Colloquia Germanica
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0010-1338
Francke Verlag Tübingen
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2021
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Sprache und Dingwelt: Politischer Realismus in Adalbert Stifters Ein Gang durch die Katakomben und Der Nachsommer
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2021
Karin Neuburger
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Sprache und Dingwelt: Politischer Realismus in Adalbert Stifters Ein Gang durch die Katakomben und Der Nachsommer Karin Neuburger The Van Leer Jerusalem Institute Abstract: Recent scholarship has shown that Adalbert Stifter’s prose tips over exactly where it pretends to be “realistic�” Meticulously describing reality, it presents itself as closely connected to it� However, in a kind of short circuit between word and world (Geulen), it actually discloses that which evades language� According to this reading, Stifter’s realism constitutes itself against the backdrop of the impossibility of seizing the real (Koschorke)� In a close reading of Ein Gang durch die Katakomben (1844), I will show how Stifter’s prose paradoxically adheres to the real by way of an emphatic objection to the “withdrawal of reality�” The same move can also be traced in his Nachsommer (1857), where the characters constantly engage in negotiations on how they would shape that very reality that escapes them� In these conversations, politics and aesthetics coalesce in a way that can be illuminated with the aid of Hannah Arendt’s way of linking political action and speech� Keywords: Adalbert Stifter, Hannah Arendt, realism Die Literaturwissenschaft der vergangenen Jahrzehnte hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Stifters Prosa gerade dort, wo sie sich “realistisch” gibt, d� h� sich in der akribischen Beschreibung als der Wirklichkeit beinahe unmittelbar verbunden darstellt, umkippt und im Kurzschluss von Wort und Sache aufblitzen lässt, was der Sprache nicht verfügbar ist (Geulen 154)� Ein Gang durch die Katakomben mag als eine der frühesten Arbeiten gelten, in denen Stifter den “Entzug von Wirklichkeit” (Strowick 43) augenscheinlich macht� 1 Nicht von ungefähr weist der Autor den dem Genre des Essays zuzurechnenden Text als dezidiert “realistisch” aus, als journalistische Studie, oder, wie Gunter H� Hertling es formuliert hat, als “impressionistische[s] Erzählportrait”, das sich m� E� allerdings 350 Karin Neuburger nicht “grundsätzlich von seinem fiktionalen Erzählwerk ab[hebt]”, sondern vielmehr dessen Bedingtheit im Verhältnis zur Wirklichkeit untersucht� 2 Der wenige Seiten umfassende Text entzündet sich an historischen, geographischen und architektonischen Gegebenheiten� Zudem gibt er vor, die nackte Wahrheit menschlichen Daseins zur Sprache zu bringen, die sich ironischerweise genau an der Stelle dem menschlichen Auge offenbaren soll, wo dieses aufgehört hat, zu sein - im Angesicht der Toten� Der sich in diesem widerspiegelnden Unwirklichkeit des Seins stellt der Text jedoch die Rede des Erzählers entgegen, die, wo sie jene Unwirklichkeit konstatiert, Wirklichkeit, und zwar, wie ich im Folgenden zu zeigen hoffe, politische Wirklichkeit einklagt� Die ironische Brechung des Stifterschen Erzählens, die sich im Entzug der Wirklichkeit äußert, eignet Blumenberg zufolge dem realistischen Gestus des romanhaften Erzählens als solchem� 3 Ich werde ihr im Folgenden weniger Aufmerksamkeit zollen als der auf dieser Brechung aufbauenden Wendung des mimetischen Erzählens in einen genuin politischen Realismus, dem ich an Textbeispielen aus Der Nachsommer nachgehen werde� Meine grundlegende, an Lektüren Mathias Mayers und anderer anschließende These ist, dass diese zu den reifen Werken Stifters gehörende Erzählung immer wieder Situationen des Gesprächs entwirft, in denen die Romangestalten untereinander verhandeln, wie das, was ihnen eben doch aufgegeben ist, nämlich sich in der sich entziehenden Wirklichkeit einzurichten, zu bewerkstelligen sei� 4 In diesem Verhandeln verbinden sich Politisches und Ästhetisches in einer Weise, die ich im Rekurs auf Hannah Arendt zu bestimmen suchen werde� In Ein Gang durch die Katakomben begibt sich Stifters Erzähler in in die Unterwelt und schaut dort die Toten, die allesamt lebloser nicht sein könnten� Im Vergleich zu klassischen Werken, in denen Dichter auf den Spuren Orpheus̕ folgend den Abstieg ins Totenreich wagen, fällt auf, dass Stifter seinen Erzähler nicht auf Gestalten treffen lässt, die ähnlich wie die auf Erden wandelnden Menschen ihren Gedanken und Gefühlen Ausdruck verleihen, sondern auf nichts anderes als auf verwesende Leichen� Gleichwohl stellt er sich in die Tradition von Dichtern wie Vergil und Dante und zeigt damit neben seinem hohen Anspruch als Schriftsteller an, dass er sich mit seinem Essay hart an der Grenze der Literatur bewegt� Ein Gang durch die Katakomben ist in diesem Sinne auch als poetologische Skizze zu lesen, die sich am Auftrag des “Memento mori” reibt� 5 Auf den poetologischen Aspekt des Essays deutet auch dessen Unterteilung in Rahmen- und Binnenerzählung hin, wobei in ersterer das reflektiert wird, wovon in letzterer die Rede ist - und umgekehrt, denn die Rechnung einer binären oder gar dichotomen Ordnung geht, wie so oft bei Stifter, auch hier nicht auf� Darauf weist schon hin, dass die Binnenerzählung mit einem Vorspann beginnt (13: 42-45), der wiederum als eine Art Rahmenerzählung in der Binnenerzäh- Sprache und Dingwelt 351 lung fungiert� Auf diese Weise entsteht eine komplexe, mehrere Perspektiven umfassende Betrachtung des Gegenstandes, von dem Der Gang durch die Katakomben handelt und der von jeher zu den brennendsten politischen Fragen zählt, i�e� die Frage nach der gerechten Verteilung der Güter, die im Grunde die Frage nach dem rechten Leben ist� Der genannte Vorspann hebt an mit einer Beschreibung des Platzes um den Stephansdom, der jüngst von einem Friedhof in einen “geräumigen Stadtplatz mit schönen Häusern und Warenauslagen” umgebaut wurde, über dessen Pflaster “glänzende Karossen rollen” und an dessen einer “gegenüber von der Rückseite der Kirche” liegenden Seite “ein sehr großes Haus aufgeführt worden” ist (13: 43)� Zwischen diesem Haus und der Kirche wurde schließlich das Pflaster erneuert, wobei Knochen von ehemals auf dem Friedhof bestatteten Leichnamen zu Tage traten� Diese Knochen, so erklärt der Stiftersche Erzähler, sind die Überreste von Menschen, die der armen Bevölkerung Wiens angehörten� Denn, so erläutert er weiter, wer es sich leisten konnte, liess sich in unter dem Dom ausgegrabenen Gewölben beisetzen� Das hier Erzählte erfüllt mindestens vier Funktionen: Erstens steigert es die Spannung, denn der Leser hat schon im ersten Abschnitt dieses Vorspanns von “den Katakomben des Stephansturmes” erfahren und will nun wissen, was es dort wohl Besonderes zu sehen gibt (13: 42); zweitens vertieft diese Beschreibung die schon zuvor, in der eigentlichen Rahmenerzählung eingeführte Unterscheidung zwischen “Materiell-Nützlichem” und “Menschlich-Gute[m]”, d� h� zwischen einer den Äußerlichkeiten erlegenen, “sinnlich wollüstige[n]” und als solcher pejorativ belegten Lebensweise, die sich hier in der prunkvollen Erneuerung des Marktplatzes um den Dom äußert, und einer, die sich der “frommen Kraft” “unsere[r] Voreltern” verbunden weiss, für die der Bau von “Dome[n] und Altäre[n]” stehen soll (13: 40 f�); drittens, während der Leser, dabei allem Anschein dem Vorbild des Erzählers folgend, wohl wünschen wird, auf der Seite derjenigen zu stehen, die dem “Menschlich-Gute[n]” verschrieben sind, wird er doch recht eigentlich verführt, sich für das “Materiell-Nützliche” zu interessieren, die Grabstätten der Reichen nämlich, die dazu gemacht waren, deren ewige Ruhe und - nicht weniger - deren priviligierte Stellung über den Tod hinaus zu garantieren; viertens schließlich hilft der Vorspann dem Leser, den Bezug des Erzählten zur historischen Wirklichkeit des Jahres 1842 herzustellen: 6 Im Vorfeld des Völkerfrühlings war das Bewusstsein für die Verarmung der Bevölkerung im Zuge der Industrialisierung nicht weniger geschärft als das Wissen um die repressive Haltung der privilegierten Stände dem Volk gegenüber� Beidem wird im Laufe des Textes noch mehrere Male Rechnung getragen werden� Zunächst scheint es, der Erzähler schlage sich eindeutig auf die Seite der Minderbemittelten, zu denen er sich selbst auch zählt: In Begleitung von vier Be- 352 Karin Neuburger kannten und unter der Führung von einem Freund und zwei weiteren Personen ist der erste Anblick, dem er sich in den Katakomben ausgesetzt sieht, “wie Holz aufgeschichtet, viele Klafter lang und hoch, lauter Knochen von Armen und Füßen” (13: 46)� Diese, so versichert einer der Führer, stammen nicht nur wie ursprünglich wohl geplant, von denen, die sich ihren Platz in den Katakomben teuer erkauft haben� Vielmehr wurden ihnen “die einst auf dem Stephansfriedhofe ausgegrabenen hier der Ordnung wegen” zugesellt (13: 47)� Bemerkenswert ist dabei nicht allein die radikale Umordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse� Vielmehr zeigt sich schon hier, dass die erwähnte, vom Erzähler in der Rahmenerzählung aufgestellte Unterscheidung von “Materiell-Nützlichem” und “Menschlich-Gute[m]”, die er dort auch als Unterscheidung zwischen “unsere[n] Voreltern” und der gegenwärtigen Generation verstanden wissen will (13: 39), ins Wanken gerät - beziehungsweise, wie mir scheint, von Stifter absichtlich untergraben wird� Denn es ist gerade der Nutzen, den die gegenwärtige Generation aus der fein säuberlichen Aufschichtung der Knochen zieht, der einst begangenes Unrecht aus der Welt schafft� Was in den Köpfen derjenigen, die sich hier begraben ließen, undenkbar war, nämlich die Gleichstellung von arm und reich, erscheint nun wohl auch in den Augen des Erzählers recht und billig� Darauf weist - zumindest auf den ersten Blick - die ausführliche Beschreibung des kaum der Verwesung anheimgefallenen Leichnams einer offensichtlich betuchten Dame hin� Es lohnt sich, einen längeren Ausschnitt davon zu zitieren: An einem viereckigen, machtvoll großen Pfeiler stand ein Sarg, ein einziger in diesem Gewölbe, als wäre er von seinem Orte absichtlich hiehergebracht und geöffnet worden und dann stehengelassen; denn wirklich lag sein Deckel nebenan, und zwischen den Brettern, die vom Alter geschwärzt und nur mehr lose zusammenhängend waren, lag der einstige Bewohner dieses gezimmerten Hauses, eine Frau ̶ ̶ ach! wer war sie ̶ mit welchem Pompe mag sie einst begraben worden sein! und in welchem Zustande liegt sie jetzt da! bloßgegeben dem Blicke jedes Beschauers, schnöde auf die bloße Erde niedergestellt und unverwahrt vor rohen Händen; das Antlitz und der Körper ist wunderbar erhalten ̶ in diese verschlossenen Räume muß die Verwesung nicht haben eindringen können, so dass die organischen Gebilde bloß vertrockneten, aber nicht zerstört wurden ̶ die Züge des Gesichts sind erkennbar, die Glieder des Körpers sind da, aber die züchtige Hülle desselben ist verstaubt und zerrissen, nur einige schmutzig schwarze Lappen liegen um die Glieder und verhüllen sie dürftig, auf einem Fuße schlottert ein schwarzer seidener Strumpf, der andere ist nackt, die Haare liegen wirr und staubig, und Fetzen eines schwarzen Schleiers ziehen sich seitwärts und kleben aneinander wie ein gedrehter Strick� Diese Zerfetzung des Anzuges und die Unordnung, gleichsam wie eine Art von Liederlichkeit, zeigte mir ins Herz schneidend die rührende Hülflosigkeit eines Toten und kontrastierte fürchterlich mit der Heiligkeit einer Leiche� (13: 48) Sprache und Dingwelt 353 Die beinahe genüßliche Entblößung der Leiche in einer Beschreibung, die hier, wie wir noch sehen werden, nicht endet und in ihrer Detailliertheit im Verhältnis zu anderen Stellen der Erzählung ihres Gleichen sucht, kommt den Leser wie Hohn an� Sie beweist, wie kurz die Vorrichtungen der Dame griffen, die offensichtlich darauf aus war, ihren privilegierten Status über den Tod hinaus zu garantieren� Gerade das, wovon sie ausging, es bliebe erhalten, findet sich zerstört, während das, was der Verwesung anheimfallen und von Blicken verschont bleiben hätte sollen, nun der Öffentlichkeit preisgegeben ist� Demnach ist nicht allein in der Bedeckung der Armen, deren ausgescharrte Knochen in den Begräbnisstätten der Reichen untergebracht wurden, ein Ausgleich geschaffen� Auch in der Entblößung der Reichen zeigt sich, dass “der Tod […] alles gleich [macht]” (13: 49)� Was aber heißt das? Was ist gewonnen, wo der Ausgleich recht eigentlich erst im Tode stattfindet, d� h� zum einen gegen den Willen und auf Kosten der menschlichen Würde jener erpresst wird, die ihm im Leben entgegenstehen, und zum anderen um den Preis, dass er für die Armen im Diesseits wirkungslos bleibt? Es mag die Einsicht sein, dass wirkliche Gleichheit erst im Tode und das heißt auch: mit seinem Tode erzielt wird, die den Erzähler aufrüttelt� Kaum stellt er mit Genugtuung fest, er, der jener betuchten Dame “[…] vielleicht bei ihrem Leben sich kaum ihrer Schwelle hätte nähern dürfen”, stehe nun vor ihr, entscheidet er sich, “nicht mit der Hand, weil’s ihn ekelt, sondern mit der Spitze seines Stockes einige Lappen zurechte [zu legen], dass sie ihren Leib bedecken - […]” (13: 49)� In der Bedeckung der Leiche wird deren schonungslose Entblößung zurückgenommen, mit der der Schriftsteller nicht weniger als der Erzähler sich der Wirklichkeit zu bemächtigen glaubten� Vereitelt wird der Zugriff auf die Wirklichkeit demnach nicht nur den “Reichen und Vornehmen”, deren Streben nach Rang und Namen im Tod zunichte wird, 7 oder den Armen und Unterprivilegierten, für die sich der Ausgleich im Tod als zweischneidig erweist, sanktioniert er doch im Grunde die privilegierte Stellung der oberen Schicht in der politischen Wirklichkeit der Gegenwart� Vielmehr zeigt sich, dass das Streben aller Menschen, des Erzählers und des Schriftsteller eingeschlossen, unter der Ägide des Todes nichtig ist� Der Erzähler macht sich nichts vor� Er weiß darum, dass auch er nur das Glied einer langen Kette ist� Nach ihm werden andere kommen, die das, was er an der Leiche getan hat, wieder zunichte machen werden und “sie aus dem Sarge reiß[en] und nackt und zerrissen dort auf jenen Haufen namenlosen Moderns [werfen], wo sie dann jeder, der diese Keller besucht, emporreißt, anleuchtet, herumdreht und wieder hinwirft” (13: 49)� Im Fortgang wird der Erzähler angesichts der Dimensionen der Katakomben und der Massen von Leichen, die sie bergen, der Nichtigkeit menschlicher Existenz 354 Karin Neuburger noch eindringlicher gewahr, was ihn schließlich zu Überlegungen in Kantscher Manier veranlasst: […] die Erde selber wird von den nächsten Sonnen nicht mehr gesehen, und hätten sie dort auch Rohre, die zehntausendmal größer wären als die unsern� Und wenn in jener Nacht, wo unsere Erde auf ewig aufhört, ein Siriusbewohner den schönen Sternenhimmel ansieht, so weiß er nicht, dass ein Stern weniger ist, ja hätte er sie alle einst gezählt und auf Karten getragen und zählte sie heute wieder und sieht seine Karten an, so fehlt keiner, und so prachtvoll wie immer glüht der Himmel über seinem Haupte� Und tausend Milchstraßen weiter außer dem Sirius wissen sie auch von seinem Untergange nichts� Ja sie wissen nichts von unserm ganzen Sternenhimmel; nicht einmal ein Nebelfleck, nicht einmal ein lichttrübes Pünktchen erscheint er in ihrem Rohre, wenn sie damit ihren nächtlichen Himmel durchforschen� (13: 54) Schlimmer aber, als dass die Erde und das Treiben der Menschen auf ihr von außen betrachtet wirkungslos erscheint, ist die Tatsache, dass selbst aus irdischer Perspektive nichts von dem, was wir für bedeutungsvoll erachten, letztendlich Bedeutung hat - von keiner unserer Mühen und Taten bleibt mehr als “ein Blatt Geschichte übrig […], und selbst dieses Blatt, wenn die Jahrhunderte rollen, schrumpft zu einer Zeile ein, bis auch endlich diese verschwindet und die Zeit gar nicht mehr ist, die den darin Lebenden so ungeheuer und einzig herrlich vorgekommen” (13: 57)� Der Text macht bei dieser Feststellung jedoch nicht halt, sondern entwickelt in Konfrontation mit dem Tod und den Toten eine andere, konsequent parallel zu der fatalistisch-nihilistischen Sichtweise verlaufende Position, die mit dem in der Rahmenerzählung formulierten Drängen zu einem “wirklich Menschliche[n] (Humane[n])” (13: 39) korrespondiert� Sie hat nicht weniger als die Einsicht, alles sei eitel, ihren Ursprung auf der Schwelle von Tod und Leben� Während jene jedoch dem Tod und seiner alles gleichmachenden Macht den Vorrang gibt, besteht diese auf der Liebe zum Leben, die sich zunächst in der Todesangst Ausdruck verschafft� Der Erzähler nimmt sie wahr im “Antlitz” jener betuchten Dame, das “im Todeskampfe und durch die nachher wirkenden Naturkräfte verzogen und in dieser dem Menschanangesichte gewaltsamen Lage erstarrt […] blieb”; gleichsam “ein Bild eines einstigen gewaltsamen Kampfes, der das so heißgeliebte Leben von diesen Formen abgelöset hatte […]” (13: 49)� Kurz darauf aber ist es der Erzähler selbst, der aus der Versunkenheit in den Anblick der Toten aufschreckt, um festzustellen, dass er beinahe den Anschluss an die Lebenden verloren hat, denen er dann von Furcht getrieben nachhastet� Auch an mehreren anderen Stellen des Katakombentextes wird schreckensvoll erwähnt, wie leicht man sich in den Gängen verlaufen kann (13: 46 f�, 58 u� a�), bis schließlich die Vorstellung in den Köpfen des Erzählers und seiner Begleiter, Sprache und Dingwelt 355 man könne, finde man den Ausgang nicht, in den Katakomben lebendig begraben werden, zum Alptraum gerinnt (13: 58 f�)� Dabei scheint das Schlimmste zu sein, dass die Welt der Lebenden, greifbar nahe, aber eben doch nicht zu greifen ist� Der in den Katakomben Umherirrende kann die Lebenden hören - “[…] die Orgel […] das Singen der Gemeinde oder das Läuten der Glocken, das Rasseln der lustigen Wägen auf dem Straßenpflaster” (13: 59) - genauso wie der Erzähler im Laufe der Besichtigung der Katakomben durch Geräusche immer wieder an die Welt der Lebenden erinnert wird, von der ihn nur die Decke über den Gängen trennt� Die Decke der Katakomben bekundet in ihrer Materialität die Trennung zwischen dem Reich der Toten und dem der Lebenden� Während sie für den, der sich in den Katakomben verlaufen hat, zum Todesurteil wird, da er sie nicht durchstoßen kann und sich so gezwungenermaßen zu den Toten gesellt und selbst stirbt, verweist sie die Lebenden in den Bereich der Wirklichkeit ihres Seins� In der Umkehrung ihrer Bedeutung gerät die Geste der Verdeckung, die zuvor der Darstellung des Entzugs von Wirklichkeit diente, so zur Geste, die die Scheidung der Welt der Lebenden vom Reich der Toten wiederherstellt und somit Wirklichkeit einholt� Das heisst aber auch, dass die Bedeckung der Leiche der betuchten Dame nicht unbedingt Ausdruck der Resignation angesichts der Unmöglichkeit ist, in einer sich dem menschlichen Zugriff entziehenden Wirklichkeit Gerechtigkeit zu schaffen� Vielmehr liest sie sich nun als Ausdruck des Lebenswillens des Erzählers und somit keineswegs als Zurücknahme der Forderung nach einer Umordnung, sondern im Gegenteil als Versuch, eben im Hinblick auf die Lebenden die Frage nach der Ordnung der Gesellschaft nochmals in aller Radikalität zu stellen� Nur so gelesen, meine ich, ist es möglich das Ende des Textes mit seinem Anfang in Zusammenhang zu bringen� Im abschließenden Abschnitt desselben beschreibt der Erzähler, nachdem er wieder auf dem Boden der Wirklichkeit zu stehen gekommen ist, die Welt der Lebenden in all ihrer Eitelkeit: Man zündete eben die Abendlichter an, Gold, Silber, schimmernde Seidenstoffe wurden davon in den strahlenden Kaufbuden beleuchtet - kostbar gekleidete Menschen wimmelten an mir vorüber; glänzende Karossen rollten; der Turm St� Stephans stieg riesig empor, und Sprechen und Lachen erscholl ihm gegenüber, den beleuchteten Häusern entlang� - Ich aber ging wie im schweren Traume nach Hause, während an mir vorüberhuschte der Strom des unbegreiflichen Lebens der Menschen� (13: 60) Eingeholt wird in dieser Beschreibung zunächst einmal das, was jene vornehme Dame, deren Leiche der Erzähler notdürftig bedeckt hat, nicht über den Tod hinaus bewahren konnte, dessen Wirklichkeit jedoch nun, wo der Unterschied zwischen dem Reich der Toten und dem der Lebenden gemacht ist, kaum noch 356 Karin Neuburger von der Hand zu weisen ist� Dabei ist es weniger die schiere Materialität von “Gold, Silber, schimmernde[n] Seidenstoffe[n]” (13: 59 f�), die die Wirklichkeit der Lebenswelt konstituiert, als die Regsamkeit der Menschen, die Lichter anzünden, um die Auslagen in den Schaufenstern zu beleuchten, kostbar gekleidet vorüberwimmeln, glänzende Karossen rollen lassen, sprechen und lachen� Mitten darin steht der Dom von St� Stephan, von dem die Wiener, die “täglich über den Platz von St� Stephan gehen” nichts “wissen, als dass er sehr groß ist”, wie der Erzähler in seinen Betrachtungen, die er dem Gang durch die Katakomben vorausschickt, feststellt (13: 41)� Mit der Gegenüberstellung von Kaufbuden und Dom ist noch einmal die grundlegende Frage danach gestellt, wie sich die Menschen in der sich ihnen entziehenden Wirklichkeit einzurichten hätten� Zudem verweist sie die Leser an den Anfang des Katakombentexts� Auch dort werden sie keine einschlägige Antwort erhalten� Gleichwohl bietet ihnen die einleitende Rahmenerzählung Koordinaten, an denen entlang sie ihr Nachdenken ausrichten können� Erst jetzt, nachdem sie mit dem Erzähler durch die Katakomben gegangen sind, dürften sie allerdings in der Lage sein, zu begreifen, worum es eigentlich geht, wenn der Erzähler gegen die These, die Menschheit könne sich des Fortschritts rühmen, ins Feld führt, dass das, “was wir in gewissen Richtungen gewonnen haben, […] doch meistens nur Eigentum einzelner oder weniger [blieb]”, um dann zu betonen, “was wir verloren haben, das verloren alle” (13: 39)� Was ist gemeint, wo vom Verlust aller die Rede ist? Zunächst einmal wird deutlich gemacht, dass die Menschen eine Gemeinschaft bilden, in deren Zusammenhang der Versuch Einzelner, sich Vorteile - materieller oder anderer Art - zu verschaffen, letztendlich bedeutungslos bleibt� Angestrebt ist also doch ein Ausgleich, der allerdings nicht mit Gewalt oder im plötzlichen Umsturz zu erreichen ist, wie die negativ bewerteten Beispiele der Revolutionen in Frankreich und Spanien veranschaulichen sollen (13: 40)� Auch werden die Leser bemerken, dass die Rede von “Gott, Unsterblichkeit, Ewigkeit” (13: 41) nicht darauf abzielt, den Minderbemittelten Trost zu spenden im Verweis auf einen Ausgleich im “Leben” nach dem Tod� Vielmehr soll sie eine Perspektive auf die Gegenwart eröffnen und diese mit einem Auftrag verbinden: Es ist ein seltsam, furchtbar erhabenes Ding, der Mensch!! und schwindelnd für das Denken des Einzelnen ist der Plan seiner Erziehung, die ihm Gott als Geschenk seiner moralischen Freiheit übertragen, dass er sie in Jahrtausenden, vielleicht in Jahrmillionen vollende - wie lange, wieviel Billionen Jahrtausende muß dann die Großjährigkeit dauern? (13: 40) Aufgetragen ist dem Einzelnen die Ausschöpfung seiner moralischen Freiheit im Prozess der Besserung der Menschheit, wobei sich diese Freiheit zunächst Sprache und Dingwelt 357 in der Möglichkeit äußert, wenigstens “einen Gedanken gehabt zu haben” (13: 41) und zwar einen, den man nicht nachplappert, so wie man ihn von anderen gehört oder sich in Büchern angelesen hat� Und doch unterscheidet sich moralische Freiheit grundsätzlich von der Originalität� Es geht in ihr nicht darum, dem Individuum Ausdruck zu verschaffen, sondern darum im Austausch mit den Mitmenschen Lebenswirklichkeit den sich verändernden Bedingungen gemäß immer wieder neu auszuformen� In diesem Sinne gehört moralische Freiheit immer schon in den Bereich des Politischen� Das von Stifter angeführte Beispiel der Renovierung des Platzes um den Stephansdom ist schlagend� Es zeigt zunächst, dass Überkommenes nicht einfach gewahrt und so, wie es ist, weitergeführt werden kann� Materie ist vergänglich und bedarf der Erneuerung, die Fragen aufwirft: Wie verhält man sich zum bisher Bestehenden, in dem die Fähigkeiten, die Vorstellungen und Werte der Vorfahren zum Ausdruck kommen? Wie begräbt und wie baut man unter den gegenwärtigen Bedingungen? Und welche Fähigkeiten, Vorstellungen und Werte sollen in diesem Bauen zum Ausdruck kommen? Wie soll die in ihm sich konstituierende Lebenswirklichkeit aussehen? All dies sind Fragen, die die Öffentlichkeit betreffen und denen sich auch die Literatur nicht entziehen kann und darf� Es mag daher nicht verwundern, dass Stifters einleitende Überlegungen zur Führung durch die Katakomben unter dem Stephansplatz mit dem Plädoyer für eine Literatur enden, die nicht “etwas so Wässeriges und Familienähnliches” haben kann, wie es der Literatur seiner Gegenwart eigen ist, weil sie sich in “eine[m] gewissen Vorstellungskreis, eine[r] Art Natur,” bewegt� Literatur muss, so die Forderung Stifters, “frisch und […] unmittelbar” wirken (13: 41)� Sie muss ihre Leser herausfordern� Der Realismus Stifters erschöpft sich nicht in der Vorstellung einer Welt, die sich in der Beschreibung aufreibt� Vielmehr wird im Gegenzug Wirklichkeit im Gespräch eingeholt� Im Ansatz kann dieser Vorgang am Beispiel von Ein Gang durch die Katakomben skizziert werden, in dem zunächst das Hören des Erzählers und seiner Begleiter als wirklichkeitskonstituierend erscheint� In den furchterregenden Gängen der Katakomben lassen sich Geräusche aus der Welt der Lebenden vernehmen, die auf die Besuchergruppe beruhigend wirken� Dies nicht nur, weil diese Geräusche sie an die Existenz ihrer Alltagswelt erinnert, sondern auch weil deren Vertrautheit und die Möglichkeit, sie zu benennen, das Gefühl der Zugehörigkeit zu jener Welt und zur Gruppe bestätigen� Der Erzähler bezeichnet diese Gruppe hier wie an anderen Stellen als “wir” - ein “wir”, das er in der Rahmenerzählung auf die Leser ausweitet, um so die Gemeinschaftlichkeit der Lebenden hervorzuheben (13: 44 f� u� a�)� Darüberhinaus sind es neben an sich und an den Leser zugleich gerichteten Fragen die vom Erzähler gewissermaßen im Schreiben öffentlich gemachten Überlegungen, die die Wirklichkeit, 358 Karin Neuburger auf welche sie sich beziehen, für den Leser präsent machen� Dieser ist so aufgerufen, sich am Nachsinnen des Erzählers zu beteiligen� Er soll sich Gedanken machen zu einer Wirklichkeit, die er qua seines Menschseins mit dem Erzähler teilt - auch er lebt in einer Welt, in der vor ihm viele Generationen gelebt haben und in der er nun aufgrund der Bedingtheit seiner Existenz gezwungen ist, sich einzurichten� Auf diese Weise herausgefordert, wird der Leser zum Teilnehmer an einem fiktiven Gespräch, das Stifter von seinen Gestalten in Der Nachsommer allerdings unter veränderten Vorzeichen weiterführen lässt� Anders nämlich als im Katakombentext, der sich wie gesagt auf der Grenze zwischen Literatur und Journalismus bewegt und dabei die Voraussetzungen des Realismus vor allem auf dem Hintergrund des Entzugs der Wirklichkeit im Tod überprüft, wird es in den Gesprächen, die Stifter in seinen politischen Bildungsroman eingeflochten hat, um Fragen gehen, die die den Romangestalten gemeinsame Welt betreffen, und das heisst zunächst einmal um Fragen der Welt der Dinge, “die zwischen denen liegt, deren gemeinsamer Wohnort sie ist” (Arendt 52)� Dabei allerdings kann es nicht belassen werden� Will man den Fortbestand des Dialogs und damit der sich kraft desselben konstituierenden menschlichen, i�e� politischen Wirklichkeit gewährleisten, darf er nicht der Materialität der Dinge - und das heisst weder ihrer Vergänglichkeit noch ihrer Zweckmässigkeit - unterworfen werden� Beides beschnitte - wie Stifter schon im Katakombentext erwähnt und in Der Nachsommer dann ausführt - die moralische Freiheit des Einzelnen, i�e� seine bzw� ihre Möglichkeit, einen eigenen Gedanken zu fassen und sich auf diese Weise allererst in das Gespräch unter den Menschen einzuschalten� Dazu bedarf es der Transzendierung des Materiellen im Schönen, das in Der Nachsommer, wie wir sehen werden, mit dem Guten in Eins gesetzt wird� Diese findet in der Literarisierung des menschlichen Gesprächs ihren Höhepunkt� 8 Die Teilnahme an diesem Gespräch will freilich erlernt sein und genau dies ist es, was in Der Nachsommer vorgeführt wird� “[A]uf allen Ebenen in diesem Roman” geht es demnach um “das Einüben sozialer, übersubjektiver und intersubjektiver Fähigkeiten” (153), wie schon Mathias Mayer bemerkt, worunter auch und vielleicht vor allem bestimmte Praktiken der Repräsentation zu zählen sind, die die Menschen befähigen, einen Diskurs zu führen, in dessen Rahmen sie jene moralische Freiheit wahren können, die sie laut Ein Gang in den Katakomben zu würdigen Vertretern des Menschlichen macht� Deutlich wird dies schon im ersten Konflikt, den der Roman in Szene setzt und mit dem die Beschreibung der völlig problemlosen Kindheits- und Jugendjahre von Heinrich Drendorf endet� In deren Verlauf geht es seinen Eltern, einem erfolgreichen Kaufmann und seiner Frau, vor allem darum, Heinrich und seine etwas jüngere Schwester auf die Teilnahme an einem politischen Leben Sprache und Dingwelt 359 besonderer Art vorzubereiten� Heinrich lernt bei den besten Lehrern und wird in den Stunden der Freizeit bei Spiel und Sport ins Gesellschaftsleben eingeführt� All diese Aktivitäten werden dem Alter der Kinder entsprechend gestaltet, denen ein immer größeres Mass an Eigenständigkeit und Freiheit zugesprochen wird� Was anfangs auf Entscheid der Eltern hin geschah, wird später im Einvernehmen mit den Kindern und schließlich den Vorstellungen der Kinder gemäß und unter Beratung mit den Eltern getan� So zum Beispiel wird die Anzahl der Unterrichtsstunden, die Heinrich mit einem Lehrer verbringt, langsam heruntergeschraubt, wobei Heinrich angeleitet wird, selbstständig zu lernen, bis er das Gefühl hat, er könne sich nun ohne Hilfe eines Lehrers weiterbilden� Dabei versäumt er es nicht, sich immer wieder an Spezialisten in dem Fach seines Interesses zu wenden, um bei diesem Rat einzuholen (6: 8 f�, 14 ff�, 21)� Schließlich stellt sich die Frage, welches der Fächer, für die sich Heinrich interessiert, wohl dasjenige sei, das er zur Profession machen wolle� Doch je länger Heinrich und seine Eltern über die Frage der Berufswahl nachsinnen, umso schwerer fällt es ihnen, eine Antwort auf sie zu finden, was sie endlich dazu bewegt, die Frage offen zu lassen� Sie bestimmen Heinrich zu “einem Wissenschaftler im allgemeinen” (6: 16) - eine Entscheidung, die den Groll der Gesellschaft hervorruft� Diese fordert, der Vater “hätte [Heinrich] einen Stand, der der bürgerlichen Gesellschaft nützlich ist, befehlen sollen, damit [er] demselben [s]eine Zeit und [s]ein Leben widme, und einmal mit dem Bewußtsein scheiden könne, [s]eine Schuldigkeit getan zu haben” (6: 16)� Dem Versuch der kapitalistisch orientierten Gesellschaft, sich auf der Basis einer Kosten-Nutzen-Rechnung der in ihr lebenden Individuen zu bemächtigen, d� h� ihren Platz im Gefüge der Gesellschaft festzuschreiben und sie damit für die Gesellschaft verfügbar - und das heisst auch: berechenbar - zu machen, setzt der Vater eine Alternative entgegen: Gegen diesen Einwurf sagte mein Vater, der Mensch sei nicht zuerst der menschlichen Gesellschaft wegen da, sondern seiner selbst willen� Und wenn jeder seiner selbst willen auf die beste Art da sei, so sei er es auch für die menschliche Gesellschaft� Wen Gott zum besten Maler auf dieser Welt geschaffen hätte, der würde der Menschheit einen schlechten Dienst tun, wenn er etwa ein Gerichtsmann werden wollte: wenn er der größte Maler wird, so tut er auch der Welt den größten Dienst, wozu ihn Gott erschaffen hat� Dies zeige sich immer durch einen innern Drang an, der einen zu einem Dinge führt, und dem man folgen soll� Wie könnte man denn sonst auch wissen, wozu man auf der Erde bestimmt ist, ob zum Künstler, zum Feldherrn, zum Richter, wenn nicht ein Geist da wäre, der es sagt, und der zu den Dingen führt, in denen man sein Glück und seine Befriedigung findet� Gott lenkt es schon so, dass die Gaben gehörig verteilt sind, so dass jede Arbeit getan wird, die auf der Erde zu tun ist, und dass nicht 360 Karin Neuburger eine Zeit eintritt, in der alle Menschen Baumeister sind� In diesen Gaben liegen dann auch schon die gesellschaftlichen, und bei großen Künstlern, Rechtsgelehrten, Staatsmännern sei auch immer die Billigkeit, Milde, Gerechtigkeit und Vaterlandsliebe� […] Gott hat uns auch nicht bei unseren Handlungen den Nutzen als Zweck vorgezeichnet, weder den Nutzen für uns noch für andere, sondern er hat der Ausübung der Tugend einen eigenen Reiz und eine eigene Schönheit gegeben, welchen Dingen die edlen Gemüter nachstreben� Wer Gutes tut, weil das Gegenteil dem menschlichen Geschlechte schädlich ist, der steht auf der Leiter der sittlichen Wesen schon ziemlich tief� Dieser müßte zur Sünde greifen, sobald sie dem menschlichen Geschlechte oder ihm Nutzen bringt� Solche Menschen sind es auch, denen alle Mittel gelten, und die für das Vaterland, für ihre Familie und für sich selber das Schlechte tun� Solche hat man zu Zeiten, wo sie im Großen wirkten, Staatsmänner geheißen, sie sind aber nur Afterstaatsmänner, und der augenblickliche Nutzen, den sie erzielten, ist ein Afternutzen gewesen, und hat sich in den Tagen des Gerichtes als böses Verhängnis erwiesen� (6: 17 f�)� Der Vater erkennt in der Forderung der Gesellschaft nach eindeutiger Festlegung der Funktion, die das Individuum in ihr zu erfüllen hat, den Willen zu Beherrschung und Macht und lehnt sie daher ganz und gar ab� Doch ist der Grund für seine Ablehnung nicht die Annahme, das Individuum habe keine Pflichten gegenüber der Gesellschaft� Der Vater spricht weder der Autonomie des Individuums noch der Willkür in dessen Verhältnis zur Gesellschaft das Wort� Vielmehr soll der Ort, den das Individuum einnimmt, in einem langwierigen Prozess mit seiner Umwelt ausgehandelt werden� Dieser Prozess ist notwendig um die moralische Freiheit des Einzelnen und der Gesellschaft zu gewährleisten� Letztendlich nämlich geht es dem Vater zufolge um die Freiheit, das Gute zu tun, und das heisst zunächst, um die Freiheit, zu entscheiden, was als “gut” zu bezeichnen sei� Genau dieser Freiheit benimmt sich aber derjenige, der wie die verärgerten Repräsentanten der Gesellschaft “gut” mit “nützlich” gleichsetzt� Der Blick auf den zu erreichenden Zweck setzt voraus, dass man das Ende langwieriger Entwicklungen, die im Fall der Berufswahl des Sohnes einen Generationswechsel umfassen, absehen kann� Er setzt, mit anderen Worten, voraus, dass man die Dynamik, die nicht nur die aus unterschiedlichen Einzelpersonen bestehende Gesellschaft, sondern auch die Dingwelt auszeichnet, außer Acht lässt� Dieser Dynamik aber gilt es Rechnung zu tragen� Sprachlich gesehen bedeutet das: es gilt, dem Zeichen “gut” vorerst kein spezifisches Denotat zuzuweisen� Und das genau ist es, was die Drendorfs tun� Sie verweigern das Denotat, das Heinrich der Gesellschaft verfügbar machen würde� Der in den zitierten Abschnitten vorgelegte väterliche Plan wird zunächst die Handlung des Romans bestimmen� Nachdem Heinrich die Möglichkeiten des Lernens im väterlichen Hause ausgeschöpft hat, macht er sich auf den Weg Sprache und Dingwelt 361 in die Welt� In seinem Gepäck trägt er grundlegende Kenntnisse in verschiedenen Wissenschaftsbereichen mit sich, Neugierde, ausgeprägte Gewohnheiten des Lernens und natürlich die nötigen finanziellen Mittel, um sich im weiteren seinen Studien hingeben zu können� Zunächst begibt sich Heinrich, der in der Stadt aufgewachsen ist, in die Berge, wobei er jedes Phänomen der Natur, das ihm auf seinem Weg begegnet, gründlich betrachtet� Bald jedoch wird er seine Untersuchungen auf bestimmte Phänomene beschränken: er entscheidet sich dazu, sich der Erforschung geologischer Erscheinungen zu widmen - Steinen und Gebirgsformationen (6: 39)� Wie Monika Ritzer gezeigt hat, lässt Stifter seinen Protagonisten nicht von ungefähr geologischen Studien nachgehen� Diese Wahl ist zum einen wissenschaftsgeschichtlich bedingt (Ritzer 9), schließt zugleich aber an die Notwendigkeit einer dynamischen Weltauffassung als Grund moralischer Freiheit an� Die Geologie, erklärt Ritzer, brachte den Übergang vom katalogisierenden, die Natur festschreibenden Empirismus zu einer dynamischen Auffassung der Naturwirklichkeit mit sich, die im Laufe des 19�-Jahrhunderts immer weitere Kreise zog� Die Geologie machte darauf aufmerksam, dass der Erdball nicht immer so war, wie er sich gegenwärtig unseren Sinnen darstellt, sondern sich im Gegenteil in unterschiedlichen Phasen entwickelt hat, wobei jede dieser Entwicklungsphasen unterschiedliche Lebensformen hervorbrachte, die sich aufgrund der jeweils in ihnen herrschenden Lebensbedingungen herausbildeten (Ritzer 9 f�)� 9 Doch wird es einige Zeit dauern, bevor Heinrich in der Lage sein wird, Einsicht in die Geschichtlichkeit der Welt zu gewinnen, und so kommt es, dass er zunächst aus anderer Quelle erfahren muss, dass vorläufige Beobachtungen nicht dazu berechtigen, Schlüsse zu ziehen, und schon gar nicht, Prognosen anzustellen - eine Einsicht, die dem Standpunkt des Vaters in der oben erwähnten Auseinandersetzung zugrundeliegt� 10 Bei seinen Wanderungen in den Bergen vor einem, wie er meint, herannahenden Gewitter Schutz suchend, trifft Heinrich auf eine Person, die er aufgrund ihrer einfachen Kleidung zunächst irrtümlicherweise für einen Diener hält� Der Mann lädt Heinich zwar ins Haus, klärt ihn aber zugleich darüber auf, dass er eigentlich keiner Unterkunft bedürfe, da nicht ein einziger Regentropfen fallen werde� Heinrich entgegnet dem, alle Anzeichnen sprächen dafür, dass bald ein Gewitter hereinbrechen werde� Die beiden beschließen, gemeinsam abzuwarten und zu sehen, wer von ihnen Recht habe (6: 49 f�)� In der Zwischenzeit wird Heinrich von dem Mann, der seinen Namen nicht nennt und auch nicht nach Heinrichs Namen oder Herkommen fragt, in Haus und Garten herumgeführt� Heinrich macht allerlei Beobachtungen zur Gestaltung derselben, die offensichtlich mit größter Sorgfalt vorgenommen wurde, stellt Fragen und bekommt Antworten, wobei er erfährt, dass sich der Mann ähnlich wie er selbst 362 Karin Neuburger mit Geologie, darüber hinaus aber auch mit Architektur, Kunsthandwerk und Literatur beschäftigt� Auch lernt er, dass jener all das, was er über Jahrzehnte hinweg an Wissen angesammelt hat, nutzt, um Ordnung, und in der Ordnung eine optimale Lebensgrundlage zu schaffen� Jede Tätigkeit wird so zum Beispiel in einem eigens für sie vorgesehenen Raum des Anwesens verrichtet� Auf diese Weise wird Übersicht gewahrt, das Gewußte vom Ungewußten geschieden und die Bezeichnung der noch ausstehenden Aufgaben der Forschung erleichtert� Darüberhinaus aber wird durch das Einhalten einer strikten Ordnung im Haus - nachdem Heinrich in einem Buch gelesen hat, wird dieses sofort an seinen angestammten Platz im Bücherregal zurückgestellt - die Begrenztheit und Vorläufigkeit allen Wissens, ja aller menschlichen Tätigkeit zu Bewußtsein gebracht� “[ J]edes Wissen”, bemerkt Heinrich dann auch im Verlauf des Gesprächs, das er mit dem Mann über das Wetter führt, “[hat] Ausläufe […], die man oft nicht ahnt […]”� Dem fügt er hinzu, dass “man die kleinsten Dinge nicht vernachlässigen soll, wenn man auch nicht weiß, wie sie mit den größeren zusammenhängen” (6: 126)� Es ist seine Fähigkeit, den kleinsten Dingen, den Insekten und den Vögeln zum Beispiel, Achtung zu schenken, die es dem Gastgeber Heinrichs ermöglichten, das Wetter vorauszusagen - eine Fähigkeit, die in dem Bewußtsein der Zusammenhänge verankert ist, in denen sein und der Menschen Leben im Allgemeinen steht, und die mit der bewußten Pflege, Ordnung und Förderung des Beziehungsgeflechts einhergeht, das ihn mit seiner Umwelt verbindet� Dem König Salomo ähnlich, führt Risach, so der Name des Mannes, “Gespräche” mit den Bienen und den Ameisen, deren Verhalten er beobachtet und lesen gelernt hat (6: 123)� Desgleichen lebt er im Austausch mit den Vögeln, denen er in seinem Garten Raum gibt und die ihm sozusagen im Gegenzug bei der Bekämpfung von Schädlingen helfen (6: 156-160)� Ähnlich hält er es auch mit Heinrich, den er in ein sich über viele Stunden hinziehendes Gespräch verwickelt, in dessen Verlauf sie sich intensiv austauschen� Raum für dieses Gespräch schafft Risach zunächst, indem er sich über den ursprünglichen Zweck von Heinrichs Aufenthalt in seinem Hause hinwegsetzt und ihm Dinge und Dinge in Arbeit zeigt, die auf den ersten Blick nichts mit der Frage des Wetters zu tun haben� Dabei geht es vor allem darum, das an den Dingen Getane in einen Bedeutungszusammenhang zu stellen und damit auch denjenigen, der an diesem Tun teilhat, als den, der er ist, zur Darstellung zu bringen� Dieser Vorstellung vom menschlichen Gespräch mag es geschuldet sein, dass Risach lange Zeit davon absieht, Heinrich gegenüber seinen Namen zu nennen oder sich ihm als der standhafte Mann, der er, der lange Zeit im Staatsdienst gearbeitet hat, ist, bekanntzumachen� Desgleichen fragt er auch Heinrich nicht nach Namen und Herkommen� Auch darin entspricht die Gesprächsführung Sprache und Dingwelt 363 Risachs der von Hannah Arendt ein Jahrhundert später in ihrem Buch Vita Activa ausgearbeiteten Theorie politischen Handelns, das, wie sie betont, mit dem Sprechen in enger Verbindung steht (6: 167)� Während “[f]ür alle anderen Tätigkeiten […] Worte eine untergeordnete Rolle spielen, [da] sie […] lediglich der Information [dienen] oder […] einen Leistungsvorgang [begleiten], der auch schweigend vonstatten gehen könnte”, ist die Sprache für das Handeln unablässlich� Denn “[e]rst durch das gesprochene Wort fügt sich die Tat in einen Bedeutungszusammenhang, wobei aber die Funktion des Sprechens nicht etwa die ist, zu erklären, was getan wurde, sondern das Wort vielmehr den Täter identifiziert und verkündet, dass er es ist, der handelt, nämlich jemand, der sich auf andere Taten und Entschlüsse berufen kann und sagen, was er weiterhin zu tun beabsichtigt” (6: 168)� In der Tat ist es solch ein das Handeln begleitende Sprechen, das Risach vom ersten Moment seines Auftretens im Roman auszeichnet� 11 Der betagte Mann, der nach Art von dessen Auftreten und Rede in Heinrich einen möglichen Teilnehmer an den Vorgängen auf dem “Landaufenthalt” erkennt, erzählt Heinrich in erster Linie von verschiedenen Tätigkeiten, die vor Ort verrichtet wurden und werden� Auf diese Weise stellt er sich und seinen Gast von vornherein in einen größeren Handlungzusammenhang� Dem entspricht nicht nur, dass er von seinem Anwesen zumeist in der ersten Person Plural spricht, ohne sich dabei zwingend auf Familienangehörige zu beziehen (6: 78), sondern auch dass er Heinrich mit verschiedenen Personen bekannt macht, die vor Ort tätig sind - mit dem Gärtner und dessen Frau, vor allem aber mit dem Restauratoren Eustach� Dabei erklärt er nicht so sehr deren Tätigkeiten, als dass er die diesen zugrundeliegenden Überlegungen beschreibt und Heinrich die herausragenden Leistungen bewundern lässt, die aufgrund dieser Überlegungen und deren beflissener Umsetzung zustande kamen� Auch in Heinrich erkennt Risach Anlagen zu hochqualifizierter Arbeit, die, wie er ihm gegenüber betont, nicht immer zum Erfolg führen muss (6: 128)� Risach handelt auch hier nach dem Grundsatz der Begrenztheit und Vorläufigkeit allen Seins und weist Heinrich darauf hin, dass es durchaus möglich sei, dass die Art der Forschung, die dieser betreibt, wenngleich sie ihn im Falle der Wettervorhersage in die Irre führte, eines Tages Erkenntnisse zeitigen mag, die das Verständnis und damit die Gestaltung der Wirklichkeit verändern werden (6: 129)� Selbst noch gegen Ende des Romans, als Heinrich und dessen Familie ihren Platz im Gefüge der Gesellschaft um Risach eingenommen haben, macht Risach deutlich, dass nichts von dem, was er geschaffen hat, dazu bestimmt ist, ewig zu währen, sondern im Gegenteil der ständigen Anpassung an die sich verändernden materiellen Bedingungen und menschlichen Vorstellungen bedarf (6: 132)� Erreicht wird diese in der vom Sprechen begleiteten Handlung, die sich 364 Karin Neuburger im öffentlichen Raum vollzieht� Heinrich - und darin erweist sich Der Nachsommer in der Tat als Bildungsroman - erlernt sie schrittweise in einem sich über weite Strecken des Romans hinziehenden Prozess, in dessen Verlauf er sich zum Mitsprecher qualifiziert� Dieser Prozess schließt die Weiterführung seiner Forschungen außerhalb des “Landaufenthalts” und die Entdeckung der Vorläufigkeit allen Seins (6: 132 u� a�) 12 ebenso ein, wie die Ausbildung künstlerischer und organisatorischer Fähigkeiten und der Gabe, für andere Sorge zu tragen, sie an seinen Errungenschaften teilhaben zu lassen, Fragen in ihnen anzuregen und sie auf diese Weise auch auf die Teilnahme am politischen Gespräch vorzubereiten� 13 Erst aber, wo er sich entschlossen zeigt, “auf seine ursprüngliche Fremdheit […] zu verzichten” und sich der Gemeinschaft in der Beziehung zu Natalie, der Tochter von Mathilde, auch auf der Gefühlsebene und schließlich in ehelicher Verbindung auf lange Zeit hin zu verpflichten, wird er Gelegenheit erhalten, “als ein Jemand im Miteinander in Erscheinung zu treten” (Arendt 169)� 14 Es ist kein Zufall, dass Heinrich, der bisher nur in privaten Gesprächen - mit dem Vater, mit Risach oder mit Eustach - Gelegenheit fand, seine Meinung zu äußern, das erste Mal aufgefordert wird, in einem größeren Kreis zu einer Angelegenheit Stellung zu beziehen, wo es um die Ausgestaltung des öffentlichen Raums geht� Entschieden werden soll, ob die Außenwände des Landschlosses, das von Mathilde bewirtschaftet wird, neu zu übertünchen oder aber von der Tünche zu befreien sind, so dass der rohe Stein zum Vorschein kommt� Zwar sind es die Eigentümer des Gebäudes, die die Verantwortung und damit natürlich auch die Kosten der Renovierung auf sich nehmen, doch behandeln sie die Frage des Designs der weithin sichtbaren Mauern als öffentliche Angelegenheit� Sie laden die auf den umliegenden Höfen lebenden Nachbarn zum Mahl und zu anschließender Besichtigung der Mauern ein und bitten sie, ihre Meinung zu einer Frage zu äußern, die nach Ansicht vieler Anwesenden eine Frage des individuellen Geschmacks ist (7: 225)� So betrachtet, erscheint der Aufwand lächerlich, mit dem Mathilde und Risach die Sache der Mauergestaltung betreiben, die im Vergleich zu der im Katakombentext angesprochenen Kapitalverteilung banal erscheint� Dem ist entgegenzuhalten, dass die Verhandlung über die Frage der Gestaltung des öffentlichen Raums nicht banal ist, und zwar zunächst einmal, weil sie Fragen der Kapitalverteilung miteinschließt - Stifter hat in Der Nachsommer an verschiedenen Stellen und auch im Zusammenhang der Freilegung des Mauersteins nicht versäumt, deutlich zu machen, dass die Entscheidung, eine Sache so oder anders zu machen nicht weniger als die Entscheidung, dieses oder jenes zu tun, immer auch eine Frage der Finanzverteilung ist, die die Gesellschaft als solche betrifft (6: 115 u� a�)� Darüberhinaus aber ist das Aushandeln einer Entscheidung, die die Öffentlichkeit betrifft, nicht banal, weil das Gespräch, das um sie geführt wird, als solches von politischer Bedeutung Sprache und Dingwelt 365 ist� Wie Arendt hervorhebt, bestätigt jeder zwischenmenschliche Diskurs über jedwede Angelegenheit, die über die menschlichen Grundbedürfnisse hinausgeht, nicht nur das Vorhandensein einer den Diskursteilnehmern gemeinsamen Wirklichkeit und daher auch das Vorhandensein eines politischen Raumes, sondern gibt darüberhinaus jedem der Diskursteilnehmer die Gelegenheit, redend in die Gestaltung dieser Wirklichkeit einzugreifen (Arendt 169)� Läßt Stifter seine Romangestalten sich ausgerechnet über Fragen der Ästhetik austauschen, schließt er damit also nicht nur an die Forderung des Vaters nach Zweckfreiheit und damit nach moralischer Freiheit an, 15 sondern weist - wiederum in Fortführung der Rede des Vaters - auf die politische Relevanz der Zweckfreiheit für die gute und das heißt vor allem “schöne” Ausgestaltung der Wirklichkeit hin, die als solche immer schon dem Entzug von Wirklichkeit, i�e� der Vergänglichkeit, entgegensteht, um auf diese Weise Raum für menschengerechtes Leben zu schaffen� Erst in dem Moment, in dem Heinrich diesen genuin politischen Zusammenhang versteht, qualifiziert er sich dafür, an dem Gespräch um das Mauerdesign teilzunehmen und sich sprechend in die Gesellschaft einzufügen� Heinrich versteht, dass die Bloßlegung der Mauersteine an dem von Mathilde bewirtschafteten Schloss der Bloßlegung von dessen Denkmalscharakter gleichkommt und damit Ausdruck des politischen Willens ist, in der gemeinsam unternommenen Gestaltung der Wirklichkeit der Vergänglichkeit des Seins Rechnung zu tragen, sie anzuerkennen und sich ihr gerade in deren Anerkennung entgegenzustellen� Dies kommt deutlich in den Überlegungen zum Ausdruck, die er zunächst für sich in Gedanken anstellt: Unsere neuen Häuser, die nur bestimmt sind, Menschen aufzunehmen, um ihnen Obdach zu geben, haben nichts Denkmalartiges, sei es ein Denkmal für den Glanz der Familie, sei es ein Denkmal der abgeschlossenen und wohlgenossenen Wohnlichkeit für irgend ein Geschlecht� Darum werden sie fachartig aus Ziegeln gebaut und mit einer Schicht überstrichen, wie man auch lackierte Geräte macht oder künstliches Gestein malt� Schon die aus bloßem Holze zur Wohnung eines Geschlechtes in unsern Gebirgsländern (nicht nur zur Spielerei in Gärten) erbauten Häuser haben Denkmalartiges, noch mehr die Schlösser, die aus festen Steinen gefügt sind, die Torbogen, die Pfeiler, die Brücken und noch mehr die aus Steinen gebauten Kirchen� Daraus ergab sich mir von selber, dass diejenigen, die dieses Schloß so bauten, dass die Außenseiten der Wände fest gefügte, viereckige, unbestrichene Steine sind, recht gehabt haben, und dass die, welche die Steine bestrichen, im Unrechte waren, und dass die, welche sie wieder bloß legen, abermals im Rechte sind� (7: 226) Doch bevor Heinrich Gelegenheit findet, sich in öffentlicher Rede zu bekennen, wird er - und auch dies nicht zufällig - seine Nähe zu Natalie, Mathildes Tochter, entdecken� Als sich die Gesellschaft, die sich um die Mauern des Schlosses 366 Karin Neuburger geschart hatte, eine Pause gönnt, begibt sich Heinrich in die Grotte am Schloss, um sich zu sammeln� Beim Eintreten sieht er noch den Schatten des Kleides Nataliens, um sich dann an den Ort zu setzen, an dem Natalie saß (7: 227 f�) und an dem sie sich später ihre Liebe gestehen werden, die sich an der ihnen und den Ihrigen gemeinen Liebe zu den Dingen entzündet (7: 261 ff�)� Es ist diese Liebe zu den Dingen, die dann auch die Ausrichtung der Hochzeitsfeier bestimmen wird� Während die Trauungszeremonie nur eines einzigen Satzes gewürdigt wird (7: 266), ergeht sich Stifter in eine dreizehnseitige Beschreibung der Feier� In deren Mittelpunkt stehen drei Kunstgegenstände, die von den Anwesenden betrachtet und besprochen werden� Die Anordnung dieses Vorgangs ist von der Vergänglichkeit der Menschenwelt bestimmt, die in der Hochzeit und der sich in ihr ankündenden Fortpflanzung aufgehoben scheint� Zunächst wird das Geschmeide betrachtet, mit dem Risach und Heinrichs Vater die Braut beschenken� Dabei wird eine Art Wettkampf inszeniert� Doch wird die Frage, welches der für die Braut angefertigten Schmuckstücke schöner sei, unentschieden bleiben - das mit Rubinen und Diamanten besetzte Collier, das von Risach in Auftrag gegeben wurde, oder das mit Smaragden verzierte Halsband, das Heinrichs Vater aus der Stadt mitbrachte; genauso wie niemandem in den Sinn kommen wird, die vom Gärtner eigens für die Hochzeitsfeier zum Blühen gebrachte Pflanze, die nur eine Nacht über in Blüte steht und in Europa selten zu sehen ist (8: 276), mit dem Zitherspiel zu vergleichen, das, kaum dass es erklingt, schon wieder vergeht und nur im Gedächtnis der Anwesenden fortwirkt� Alle Anwesenden sind sich einig in dem Urteil darüber, dass all diese Dinge, die die Vergänglichkeit der Welt bezeugen - egal, ob im Gegensatz des langwährenden Edelsteines zum Körper der jungen Frau oder in der Kurzlebigkeit der Blüte und der Töne - auch deswegen schön sind, weil sie in ihrer jeweiligen Einmaligkeit neben der Vergänglichkeit auch von einer Gegenwart zeugen, die auch die Gegenwart der Menschen meint, die diese Dinge hervorgebracht haben und sich in ihnen zu erkennen geben� In diesem Sinne gestaltet sich die Hochzeitsfeier zu einem Fest der Bezeugung der gemeinsamen Gegenwart und das heisst zu einem Fest der Bezeugung von Wirklichkeit, die sich im Austausch über die Dinge vollzieht� 16 Der Versuch, der Vergänglichkeit dieser Wirklichkeit einen Riegel vorzuschieben, wie er von Heinrich und Natalie angesprochen wird, wo sie sich darauf verstehen, “keine Veränderung in allem, wie es sich in dem Hause und in der Besitzung vorfindet, machen [zu] wollen”, wird von Risach mit folgendem Kommentar abgewiesen: Da tut ihr zu viel […] ihr versprecht etwas, dessen Größe ihr nicht kennt� Diese Bande darf ich nicht um euren Willen und eure Verhältnisse legen, sie können von den übels- Sprache und Dingwelt 367 ten Folgen sein� Wollt ihr mein Gedächtnis in mannigfachem Bestehenlassen ehren, tut es, und pflanzt auch euren Nachkommen diesen Sinn ein, sonst ändert, wie ihr wünscht, und wie es not tut� Wir wollen, so lange ich lebe, selber noch mit einander ändern, verschönern, bauen; ich will noch eine Freude haben, und mit euch zu ändern und zu wirken ist mir lieber, als wenn ich es allein tue� (8: 285) Ähnlich entgegnet er auf den Einwurf, dass “der Erlenbach […] als Denkmal der schönen Geräte bestehen bleiben” müsse: “Setzt eine Urkunde auf, dass ihm nichts angetan werde von Geschlecht zu Geschlecht, bis seine Reste vermodern, oder ein Wolkenguss ihn von seiner Stelle feget” (8: 286)� Selbst eine Urkunde ist nicht dazu angetan, den Verfall der Materie aufzuhalten� In der Bekundung einer Absicht, einer Vorstellung, eines Gedankens jedoch fordert sie ihre Leser auch dann noch zum Gespräch heraus, wenn der Sachverhalt, den ihre Verfasser festzulegen wünschten, längst nicht mehr besteht� Man mag hier nochmals an die betuchte Tote aus dem Katakombentext erinnern, der Risach im Verzicht auf die Beherrschung der Wirklichkeit nach dem Tod entgegengesetzt ist� Möglich scheint ihm dieser Verzicht, weil er um eine andere Dauerhaftigkeit weiß� Gemeint ist weder die der Dinge noch die der Kunstdinge und selbst nicht die des Gespräch um die Dinge, sondern die, die sich aus der künstlerischen Überhöhung dieses Gesprächs in der Literatur ergibt, wie Risach Heinrich bei der Besichtigung seiner Bibliothek auseinandersetzt: “Ich habe diese Bücher gesammelt”, sagte er, “nicht, als ob ich sie alle verstände; denn von manchen ist mir die Sprache vollkommen fremd; aber ich habe im Verlaufe meines Lebens gelernt, dass die Dichter, wenn sie es im rechten Sinne sind, zu den größten Wohltätern der Menschheit zu rechnen sind� Sie sind die Priester des Schönen und vermitteln als solche bei dem steten Wechsel der Ansichten über die Welt, über Menschenbestimmung, über Menschenschicksal und selbst über göttliche Dinge das ewig Dauernde in uns und das allzeit Beglückende� […] Und wenn auch alle Künste dieses Göttliche in der holden Gestalt bringen, so sind sie an einen Stoff gebunden, der diese Gestalt vermitteln muss: die Musik an den Ton und Klang, die Malerei an die Linien und dergleichen, die Baukunst an die großen Massen irdischer Bestandteile, sie müssen mehr oder minder mit diesem Stoffe ringen; nur die Dichtkunst hat beinahe gar keinen Stoff mehr, ihr Stoff ist der Gedanke in seiner weitesten Bedeutung, das Wort ist nicht der Stoff, es ist nur der Träger des Gedankens, wie etwa die Luft den Klang an unser Ohr führt� Die Dichtkunst ist daher die reinste und höchste unter den Künsten”� (7: 38) In der Literatur als Gespräch unter Menschen, das über Generationen - oder wie Arendt, die in diesem Zusammenhang Rilke zitiert, schreibt: “unter Umständen durch Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch” (Arendt 155) - währt, ver- 368 Karin Neuburger binden sich Ästhetik und Politik� Ermöglicht werden soll in dieser Verbindung die Eröffnung eines Raumes menschlicher Wirklichkeit, eines Raum, in dem “die Weltlichkeit der Welt, die als solche niemals absolut sein kann, weil sie von Sterblichen bewohnt und benutzt wird, selbst in Erscheinung [tritt]” (155)� Bietet der theoretische Ansatz Arendts auch Begriffe an, mit deren Hilfe sich der politische Charakter von Stifters Schreiben in seinem Anspruch schematisch umreißen lässt, ist damit die Frage nach Stifters politischem Realismus längst nicht abgetan� Vielmehr stellt sie sich nun auf praktischer Ebene ganz neu - als Frage nach der Art und Weise, wie sich Stifter in das Gespräch der Literatur einklinkt, und dann natürliche als Frage, wie genau es um den Gesprächscharakter seiner Literatur bestellt ist� Dabei kommt nicht nur dem Aspekt der Gattung des Romans 17 und seines Verhältnisses zu anderen Werken der Literatur besondere Bedeutung zu, sondern natürlich auch der Überlegung, inwieweit Der Nachsommer dem Anspruch auf “moralische Freiheit” - auch des Lesers 18 - gerecht wird� Erscheint Der Nachsommer in weiten Teilen als “Wiedergabe” von Gesprächen um die Dinge, so zeichnen sich die Unterhaltungen doch durch ein merkwürdiges Einvernehmen unter den Romangestalten aus, deren stoische und in gewisser Hinsicht aristokratische Lebenshaltung mitunter verstörend wirkt� 19 Gestellt ist hiermit demnach nochmals, wenngleich unter anderen Vorzeichen als bisher, die Frage nach dem Verhältnis von Konservatismus und Modernität in Stifter� Vor dem Hintergrund einer fortgehenden Lektüre von Der Nachsommer, in deren Verlauf die Repräsentionspraktiken, die die Gespräche der Romangestalten charakterisieren, zu untersuchen und dann am Anspruch moralischer Freiheit zu messen sind, wäre nicht nur ein Vergleich zu Stifters politischen und pädagogischen Schriften notwendig, sondern auch eine tiefgreifende Untersuchung der Nähe zu Arendts Politikbegriff und dessen Relevanz für gegenwärtige Diskussionen um das Politische� Notes 1 Strowick bezieht sich zunächst auf Begemann (Möwengeflatter 428) entwickelt dann aber auf diesem Hintergrund einen psychoanalytisch verankerten Realismusbegriff, bei dem es darum geht “das Reale jenseits des Subjekts zu denken” (Strowick 50)� 2 Im Stifter-Handbuch werden verschiedene Versuche erwähnt, den Zusammenhang zwischen den Essays zu “Wien und die Wiener” und dem im strengen Sinne literarischen Werk zu erfassen, wobei schon Begemann seine Monographie zu Stifter mit einem Kapitel zu den Essays beginnt, in denen er Repräsentationspraktiken angelegt findet, die für Stifters Poetik später prägend sein werden (Zeichen 9-94)� Sprache und Dingwelt 369 3 Blumenberg beschreibt den Umschlag, der dem realistischen Erzählen als solchem innewohnt, in den folgenden Zeilen: “Die Steigerung der Genauigkeit des Erzählens führt dazu, dass die Unmöglichkeit des Erzählens selbst ihre Darstellung findet� Aber diese Unmöglichkeit wird ihrerseits als Index eines unüberwindlichen Widerstandes der imaginären Wirklichkeit gegen ihre Deskription empfunden, und insofern führt das dem Wirklichkeitsbegriff der immanenten Konsistenz zugehörende ästhetische Prinzip an einem bestimmten Punkt des Umschlages in einen anderen Wirklichkeitsbegriff hinein� Hier liegt der Grund, dass die immer wieder angekündigte ‘Überwindung’ des Romans nicht erreicht worden ist, dass aber Ironie zur authentischen Reflexionsweise des ästhetischen Anspruches im modernen Roman geworden zu sein scheint, und zwar so, dass dieser gerade in seinem Realitätsbezug ironisch wird, den er weder aufgeben noch einlösen kann” (69)� 4 “Der Nachsommer” erweist sich Mathias Mayer zufolge als ein “in einem eminenten Sinne soziale[r] Roman”, der sich als solcher vom Bildungsroman unterscheidet (153)� Auch ich bin der Meinung, dass Stifter nicht die individuelle Entwicklung in den Mittelpunkt seines Romans stellte� Demgemäß scheint mir die Terminologie des “Sozialen”, d� h� gesellschaftlichen, weniger auf die Stiftersche Prosa zuzutreffen, da es in ihr nicht um private Interessen geht, die öffentlich gemacht werden (Arendt 36), sondern im Gegenteil um den Versuch, einen Raum zu eröffnen, der sich vom Privaten und Nützlichen unterscheidet und in dem politisches Handeln, und d� h� zunächst vor allem Sprechen, möglich ist� 5 Man mag Mathias Mayers Anmerkung, Ein Gang durch die Katakomben stelle ein “fast barocke[s] Memento mori” dar (218; Hervorhebung von mir) auf diese Weise interpretieren� 6 Dieser wird schon im ersten Abschnitt der eigentlichen Rahmenerzählung evoziert, wo vom Jahre 1842 die Rede ist (39)� Der Katakombentext ist zwar 1841 entstanden, doch 1844 erstmals in der Anthologie-Wien und die Wiener- erschienen, deren redaktionelle Betreuung Stifter 1841 übernommen hatte (Kauffmann 151, 153)� 7 Es ist bedeutend, dass Stifter der betuchten Dame Attila zugesellt, von dem seinem durch die Katakomben Wiens wandelnden Erzähler folgende Sage einfällt: Man tat “dessen Leiche […] in einen goldenen Sarg […], den goldenen in einen silbernen, diesen in einen eisernen und diesen zuletzt in einen steinernen� Dann grub man einen Fluß ab, senkte die Särge tief in die Erde seines Bettes und ließ dann die Wasser wieder darüber wegrollen - ja endlich tötete man die, die um das Werk wußten und es machen halfen, damit niemand auf der Erde das Grab des Hunnenkönigs wisse!! - aber eines 370 Karin Neuburger Tages wird der Fluß den Sand und Schlamm in einer Überschwemmung herausstoßen, oder man wird eine Wasserbaute anlegen, oder der Fluß wird seinen Lauf ändern, und man wird im alten Bette ein Feld oder einen Garten graben: dieses Tages wird man dann den Sarg finden, das Gold und Silber nehmen, den König aber hinauswerfen auf den Anger der Heide” (53)� Der Hinweis auf Attila zeigt, dass der Wunsch, sich der Wirklichkeit zu bemächtigen, den sich Reiche und Machthaber dem Anschein nach erfüllen können, nicht an eine Zeit gebunden ist� Es handelt sich vielmehr um eine allgemeine menschliche Schwäche, der somit auch nicht in einem nostalgischen Sehnen beizukommen ist, das Stifter von vielen seiner Leser auch im Zusammenhang der Essays um “Wien und die Wiener” nachgesagt wird (Kauffmann 154)� Wie schon in Bezug auf die Brechungen von Rahmen- und Binnenhandlung erwähnt, scheint mir, dass sich Stifters Schreiben nicht in binäre Schemen pressen lässt� 8 Wie genau sich Stifters Ästhetik und Dichtungstheorie mit den Ausführungen Kants in seiner “Kritik der Urteilskraft” deckt und wie diese wiederum mit Hannah Arendts politischer Theorie zusammenläuft, bedarf genauer Prüfung� 9 Zur Bedeutung des geologisch geschulten Naturverständnisses im Zusammenhang des Romans und seiner poetischen Form siehe auch Schnyder, und vor allem Schneider� 10 Auch dies gehört zum Begriff der moralischen Freiheit, den Stifter in Der Nachsommer entwickelt: dass der Einzelne nicht oder zumindest nicht unbedingt aus der Erfahrung Anderer lernen kann� Erst etwa in der Mitte des Romans, nachdem er eigene Erfahrungen gesammelt hat, wird Heinrich in der Lage sein, Fragen zu stellen, die ihn über die Naturwissenschaft hinaus in den gesellschaftspolitischen Bereich führen� 11 Ursula-Marie Lindau wies schon darauf hin, dass bei Stifter Sprache “als der unbedingte, unmittelbare Ausdruck des menschlichen ‘Gemüths’ [erscheint], der innern Haltung des Menschen”� Daraus ergibt sich, dass “die gesprochenen Worte stets ein moralisches Zeugnis ablegen” (13) und in dem Sinne, würde ich Lindaus Ausführungen hinzufügen, von politischer Bedeutung sind, als dass der Sprecher sich, i�e� den Impetus seiner Handlung, zu erkennen gibt� 12 Die Einsicht in die Geschichtlichkeit der Welt führt Heinrich dazu, die Relativität seiner Beobachtungen anzuerkennen, die eher als dass sie Antworten bereithielten, zu neuen Fragen anregen: “Woher sind [die Steine] gekommen, wie haben sie sich gehäuft? […] Wie ist überhaupt an einer Stelle gerade dieser Stoff entstanden […]? Woher ist die Berggestalt im Großen Sprache und Dingwelt 371 gekommen? […] Wie ist die Gestalt der Erde selber geworden […]? Wird sich vieles, wird sich alles noch einmal ganz ändern? ” (7: 29)� 13 Dies zeigt sich deutlich in der Szene, die sich an den obigen Fragenkatalog hinsichtlich der Relativität des Seins anschließt und in der eine Diskussion unter den Arbeitern beschrieben ist, die sich über Herkunft und Entstehung der Gebirge unterhalten (7: 29)� 14 Wenige Seiten zuvor formuliert Arendt: “Sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein, die existierte, bevor wir in sie geboren wurden” (165)� 15 Stifter führt die Überlegungen des Vaters dann auch im Munde Risachs weiter, der im Rahmen eines Gesprächs mit Eustach und Heinrich erklärt, dass in der Kunst der Zweck einer Anlage auch dann erreicht wird, wenn sie ihren Gegenstand verfehlt, da “das Suchen und das, was sie in diesem Suchen fördert und in sich und anderen erzeugt”, ein Zweck in sich darstellt� Dem fügt er hinzu, dass “[w]enn jede Anlage mit völliger Blindheit ihrem Gegenstande zugeführt würde und ihn ergreifen und erschöpfen müßte, so wäre eine viel schönere und reichere Blume dahin, die Freiheit der Seele, die ihre Anlage einem Gegenstande zuwenden kann oder sich von ihm fern halten, die ihr Paradies sehen, sich von ihm abwenden und dann trauern kann, dass sie sich von ihm abgewendet hat, oder die endlich in das Paradies eingeht, und sich glücklich fühlt, dass sie eingegangen ist” (8: 52)� 16 Und um nochmals Hannah Arendt zu zitieren: “Sobald wir anfangen, von Dingen […] zu sprechen […], stellen wir sie heraus in einen Bereich, in dem sie […] Wirklichkeit erhalten […]� Die Gegenwart anderer, die sehen, was wir sehen, und hören, was wir hören, versichert uns der Realität der Welt und unserer selbst […]” (Arendt 50)� 17 Vgl� hierzu Leucht und Michler� 18 In diesem Zusammenhang gilt es auch den leserorientierten Ansatz von Klaus Amann (insbesondere 133-139) aufzunehmen und im Rahmen einer politischen Lesart weiterzuführen, die die Frage nach der Wahrung der moralischen Freiheit des Lesers in den Vordergrund stellt und die poetischen Anlagen des Roman untersucht, die es dem Leser und dann natürlich auch nachfolgenden SchriftstellerInnen erlauben, sich handelnd in das wirklichkeitsstiftende Gespräch der Literatur einzubringen� 19 Interessant wäre in diesem Zusammenhang ein Vergleich zu Kellers Realismus, dessen politische Ausrichtung im Spannungsverhältnis mit idealistischen Grundsätzen Dorothea von Mücke untersucht hat� 372 Karin Neuburger Works Cited Amann, Klaus� Adalbert Stifters Nachsommer: Studie zur didaktischen Struktur des Romans� Vienna: Wilhelm Braumüller, 1977� Arendt, Hannah� Vita Activa oder Vom tätigen Leben� Munich: Piper, 1981� Begemann, Christian� “Spiegelscherben, Möwengeflatter� Poetik und Epistemologie des Realismus, bodenlose Mimesis und das Gespenst�” Poetica 46 (2014): 412-438� —� Die Welt der Zeichen: Stifter-Lektüren. Stuttgart: Metzler, 1995� Blumenberg, Hans� Ästhetische und Metaphorologische Schriften� Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001� Geulen, Eva� Worthörig wider Willen: Darstellungsproblematik und Sprachreflexion bei Adalbert Stifter� Munich: Iudicium Verlag, 1992� Hertling, Gunter H� Adalbert Stifters Essays 'Wien und die Wiener' (1841-1844) als verhaltenspsychologische ‘Studien’ impressionistischen Kolorits� Bern: Peter Lang, 2006� Kauffmann, Kai� “Wien und die Wiener, in Bildern aus dem Leben�” Stifter-Handbuch: Leben - Werk - Wirkung. Ed� Christian Begemann and Davide Giuriato� Stuttgart: Metzler, 2017� 151-156� Leucht, Robert� “Ordnung, Bildung, Kunsthandwerk� Die Pluralität utopischer Modelle in Adalbert Stifters Nachsommer�” Figuren der Übertragung. Adalbert Stifter und das Wissen seiner Zeit. 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