Colloquia Germanica
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0010-1338
Francke Verlag Tübingen
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KARL ERNST LAAGE: Theodor Storm: Neue Dokumente, neue Perspektiven. Husumer Beiträge zur Storm-Forschung 6. Berlin: E. Schmidt, 2007. 139 pp. € 34.80
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U. Henry Gerlach
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Besprechungen / Reviews K ARL E RNST L AAGE : Theodor Storm: Neue Dokumente, neue Perspektiven. Husumer Beiträge zur Storm-Forschung 6. Berlin: E. Schmidt, 2007. 139 pp. € 34.80 Laage, langjähriges führendes Mitglied der Storm-Gesellschaft - als Sekretär und später Präsident - hat seit 1967 neben seiner Herausgebertätigkeit in rund zwanzig selbständig erschienenen Schriften und über hundert Aufsätzen das Werk des Dichters Storm-Forschern und -Freunden näher gebracht. Seine weitreichende Vertrautheit mit dem gegenwärtigen Wissensstand spiegelt sich in der hohen Genauigkeit der eigenen Darstellung. Die jetzt vorgelegten Dokumente, Gedichte, Briefe und Aufzeichnungen in insgesamt siebzehn kurzen Beiträgen bringt er jeweils in sinnvolle Verbindung mit bisher Bekanntem und ergänzt sie mit nötigen Erläuterungen. Es handelt sich bei den Beiträgen um eine Art Nachlese, denn manches war längst bekannt, wird hier jedoch durch inzwischen verfügbare Handschriften ergänzt. Andere Texte sind neu, z.B. der Erstdruck von Storms Gedicht-Zyklus «Ein Buch der rothen Rose» von 1848 im ersten Abschnitt. Unter bisher unveröffentlichten Briefen von Storm finden sich drei an H. Esmarch (Abschnitt 4) und einer an die Zeitschrift Daheim (Abschnitt 9). Verehrerpost (von Olga Angermann) mit Storms Entgegnungen bietet Abschnitt 10. In Abschnitten 3, 5 und 7 findet man Briefe Dritter mit Äußerungen über Theodor Storm. Abschnitt 8 mit Akten zu Storms Tätigkeit als Untersuchungsrichter auf Nordstrand bietet Einblick in zwei Vorfälle seiner hauptberuflichen Tätigkeit - Prüfung einer Auflehnung gegen einen dänenfreundlichen Landvogt und ein Verhör zu Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung einer Siebzehnjährigen durch einen Pastor. Ein paar neue Perspektiven zu Novellen zeigen die Abschnitte 12 («Im Brauer-Hause»), 14 (Entwurf zu einer beabsichtigten «Sylter Novelle») und Abschnitt 15 («Der Schmimmelreiter»). Im Abschnitt 13 behauptet Laage, der Makler Jaspers aus «Carsten Curator» sei Vorbild für Thomas Mann’s Makler Gosch in den Buddenbrooks gewesen. Andere Abschnitte enthalten biografische Mitteilungen. Laages akribische Anmerkungen zu Zitaten oder Anspielungen auf vorhergehende Veröffentlichungen binden die hier neu vorgelegten Texte wünschenswert in den gesamten Stand des Wissens ein. Die Anmerkungen, als Fußnoten leicht unmittelbar mit dem Text lesbar, bieten bei Personen Lebensdaten und wichtige Einzelheiten, bei sonstigen Notizen Hinweise auf Quellen oder verwandte Texte. Wo trotz Mühe nicht mehr geboten werden konnte, gibt Laage das ehrlich zu, z.B. enthält Anm. 5, S. 28 die Mutmaßung: «Münster ist wohl der Kutscher des Kaufmanns Simon Woldsen (sonst nicht bekannt).» An diesem Band ist also viel zu loben und wenig zu bemängeln. Allerdings hat auch dieses Buch seine, teils lustigen, Druckfehler. Auf S. 27, Z. 3 wird Storms Großmutter Magdalena Woldsen (1766-18554) ein recht langes Leben nachgesagt! S. 32, Anm. 6 steht «Herrn» statt Herr Hagendorf. S. 114 bringt «mit … einer ‹etwas kränklicher Stimme›» statt «und ‹etwas kränklicher Stimme›.» 100 Besprechungen / Reviews Wünschenswert wäre es gewesen, ein so ungewöhnliches Wort wie «Oblomowerei» (S. 60, Anm. 27) kurz zu erläutern statt auf einen Aufsatz (noch dazu einen eigenen) hinzuweisen. Ein paar weitere kleine Beanstandungen seien erlaubt. S. 20, Anm. 4 nennt «Pastor Ohlhues» nur mit Titel, obwohl der volle Name Johann Peter Ohlhues in Laage’s Th. Storm Biographie (Heide, 1999) erscheint. Auf S. 127 gibt es eine Anm. 1, ohne eine Hinweisnummer im Text. Petersens Aufsatz (S. 130, Anm. 1) wurde übrigens auch nicht am 26.5.1825 gedruckt, sondern genau hundert Jahre später. Diese und ein paar ähnliche Flüchtigkeitsfehler stören aber den Leser kaum erheblich weil sie sofort durchschaubar sind. Laage gibt im Fall des Verehrerbriefwechsels mit Olga Angermann zu, er enthielte «kaum neue Fakten für die Storm-Forschung» (80). Es sei dem Rezensenten erlaubt, dasselbe von Laage’s Aufsatz «Das ‹Wirtshaus‹ in Storms Novelle ‹Der Schimmelreiter›: Poetische Fiktion und Wirklichkeit» zu behaupten. Darin berichtet Laage nämlich ausführlich darüber, dass zwei heimatkundlich interessierte Publizisten (F. Schmeißer und A. Busch) bereits 1952 erhärtet hatten, die «Albertsensche Gastwirtschaft bei Sterdebüll in der Hattstedter Marsch» sei Vorbild für das Wirtshaus im Schimmelreiter gewesen. Das Haus, die Anordnung der Räumlichkeiten, der «Akt» vom Deich herab zu dem Gebäude usw. stimmten mit der Novelle überein und seien durch neuerdings aufgefundene Unterlagen «in wesentlichen Punkten bestätigt.» Sogar ein Foto ist mitgegeben (117). Dann aber argumentiert Laage lang und breit, dieses Gasthaus liege im Süden einer dem Hauke-Haien-Projekt ähnlichen Deichanlage. Er zitiert dann aus der Novelle, wo der nächtliche Besucher aus Nordwesten auf die Raststätte zukommt, bezieht sich auf einen Chronikbericht der Sturmflut von 1634 und kommt zu dem Schluß: «Der heutige ‹Schimmelreiterkrug› bei Sterdebüll ist also nur bedingt ein Schauplatz der Novelle …» denn obwohl er «in seinem äußeren Bild überraschend genau dem in der Novelle geschilderten» entspreche, befinde sich das Wirtshaus der Novelle an der «Nordwestecke des Kooges … und ist also nur zum Teil Wirklichkeit, zum anderen Teil ist das ‹Wirtshaus› poetische Fiktion» (120). Jede Quelle oder Anregung aus der Wirklichkeit wird durch Aufnahme in ein Literaturwerk «poetische Fiktion.» Das ist eine Binsenwahrheit. Warum also mühsam Eulen nach Athen tragen oder - wie der Engländer sagt - «coal to Newcastle»? Dieser Rezensent ist ferner der Meinung, dass Laage auch das wirklich unästhetische Foto aus der Storm-Woldsen Gruft (132) hätte weglassen können. Dass Särge zerfallen und Tote verwesen ist ebenfalls allgemein bekannt. Wollte man «den toten Dichter ruhen lassen» (133), hätte man dieses pietätlose Bild, wenn man es überhaupt brauchte, in einem Archiv von der Öffentlichkeit fernhalten sollen. Trotz der vorgebrachten Einwände ist Laages neues Buch, wegen der darin eingebrachten Splitter zum Mosaik von Storms Leben und Werk beachtenswert. Die Akribie der wissenschaftlichen Beiträge zu Storm-Texten und die Klarheit von Laages eigenen Erläuterungen stellen eine hervorragende Ergänzung unserer Kenntnis des Dichters dar. Auch vom Äußeren her bietet sich der Band - sauber gedruckt und in ansprechendem Leineneinband - Bibliotheken, Forschern und Privatsammlern an. University of Illinois at Urbana-Champaign U. Henry Gerlach