrem Essay «Zu Franz Schubert» (1998) an dessen Musik hervor, dass in ihr «etwas da ist, das uns gleichzeitig weggenommen ist«, und sie begreift Schubert als einen Komponisten, dem wie wenigen anderen, während er die Zeit angehalten hat, [. . .] der Raum davongelaufen ist, das heißt: alles was um die Dinge so herumliegt. Notgedrungen muß, um etwas zu bestimmen, ja Raum und Zeit angeführt werden, Biedermeier, Metternich ’ sche Zensur, Verschlüsselung, Verschleierung, etwas meinen ohne es zu sagen, etwas sagen ohne es zu meinen, aber daß etwas von vorneherein ein Ding ist, über das nichts zu erfahren wäre, weil es zwar ein Gewolltes und Gemachtes [. . .] ist, aber nicht ein wollig Umstricktes und nicht ein Eingemachtes, das man behalten könnte, in die Sammlung legen und anschauen bzw. anhören, wann immer man möchte. Die Winterreise ist also - trotz ihres Status eines im Symbolischen hoch im Kurs stehenden Kulturguts - in gewisser Weise unverfügbar, kein «Eingemachtes«, kein warm und «wollig Umstricktes«. Die Kälte, die in ihr vorherrscht, stellt sich demnach als ein Modus dieser Unverfügbarkeit der 132 Ulrike Vedder Kunst dar. Zugleich aber lässt sich die Kälte auch als gesellschaftliche Vereisung begreifen; sie kann als Vorbote des Todes fungieren; sie steht im Zusammenhang mit ‹ Verhaltenslehren der Kälte › , die das Überleben sichern sollen (wie Helmut Lethen sie für den Habitus der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre bestimmt hat). Zudem verweist die Kälte auf Bildlichkeiten von Erhabenheit oder heroischer Männlichkeit, und sie bezeugt - als Herzenskälte - die Untauglichkeit für die romantische Liebe und ihre Diskurse. In Müllers Gedichtzyklus waltet die Kälte zunächst äußerlich, in Form von Schnee und Eis; dann mehr und mehr auch im Innern des Wanderers, dem - mit dem Verlust der «glühenden Augen» seiner Geliebten und seinen «heißen Tränen» darüber - die Wärme immer mehr verloren geht, bis im 20. Gedicht des Zyklus er mit dem Phänomen der «Nebensonnen» konfrontiert ist: mit einem optischen Phänomen, das durch die Brechung der Sonnenstrahlen an den Eiskristallen in der Atmosphäre entsteht und so die Sonne in neben ihr stehenden «Nebensonnen» spiegelt, die ein kaltes Licht geben, ohne die Wärme der Sonne. Im 23. Gedicht dann mit dem Titel «Mut! » formuliert der Wanderer tatsächlich eine Art ‹ Verhaltenslehre der Kälte › , die ihn retten soll: Fliegt der Schnee mir ins Gesicht,/ Schüttl ich ihn herunter./ Wenn mein Herz im Busen spricht,/ Sing ich hell und munter./ / Höre nicht, was es mir sagt,/ Habe keine Ohren./ Fühle nicht, was es mir klagt,/ Klagen ist für Toren./ / Lustig in die Welt hinein/ Gegen Wind und Wetter! / Will kein Gott auf Erden sein,/ Sind wir selber Götter. (Müller 43) Im 24. und letzten Lied ist die zerstörerische Kälte an den Leiermann delegiert, der, «[b]arfuß auf dem Eise«, alles gehen lässt, «wie es will», während der Wanderer von «meinen Liedern» (44) spricht und so zum Sänger und Autor wird: «Das Schlußgedicht stellt nichts Geringeres in Aussicht, als daß die Lieder neu anheben und die während der Winterreise gesungenen Lieder nun als Winterreise gesungen werden» (Bosse/ Neumeyer 158). Dass sich also aus solchen vielfachen Kältebildern keine ‹ Lehre › heroischer Männlichkeit destillieren lässt, versteht sich. Dementsprechend bietet sich Müllers Gedicht-Zyklus für das Schema einer von Wissensdrang getriebenen Entdecker- oder Forschungsreise in die Kälte nicht an. Vielmehr geht es in den folgenden Lektüren der Texte von Wilhelm Müller und Elfriede Jelinek um deren an die Kälte gebundene Poetik der Unentschiedenheit und Ausweglosigkeit, die sich gegen eine Absorption in ideengeschichtliche oder sozialphilosophische Interpretationen sperren. Hier wäre etwa an Manfred Franks Studie Die unendliche Fahrt (1979) zu denken, in der er seine Bezugnahme auf Müllers Winterreise unter die Generalmaxime einer ‹ zerbrochenen Ökonomie der Heimkehr › gestellt hat. 133 Kältelehren der Winterreise Anders als Wilhelm Müllers Gedichtzyklus Die schöne Müllerin (1820), versehen mit dem Zusatz «Im Winter zu lesen«, erzählt Die Winterreise keine Geschichte, auch wenn sich Stationen einer Wanderschaft und mithin so etwas wie Handlungselemente erkennen lassen. Im Zentrum aber steht das lyrische Ich, ein ‹ Hinausgetriebener › , in der Forschung wahlweise ‹ Wanderer › oder auch ‹ Flüchtling › genannt; Elfriede Jelinek spricht gar von ‹ Deserteur › . Ein vielfach Fremder mithin, wie die ersten beiden Verse des Zyklus konstatieren: «Fremd bin ich eingezogen/ Fremd zieh ich wieder aus» (Müller 7). Dass das Ich sich der eisigen Umgebung und ihrer Todesnähe dermaßen aussetzt, dass ihm die Tränen erfrieren, es eine Krähe um «Treue bis zum Grabe» anfleht und es einen Friedhof als Wirtshaus bezeichnet, wird nicht ausreichend motiviert - oder umgekehrt: Gründe für sein zielloses Unterwegssein scheint es zunächst mehrere zu geben, sie erscheinen aber widersprüchlich und unzureichend: spielt doch das erste Lied des Zyklus, «Gute Nacht«, auf die Untreue der Geliebten an, möglicherweise aber auch auf die des Ich, das der unsteten Liebe unterstellt zu sein scheint: «Die Liebe liebt das Wandern, - / Gott hat sie so gemacht - / Von einem zu dem andern - / Fein Liebchen, Gute Nacht! » (8) Als ein weiterer Grund für den Aufbruch wird aber auch eine drohende Vertreibung genannt, der der Wanderer zuvorkommt, sowie eine - jedenfalls im vergangenen Mai - in Aussicht gestellte Ehe, vor der das Ich möglicherweise flieht, zumal wenn man die Tradition der Studentenlieder um 1800 einbezieht, in denen sich immer wieder die Angst vor dem Ende des Studiums formuliert findet, das mit dem Weg in Ehe und Philisterei einhergehe. Es handelt sich also um einen durchaus widersprüchlichen Aufbruch des Wanderers. Festhalten lässt sich aber doch, dass sein Aufbruch zur Unzeit, in den Winter und in die Nacht hinein, eine Kontrafaktur zum gängigen Wanderlied darstellt, das zu Beginn des Tages bzw. im Frühjahr situiert ist und - wie etwa Ludwig Uhlands Wanderlieder (1811) - auf den Zyklus der Jahreszeiten zielt; Müllers Gedichte hingegen bleiben in Schnee und Eis stecken. 1822 veröffentlicht Wilhelm Müller die ersten zwölf Lieder (in Urania. Taschenbuch auf das Jahr 1823), ein Jahr später eine zweite Sammlung von zehn Gedichten. Der um zwei weitere Gedichte erweiterte Zyklus aus 24 Liedern erscheint dann 1824 im zweiten Band der Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten. Fällt einem hier Jean Paul als stilistisches Vorbild ein, so lässt sich die Titelgebung als ironische Anknüpfung an die romantische Formulierungstradition verstehen - in jedem Falle aber ist die Publikation als Hinterlassenschaft gekennzeichnet, d. h. Müller zeichnet nicht als Autor, sondern als Herausgeber bzw. als Nachlassverwalter, was die Lieder zum einen als gleichsam authentische Volkslieder, zum andere als ‹ Erbe › kennzeichnet. Damit ist zugleich die Frage 134 Ulrike Vedder von Aneignung und Tradition, die eingangs für die neueren Adaptionen angesprochen wurde, auch für Müllers Gedichte aufgeworfen, wobei es interessant ist, dass Müller den Begriff des ‹ Zeitgemäßen › für seine Lieder stark macht, wenn er in einer Besprechung «Über die neueste lyrische Poesie der Deutschen» (1827) den «heillose[n] Irrthum einiger Modedichter der nächsten Vergangenheit» kritisiert, der darin bestehe, «dass sie Volkslieder zu geben meinten, wenn sie alterthümliche Phrasen, unbeholfene Wendungen, auch wohl gemeine Derbheiten aus den alten Vorbildern nachäffend zu neuen Verbindungen zusammenfügten. Keiner Dichtungsart liegt es mehr ob als der lyrischen, zeitgemäß zu sein.« 1 Das Zeitgemäße als Maßstab der Aneignung einer Tradition lenkt den Blick zunächst auf die politische Zeitgenossenschaft der Lieder, die im Bild der eisigen Erstarrung der politischen Verhältnisse nach den Karlsbader Beschlüssen bzw. unter Metternich sich erweist. Darüber hinaus richtet sich die Zeitgemäßheit der Gedichte auf die sozialen und kulturellen Umbrüche bzw. den Modernisierungsschub um 1800, der auch vor dem Wandern nicht haltmacht, schlägt er sich doch im Verlust einer ständischen und institutionellen Bindung des Wanderns nieder, das nun nicht mehr an zunftgemäßes Verhalten der Handwerker oder an eine spezifische Ausbildungsphase gebunden ist, sondern das auf den «natürlichen Menschen, genauer, [. . .] die männliche Jugend» zielt sowie auf «das Paradigma von Bildung überhaupt» (Bosse/ Neumeyer 42 - 43). Damit aber kommt die Zeitgemäßheit der sprachlichen und künstlerischen Dimension in den Blick, die nicht nur die von Müller inkriminierten «alterthümlichen Phrasen» und «Derbheiten» aus seinen Liedern ausschließt, welche ja durch eine große Einfachheit der Sprache gekennzeichnet sind, sondern zudem eine «Selbstreflexion der Kunst» (9) in das Wanderlied einziehen lässt. In welcher Weise diese Zeitgemäßheiten mit dem Phänomen der Kälte verbunden sind, sei nun an drei von Müllers Gedichten gezeigt. Schon bald nach der Abschiedsszene des ersten Gedichtes wird im vierten Lied, «Erstarrung«, die eisige verschneite Landschaft mit der Erinnerung an Blüten und grünes Gras kontrastiert, die metonymisch für die Geliebte stehen, mit der das Ich hier lustwandelte, und die nun unerreichbar unter dem Schnee liegen, den auch die heißen Tränen des Ich nicht zum Schmelzen bringen können. So weit, so konventionell, ließe sich sagen, wenn nicht Strophe 4 und 5 gerade nicht das Projekt der Schneeschmelze verfolgen würden, das ein Anknüpfen an vergangene Zeiten verspricht, sondern umgekehrt das Bewahren der Erinnerung an die Geliebte gerade an Kälte und Eis koppeln. Im ersten Lied «Gute Nacht» hatte es schon geheißen: «Und auf den weißen Matten/ Such ich des Wildes Tritt» (Müller 7); dort hatte sich 135 Kältelehren der Winterreise das Ich also schon als Spurensucher und Zeichenleser eingeführt, wenn auch zunächst im Bildfeld des Jägers, der dem Wild folgt. Dies wird im vierten Lied «Erstarrung» zunächst als Suche nach einem «Angedenken» an die Geliebte weitergeführt: «Ich such im Schnee vergebens/ Nach ihrer Tritte Spur» (13). Aber der Wanderer, dem alles zum Zeichen werden soll, findet keine Spur, keinen Abdruck, denn es ist gerade der Schnee, der den «Boden«, «wo wir oft gewandelt«, bedeckt, alle alten Spuren verdeckt - und somit keinen ‹ durchdringenden › Blick erlaubt. In einer erstaunlichen Wendung wird dann das Herz als «wie erfroren» bezeichnet, das damit das Bild der Geliebten zu bewahren weiß. Die Schmerzen und das ‹ wie erfrorene › Herz sagen dem Ich «von ihr«; wenn die Schmerzen schweigen, wenn das kalte Herz schmilzt, wird die Geliebte vergehen. Es ist also die starrende Kälte, der das Ich das Bild der Geliebten in seinem Herzen verdankt, mithin auch das Sprechen seiner Schmerzen. Wenn aber die Schmerzen sprechen, dann äußern sie sich in der Winterreise im Lied, so dass nicht nur das Bild der Geliebten erst dank der Kälte bewahrt wird, die außerhalb und innerhalb des Ich herrscht, sondern auch das Lied «Erstarrung» erst dank der Kälte, als poetisches Verfahren, vom Schmerz sprechen und singen kann. Und damit kann das Lied zum «Angedenken» werden, das sich «mit von hier» nehmen und jederzeit wiederholen lässt (vgl. Bosse/ Neumeyer 134 - 35). Im achten Lied «Auf dem Flusse» wird die Frage von Spur und Abdruck in eine Schreibszene der Kälte überführt. Die Eisdecke über dem Fluss erscheint als weißes Blatt, das «keinen Scheidegruß» gibt, also schreibt der Wanderer nun selbst. Der gefrorene Fluss, «kalt und unbeweglich«, stellt die Schreibfläche dar, die Zeichen aufnimmt: verletzende Zeichen, die mit «einem spitzen Stein» ‹ eingegraben › werden, und verletzte Zeichen, «ein zerbrochner Ring» (Müller 19). Dieser zerbrochne Ring deutet als Zeichen einer verlorenen Liebe auf die Geliebte; er lässt sich zudem als symbolon verstehen, als das zerbrochene Zeichen, das auf sein fehlendes Gegenstück verweist, das die Wahrheit einer Botschaft bezeugen wird. Darüber hinaus fungiert der zerbrochne Ring als Zeichen eines reflektierenden und sich erinnernden Bewusstseins, das sich weder schließt noch wiederfindet, sondern hier nur «Nam ’ und Zahlen» (19) nennt - so dass, nimmt man die Parallele zwischen dem Ring und dem Liederzyklus selbst hinzu, der zerbrochne Ring auf das Zustandekommen des Zyklus unter den brüchigen Bedingungen der Kälte vorausweist, das wir gleich anhand des letzten Liedes sehen werden. In der letzten Strophe wird deutlich, dass der Wanderer schreibt, nicht um mit seiner unerreichbaren Geliebten zu kommunizieren, sondern um das eigene einsame Herz anzusprechen, das wie der vereiste Fluss so starr daliegt, dass selbst das Eingraben der Zeichen mit spitzem Stein die Eisschicht nicht 136 Ulrike Vedder durchdringen kann. Dass es darunter aber «so reißend schwillt«, merkt man dem Fluss nicht an, das weiß nur das Herz von sich selbst. Die Instanz des wissenden Herzens ist damit, dank der Schreibszene der Kälte, für den weiteren Verlauf des Liederzyklus etabliert - bevor es dann, wie schon gesehen, im 23. Gedicht «Mut! » zum Verstummen gebracht bzw. durch munteren Gesang übertönt wird: nicht hören, nicht fühlen, auf Gott nichts geben. Prompt kommt das Herz nicht mehr zur Sprache. Auf dieses mutwillige ‹ Überlebensprogramm › aber folgt noch ein letztes Lied, «Der Leiermann«, das eine andere ‹ Kältefunktion › aufweist und auf kein - verstummtes, wissendes oder erstarrtes - Herz mehr setzt, sondern auf den Leiermann, eine zwiespältige Figur, die niemand hören will, durch die aber die Lieder des Wanderers zur Winterreise, dem Gedichtzyklus, werden. Der Leiermann, der noch «hinterm Dorfe» (44) steht und dort, fast erstarrt und barfuß auf dem Eis, mechanisch seine Leier dreht, erscheint zunächst wie ein Todesbote, der den Wanderer ans ersehnte Ziel, den Tod führt. Zugleich stellt der ‹ wunderliche Alte › eine Spiegelfigur für den jungen Wanderer dar, in der dieser seine Zukunft sehen kann: hin und her schwankend am Ende einer Wanderung, aber nicht am Ziel; ohne eigene Stimme, ohne Antwort auf seine Musik; in seiner Drehbewegung befangen, kurz vor dem Verschwinden in Kälte und Eis. In der Forschungsliteratur ist der Alte mit der Leier als ‹ depotenzierter Orpheus › (Wittkop 152) gedeutet worden, worauf auch die ihn umkreisenden brummenden Hunde hinweisen, hat doch Orpheus mit seinem Lyra-Spiel und Gesang nicht zuletzt die wilden Tiere befriedet. Dieser verstummte Orpheus vermag ohne seinen Gesang den Tod nicht mehr zu bannen, doch ist er andererseits diejenige Figur, durch die der Wanderer, mit «meinen Liedern» von der Winterreise, zum Autor und Sänger der Winterreise wird; auch das letzte Lied ist also ein poetologisches Gedicht. Es gehört zu den Topoi der Irrfahrten und unendlichen Reisen, um den Preis des eigenen Untergangs eine letzte Botschaft an die Nachwelt zu adressieren und so zum Heros eines Überlebens in der Literatur zu werden - ein bekanntes transzendierendes Moment in Untergangsszenarien. Der Sänger und Autor aber, der hier im letzten Lied aus dem Zusammentreffen zwischen Wanderer und Leiermann entsteht und so aus seinen Liedern einen musikalisch-poetischen Zyklus macht, welcher nunmehr als Kunstwerk von vorn wieder ertönen kann, ist ein ganz unheroischer; nicht zuletzt, weil in den Liedern reflektiert wird - z. B. im eben angesprochenen Gedicht «Auf dem Flusse» mit dem zerbrochnen Ring - , dass dieser Zyklus, zustande gekommen unter den brüchigen Bedingungen der Kälte, für die der Leiermann steht, nicht das ganze Erlebte wiedergeben kann und auch den Sänger nicht seiner selbst zu versichern vermag. 137 Kältelehren der Winterreise Das brüchige, an die Kälte gebundene Moment einer Konstitution des Liederzyklus als Kunst, wie es «Der Leiermann» vorführt, stellt ein ganz anderes Modell dar als die - an den Topos des Eises und der Kälte gebundene - narrative Konstruktion heroischer Männlichkeit, die Inge Stephan in ihren Überlegungen zum Kältekult in der Literatur um 1900 erkennbar gemacht hat: als gebunden an Hegemonialstreben und die Kolonisierung der vermeintlich ‹ weißen Flecken › mit ihren Geschlechtercodierungen, die aber auch zeitgenössisch, d. h. vor der Neuen Sachlichkeit mit ihren habituellen virilen Verhaltenslehren der Kälte, schon ironisiert und kritisiert worden ist. Hier aber, nach 1800, haben wir es mit Kälte- und Todeskonstellationen zu tun, deren Unverstandenheit, die in der Rezeption der Romantik häufig zu Todessehnsucht und Todesfaszination gerinnt, bekanntlich Thomas Manns Bezugnahmen auf die Winterreise in seinem Roman Der Zauberberg motiviert hat. In dessen Grammophon-Kapitel wird ein solches schwärmerisches Missverständnis einer «Sympathie mit dem Tode» (Mann 906) durch Hans Castorp vom Erzähler als «ahndevolle Halbgedanken» eingeordnet, die sich seinem innigen, entrückten Hören des «Lindenbaum«-Liedes als eines ‹ Seelenzaubers › verdanken: Hans Castorps Gedanken oder ahndevolle Halbgedanken gingen hoch, während er in Nacht und Einsamkeit vor seinem gestutzten Musiksarge saß, - sie gingen höher, als sein Verstand reichte, es waren alchemistisch gesteigerte Gedanken. Oh, er war mächtig, der Seelenzauber! Wir alle waren seine Söhne, und Mächtiges konnten wir ausrichten auf Erden, indem wir ihm dienten [. . .], um als Seelenzauberkünstler dem Liede Riesenmaße zu geben und die Welt damit zu unterwerfen. (907) Am Ende des Romans stolpert Castorp mit dem Lied «Der Lindenbaum» auf den Lippen übers Schlachtfeld, in dem er verschwinden wird: Er macht sich auf, er taumelt hinkend weiter mit erdschweren Füßen, bewußtlos singend: Und sei-ne Zweige rau-uschten, Als rie-fen sie mir zu - Und so, im Getümmel, in dem Regen, der Dämmerung, kommt er uns aus den Augen. (993 - 94) Das Taumeln mag an das Schwanken des Leiermanns erinnern, das bewusstlose Singen an das mechanische Leiern - im Zentrum dieses Abschieds von Hans Castorp aber steht die Lücke, die das bloße Rauschen des Lindenbaums hinterlässt, das aber doch etwas bedeuten muss: «als riefen sie mir zu - «. In dieser Unterstellung eines Sinns besteht gerade das Unverstandene. Dass er dieses Lied auf den Lippen hat, weist ihn demnach nicht als Ergebnis eines humanisierenden Prozesses aus, den er sieben Jahre lang auf dem Zauberberg durchlaufen habe, wie in Teilen der Sekundärliteratur behauptet, 138 Ulrike Vedder mit dem Argument, schließlich singe er weder «Deutschland, Deutschland über alles» noch «Die Wacht am Rhein«, sondern halte im Lied vom «Lindenbaum» fest «an den Werten [. . .] der Menschlichkeit«, wodurch er den Tod «überwindet» (Schumann 40). Vielmehr ist das im Grammophon- Kapitel ausformulierte retrospektiv romantisierende Todesideal, das im Lied sich vermeintlich ebenso aussprechen soll wie die wahrhaft-nationale Seele des Volkes, durch Thomas Manns Roman als ein Konstituens jener kollektivregressiven Begeisterung zu begreifen, die Hans Castorp als kriegsfreiwilligen Vertreter seiner Generation auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs geführt hat. Diese These verschärft Ingeborg Bachmann für den Zweiten Weltkrieg, wenn sie ihr Gedicht «Früher Mittag» (1952) mit dem Vers «Still grünt die Linde im eröffneten Sommer» einsetzen lässt - eine programmatische Verkehrung der Winterreise in den Sommer, der Nacht in den Mittag. Dann wird ein Vers aus dem «Lindenbaum» - zusammen mit Goethes Lied vom «König in Thule» - an die Vergesslichkeit gegenüber den erst kurz zurückliegenden Verbrechen gekoppelt: «Sieben Jahre später/ fällt es dir wieder ein,/ am Brunnen vor dem Tore,/ blick nicht zu tief hinein,/ die Augen gehen dir über.» (Bachmann 44) Solche geschichtspolitischen Bezugnahmen auf die jeweils jüngste Vergangenheit lassen sich auch an Müllers und Schuberts Zyklus selbst konstatieren. Dafür bietet das bereits genannte Gedicht «Die Nebensonnen» ein Beispiel, das mit «Drei Sonnen sah ich am Himmel stehn,/ Hab lang und fest sie angesehn» einsetzt und mit den Versen endet: «Nun sind hinab die besten zwei./ Ging ’ nur die dritt erst hinterdrein! / Im Dunkel wird mir wohler sein» (Müller 38). Üblicherweise werden die beiden Nebensonnen als die Augen der Geliebten gedeutet, die nun also untergegangen seien - haben doch Augensterne oder eine Verknüpfung zwischen geliebten Augen und dem Sonnenlicht im Repertoire der Liebesbilder ihren festen Platz. Es gibt aber auch eine politische Deutung, auf die der Musikwissenschaftler Ludger Rehm aufmerksam gemacht hat. Denn den Nebensonnen schreibt der Volksglaube prophetisches Vermögen zu: «Wenn man drei Sonnen am Himmel sieht, so gibt es Krieg«, so das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens; und der Sieger einer Schlacht lasse sich aus den Größen- und Richtungsverhältnissen der Nebensonnen erkennen. So habe sich etwa die Niederlage Napoleons gegen Russland 1812 angekündigt. In diesem Sinne stehen die Nebensonnen für Wilhelm Müllers Hoffnung auf die Befreiungskriege gegen Napoleon, an denen er teilgenommen hat, mehr noch: für die Hoffnung auf eine demokratisch-liberale Gesellschaftsverfassung. Diese Hoffnung ist allerdings seit 1815 dahin, die Nebensonnen «sind hinab«. Dieses Vergehen der Neben- 139 Kältelehren der Winterreise sonnen hat Franz Schubert im Lied mit einem Sarabandenton verbunden, der, so Rehm, das alte höfische Herrschaftssystem repräsentiere (206). Solche Anspielungen, die sich der omnipräsenten Zensur verdanken, lassen sich auch aus anderen Liedern herauspräparieren und sind beispielsweise dem Zeitgenossen Heinrich Heine nicht entgangen, hat der doch selbst parallel an «Volkslieder[n] der neueren Gesellschaft» gearbeitet sowie an und über Wilhelm Müller geschrieben. So lässt sich Heines Deutschland ein Wintermärchen mit seiner konsequenten Bildlichkeit der politischen Erstarrung an verschiedenen Stellen als freimütiger Anschluss an die Winterreise verstehen, beispielsweise beim Leichenbegängnis Napoleons, der, nach seiner Auferstehung, zum zweiten Mal in starrender Kälte begraben wird: Mißtönend schauerlich war die Musik./ Die Musikanten starrten/ Vor Kälte. Wehmütig grüßten mich/ Die Adler der Standarten./ / Die Menschen schauten so geisterhaft/ In alter Erinnrung verloren - / Der imperiale Märchentraum/ War wieder heraufbeschworen./ / Ich weinte an jenem Tag. Mir sind/ Die Tränen ins Auge gekommen,/ Als ich den verschollenen Liebesruf,/ das ‹ Vive l ’ Empereur! › , vernommen. An solche Zeitgemäßheiten schließt Elfriede Jelineks Winterreise an, aus der nun drei Szenen vorgestellt seien. Sie sollen zeigen, mit welchen Verfahren und welchen Bezüglichkeiten auf die Winterreise und deren Kälten Jelinek zum einen aktuelle Ereignisse und deren massenmediale Bedingungen aufgreift, wie etwa den sog. ‹ Entführungsfall › Natascha Kampusch; wie sie zum anderen mit gegenwärtigen identitätspolitischen Infragestellungen, mit medien- und geschlechtertheoretischen Entwürfen umgeht, wenn sie in einer Szene ein weibliches Ich sprechen lässt, das an der Diskrepanz zwischen seinen Liebeswünschen und deren instantaner Befriedigung per Internet verzweifelt; wie Jelinek zum dritten schließlich anhand der bereits genannten letzten Szene, die sich auf den «Leiermann» bezieht, einen Ort der Rede entwirft, von dem aus heute überhaupt gesprochen werden und - mit allen postdramatischen, dekonstruktiv-subjektkritischen Wassern gewaschen und konfrontiert mit einer Flut an übertönenden medial geprägten Stimmen - doch etwas gesagt werden kann, über Verlassenheit und Todesnähe, über das Lebenwollen und den Preis des Überlebens: in einer Szene, in der eine gealterte Autorin auftritt, deren Ort der Rede «längst im dunklen Wasser unter dem Eis» situiert ist (Jelinek, «Winterreise» 125). In all diesen wie auch in den anderen Szenen geht es immer wieder um Wanderschaft im Sinne von Unterwegssein und Vorübergehen, von Vertreibung und Verlassenheit, von Fremdheit und Verschollensein; es geht um Bilder von Kälte und Eis; und es geht, wie in allen Texten Jelineks, um Macht- und Geschlechterverhältnisse. Was also geschieht, wenn ein postdramatisches «Theaterstück» den Rück- 140 Ulrike Vedder bezug auf das 19. Jahrhundert unternimmt? Wobei von einem Theaterstück nicht eigentlich gesprochen werden kann, handelt es sich doch um Textstücke ohne Rollenvorgaben, Dialoge oder Regieanweisungen, in denen vielmehr «Ich«- und «Wir«-Reden einander ins Wort fallen; um Monologe von nur ansatzweise konturierten Protagonisten, die «exemplarische und entindividualisierte Sprachhüllen» voll von «verschiedensten Diskursen und Sprechweisen» sind (Gürtler 103). Eine polyphone Textpartitur also, die mit Zitaten aus der Winterreise durchsetzt ist. In der vierten Szene des Stücks widmen sich die «Ich«- und «Wir«-Reden jenem massenmedialen Spektakel, das, vor allem in Österreich, nach der Rettung des Entführungsopfers Natascha Kampusch aus ihrer jahrelangen Gefangenschaft einsetzte. In Jelineks Text wird der Name nicht genannt, so wie auch keine der Stimmen diesem Mädchen zugeordnet ist, sie selbst kommt nicht zur Sprache. Stattdessen gehören alle Stimmen einem Publikum an, das nun aber nicht die Gefangenschaft oder deren Unbeschreiblichkeit kommentiert, sondern die öffentlichen Auftritte des Mädchens nach der Befreiung. Die Szene nimmt Verse aus dem Lied «Erstarrung» auf: Da ist einer Schritte Spur, und jetzt ist sie weg, hat geendet in dem weißen Kastenwagen, den keiner kennt, den nur sein Besitzer kennt. Suche vergebens. Kinderfüße sind herumgewandelt, und dann endete ihre Spur eben. Ein Schrei will kommen, doch die Stimmbänder machen nicht mit, geht der Schrei halt wieder, stumm, er konnte nicht herauskommen. Es wird nicht herauskommen. Das Mädchen wird erst viel später wieder herauskommen. (34) Wir hätten am liebsten, wenn uns endlich niemand mehr sagte von ihr. [. . .] Unser Herz schmilzt keiner, unsere heißen Tränen durchdringen nicht Eis, nicht Schnee, bis wir die Erde sehen und bis die Erde uns sieht, bis sie uns trägt, bis sie uns erträgt. Unsere Tränen wischen wir uns selber weg. Unsere Bilder fließen dahin und sind fort. Wieso drängt die ihr Bild uns auf [. . .]? Das wollen wir. Daß sie zurück muß. Daß es noch nicht vorbei ist. Daß es für uns noch nicht vorbei ist wie für sie. (42 - 43) Das unerbittliche «Wir» möchte das Mädchen ein weiteres Mal zur Seite schaffen, ihr Bild zum Verschwinden bringen, das in Konkurrenz mit dem eigenen davonfließenden Bild gerät. Nicht nur, dass die Sensationslust allzu rasch verflogen ist. Sondern die Provokation seitens des Objekts dieser Sensationslust besteht darin, in seinem Beschriebenwerden selbst das Wort zu ergreifen und die massenmediale Vermarktung für eigene biographische Inszenierungen, wie hilflos auch immer die ausfallen mögen, zu nutzen. Die Winterreise-Zitate sorgen dabei zunächst für ein sprachliches Repertoire (Tränen, Schmerzen, Angedenken, Herz, Bild), mit dem das «Wir» seine demonstrative Herzenskälte formuliert. Aus dem Müllerschen Kontext herausgelöst, erscheint dieses Repertoire nurmehr als Kitschvokabular 141 Kältelehren der Winterreise und forciert damit die Unangemessenheit der Rede, in der das «Wir» ja nicht zuletzt von seinen eigenen Irritationen, ja Zerstörungen spricht. Die Rede von Herz, Tränen und Angedenken erscheint zudem auch deshalb so unangemessen, weil die Stimmen dekontextualisiert und depersonalisiert sind und nicht zu Subjekten gehören, wie sie die Literatur des ‹ Ichs › um 1800 entwickelt hat. Mit dem entstellenden Zitieren taucht aber sozusagen der entstellte Geist dieser Subjekte wieder auf, ein Gespenst dieses Ich. Dem Müllerschen «Ich«, dem Wanderer, wird gerade in seiner Verlorenheit alles zum Zeichen und zum Spiegel seiner selbst, so wie auch der «Wir«-Diskurs in Jelineks Stück permanent in jedem Gegenstand und jedem Gegenüber sich seiner selbst versichert und über den Ausschluss der Anderen sich fortschreibt: «Man sieht uns nicht, aber diesmal sind einmal und für immer wir die Einmaligen, und wenn sie sich vordrängt, dann stellen wir uns vor sie hin, als Unverwechselbare, die auch wir sind, die wir auch sind, nicht nur sie, auch wir! , wir sogar mehr als sie! » (36) In der sechsten Szene stellt sich diese Frage nach dem gespenstisch gewordenen Subjekt aus einer anderen Perspektive: anhand des Problems der Post. In Wilhelm Müllers Lied «Die Post» versetzt das Warten auf einen Brief der verlorenen Geliebten den Wanderer - beim Erklingen des Posthorns - in einen Dialog mit seinem ‹ hoch aufspringenden › Herzen. Damit entspricht er dem zeitgenössischen Liebes- und Mediendiskurs, der den Liebesbrief als dasjenige Format entwickelt, in dem das Subjekt ‹ zu sich selbst kommt › ; anders gesagt: der den Liebesbrief als Former des Subjekts begreift, weil er Herzenssprache und die eigene Innenwelt an das eine passgenaue Gegenüber adressierbar macht, das - im Idealfall - in derselben Weise antwortet. Es geht bei einem solchen außerordentlich wirkmächtigen Subjektentwurf also nicht zuletzt um Verknappung: Es gilt, auf den einen Brief des einzig geliebten Gegenübers zu warten, mit dem Herzenswärme zu Herzenswärme kommt - ein Modell, das Wilhelm Müller mit dem pochenden Rhythmus seines Gedichts inszeniert: Von der Straße her ein Posthorn klingt,/ Was hat es, daß es so hoch aufspringt,/ Mein Herz? Die Post bringt keinen Brief für dich: / Was drängst du denn so wunderlich,/ Mein Herz? Nun ja, die Post kömmt aus der Stadt,/ Wo ich ein liebes Liebchen hatt,/ Mein Herz! Willst wohl einmal hinübersehn,/ Und fragen, wie es dort mag gehn,/ Mein Herz? (Müller 17) 2 Elfriede Jelineks Winterreise greift diesen Konnex zwischen Subjekt und Post auf, indem sie eine Szene dem Internet mit Partnerbörsen und Mailverkehr widmet. Mit der medienspezifischen Instantaneität von Emails, die im 142 Ulrike Vedder Moment des Absendens ihren Adressaten erreichen, und zwar ohne Posttage und Zustellzeiten, fällt das Warten aus, und mit ihm der Modus des Aufschubs und der Nachträglichkeit, in dem jeder Brief - und wieviel mehr jeder Liebesbrief - immer zu spät kommt und gerade auf diese Weise das Liebesbegehren zu befördern in der Lage ist. Internet und Mails hingegen setzen auf Massenhaftigkeit statt auf Verknappung; auf «jeden, der erreichbar ist» (Jelinek, «Winterreise» 72) statt auf ‹ die Eine › oder ‹ den Einen › ; auf permanente Präsenz statt auf Abwesenheit; auf infantilen Narzissmus statt auf das Begehren nach dem anderen: [. . .] alle wollen ja lustig sein, ich nicht, ich will Mama und die Möglichkeiten der äußersten Liebe, welche sie mir bot, ein Verhängnis, denn sowas hab ich nie wieder gekriegt, nicht einmal ansatzweise [. . .], was drängst du denn so wunderlich, mein Herz? Es nützt dir ja nichts, das ganze Drängen nützt dir nichts, jawohl, es stimmt schon [. . .], da jagen sie herum, die Herzen, meins wird schon auch dabei sein, mal sehn, was heute für dich dabei ist, was für dich drin ist. (60 - 61) Das Netz verspricht prompte Befriedigung, ohne dass ein liebendes Subjekt am abwesenden Anderen erst entstehen müsste: «eine Gebärmutter für Menschen, die aber immer schon total fertig sind, wenn sie rauskommen» (64). Der universellen, lückenlosen Vernetzung und ihrer Aufhebung der Abwesenheit entspricht in Jelineks Text das unaufhörliche, fraglose Monologisieren. Da hinein interferieren allerdings einzelne Worte, Verse und Fragen aus Wilhelm Müllers Gedicht, das heißt aus einer rhythmischen Struktur, die sich aus An- und Abwesenheit speist und die zudem einen anderen Ton evoziert, der die Geschäftigkeit des Netzes, wo Abwesenheit als Störfall gilt, irritiert. Und so heißt es am Ende dieser Szene: Welche Stadt denn überhaupt? Ach, egal. Dem Netz ist das alles eins. [. . .] Einfach jede Stadt, überall, dorthin kommt, von dort geht alles hin und umgekehrt. [. . .] Der Mensch ist überall dort, er ist je schon dort, und sein Telefon geht immer mit ihm mit. Die Liebe ist genauso: immer erreichbar [. . .], für jeden, der erreichbar ist, und das ist jeder. Jeder ist der, der erreichbar ist. [. . .] Irgendwo hatte ich ein liebes Liebchen, keine Ahnung. Keine Ahnung. (72) In der achten und letzten Szene, die auf das abschließende 24. Lied «Der Leiermann» von Müller bezogen ist, treffen nochmals ein «Wir» und ein «Ich» aufeinander: ein tüchtiges «Wir«, das im Schnee Ski laufend in Bewegung ist, und das «Ich» einer alten Autorin, die niemand hören will: Ihre Leier steht nicht still, die scheint nie mehr stillestehen zu wollen, aber wieso leiern Sie dann das ewig gleiche alte Zeugs daher, wo Ihnen doch eh keiner zuhört? [. . .] Willst vielleicht zu unseren Liedern deine Leier drehn, wunderliche Alte? Unsere Lieder sind viel schöner! (119) 143 Kältelehren der Winterreise Und während das «Wir» sich auf diese Weise im Schnee vergnügt, versinkt das «Ich» im Eis, das an der Stelle unter den Füßen schmilzt: Sie haben Ihre Stimme selbst versenkt, als Sie sich auf dieses brüchige Eis gestellt haben, noch dazu barfuß! , ungeschützt! [. . .] Wir glauben, daß Sie [. . .] sogar unter Wasser Ihre Leier drehen werden, leider, und immer nur in dieselbe Richtung [. . .], doch Sie sind längst im dunklen Wasser unter dem Eis, [. . .] Sie rufen von unten herauf, aus der Ferne in die Ferne. Doch dort ist niemand mehr. (124 - 25) Mit der Rede einer alten Autorinnenfigur, die von «unter dem Eis«, schon von Seiten des Todes aus, noch weiterspricht, wird das Bild einer unterirdischen Tradierung aufgeworfen, einer ‹ Unterströmung › , «aus der Ferne in die Ferne«, die von Müllers zu Jelineks Winterreise geführt hat und möglicherweise darüber hinaus weiterläuft. Denn in dieser alten Autorinnenfigur wird die ‹ Poetik der Verlorenheit › , wie sie Müllers letztes Gedicht entworfen hat, durch Jelinek aufgenommen. Beide bieten mit ihren Figuren oder Sprechstimmen keine bündigen Verhaltenslehren; alle Rationalitäts- oder Klugheitsoptimierung, die die Modernisierungserfahrung seit dem 19. Jahrhundert angesichts katastrophaler Bedrohungen eingefordert hat, sind in weite Ferne gerückt. Dabei verschiebt Jelinek die ‹ Poetik der Verlorenheit › in zwei Hinsichten auf entscheidende Weise: bezüglich Alter und Geschlecht. Jelineks Text nutzt diese beiden Kategorien sowohl als Kategorien der Kritik an dem, was hier als «Wir«-Rede daherkommt, als auch, um die Frage von Tod und Kontingenz aufzuwerfen, ohne dabei an eine - vermeintlich romantische - Todesüberhöhung anzuschließen, im Gegenteil: «Ich möchte so gern noch leben! » (117) lautet der einfache Satz des Ich; dieser Satz ist «die gleiche alte Leier» (117), die niemand hören will: «Ich möchte so gern noch leben! » Dass die «wunderliche Alte» an diesem Satz festhält, gegen alle Wahrscheinlichkeit, markiert zugleich den Versuch, anders als im eingangs angeführten Zitat aus Clara S., doch einen Abdruck im Eis zu hinterlassen. Dem steht allerdings das ungerührte «Wir», das in Jelineks Winterreise das letzte Wort behält, entgegen: «Sie waren schon vorher niemand, und das bleiben Sie auch. Was Sie reden leerer Schall, Sie sind eine Fremde überall» (127). Anmerkungen 1 So Müller in seiner Besprechung «Über die neueste lyrische Poesie der Deutschen» 1827, zit. n. Wittkop 21. 2 Jochen Hörisch spricht hier von einem «seltsam wohlgemuten Lied»: «Die Formel ‹ nun ja › zählt nicht gerade zum unverzichtbaren Inventar der leidenschaftlichen Liebessemantik. Und die Wendung ‹ wo ich ein liebes Liebchen hatt › zeugt nicht eben von tiefer 144 Ulrike Vedder Verzweiflung. Auch lassen sich innigere Fragen an die Geliebte denken als die, ‹ wie es denn gehe? › » (Hörisch 62). Bibliographie Bachmann, Ingeborg. Werke. Hg. Christine Koschel, Inge von Weidenbaum und Clemens Münster. Bd. 1. München: Piper, 1984. Bosse, Heinrich und Harald Neumeyer. «Da blüht der Winter schön.» Musensohn und Wanderlied um 1800. Freiburg i. Br.: Rombach, 1995. Caduff, Corina. «Vertrieben aus Zugehörigkeit. Jelineks ‹ Winterreise › ». Jelinek Jahrbuch 2 (2011): 25 - 40. Frank, Manfred. Die unendliche Fahrt. Ein Motiv und sein Text. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1979. Gürtler, Christa. «Keine Dramen, aber Sprachtheater. Anmerkungen zu Elfriede Jelinek, Ginka Steinwachs und Marlene Streeruwitz.» TheaterFrauenTheater. Hg. Barbara Engelhardt, Therese Hörnigk und Bettina Masuch. Berlin: Theater der Zeit, 2001. 102 - 10. Hörisch, Jochen. « ‹ Fremd bin ich eingezogen › . Die Erfahrung des Fremden und die fremde Erfahrung in der ‹ Winterreise › ». Athenäum 1991: 41 - 67. Jelinek, Elfriede. Clara S. Dies. Theaterstücke. Hg. Ute Nyssen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1992. 79 - 128. — . Zu Franz Schubert. 1998. 11 Okt. 2012. <www.elfriedejelinek.com>. — . Winterreise. Ein Theaterstück. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011. Lethen, Helmut. Neue Sachlichkeit, 1924 - 1932. Studien zur Literatur des «Weissen Sozialismus.» Stuttgart: Metzler, 1970. Mann, Thomas. Der Zauberberg. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1966. Müller, Wilhelm. Die Winterreise. Berlin: Insel-Verlag, 2010. Rehm, Ludger. «Walzer und Winterreise. Lyrik und Gesellschaft bei Wilhelm Müller und Franz Schubert». International Journal of Musicology 6 (1997): 163 - 206. Schumann, Willy. « ‹ Deutschland, Deutschland über alles › und ‹ Der Lindenbaum › . Betrachtungen zur Schlußszene von Thomas Manns ‹ Der Zauberberg › ». German Studies Review 9 (1986): 29 - 44. Stephan, Inge. «Eisige Helden. Kältekult und Männlichkeit in den Polarphantasien von Georg Heym.» Männlichkeiten und Moderne. Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900. Hg. Ulrike Brunotte und Rainer Herrn. Bielefeld: Transcript, 2008. 271 - 85. Wittkop, Christiane. Polyphonie und Kohärenz. Wilhelm Müllers Gedichtzyklus «Die Winterreise». Stuttgart: Verlag für Wissenschaft und Forschung, 1994. 145 Kältelehren der Winterreise Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de NEUERSCHEINUNG JETZT BES TELLEN! Sonja Böni Re exionen des Ikonischen Jean Pauls narrative Bildlogik in seinen Satiren und seinem Romanerstling Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 91 2012, 249 Seiten €[D] 39,90/ SFr 50,50 ISBN 978-3-7720-8458-4 „Mit spitzer Zunge ein schönes Bild ausstechen.“ Jean Paul, ,Die unsichtbare Loge‘ Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf der Zäsur des in der Forschung in zwei Werkkomplexe geteilten Gesamtwerkes Jean Pauls, auf dem Übergang von den Satiren zu seinem Romanerstling, der Unsichtbaren Loge . Die Autorin legt dar, dass sowohl in den Satiren als auch im Romanerstling eine ikonische Lektüre den Schlüssel zum Verständnis der komplexen literarischen Texterzeugnisse darstellt: Sie zeigt, inwiefern der strukturell bedingte Tod der satirischen Narration eine ‚stehende Bilder ut‘ freisetzt und inwiefern die Sinngenerierungsverfahren des paragrammatisch organisierten Logen- Textes denjenigen von modernen Kunst-Bildern ähneln. 072912 Auslieferung August 2012.indd 18 15.08.12 15: 01 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG ! " #$%# ! & ' www.francke.de NEUERSCHEINUNG JETZT BES TELLEN! Henrik Nikula Der literarische Text - eine Fiktion Aspekte der ästhetischen Kommunikation durch Sprache E H ; I OQ U X E ? ; HXE ISBN 978-3-7720-8470-6 Y ## ' &I $ ! I\I ^ I _ I ! 8$ ' ` I 'q _ I ! q ' I I ! "I y ' {$ ' ` I q q ' I &I _ I ! "I q ' I ! |$}}q &! I $ q I ' ~ I ! $' \ I I |$}}q &! I $ ' { ' IE q} '! ! q _q' & E ! I I ! q ! q ' & ! I = I ! ' ^ ! ! #I < I I $} I ' Y ## ' I I E q ' _ ! * 'q } I ' } Y ## ' ; ! }q Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de NEUERSCHEINUNG JETZT BESTELLEN! Klaus Schenk ERZÄHLEN SCHREIBEN INSZENIEREN Zum Imaginären des Schreibens von der Romantik zur Moderne 2012, 548 Seiten, 9 Abbildungen €[D] 88,00/ SFr 117,00 ISBN 978-3-7720-8382-2 Seit der späten Romantik tritt in Prosatexten eine imaginäre Problematik des Schreibens hervor. Vor allem aber an den literarischen Krisenphänomenen seit der Jahrhundertwende um 1900 wird eine Spannung zwischen Erzählen und Schreiben ersichtlich. Narrative Genres werden auf die medialen Inszenierungen ihrer Schreibweisen hin transparent. Bei Autoren der Nachkriegsmoderne übernimmt die Schreibthematik die Funktion, an die literarischen Entwicklungen der Moderne anzuschließen. In der Autobiographisierung des Schreibens seit den 70er Jahren zeichnet sich zudem ein Feld von autofiktionalen Inszenierungen ab. In der vorliegenden Studie werden Funktionen des Schreibens für literarische Texte von der späten Romantik bis zur Moderne in ihrer imaginären Dimension untersucht, wobei sich ein Spannungsfeld zwischen Erzählen, Schreiben und Inszenieren ergibt. An Textbeispielen von E.T.A. Hoffmann, Franz Kafka, Günter Grass, Christa Wolf u.a. können die Ambivalenzen von Schreibinszenierungen in literaturtheoretischer und textanalytischer Hinsicht aufgezeigt werden. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Isabell Ludewig Lebenskunst in der Literatur Zeitgenössische fiktionale Autobiographien und Dimensionen moderner Ethiken des guten Lebens Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft 78 2011, VIII, 229 Seiten €[D] 58,00/ SFr 77,90 ISBN 978-3-8233-6672-0 Wie kann ich ein gutes Leben führen? Zur Beantwortung dieser Frage muss das Individuum sich auf sich selbst besinnen, um zu erfahren, was ihm bejahenswert erscheint. Die Reflexion geschieht oft narrativ, indem das Individuum seine bisherige Lebensgeschichte erzählt. Literarische Lebensgeschichten, insbesondere fiktionale Autobiographien, eignen sich daher für die literaturwissenschaftliche Untersuchung unter dem Aspekt des guten Lebens. Auf diese Weise wird eine literaturethische Perspektive etabliert, bei der die Diskurse der Literatur und der modernen Ethik des guten Lebens wechselseitig befruchtend aufeinander bezogen werden. Im Mittelpunkt stehen die Interpretationen der Romane Room at the Top von John Braine, Lady Oracle von Margaret Atwood und The Remains of the Day von Kazuo Ishiguro. 0 0 3 6 1 0 A u s l i e f e r u n g J a n u a r 2 0 1 0 . i n d d 1 7 1 9 . 0 1 . 1 0 1 7 : 1 8 085410 Auslieferung Oktober 2010.indd 14 05.10.10 21: 41 085509 Auslieferung September 2009.indd 21 15.09.09 09: 00 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BESTELLEN! Christoph Bode Der Roman UTB S 2., erweiterte Auflage 2011, XX, 358 Seiten, €[D] 19,90/ SFr 30,50 ISBN 978-3-8252-2580-3 Der Band bietet eine anspruchsvolle, doch lebendig und verständlich geschriebene Einführung in die Romananalyse und ist für Studierende aller neuphilologischen Literaturwissenschaften konzipiert. Die Einführung in narratologische Terminologie und Methoden wird mit grundlegenden literaturtheoretischen Überlegungen verknüpft und mit einer Fülle anschaulicher Beispiele illustriert. Die Zweitauflage bietet eine ganze Reihe von Berichtigungen, die »Basisbibliothek Romananalyse« ist aktualisiert und ergänzt worden, vor allem enthält der Band aber nun einen Namensindex. 004711 Auslieferung Januar 2011.indd 30 19.01.11 16: 03 CG_42_1_s1-96_End_Korr.indd 48 19.08.11 17: 56 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BESTELLEN! Eva Hoffmann Goethe aus Goethe gedeutet 2., durchgesehene Auflage 2011, 630 Seiten geb. €[D] 98,00/ SFr 137,00 ISBN 978-3-7720-8413-3 „Schlüssel liegen im Buche zerstreut, das Rätsel zu lösen...“ Goethe Es gibt in Goethes Leben ein Zentrum, das den Großteil seiner Dichtung durchstrahlt: die starke Bindung an eine Frau. Ihr Tod stürzte ihn in jungen Jahren in Verzweiflung und Schuldgefühle, bis er endlich Beruhigung fand in ihrer lebenslangen Feier und, wie er gewiß war, in von ihr empfangenen Zeichen. Sein eigener Unsterblichkeitsglaube fand Bestätigung, indem er „Sie“ - Neuplatoniker, der er war - als einen Abglanz göttlicher Wahrheit erlebte. Dies behielt er für sich. Da er sich als Glied einer Reihe „wiederholter Spiegelungen“ in Einklang wußte mit Dichtern der Vergangenheit, mit Dante, Petrarca oder Hafis und ihren ähnlichen Geschicken, offenbarte er sich im Sinne des von ihm gerühmten Analogiedenkens. Zudem gab er vielfältige Hinweise auf Geheimes, größere und kleinere „Schlüssel“, „das Rätsel zu lösen“. Solch ein Schlüssel, die Dichtung Trilogie der Leidenschaft , öffnet Wege rückwärts und vorwärts durch das Werk. 033411 Auslieferung April 2011 12 08.04.11 13: 52 072912 Auslieferung August 2012.indd 18 15.08.12 15: 01 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG ! " #$%# ! & ' www.francke.de NEUERSCHEINUNG JETZT BES TELLEN! Robert G. Weigel (Hg.) Ernst Schönwiese: Aspekte seines Werks Vorträge des Internationalen Ernst Schönwiese Symposiums der Universität Auburn 6' I $ ! I}$ E Y! ' E ; I OQ U HE ? ; E ISBN 978-3-7720-8465-2 Y! ' { ! }} I & I Y I \ _q I < ^ &I ' & {$ 6 I ; !
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