eJournals Colloquia Germanica 50/3-4

Colloquia Germanica
cg
0010-1338
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/0901
2017
503-4

Ordnung und Unterordnung

0901
2017
Thorben Päthe
Die gegenwärtigen Erschütterungen der politischen Tektonik stellen die Fragen nach dem Erfolg populistischer Bewegungen und den Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ in den Sozial- und Literaturwissenschaften mit neuer Dringlichkeit. Dabei avanciert nicht zuletzt die Literatur zu einem gesellschaftspolitischen Reflexionsraum bzw. ‚Experimentierfeld‘, in dem außerliterarische Wirklichkeit, soziopolitische Ordnungsstrukturen und psychodynamische Entwicklungen einerseits neu ausgeleuchtet werden, genauso wie sie andererseits (über intertextuelle Verweise) nach (dis-)kontinuierlichen Wiederaufgriffen und historischen Bezügen fragt. Exemplarisch für dieses literarische Nachdenken lassen sich Joachim Zelters untertan und Michel Houellebecqs Unterwerfung lesen, die beide, noch vor den sozialwissenschaftlichen Erklärungsversuchen, den globalen soziopolitischen Krisenerfahrungen sowie deren ökonomischen und kulturellen Ursachen nachspüren.
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Ordnung und Unterordnung. Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq Thorben Päthe Universität Zürich Abstract: Die gegenwärtigen Erschütterungen der politischen Tektonik stellen die Fragen nach dem Erfolg populistischer Bewegungen und den Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ in den Sozial- und Literaturwissenschaften mit neuer Dringlichkeit� Dabei avanciert nicht zuletzt die Literatur zu einem gesellschaftspolitischen Reflexionsraum bzw. ‚Experimentierfeld‘, in dem außerliterarische Wirklichkeit, soziopolitische Ordnungsstrukturen und psychodynamische Entwicklungen einerseits neu ausgeleuchtet werden, genauso wie sie andererseits (über intertextuelle Verweise) nach (dis-)kontinuierlichen Wiederaufgriffen und historischen Bezügen fragt. Exemplarisch für dieses literarische Nachdenken lassen sich Joachim Zelters untertan und Michel Houellebecqs Unterwerfung lesen, die beide, noch vor den sozialwissenschaftlichen Erklärungsversuchen, den globalen soziopolitischen Krisenerfahrungen sowie deren ökonomischen und kulturellen Ursachen nachspüren� Keywords: Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘, Populismus, Joachim Zelter, Michel Houellebecq, Untertan, Autoritärer Charakter, ökonomische und kulturelle Krisenerfahrung Bereits 1997 skizzierte der Soziologe Ralf Dahrendorf die Schattenseiten eines Globalisierungsprozesses, der gerade nicht zur Legitimierung westlich-liberaler Demokratie- und Wertevorstellungen führe, sondern auf der Suche nach neuen Gemeinschaftskonzeptionen die Gegenbewegung eines „neuen Lokalismus“, einer „neue[n] Religiosität“ und eines „neuen Fundamentalismus“ (n� pag�) befördere, in deren entschiedenen Wendung das Nationale, Regionale und Neoethnische zum neuen Refugium stilisiert werde: 288 Thorben Päthe Die Entwicklungen, die mit dem Stichwort Globalisierung beschrieben werden, sind ohnehin der Demokratie, wie sie im Westen seit 200 Jahren verstanden wird, nicht förderlich� Globalisierung vollzieht sich in Räumen, für die noch keine Strukturen der Kontrolle und Rechenschaft erfunden sind, geschweige denn solche, die den einzelnen Bürger ermächtigen� Globalisierung entzieht dem einzigen Domizil der repräsentativen Demokratie, das bisher funktioniert hat, dem Nationalstaat, die ökonomische Grundlage� Globalisierung beeinträchtigt den Zusammenhalt von Bürgergesellschaften, auf denen der demokratische Diskurs gedeiht� Globalisierung ersetzt die Institutionen der Demokratie durch konsequenzlose Kommunikation zwischen atomisierten Individuen� Das ist ein düsteres Gemälde, bei dessen Anblick daran zu erinnern ist, daß Prozesse der Globalisierung Grenzen haben� Sie haben regionale, aber auch ökonomische und soziale Grenzen� Dennoch drängt der Schluß sich auf, daß die Entwicklungen zur Globalisierung und ihre sozialen Folgen eher autoritären als demokratischen Verfassungen Vorschub leisten� Autoritäre Verfassungen aber können dauern; sie sind weder so katastrophenträchtig noch so prekär wie totalitäre Diktaturen� Ein Jahrhundert des Autoritarismus ist keineswegs die unwahrscheinlichste Prognose für das 21� Jahrhundert� (n� pag�) Zwanzig Jahre später scheinen die gegenwärtigen Legitimationsdefizite westlicher Demokratien, die Repräsentations- und Partizipationskrisen sowie die signifikante Präsenz populistischer und autoritärer Bewegungen die Prognose Dahrendorfs eingeholt zu haben� Hatte man im Zuge der eigenen liberalen Fortschritts- und Freiheitserzählung gemeint, Autoritarismus und autoritäre Charaktere, wie sie seinerzeit Gutermann, Löwenthal, Reich, Fromm sowie Adorno, Frenkel-Brunswik, Levinson und Sanford 1 in ihren Studien zu „falschen Propheten“ und „autoritärem Charakter“ herauszuarbeiten gesucht hatten, bestenfalls noch zwischen Nahost und Südwestafrika anzutreffen, ist seit knapp zwei Jahrzehnten ein beunruhigender Anstieg rechtspopulistischer Dynamiken gerade in den westlichen Demokratien zu verzeichnen: Vor allem der Wahlerfolg Donald Trumps in den USA, aber auch derjenige von Marine LePen und des Front National in Frankreich, von Pegida und der AfD in Deutschland, von den Leave -Befürwortern des Brexit in Großbritannien, von Orban in Ungarn, von Wilders in den Niederlanden oder aber auch die bereits langjährige rechtspopulistische Erfolgsgeschichte der FPÖ in Österreich� Beobachten lassen sich sowohl die politischen Radikalisierungen, die mit ihrem Aufstieg einhergehen, sowie die Autoritarismen, die sie etablieren, nicht zuletzt im sprachlichen Diskurs ihrer Rhetorik, wie unlängst der AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland performativ unter Beweis gestellt hat, als er am Wahlabend in seinem Kommentar zum erstmaligen Bundestagseinzug seiner Partei ein Statement abgab, das an den Diskurs Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 289 des Völkischen aus dem frühen 20� Jh� erinnerte: „Wir werden sie jagen! […] Wir werden […] sie jagen und uns unser Land und unser Volk zurückholen! “ 2 Wiederaufgegriffen wird darin eine ausdrücklich nationalpopulistische Rhetorik, die Gauland gerade nicht als Alleinstellungsmerkmal exklusiv für sich hat, sondern die er mit Orban, Trump und LePen teilt und die - das ist die traurige Schattenseite - auch gewählt wird, d� h� auf mitunter breite Zustimmung stößt� I. Zur Wiederkehr des Autoritären Der gegenwärtige politische Diskurs wird damit von einer signifikanten Wiederkehr des Autoritären geprägt, das er längst verabschiedet geglaubt hatte� Mit dieser autoritären Revolte, in der überwunden gedachte Rassismen und Ethnozentrismen wieder in die Programmatiken der neuen Rechten und Identitären zurückkehren, ist in den letzten Jahren das Interesse für die Kritische Theorie und die Autoritarismusstudien des frühen 20� Jahrhunderts neu erwacht� Schließlich ist diese Revolte nicht nur eine mögliche Elastizitätsprobe des westlich-liberalen Demokratieverständnisses, vielmehr stellt sich die Frage, „welche psychologischen und soziologischen Faktoren als Ursache für vorurteilshafte Einstellungen und entsprechende Handlungen angesehen werden können“ (Petzel 7), mit neuer Dringlichkeit� Von diesem Interesse her lässt sich denn auch die Rehabilitierung jener Studien verstehen, die zuvor kaum noch Beachtung gefunden hatten - und wenn, dann eben als Relikte bzw� historische Dokumente (aus) einer vergangenen Zeit, die vor allem im Zuge der antiautoritären 68er-Bewegung aus dem soziologischen Blickfeld gerückt waren� Der gegenwärtige Rückgriff, der bis hin zu aktuellen Analysen von Trumps Wahlerfolg in den Vereinigten Staaten reicht, macht dabei - das unterstreicht nicht zuletzt Dahrendorfs weitsichtige Prognose - mindestens zweierlei deutlich: Erstens scheinen die Studien von gestern einen aufschlussreichen Rahmen bereitzustellen, der die aktuellen Verschiebungen in der weltpolitischen Tektonik mindestens partiell zu erklären vermag� Dafür spricht auch die Tatsache, dass das Konzept des autoritären Charakters, wie es insbesondere von Adorno et al� anhand der Faschismusskala herausgearbeitet worden ist, bereits seit Mitte der neunziger Jahre eine erste, wenn auch noch sehr verhaltene Wiederaufnahme erfahren hat� Ausgangspunkt hierfür war ein „nach wie vor erhebliches Maß negativer ethnischer Einstellungen“ sowie die Beobachtung wachsender „Anzeichen für ein Wiedererstarken autoritaristischer Orientierungen“ (Adorno et al� 8)� Zu deren Auswertung bzw� Erhebung sind neuerdings maßgebliche Kategorien der F-Skala in die neueren Studien der Autoritarismusforschung eingegangen: der Konventionalismus, d� h� die untertänige Hörigkeit vor der Obrigkeit und die Unterwürfigkeit gegenüber der Macht des ‚man‘, die Diffamierung 290 Thorben Päthe von Minderheiten, die phobische Tendenz, überall und permanent die Familie und Heimat als Orte der idyllischen Harmonie bedroht zu sehen sowie eine manichäische Denkweise, die vom Pflichtgehorsam bis zur Selbstopferbereitschaft reicht� Das Gleiche gilt für deren hervorgehobene Charakterisierungen, dem Opportunisten, Konformisten, Positivisten, Affirmatoren, Revisionisten (Reaktionären) und Apologeten� Zweitens legen die Reaktualisierungen dieser Kategorien nahe, dass jener Typus vielleicht weniger verschwunden oder in der ‚good governance‘ liberalistischer Werteordnungen aufgelöst worden ist, sondern sich vielmehr transformiert hat und nun durchaus in den gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen zurückkehrt, wie nicht zuletzt eine Vielzahl internationaler Untersuchungen nahelegt. So bilanziert die Politologin Katherine Cramer in ihrer ethnografischen Studie The Politics of Resentment (2016) über die ländlich-abgeschiedene Bevölkerung von Wisconsin eine tief empfundene Verbitterung gegenüber der städtischen Bevölkerung sowie den staatlich-politischen Repräsentanten, die als maßgeblicher Bestandteil der jeweiligen Biografien genauso wie der kollektiven Erzählung sowohl identitätsbildend wirkt als auch zur dezidierten Ablehnung der Städte und der mit ihnen assoziierten demokratisch-liberalen Wertevorstellungen führt, gegen die sie vehement opponieren� Analog zu Cramer charakterisiert der der französische Geograph Christophe Guilluy in seinem Buch No Society (2018) den sich immer stärker und schneller radikalisierenden antiliberalen politischen Gegendiskurs unter topografischen Gesichtspunkten als Rebellion der Ausgeschlossenen, als Aufstand der in der Provinz und périphérique wohnenden Verlierer gegenüber einer urbanen Bourgeoisie in den Stadtzentren� Die Konsequenzen dieses raumsemantischen Strukturwandels, die Guilluy zufolge das Ende der westlichen Mittelschicht - und damit auch einer, wenn nicht der virulenten gesellschaftlichen wie politischen Bezugsgröße - bedeuten, 3 beschreibt auch der Soziologe Andreas Reckwitz in seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten (2017) als Genese einer „neuen Mittelklasse“, die deckungsgleich mit den kulturellen und wirtschaftlichen urbanen Eliten ist und als Gewinnerin jenes Wirtschaftsliberalismus firmiert, den die abgehängten Peripherien (neuerdings) erbittert bekämpfen� Die räumliche Segregation wird dabei zum sichtbaren Ausdruck einer neuen politischen Dichotomie, die Cramer, Guilluy und Reckwitz unisono als gesellschaftliche Radikalisierungen und Polarisierungen des Politischen beschreiben� Den Ausgangspunkt für diese globale populistische Revolte von Trump über LePen und die ‚gilets jaunes‘ bis hin zur AfD bildet ihren Analysen nach jene anfangs erwähnte Krise der westlich-liberalen Fortschrittsidee, deren teleologisch gerichtetes Wohlstands-, Aufstiegs- und Freiheitsversprechen eben weder grenzenlos noch für alle gleichermaßen gilt, sondern im Zuge des Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 291 wirtschaftsliberalen Aufstiegs auch eine Reihe von Globalisierungsverlierern produziert hat, die sich in der liberalen Repräsentationsdemokratie nicht mehr abgebildet sehen und für die insbesondere die rechtspopulistischen, nationalistischen, neoethnischen und religiös-fundamentalistischen Bewegungen zu den neuen Sprachorganen avancieren� Sie antworten, wie Albrecht Koschorke in seinen jüngsten Studien präzise herausgezeichnet hat, 4 auf das pluralistische wie supranationale Weltverständnis des Liberalismus, das weniger als Chance denn als Bedrohung empfunden wird, mit Abschließungstendenzen, mit Identitäts- und nationalkollektiver Abschottungspolitik sowie verengten dichotomen Freund-Feind-Schemata in Form einer binären Identifikationpolitik, die vom Eigenen, dem ‚Volk‘ bis zum christlichen Abendland (wie im Fall von Pegida) reicht und gegen stereotypisierte Feindbilder buchstäblich in Stellung gebracht wird - als Opposition gegen die westlich-liberale Dekadenz, das liberalistisch-internationalistische Europa, multinationale Überfremdung oder ‚die‘ Eliten� Ersichtlich wird damit zum einen, dass diese populistische Revolte eng mit dem Großnarrativ und Kerngedanken der westlich-liberalen Freiheitserzählung verbunden ist, deren Fragilität bzw� Verwundbarkeit und Krisenanfälligkeit sie derzeit auf schmerzhafte Weise offenlegt. 5 Ersichtlich wird zum anderen, dass der gegenwärtige Populismus auch eng mit der Wiederkehr des Autoritären zusammenhängt, antworten doch die wütenden Proteste auf den gesellschaftlichen Leistungsdruck, komplexe Globalisierungserfahrungen, den liberalen Supranationalismus, kulturelle Verlust- und ökonomische Abstiegsängste systematisch mit der Sehnsucht nach geregelten Verhältnissen, klaren Ordnungsvorstellungen, starken Führungspersönlichkeiten, festen Autoritätsstrukturen, Unterwerfungsbzw� Gehorsamsfantasien und nationalistischer Bindung� Es sind nicht zuletzt diese neoautoritären Tendenzen der gegenwärtigen extremistischen Diskurse, die unweigerlich an die Erzählkämpfe des frühen 20� Jahrhunderts denken lassen, in denen ebenfalls eine antiliberalautoritäre Konservative Einsprüche gegen eine globale Moderne formulierte und den westlich-liberalen Universalismus für die Dekadenzerfahrungen jener Jahre verantwortlich machte� Nach anfänglicher Ratlosigkeit sind die rechtspopulistischen und neoautoritären Erosionen der internationalen politischen Tektonik intensiv beforscht worden� Dabei haben die Analysen der neuen Rechten und des Populismus mögliche Ursachen für ihren signifikanten Erfolg, insbesondere die wirtschaftlichen Faktoren wie wachsende sozioökonomische Ungleichheiten, Standortverlagerungen, den Abbau arbeitsrechtlicher Schutzmaßnahmen oder die Beobachtung drohender Altersarmut in den Blick genommen� Eine Reihe soziologischer, aber auch literaturwissenschaftlicher Analysen hat darin deren narratologische Bedeutung als antagonistisches Metanarrativ gegenüber einer westlich-liberalen 292 Thorben Päthe Freiheits- und Fortschrittserzählung hervorgehoben und damit nachdrücklich auf deren Verbindung zum westlichen Liberalismus hingewiesen, von dem es in einer Analyse nicht zu trennen ist� So hat Koschorke ausgehend von seiner allgemeinen Erzähltheorie Wahrheit und Erfindung (2012) unter anderem auf die parasitäre Form populistischer Narrative hingewiesen, die als wenig(er) differenzierte Negationen auf die liberalistische Erzählung reagieren, damit aber auch auf sie als ideologischen ‚Wirt‘ angewiesen sind („Populisten und Liberale“ n� pag�)� Ähnlich beschreiben auch Schellhöh, Reichertz, Heins und Flender in ihrem Band Großerzählungen des Extremen (2018) die neoautoritären Narrative, in die sie auch den Islamismus und ‚War on Terror‘ produktiv mit einbeziehen, „als eine Gegenbewegung zu einer universalistisch angelegten Rationalität, die Globalisierungsschübe auslöste, andererseits aber auch deren Produkt [sind]“ (10) und unterstreichen zugleich die Relevanz sozial- und literaturwissenschaftlicher Forschung: nämlich „die Wiederkehr dieser Narrative“ (11) zu verstehen und zu erklären� 6 Zudem wird damit ersichtlich, warum und inwiefern die früheren Autoritarismusstudien durchaus noch ein nützliches, analytisches Potenzial besitzen könnten, um einerseits Aufschluss über die gegenwärtigen autoritären Tendenzen zu geben und andererseits zum Verständnis beitragen könnten, wie es zu diesem vermeintlichen Backclash kommen konnte� Schließlich leiten bereits die Untersuchungen von Löwenthal zu den „Lügenpropheten“ als auch von Adorno et al� zum autoritären Charakter ähnliche Argumentationsschemata und Handlungsmuster ab, wie sie in den heutigen Analysen wiederzukehren scheinen� Beide verweisen ausdrücklich auf die komplexitätsreduzierenden schlichten Dichotomien, die sich als argumentative Grundstruktur bzw� als Narrativ verstehen lassen� Sie operieren grundsätzlich mit antagonistischen Zuspitzungen, um Homogenität zu erzeugen und den politischen Diskurs zu polarisieren� Im Freund-Feind-Schema ‚wir gegen sie‘ stehen die „einfachen Leute“ der „korrupten Elite“ gegenüber, entpuppt sich der „Flüchtling“ als Gefahr für Allgemeinwohl und nationale Kollektivität (vgl� Löwenthal und Gutermann 81 f�)� Mit Blick auf den autoritären Agitator konstatiert Löwenthal dabei schon 1940 jene Argumentationsschemata, die - vor dem Hintergrund des aktuellen politischen Diskurses - seltsam vertraut klingen: Auf der Basis der eben skizzierten individuellen gesellschaftlichen Entfremdungserfahrungen, so Löwenthal, schürt der autoritäre Agitator das soziale Unbehagen, forciert die (gefühlten) sozialen Ungleichheiten, unterstellt die Benachteiligungen der einheimischen Bevölkerung, wettert gegen die herrschenden politischen Eliten und setzt sich als Alternative an deren Stelle, kurzum: „Der Agitator stößt die optimistischen Vorstellungsschemata der liberalen Gesellschaftsordnung um […] [und] legitimiert [dadurch] die Gefühle des Versagens den einst anerkannten Wertungen Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 293 gegenüber“ (19), situiert „das Indiviuum in der Krise“ (11), skizziert eine bisweilen apokalyptische Untergangswelt der „ewig Betrogenen“ (17) und prangert den „‚korrupte[n] Staat‘“ (37) an� In eine ähnliche Richtung zielte auch das Interesse der von Adorno mitbetriebenen empirisch-sozialwissenschaftlichen Forschungen zum autoritären Charakter, wenn sie ausgehend von ethnozentristischen Überlegungen, d� h� der Annahme „verhältnismäßig konstante[r] mentale[r] Struktur[en] im Verhältnis zu ‚Fremden‘ überhaupt“ mit Blick auf das menschliche sozialpsychologische Verhalten untersuchen wollten, „warum Individuen in ihrem Umwelts-Verhalten entweder zu Konflikten oder zu harmonischem Ausgleich neigen“ (Adorno et al� 89): Wie entwickeln sich diese Vorstellungen? Wie sind sie verknüpft mit Tendenzen im Denken des Individuums über andere soziale Vorgänge? Welche Charakterzüge sind, wenn man überhaupt von solchen Fixierungen sprechen kann, ausdrücklich auf derartige Vorstellungen bezogen, und wie geht das vor sich? Und wie schließlich hängen sie mit der Zugehörigkeit zu einer Klasse, einer Kirche, einer politischen Partei etc� zusammen? (90) Maßgeblich aus ihren empirischen Untersuchungen abgeleitet resultierte dabei die F-Skala zur Messung des antidemokratischen Potenzials eines Individuums, deren Kategorien wie Konformismus, Konventionalismus, autoritäre Untertänigkeit, Gehorsam (vs. Rebellion), Identifikation mit Machtrepräsentanten oder die Beziehungsqualität von Herrschaft und Untertänigkeit in den gegenwärtigen Analysen wieder vermehrt Berücksichtigung finden. Das wiedererstarkte Interesse am autoritären Charakter scheint allerdings abseits seiner auf den ersten Blick naheliegenden Plausibilität auch ein Stück weit aus der Verlegenheit zu resultieren, Erklärungsansätze für diese ungeahnte Wiederkehr des Autoritären zu finden. Zweifelsohne - das unterstreichen nicht zuletzt die offenkundigen Parallelen zu Löwenthal und Adorno - lässt sich in Teilen eine analoge argumentative Grundstruktur ausmachen� Vor allem die verschärfte Polarität im politischen Diskurs führt dabei in doppelter Hinsicht zu jenem beobachtbaren Rück- oder Wiederaufgriff. Zum einen hat ein vermehrtes Interesse an der psychologischen Disposition autoritärer Subjekte eingesetzt, insbesondere an der individualpsychologischen Affinität für populistische Antworten, die in den systemisch und systemtheoretisch dominierten Gesellschaftsanalysen lange Zeit nur noch eine untergeordnete bis gar keine Rolle mehr gespielt haben� Zum anderen lassen sich - analog zum populistischen Gegennarrativ zur westlich-liberalen Freiheitserzählung - auch die früheren Autoritarismusstudien unter narratologischen Gesichtspunkten lesen, in denen der autoritäre Charakter die entsprechende Funktion eines Gegennarrativs zu 294 Thorben Päthe einem universalen Liberalismus (i�e� zu dessen Rationalität, Freiheitsdenken und egalitären Aufstiegschancen) einnimmt� Umgekehrt ließe sich jedoch ebenfalls fragen, inwiefern dieser neuen ‚autoritären Revolte‘ 7 analytisch damit beizukommen ist bzw� sich jene Studien einem vergleichbaren Transformationsprozess unterziehen lassen, wie man ihn für diese Revolte ansetzen muss� Um Einiges wichtiger als die nur bedingt fruchtbare Reaktualisierung der spezifischen autoritären Charakterstereotype erscheint in diesem Kontext die historische Verortung zu sein, die die Forschergruppe um Adorno, bei allem Interesse für universale Geltungsansprüche, mit Blick auf die Analyse des autoritären Charakters vornimmt, wenn sie auf dessen historische Bedingtheit und seine Abhängigkeit von der ökonomischen wie auch kulturellen Situation sowie seiner politischen Haltung verweist: Dass nämlich „die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Überzeugungen eines Individuums häufig ein umfassendes und kohärentes, gleichsam durch eine ‚Mentalität‘ oder einen ‚Geist‚ zusammengehaltenes Denkmuster bilden und dass dieses Denkmuster Ausdruck verborgener Züge der individuellen Charakterstruktur ist“ (Adorno 1)� Denn die Analyse des autoritären Charakters erfolgt ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt des Mangels an emotionaler Befriedigung in der Industriegesellschaft, von dem der Faschismus lebe und davon, „daß er den Menschen jene irrationale Genugtuung verschafft, die ihnen durch die heutigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorenthalten wird“ (366)� Das bedeutet nichts anderes, als dass die Analyse des Autoritären (Charakters) unmittelbar an seine historisch-ökonomische sowie soziokulturelle Genese geknüpft ist - und bleibt� II. Die Literatur als Laboratorium und Reflexionsraum Im Kontext der Analyse dieser (vermeintlichen) Wiederkehr des Autoritären fällt der Literatur demnach eine durchaus gewichtige Funktion zu. Als fiktionales Experimentierfeld übernimmt sie gewissermaßen die Rolle eines Laboratoriums, in dem Figuren entworfen und paradigmatisch ausge- oder auch die außerliterarische Wirklichkeit be-leuchtet, soziopolitische Ordnungsstrukturen genauso diskursiviert wie gesellschaftspolitisch relevante Prozesse, Fragen und Phänomene artikuliert, diskutiert, zur Sprache gebracht und damit sichtbar gemacht werden. Gerade mit Blick auf die Frage nach der zu modifizierenden, neuen Typologie des Autoritären im 21� Jahrhundert fungiert die Literatur nicht nur als ein maßgeblicher Reflexionsraum, der die Beziehungen von Macht, Sprache und Gewalt, von Literatur, Theologie und Autorität oder von Subjektbildung, Ökonomie und Psychologie verhandelt, sondern zugleich auch als ein Refugium, als Ort der Kritik und des Widerstands, der sich diesem Zugriff und dieser Ordnung entzieht� Sowohl in Joachim Zelters untertan (2012) als auch in Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 295 Michel Houellebecqs Soumission (dt�: Unterwerfung ) (2015) rücken sowohl das postmoderne Desaster eines anything goes als auch der Verlust stabilisierender Ordnungsfigurationen in den Blickpunkt, die Alexander Kluge schon 1973 als „Sinnentzug“ beschrieben hat, bei dem „eine gesellschaftliche Situation, in der das kollektive Lebensprogramm von Menschen schneller zerfällt, als die Menschen neue Lebensprogramme produzieren können“ (5)� Beide Entwicklungen tragen damit maßgeblich zur Implementierung der neuen Leadersehnsucht bei� Die literarische Reflexion von Zelter und Houellebecq über einen neuen Autoritarismus bzw� autoritäre Strukturen gibt sich dabei als eine gedoppelte zu lesen� Zum einen rückt die fragil gewordene Synchronisation von individueller Identitäts- und Realitätsstruktur in den Mittelpunkt, wenn bildlich gesprochen die eigenen geschriebenen Untertitel den ablaufenden Stummfilm des Lebens nicht mehr einholen, kurzum: das Ordnungs- und Identitätsgefüge zu kollabieren droht� Zum anderen fassen die Romane aber auch die systemimmanente autoritäre Gewalt des herrschenden Diskurses sowie deren ausdrückliche (Re-) Produktion autoritärer Charaktere und Strukturen ins Auge� Dabei artikulieren beide Romane ein wechselseitiges Stimulationsverhältnis des autoritären Teufelskreises, bei dem die Implementierung entsprechender gesellschaftlicher, kulturalistischer und ökonomischer Herrschaftsstrukturen beide Seiten bedingt� Zudem reflektieren sowohl Zelter als auch Houellebecq die Psychodynamik der gegenwärtigen Erzählkämpfe, wenn sie, ausgehend von der Krise jener (neo-)liberalistischen Freiheits- und Fortschrittserzählung, deren Versprechen einer offenen pluralistischen Gesellschaft auf soziale und politische Teilhabe negieren und mit Hilfe ihrer Antihelden vielmehr zwei Gegengeschichten (und -narrative) erzählen: Geschichten von überforderten, einsamen, introvertierten Protagonisten, von „atomisierten Individuen“ (Dahrendorf), deren Subjektstatus spürbar fragwürdig geworden ist� Beide zeichnen in ihren Romanen dabei zwei unterschiedliche Stränge der gegenwärtigen autoritären Revolte� Reagiert wird in beiden Fällen auf eine prekär gewordene Wirtschaftssituation sowie auf eine als überkomplex und bedrohlich empfundene Welt, die die Protagonisten in beiden Romanen mit Gehorsam bzw� Unterwerfungsbereitschaft begegnen� Im Kontext dieser laborativen Szenarien avanciert die Literatur zu einem paradigmatischen Reflexionsraum, der jene autoritären Schatten der Globalisierung als wahrgenommene Realität abbildet� 296 Thorben Päthe III. Ökonomische und kulturelle Erschütterungen im neoliberalen Zeitalter: Joachim Zelters untertan Vor diesem Hintergrund lassen sich demanch die Romane von Zelter und Houellebecq als dezidierte Auseinandersetzungen mit jener Wiederkehr des Autoritären und damit als literarische Beiträge zur gegenwärtigen Autoritarismusdiskussion lesen, die nicht zuletzt die (dis-)kontinuierliche Reaktualisierung des autoritären Charakters in den Blick nehmen und - das suggerieren bereits die Romantitel - dessen Genese diskursivieren� Beide bergen ein großes zeitdiagnostisches Potenzial, indem sie die Sehnsucht nach festen Ordnungs- und geregelten Komplexitätsstrukturen sowie all dies garantierenden Führungspersönlichkeiten inmitten einer neoliberalen und kulturalistischen Ökonomie in den Blick nehmen� Darin benennen sie zugleich jene modernen Transformationen, die eine neue Unterwerfungsbereitschaft und die zunehmende Fraktualisierung menschlicher Individuen begünstigen� Dass in Zelters Roman diese Transformation der Untertanenfigur im Mittelpunkt steht, die sich dort im Spannungsfeld eines neoliberalen, ökonomischen wie soziokulturellen Strukturwandels vollzieht, verdeutlicht bereits die Titelreferenz auf Heinrich Manns Der Untertan (1918), in dem Mann mit dem Protagonisten Diederich Heßling das literarische Porträt eines deutschen autoritätshörigen Bürgers der wilhelminischen Kaiserzeit geliefert hat� Einer Figur, die nach oben buckelt und nach unten tritt, die gehorsam, pflichtbewusst, sadomasochistisch veranlagt und aufopferungsbereit jenen Duckmäuser inkorporiert, der in der Rezeptionsgeschichte - noch bevor seine charakterlichen Dispositionen als Kategorien auf einer Autoritarismus-Skala ablesbar waren - zu ebenjenem Stereotyp geworden ist� Zelter greift nun auf diese gleichermaßen stereowie protoypische Untertanenfigur aus der Kaiserzeit zurück und überführt sie - das unterstreicht bereits die Paronomasie von Diederich und Friederich - in den zeitgeschichtlichen Diskurs der Gegenwart� Damit lässt er sie, wie der Nachname Ostertag ironisch andeutet, gewissermaßen wiederauferstehen� 8 Auch Friederich figuriert dabei als paradigmatische Stereotype, die von Beginn an eine Identitäts- und Hilflosigkeit eingeschrieben bekommt und deren Persönlichkeit von frühkindlichen Erfahrungen an gesellschaftlichen Autoritätsfiguren - anfangs seinem Vater, später seinem Lehrer, am Ende seinem Kommilitonen von Conti - unterworfen wird; genauso, wie er sich umgekehrt auch selbst unterwirft. Nicht zuletzt, weil er von Beginn an auffällig inexistent beschrieben wird: Man hört nicht auf ihn, man nimmt weder ihn noch seine Überforderung wahr, die ihm in einer Welt widerfährt, mit der er sich viel zu früh - er wird bereits mit fünf Jahren eingeschult, um im Sinne des produktivitäts- und leistungsorientierten Ideals seines Vaters allen voraus zu sein - konfrontiert sieht, in der Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 297 er sinnbildlich ertrinkt. Nur äußerst mühsam schafft er es, sich mit auswendig gelernten und von der Nachhilfelehrerin eingeimpften Zitaten sowie vereinfachenden Merksätzen über Wasser zu halten: Dann begann eine Welt der Buchstaben, der Zahlen, der Fragen und Nachfragen und Hausaufgaben� Die Schulbücher waren keine Dekorationen mehr, die man halten oder stapeln oder mit denen man sich verbeugen konnte� Die Bücher bestanden aus voranschreitenden Übungen, die ihm bald unbegreiflich wurden. Mit jeder Seite wuchs seine Ratlosigkeit - manche Lehrer sprachen von Aufregung, andere von Begriffsstutzigkeit� Wo anfänglich noch Bilder, da wuchsen mit jeder weiteren Seite die Buchstaben, und mit den Buchstaben wuchsen die Wörter, immer länger werdende Wörter, und wenn Friedrich dabei war, einzelne Stellen eines Wortes zu begreifen, da wurde einfach umgeblättert� Alle Blätter schienen ihm ein Um- und weiterblättern� Wie davonfahrende Züge� (Zelter 17) Bereits in der Schulzeit fällt sein charakteristisch unterwürfiger Gestus auf - sein permanentes bestätigendes Nicken, um das eigene Unverständnis zu kaschieren� Später im Internat fungiert er als verkappter Leibeigener, Laufbursche und Sekretär der älteren Schüler� Er gefällt sich zunehmend im ständigen Sog der Mächtigeren, in deren mehr oder minder freiwillige Abhängigkeit er sich begibt� Im Studium wird es nicht besser - auch wenn der sprachliche Metadiskurs seines Politologie- und Soziologiestudiums das erst anzudeuten scheint, da er weg vom Gewaltdiskurs der Schul- und Internatszeit führt� Doch ganz im Gegenteil: Mit der Hochstapler-Figur von Conti setzt eine selbstzerstörerische Überidentifikation ein. Dabei erweist sich der Roman einmal mehr als Reflexionsraum wahrnehmbarer außerliterarischer Realitäten� Er diskutiert in von Conti nicht nur nicht den Habitus und die Inszenierung autoritärer Führerpersönlichkeiten, wenn dieser sich zu Referaten „wie zu einer Pressekonferenz“ setzte oder „die Thesenpapiere, die man ihm reichte, gleich einem Nachrichtensprecher [sortierte]“ (102); vielmehr erinnert von Conti in Habitus, (Selbst-)Inszenierung, Plagiat und adeliger Herkunft auffällig an Carl Theodor zu Guttenberg. Von Conti wird für Friederich „ein ständiges Fallbeispiel“ (108) sowie zum Dreh- und Angelpunkt seiner Weltbzw� Außenwahrnehmung, zu seiner Orientierung und seinem Vorbild, bei dem er „dabei“ war „als Begleiter, Beobachter und Berichterstatter“ (109)� Er wird zum Kommentator „gleich einem Radioreporter“, wenn er von Conti „von Nebentischen aus“ - das heißt raumsemantisch aus der Peripherie des Machtzentrums - „wie Fußballspiele [erlebte]“ (111)� Friederichs ‚Contimania‘ reicht dabei bis zur identitären Selbstaufgabe, die spürbar psychotische Züge annimmt, wenn er sich von Conti zitieren oder von Conti durch sich sprechen zu hören glaubt: „[…] ‚Es muss ja endlich mal gesagt werden�‘ Hörte er sich sagen� Oder hörte er von Conti sagen, der das in seinem 298 Thorben Päthe neuen Wohnzimmer sagen würde“ (132)� Am Ende führt Friederich Ostertags Selbstaufgabe und Identifikation mit ‚dem Anderen‘ nicht nur zu einem Leben im Konjunktiv, wenn er „an Spaziergänge mit Studentinnen dachte, die er gerne gemacht hätte, aber nie gemacht hatte“ oder „an Strandausflüge oder an plötzliche Umarmungen mitten im Wasser, Umarmungen, mit denen zwei Menschen für einen kurzen Moment gemeinsam untergehen“ (167)� Sie bringen noch einmal jenes Misslingen der ersehnten Vereinigung im bzw� mit dem Körper von Contis zum Ausdruck und deuten zugleich bereits auf seinen passiven Suizid hin, bei dem Friederich, im Wasser ertrinkend, „alles hätte sein können, ein Baumstamm, ein Schatten, eine optische Täuschung“ (209), so dass er nicht nur gänzlich depersonalisiert erscheint, sondern in diesem Prozess der eigenen Identitätsauflösung die Frage zurückbleibt, ob er de facto jemals als Individuum, als eigenständiges Subjekt existiert hat� Das Phänomen des neuen Autoritären nimmt der Roman dabei in einer doppelten Perspektive und nicht ohne ironische Wendungen in den Blick� Analog zur Biografie von Manns Diederich Heßling ist Friederich Ostertag ebenfalls Fabrikantensohn und sieht sich permanent mit seiner Familiengenealogie konfrontiert. Allen voran mit seinem Urgroßvater und Erfinder des Fang-den-Hut- Spiels, der sowohl in Form seines Porträts im Salon als auch in den Verweisen auf diese Gründungsfigur der familiären mittelständischen Unternehmertradition bedrohlich-lähmend präsent bleibt� Ausgehend von Friederichs erlittenen Repressionserfahrungen zeichnet der Roman nun seine psychodynamische Entwicklung nach: Von den familiären wie institutionellen Unterdrückungen über das gezielt geförderte Gehorsamsdenken bis hin zur Überidentifikation mit von Conti� Nicht zuletzt jene patriarchalische Zwangsfamilie erinnert dabei noch einmal an Wilhelm Reichs 1933 veröffentlichte Studien zur Massenpsychologie des Faschismus , in der er die Familie als „Keimzelle des Staates“ beschreibt, aus dem jene unterdrückten Charaktere hervorgehen, die sich später repressiven Ordnungen unterwerfen� Darüber hinaus werden aber auch die sozialwissenschaftlichen Theorien innerhalb des Romans selbst diskursiviert und damit als intertextueller Bezug eingeführt, setzt sich doch Friederich in seinem Soziologiestudium unter anderem explizit mit Herbert Marcuses Der eindimensionale Mensch (1967) und damit auch mit einem Vertreter der Kritischen Theorie auseinander, der in seinen Beiträgen „Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung“ (1934) sowie „Autorität und Familie in der deutschen Soziologie bis 1933“ (1936) aus den dreißiger Jahren prominent mit dem autoritären Charakter im 20� Jahrhundert auseinander gesetzt hat� Ironischerwie fatalerweise führen aber weder sein im Zeichen der 68er-Revolution stehendes Soziologiestudium noch die Lektüre der linksliberal-antiautoritären Studien zu einer individuellen Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 299 Emanzipation oder kritischen Reflexion seiner eigenen Verhaltensweisen, sondern laufen - analog zur quasi-schizoiden Identifikation mit von Conti - gewissermaßen nebeneinander her� Das Undenkbare wieder denken zu dürfen, das Unaussprechbare wenigstens einmal aussprechen dürfen� Eine neue Form von Bindung und Gliederung und Steigerung� Wie immer man das im Einzelnen auch nennen könnte� Eine Art … - ja, warum nicht, eine Art Monarchie� Ob nun konstitutionelle Monarchie, parlamentarische Monarchie, liberale Monarchie� Oder auch andere Formen von Monarchie: Anstandsmonarchie, Vernunfts-monarchie, Begeisterungsmonarchie, Contimonarchie, Contikratie� (187) Der Roman im Besonderen und die Literatur im Allgemeinen avancieren zu einem maßgeblichen Reflexionsraum, der erstens diese Erschütterungen der institutionellen und soziopolitischen Tektonik mitsamt ihrer kulturellen und wirtschaftlichen Grundlagen thematisiert, sie zweitens im Rahmen ihrer Erzählung(en) diskursiviert und darin drittens einige Erklärungsansätze liefert� Denn nicht nur, dass jene neue Leadersehnsucht, die exemplarisch zu Friederichs „Contikratie“-Phantasien führt, literarisch ausgeleuchtet wird� Vor allem die Phonozentrik, die unzähligen Wortfiguren wie Geminationen, Anaphern und Alliterationen, genauso wie die auffälligen Parallelismen, unterstreichen die poetologische Funktion der Sprache im Roman, die in mehrfacher Hinsicht als Resonanzraum firmiert, nämlich als Seismograph ökonomischer, politischer und soziokultureller Verschiebungen genauso wie als Indikator für ein politisches Regressionsklima� In Redewendungen wie Friederichs „vorauseilende[r] Freude“ (102), mit der er von Contis Referate, Seminarsitzungen und Reden vorbereitet, klingt (im diskursgeschichtlichen Kontext der Untertan-Romane) unweigerlich der sprichwörtlich gewordene ‚vorauseilende Gehorsam‘ als signifikantes Merkmal einer autoritären Unterordnung an, die eng mit Erklärungsversuchen des Dritten Reiches verbunden ist und damit noch einmal die historische Klammer zu dem klassischen Autoritarismus öffnet. Auch das politische Regressionsklima wird nicht zuletzt sprachlich reflektiert: Sprachtheoretische und ehemals hart umkämpfte Positionen wie die „ Einheit von Sprache und Ich “ (142) verkommen zu bloßen Stichworten, die ihren semantischen Wert eingebüßt haben� Analog dazu lassen sich auch oftmals die sprachlich-figuralen Wiederholungsstrukturen lesen, die performativ ein im Nirgendwo verhallendes Echo entwerfen und so die schlichte Phraseologie entlarven� Die Regression geht sogar so weit, dass die aufklärerisch-ideologiekritischen Positionen der Nachkriegsmoderne einkassiert werden: Am Romanende ist es um sie so bestellt, wie um die Bücher von Marcuse - als symbolischem Stellvertreter und akademischen Mitbegründer einer liberaldemokratischen Aufklärung 300 Thorben Päthe und Wissenschaftstradition in der Post-Faschismus-Ära: „Nicht mehr lieferbar� Nicht mehr verlegt� Als hätte es sie nie gegeben“ (206)� Dass der Institutionenroman auf einer ambivalenten bzw� gedoppelten Struktur beruht, offenbart der Roman, der sich auch als ‚Roman über den Hochstapler von Conti‘ zu lesen gibt, in seiner dialektisch verschränkten Figurenkonstellation. Der Hochstapler von Conti fungiert nämlich nicht nur als identifikatorische Bezugsgröße und Legitimationsinstanz des devoten Friederich Ostertag, sondern besitzt als verzerrtes Alter Ego Friederichs zugleich eine paradigmatische Funktion im autoritätstheoretischen Diskurs, insofern sich mit Blick auf seine Figur eine Verschiebung im Herr-Knecht-Verhältnis artikuliert, wenn der Herr sein eigener Knecht wird und der Knecht sich selbst beherrscht� Von Conti, der durch und für Friederich zur großen Lichtgestalt aufsteigt, ist nur dank ihm Autor und damit autos , d� h� er selbst und autonom (was er umgekehrt aber gerade nicht ist), während er sich als Hochstapler qua Definition als Scheincharakter und Projektionsfläche zu erkennen gibt - und bildet damit einen maßgeblichen Aspekt im Transformationsprozess des Autoritären im 21� Jahrhundert� Schließlich geht Zelters romanimmanente Auseinandersetzung sowohl über die institutionspolitische Genese gehorsamer Untertanen als auch eine diskursanalytische Reflexion der früheren Autoritarismusstudien - der literarischen wie Manns Der Untertan gleichermaßen wie der sozialtheoretischen der Kritischen Theorie um Marcuse - hinaus: Denn er verortet die maßgeblichen Transformationen des ‚Untertanen 2�0’ ausgehend von den Verschiebungen in den politischen und ökonomischen Macht- und Herrschaftsstrukturen� Hatte Mann in seinem Roman noch einen politischen Autoritarismus beschrieben, der mitsamt sämtlicher staatsrevolutionären Bestrebungen im 19� Jahrhundert in einen militärischen Sekundärautoritarismus umgewandelt wurde, wie ihn später auch Norbert Elias im Prozeß der Zivilisation nachgezeichnet hat, beschreibt Zelter wiederum einen erneuten - ‚gegenwärtigen‘ - Formenwandel, nämlich von einem politischen in einen ökonomischen, an dessen Ende die neoliberale Überführung jenes Staatsautoritarismus in einen Wirtschaftsautoritarismus steht� Gespiegelt wird dieser Legitimationswandel im gattungstheoretischen Wandel des Romans, der sich anfangs von der Schule über das Internat bis hin zum Campus dezidiert als Institutionenroman 9 lesen lässt, der später jedoch im Zuge der dargestellten politischen, sozialen und institutionellen Kontrollverluste selbst mit ‚abgewickelt‘ wird� Mit Blick auf die Transformation des autoritären Charakters macht Zelters untertan deren historisch-ökonomische Bedingtheit deutlich und gibt sich nicht zuletzt auch als ökonomietheoretische Analyse zu erkennen� Dazu nimmt er die Umstellung vom Produktionsauf den Konsumkapitalismus ebenso deutlich wie schonungslos in den Blick, wenn er einen neofeudalen Ökonomiediskurs Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 301 skizziert, in dem der großbürgerliche „Mittelstand“, der sich auf Ahnengalerie, Familientradition und einen alten Industriekapitalismus beruft, von Anfang an nur noch als Schlagwort existiert, das als Signifikant/ Signifikat seinen Referenten längst verloren zu haben scheint - und am Ende transformiert wird� Das Geschäft von Friederich Ostertags Vater unterliegt einer sukzessiven räumlichen Aufhebung, die, wie gesagt, symbolisch für die Abwicklung des alten Mittelstandes steht: Und der Vater schilderte ihm die ständigen Verkleinerungen des Geschäfts: hier ein Zimmer, dort ein Zimmer, immer weitere Rückzüge aus dem eigenen Haus� Auf der linken Seite der Dönerimbiss, vorne zur Straße ein Zeitungskiosk, auf der rechten Seite ein Internetcafé - immer ärgere Umzingelungen� (200) Sinnbildlich ist zudem der penetrante Essensgeruch, der den Vater „bis ins Wohnzimmer hinein [verfolgte]“ und „[n]icht einmal mehr de[n] gewohnte[n] Geruch des Wohnzimmers“ (200) zuließ, d� h� die Privatheit gänzlich aufhob� An die Stelle tritt ein neues, alles vereinnahmendes Ökonomiemodell, in dem im Roman schlussendlich allegorisch die Sprache veräußert wird: Eine gewaltige, unbeschreibliche Summe an Geld - und die deutsche Sprache geht über in die Hände einer Rechte- und Verwertungsgesellschaft� Sprechrechte, Schreibrechte, Grammatikrechte und zahlreiche andere Rechte� (197) Am Romanende etabliert sich im Rahmen der politischen und sozialen Kontrollverluste damit ein autoritärer Kapitalismus, der - wie Dahrendorf frühzeitig prognostiziert hat - zu Demokratieentleerung führt, der unsichere Verhältnisse produziert, die alten Ordnungen und Räume auflöst bzw. umstrukturiert, der Repräsentationsdilemmata und Abstiegsängste schürt und der sich sowohl beruflich als auch privat existenziell bedrohlich auswirkt. Dabei vollziehen sich die Transformationsprozesse auf der erodierenden Grundlage einer kulturellen Resignation, in der nicht nur die ‚klassischen‘ Aufklärungs- und Bildungsideale verschwinden, sondern im stumpfen Auswendiglernen Friederichs von Anfang an desavouiert werden� VI. Patriarchale Antworten auf die Krise der neoliberalen Erzählung: Michel Houellebecqs Unterwerfung Dieses tiefe, ökonomische wie kulturelle Regressionsklima, die Krise der universitären Eliten und des bürgerlichen Mittelstandes, die Zelter im untertan als einen maßgeblichen Faktor für die Transformationsdynamik des Autoritären beschreibt und damit ex negativo einen Gegenentwurf zur liberalen Frei- 302 Thorben Päthe heits- und Fortschrittserzählung formuliert, bilden auch in Michel Houellebecqs Unterwerfung das soziopolitische Fundament des Romans� Aus der Perspektive des Protagonisten François, einem Mitte vierzigjährigem Universitätsprofessor und Huysmans-Spezialisten, beschreibt er darin die ‚Katastrophe‘ - der Roman erinnert mit fünf Kapiteln, Prolog und Epilog formal auffällig an eine klassische Tragödie - einer modernen und demokratisch legitimierten Gesellschaftsrevolution, wenn der neue charismatische muslimische Staatspräsident Mohamad Ben Abbes die fünfte Republik im Anschluss an die französischen Präsidentschaftswahlen 2022 in eine autoritär-patriarchalische, traditionalistische und islambezogene Gesellschaftsordnung transformiert� Nicht zuletzt aufgrund dieser provokativen Zukunftsvision und seiner Koinzidenz mit den terroristischen Anschlägen auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo an seinem Erscheinungstag hat der Roman hohe Wellen der Entrüstung geschlagen� Der damalige französische Staatspräsident François Hollande kritisierte den „Pessimismus“ Houellebecqs, 10 sein damaliger Premierminister Manuel Valls sah sich zu der öffentlichen Klarstellung genötigt, dass „Michel Houellebecq nicht Frankreich“ und dass Frankreich vor allem kein Hort bzw� Ort der „Intoleranz, des Hasses und der Angst“ sei� 11 Während in Frankreich die negativen Rezensionen überwogen und mehrfach die vermeintliche Islamophobie Houellebecqs anprangerten, erlebte der Roman in Deutschland wiederum ein überwiegend positives Echo und wurde, u� a� von Christoph Vormweg im Deutschlandfunk , als „[i]ronische Parabel auf das politische Frankreich“ gelesen, die […] erkundet, wie und warum in einem Land, das sich laizistisch wähnt, die Religion wieder zu einem politischen Machtmittel werden kann� Zur Ironie gehört da, dass er [Houellebecq] eine Institution in den Mittelpunkt rückt, von der aus die katholischen Fundamentalisten bis ins 18� Jahrhundert hinein Machtpolitik betrieben: die weltberühmte Pariser Sorbonne� Im Jahr 2022 […] ist die Universität der Arbeitgeber des 43-jährigen Erzählers François� Der Literaturwissenschaftler, ein introvertierter, typisch Houellebecqscher Anti-Held, ist Spezialist für die französische Literatur des 19� Jahrhunderts� (n� pag�) Auf elegante Weise verwebt Houellebecq dabei die Biografie Huysmans’, die für den Protagonisten seit seiner Promotion über dessen sprachliche Neologismen zum identitätsstiftenden Hauptbezugspunkt geworden ist, mit den Auseinandersetzungen um die gegenwärtigen politischen und kulturellen Probleme, die einerseits mit dieser Biografie parallelisiert und andererseits in ihr gespiegelt werden� Vor allem Huysmans’ Lebensmüdigkeit, seine Ausbruchssehnsucht und seine Konversion, mit der er eine neue produktive Schaffensphase einleitet, machen ihn dabei zur akademischen, persönlichen und religiösen Vaterbzw� Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 303 Führerfigur, die François über Huysmans’ Vita und sein Werk sinnstiftenden Halt sowie dem Roman einen historischen Bezugsrahmen verleihen� Ähnlich wie Zelter fungiert dabei die Universität als exemplarischer Stellvertreter öffentlich-staatlicher Institutionen, genauso wie das universitäre Milieu mit den dominierenden postmaterialistischen Lebenskonzepten und kosmopolitischen Offenheitsversprechen korreliert wird, deren Fragilität Unterwerfung , wie sämtliche Romane Houellebecqs seit Extension du domaine de la lute (dt�: Die Ausweitung der Kampfzone ) (1994) und Les Particules élémentaires (dt�: Elementarteilchen ) (1998), ausstellen� Sie alle lassen sich als dezidierte Abrechnungen mit den postmaterialistischen und posthumanistischen Träumen einer linksliberalen und individualistischen Vorstellung lesen, deren Freiheits-, Fortschritts, Wohlstands- und Emanzipationsversprechen der 68er-Bewegung sie durchweg negieren� Die „westlichen und sozialdemokratischen Gesellschaften“ hätten eben gerade keine aufgeklärten, kritisch-reflektierenden Individuen herangebildet, sondern vielmehr im Gegenteil kleine gleichgeschaltete Konsumenten, die „hypnotisiert vom Geld oder vom Konsum wie die Primitivsten [sind], die die heftigste Sucht nach gewissen Dingen“ und „schlicht eine Faszination für Geld, diesen‚ unermüdlichen Proteus‘“ (Houellebecq, Unterwerfung 8) entwickelt hätten� Und, wie es dort weiter heißt: Noch willenloser sind sie ihrem Drang ausgeliefert, sich zu beweisen, sich einen beneidenswerten Platz in einer Gesellschaft des - wie sie denken und hoffen - Wettbewerbs zu erkämpfen, elektrisiert von der Anbetung austauschbarer Ikonen: Sportler, Modedesigner, Internetkreative, Schauspieler, Models� (8) De(kon)struiert wird damit von Beginn an die liberalistische Freiheits- und Fortschrittserzählung, die gerade nicht zu individueller Emanzipation und politischer Teilhabe führt, sondern lediglich eine ‚Freiheit‘ produziert, die in der Auswahl von Fertiggerichten im Supermarkt und des bevorzugten Escortservice besteht� Zurück bleibt ein politisches Klima, das sich durch dekadente Selbstüberdrüssigkeit, Egozentrismus und politischem Desinteresse selbst delegitimiert, indem es apolitische und „atomisierte Individuen“ (Dahrendorf) wie François produziert: „politisiert wie ein Handtuch“ und in ihrem von „Eintönigkeit und vorhersehbaren Farblosigkeit“ geprägten Leben vor sich hin vegetierend (Houellebecq, Unterwerfung 13)� Die gesellschaftliche Grundstimmung, die daraus resultiert und zum geistigen Nährboden der autoritären Einsprüche wird, liest sich wie eine düstere und dystopische Gegenerzählung zu den teleologischen Fortschrittsversprechen sowie als ausdrückliche Abrechnung mit den gegenwärtigen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten, die sich noch am Abend der Präsidentschaftswahlen mehr durch intellektuellen Eskapismus und medialen Fatalismus auszeichnen denn durch Repräsentation des 304 Thorben Päthe politisch-kulturellen Erbes der ‚Grande Nation‘: Als es zwischen den verschiedenen Wahlanhängern zu bürgerkriegsähnlichen Gewaltausbrüchen in den Vorstädten kommt, schweigen die Medien, und auf dem zeitgleich stattfindenden Cocktailempfang eines literarischen Journals sind weder die gewaltsamen Auseinandersetzungen von Montfermeil ein Thema noch der Wahlabend, sondern lediglich die jüngsten Berufungen an der Uni (48 f�)� Mit Blick auf diesen „selbstverschuldeten Untergang des Abendlandes“ (Asholt 124), hat Werner Asholt auf die unwiderrufliche Omnipräsenz von Paul Valérys „La Crise de l’esprit“ hingewiesen, der - analog zur Präsenz Mannscher Untertanen bei Zelter - auf die (damalige) Krise der europäischen Moderne als gegenwärtigem diskursanalytischen Intertext und Bezugsrahmen verweist (Asholt 129)� Ersichtlich wird darin noch einmal die politische Virulenz des Legitimations- und Glaubwürdigkeitsverlustes der westlich-linksliberalen Erzählung, zielt doch jener in die Krise geratene „Geist“ nicht zuletzt auf die ternäre Struktur einer Wirklichkeitsgarantie, d� h� die notwendige Beglaubigung der Wirklichkeit durch ein Drittes oder ‚Imaginäres‘, das den Glauben - in diesem Fall an das Freiheits- und Fortschrittsversprechen - mobilisiert und legitimiert (Legendre 55)� Daran erinnert ebenfalls der intertextuelle Verweis auf Charles Péguys „Idee des Vaterlandes“, die unabdingbar „mit etwas Stärkerem verbunden werden, mit Mystik höherer Ordnung“ (Houellebecq, Unterwerfung 140) begründet werden müsse, um eine bestehende Staats- und Ordnungsstruktur zu legitimieren und zu garantieren� Der konstatierte Glaubwürdigkeitsverlust rückt dabei in das Narrativ einer okzidentalen Zerfallsgeschichte, die maßgeblich mit der sukzessiven Verabschiedung politisch-theologischer Ordnungsfigurationen einhergeht� Sowohl Huysmans’ Konversion als auch Péguys kritische Haltung zum teleologischen Fortschrittsdenken formulieren alternative Gegenentwürfe zum laizistischen Traum ‚des Westens‘, indem sie die christliche Religion - den Bezug auf eine dritte Instanz, die Glaubensfrage, die ternäre Struktur - eben nicht verabschieden, sondern sie vielmehr einem vereinfachten Säkularisierungsparadigma entgegenstellen. Dementsprechend firmieren auch die vielfachen Verweise auf das christliche Mittelalter, die Marienverehrung oder das Kloster als ausdrücklich sinnstiftende Gegenentwürfe (im Roman), die allerdings verloren gegangen sind� Vor dem Hintergrund dieser politischen Ausgangslage beschreibt Houellebecq nun die ‚unerhörte Begebenheit‘ eines islamischen Strukturwandels, die kollektive Unterwerfung des französischen Staates unter einem gemäßigten muslimischen Präsidenten, ebenso wie die im Konjunktiv und damit noch in der Schwebe gehaltene individuelle Konversion François’ am Romanende� Die eigentliche Unerhörtheit besteht allerdings vielmehr darin, dass sich dieser Prozess der staatlichen Übernahme erstens auffällig geräuschlos (abgesehen Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 305 von den Gewaltausbrüchen im politischen Ausnahmezustand zwischen Wahl und Stichwahl) und zweitens kalkuliert bzw� ‚rational‘ vollzieht� Die plötzliche Implosion des auf den beiden Säulen von Mitte-Rechts und Mitte-Links basierenden politischen Systems, das bis dato dem politischen Leben in Frankreich seine Ordnung gegeben hatte, mündet nach einer erstaunlich kurzen Fassungslosigkeit zügig in einen sozial- und ordnungspolitischen Umwälzungsprozess: „Jenseits der oberflächlichen Unruhe war Frankreich im Begriff, sich schnell zu entwickeln und tiefgreifend zu verändern“ (178)� Die staatliche Transformation vollzieht sich, ganz in der neoliberalen ökonomischen Logik stehend, wie ein CEO-Wechsel� Das politische System wird zu einer (ver-)kaufbaren Handelsmasse - und zwar buchstäblich, werden schließlich kulturelle Einrichtungen, wie etwa die Sorbonne, an Saudi-Arabien verkauft und so die okzidentale Wissenschaftstradition in einer Umkehr des Bildungskolonialismus symbolisch übereignet (Asholt 131)� Ebenfalls symbolisch - nämlich für die politisch-theologische Legitimationskrise der ‚alten westlichen Ordnung‘, die sich anschließende Staatsumwandlung und die historische Dimension jenes Transformationsprozesses eines liberal-demokratischen, laizistischen Staates in eine autoritär-patriarchalische muslimische Gesellschaftsordnung - liest sich die „Zeitreise zurück in die Vergangenheit“ (143) des Protagonisten François, die jener im Ausnahmezustand des politischen Machtvakuums zwischen den Wahlen unternimmt� Inspiriert durch Huysmans’ Konversionserfahrung begibt er sich auf eine Reise, die ihn über die Gemeinde Martel - gemäß ihrer Überlieferung von Karl Martell nach seinem Sieg über die Araber 732 n� Chr� gegründet - und dem Pilgerweg folgend zum Wallfahrtsort Rocomadour zur schwarzen Madonna führt, ehe er ins Kloster von Ligugé weiterreist, in dem Huysmans 1899 Laienbruder wurde� Die Reise dient dabei einer doppelten Selbstfindung, indem er sowohl seiner eigenen Vergangenheit als auch dem nationalkulturellen Erbe Frankreichs nachzuspüren sucht� Beides sind Akte, die sich als Antwortversuche auf die politische Krisensymptomatik verstehen lassen� Am Ende scheitert jedoch nicht nur die Selbstfindung im Kloster am Lärm der umliegenden TGV-Bahngleise und dem blinkenden Rauchmelder in seinem Zimmer, auch die christliche Frankreichrundfahrt entpuppt sich vielmehr als Abschiedstour einer unwiederbringlich verloren gegangenen Vergangenheit� Im Anschluss an den Wahlerfolg Ben Abbes’, der durch eine Koalition mit den Sozialisten und den Republikanern (von PS und UMP) zustande kommt, weil jene eine Wahl der rechtspopulistischen Kandidatin Marine LePen des Front National verhindern wollen, beschreibt der Roman die sukzessive und schnell voranschreitende Islamisierung Frankreichs, die vom Verschwinden kurzer Röcke und enger Hosen über die Halal-Abteilung im Supermarkt bis hin zu weit- 306 Thorben Päthe greifenden Reformen im Bildungs- und Finanzwesen sowie der Auswanderung der französisch-jüdischen Bevölkerung nach Israel reicht� Interessant an dieser Verschiebung der politischen Tektonik von Frankreich - und Europa, das nicht zuletzt aufgrund der supranationalen und intergouvernementalen EU-Bindung dezidiert mit erschüttert wird - sind einerseits die grundsätzliche Wiederkehr autoritärer Strukturen und andererseits ihr spezifisches zeitdiagnostisches Potenzial, das diese eigenwillige Dystopie birgt� Denn analog zur romanimmanenten Verabschiedung der christlich-abendländischen Tradition im Gefolge der linksliberalen, „westlichen“ und „sozialdemokratischen“ Werteordnungen bleibt in der Stichwahl nur noch die Entscheidung zwischen zwei unterschiedlichen autoritären Gegenmodellen: den Identitären und Rechtspopulisten auf der einen sowie dem gemäßigten, aber dennoch autoritär-patriarchalischen Islam auf der anderen Seite; sinnbildlich formuliert in dem symptomatischen Dilemma, dass die einstigen beiden großen Parteien bereits zuvor abgewählt wurden und die politische Manege verlassen mussten� Dabei bilden grundsätzlich erst einmal beide - als autoritäre Revolte oder Einspruch - ein Gegenangebot zum liberalen Diskurs und dessen auf Offenheit und Pluralität gerichtetes liberalistisches Narrativ� Auf diese liberal-ökonomische (Selbst-)Erzählung - und damit auf die von ihr produzierte exzessive Konsumgesellschaft und die als unbegrenzt empfundene Liberalisierung des Marktes - antworten nämlich beide mit Mechanismen der Abschließung, Normierungen und protektionistischen Ordnungsstrukturen� So verschieden ihre Programmatiken allgemein auch sind, eint sie doch in der politischen Arena der Metaerzählungen bzw� -Narrative ihr stark autoritär geprägter Einspruch gegen die westlich-neoliberalistische Welt� Diese systematische Nähe von autoritär-patriarchalischer Islamordnung und den neuen Rechten proklamiert der Roman im Konvertiten Rediger, der zuerst Präsident der Sorbonne und später Wirtschaftsminister wird und vor seiner islamischen Neugeburt selbst den Identitären angehörte - und nun als Repräsentant der neuen Ordnung trotzdem noch Kritiker der alten geblieben ist� Ausgehend vom staatlichen Vertrauensverlust und der mit ihm einhergehenden politischen Institutionen- und Legitimationskrise avanciert das islamische Gegenmodell im Roman zu einem alternativen Ausweg, zumal die politischen Diskussionen längst von der Wiederkehr des Verdrängten, „vom vergessenen Beben des Faschismus untermalt [waren]“ (43)� Doch nicht nur jene faschistische Erosion der Rechtspopulisten und Identitären kündigen die Rückkehr des Autoritären an, auch die gesellschaftspolitischen Restaurationsmaßnahmen von Ben Abbes lassen sich unter diesen Vorzeichen lesen: Die Wiederherstellung fester Ordnungsstrukturen, das Plädoyer für die Rückkehr zur Vernunftehe, die Implementierung polygamer, traditionalistisch-patriarchaler Familien- und Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 307 Gesellschaftsstrukturen oder dem Distributismus als ökonomietheoretischem Gegenkonzept, das insbesondere das Familienunternehmen als normale Wirtschaftsform etablieren soll, weisen allesamt auf die „Herausbildung eines neuen Gesellschaftsmodells“ (180) hin, das maßgeblich auf Abschließungsmechanismen, Protektionismus, starker Regulierung und (linear-patriarchalen) Hierarchien beruht� Beschrieben werden damit genau die Transformationsprozesse, die im Zuge des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Formenwandels eine neue autoritäre Struktur implementieren und in einen patriarchalen Korporatismus münden� Dass diese Transformationsprozesse nicht auf Frankreich beschränkt sind, sondern vielmehr eine europäische (globale) Dimension besitzen, unterstreichen sowohl die neoethnische Vereinigung „‚Ureinwohner Europas‘“ der heterogenen Recht(spopulist)en, mit der sie - ganz dem polarisierenden Narrativ ‚wir gegen sie‘ entsprechend - gegen das Feindbild einer „islamische[n] Kolonialisierung“ opponieren (60), als auch Ben Abbes‘ muslimisches Europa-Projekt, bei dem das Römische Reich zu seinem wichtigsten Bezugspunkt wird: Die europäische Konstruktion ist für ihn ein Mittel zum Zweck, um diesen uralten Traum zu verwirklichen� Die wichtigste Zielsetzung seiner Außenpolitik wird darin bestehen, das Gravitationszentrum nach Süden zu verschieben� (136) Im Roman werden denn auch die EU-Beitrittsverhandlungen mit einer Reihe muslimischer nordafrikanischer Staaten, wie Tunesien und Marokko, aufgenommen bzw� fortgesetzt, womit der gegenwärtige europäische Krisendiskurs ebenso wie die in schöner Regelmäßigkeit geforderten europäischen Erneuerungsversuche in dieser speziellen ‚translatio Europae‘ eine provozierende Ergänzung erfahren� Die ironische Pointe (des Romans) hinter diesem alternativen Europa-Konzept ist nicht nur die Karikatur eines „eurabischen Komplotts“, das die britische Autorin Gisèle Littman unter dem Pseudonym Bat Ye’or in ihrem Buch L’Europe et le spectre du califat (dt�: Europa und das kommende Kalifat ) (2010) beschrieben hat, sondern auch der Wiederaufgriff von Charles De Gaulles „Plan einer aktiven Arabienpolitik Frankreichs“ (137). Im Hintergrund dieser Europa-Persiflage steht die gleiche politische Institutionen- und Legitimationskrise, so dass die dargestellte Krisensymptomatik und der Glaubensverlust an jene unbegrenzte liberale Fortschrittsgeschichte - erinnert sei in diesem Zusammenhang an die emphatisch gefeierte EU-Osterweiterung 2004 - globale Züge trägt� Helfen, so Houellebecq, kann dem „an sich [selbst] zugrunde gegangen[en]“ (229) Europa lediglich ein Konversionsereignis, wie es Rediger mit Blick auf seine eigene Unterwerfung beschreibt: 308 Thorben Päthe In ganz Europa hat es anarchistische und nihilistische Bewegungen gegeben, den Aufruf zu Gewalt, die Ablehnung jedes moralischen Gesetzes� Und ein paar Jahre später wurde im durch nichts zu rechtfertigenden Wahnsinn des Ersten Weltkrieges allem ein Ende gemacht� Freud hat sich in dieser Hinsicht ebenso wenig getäuscht wie Thomas Mann: Wenn sich Frankreich und Deutschland, die beiden fortschrittlichsten, zivilisiertesten Nationen der Welt, dieser unsinnigen Schlächterei hingeben konnten, dann bedeute das, dass Europa tot war� Ich habe also den letzten Abend bis zur Schließung im Métropole verbracht� Ich bin zu Fuß nach Hause gegangen, und auf meinem Weg durch halb Brüssel bin ich am Viertel mit den europäischen Institutionen vorbeigelaufen - dieser düsteren, von Elendsquartieren umgebenen Festung� Am nächsten Tag bin ich zu einem Imam in Zaventem gegangen� Und am übernächsten Tag - dem Ostermontag - habe ich in Gegenwart von ungefähr zehn Zeugen die rituelle Formel für die Konversion zum Islam gesprochen� (230 f�) Das Verschwinden des Cafés Métropole in Brüssel, der Mutterstadt (metropolis) in der europäischen Hauptstadt, kündigt demnach gedoppelt, gleich einem lauten Echo, das Ende jener mächtigen ‚europäischen Idee‘ an, die sinnbildlich in der Schließung des Cafés vollzogen wird� Verabschiedet wird von Rediger eine Idee, die sich zum einen (mit Blick auf das frühe 20� Jahrhundert) bereits zuvor als äußerst fragil erwiesen und zum anderen ihr allgemeines Wohlstandsversprechen nicht eingelöst hat� Zurück bleiben europäische Institutionen, die sich in ihrem signifikanten demokratischen und politischen Defizit, ihrer düsteren Intransparenz, selbst delegitimieren, während um sie herum die Elendsquartiere eben nicht in prosperierende Wohlstandsoasen verwandelt werden� Der Seitenhieb, den sich Unterwerfung in Hinblick auf das europäische Projekt erlaubt, zeigt zugleich die neo-autoritären Einsprüche gegen die liberale Freiheitserzählung in anderem Licht� Zweifelsohne schwingt darin die seit etlichen Jahren schwelende Diskussion um das Demokratie- und Legitimationsdefizit der Europäischen Union mit, genauso wie der Verweis auf die wachsende Glaubwürdigkeitsproblematik, Besserung immer nur zu geloben, aber nie einzulösen� Das viel Entscheidenere an dieser Suspendierung ist aber, dass sie nicht primär unter ökonomischen Parametern vollzogen wird - also steigender Arbeitsmigration, wachsender Ungleichheit, neoliberalen Märkten, Finanzkrise oder mangelnder Solidarität für Rettungsschirme - sondern dass nicht zuletzt kulturelle Grundlagen eine weitaus gravierendere Rolle dabei spielen� Schwerwiegender als jede europäische Favela wiegen moralischer Werteverfall und Sinnverlust für die politische Ordnungsdestabilisierung� Dies begründet nicht zuletzt auch die Anfälligkeit und Affinität des bürgerlichen Milieus - Rediger ist bereits konvertiert, François verspricht die Konversion durchaus Vorteile - und macht nachdrücklich deutlich: Opponiert wird nicht ausschließlich gegen einen wirt- Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 309 schaftlichen, sondern auch gegen einen kulturellen Liberalismus� Denn so wie der Sinnverlust der ‚europäischen Idee‘ mit einer eurabischen Ordnungsvorstellung unter neuen religiösen (nämlich islamischen) und kulturellen Vorzeichen aufbzw� abgefangen wird, richten sich die patriarchalen und paternalistischen Abschließungen gegen eine kosmopolitisch-kulturelle Elite und deren pluralistische und multikulturalistische Lebensformen� In diesem Zuge wird der Islam im Roman zu einer anderen Möglichkeit, „in der Sprache des Korans, der Grundidee der Poesie, einer Einheit von Klang und Sinn [ ] die Welt zu erzählen“ (235)� Gegenüber einem vereinfachten Säkularisierungsparadigma sowie einem verkürzten laizistischen (westlich-liberalen) Staats- und Gesellschaftsverständnis gewinnt der Islam als sinnstiftende Gegenerzählung an Attraktivität, die „der liberale Individualismus“, wie Rediger festhält, in der Auflösung „mittelgroße[r] Strukturen wie Parteien, Verbände[n] oder Kasten“ und insbesondere der „Kernstruktur der Gesellschaft, [der] Familie“ (244), eingebüßt hat� In Bezug auf die Wiederkehr des Autoritären, die Houellebecq in Unterwerfung ausstellt, werden damit mindestens zwei Dinge ersichtlich: Erstens artikuliert sich in den autoritären und populistischen Revolten eine signifikante Gegenerzählung zur liberal-ideengeschichtlichen, die in der politischen Arena der Erzählkämpfe zunehmend an Bedeutung gewinnt und sich zweitens maßgeblich aus deren legitimatorischen und repräsentativen Dilemmata speist� Dass der Roman abschließend die Konversion - und damit die rituelle (muslimische und nicht-christliche! ) Neugeburt, die der Roman auch überindividuell für die ‚französische und europäische Staatsidee‘ als Übergang ins post-postmaterialistische Zeitalter diskutiert - qua Konjunktiv offenhält, ist nicht zuletzt im Hinblick auf seine prognostische Analyse eine geradezu typische Pointe des Anti-Helden Houellebecq� V. Ausblick Hatte Dahrendorf in seiner weitsichtigen Prognose vor allem auf den ökonomischen Strukturwandel und die Repräsentationsdefizite hingewiesen, die weniger zu bürgerlicher Partizipation denn zu „atomisierten Individuen“ in fragmentierten Gesellschaften führten, heben Zelters untertan und Houellebecqs Unterwerfung nicht zuletzt auch die Brisanz und Relevanz kultureller Erschütterungen als maßgebliche Faktoren im Prozess der Globalisierung für die Entstehung neoautoritärer und populistischer Dynamiken im gegenwärtigen politischen Diskurs hervor� Auch sie gehen unbestritten von dem Vexierbild einer neoliberalen Wirtschaftideologie aus, die im Zuge von Globalisierungsprozessen zu neoautoritären Umbrüchen führt� Basierend auf der psychischen Antriebsfeder 310 Thorben Päthe von ökonomischen und sozialen Abstiegsängsten artikulieren sich neue Leadersehnsüchte, transformieren sich stabil geglaubte (Werte-)Ordnungen, brechen längst überwunden geglaubte regressive Verhaltensmuster durch� Doch im Zusammenspiel mit den ökonomischen Veränderungen beleuchten sie auch die kulturelle Seite des Gegennarrativs, das sich in der Wiederkehr des Autoritären formuliert und sich gegen Sinnverlust und die Zerstörung des eigenen soziokulturellen Biotops richtet� Beide machen dabei mit Nachdruck deutlich, dass sich die neoautoritären Einsprüche zwar im Zuge eines Transformationsprozesses hin zu einem Wirtschaftsautoritarismus vollziehen, aber flankiert werden von einer mindestens genauso einschneidenden soziokulturellen Glaubens- und Legitimationskrise� Vor diesem Hintergrund hat insbesondere Houellebecq in Unterwerfung für die Frage nach der Wiederkehr des Autoritären bzw� der Strahlkraft autoritärer Narrative im Rahmen gegenwärtiger Untersuchungen rechtspopulistischer und neoautoritärer Dynamiken ein nicht unerhebliches Reflexionspotenzial. Denn sein autoritär-patriachalischer ordnungspolitischer Gegenentwurf legt nahe, dass diese Narrative nicht notwendig rein parasitär sind, sondern bisweilen einen sinnstiftenden Kern besitzen� Des Weiteren ließe sich mit ihm nach der Begünstigung von autoritären Revolten in bestimmten demokratischen politischen Systemen fragen, scheinen doch ausgehend vom Roman sowie den realhistorischen Erfahrungen der vergangenen Jahre - in der Türkei, den USA oder Frankreich - vor allem Präsidialsysteme diese autoritären Dynamiken zu begünstigen� Darüber hinaus legt er nahe, dass sich im Zuge des Transformationsprozesses eines neoliberal-autoritären Kapitalismus vielleicht jede Problematik beschreiben, aber bei Weitem nicht lösen lässt, besonders nicht die Krise fehlender Legitimations- und Glaubensinstanzen� Auch deshalb, das hat jenes emotional aufgewühlte Echo auf Unterwerfung deutlich gemacht, stellt sich die Frage politisch-theologischer Selbstvergewisserung in Anbetracht der rechtspopulistischen und neoautoritären Erfahrungen mit neuer Dringlichkeit. Allein schon aus diesem Grund bleibt zu hoffen, dass beide nicht Marcuses Schicksal aus Zelters untertan ereilt� Notes 1 Im Folgenden abgekürzt durch: Adorno et al� 2 Spiegel Online Video abrufbar unter: www�spiegel�de/ video/ afd-alexandergauland-wir-werden-sie-jagen-video-1801028�html� 3 Man denke nicht zuletzt in Deutschland an den politischen Kampf um „die demokratische Mitte“� 4 Ich folge in der anschließenden Argumentation Albrecht Koschorke, siehe dazu insbesondere „Populisten und Liberale“ Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 311 5 Vgl� hierzu: Koschorke, „Populisten und Liberale“� 6 In dem Band befasst sich vor allem der Beitrag von Claus Leggewie „Entkräftung und Widerstand� Wie Demokratien ermüden und wieder zu Kräften kommen“ (69-85) ausführlich mit dem Verhältnis von Liberalismus und Populismus� 7 Den Begriff prominent eingeführt hat Volker Weiß in seinem Buch Die autoritäre Revolte (2017)� 8 Zelters Rückgriff auf Manns Der Untertan bzw� dessen Transformation in die Gegenwart wird auch in Zelters Mann-Zitat des Romananfangs bzw� in den syntaktischen Parallelen der Romananfänge ersichtlich: „Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt“ (Mann, Der Untertan 7)� Bei Zelter heißt es: „F riede rich O stertag war ein verträumtes Kind, das kaum wusste, wie ihm geschah oder was man von ihm eigentlich wollte“ (Zelter, untertan 9). Modifiziertes Zitat und zitierter Satzbau weisen noch auf grammatikalisch-lexikalischer Ebene auf die strukturelle Übernahme und zeitliche Aktualisierung des Themenkomplexes ‚Untertan‘ hin� Vgl� zu den Parallelen zwischen Zelter und Mann auch den Aufsatz von Manuel Clemens in dieser Ausgabe� 9 Vgl� dazu vor allem die grundlegenden Arbeiten von Rüdiger Campe: „Robert Walsers Institutionenroman� Jakob von Gunten “; „Kafkas Fürsprache“; „Das Bild und die Folter� Robert Musils Törleß und die Form des Romans“; „Body and Time� Thomas Mann’s Magic Mountain “ . Auch mit Blick auf Zelters untertan ließe sich nach den Modi der institutionellen Zurichtung Friederich Ostertags fragen, der analog zu Walsers von Gunten oder Musils Törleß ausdrücklich den Sozialisationsprozessen in Schule und Internat unterworfen ist� Und weiter, inwiefern Zelter davon ausgehend ein wieder neues Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft im Übergang zum einundzwanzigsten Jahrhundert beschreibt� 10 Siehe hierzu: Gaubitz, „Angstvision“� 11 Siehe hierzu: „Manuell Valls“� Works Cited Adorno, Theodor W�, Bruno Bettelheim, Else Frenkel-Brunswik, Norbert Gutermann, Morris Janowitz, Daniel J� Levinson und R� Nevitt Sanford (Hg�)� Der autoritäre Charakter. Band� 1� Studien zu Autorität und Vorurteil. Mit einem Vorwort von Max Horkheimer. Amsterdam: Verlag de Munter, 1968 [1950]� Adorno, Theodor W� Studien zum autoritären Charakter. Aus dem Amerikanischen von Milli Weinbrenner� Vorrede von Ludwig von Friedeburg� Frankfurt a�M�: Suhrkamp, 1973� 312 Thorben Päthe Asholt, Werner� „Vom Terrorismus zum Wandel durch Annäherung� Houellebecqs ‚Soumission‘“� Romanische Studien 3 (2016): 119-36� Campe, Rüdiger� „Body and Time� Thomas Mann’s Magic Mountain “ .Thomas Mann. Neue kulturwissenschaftliche Lektüren. Hg� Stefan Börnchen, Georg Mein und Gary Schmidt� München: Fink 2012� 213-32� —� „Das Bild und die Folter� Robert Musils Törleß und die Form des Romans“� Weiterlesen. Literatur und Wissen. Festschrift für Marianne Schuller. Hg� Ulrike Bergermann und Elisabeth Strowick� Bielefeld: transcript 2007� 121-47� —� „Kafkas Fürsprache“� Kafkas Institutionen. Hg� Arne Höcker und Oliver Simons� Bielefeld: transcript, 2007� 189-212� —� „Robert Walsers Institutionenroman Jakob von Gunten “� Die Macht und das Imaginäre. Eine kulturelle Verwandtschaft in der Literatur zwischen früher Neuzeit und Moderne. Hg� Rudolf Behrens und Jörn Steigerwald� Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005� 235-50� Cramer, Katherine J� The Politics of Resentment. Rural Consciousness in Wisconsin and the Rise of Scott Walker. Chicago: U of Chicago P, 2016� Dahrendorf, Ralf� „Die Globalisierung und ihre sozialen Folgen werden zur nächsten Herausforderung einer Politik der Freiheit� An der Schwelle zum autoriären Jahrhundert“� zeit.de. Die Zeit, 14� Nov� 1997� Web� 21� Nov� 2018� Elias, Norbert� Über den-Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen � Frankfurt a�M�: Suhrkamp, 2010� Fromm, Erich� Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine sozialpsychologische Untersuchung � Bearbeitet und hg� von Wolfgang Bonß� Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1980� Gaubitz, Sabine� „Angstvision eines islamischen Frankreichs“� brf.be. BRF, 6� Jan� 2015� Web� 21� Nov� 2018� Guilluy, Christophe� No Society. La fin de la classe moyenne occidentale. Paris: Flammarion, 2018� Houellebecq, Michel� Unterwerfung. Köln: DuMont Buchverlag, 2015� Kluge, Alexander� Lernprozesse mit tödlichem Ausgang. Frankfurt a�M�: Suhrkamp, 1973� Koschorke, Albrecht� „Populisten und Liberale“� youtube.com. Youtube, 29� Mär� 2017� Web� 21� Nov� 2018� —� Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer allgemeinen Erzähltheorie. Frankfurt a�M�: S� Fischer, 2012� Legendre, Pierre� „Die Narbe� An die Jugend, die begierig sucht� Rede vor Studenten über Wissenschaft und Unwissen“� Vom Imperativ der Interpretation. Schriften � Band� 1� Hg� Georg Mein und Clemens Pornschlegel� Wien/ Berlin: Verlag Turia + Kant, 2010� 11-64� Löwenthal, Leo und Norbert Gutermann� „Lügenpropheten� Eine Studie über die Techniken und Themen des amerikanischen Agitator“� Der autoritäre Charakter. Band� 1� Studien zu Autorität und Vorurteil. Mit einem Vorwort von Max Horkheimer. Hg� Theodor W� Adorno et al� Amsterdam: Verlag de Munter, 1968 [1950]� 3-87� Mann, Heinrich� Der Untertan. Hamburg: Claassen, 1964 [1918]� Figurationen des ‚Neuen Autoritären‘ bei Joachim Zelter und Michel Houellebecq 313 „Manuel Valls: ‚la France ce n’est pas Michel Houellebecq’, ‚pas l’intolérance et la peur’“� lindependant.fr. L’Indépendant, 8� Jan� 2015� Web� 3� Okt� 2017� Marcuse, Herbert� „Autorität und Familie in der deutschen Soziologie bis 1933“� Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung � Hg� Karl August Wittfogel, Herbert Marcuse und Hans Mayer� Paris: Librairie Félix Alcan, 1936� 737-52� —. „Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung“. Zeitschrift für Sozialforschung 3�2 (1934): 161-94� —� Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Frankfurt a�M�: Suhrkamp, 1989 [1967]� Petzel, Thomas� Die Autoritäre Persönlichkeit. Eine Integration traditioneller und moderner Sichtweisen. Göttingen: Cuvillier Verlag, 2009� Reckwitz, Andreas� Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Frankfurt a�M�: Suhrkamp, 2017� Reich, Wilhelm� Die Massenpsychologie des Faschismus. Zur Sexualökonomie der politischen Reaktion und zur proletarischen Sexualpolitik. Kopenhagen/ Prag/ Zürich: Verlag für Sexualpolitik, 1933� Scheellhöh, Jennifer, Jo Reichertz, Volker M� Heins und Armin Flender (Hg�)� Groß-erzählungen des Extremen. Neue Rechte, Populismus, Islamismus, War on Terror. Bielefeld: transcript, 2018� Vormweg, Christoph� „Ironische Parabel auf das politische Frankreich“� deutschlandfunk.de � Deutschlandfunk , 18� Jan� 2015� Web� 21� Nov� 2018� Weiß, Volker� Die autoritäre Revolte. Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Stuttgart: Klett-Cotta, 2017� Ye’or, Bat� L’Europe et le spectre du califat. Paris: Les Provinciales, 2010� Zelter, Joachim� untertan. Tübingen: Klöpfer & Meyer, 2012�