Colloquia Germanica
cg
0010-1338
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2010
434
JAN KNOPF: Bertolt Brecht.Lebenskunstinfinsteren Zeiten. Biografie.
121
2010
Siegfried Mews
cg4340351
revises his philosophy of language in the Metakritik by replacing his early anthropological approach by a philosophy of life that takes its cue from Spinoza. The articles assembled under «Herder and Current Challenges» ask in what ways his legacy contributes to our understanding of contemporary concerns and questions. For Stefan Greif, Herder ’ s philosophical thinking figures as an example that «radically modern philosophy has its beginning in the eighteenth century» (243), heralding the works of Nietzsche and Wittgenstein, among others. What makes their philosophies radical is the departure from universal categories and the turn toward aesthetics as the realm for the subject to unfold itself. Ulrike Zeuch argues that Herder ’ s concept of the imagination helps to elucidate the «crisis of representation» as it has been debated since the 1960s. Herder ’ s contribution to the problem of representation lies in his observations regarding the truth status of authentic human emotions. The volume concludes with a section titled «Reading Textual Form» to accommodate Staffan Bengtsson ’ s extended investigation of the role of textual form for our understanding of Herder ’ s works. Given its length and detail, this essay poses a challenge to the reader. Bengtsson claims that the editions of the Älteste Urkunde des Menschengeschlechts are all based on a version that was never authorized by Herder, and he then turns to a different one that he takes to be the original. According to Bengtsson, this version reveals the importance of typography and layout for our understanding of Herder; the edition shows that we have to approach him «as an author of works in which thought and argument find their necessary and significant complement in material form» (326 — 27). Herausforderung Herder is a testimony to how considerably scholarship on Herder has advanced over the past years, especially due to the promotion of such scholarly efforts through regular conferences sponsored by the Herder Society. This collection contains a number of high-quality contributions that bring to bear fresh, multidisciplinary perspectives on the major fields of Herder research. Any eighteenthcentury scholar should consult this book to gain an overview of where Herder scholarship currently stands and pick up on the contributors ’ gesturing at where the future challenges of the field lie. Columbia University Ulrike Wagner D IETER S TRAUSS : Oh Mann, oh Manns. Exilerfahrungen einer berühmten deutschen Schriftstellerfamilie. Frankfurt: Peter Lang, 2011. 157 pp. € 18,50. Spätestens seit Heinrich Breloers Fernsehtrilogie Die Manns - Ein Jahrhundertroman (2001) hat sich diese Familie im Bewusstsein der Deutschen als die wohl repräsentativste der modernen deutschen Kultur etabliert. Der Literaturkritiker Marcel Reich- Ranicki meint sogar, dass sie dem deutschen Bildungsbürger so wichtig sei wie den Briten die Windsors. Unzählige Essays, literaturwissenschaftliche Aufsätze und Bücher, sowie zahlreiche Bildbände sind über Leben und Werk einzelner Familienmitglieder veröffentlicht worden, begleitet von mehreren Verfilmungen und Neuverfilmungen ihrer wichtigsten Novellen und Romane. Und nun also eine weitere Monografie zum Thema ihrer Exilerfahrungen. 348 Besprechungen/ Reviews Um es gleich vorweg zu sagen, dieser Band hätte keinen berufeneren Autor finden können. Dieter Strauss war jahrzehntelang Direktor diverser Goethe-Institute in verschiedenen Ländern und Kontinenten. Seine Kontakte zur Familie Mann reichen bis ins Jahr 1975 zurück, als er zusammen mit Michael Mann, dem jüngsten Sohn Thomas Manns, die noch unveröffentlichten Originaltagebücher des Vaters an niederländischen Universitäten vorstellte. Später lernte er in Brasilien bei seinen Nachforschungen über das Heimatland Julia Manns, der Matriarchin des Thomas- Mann-Clans, auch Frido Mann, den Enkel Thomas Manns, in Sao Paulo kennen und organisierte im Laufe der Jahre in verschiedenen Städten und Ländern Ausstellungen zu Themen wie der brasilianischen Kindheit Julia Manns und den Exilerfahrungen Klaus Manns in Frankreich, deren Organisation ihn wiederum mit Elisabeth Mann in Verbindung brachte. Nicht zuletzt realisierte er die Vor-Premiere von Breloers Dokudrama für das Pariser Goethe-Institut sowie das deutsch-französische TV- Programm «Arte». Der eigentliche Inhalt des Buches ist in die folgenden sechs thematischen Unterkapitel aufgeteilt: «Die Manns in Extremsituationen des Exils», «Die Gründe für das Exil der Manns», «Entwicklung des politischen Bewussteins und politischer Kampf der Manns bis in die ersten Jahre des 2. Weltkrieges», «Adaption der Manns in den Exilländern», «Entzauberung des Exils nach dem 2. Weltkrieg» und «Nach der Entzauberung: der letzte Aufbruch der Manns». Die eigentliche Darstellung der jeweiligen Problematik kombiniert kurze, prägnante Schilderungen der relevanten persönlich-familiären wie politisch-historischen Situation mit signifikanten Zitaten der verschiedenen Familienmitglieder, die ihren Briefen, Tagebüchern und literarischen Werken entnommen sind. So entsteht ein facettenreiches Kaleidoskop persönlicher Erlebnisse, zeitgenössischer Betrachtungen und gesellschaftsgeschichtlicher Ereignisse, die in ihrer Vielfalt ein rundum faszinierendes Panorama bieten. Die Geschichte der Mann-Dynastie beginnt geradezu exotisch-märchenhaft mit den Kinderjahren Julia Manns, deren brasilianische Heimat der Verfasser aus eigener Erfahrung als geradezu idyllisch-paradiesisch beschreibt. Die Übersiedlung der jungen Julia ins nordische Lübeck figuriert gewissermaßen als die erste sinnbildliche Erfahrung der Vertreibung aus dem heimatlichen Paradies und der Auswanderung in die ferne Fremde. Wenige Jahrzehnte nach Julia Manns Ankunft in Deutschland beginnt mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten der große Exodus der deutschen Kultur. Der Verfasser kontextualisiert seine diversen Zitate immer wieder mit historischen Fakten und Statistiken. So erfährt der Leser zum Beispiel, dass von den rund eine halbe Million Menschen, die aus Nazi-Deutschland flohen, etwa 11500 Literaten, Künstler und Wissenschaftler waren, die Mehrzahl von ihnen Juden, und dass die großzügigsten Aufnahmestationen die USA, Palästina, Lateinamerika und Schanghai waren (19). Der organisierte Wahnsinn dieser Epoche leuchtet schon früh im Schicksal Golo Manns auf, der sich «1940 als Freiwilliger in Frankreich gemeldet hatte, um gegen die Nazis zu kämpfen, aber stattdessen interniert wurde» (16). Während Thomas Mann in Amerika zum «Kaiser» (78) der Emigranten aufstieg und entsprechend in Los Angeles, im «Weimar on the Pacific» residierte, versank sein Bruder Heinrich mehr und mehr in der Anonymität und progressiven Senilität. Seinen schwül-obszönen Zeichnungen aus 349 Besprechungen/ Reviews dieser Dämmerzeit, die der Steidl-Verlag 2001 in einem dicken Wälzer herausbrachte, attestiert Strauss die morbid expressionistische Ästhetik der repräsentativen Weimarer Maler und Zeichner George Grosz, Otto Dix und Rudolf Schlichter. «Dass die abgebildeten Menschen keinen glücklichen Eindruck machen, ist allen Zeichnungen gemeinsam: es gab einfach nichts zu lachen» (77). In den Jahren der amerikanischen Emigration machte Erika Mann nach ihrem Vater sicherlich die erfolgreichste Karriere als medienwirksame Intellektuelle und schließlich als erfolgreiche Kriegsberichterstatterin der BBC in Ägypten, Marokko, Algerien, Palästina und später im Irak und Iran. Nach dem Ende des Krieges berichtete sie in amerikanischer Uniform aus München, Berlin, Weimar, Köln, Frankfurt und Dachau. Einzigartig an diesem großen Familienroman ist auch, dass nicht nur der pater familias, sondern auch drei seiner sechs Kinder, nämlich Erika, Klaus und Golo, homosexuell veranlagt waren. Während Thomas Mann bis ins Patriarchenalter das Geheimnis seiner Sexualität hütete, hat sich sein Sohn Klaus bereits mit achtzehn Jahren dazu bekannt und sie in den frei-frivolen Jahren der Weimarer Republik auch offen ausgelebt, nur um sich später im Amerika der beginnenden McCarthy-Ära unter anderem als sexuell pervers diffamiert zu finden. Während Thomas Mann nach dem Zweiten Weltrieg noch einmal die Wehmut einer aussichtslosen Verliebtheit ergriff, trieb Klaus Mann in dieser Zeit eine ganz andere Schwermut um. Er fühlte sich, obgleich er die Zeit des Dritten Reiches im Ausland und im aktiven Kampf gegen das Nazi-Regime verbracht hatte, mitverantwortlich für Deutschlands europäische Katastrophe: «Dies unselig problematische, schuldbeladene Volk, gehöre ich nicht zu ihm? Ich fühle mich mitschuldig» (130). Enttäuscht, dass der Kampf der Intellektuellen für eine bessere Welt gescheitert war, verstieg er sich schließlich in den Vorschlag eines kollektiven Freitods der kulturellen Eliten: «Hunderte, ja Tausende von Intellektuellen sollten das tun, was Virginia Woolf, Ernst Toller, Stefan Zweig, Jan Masaryk getan haben. Eine Selbstmordwelle, der die hervorragendsten Geister zum Opfer fielen, würde die Völker aufschrecken» (15). Man darf sehr bezweifeln, dass diese Selbstauslöschung der Eliten die Überlebenden des Weltkrieges, die Täter und Opfer der Gewalttaten, zu besseren Einsichten bewegt hätte. Während Klaus Mann nach Kriegsende schließlich den Freitod wählte, machte sein Bruder Michael zunächst als erfolgreicher Musiker und schließlich als promovierter Germanist in Amerika Karriere, doch auch sein Leben sollte letztendlich in einem Tod enden, der höchstwahrscheinlich ein Freitod war. Bekanntlich ist der Kern der Mann-Familie auf Grund der einsetzenden Denunzierung durch die Agenten McCarthys Anfang der fünfziger Jahre in die Schweiz zurückgekehrt. Noch am amerikanischen Flughafen befürchteten Erika und Thomas Mann, so Klaus Pringsheim, dass man sie wegen ihrer angeblichen Kommunismus-Sympathien verhaften und am Verlassen des Landes hindern würde. Auch die nächste Mann-Generation blieb vom Trauma der erzwungenen Emigration nicht verschont. Der kleine Frido Mann, Michael Manns Sohn und Thomas Manns Lieblingsenkel, musste bereits als Kind durch die Tischgespräche der Familie in Kalifornien erfahren, dass sein Herkunftsland das Reich des Bösen schlechthin war. Strauss folgerte: «Das führte dahin, dass er jahrelang jeden Schurken auf der Kinoleinwand für einen bösen Deutschen hielt und ihn in seiner Phantasie Englisch mit deutschem Akzent sprechen ließ» (63 — 64). 350 Besprechungen/ Reviews
