Colloquia Germanica
cg
0010-1338
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2016
494
Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh
121
2016
Max Graff
cg4940391
Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh1 391 Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 1 Max Graff Universität Heidelberg Abstract: The article acts on the assumption that the concept of Human dignity and its contemporary challenges related to digitization, privacy protection and terrorism are pivotal for Juli Zehʼs essays and literary texts� Zeh, a trained lawyer, discusses the implications of and threats to the concept in some of her recent essays� In addition, two of her literary texts, the novel Corpus Delicti (2009) and the play Der Kaktus (2009), can be read as fictional examinations of the status and meaning of human dignity� The article both reconstructs Zehʼs conceptual dealing with this highly relevant notion and explores the genuinely aesthetic potentials of literature as a medium of insight into the challenges to human dignity� Keywords: contemporary German literature; human dignity; privacy protection; digitization; terrorism Spätestens seit seiner Kodifizierung in den grundlegenden Konventionen der internationalen Gemeinschaft nach 1945 genießt der “genuin philosophische[]” (Tiedemann 51) 2 Begriff der Menschenwürde den Stellenwert einer nicht nur in ethischen, sondern auch in verfassungsrechtlichen Diskursen normbildenden Orientierungskategorie� Trotzdem bleibt die Menschenwürde eine Herausforderung, ein “Begriff der Irritation” (Baer 572)-- sowohl aufgrund ihrer notorischen begrifflichen Unschärfe und ihrer überaus reichen begriffsgeschichtlichen Tradition als auch in der Konfrontation mit der historischen wie gesellschaftspolitischen Realität� Franz Josef Wetz hat dies auf die Formel gebracht, dass die Menschenwürde, immerhin das höchste Verfassungsgut des deutschen Grundgesetzes, aktuell “nicht mehr allein in praktischer Hinsicht bedroht, sondern auch theoretisch gefährdet” sei (162)� Da die Menschenwürde, kulturgeschichtlich betrachtet, untrennbar an religiös-metaphysische oder vernunftphilosophische 392 Max Graff Prämissen gebunden sei, stelle sich die für das demokratische Grundverständnis einer Gesellschaft vitale Frage, wie die Vorstellung “ trotz weltanschaulichem Neutralismus , überspanntem Anthropozentrismus und säkularem Naturalismus ” weiterhin ihre Gültigkeit als ethische Leitidee behaupten kann (192; Herv� i� O�)� Die Schriftstellerin, Publizistin und promovierte Juristin Juli Zeh 3 weist auf eine weitere zeitgenössische Bedrohung der Menschenwürde hin� Mit einem Gestus der Diagnose thematisiert sie die ethischen und politischen Implikationen der zunehmenden Digitalisierung für das humanistisch geprägte Menschenbild demokratischer Gesellschaften: Welche Folgen hat die Einsicht, dass der Mensch auf einen Datensatz, eine von ihm hinterlassene Datenspur reduziert zu werden droht, für unsere Sicht auf den Menschen und seine Würde? Zeh zeigt, wie die staatliche und kommerzielle Erfassung von großen Datenmengen, die Überwachung der Bürger sowie die Vernachlässigung von und die fehlende Bereitschaft zu Datenschutzmaßnahmen mit der Menschenwürdenorm kollidieren und sie auszuhöhlen drohen� Zeh versteht ihr publizistisches Engagement als notwendigen Eingriff des Schriftstellers in den öffentlichen politischen und medialen Diskurs; gleichzeitig trennt sie strikt zwischen literarischen und essayistischen Texten, deren jeweiligen Intentionen und Voraussetzungen� 4 Der Band Nachts sind das Tiere versammelt Essays aus den Jahren 2005 bis 2014� Diese Texte sind poetologischer Natur oder reflektieren die eigene literarische Tätigkeit, reagieren auf aktuelle politische Ereignisse und mediale Trends oder leuchten die conditio humana im jungen 21� Jahrhundert aus� Zehs Essays sind meinungsstark bis polemisch, manchmal satirisch-überspitzt und ausgestattet mit einem feinen Gespür für hintersinnige Pointen, dazu rhetorisch ambitioniert, anspielungsreich und mit effektvollem Sprachwitz� Der Begriff der Menschenwürde taucht (implizit und explizit) in mehreren ihrer Essays auf� Im Folgenden richtet sich der Fokus auf Essays zu zwei Themen: politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Gesundheitswesen sowie Herausforderungen des “Kommunikationszeitalters” und deren Auswirkungen auf die Menschenwürde� 5 1� In einer ersten Reihe von Essays diagnostiziert Zeh einen fundamentalen Wandel in der staatlichen wie individuellen Wahrnehmung von Krankheit und Körper, den sie geradezu als Bedrohung für demokratische Prinzipien beschreibt� Mit Hilfe von Metaphern, die treffenderweise dem semantischen Feld der Krankheit entstammen, prangert sie Bürger und Politik an: Die Diagnose vorab� Sie lautet: Erosion des demokratischen Denkvermögens im fortgeschrittenen Stadium� Symptome: Scheinlogik aufseiten der politischen Akteure; Indifferenz bis zum politischen Autismus bei den Bürgern� Krankheitstypische Äußerungen Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 393 von infizierten Personen: “Der Rechtsstaat muss verteidigt werden, aber in Zeiten wie diesen hat Sicherheit Vorrang” (ein eifriger Minister)� Oder: “Dann sollen sie halt Festplatten scannen-- das betrifft ja nicht Leute wie mich, die nichts zu verbergen haben” (ein unbescholtener Bürger)� Verbreitungsgrad des Symptoms: epidemisch� ( Nachts 65) Der metaphorische “Virus” verursacht einen “Umbau” des “Wohlfahrtsstaates in ein präventiv denkendes und handelndes Kontrollsystem”, der das “Bürger- Staat-Verhältnis” grundlegend zu verändern droht (65)� Die in Zehs Publizistik leitmotivische Kritik am im Zuge der Terrorismusabwehr wachsenden staatlichen Kontrollwahn (vgl� Zeh und Trojanow) und an der gleichzeitigen demonstrativen Arglosigkeit vieler Bürger konzentriert sich nun auf einen ganz bestimmten Bereich: die menschliche Gesundheit� Konkreter Anlass ist eine Gesetzesinitiative der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt aus dem Jahr 2007: Ärzte sollen Patienten bei den Krankenkassen melden müssen, die ihr Leiden selbst verschuldet haben- - mit dem Ziel der Reduzierung staatlicher Gesundheitskosten� Genau hierin sieht Zeh einen Angriff auf das oberste Verfassungsgut, die-- wie es in Art� 1 GG heißt-- von aller staatlichen Gewalt zu achtende und zu schützende Menschenwürde: “Die Kernidee der Demokratie wurzelt in jenem intimen Bereich, in dem der Mensch frei ist, also die volle Hoheitsgewalt über sich selbst besitzt� Eigentlich sprechen wir hier nicht von Kostenkontrolle, sondern von Menschenwürde” ( Nachts 68)� Sobald der Mensch jedoch ein Objekt finanzieller Abwägungen wird, gilt die Menschenwürde nicht mehr absolut� Schon Immanuel Kant, dessen Würdebegriff das deutsche Grundgesetz entscheidend prägt (vgl� Birnbacher, “Annäherungen” 9; Wetz 101), hat dies prägnant formuliert: Einen “inneren Wert[] ( valor )”, eine “unverlierbare Würde ( dignitas interna )” besitzt der Mensch als Person, gerade weil er “über allen Preis erhaben” ist� Die Würde des Menschen schließt aus, dass er nach seinem “gemeinen Wert ( pretium vulgare )” oder dem “äußeren Wert seiner Brauchbarkeit ( pretium usus )” beurteilt wird (Kant 6: 434—36) 6 - - also auch nach den Kosten, die er oder seine Gesundheit dem Staat verursachen� Dieses kantische Argument bleibt bei Zeh eher implizit; explizit bringt sie drei Faktoren ins Spiel� Die Gesetzesinitiative, so Zeh, macht das “Privateste, Intimste”-- den “menschlichen Körper”-- zur “Staatssache” und liefert ihn einer “neue[n] staatliche[n] Zugriffsgewalt” aus ( Nachts 66—67)� Dies pervertiert das Prinzip der Krankenversicherung, da nun der Einzelne “dem System die unbedingte Aufrechterhaltung [seiner] Gesundheit” schuldet� Diese Umkehr droht ein neues staatliches “Machtinstrument” zu schaffen, indem “ʻKrankheitʼ [ ] potenziell mit ʻSchuldʼ identifiziert” wird; Gesunde und Kranke werden durch eine “perfide[] Form von Selektion” getrennt (67)� 7 Die vermeintliche Assoziation von Krankheit und Schuld wird zu einem Leitmotiv der folgenden Essays� Die polemisch-auf- 394 Max Graff klärerische Schärfe dieser Analyse beruht nicht zuletzt auf Zehs effektvoller Platzierung von Reiz- und Signalwörtern (System, Schuld, Selektion), die, in Kombination mit der Krankheitsmetaphorik, ihrer Argumentation eine besondere rhetorische Virulenz verleihen� Als weiteres Symptom für die schleichende Erosion des dem Grundgesetz zugrundeliegenden Menschenbildes deutet Zeh die “gesundheitspolitische Hysterie” um die Schweinegrippeepidemie im Jahr 2009� Während die tatsächliche Bedrohung der Schweinegrippe nur von marginaler Bedeutung ist, seien die “Schweinebedingungen im Bildungssystem” nach den Bologna-Reformen “äußerst konkret”� Diese spielerische figura etymologica hat einen ernsten Impetus, dient sie doch dem Brandmarken einer Verschiebung der öffentlich-medialen Sicht auf den Menschen� Dieser wird in politischen wie medialen Diskursen nicht mehr primär als erhabenes, nicht-tierisches, geistiges Wesen imaginiert und repräsentiert, das sich durch “Vernunft, [ ] Sprachbegabung, Intelligenz, Bewusstsein oder Seele” auszeichnet (128)� Diese Eigenschaften, allesamt Facetten eines weitgefassten Menschenwürdebegriffs, werden vielmehr überlagert von einer radikalen Reduktion auf den (anfälligen, potentiell kranken) Körper (127)� Zeh spricht gar von einem “Paradigmenwechsel, der die geistigen Qualitäten des Menschen von Platz Eins der Werteskala verdrängt und das materiell Messbare über alles setzt”� Diese Verdrängung konkretisiert Zeh mit Hilfe eines sinnfälligen Parallelismus: “ Exit unberechenbares Rätsel Mensch, enter genormte Biomaschine” (130)� Multiplikator dieses Wandels ist die “Gehirnwaschmaschine namens Werbung”, Ursache eine (politisch zumindest nicht verhinderte) “umfassende[] Ökonomisierung aller Lebensbereiche” (129—30)� So entsteht eine neue Idealvorstellung: der funktionierende, möglichst wenig individuelle, stromlinienförmige Mensch (130)-- der Mensch als Maschine � Die Faszination für die und der Horror vor der Vorstellung des maschinen- oder automatenhaften Menschen ist nicht nur Stoff für Science Fiction-Literatur: Bereits in der Anthropologie des 18� Jahrhunderts kreist das Nachdenken über den Menschen häufig um das Motiv der Maschine� Die französischen Materialisten Holbach, Helvétius und La Mettrie radikalisieren Descartesʼ rationalistische Unterscheidung zwischen Seele und Körper und reduzieren den Menschen auf seine Körpermaschine; Stürmer und Dränger wie J� M� R� Lenz opponieren nicht zuletzt gegen dieses deterministische, freiheitsfeindliche Menschenbild (vgl� Dotzler, Gendolla, und Schäfer; Wittig; Zenke)� Zu Beginn des 20� Jahrhunderts phantasiert der Futurist F� T� Marinetti von der “unmittelbar bevorstehende[n] Identifikation des Menschen mit der Maschine” (108)� Den Topos der Mensch-Maschine greift Zeh immer wieder auf, am prägnantesten in ihrer Kritik des Trends zum quantified self , d� h� zur datenmäßigen Erfassung und Kontrolle des eigenen Körpers zum Zwecke der Selbstoptimierung anhand Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 395 von Fitness-Armbändern und andern Gadgets� Die Reduktion des Menschen auf seinen Körper wird nun zu einem Kampf des Einzelnen gegen seine vermeintlich defizitäre Physis� Die “Liebesbeziehung zwischen Mensch und Maschine [wird] endlich intim”; das “eigene Ich” wird zum “Forschungsobjekt”, das es zu perfektionieren gilt, um die “fiktive[n] Ziele” Schönheit und Leistungsfähigkeit zu erreichen ( Nachts 205—06)� 8 Zeh vermutet das Motiv dieser “Egozentrik als Biozentrik” im Bedürfnis nach einer Art Metaphysikersatz: Der “vermessen[e]” Mensch- - Zeh nutzt die einprägsame Doppeldeutigkeit- - schwingt sich zum “Schöpfer, moderner ausgedrückt: zum Designer der eigenen Person” empor (206—07)� 9 Doch anders als im Denken des Humanisten Pico della Mirandola, der gerade in der menschlichen Fähigkeit, mit sich und seiner Umwelt schöpferisch-gestaltend umzugehen, seine Würde begründet sah (vgl� Lembcke, “Giovanni Pico della Mirandola”; Gröschner, Kirste, und Lembcke), führt die “totale[] Selbstkontrolle” keineswegs zu totaler Selbstbestimmung ( Nachts 206)� Zeh spitzt den Gedanken der Selbstvermessung polemisch zu: Den in der Gesellschaft grassierenden Irrglauben, “physische Perfektion sei das ʻhöchste Gutʼ”, repliziert und gefördert “von einer gigantomanen Pharma-, Kosmetik- und Ernährungsindustrie” sowie der Werbung, deutet sie als dem “konsumgestützten Kapitalismus” inhärente “Nebenwirkung” (207)� Die scharfe Kritik an von der Werbung (re)produzierten vermeintlichen Idealbildern erinnert an Elfriede Jelineks feministisch pointierte De(kon)struktion von Alltagsmythen, die die entwürdigende Unterdrückung der Frau im kapitalistischen System perpetuieren (vgl� Jelinek; Lücke 24—32; Degner)� In beiden Fällen wird der Bürger, gleichsam durch die Macht der Bilder und des Diskurses, entmündigt� So pervertieren Selbstvermessung und Selbstkontrolle den aufklärerischen Grundgedanken: “Das Mündige an einem Bürger ist nicht der Körper, sondern der Geist� Die Verwandlung eines Lebewesens in Zahlenkolonnen kann nicht zu individueller Freiheit führen, weil sie den Menschen zum Objekt macht und damit automatisch Gefahr läuft, Fremdherrschaft zu begründen” ( Nachts 208)� Eine faktische Redefinition von Menschenwürde als perfektible Körperlichkeit käme gar einem “Rückschritt in der Geschichte des humanistischen Denkens” gleich (209)� Wird Gesundheit zum “Selbstzweck”, zum “Endziel aller menschlichen Bemühungen”, erhalten Kreatürlichkeit und körperliche Anfälligkeit völlig neue Dimensionen� Der Körper, einst Signum der prekären menschlichen Existenz, wird nun, in seiner gesunden, perfektionierten Version, zu einem quasi-ethischen, normativen Ideal mit “totalitäre[m] Potenzial” (210)� Den Schrecken einer solchen Science-Fiction-Gesundheitsdiktatur beschreibt Juli Zeh in Corpus Delicti � 396 Max Graff 2� Der Begriff der Selbstbestimmung bzw� ihre Untergrabung ist auch für Zehs Essays, die sich konkreter mit dem Thema Datenschutz auseinandersetzen, entscheidend� Hintergrund dieser Texte sind die Enthüllungen des sogenannten Whistleblowers Edward Snowden, die dadurch ausgelöste NSA-Affäre sowie der befremdliche bis peinliche Umgang deutscher Regierungspolitiker damit� 10 Ausgehend von der Einsicht, dass Geheimdienste und große Internetkonzerne sich zu veritablen Datenkraken entwickelt haben, rückt Zeh virulente “ethische[] Konsequenzen“ der Digitalisierung (277) in den Fokus, denn: Wo Daten und Informationen erhoben werden, können sie auch missbraucht werden und drohen Individualität, Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit und damit letztlich unser Verständnis von Menschenwürde vollkommen zu zerstören� Der Bürger des 21� Jahrhunderts, so impliziert Zeh, hat das Verhältnis zu seinem eigenen digitalen Fingerabdruck, zu seinem “digitalen Zwilling”, noch nicht verstanden und versäumt es völlig, dieses kritisch zu hinterfragen� “Maschinen”, so Zeh, “schöpfen [ ] unvorstellbare Mengen von Daten ab und verbinden sie miteinander, um möglichst jedem Menschen ein digitales Ebenbild an die Seite zu stellen” (235)� In letzter Konsequenz tangiert diese Praxis jeden Einzelnen: “Wenn jeder von uns einen digitalen Zwilling besitzt, um den sich Wirtschaft, Sicherheitspolitik und Sozialleben drehen- - was ist dann der Mensch? Wer besitzt die Hoheit über unsere individuellen Biografien? ” (236)� Die argumentative Logik baut auf die Aura des Worts “Ebenbild”: Anders als im Verhältnis zwischen Gott und Mensch (im christlichen Verständnis) ist in jenem zwischen dem Menschen und seinem Datenzwilling der zweite kein würdiges Ebenbild des ersten� Ganz im Gegenteil: Im Umgang mit den persönlichen Daten eines Menschen scheinen weder rechtliche noch ethische Normen angewendet zu werden noch scheint die Menschen dies besonders zu stören� Zehs Punkt ist folgender: Werden die privaten Daten eines Menschen ohne dessen Wissen oder Zustimmung gesammelt, ausgewertet und gespeichert, verletzt dies auch die Würde des Menschen selbst� Die Fixierung auf digitale Informationen und deren Verwertung wirft tatsächlich die Frage auf, welchen Stellenwert der Mensch hat, sowohl als physische Erscheinung in der realen als auch als virtuelle Persönlichkeit in der digitalen Welt� Ist er verhandelbares Wertobjekt oder Träger absolut zu schützender Würde? Dürfen die beiden Entitäten überhaupt getrennt werden? Zeh jedenfalls fordert die bewusste Aneignung und Integration des digitalen alter ego in die eigene Identität und in den Schutzbereich der Menschenwürde (237)� Ein Verzicht auf den Schutz persönlicher Daten bedeutet laut Zeh die Preisgabe persönlicher Autonomie, ja den Verlust des Subjektstatus� Nicht nur macht sich der Mensch zum “willenlosen Objekt”, wenn er seine Daten sorglos preisgibt (257), sondern das aufklärerisch-klassische Handlungskonzept, dem zufolge der vernünftige Mensch stets freier, autonomer Urheber seiner Handlungen sein Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 397 kann (und nicht zuletzt deshalb Würde besitzt), wird ad absurdum geführt� Zeh zielt hier auf die Möglichkeit, vielmehr noch: auf das “Ziel” der Datensammler, zukünftiges Handeln und Verhalten eines Menschen durch Algorithmen und vorherzusagen (237; 260)� “Wissen ist Macht, und Wissen über einen Menschen bedeutet Macht über diesen Menschen”-- der beobachtete, umfassend erfasste und vermessene Mensch wird vergleichbar, regulierbar und erpressbar (257)� 11 Dieses Wissen kann eben nicht nur zur Abwehr und Vorbeugung von Straftaten verwendet werden, sondern auch, um den Menschen auf politisch oder wirtschaftlich opportune Art und Weise zu steuern� Seine “Handlungsoptionen” würden nicht mehr von ihm autonom bewertet und gestaltet, sondern von außen derart eingeengt, dass er möglichst “effizient” handelt� Dieser “Freiheitsverlust von außen“ würde durch eine Tendenz zur Selbstzensur, einen inneren wie äußeren “Zwang zur ʻNormalitätʼ” potenziert-- eine “Bankrotterklärung an die Idee des selbstbestimmten Individuums” (258)� Der Geltungsbereich der Menschenwürde muss sich daher auch auf die “personenbezogenen Daten” des Einzelnen erstrecken (261)� Zeh appelliert sowohl an den einzelnen Bürger, der die obsolete Trennung zwischen physischer und digitaler Person überwinden muss, um ein Bewusstsein für die Schutzwürdigkeit seiner Daten zu erlangen, als auch an die Politik, die auf europäischer Ebene gegenüber Großkonzernen und Geheimdiensten die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen menschenwürdigen Umgang mit den Daten der Bürger durchsetzen muss� Die von Juli Zeh mitinitiierte und Anfang Dezember 2016 dem Europäischen Parlament überreichte “Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union” formuliert diesen Gedanken unmissverständlich; die im ersten, mit dem Schlagwort “Würde” versehenen Artikel aufgestellten Grundsätze muten an wie eine Kodifizierung der in Zehs Essays umrissenen Thesen: (1) Die Würde des Menschen ist auch im digitalen Zeitalter unantastbar� Sie muss Ziel und Zweck aller technischen Entwicklung sein und begrenzt deren Einsatz� (2) Neue Gefährdungen der Menschenwürde ergeben sich im digitalen Zeitalter insbesondere durch Big Data, künstliche Intelligenz, Vorhersage und Steuerung menschlichen Verhaltens, Massenüberwachung, Einsatz von Algorithmen, Robotik und Mensch-Maschine-Verschmelzung sowie Machtkonzentration bei privaten Unternehmen� (3) Die Rechte aus dieser Charta gelten gegenüber staatlichen Stellen und Privaten� 12 3� Die besprochenen Essays perspektivieren die Menschenwürde auf zweifache Weise: Der sich wandelnde Stellenwert des Körpers, der avisierte staatliche und kommerzielle Zugriff darauf unter dem Vorwand rationeller Gesundheitspolitik, 398 Max Graff die damit einhergehende konzeptuelle Verknüpfung von Krankheit und Schuld, die Propagierung des Ideals einer perfektionierbaren Mensch-Maschine sowie die Unterminierung individueller Selbstbestimmung durch algorithmische Vorhersage menschlichen Handelns bedrohen im 21� Jahrhundert die Menschenwürde� Dieser Wert muss zwar nicht neu definiert, aber den zeitgenössischen Herausforderungen angepasst werden, indem er auch auf die Privatsphäre des Menschen in der digitalen Welt ausgedehnt wird und dessen Daten in den schutzwürdigen Bereich integriert� Zehs dystopischer Roman Corpus Delicti (2009) 13 entwirft das Schreckensbild eines totalitären Staates, der seine Bürger systematisch überwacht und im Sinne des vermeintlichen Staatswohls lenkt� Dieser Staat ist nicht das Resultat eines gewaltsamen Umsturzes, einer blutigen Revolution oder einer Nachkriegsordnung� Er entstand vielmehr aus der Verschiebung und Verzerrung jener Werte, auf denen das gesellschaftliche Zusammenleben heute fußt� Angesiedelt in der Mitte des 21� Jahrhunderts, offenbar in Deutschland oder zumindest einer vergleichbaren westlichen Gesellschaft, bleibt die Fiktion auf die Gegenwart bezogen� Der Text insinuiert, dass die Tendenzen, die zum totalitären Überwachungsstaat führen, bereits in ihr angelegt sind- - Zeh selbst spricht von “Gegenwartsverdichtung” (zit� nach Smith-Prei 107; vgl� McCalmont und Maierhofer; Giesler; Klocke)� 1� Das bundesrepublikanische Grundgesetz mit seinem alles überstrahlenden Menschenwürdeprinzip (Art� 1 GG) ist der implizite Bezugsrahmen für den in Corpus Delicti geschilderten Staat und seine ideologische Grundlage, die “ME- THODE”� Diese ist theoretisches wie praktisches Fundament des Staates und Maxime der legislativen, exekutiven und rechtssprechenden Gewalt: “Die ME- THODE dient dem Wohl des Menschen , Artikel eins der Präambel” (110)� Die Anspielung ist mehr als deutlich: Der erste Artikel des deutschen Grundgesetzes inauguriert die Menschenwürde als oberstes Ziel staatlichen Handelns; die Präambel der UN-Charta (1945) und jene der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) setzen ebenfalls die Menschenwürde an die oberste Stelle der Wertehierarchie� Corpus Delicti ist demnach eine Art fiktionales Experiment, das untersucht, was passiert, wenn nicht mehr das absolute Prinzip der Menschenwürde, sondern ein anderer Wert zum höchsten deklariert wird� Tatsächlich ist es im Roman nicht mehr die Würde, sondern das “Wohl” des Menschen, auf das sich der Staat und seine Vertreter berufen� “[N]atürliches Ziel von Gesellschaft, Recht und Politik” bzw� “ Prinzip staatlicher Legitimation ” ist die “Gesundheit” ( Corpus Delicti 7—8)� Die METHODE stützt sich “auf eine absolute Wertschätzung des menschlichen Lebens” (231)-- eine folgenschwere Verschiebung, wie der Roman auf bedrückende Weise vorführt� Denn die Gesundheit als oberstes Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 399 Verfassungsgut ist in der Praxis nicht primär ein Recht, sondern wird pervertiert zu einer Pflicht des Einzelnen� Wenn Gesundheit zur Norm erklärt wird, ist alles Kranke, Andere, Individuelle als staatsfeindlich zu bekämpfen (vgl� Klocke 187—91; Smith-Prei 115)� Vor diesem Hintergrund ist die zentrale Szene des Romans ein Gespräch zwischen der Protagonistin Mia Holl, die wegen vermeintlicher “methodenfeindlicher Umtriebe” in Untersuchungshaft sitzt, und ihrem “philosophical sparring partner” (Smith-Prei 110) Heinrich Kramer, Journalist und Chefideologe der METHODE� 14 Mia, eigentlich eine methodentreue Biologin, gerät nach dem Suizid ihres Bruders Moritz in eine tiefe Lebenskrise� Moritz wurde per DNA-Beweis wegen Vergewaltigung verurteilt, obwohl er seine Unschuld beteuerte-- in einem Staat, der seine Bürger systematisch überwacht, deren physiologische Daten erfasst und speichert, eine unerhörte Begebenheit� Mia beginnt, an der Unfehlbarkeit der METHODE zu zweifeln (zu Recht, wie sich herausstellt) und wird dadurch zur Gefahr für den Staat� Weil Mia zu einer Ikone des Widerstands zu werden droht, wird sie aufgrund fingierter Beweise als mutmaßliche Terroristin und Staatsgefährderin angeklagt� Kramer will sie zu einem politisch opportunen falschen Geständnis überreden; als Gegenleistung soll die Strafe des Einfrierens auf unbestimmte Zeit in eine Gefängnisstrafe umgewandelt werden� Der folgende Dialog kreist explizit um den Begriff der Würde� Mia reagiert ungläubig auf Kramers Angebot: “Ihr habt mir alles genommen, was wichtig war� [ ] Wissen Sie, was am Ende übrig bleibt? ”� Mias Frage ist eine subjectio -- sie antwortet selbst: “Die Seele bleibt übrig [ ]� Der Geist� Die Würde� Wenn ihr Spaß daran habt, mich einzufrieren, dann tut es”� Die uneinnehmbaren Bastionen, auf die sich Mia beruft, kennzeichnet Kramer spöttisch als “Anachronism[en] aus dem zwanzigsten Jahrhundert” ( Corpus 232)� Stattdessen versucht er, Mia die historische Dimension der Situation aufzuzeigen: Jeder Widerstand wird sich in Zukunft auf Ihren Bruder berufen� Die Geschichte lehrt uns, wie einzelne Ereignisse zu blutigen Katastrophen führen� [ ] Ich appelliere an Ihre Vernunft� [ ] Wollen Sie für Ihre ‘Würde’ ein System gefährden, von dem Millionen Menschen abhängen? Ist es ʻwürdigʼ, die eigene Person über alles andere zu stellen? Was ist das Höchste, Mia Holl? Was ist, angesichts Ihrer Würde, der Mensch? (233—34) Die streng rationale Argumentation der Figur Kramer ist sophistisch- - und gefährlich� Zunächst bezieht er sich auf wohlklingende Schlagworte (Vernunft, Selbst, Verantwortung), die durchaus dem Umkreis des Würdebegriffs entstammen, um diesen selbst zu delegitimieren� Die Würde des Einzelnen ridikulisiert er als überholtes egoistisches, narzisstisches Prinzip, das dem allgemeinen Wohl unterzuordnen sei� Damit verkehrt er die unantastbare, unabwägbare Menschenwürde in ihr Gegenteil- - sie wird antastbar, abwägbar, und taugt 400 Max Graff folglich auch nicht mehr als höchster Wert� Kramers Sicht reduziert den einzelnen Menschen zu einer verhandelbaren und in letzter Konsequenz zu vernachlässigenden Größe� Mia lehnt Kramers Forderung nach einem Geständnis mit einer vielsagenden Begründung ab: “Ich brauche keine Argumente� Je weniger ich davon habe, desto stärker werde ich” (234)� Dies lässt sich auf den Begriff der Menschenwürde übertragen: Wenn er seine normative, gesellschaftsbegründende Funktion bewahren soll, muss er gegen kühle Rationalität und ʻSachzwängeʼ verteidigt werden� Kramers oben zitierte Frage ließe sich umformulieren als Leitfrage für die Deutung des Romans: Was wäre, angesichts des Geltungsverlusts der Menschenwürde, der Mensch? 2� Drei ineinander verwobene Motivkomplexe umkreisen in Corpus Delicti das Problem der Menschenwürde: die Verzerrung und Perversion aufklärerischen und humanistischen Vokabulars durch die METHODE, die Definition von individueller Freiheit, schließlich die Frage danach, was Menschsein eigentlich bedeutet� Kramer ist im Roman jene Figur, die die Legitimität der METHODE (und ihrer Methoden) zu belegen trachtet� Das “Vorwort” zu seinem fiktiven Grundlagenwerk über die METHODE, mit dem der Roman beginnt, ist eine programmatische Apologie der Gesundheit als höchstem Staatszweck� Gesundheit definiert Kramer als “Zustand geistiger und körperlicher Harmonie, als ungehinderte Entfaltung des biologischen Energiepotentials”: “Sie ist sichtbar gewordener Wille, ein Ausdruck von Willensstärke in Dauerhaftigkeit� Gesundheit führt über die Vollendung des Einzelnen zur Vollkommenheit des gesellschaftlichen Zusammenseins” (7)� Bei seinem ersten Treffen mit Mia präzisiert Kramer diese Grundsätze� Die Gesellschaft sei “am Ziel”, da sie “weder dem Markt noch einer Religion” noch “verstiegenen Ideologien” folge, sondern die Vernunft verabsolutiert habe: Wir gehorchen allein der Vernunft, indem wir uns auf eine Tatsache berufen, die sich unmittelbar aus der Existenz von biologischem Leben ergibt� Denn ein Merkmal ist jedem lebenden Wesen zu eigen� Es zeichnet jedes Tier und jede Pflanze und erst recht den Menschen aus: Der unbedingte, individuelle und kollektive Überlebenswille� Ihn erheben wir zur Grundlage der großen Übereinkunft, auf die sich unsere Gesellschaft stützt� (36) Dies rechtfertigt in Kramers Augen umfassende biopolitische Überwachungs-, Kontroll- und Lenkungsmaßnahmen, vom obligatorischen täglichen Sportpensum über die Auswertung der Körperausscheidungen bis hin zur Partnervermittlung nach immunologischen Kriterien� Nun ist die Sprache, mit der die Figur ihre Ansichten darlegt, keineswegs ʻunvorbelastetʼ� Wiederholt bedient sich Kramer auratischer Begriffe der philo- Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 401 sophischen Tradition� Wenn er von der Harmonie von Körper und Geist, von der Vollendung des Einzelnen, von der Vervollkommnung der Gesellschaft, vom Willen, von der Vernunft spricht, sind dies Elemente des Denkens des 18� Jahrhunderts, von Wolff über Lessing, Herder und Kant bis hin zu Schiller� Der Fortschrittsoptimismus und der Perfektibilitätsglaube der Aufklärung werden jedoch entscheidend modifiziert: Verstand das 18� Jahrhundert Menschenwürde meist sowohl als Eigenschaft des Einzelnen als auch als Auftrag an ihn, um über diesen Umweg die Gesellschaft als Ganze zu vervollkommnen, ist in Zehs Dystopie vom inhärenten Wert des Einzelnen nicht mehr viel übrig geblieben� Die Vernunft begründet nicht die Würde des Menschen , sondern den absolut gesetzten Überlebenswillen der Menschheit , der auf den Einzelnen im Zweifelsfall keine Rücksicht nimmt� Die ʻBestimmung des Menschenʼ ist seine Gesundheit; der aufklärerische Vervollkommnungsgedanke wird ideologisiert und auf den Körper fokussiert� Corpus Delicti ist gleichsam eine fiktionale Konkretisierung der Dialektik der Aufklärung, ein Szenario, in dem die Prinzipien der Aufklärung auf katastrophale Weise pervertiert werden� Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit mündet in einer neuen, subtileren, selbstverschuldeten Form der Unmündigkeit� Den Zusammenhang zwischen der Ideologie der METHODE und dem Gedankengut der Aufklärung thematisiert Kramer selbst in einem Fernsehinterview über die angebliche Terrororganisation “Recht auf Krankheit” (R� A� K�)� 15 “Anti-Methodisten”, so Kramer, kennzeichne ein “reaktionärer Freiheitsglaube, der seine Wurzeln [ ] im zwanzigsten Jahrhundert” habe und auf nichts anderem als einem “Missverständnis der Aufklärung” beruhe� Auf den Einwurf seines Gesprächspartners hin, dass auch die METHODE sich doch “als eine logische Folge der Aufklärung [begreife]”, führt Kramer weiter aus: [D]er Irrtum der R� A� K� liegt darin, einen Krebspatienten, der sich täglich selbst beim Sterben zusieht, als frei zu bezeichnen� Einen Menschen, der am Ende nicht mehr in der Lage ist, das Bett zu verlassen� [ ] Der methodenrechtliche Anspruch auf Gesundheit ist eine der größten Errungenschaften der Menschheit� (85) Historisch erklärt Kramer die METHODE als Reaktion auf die conditio humana am Beginn des 21� Jahrhunderts, auf allgemeine Ängste, “Geburtenrückgang, die Zunahme stressbedingter Krankheiten, Amokläufe, Terrorismus” (88)� Seine Ausführungen sind verführerisch; wer sollte sich an einem Staat stören, der allen Gesundheit garantiert? Das Problem ist der Freiheitsbegriff der METHODE, der vollkommen von Willen und Wünschen des Individuums abstrahiert� Er bleibt rein äußerlich, denn er ist normativ: Was “Wohlbefinden” ist, entscheidet nicht das Individuum, sondern der Staat� Das “Wohl” des Menschen ist ausschließlich heteronom definiert� 402 Max Graff Zehs Text illustriert somit die Gefahr des rhetorischen Missbrauchs von eigentlich positiv besetzten Begriffen, die, ausgehöhlt und entwertet, zu rhetorischem Schmuck reduziert oder gar in ihr Gegenteil verkehrt werden� 3� Dem pervertierten Freiheitsbegriff der METHODE steht im Roman ein essentiell anderer gegenüber: jener Moritz Holls, den sich Mia nach und nach zu eigen macht� In einer der überwiegend personal und analeptisch aus Mias Erinnerung erzählten Szenen, die Begegnungen der Geschwister rekapitulieren, verbindet Moritz seine eigene Auffassung von Freiheit und Selbstbestimmung explizit mit dem Begriff der Menschenwürde� Moritz schert sich nicht um die staatlichen Gesundheitsvorgaben; allein das macht ihn zum Rebellen� Mit Mia läuft “er in das, was er Freiheit nannte, nämlich in den unhygienischen Wald”, fängt Fische, lässt “sich das vermutlich hochinfektiöse Wasser um die nackten Füße spülen”, genießt die potentiell krebserregende Sonnenstrahlung, prahlt mit seiner sexuellen Freizügigkeit (90—91)� Als Mia sein Verhalten kritisiert, artikuliert Moritz eine grundsätzliche Definition des Menschseins: [Ich bin] ein Mensch und du nicht� [ ] Im Gegensatz zum Tier kann ich mich über die Zwänge der Natur erheben� Ich kann Sex haben, ohne mich vermehren zu wollen� Ich kann Substanzen konsumieren, die mich für eine Weile von der sklavischen Ankettung an den Körper erlösen� Ich kann den Überlebenstrieb ignorieren und mich in Gefahr bringen [ ]� Dem wahren Menschen genügt das Dasein nicht, wenn es ein bloßes Hier-Sein meint� Der Mensch muss sein Dasein erfahren � Im Schmerz� Im Rausch� Im Scheitern� Im Höhenflug� Im Gefühl der vollständigen Machtfülle über die eigene Existenz� Über das eigene Leben und den eigenen Tod� Das, meine arme, vertrocknete Mia Holl, ist Liebe� (92) Mias Einwand, dass seine “kämpferische[n] Reden” nur möglich seien, weil ihm der Staat ein “fest gemauerte[s] Sicherheitsfundament” biete, schmettert er ab: Was soll denn das Ziel dieser Sicherheit sein? Ein Dahinvegetieren im Zeichen einer falsch verstandenen Normalität? Erst wenn eine einzige Idee über die der Sicherheit hinausgeht, erst dort, wo der Geist seine physischen Bedingungen vergisst und sich auf das Überpersönliche richtet, beginnt der allein menschenwürdige, im höheren Sinn folglich der allein normale Zustand! (93) Moritz definiert den Menschen und seine Freiheit in Abgrenzung zum Tier-- ein Topos rationalistisch-aufklärerischen Denkens� Noch bei Schiller heißt es: Der “Geschlechtscharakter des Menschen” (21: 38) ist seine Fähigkeit, den natürlichen Trieben mithilfe seines Willens zu begegnen und das “Gesetz der Natur” zu überwinden (20: 290)� “Das Thier”, so Schiller, “muß streben den Schmerz los zu seyn, der Mensch kann sich entschließen, ihn zu behalten” (20: 290)� Neben der selbstbestimmten Unabhängigkeit von natürlichen Zwängen, die die wil- Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 403 lentliche Gefährdung des eigenen Körpers einschließt, steht das Bekenntnis zur Intensität und zur Unwägbarkeit des Lebens, das, wenn man die geistes- oder mentalitätsgeschichtliche Analogie suchen möchte, eher stürmerisch-drängerisch oder vitalistisch anmutet� Die Schlüsselbegriffe sind “ erfahren ” ( Corpus 92), “Erlebnis” und “Empfindungen” (95); die Metaphern aus dem Bereich der Flora (“vertrocknet”, “Dahinvegetieren” 92—93) diskreditieren das normalisierte, staatlich optimierte “Dasein”� Als “allein menschenwürdig[]” gilt Moritz schließlich ein Leben, dessen Maxime sich nicht auf reine Nützlichkeits- oder Zweckmäßigkeitserwägungen beschränkt (physische Gesundheit, Sicherheit, Hygiene), sondern das im weitesten Sinne transzendente Werte kennt� Als Mia diese Position ins Lächerliche zu ziehen versucht, ergänzt Moritz seine Auffassung von Freiheit- - indem er explizit den Tod, den Suizid integriert: “Um frei zu sein, darf man den Tod nicht als Gegenteil des Lebens begreifen” (94)� “Das Leben ist ein Angebot, das man auch ablehnen kann” (28; vgl� 46)-- dieser sentenzhafte letzte Satz des verurteilten Moritz (vor seinem durch Mia erst ermöglichten Freitod in Haft) stilisiert den Suizid zum ultimativen Akt der Freiheit� 16 Menschenwürde wäre somit das Recht auf radikale Selbstbestimmung, Selbstverfügung und Selbstgestaltung der eigenen Existenz� 4� “Was ist der Mensch? ” So lautete eines der vier von Kant formulierten Grundprobleme der Philosophie (“Logik” 25)� 17 Aus aufklärerischer Sicht ist der Mensch ein Doppelwesen, in dem sich zwei Naturen-- eine körperliche, sinnliche und eine geistige, sittliche-- vereinen� Anhand ihres Verhältnisses lassen sich bestimmte Menschenbilder paradigmatisch beschreiben� Bei Kant etwa hat die Vernunft uneingeschränkten Vorrang vor dem Trieb; dank seiner Vernunft besitzt der Mensch Personalität, die Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung und zum selbstbestimmten Handeln, und genau darin liegt seine Würde� 18 Aus der Perspektive der “literarischen Anthropologie” des 18� Jahrhunderts ist die harmonische Entfaltung beider Naturen, die Kultivierung des ʻganzen Menschenʼ, erstrebenswert (vgl� Schings; Košenina)� Die naturalistische Literatur hingegen bezweifelt die Fähigkeit der menschlichen Vernunft, sich über die sinnliche Natur hinwegzusetzen (vgl� Bölsche 25)� Der Ideologe Kramer umreißt im Gespräch mit Mia das “Menschenbild der METHODE”, das er “allen anderen historisch überlegen” wähnt: Ich bin überzeugt, dass sich aus dem natürlichen Überlebenswillen ein politisches Recht auf Gesundheit ergibt� Ich bin überzeugt, dass ein System nur dann gerecht sein kann, wenn es an den Körper anknüpft-- denn durch unsere Körper, nicht im Geiste sind wir einander gleich� ( Corpus 180) 404 Max Graff Daher sei es nur vernünftig, “Gesundheit als Synonym für Normalität zu betrachten”; das “Störungsfreie, Fehlerlose, Funktionierende: Nichts anderes taugt zum Ideal” (181)� Auch Mia beschreibt vor Gericht die Prämisse der METHODE: Die Naturwissenschaft [ ] hat die lange Ehe zwischen dem Menschen und dem Übermenschen geschieden� Die Seele, Spross dieser Verbindung, wurde zur Adoption freigegeben� Geblieben ist der Körper, den wir zum Zentrum aller Bemühungen machen� Der Körper ist uns Tempel und Altar, Götze und Opfer� Heilig gesprochen und versklavt� Der Körper ist alles� Eine Entwicklung von zwingender Logik� (158) Diese Redefinition des Menschen als sein Körper beruht auf einer eigentümlichen Sicht auf das Verhältnis von Körper und Geist� Zum einen begründet die Vernunft, wie beschrieben, die Legitimität der METHODE und ihres Menschenbildes� Zum anderen negiert die Sakralisierung des Körpers die Berechtigung geistiger Vermögen als Definitionsmerkmal des Menschen� Allerdings: Nicht der Körper an sich, in seiner prekären Kreatürlichkeit und Vergänglichkeit, steht im Fokus, sondern ein nach vermeintlich rationalen Kriterien normierter, perfektionierter, idealisierter ʻNormalkörperʼ, der es erlaubt, jede Form der Abweichung zu sanktionieren� Dieses Menschenbild und der darauf basierende Staat sind durch und durch antiindividualistisch; die Vernunft hat sich gegen sich selbst gewendet� Der dem Zwang zur staatlich definierten Normalität unterliegende Körper ist keine Privatsache mehr, sondern eine staatlich kontrollierte Entität von öffentlichem Interesse� In der Gesellschaft, von der Corpus Delicti erzählt, hat daher jeder Mensch eine “virtuelle[] Existenz” (72)� Eine Intimsphäre existiert nicht; der Staat dringt in alle Lebensbereiche ein� Die “akribische Erhebung von Informationen” (119) ist ein Grundpfeiler des Systems; die Bürger werden lückenlos überwacht und ausgespäht, durch einen im Körper eingepflanzten Chip und Sensoren im öffentlichen Raum lassen sich Bewegungsprofile erstellen, physiologische und medizinische Daten sind jederzeit abrufbar (14; 18; 90; 119; 223)� Der Mensch ist im Angesicht des Staates nicht nur “nackt” (14), sondern regelrecht durchsichtig (vgl� Bartram, Dölling, und Tanner)� Da die METHODE die eigene Unfehlbarkeit zum Dogma erhebt, ist der Fall Moritz Holl so gefährlich� Dass der DNA-Beweis, der ihn der Vergewaltigung überführte, irreführend war, weil er als Heranwachsender eine Knochenmarktransplantation erhielt, stellt die METHODE an sich in Frage� Um sich der Gefahr, die die zweifelnde Mia Holl darstellt, zu entledigen, missbraucht der Staat die Informationen, die er besitzt� Aus der “Datenspur eines Menschen”, so Kramer, lässt sich “jedes beliebige Mosaik zusammensetzen” ( Corpus 226)-- und so wird der missliebigen Mia die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angehängt� Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 405 Nun weigert sich Mia, mit der METHODE zu kooperieren, da sie dies nicht mit ihrem Gewissen und mit ihrer Würde vereinbaren kann (232—234)� Dem Bekenntnis zur eigenen Würde folgt die Lossagung vom eigenen Körper, als sie mit Stromschlägen gefoltert wird und hilflos in ihrer Zelle liegt: “Es ist nur mein Körper� [ ] Materie, die sich selbst anglotzt� Das können sie haben” (237)� Die narrative Gestaltung des kurzen Kapitels macht diese Lossagung sinnfällig� Dem extradiegetischen Erzähler fällt die Aufgabe zu, Mias körperlichen Zustand, ihren physischen Schmerz und ihr kreatürliches Leiden zu beschreiben� Unterbrochen werden diese Beschreibungen jedoch von Mias direkter Rede; sie verbalisiert Erinnerungen an ihren Bruder, reflektiert, apostrophiert den Toten sogar� Die Zurückweisung des Körpers ist gleichzeitig eine Behauptung der eigenen geistigen Fähigkeiten und eine Akzeptanz der eigenen Sterblichkeit: “Dein Tod sei meiner” (240)� Kurz darauf wiederholt Mia ihre Lossagung performativ� Mit einer Nadel fügt sie sich eine Wunde am Arm zu, aus der sie einen “blutigen Chip” zieht, den sie Kramer mit den Worten übergibt: “Nehmen Sie� Das bin ich� Ihr rechtmäßiger Besitz� [ ] Der Rest bleibt hier und gehört niemandem mehr� [ ] Und damit allen� Vollkommen ausgeliefert, also vollkommen frei� Ein heiliger Zustand” (248)� Die Selbstverletzung ist ein Akt der Selbstermächtigung und der Selbstbefreiung, mithin ein Akt der Menschenwürde: Indem sie jenen Datenträger entfernt, der ihren Körper vermaß und sie zu einem Objekt staatlicher Kontrolle machte, konstituiert sie sich als unabhängiges Subjekt� Freilich ist diese eroberte Freiheit eine symbolische, innerliche (Seidel 210); äußerlich bleibt sie, wie Agambens homo sacer , 19 dem Staat “[v]ollkommen ausgeliefert” ( Corpus 248)� Abgesehen von den ideologischen Positionierungen der einzelnen Figuren zeichnet sich Corpus Delicti allein an der Textoberfläche durch eine auffällige Häufung von Aussagen über “den Menschen” oder das Menschliche” aus� Mehrere Figuren (Kramer, Mia, Moritz, Rosentreter, die ideale Geliebte), manchmal auch der Erzähler, äußern solche Befunde; meist muten sie an wie Sentenzen oder Sprichwörter, 20 bisweilen sind sie überaus poetische Vergleiche oder Metaphern� Kramer nennt “[d]as Menschliche” im Gespräch mit Mia “ein[en] nachtschwarze[n] Raum, in dem wir herumkriechen, blind und taub wie Neugeborene� Man kann nicht mehr tun, als dafür zu sorgen, dass wir uns beim Kriechen möglichst selten die Köpfe stoßen” (40)� Daraus leitet er freilich den staatlichen Kontroll- und Überwachungsauftrag ab� Sinnigerweise fordert die geschundene Mia am Ende des Romans “ein Grundrecht auf Schwärze” (240), mithin das Recht, sich der unvorhersehbaren, prekären Wirklichkeit selbstbewusst und furchtlos zu stellen� Moritz kleidet seine Auffassung von Freiheit in eine eigentümliche Metapher: “Man muss flackern� Subjektiv, objektiv� Subjektiv, objektiv� Anpassung, Widerstand� An, aus� Der freie Mensch gleicht einer defekten Lam- 406 Max Graff pe” (149)� Freiheit bedeutet, sich nicht festlegen zu müssen, sich irren zu dürfen, an die Macht der Phantasie und des eigenen Geistes zu glauben� Innerfiktional dienen diese bildhaften Passagen der weltanschaulichen Profilierung der jeweiligen Figur� Außerfiktional markieren sie, genau wie die erwähnten sentenzhaften Aussagen, die Frage nach dem Menschen als Leitmotiv des Romans� Gerade die Metaphern und Vergleiche lassen sich aber auch als metapoetischer Kommentar lesen� Das bildliche Sprechen ist immer mehr als die Versprachlichung bestimmter außersprachlicher Gegebenheiten� Im poetischen Sprechen über den Menschen kommt etwas zum Ausdruck, was sich nicht auf reine Körperlichkeit, auf Datensätze und physiologische Prozesse reduzieren lässt und was trotzdem zum ʻMenschlichenʼ gehört� Die Literatur behauptet sich somit als genuin anthropologisches Medium, als eigener Diskurs, der mit seinen ureigenen Mitteln eigene Erkenntnisse und eigenes Wissen über den Menschen und seine Würde vermitteln kann� 5� Die Konfrontation zweier Welt- und Menschenbilder (jene der METHODE sowie jene Moritzʼ und, am Ende des Romans, Mias) kulminiert in den Manifesten Mias und Kramers� Beide haben den Charakter öffentlicher Proklamationen; ihre narrative Einbettung und Gestaltung ist überaus aufschlussreich� Mia diktiert ihr Manifest dem Journalisten Kramer� Im Text erscheint es als eigenes kurzes Kapitel als direkte Rede in der ersten Person Singular, ohne Vermittlung durch den Erzähler: Ich entziehe einer Gesellschaft das Vertrauen, die aus Menschen besteht und trotzdem auf der Angst vor dem Menschlichen gründet� Ich entziehe einer Zivilisation das Vertrauen, die den Geist an den Körper verraten hat� [ ] Ich entziehe einem Volk das Vertrauen, das glaubt, totale Durchleuchtung schade nur dem, der etwas zu verbergen hat� [ ] Ich entziehe einer Politik das Vertrauen, die ihre Popularität allein auf das Versprechen eines risikofreien Lebens stützt� [ ] (186) Abgesehen davon, dass dieses Programm am unmittelbarsten den Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Situation herstellt, da es Aussagen trifft, die auch losgelöst von der Romanhandlung Gültigkeit beanspruchen, ist die sprachliche Präsentation zu beachten� Das anaphorische “Ich entziehe” ist ein performativer Sprechakt; er konstituiert die Sprecherin sprachlich als reflektiertes Subjekt, das nicht nur auf der Satzebene eine Distanz zum Dativobjekt herstellt, sondern auch in der aktiven gedanklichen Auseinandersetzung eine Haltung kritischer Distanz zu den angeprangerten Instanzen einnimmt� Das selbstbewusste “Ich” ist weniger Symptom eines egoistischen Individualismus als sprachliches Signum eines reflektierten und verantwortungsbewussten gesellschaftlichen Engagements� Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 407 Kramers Manifest hingegen ist eine wirkungsvolle massenmediale Inszenierung, vorgetragen als direkte Ansprache an die Zuschauer der Fernsehsendung “WAS ALLE DENKEN”� Im Text erscheint diese allerdings erzählerisch vermittelt in indirekter Rede, während Mias Manifest zwar medial weniger unmittelbar (in der Zeitung), narratologisch aber in der ersten Person und somit quasi ʻungefiltertʼ anmutet� Kramer spricht von “Sauberkeit und Sicherheit”, von der “Verunreinigung” des Einzelnen und der Gesellschaft, davon, dass “Krankheit” das “Ergebnis von fehlender Überzeugung und fehlender Kontrolle” sei� Die Rede von der Krankheit wendet er dann vollends ins Metaphorische: Die für die Gesellschaft “gefährlichsten Viren” seien “infektiöse Gedanken”, die das “Immunsystem des Landes”-- die METHODE-- bedrohten� Den “starken Körper[]” könnten sie jedoch nicht gefährden, da sie “identifiziert” und “vernichtet” würden (200—201)� Unverkennbar legt Zeh ihrer Figur Versatzstücke der biologistischen NS-Propagandasprache in den Mund und lenkt damit den Blick auf die mentalitätsbildende Rolle der Sprache� “Es gibt niemanden, der die Bedeutung seiner Worte nicht verstanden hätte”, kommentiert der Erzähler (201)� Gerade die Tatsache, dass Kramer im Bewusstsein der konzeptuellen Implikationen seiner Worte seine Widersacherin auf diese Weise rhetorisch entwürdigen und entmenschlichen kann, offenbar ohne dass er dabei auf Widerstand trifft, entlarvt den Staat als totalitär� Aus der außerfiktionalen Perspektive betrachtet, suggerieren die beiden Manifeste und ihre erzählerische Präsentation, dass die Verschiebung von Werten und der Widerstand dagegen auch und vor allem öffentliche, diskursive, mediale Phänomene sind (Giesler 283—284)� Hier offenbart sich das appellative Moment des Romans: Insistiert er zum einen auf dem Potential poetischer Sprache, so schärft er zum anderen den Blick für die Gefahr missbräuchlicher Rhetorik� Eine demokratische Gesellschaft benötigt demnach eine Sensibilität nicht nur für die Inhalte, sondern auch für die sprachliche Gestaltung öffentlicher Debatten� Corpus Delicti endet jedoch keineswegs mit simplem Optimismus� Mias Weg in den persönlichen Widerstand ist untrennbar mit der privaten Tragödie und ihrem eigenen unausweichlichen Untergang verknüpft� Am Ende behält das System das letzte Wort: Mia wird begnadigt, damit sie nicht zur “Märtyrerin” (263) werden kann� Die Folgen staatlicher Maßnahmen im Zuge der Terrorismusbekämpfung für das gesellschaftliche Selbstverständnis und das Prinzip der Menschenwürde sind ein Thema, das Zeh auch in einigen Theaterstücken aufgreift, am explizitesten im 2009 in München uraufgeführten Stück Der Kaktus (2009)� 21 Die Handlung ist denkbar einfach� Der GSG 9-Beamte Jochen Dürrmann verhaftet mithilfe des Streifenpolizisten Cem in Frankfurt am Main einen mutmaßlichen Terrorver- 408 Max Graff dächtigen: einen Kaktus� Er wird in den Aufenthaltsraum eines Polizeireviers gebracht und soll verhört werden� Im Laufe des Stücks treten noch die Polizeianwärterin Susi und der BKA-Mann Dr� Schmidt auf� Das Stück trägt Züge eines grotesken Kammerspiels; gerade am Anfang wird kein Kalauer, keine Pointe, kein alberner Witz ausgelassen (20—23)� Die Figuren wirken zunächst wie recht flache Typen: Jochen ist ein überdrehter, fanatischer Macho mit großem Ego und Profilierungssucht; Cem wird als gemütlicher, inkompetenter, intellektuell arg limitierter junger Mann gezeichnet, dem nur sein Migrationshintergrund in den Polizeidienst verholfen hat; Susi erscheint als selbstbewusste Frau, die sich in einer männlich dominierten Berufswelt mit Wissen, Prinzipientreue und Idealismus durchzusetzen hofft; Schmidt schließlich ist ein jovialer älterer Beamte, exzessiv von der eigenen Wichtigkeit überzeugt, sexistisch und rassistisch, der seine eigene professionelle Deformation nicht bemerkt� Allen gemeinsam sind der vollkommene Realitätsverlust und die totale Blindheit� Niemand sieht das Offensichtliche: Der angebliche Terrorist ist ein Kaktus� Das Stück enthält zum einen Seitenhiebe auf Missstände in den deutschen Sicherheitsbehörden: die hoffnungslos veraltete technische Ausrüstung der Polizei, die Inkompetenz der Beamten, die Abhängigkeit von amerikanischen Geheimdiensten, komplizierte Kommandostrukturen und bürokratische Hürden, die effiziente Ermittlungen torpedieren, illegale Überwachungsaktionen von vermeintlichen Verdächtigen� Zum anderen aber ist Der Kaktus eine Auseinandersetzung mit einer Frage, die gerade im Kontext der Terrorismusbekämpfung virulent ist und an die Grundfesten der bundesrepublikanischen Gesellschaft rührt: der Frage nach der Schutzbedürftigkeit der Menschenwürde von Terrorverdächtigen (oder Kriminellen im Allgemeinen)� Dr� Schmidt erklärt den Grundrechtsgedanken mit bedrückender Arroganz zu romantischem Kitsch� Das Engagement für soziopolitische Themen wie Menschenrechte brandmarkt er als “bequem” ( Kaktus 46) und “dekadent” (52), er mokiert sich über den “Club der Menschenrechthaber” (49), “Verfassungshypochonder” (50) und die “totale Feminisierung der Gesellschaft” (47), die die abendländische Kultur bedrohe� Statt “[v]erantwortungsscheue[n]” und “entscheidungsschwach[en]” (47) Prinzipienreitern fordert er “Rückgrat” und “Opferbereitschaft” (46)� Mit Susi, die einwendet, man müsse “den Bürger vor dem Staat schützen, nicht den Staat vor dem Bürger” (46), sucht er angesichts des zu verhörenden Terrorkaktus die Konfrontation: Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 409 Schmidt Ja, Grundrechte, schön und gut� Zu Friedenszeiten� Aber es ist Krieg, Frau Mayer! Da werden bestimmte Rechte suspendiert! Vor allem von Kombattanten, die sich immerhin freiwillig entscheiden, uns zu bekämpfen! Susi Kombattanten? Trägt er eine Uniform? Eine feindliche Fahne? [ ] Das ist doch einfach nur irgendein Mensch! Schmidt Das ist kein Mensch� Susi Wie bitte? Was denn dann? Vielleicht ein Sukkulant? Schmidt Ein Mensch im biologischen Sinn, möglicherweise� [ ] Aber mit Sicherheit kein Mensch im rechtlichen, gesellschaftlichen, oder, wenn Sie wollen, moralischen Sinn� Susi Und was dann? Was ist er bitte dann? Schmidt Ein Unmensch� Eine Unperson� (53) Schmidt bezieht sich zunächst auf eine aus Debatten der letzten Jahre geläufige Argumentationsfigur� Im “Krieg” gegen den islamistischen Terror kann keine uneingeschränkte Rücksicht auf Werte und Normen genommen werden, die in der Theorie zwar angenehm klingen, in der Praxis, der Ausnahmesituation aber nur rechtliche und moralische Hindernisse darstellen� 22 Das größte dieser Hindernisse ist die absolute, unantastbare Menschenwürde selbst des schlimmsten Verbrechers und des brutalsten Terroristen� Die groteske Tragikomik des Dialogs funktioniert auf mehreren Ebenen� (1) Schmidts Prämisse lautet, dass einem Feind des demokratischen Wertesystems keine Menschenwürde zusteht� Er ist zwar “biologisch[]” ein Mensch, aber gleichzeitig auch kein Mensch, ein “Unmensch”� Man darf ihm also die Anerkennung seiner Menschenwürde verweigern und ihn z� B� foltern, um an Informationen zu gelangen� Dass er damit selbst das demokratische Wertesystem außer Kraft setzt, kümmert Schmidt nicht, falls er es überhaupt bemerkt� (2) Nun stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage jemand zum feindlichen “Kombattanten” ohne Menschenwürde erklärt wird� Schmidt beantwortet dies selbst: “Geheimdiensterkenntnisse, [ ] die so heißen, weil sie geheim sind” (53)� Diese Tautologie, aber auch die Tatsache, dass Geheimdienstinformationen, die Auswertung von “Datenspur[en]” (39) und Überwachungsmaßnahmen dazu geführt haben, dass ein Kaktus zum Terroristen erklärt wird, delegitimieren sowohl Schmidts Argument als auch die Überwachungspraxis an sich� (3) Es ist die besondere, groteske Pointe des Stücks, dass der Verdächtige, der als Mensch ohne Anrecht auf Menschenwürde angesehen wird, tatsächlich kein Mensch ist, sondern ein Kaktus-- und dass dies niemand zu bemerken scheint� Die Kritik 410 Max Graff an der Tendenz, den Menschenwürdegrundsatz auszuhöhlen, indem bestimmte Menschen nicht als würdig betrachtet werden, wird dadurch potenziert, dass im Stück derjenige, der nicht mehr als Mensch betrachtet wird, nie ein Mensch war� Das ist keineswegs nur ästhetische Spielerei oder komischer Effekt� Die Entmenschlichung, die das Absprechen von Würde bedeutet, wird so sinn- und (in der dramatischen Inszenierung) augenfällig� Gleichzeitig geißelt dies behördliche Ermittlungen, die von der Illusion leben, Überwachung sowie Datenspeicherung und -auswertung seien effektive, quasi unfehlbare Instrumente, als komplett irrsinnig und bar jeden Augenmaßes, jeder Reflexion und jeder Selbstkritik� (4) Geradezu zynisch ist schließlich Schmidts Kommentar, “Leute wie de[n] da” als gleichwertige, würdige Menschen anzuerkennen, also “unsere westlichen, gottlosen Grundrechte auf ihn anzuwenden”, zeuge von mangelndem “Respekt vor anderen Kulturen” (53)� Spätestens nach diesem Dialog hat sich das Lachen des Stückanfangs verflüchtigt� In der darauffolgenden Szene versucht Schmidt, Susis Widerstand zu überwinden� In Anspielung auf die NS-Ideologie, die Millionen Menschen zu würdelosen Nicht-Menschen herabsetzte (“Nie wieder! Wehret den Anfängen! [ ]” 53), hatte sie lautstark protestiert� In “dramatische[r] Pose” entwirft Schmidt nun das Schreckensszenario eines drohenden terroristischen Bombenanschlags auf den Frankfurter Flughafen� Er stilisiert sich zum “tragische[n] Held[en] einer Tragödie”; sein “Dilemma” (55) bestehe darin, dass er tausende Todesopfer nur verhindern kann, indem er den Verdächtigten foltert, um an Informationen zu kommen� Die Szene dramatisiert eine paradigmatische Situation, die sowohl in der rechtswissenschaftlichen Fachliteratur als auch im publizistischen Diskurs kontrovers diskutiert wurde und wird: Sie zielt auf die Frage nach einer möglichen Einschränkung des Folterverbots sowie, allgemeiner, auf die Frage nach der (Un-)Abwägbarkeit der Menschenwürde� 23 Zeh selbst hat dieses Problem in einem Essay mit dem Titel “Folterjuristen” (2008) thematisiert ( Nachts 69—74)� 24 Es läuft auf die Frage hinaus: Darf ein Menschenleben gegen andere abgewogen werden? Muss in Ausnahmefällen eine Einschränkung des absoluten Menschenwürdeschutzes erlaubt sein? Verspielt ein Verbrecher, ein Terrorist sein Anrecht auf Achtung seiner Menschenwürde? Schmidt erklärt sich, voller Pathos, bereit, für die “Landesverteidigung” ein “Opfer” zu bringen, indem er grundrechtswidrig foltert ( Kaktus 57)� An dieser Stelle passiert etwas Bemerkenswertes: Die Figur durchbricht die dramatische Illusion und die innerliterarische Kommunikationssituation und wendet sich direkt ans Publikum: Es hebe derjenige die Hand, der dreitausend Unschuldige in den Tod schicken will� Es hebe die Hand, wer die Würde eines Unmenschen höher schätzt als das Lebensrecht Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 411 unzähliger Mitbürger� Es hebe die Hand, wer einen Massenmord auf sich nehmen kann! Wartet � Meine Damen und Herren, ich weiß ihr Schweigen zu schätzen� (58) Ganz direkt wird der Rezipient aufgefordert, sich in die Lage des die Folter Erwägenden zu versetzen und für sich zu entscheiden, die umrissene Situation also nicht nur als ästhetisches Spiel, sondern als dringliches praktisches Problem in der außerliterarischen Wirklichkeit zu begreifen� Gleichzeitig betont die eklatante Illusionsdurchbrechung das ästhetische Moment, die Tatsache, dass auf der Bühne eben die Regeln der Literatur gelten-- und dass diese reklamiert, die Frage nach der Menschenwürde mit ihren eigenen Mitteln zu verhandeln� Parallel zur Verschärfung der konkreten Entscheidungssituation-- Folter oder nicht, absolute oder abwägbare Menschenwürde- - untergräbt das Stück die Ernsthaftigkeit der Szenarios� Während Schmidt detailreich die Bombenexplosionen imaginiert, um seiner Argumentation Nachdruck zu verleihen, fühlt sich der Polizist Cem an Hollywood-Blockbuster mit “krasse[n] Effekte[n]” (55) erinnert� Weniger die verfassungsrechtliche Frage nach der Legitimität der Folter oder dem Status der Menschenwürde interessiert ihn, als vielmehr die seinem massenmedialen Konsumverhalten entsprechenden Bilder� Schmidt echauffiert sich; man rede “nicht über einen Hollywoodfilm”� Cems Entgegnung ist vielsagend: “Klang aber so” (59)� Der Kaktus insinuiert, dass die Angst vor dem Terror und der Erfolg des Terrors zumindest teilweise mediale , von einem gewissen Maß an Hysterie und Übertreibung begleitete Phänomene sind� 25 Zudem wächst die von Schmidt angenommene Opferzahl beständig an; aus “dreitausend” werden “fünftausend”, dann “achttausend”, “fünfzehntausend”, schließlich “25�000” Tote (58, 62, 65, 66)� Die Figuren entscheiden schließlich, den Kaktus zu foltern-- “zivilisiert”, wie Susi fordert (59)� “[W] ie ein eingespieltes Team ” bauen sie in kürzester Zeit ein improvisiertes Folterwerkzeug zusammen, um den Kaktus mit Stromschlägen zu traktieren, als hätte nur die prekäre Barriere des Menschenwürdegrundsatzes sie daran gehindert, vorhandenes Wissen zu aktivieren und einstudierte Abläufe einzuleiten� Als der Kaktus “ dampft, stinkt und schweigt ” (61), eskaliert die Situation: Ausgerechnet Susi schlägt in einem Ausbruch blinder Gewalt auf den Kaktus ein� Die Lage beruhigt sich; die Figuren versuchen, sich über das Geschehene klar zu werden� Schmidt wartet noch einmal mit einem vielsagenden Kalauer auf� Den gefolterten, stacheligen Kaktus, der sich “nicht anfassen” lässt, nennt er einen “Unberührbare[n]” (63)� Als Paria steht der gefolterte Terrorverdächtige tatsächlich außerhalb des Rechtssystems; für ihn gelten weder der Menschenwürdegrundsatz noch die Menschenrechte- - wie für Juden im Dritten Reich� Diese Assoziation scheint die Figur Susi herzustellen� Ihr Gewaltexzess hat sie in eine Sinnkrise gestürzt: “Ich wollte doch Demokrat sein� Was 412 Max Graff soll man denn sonst sein in diesem Scheißland? ” (63)� Das Einzige, worauf sich Susi als Repräsentantin der Post-68er mit Stolz berufen kann, sind die demokratischen Grundwerte, für die das bundesrepublikanische Grundgesetz mit seiner dezidierten und programmatischen Wendung gegen Totalitarismus und Völkermord steht� Der Angriff auf die Menschenwürde, den obersten Wert des Grundgesetzes-- den sie selbst unterstützt und aktiv befördert hat--, stellt deshalb ihre gesamte Identität in Frage (63—64)� Schmidt versucht nun, die anderen Figuren zu einer Abstimmung über die Weiterführung des ʻVerhörsʼ zu bewegen� Nach einigen Scharmützeln verkündet Jochen einen bemerkenswerten Sinneswandel� Einigermaßen larmoyant erzählt er von seiner behüteten Kindheit, von seinem Leben ohne wirkliche Not und seinem Entschluss, zur Polizei zu gehen: “Ich wollte anderen Menschen ersparen, was man mir angetan hatte: Toleranz, Einfühlungsvermögen, therapeutische Gespräche, mildernde Umstände” (68)� Obwohl er seine Berufswahl nicht als Bekenntnis zu einer bestimmten Werteordnung verstand, sondern als straflose Möglichkeit, ebendiese Werteordnung zu strapazieren, hat er nun plötzlich ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass die Folter eine fundamentale Grenzüberschreitung darstellt� Was ihn zu dieser Einsicht bewog-- eine weitere groteske Pointe--, war jedoch nicht der Wunsch, für demokratische Werte oder unveräußerliche Menschenrechte einzustehen, sondern eine Art Trivialisierung des christlichen Glaubens und Star-Wars-Weisheiten� Als dem Kaktus der “Arm gebrochen” und das “Gesicht zermatscht” wurde, so Jochen, sah er “ihn”- - zur Erläuterung “ breitet [er] die Arme aus und spielt Christus am Kreuz ”� Er kommentiert: “Das macht alles höllisch kompliziert! ” Unmittelbar darauf erinnert er sich des “letzten Rat[s]” seines Vaters, eines “Star-Wars-Fan[s]”; dieser lautet im Stil und der eigenwilligen Grammatik des Jedi-Meisters Yoda: “Niemals zu jenem er werde, den er bekämpft” (68)� Nicht ohne Pathos artikuliert Jochen seinen Gedankengang in entscheidungsmonologartigen Reden: Werde niemals zu dem, den du bekämpfst! Dad hatte recht! Die größte Gefahr eines Kampfes besteht darin, sich in den eigenen Gegner zu verwandeln! Ermannt sich. Aber das darf nicht sein! Wenn Dr� Schmidt sagt, dass wir Opfer bringen müssen, kann das nur heißen: zu den eigenen Überzeugungen stehen! [ ] Das lehren Bibel und Hollywood in den großen Abschlussreden ihrer Helden� Und wir sollten ihnen glauben� Also sage ich euch: Ich bin überzeugt, dass man einen anderen nicht unter Strom setzen, ihm nicht das Gesicht zermatschen oder die Arme brechen darf� Das habe ich von Mom und Dad gelernt [ ]: Sie hatten verdammt noch mal recht� (69) Was Jochen vorträgt, sind inhaltlich starke Argumente: Den Angriff auf die demokratische Gesellschaftsordnung und ihre Werte mit einer Aushöhlung, gar Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 413 dem Außerkraftsetzen derselben zu beantworten, wäre fatal� Im Angesicht des Terrorismus muss Verteidigung immer auch Verteidigung der eigenen Prinzipien und Normen sein-- und also auch des absoluten Menschenwürdegrundsatzes, selbst wenn dies schmerzhafte, unpopuläre und schwierige Entscheidungen nach sich zieht� Wie die Figur diese Ansicht aber formuliert, ist bezeichnend: weder als Bekenntnis zu einer bestimmten Rechtsordnung noch zu einem bestimmten moralischen Wert, sondern in vorgeprägten, gleichsam medial vermittelten Mustern: zum einen als diffuse, womöglich im Unterbewussten verankerte, religiös gefärbte Intuition, zum anderen als in Sprache und Ästhetik der Unterhaltungsindustrie konzeptualisierte Sentenz� Die Menschenwürde wird in Der Kaktus zwar verletzt, ihre Gültigkeit schließlich aber doch affirmiert� Die Art und Weise, in der dies geschieht, entpuppt sich jedoch als zutiefst ambivalentes Symptom zeitgenössischer Mentalität und Kultur, und das in dreifacher Hinsicht� Dem Begriff der Menschenwürde, der doch in öffentlichen Diskursen so häufig aufgegriffen wird und eine beeindruckende rhetorische Potenz besitzt, fehlt in der konkreten Situation, im praktischen Handeln jene affektive und konzeptuelle Evidenz und Unmittelbarkeit, die er vor dem Hintergrund der NS-Gräuel und der Kriegserfahrung in der Bundesrepublik der unmittelbaren Nachkriegszeit besaß (Kilian 322)� Offenbar kommt die Menschenwürde, das suggeriert Jochens Rede, in der allgemeinen Wahrnehmung nicht vollkommen ohne metaphysischen Bezug aus, der doch in einer säkularen Gesellschaft eigentlich unangebracht ist (Wetz 115—24; Isensee 178—79)� Zweitens könnte man die Passage als scharfe Kritik am intellektuellen und moralischen Zustand einer Gesellschaft deuten, deren Reflexions- und Empathiefähigkeit dermaßen abgestumpft ist, dass sie für die Entscheidung von moralischen Grundfragen nicht mehr auf den vernünftigen Diskurs, sondern auf die massentaugliche Verpackung und Trivialisierung, ja die Banalisierung des Problems angewiesen ist� Oder aber man liest drittens den Text als Ganzes und die besprochene Szene im Besonderen als Kommentar zum Menschenwürdebegriff an sich, der nicht zuletzt aufgrund seiner Unschärfe und seiner Abstraktheit auf Konkretisierung und Veranschaulichung, und sei es durch Vergleiche mit Hollywood-Filmen, angewiesen ist, wenn er seine fundamentale Bedeutung in einer immer stärker medialisierten und immer weniger historisch und theoretisch sensibilisierten Gesellschaft behalten soll� Wie dem auch sei, nach Jochens Ausführungen sind alle Figuren von der Unrechtmäßigkeit der Folter (und somit implizit von der absoluten Gültigkeit der Menschenwürde) überzeugt� Wie in einem weinerlichen Lustspiel fließen bei allen die Tränen� Ein hoffnungsvolles Ende also? Keineswegs� Denn die letzte Szene des Stücks erscheint als dystopischer Twist: “Die Zukunft kommt” ( Kaktus 70) in Gestalt von vier namenlosen, bewaffneten Uniformierten, die 414 Max Graff “ martialisch, futuristisch ” durch die Decke eindringen, den Kaktus entführen und alle Figuren niederschießen� “[M]it letzter Kraft” will Schmidt wissen, wer die Unbekannten sind: Eins Das System� Zwei Das 21� Jahrhundert� Drei Die Geister, die ihr rieft� Vier Diese Einheit zerstört sich in zwei Minuten von selbst� [ ] Schmidt Davon haben wir nichts gewusst� Stirbt � (72) So endet das Stück� Ist die Katastrophe demnach unabwendbar, weil die verheerenden Entwicklungen, die unweigerlich in einen unerbittlichen Überwachungsstaat, ein “System” der Repression münden, wie es Corpus Delicti skizziert, längst nicht mehr aufzuhalten sind? Ist die Menschenwürde überhaupt noch zu retten? Schmidts letzte Worte spielen erneut auf den Holocaust an, und auf die leitmotivische Rechtfertigungsfigur der Nachkriegsdeutschen� Effektvoll platziert, werden sie zu einer verstörenden Warnung, nicht noch einmal blind für staatliche Angriffe auf die Menschenwürde zu sein, ʻden Anfängen zu wehrenʼ, wie es Susi ausgedrückt hatte, um nicht in Zukunft von den gerufenen “Geister[n]” heimgesucht zu werden� In dieser Lesart ist das satirisch überspitzte, polemische Ende eine eindeutige Positionierung: Fällt die absolute Menschenwürdegarantie, dann fällt der demokratische Rechtsstaat� Doch Zeh lässt auch hier Platz für Zwischentöne� Zu Beginn der Szene schlägt Jochen vor: “Wir könnten zum Flughafen fahren und mit den anderen Unschuldigen für unsere Überzeugungen sterben” (70)� Als die Unbekannten den Kaktus angreifen, ruft er aus: “Wir regeln das demokratisch! ”, und Susi ergänzt: “Wir gehen bis nach Karlsruhe! ” (71)� Unüberhörbar wird das Bekenntnis zu Grundgesetz und Menschenwürde ironisiert, ja ridikulisiert� Sind sie angesichts von Bedrohung und Gewalt doch nur naive Ideale? Zehs Gesamtwerk legt nahe, dass dies nicht das letzte Wort ist� Durch die Integration solcher Gegenpositionen ist Der Kaktus eher ein nachdrücklicher Reflexionsanstoß als ein dogmatisches Thesendrama (vgl� Wagner 135—136)� Tatsächlich ist keine einzige Figur uneingeschränkt positiv gezeichnet; keine Figur lädt zur unmittelbaren und vollständigen Identifikation ein, genauso wenig wie eine Figur durch vollkommene Irrationalität oder Lächerlichkeit a priori demontiert wird� Das Stück inszeniert und reflektiert vielmehr eine Debatte, Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 415 einen aktuellen, anhaltenden Diskurs, freilich mit klarer Warnung vor einem bestimmten Ergebnis� Die publizistische Textsorte Essay nutzt Zeh, um direkte politische Aussagen zu treffen, sich ostentativ in Diskurse einzumischen und explizit Kritik, Thesen und Einsprüche zu formulieren� Auch das Theater versteht sie als dezidiert politische Kommunikationsform, die gegenwartsbezogene Reflexion in literarischer Form artikuliert (vgl� Giesler 284—85; Wagner 112—20)� Ihre Romane sieht sie dieser Art des politischen Wirkens entzogen- - mit einer Ausnahme: Corpus Delicti (vgl� Treideln 133)� Ausdrücklich bezeichnet sie den Text als “ganz altmodisches, aufklärerisches Unterfangen” und bekennt sich zum “erhobenen Zeigefinger”, zur “Kanzel”, zum “Essayistischen, Diskurshaften, Thesenhaften” (“Ich weiß, dass ich permanent über Moral schreibe” 58)� 26 Insofern Zeh die gefährdete Menschenwürde in unterschiedlichen Gattungen und Kontexten mit potentiell unterschiedlichen Rezipientenkreisen aufgreift und behandelt, handelt sie “in einem klassisch aufklärerischen Sinne”, mit dem Ziel, “durch ihren Anstoß andere zum eigenen kritischen Hinterfragen zu bewegen” (Wagner 134)� Sind Roman und Theaterstück also bloße Fiktionalisierungen von in den Essays entfalteten Thesen? Eine solche Bewertung vernachlässigt das spezifische Potential der Literatur� Sie ist nicht auf Eindeutigkeit und explizite Argumentation angewiesen, sondern bietet immer mehr als eine pointierte These, vertraut also auf das, was über die reine Belehrung hinausgeht (vgl� Zeh, Treideln 130—35)� Der Roman und das Stück erscheinen aus dieser Perspektive eher als Problemaufrisse, die das Thema als ein zu verhandelndes umreißen und dem Rezipienten darbieten, freilich jedoch auch hier mit impliziter Positionierung� Genau dies macht aber ihre appellative Potenz aus, ihr Vermögen, zu eigener Meinungsbildung, Information, Reflexion und Wachsamkeit aufzufordern und den Rezipienten für die Gefahren einer Aushöhlung des Menschenwürdeprinzips zu sensibilisieren� Notes 1 Dieser Beitrag entstand im Rahmen meines Dissertationsprojekts Literarische Dimensionen der Menschenwürde. Exemplarische Analysen zur Bedeutung des Menschenwürdebegriffs für die deutschsprachige Literatur seit der Frühaufklärung (Tübingen: A� Francke 2017)� Das Projekt wurde unterstützt durch den Fonds National de Recherche Luxembourg� 2 Zur Kodifizierung der Menschenwürde in nationalen Verfassungen und internationalen Verträgen vgl� Tiedemann 13—32� 3 Zu Zeh als politischer Autorin und “moralischer Instanz” vgl� Wagner� 416 Max Graff 4 Zu Zehs Differenzierung zwischen “künstlerischer” und “nicht-künstlerischer” Literatur vgl� Zeh, “Ich weiß, dass ich permanent über Moral schreibe” sowie Zehs Tübinger Poetikvorlesungen (Zeh und Oswald)� Zu Zehs “poetologische[m] Selbstentwurf” vgl� Wagner 101—24� Herminghouse beschreibt Zeh als “public intellectual”� 5 Im Zentrum der Ausführungen stehen folgende Essays: “Kostenkontrolle oder Menschenwürde? ” (2008; Nachts 65—68), “Schweinebedingungen” (2009; 126—32), “Selbst, selbst, selbst” (2012; 205—10) sowie “Digitaler Zwilling” (2013; 233—38) und “Wo bleibt der digitale Code Civil? ” (2014; 256—65)� 2008 reichte Zeh mit dem Rechtsanwalt Frank Selbmann beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen den biometrischen Reisepass ein, mit Verweis auf dessen Unvereinbarkeit mit dem Menschenwürdegrundsatz und den in der Verfassung garantierten Grundrechten� Vgl� dazu etwa Wagner 99—100� 6 Zur Menschenwürde bei Kant vgl� etwa Hruschka; von der Pfordten; Tiedemann 61—64; Schaber 39—47; Sensen; Rothhaar 145—206� 7 Die NS-Assoziation durch das Schlagwort “Selektion” weckt Zeh auch in “Selbst, selbst, selbst”: “Der messbare Mensch ist der vergleichbare und damit selektionsfähige Mensch” ( Nachts 207—08)� Sonja Klocke betont in ihrer Interpretation von Corpus Delicti ebenfalls den Zusammenhang von Krankheit und Schuld (187—91)� Zum Zusammenhang von Körperlichkeit und normativen Körperbildern vgl� weiterhin Smith-Prei 115� 8 Zudem stellt Zeh geschlechtsspezifische Ausprägungen des Schönheits- und Perfektionierungswahns fest: “Während junge Mädchen meinen, durch maximale Askese einem idealisierten Selbstbild näherzukommen, glauben die überwiegend männlichen Selbstvermesser, mit dem Einsatz von Technik eine perfektionierte Version ihrer selbst verwirklichen zu können” ( Nachts 206)� 9 Vgl� Nachts 206: “Letztendlich wirkt darin die religiöse Vorstellung fort, der Weg zur Freiheit des Geistes führe über die Kasteiung des Fleisches�” 10 Zu Recht stellt Zeh ungläubig fest, dass die Enthüllungen um die Überwachungspraktiken des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes NSA im Bundestagswahlkampf 2013 nur eine untergeordnete Rolle spielten ( Nachts 233)� 11 In Angriff auf die Freiheit warnen Zeh und Trojanow vor einem “Umbau des Rechtsstaats in einen Präventivstaat” (82)� 12 Die Charta ist online zugänglich: www�digitalcharta�eu (6� März 2017)� Vgl� weiterhin Zehs öffentlichkeitswirksame Appelle an Bundeskanzlerin Angela Merkel in der FAZ vom 26� Juli 2013 sowie in Die Zeit 21/ 2014 (letzterer mit dem Titel “Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 15� Mai 2014” in: Nachts 272—79) und den von ihr mitunterzeichneten Auf- Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 417 ruf gegen Massenüberwachung von 560 Schriftstellern in der FAZ vom 10� Dezember 2013 (“Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter”)� Den Zusammenhang von Privatsphäre und Menschenwürde thematisiert Zeh auch in ihrer Rede zur Verleihung des Hildegard-von-Bingen-Preises für Publizistik, abgedruckt in der FAZ vom 23� Oktober 2015 unter dem Titel “Ich bin, was ich verberge”� 13 Corpus Delicti entstand als dramatischer Text für die Ruhrtriennale 2007; danach erschien der Text in überarbeiteter Form als Roman sowie als “Schallnovelle”� Zu diesem Medienwechsel vgl� Weitin 71; Schmidt; Giesler� Zur Rezeption vgl� Wagner 81—85� Zum Roman im Kontext der dystopischen Tradition vgl� Seidel 193—94; Müller-Dietz 93—95; Geisenhanslüke 223— 26; Giesler� Die Forschung hebt Parallelen zu Huxleys Brave New World , Orwells 1984 , Bradburys Fahrenheit 451 , Sophoklesʼ Antigone , Miller’s The Crucible , zu Stanisław Lem und Brechts epischem Theater hervor und nennt als philosophische Bezugspunkte Hobbes, Foucault, Agamben und Marcuse� Dass sich auch eine Auseinandersetzung mit Zehs früheren Romanen im Hinblick auf den Menschenwürdebegriff lohnen dürfte, suggeriert bereits der Beginn von Spieltrieb (2004): “Dieser Fall sollte es bis nach Karlsruhe schaffen� Er enthält die Aufforderung, das Versagen des Rechts offiziell zur Kenntnis zu nehmen, weil die Würde des Menschen es verlangt” (10)� 14 Zur Namensgleichheit mit dem Autor des Hexenhammers (lat� Malleus Maleficarum , 1486) und zu den Anspielungen auf frühneuzeitliche Hexenjagden vgl� Smith-Prei 110; McCalmont und Maierhofer 386—87; Giesler 288—90; Klocke 192—98� 15 Zur unverkennbaren Anspielung auf die linksextremistische Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) vgl� McCalmont und Maierhofer 381—82� 16 Zum Suizid als paradigmatischem Motiv des literarischen Menschenwürdediskurses vgl� Tebben� 17 Vgl� die vier Fragen Kants in seiner Logik : “1) Was kann ich wissen? 2) Was soll ich tun? 3) Was darf ich hoffen? 4) Was ist der Mensch? ” 18 Zur Menschenwürde bei Kant vgl� die in Anm� 6 angegebene Literatur� 19 Vgl� etwa Weitin 70; Schmidt 266� In Mias Bücherregal steht, neben anderen, “Agamben” ( Corpus 128)� 20 Vgl� z� B� Corpus 177: “In persönlichen Belangen ist der Mensch auf ausgesprochen simple Abläufe programmiert� Liebe, Hass, Angst, Zufriedenheit, Vertrauen…” (Kramer); 204: “Ist es nicht interessant, dass der Mensch stets dazu neigt, Schwäche mit Unschuld gleichzusetzen? ” (Kramer); 215: “Der Mensch ist verletzlich [ ]� Der Mensch trinkt, atmet, fasst Dinge an und schiebt Nahrungsmittel in den Mund” (Richter Hutschneider); 225: “Es gibt Menschen, [ ] die sich weder zu Helden noch zu Verbrechern eignen” (Rosen- 418 Max Graff treter); 228: “Jeder Mensch hat eine Schmerzgrenze” (Rosentreter); 229: “An nichts gewöhnt sich der Mensch schneller als an Gewalt” (Erzähler/ Mia)� 21 Die Stücke 203 (2011) und Yellow Line (2012, mit Charlotte Roos) greifen ähnliche Motive auf� Zu Zehs Theaterstücken vgl� Wagner 87—92� 22 Vgl� Kaktus 44—45: Schmidt wirft Susi vor, die “Theorie der Polizeiarbeit verinnerlicht” zu haben� Dass der Kaktus angeblich “große Mengen hochexplosiver Düngemittel bestellt” habe, wisse man “[d]urch Online-Überwachung”, deren Legalität Susi mit “Geht so” bewertet� Trotzdem werde sie seit Jahren praktiziert, weil, wie Susi eruiert, “wir sonst keine Chance hätten gegen den Terrorismus”� Schmidt triumphiert: “Genau! Sie haben das Prinzip verstanden� Ihnen fehlt nur noch ein bisschen praktische Erfahrung�” 23 Die Neubearbeitung des Grundgesetzkommentars von Matthias Herdegen entfachte im Jahr 2003 eine öffentlich und in Fachkreisen geführte Kontroverse� Herdegen in Bezug auf Art� 1, Abs� 1 GG die Absolutheit des Menschenwürdegrundsatzes relativiert und zwischen Kern- und Schutzbereich der Menschenwürde unterschiedt� Vgl� Isensee 198—99; Lembcke, “Über die doppelte Normativität” 254—57; Baer 575 (mit Literaturangaben in Anm� 23 und 24)� Zur (Un-)Abwägbarkeit der Menschenwürde vgl� Birnbacher, “Menschenwürde-- abwägbar oder unabwägbar? ”; Teifke; Gröschner und Lembcke� Zur Bedeutung des Themas Folter für den Menschenwürdediskurs vgl� mit Literaturangaben Beestermöller, “Folterverbot”� 24 Auch hier diskutiert Zeh den von Juristen imaginierten Fall eines terroristischen Angriffs mithilfe eines Flugzeugs� Im Essay “Fest hinter Gittern” (2009, zusammen mit Rainer Stadler; in: Nachts 115—25) kommentiert Zeh den Fall eines in Marokko geborenen muslimischen Informatikstudenten, der aufgrund dürftiger Indizien vom Verfassungsschutz observiert und sogar präventiv inhaftiert wurde� 25 Vgl� den von den Regieanweisungen vorgeschriebenen ʻdramatischenʼ Vortrag durch die Figur Schmidt (“ Wischt sich den Schweiß ab ”; “ Pause. Dann fast flüsternd ”; “ Ringt nach Worten, dann ein Ausbruch ”; Kaktus 56)� Zudem imaginiert er den Anschlag tatsächlich bereits massenmedial vermittelt, als von einem Nachrichtensprecher im Fernsehen beschrieben� Er selbst “hält” zudem “ ein imaginäres Mikrophon ” in der Hand (56)� Zweimal benutzt er die Apostrophe “meine Damen und Herren” (55; 56), die sich sowohl auf die Bühnenfiguren, die imaginierten Fernsehzuschauer als auch auf das Publikum beziehen könnte-- eine bewusste Grenzverwischung� 26 Dies mag auch daran liegen, dass Corpus Delicti ursprünglich als Theatertext verfasst wurde� Zeh vergleicht die Intention des Textes mit jener des Pamphlets Angriff auf die Freiheit (“Ich weiß, dass ich permanent über Moral schreibe” 58)� Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 419 Works Cited Baer, Susanne� “Menschenwürde zwischen Recht, Prinzip und Referenz� Die Bedeutung von Enttabuisierungen�” Deutsche Zeitschrift für Philosophie 53�4 (2005): 571—88� Bartram, Claus R�, Dieter Dölling, and Klaus Tanner, eds� Der (un)durchsichtige Mensch. Wie weit reicht der Blick in die Person? Heidelberg: Winter, 2012� Beestermöller, Gerhard� “Folterverbot�” Wörterbuch der Würde � Eds� Rolf Gröschner, Antje Kapust, and Oliver W� Lembcke� München / Paderborn: Fink, 2013� 331—33� Birnbacher, Dieter� “Annäherungen an das Instrumentalisierungsverbot�” Menschenwürde. Begründung, Konturen, Geschichte � Eds� Gerd Brudermüller and Kurt Seelmann� Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008� 9—24� — “Menschenwürde-- abwägbar oder unabwägbar? ” Biomedizin und Menschenwürde � Ed� Matthias Kettner� Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 2004� 249—71� Bölsche, Wilhelm� Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie. Prolegomena einer realistischen Ästhetik. Ed� Johannes J� Braakenburg� München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1976� “Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union�” December 2016� digitalcharta�eu/ � 6 February 2017� Degner, Uta� “Mythendekonstruktion�” Jelinek—Handbuch � Ed� Pia Janke� Stuttgart / Weimar: Metzler, 2013� 41—46� Dotzler, Bernhard J�, Peter Gendolla, and Jörgen Schäfer� MaschinenMenschen. Eine Bibliographie. Frankfurt/ M�: Lang, 1992� Geisenhanslüke, Achim: “Die verlorene Ehre der Mia Holl� Juli Zehs Corpus Delicti �” Technik in Dystopien � Ed� Viviana Chilese� Heidelberg: Winter, 2013� 223—32� Giesler, Birte� “ʻDas Mittelalter ist keine Epoche� ʻMittelalterʼ ist der Name der menschlichen Natur�ʼ Zeitgenössisches Drama als rückwärts gekehrte Dystopie in Juli Zehs Corpus Delicti �” Gegenwart, Literatur, Geschichte. Zur Literatur nach 1945 � Eds� Wolfgang Braungart and Lothar van Laak� Heidelberg: Winter, 2013� 265—93� Gröschner, Rolf and Oliver W� Lembcke, eds� Das Dogma der Unantastbarkeit. Eine Auseinandersetzung mit dem Absolutheitsanspruch der Würde. Tübingen: Mohr Siebeck, 2009� Gröschner� Rolf, Stephan Kirste, and Oliver W� Lembcke, eds� Des Menschen Würde entdeckt und erfunden im Humanismus der italienischen Renaissance � Tübingen: Mohr Siebeck, 2008� Herminghouse, Patricia� “The Young Author as Public Intellectual�” German Literature in a New Century. Trends, Traditions, Transitions, Transformations. Eds� Katharina Gerstenberger and Patricia Hermminghouse� New York / Oxford: Berghahn, 2008� 268—84� Hruschka, Joachim� “Die Würde des Menschen bei Kant�” Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 88 (2002): 463—80� Isensee, Josef� “Menschenwürde: die säkulare Gesellschaft auf der Suche nach dem Absoluten�” Archiv des öffentlichen Rechts 131 (2006): 173—218� 420 Max Graff Jelinek, Elfriede� “Die endlose Unschuldigkeit�” Trivialmythen � Ed� Renate Matthaei� Frankfurt/ Main: März, 1970� 40—66� Kant, Immanuel� “Die Metaphysik der Sitten�” Kant’s [sic] gesammelte Schriften � Ed� Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften� Vol� 6� Berlin: Reimer, 1914� Kant, Immanuel� “Logik�” Kant’s gesammelte Schriften � Ed� Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften� Vol� 9� Berlin / Leipzig: De Gruyter, 1923� Klocke, Sonja E� “ʻDas Mittelalter ist keine Epoche� Mittelalter ist der Name der menschlichen Natur�ʼ- Aufstörung, Verstörung und Entstörung in Juli Zehs Corpus Delicti �” Das “Prinzip Störung” in den Geistes- und Sozialwissenschaften � Eds� Carsten Gansel and Norman Ächtler� Berlin et al�: De Gruyter, 2013� 185—201� Kilian, Jörg� Demokratische Sprache zwischen Tradition und Neuanfang. Am Beispiel des Grundrechte-Diskurses 1948/ 49. Tübingen: Niemeyer, 1997� Košenina, Alexander� Literarische Anthropologie. Die Neuentdeckung des Menschen � Berlin: Akademie-Verlag, 2008� Lembcke, Oliver W� “Giovanni Pico della Mirandola�” Wörterbuch der Würde � Eds� Rolf Gröschner, Antje Kapust, and Oliver W� Lembcke� München / Paderborn: Fink, 2013� 31—32� —� “Über die doppelte Normativität der Menschenwürde�” Das Dogma der Unantastbarkeit. Eine Auseinandersetzung mit dem Absolutheitsanspruch der Würde � Eds� Rolf Gröschner and Oliver W� Lembcke� Tübingen: Mohr Siebeck, 2009� 235—268� Lücke, Bärbel� Elfriede Jelinek. Eine Einführung in das Werk � Paderborn: Fink, 2008� Marinetti, F� T� “Der multiplizierte Mensch und das Reich der Maschine�” Futurismus. Geschichte, Ästhetik, Dokumente � Ed� Hansgeorg Schmidt-Bergmann� Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1993� 107—10� McCalmont, Virginia and Waltraud Maierhofer� “Juli Zehʼs Corpus Delicti (2009): Health Care, Terrorists, and the Return of the Political Message�” Monatshefte 104�3 (2012): 375—92� Müller-Dietz, Heinz� “Zur negativen Utopie von Recht und Staat-- am Beispiel des Romans Corpus Delicti von Juli Zeh�” Juristenzeitung 2 (2011): 85—95� Rothhaar, Markus� Die Menschenwürde als Prinzip des Rechts. Eine rechtsphilosophische Rekonstruktion � Tübingen: Mohr Siebeck, 2015� Schaber, Peter� Menschenwürde � Stuttgart: Reclam, 2012� Schiller, Friedrich� Schillers Werke � Nationalausgabe� 43 vols� Eds� Julius Petersen et al� Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1943 ff�� Schings, Hans-Jürgen, ed� Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. DFG-Symposion 1992 � Stuttgart / Weimar: Metzler, 1994� Schmidt, Christopher� “Die Erfindung der Realität� Über Juli Zehs Erstlingsstück Corpus delicti �” Sprache im technischen Zeitalter 187 (2008): 263—69� Seidel, Gabi� “Protokoll des Lebens: Das totale (Körper-)Gedächtnis in Juli Zehs Corpus Delicti �” Der andere Blick der Literatur. Perspektiven auf die literarische Wahrnehmung der Wirklichkeit � Eds� Andrea Bartl and Nils Ebert� Würzburg: Königshausen & Neumann, 2014� 193—213� Sensen, Oliver� Kant on Human Dignity. Berlin et al�: De Gruyter, 2011� Menschenwürde im digitalen Zeitalter: Körper, Datenschutz und Menschenbild bei Juli Zeh 421 Smith-Prei, Carrie� “Relevant Utopian Realism: The Critical Corporeality of Juli Zehʼs Corpus Delicti �” Seminar 48�1 (2012): 107—123� Tebben, Karin� “Suizid in der Neueren deutschen Literatur�” Handbuch Sterben und Menschenwürde � Eds� Michael Anderheiden and Wolfgang U� Eckart� Vol� 3� Berlin et al�: De Gruyter, 2012� 1833—44� Teifke, Nils� Das Prinzip Menschenwürde. Zur Abwägungsfähigkeit des Höchstrangigen � Tübingen: Mohr Siebeck, 2011� Tiedemann, Paul� Was ist Menschenwürde? Eine Einführung � Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006� von der Pfordten, Dietmar� “Zur Würde des Menschen bei Kant�” Menschenwürde, Recht und Staat bei Kant � Paderborn: mentis, 2009� 9—26� von Schirach, Ferdinand� Terror. Ein Theaterstück und eine Rede � München et al�: Piper, 2015� Wagner, Sabrina� Aufklärer der Gegenwart. Politische Autorschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts-- Juli Zeh, Ilija Trojanow, Uwe Tellkamp � Göttingen: Wallstein 2015� Wetz, Franz Josef� Illusion Menschenwürde. Aufstieg und Fall eines Grundwerts � Stuttgart: Klett-Cotta, 2005� Weitin, Thomas� “Ermittlung der Gegenwart: Theorie und Praxis unsouveränen Erzählens bei Juli Zeh�” Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 165 (2012): 67—86� Wittig, Frank� Maschinenmenschen. Zur Geschichte eines literarischen Motivs im Kontext von Philosophie, Naturwissenschaft und Technik � Würzburg: Königshausen & Neumann, 1997� Zeh, Juli� Corpus Delicti. Ein Prozess � 5th ed� München: btb, 2010� —� “Der Kaktus�” Good Morning, Boys and Girls. Theaterstücke � Frankfurt/ Main: Schöffling & Co�, 2013� 7—72� —� “ʻIch weiß, dass ich permanent über Moral schreibeʼ� Juli Zeh im Gespräch�” Ethik im Gespräch. Autorinnen und Autoren über das Verhältnis von Literatur und Ethik heute � Ed� Stephanie Waldow� Bielefeld: transcipt, 2011� 55—64� —� Nachts sind das Tiere � Frankfurt/ Main: Schöffling & Co�, 2014� —� Spieltrieb. Roman � 14th ed� München: btb, 2006� —� Treideln. Frankfurter Poetikvorlesungen � Frankfurt/ Main: Schöffling & Co�, 2013� Zeh, Juli and Georg M� Oswald� Aufgedrängte Bereicherung. Tübinger Poetik-Dozentur 2010 � Künzelsau: Swiridoff, 2011� Zeh, Juli and Ilija Trojanow� Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte. München: Hanser 2009� Zenke, Jürgen� “Maschinen-Stürmer? Zur Metaphorik von Determination und Freiheit im Sturm und Drang�” Literarische Utopie-Entwürfe � Ed� Hiltrud Gnüg� Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 1982� 146—57�
