Colloquia Germanica
cg
0010-1338
Francke Verlag Tübingen
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2020
513-4
Europa als Liste. Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa
91
2020
Lena Wetenkamp
cg513-40235
Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 235 Europa als Liste. Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa Lena Wetenkamp Johannes Gutenberg-Universität Mainz Abstract: The article argues that many contemporary novels and essays operate with lists and enumerations as narrative strategy and stylistic feature to address the topic of Europe� The list as a framework that holds separate und disparate items together acts as an ideal aesthetic device to address the European project� In the paratactic structure of a list, every element has the same value� Therefore, lists foster the concept of diversity and equal partnership� Furthermore, lists can serve different functions: they can order, remind or commemorate� By looking at lists in literary texts by Ilma Rakusa, Karl-Markus Gauß and Hans Magnus Enzensberger the article explores how these different functions of lists help us to further define the term and concept of “Europe�” Lists incorporated in texts engaging with European culture and identity show images critically questioning the concepts of center and periphery� Contemporary authors thereby challenge the assumption of a unified and consistent cultural European space and stress concepts of diversity, heterogeneity and plurality� Keywords: German contemporary literature, Europe, literary lists, narrative strategies Vergangenheit, Gegenwart und vor allem die Zukunft Europas werden zurzeit intensiv diskutiert� In diesem diskursiven Feld hat vor allem auch die Stimme der Literatur Gewicht: Die Frage, welche Bilder, Vorstellungen und Utopien Europas Schriftsteller und Schriftstellerinnen entwerfen und damit zu einem Europa-Diskurs beitragen, erhielt in den letzten Jahren zunehmend wissenschaftliche Aufmerksamkeit� 1 Untersuchungen fokussieren dabei zumeist die inhaltliche Ebene und gehen beispielsweise den in literarischen Texten ausgebreiteten Vorschlägen einer Neugestaltung Europas nach� Die Frage nach der formalen 236 Lena Wetenkamp Gestaltung, der Art und Weise der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Europa, stellt in der literaturwissenschaftlichen Europaforschung jedoch noch eine bisher weitgehend vernachlässigte Kategorie dar� Dabei ist es lohnenswert, für einen Moment den Fokus zu wechseln und nicht zu schauen, wie literarische Texte Europa als Topos, als Konzept, als Diskurs oder geographischen Ort verhandeln, sondern die spezifischen narrativen Verfahren in den Mittelpunkt zu stellen, derer sich Schriftsteller und Schriftstellerinnen in ihren Auseinandersetzungen mit Europa bedienen� Texte, die „in ihrer Schreibweise explizit die Implikationen, Formen und Funktionen der Kategorie ‚Europa‘ reflektieren, die deren historischen Index wie die darauf bezogene Kanonisierung berücksichtigen und die diskurskritisch angelegt sind“, können mit Christine Ivanović als Beispiele „europäische[r] Schreibweise(n)“ gefasst werden (36)� Es geht dabei also bewusst nicht um die (nationale) Herkunft der Texte oder ihrer Autoren, sondern um den gemeinsamen Bezug auf Europa� Um das in vielen dieser Werke auftauchende Zusammenspiel zwischen Inhalt und Form noch stärker zu betonen, habe ich an anderer Stelle den Begriff einer „Poetik des Europäischen“ vorgeschlagen, um Texte zu fassen, „die sich zum einen inhaltlich mit Europa auseinandersetzen, indem sie Fragen nach Raum, Grenzen, Sprache und Identität thematisieren, diese inhaltlichen Schwerpunktsetzungen aber auch durch bestimmte narrative Verfahren wie palimpsestartige Schreibweisen, Listen und Polyphonie formal umsetzen“ (Wetenkamp, Europa erzählt 344)� Unter diesen ästhetischen Mitteln und narrativen Verfahren möchte ich im Folgenden besonders die Liste hervorheben� Das Zusammenspiel von Europa als Inhalt und der Liste als Form zeigt sich beispielsweise an einem Gedicht von Antje Rávic Strubel: Europa beginnt dort, wo der Menschenhandel aufhört� Europa beginnt, wenn Ost und West, Süd und Nord bloß noch die Himmelsrichtung anzeigen� Europa beginnt, wenn Hautfarbe und Geschlecht nichts sind als fließende Attribute der Schönheit, wie Augenfarbe, wie Haar� Europa beginnt dort, wo unsere Vorurteile enden� 2 Rávic Strubel zeichnet hier ein ungewöhnlich positiv und vielleicht utopisch erscheinendes Bild Europas als Ort der Gleichstellung und Gleichberechtigung, das eine genauere Betrachtung verdienen würde� Mich interessiert aber vor allem die Form, die durch die anaphorische Wiederholungsstruktur das Wort „Europa“ an den Anfang jeder Zeile setzt und damit den inhaltlichen Fokus auch in der formalen Anordnung des Texts unterstreicht� Ähnlich verfährt ein Gedicht des Schweizers Pablo Haller, das in einem dem Thema Europa gewidmeten Heft Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 237 der Zeitschrift Akzente abgedruckt ist� 3 Hier verweist schon der Titel Europa in 25 Sätzen auf die folgende listenförmige Anordnung� Die 25 durchnummerierten Zeilen rufen mit Europa verknüpfte Schlagworte und Fragen auf, benennen aber auch verschiedene Utopien für den Kontinent� Dabei bildet der in den Zeilen 1, 13, und 24 wiederholte Satz „Ich bin Europäer“ (Haller 38; das vollständige Gedicht findet sich in Anmerkung 3) eine Art Leitmotiv� Listen sind aber nicht nur der Lyrik vorbehalten, sondern lassen sich auch in Prosatexten finden� Ein Blick in Robert Menasses Roman Die Hauptstadt, der als seltenes Beispiel eines dezidierten ‚Europa-Romans‘ gilt, fördert auch hier eine Liste zutage, die sich deutlich vom restlichen Text abgrenzt� Es handelt sich um eine Liste der auf einem Brüsseler Friedhof beerdigten namenlosen Toten: Im Alter von 24 Jahren - gestorben für das Vaterland� Im Alter von 20 Jahren - gestorben für das Vaterland� Im Alter von 26 Jahren - gestorben für das Vaterland� Im Alter von 19 Jahren - gestorben für das Vaterland� Im Alter von 23 Jahren - gestorben für das Vaterland� Im Alter von 23 Jahren - gestorben für das Vaterland� Im Alter von 22 Jahren - gestorben für das Vaterland� Im Alter von 31 Jahren - gestorben für das Vaterland� Im Alter von 24 Jahren - gestorben für das Vaterland� Im Alter von 39 Jahren - gestorben für das Vaterland� Im Alter von 21 Jahren - gestorben für das Vaterland� Mort pour la patrie, for the glory of the nation, slachtoffers van den plicht� (Menasse 87) Obwohl laut der Liste die einzelnen Soldaten in einem Einsatz für das Vaterland und damit in Verfolgung einer nationalen Idee gefallen sind, ruft die angefügte Übersetzung des Satzes „gestorben für das Vaterland“ in mehrere Sprachen einen gemeinsamen Bezugsrahmen auf� Dies lässt sich als Referenz auf Europa lesen, wo die Verfolgung nationaler Ideen historisch gesehen zahlreiche Opfer forderte� Eine solche Auflistung, die den Bezug auf Europa erst auf den zweiten Blick erkennen lässt, findet sich in ganz anderer Form auch in einem Interview mit Julia Kristeva: „[D]as Mittelalter der Kathedralen, die Aufklärung, die Menschenrechte […], das Kolosseum, Bethlehem und Golgatha […], Dante, Shakespeare, Rabelais, Cervantes, Goethe …“ (Kristeva n� pag�)� Erst eine genauere Betrachtung und die Erläuterung der Autorin enthüllen, dass das übergeordnete Kriterium, der gemeinschaftsstiftende Zusammenhang, auch hier das „Wunder“ (Kristeva) Europa ist� 238 Lena Wetenkamp Handelt es sich bei diesen Beobachtungen um einen Zufallsbefund? Davon ist nicht auszugehen: Der Zusammenhang des inhaltlichen Fokus auf Europa und der Darstellungsform der Liste scheint ganz im Gegenteil bei all diesen Beispielen nicht willkürlich gewählt� Vielmehr bedienen sich literarische Darstellungen - so die hier vertretene These - zunehmend nichtnarrativer Formen zur Beschreibung des gegenwärtigen Europas� Die Beispiele zeigen, dass Lyrik, Erzähltexte und Essays der Gegenwart mit Listen und Aufzählungen operieren, um sich dem schwer fassbaren Konstrukt Europa zu nähern� Es stellen sich also die Fragen: Warum Listen? Warum gerade diese Form in der Auseinandersetzung mit Europa? Will man die simpel erscheinende Form der Liste definitorisch fassen, bietet sich die Definition Belknaps an, der eine Liste als „a formally organized block of information that is composed of a set of members“ (15) bezeichnet� Ähnlich hält auch von Contzen fest: „Die Liste ist eine aus distinkten Elementen bestehende formale Einheit“ („Grenzfälle des Erzählens“ 222)� Erlin spezifiziert diese Definition bezüglich der Anzahl der Elemente, indem er erst diejenigen Sequenzen als Liste anerkennt, die aus „vier oder mehr Begriffen bzw� eine Zusammenstellung von Begriffen gleichen Umfangs, die zur gleichen Wortklasse gehören und durch Kommas voneinander abgetrennt sind“ (366) bestehen� Dieser Einschränkung unterliegen die hier versammelten Textbeispiele jedoch nicht� Kristeva fügt ihrer oben zitierten Liste noch den Kommentar hinzu, dass es sich bei der Zusammenstellung um „eine endlose, unaufzählbare Geschichte“ handele und setzt dabei mit dem Begriff „Geschichte“ und der Form der Liste zwei Aspekte in ein verbindendes Verhältnis, die in der literaturwissenschaftlichen Listenforschung zunehmend auseinandergedacht werden� Denn Listen - da ist sich die Forschung weitgehend einig - stehen Kohärenz stiftenden Erzählungen und Geschichten funktional entgegen� Die angenommene funktionale Differenz wird dabei jedoch als mehr oder weniger ausgeprägt gesehen� So verweisen Schaffrick und Werber etwas vage darauf, dass Listen im „Grenzbereich des Narrativen“ (305) liegen, von Contzen dagegen spricht Listen als nichtnarrativen Elementen den Status eines ‚Anderen‘ in einem literarischen Werk zu: Listen als „non-form […] [are] the narrative and literary ‚Other‘ that does not narrate“ („The Limits of Narration“ 256)� Andere Positionen fassen den Begriff der Liste viel weiter und sehen auch eigentlich als Elemente der Erzählung klassifizierte Kategorien wie Beschreibungen oder Gebrauchsanweisungen als Liste an, da auch diese einzelne Elemente in eine serielle Anordnung überführen (Fludernik 309)� Mit diesem nicht-narrativen oder antinarrativen Paradigma der Liste hat die Forschungsdiskussion sich in den letzten Jahren zunehmend beschäftigt, verschiedene Philologien haben die Arbeiten zur Erstellung einer Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 239 „‚listory‘“ (Contzen, „The Limits of Narration“ 241), einer Literaturgeschichte der Listenverwendung, angestoßen� 4 Warum erfreuen sich nichtnarrative Erzählverfahren gerade jetzt großer Beliebtheit, in Zeiten, in denen an anderen Stellen die Bedeutung von Narrativen für soziale Zusammenhänge hervorgehoben wird (man denke nur an das Aufkommen von Ansätzen wie Narrative Economics oder der narrativen Medizin)? Auch wenn Listen nicht erzählen, keine kausalen oder temporalen Zusammenhänge stiften, gleichen sie Narrativen doch in einigen Funktionen, da man beide als „Medien kultureller Selbstverständigung und gesellschaftlicher Selbstbeschreibung“ (Schaffrick and Werber 305) fassen kann� Zu denken wäre hier beispielsweise an den Rückbezug sowohl auf kulturelle oder nationale Ursprungsmythen (also Narrativen) als auch Ahnentafeln und Genealogien (also Listen) zur Festigung einer kulturellen Identität� Zudem wird auf Listen sowie Narrative zurückgegriffen, wenn es um die Aushandlung politischer und sozialer Entscheidungen und Ordnungen geht� Dieser Funktion kommen sie jedoch auf unterschiedliche Art und Weise nach: Während Erzählungen derartige Aushandlungsprozesse oder etwa Konflikte durch die Benennung von Handelnden und Handlungszusammenhängen der Beobachtung aussetzen, werden Aushandlungen in Listen allenfalls implizit mitvollzogen, meistens jedoch vorausgesetzt� Listen steuern politische Prozesse, üben juristische Macht aus und regulieren bürokratische Prozesse, während die sie legitimierenden Verfahren meistens uneinsichtig bleiben� (Schaffrick and Werber 306) Somit sind Narrative und Listen in Hinsicht auf bestimmte Funktionen ähnlich gelagert, weisen aber auch signifikante Unterschiede auf� Funktionen, die speziell der Form der Liste zuerkannt werden, sind Metafiktionalität und Selbstreflexivität sowie die Herausstellung von Vielfalt und Heterogenität (Alber 343), aber auch Ordnungsstiftung und eine Neuanordnung von Wissen (Contzen, „Grenzfälle des Erzählens“ 224; „Die Affordanzen der Liste“ 318)� Einer Liste ist zudem etwas zutiefst Demokratisches inhärent, da sie „Gegenstände[…], so heterogen sie auch sein mögen, demselben Kontext zuordnet oder vom selben Standpunkt aus betrachtet“ (Eco 131)� Dieses demokratische Moment trifft natürlich nur auf Listen zu, die nicht zum Zweck einer Hierarchisierung angelegt wurden� In Bezug auf Ratings und Rankings, aber auch auf Genealogien kann der Aspekt der Gleichsetzung und demokratischen Funktion sinnvoller Weise nicht angeführt werden, da diese die einzelnen Elemente der Liste nach evaluativen und vergleichenden Komponenten anordnen und die Liste demnach eine klare Hierarchie ausdrückt (Esposito 353)� Obwohl Listen damit sehr unterschiedlichen Funktionalisierungen unterliegen, hat sich - wie von Contzen festhält - in der literaturwissenschaftlichen Listenforschung die Annahme 240 Lena Wetenkamp durchgesetzt, den Begriff „Liste“ als „übergeordneten, wertneutralen Begriff zu verwenden, unter dem sich speziellere Formen subsumieren lassen“ („Grenzfälle des Erzählens“ 221)� Zu diesen Subformen gehören u� a� Inventare, Archive, Kataloge, alphabetische Texte und Wörterbücher, die einen je spezifischen Zweck erfüllen� Auch wenn Listen verschiedene Ausformungen annehmen können, ist ihre Form „transhistorisch konstant“ (Contzen, „Die Affordanzen der Liste“ 319), das heißt vereinfachend gesagt: Eine Liste ist als solche jederzeit erkennbar, unabhängig davon, in welcher Zeit sie angefertigt wurde� Die jeweilige Funktion ist jedoch immer an den spezifisch zeithistorischen Kontext rückgebunden; die Funktionalisierung kann stark variieren� Diese einzelnen Funktionalisierungen der Liste als Annäherung an eine mögliche Bestimmung des spezifischen Charakter Europas werden im Folgenden anhand der exemplarisch gewählten deutschsprachigen Gegenwartsautoren Hans Magnus Enzensberger, Karl- Markus Gauß und Ilma Rakusa genauer analysiert� Hans Magnus Enzensberger ist ein aktiver Kommentator europäischen Geschehens, der u� a� in seinem literarischen Reisebericht Ach Europa! Wahrnehmungen aus sieben Ländern (1987) das europäische Lebensgefühl und die Heterogenität der einzelnen Länder und Kulturen festzuhalten und literarisch auszugestalten sucht� 24 Jahre nach Erscheinen dieser Wahrnehmungen kehrt der Autor mit einem längeren Text erneut zum Thema Europa zurück, als er im Mai 2011 den Essay Sanftes Monster Brüssel oder die Entmündigung Europas veröffentlicht� Schon der Titel deutet auf eine euroskeptische Haltung hin, die er im Text auch deutlich herausstellt� Die kritische Einstellung gegenüber den Institutionen der EU illustriert Enzensberger mit anschaulichen Zitaten aus Verordnungen, Richtlinien oder Direktiven, die er häufig in Listenform präsentiert� Ein Beispiel sei hier herausgegriffen: Das Kapitel „Einblick in die Chefetagen“ seziert die komplexe bürokratische Struktur der Europäischen Union mit ihren zahlreichen Gremien, Ausschüssen und Präsidenten� Die Leserinnen und Leser erfahren so u� a�, dass der Präsident der Europäischen Kommission zahlreichen Generaldirektionen vorsteht, von denen Enzensberger nur eine kleine Auswahl auflistet: „die EAC, die RTD, die ENTR, die TAXUD, die MOVE, die ECFIN, die ECHO, die ENER, die ELARG, die BUDG, die SANCO, die JUST, die DGT, die HOME, die INFSO, die CLIMA, die AGRI und die SCIC“ (Enzensberger, Sanftes Monster Brüssel 25)� Eine ähnlich umfangreiche Liste der Exekutivagenturen, die der Kommission unterstehen und die ihre Beschlüsse ausführen, präsentiert er gleich auf der nächsten Seite� In beiden Beispielen wird das allgemein angenommene orientierungsgebende Grundprinzip der Liste konsequent unterlaufen und die Form parodistisch in ihr Gegenteil verkehrt, denn diese umfangreichen Listen stiften eher Verwirrung und potenzieren das Gefühl des Unverständniss- Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 241 es, da die Akronyme nicht aufgeschlüsselt werden� Obwohl Listen auch dort Ordnung stiften können, wo kein Ordnungskriterium erkennbar ist und wenig Wissen über die einzelnen Elemente herrscht (Esposito 356), kommt an dieser Stelle eine andere Eigenschaft exzessiver Listen zum Tragen: Die überbordende Fülle lädt eher dazu ein, den einzelnen Elementen keine Aufmerksamkeit zu schenken, sondern vielmehr über sie hinwegzulesen, „hat man die allgemeine Kategorie, zu der sie gehören, einmal erfasst“ (Frey and Martyn 91)� Vielleicht geht es hier auch um den bloßen Klang der einzelnen Akronyme, die eine ganz eigene lautliche Rhythmik produzieren� Solcherart Listen, denen es vor allem um den Klang der Namen geht, beziehen sich laut Eco nicht auf Signifikate, sondern auf Signifikanten, d� h� die Erstellung der Liste dient nicht der Sammlung und Präsentation eines spezifischen Inhalts, sondern vielmehr der Erzeugung eines lautlichen Klangs (Eco 118)� Doch ist die Form der Liste hier nur der ästhetischen Funktion wegen gewählt? Betrachtet man andere Texte des Autors, so stellt sich heraus, dass der Zusammenhang von Europa als Inhalt und der Form der Liste nicht arbiträr ist: 2001 veröffentlicht Enzensberger in der FAZ den Artikel Die eurozentrische Liste („Die eurozentrische Liste“)� 5 Der kurze Einführungstext zu der ganzseitigen Aufzählung verdeutlicht die Auffassung des Autors, dass die Frage danach, was Europa zu Europa mache, was also als europäische Spezifik anzusehen ist, vielleicht einfacher aus einer Außenperspektive zu beantworten sei, „wenn man den Blick von außen auf diesen Erdteil richtet und danach fragt, was andere an seinen Hervorbringungen, zu ihrem Heil oder Unheil, für brauchbar gehalten haben“� Die Liste fasst - laut der Erläuterung des Autors - weltweit auffindbare „Spuren und Nachahmungseffekte“ der europäischen Kultur, die ihren Ursprung oftmals nicht mehr erkennen lassen� Deutlich heben die einzelnen Einträge nicht nur positive Errungenschaften hervor, sondern die Aufzählung umfasst auch „Verhängnisse“, die Europa über die Welt gebracht hat� Einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt der Autor dabei nicht, die Liste solle vielmehr „der Nachdenklichkeit und dem Vergnügen dienen“� Die Liste umfasst Einträge zu nahezu allen Buchstaben des Alphabets, selbst zum Buchstaben Q wird noch „Quantenphysik“ aufgeführt� Lediglich unter X und Y sind keine Eintragungen zu finden� Welche Aspekte des Europäischen lassen sich aus dieser Liste herauslesen? Betrachtet man die exemplarisch herausgegriffenen Einträge zum Buchstaben A, zeigt sich ein sehr heterogenes Bild: Abonnement Achtstundentag Adreßbuch Airbag Akkumulator Aktbild Aktenordner Aktentasche Aktie Allgemeines Wahlrecht Alpinismus Aluminium Ambulanz Ampel Amphetamin Anästhesie Analytische Geometrie Anarchismus Anatomie Anilinfarben Antibiotika Anzeige Anzug, Sakko Apotheke Arbeiterbewegung Arbeitslosen- 242 Lena Wetenkamp versicherung Archäologie Armbanduhr Asbestzement Asepsis Asphaltierung Aspirin Asylrecht Atelier Atlas Aufzug Auktion Austernzucht Autobahn Autobus Automaten Automobil Autopsie Diese Auflistung folgt keiner inhaltlichen Ordnung� Wäre das Kriterium ihrer Zusammenstellung nicht bekannt, würden Titel und die Einführung des Autors fehlen, so könnte diese Liste Kopfzerbrechen bereiten - vielleicht bliebe nach der Lektüre nur „der nicht weiter spezifizierbare Eindruck einer reinen Heterogenität“ (Frey and Martyn 90)� Dieser Eindruck der Heterogenität tritt insbesondere bei zwei speziellen Arten von Listen auf, die sich laut Eco folgendermaßen unterscheiden lassen: „Es gibt einerseits eine exzessive Liste, die kohärent ist, sie bringt Dinge zusammen, die eine gewisse Verwandtschaft aufweisen; und es gibt andererseits Listen, die Dinge zusammenstellen, die bewußt keinen inneren Zusammenhang aufweisen, hier spricht man von der chaotischen Aufzählung“ (253)� Obwohl die Verbindung zwischen den einzelnen Elementen der von Enzensberger zusammengestellten eurozentrischen Liste nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, handelt es sich nicht um eine chaotische, sondern um eine kohärente exzessive Liste, da die Verwandtschaft der einzelnen Einträge durch den Titel und die Erläuterung deutlich herausgestellt wird� Beide Formen exzessiver Listen - kohärente und chaotische - fordern in besonderem Maße das kognitive Input der Leserinnen und Leser heraus� Den Rezipierenden fällt bei Auflistungen die Aufgabe zu, „die Leerstellen sowohl zwischen den einzelnen Elementen der Liste als auch zwischen der Liste und ihrem unmittelbaren narrativen Umfeld [zu] schließen […], um Kohärenz zu erzeugen“ (Contzen, „Grenzfälle des Erzählens“ 222)� In Bezug auf die eurozentrische Liste stellt sich die Aufgabe, so unterschiedliche Dinge wie „Aktbild“, „Anarchismus“ und „Aspirin“ in Verbindung zu bringen und vor allem für jedes dieser Elemente den Bezug zu Europa zu hinterfragen� Der Aufforderung des Autors, die Liste solle zum Nachdenken anregen, wird damit unweigerlich nachgekommen� Bei vielen Einträgen der umfangreichen Liste steht tatsächlich der Bezug auf ihren geografischen Ursprung nicht mehr im Vordergrund, da die benannten Phänomene mittlerweile zweifelsfrei Bestandteil einer globalisierten Weltkultur sind� Durch ihre Zusammenführung in Enzensbergers Liste werden sie an ihren Ursprungsort rückgebunden� Den Leserinnen und Lesern wird damit ein sehr heterogenes und zudem extrem subjektives Bild Europas präsentiert� Noch eine weitere Europa-Liste Enzensbergers soll hier aufgegriffen werden� 2009 ziert das Cover einer Literatur-Sonderbeilage der Wochenzeitung Die Zeit das vom Autor zusammengestellte sogenannte Alphabet der Krise („Das Al- Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 243 phabet der Krise“)� 6 Die Liste (die auch als solche mit untereinanderstehenden einzelnen Einträgen erkennbar ist) umfasst folgende Einträge: ABCP, ABS, CDO, CDS, CMO, MBS, SIV, SPV; Abwrackprämie; Analyst; Bad Bank; Berater; Casino; Kettenbrief; Paket; Pilotenspiel; Produkt; Rating; Realwirtschaft; Risikomanagement; Spritze; Standort; Toxisch; Verstaatlichung; Vertrauen; Wirtschaftsweisen; Zertifikat Diese Liste erfüllt in meiner Lesart zweierlei Funktionen: Ein Blick auf die einzelnen Einträge zeigt, dass es sich um Beispiele eines Vokabulars handelt, das im Zuge der sogenannten „Euro-Krise“ an vielerlei Stellen im politischen und publizistischen Diskurs aufzufinden war� Doch handelt es sich hier auch um ein für wirtschaftsferne Leserinnen und Leser oftmals schwer verständliches Vokabular� Die von Enzensberger verwendete Form der Liste bringt Ordnung in dieses terminologische Chaos� Indem Begriffe wie „Bad Bank“ und „toxisch“, die mit negativen Assoziationen verknüpft sind, in die bekannte Form der Liste eingeordnet werden, verlieren sie zudem etwas von ihrer Bedrohlichkeit� Denn Krystal betont: „there is something reassuring about a list, a precision and formality that makes us think we’ve got a handle on things“ (Krystal n� pag�)� Die Liste dient damit scheinbar der beruhigenden Ordnungsstiftung und als Mittel zur Kontingenzbewältigung� Andererseits nimmt sie an dieser Stelle auch eine archivierende Funktion ein: Indem sie Vokabeln, die einem ganz spezifischen historischen Kontext entstammen, wie beispielsweise „Abwrackprämie“ in einer Liste miteinander in Verbindung bringt, stellt sie ein Archiv der Terminologie der Krise da� Solcherart Listen „halten etwas fest; sie bewahren auf, was dem Fluss der Zeit sonst unvermeidlich zum Opfer fällt“ (Mainberger 344)� Die Liste präsentiert sich dabei in der speziellen Form eines Lexikons, da sie nach der Ordnung des Alphabets aufgestellt ist� Belknap spezifiziert diese Form wie folgt: „In the lexicon, words are inventoried with their definitions, ordered and arranged for ease of accessibility“ (2—3)� Diese lexikografische Anordnung und Form bedingen, dass jeder der Einträge mit einer Erläuterung versehen ist� Der dem einzelnen Wort folgende Text enthüllt dabei den satirischen Ansatz des Autors� Denn einem Begriff wie „Risikomanagement, das; “ folgt anstelle einer ernsthaften Erläuterung, die den Leserinnen und Lesern den Hintergrund und die Verwendung des Begriffs verdeutlicht, folgende Erklärung: „dient nicht der Begrenzung, sondern der Steigerung von Nebenwirkungen� Eine Packungsbeilage ist nicht vorgesehen� Ärzte oder Apotheker gehören nicht zum Personal“� Ebenso verfährt Enzensberger mit dem Begriff der „Wirtschaftsweisen, die; “, die er als „staatlich geprüfte Ansammlung von hochdotierten Kaffeesatz-Lesern“ bezeichnet� 244 Lena Wetenkamp Die oben aufgeführte beruhigende und ordnende Form der Liste wird damit in ihr Gegenteil verkehrt, denn einen größeren Überblick über die unverständliche Terminologie der Krise ermöglicht die Lektüre der Liste nicht� Von Contzen führt aus, dass Listen (sie bezieht sich dabei vor allem auf praktische Listen, die den Alltagsgebrauch beherrschen) „versteckte politische und/ oder ideologische Implikationen aufweisen können“ („Die Affordanzen der Liste“ 323)� Folgt man dieser Annahme, kann Enzensbergers Alphabet der Krise auch als kritische Stellungnahme zu den politischen Reaktionen auf die europäische Krise gelesen werden� Sie würde dann die von ihm schon im Sanften Monster Brüssel formulierte Kritik an der Undurchsichtigkeit und bürgerfernen Kommunikation der EU und ihren Repräsentantinnen und Repräsentanten noch einmal aufgreifen und - wieder mit Hilfe einer Liste - erneut formulieren� Dass enumerative Schreibverfahren einen engen Bezug zu Europa haben, zeigen nicht nur die Listen bei Hans Magnus Enzensberger� Als ein weiteres Beispiel einer Poetik des Europäischen kann Karl-Markus Gauß’ Das europäische Alphabet (1997) gelten� Der 1954 in Salzburg geborene Essayist und Autor ist nicht nur als Herausgeber der Zeitschrift Literatur und Kritik ein aufmerksamer Beobachter der europäischen Verhältnisse; er setzt sich auch in eigenen Texten immer wieder mit Europa auseinander� So gibt Ilma Rakusa in einer Laudatio auf den Autor allen an Europa Interessierten den Rat: „[D]enken Sie über Europa, seine realen oder möglichen Grenzen nach, lesen Sie Karl-Markus Gauß“ („Laudatio auf Karl-Markus Gauß“ 1)� In Gauß’ europäischen Alphabet unterbrechen Listen nicht den narrativen Fluss einer anderweitig strukturierten Erzählung, sondern das ganze Buch ist - legt man den oben genannten weit gefassten Listenbegriff an - in seiner alphabetischen Anordnung als Liste verfasst� Einen Überblick über die einzelnen Einträge des Alphabets hält das Inhaltsverzeichnis bereit: Auswanderung; Balkan; Čownyki, ukrainisch; Dissident; Euro-; Fremde; Grenze; Heimat; Identität; Jugonostalgičari, kroatisch; Jugoslawien; Kongreß; Kurva, polnisch; Lega Nord, italienisch; Mobilität; Nachbarn; Nation; Nationalismus; Opfer; Pronari, albanisch; Quote; Regionalismus; Sprachpolizei; Srče Europe, slowakisch; Tutiša, litauisch; Umvolkung; Volk, fahrendes; Weltsprache? Muttersprachen! ; Xarnegu, baskisch; Ymir; Zwei Europa (Gauß 205—06) Dieses Verzeichnis - quasi eine Liste in einem im Ganzen als Liste strukturierten Buch - folgt einer etablierten Form der Wissenspräsentation: Lexika und andere alphabetisch geordnete Texte dienen als Nachschlagewerk zumeist vor allem der schnellen Orientierung� Dem Titel nach könnte man also eine schnelle Übersicht über die wichtigsten Aspekte der europäischen Kultur erwarten� Doch im Gegensatz zu anderen Nachschlagewerken wie dem von der Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 245 Bundeszentrale für politische Bildung publizierten Band Europa von A bis Z (Weidenfeld and Wessels), dessen Einträge Funktionen und Zuständigkeiten der europäischen Union von „Afrikapolitik“ bis „Zuständigkeiten: Instrumente und Kompetenzen“ verzeichnen, fächert Gauß einen ganz anderen Gegenstands- und Assoziationsbereich auf� Betrachtet man die einzelnen Einträge genauer, stellt sich unweigerlich die Frage nach der Auswahl� Obwohl Listen wie dafür geschaffen sind, ganz unterschiedlichen Elementen einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu bieten (Belknap 2), muss jeder Listenschreiber doch eine Auswahl treffen; die Frage nach Einbeziehung und Ausgrenzung ist eine unumgängliche Voraussetzung der Listenerstellung (Belknap 19)� Welche Kriterien könnten also Gauß’ Auswahl zugrunde liegen? Auffällig ist, dass er vor allem marginalisierte Aspekte europäischer Kultur, Minoritäten und Ambivalenzen, in das Zentrum seines Buches stellt� Geht man mit Schaffrick und Werber davon aus, dass alle Auflistungen immer im „Horizont all derjenigen Elemente [stehen], die nicht auf der Liste stehen, dort aber potenziell einen Platz hätten haben können“ (304), nimmt Gauß eine Ergänzung bereits etablierter Bilder und Vorstellungen von Europa vor� All diejenigen Elemente, die beim Lesen des Buchtitels vielleicht direkt vor Augen stehen, werden somit mit den oftmals marginalisierten, aber von Gauß aufgegriffenen Aspekten Europas verknüpft� In den als Fließtext verfassten Erläuterungen, die den Überschriften zugeordnet sind, befragt Gauß die einzelnen Begriffe im Hinblick auf ihre Bedeutungen, Geschichte und Verwendung - Analysen, die oftmals von einer gewissen Ironie getragen sind� Gerade die Form der Liste ist prädestiniert, an sich heterogene Einträge wie „Auswanderung“, „Kongreß“ und „Sprachpolizei“ miteinander in Beziehung zu setzen� Dabei steht die von Gauß gewählte alphabetische Ordnung einer hierarchischen Anordnung entgegen� Die Platzierung der einzelnen Elemente innerhalb des Buches orientiert sich ausschließlich an der Ordnung etablierter Lexika-Prinzipien� Generell ist die Frage nach der Anordnung der einzelnen Elemente innerhalb einer Liste - mit Ausnahme von Rankings und Ratings - als sekundär zu betrachten, „weil die Dinge oder Wörter auf der Liste dadurch, dass sie auf der Liste stehen, eine nicht weiter zu begründende Äquivalenzklasse bilden“ (Schaffrick and Werber 306—07)� Dennoch muss die Betrachtung und Analyse einer Liste laut von Contzen immer einer zweifachen Herangehensweise folgen: Die Analyse der Liste als Ganzes zieht demnach immer eine Betrachtung ihrer einzelnen Elemente und ihrer je spezifischen Ordnungsverfahren nach sich („The Limits of Narration“ 244)� Somit verdient auch Gauß’ Liste einen tiefergehenden Blick in Bezug auf die einzelnen Elemente� Diese lassen sich bei genauer Betrachtung bestimmten thematischen Gruppen zuordnen� So gibt es mit „Auswanderung“, „Mobilität“, 246 Lena Wetenkamp „Umvolkung“ und „Volk, fahrendes“ Einträge, die alle dem Bereich der Bewegung zugeordnet sind und das Fluide des Europäischen betonen� Andere Einträge wiederum beleuchten einzelne Regionen („Balkan“, „Jugoslawien“, „Regionalismus“, „Lega Nord, italienisch“) und stellen damit eine polyzentrische Perspektive auf Europa heraus� Besonders auffällig sind aber diejenigen Einträge, die einer anderen Sprache entstammen� So finden sich „Čownyki, ukrainisch“, „Jugonostalgičari, kroatisch“, „Kurva, polnisch“, „Pronari, albanisch“, „Srče Europe, slowakisch“, „Tutiša, litauisch“ und „Xarnegu, baskisch“� Diese Einträge beleuchten Phänomene, die Gauß an einem spezifischen Ort oder Raum festmacht, die aber leicht auf andere, ähnliche Bereiche in Europa übertragen werden können� So bezieht sich der Eintrag „Tutiša, litauisch“ zwar vor allem auf die Verhältnisse in Litauen und die dort im Alltag virulente Frage nach der Zugehörigkeit zu bestimmten Nationalitäten in Gebieten, die durch das Zusammenleben verschiedener Volksgruppen geprägt sind� Da aber Litauen nicht das einzige Gebiet Europas ist, das durch wechselnde Herrschaftsverhältnisse und (forcierte) Migrationsbewegungen bis heute durch das Zusammenleben heterogener Volksgruppen geprägt ist, haben die von ihm geschilderten Aspekte für viele Bewohner Europas unmittelbare Relevanz� Auch die sich hinter dem Eintrag „Kurva, polnisch“ verbergenden Phänomene der sprachlichen Verrohung der Alltagssprache und des zunehmenden Einsatzes von Schimpfwörtern sind sicherlich nicht allein für Polen zu konstatieren� Gauß greift also mit seinem Alphabet zum einen ganz spezifische Aspekte verschiedener Gebiete Europas auf, die Leserinnen und Leser werden jedoch - auch durch den Titel - herausgefordert, diese Elemente auf den größeren Kontext Europas zu beziehen� Nach Schaffrick und Werber sind Listen „sprachlich und medial konstruierte Formen […], die soziale und epistemische Ordnungen konstituieren“ (304)� Nimmt man zu dieser Überlegung die zuvor herausgestellte Annahme hinzu, dass die einzelnen Elemente einer Liste nicht hierarchisch, sondern in einem Äquivalenzverhältnis zueinanderstehen, wird bei Gauß noch einmal der demokratische Duktus der Liste deutlich� Er räumt allen Aspekten den gleichen Raum ein und stellt damit auch die Bedeutung marginalisierter Aspekte für die europäische Kultur heraus� Das europäische Alphabet kann aber zudem noch eine andere Funktion erfüllen: Die einzelnen Einträge befassen sich mit Aspekten, die nicht nur marginalisiert werden, sondern denen teils sogar die Auslöschung droht� Schmitz-Emans fasst als eine besondere Facette lexikographischer Literatur die „Lexikographik des Verschwindenden oder der Zeitlichkeit“, die der „Erfassung von kulturellen Beständen unter dem Aspekt ihrer Vergänglichkeit“ (134) gilt� Gauß’ Text kann ohne weiteres einem solchen Textkorpus zugerechnet werden, da er Aspekte der europäischen Kultur auflistet, die vom Verschwinden bedroht sind� 7 Nicht Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 247 nur an der von ihm im Eintrag „Xarnegu, baskisch“ aufgegriffenen baskischen Sprache zeigt sich, dass die Besonderheiten verschiedener Regionen oder Kulturen Europas durch Globalisierungs- und Vereinheitlichungstendenzen verloren zu gehen drohen� Gauß’ Alphabet bewahrt sie in seinen Beschreibungen jedoch auf und verdeutlicht zugleich, dass sie niemals ganz verschwinden können, sondern vielmehr an unterschiedlichen Orten Europas neue Relevanz gewinnen� Seine Liste ist demnach sowohl auf die Vergangenheit als auch die Zukunft Europas bezogen� Eine Archivierung europäischer Kultur und Geschichte nehmen auch die Texte Ilma Rakusas vor� Die heute in der Schweiz lebende Schriftstellerin wurde 1946 als Tochter eines Slowenen und einer Ungarin in Rimavská Sobota (in der heutigen Slowakei) geboren� Ihre Kindheit verbrachte sie in Budapest, Ljubljana, Triest und Zürich� Später führte sie ihr Studium unter anderem nach Paris und Sankt Petersburg� Vor diesem biografischen Hintergrund verwundert es nicht, dass Rakusa in der Forschung oftmals als Vertreterin einer sogenannten „Chamisso-Literatur“ oder „Migrationsliteratur“ und als „interkulturelle“ oder „transnationale“ Autorin angesehen wird� 8 Europa bildet nicht nur die Folie ihrer Erzählungen und Romane, sondern sie greift das Thema Europa auch als Essayistin und Herausgeberin von Textsammlungen immer wieder explizit auf� So findet sich in einem ihrer Essays folgende Aussage: „Europa ist ein Versprechen� Europa ist eine Drohung� Europa ist ein Gedicht� Europa ist ein Konglomerat von Interessen“ (Rakusa, „Eindrücke und Pausengespräche“ 37)� Wie Kristeva, Enzensberger und Gauß wählt Rakusa für ihre Annäherung an eine Beschreibung Europas das Verfahren der Enumeration� 9 Es sind in diesem Beispiel zwar nicht einzelne Elemente, die asyndotisch aneinandergereiht werden, dennoch ist die anaphorische Anordnung der einzelnen Aussagen - wie in Rávic Strubels Gedicht am Anfang des Aufsatzes - klar als Liste zu erkennen� Auflistungen sind bei Rakusa jedoch nicht ausschließlich mit dem Gegenstand Europa verknüpft, sondern ihr ganzes Werk ist von ihrer Vorliebe für Reihungen und Wiederholungen geprägt ( Jesenovec 101)� Die Autorin setzt sich in ihrer Münchner Rede zur Poesie mit dem Titel Listen, Litaneien, Loops selbstreflexiv mit ihren auflistenden Erzählverfahren auseinander� Dort konstatiert sie: „Listen stellen den Versuch dar, die Welt - oder einen Ausschnitt davon - zu buchstabieren, gleichsam kompakte Schöpfungsmodelle zu erstellen“ (Rakusa, Listen, Litaneien, Loops 13)� Listen bergen demnach vor allem kreatives Potenzial, sie bilden nicht nur ab, sondern erschaffen Neues� In diesen Schöpfungsakt bindet Rakusa alle Sinne ein; die Listen geben oftmals synästhetische Erlebnisse wieder� In ihrem autobiografisch geprägten narrativen Text Mehr Meer. Erinnerungspassagen aus dem Jahr 2009 liest sich beispielsweise eine Beschreibung 248 Lena Wetenkamp Triests, der Kindheitsstadt, wie folgt: „Wasser, Wind, Wärme, Stein, Weiß, Blau, Muschel, Tang, Immergrün, Lorbeer, Rosmarin, Rebe, Oleander“ (Rakusa, Mehr Meer 50)� Diese Liste entspricht Belknaps Beobachtung, dass die Mehrheit der Listen aus Nomen besteht (19)� Sie kann mit Eco aber auch als poetische Liste bezeichnet werden� Diesen Begriff führt er ein, um eine Unterscheidung zu praktischen Listen zu etablieren� Im Gegensatz zu denen, die wir in Form von To-Do-Listen, Einkaufszetteln oder Wörterbüchern selbstverständlich in unserem Alltag verwenden und die sich durch ihre referentielle Funktion, ihre Endlichkeit und Unveränderlichkeit auszeichnen (Eco 113) und niemals widersprüchlich sind, „wenn man das Kriterium ihrer Zusammenstellung kennt“ (Eco 116), sind poetische Listen in ihrer Verwendung und Form freier� Belknap bezeichnet solcherart Listen als „literary lists“ (xiii), die vor allem der Freude am Sprachspiel und Wortklang geschuldet sind und damit dem Lesevergnügen dienen� Auch Rakusa sieht den poetischen Mehrwert von Listen vor allem in „ihre[r] spezifische[n] Zusammenstellung und Lautgestalt” (Rakusa, Listen, Litaneien, Loops 27)� So lebt die eben aufgeführte listenförmige Beschreibung Triests von den W-Anlauten, der auffälligen Einsilbigkeit vieler Wörter und dem Assonanzgeflecht aus a und ei� Es gibt aber in Mehr Meer auch Listen, die nicht nur eine besondere Lautqualität herausstellen, sondern eine ganz andere Funktion übernehmen: Wie bei Gauß kann diesen Listen eine archivarische und bewahrende Funktion zuerkannt werden, und zwar nicht nur in Bezug auf die Lebensgeschichte der Autorin, sondern auch im Blick auf europäische Geschichte� In den Erinnerungspassagen findet sich die Ich-Erzählerin im Kapitel Notate, Listen am sogenannten „Umschlagplatz“ im Warschauer Ghetto wieder, der der Sortierung und Verladung der Juden diente� Dort beginnt sie, die Namen der Verstorbenen aufzuschreiben: Ein Kaddisch in Stein� Aba, Abel, Abigail, Abitel, Abner, Abraham, Abrasza, Absalom, Achiezer, Achimelech, Achitaw, Ada, Adam, Adela, Adolfajdla, Ajzyk, Ahiba, Aleksander, Boruch, Brajna, Brajndel, Bronia, Bronisław, Cadok, Cedakiasz, Celina, Cemach, Chaggit, Chaim, Chaja, Chana, Chanen, Chasia, Chawa, Chawiwa, Chizkiasz, Curi, Cwi, Cyna, Cypora, Cyrla, Cywia, Dina, Doba, Dora, Dorota, Dow, Dwosia, Eliab, Eliahu, Eliakim, Eliasz, Eliow, Eliezer, Elimelech, Eliszura, Eliza, Elka, Elkana, Elnaten, Emanuel, Fajga, Fajwel, Felicja, Feliks, Filip, Fiszel, Fadel, Frajda, Froim, Fruma, Fryderyk, Hadasa, Hagara, Halina, Hanna, Hela, Helena, Henoch, Henia, Henryk, Hersz, Hesa, Heszel, Hirsz, Hudla, Jadzia, Jair, Jakir, Jakow, Jakubjan, Jankiel, Janusz, Jechezkiel, Jechiel, Jedida, Jefet, Jehoshua, Jehuda, Jekutiel� Ich breche ab� Der letzte Name ist Zanna� Kein Mensch hat mich beim Aufschreiben beobachtet� (Rakusa, Mehr Meer 130—31) Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 249 Diese Liste fällt allein durch ihren Umfang auf und stellt eine klare Unterbrechung im Text- und Lesefluss dar� Solcherart in einen literarischen Text eingefügte Listen werden oftmals als Störung empfunden (Contzen, „Die Affordanzen der Liste“ 318)� Mehr noch als längere deskriptive Passagen, die den Fluss der Handlung zum Stillstand bringen und erzähltheoretisch mit dem Begriff der Pause gefasst werden können, stellen Listen Elemente der Textunterbrechung dar (Richardson 328)� Gerade dieser Bruch mit der narrativen Kohärenz ist eine Aufforderung an die Leserinnen und Leser, die Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen zu entschlüsseln� Dieser Aspekt wurde schon anhand Enzensbergers exzessiver Listen deutlich� Welche Verknüpfungsleistung wird nun aber vom Leser angesichts der von Rakusa festgehaltenen Namensliste aus dem Warschauer Ghetto gefordert? Anders als bei Menasses Totenliste werden Alter und Todesursache hier nicht genannt� Ohne Kontextualisierung stellt Rakusas Liste lediglich eine Anhäufung von Namen dar, die in alphabetischer Reihenfolge wiedergegeben werden� Die rahmenden kommentierenden Worte der Ich-Erzählerin, die diese Liste als „Kaddisch in Stein“ bezeichnet und sie mit „ich breche ab“ beendet, können den Leserinnen und Lesern als Angebot oder Aufforderung dienen: Die Auflistung ist als Totengebet zu verstehen, das sowohl im Akt des Aufschreibens durch die Ich-Erzählerin als auch durch den Akt der Lektüre noch einmal performativ umgesetzt wird� Die Repetition der Namen, die jede Leserin und jeder Leser entweder laut oder gedanklich vornimmt, vervielfältigt die in Stein gehauenen Namen und trägt sie vom historischen Ort des Warschauer Ghettos an vielfältige neue Orte� Die Leserinnen und Leser von Rakusas Text werden aber nur eines Teils der Liste ansichtig� Laut Eco prädestiniert die potentielle Offenheit der Liste diese Form als Ausdruck für Phänomene, bei denen man „die Grenzen dessen, was man darstellen will, nicht kennt, wenn man nicht weiß, wie viele Dinge es sind, von denen man spricht, und man eine, wo nicht unendliche, so doch astronomisch hohe Zahl annehmen muß“ (Eco 15)� Gerade bei Listen, die ohne Einfügungen von Konjunktionen in der Form des Asyndetons einzelne Elemente aneinanderreihen, entstehe unweigerlich der Eindruck einer potentiellen Unabgeschlossenheit, einer Unendlichkeit der Fortsetzung (Belknap 30)� Demnach macht eine solche Liste dieses „Unendliche geradezu physisch fühlbar, weil sie tatsächlich nicht endet, nicht abgeschlossen ist in einer Form“ (Eco 17)� Die durch den deutlich markierten Abbruch nicht abgeschlossene Liste in Rakusas Mehr Meer ruft demnach allein durch ihre Form schon den Horizont nicht nur der namentlich genannten Opfer auf, sondern multipliziert diese ins Unendliche, da der Eindruck des Unabgeschlossenen auf die Unzahl der nicht genannten Opfer verweist� Listen ordnen damit nicht nur, sie kommen auch einer ethischen Verantwortung nach� Diese Funktion der Mahnung an einen 250 Lena Wetenkamp aktiv forcierten Erinnerungsvorgang muss in Bezug auf Rakusas Listen mitgedacht werden, bezeichnet sie doch selbst die Erstellung von Listen und Registern als „Poethik“ (Rakusa, Mehr Meer 132), was einen verantwortungsvollen Umgang mit der Vergangenheit impliziert� So fügt die Ich-Erzählerin dem Akt des Aufschreibens der Namen noch den Kommentar hinzu: „Festhalten ist besser als vergessen“ (Rakusa, Mehr Meer 129)� Rakusa ruft mit der Namensliste die Verbrechen des Holocaust auf, der als negativer Gründungsmythos der EU bezeichnet werden kann� Die Aufarbeitung der Morde und systematischen Tötungen ist aber immer noch nicht abgeschlossen; Karl Schlögel betont in diesem Kontext, die Nennung der Millionen Opfer des Krieges sei eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gemeinsame europäische Erinnerung (271)� Die bei Rakusa in die Narration eingebundene Liste kommt damit der ethischen Funktion des Erinnerns nach� Darüber bildet sich ein Wissen über die Vergangenheit, die an vielen Orten Europas mit konkreten Gewalttaten verknüpft ist, ohne die die Geschichte des Ortes nicht zu verstehen ist� Für ein Zusammenleben an diesen Orten ist die Bedeutung der Historie jedoch immens wichtig und es gilt, dieses Wissen immer wieder wachzurufen� Die genauere Betrachtung sehr unterschiedlicher Listen bei Enzensberger, Gauß und Rakusa zeigt, dass die spezifische ästhetische Form jeweils einen engen Bezug zu Europa aufweist und bevorzugt in Texten eingesetzt wird, die einer Poetik des Europäischen zuzurechnen sind� Die transhistorisch stabile Form der Liste kann jedoch kontextspezifisch jeweils anders funktionalisiert werden� Historisch gesehen weisen Listen seit der Antike immer auch auf den „Wunsch nach einer Formgebung“ (Eco 245) hin� Listen stellen damit den Versuch dar, konkrete und abstrakte Elemente in einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu setzen und eine Ordnung zu schaffen, wenn diese angesichts der Unendlichkeit und Unzählbarkeit der Dinge auch nie ganz erreicht werden kann� Frey und Martin sehen Listen als eine besondere Weise von „Wissenstechnik“ (91) an, als eine eigene „Art, die Vielfalt der Dinge zu bewältigen, darzustellen, zu wissen“ (95)� Welche Arten des Wissens lassen sich demnach aus den Europa-Listen herauslesen? Zunächst ist der offensichtliche Aspekt der Heterogenität zu nennen� Die Form der Liste muss keine Kohärenz erzeugen, keine allgemeingültige Erzählung über die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft Europas bereitstellen� Sie begnügt sich damit, heterogenen Elementen einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu bieten und kann damit hierarchische Ordnungsprinzipien unterlaufen� Listen - dies sei als zweiter gemeinsamer Aspekt der betrachteten Beispiele festzuhalten - stellen darüber hinaus immer auch eine Aufforderung für die Leserinnen und Leser dar, sich genauer mit ihnen auseinanderzusetzen� Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 251 Um diesen Aufforderungs- oder Angebotscharakter der Listen zu präzisieren, wendet von Contzen den Begriff der Affordanz an� Damit stellt auch sie die Rolle der Rezipierenden heraus, die „unabdingbar in der Wahrnehmung und Interpretation der Handlungsoptionen, die eine Liste anbietet [sind]“ (Contzen, „Die Affordanzen der Liste“ 322)� Die Rolle des Einzelnen in der Frage danach, was Europa ausmachen könne, wird in den Europa-Listen also betont� Als letzter gemeinsamer Aspekt der betrachteten Beispiele ist die archivierende Funktion und damit ein auf die Zukunft Europas gerichteter Umgang mit der Vergangenheit zu nennen� Dies erfolgt durch die Bewahrung des spezifischen Vokabulars eines bestimmten zeithistorischen Abschnitts (wie bei Enzensberger), durch die Sammlung marginalisierter oder im Verschwinden begriffener Elemente der europäischen Kultur (wie bei Gauß) oder durch die von Rakusa und Menasse geforderten aktiven Erinnerungsakte an die Opfer vergangener Gewalttaten� Listen stellen damit eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft dar und betonen die Wichtigkeit von Geschichte für das europäische Projekt� Eine Analyse der spezifisch narrativen Verfahren, der sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ihren Auseinandersetzungen mit Europa bedienen, bringt neue Bedeutungsaspekte zum Vorschein� Die Literatur trägt nicht nur über inhaltliche Schwerpunktsetzungen zum Europa-Diskurs bei, sondern stellt auch ästhetische Verfahren bereit, um Ideen eine entsprechende Form zu verleihen� Nimmt man die Implikationen dieser Ausführungen ernst und überträgt die herausgearbeiteten Merkmale und Eigenschaften von Listen auf das Projekt Europa, wäre man mit folgenden Aussagen konfrontiert: 1� Europa setzt sich aus unendlich vielen Elementen zusammen� 2� Es besteht keine hierarchische Beziehung zwischen diesen Elementen� 3� Es kann kein allgemeingültiges europäisches Narrativ geben� 4� Heterogenität kann unter einem gemeinsamen Bezugsrahmen bestehen bleiben� 5� Europa ist ein demokratisches Projekt� 6� Europa stellt eine Aufforderung zur Auseinandersetzung dar� 7� Europa darf seine Toten und seine Geschichte nicht vergessen� 8� Ebenso wie diese Liste ist Europa offen und potentiell unabgeschlossen� Notes 1 Dies zeigt zum einen die Panel-Serie zum Thema „Europe in Contemporary German Literature“ auf der Jahrestagung der German Studies Association in Pittsburgh, 27�—30�9�2018, aus der dieses Sonderheft hervorgegangen ist� In den letzten zwei Jahren widmeten sich dem Thema u� a� aber auch fol- 252 Lena Wetenkamp gende Konferenzen: „Europa im Übergang: interkulturelle Transferprozesse - internationale Deutungshorizonte“ (Flensburg, 9�—15�9�2017); „Europa im Umbruch� Europa in Literatur und Film der Gegenwart“ (München, 13�— 14�12�2018); „Fictions of Europe: Imaginary Topographies and Transnational Identities across the Arts“ (Brüssel 28�—29�3�2019)� 2 Das Gedicht ist Teil des Manifests zur europäischen Schriftsteller-Konferenz 2014� https: / / m�dw�com/ downloads/ 28902735/ das-manifest-zur-europischen-schriftsteller-konferenz-2014�pdf� 27 January 2019� 3 Pablo Hallers Gedicht soll hier zum besseren Verständnis vollständig wiedergegeben werden� Europa in 25 Sätzen 1� Ich bin Europäer� 2� Europa der Regionen, hieß es einst� 3� Europa der Konzerne & Bürokraten heißt es auch heute nicht� 4� Politik ist wie eine Hühnerleiter - in beide Richtungen verschissen� 5� Die Reihen schließen sich� 6� Der Osten hält die Hand hin & klemmt den Arsch zu� 7� Der Westen ist ein verlumpter Sugardaddy� 8� Deutschland weiß nicht so recht, was es soll� 9� Die Schweiz als Insel der Seligen� 10� Da ist eine „Insel“ in Einfaltspinsel� 11� Die Schlinge zieht sich zu� 12� Die Schweiz geht so lange nicht zur EU, bis sie bricht� 13� Ich bin Europäer� 14� Europa als Festung� Als Reduit der Besitzstandwahrer� 15� Utopie 1: Europa wird arabisch� Tritt das aufgeklärte Erbe der Mauren in Andalusien an� 16� Dystopie 1: Europa wird faschistisch� 17� Utopie 2: Europa wird weiter gedacht als die Grenzen des Kontinents� Europa als Idee� Aufklärung� Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit� Eine Einladung zur Selbstreflexion� 18� Dystopie 2: Europa verfällt� Wir wandern alle aus, irgendwohin, wo das ganze Jahr die Sonne scheint� Ich blättere durch Immobilienprospekte aus Bavaro (Dom Rep)� 19� Utopie 3: Wir lösen Gesetze, Staaten, Konstrukte auf & überlassen uns uns selbst� 20� Dystopie 3: Europa wird zu einem Franchisenehmer der US of A� 21� Ist Europa heute mehr als Ennui & Selbstverneinung / -überhöhung? Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 253 22� Der weiße Mann hat abzutreten� 23� Wo bleiben die Guillotinenfelder? 24� Ich bin Europäer� 25� Ich muss los� 4 Eine schöne Zusammenstellung verschiedener „Listen-Texte“ präsentiert das Blog: https: / / listology�blog/ � 27 January 2019� 5 Da der ganze Text sich auf der gleichen Zeitungsseite befindet, werden im Folgenden keine Nachweise mehr eingefügt� 6 Auch für diesen Text werden im Folgenden keine Einzelnachweise angeführt, da er sich auf einer einzigen Seite befindet� 7 Vgl� zu den Topografien, die durch Gauß’ assoziative Verknüpfungen entstehen auch: Agazzi� 8 Eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Konnotationen der Terminologie in diesem Feld kann hier nicht geleistet werden� Gute Überblickdarstellungen finden sich u� a� bei Sturm-Trigonakis (16 f�) oder Blioumi, passim� Eine eigene Auseinandersetzung mit den verschiedenen Begriffen nimmt Rakusa in einer Rede vor der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vor („Die Vielfalt der ‚Migrantenliteratur‘“)� 9 Andere von Rakusa verwendete poetische Verfahren habe ich an anderer Stelle herausgearbeitet (Wetenkamp, „Europa als Palimpsest, Netz, Inventar“)� Works Cited Agazzi, Elena� „Das Europa-Bild in Karl-Markus Gauß’ Das europäische Alphabet und Im Wald der Metropolen. Vom Reisebereicht zur europäischen Reportage� Der Austausch zwischen Peripherie und Zentrum�“ Europa. Gestalten: Studien und Essays. Ed� Peter Hanenberg� Frankfurt a�M�: Peter Lang, 2004� 153—65� Alber, Jan� „Absurd Catalogues: The Functions of Lists in Postmodernist Fiction�“ Style 50�3 (2016): 342—58� Belknap, Robert E� The List: The Uses and Pleasures of Cataloguing� New Haven: Yale UP, 2004� Blioumi, Aglaia� „‚Migrationsliteratur‘, ‚interkulturelle Literatur‘ und ‚Generationen von Schriftstellern‘: Ein Problemaufriß über umstrittene Begriffe�“ Weimarer Beiträge 46�4 (2000): 595—601� Contzen, Eva von� „The Limits of Narration: Lists and Literary History�“ Style 50�3 (2016): 241—60� —� „Die Affordanzen der Liste�“ Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 47 (2017): 317—26� —� „Grenzfälle des Erzählens: Die Liste als einfache Form�“ Komplexität und Einfachheit: DFG-Symposium 2015. Ed� Albrecht Koschorke� Stuttgart: Metzler, 2017� 221—39� 254 Lena Wetenkamp Eco, Umberto� Die unendliche Liste� München: Hanser, 2009� Enzensberger, Hans Magnus� Ach Europa! Wahrnehmungen aus sieben Ländern� Berlin: Suhrkamp, 1987� —� „Das Alphabet der Krise�“ Zeit Literatur 12 (March 2009): 1� —� „Die eurozentrische Liste�“ FAZ 6-Jan�-2001: 1� —� Sanftes Monster Brüssel oder Die Entmündigung Europas� Berlin: Suhrkamp, 2011� Erlin, Matt� „Sammlung, Inventar, Archiv: Epistemologien der Liste im Roman des 19� Jahrhunderts�“ Archiv/ Fiktionen: Verfahren des Archivierens in Literatur und Kultur des langen 19. Jahrhunderts. Ed� Daniela Gretz and Nicolas Pethes� Freiburg i�Br�: Rombach, 2016� 363—83� Esposito, Elena� „Organizing without Understanding: Lists in Ancient and in Digital Cultures�“ Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 47 (2017): 351—59� Fludernik, Monika� „Descriptive Lists and List Descriptions�“ Style 50�3 (2016): 309—26� Frey, Christiane, and David Martyn� „Listenwissen: Zu einer Poetik des Seriellen�“ Noch einmal anders: Zu einer Poetik des Seriellen. Ed� Elisabeth Bronfen et al� Zürich: Diaphanes, 2016� 89—103� Gauß, Karl-Markus� Das Europäische Alphabet� Wien: Zsolnay, 1997� Haller, Pablo� „Europa in 25 Sätzen�“ Akzente 63 (2016): 38� Ivanović, Christine� „Europa als literaturwissenschaftliche Kategorie�“ Der literarische Europa-Diskurs: Festschrift für Paul Michael Lützeler zum 70. Geburtstag. Ed� Peter Hanenberg and Isabel Capeloa Gil� Würzburg: Königshausen & Neumann, 2013� 22—49� Jesenovec, Barbara� „Die ‚Poetische Autobiographie‘ Mehr Meer von Ilma Rakusa�“ Acta Neophilologica 45�1-2 (2012): 97—108� Kristeva, Julia� Interview� Die Zeit 2-Jan�-2014: 37� Krystal, Arthur� „The Joy of Lists�“ The New York Times. The New York Times Company, 3-Dec�-2010� Web� 27 Jan� 2019� Mainberger, Sabine� „Exotisch - endotisch oder Georges Perec lernt von Sei Shonagon: Überlegungen zu Listen, Literatur und Ethnologie�“ Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 47 (2017): 327—50� Menasse, Robert� Die Hauptstadt� Berlin: Suhrkamp, 2017� Rakusa, Ilma� „Laudatio auf Karl-Markus Gauß zur Verleihung des Johann-Heinrich-Merck-Preises 2010�“ www.deutscheakademie.de. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, n�d� Web� 27 Jan� 2019� —� „Eindrücke und Pausengespräche�“ Europa schreibt: Was ist das Europäische an den Literaturen Europas? Essays aus 33 europäischen Ländern. Ed� Ursula Keller and Ilma Rakusa� Hamburg: Edition Körber-Stiftung, 2003� 35—42� —� „Die Vielfalt der ‚Migrantenliteratur‘: Eine anthologische Annäherung�“ Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch (2008): 151—59� —� Mehr Meer: Erinnerungspassagen� Berlin: Berliner Taschenbuch-Verlag, 2011� —� Listen, Litaneien, Loops - zwischen poetischer Anrufung und Inventur� München: Stiftung Lyrik Kabinett, 2016� Europa als Liste� Enumerative Verfahren bei Enzensberger, Gauß und Rakusa 255 Richardson, Brian� „Modern Fiction, the Poetics of Lists, and the Boundaries of Narrative�“ Style 50�3 (2016): 327—41� Schaffrick, Matthias, and Niels Werber� „Die Liste, paradigmatisch�“ Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 47 (2017): 303—16� Schlögel, Karl� Grenzland Europa: Unterwegs auf einem neuen Kontinent� München: Hanser, 2013� Schmitz-Emans, Monika� „Alphabetisch-lexikographische Schreibweisen und die Kriterien der Postmoderne�“ Poetiken der Gegenwart: Deutschsprachige Romane nach 2000. 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