Colloquia Germanica
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0010-1338
Francke Verlag Tübingen
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“[D]ie furchtbare Kraft […], die da auf einmal durch den ganzen Himmel lag”: Adalbert Stifters Szenographie der Finsternis
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Elisabeth Strowick
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“[D]ie furchtbare Kraft […], die da auf einmal durch den ganzen Himmel lag”: Adalbert Stifters Szenographie der Finsternis Elisabeth Strowick New York University Abstract: Adalbert Stifter’s Die Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842 evinces strikingly scenic characteristics� The scenic quality that Stifter develops here - thus the first step in the hypothesis - is a scene of force. The essay analyzes the scenic force of representation (Darstellung) against the backdrop of works on the “force of art” and the scene of writing� Scenography is thus understood as a process that effects a reciprocal shifting of scene and writing: while the scenic undergoes a serial orientation in the medium of writing (scenography), writing is simultaneously designed in a scenic way (scenography)� Stifter’s scenography - thus the second step in this hypothesis - is a scenography of darkness, which the essay analyzes based on three poetological operations of text: 1� intermedial scenography, 2� choric scene of writing, 3� scenic speech act� The non-mimetic quality of Stifter’s scenography, which is inherent in darkness, shows the text to be a primal scene (Urszene) of modern aesthetics� Keywords: Adalbert Stifter, Die Sonnenfinsternis, realism, scenography, force Die im Titel meines Aufsatzes zitierte Passage entstammt Stifters berühmter Beschreibung der Sonnenfinsternis am 8� Juli 1842� Es handelt sich hier nicht nur - wie allgemein attestiert - um eine der “eindrucksvollsten Naturschilderungen im Stifterschen Gesamtwerk” (Schiffermüller, Buchstäblichkeit 31), sondern - wie dies schon die wenigen Worte zeigen - um eine Studie zum Szenischen� Ohne Auslassungen lautet der Teilsatz: “so wurden wir nun plötzlich aufgeschreckt und emporgerissen durch die furchtbare Kraft und Gewalt der Bewegung, die da auf einmal durch den ganzen Himmel lag” (Stifter, Sonnenfinsternis 1118)� Was zeichnet diese Stiftersche Szene aus? Keine Figur findet 306 Elisabeth Strowick sich, die auf einem umgrenzten Schauplatz dem Zuschauerblick eine Handlung darbieten würde; vielmehr gehen - oder genauer: liegen - Kraft und Bewegung durch den ganzen Himmel� In der Plötzlichkeit des Ereignisses zeigt sich die Szene als Dynamik von Transformation, Defiguration und Entgrenzung - ein Geschehen, das jegliche Beobachtung übersteigt und das “wir” der Betrachter aufschreckt und emporreißt: “so wurden wir nun plötzlich aufgeschreckt und emporgerissen”� Von einer Betrachterposition läßt sich hier nicht mehr sprechen; das aufgeschreckte “wir” tritt in die Dynamik einer Szene ein, die jegliche Figur-Grund-Unterscheidung suspendiert� Anders gesagt: Die Stiftersche Szene ist ein Schauplatz von Kraft� Ja, handelt es sich bei der Szene, die Stifters Text hier generiert, um eine szenische Darstellung der “Kraft der Kunst”? Entwirft Stifters Sonnenfinsternis eine “Ästhetik der Kraft” (Menke, Kraft 12)? Über die Frage nach der “Kraft der Kunst” (Menke, Kraft der Kunst) oder den “Kräfte[n] der Künste” (Fehrenbach et al� XIV) ist ‘Kraft’ verstärkt in den Fokus ästhetischer, kunstheoretischer und kulturwissenschaftlicher Forschung gerückt� Der Begriff ‘Kraft’ durchzieht Stifters gesamtes Oeuvre und speist sich sowohl aus den zeitgenössischen Naturwissenschaften wie aus der philosophischen Ästhetik (vgl� Schuster)� Stifters Texte - so habe ich andernorts mit Blick auf Diskurse von Bewegung gezeigt - weisen das Verhältnis zwischen Literatur, Ästhetik, Naturwissenschaft und Technik als ein komplexes System wechselseitiger Teilhabe von Darstellungsweisen aus (vgl� Strowick, “Poetological-Technical Operations”)� Ein solcher darstellungstheoretischer Ansatz läßt sich auch für den Begriff der Kraft produktiv machen: Weniger auf die Darstellung von Kraft als auf die Kraft der Darstellung zielt meine folgende Lektüre von Stifters Die Sonnenfinsternis am 8. July 1842� Die eingangs angedeutete innige Beziehung zwischen Kraft und Szene dient dabei als Scharnier: Kraft, so die These, generiert Szene, Szene ist Schauplatz von Kraft� Welche Szenographie ist es, die Stifters Prosa angesichts dieses Konnexes ins Werk setzt? Stifters Die Sonnenfinsternis am 8. July 1842 erscheint vom 14�-16� Juli 1842 in drei Folgen in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode� 1 Die eindrucksvolle Beschreibung der totalen Sonnenfinsternis wurde vielfach in ihren wissenschaftsgeschichtlichen, theologischen und ästhetischen Bezügen diskutiert� 2 Allgemein konstatiert wird die Überlagerung von Erhabenem und Unheimlichem, wie sie sich auch in späteren Texten Stifters findet, so etwa in Aus dem bairischen Walde� 3 Obgleich dem Erhabenen wie dem Unheimlichen eine szenische Dimension zueigen ist 4 und eine solche in Stifters Beschreibung der Sonnenfinsternis deutlich zu Tage tritt, wurde ihr bisher noch keine besondere Aufmerksamkeit zuteil� Es ist das Szenische - und zwar ein Szenisches, dass sich nicht im Erhabenen oder Unheimlichen erschöpft -, anhand dessen Stifters Sonnenfinsternis Kraft im diskursiven Wechselspiel eruiert, ja, als Kraft Adalbert Stifters Szenographie der Finsternis 307 der Darstellung profiliert� Bevor ich mich der Beschaffenheit des Szenischen genauer zuwende, sei der Verlauf des Textes kurz in Erinnerung gerufen� Die Beschreibung der Sonnenfinsternis erfolgt durch eine homodiegetische Erzählinstanz, die dem Ereignis beigewohnt hat und es nun für die “tausend Augen” und “tausend Herzen”, die es ebenfalls erlebten, ‘nachmalen’ und ‘festhalten’ will, “in so ferne”, so der einschränkende Zusatz, “dieß eine schwache, menschliche Feder überhaupt zu thun im Stande ist” (1109)� Die naturwissenschaftliche Berechenbarkeit des Ereignisses steht in Diskrepanz zum Erleben desselben, das den Betracher in unvorhersehbarer Weise “erschüttert” (1109)� Der Text beschreibt diese Erschütterung im ästhetischen Register - als “Schauer und Erhabenheit” -, wie im religiösen Vokabular: “als hätte Gott auf einmal ein deutliches Wort gesprochen, und ich hätte es verstanden” (1109)� Die Beschreibung des Ereignisses der Sonnenfinsternis setzt mit dem frühmorgendlichen Aufstieg auf die “Warte” (1109) des Hauses ein, von welcher der Erzähler eine Übersicht über die Landschaft um Wien hat� Die optischen Instrumente werden ausgerichtet� “[Z]ur vorausgesagten Minute” (1110) beginnt das Licht zurückzuweichen� Das “unsichtbare Dunkel” wächst “immer mehr und mehr in das […] Licht der Sonne ein” (1116 f�), die “Spannung” (1117) steigt� Bald ‘siecht’ das Licht heimlich weg; der Mond erscheint als “dieß unheimliche, klumpenhafte tiefschwarze vorrückende Ding, das langsam die Sonne wegfraß” (1117)� Die ganze Umgebung wird von den “Wirkungen” des schwindenden Lichtes erfaßt: “der schöne sanfte Glanz des Himmels erlosch”, “über den Auen starrte ein unbeschreiblich seltsames, aber bleyschweres Licht, über den Wäldern war mit dem Lichterspiele die Beweglichkeit verschwunden”, “immer fahler goß sich’s über die Landschaft und diese wurde immer starrer” (1117)� “[E]s war ein lastend unheimliches Entfremden unserer Natur” (1117)� Die Stadt gerät zum “wesenlose[n] Schattenspiel”, “das Fahren und Gehen und Reiten über die Brücke geschah, als sähe man es in einem schwarzen Spiegel - die Spannung stieg aufs höchste -” (1117)� Kurz bevor der Mond die Sonne vollständig verdeckt, erscheint diese nurmehr als “glühende Sichel”, “so schmal, wie mit der Schneide eines Federmessers in das Dunkel geritzt, [� � �] jeden Augenlick zum Erlöschen” (1117)� Wie der “letzte Funke eines erlöschenden Dochtes” verschwindet auch der letzte Sonnenstrahl; es herrscht “Todtenstille, es war der Moment, da Gott redete, und die Menschen horchten” (1117)� Die Szene schlägt in die bereits eingangs zitierte Dynamik um, in der das “wir” “plötzlich aufgeschreckt und emporgerissen” wird “durch die furchtbare Kraft und Gewalt der Bewegung, die da auf einmal durch den ganzen Himmel lag” (1118)� Wo die Betrachterposition suspendiert ist, bleibt unklar, welches Auge hier blickt und das nachfolgende Farbenspiel bezeugt: “Farben, die nie ein Auge gesehen, schweiften durch den Himmel” (1118)� In der Korona treffen zentrifugale “Lichtflut” (“daß es rings aus- 308 Elisabeth Strowick einander spritzte”) und Finsternis aufeinander: “nie schien ein Licht so wenig irdisch und so furchtbar, und von ihm floß das aus, mittels dessen wir sahen” (1118)� Die eigene Gestalt verkehrt sich in “schwarze, hohle Gespenster” (1118)� Als “furchtbar” bezeichnet der Text nicht nur die “Kraft”, sondern auch die Finsternis: “wie furchtbar ist jenes Ding […], wenn es sich entzieht, das Licht” (1118)� In Kapitulation der Beschreibung vor der Finsternis verlegt sich der Text aufs Zitieren und Referieren anderer Texte: der Worte beim Kreuzestod Christi oder Lord Byrons Gedicht “Die Finsternis” [“Darkness”]� 5 Alle Beschreibungen von Sonnenfinsternissen, so der Text, bleiben hinter dem Ereignis zurück, vermag doch keine “die namenlos tragische Musik von Farben und Lichtern, die durch den ganzen Himmel liegt” (1119) darzustellen� Der Schluß des Textes versichert die Leserin/ den Leser des “rechten Maßes”, nach zwei Minuten ist das Ereignis vorbei: “Alles sey wie früher”, die “Jenseitswelt” ist verschwunden, “und wir hatten unsere Welt wieder” (1123)� Die Menschenmenge löst sich auf: “auf allen Straßen und Wegen waren heimkehrende Gruppen und Züge in den heftigsten exaltirtesten Gesprächen und Ausrufungen begriffen” (1124)� Was “fortwog[t]”, “nachhall[t]” (1124), ist der Eindruck der Erschütterung� Der Text endet mit zwei Fragen, auf deren eine ich an späterer Stelle zurückkommen werde� Das szenische Vokabular ist deutlich: Stifters Sonnenfinsternis präsentiert sich als Schauspiel aus Licht, Schatten, Farbe, Finsternis� “Spannung” - das Wort fällt mehrfach im Text - ist wesentliches Moment der Szene, ja, diese stellt sich stukturell als Spannung dar: Die mit Gedankenstrichen abgesetzte elliptische Wiederholung von “‘es kommt’ - […] - ‘es kommt’” (1110) lässt sich auf das Schauspiel selbst beziehen, das im Kommen, im Ausstehen, verbleibt� 6 Ausbleiben - dies eine der Bedeutungen von ἔκλειψις/ Eklipse, Sonnenfinsternis, und eben diese überträgt Stifter strukturell auf das Szenische� Die bekannte Stiftersche Serialität, der permanente Aufschub, kennzeichnet mithin auch das Szenische� Noch der vermeintliche Schluss der Beschreibung berichtet vom Andauern, dem “unverlöschlichen” (1124) Eindruck der Erschütterung, welcher “fortwog[t]”, “nachhall[t]”� Stifters Szene ist m�a�W� keine Szene von Präsenz, sondern von suspense/ Suspension - ebenso wie das Licht, das “sich entzieht” - ein “furchtbar[es] […] Ding”� Damit sind wir beim Fluchtpunkt von Stifters Szenographie: Die Szene, die Stifters Beschreibung der Sonnenfinsternis eruiert und generiert, ist eine Szene, die sich schlicht konträr zum Szenischen verhält, ein Unding einer Szene: eine Szene aus Finsternis. Die religiös-theologischen Dimensionen von Licht und Finsternis im Text sind offenkundig und vielfach diskutiert worden; mich interessieren im Folgenden die medial-darstellungstheoretischen� 7 Bekanntlich kommt die Szene nicht ohne Licht aus; Licht ist konstitutiv für Sichtbarkeit� Carl-Friedrich Baumann spricht vom “Licht als szenische[m] Gestaltungsmit- Adalbert Stifters Szenographie der Finsternis 309 tel” (Baumann ix), Juliane Vogel von der “solaren Orientierung” des Dramas (Vogel, “Solare Orientierung”)� 8 Was also hat es mit Stifters literarischer Szene aus Finsternis auf sich? Die Finsternis bei totaler Sonnenfinsternis, so stellt nicht erst der zeitgenössische Diskurs fest, ist inkommensurabel, eine Finsternis, die mit keiner anderen vergleichbar ist� In der Abhandlung des Astronomen Jacob Heinrich Wilhelm Lehmann zur Sonnenfinsternis am 8� Juli 1842 heißt es: Wie ist nun zu erklären, was einige Beobachter, namentlich bei der Finsterniss von 1706, melden, dass die Dunkelheit zur Zeit der gänzlichen Bedeckung der Sonne weder der Nacht noch der Dämmerung gleichet, sondern von besonderer Art ist? Welches ist diese besondere Art? (Lehmann 15) 9 Man könnte sagen, daß dies die Frage ist, die auch Stifters Beschreibung der Sonnenfinsternis umtreibt, eine Beschreibung, welche - wie gesagt - die im strikten Sinne des Wortes “unbeschreiblich[e]” (1117) Finsternis ausspart� Ja, es scheint, als wäre es die Frage, aus der heraus Stifters Text seine Szenographie entwickelt� Es ist das Inkommensurable der Finsternis, das die Darstellung des Textes instruiert und mithin ein Szenisches generiert, dem seine eigene Suspension inhärent ist� Ich will Stifters Szenographie der Finsternis im Folgenden anhand dreier szenischer Operationen des Textes bestimmen: 1� Intermediale Szenographie, 10 2� Chorische Schreib-Szene, 3� Szenischer Sprechakt� Intermediale Szenographie: Wie die zahlreichen zeitgenössischen Berichte und Beschreibungen bezeugen, ist die Sonnenfinsternis vom 8� Juli 1842 nicht zuletzt ein mediales Ereignis und Stifter weiß dies szenographisch zu nutzen� Die Publikation seiner Beschreibung der Sonnenfinstenis erfolgt, wie gesagt, in drei Folgen, vom 14�-16� Juli 1842 in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode� 11 Stifters Text ist der einzige der zwischen dem 11� und 18� Juli 1842 in dieser Zeitschrift veröffentlichten fünf Beiträge zur Sonnenfinsternis, der als Fortsetzung erscheint� Dass er dies tut, ist für Stifters szenographisches Projekt keineswegs irrelevant, und eben der Grund, weshalb ich mich hier auf den Erstdruck beziehe� Betrachten wir also genauer, welche Zeitlichkeit der Text dem Zeitschriftenmedium abgewinnt� Die Unterbrechungen/ Fortsetzungen fallen genau mit jenen Momenten des Textes zusammen, welche die eminent szenischen sind: Die erste Folge (14� Juli) bricht im Zustand der Spannung ab� Es hatte geheißen: “- ‘es kommt’ […] - ‘es kommt’ - und mit Spannung blickte nun Alles auf den Fortgang” (1110)� Der spannungsvolle Blick auf den Fortgang ist, so könnte man sagen, der szenische Blick schlechthin� Und eben diesen verlegt Stifter in die Unterbrechung� “[M]it Spannung blickte nun Alles auf den Fort- 310 Elisabeth Strowick gang” lässt sich unschwer als Referenz auf die spannungsvolle Erwartung der Fortsetzung durch die Zeitschriften-Leserschaft lesen, die im selben Zuge zum Bestandteil der Szene wird, mit Spannung auf den Fortgang des Ereignisses der Sonnenfinsternis blickt� Wie ließen sich - angesichts von Stifters szenographischer Engführung von Text und Zeitschriftenmedium - die “tausend Augen”, die da erwartungsvoll das Spektakel verfolgen, von den “tausend Augen” der Leserschaft unterscheiden? Konsequent setzt die nächste Folge, vom 15� Juli, mit dem anhaltenden Blick, der fortgesetzten Spannung ein: “Indes nun Alle schauten […] wuchs das unsichtbare Dunkel immer mehr und mehr in das schöne Licht der Sonne ein - Alle harrten, die Spannung stieg” (1117)� Stifters Szenographie operiert intermedial� Die Unterbrechung ist szenisches Moment; Szene ist - und hier weiß Stifter das Medium Zeitschrift präzise zu nutzen - strukturell seriell, Spannung, suspense� Die Struktur des Aufschubs, die das Szenische des Textes charakterisiert, findet ihre Korrespondenz in der Fortsetzungsstruktur des Erstdrucks� Was das serielle Medium, das Stifter als Träger des Szenischen profiliert, bekräftigt, ist, dass Szenisches in der Unterbrechung, im Intervall, im Zwischen persistiert� Ein solches Zwischen situiert sich nicht zwischen zwei Szenen, sondern konstiuiert das Szenische als Zwischen/ off� Stifters Szenisches stellt sich m�a�W� als ein Zwischenraum dar, der nicht nach Intervallen organisiert ist, sondern in dem, mit Deleuze und Guattari gesprochen, “alles zum Intervall” wird (Deleuze and Guattari 662)� Betrachten wir daraufhin die zweite Unterbrechung, die dieses strukturelle Moment des Szenischen noch radikalisiert: Die Finsternis, so hatte ich gesagt, wird im Text nicht beschrieben, sondern - so läßt sich mit Blick auf Stifters Szenographie hinzufügen - medial in Szene gesetzt: Die Folge vom 15� Juli bricht im Zustand inkommensurabler Finsternis ab; die Leserin/ der Leser wird buchstäblich im Dunkeln gelassen, in die Finsternis ausgesetzt� Zweifellos handelt es sich auch hier um einen Akt von suspense/ Suspension� Mit entschieden restituierender Geste setzt die letzte Folge (16� Juli) ein: “Aber wie Alles in der Schöpfung sein rechtes Maß hat, so auch diese Erscheinung, sie dauerte zum Glücke sehr kurz” (1123)� Die Versicherung schließt sich an, “daß Alles sey wie früher”, “die Jenseitswelt [war] verschwunden, und die hiesige wieder da, […] wir hatten unsere Welt wieder” (1123)� Was ist passiert, daß die Folge mit einem Rückruf in die Welt beginnt? Ich werde dies an späterer Stelle diskutieren� Was hier zunächst deutlich ist, ist die Geste der Begrenzung: das Inkommensurable der Finsternis wird ins “rechte Maß” überführt, das überdies numerisch konkretisiert wird: Nicht weniger als vier Mal wiederholt der Text, dass die “Erscheinung” - oder besser gesagt: das Verschwinden - “zwey Minuten” dauert� 12 Fast schon humoristisch konterkariert die genaue Zeitangabe das Inkommensurable des Ereignisses, das sich gerade durch die Suspendierung jeglichen Maßes auszeich- Adalbert Stifters Szenographie der Finsternis 311 net� Das Intervall des Szenischen, das sich mit der unbeschreiblichen Finsternis auftut, und sich jeglichen Maßes entzieht, wird von Stifter qua Unterbrechung des Textes inszeniert� Mit dem Konzept des cliffhangers, das strukturell auf der Ebene von Kontinuität und Kommensurabilität, sprich: der “zwey Minuten” verbleibt, ist Stifters Szenographie der Finsternis nicht beizukommen� Was der Text szenisch vollzieht, ist die Suspendierung/ Auslöschung des Szenischen� Kein Kliff findet sich hier, sondern nurmehr Abyss, eine radikale Diskontinuität, an die nicht mehr oder allenfalls mit der Beschwörung, “daß Alles sey wie früher” (1123, Herv�, E�S�) anzuschließen ist� Wenn es Anliegen des Erzählers war, die Empfindung für die “tausend Augen” und “tausend Herzen”, die es erlebt hatten, “nachzumalen und festzuhalten” (1109), so kann man sagen, daß dies weniger auf der Ebene der Beschreibung geschieht als mittels des szenographischen Verfahrens� Qua Zeitschriftenmedium setzt Stifter die unbeschreibliche Finsternis - das Szenische als Intervall/ Unterbrechung - in Szene� Der Akt des Lesens wird zum szenischen Ereignis, in dem die “tausend Augen” der Leserschaft der Finsternis ausgesetzt sind� Die “schwache, menschliche Feder” findet Unterstützung im seriellen Medium� Ganz im Sinne von Rüdiger Campes Konzeption der Schreibszene stellt Stifters Szenographie der Finsternis damit die Untrennbarkeit von Schreibszene und Medientechnologie unter Beweis (vgl� Campe 767)� Chorische Schreib-Szene: Ist die Zeitschrift das eine Medium, dem die Stiftersche Szene ihre serielle Ausrichtung verdankt, so das andere die Schrift� Der Ausdruck ‘Schreibszene’ ist bereits gefallen; daß es sich bei Stifters Beschreibung um eine solche handelt, ist offenkundig: Der Text reflektiert verschiedentlich auf die Schrift und auf sich selbst als Schreibszene, so etwa, wenn von der “schwachen, menschlichen Feder” die Rede ist, die das Ereignis nachzumalen sucht, oder von der “Schrift seiner Sterne” (1109), die den Himmel als Träger von Schrift ausweist� Die Engführung von Schriftmetaphorik und Himmelsereignis, die in der Forschung verschiedentlich bemerkt wurde, 13 tritt insbesondere kurz vor dem Erlöschen des Lichtes hervor: “so schmal, wie mit der Schneide eines Federmessers in das Dunkel geritzt, stand nur mehr die glühende Sichel da, jeden Augenblick zum Erlöschen” (1117)� Zwei Interventionen nimmt Stifters Szenographie der Finsternis vor, womit das Konzept der Schreibszene eine entscheidende Verschiebung erfährt: 1) Wo Stifters Text Schreibszene und Ereignis der Sonnenfinsternis verknüpft, inszeniert er den Akt des Schreibens mit Blick auf das Erlöschen der Schrift� Die “wie mit der Schneide eines Federmessers in das Dunkel geritzt[e] […] glühende Sichel” - der Schriftzug des Sonnenlichts - stellt sich im Zeichen des Erlöschens dar, ja, schmilzt “wie der letzte Funke eines erlöschenden Dochtes” (1117) hinweg� Finsternis und Erlöschen der Schrift sind 312 Elisabeth Strowick poetologisch enggeführt� Sprich: Das Erlöschen/ die Auslöschung der Schrift ist der Schreibszene konstitutiv inhärent� 2) Nicht um die “schwache, menschliche Feder” ist die Schreibszene zentriert; der Text delegiert Feder und Schreibakt vielmehr an das Himmelsereignis, die Szene, die, wie wir zu Anfang gesehen hatten, ein Schauplatz von Kraft ist� Der Schauplatz von Kraft ist m�a�W� ein Schauplatz der Schrift, Schreiben erscheint als szenisches Ereignis� Kein Autor, kein Subjekt schreibt hier, sondern ein differentielles Kraftfeld tut sich auf, das Schrift im selben Zuge hervorwie zum Erlöschen bringt� Eklipse vollzieht sich auf der Ebene der Schrift, präsentiert sich als ein anderes Wort für Schreibszene� Kein Schriftzeichen mag diesem Projekt angemessener sein als das ekliptischelliptischste 14 der Stifterschen Zeichen, das die Beschreibung der Sonnenfinsternis ostentativ durchzieht: der Gedankenstrich� 15 Als einfacher (“-a”), doppelter (“- -”), dreifacher (“- - -”) liegt der Gedankenstrich durch den Text wie die Kraft durch den Himmel� Ja, läßt sich in der “Kraft […], die da […] durch den ganzen Himmel lag” ein Gedankenstrich erblicken, ein himmlischer Gedankenstrich, der nichts geringeres tut als den Himmel, die Szene selbst durchzustreichen? Die (Schreib-)Szene, die Stifters Szenographe der Finsternis generiert, ist elliptisch (“‘es kommt’ - […] - ‘es kommt’”) - eine Szene, die sich selbst ausstreicht, suspendiert� Es sind diese Interventionen in die Schreibszene, die der hier von mir literaturtheoretisch profilierte Begriff Szenographie zu markieren sucht� Szenographie setzt die wechselseitige Verschiebung von Szene und Schrift ins Werk: Erfährt - im Medium der Schrift - das Szenische eine serielle Ausrichtung (Szenographie), ist Schrift zugleich dezidiert szenisch gestaltet (Szenographie)� (Schreib-)Szene ist nicht präsenzlogisch zu denken, sondern als Suspension, serieller Schauplatz von Kraft� Die szenische Kraft, die hier am Werk ist, operiert nicht gemäß der Unterscheidung von Figur und Grund, sondern desavouiert eine solche� 16 Stifters Szene kennt keinen Protagonisten, sondern folgt einer durch und durch chorischen Choreographie� “Der Chor”, so Ulrike Haß in anderem Zusammenhang, “eröffnet den Schauplatz” (Haß 142)� Unschwer lässt sich die Chronotopie des Chores, seine Entfaltung als raum-zeitliche Differenz, a-identische Pluralität, “heterogenes, vielstimmiges Konglomerat” (Haß/ Tatari 77), wie sie Haß für den Chor der antiken Tragödie beschreibt, in den bewegten Kollektiven erkennen, mit denen Stifters Text aufwartet: Da ist die Rede von dem “Gerassel der Wägen”, vom “Laufen und Treiben” (1110)� 17 Die Kollektiva/ Kollektive in Bewegung, welche die Szene bestimmen, lassen sich als Charakteristika des Szenischen lesen: In der kollektiven Bewegung artikuliert sich eine spezifische agency des Szenischen, stellt sich Szene als kollektive agency dar: “Thun, Wirken, Werden” 18 jenseits eines Protagonisten� Wenn es heißt, “oben sammelten sich betrachtende Menschen” (1110), könnte man szenographisch wohl auch sagen: ‘es sammelt Adalbert Stifters Szenographie der Finsternis 313 sich der Schauplatz’, die Szene/ der Schauplatz ist, was “sich versammelt”, was sich je wieder neu und anders versammelt� Mit dem Fortgang des Ereignisses werden die “tausend”, ja “Millionen Augen” koordinierend ausgerichtet: “tausend Augen, die zugleich an jenem Momente zum Himmel aufblickten”, “tausend Herzen, die zugleich schlugen” (1109 f�)� Die Koordination des Chorischen kulminiert im Augenblick des Erlöschens des Lichtes in einem “einstimmige[n] ‘Ah’ aus aller Munde” (1117)� Bei diesem Unisono allerdings bleibt es nicht� Im nächsten Moment schon wird das “wir” “plötzlich aufgeschreckt und emporgerissen durch die […] Kraft und […] Bewegung, die da auf einmal durch den ganzen Himmel lag” (1118); die szenische Kraft/ Kraft der Schrift macht sich als Kraft von Defiguration und Dissemination geltend� Erst mit der Rückkehr des Lichtes rekonstituert sich ein “wir” (“wir hatten unsere Welt wieder”; 1123) und das heterogen-chorische Gefüge des Anfangs kehrt zurück: “das Fahren und Lärmen begann wieder […]; die Pferde wieherten, und die Sperlinge auf den Dächern begannen ein Freudengeschrey […], und die Schwalben schossen blitzend und kreuzend, hinauf, hinab, in der Luft umher”, “auf allen Straßen und Wegen waren […] Gruppen und Züge in den heftigsten exaltirtesten Gesprächen und Ausrufungen begriffen” (1124)� Stifters Szenographie generiert eine chorische Szene, ja, akzentuiert das Chorische als Schauplatz von Kraft, mobiles Kraftfeld ohne stabile Rahmung� 19 Im Kontext des Szenischen gelesen bezeichnet “Treiben” (1110), 20 insofern es jeglichen Täter hinter dem Tun suspendiert, präzise die chorische Kraft der Darstellung� Augestattet mit dieser Kraft ist auch Schreiben chorisches Geschehen, Stifters Schreibszene eine chorische Szene� Stifters Szenographie ist eine Szenographie der Finsternis� Was kann es heißen, Finsternis zu schreiben, oder auch: aus Finsternis zu schreiben? Kommen wir damit zur dritten szenischen Operation des Textes� Szenischer Sprecchakt: So wenig wie Stifters Beschreibung der Sonnenfinsternis eine auktoriale Schrift kennt, ein Subjekt, das schreibt, so wenig kennt sie ein auktoriales Wort, ein Subjekt das spricht, einen Sprecher hinter dem Sprechakt, auch Gott ist es nicht� Wo Gott redet - im Moment der totalen Finsternis - herrscht “Todtenstille”, kein Sprechen läßt sich vernehmen: “und dann Todtenstille, es war der Moment, da Gott redete, und die Menschen horchten” (1117)� Wie der Akt des Schreibens an die Szene übergeht, so vollzieht sich auch der Sprechakt szenisch� Die Szene der Finsternis ist das “Wort” (1109) Gottes� Um was für einen Akt aber handelt es sich bei diesem szenischen Sprechakt? Wollte man ihn in ein Wort übersetzen, dann würde dieses Wort wohl lauten: ‘Es werde Finsternis’ - ein ungeheuerlicher, ein blasphemischer Sprechakt, wie er vielleicht nur Stifter zuzutrauen ist� Wo Stifters Gott “redet”, wird es finster, agiert Finsternis� Anstelle des Schöpfungs- 314 Elisabeth Strowick aktes Gottes “Es werde Licht”, findet sich ein szenischer Akt von Entschöpfung� Der Ausdruck ‘Entschöpfung’ ist einer anderen Szenographie der Finsternis entnommen, Thomas Bernhards Frost, die Finsternis und Entschöpfung gleichfalls zusammenführt� 21 Der Fluchtpunkt von Stifters Szenographie der Finsternis ist nichts Geringeres als ein Akt der Entschöpfung, sprich: Suspendierung von Wirklichkeit� Stifters Sonnenfinsternis ist Schauplatz eines ‘Es werde Finsternis’ bzw� ‘Es entwerde Licht’ - ein szenischer (Sprech-)Akt, der noch den Schauplatz als solchen suspendiert� Wollte man den szenischen Sprechakt der Entschöpfung (‘Es werde Finsternis’/ ‘Es entwerde Licht’) performanztheoretisch beschreiben, so wäre wohl auf das Spiel mit Präfixen zurückzugreifen� Nicht um ein Afformativ, 22 eine Unterlassung im Handeln, Entsetzung im Akt der Setzung, handelt es sich bei Stifters Szenographie der Finsternis, sondern um - die Wortschöpfung sei gestattet - ein Deformativ: das undoing des Aktes, die Revokation der Schöpfung� Im Deformativ agiert Finsternis als szenische Kraft der Auslöschung von Wirklichkeit� Stifters Sonnenfinsternis spielt vielfach auf die Apokalypse an und entsprechende Szenarien ein� Die Referenzen auf die Offenbarung des Johannes wurden von der Forschung ausführlich diskutiert� 23 Dabei steht Stifters Sonnenfinsternis mit ihren Bezügen auf Jean Pauls Rede des todten Christus 24 und Lord Byrons Darkness nicht nur in der Tradition nicht-metaphysischer Apokalypse-Rezeption und moderner Katastrophenszenarien, wie sie Eva Horn nachgezeichnet hat (vgl� Horn); mit der Entschöpfung/ dem Deformativ vollzieht Stifters Szenographie noch eine andere Geste der Säkularisierung: Die szenische Revokation der Schöpfung ‘Es werde Finsternis’ ist nicht die Apokalypse, die ihrerseits im Schöpfungsparadigma und mithin im Geltungsbereich der Theologie verbleibt� Stifters szenographisches Deformativ ist nicht mit dem Ende der Welt befaßt; vielmehr unternimmt sie eine Revision des Anfangs� Aus der Widerrufung der göttlichen Schöpfung, der irreduziblen Leerstelle der Finsternis, emergiert Ästhetik� Mit der göttlichen Schöpfung revoziert Stifter zugleich die Theologie als Referenz für die Legitimität der modernen Ästhetik� Ästhetik gründet sich auf nichts als auf einen Akt der Entgründung/ Entschöpfung� Schöpfung, nicht göttlicher Art (“Es werde Licht”), sondern aus Finsternis wird an die Ästhetik delegiert� Es ist diese Genese moderner Ästhetik, ästhetischer Schöpfung aus Finsternis, auf die Stifters Text zuläuft - doch tut er dies nicht ohne Umweg� Wie, wo Stifters Sonnenfinsternis Szene und Wirklichkeit bis zu ihrer Entschöpfung treibt, zurückkehren? Wie die Szene schließen? Es sind dies Fragen, die sich wohl auch Stiters Text stellt, denn die dritte Folge ist überschrieben mit dem Wort “(Schluß�)” und setzt mit einer entschiedenen Geste der Restitution ein� Adalbert Stifters Szenographie der Finsternis 315 Aber wie Alles in der Schöpfung sein rechtes Maß hat, so auch diese Erscheinung, sie dauerte zum Glücke sehr kurz, gleichsam nur den Mantel hat er von seiner Gestalt gelüftet daß wir hineinsehen, und augenblicks wieder zugehüllt, daß Alles sey wie früher� […] mit Eins war die Jenseitswelt verschwunden, und die hiesige wieder da, […] wir hatten unsere Welt wieder - […] die Larvenwelt [war] verschwunden, und die unsere wieder da� (1123) Mit durchaus physikotheologischen Obertönen preist der Text das “rechte Maß” der Schöpfung und beschwört die Wiederholung/ Rückgewinnung “unsere[r] Welt”� Anders als Freuds Enkel spielt Stifter das Fort-Da-Spiel mit ostentativer Betonung des da, nicht des fort, das doch, wie man seit Freud weiß, die entscheidende Bewegung des Wiederholungszwanges ist� Und was für ein fort hatte der Text mit dem ungeheuren szenischen Akt, dem Deformativ der Entschöpfung, in der Tat vollzogen! War dabei nicht der Faden, an dem die Welt zu halten ist, gerissen? Ist also “Alles […] wie früher”? Kann es das sein? Stifter schickt sich an, Szene, Welt, Wirklichkeit zu restituieren� “Aber wie Alles in der Schöpfung sein rechtes Maß hat, so auch diese Erscheinung”: Was der Text hier im Modus des Lobpreises Gottes unterschlägt, ist seine eigene Szenographie, eine Szenographie, die, wie wir gesehen hatten, die Schöpfung revidiert� Die alles erschütterende Erscheinung oder besser: Nicht-Erscheinung der Finsternis gehört der Schöpfung nicht mehr an, sondern vollzieht deren Revokation, öffnet das Geschehen hin einen anderen Schauplatz - eine “Jenseitswelt”, ein Reales, einen Akt der Auslöschung - noch der Szene selbst� Im ‘Licht’ dieser Finsternis erscheint die Formulierung “in der Schöpfung” als rhetorische Strategie, mit der der Text das Geschehen nachträglich einzuhegen, ungeschehen zu machen sucht� Kein maßvolles Ereignis läßt sich resümieren, sondern radikale Diskontinuität, die der Text zumindest ansatzweise bezeugt, wenn er die Rückkehr zum früheren Zustand in den Konjunktiv setzt: “daß Alles sey wie früher”� In der Tat endet der Text nicht mit der Geste der Restitution� Wie die Stiftersche Szene, so ist auch der ‘Schluss’ gestaffelt� Auf die Geste restituierender Schließung folgt eine zweite Schließung, die schon grammatikalisch von der Form der Öffnung ist - eine Frage: 25 Zum Schlusse erlaube man mir noch zwey kurze Fragen, die mir dieses merkwürdige Naturereigniß aufdrängte� […] Zweytens� Könnte man nicht auch durch Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolge von Lichtern und Farben eben so gut eine Musik für das Auge wie durch Töne für das Ohr ersinnen? Bisher waren Licht und Farbe nicht selbstständig verwendet, sondern nur an Zeichnung haftend; denn Feuerwerke, Transparente, Beleuchtungen sind doch nur noch zu rohe Anfänge jener Lichtmusik, als daß man sie erwähnen könnte� Sollte nicht durch ein Ganzes von Lichtaccorden und Melodien eben so ein Gewaltiges, Erschütterndes angeregt werden können, wie durch 316 Elisabeth Strowick Töne? Wenigstens könnte ich keine Symphonie, Oratorium oder dergleichen nennen, das eine so hehre Musik war, als jene, die während der zwey Minuten mit Licht und Farbe an dem Himmel war� (1124) Die Forschung hat Stifters ästhetische Vision als programmatische Forderung nach einer nicht-mimetischen, autonomen Kunst gelesen, die auf die moderne Kunst (Schönberg, Kandinsky) vorausweist� 26 Eingedenk der szenographischen Ausrichtung von Stifters Projekt wäre hier zudem an Adolphe Appias szenographische Raum- und Lichtdynamik zu denken� Inwieweit, so wäre abschließend zu fragen, ist Stifters ästhetische Vision nicht nur Zukunfts-“Lichtmusik”, sondern instruiert sie die Szenographie des Textes? Alle drei hier analysierten szenischen Operationen von Stifters Sonnenfinsternis verfahren nicht-mimetisch: 1) die serielle Ausrichtung der Szene und ihre Unterbrechung qua Zeitschriftenmedium; 2) die Schreib-Szene als Kraftfeld mit seiner Dynamik von Hervorbringung und Erlöschen der Schrift; 3) der szenische Sprechakt/ das Deformativ der Entschöpfung� Sämtliche dieser Operationen am Szenischen sind der Finsternis geschuldet, sprich: Finsternis ist strukturelles Moment von Stifters nicht-mimetischer Szenographie� Eben darin zeigt sich ihre schöpferische Kraft - nicht im theologischen, sondern im ästhetischen Sinn: “Lichtmusik”, “Lichtwirkung” (1118) ist Effekt von Finsternis 27 ; die Farben, die ganz im Sinne Goethes als “Taten des Lichts” (Goethe 12) zu verstehen sind, sind Effekt von Finsternis und unmittelbar nach dem Moment totaler Finsternis bereits im Text begegnet: “Farben, die nie ein Auge gesehen, schweiften durch den Himmel” (1118)� “[D]ie nie ein Auge gesehen” ist im selben Zuge Formel für das Nicht-Mimetische wie für Finsternis - den Flucht- und Angelpunkt von Stifters Szenographie� Finsternis ist nicht nichts, sondern schöpferische Kraft, die Lichtwirkung allererst hervorbringt� In kritischer Intervention in Platons Lichtmetaphysik 28 profiliert Stifter Finsternis als schöpferische Kraft und zwar auf dem Gebiet der Ästhetik, die von jeher eine innige Beziehung zum Dunkel unterhält� Stifters Szenographie der Finsternis vollzieht eine doppelte Bewegung: Kraft des Entzugs generiert sie nicht-mimetische ästhetische Effekte: In-Szene-setzen “was nie ein Auge gesehen” ist das Projekt von Stifters Szenographie� “[D]ie furchtbare Kraft […], die da auf einmal durch den ganzen Himmel lag”, beschreibt diesen unmöglichen szenischen Akt: einen plötzlichen Szenenwechsel, “seachange” (Austin 22), “diese fürchterliche Wendung der Dinge” (Stifter, Granit 27), der/ die das Szenische ist� Die Stiftersche Szene ist eine, die sich zugleich entzieht wie als Effekt hervortritt: seriell-nachträgliche Wirkung aus Entzug� Es ist eben diese szenische Dynamik, die Freuds Begriff der Urszene beschreibt� 29 Und von einer solchen wird man hier durchaus sprechen dürfen: Stifters Be- Adalbert Stifters Szenographie der Finsternis 317 schreibung der Sonnenfinsternis am 8. July 1842 stellt nichts Geringeres als die Urszene moderner Ästhetik dar, die Genese einer nicht-mimetischen Ästhetik aus Finsternis, einer “Ästhetik der Kraft” (Menke, Kraft 12)� Stifters Szenographie schöpft aus und profiliert Finsternis als szenische Kraft, Kraft der Darstellung, welche die Grenze der Darstellbarkeit artikuliert� Mit Stifters Beschreibung wird das Naturereignis der Sonnenfinsternis zur Inszenierung der Kraft der Kunst. Diese Kraft allerdings ist nicht, wie in dem in Platons Ion entwickelten Gleichnis magnetische Kraft, 30 die sich als Kraft des Enthusiasmus zwischen Muse, Sänger, Gesang und Hörer fortpflanzt, unerschöpflich ist, sondern Kraft der Finsternis� Eine solche Kraft, so haben wir gesehen, macht sich geltend als Entzug, Suspension, Erlöschen, Entschöpfung, ja, nicht zuletzt als Trägheit: Im Kontext von Kraft, Bewegung und Lichtmusik springt das Verb liegen ins Auge: “die furchtbare Kraft und Gewalt der Bewegung, die da auf einmal durch den ganzen Himmel lag” (1118, Herv�, E�S�), “namenlos tragische Musik von Farben und Lichtern, die durch den ganzen Himmel liegt -” (1119, Herv�, E�S�)� Der Text entwirft kein ungebrochen dynamisches Konzept von Kraft und ästhetischem Ereignis, sondern ein Moment von Trägheit ist es, das die Kraft des Szenischen auszeichnet� 31 Stifters schöpferische Kraft der Finsternis ist nicht unerschöpflich wie Platons Kraft der Kunst, sondern agiert am Rande der Erschöpfung� Von diesem Rande her ist Stifters Kraft der Kunst zu denken� Es ist eine der Kraft der Kunst inhärente Kraftlosigkeit, eine der ästhetischen Schöpfung konstitutive Ent- und Erschöpfung, die Stifters Szenographie der Finsternis aus dem diskursiven Wechselspiel von Naturforschung, Ästhetik und Literatur gewinnt, und aus der sie ein modernes Schauspiel aus Licht, Farbe, Bewegung, Trägheit, Finsternis und Entzug generiert� 32 Notes 1 Im Folgenden im fortlaufenden Text mit Seitenzahl nachgewiesen� 2 Vgl� u� a� Begemann 51-59; Birkner; Drügh; Geulen 16-24; Müller-Tamm; Potthast; Schiffermüller, Buchstäblichkeit 31-50; dies�, “Sonnenfinsternis”; Sedlmayr 9-17; Ziegler� 3 Vgl� Geulen 16-24; Schiffermüller, Buchstäblichkeit 31-50� 4 Zum Szenischen des Erhabenen vgl� Hans-Thies Lehmann; zum Szenischen des Unheimlichen vgl� Weber, Legend of Freud 1-31 (“Uncanny Thinking”)� 5 “Im folgenden Abschnitt wird nun nicht mehr die Naturerscheinung beschrieben, sondern die Beschreibung der Finsternis selbst und die Unmöglichkeit ihrer Repräsentation, die Inkommensurabilität der Darstellung wird zum Thema des Textes” (Schiffermüller, Buchstäblichkeit 42)� 318 Elisabeth Strowick 6 Stifters “es kommt - […] - es kommt” ließe sich dem Präsenz Partizip vergleichen, dessen spezifische zeitliche Struktur Samuel Weber mit Blick auf Theatralität als eine herausgearbeitet hat, die Präsenz im Modus von Präsenz suspendiert (vgl� Weber, Theatricality as Medium 15)� Strukturell unabschließbar legt das Präsens Partizip Gegenwart auseinander zu einer Folge, in der Präsenz sich zugleich selbst vorausgeht wie nachfolgt� Immer schon vergangen wie strukturell noch ausstehend ist Gegenwart durch und als eine Serie von Wiederholungen konstituiert� 7 Vgl� zum Licht als Medium bei Stifter auch: Schiffermüller, “‘jenes Ding … das Licht’”; zu den medientheoretischen Aporien des Lichts vgl� Engell/ Siegert/ Vogl� 8 Vgl� auch Fischer-Lichte: “Für das Theater, den Raum zum Schauen, ist Licht die Bedingung seiner Möglichkeit� Ohne Licht gibt es nichts zu schauen - lediglich zu hören und zu spüren� […] Bereits in dieser praktischen Funktion zeichnte sich eine symbolische Funktion des Lichts ab� Das ‘Es werde Licht’ erklärte den Beginn der Aufführung zu einem Schöpfungsakt, mit dem eine neue Welt hervorgebracht wird” (Fischer-Lichte 227)� 9 Vgl� dazu auch Holland: “What kind of darkness is the darkness of the eclipse? […] it is more than the absence of light; rather, it is the absence of familiar coordinates that make description possible, coordinates that in many accounts are defined by an association between light and time” (Holland 218)� 10 Ich entleihe hier Birgit Wiens’ Begrifflichkeit für literaturtheoretische Zwecke, vgl� Wiens, Intermediale Szenographie� 11 Zu Stifters Sonnenfinsterniß am 8. July 1842 im Kontext der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode vgl� auch Zieglers Aufsatz, der allerdings nicht die Spezifität der Unterbrechungen des Stifterschen Textes diskutiert� 12 “Nie und nie in meinem ganze Leben war ich so erschüttert, von Schauer und Erhabenheit so erschüttert, wie in diesen zwey Minuten” (1109); “- - nie, nie werde ich jene zwey Minuten vergessen” (1118); “- - - aber auch eine solche Erhabenheit, ich möchte sagen Gottesnähe, war in der Erscheinung dieser zwey Minuten” (1118); “Wenigstens könnte ich keine Symphonie, Oratorium oder dergleichen nennen, das eine so hehre Musik war, als jene, die während der zwey Minuten mit Licht und Farbe an dem Himmel war” (1124)� 13 Vgl� Drügh 166; Geulen 24; Schiffermüller, Buchstäblichkeit 39� 14 Vgl� “Eclipsis”: “an omission or suppression of words or sounds” (“Eclipsis”, Merriam-Webster Dictionary), ein seltener Ausdruck für ellipsis� 15 Zum Gedankenstrich in Stifters Condor vgl� Vogl� 16 Zur “Krise von Figur und Grund” vgl� Vogel, Aus dem Grund 30� Adalbert Stifters Szenographie der Finsternis 319 17 Chorische Figurationen/ bewegte Kollektive finden sich auch in Stifters “Aussicht und Betrachtungen von der Spitze des St� Stephansturmes” in Wien und die Wiener, über welche Chorisches als “Beziehung von Bewegung auf Bewegung” lesbar wird, vgl� Strowick, Gespenster 68� Stifters Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842 entsteht während seiner Arbeit an Wien und die Wiener. 18 “[…] es giebt kein ‘Sein’ hinter dem Thun, Wirken, Werden; der ‘Thäter’ ist zum Thun bloss hinzugedichtet, - das Thun ist Alles” (Nietzsche 279)� 19 “Auch und gerade wenn die ‘Schreib-Szene’ keine selbstevidente Rahmung der Szene, sondern ein nicht-stabiles Ensemble von Sprache, Instrumentalität und Geste bezeichnet, kann sie dennoch das Unternehmen der Literatur als dieses problematische Ensemble, diese schwierige Rahmung genau kennzeichnen” (Campe 760)� 20 Vgl� “Treiben”, Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm: “Treiben” (substantivierter Infinitiv): ‘tun’ “ohne bestimmtes subject zur bezeichnung der gleichzeitigen verschiedenartigen tätigkeit mehrerer, die in einem raum- oder zeitabschnitt zusammengesehen wird”; “‘durcheinander’, das in dem subjectlosen treiben begriffen liegt”� 21 Vgl� Bernhard 310: “Entschöpfungstag”� 22 Zur Begrifflichkeit des Afformativs vgl� Hamacher, bes� 359 ff� (Fn� 4)� 23 Vgl� Drügh; Sedlmayr 12; Potthast 130 ff�; Ziegler 19; Christian Begemann spricht von einer “Apokalypse des Zeichens” (Begemann 56)� 24 Zum Bezug von Stifters Sonnenfinsternis auf Jean Pauls “Rede des todten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei” vgl� Korff 11-68� 25 Dass manche Nachdrucke des Textes die zwei Fragen weglassen, ist mithin schon aus strukturellen Gesichtspunkten skandalös� 26 Vgl� Schiffermüller, “Sonnenfinsternis” 173; dies�, “‘jenes Ding … das Licht’” 26; Potthast 139; Drügh 169 ff� 27 Wo die Finsternis verschwindet - mit dem Ende der Sonnenfinsternis -, verliert das Licht seine Wirkung: “Das Wachsen des Lichtes machte keine Wirkung mehr” (1124)� 28 Zur Lichtmetaphysik vgl� Bremer� 29 Zur szenischen Dynamik von Freuds Urszene vgl� Strowick, “Make it real”, bes� 142-158� 30 In seiner “Vorrede” zu Bunte Steine zieht auch Stifter die magnetische Kraft für poetologische Überlegungen heran, wobei die dabei zum Zuge kommenden Metaphern vom “magnetische[n] Gewitter”, “magnetische[n] Schauern” und “ungeheuren Schauplatze” in ihrer Dynamik von Platons Magnet-Gleichnis abweichen und stattdessen eine chorische Szene, genauer: eine Szene chorischer Kraft entwerfen: “[…] daß manche kleine Veränderungen an der Magnetnadel oft auf allen Punkten der Erde gleichzeitig 320 Elisabeth Strowick und in gleichem Maße vor sich gehen, daß also ein magnetisches Gewitter über die ganze Erde geht, daß die ganze Erdoberfläche gleichzeitig gleichsam ein magnetisches Schauern empfindet� […] daß die electrische und magnetische Kraft auf einem ungeheuren Schauplatze wirke, daß sie auf der ganzen Erde und durch den ganzen Himmel verbreitet sei, daß sie alles umfließe und sanft und unablässig verändernd, bildend und lebenerzeugend sich darstelle” (Stifter, “Vorrede” 11)� Zum wissenshistorischen Kontext des Magnetismus bei Stifter vgl� Schuster, bes� 40-45� 31 Momente von Trägheit und Schwerkraft finden sich verschiedentlich in Stifters Sonnenfinsternis: “bleyschweres Licht” (1117), “lastend unheimliches Entfremden unserer Natur” (1117), “so waren wir jetzt erdrückt von Kraft und Glanz und Massen” (1118)� 32 Die Sonnenfinsternis ist nicht der einzige Text Stifters, der eine Szenographie der Finsternis ins Werk setzt: Ein solche findet sich in Gestalt “dicker Finsternis” etwa auch in “Ein Gang durch die Katakomben” in Wien und die Wiener, als “weiße Finsternis” in Bergkristall, als “sehr weite Finsternis des Nichts” in Mein Leben� Es ist eine Szenographie der Finsternis - so wäre zu vemuten -, die Stifters “wirkliche Wirklichkeit” grundiert und in diesem Sinne genauer auszuloten bliebe� Works Cited Austin, John L� How to Do Things with Words� Ed� J�O� Urmson and Marina Sbisà� Cambridge: Harvard UP, 1973� Baumann, Carl-Friedrich� Licht im Theater: Von der Argand-Lampe bis zum Glühlampen-Scheinwerfer� Stuttgart: F� Steiner Verlag, 1988� Begemann, Christian� Die Welt der Zeichen: Stifter-Lektüren. 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