Colloquia Germanica
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0010-1338
Francke Verlag Tübingen
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2006
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NADJA HADEK: Vergangenheitsbewältigung im Werk Martin Walsers. Augsburg: Wißner Verlag, 2006. 205 pp. € 14,80.
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Bärbel Westphal
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Besprechungen / Reviews 423 outline that contextualizes this play within the internal dynamics of productive metamorphoses and re-framings of the whole body of Brecht’s work, or at least a brief comparative discussion of the production history of one or two other Brecht plays, would have been highly useful. Bradley’s volume reminds the reader of a stimulating lacuna - the lack of a scholarly path that combines thorough documentation of a play’s production history with fresh, lucid and dialogic conceptual work. There is no reason to be timid when writing about and responding to Bertolt Brecht. University of North Dakota Olaf Berwald N ADJA H ADEK : Vergangenheitsbewältigung im Werk Martin Walsers. Augsburg: Wißner Verlag, 2006. 205 pp. € 14,80. Die bundesrepublikanische Literatur hat sich seit 1945 kontinuierlich mit ihrem Verhältnis zur Zeit des Nationalsozialismus beschäftigen und einen Umgang mit der eigenen Geschichte finden müssen. Dass dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist und immer wieder Anlass des Hinterfragens bleiben wird, zeigen unter anderem die im vorigen Jahr erschienenen Autobiographien von Günter Grass Beim Häuten einer Zwiebel und Joachim Fest Ich nicht und die darauf folgenden Debatten. Mit ihrer Dissertation Vergangenheitsbewältigung im Werk Martin Walsers, hat Nadja Hadek sich eines Schriftstellers angenommen, der in den letzten zwei Jahrzehnten hinsichtlich dieses Themas für besondere Aufmerksamkeit gesorgt hat. Auf knapp 160 Seiten Text verschafft sich Hadek einen panoramaartigen Überblick über Walsers Werk, wobei sie Dramen, Romane, Essays und Reden gleichermaßen mit einbezieht. Dadurch wurde ein Beitrag geleistet, die Beurteilung von Walsers umstrittenem autobiographischen Roman Ein springender Brunnen und seiner kontroversen Friedenspreisrede 1998 in einen zeitlich größeren Rahmen zu setzen und sie im Licht derjenigen Walserwerke zu sehen, die das Thema deutsche Vergangenheit schon vorher verarbeiten. Mit einer solchen Verfahrensweise können Kontinuitäten oder Brüche im Denken und Schreiben Walsers freigelegt werden. Da das Gesamtwerk Walsers von einem nicht unbeträchtlichen Ausmaß ist, wählt Hadek diejenigen Werke, die sich ganz oder teilweise mit der Problematik beschäftigen: die Dramen Eiche und Angora (1962) und Der schwarze Schwan (1964), die Romane Halbzeit (1960), Die Verteidigung der Kindheit (1991) und Ein springender Brunnen (1998), sowie die Essays und Reden Unser Auschwitz (1965), Auschwitz und kein Ende (1979), Über Deutschland reden (1988) und Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede (1998). Als Ziel der Arbeit wird angegeben, «die Wandlung im Werk des Autors […] nachzuzeichnen […] und in die literarischen, geschichtlichen sowie biographischen Zusammenhänge einzuordnen» (9), aber auch der soziokulturelle Aspekt soll dabei bedacht werden - ein umfassendes Programm, das durch eine Abgrenzung gewonnen hätte. Die konkreten Forschungsfragen sind, welche Formen der Vergangenheitsbewältigung der Autor in der gegenwärtigen Gesellschaft (in Politik und Alltag) sieht, wie er sie bewertet und welche alternativen Wege er für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vorschlägt (10). Nach der Motivation der Werkauswahl, in der Synopsen und thematische Schwerpunkte präsentiert werden und der Forschungsstand zusammenfassend gebündelt 424 Besprechungen / Reviews wird, macht sich die Verfasserin an die Aufgabe, den Begriff der «unbewältigten Vergangenheit» zu klären. Dies geschieht in einer komprimierten, aber aufschlussreichen Synthese zu Aussagen von Theodor W. Adorno, Primo Levi, Hannah Arendt, Alexander und Margarete Mitscherlich und Martin Walser selbst zum Terminus «Vergangenheitsbewältigung». Die Schlussfolgerung ist, dass die Vergangenheit sich grundsätzlich nicht bewältigen lässt, und dass der Begriff «Vergangenheitsbewältigung» den Sachverhalten nicht entsprechen kann, ein Gedanke, dem auch Walser Ausdruck gibt. Damit hat Hadek den Titel ihrer Arbeit selber kritisch reflektiert. Nach einem informativen historischen Kapitel über Schuldthesen, rechtlichen Prozessen nach 1945 und den Historikerstreit in den 1980ern, soll das Wechselspiel zwischen Literatur und Politik untersucht werden. Hier wird der Leser enttäuscht: das komplizierte Verhältnis von literarischem Schreiben, von Politik und gesellschaftlichen Entwicklungen hätte eine kritischere Reflexion verlangt. Mit den Behauptungen, dass «sowohl der Schriftsteller als auch der Staatsmann handeln», (33), oder dass «sich ein ideales Verhältnis von Literatur und Politik, in dem sich die Literatur in Phasen der gesellschaftlichen Erstarrung zur Provokation herausgefordert sieht, in Zeiten der Unruhe und Ungewissheit aber Ziele und Wege aufzeigt, das Land zu beruhigen, in Deutschland nicht entwickelt hat» (35), wird ein stark verkürztes Literaturverständnis präsentiert, das ein eindeutiges Wechselverhältnis von Politik und Literatur voraussetzt und den ästhetischen Anspruch von Literatur unterbewertet. Auch dass Literaten grundsätzlich zur «absoluten, idealen Lösung» streben und die «Vision von einer besseren Gesellschaft» verfolgen (34), sind Thesen, die sich schwerlich halten lassen. Dagegen gibt es natürlich die politisch engagierte Literatur, und Hadek präsentiert etliche Beispiele. Das ist aber etwas anderes als die Gleichsetzung von literarischem Schreiben und politischer Wirkung. Die Stärke dieses Buches ist zweifelsohne der Werküberblick und die Extraktion des Themaschwerpunkts Vergangenheit. Hier wird eine Entwicklungslinie angedeutet: Walsers anfängliches kritisches Engagement führt nach ein paar Jahrzehnten zu einer Wandlung, die ihn letztlich durch eine Trotzhaltung, die den Tabubruch nicht scheut, in eine Außenseiterposition drängt. Hadek verbindet ausführliche Inhaltsreferate mit zahlreichen Zitaten aus der einschlägigen Forschungsliteratur; eine eigene und eindeutige Haltung zur problematischen Entwicklung Walsers allerdings lässt sich kaum ausmachen, auch werden fruchtbare Beobachtungen am Werk oft nicht weiter ausgeführt. Die Walsersche Figurengalerie, die gleichermaßen pro und contra, Täter und Opfer, überzeugte Nazis und Mitläufer beinhaltet, wäre eine tiefere Betrachtung wert gewesen. Walsers berühmte Sentenz, dass nichts ohne sein Gegenteil wahr ist, hätte ein Schlüssel sein können, das Dilemma dieses Schriftstellers zu beleuchten. Anklage kommt bei Walser nicht ohne Verteidigung aus. Wohl wahr ist allerdings die Feststellung Hadeks, dass er sein eigenes Projekt, Vergangenheit ohne Absichten der Gegenwart zu schildern, wie er es in Ein springender Brunnen versucht hat, selber ad absurdum geführt hat. Wenn Walser dort das Verhalten der Deutschen zur Zeit des Nationalsozialismus habe entschuldigen wollen, sei er «mit seinem Anspruch, geschichtliche Darstellungen frei von ‹gegenwärtigen Zwecken› zu halten, selbst gescheitert» (132). Dies halte ich für Hadeks wichtigste Einsicht. Etwas widersprüchlich ist indessen, dass Hadek ihren Text mit dem Hinweis auf ein Besprechungen / Reviews 425 Walserzitat von 1996 abschließt, das dem Buch als Motto gedient hat, zudem es dort heißt: «[…]Wenn ich etwas begreife, dann ist es der Zwang, sich lebenslänglich mit den Scheußlichkeiten der deutschen Geschichte beschäftigen zu müssen» (8). Hadek begibt sich mit ihrem Projekt auf schwieriges Gelände. Zum einen müssen mit ihrem Ausgangspunkt komplexe Fragestellungen und die damit verbundenen moralischen Dilemmas behandelt werden. Diese Fragen befinden sich aber zwischen verschiedenen Disziplinen der Germanistik, der Soziologie und der Rechts- und Geschichtswissenschaft, die für die relevanten Felder bereits umfassende Forschungsquantitäten bereitgestellt haben und die hier natürlich nur ansatzweise referiert werden können. Zum anderen ist es fragwürdig, ob die Art der gestellten Forschungsfragen mit einer literaturwissenschaftlich orientierten Arbeit beantwortet wurden. Bietet Walser uns mit seinem Werk wirklich alternative Wege zur Bearbeitung der Vergangenheit? Ich denke, dass der Leser dieser Dissertation eher zu dem Schluss kommt, dass Walser sich zwar mit dem Thema Vergangenheit intensiv und in verschiedensten Formen beschäftigt hat, nicht aber dass er wüsste, wie damit umzugehen sei. Växjö Universitet Bärbel Westphal A LFRED L. C OBBS : Migrants’ Literature in Postwar Germany. Trying to Find a Place to Fit in. Lewiston, New York: The Edwin Mellen Press, 2006. 188 pp. $ 109.95. Seit dem Aufbruch in das einundzwanzigste Jahrhundert definiert sich Deutschland gesetzlich als ein Einwanderungsland. Das neue Staatsangehörigkeitsrecht verschafft hiermit den ausländischen Bevölkerungsgruppen der Bundesrepublik, die seit Jahrzehnten nur de facto als Migranten in Deutschland wohnten, die Möglichkeit der offiziellen Einwanderung. Wie Cobbs in seiner Einleitung bemerkt, rückt folglich die Frage nach der deutschen Identität erneut in den Vordergrund. Im Lichte dieser Entwicklungen öffnen sich auch neue Perspektiven zur langwierigen Multikulturalismusdebatte in Deutschland. Die Einblicke, die das vorliegende Buch Migrants’ Literature in Postwar Germany anbieten, gewinnen ihre Relevanz gerade im Zusammenhang mit dieser Übergangsphase. Eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Identitätsfrage erfordert auch ein tiefgehenderes Verständnis der gesellschaftspolitischen Vergangenheit. Der Beitrag von Cobbs’ Studie zur Germanistik besteht darin, den Leser an die Geschichte der Arbeitsmigration und der Migrantenliteratur zu erinnern, um ein solches Verständnis aufzubauen. Durch diese methodologische Grundlage unterscheidet sich die Annäherung von Cobbs von anderen gegenwärtigen literaturkritischen Ansätzen, die die Darstellungen der Alteritätserfahrung überwiegend anhand von kulturtheoretischen Modellen untersuchen. Im Gegensatz zu solchen Studien gilt Cobbs’ Interesse direkt den sozialpolitischen Tatsachen, in deren Rahmen er die literarischen Texte einbeschliesst. Im folgenden soll aufgezeigt werden, welche Vor- und Nachteile diese Annäherung mit sich bringt. Gerade der historisierende Ansatz in Migrants’ Literature in Postwar Germany erweist sich nicht nur für Germanisten, sondern auch Kultur- und Sozialwissenschaftler ausserhalb German studies als aufschlussreich. Die Geschichte der neueren Migration, anfangend mit dem bilateralen Abkommen zwischen Deutschland und
