Colloquia Germanica
cg
0010-1338
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/0901
2017
503-4
Der Bodybuilder als autoritärer Charakter
0901
2017
Johanna Tönsing
Der Artikel sieht Elfriede Jelineks Ein Sportstück als einen Beitrag zum Wissen über die Autoritäre Persönlichkeit. Dazu werden, in Anlehnung an Adornos Untersuchungen, Parallelen zwischen der Figur Andi und dem faschistoiden Charakter herausgearbeitet. Andi transformiert als Bodybuilder frühkindliche Inferioritätserlebnisse durch eine exzessiv-tödliche Körperformung und fällt damit einem Mechanismus anheim, der typisch für eine autoritäre Persönlichkeitsstruktur ist. Wenn Andi seine Gewalt nicht gegen marginalisierte Gruppen, sondern eben gegen seinen eigenen Körper richtet, dann wird damit verdeutlicht – das ist die Hauptthese dieses Beitrags – dass es sich beim Bodybuilder um eine autoritäre Persönlichkeit im neuen Gewand handelt. Wie Jelineks Theaterstück von Einar Schleef am Wiener Burgtheater inszeniert wurde, um diesen für die autoritäre Persönlichkeit charakteristischen Umwandlungsprozess des inneren Aggressionspotentials auf mehreren sinnlichen Ebenen für den Zuschauer wahrnehmbar zu machen, steht in einem zweiten Schritt im Mittelpunkt dieses Aufsatzes. Dieser Schritt zeigt, wie die Gemeinsamkeiten des faschistischen und des zeitgenössischen Körperkults visuell transparent gemacht werden.
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Der Bodybuilder als autoritärer Charakter. Das „neue Dreß“ des national-sozialistischen Körperkults in Elfriede Jelineks Ein Sportstück (1998) Johanna Tönsing Universität Paderborn Abstract: Der Artikel sieht Elfriede Jelineks Ein Sportstück als einen Beitrag zum Wissen über die Autoritäre Persönlichkeit� Dazu werden, in Anlehnung an Adornos Untersuchungen, Parallelen zwischen der Figur Andi und dem faschistoiden Charakter herausgearbeitet� Andi transformiert als Bodybuilder frühkindliche Inferioritätserlebnisse durch eine exzessiv-tödliche Körperformung und fällt damit einem Mechanismus anheim, der typisch für eine autoritäre Persönlichkeitsstruktur ist� Wenn Andi seine Gewalt nicht gegen marginalisierte Gruppen, sondern eben gegen seinen eigenen Körper richtet, dann wird damit verdeutlicht - das ist die Hauptthese dieses Beitrags - dass es sich beim Bodybuilder um eine autoritäre Persönlichkeit im neuen Gewand handelt� Wie Jelineks Theaterstück von Einar Schleef am Wiener Burgtheater inszeniert wurde, um diesen für die autoritäre Persönlichkeit charakteristischen Umwandlungsprozess des inneren Aggressionspotentials auf mehreren sinnlichen Ebenen für den Zuschauer wahrnehmbar zu machen, steht in einem zweiten Schritt im Mittelpunkt dieses Aufsatzes� Dieser Schritt zeigt, wie die Gemeinsamkeiten des faschistischen und des zeitgenössischen Körperkults visuell transparent gemacht werden� Keywords: Elfriede Jelinek, Ein Sportstück, autoritärer Charakter, Bodybuilding, faschistoider Körperkult, Theaterinszenierung Dass Elfriede Jelineks Ein Sportstück (1998) nicht weniger als die Präsenz des national-sozialistischen Körperkults sowie autoritärer Charakterstrukturen in der Gegenwart verhandelt, unterstreicht bereits der metapoetisch zu lesende Eingangsmonolog� Er lässt sich als ideologiekritischer Prolog und als Lesean- 340 Johanna Tönsing weisung verstehen, wie das nachfolgende Theaterstück zu deuten ist� Die ihn sprechende Figur Elfie Elektra erinnert nicht umsonst an die Autorin. Genau wie es dem armen Fluß passieren wird: total neue Einkleidung für die Olympiade im Ufertreten� Die Herren des Flusses machen natürliche Künstlichkeit oder besser: künstliche Natürlichkeit aus ihm� Allerdings - der Fluß, näht man ihm ein neues Bett, bleibt doch der alte, der bösartige, […]� In seinem neuen Dreß bewegt er sich natürlich viel lieber� ( Sportstück 9) Vor allem die Metapher des Flusses versinnbildlicht einen Tranformationsprozess, der sowohl auf inhaltlicher als auch auf sprachlicher Ebene die auffälligen Kontinuitäten zwischen NS-Zeit und Gegenwart apostrophiert� So unterstreicht die theatrale Inszenierung die Verschränkung mit dem nationalsozialistisch-autoritären Subtext� Der Verweis auf die Olympiade steht nicht nur im paratextuellen Kontext des Sportstücks , sondern ebenfalls unter den Vorzeichen einer spezifischen Körperästhetik, die Leni Riefenstahl in ihren Filmen über die Olympiade von 1936 bildlich festgehalten hat. In einzelnen Begriffen wie „total“ schwingt zudem unweigerlich Goebbels‘ Ausruf des „totalen Krieges“ mit, sodass Ein Sportstück mittels Sprache die nationalsozialistische Rhetorik gleichermaßen wie die Erinnerung an die Greueltaten gegenwärtig hält� Doch damit nicht genug: Die „neue Einkleidung“, bzw� das „neue Dreß“, zu denen jene „Herren“ dem sinnbildlichen „Fluß“ mit dessen Umbettung ‚verhelfenʼ wollen, misslingt. In der deutsch-österreichischen Nachkriegs-moderne bleibt das „[A]lte“ und das „[B]ösartige“ der nationalsozialistischen Vergangenheit im neuen Flussbett durchaus erhalten - auch wenn es zuweilen harmloser erscheinen mag� Vor diesem Hintergrund ist die gesellschaftspolitische Bedeutung von Ein Sportstück darin zu sehen, dass es sich die Sichtbarmachung dieser „neue[n] Einkleidung“ zur Aufgabe macht, indem es sie inhaltlich und theatralisch ausstellt� Dabei negiert Elfie Elektra jene Verkleidungstaktik des „neue[n] Dress[es]“ im doppelten Sinn, wenn sie im Chiasmus „natürliche Künstlichkeit“/ „künstliche Natürlichkeit“ nicht nur ihre Position verdeutlicht, dass selbst vermeintlich naturgegebene Tatsachen gesellschaftlicher Ordnungen sozio-politischen und historischen Konstruktionsprozessen unterworfen sind, sondern ihm in der rhetorischen Figur des Chiasmus noch bildlich einen Strich durch die Rechnung macht� 1 Des Weiteren ist mit Blick auf den Sport im Allgemeinen das leitende Thema des Stückes unmittelbar präsent, geht es doch darin primär um dessen kriegerischen Impetus und seine agonale Tendenz� Obwohl sich dieser, für den Zuschauer schön anzuschauen, im „neuen Dreß“ präsentiert, wird mit dem Sport kriegerisches Gedankengut konserviert� Im Speziellen verhandelt der Text mit der Figur des Andi die im zeitgenössischen Bodybuilding wiederkehrende nationalsozialistische Körperideologie� Als Inszenierung der gewaltvollen Instrumenta- Der Bodybuilder als autoritärer Charakter 341 lisierung des Körpers im Bodybuilding kann das postmoderne Theaterstück als Beitrag zum Wissen über den zeitgenössischen autoritären Charakter verstanden werden� Um zeigen zu können, wie und dass Jelineks Ein Sportstück Andi als autoritären Charakter im „neuen Dreß“ erscheinen lässt, werden zunächst sechs Merkmale aus der Studie von Adorno, Frenkel-Brunswick, Levinson und Sanford aus den 1950er Jahren (Adorno et al.) aufgegriffen. Gezeigt wird, dass die hier beschriebenen Merkmale auch auf den Bodybuilder Andi zutreffen. Die theaterästhetische Inszenierung steht anschließend im Mittelpunkt der Betrachtung� Sie lässt den Bodybuilder Andi einmal mehr im Lichte eines autoritären Charakters erscheinen� Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass ähnlich wie bereits im autor-reflexiven Spiel mit der Figur Elfie Elektra auch seine Figur realhistorische Bezüge ermöglicht� Schließlich lässt sich in dem prominenten österreichischen Bodybuilder Andreas Münzer ein potenzielles Vorbild ausmachen� Münzer starb an einer Überdosis Anabolika und hatte sein ganzes Leben versucht, so wie sein Vorbild Arnold Schwarzenegger zu sein� 2 Der in den 90er Jahren bekannte Fall hat Jelinek zu dieser Figur inspiriert� Der für Bodybuilder typische verminderte Geschlechtstrieb etwa oder die tödliche Nachahmung Schwarzeneggers kennzeichnen sowohl Andreas Münzer als auch Andi� Aufgrund dieser realhistorischen Vorlage kann trotz des für Jelinek charakteristischen Vexierspiels mit den verschiedenen Aussageebenen, die in seinen Monologen übereinandergelegt werden, die ‚Geschichte‘ Andis als narrative Identität im Folgenden ‚erzählt‘ und nachvollzogen werden� 3 Die Analyse bezieht sich dabei weitestgehend auf den zweiten Teil des Theaterstücks� Andi ist bereits gestorben und spricht seinen Monolog als Leichnam in den Armen seiner Mutter, die seinen Vater zuvor umgebracht hat� I. Die Figur des Andi als zeitgenössische autoritärer Charakter Die Gesamtstudie zum autoritären Charakter von Adorno et al� analysiert frühkindliche Inferioritätserlebnisse gegenüber den Eltern (insbesondere dem Vater) und anderen gesellschaftlichen Autoritätsfiguren in Verbindung mit späteren politischen Einstellungen, insbesondere in Bezug auf Minderheiten und marginalisierte Randgruppen� 4 Der Bodybuilder Andi erscheint, vor allem vor dem Hintergrund des von Adorno verfassten Teils dieser Studie, als ein Paradebeispiel des sogenannten „tough guy“� Im Unterschied zu dem von Adorno beschriebenen autoritären Charakter der (post-)faschistischen Gesellschaft hat sich Andis frühkindlich verdrängtes Aggressionspotential jedoch nicht auf Schwächere oder marginalisierte Randgruppen übertragen, sondern nach innen, auf seinen eigenen Körper, verlagert� Seine Aggression richtet sich auf den 342 Johanna Tönsing Teil seines Körpers, der sich der eigenen Disziplinierung entzieht und über den er keine Macht hat� 5 Die Studie über den autoritären Charakter beruht im Wesentlichen auf komplexen und ausführlich beschriebenen Fallbeispielen, die mit Hilfe der F-Skala ausgewertet wurden� Ich beziehe mich hauptsächlich auf die Ausführungen Adornos zum Fallbeispiel des 24-jährigen Mack, den Adorno als paradigmatisch für den Typus des „tough guy“ schildert� Die Überkompensation der eigenen Schwäche durch ein starkes Aussehen kennzeichnet den autoritären Charakter� Adorno legt diesbezüglich dar, wie Mack das eigene Aussehen benutzt, um Stärke und Männlichkeit auszustrahlen� Allen voran der Versuch „to conceal weakness by contriving a tough exterior“ kennzeichne das Erscheinungsbild des ‚tough guy‘: Mack is unable, however, to behave aggressively, and hence the device of over-compensatory toughness does not serve him as well as it does many prejudiced men� His general attitude of anti-intraception can be understood as primarily an attempt to ward off any suggestions of „softness“ that might be implicit in a more human way of looking at things� The most primitive mechanism for dispelling a sense of weakness is the projection, „I am not weak, they are�“ (Adorno et al� 802) Nimmt Andi auf sich selbst Bezug - hier zeigt sich eine erste Parallele zwischen Andi und der autoritären Persönlichkeit - rekurriert er auf seinen gestählten Körper und seine Muskeln� Er hat im wahrsten Sinne des Wortes das Leben seinem Aussehen untergeordnet� In diesem Sinne kann von einem „Körperselbst“ (Strick 208) gesprochen werden� Damit ist ein Selbstverhältnis benannt, das sich ausschließlich auf den Körper bezieht� Andi sagt: „Ich wirke allein durch mein Aussehen“ ( Sportstück 84)� Im Stil des autoritären Charakters bewertet er sein Aussehen als seinen Schutz: „Ich selbst war mein einziger Anzug, mein einziger Mantel, mein Schutz und mein Schirm“ (99)� An anderer Stelle bezeichnet er seinen Körper sogar als seine Uniform� Damit wird der Figur selbst der Analogieschluss zwischen einem kriegerischen Körper und seinem Körperpanzer in den Mund gelegt� So bewertet er sein Vorbild Arnold Schwarzenegger, den Andi liebevoll Arnie nennt, einzig auf der Grundlage seines Stärke ausstrahlenden Körpers: „Sein Körper ist seine Uniform, sein Zeichen“ (92)� Die Kompensation eines früh erfahrenen Abhängigkeitsverhältnisses, aus dem auch der Erwachsene sich nicht lösen kann, ist charakteristisch für den von Adorno beschriebenen Typus des autoritären Charakters� Angesichts frühkindlich erfahrener Repressionsmechanismen kommt es manchmal zu „moralistic invectives indicative of strict repression of several desires“ (Adorno et al� 762) auch im Erwachsenendasein� Die frühkindliche Unterdrückung von Wünschen und Begehren bleibt bestehen� Schaut man sich Andis Monolog an, kommt die Determination frühkindlich erfahrener Repressionen seitens der Mutter auch Der Bodybuilder als autoritärer Charakter 343 bei ihm deutlich zum Vorschein: „So komme ich also ins Spiel, ein ewiger Sohn, der nach seiner Mama schreit� Doch die war nie da� Sie hat aber meine Karriere aus der Ferne beobachtet, verbissen in ihren Mißmut, ihre Kränkungen� Schreit aus der Ferne mit mir herum“ ( Sportstück 92)� Die Erinnerungen an die Kränkungen der Kindheit sind weiterhin für ihn präsent und halten für ihn „ewig“ an, denn sie beeinflussen ihn für den Rest seines Lebens. Seine Rolle als Sohn steht dabei mit seiner Rolle als sexuell aktiver Liebhaber im Konflikt: „Meiner Mutter liefere ich den letzten Liebesakt, den ich ihr schulde, da sie mit mir ja nie zufrieden ist: einen Akt der Hingabe zwischen Mutterlosen, Selbstgeschaffenen, Selbst-geschafften“ (92-93). Auch, wenn die Mutter sich fast eifersüchtig gegenüber ihrem Sohn gibt, zeigt dies den Stellenwert, den die Mutter im Leben Andis noch immer einnimmt� So wirft ihm ausgerechnet seine Mutter vor: „Schließlich sind meine Gipfel in all der Zeit unbetreten geblieben, weil du zu wenig mit mir, dem real existierenden Frauengerät, trainiert hast� Du hattest dir natürlich eine andre Kraftmaschine ausgesucht“ (109)� Die Eifersucht der Mutter gegenüber der „Kraftmaschine“ macht die Instrumentalisierung Andis als Partnerersatz seitens der Mutter deutlich� Nach dem Mord der Mutter am Vater, was sich als Rache der Frau am Patriarchat ausdeuten ließe, kompensiert die Mutter offenbar ihr Liebesbedürfnis mit dem Sohn� Dadurch kann ihr Sohn nicht erwachsen werden. Andi schafft es aufgrund seiner überdominanten Mutter nicht, seine Sexualität in einer gesunden Weise auszuleben und zu einem Mann zu reifen� Sein nicht ausgelebtes Begehren kompensiert er daher mit der Stählung seiner Muskeln� Statt „älter“ zu werden und sich auf diese Weise von seiner Mutter zu emanzipieren, bleibt er mental dem kindlichen Verhältnis zur Mutter verhaftet� Wenn Andi sagt, „statt älter wurde ich immer nur: größer! “(99), dann assoziiert er selbst seine Muskelgröße mit seinem Abhängigkeitsverhältnis� Seine stetige Vergrößerung hat nichts mit einem wie auch immer gearteten Reifungs- oder Abnabelungsprozess zu tun� Er kann nicht zu einem unabhängigen Mann heranreifen� Andi bleibt ein Leben lang von dieser Machtformation determiniert und flüchtet sich in das Bodybuilding. In diesem Sinne kann das Bodybuilding als Kompensationsbemühung verstanden werden� Er kompensiert die eigene Ohnmacht gegenüber seiner Mutter mit der Macht über seinen eigenen Körper� Dieser Verdrängungsmechanismus kennzeichnet nicht nur die Persönlichkeitsstruktur des autoritären Charakters� Der unbewusst bleibende Ersatz durch eine andere Autoritätsfigur geht bei Andi einher mit einer bewussten Abgrenzung von der als traumatisch erfahrenen Autorität� 6 Es ist nicht übertrieben, Andis Unterwerfung unter sein Vorbild Arnold Schwarzenegger als masochistisch zu bezeichnen, führt die Verehrung und Nachahmung Arnold Schwarzenggers ihn doch in den Tod: „Ich hingegen: Ich wurde zwar auch an anderen gemessen, doch ich kannte mein Maß persönlich! Es hieß Arnie, und fast hätte ich 344 Johanna Tönsing es vor meinem Tod noch erreicht! “ ( Sportstück 103)� Auf der manifesten Ebene hingegen spielt er sein Vorbild Arnold Schwarzenegger gegen seine Mutter aus: „Ein Mann braucht Vorbilder, die nicht von seinen schlechten Eltern sind, sondern alleine von ihm selbst“ (100)� Direkt stellt er in seinem Monolog die Beschimpfungen seiner Mutter in einen Kontrast zu dem verehrten Arnie, der ihm als durchweg positives Vorbild erscheint: „Arnie muss nicht schreien� Umso lieber spricht er� Hat uns immer etwas zu sagen, mit seiner modischen Stimme, die den Steirermann hervorkehrt“ (98)� Wenn Adorno des Weiteren über den autoritären Charakter schreibt, dass Lack of insight and of self-criticism on the part of the typical high scorers is revealed in their tendency to mention as the type of person they would wish to be, as their self-ideal, the same set of traits which they actually ascribe to themselves� There is hardly any discrepancy between their image of what they ought to be and their conception of what they really are� Thus high-scoring men tend to mention as their ego-ideal the combination of traits characterized above as pseudo masculine (determination, energy, industry independence, decisiveness, will power, no passitivity) as well as the syndrome of moralistic conventionalisms likewise mentioned above� (Adorno et al� 430) dann lässt sich diese typische Verleugnung der Differenz des eigenen Selbstbildes von einem Idealbild bei Andi wiederfinden. Interessant ist, dass die Identifizierung mit seinem gestählten Muskelkörper total ist. Die Teile seines Körpers, die nicht stählbar sind, kommen in seiner Selbstwahrnehmung nicht vor� Er identifiziert sich ausschließlich mit seinem starken Muskelkörper. In paradigmatischer Weise sagt seine Mutter deshalb über ihn: „Er hat seine Flügel immer wieder an seinem Bild gerieben, und ein schriller Ton ist erschallt, als er und sein Bild ineinander sprangen“ ( Sportstück 49). Die Mutter persifliert den Tod Andis, indem sie eine Metapher für seine Ignoranz dieser Diskrepanz findet. Die gleichzeitig mitanklingende sexuelle Aufladung dieses Bildes liefert einen weiteren Hinweis darauf, dass Andi mit seinem Bodybuilding ein unterdrücktes Begehren kompensiert� Dass Andi als Leichnam spricht, pointiert auf ironische Art und Weise Andis Unvermögen, die eigene Unzulänglichkeit sehen zu können� Außerdem bemisst der von Adorno beschriebene autoritäre Charakter den Wert eines Menschen einzig nach seinen Erfolgen: „As a reaction to his fear of his passivity and dependency, he develops a propensity for power and success as the only measures of value“ (Adorno et al� 479)� Sofern Andi seine Freundin erst dann heiraten möchte, wenn diese einen WM-Titel im Bodybuilding hat 7 - „Es wird von uns erst geheiratet, wenn meine Freundin Weltmeisterin geworden ist� Ja, auch sie: jahrelanges härtestes Training! Es hat nichts genützt� Ich fand bei ihr keinen Anreiz, unbändig wild zu werden“ ( Sportstück 91) - zeigt sich erneut der nazistische Untergrund in Andis Denken� Andis ausdrücklicher Hinweis darauf, aus einem armen Bauernhof zu kommen, - „Und irgendwann einmal bin ich dann über mich hinausgewachsen, wer hätte es mir, dem armen Bauernbuben, zugetraut? “ - (88) ist eine weitere typische Argumentationsfigur des autoritären Charakters: Eigene und eigentlich geringe Erfolge werden oft als besonders herausragend überstilisiert� Adorno sagt diesbezüglich über den autoritären Charakter: „What we see on the surface here, is the self-pity implicit in his thesis that he has done well considering all that he has had to contend with“ (Adorno et al� 802)� So macht Andi explizit darauf aufmerksam, dass er, im Gegensatz zu Arnold Schwarzenegger, keinerlei Hilfe hatte und sein Erfolg deshalb umso größere Bedeutung tragen würde� „Ich mußte immer alles ganz alleine machen, im Gegensatz zu diesem wunderbaren Menschengebäude, das mir so gefällt, Arnie: […]“ ( Sportstück 89)� Eine unbewusst bleibende Wut gegenüber Arnold Schwarzenegger scheint hier sichtbar zu werden; offenbar misslingt Andi die emanzipative Abarbeitung an Arnold Schwarzenegger. Die selbstgewählte Vaterfigur vermag es nicht wirklich, seine versteckte Aggression zu kompensieren� Dahingehend transferiert er seine Aggression auf seinen Körper, dem gegenüber er als Mächtiger auftreten kann� II. Theaterästhetische Inszenierung des zeitgenössischen autoritären Charakters Die Inszenierung des Theaterstücks schärft die Perspektive auf den Bodybuilder als autoritären Charakter noch zusätzlich� Jelinek schreibt: Ein erleuchteter Heiligenschein tut sich auf. Darin eine Art Pièta: Die alte Frau sitzt in altmodischer Unterwäsche, Combinaige, Gesundheitsschuhe etc. auf einem Stuhl und hat den Leichnam ihres Sohnes Jesus, hier immer Andi genannt, der im Bodybuilderhöschen ist, auf ihren Schoß gebreitet. Er kann aber auch als Säugling verkleidet sein, kann auch von einer Frau dargestellt werden, denn er soll irgendwie geschlechtslos wirken. Im Hintergrund, hell erleuchtet, ein Foto Arnold Schwarzeneggers, es können auch kurze Filmsequenzen projiziert werden, immer wieder. Vor den beiden liegen Kränze mit Kranzschleifen, die aber schon halb verfault sind. Den folgenden Monolog Andis unterbricht die Frau immer wieder stereotyp mit den Worten: Hallo, wer spricht? Hallo, wer spricht! Man kann auch die beiden großen Monologe verschränken, je nach Lust und Liebe. Man kann auch die beiden großen Monologe miteinander verschränken, je nach Lust und Liebe. ( Sportstück 75; Hervorhebung im Original) Der Bodybuilder als autoritärer Charakter 345 346 Johanna Tönsing Mit dieser Anweisung für die theatrale Inszenierung von Andis Monolog - der Einar Schleef in seiner berühmten Inszenierung am Wiener Burgtheater von 1998 gefolgt ist 8 - wird das Ziel verfolgt, die komplexen Verschränkungen von Andis frühkindlichem Leiden mit seinem Bodybuilding auf mehreren Ebenen - also zusätzlich visuell und akustisch - sichtbar zu machen und dies darüber hinaus in seiner Einbettung in den christlich-patriarchalen Kontext zu zeigen� Dass Andi den gesamten Monolog im Schoß seiner Mutter spricht, stellt symbolisch zur Schau, dass er stets Sohn geblieben ist und sich nicht von seiner Mutter emanzipieren konnte� Dass er dabei möglichst geschlechtslos wirken soll, unterstreicht die Tatsache, dass er auch als Erwachsener seiner Mutter als Ersatzpartner dient und sich ein männliches Begehren anderer Frauen deshalb nicht ausbilden konnte� Das katholische Symbol der Pièta fungiert als Bildspender dieser Anordnung� 9 Die Irritation und die Entautomatisierung der Wahrnehmung des urkatholischen Bildes, dadurch, dass Andi als erwachsener Mann in Bodybuilderbekleidung in den Armen seiner Mutter liegt, bringt die Einbettung des Machtverhältnisses zwischen Mutter und Sohn in den christlichen Kontext zur Geltung� Die katholische Verehrung der Maria, als Symbol einer Weiblichkeit, die Mütterlichkeit und Sexualität gegeneinander ausspielt, prägt die christliche Gesellschaft, in der auch Andi und seine Mutter im wahrsten Sinne des Wortes situiert sind� Es kommt zum Ausdruck, dass das überaufgeladene Mutterideal die Gesellschaft im Allgemeinen und das Verhältnis von Müttern zu ihren Söhnen in besonderer Weise prägt, wird doch der Mutter der christlichen Gesellschaft ein besonderer Machtraum zur Verfügung gestellt: nämlich der gegenüber des Kindes� 10 Andis Mutter steht hier also exemplarisch für die Frau in der christlichen Gesellschaft� Die überdominante Art der Mutter Andis, wie in den folgenden Monologen deutlich wird, erscheint also, unterstrichen durch das Bühnenbild, auch als das Resultat eines christlich geprägten Weiblichkeitsideals. Das Outfit Andis unterstreicht die Kompensation der frühkindlich erfahrenen Repressionen seiner Mutter durch das Bodybuilding� Damit erscheint dies ebenfalls als Teil einer christlichen Gesellschaft, in der die überkompensatorische Stärke des Mannes als Teil eines Mechanismus gewertet werden muss, in der der Frau eine besondere Rolle als Mutter zukommt� Das Bühnenbild zeigt: Die Mutter hält ihn in der Position des Sohnes gefangen� 11 Nicht zuletzt symbolisiert das Stillen Andis gewissermaßen das Einsaugen der christlich geprägten Unterdrückungsstrukturen� Andis autoritärer Charakter wird durch das Bühnenbild in einen christlichen Kontext gesetzt und erscheint auch als Resultat eines Mutterbildes, das die Überdominanz seiner Mutter ihm gegenüber erst ermöglicht hat� Der Blick des Zuschauers auf das Bodybuilding als Kompensation erfahrener Repressionen wird zusätzlich dadurch geschärft, dass Bilder oder Filmsequen- Der Bodybuilder als autoritärer Charakter 347 zen Arnold Schwarzeneggers eingespielt werden� Die für den autoritären Charakter typische Projektionsbewegung (Adorno et al� 804-05) wird durch diese Visualisierung noch einmal hervorgehoben� Andi hat den abwesenden Vater durch eine vermeintlich starke, maskuline Vaterfigur ersetzt. Die Anlehnung an das christliche Marienbild bringt dahingehend zum Ausdruck, dass in Andi gewissermaßen auch ein Gott zu Fleisch geworden ist� Sein Trieb so auszusehen wie Arnold Schwarzenegger zeigt nicht nur seine gottgleiche Verehrung für ihn, sondern auch Andis Vaterlosigkeit im doppelten Sinne� Sowohl seine metaphysische Obdachlosigkeit als auch der Verlust seines Vaters werden kompensiert durch die Projektion dieser Funktionen auf Schwarzenegger� Doch der abwesende Vater sendet kein sichtbares Symbol der Anwesenheit und des Lebens, sondern ein Symbol des Todes: den Kranz, womit das Bodybuilding einmal mehr in seiner gewaltvollen Tendenz ausgestellt wird� Der Regieanweisung von Jelinek folgend, wird Andi in der Inszenierung von Einar Schleef von einer Frau gespielt ( Sportstück 75)� Die Regieanweisung, „ die beiden großen Monologe miteinander [zu] verschränken “, erfüllt sich in Schleefs Aufführung darüber hinaus auch, weil dieser die Bühnenbeleuchtung bewusst dunkel gehalten hat, was für die Zuschauer die Zuordnung der Aussagen zu einer Figur erheblich erschwert haben dürfte� Damit wird die Aufmerksamkeit zum großen Teil auf die Sprache selbst gelenkt und diese damit als eigenes Bedeutungssystem besonders hervorgehoben� Die redundant eingeschobene Frage „ Hallo, wer spricht? “verstärkt diesen Effekt zusätzlich. Damit vermischen sich die Grenzen zwischen Andi als selbstbestimmtes Individuum und Andi als von seiner Mutter determiniertes Subjekt� Individualhistorische Zeitebenen werden parallelisiert und die Korrelation dieser wahrnehmbar gemacht� Auch die Akustik wird damit benutzt, um die Verschränkung frühkindlicher Erfahrungen mit der späteren Verlagerung verdrängter Aggressionen auf geeignete Projektionsflächen für den Zuschauer hervorzuheben. Die historische Verbindung zwischen nationalsozialistischer Körperideologie und dem Körperkonzept der Bodybuilderbewegung wird auch deutlich durch die von Jelinek geforderten Einspielungen� Der posierende Arnold Schwarzeneggers erinnert nicht nur an die Aufnahmen der sogenannten ‚Dokumentarfilme‘ Leni Riefenstahls, Triumph des Willens (1935) und Olympia (1938), 12 und somit an das martialische Idealbild pseudomaskuliner Stärke NS-propagandistischer Körperbilder; der Zusammenhang wird darüber hinaus bereits im metapoetischen Eingangsmonolog der an die Autorin erinnernden Sprecherin Elfie Elektra hergestellt: „Doch wir brauchen niemanden mehr zu kritisieren, denn diese Sportler, die da auftreten, sakra sakra, ein einziger Triumph des Willens und der Schönheit! Daß auch Körper gebildet sein können, habe ich nicht gewußt“ ( Sportstück 13)� Dieses Zitat liest sich in gewisser Hinsicht als Antwort 348 Johanna Tönsing auf Hitlers Körperprogramm, über das es im Kommentar der historisch-kritischen Ausgabe von Mein Kampf heißt: „Mit seiner klaren Akzentuierung der körperlichen Erziehung vor der Charakterbildung befand sich Hitler im Widerspruch zu nahezu allen pädagogischen Traditionen der Neuzeit“ (1040)� Explizit heißt es in Mein Kampf : Der völkische Staat hat in dieser Erkenntnis seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. […] Der völkische Staat muß dabei von der Voraussetzung ausgehen, daß ein zwar wissenschaftlich wenig gebildeter, aber körperlich gesunder Mensch mit gutem, festem Charakter […] für die Volksgemeinschaft wertvoller ist als ein geistiger Schwächling. […] Wenn der Moltkesche Ausspruch „Glück hat auf die Dauer doch nur der Tüchtige“ Geltung besitzt, so sicherlich für das Verhältnis von Körper und Geist: Auch der Geist wird, wenn er gesund ist, in der Regel und auf die Dauer nur in gesundem Körper wohnen� Die körperliche Ertüchtigung ist daher im völkischem Staat nicht eine Sache des einzelnen […], sondern eine Forderung der Selbsterhaltung des durch den Staat vertretenen und geschützten Volkstums� […] Er hat seine Erziehungsarbeit so einzuteilen, daß die jungen Körper schon in ihrer frühesten Kindheit zweckentsprechend behandelt werden und die notwendige Stählung für das spätere Leben erhalten� (1041-45; Hervorhebungen im Original) Die überraschte und sarkastische Äußerung Elfie Elektras, dass auch Körper gebildet sein können, zieht die Analogie zwischen der nazistischen Körperideologie und dem Körperbild im Bodybuilding. Dahingehend ist es auffällig, dass die Grenze zwischen dem Körperkult des Bodybuildings und dem des Nationalsozialismus im gesamten Stück immer wieder bewusst permeabel gehalten wird� Einen „Triumph des Willens und der Schönheit“ über seinen Körper zeichnet auch Andi aus� Auch seine Verehrung Arnold Schwarzeneggers - „Er muß teilweise aus Stahl sein“ ( Sportstück 102) - versteckt eine Anspielung auf die Riefenstahl-Filme und damit auf das martialische Körperbild des Nationalsozialismus� 13 Legt man also, wie in der Schleefschen Inszenierung, Bilder posierender Sportler aus Olympia und Posings von Arnold Schwarzenegger oder Andreas Münzer nebeneinander, so wird die starre, faschistoide Martialität und Strenge, die jeweils hinter den Körpern der Bodybuilder steht, auch visuell offensichtlich. Weiterhin dürfte nicht zuletzt der Zuschauer jene Gewalt der Körperdisziplinierung, die Andi gegen sich selbst anwendet, nach einer sechsstündigen Aufführung wie im Falle der Inszenierung von Einar Schleef am eigenen Körper gespürt haben� Die pure Leiblichkeit der sich auf der Bühne verausgabenden Körper wird nicht nur hervorgehoben, sondern auch kontrastiert: Die totale Erschöpfung der Schauspieler gegen Ende des Stücks, ihr Schweiß und ihr Un- Der Bodybuilder als autoritärer Charakter 349 vermögen der geforderten sportlichen Leistung bis zum Schluss standhalten zu können, symbolisieren die Exzessivität des Körpereinsatzes eines Bodybuilders und zeigen gleichzeitig den Teil des Körpers, der nicht der Macht unterworfen werden kann und sich der Strenge der Zurichtung entzieht� Der Körper wird in seiner schwitzenden Nacktheit ausgestellt� Das anhaltende Sporttreiben der Schauspielerkörper auf der Bühne, das irgendwann an ein natürliches Ende kommen muss, macht die Verletzlichkeit und Zerstörbarkeit der Körper sichtbar und stellt die Ignoranz des Bodybuilders gegenüber seinem fleischlich-wandelbaren Körper aus� Insbesondere die von Schleef eingebaute 45-minütige Aerobicszene sowie die permanenten Tritte der sich auf der Bühne befindenden Schauspielerkörper parallelisieren die aggressive Formung des eigenen Körpers� Andis Versuch, durch die Stählung seiner Muskeln Stärke auszustrahlen - „Muskeln verweisen stets auf Anstrengung, nicht auf Natur? “ ( Sportstück 95) - und die damit indirekt einhergehende Abwertung und Marginalisierung von dieser Stärke nicht entsprechenden Körpern hat sich bei Andi bloß ins Innere verlegt� Die kindlich verdrängten Aggressionen haben sich bei Andi zu einer Aggression gegen seinen vergänglichen und nicht der Stählung zugänglichen Körper transformiert� In einem der Chormonologe heißt es diesbezüglich: „Mit der Trägheit seines Körpers will er wohl gleichzeitig auch seine Mama loswerden“ (33-34)� Trägheit steht in diesem Sinne für all seine Abhängigkeiten, von denen er sich lösen möchte� Jelineks Ein Sportstück identifiziert somit auf eindrucksvolle und im wahrsten Sinne des Wortes erschöpfende Weise einen weitverbreiteten Ausprägungsmodus des zeitgenössischen autoritären Charakters: Im Bodybuilding erhält sich faschistisches Denken, auch wenn es in einem „neuen Dreß“ erscheint� 14 Notes 1 Zu Jelineks Programm der Entnaturalisierung gesellschaftlich konstruierter Tatsachen siehe Degner� 2 Zum Fall des Andreas Münzer siehe Kistler� 3 In der Forschung werden die Monologe vielfach als „Sprechblasen“ (Pavlova 349) beschrieben. Die Ineinanderflechtung der Aussagen Andis, seiner Mutter, allgemeinen Aussagen über die Frau in der Gesellschaft, Aussagen des Schauspielers, der selbstreferentiell auf sich selbst Bezug nimmt, metapoetischen Aussagen, Sprachspielen, welche die Fähigkeit zur Aussage überhaupt in Frage stellen, Aussagen eines sich selbst reflektierenden Ichs und Aussagen der Autorin machen es nicht einfach, den Aussagenstatus eindeutig einer Figur zuzuordnen� Das Gros der Forschungsliteratur geht davon aus, es sei unmöglich von Figuren zu sprechen (vgl� u� a� Kolesch 350 Johanna Tönsing 62)� In dieser Hinsicht macht Ulrike Haß darauf aufmerksam, dass es „widersprüchliche[�] und mitunter leidenschaftlich geführte Kontroversen um den Status der Figur in den Texten Jelineks“ gibt („Körper“ 73)� Christina Schmidt spricht von „nicht dramatischen“ oder „nicht-protagonistischen“ Figuren (43)� Vgl� einführend zu der „Flächigkeit“ der Figuren bei Jelinek: Vogel� 4 Einen sehr guten Überblick über die Geschichte und die Kritik am Konzept des autoritären Charakters bietet der Aufsatz von Stone et al� 5 Den Aspekt der Transformation des Gewaltpotentials weg von einer Aggression gegen andere hin zu einer gewaltvollen Stählung des eigenen Körpers betonen auch Pavlova (378) und Haß („Körper“ 77)� Anders hingegen argumentiert Marlies Janz, die von der Gewalt gegen den eigenen Körper ausgehend eine Enttabuisierung der Gewalt auch gegen andere Körper sieht (90)� 6 Vgl hierzu Adorno et al�: The „masochistic transference to authority may be kept down on the unconscious level while resistance takes place on the manifest level“ (762)� 7 Auch dieses Detail ist dem realhistorischen Vorbild Andreas Münzers nachempfunden� Im Spiegel -Artikel von 1996 heißt es dazu: „1990 lernt er die Trainingskollegin Elisabeth Schwarz näher kennen� Er zieht mit ihr zusammen und macht einen Antrag nach Bodybuilder-Manier: Er will die ‚Sissy‘ heiraten, sobald sie Weltmeisterin geworden ist� 1993, 1994, und 1995 belegt sie jeweils den zweiten WM-Latz� Er stirbt, bevor sie sich für die Heirat qualifizieren kann“ (n. pag.). 8 Die Liste an Texten über eine Analyse der Aufführungspraxis von Schleefs Ein Sportstück Inszenierung ist lang. Vgl. zur Aufführungspraxis Kolesch, Haß „Theaterästhetik“, Vennemann, Nyssen, Cortese, Haß „Körper“, Jürs-Munby� 9 Vgl� allgemein bezüglich des Katholizismus im Werk Jelineks: Jelinek, „Dr� Holl“ 35; Janke und Kaplan� 10 Das vom Christentum geprägte Denken über das Konzept der Mutter und der Mütter-lichkeit eröffne, so Riki Winter, der Mutter einen besonders großen Machtraum gegenüber ihrem Kind: „Die einzige nicht gesellschaftlich sanktionierte Form weiblicher Machtausübung ist die Übernahme der Mutterrolle“ (15)� 11 An patriarchalen Strukturen leiden nicht nur die Frauen� Und nicht nur Männer sind verantwortlich für die Aufrechterhaltung dieser Strukturen� Dieses Faktum wird Jelinek nicht müde zu betonen: „Weil ich die Frau nie als das bessere und höhere Wesen, als das sie die Frauenbewegung gerne sehen würde, geschildert habe, sondern eben als das Zerrbild einer patriarchalischen Gesellschaft, die sich ihre Sklaven letztlich anpaßt� Patriarchat Der Bodybuilder als autoritärer Charakter 351 heißt nicht, daß immer die Männer kommandieren, es kommandieren auch die Frauen, nur kommt das letztlich immer den Männern zugute“ (zitiert in Winter 12-13)� Den Hinweis auf diesen Text verdanke ich Svandrlik (268)� 12 Riefenstahls ‚Dokumentarfilme‘ sind in mehreren Sprachen auf YouTube zu sehen� 13 Jelinek schreibt an anderer Stelle über Leni Riefenstahl: „Kein Wunder, daß Stahl in diesem Namen ist und auch ganz unglaublich gut gewirkt hat“ („Kitschliesl“ n� pag�)� 14 Es muss an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht werden, dass es sich bei diesem Aufsatz um die Darstellung der Perspektive auf das Bodybuilding von Ein Sportstück handelt� Eine historische Kontinuität zu sehen vom nationalsozialistischen hin zum Körperbild der Bodybuilderbewegung wird mitunter auch problematisiert� So macht beispielsweise Jörg Scheller explizit auf Diskontinuitäten zwischen dem modernen Bodybuilding seit den 70er Jahren und nationalsozialistischer Körperformung aufmerksam (166-67)� Works Cited „Blond, stark und tot� Wie der Bodybuilder Andreas Münzer auf die Spur des Terminators geriet und dabei umkam“� spiegel.de. Der Spiegel, 22� Apr� 1996� Web� 7� Jan� 2018� Adorno, Theodor W�, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J� Levinson und R� Nevitt Sanford� The Authoritarian Personality. Studies in Prejudice � New York/ Evanston/ London: Harper & Brothers, 1950� Cortese, Roberta� „Schleefs Sportstück- Inszenierung - Ein Probenbericht“� Elfriede Jelinek: „ICH WILL KEIN THEATER“. Mediale Überschreitungen � Hg� Pia Janke� Wien: Praesens-Verlag, 2007� 127-30� Degner, Uta� „Mythendekonstruktion“� Jelinek Handbuch � Hg� Pia Janke� Stuttgart: J�B� Metzler 2013� 41-47� Fliedl, Konstanze. „Mothers, Art and Artificial Mothers: On an Image of Woman in Elfriede Jelinek“� The Individual, Identity and Innovation. Signals from Contemporary Literature and the New Germany � Hg� Arthur Williams und Stuart Parkes� Bern: Peter Lang, 1994� 117-32� Haß, Ulrike� „Theaterästhetik“� Jelinek Handbuch. Hg� Pia Janke� Stuttgart: J�B� Metzler 2013� 62-68� —. „Im Körper des Chores. Zur Uraufführung von Elfriede Jelineks EIN SPORTSTÜCK am Burgtheater durch Einar Schleef “� Transformationen. Theater der neunziger Jahre. Hg� Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch und Christel Weiler� Berlin: Theater der Zeit, 1999� 71-81� Hitler, Adolf� „Mein Kampf “� Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition � Band� 2� Die nationalsozialistische Bewegung � Hg� Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, 352 Johanna Tönsing Othmar Plöckinger und Roman Töppel� München/ Berlin: Institut für Zeitgeschichte München, 2016� Janke, Pia und Stefanie Kaplan� „‚Und das Wort ist Fleisch geworden‘� Katholizismus in Elfriede Jelineks Werk“� Ritual. Macht. Blasphemie. Kunst und Katholizismus in Österreich seit 1945 � Hg� Pia Janke� Wien: Praesens-Verlag 2010� 36-51� Janz, Marlies. „Mütter, Amazonen und Elfie Elektra. Zur Selbstinszenierung der Autorin in Elfriede Jelineks Sportstück �“ Weiblichkeit als politisches Programm? Sexualität, Macht und Mythos � Hg� Bettina Gruber und Heinz-Peter Preußer� Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005� 87-96� Jelinek, Elfriede� „Lieber Herr Dr� Holl! “ Ritual. Macht. Blasphemie. Kunst und Katholizismus in Österreich seit 1945. Hg� Pia Janke� Wien: Praesens-Verlag 2010� 35� —� Ein Sportstück � Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 2015� —� „Kitschliesl� Zum Tod Leni Riefenstahls am 8�9�03 . “ elfriedejelinek.com. Web� 7� Jan� 2018� Jürs-Munby, Karen� „Inszenierungsformen“� Jelinek-Handbuch. Hg� Pia Janke� Stuttgart: J�B� Metzler 2013� 324-34� Kistler, Luitpold� „Todesfälle bei Anabolikamissbrauch� Todesursache, Befunde und Rechtsmedizinische Aspekte“�Diss� Ludwig-Maximilians Universität zu München, 2006� Kolesch, Doris� „Ästhetik der Präsenz� Die Stimme in EIN SPORTSTÜCK (Einar Schleef) und GIULIO CESARE (Socìetas Raffaello Sanzio)“. Transformationen. Theater der neunziger Jahre � Hg� Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch und Christel Weiler� Berlin: Theater der Zeit, 1999� 57-70� Nyssen, Ute� „Jelinek spielen� Einige Beispiele“� Elfriede Jelinek: „ICH WILL KEIN THEA- TER“. Mediale Überschreitungen � Hg� Pia Janke� Wien: Praesens-Verlag, 2007� 120-22� Pavlova, Elena� KörperBilder-BildKörper. Annäherungen an Elfriede Jelineks Theater unter besonderer Berücksichtigung seiner kritischen Dekonstruktion des faschistischen Körperdiskurses � Saarbrücken: VDM Verlag Dr� Müller, 2007� Scheller, Jörg� Arnold Schwarzenegger oder die Kunst, ein Leben zu stemmen � Stuttgart: Franz Steiner, 2012� Schmidt, Christina� „Von der nicht-protagonistischen Figur zum Chor� Einar Schleefs Inszenierung Ein Sportstück “� Elfriede Jelinek. Stücke für oder gegen das Theater? 9.-10. November 2006. Hg� Inge Arteel und Heidy Margrit Müller� Brüssel: contactforum, 2008� 43-50� Stone, William F�, Gerda Lederer und Richard Christie� „Introduction“� Strength and Weakness. The Authoritarian Personality Today. Hg� William F� Stone, Gerda Lederer und Richard Christie� New York: Springer, 1993� 3-21� Strick, Simon� „Anmerkungen zur Erzählbarkeit des kosmetischen Selbst“� Schön normal! Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst � Hg� Paula-Irene Villa� Bielefeld: transcript, 2008� 199-217� Svandrlik, Rita� „Patriarchale Strukturen“� Jelinek-Handbuch. Hg� Pia Janke� Stuttgart: J�B� Metzler, 2013� 267-71� Der Bodybuilder als autoritärer Charakter 353 Vennemann, Aline� „‚Hallo, wer spricht? ‘ Identität und Selbstdarstellung in Elfriede Jelineks Ein Sportstück: Text und Aufführung“. Magisterarbeit Université Rennes 2 - Haute Bretagne, 2007� Vogel, Juliane� „‚Ich möchte seicht sein�‘ Flächenkonzepte in Texten Elfriede Jelineks“� Lob der Oberfläche. Zum Werk von Elfriede Jelinek. Hg� Juliane Vogel und Thomas Eder� München: Fink, 2010� 9-18� Winter, Riki� „Gespräch mit Elfriede Jelinek“� Elfriede Jelinek. Hg� Kurt Bartsch und Günther A. Löfler. Graz: Droschl, 1991. 9-19.
