Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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Herausgegeben von Jürgen Krieger 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur Fachtagung über Planung, Bau, Betrieb, Unterhalt, Rückbau von Brücken, Tunneln, Schienen, Straßen, Wasserwegen digital Tagungshandbuch 2023 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur 20. und 21. Juni 2023 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von DirProf. Dr.-Ing. Jürgen Krieger 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur Fachtagung über Planung, Bau, Betrieb, Unterhalt, Rückbau von Brücken, Tunneln, Schienen, Straßen, Wasserwegen digital Tagungshandbuch 2023 Medienpartner: Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2023. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen eMail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3554-4 (Print) ISBN 978-3-8169-8554-9 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern eMail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 5 Vorwort Der Bausektor, insbesondere der Straßen- und Tiefbau, gehört zu den Wirtschaftssektoren mit einer vergleichsweise geringen Digitalisierungsquote. Traditionell geprägte Arbeitsabläufe, die Struktur der am Bau beteiligten Unternehmen und Kommunen, die Komplexität von Infrastrukturanlagen, heterogene Datenbestände sowie fehlende finanzielle und personelle Mittel sind Gründe dafür. Dadurch werden Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung nicht hinreichend genutzt. Die Digitale Transformation bietet Chancen, um diese Herausforderungen zu bewältigen und die Effizienz, Nachhaltigkeit und Sicherheit der Verkehrsinfrastruktur zu verbessern. In diesem Kontext findet der 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur an der Technischen Akademie Esslingen statt. Der Fachkongress widmet sich dem Austausch aktueller Erkenntnisse aus Wissenschaft, Industrie, Kommunen und Praxis auf dem Gebiet der Digitalen Transformation der Verkehrsinfrastruktur. Dabei werden in ca. 40 Plenar- und Fachvorträge in parallelen Sessions sowohl Potenziale und Herausforderungen digitaler Technologien aufgezeigt als auch Konzepte zur Verknüpfung von (zukünftigen) digitalen Entwicklungen mit der Verkehrsinfrastruktur präsentiert. Die Gewährleistung von Sicherheit, Dauerhaftigkeit, Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit stehen dabei im Fokus eines ganzheitlichen Lebenszyklusmanagements von Verkehrsinfrastrukturen. Themenschwerpunkte • Asset Management • Bauwerksdiagnostik • Building Information Modeling (BIM) • Digital Twin • Geoinformationssysteme (GIS) • Künstliche Intelligenz • Monitoring • Scan2BIM Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und zeigt Potenziale und Herausforderungen digitaler Technologien und präsentiert Konzepte zur Verknüpfung von (zukünftigen) digitalen Entwicklungen mit der Verkehrsinfrastruktur. Darüber hinaus werden aktuelle Anwendungen vorgestellt und ihr Nutzen im Lebenszyklus betrachtet. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ 50051 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenarvorträge 0.1 Nutzung von digitalen Werkzeugen für die nachhaltige Infrastrukturplanung 13 Oliver Queck, M. Sc. Geologie 0.2 Infrastruktur vernetzt denken 17 Dipl.-Ing. (FH) Rebecca Probst, MBA & Eng., Dipl.-Ing. (FH) Martin Seitner, M. Sc. 0.3 Die digitale Autobahn 21 Dr.-Ing. Marion Mayer-Kreitz, Slavica Grosanic, Alen Kolarec 1.0 Asset Management 1.1 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur 31 Dipl.-Ing. Kay Degenhardt 1.2 BIM zur Unterstützung eines effizienten Asset Managements der Straßeninfrastruktur 41 Dr.-Ing. Tim Blumenfeld, Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner, Univ.-Prof. Dr. sc. techn. ETH Rade Hajdin, Dr. sc. ETH Dipl.-Ing. Frank Schiffmann, Prof. Dr.-Ing. Markus König 1.3 Die technische Realisierung echtzeitbasierter Mess- und Auswerteprozesse von Klima- und Verkehrsbelastungsdaten kommunaler Straßeninfrastruktur 51 Dipl.-Inf. Uwe Reinhardt, Marko Tesic 1.4 Anwendung der BIM-Methode im Anlagen- und Instandhaltungsmanagement der Eisenbahninfrastruktur 57 Cornelius Stehr, M. Eng., Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit 2.0 Monitoring 2.1 Monitoring von Ingenieurbauwerke - aktuelle und zukünftige Anwendungsfälle 63 Dr. Iris Hindersmann, Dr.-Ing. Matthias Müller, Felix Kaplan, M. Sc. 2.2 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag 71 Prof. Dr.-Ing. Thomas Braml, Johannes Wimmer, M. Eng., Fabian Seitz, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Max Spannaus, Norman Diersch, Iris Hilbricht, Dr.-Ing. Norbert Romen, Maximilian Reingruber, Jürgen Hamm, Martin Krettek, Dr. Michael Häuserer 2.3 Passive kabellose Sensorplattform am Beispiel eines Randbalkens 83 Dipl.-Ing. Dr. techn. Dominik Mair, Dipl.-Ing. Julian Konzilia, Ph. D. Michael Renzler, Dipl.-Ing. Djordje Gunjic, Dr. techn. Moritz Fischer, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Thomas Ussmueller, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Feix 8 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 3.0 Scan2BIM 3.1 Algorithmische Erkennung von Stützmauern aus 3D-Punktwolken der Straßenbefahrung 93 Dr. sc. ETH Dipl.-Ing. Frank Schiffmann, Univ.-Prof. Dr. sc. techn. ETH Rade Hajdin, Lazar Rakić, M. Sc. ETH, Dr. rer. nat. Rico Richter, M. Sc. 3.2 B90 Brückenensemble Lübeck 3D-Bestandserfassung 101 Vermessungsingenieur Andreas Petter 3.3 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau 107 Jennifer Bednorz, M. Eng., Prof. Dr. sc. techn. ETH Rade Hajdin, Dr. rer. nat. Rico Richter, M. Sc., Dipl.-Ing. Lazar Rakić, M. Sc. ETH, Dr. sc. ETH, Dipl.-Ing. Holger Diederich, Justus Hildebrand, M. Sc., Sebastian Schulz, M. Sc., Prof. Dr. Jürgen Döllner 4.0 Geoinformationssysteme 4.1 Geodateninfrastrukturen für Digitalisierungsprozesse bei der Autobahn GmbH des Bundes 117 Nikolaus Kemper 4.2 Integration der BIM-Methode in GIS für kommunale Infrastrukturanlagen 125 Jonas Maibaum, M. Sc., Amina Wachsmann, M. Eng., Prof. Dr.-Ing. Markus König 4.3 Straßenzustandserfassung: Geocodiert oder Netzknoten-Kanten-bezogen, was benötigen wir morgen? 133 Dr.-Ing. Ute Stöckner, Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 9 5.0 Building Information Modeling (BIM) 5.1 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? 139 Dr. sc. techn. Jörg-Martin Hohberg 5.2 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung 147 Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner, Dr. sc. ETH Dipl.-Ing. Frank Schiffmann, Dr.-Ing. Ute Stöckner, Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit 5.3 BIM und Künstliche Intelligenz für den kommunalen Straßen- und Ingenieurbau 159 Winona Grimsehl-Schmitz, Eva-Maria Stieglitz-Broll 5.4 Verkehrsanlagenplanung in BIM-Projekten 165 Dipl.-Wirtschaftsinformatiker FH Volker Uminski, Dipl.-Mathematiker Jens Bartnitzek, Wahid Fazelly, M. Sc. 5.5 Umbau Autobahndreieck Funkturm, Berlin 167 Dipl.-Ing. Wolfgang Strobl 5.6 BIM in der Betriebsphase von Ingenieurbauwerken 173 Anna Bodenko, M. Sc. 5.7 Integrationsansätze von SHM-Messdaten in BIM-Modelle von Brückenbauwerken 179 Martin Köhncke, M. Sc., Dr.-Ing. Francesca Marsili, Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Henke, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler 5.8 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau 183 Dipl.-Ing. (FH) Stephan Müller, Prof. Dr.-Ing. Jan Akkermann 5.9 Die deutschlandweit erste interaktive VR-basierte Schulungssoftware im Baugewerbe: TOUGH 189 Berna Top, M. Sc. 6.0 Digital Twin 6.1 Eine Plattform-Infrastruktur für Digital Twins 197 Dr. Ilka May 6.2 Assetübergreifender Digitaler Zwilling für den Bestand 203 Dipl.-Ing. Jens Kühne 6.3 KPI-basiertes Lebenszyklusmanagement von Infrastrukturbauwerken 209 Prof. Dr. sc. techn. ETH Rade Hajdin, Dr.-Ing. Tim Blumenfeld, Dr. Dipl.-Bauingenieur UB Nikola Tanasić, Dr. sc. ETH Dipl.-Ing. Frank Schiffmann 6.4 Lösungsansätze zur Implementierung von Digitalen Zwillingen in BIM 217 Prof. Dr.-Ing. Martin Herbrand 6.5 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht 225 Alex Lazoglu, M. Sc., Adrian Bartsch, M. Sc., Hubert Naraniecki, M. Sc., Dipl.-Ing. Daniel Oberhauser, Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx 10 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 7.0 Künstliche Intelligenz 7.1 Maschinelles Lernen zur Zustandserkennung bei Ermüdungsversuchen an Spannbetonträgern 239 Yasser Alshaban Alqasem, M. Sc., Dr.-Ing. Jens Heinrich, Dr.-Ing. Matthias Müller 7.2 Halbautonome Schadenskartierung und -segmentierung mit Spot 247 Patrick Herbers, M. Sc., Firdes Çelik, M. Sc., Marlena Block, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Markus König 7.3 Die digital unterstützte Brückenprüfung am Beispiel des Einsatzes künstlicher Intelligenz und erweiterter Realität 251 Jessica Steinjan, Stephan Embers, M. Sc., Jan-Derrick Braun, David Schammler, Sven Zentgraf, Patrick Herbers, M. Sc., Firdes Celik, M. Sc., Benedikt Faltin, Prof. Dr.-Ing. Markus König, Regierungsrätin Sonja Nieborowski, M. Sc., Regierungsdirektor Dipl.-Ing. Ralph Holst 8.0 Bauwerksdiagnostik 8.1 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken 261 Chris Voigt, M. Eng., Christina Fritsch, M. Sc., Tina Hackel 8.2 Digitale Prüfung von Infrastrukturbauwerken aus Sicht des Bauwerkserhalters, des Prüfpersonals und des Softwareherstellers 273 Dipl.-Ing. Stefan S. Grubinger, BM, Dipl.-Ing. Simon Jimenez, MA, Dipl.-Ing. Dr. techn. Andreas Schüppel, Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr. techn. Matthias J. Rebhan, BM, Dipl.-Ing. Christoph Antony, Dipl.-Ing. Clemens Klass, Dipl.-Ing. Lukas Gruber 8.3 Struktur und Arbeitsablauf zur Integration von bauwerksdiagnostischen Ergebnissen in digitale Bauwerksmodelle 283 Dipl.-Ing. Martin Schickert, Mathias Artus, Chris Voigt, M. Eng., Manik Mehta 9.0 Anhang 9.1 Programmausschuss 293 9.2 Autorenverzeichnis 295 Plenarvorträge 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 13 Nutzung von digitalen Werkzeugen für die nachhaltige Infrastrukturplanung Von der Theorie in die Praxis Oliver Queck, M. Sc. Geologie ORIS SAS Paris Zusammenfassung Materialien spielen eine entscheidende Rolle im Bau von Infrastruktur. Gesteinskörnungen, Asphalt und Beton machen den übergroßen Teil der eingesetzten Baustoffe in einem Straßen- und Gleisbau- Projekt aus. Gleichzeitig verursachen die Baustoffe ca. 85 % der Emissionen in einem Bauprojekt. Dabei fließen die Emissionen durch die Produktion der Baustoffe, den Transport und den Einbau in diese Zahl ein. Um die verschiedenen Klimaziele der Regierung und die der Bauunternehmen, z. B. Nachhaltigkeitsberichte, zu erreichen, bedarf es einer besseren Nutzung der Baumaterialien. Mit Hilfe digitaler Werkzeuge und der zur Verfügung stehenden Regelwerke zur Kalkulation von CO 2 können neue und optimierte Bauweisen sichtbar und vergleichbar gemacht werden. Mit der Digitalisierung der Regelwerke, Normen und Richtlinien und der Umwandlung in intelligente Algorithmen können schnell verschiedene Auf bauvarianten identifiziert und miteinander verglichen werden. Ziel muss es sein, in einer möglichst frühen Phase bereits die vor Ort verfügbaren Materialien in der Planung von Infrastrukturprojekten zu berücksichtigen und die Auf bauten, auf die lokal verfügbaren Materialien (sowohl Primärrohstoffe als auch Recyclingbaustoffe) zu optimieren. Reduktionen von CO 2 im Bereich von 25 % sind nicht ungewöhnlich und oft können die Kosten reduziert werden, weil Baustoffe vor Ort wiederverwendet und nicht kostspielig transportiert werden müssen. Nur durch einen optimierten Einsatz von Baustoffen können die Klimaziele im Infrastruktursektor erreicht werden, da mit 85 % Anteil am CO 2 Fußabdruck die Baustoffe den mit Abstand größten Hebel besitzen. 1. Problemstellung Der Druck aus der Politik und die ausgerufenen Ziele der CO 2 Reduktion, sowohl national als auch international, führen dazu, dass die Messung von CO 2 Emissionen immer mehr in den Fokus gerät. Um effektiv den CO 2 - Fußabdruck in Straßen - und Gleisbau zu senken, bedarf es wissenschaftlich korrekter und nach den Regelwerken angepasster Kalkulationssysteme. Besonders die eingesetzten Baumaterialien haben hier den größten Hebel bei den Emissionen; sie verursachen insgesamt ca. 85 % der Gesamtemissionen eines Projektes. Es reicht jedoch nicht nur die Emissionen der Bauphase zu betrachten, entscheidend ist es, den gesamten Lebenszyklus zu betrachten (inklusive Nutzung, Wartung und Rückbau), um fundierte und zukunftsgewandte Entscheidungen treffen zu können. Bis vor kurzem gab es hier noch keine Lösung die diesen Ansprüchen entspricht; mit ORIS ist nun der Bauherr, der Planer und das Bauunternehmen in der Lage, diese Sichtbarkeit zu erhalten und vor allem auch gemeinsam und digital am Projekt zu arbeiten. 2. Methodik Der lokale Kontext ist für die Optimierung eines Infrastrukturprojektes von entscheidender Bedeutung. Baustoffe werden in der Regel lokal produziert und vertrieben. Um diesen Kontext in ORIS herzustellen, wurde die gesamte Landschaft der Materiallieferanten (Asphalt, Beton, Gesteinskörnung) kartiert und in ORIS integriert. Die Lieferstandorte haben entweder die spezifischen Produktkataloge (wenn das Unternehmen bereits bei ORIS gelistet ist) hinterlegt oder aber es wurden Referenzprodukte ergänzt. Um eine möglichst genaue Grundlage bei den Daten für den CO 2 Fußabdruck des Produktes zu haben, wurden entweder die EPD der Materialhersteller genutzt oder aber eine Anbindung an die ÖKOBAUDAT und ECOInvent Datenbank. Die ÖKOBAUDAT hat den Vorteil, dass sie aus den EPD, die durch das Institut für Bauen und Umwelt (EPD Programm Operator in Deutschland) ge- 14 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Nutzung von digitalen Werkzeugen für die nachhaltige Infrastrukturplanung neriert und gespeist werden und damit immer aktuelle Werte beinhalten. Zusätzlich zu den Materialdaten wurden auch alle relevanten Normen (Bsp.: DIN- EN1260, DIN- EN 13043) und Regelwerke (Bsp.: RDO Asphalt/ RDO Beton und RStO 12) in ORIS integriert. Die relevanten Teile (Tabellen usw.) wurden in Algorithmen dem System hinterlegt, um automatisch Designoptionen vorschlagen zu können. In der letzten und entscheidenden Stufe wurde das System den aktuell geltenden ISO und Standards angepasst und damit die größtmögliche Compliance geschaffen. ORIS ist konform mit den folgenden ISO/ Standards: - ISO 14067: 2018 Verifizierung der CO 2 -Billanz - ISO 21930: 2017- 07 Nachhaltigkeit von Bauwerken - Grundregeln für die Umweltdeklaration von in Bauwerken verwendeten Bauprodukten und technischen Anlagen - DIN EN 15804: 2022- 03 Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte Um eine zusätzliche Ebene der Qualitätssicherung zu haben wird das System regelmäßig extern geprüft und validiert. Im Dezember 2022 erhielt ORIS über das weltweit agierende Unternehmen Intertek ein Assurance Statement für die Methodik, nach der das System arbeitet. Aktuell (Stand April 2023) lässt ORIS das System durch das Institut CRAIG (weltweit führend in LCA) prüfen. Link: Assurance Statement: https: / / www.oris-connect.com/ en/ intertek-assurance Link: https: / / ciraig.org/ index.php/ about/ 3. Lösung Mit ORIS wurde ein System geschaffen, in dem der gesamte Lebenszyklus des Bauwerkes betrachtet werden kann. Auch nachträgliche Anpassungen, z. B. Veränderungen der Verkehrsbelastung, können später durchgeführt werden und das System kalkuliert automatisch die neuen Parameter mit ein. Die Streckenführung eines Neubauprojektes oder einer Sanierungsmaßnahme kann über Anbindungen zu Civil3D (Autodesk), durch GPS Daten (KML Format) oder aber auch Freihand in ORIS integriert werden. Der Nutzer wählt nun die Zufahrtspunkte zum Projekt, diese Wahl ist entscheidend, da das System die Transportdistanzen und Transport CO 2 Werte zu diesen Punkten berechnet. Im nächsten Schritt werden Parameter ergänzt; wie die zu erwartende Entwicklung der Verkehrsbelastung im gewünschten Zeitraum, die Untergrundbedingungen, Anzahl und Breite der Fahrbahnen je Richtung, Frostzonen, Grundwasserbedingungen und die gewünschte Bauklasse. Nun ist das System in der Lage automatisch aus den verschiedenen Tabellen der relevanten Standards zu suchen und dann aus dem Designkatalog heraus Auf bauvorschläge zu machen. Die Integration alternativer Auf bauten ist ebenfalls möglich. Da nun die Volumina der Schichten und die Auf bauvarianten bekannt sind, kann ORIS mit Hilfe der Produktkennwerte der einzelnen potenziellen Lieferwerke (Nutzer entscheidet in welchem Radius) die ersten Kalkulationen durchführen. Der Nutzer erhält nun die Betrachtung des A Modul der Kreislaufwirtschaftsbetrachtung. Dieses Modul beinhaltet die Module A1 bis A3 Produktion, A4 Transport und A5 Einbau. Zusätzlich bekommt der Nutzer Kennzahlen zum Verbrauch natürlicher Rohstoffe und den zu erwartenden Kosten, basierend auf marktüblichen Preisen. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 15 Nutzung von digitalen Werkzeugen für die nachhaltige Infrastrukturplanung Um die Neutralität des Systems sicherzustellen gibt es in ORIS keine scharfen Preise. Alle Produkte einer Produktfamilie haben deutschlandweit den gleichen Preis zur Schaffung einer direkten Vergleichbarkeit. Zusätzlich werden die Preise individuell je Anbieter durch das anbietende Unternehmen kalkuliert und variieren in einer frühen Phase noch sehr stark. Im nächsten Schritt werden über Standardverfahren die Emissionen durch die Nutzung der Straße (Modul B1 bis B6) für jede Variante berechnet. In dieser Phase werden unter anderem Reibungswiderstände der Fahrbahnbeläge, Lichtbrechungseffekte bis hin zu Emissionen in Verbindung mit der Beleuchtung der Fahrbahn berücksichtigt. Ein entscheidender Faktor ist die Betrachtung der Aufwendungen für Wartung und Pflege über den definierten Lebenszyklus der Straßen oder Schienen. Der zusätzliche Verbrauch von Rohstoffen und der Einbau der benötigten Baustoffe müssen in einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden, um ein ganzheitliches Bild für das jeweilige Projekt zu schaffen. Mitunter zeigt sich bei einer Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus, dass eine vermeintlich nachhaltige Bauweise (A1 bis A5) am Ende wartungsintensiver und doch weniger nachhaltig ist. 16 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Nutzung von digitalen Werkzeugen für die nachhaltige Infrastrukturplanung Ein weiterer wichtiger Faktor, der in ORIS betrachtet wird und einen maßgeblichen Einfluss auf den Auf bau eines Straßen- oder Schienenbauwerkes hat sind die klimatischen Faktoren. Besonders der Einfluss durch Hitze kann zu einer starken zusätzlichen Beanspruchung des Material seiner Fahrbahndecke führen und eine beschleunigte Alterung hervorrufen. Dies führt im Umkehrschluss dazu, dass Fahrbahndecken früher erneuert werden müssen. Ein weiterer Aspekt ist die Häufigkeit von Starkregenereignissen. Eine ausreichende Drainierung ist unabdingbar, um die Dauerhaftigkeit eines Bauwerkes sicherstellen zu können. Die letzten verheerenden Hochwasserereignisse in der Eifel und an der Mosel haben gezeigt, dass Starkregen, neben dem tragischen Verlust von Menschenleben, auch zu erheblichen Schäden der Infrastruktur führen kann und damit die Versorgung solcher geschädigten Gebiete zusätzlich erschwert oder behindert. Der dritte wichtige klimatische Faktor sind die Frost- Tauwechselzyklen. Durch den häufigen Wechsel von Frost und Tau- Phasen kann es zu einer erheblichen Schwächung der Straßenoberflächen kommen. Die Entstehung von u.a. Mikrorissen führt zum Eindringen von Wasser und Salzen und damit zu Frost und Salz Sprengungen im Material selbst. In ORIS können diese oben genannten Parameter mit modelliert werden, um ein möglichst genaues Bild der Beanspruchungen entlang der Lebensphase darstellen zu können. 4. Ergebnis Mit ORIS haben wir ein Werkzeug geschaffen, das die Baumaterialien in den Fokus der frühen Straßen und Gleisplanung rückt, um möglichst effizient, nachhaltig und ressourcenschonend bauen zu können. Der Einfluss von Baumaterialien in einem Bauprojekt ist mit ca. 85 % erheblich und die abgeschlossenen Projekte zeigen ein Einsparungspotenzial von im Durchschnitt 25 % bei einer zusätzlichen Reduktion von Kosten (ca. 20 %) und dem Einsatz natürlicher Rohstoffe (ca. 25 %). Digitale Werkzeuge in Verbindung mit Fachwissen können bei der nachhaltigen Planung einen großen Mehrwert generieren. Auch im Hinblick auf die demographische Entwicklung in Deutschland ist es unabdingbar, Schritte in der Planung zu automatisieren, um leistungsfähig zu bleiben und den Ansprüchen an die Investition in die Infrastruktur der nächsten Jahrzehnte gerecht zu werden. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 17 Infrastruktur vernetzt denken Herausforderungen und Lösungsansätze der Verkehrsinfrastruktur der Zukunft Dipl.-Ing. (FH) Rebecca Probst, MBA & Eng. Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten Dipl.-Ing. (FH) Martin Seitner, M. Sc. Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten Zusammenfassung Um den künftigen Bedürfnissen der Gesellschaft und der vernetzten Welt gerecht zu werden, muss die Infrastruktur in Deutschland und Europa bereits heute vernetzt gedacht und geplant werden. Dabei geht es nicht nur um den Ausbau der digitalen Infrastruktur, sondern vor allem um die Integration von intelligenten Verkehrs-, Energie- und Kommunikationssystemen. Neben den Faktoren der Neo-Ökologie, der Urbanisierung und der damit einhergehenden Veränderung der Verkehrsströme, des Klimawandels und dem Wachstum aber auch der Alterung der Gesellschaft wird die Verkehrsinfrastruktur künftig auch von den Entwicklungen der Konnektivität beeinflusst. Zudem verstärken sich die Forderungen hinsichtlich Inklusion, Sicherheit, Flexibilität und Multimodalität. Grundlage für die Vernetzung aller Faktoren bildet die Digitalisierung. 1. Einführung Die fortschreitende Digitalisierung und Vernetzung von Wirtschaft, Gesellschaft und Infrastruktur stellt auch die Verkehrsinfrastruktur vor große Herausforderungen. Die Veränderungen, die mit den Entwicklungen einhergehen, betreffen nicht nur den Ausbau der digitalen Infrastruktur, sondern auch die Integration von intelligenten Verkehrs-, Energie- und Kommunikationssystemen. Es geht darum, die Infrastruktur vernetzt zu denken und so den künftigen Bedürfnissen der Gesellschaft und der vernetzten Welt gerecht zu werden. Abb. 1: Infrastruktur vernetzt denken (Konstruktionsgruppe Bauen AG) 2. Herausforderungen der Verkehrsinfrastruktur Die Verkehrsinfrastruktur ist ein integraler Bestandteil unserer modernen Gesellschaft und hat einen direkten Einfluss auf unsere Mobilität, unsere Wirtschaft und unser tägliches Leben. Sie umfasst Straßen, Brücken, Eisenbahnen, Flughäfen und öffentliche Verkehrsmittel und ist entscheidend für die Mobilität von Menschen und Gütern. Die fortschreitende Digitalisierung und Vernetzung von Wirtschaft, Gesellschaft und Infrastruktur stellt auch die Verkehrsinfrastruktur vor große Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Der Bau und die Instandhaltung von Straßen, Brücken und anderen Verkehrseinrichtungen erfordern erhebliche finanzielle Ressourcen, die oft nicht ausreichend vorhanden sind. Dies führt oft zu einem Investitionsstau und einer Verschlechterung der Verkehrsinfrastruktur. Des Weiteren haben die steigende Bevölkerungszahl und die zunehmende Mobilität zu einem Anstieg des Verkehrsaufkommens auf Straßen und anderen Verkehrswegen geführt. Dies führt zu Verkehrsüberlastungen und Staus, die die Mobilität einschränken und die Produktivität beeinträchtigen können. Dazu führt die zunehmende Alterung der Gesellschaft neben einer dadurch bedingten Zunahme der Mobilität zu veränderten Bedürfnissen hinsichtlich dieser, angepasst an die ältere Gesellschaft. Auch die zunehmende Urbanisierung bedingt veränderte Verkehrsströme, welche bewältigt werden müssen. Wesentlich ist auch die Sicherheit, da Unfälle auf Straßen und anderen Verkehrswegen schwerwiegende Folgen haben können und ein erhebliches Risiko für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit darstellen. Eine weitere Herausforderung ist die Umweltbelastung durch den Verkehr. 18 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Infrastruktur vernetzt denken Der Verkehr ist ein bedeutender Verursacher von Luftverschmutzung und Treibhausgasemissionen. Durch die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit muss die Verkehrsinfrastruktur umweltverträglicher gestaltet werden. Nicht zuletzt wegen der zunehmenden extremen Wetterbedingungen wie Starkregen und Hitzeperioden aufgrund des Klimawandels muss die Verkehrsinfrastruktur angepasst werden. Auch die gesellschaftliche Forderung nach höherer Flexibilität hinsichtlich Verfügbarkeiten von Mobilität zugeschnitten auf die individuellen Bedürfnisse nimmt zu. Schließlich ist die Verkehrsinfrastruktur auch mit technologischen Herausforderungen konfrontiert. Neue Technologien wie selbstfahrende Autos und alternative Kraftstoffe erfordern eine Anpassung der Infrastruktur, um diese Technologien effektiv nutzen zu können. Insgesamt ist die Verkehrsinfrastruktur mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die bewältigt werden müssen, um eine effektive und nachhaltige Mobilität zu gewährleisten. Abb. 2: Einwirkungen der Megatrends auf die Verkehrsinfrastruktur (Konstruktionsgruppe Bauen AG in Anlehnung an Zukunftsinstitut) 3. Multimodalität der Verkehrsinfrastruktur Um der Herausforderungen begegnen zu können, wird es erforderlich sein, ein Verkehrssystem so zu gestalten, dass verschiedene Verkehrsträger und Verkehrsmittel miteinander verknüpft werden können, um den Personen- und Güterverkehr effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Dabei sollen die verschiedenen Verkehrsmittel wie z. B. Busse, Bahnen, Fahrräder und Autos optimal aufeinander abgestimmt werden und so eine möglichst nahtlose und bequeme Mobilität ermöglichen. Das Ziel der Multimodalität ist es, die Nutzung von umweltfreundlichen Verkehrsmitteln zu fördern und gleichzeitig den Verkehr zu optimieren, um Staus, Unfälle und Verspätungen zu vermeiden. Dies kann durch eine verbesserte Verkehrsplanung und -steuerung sowie durch die Schaffung von umsteigefreundlichen Verbindungen und entsprechenden Infrastrukturen wie Fahrradwegen, Park-and-Ride-Anlagen und multimodalen Verkehrsknotenpunkten erreicht werden. Ein wichtiger Aspekt der vernetzten Infrastruktur ist die Nutzung von Daten. Durch die Vernetzung von Infrastrukturen, mobilen Daten und Fahrzeuginformationen können multimodale Verkehrsinfrastrukturen geschaffen werden. Hierbei ist es wichtig, dass die verschiedenen Datenquellen miteinander verbunden und verknüpft werden, um so ein umfassendes Bild der aktuellen Verkehrssituation zu erhalten. Ein Beispiel hierfür ist das sogenannte „Smart Parking“, bei dem durch die Vernetzung von Sensoren und Parkplätzen eine dynamische Parkraumbewirtschaftung ermöglicht wird. Autofahrer können so in Echtzeit sehen, wo es freie Parkplätze gibt und somit Staus und Parkplatzsuche vermeiden. Dabei muss auch die Förderung von Sharing-Konzepten und der Einsatz von elektrischen und autonomen Fahrzeugen betrachtet werden. Durch die Integration von Sharing-Konzepten und dem Einsatz von E-Fahrzeugen kann der Individualverkehr reduziert werden. Zudem können autonome Fahrzeuge dazu beitragen, die Verkehrssicher- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 19 Infrastruktur vernetzt denken heit zu erhöhen, da sie beispielsweise situationsbedingt schneller und sicherer reagieren können als ein menschlicher Fahrer. Auch der Einsatz von Drohnen zur Lieferung von Waren und Paketen könnte dazu beitragen, den Verkehr zu entlasten und die Lieferung von Waren schneller und effizienter zu gestalten. 4. Optimierte Geometrien Bei diesem Ansatz geht es darum, den Verkehr effizienter, sicherer und umweltfreundlicher zu gestalten, um die Lebensqualität in Städten und Gemeinden zu verbessern. Um auf die erforderliche Flexibilität zu reagieren, können auch bauliche Anpassungen vorgenommen werden. Optimierte Straßenquerschnitte und neue Wegeführungen können dabei helfen, den Verkehr effizienter zu gestalten und die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Auch innovative Konzepte wie intelligente Verkehrsleitsysteme und automatisierte Fahrzeuge können dazu beitragen, den Verkehr flüssiger und sicherer zu gestalten. Neue Materialien In der vernetzten Infrastruktur spielen auch neue Materialien eine wichtige Rolle, denn eine nachhaltige und zukunftsfähige Infrastruktur benötigt auch nachhaltige Baumaterialien. Dazu zählen zum Beispiel Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen oder auch recycelte Materialien. Darüber hinaus können neue Materialien, wie beispielsweise leitfähige Betone, eingesetzt werden, um den Energiebedarf zu senken. Auch selbstheilende Materialien könnten zukünftig in der Infrastruktur Verwendung finden und so zu einer längeren Lebensdauer der Gebäude und Straßen beitragen. Ein weiteres Beispiel sind Materialien, die speziell für den Einsatz in intelligenten Verkehrssystemen entwickelt werden und beispielsweise zur Herstellung von Verkehrssensoren dienen. 5. Nachhaltige Infrastruktur Ein zentraler Aspekt der vernetzten Infrastruktur ist die Integration von Energie- und Verkehrssystemen. So können beispielsweise Elektrofahrzeuge als mobile Stromspeicher dienen und die Netzstabilität unterstützen. Auch die Nutzung erneuerbarer Energien wie Solar- oder Windenergie zur Versorgung von Verkehrssystemen wird immer wichtiger. Eine intelligente Vernetzung von Energie- und Verkehrssystemen kann so zu einer effizienteren und nachhaltigeren Infrastruktur beitragen. 6. Digitalisierung Die Digitalisierung ist dabei die Grundlage bei der Entwicklung einer vernetzten Infrastruktur. Sie bildet die Basis für die Verbindung und Integration der verschiedenen Verkehrssysteme sowie für die effektive Nutzung der verfügbaren Ressourcen. Ohne die digitale Vernetzung der Infrastrukturen und Verkehrsträger, wäre eine optimale Steuerung und Überwachung der Verkehrsströme sowie der Energie- und Kommunikationssysteme nicht möglich. Durch den Einsatz von Sensoren und Kameras können zudem Daten in Echtzeit erfasst und über andere intelligente Systeme ausgewertet und weiter genutzt werden, um eine effiziente und zielgerichtete Steuerung des Verkehrs zu ermöglichen. Dadurch lassen sich Engpässe vermeiden und Verkehrsströme intelligent und flexibel steuern. Hierbei spielt auch die Vernetzung von mobilen Daten und Fahrzeuginformationen eine entscheidende Rolle. Die Digitalisierung bietet auch die Möglichkeit, Verkehrsdaten zu nutzen, um vorausschauend zu planen und das Verkehrsangebot bedarfsgerecht zu gestalten. Darüber hinaus trägt die Digitalisierung auch zur Verbesserung der Sicherheit im Verkehr bei. Durch den Einsatz von intelligenten Verkehrssystemen können Unfälle vermieden werden, indem z. B. vorausschauend auf Gefahrensituationen reagiert wird oder durch die Integration von Notrufsystemen schnelle Hilfe im Ernstfall gewährleistet wird. Die Digitalisierung ermöglicht auch die Integration von Elektromobilität und erneuerbaren Energien in die vernetzte Infrastruktur. So können beispielsweise Ladesäulen für Elektrofahrzeuge mit erneuerbaren Energien betrieben werden oder Stromverbrauch und -erzeugung in Echtzeit gesteuert und optimiert werden. Insgesamt ist die Digitalisierung ein entscheidender Faktor für die Entwicklung einer vernetzten Infrastruktur, die den zukünftigen Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht wird. Sie ermöglicht die effektive Nutzung der verfügbaren Ressourcen und bietet neue Möglichkeiten zur Steuerung und Überwachung der Verkehrssysteme. 7. Voraussetzungen Ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Umsetzung einer vernetzten Verkehrsinfrastruktur ist die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Akteuren. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen zusammenarbeiten, um die nötigen Voraussetzungen für eine vernetzte Verkehrsinfrastruktur zu schaffen. Literatur [1] „Digitale Transformation der Infrastruktur: Smart Mobility, Smart Energy, Smart City“, Managementberatung Oliver Wyman [2] https: / / www.innocam.nrw/ vernetzte-mobilitaetdie-infrastruktur-gehoert-dazu/ [3] https: / / www.iis.fraunhofer.de/ de/ ff/ kom/ automotive/ vernetzte-mobilitaet.html [4] https: / / www.verkehrsforum.de/ [5] https: / / bmdv.bund.de/ DE/ Themen/ EU-Politik/ Uebergreifende-EU-Themen/ Verkehrsstrategieder-Europaeischen-Kommission/ verkehrsstrategieeuropaeische-kommission.html [6] https: / / www.zukunftsinstitut.de/ 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 21 Die digitale Autobahn Von der Schilderbrücke zu kooperativen Systemen Dr.-Ing. Marion Mayer-Kreitz Die Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Südwest, Stuttgart Slavica Grosanic Die Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Südwest, Stuttgart Alen Kolarec Die Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Südwest, Stuttgart Zusammenfassung Auf den deutschen Autobahnen ist seit Januar 2021 die Autobahngesellschaft des Bundes zuständig für Planung, Bau und Betrieb der Straßen. Im Bereich „Betrieb“ gehört dazu auch das Verkehrsmanagement, das vor dem Hintergrund von Sicherheits- und Umweltaspekten einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrslenkung und -steuerung darstellt. Die für das Verkehrsmanagement relevanten Daten werden vorwiegend von straßenseitig installierten Sensoren erfasst und an die Verkehrsleitzentralen weitergegeben. Hier bieten Daten aus der Fahrzeugflotte mittlerweile einen wesentlichen Mehrwert, indem diese in den Systemen der Verkehrsleitzentralen mitgenutzt werden können. Dies betrifft einerseits Angaben zu beispielsweise Geschwindigkeiten und Reisezeitverlusten, es können aber auch Fahrzeugdaten mit weiteren Informationsinhalten verwendet werden, die einen Mehrwert für einen sicheren Betrieb unserer Autobahnen ermöglichen. Die Weitergabe von Informationen, z. B. Lkw-Stellplatzbelegung, und verkehrsrechtlichen Geboten, z. B. zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, erfolgt derzeit noch auf straßenseitig montierten Schildern. Auch hier geht der Trend hin zur Nutzung virtueller Informationsmedien, z. B. der Autobahn-App. Es werden die Potenziale dieser Vorgehensweise und die in dieser Hinsicht bereits umgesetzten Anwendungen innerhalb der Autobahngesellschaft, Niederlassung Südwest, aufgezeigt. 1. Einführung Auf unseren Autobahnen werden zukünftig zunehmend vernetzte Fahrzeuge unterwegs sein, die untereinander sowie mit der Verkehrsinfrastruktur kommunizieren und interagieren können. Manche Modelle z. B. des Herstellers Volkswagen bieten diese Möglichkeiten bereits heute. Grundlage hierfür bildet die C2X-Kommunikation, welche einen Informationsaustausch zwischen einzelnen Fahrzeugen (Car to Car bzw. C2C) sowie zwischen Fahrzeugen und Infrastrukturen (Car to Infrastructure bzw. C2I) ermöglicht. Road-Side-Units (RSU) stellen die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur sicher. Sie dienen der Erfassung und Bereitstellung von Daten und Informationen von bzw. an Fahrzeuge und den ortsgebundenen C2X-Teilnehmern (Infrastruktur, Verkehrszentralen). [1] Die entsprechenden Spezifikationen wurden in verschiedenen Forschungsprojekten erarbeitet und in Testanwendungen überführt. [2], [3], [4], [5] Der Beitrag intelligenter Kommunikationssysteme zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und Mobilität wurde im Rahmen des Projektes simTD im bisher weltweit größten Feldversuch gemeinsam mit Stakeholdern untersucht. [2] Die Verständigung mit Navigationsdienstleistern ist ein wichtiger Baustein, um ein abgestimmtes, nicht an individuellen Interessen ausgerichtetes Verkehrsmanagement betreiben zu können. Ein entsprechendes Konzept zur Erweiterung des heute standardmäßig verwendeten DA- TEX II Format zum Datenaustausch u. a. zwischen kooperativen Systemen und Verkehrszentralen zur dynamischen Routenempfehlung wurde zunächst in LENA4ITS erprobt und entwickelt. [3] In Vorbereitung zum automatisierten Fahren (Level 4) bieten Forschungsergebnisse wie bspw. aus KoMoDnext wichtige Hinweise für das Zusammenspiel zwischen infrastrukturseitigen Anforderungen und der fahrzeugseitigen Sensorik. [4]. U. a. stellt die BAB A9 mit dem Digitalen Testfeld Autobahn ein „Labor unter Realbedingungen“ zur Verfügung, um innovative Anwendungen zum automatisierten, vernetzen Fahren und intelligenter Infrastruktur zu erproben. [5] Außerdem werden von den Fahrzeugherstellern mittels entsprechender Übertragungseinrichtungen (CCU) Daten aus ihrer jeweiligen Fahrzeugflotte gesammelt und in Fahrerassistenzsystemen im Sinne der Verkehrssicherheit verwendet. Diese Daten können Aufschluss geben über verschiedene Aspekte der Verkehrssituation, z. B. Witterungsbedingungen, Straßenzustand, Gefahrensituationen. Der Anspruch der VerkehrsteilnehmerInnen an den Straßenbaulastträger besteht in der Bereitstellung einer Ver- 22 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digitale Autobahn kehrsinfrastruktur, die ein sicheres und flüssiges fahren ermöglicht. Verkehrsleitzentralen spielen dabei eine zentrale Rolle. Bisher wurde der Straßenverkehr vorwiegend auf „konventionelle“ Art und Weise gesteuert und gelenkt. Informationen, Warnungen und verkehrsrechtlich bindende Anordnungen wurden vorwiegend „in Blech“ oder über dynamische Anzeigen vermittelt. Hier kommt den neuen Möglichkeiten der Informationsvermittlung zukünftig eine tragende Rolle zu. Interessant ist an dieser Stelle auch der Kostenvergleich zwischen konventionellen Medien und kooperativen Systemen. 2. Nutzung von Daten des C-ITS im Verkehrsmanagement 2.1 Grundlagen der Kommunikation Kooperative Systeme (C-ITS) bieten neue Möglichkeiten der Verkehrssteuerung, aber auch der Datenanalyse, der Störfallerkennung und der Identifikation potenzieller Schwachstellen im Verkehrsnetz. Moderne Fahrzeuge erfassen über fahrzeugeigene Sensoren kontinuierlich diverse Daten, die über die bordeigenen Systeme ausgewertet werden. Dies sind beispielsweise folgende Informationen: die aktuelle Fahrzeugposition, die Fahrgeschwindigkeit, die Längs- und Querbeschleunigung, die Fahrtrichtung, der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, der Fahrbahnzustand, die Außentemperatur, die Beleuchtungsverhältnisse, der Zustand des Airbags. [1] Zur Kommunikation zwischen den Fahrzeugen bzw. zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur wurden verschiedene Message-Formate definiert, u. a.: • Cooperative Awareness Message (CAM, [ETSI EN 302 637-2]): Nachrichtentyp zur Schaffung und Aufrechterhaltung der Awareness zwischen C-ITS Stationen. CAM-Meldungen werden kontinuierlich versendet. [6] • Dezentrale Umweltbenachrichtigung (DENM, [ETSI EN 302 637-3]): DENM-Meldungen werden anlassbezogen versendet. Es handelt sich um eine Nachricht, die hauptsächlich von C-ITS-Anwendungen verwendet wird, um Verkehrsteilnehmer vor einem erkannten Ereignis zu warnen. [7] • Fahrzeuginterne Informationen (IVI, [ETSI TS 103 301]): IVI-Meldungen übermitteln Informationen über die Infrastruktur an Fahrzeuge, z. B. Informationen über vorhandene, feste und dynamische Verkehrszeichen. [8] Diese Nachrichten und Informationen werden pseudonymisiert in Echtzeit in einem Umkreis von mehreren hundert Metern übermittelt und können von Fahrerassistenzsystemen in den Fahrzeugen verarbeitet werden. Eine CAM-Meldung übermittelt u. a. Position, Fahrtrichtung und Geschwindigkeit eines Fahrzeuges. CAM- Meldungen werden von Fahrzeugen ausgesendet und von den sich in Reichweite befindlichen Stationen (Fahrzeuge oder RSU) empfangen. Die Informationen werden nur direkt zwischen den Teilnehmern in Reichweite ausgetauscht und nicht an weitere Teilnehmer weitergeleitet, vgl. Abbildung 1. CAM-Meldungen können u. a. dafür verwendet werden, Störfälle und Ereignisse zu erkennen und dann eine DENM-Meldung auszusenden. Abb. 1: Schema der Meldewege für CAM- und DENM- Meldungen Eine DENM übermittelt u. a. Event, Position und Zeitstempel. DENM werden nicht nur von den Fahrzeugen, sondern auch von stationären ITS-Stationen, wie beispielsweise den RSU (Beispiel s. Abbildung 2), gesendet. Abb. 2: Beispiel für eine RSU (Quelle: Yunex Traffic) Über die RSU erhalten Verkehrs- und Tunnelleitzentralen die Meldungen. CAM und DENM können dort verarbeitet und z. B. zur Verkehrslage- oder Störungserkennung verwendet werden. Daraus können Maßnahmen des Verkehrsmanagements generiert werden, die dann von der Zentrale aus über die RSU als DENM direkt an die Fahrzeuge übermittelt werden. DENM-Meldungen könnten sofort in die Schaltung von Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA) umgesetzt werden, indem vor der erkannten Gefahr gewarnt und ggf. die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten reduziert und/ oder Fahrstreifen gesperrt werden. Die geschalteten dynamischen Anzeigen können als IVI-Meldung an die Fahrzeuge übermittelt werden. Im Korridormanagement kann mit dieser Kenntnis frühzeitig auf alternative Routen umgeleitet werden, damit die Gesamtauslastung im Netz besser verteilt wird. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 23 Die digitale Autobahn Abb. 3: Kooperatives System Autobahn Ob und wie auf eine CAM oder DENM reagiert wird, entscheidet der Empfänger der Nachricht. I. d. R. trifft diese Entscheidung der Fahrzeughersteller für alle Fahrzeuge seiner Flotte. Im Verkehrsmanagement bringt C-ITS eine Vielzahl möglicher sicherheitsfördernder Anwendungen mit sich, s. Abbildung 3. Bereits umgesetzt ist die Ausrüstung fahrbarer Absperrtafeln (FAT) mit C-ITS. [9] Die FAT warnen sich nähernde Fahrzeuge vor einer Baustelle. Der deutschlandweite Roll-Out wird in den nächsten Monaten abgeschlossen. Die Meldung wird direkt in die Fahrzeuge gesendet und in den Displays angezeigt. Für das Aussenden dieser DENM-Meldungen war es erforderlich, eine Public Key Infrastructure (PKI) zu generieren, damit der Aussender der Meldung als vertrauenswürdig erkannt und eingestuft werden kann. Dies ist mittlerweile erfolgt. Der nächste Schritt ist die Warnung vor Einsatzfahrzeugen, z. B. als zusätzliche Aufforderung für das Bilden einer Rettungsgasse. 2.2 Regularien der Datenbereitstellung Die Richtlinie 2010/ 40/ EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 zum Rahmen für die Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern (IVS-Richtlinie) regelt seit 2010 die Einführung von intelligenten Verkehrssystemen (ITS) in der EU. Sie legt fest, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sofern sie vorrangige Maßnahmen einführen, die von der Kommission erlassenen Spezifikationen anzuwenden haben. Vorrangige Bereiche im Sinne der Richtlinie sind I. die optimale Nutzung von Straßen-, Verkehrs- und Reisedaten, II. die Kontinuität der Dienste Intelligenter Verkehrssysteme in den Bereichen Verkehrs- und Frachtmanagement, III. die Anwendungen Intelligenter Verkehrssysteme für die Straßenverkehrssicherheit sowie IV. die Verbindung zwischen Fahrzeug und Verkehrsinfrastruktur. Als vorrangige Maßnahmen für die Ausarbeitung und Anwendung von Spezifikationen und Normen in den vorrangigen Bereichen gelten: a. die Bereitstellung EU-weiter multimodaler Reise-Informationsdienste; b. die Bereitstellung EU-weiter Echtzeit-Verkehrsinformationsdienste; c. Daten und Verfahren, um Straßennutzern, soweit möglich, ein Mindestniveau allgemeiner für die Straßenverkehrssicherheit relevanter Verkehrsmeldungen unentgeltlich anzubieten; d. Harmonisierte Bereitstellung einer interoperablen EUweiten eCall-Anwendung; e. Bereitstellung von Informationsdiensten für sichere Parkplätze für Lastkraftwagen und andere gewerbliche Fahrzeuge; f. Bereitstellung von Reservierungsdiensten für sichere Parkplätze für Lastkraftwagen und andere gewerbliche Fahrzeuge. Aktuell wird diese Richtlinie hinsichtlich der Einführung und des Betriebs kooperativer ITS-Systeme (C-ITS) und der Bereitstellung von statischen und dynamischen Infrastrukturdaten überarbeitet. Ein entsprechender Vorschlag liegt bereits vor. Er ist technologieoffen und ermöglicht die Kommunikation sowohl über ITS-G5 WLAN/ 802.11p 24 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digitale Autobahn Technologien als auch Mobilfunkkommunikation der 5.-Generation (5G). [10] Straßenverkehrsbehörden und Betreibergesellschaften von Straßen sollen für das transeuropäische Straßennetz (TEN-V) ab Januar 2025 mehr Echtzeit-Verkehrsdaten zur Verfügung stellen. Für das gesamte Straßennetz sollen die Vorschriften ab Januar 2028 gelten. [11] Betroffen sind laut Kommissionsvorschlag Daten, die in digitalem, maschinenlesbarem Format vorliegen. Ab Januar 2025 soll das TEN-V Straßennetz übermittelt werden. Ab Dezember 2025 sind weitere Daten dieses Netzes betroffen, u. a. - statische und dynamische Straßenverkehrsvorschriften (z. B. Zufahrtsbedingungen für Tunnel und Brücken, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Beschränkungen von Gewicht und Abmessungen (Länge/ Breite/ Höhe)), - Daten zum Zustand des Netzes (z. B. Straßen- oder Fahrstreifensperrungen, Straßenbauarbeiten, befristete Verkehrsmanagementmaßnahmen, Angaben zum Straßenzustand), - Tankstellen, Ladestationen und Wasserstofftankstellen, - Daten zu sicheren Parkplätzen für Lastkraftwagen und andere gewerbliche Fahrzeuge (z. B. Sicherheit und Ausrüstung des Parkplatzes, dynamische Daten über freie Stellplätze). Diese Daten können in Deutschland über den nationalen Access Point (NAP), die Plattform Mobilithek, ausgetauscht werden. Unterschiedliche Betreiber können hier ihre Daten zentral und in Echtzeit zum Abruf bereitstellen, s. Abbildung 4. Abb. 4: Auf bau Mobilithek [12] 2.3 Nutzung von Vehicle Probe Data im Verkehrsmanagement In einer Kooperation mit Mercedes-Benz werden von der Niederlassung Südwest seit 2021 Daten aus der Fahrzeugflotte bezogen und analysiert. Die Daten können für verschiedene Anwendungen im Bereich Verkehr und Betrieb verwendet werden. Analysiert werden derzeit: - Wetterdaten - Verkehrszeichen - Gefahrenmeldungen. Wetterdaten Vor allem in den Wintermonaten, in denen der Betriebsdienst Streu- und Räumeinsatzpläne erstellt, werden mehrere Datenquellen herangezogen, um eine genaue Übersicht über die Straßenverhältnisse zu erlangen. Hochgenaue Sensorik erfasst punktuell entlang der Strecke wichtige Kenngrößen, wie z. B. die Fahrbahnoberflächentemperatur, Taupunkttemperatur, Wasserfilmdicke oder den Fahrbahnzustand. Da die Erfassung nur an markanten Punkten im Streckenverlauf und etwa alle 2-3-km erfolgt sind weitere Datenquellen erforderlich. Hier werden derzeit vor allem Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) verwendet, die neben der flächenhaften Darstellung der Temperaturverhältnisse oder einem Niederschlagsradar auch eine Prognose der zu erwartenden Witterungsbedingungen enthalten, aus denen sich eine Glättemeldung ableiten lässt. Die flotteneigenen Streufahrzeuge sind z.T. mit Sensoren ausgestattet, die während der Fahrt kontinuierlich die Temperatur und die ausgebrachte Streusalzmenge erfassen. Durch nachträgliche Analyse der Einsatzfahrten lässt sich die Streusalzmenge weiter optimieren, so dass ein sicherer Straßenzustand umwelt- und ressourcenschonend (Material, Zeit und Geld) erreicht werden kann. Durch die Kooperation mit Mercedes-Benz stehen der Niederlassung Südwest für einige Streckenabschnitte Informationen aus den Fahrzeugen zur Verfügung. Auf einer Karte werden die Temperatur, Regenintensität und Zustand der Fahrbahn den Autobahnmeistereien als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 25 Die digitale Autobahn Abb. 5: Dashboard Mercedes-Benz (Quelle: Mercedes Benz AG) Abbildung 5 zeigt das Dashboard von Mercedes-Benz, in dem man durch Klicken auf die einzelnen Punkte an die Inhalte der vom Fahrzeug übermittelten Werte gelangt. In der Karte sind des Weiteren die Regenradardaten des DWD dargestellt. Informationen aus einer großen Fahrzeugflotte zur Temperatur und dem Fahrbahnzustand (Informationen zum Reibwert) können einen weiteren Mehrwert im Betriebsdienst bieten. Durch die Vielzahl an Datenpunkten aus dem Fahrzeug lässt sich die Witterungssituation zwischen den präzisen punktuellen Messungen ableiten, so dass ein ganzheitliches Bild entstehen kann. Kritische Streckenabschnitte, die z. B. einen höheren Streubedarf haben, können so leicht identifiziert werden. Eine Nachrüstung der Infrastruktur mit stationärer Sensorik oder eine angepasste Einsatzplanung sind die Konsequenzen, die mit Hilfe der Daten der Fahrzeugflotte erlangt werden können. Derzeit sind die unterschiedlichen Datenquellen nicht in einem gemeinsamen System gebündelt, sondern werden im jeweiligen System für sich dargestellt. Eine Verschneidung der unterschiedlichen Datenquellen mit anschließender Clusterung und Gewichtung könnte die Potenziale der unterschiedlichen Quellen berücksichtigen und so eine ganzheitliche Übersicht über die räumlich-zeitliche Witterungssituation darstellen. Es sind noch viele Schritte erforderlich, um die Daten in Echtzeit in einer gemeinsamen Datenbank zu bündeln und daraus Strategien abzuleiten. Die gemeinsame Kooperation ist ein wichtiger Schritt in die Zukunft der Nutzung von Fahrzeugdaten. Die aus der Fahrzeugflotte generierten Informationen zur Witterung könnten zukünftig auch in der Steuerung von Verkehrsbeeinflussungsanlagen (VBA) genutzt werden. Auch hier werden die Witterungsverhältnisse punktuell entlang der Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA) erfasst. Die Ergänzung durch Informationen aus dem Fahrzeug über den gesamten Streckenverlauf wären sehr hilfreich, da Wetterereignisse auch plötzlich und räumlich zwischen der stationären Sensorik auftreten können. Diese Situationen werden derzeit erst mit Verzögerung erfasst, wenn sie an der entsprechenden Sensorik detektiert werden können. Durch die schnellere und geographisch feinere Detektion von kritischen Witterungsereignissen durch die Fahrzeuge wäre eine schnellere Gefahrenwarnung möglich. Eine direkte Einbindung solcher „extended“ Floating Car Data (FCD) in die Steuerungsalgorithmik von SBA ist noch nicht erfolgt. An diesem Thema arbeiten u. a. unterschiedliche Arbeitskreise der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). Problematisch ist u. a., dass die Daten aus Datenschutzgründen mit einer großen Latenz übermittelt werden. Daher ist derzeit eine Nutzung für die Verkehrssteuerung nur bedingt möglich. Eine flächendeckende Unterstützung der lokalen VBA- Sensorik kann in dieser Form leider noch nicht erzielt werden. Erste Analysen zeigen das Potenzial des Vergleiches der beiden Datenquellen aus Fahrzeugdaten und stationären Wetterstationen. Abbildung 6 zeigt den Erwartungswert der Übereinstimmung der erfassten Fahrbahntemperatur aus beiden Datenquellen. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Positionierung der Temperaturfühler und weiterer Einflussfaktoren ist eine weitere Verschneidung der beiden Datenquellen möglich. 26 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digitale Autobahn Abb. 6: Regressionsanalyse: Fahrzeugdaten - stationäre Wetterstation Untersuchungen aufeinander folgender Sensoren lassen ebenfalls Rückschlüsse auf die Qualität und Funktionsweise der VBA-Sensorik zu, s. Abbildung 7. Abb. 7: Fahrbahntemperatur (22.01.2023, 8: 00-8: 15-Uhr, Messwerte im Umkreis von SBA-Sensoren) Verkehrszeichen Von den Fahrzeugen können die Standorte und Typen der statischen und dynamischen Verkehrszeichen übermittelt werden. Dadurch können verschiedene Anwendungsfälle generiert werden. Zum einen können die Verkehrszeichen für ein tagesaktuelles Verkehrszeichenkataster verwendet werden. Ein solches Kataster ist zukünftig eine Grundvoraussetzung des automatischen Fahrens. Darüber hinaus können die Daten das bereits im Auf bau befindliche Kataster im autobahneigenen System TIM- GeO [13] unterstützen. Eine weitere Anwendung, die gerade in der Niederlassung Südwest verfolgt wird, ist der teilautomatisierte Abgleich der von den Fahrzeugen erfassten Verkehrszeichen in Baustellenbereichen mit der verkehrsrechtlich angeordneten Beschilderung. Dies unterstützt den Baustellenkoordinator bei der Kontrolle räumlich weiter entfernt liegender Baustellen. Gefahrenmeldungen (Hazards) Hazard-Meldungen werden von den Fahrzeugen in Echtzeit übertragen. Die Meldungen betreffen sowohl witterungsbedingte Zustände (z. B. Starkregen) als auch fahrbahnseitige Zustände (z. B. verminderte Griffigkeit). Außerdem wird das Ansprechen des Notbremsassistenten gemeldet, also Gefahrenbremsungen. Mit diesen Daten kann die Steuerung von SBA unterstützt werden. Ein großer Vorteil ist, dass die Daten flächendeckend vorliegend und nicht nur, wie fest installierte SBA- Sensoren, an relativ wenigen Standorten vorhanden sind. Die Erkennung von Störfällen kann schneller und unter genauer Kenntnis der Lokalisierung erfolgen. Gehäufte Gefahrenbremsungen können auf ein Stauende hinweisen. Durch eine zielgenaue Schaltung der Geschwindigkeit und Gefahrenzeichen wird die Verkehrssicherheit weiter erhöht und der Verkehrsfluss stabil gehalten. Eine statistische Auswertung der Hazards bringt Erkenntnisse für die Unfallkommissionen und Sicherheitsaudits, da sicherheitstechnisch verdächtig erscheinende Punkte im Straßennetz erkannt und einer genaueren Untersuchung unterzogen werden können. 2.4 Ausgewählte Kosten im Vergleich Ein Vergleich der Kosten des Verkehrsmanagement mittels konventioneller VBA (z. B. SBA) mit einer Datenbereitstellung über RSU kann einen Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit der Systeme geben. Zu beachten ist, dass eine konventionelle Anlage so lange nicht entfallen kann, bis virtuelle Verkehrszeichen rechtssicher und vollständig an die Fahrzeuge übertragen werden. Das setzt zum einen noch nicht vorhandene rechtliche Grundlagen, zum anderen eine nahezu vollständigen 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 27 Die digitale Autobahn Ausstattungsgrad der Fahrzeugflotte voraus. Beides ist noch nicht gegeben. Wäre dies der Fall, ließen sich die Kosten über den Lebenszyklus vergleichend wie folgt abschätzen. Über eine angenommene Lebensdauer von 30 Jahren einer SBA fallen Installationssowie Wartungs-/ Instandhaltungs-/ Reparaturkosten an, die - pro km SBA, abhängig vom Abstand der Schilderbrücken im Streckenabschnitt - einen mittleren sechsstelligen Betrag [€] erreichen können. Die Kosten für eine entsprechende Ausstattung mit RSU betragen lediglich ca. 5 % dieser Summe. Dabei wurde angenommen, dass die Geräte nach 10 Jahren ersetzt werden müssen. Für eine Netzbeeinflussungsanlage mit 2 dWiSta-Standorten betragen die Kosten einer RSU ca. 7 % einer konventionellen Anzeige, verglichen über die erwartete Lebensdauer. Vermutlich werden beide Systeme zur Datenerfassungen noch so lange koexistieren, bis konventionelle VBA vollständig durch virtuelle Schilder abgelöst werden können. 2.5 Weitere Nutzung digitaler Anwendungen Durch den stetig wachsenden Schwerverkehr und gleichzeitig nicht kontinuierlich ansteigender Anzahl an Lkw- Stellplätzen entlang der Autobahnen ist ein Defizit entstanden. Ein Informationssystem über freie Parkstände soll dazu beitragen, die vorhandenen Kapazitäten besser auszunutzen und in Echtzeit über freie Parkstände zu informieren. Dazu ist eine hochgenaue Erfassung der aktuellen, tatsächlichen Situation erforderlich. Sensoren erfassen dabei die gesamte Fläche der Rastanlage und ermitteln die Anzahl und Lage der freien und belegten Parkstände. Die eingesetzte Technologie ermöglicht es, sämtliche Parkvorgänge zu erfassen, auch die in Fahrgassen sowie nicht StVO-konform abgestellte Lkw, s. Abbildung 8. Abb. 8: Stellplatzerfassung an der T+R Bruchsal West (Quelle: TelarTec) Die Angaben zu freien Stellplätzen werden über die Autobahn-App und über die Mobilithek Dritten zur Verfügung gestellt. Sie können auch für die anlageninterne Verkehrsführung genutzt werden. An vielen Rastanlagen und auch Parkplätzen ist der Parkdruck so hoch, dass Lkw bereits im Zufahrtsbereich der Anlage parken, damit die FahrerInnen ihre Ruhezeiten einhalten können. Dies stellt ein hohes Gefahrenpotenzial für ankommende Fahrzeuge, insbesondere schnell fahrende Pkw dar. Um frühzeitig vor dieser Gefahrenstelle zu warnen, wurde ein Pilotprojekt gestartet, in welchem sich mit Hilfe der vorhandenen Sensorik verkehrswidrig abgestellte Lkw erfasst werden. Auf die Anlage zufahrende Verkehrsteilnehmer werden bereits auf der Autobahn frühzeitig vor der Gefahrenstelle gewarnt. Auch telematische Parkverfahren wie Kolonnen- und Kompaktparken, die zu einer deutlichen Kapazitätssteigerung ohne zusätzlichen Flächenverbrauch beitragen können, benötigen eine hochgenaue Lkw-Stellplatzerfassung. Das vorher beschriebene flächenhafte Erfassungssystem kann auch dort Anwendung finden. 3. Ausblick Intelligente Verkehrssysteme bieten das Potenzial, die Mobilität sicherer, effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Als Straßenbaulastträger und Straßenbetreiber muss die Autobahngesellschaft sicherstellen, dass die Infrastruktur den zukünftigen Anforderungen an sie gewachsen ist. In naher Zukunft wird der Verkehr aus einer Mischung aus hochautomatisierten Fahrzeugen und Fahrzeugen mit geringem Automatisierungsgrad bestehen. Um die Möglichkeiten der intelligenten Verkehrssysteme auszunutzen, müssen diese Fahrzeuge Kenntnis voneinander sowie von der sie umgebenden Infrastruktur haben und 28 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digitale Autobahn den sie erreichenden Meldungen und Vorgaben unbedingt vertrauen können. Dieser Weg kann nur gemeinsam mit den Fahrzeugherstellern und weiteren Stakeholdern wie beispielsweise Navigationsdienstleistern beschritten werden. Das Geschäftsmodell der individuellen Information und Routenführung ist zu überdenken. Regionale Einzellösungen sind in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, eine-- idealerweise - EU-weite Standardisierung und ein einheitlicher Zugang zu den jeweiligen NAPs sind erforderlich. Derzeit stellen die Mitgliedstaaten Daten an den NAP in unterschiedlichen Formaten zur Verfügung. Besonders der zunehmende Güterverkehr kann von der Nutzung dynamischer Angaben, z. B. zu freien und sicheren Stellplätzen oder Ladebzw. Tankmöglichkeiten profitieren. Aber der Verkehr ist nicht nur auf Autobahnen beschränkt. Im Sinne des regionalen Verkehrsmanagements ist sowohl der Datenaustausch sowie die Abstimmung zwischen den verschiedenen Straßenbaulastträgern als auch zwischen den Verkehrsträgern sinnvoll, bis hin zur Einrichtung multimodaler digitale Mobilitätsdienste. Einen ersten Schritt in diese Richtung bedeutet in der Region Stuttgart die Einrichtung der „Ringzentrale“/ regionalen Mobilitätsplattform [14]. Hier werden Schaltstrategien der VBA und Lichtsignalanlagen zwischen den Straßenbaulastträgern der Autobahn und des nachgeordneten Netzes abgestimmt. Mittels intelligenten Verkehrssystemen können die Sicherheit und die Kapazitäten der bestehenden Infrastruktur durch eine höhere Interoperabilität und eine bessere Ausnutzung erhöht werden. Dies bringt - gesamtwirtschaftlich gesehen - finanzielle und ökologische Vorteile mit sich. Literatur [1] Dr.-Ing. Georg Mayer, Regierungsrätin Dipl. Wirt.-Ing. Anne Lehan, Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung, 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur, TAE, Juni 2021. [2] SIM-td, simTD Deliverable D13.2, https: / / www. eict.de/ fileadmin/ redakteure/ Projekte/ simTD/ Deliverables/ simTD-Deliverable-D13.2Test-undVersuchsspezifikationHauptdokument.pdf), 2010. [3] BASt (2015), Interoperabilität zwischen öffentlichem Verkehrsmanagement und individuellen Navigationsdiensten, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Reihe F: Fahrzeugtechnik-(108). [4] KoMoDNext, https: / / www.duesseldorf.de/ fileadmin/ Amt13/ presseanhang/ 2203/ 220321Praesentation_KoMoDnext-Abschluss.pdf [5] BASt, Fachthemen Verkehrstechnik, Digitales Testfeld Autobahn, https: / / www.bast.de/ DE/ Verkehrstechnik/ Fachthemen/ V5-digitales-Testfeld. html#: ~: text=Mit%20dem%20Digitalen%20Testfeld%20Autobahn,entwickeln%20und%20testen%20zu%20k%C3%B6nnen [6] ETSI TS 102 637-2: Intelligent Transport Systems (ITS); Vehicular Communications; Basic set of applications; Part 2: Specification of cooperative awareness Basic Service. [7] ETSI TS 102 637-3: Intelligent Transport Systems (ITS); Vehicular communications; Basic set of applications; Part 3: Specification of decentralized environmental notification basic service. [8] ETSI TS 103 301 V1.3.1 (2020-02) Intelligent Transport Systems (ITS); Vehicular Communications; Basic Set of Applications; Facilities layer protocols and communication requirements for infrastructure services. [9] S. Schulz, Inbetriebnahme von C-ITS bei der Autobahn GmbH - Meilensteine und Herausforderungen, Kolloquium Intelligentes Verkehrsmanagement, April 2023, Koblenz. [10] Die Chancen der Digitalisierung in der Straßenverkehrsinfrastruktur und die Nutzung innovativer ITS-Systeme zur Unterstützung des Ziels „VI- SION ZERO“ zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr, Gemeinsames Positionspapier des Bundesverband Verkehrssicherheitstechnik e.V. (BVST) und des Bundesverbands der Wirtschaft und Wissenschaft für Verkehrstechnologien und intelligente Mobilität e.V. (ITS Germany e.V.). [11] EU-Verkehrsteilnehmer sollen mehr Zugriff auf Echtzeit-Daten bekommen, Deutsche Verkehrs- Zeitung, https: / / www.dvz.de/ rubriken/ politik/ detail/ news/ eu-verkehrsteilnehmer-sollen-mehr-zugriff-auf-echtzeit-daten-bekommen.html [12] BMDV, Mobilithek, https: / / bmdv.bund.de/ DE/ Themen/ Digitales/ Mobilithek/ mobilithek.html [13] Kemper et al., TIM-GeO - Technisches Informationsmanagement der Autobahn GmbH des Bundes, zfv 4/ 2021 146. Jg. [14] A. Albers, Regionales Verkehrsmanagement in der Region Stuttgart, Kolloquium Intelligentes Verkehrsmanagement, April 2023, Koblenz. Asset Management 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 31 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur Dipl.-Ing. Kay Degenhardt Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, Hoppegarten Zusammenfassung Auf bauend auf den positiven Erfahrungen bei der Etablierung eines Brückenerhaltungsmanagements im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg (LS) in den letzten zehn Jahren soll dieses Verfahren zukünftig auf alle anderen Assets der vom LS betreuten Straßeninfrastruktur der Bundes- und Landesstraßen übertragen und möglichst zu einem ganzheitlichen Asset-Management ergänzt werden. Dabei stellen sich nicht nur umfangreiche IT-seitige Fragen, sondern es müssen auch grundlegende fachliche Problemstellungen zum Teil völlig neu diskutiert und Lösungsansätze gefunden werden. Es wird ein Überblick gegeben, wie umfangreich sich die Problematik darstellt und welche wesentlichen Punkte zur Klärung und Bearbeitung anstehen. 1. Einleitung Jahrzehntelang lag das Hauptaugenmerk von Gesellschaft, Politik und Infrastrukturbetreibern auf dem Um- und Ausbau des Schienen- und Straßennetzes. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes [1] beträgt der Flächenanteil der Verkehrswege inzwischen ca. 5,1 % der Gesamtfläche der Bundesrepublik Deutschland. Dies entspricht mit gut 18.000 km² etwa der Fläche des Freistaates Sachsen. Der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg (LS) betreut im Land Brandenburg ca. 8.300-km Bundes- und Landesstraßen. Unter der Annahme einer mittleren Breite entsprechend einem RQ 11 nach RAS-L [2] ergibt sich ein Flächenanteil von ca. 0,3-% der Landesfläche. Dieser Anteil liegt zwar weit unter einem Zehntel des Gesamtanteils aller Verkehrsflächen in der Bundesrepublik Deutschland, stellt aber mit ca. 90 bis 100 km² immer noch eine nicht zu vernachlässigende Größe dar. Das sich daraus ableitende Anlagevermögen der enthaltenen Fahrbahnen, Brücken und sonstigen Anlagenteile in Form eines Wiederbeschaffungswertes kann derzeit vom LS nur grob ermittelt werden und liegt schätzungsweise bei 15 bis 20 Mrd. EUR. Das entspricht ca. 2 bis 3 % des vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesenen Brutto-Anlagervermögens in Zuordnung zu „Straßen und Brücken“ in Höhe von derzeit ca. 646 Mrd. EUR und zu Preisen von 2015 [3]. Bei der Betrachtung der Verkehrsinfrastruktur und insbesondere der Straßen ist daher nicht nur von einer hohen gesellschaftlichen Bedeutung hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit zu sprechen. Im Hinblick auf alle Aspekte der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes besteht darüber hinaus ein zunehmender gesellschaftlicher Konsens, dass die ohnehin schon hohe Flächeninanspruchnahme in Zukunft nicht mehr unbegrenzt gesteigert werden kann, d. h. ein Mehr an Verfügbarkeit zukünftig nicht mehr durch immer neue Ausbaumaßnahmen generiert werden kann. Ebenso stellt die Straßeninfrastruktur, wie bereits erwähnt, ein großes volkswirtschaftliches Anlagevermögen dar. Dementsprechend muss der Fokus zukünftig auf einer effizienten Nutzung und Bewirtschaftung des Bestandes liegen. Daraus ergibt sich die Aufgabe eines ganzheitlichen Asset Managements für die Betreiber dieser Infrastruktur. Diese Aufgabe ist grundsätzlich nicht neu, stand aber bisher im Kontext und in der Formulierung eines Asset Managements kaum im Vordergrund. 2. Vom Erhaltungsmanagement zum Asset-Management 2.1 Erhaltungsmanagement vs. Asset-Management Unter Erhaltungsmanagement lassen sich alle Handlungen und Maßnahmen über den Lebenszyklus eines Objektes zusammenfassen, die unter Berücksichtigung der jeweiligen Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards dem Erhalt bzw. der Neu- oder Wiederherstellung definierter Objekteigenschaften dienen. Auf der strategischen Geschäftsebene werden in der Regel die entsprechenden Leistungsziele und Rahmenbedingungen festgelegt. Die operative Geschäftsebene umfasst die Zustandserfassung, -bewertung, Maßnahmenplanung, Priorisierung und Wirkungsanalyse der durchgeführten Erhaltungs-maßnahmen als Rückmeldung über die angestrebte Zielerreichung. Das Erhaltungsmanagement ist Bestandteil des Lebenszyklusmanagements [4]. Das Asset-Management konzentriert sich hingegen auf den Wert, den ein Asset der zuständigen Organisation schaffen kann. Es übersetzt die Organisationsziele in technische und finanzielle Entscheidungen, Pläne und Aktivitäten. Das Asset-Management schließt ein Lebenszyklusmanagement mit ein [5]. Ein Asset kann im Kontext der Straßeninfrastruktur dabei grundsätzlich als ein Objekt bzw. eine Sachanlage im Sinne eines materiellen Wirtschaftsgutes angesehen werden. Erhaltungsmanagement und Asset-Management der Straßeninfrastruktur bedingen daher einander. Das Erhaltungsmanagement ist dabei als die fachliche Informa- 32 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur tionsquelle und Voraussetzung eines vollumfänglichen Asset-Managements anzusehen, während mit dem Asset- Management selbst die vorrangigen Organisationsziele, im Sinne eines Mehrwertes und/ oder einer Risikominimierung/ Gefahrenabwehr für die Organisation, transportiert und vorgegeben werden. Ohne Definition dieser organisationsbestimmten Ziele lässt sich also weder ein Erhaltungsnoch ein Asset-Management in schlüssiger Form betreiben. Im Gegensatz zum Asset Management eines privaten Unternehmens besteht die große Schwierigkeit des Asset Managements im öffentlichen Sektor der Straßeninfrastruktur in einer Vielzahl von unscharfen Zuständigkeiten, Vermögensbewertungen und Vermögenszuordnungen. Beispielhaft sei hier die Problematik genannt, dass für die Straßeninfrastruktur kein Marktpreis wie für herkömmliche Vermögensgegenstände abgeleitet werden kann, sondern auf teilweise fiktive - Anschaffungs- oder Herstellungskosten zurückgegriffen werden muss. Gleichfalls muss für ein und dasselbe Objekt (Straße) organisatorisch in der Regel in unterschiedlichsten Zuständigkeiten, Vertretungen und Beziehungen agiert werden (Gesetzgeber, Eigentümer, Baulastträger, Auftragsverwaltung, Straßenbaubehörde, teilw. Straßenverkehrsbehörde etc.), was in der Praxis die Formulierung und Kommunikation konkreter Ziele zumeist erheblich erschwert. 2.2 Erfahrungen aus dem Brücken-Erhaltungsmanagement Grundlage der Überlegungen im LS zum Auf bau eines ganzheitlichen Assets-Managements bildet das seit über zehn Jahren im Betrieb etablierte und stetig weiterentwickelte Brückenerhaltungsmanagement. Aktuell umfasst dieser Brückenbestand ca. 1.557 Brücken (Teilbauwerke nach ASB-ING [7]). Von dieser Objektmenge befinden sich ca. 805 Brücken in der Baulast des Bundes (Zuordnung Bundesstraßen) und ca. 752 Brücken in der Baulast des Landes (Zuordnung Landesstraßen). Den Kern des Brücken-erhaltungsmanagements bilden die sogenannten Bedarfslisten Brücke [10]. In diesen Bedarfslisten sind alle wesentlichen Daten der Brückenbauwerke, teilbauwerksbezogen, aufgeführt und anhand verschiedener Kriterien sortiert. Jedem Teilbauwerk ist mindestens eine Erstmaßnahme in Art (Maßnahmenart entsprechend RPE-ING [4]), Zeit (Jahr und Halbdekade) und Kostenrahmen zugeordnet. Im Einzelfall kann nach Erfordernis auch eine Zweitmaßnahme spezifiziert sein [6]. Neben der Frage: Was muss zu welchem Zeitpunkt wie erhalten werden? bildet der in den Bedarfslisten ausgewiesene Datenumfang eine erste wesentliche Grundlage für die Objektart Brücke eines zukünftigen Asset-Managements. Allein schon die Nachvollziehbarkeit der Gesamtmenge mit allen jährlichen Zu- und Abgängen und deren Verteilung im Netz bringt einen entsprechenden Mehrwert und lässt nachvollziehen, wie sich der Bestand entwickelt und wo sich eventuelle Defizite darstellen. Als primäre Merkmale sind zu nennen: • Objekt-ID / Name • Stadium (nach ASB-ING [7]) • Netzzugehörigkeit und Verortung • Zuständigkeiten (Baulast und Objektverantwortlichkeit) • Baujahr / Alter • Zustand (Zustandsnote, Substanzkennzahl, Traglastindex) • fiktives Alter zum Stand 2020 auf Grundlage des Istzu Soll-Zustandes gemäß Alterungsfunktion RPE- ING; siehe Verfahrensbeschreibung [20] • Wiederbeschaffungswert (Brutto-Wert) zum Stand 2020 • Zeitwert (Netto-Wert) auf Grundlage der fiktiven Altersangabe und jährlicher Abschreibung seit 2020 Grundlage der Datenhaltung ist das Programmsystem SIB-Bauwerke Version 1.9x [8] auf Basis des Datenmodells nach ASB-ING [7]. Für die Bereitstellung der Primärdaten, insbesondere der eindeutigen Objekt-ID, fungiert die SIB-Bauwerke jedoch als reiner Datencontainer. Alle monetären Bestandswerteangaben hingegen entstammen einer EPING-Berechnung [9] aus dem Jahr 2020; zum Zeitpunkt der Erstellung der aktuellen Bedarfslisten Brücke [10]. Die Analyse und Auf bereitung der Daten als Entscheidungsgrundlage für das Management und die Programmplanung erfolgt bisher ausschließlich manuell bzw. auf Basis von Excel- und Access-Tabellen und -Diagrammen. Unabhängig von diesen digitalen Brüchen in der Informationsverarbeitung und -darstellung lassen sich aus den generierten Tabellen und Übersichten inzwischen erste Aussagen über die Wirksamkeit des Erhaltungsmanagements ableiten. So lässt sich z. B. inzwischen immer besser nachvollziehen, ob die fachlichen Anforderungen der Erhaltung auf der operativen Ebene (hier in den drei Regionalbereichen des LS) grundsätzlich befolgt werden und wo Sachverhalte wie z.- B. personelle und finanzielle Engpässe, aber auch planungsrechtliche Verzögerungen einer kontinuierlichen Abarbeitung des Erhaltungsbedarfs entgegenstehen. Gleichzeitig erlaubt der eingeschlagene Weg auch erste Aussagen zur Wertentwicklung (Brutto- und Nettoanlagevermögen, Modernitätsgrad) des Brückenbestandes. Gegenüber der primären Aufgabe des LS, für eine gute Verfügbarkeit der Straßen zu sorgen, stand diese rein wirtschaftliche Betrachtung bisher jedoch nicht im Vordergrund. 2.3 Idealvorstellung und mittelfristige Zielsetzung Im Idealfall verfügt die Straßenbauverwaltung zukünftig über vollständige Anforderungsprofile für die Qualität und Werterhaltung aller von ihr verwalteten Assets (Objekte). Der Zielerreichungsgrad dieser Anforderungen kann anhand eindeutiger Kriterien jederzeit dynamisch gemessen und transparent dargestellt werden möglichst im Kontext eines digitalen Abbildes, eines sogenannten digitalen Zwillings. Dieses Gesamtobjektmodell der Infrastruktur bildet dabei sowohl alle technischen Aspekte der Einzelobjekte als auch Gesamtzusammenhänge 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 33 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur der Netzverfügbarkeit bis hin zu Fragen der Folgekosten für die Nutzer durch eingriffsbedingte Störstellen ab. Über diese Datenplattform und das darin vernetzte Gesamtobjektmodell der Infrastruktur lassen sich somit alle wesentlichen Aufgaben von Planung, Bau und Betrieb visualisieren und damit idealerweise auch steuern. Mit Hilfe von Szenarien können die zuständigen Stellen und vor allem die Führungsebenen belastbare und fundierte Entscheidungen treffen. Die Wirksamkeit kann später durch den Vergleich des Ist-Eintrittsszenarios mit dem Entscheidungsszenario validiert werden. Daraus können weitere Schlüsse für zukünftige Entscheidungen gezogen und das gesamte Objektmodell weiter verbessert werden. Die Umsetzung dieser Vorstellung in die Realität wird entsprechend Zeit in Anspruch nehmen. Es ist davon auszugehen, dass diese Idealvorstellung allein schon aufgrund der vielfältigen, sich ständig weiterentwickelnden Schnittstellen bzw. Schnittstellenformate und der damit verbundenen Medienbrüche zwischen den verschiedenen Datenbanksystemen nie zu 100 % erreicht werden kann. Auch die naheliegende Alternativlösung, ein Asset- und Erhaltungsmanagement mit nur einer (Mega-)Datenbank und einer einzigen Applikation zu betreiben, geht vielleicht zu sehr an der Realität vorbei. Vor- und Nachteile können diskutiert werden. Aber auch dieser Weg wird für eine Vielzahl von Verwaltungen nicht kurzfristig umsetzbar sein. Insofern erscheint es zunächst wichtig zu sein, die eigentlichen Ziele eines ganzheitlichen Asset- und Erhaltungsmanagements nicht aus den Augen zu verlieren. Parallel zur Planung und zum Aufbau einer vollumfänglich befriedigenden IT-Lösung sollten daher zunächst die Prozesse, die Datengrundlagen und die Datenstrukturen beleuchtet werden. Wenn man über Assets und deren wirtschaftlichen Betrieb und Erhaltung spricht, sollten mindestens folgende Informationen zu diesen Objekten bekannt sein: • Objektdefinition - Um was handelt es sich? • Identifikationsmerkmale • physische Abmessungen und ggf. weitere Unterstrukturen • materielle (stoffliche) Ausprägung • Herstellungsjahr und somit das Alter • mittlere Lebensdauer und/ oder normative Nutzungsdauer • Zustands- und Nutzungskriterien, deren Verhaltensfunktionen sowie deren Ist- und Sollwerte • Herstellungsund/ oder Wiederbeschaffungskosten (Bruttoanlagenwert) • Abschreibung und somit aktueller Zeitwert des Objektes (Nettoanlagenwert) • Einfluss bzw. Abhängigkeiten (Art und Größe) auf und zu anderen Assets (Objekten) Die Bereitstellung dieser Informationen erscheint auf den ersten Blick trivial. Geht man jedoch in die Tiefe und betrachtet die Sachlage etwas genauer, so ergeben sich schon bei dieser grundlegenden Aufgabe erhebliche Herausforderungen. Das Problem des Zeitbzw. Marktwerts wurde bereits angesprochen. Weitere Probleme ergeben sich auch bei vielen anderen Punkten. Allein eine belastbare Altersangabe, die mehr als trivial erscheint, lässt sich bei Verkehrswegen regelmäßig nicht so einfach aus der Datenlage ableiten. Zur Verdeutlichung wird auf die Ausführungen unter Ziffer 2.3.1 in [11] verwiesen, wonach z. B. eine Fahrbahn mit ihren verschiedenen Schichten und baulichen Veränderungen im Laufe der Zeit keinesfalls als statisches System angesehen werden kann. Wie alt ist eine Fahrbahn, wenn die Deckschicht 5 Jahre und die Tragschicht 17 Jahre alt ist? Wann wurde der Unterbau hergestellt, vor 20, 50 oder gar 200 Jahren? Bei anderen Bauwerken wie Brücken oder Fahrzeug-rückhaltesystemen ist die Fragestellung zwar etwas einfacher, die Datenlage kann aber dennoch lückenhaft sein. Wann wurde z. B. die Leitplanke an der Strecke XY errichtet, mit der Fahrbahnerneuerung oder vielleicht doch später? Numerisch auswertbare Aussagen in einer Datenbank insbesondere zu sogenannten Sekundärobjekten fehlen regelmäßig. Will man ein zielgerichtetes Asset- und Erhaltungsmanagement für die gesamte Infrastruktur aufbauen, ist eine valide Datenlage unabdingbar. Ein erstes vorrangiges Ziel beim Auf bau eines Asset- und Erhaltungsmanagements muss es daher sein, zunächst alle Daten im erforderlichen Umfang bereitzustellen, ggf. neu zu erheben oder verbindliche und fachgerechte Schätzwerte zu ermitteln. Eine weitere und vordringliche Aufgabe stellt sich dann mit der Festlegung entsprechender Qualitäts- und Nutzungskriterien. 3. Netz- und Objektebene 3.1 Die Strecke als Bindeglied zwischen Objekt- und Netzbetrachtung Infrastrukturobjekte bedürfen in der Regel einer sinnvollen Zuordnung zu einem Netz. Eine Ausnahme bilden u.- a. trassenferne Kompensationsmaßnahmen, bei denen ein Bezug in der Regel nur über die sie begründende Maßnahme hergestellt werden kann. Netzgrundlage im Straßenwesen der Bundes- und Landesstraßenbauverwaltung ist regelmäßig das Knoten- Kanten-Modell nach ASB [12]. Abb. 1: Geometriemodell des Netzknoten-Stationierungssystems nach [12] 34 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur Für die Erfassung von Straßeninfrastrukturdaten bis hin zu Detailfragen des Routings und der Verfügbarkeit z. B. für den Großraum- und Schwerverkehr ist dieses Netzmodell sehr gut geeignet. An seine Grenzen stößt es jedoch vor allem dort, wo es um die Abstraktion und Vereinfachung komplexer Strukturen für betriebliche Steuerungs- und Managementfragen geht. Hierfür werden derzeit häufig andere Systeme eingesetzt, die zumeist Projektsichten mit finanziellen Fragestellungen verknüpfen und abbilden, z. B. das System MaVis [13]. Ein weiterer Punkt ist die verständliche und transparente Bewertung von Objektzuständen. Der Handlungsbedarf im Falle einer nicht tragfähigen Brücke im Zuge einer Bundesstraße zwischen den Knotenpunkten A und B lässt sich leicht ableiten. Der Handlungsbedarf einer nicht tragfähigen Brücke genau auf einem Knotenpunkt z.-B. im Kreuzungsbereich einer Bundes- und Kreisstraße lässt sich hingegen schon schwerer einordnen. Welche Straße ist wie betroffen? Die Auswirkungen eines zehn Meter langen Fahrbahnabschnittes mit sehr schlechtem Gebrauchs- oder Substanzwert zwischen zwei weit auseinanderliegenden Ortschaften lassen sich ohne Kontext der restlichen Randbedingungen dem Grunde nach gar nicht mehr richtig beurteilen. Davon unberührt bleibt gegebenenfalls die Notwendigkeit einer raschen Verkehrssicherung und Instandsetzung dieser Fläche. Zur Bündelung verschiedener Sachverhalte zu einem aussagekräftigen und transparenten Gesamtgebilde bedarf es daher weiterer Überlegungen. Für das Netz in der Fläche, welches im überwiegenden Teil freie Strecken adressiert, bietet sich eine in der Bedeutung abgestufte Streckenstruktur an. Der Begriff Strecke definiert sich gemäß [12] wie folgt: Die Strecke ist linear zusammenhängend und ist nicht auf einen Abschnitt/ Ast begrenzt. Die betroffenen Abschnitte/ Äste müssen nicht derselben Straße angehören. Anfangs- und Endpunkt müssen dabei keine Nullpunkte, sondern können beliebige Straßenpunkte sein. Der Verlauf der Strecke zwischen dem Anfangs- und Endpunkt muss jedoch eindeutig sein. Auf dieser Grundlage lässt sich nachfolgendes schematisch dargestelltes und netzweise abgestuftes Streckenmodell für ein Asset-Management in der Fläche (mehrheitlich anbaufrei) beschreiben. Abb. 2: Streckenmodell In der Abstufung bzw. Verbindung • (nachrichtlich) Strecke BAB • zwischen Kreuzung BAB mit Landes- oder Bundesgrenze • zwischen Kreuzung BAB mit BAB • Strecke B-Straße • zwischen Kreuzung B-Straße mit Landes- oder Bundesgrenze • zwischen Kreuzung B-Straße mit BAB • zwischen Kreuzung B-Straße mit B-Straße • Strecke L-Straße • zwischen Kreuzung L-Straße mit Landes- oder Bundesgrenze • zwischen Kreuzung L-Straße mit BAB • zwischen Kreuzung L-Straße mit B-Straße • zwischen Kreuzung L-Straße mit L-Straße Die kleinteiligsten Strecken ergeben sich somit im Landesstraßennetz, während die Autobahnen, ihrer Verkehrsbedeutung entsprechend, in der Regel sehr umfangreiche Entfernungen zwischen den Knotenpunkten (Autobahndreiecken / -kreuzen) aufweisen werden. Am Beispiel der B 246 im Land Brandenburg würde sich exemplarisch folgendes Bild ergeben: Abb. 3: Erhaltungsstrecken 10 bis 100 als Hauptobjekte der B 246 im Land Brandenburg 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 35 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur Abb. 4: Visualisierung der Key-Indikatoren an einem Streckenabschnitt der Erhaltungsstrecke B 246 (_010) Jede Erhaltungsstrecke kann entsprechend ihrer Abschnitte nach ASB [12] und entsprechend der im Straßenwesen üblichen Syntax weiter untergliedert werden. Damit wird eine sinnvolle Klammer zwischen der netzbezogenen Verkehrsbedeutung und der seit vielen Jahren üblichen Datenerfassung geschaffen. Alle Objekte, die vollständig innerhalb eines Abschnittes liegen, können in einer 1: n Beziehung dem Abschnitt zugeordnet werden. Objekte, die sich physisch über mehrere Abschnitte verteilen, z. B. eine Brücke im Netzknoten oder eine Kreuzungsfläche oder Lichtsignalanlage im Netzknoten müssen als eigenständige Objekte gestellt werden und als zusätzliche Informationen mit den betroffenen Abschnitten verknüpft werden. Wenn also ein Bauwerk auf einem Netzknoten eine Verkehrseinschränkung von Abschnitt 1 und 2 begründet, muss das in beiden Abschnitten - und aggregiert auf die Strecke oder auch gegebenenfalls auf mehrere Strecken als relevante Erhaltungsinformation für Abschnitt und Erhaltungsstrecke erkennbar sein. Probleme in diesem Modell sind regelmäßig innerhalb der Ortsdurchfahrten zu erwarten. Hier steigt der Detaillierungsgrad der Objekte sprunghaft an. Ebenso können die realen Flächenanteile von Knotenobjekten, z. B. Kreuzungsflächen, weit über denen der Kanten liegen. Insofern stößt das Modell in diesen Bereichen an seine Grenzen und wäre für ein rein kommunales Asset-Management der Straßeninfrastruktur vermutlich nicht zielführend. Für das Asset-Management der Bundes- und Landesstraßen in einem Flächenland überwiegen nach derzeitigem Betrachtungsstand jedoch die Vorteile des einfachen Modellauf baus bei weiten den Nachteilen einer nur bedingt genauen Abbildung innerhalb von Ortsdurchfahrten. Viele Detailaspekte in Ortsdurchfahrten sollten als Zusatzattribute über die Hauptobjekte in ausreichendem Maße abgebildet werden können. Die beiden primären Assets (Objekte) der Straßeninfrastruktur der Bundes- und Landesstraßen in der Fläche sowohl in Bezug auf den Anlagewert als auch in Bezug auf die Bedeutung für die Verfügbarkeit des Netzes sind die Fahrbahnen und die Brücken der Straße. Darüber hinaus sind weitere Objekte zu berücksichtigen, die zwar als Sekundärobjekte der Straßeninfrastruktur subsumiert werden können, bei denen aber im konkreten Einzelfall eine sehr hohe Relevanz für eine Strecke nicht auszuschließen ist. So können z.- B. falsch eingestellte Räumzeiten einer Lichtsignalanlage zu dauerhaften Verkehrsmengen-änderungen auf nicht dafür vorgesehenen Streckenabschnitten führen und damit Alterungs- und Verschleißprozesse dieser Strecken (Fahrbahnen) beschleunigen. 3.2 Sachstand Fahrbahnen Fahrbahnen sind Linienobjekte. Eine Fahrbahn beschreibt den aus Fahrstreifen und Randstreifen bestehenden, zusammenhängend befestigten Teil der Straße [14]. Die Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) von Straßenfahrbahnen erfolgt, z. B. im Land Brandenburg für die Bundes- und Landesstraßen in Zuständigkeit des Landes, nach der ZTV ZEB-StB[15], turnusgemäß alle vier Jahre. Bei Fahrbahnen von Radwegen, die prinzipiell gesondert zu betrachten sind, soll zukünftig im LS gleichartig verfahren werden. Auf Bundes- und Landesstraßen werden merkmalsbezogene, dimensionsbehaftete Zustandsgrößen ermittelt und mittels Normierungs-funktionen in Zustandswerte überführt. Mit Hilfe von spezifischen Bewertungskriterien werden Zustandsteilwerte (Gebrauchswert, Substanzwert) ermittelt. Betrachtet wird bei der ZEB ausschließlich der befahrene Bereich der Straßenbefestigung, wobei keine gesonderte Aufnahme der Straßenmarkierungen erfolgt. Für die Oberfläche der Straßenfahrbahnen liegt somit eine vollständige Bewertungsgrundlage des Zustandes in der Regel vor. Für die Ermittlung des Erhaltungsbedarfs werden die ZEB-Daten mit den Verkehrsdaten (insbesondere Schwerverkehr) und Straßenauf baudaten (Bestandsdaten) verschnitten. Dabei muss anhand der Verkehrsdaten verglichen werden, ob der vorhandene Straßenauf bau den Anforderungen der RStO [16] entspricht; der Straßenauf bau muss also bekannt sein und Verkehrsdaten müssen vorliegen. 36 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur Abb. 5: Beispiel einer Bedarfsliste für Fahrbahnen Das Alter des vorhandenen Straßenauf baus, soweit bekannt, gibt zusammen mit den ZEB-Daten Aufschluss darüber, welche Restnutzungsdauer einzelner Schichten nach den RPE-Stra [17] im Mittel zu erwarten ist. Hieraus lässt sich der Erhaltungsbedarf in Form sogenannter I1-, I2-, E1-, E2- und bauliche Unterhaltungsmaßnahmen (siehe Bild 1 in [17]) ableiten und in einem ersten Schritt, z.-B. über Erhaltungsbedarfslisten, für das Erhaltungsprojektmanagement visualisieren und für das Einzel-Asset Fahrbahn z.-B. über Prioritätsklassen priorisieren. Die Bewertung erfolgt nach sogenannten Homogenbereichen. Das bedeutet, dass die bewerteten Straßenabschnitte nach bautechnischen Gesichtspunkten zu homogenen Erhaltungsabschnitten zusammengefasst werden. Eine valide Bewertung des Anlagevermögens der Fahrbahnen fehlt im LS derzeit noch vollständig. Ebenso werden mit den Bedarfslisten zwar Vorgaben zur Art der Maßnahmen und deren Priorität festgelegt, eine konkrete zeitliche Vorgabe für die Umsetzung fehlt jedoch ebenfalls. Ein erhebliches Problem stellt auch die Qualität der Daten zum Schichtenauf bau dar. Die Datenhaltung für die Informationen zu den Straßenfahrbahnen erfolgt nach ASB [12] unter Nutzung der Straßendatenbank TT-SIB® [18]. Radwegefahrbahnen werden zustandsseitig zurzeit noch nicht mit einem Datenbanksystem erfasst, sollen aber demnächst folgen. 3.3 Sachstand Brücken Brücken definieren in der Regel Ingenieurbauwerke, welche Fahrbahnen oder Flächen über andere Fahrbahnen oder Flächen überführen. Für das Erhaltungsmanagement der Bundes- und Landesstraßen in einem Flächenland wie Brandenburg sind natürlich die Brücken im Zuge von Bundes- und Landesstraßen zunächst absolut vorrangig. Die Brücken über oder neben Bundes- und Landesstraßen bedürfen hingegen einer separaten Betrachtung. Brücken stellen entgegen der Fahrbahn Punktobjekte dar und können gegebenenfalls auf zwei Abschnitte oder auch Strecken verweisen. Wie bereits beschrieben, hat der LS für seine ca. 1.557 Teilbauwerke in den letzten zehn Jahren ein vollumfängliches Brückenerhaltungsmanagement aufgebaut. Umfängliche Erläuterung zum Vorgehen sind [6] zu entnehmen. Für jedes Netz liegen Bedarfslisten [10] vor. Neben der Angabe über Zustand und erforderlicher Erhaltungsmaßnahme in Art und Zeit erfolgt auch eine Klassifizierung der Brücken hinsichtlich ihrer Key-Indikatoren. Dieses Vorgehen entspricht im Grunde dem Vorgehen bei den Fahrbahnen mit der Zuordnung zu Prioritätsklassen. Mit der Erstellung der Bedarfslisten für die Halbdekade 2021 - 2025 wurde erstmals mit dem Programm EPING [9] ein Wiederbeschaffungs- und Zeitwert für die Brücken ermittelt, mit dem grundsätzlich die Entwicklung des Anlagewertes der Brücken nachvollzogen werden kann. Die technische Ausgestaltung des Verfahrens bedarf jedoch noch weiterer Überlegungen. Das Asset Brücke ist somit im LS schon bestens erfasst. Neben einer weiteren Verfeinerung des Prozesses fehlt es momentan vor allem an der Verknüpfung mit den Belangen der Fahrbahn und weiterer Sekundärobjekte. Abb. 6: Auszug Bedarfsliste Brücken L-Straßen Grundnetz 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 37 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur 3.4 Sachstand Sekundärobjekte Neben Fahrbahnen und Brücken sind noch zahlreiche weitere Assets (Objekte) der Straßeninfrastruktur zuzuordnen. Auch wenn deren Anlagenwert im Vergleich zu Fahrbahnen und Brücken zumeist wesentlich geringer ist, sind sie, wie bereits erwähnt, aber dennoch für die Nutzung und somit Verfügbarkeit nicht unbedeutend. Problematisch ist, dass diese Sekundärobjekte sehr vielfältig sind, meist auf der Ebene des Betriebsdienstes (Unterhaltung) behandelt werden und bisher kaum einem ausgeprägten Erhaltungsmanagement unterliegen. Allein die Art und den Umfang all dieser Objekte verlässlich zu erfassen, geschweige denn Aussagen über Alter, Zustand, Restnutzungsdauer etc. zu treffen, ist schwierig. Im LS wurden in den letzten Jahren aufgrund verschiedener, meist rechtlicher Anforderungen für einige dieser Objekte erste Objektkataster erstellt. Zu nennen sind hier z.- B. das Baumkataster, die Durchlassdatenbank, die Erfassung von Fahrzeugrückhaltesystemen und die Einleit-genehmigung für Entwässerungsanlagen. Ebenso wurden für einige Objekte (z.-B. Baumkataster und große Entwässerungsanlagen) auch erste Erhaltungskriterien festgelegt, sofern man bei Vegetationsobjekten wie Bäumen überhaupt von Erhaltung sprechen kann. Besser wäre in diesem Fall vielleicht der Begriff Pflege. Trotz teils erheblicher Anstrengungen zur Beschaffung der Basisdaten und Grundlagenermittlung muss man gerade bei den Sekundärobjekten immer noch einen größeren Nachholbedarf konstatieren. 3.5 Sachstand Einwirkungen und Widerstandsfähigkeit Die primäre Einwirkungsgröße auf die Straßeninfrastruktur ist natürlich der Verkehr und dessen Belastung auf Fahrbahn und Brücke. Darüber hinaus sind weitere Umwelteinflüsse wie Regen, Wind, Temperatur, Wasser, vor allem aber der Tausalzeintrag durch den Winterdienst etc. zu nennen. Sowohl die Verkehrsbelastungen als auch die übrigen Einwirkungen können inzwischen durch eine Vielzahl von Messstellen und Datenbankverknüpfungen in einem guten Grundumfang ermittelt bzw. bereitgestellt werden, wenngleich eine weitere Verfeinerung des Messstellennetzes, insbesondere der Verkehrszählstellen, aber auch der Achslastmessstellen, vor allem im untergeordneten Netz notwendig erscheint. Ebenso zwingt uns der Klimawandel auch bisher eher seltene Ereignisse in den Blick zu nehmen, da deren Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenspotenzial und damit das Risiko für die Gesellschaft voraussichtlich deutlich zunehmen werden. Ohne verlässliche Geländemodelle und Überflutungskarten sind z.-B. Aussagen über die Verfügbarkeit von Straßeninfrastruktur im Katastrophenfall kaum möglich, ebenso wenig wie eine wirtschaftliche Ertüchtigung. Welche größeren Brücken über Flüsse oder Straßen durch brandgefährdete Waldgebiete sind als sogenannte Exzellenzobjekte einzustufen? Ausnahmeobjekt bedeutet hierbei, dass bei einer Nutzungseinschränkung nachhaltige Auswirkungen auf große Teile der Gesellschaft zu befürchten sind. Verbindliche bzw. standardisierte Kriterien sind bisher kaum oder gar nicht vorhanden und werden derzeit im wissenschaftlichen Bereich, z.-B. von der BASt, entwickelt. So wie die Grunddaten der Objekte selbst Voraussetzung für ein Asset- und Erhaltungsmanagement sind, so sind auch möglichst genaue Angaben darüber erforderlich, welche Wertschöpfung die Objekte erbringen sollen. Das betrifft den Normalzustand genauso wie den außergewöhnlichen Einwirkungsfall. Letztlich bestimmt dies die wesentlichen Eigenschaften des Objektes und damit die Nutzungsdauer und auch den Wert des Straßenobjektes. 4. Investitions- und Projektebene Es ist quasi systemimmanent, dass der Betrieb der Straßeninfrastruktur eine laufende Erhaltung und Erneuerung aller Objekte und damit laufende Investitionen erfordert. Der Großteil dieser Investitionen wird gängig über Bau- und Erhaltungsprojekte getätigt, adäquat dem Neubau. Die Projektsicht bestimmt sich dadurch, dass es einen Start und ein Ende bzw. ein Abschluss gibt und ist somit klar von kontinuierlichen Prozessen abzugrenzen. Die Unterhaltung einer Fahrbahn durch die Meisterei erfolgt z.-B. kontinuierlich und ist somit ein Prozess. Die Teilerneuerung mit Verstärkung einer Brücke ist in ein Projekt zu fassen. Sie hat einen Starttermin und zumeist spätestens mit Ablauf der Gewährleistung einen Abschluss. Bei der konsumtiven Unterhaltung ist in der Regel nicht von einer Erhöhung des Anlagenwertes auszugehen, während bei einer Teilerneuerung mit Ertüchtigung eine Erhöhung des Gebrauchswertes und damit auch eine Erhöhung des Anlagenwertes zu erwarten ist. Während sich das Erhaltungsmanagement in der Regel mit den investiven Projekten befasst, muss das Asset Management beides im Blick haben: die konsumtive Instandhaltung und die meist investive Erhaltung. Damit ist das Asset Management deutlich komplexer als ein reines Erhaltungsmanagement. In der Praxis der Straßeninfrastruktur steht häufig der investive Ansatz im Vordergrund. Dies liegt insbesondere an den finanziellen Entscheidungen bzw. Zuweisungen im kameralen Haushaltssystem des Bundes und der Länder. Entweder können Finanzmittel in größerem Umfang zur Verfügung gestellt werden, dann müssen diese, meist verbindlich für ganz bestimmte Projekte, umgesetzt werden, oder es muss mit höheren Unterhaltungsleistungen gegengesteuert werden. Die handelnden Personen in der Straßenbauverwaltung sind daher in ihren wirtschaftlichen Investitions- und Konsumentscheidungen nicht wirklich frei und insofern kommt es nicht selten zu einer Über- oder Unterdimensionierung von Maßnahmen aus Budgetgründen gegenüber den fachlichen Erfordernissen des Bestandes. Gleiches geschieht mitunter auch aufgrund genehmigungsrechtlicher Zwänge, z.-B. beim Tiefeinbau einer E2-Maßnahme, wenn in diesem Zusammenhang möglicherweise Wurzeln von Alleebäumen gefährdet sind. Aufgrund der vielfältigen Randbedingungen wird es daher nie möglich sein, die endgültigen Erhaltungsentschei- 38 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur dungen ausschließlich auf Basis der technischen Bedarfsanforderungen einzelner Assets zu bestimmen. Umso wichtiger erscheint es, dass Asset- und Erhaltungsmanagement zukünftig stärker Hand in Hand gehen, d. h. die Projekt-, Prozess- und Objektebene miteinander verknüpft werden. Eine solche Verknüpfung ist im LS bisher nicht gegeben. Zur Visualisierung der Projekte wird im LS das Programm MaVis [13] eingesetzt. Damit können zwar die Projekte als solche im Objekt- und Maßnahmenumfang recht gut dargestellt werden, leider ist aber keine digitale Rückkopplung zu den Objektdatenbanken oder den Bedarfsanforderungen gegeben. Auch die Anbindung an das Finanzsystem (SAP) ist bisher nur monodirektional. Abb. 7: Mögliche Zielvorstellung 5. Datenaufbereitung und Controlling Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Asset- und Erhaltungsmanagement in der öffentlichen Straßeninfrastruktur ist die Benutzerfreundlichkeit und Transparenz der Entscheidungsprozesse. Im Gegensatz zu rein privatwirtschaftlichen Unternehmen muss die öffentliche Verwaltung ihr Handeln gegenüber der Gesellschaft ständig begründen und rechtfertigen. Dieser Prozess beginnt bereits in der Verwaltung selbst, so dass sich viele Verantwortliche immer wieder die Frage stellen: Gehen wir den richtigen Weg? Regelmäßig wird man diese Frage verneinen müssen, allein schon aufgrund der jeweiligen Einzelzuständigkeit für ein bestimmtes Thema; Umweltbelange versus Straßenausbau versus Haushaltsdisziplin etc. Umso wichtiger ist es, dass ein Asset-Management in der öffentlichen Straßenbauverwaltung ein sehr hohes Maß an Transparenz beinhaltet. Nur so kann allen Verantwortlichen bewusstwerden, dass der eingeschlagene Weg (Entscheidungen) im Gesamtkontext aller zu berücksichtigenden Belange in der Regel durchaus richtig und zielführend ist. Zudem können tatsächliche Fehlentscheidungen frühzeitig erkannt und im Idealfall revidiert werden. Ein Asset- und Erhaltungsmanagement ist datengetrieben und damit zu 100 % von der Verfügbarkeit und vor allem der Belastbarkeit der verarbeiteten Daten abhängig. Aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels, aber auch aus reinen Effizienzgründen ist jede manuelle Datenbereitstellung und -pflege (Eingabe / Änderung von Informationen in Datenbanksystemen) kritisch zu hinterfragen. Solange ein Mitarbeitender zur Objektidentifikation in einem Projektsystem eine mehrstellig ID manuell eintragen muss, sollte man sich nicht wundern, wenn: a. die Mitarbeitenden nur wenig Akzeptanz für solche Systeme entwickeln. b. immer wieder Zuordnungsfehler von Projekten zu Objekten im Abgleich von Bedarf und Umsetzung auftreten; das System also nicht gut bzw. nur sehr aufwendig funktioniert. Asset- und Erhaltungsmanagementsysteme sollen nicht nur die Entscheidungen über die technische und finanzielle Werterhaltung der Straßeninfrastruktur verbessern, sondern auch später Rückschlüsse darauf zulassen, ob frühere Entscheidungen effizient und zielführend waren und ob in Zukunft gegebenenfalls nachgesteuert werden muss. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Kreislauf, den Erhaltungskreislauf. Einen wesentlichen Punkt in diesem Kreislauf nimmt die Erfolgskontrolle, die Bilanzierung und die Überprüfung - sprich das Controlling ein. Abb. 8: Ablaufdiagramm der systematischen Straßenerhaltung [19] Dem Controlling kommt daher im Asset- und Erhaltungsmanagement eine sehr hohe Bedeutung zu. Durch eine möglichst intelligente Auf bereitung und Analyse der Daten sollte eine Vielzahl von Entscheidungsebenen - und nicht nur und ausschließlich die betriebswirtschaftliche Controlling-Ebene einen schnellen Überblick über den Ist-Zustand erhalten. Idealerweise sollte dies auch Prognoseszenarien zur Zustands- und Wertentwicklung beinhalten. Derartige Darstellungsebenen in Form von z. B. intelligenten Dashboards und Animationen, z. B. mit Hilfe von digitalen Zwillingen, fehlen bisher nahezu vollständig. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 39 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur Abb. 9: Schematische Darstellung einer möglichen Visualisierung von Zustandsveränderungen 6. Nächste Schritte und Ausblick Der grundsätzliche Rahmen und die Zielformulierung für den Auf bau eines ganzheitlichen Asset- und Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur von Bundes- und Landesstraßen im LS sind gemäß den vorangegangenen Ausführungen bereits gegeben. In einem nächsten Schritt wird dieses Konzept weiter verfeinert und vervollständigt werden. In der Umsetzung liegt der Fokus zunächst auf der Vervollständigung der Objektregister, z.-B. Verkehrszeichenbrücken, LSW, Stützwände, Radwege, Fahrzeugrückhaltesysteme etc. sowie der Bestimmung von Bewertungskriterien für diese Objekte. Sofern keine übergeordneten Vorgaben bestehen oder diese Interpretationsspielraum lassen, umfasst dieses Arbeitspaket auch die interne Festlegung vollständiger Begriffsdefinitionen. Parallel dazu sind Vorgaben für eine substanzielle und fachlich fundierte monetäre Bewertung der Assets abzustimmen, so dass mittelfristig zumindest eine fiktive Eröffnungsbilanz für alle Assets erfolgen könnte. Der Arbeitsaufwand für die Konsolidierung und teilweise Neukonzeption der IT-Systeme und Datenbanken ist noch nicht wirklich abschätzbar, außer dass er vermutlich sehr umfangreich sein und nicht unerhebliche finanzielle und personelle Ressourcen binden wird. Die Strategie sollte auf jeden Fall darauf abzielen, die Fachsystemlandschaft und damit die Schnittstellen nicht weiter zu vergrößern, sondern möglichst zu reduzieren. Ein System allein wird aber vermutlich nicht alle Fragestellungen abdecken können. Das Arbeitspaket IT mit seiner interdisziplinären Besetzung wird für den LS voraussichtlich die größten Anstrengungen erfordern. 7. Resümee Allen Beteiligten muss immer wieder bewusstwerden, dass wir einen Weg beschreiten, der als Grundvoraussetzung ein hohes Maß an Teamfähigkeit und ein offenes Miteinander, vor allem aber eine sehr interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert. Viele Fragen sind noch zu klären, fachliche, IT-technische, aber auch rechtliche. Wenn die Zusammenarbeit gelingt und die offenen Fragen sukzessive geklärt werden können, ist davon auszugehen, dass die öffentliche Straßeninfrastruktur der Bundes- und Landesstraßen in der Zuständigkeit des LS voraussichtlich innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre mit einem modernen und vor allem ganzheitlichen Asset- und Erhaltungs-management betrieben werden kann. Dies wird erwartungsgemäß nicht nur einen hohen Mehrwert für den LS bringen, sondern vor allem den Nutzern und Finanziers der Infrastruktur, d. h. den Bürgern, dienen. 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Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur werke - Bauwerksart Brücken - Ausgabe 12/ 2020; unveröffentlicht [11] Stuhr, R.: Ansätze zur Bilanzierung des staatlichen Straßeninfrastrukturvermögens - Einstieg in ein ganzheitliches Asset-Management-System, Springer Gabler, Wiesbaden, 2018 [12] Bundesministerium für Verkehr und Digitales (BMDV): Anweisung StraßeninformationsBank (ASB) Segment Kernsystem Version 2.04; Stand 09/ 2018 [13] Landesbetrieb Straßenbau NRW et Al (Hrsg) / fpi fuchs Ingenieure GmbH & Co. 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Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 41 BIM zur Unterstützung eines effizienten Asset Managements der Straßeninfrastruktur Dr.-Ing. Tim Blumenfeld Infrastructure Management Consultants GmbH, Mannheim Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft, Institut für Verkehr und Infrastruktur Univ.-Prof. Dr. sc. techn. ETH Rade Hajdin Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich Dr. sc. ETH Dipl.-Ing. Frank Schiffmann Infrastructure Management Consultants GmbH, Mannheim Prof. Dr.-Ing. Markus König Ruhr-Universität Bochum Zusammenfassung Die Aufgaben eines Asset Managements (AM) können mit der Methode des Building Information Modelling (BIM) maßgeblich unterstützt werden. Der Schwerpunkt der derzeitigen Aktivitäten und Pilotprojekte liegt bisher vorrangig auf dem Planungs- und Bauprozess und weniger auf der Betriebs- und Erhaltungsphase. Im Rahmen von zwei Forschungsprojekten wurde nun der Einsatz von BIM über den gesamten Lebenszyklus von Fahrbahnen und Bauwerken zur Unterstützung des AM untersucht. Herausfordern war hierbei die Berücksichtigung der jeweils landesspezifischen technischen Anforderungen sowie die unterschiedlichen Datenbanksysteme. Zunächst wurden die Architektur und Prozessabläufe der Infrastruktur-Asset-Management-Systeme (IAMS) analysiert, um detaillierte technische Anforderungen für die Verknüpfung von IAMS und BIM festzulegen. Die auf einem Information Container for linked Document Delivery (ICDD)basierende Methode ermöglicht den barrierefreien Austausch unterschiedlicher Ontologien und Semantiken zwischen verschiedenen Beteiligten im AMS-Prozess. Anhand von drei Anwendungsfällen wird aufgezeigt, wie die Methodik in der Erhaltungs- und Betriebsphase der Straßeninfrastruktur angewendet werden kann. 1. Einführung Methoden des Building Information Modeling (BIM) werden bereits erfolgreich in der Praxis zur Planung und Bauausführung von Projekten in Hochbau und Infrastruktur eingesetzt. Für den Straßen- und Brückenbau werden derzeit verschiedene Erweiterungen des Industry Foundation Standard (IFC) entwickelt, um einen effizienten Datenaustausch zu ermöglichen. Der Einsatz von BIM im Betrieb über die Lebensdauer der Straßeninfrastruktur stand bisher noch nicht im Fokus, verspricht aber eine erhebliche Nutzensteigerung vor allem, nicht nur für die Straßenbauverwaltungen. 1.1 Einsatz von BIM in der Planungs- und Bauphase BIM ist ein Instrument zur klaren und eindeutigen Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen am Bauprozess Beteiligten, damit ein Bauwerk gelingt. Der Einsatz von BIM im anschließenden Betrieb von Straßenbauprojekten stand bisher noch nicht im Fokus. Die Nutzung der BIM-Methode über die gesamte Lebensdauer einer Straße lässt eine erhebliche Nutzensteigerung erwarten. Nicht nur für die einzelnen Straßenbauverwaltungen, sondern für alle, die im Laufe des gesamten Lebenszyklus der Straße beteiligt sind: Zustandserfassung und -bewertung (ZEB), Winterdiensteinsätze, Daten zum Materialverhalten sowie zur Planung von Erhaltungsmaßnahmen sind betroffene Anwendungsbereiche. Die verlustfreie digitale Übergabe der jeweils benötigten Informationen bietet für alle Beteiligten einen erheblichen Mehrwert. Im Jahre 2021 wurde seitens des BMDV der „Masterplan BIM Bundesfernstraßen“ [1] veröffentlicht mit dem Ziel die Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens im Bundesfernstraßenbau mit der BIM-Methode voranzutreiben. Zukünftig ist auch der Einsatz von BIM in der Erhaltungsphase von Straßenbauwerken vorgesehen. Dazu soll ab 2025 der Masterplan Digitaler Zwilling Bundesfernstraßen eingeführt werden. Hierzu laufen bereits heute ein BIM-Pilot- und Evaluierungsprogramm sowie die Anlegung von BIM-Testfeldern zur Erprobung von Digitalen Zwillingen. BIM beschäftigt sich bisher hauptsächlich mit der Planungsphase eines Straßenbauwerks. Die Betriebs- und Unterhaltungsphase ist jedoch mit Abstand die längste Phase eines Bauwerks, sodass damit bei Straßenbauwerken die größten Kosten und bei Brü- 42 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM zur Unterstützung eines effizienten Asset Managements der Straßeninfrastruktur ckenbauwerken etwa 70-% der Neubaukosten verbunden sind. Daher sollte der Fokus der vorliegenden Studie auf BIM im gesamten Lebenszyklus der Straßeninfrastruktur gelegt werden. BIM kann dabei helfen, die für die Erhaltungs- und Betriebsphase benötigten Informationen zur Verfügung zu stellen, indem die Verfügbarkeit und Auswertbarkeit der Daten verbessert und damit eine Effizienzsteigerung im Asset Management ermöglicht werden kann [2]. 1.2 Asset Management Asset Management (AM) steht für die systematische und koordinierte Planung, Verwaltung und Erhaltung von Assets, d.-h. der materiellen und immateriellen Werte einer Organisation, mit dem Ziel der Wertschöpfung. In Bezug auf Verkehrsanlagen ist der zentrale Gegenstand des AM der Infrastrukturbetreiber mit seinen Prozessen und Abläufen zur Verwaltung der Straßeninfrastruktur über den Lebenszyklus. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Straßenbauverwaltungen die Einführung eines strategisches AM vorangetrieben, um langfristige Infrastrukturziele festzulegen und die Investitionsplanung zu unterstützen. Für ein Infrastruktur-AM-System (IAMS) werden zuverlässige Daten benötigt, um u.-a. Informationen über den aktuellen Zustand der Verkehrsinfrastruktur zu erhalten und darauf auf bauend ihren zukünftigen Zustand zu prognostizieren. Diese Daten dienen dann als Grundlage für den Entscheidungsprozess über Zeitpunkt, Umfang und Kosten von Maßnahmen im Asset Management für Verkehrsanlagen. 1.3 Datenhaltung im Bauprozess In den DACH-Ländern kommen unterschiedliche Projektplattformen bzw. virtuelle Projekträume in der Bauphase als Datenablage zur Anwendung. Diese Projektplattformen/ Projekträume stellen die zentrale Datenquelle für alle projekt-spezifischen Unterlagen im Zuge der Errichtung während des Bauprozesses dar. Einige Projektplattformen verfügen bereits über integrierte Viewer zur Darstellung von IFC oder BIM-Modellen in proprietären Dateiformaten (u. a. DWG, RVT). Die Wahl der Datenhaltungssysteme erfolgt hauptsächlich länder- und projektspezifisch (in Deutschland derzeit u. a. aufgrund des föderalen Systems). Daten werden bisher größtenteils als „Dokumente“ in Form von Plänen, Berichten, Listen, Prüfprotokollen, etc. im Zuge des Bauprozesses generiert und abgelegt. Ein Datenaustausch erfolgt über verschiedene Server oder Cloud-Systeme sowie häufig auch noch in physischer Form als CDs und Pläne. Eine strukturierte Ablage und somit Weiterverarbeitung der in diesen Dokumenten enthaltenen Daten ist bisher nicht Standard und erschwert wesentlich eine Übergabe von Daten aus dem Bauprozess in den Betrieb und die Erhaltung. Zudem liegen gerade zum letzten Punkt keine strukturierten Anforderungen vor [3]. 1.4 Datenhaltung im Asset Management Zu Beginn der 1990er Jahren haben die Infrastrukturbetreiber ihre eigenen Datenbanken zur Verwaltung des Straßeninventars aufgebaut. Diese Datenbanken enthalten u.a. Inventar-, Zustands-, Auf bau- und Verkehrsdaten sowie Daten zu durchgeführten Erhaltungsmaßnahmen, die wiederum bspw. zu einer Aktualisierung der Aufbaudaten führen. Dazu kamen analytische Informatikwerkzeuge, die für die mittelbis langfristige Ermittlung des Erhaltungs- und Finanzbedarfs und schließlich zur Vorbereitung der Entscheidungsfindung verwendet werden. Die Struktur dieser Daten bzw. Datenbanken variiert zwischen den Infrastrukturbetreibern zum Teil stark, d.- h. sowohl die Semantik als auch die Ontologie sind unterschiedlich. Gleichwohl enthalten die bestehenden Datenbanken der Infrastrukturbetreiber mittlerweile eine sehr wertvolle Datengrundlage und deren Einsatz innerhalb des Asset Managements hat sich bewährt. Es ist daher nicht absehbar, dass in Zukunft eine Harmonisierung dieser Systeme erfolgen wird. Dies bedeutet wiederum, dass die Weiterentwicklung von Methoden zur Verbesserung des Datenaustausches zwischen den bestehenden Datenbanken und BIM an die Anforderungen der vorhandenen Datenbanken anknüpfen muss. 1.5 Problemstellung und Ziele In den DACH-Ländern werden schon länger Anstrengungen unternommen, die BIM-Methode im Straßenbau einzusetzen [4], [5]. Jedoch zeigte sich im Bereich der Straßeninfrastruktur, dass das nachträgliche Zusammenführen von vorher in unterschiedlichen Lebensphasen getrennt voneinander erarbeiteter Straßeninfrastrukturdaten oftmals fehleranfällig ist. Bisher vorliegende Lösungsansätze finden sich derzeit sehr häufig in Form von BIM-Pilotprojekten. Diese decken nur Teilaspekte über die Lebensdauer ab und beziehen sich vornehmlich auf die Projektierung sowie Planung und Abwicklung von Baumaßnahmen im Sinne einer “digitalen Baustelle”. Eine generelle Beschreibung von Prozessen, Datenstrukturen und -flüssen in Straßenbauverwaltungen existiert bisher noch nicht in einer für die Anwendung der BIM-Methode umfassenden und nutzbaren Form. Dabei fehlen insbesondere einheitliche Vorgaben zum Datenaustausch zwischen den an Projektierung und Bau sowie Betrieb, Überwachung und Erhaltungsplanung beteiligten Partnern. Bisher wurden im Asset Management die baustofftechnologischen Daten aus dem Bauprozess nur begrenzt in den Fokus gerückt und der Frage nicht nachgegangen, welche Daten für Betrieb, Überwachung und Erhaltungsplanung erforderlich sind. Eine Reihe dieser Daten sind jedoch für die Erhaltungsplanung und den Straßenbetrieb nicht nur hilfreich, sondern als Kernelement des Asset Managements unabdingbar. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass nach Fertigstellung eines Straßenbauwerks durch die umfassende Dokumentation des ausgeführten Werkes und der vorhandenen Abnahmeprüfungen eine sehr detaillierte Datenbasis vorliegt, welche über die Lebensdauer derzeit nur in begrenztem Maß oder auch gar nicht genutzt wird. Durch eine oftmals fehlende datenbanktechnische Aufarbeitung dieser Datenbasis und der aktuell nicht vorhandenen Verknüpfung mit jener des Asset Management Sys- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 43 BIM zur Unterstützung eines effizienten Asset Managements der Straßeninfrastruktur tems (AMS) können die entsprechenden Informationen nur mit unverhältnismäßig großem manuellem Aufwand digital zur Verfügung gestellt werden. Ziel der vorliegenden Studie war es, ein in sich geschlossenes Konzept zu entwickeln, wie baustofftechnische Daten und betriebsablaufspezifische Informationen in ein BIM für Straßen integriert und miteinander verknüpft werden können. Folgende Schwerpunkte wurden bei der Bearbeitung gesetzt: • Analyse, welche Auswahl von baustofftechnischen Daten aus dem Bauprozess erforderlich ist, um diese in den nachfolgenden Prozessen im Lebenszyklus der Straße weiterzuverwenden. • Auf Grund der Vielzahl der verfügbaren Daten musste daher eine Selektion stattfinden. Es sollen dabei sowohl die erforderlichen Informationen mit Relevanz für die Planung und Ausschreibung von nachfolgenden Maßnahmen der baulichen Erhaltung als auch die zum Betrieb der Straße erforderlichen Informationen identifiziert werden. • Die Ergebnisse sollten einen bedeutenden Teilaspekt zum Ausbau eines umfassenden BIM für Straßenbauwerke bilden. Die entwickelte Methodik zur Zielerreichung wird im folgenden Kapitel beschrieben. 2. Methodik 2.1 Prozessanalyse Ziel der Prozessanalyse war es zunächst den Datenfluss innerhalb des Lebenszyklus eines Straßenbauwerks zu analysieren. Abb. 1 zeigt hierzu die Lebensphasen eines Straßenbauwerks sowie die Asset Management Datenbank (AM-DB), welche das vorhandene Inventar umfasst. Das analytische Werkzeug basiert auf der AM-DB und kann die Daten aller Infrastrukturobjekte, des Inventars, mit einem Algorithmus verarbeiten und schlägt Maßnahmen für die Infrastrukturobjekte vor. Abb. 1: Prozesskreislauf eines Infrastrukturbauwerks mit Zeitpunkten des Datenaustauschs zwischen Asset Manager und weiteren Prozessbeteiligten innerhalb des Lebenszyklus Die im Rahmen der Zustandserfassung und -bewertung von Straßen (ZEB) erfassten Schäden bzw. Bewertungen werden in der Datenbank gespeichert und dienen dem analytischen Werkzeug zur Simulation der Zustandsentwicklung der Infrastrukturobjekte. Anhand dieser Simulation werden Maßnahmen vorgeschlagen, wie z.-B. eine detaillierte Untersuchung oder die Vorbereitung und Ausführung einer Baumaßnahme. Die Details, wie dies bei Straßenoberbauten erfolgt, werden hier nicht erörtert, sondern es sei an dieser Stelle lediglich auf die Fachliteratur verwiesen (vgl. [6]). 2.2 Definition von Anwendungsfällen und Informationsanforderungen Auf bauend auf den Ergebnissen der Prozessanalyse wurden schließlich drei Anwendungsfälle definiert und analysiert, welche Informationen bzw. welche Daten für die gewählten Anwendungsfälle relevant sind. Je nach Anwendungsfall unterscheidet sich die Qualität der benötigten Informationen. Die damit verbundenen Informationsanforderungen müssen seitens des Bauherrn in Hinblick auf Form, Format und Verfügbarkeit definiert werden. Update 0 - Neubau Im Falle eines Neubaus und der anschließenden Inbetriebnahme (Punkt 0 in Abb. 1) ist das Bauunternehmen dazu verpflichtet die Daten und Pläne des ausgeführten Infrastrukturobjektes an den Infrastrukturbetreiber zu liefern. Diese Informationen können bisher in der Regel jedoch nicht in eine Datenbank automatisch importiert werden. Die Daten des fertigen Infrastrukturobjektes werden entweder von einem externen oder internen Team anhand der Pläne manuell erfasst. Dies hat gewisse Vorteile, da dadurch eine Qualitätskontrolle durchgeführt wird. Es handelt sich dabei jedoch um eine aufwendige 44 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM zur Unterstützung eines effizienten Asset Managements der Straßeninfrastruktur und an sich nicht notwendige Aktivität. Dennoch muss festgehalten werden, dass die Ersterfassung, obwohl aufwendig, in der Regel in einer guten Qualität durchgeführt wird. Dies bedeutet, dass die Inventardaten zu einem Infrastrukturobjekt in der Regel in einer AM-DB vorhanden sind. Mit dem zunehmenden Einsatz von BIM in der Bauphase der Verkehrsinfrastruktur werden zukünftig zunehmend alle notwendigen Daten eines Bauwerks bereits digital zur Verfügung stehen, obgleich eine direkte Erfassung der Daten damit noch nicht möglich ist, da die Datenstruktur in BIM nicht jener der Asset-Managementsysteme entspricht. Dieser Anwendungsfall wird im vorliegenden Beitrag nicht im Detail betrachtet. Update 1 - Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) Der Zustand der Straßenbefestigung unterliegt einer ständigen Beanspruchung durch Verkehr und Klima und ist damit eine zeitlich veränderliche Kenngröße. Aus diesem Grund werden in den D-A-CH-Ländern regelmäßig und standardisiert netzweite Messkampagnen zur Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) der Fahrbahnoberfläche durchgeführt (vgl. [7], [8], [9]), um einen aktuellen Überblick zum Netzzustand zu erhalten. Diese Daten werden bereits heute in den Straßendatenbanken bzw. der Asset Management Datenbasis (AM- Datenbasis) historisiert abgelegt (vgl. [10], [11], [12]) und dienen neben weiteren Daten, u. a. zum Auf bau, der vorhandenen (Schwer-) Verkehrsbelastung oder Klima, bei Analysen zur Modellbildung der Zustandsentwicklung. Der Datenaustausch zwischen ZEB und AM-Datenbasis (Punkt 1 in Abb. 1) über eine IFC-Schnittstelle stellt hierbei eine standardisierte Datenstruktur für die Zustandsdaten im Rahmen einer separaten virtuellen Schicht sicher und ermöglicht bei Bedarf eine Anreicherung des BIM-Modells in Form eines digitalen geometrischen Geländemodells der Fahrbahnoberfläche. Das Bestandsmodell selbst wird somit nicht verändert. Zusätzlich wird es möglich, weitere relevante Zustandsinformationen des Straßenoberbaus, z.- B. Tragfähigkeitsmessungen oder Bohrkern-untersuchungen für die Bewertung der Straßenbefestigung, über die IFC-Schnittstelle auszutauschen. Mit den aktualisierten Zustandsdaten in Verbindung mit einem Prognosemodell lassen sich dann Aussagen über die aktuelle und zukünftige Erhaltungsbedürftigkeit im Straßennetz treffen. Im Rahmen der Zustandserfassung wird eine große Menge von Rohdaten erhoben, aus denen Ergebnisdaten im Rahmen eines Auswerteprozesses hergeleitet werden. Im vorliegenden Fall werden jedoch lediglich die abschnittsbezogenen Ergebnisdaten in die AM-Datenbasis übernommen, welche zur weiteren Verarbeitung benötigt werden. Update 1a - Detaillierte Untersuchung Im Rahmen der Maßnahmenvorbereitung können tiefgreifende Untersuchungen erforderlich werden, wie z. B. eine Bohrkernuntersuchung. Hierbei werden die Daten manuell, und zwar in einem reduzierten Umfang, in der AM-DB erfasst. Diese Aktualisierung erfolgt im Punkt 1a in Abb. 1. In der Regel ist hierfür keine geeignete Datenstruktur in AM-DB vorhanden, so dass nur ein PDF-Bericht in der Datenbank abgelegt wird. Dies bedeutet, dass die gewonnen Erkenntnisse aus den tiefgreifenden Untersuchungen im analytischen Werkzeug nicht oder nur marginal berücksichtigt werden. Update 2 - Erhaltungsplanung Der Prozessschritt der Erhaltungsplanung erfordert u. a. Inputdaten zum Befestigungsauf bau, zu den baustofftechnologischen Daten, zum Zustand und zu weiteren planungsrelevanten Kenngrößen. Das Ergebnis einer netzweiten Erhaltungsplanung stellt die Finanzbedarfsprognose sowie die Identifikation- und Priorisierung von maßnahmenbedürftigen Abschnitten dar. Dies erzeugt vordergründig keine Änderung des Bestandsmodells. Allerdings zeigen die Anforderungen aus der Praxis, dass es notwendig ist, auch hier einen netzweiten Überblick zum anstehenden Erhaltungsprogramm, welches aus maßnahmenbedürftigen Abschnitten besteht, zu generieren (Punkt 2 in Abb. 1). Die notwendigen Informationen umfassen die Angaben zum betroffenen Abschnitt, zum geplanten Maßnahmenjahr sowie zum vorab zugeordneten Maßnahmentyp. Ein Maßnahmentyp umfasst verschiedene Erhaltungsmaßnahmen mit ähnlichem Umfang bzw. ähnlichen Auswirkungen in Bezug auf Zustand und Kosten. Update 3 - Aktualisierung des As-built-Modells Im Rahmen der objektbezogenen Projektierung und Bauausführung wird die Baumaßnahme konkretisiert und dann umgesetzt (Punkt 3 in Abb. 1). Dabei kann sich unter Umständen der durch die Erhaltungsplanung vordefinierte Maßnahmentyp nochmals ändern. Durch eine Baumaßnahme wird die Straßenbefestigung z. B. durch den Ersatz einer oder mehrerer gebundener Schichten bzw. aller gebundenen und ungebundenen Schichten gesamthaft erneuert. Damit ändert sich das initiale as-built-Modell und mit dem Update III werden die relevanten Änderungen in das Modell mit übernommen. Neben den geometrischen Änderungen werden auch die neuen baustofftechnischen Daten mit übernommen. 2.3 Informationscontainer nach ISO 21597 Die Verknüpfung und Überführung unterschiedlicher Datenquellen, Datenmodelle oder -formate ist eine bekannte Herausforderung, die nicht allgemeingültig gelöst werden kann. Der Einsatz der Semantic Web Technology (SWT) bietet die Möglichkeit, Daten aus unterschiedlichen Datenquellen miteinander zu verknüpfen. Um domänenspezifische, semantische Information zu beschreiben, in diesem Fall konkret aus dem Umfeld der Straßeninfrastruktur und dem Asset Management, können entsprechende auf Resource Description Framework (RDF) und Web Ontology Language (OWL) basierende Ontologien entwickelt werden. Der Information Container for linked Document Delivery (ICDD) nach ISO 21597-1 bietet eine Umgebung für die Erfassung und Verlinkung von Daten aus unterschiedlichen Formaten. In diesem Information Container können dateibasier- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 45 BIM zur Unterstützung eines effizienten Asset Managements der Straßeninfrastruktur te Dokumente, z. B. IFC-Modell, Excel-Tabelle, Fotos etc., und die Ontologie miteinander verknüpft werden. Der Austausch von komplexen Daten zwischen den Beteiligten wird somit mittels ICDD erleichtert (vgl. Abb. 2). Abb. 2: Datenaustausch zwischen Asset Manager und internen/ externen Fachanwendern mit Hilfe von ICDD Ein wesentlicher Vorteil ist dabei die vereinfachte Erweiterung von semantischen Informationen zum Bauwerk mittels einer Ontologie. Die bisher veröffentlichten Ontologien für Infrastrukturelemente, z. B. European Road Object Type Library (OTL) [13] [14], können hierfür verwendet bzw. nach den individuellen Anforderungen erweitert werden. Je nach Bedürfnis kann der Nutzer auch eigene Ontologien erstellen. Beispielsweise können die baustofftechnischen Merkmale als Ontologie definiert werden. Die dazu gehörenden Daten können als Instanzen der Ontologie mittels ICDD erfasst und mit IFC-Element verknüpft werden. Die zu erfassenden Daten sowie die betreffenden Ontologien innerhalb eines Information Containers sind gemäß dem definierten Anwendungsfall festzulegen. Bestimmte Informationen können mit dem SPARQL Protocol und der RDF Query Language (SPARQL) abgefragt werden. 3. Entwicklung eines IT-Prototyps (ICDD-Plattform) Die Praxisanwendbarkeit der entwickelten Methodik sollte anhand von Anwendungsbeispielen erprobt werden. Dazu wurde ein IT-Prototyp [15] entwickelt und die definierten Anwendungsfälle implementiert. 3.1 Systemarchitektur Die Systemarchitektur des Prototyps zur Realisierung der ICDD-Funktionen lässt sich in drei Komponenten gliedern (vgl. Abb. 3). In der Komponente “Daten“ werden die erstellten Informationscontainer in der vorgesehenen Lagerung zur weiteren Verwendung gespeichert. In der Komponente “Arbeit & Datenzugriffslogik“ sind die relevanten Prozessoren für die Funktionen zum Bearbeiten der ICDD bereitgestellt. Außerdem wird der Datenfluss von der Komponente “Daten“ zur Komponente “Präsentation“ für den Benutzer gesteuert. Der Container-Prozessor ermöglicht das Erstellen, Bearbeiten und Löschen des Container-Inhalts. Andere mit dem Container-Prozessor verbundenen Prozessoren rufen containerbezogene Daten ab oder senden diese. Der IFC-Prozessor verarbeitet IFCbasierte Modelle, die in der Benutzeroberfläche des Prototyps als Geometrie und Information mit der räumlichen Hierarchie des IFC-Modells angezeigt werden. Darüber hinaus können IFC-Modelle innerhalb der Plattform mit Hilfe des IFCtoLBD-Konverters in RDF-basierte Datensätze überführt werden. Abb. 3: Systemarchitektur der entwickelten ICDD- Plattform Die SPARQL- und SHACL-Prozessoren sorgen dafür, dass Containerdaten anhand einer erstellten Abfrage gefiltert werden und auf die definierten Bedingungen geprüft werden. Der R2RML-Prozessor realisiert den Datenexport aus der externen Datenbank in den ICDD mit vordefinierten Mapping-Regeln. Die erzeugten RDF- Tripel und Links werden im Container gespeichert. Unter der Komponente “Präsentation“ bietet die Benutzeroberfläche eine Schnittstelle zur Darstellung und Interaktion mit allen bereitgestellten Funktionen in der Komponente „Arbeit & Datenzugriffslogik“. Zusätzlich können Abfragen zu ausgewählten IFC-Objekten im Container ohne große SPARQL-Kenntnisse über den IFC-Viewer erstellt werden. 3.2 Funktionen des IT-Prototyps Über die webbasierte ICDD-Plattform können Informationscontainer mit bestehenden Asset Management Datenbanken verbunden werden. Die Daten aus der Datenbank werden in die Semantic Web Sprache umgeschrieben und in die Informationscontainer importiert, wodurch die Verknüpfung mit dem BIM-Modell ermöglicht wird. Umgekehrt können Daten aus dem BIM-Modell ebenfalls in die Semantic Web Sprache transformiert werden. Mittels SPARQL-Abfrage können so Daten des BIM-Modells nach vordefinierten Informationsanforderung gefiltert oder zusammengefasst werden. Die ausgewählten Daten können dann in die ursprüngliche Datenbank zurückgespielt werden. 4. Anwendungsbeispiele Für die Konzeptbestätigung wurde die entwickelte Methodik und das Datenmodell prototypisch implementiert und mit Hilfe der definierten Anwendungsfälle (vgl. Abschnitt 2.2) am Beispiel eines Straßenabschnittes erprobt. Dazu wurde zum einen das Einspielen und Visualisieren von Ergebnissen der ZEB in das Modell umgesetzt (vgl. Abschnitt 3.2). Zum anderen wurden die in den Daten- 46 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM zur Unterstützung eines effizienten Asset Managements der Straßeninfrastruktur banken vorhandenen Auf baudaten und die aus dem Bauprozess generierten baustofftechnischen Daten in das Modell integriert (vgl. Abschnitte 3.3 und 3.4). Die softwaretechnische Umsetzung beinhaltete die Verknüpfung von Daten inklusive der notwendigen Schnittstellen zwischen einer Autorensoftware (z. B. AutoCAD Civil 3D) und einem eingesetzten Asset Management Systemen (z. B. BISSTRA, dTIMS, TRA) sowie die Visualisierung von Informationen mittels eines IFC-Viewers. 4.1 IFC-Bauwerksmodell Das Bauwerksmodell wurde mit Hilfe einer Autorensoftware erstellt (vgl. Abb. 4). Hierbei erfolgte die Abbildung der Straßenschichten entlang der tatsächlichen Straßenachse (Gerade, Übergangsbogen, Bogen). Des Weiterhin wurden die im Modell zu beinhaltenden Informationen und baustofftechnischen Daten mit den Modellelementen (Straßenschichten) verknüpft und anhand von Merkmalen und Merkmalsgruppen strukturiert. Abb. 4: IFC-Bauwerksmodell eines zweistreifigen Straßenabschnittes 4.2 Update 1 --Zustandserfassung und -bewertung Das Update I wird für den Austausch der erfassten Zustandsdaten genutzt. Der Informationscontainer enthält das relevante Inventar des zu erhebenden Straßennetzes - im Anwendungsbeispiel der definierte Straßenabschnitt. Der Zustandserfasser überträgt die gemessenen und auf das Inventar voraggregierten Zustandsdaten in den Informationscontainer. Bei der Aggregierung durch den Zustandserfasser werden die georeferenzierten Messdaten auf die vorher definierten Auswerteabschnitte projiziert und anschließend für die Berechnung der aggregierten Zustandsdaten der Auswerteabschnitte genutzt. Diese Daten werden vor einer Übertragung in die AMS- Datenbank geprüft und validiert. Abb. 5 zeigt die Visualisierung der Ergebnisse einer Zustandserfassung und -bewertung innerhalb des Prototyps. Abb. 5: Darstellung von Ergebnissen der ZEB eines Straßenabschnittes im Prototyp 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 47 BIM zur Unterstützung eines effizienten Asset Managements der Straßeninfrastruktur 4.3 Update II - Planung von Erhaltungsmaßnahmen Mit dem Update II werden die Ergebnisse der Erhaltungsplanung in den Container übernommen. Damit liegt ein Maßnahmenprogramm vor, aus dem für ein Netz oder ein Teilnetz die geplanten Maßnahmen nach Lage, Maßnahmenart, Maßnahmenkosten und voraussichtlicher Zeitpunkt der Maßnahmendurchführung hervorgeht. Damit sind folgende Abfragen denkbar: • Übersicht über das geplante Maßnahmenprogramm für das Gesamtnetz über einen längeren Planungszeitraum • Übersicht über das geplante Maßnahmenprogramm im Gesamtnetz für ein spezifisches Planungsjahr • Übersicht über ein Maßnahmenprogramm in relevanten Korridorbetrachtungen Relevante Informationen sind die räumliche Lage und der Zeitraum der Maßnahmen, um beispielsweise Verfügbarkeitsbetrachtungen im Netz machen zu können und die tatsächliche Durchführung der Maßnahmen besser koordinieren zu können. Koordinierungspotential ergibt sich zum einen aus verkehrstechnischen Gesichtspunkten und verkehrstechnisch optimierten Streckensperrungen. Zum anderen werden Maßnahmen an der Fahrbahn im optimalen Fall mit den Maßnahmen an anderen Anlagenteilen, beispielsweise Sanierung von Bauwerken oder Entwässerungseinrichtungen etc. koordiniert. Diese Koordinationsaufgaben werden i.d.R. für unterschiedliche Zeitpunkte von Jahresprogrammen bis hin zu längerfristigen Zeitraumen erbracht, was eine entsprechend zeitlich ausgerichtete Informationsgrundlage erfordert. Abb. 6 zeigt einen Straßenabschnitt mit einer geplanten Erhaltungsmaßnahme innerhalb des Prototyps. Abb. 6: Darstellung eines Straßenabschnittes mit geplanter Erhaltungsmaßnahme im Prototyp 4.4 Update III - Aktualisierung des As-built- Modells Nach der Fertigstellung einer Erhaltungsmaßnahme erhält das ausführende Bauunternehmen einen Anforderungscontainer mit einem Datenauszug des behandelten Straßenabschnittes aus der AM-DB inklusive dessen Geometrie mit dem Stand vor der Maßnahme. Das Bauunternehmen editiert diesen Container wie folgt: • Instandgesetzte Schichten erhalten entsprechende Attribute (Maßnahmenart, Kosten, usw.). Die Geometrie bleibt in der Regel unverändert. • zurückgebaute Schichten werden historisiert, d.-h. sie erhalten ein Datum mit welchen ihre Gültigkeit beendet wird. Ihre Geometrie wird nicht mehr sichtbar sein. • Neu eingebaute Schichten werden, wie ein Neubau behandelt, d.-h. diese werden gemäß der Ontologie erfasst und mit der Geometrie (IFC-Modell) verknüpft. Der Gültigkeitsbeginn dieser Schichten wird auf das Abnahmedatum gesetzt. Abb. 7 zeigt einen Straßenabschnitt innerhalb des Prototyps mit den Gesteinseigenschaften der Asphaltdeckschicht, die im Rahmen einer Erstprüfung ermittelt wurden. Abb. 7: Darstellung von ermittelten Gesteinseigenschaften im Rahmen einer Erstprüfung im Prototyp Der für den Datenaustausch verwendete Container umfasst sowohl das IFC-Modell des ursprünglichen Bestands als auch die neu eingebauten Belagsschichten. Der Belag wurde in mehreren Einbauabschnitten eingebaut, die separat in einer Autorensoftware modelliert sind. Die Deckschicht eines Einbauabschnitts ist im Viewer hervorgehoben. Die Eigenschaften dieser Deckschicht., d.-h. die Ortung durch lineare Referenzierung sowie die Gesteinserstprüfung sind in der mittleren Spalte ersichtlich. Nach dem Einbau dieser Deckschicht wurde auch ein Bohrkern entnommen und im Rahmen der Abnahme untersucht. Der Bohrkern befindet sich als IFC-Modell samt den entsprechenden Prüfergebnissen im Container. Die Verknüpfung des Bohrkerns zu den betroffenen Schichten des Einbauabschnitts sowie zum Prüf bericht ist aus der mittleren Spalte in Abb. 8 zu entnehmen. 48 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM zur Unterstützung eines effizienten Asset Managements der Straßeninfrastruktur Abb. 8: Darstellung von Materialeigenschaften eines Bohrkerns im Prototyp Abb. 9: Aktualisierung der baustofftechnischen Daten in der AM-Datenbank Der Import der Daten des Containers in die AM-DB erfolgt mit Hilfe von SPARQL, wobei die Ontologie des Containers entweder direkt mit den Datenbanktabellen bzw. Attributen verknüpft ist oder hierfür eine Middleware zur Überführung der Containerdaten in die AM-DB genutzt wird. Abbildung 9 zeigt die aktualisierten baustofftechnischen Daten der untersuchten Bohrkerne in der AM-DB. 5. Schlussbetrachtung Die Aufgaben eines Asset Managements können mit der Methode des Building Information Modelling (BIM) maßgeblich unterstützt werden, wie es auch mit dem Master-Plan Bundesfernstraßen verfolgt wird. Building Information Modeling (BIM) stellt einen aktuell notwendigen Innovationsprozess im Lebenszyklus von Infrastrukturen dar. Dabei fällt auf, dass der Schwerpunkt der derzeitigen Aktivitäten und Pilotprojekte mehr auf den Bauprozess und weniger auf den Betriebs- und Erhaltungsprozess gelegt wird. Insofern wurde die Erhaltungsphase in zwei Forschungsprojekten [16], [17] untersucht. Dabei wurde der Lebenszyklus der Straßeninfrastruktur detailliert betrachtet. Die Herausforderungen waren die Berücksichtigung der jeweils landesspezifischen technischen Anforderungen sowie die unterschiedlichen Datenbanksysteme. Die entwickelten und erprobten Lösungsansätze gehen davon aus, dass ein ausreichendes wie-gebaut-Modell aus der Bauphase in die Betriebs- und Erhaltungsphase übergeben werden kann. Um ein solches Modell aufzustellen, mussten daher zunächst die Architektur und Prozessabläufe der nationalen Infrastruktur-Asset-Management-Systeme (IAMS) analysiert werden, um detaillierte technische Anforderungen für die Verknüpfung von IAMS und Building Information Models (BIMs) als Infrastruktur-Asset-Datenbanken festzulegen. Die Herausforderung dabei war, eine Vorgehensweise zu entwickeln, in der unterschiedliche Ontologien und Semantiken barrierefrei zwischen verschiedenen Beteiligten im AMS-Prozess übergeben werden können. Dazu wurden die Prozesse und Datenaustauschpunkte beschrieben und die Informationsbedarfstiefe bis hin zu Merkmalsgruppen und Merkmalen definiert, damit die Daten und Informationen für die ingenieurtechnischen Aufgaben vorliegen. Die auf einem Information 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 49 BIM zur Unterstützung eines effizienten Asset Managements der Straßeninfrastruktur Container for linked Document Delivery (ICDD)-basierende Methode ermöglicht den barrierefreien Austausch unterschiedlicher Ontologien und Semantiken zwischen verschiedenen Beteiligten im AMS-Prozess. In diesem Beitrag wurde anhand von drei Anwendungsfällen aufgezeigt, wie die Methodik in der Erhaltungs- und Betriebsphase der Straßeninfrastruktur angewendet werden kann. Literatur [1] BMDV (2021). Masterplan BIM für Bundesbauten. Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Berlin. [2] Hajdin (2022). Wie viel BIM braucht das Erhaltungsmanagement von Straßen? Kongressband zum Deutschen Straßen- und Verkehrskongress 2022. FGSV Verlag. Dortmund. [3] Hajdin, Stöckner & König (in Vorbereitung). Einsatz von BIM zur Unterstützung des Asset Managements von Verkehrsinfrastrukturanlagen. Straße und Autobahn. Kirschbaum Verlag. Bonn. [4] König et. al. (2019a). InfraBIM - Wissenschaftliche Begleitung der BMVI Pilotprojekte zur Anwendung von BIM im Infrastrukturbau, BMVI, Berlin. [5] König et. al. (2019b). BIM4ROAD - Building Information Modeling (BIM) im Straßenbau unter besonderer Berücksichtigung der Erhaltungsplanung, BASt, Bergisch Gladbach. [6] Ullerich, C., Wenner, M., & Herbrand, M. (2021). smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines. In J. Krieger (Hrsg.), 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur (S. 237-243). Esslingen: TAE. [7] FGSV (2006). Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Zustandserfassung und -bewertung von Straßen (ZTV ZEB-StB). Ausgabe 2006, Best.-Nr. 998, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV-Verlag, Köln. [8] FSV (2006). RVS 13.01.15: Beurteilungskriterien für messtechnische Zustandserfassung mit dem System RoadSTAR. Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau, Österreichische Forschungsgesellschaft Straße Schiene Verkehr, Wien. [9] VSS- 40925 (2018). Erhaltungsmanagement der Fahrbahnen (EMF); Zustandserhebung und Indexbewertung, Schweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS), Zürich. [10] OKSTRA (2021). Objektkatalog für das Straßen- und Verkehrswesen, www.okstra.de [11] ASFINAG (2016). IMT Datenbankstruktur -- Generelle Vorgaben und Grundlagen, IT-Dokumentation, Wien. [12] Bundesamt für Strassen (2016). MISTRA Trassee - TRA, Datenerfassungshandbuch, IT-Dokumentation, Ittigen. [13] The European Road OTL Ontology: online < https: / / www.roadotl.eu/ static/ eurotl-ontologies/ eurotl_doc/ index-en.html >, abgerufen im Apr. 2023 [14] Luiten, Böhms, Alsem, Keeffe (2018). Asset information management for European roads using linked data, Proceedings of 7th Transport Research Arena (TRA) 2018, Wien. [15] Hagedorn, Liu, König, Hajdin, Blumenfeld, Stöckner, Billmaier, Großauer & Gavin (2022). BIMenabled Infrastructure Asset Management using Information Containers and Semantic Web. Journal of Computing in Civil Engineering. American Society of Civil Engineers (ASCE). [16] Stöckner, Brow, Zwernemann, Hajdin, Schiffmann, Blumenfeld, König, Liu & Gavin (2022). Exchange and exploitation of data from Asset Management Systems using vendor free format. Final Report. CEDR Transnational Road Research Programme. [17] Hajdin, Blumenfeld, Elvarsson, Großauer, König, Liu, Pintar, Schiffmann, Stöckner & Stöckner (2022). BIM-Erweiterung durch Implementierung der Nutzung baustofftechnischer Daten von Straßen und Brücken im AMS (BIM4AMS). D-A-CH-Call 2019, Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), Wien, Österreich. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 51 Die technische Realisierung echtzeitbasierter Mess- und Auswerteprozesse von Klima- und Verkehrsbelastungsdaten kommunaler Straßeninfrastruktur Dipl.-Inf. Uwe Reinhardt Technische Universität Dresden Marko Tesic Stadt Münster, Amt für Mobilität und Tiefbau Zusammenfassung Die Standorte der eingebauten Temperatur- und Weigh-in-Motion-Messstationen innerhalb der Stadt Münster decken ein repräsentatives Spektrum der verschiedenen innerstädtischen Ausprägungen der maßgeblichen Einflussgrößen auf den Straßenoberbau, also des Klimas und des Verkehrs, ab. Die gewonnenen Daten und die Methoden der rechnerischen Dimensionierung von Straßen ermöglichen hier eine Prognose der aktuellen Zustände der verschiedenen Schichten des Straßenoberbaus und deren zukünftige Entwicklung. Damit werden Möglichkeiten für nachhaltige und ressourcenschonende Ertüchtigungs- und Erneuerungsstrategien der Straßen geschaffen, die später auch auf die gesamte innerstädtische Straßeninfrastruktur angewendet werden können. 1. Einführung Für die Entwicklung eines echtzeit-basierten Berechnungsprogramms werden möglichst umfassende Datenerhebungen als Grundlage benötigt, die auch den Einbau spezifischer Sensorik in den Fahrbahnauf bau erfordern. Im Rahmen des mFUND Forschungsprojekts DaRkSeit setzt sich diese Sensorik aus Temperatursensoren, die im Asphalt integriert werden, sowie Weigh-in-Motion- Systemen zusammen, mit deren Hilfe verschiedene Verkehrsdaten bestimmt werden können. Mittels der Temperatursensoren wird permanent die Temperatur innerhalb des Asphalts gemessen und daraus der tiefenabhängige Temperaturverlauf ermittelt. Aus den gewonnenen Daten können Rückschlüsse auf den zeitabhängigen thermischen Zustand der gesamten Asphaltkonstruktion gezogen und anschließend in das Berechnungsmodell integriert werden. Durch den Einsatz von Sensoren an verschiedenen Standorten lassen sich darüber hinaus die gewonnenen Erkenntnisse auf das gesamte Stadtgebiet übertragen, unabhängig davon, in welcher urbanen Klima- oder Temperaturzone (z. B. Innenstadtklima, Stadtrandklima, Vorstadtklima) sich eine Straße befindet. Die Weigh-in-Motion-Systeme (WIM) messen im fließenden Verkehr und damit können die Fahrzeugklasse, die geschwindigkeit und die Achslasten der überfahrenden Fahrzeuge bestimmt werden. Eine Auswertung der gewonnenen Daten ermöglicht es, die Ermüdungszustände der Asphalt-schichten, die Verkehrsmenge und die -zusammen-setzung einer Straße zu berechnen und deren zukünftige Verläufe zu prognostizieren. 2. Standorte der Messstationen Es wurden insgesamt fünf Messstandorte innerhalb des Stadtgebiets bestimmt, um eine umfassende Datenerhebung zu gewährleisten [Abb. 1]. Die Auswahl der Standorte basiert auf einer Kombination aus Verkehrsbelastung und Klimatope innerhalb der Stadt, um eine repräsentative Abdeckung zu gewährleisten. Ziel war es, verschiedene Charakteristika abzudecken und somit eine umfassende Datengrundlage für die Analyse und die Entwicklung eines Prognoseprogramms zu schaffen. Abb. 1: Positionen der Temperatursensoren innerhalb der Stadt Münster - RFID (rot), LoRaWan (bordeaux) (Quelle: Google Maps) 52 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die technische Realisierung echtzeitbasierter Messu. Auswerteprozesse von Klimau. Verkehrsbelastungsdaten kommunaler Straßeninfrastruktur Einer der ausgewählten Messstandorte für die Datenerhebung ist die Sentruper Straße, die sich im westlichen Teil der Stadt befindet. Die Straße befindet sich in einer Freilandklimazone und ist unmittelbar dem Einfluss von Witterungsbedingungen ausgesetzt. Der Schwerverkehr besteht hauptsächlich aus Landwirtschaftsfahrzeugen. Die gesamte Verkehrs-belastung wird als eher gering eingestuft. Der zweite Messstandort liegt auf dem Kardinal von Galen Ring, einem Teil der B54, wo Vorstadtbzw. Stadtrandklima herrscht und eine hohe Belastung durch PKW sowie innerstädtischem Liefer- und Busverkehr besteht. Der dritte Messstandort befindet sich im Bereich der Altstadt auf dem Bült und ist vom Stadtbzw. Innenstadtklima geprägt. Dort kommt es zu einer sehr starken Belastung durch PKW- und Busverkehr. Der vierte und fünfte Messstandort liegen einige hundert Meter voneinander entfernt, jeweils in einer Fahrtrichtung auf dem Albersloher Weg, wo Gewerbe- und Industrieklima herrscht. Dort ist viel Pendlerverkehr zu verzeichnen und vor allem in stadtauswärtiger Richtung kommt es durch die Abfahrt von der B51 zu einem erhöhten Aufkommen von LKW und Baustellenfahrzeugen. 2.1 Temperatursensoren An den fünf zuvor festgelegten Positionen wurden insgesamt drei verschiedene Typen von Temperatursensoren eingesetzt. Die nachfolgende Tabelle [Tab. 1] gibt Auskunft darüber, welcher Sensor an welchem Standort verbaut wurde und in wie vielen Messtiefen die Temperaturen jeweils erfasst werden. Tab. 1: Art und Messtiefen der Temperatursensoren Standort Art Messtiefen Bült (2x) LoRaWan 6 Sentruper Straße RFID 3 Kardinal von Galen Ring RFID 3 Albersloher Weg (2x) RFID 3 Albersloher Weg (2x) WIM 1 Der Einbau der LoRaWan- und RFID-Sensoren erfolgte durch den Projektpartner Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH und wurde durch die Stadt Münster und dem Hersteller der Sensoren, die Firma infraTest Digital Solutions, begleitet. Bei dem LoRaWan-Sensor handelt es sich um einen künstlichen, intelligenten Bohrkern [Abb. 2]. Seine Konstruktion ermöglicht die Erfassung der vertikalen Temperaturverteilung im Straßenauf bau in sechs verschiedenen Tiefen. Die aller 15 Minuten erfassten Daten werden kabellos über einen Cloud-Dienst zur Verfügung gestellt. Der Bohrkern wird oberflächenbündig in den Asphalt eingesetzt und darauf hin mit einem speziellen Harz vergossen [Abb. 3]. Aufgrund des hohen Verkehrs-aufkommens am Standort Bült wurden die Arbeiten von PTM nachts durchgeführt. Abb. 2: LoRaWan-Sensor „idsCore“ der Firma infraTest (Quelle: infraTest Digital Solutions) Die erfassten Rohdaten werden mit Hilfe der LoRaWan- Funktechnologie und entsprechenden Gateways an die von infraTest zur Verfügung gestellte Plattform idsCloud gesendet. Das LoRaWan-Netzwerk wird in der Stadt Münster durch die Stadtwerke betrieben und in dieses Netzwerk wurden die Sensoren eingebunden Die Rohdaten werden in Messwerte umgewandelt und können jederzeit über die idsCloud angezeigt und für weitere Auswertungen heruntergeladen werden [Abb. 4]. Abb. 3: In das Bohrloch eingesetzter LoRaWan-Sensor (Quelle: Stadt Münster) Die RFID-Sensoren sind batteriebetriebene Temperatursensoren mit integriertem Datenspeicher [Abb. 5]. Die erfassten und gespeicherten Daten werden durch ein spezielles Lesegerät ausgelesen. Die Batterielaufzeit beträgt, in Abhängigkeit von den Umgebungs- und Nutzungsbedingungen, zwei bis drei Jahre. Die kleinen, zylinderförmigen Sensoren haben einen Durchmesser von 30-mm und eine Dicke von 18-mm. An den Messstandorten Sentruper Straße, Kardinal von Galen Ring, Albersloher Weg stadteinwärts und Albersloher Weg stadtauswärts wurden jeweils ein Bohrkern gezogen. In diese Bohrlöcher wurden in Tiefen von 5,5-cm, 10-cm und 14,5-cm die RFID- Sensoren eingesetzt. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 53 Die technische Realisierung echtzeitbasierter Messu. Auswerteprozesse von Klimau. Verkehrsbelastungsdaten kommunaler Straßeninfrastruktur Abb. 4: Screenshot aus der idsCloud-Plattform (Quelle: Stadt Münster) So ist es möglich auch an diesen Standorten den Temperaturverlauf in unterschiedlichen Tiefen abzubilden. Die Sensoren werden alle drei bis vier Monate mit Hilfe eines bestimmten Lesegerätes ausgelesen. Die Rohdaten werden ebenfalls über die idsCloud zur Verfügung gestellt. An den beiden Standorten Albersloher Weg stadteinwärts und Albersloher Weg stadtauswärts sind zudem jeweils ein weiterer Temperatur-Sensor verbaut, die zu den dort installierten WIM-Systemen gehören. Abb. 5: Im Bohrloch eingesetzter RFID-Sensor in einer Tiefe von etwa 10-cm (Quelle: Stadt Münster) 2.2 Achslastwaagen Zusätzlich zu den Temperatursensoren wurden an den Standorten auf dem Albersloher Weg auch Weigh-in-Motion-Systeme installiert [Abb. 6]. Diese Systeme dienen dazu, die Achslasten der darüberfahrenden Fahrzeuge zu bestimmen und somit die tatsächliche Belastung des Verkehrs auf die Straße zu ermitteln. An jedem Standort wurde das System in einer Fahrtrichtung über beide Fahrspuren installiert. Die Wahl dieser Standorte resultierte aus verschiedenen Kriterien, die vom Hersteller, der Firma Kistler Instrumente AG, und der Stadt Münster gestellt wurden. Der Albersloher Weg erwies sich als attraktiv, da in auswärtiger Richtung viel Schwerlastverkehr von der B51 abfährt, um das in der Richtung liegende Gewerbegebiet zu erreichen. Darüber hinaus ist dort der für Münster typische Pendlerverkehr gegeben. Ein Großteil der aus Richtung Südost kommenden Fahrzeuge, die die Innenstadt erreichen möchten, überfährt somit das WIM-System in stadteinwärtiger Richtung. Abb. 6: Positionen der Weigh-in-Motion-Systeme innerhalb der Stadt Münster (Quelle: Google Maps) Vor dem Einbau der WIM-Systeme wurden umfangreiche vorbereitende Arbeiten von der Stadt Münster durchgeführt, denn nach Rückmeldung der Firma Kistler mussten bestimmte Bereiche der Straßenoberfläche erneuert werden, um den Anforderungen des Systems gerecht zu werden. Konkret wurden die Asphaltdeckschicht und die Asphaltbinderschicht in auswärtiger Richtung in diesem Bereich erneuert. Zusätzlich mussten für jedes WIM- System Schaltschränke mit einem 230- V- Spannungsanschluss am Straßenrand aufgestellt werden. In diese Schaltschränke wurden die für das System notwendigen Komponenten installiert. Darüber hinaus musste für jedes System eine Lehrrohranlage vom Straßenrand bis zum Schaltschrank mit einem Durchmesser von min- 54 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die technische Realisierung echtzeitbasierter Messu. Auswerteprozesse von Klimau. Verkehrsbelastungsdaten kommunaler Straßeninfrastruktur destens 10-cm eingerichtet werden. Das System besteht pro Spur aus zwei Induktionsschleifen und zwei Lineas WIM-Sensoren, die in den Asphalt eingebettet sind, sowie einem Temperatursensor, der oberflächennah im Asphalt platziert ist [Abb. 7]. Abb. 7: Einbauschema der Weigh-in-Motion-Sensoren - mit Induktionsschleifen (rot) und Kistlers Lineas WIM-Sensoren (blau) (Quelle: C. Klauser, Kistler Instrumente AG) Der Einbau des Systems hat pro Fahrtrichtung zwei Nächte in Anspruch genommen. Es wurden Schlitze für die Induktionsschleifen, Sensoren und die Verkabelung gesetzt. Nachdem alles entsprechend in den Asphalt eingelassen worden war, wurden die Schlitze wieder vergossen [Abb. 8]. Alle Kabel wurden über die zuvor eingebaute Lehrrohranlage in den Schaltschrank geführt und dort mit den Komponenten verbunden. Abb. 8: Weigh-in-Motion-Sensoren nach dem Einbau (Quelle: Stadt Münster) 3. Weigh-in-Motion-Messtationen Die beiden WIM-Messstationen auf dem Albersloher Weg bestehen jeweils aus den Weigh-in-Motion-Sensoren, einem Temperatursensor und einem Schaltschrank mit den notwendigen Mess- und Netzwerkkomponenten. Die Schaltschränke wurden im Auftrag der Stadt Münster durch die Firma SWARCO Traffic Systems GmbH aufgestellt. Der jeweils notwendige Stromanschluss konnte auf der stadtauswärtigen Messstation durch bereits verlegte Rohre geführt werden, da dort bereits Schaltschränke für andere technische Anlagen standen. Bei der stadteinwärtigen Messstation musste ein neuer Stromanschluss von einer nahegelegenen Bushaltestelle bis zum Aufstellort verlegt werden. 3.1 Komponenten der Messstation Neben den Achslast- und Temperatursensoren besteht die Messstation aus einem Schaltschrank, in dem folgende Komponenten enthalten sind [Abb. 9]: • Weigh-in-Motion Data Logger • Temperatur-Remote-I/ O • Kleincomputer (Raspberry Pi) • LTE-WLAN-Router Der WIM Data Logger der Firma Kistler Instrumente AG zeichnet die Messdaten der Achslastwaagen-Sensoren auf und speichert diese in einem Ringspeicher. Die Größe dieses Ringspeichers ermöglicht eine Speicherung der Datensätze, in Abhängigkeit von der Art und Höhe des Verkehrsaufkommens, von etwa einem Monat. Somit können eventuelle Netzwerkausfälle überbrückt werden, ohne dass Daten in dieser Zeit verloren gehen. Darüber hinaus besitzt der Daten-Logger eine grafische Web- Oberfläche für die Konfiguration und Überwachung der Echtzeit-Messdaten sowie eine Anwendungsschnittstelle API für die Steuerung des Daten-Loggers und das automatisierte Herunterladen der Messdaten. Abb. 9: Komponenten der Messstation - mit dem Kleincomputer (mittig oben), dem LTE-WLAN-Router (rechts oben), dem WIM Data Logger (links unten) und dem Temperatur-Remote-I/ O (mittig unten) (Quelle: Stadt Münster) Wie der WIM Data Logger bietet die Remote-I/ O der Firma Moxa Inc. eine grafische Web-Oberfläche und eine Anwendungsschnittstelle API für die Verbindung zu den 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 55 Die technische Realisierung echtzeitbasierter Messu. Auswerteprozesse von Klimau. Verkehrsbelastungsdaten kommunaler Straßeninfrastruktur Temperatursensoren. Da in diesem Gerät aber kein Speicher enthalten ist, kann nur der jeweils aktuelle Messwert der Temperatur ausgelesen werden, was zur Folge hat, dass zum einen der Messwertabruf permanent und regelmäßig erfolgen muss und dass zum anderen bei einer Netzwerkstörung keine Messdaten abgerufen und somit aufgezeichnet werden können. Um die Gefahr einer unvollständigen Datenaufzeichnung zu minimieren, wurde in die WIM-Messstationen deswegen ein Smart Manager Basic der Firma STV Electronic GmbH verbaut. Dabei handelt es sich um einen auf einem Raspberry Pi basierenden Kleincomputer, auf dem jene Datenaufzeichnungs-programme laufen können, die für den kontinuierlichen Datenabruf von den vorher genannten Komponenten verantwortlich sind. Darüber hinaus ermöglicht dessen grafische Desktop-Oberfläche einen benutzer-freundlichen Daten- und Konfigurationszugriff auf alle Elemente des Messstation-Netzwerkes. Der LTE- und WLAN-Router der Firma Teltonika Networks verbindet nun die drei anderen Geräte sowohl miteinander, als auch mit dem Internet [Abb. 10]. Hierfür bietet das Gerät verschiedene Möglichkeiten, womit man auch flexibel auf zukünftige Anpassungen und Entwicklungen bezüglich der IT-Infrastruktur reagieren kann. Aufgrund von lokalen Gegebenheiten und Sicherheitserwägungen wird der Internetzugang der Messstation aktuell über das Mobilfunknetz hergestellt. Normalerweise benötigen Anwendergeräte in Mobilfunknetzen keine externen Zugriffsmöglichkeiten, da das Anbieten von IT- Diensten für diese Geräte nicht üblich oder vorgesehen ist Um nichtsdestotrotz aus der Ferne auf den Messstation- Router zugreifen zu können, wurde ein virtuelles privates Netzwerk (VPN) eingerichtet, mit dessen Hilfe die notwendige Zwei-Wege-Kommunikation zwischen externem Anwender und Messstation-Router ermöglicht wird. Entsprechend konfigurierte Portweiterleitungen gewährleisten anschließend, dass die Netzwerkdienste der internen Messstationskomponenten von außen verwendet, administriert, konfiguriert und aktualisiert werden können Abb. 10: Netzwerkstruktur mit Komponenten und externe Zugriffsmöglichkeiten der Messstationen (Quelle: TU-Dresden) 56 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die technische Realisierung echtzeitbasierter Messu. Auswerteprozesse von Klimau. Verkehrsbelastungsdaten kommunaler Straßeninfrastruktur 3.2 Daten- und IT-Sicherheit Bei der Planung des Echtzeit-Prognoseprogramms spielt die permanente Datenübertragung und die damit verbundene Daten- und IT-Sicherheit eine große Rolle. Um die IT-Infrastruktur der Anwender, also aktuell der Technischen Universität Dresden und der Stadt Münster, weitestgehend unberührt zu lassen und bestmöglich zu schützen, wurden die WIM-Messstationen als autarke Netzwerke geplant. Anschließend musste die Frage nach einer aktiven oder passiven Übertragung der Messdaten beantwortet werden, wobei neben der potentiellen Möglichkeit eines Netzwerk- und damit auch Datenausfalls, auch die Netzwerkintegrität der Anwender zu berücksichtigen war. Deswegen wurde die aktive Übertragung der Messdaten durch die Stationskomponenten auf einen Serverspeicher im Anwendernetzwerk erst einmal verworfen. Auch auf die Verwendung von Cloudspeicher wurde aufgrund von datenschutzrechtlichen Anforderungen und Bedenken verzichtet. Vielmehr sollten die Daten vom Anwendersystem von außen abruf bar sein, was eine gesicherte externe Zugriffsmöglichkeit notwendig macht. Diese Sicherheit wird durch das virtuelle private Netzwerk (VPN) gewährleistet, da die Kommunikation innerhalb des virtuellen Netzwerkes verschlüsselt stattfindet. Durch den Fernzugriff erfolgt auch die softwareseitige Wartung der Messstation, um zukünftig entdeckte Sicherheitslücken schnell und mit geringem Aufwand mittels Softwareupdate schließen zu können. 4. Ausblick Für die Berechnung der zeitlichen und räumlichen Temperaturverläufe in der Asphaltkonstruktion sowie des aktuellen Zustandes der Materialermüdung werden die Messdaten aktuell noch händisch auf den Berechnungscomputer übertragen. Zukünftig wird das automatisiert erfolgen, wobei das Zeitintervall, in dem die Übertragung stattfindet, beliebig gewählt werden kann. Angedacht ist hierbei ein Ein-Tages-Rhythmus, da auch die Messdaten der Temperatur- und Weigh-in-Motion-Sensoren im Augenblick tageweise abgespeichert werden. Grundsätzlich ist in der aktuellen technischen Realisierung der Weighin-Motion-Messstationen ein Echtzeitsystem möglich, was bedeutet, dass eine LKW-Überfahrt des Achslastsensors eine Temperaturmessung auslöst. Anschließend würden beide Messdaten an den Berechnungscomputer übertragen und dort umgehend verarbeitet. Aufgrund der sehr kleinen Schädigung, die jede einzelne Überfahrt verursacht, ist das aber sowohl in der programmtechnischen Umsetzung, den Anforderungen an die Netzverfügbarkeit, als auch durch die damit verbundene Permanenz der Datenübertragung nicht sinnvoll. Bei der Umsetzung der Messstationen innerhalb des mFUND-Forschungsprojektes DaRkSeit geht es neben der Erforschung und Anwendung der Algorithmen der rechnerischen Dimensionierung von Straßen im kommunalen Bereich auch um die Erfahrungssammlung hinsichtlich der technischen und finanziellen Machbarkeit. Nach Beendigung des Projektes werden die Messstationen vollständig von der Stadt Münster übernommen und weiter betreut. Zu diesem Zeitpunkt wird dann die jetzige technische Realisierung noch einmal hinterfragt werden müssen, da die Mobilfunk-verträge laufende Kosten erzeugen, welche aber aufgrund der räumlichen Nähe zur städtischen IT-Infrastruktur und den dann nicht mehr erforderlichen Fernzugriffen gegebenenfalls nicht mehr notwendig sind. Da automatische Achslast-Wägesysteme im Augenblick fast ausschließlich in Autobahnen verbaut sind, gibt es bisher kaum Erfahrungen hinsichtlich des städtischen Schwerverkehrs und dessen Auswirkungen auf die urbane Straßeninfrastruktur. Mit den zukünftig weiter erhobenen Messdaten, können diese Erfahrungslücken geschlossen und die Entwicklung der Verkehrszahlen im städtischen Raum beobachtet und qualitativ besser prognostiziert werden. Diese Erfahrungen sind essenziell für eine nachhaltige, ressourcenschonende Ertüchtigungs- und Erneuerungsstrategie sowohl der Straßen-, als auch der darunter befindlichen stadttechnischen Infrastruktur. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 57 Anwendung der BIM-Methode im Anlagen- und Instandhaltungsmanagement der Eisenbahninfrastruktur Cornelius Stehr, M. Eng. DB Netz AG/ Jade Hochschule Oldenburg, Hamburg Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit Jade Hochschule Oldenburg Zusammenfassung Die BIM-Methodik sieht die Anwendung im gesamten Lebenszyklus einer Anlage vor. Für die Umsetzung der Arbeitsmethodik sind für die Planungs- und Ausführungsphase verschiedene Anwendungsfälle definiert worden. Auf der Basis der bestehenden Anwendungsfälle der DB Netz AG sind für die Betriebsphase der Eisenbahninfrastruktur neue Anwendungsfälle entwickelt worden. Die Anwendungsfälle Anlageninformationsmodell, Anlagenkoordination und Anlageninspektion bilden die Grundlage für BIM-Methodik im Assetmanagement der DB Netz AG, um die Instandhaltungs- und Instandsetzungsprozesse zu optimieren. 1. Einführung Um den Kulturwandel in der deutschen Verkehrspolitik voranzutreiben, ist die Erhöhung der schienengebundenen Transporte essenziell. Für die Kapazitätssteigerung der Güter- und Personenverkehre ist das Schienennetz durch Neubau-, Ausbau- und Instandhaltungsprojekte leistungsstärker zu machen. Hierfür ist die DB Netz AG verantwortlich. Gleichzeitig ist es notwendig, Antworten auf den zunehmenden Fachkräftemangel und den Bedarf an einer digitalen Transformation zu finden. Letzteres ist ein Baustein, um die anstehenden Aufgaben effizient und wirtschaftlich zu realisieren sowie als Unternehmen attraktiv am Arbeitsmarkt wahrgenommen zu werden. Aufgrund der weiter zunehmenden Anzahl an zu betreibenden Netzkilometern und des höheren Verkehrsaufkommens, ist eine Optimierung der Prozesse sowie des Asset Managements zwingend erforderlich. Bereits seit 2015 ist die BIM-Methodik bei der DB Netz AG etabliert. [1] Die kollaborative und modellbasierte Arbeitsmethodik wurde zunächst mit der Hilfe von Anwendungsfällen, die ein Handlungsfeld beschreiben, in der Planung und in der Bauphase pilotiert. Die deutlich längere Betriebsphase im Lebenszyklus der Anlagen lag dabei noch nicht im Fokus. Es ist zu erwarten, dass insbesondere die Anwendung über den gesamten Lebenszyklus die Vorteile der BIM Methodik hervorhebt und zu weiteren Optimierungen führt. Im Rahmen dieses Beitrags werden nun eine Auswahl an Anwendungsfällen für das Assetmanagement in der Eisenbahninfrastruktur betrachtet. 2. Anwendungsfälle des Assetmanagements Auf der Basis der 19 bestehenden Anwendungsfälle in der Eisenbahninfrastruktur und den Prozessen aus dem Anlagen- und Instandhaltungsmanagement wurden sieben neue Anwendungsfälle neu definiert. Hierbei wird der Anwendungsfall 190 „Betreiben, Instandhaltung - und -setzung“ [2] aufgeteilt, um die Anwendungsbereiche in dem Betrieb der Bauwerke und Anlagen zu konkretisieren. Das Ziel ist es den Mehrwert der Digitalisierung von Prozessen durch die Anwendung der BIM-Methodik darzustellen und an konkreten Handlungsfeldern in der Eisenbahninfrastruktur konzeptionell zu beschreiben. Bei der Entwicklung der neuen Anwendungsfälle wurde die Umsetzung der bestehenden Anwendungsfälle aus der Planung und der Ausführung für die Betriebsphase vorausgesetzt. Dieser Fall ist zu betrachten, wenn Instandsetzungsmaßnahmen mit einer Planungs- und Ausführungsphase notwendig sind. 2.1 Anlageninformationsmodell Die Basis für die Umsetzung der BIM-Methodik bildet ein Modell, das den realen Zustand der Anlage strukturiert und intelligent abbildet. Das Anlageninformationsmodell ist die zentrale Datengrundlage für das Anlagen- und Instandhaltungsmanagement. Die Bauwerksinformationen, bestehend aus geometrischen und semitischen Daten werden, gebündelt und koordiniert dargestellt. Die Zustandsveränderungen und Regelprozesse können mithilfe des Modells visualisiert und die gewerkespezifischen Maßnahmen koordiniert werden. Am Ende der Lebensdauer des Bauwerks dient dieses Modell als Grundlage für das Bestandsmodell, dass in der Planungsphase wieder benötigt wird. Durch die Datenbündelung im Anlageninformationsmodell sind Anwendungen in der Betreiberphase der Anlage möglich, die die derzeitigen Prozesse optimieren. Die digitale Datenhaltung bietet dem Nutzer eine transparente Dokumentation der Bauwerkshistorie. Unterstützt durch die kontinuierliche Fortschreibung des Modells mit Informationen, kann ein angereichertes Abbild der realen Anlage realisiert werden. Damit wird die Datenqualität und -quantität signifikant erhöht. 58 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Anwendung der BIM-Methode im Anlagen- und Instandhaltungsmanagement der Eisenbahninfrastruktur Das Modell dient, wie in der Planungs- und Ausführungsphase als single source of truth.[3] Somit können Widersprüche, die aufgrund von verschiedenen Versionen der Datensätze entstehen können, ausgeschlossen werden. Dies führt dazu, dass auch das Fehlerpotenzial bei der Durchführung von Instandhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen minimiert werden kann. Für die Implementierung des Anwendungsfalls Anlageninformationsmodell sind die Anforderungen der Anwender und die softwaretechnische Umsetzung der Datenverwaltung und Fortschreibung zu definieren. Als Minimalforderungen dienen die konventionell durchgeführten Prozesse. Die Informationstiefe, die zum aktuellen Zeitpunkt vorliegt, ist in den digitalen Prozessen unter der Anwendung der BIM-Methodik einzuhalten. Im weiteren Entwicklungsprozess ist die Anreicherung der Daten mit weiteren Informationen zu betrachten und die Auswirkungen auf den Gesamtprozess zu bewerten. 2.2 Instandhaltungskoordination Basierend auf dem Anwendungsfall 060 „Planungskoordination“ [4] der DB Netz AG, sind durch die Änderung der Arbeitsmethodik bei dem Betreiben von Anlagen die Rollen und Verantwortlichkeiten neu zu betrachten. Durch die hohe Informationstiefe und dem damit verbundenen erhöhten Verwaltungsaufwand der Daten sind im Anlagen- und Instandhaltungsmanagement neue Rollen zu integrieren. Diese Aufgaben sind in den bestehenden Prozessen einzubinden, um das Zusammenspiel und die Koordination der einzelnen Gewerke mit der BIM-Methodik zu unterstützen. Um die Instandhaltungsmaßnahmen der Fachgewerke im Anlagen- und Instandhaltungsmanagement zu harmonisieren, ist die Fortschreibung der Geometrie bei baulichen Änderungen, wie z. B. bei der Änderung eines Signalstandorts essenziell. Für die Instandhaltungsplanung sind überwiegend die semantischen Informationen zu aktualisieren. Ein Beispiel bilden die Wartungsintervalle eines verbauten Objekts, die als Attribut in einem Objekt vorgehalten werden können. Im Rahmen der BIM-Implementierung der DB Netz AG wurde für die Umsetzung der BIM-Methodik in der Betriebsphase die Rolle des BIM-Informationsmanagers eingeführt. Der Aufgabenbereich definiert sich durch die Fortschreibung der Geometrie des Modells und orientiert sich an den Anforderungen des Anlageninformationsmodell sowie den bestehenden Instandhaltungsprozessen der Anlagen. [5] Die neu definierte Rolle könnte wie in Abbildung 1 in die Organisation und in den Prozess integriert werden. Der BIM-Informationsmanager ist für einen Streckenabschnitt oder eine Region für die Anwendung der BIM- Methodik verantwortlich. Die Fortschreibung der Modelle ist gewerkeübergreifend und in Abstimmung mit den Anlagenverantwortlichen durchzuführen. Der Anlagenverantwortliche ist Entscheidungsträger für die Instandhaltung- und Instandsetzung. Ist eine Maßnahme erforderlich, werden die Instandhalter tätig. Diese sind für die operative Umsetzung verantwortlich und dokumentieren ihre Ausführung digital, so dass eine eindeutige Zuordnung zu einem Objekt erfolgen kann. Die Dokumentation wird durch den Anlagenverantwortlichen fachlich und durch den BIM-Informationsmanager ggf. modelltechnisch geprüft. Abbildung 1: Übersicht BIM-Rollen im Anlagen- und Instandhaltungsmanagement (eigene Darstellung) 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 59 Anwendung der BIM-Methode im Anlagen- und Instandhaltungsmanagement der Eisenbahninfrastruktur 2.3 Anlageninspektion Die Anlageninspektion ist in der Betriebsphase für die Sicherstellung des Bahnbetriebs unerlässlich. Durch gezielte und standardisierte Untersuchungen und Begehungen, werden Bauwerksveränderung frühzeitig erkannt. Dadurch auftretende Mängel können anschließend behoben werden, um die Gebrauchstauglichkeit eines Bauwerks sicherzustellen und den wirtschaftlichen Betrieb der Anlage zu erhalten. Für betriebsrelevante Bauteile sind standardisierte Inspektions- und Wartungsintervalle gemäß den Richtlinien der DB AG einzuhalten. Diese und weitere Bauwerksbzw. Bauteilinformationen werden in einer Datenbank vorgehalten. Diese Bauwerksdaten sind Voraussetzung für die Umsetzung des Anwendungsfalls Anlageninspektion. Das Anlageninformationsmodell bildet für die digitale Instandhaltung die erforderliche Informationstiefe ab, um die Maßnahmen bauteilspezifisch zu planen, auszuführen und dokumentieren zu können. Die Dokumentation der Mängel oder Schäden ist in Anlehnung an den AWF 160 Mängelmanagement durchzuführen.[6] Durch die modellbasierte Instandhaltungsplanung, können gewerkeübergreifend Maßnahmen frühzeitig koordiniert und in den Fahrplan eingebunden werden. Die resultierenden Wartungsaufträge können verbunden mit einem Aufgabenmanagementsystem modellbasiert ausgelöst bzw. eine Inspektionsbedarf direkt am Modell simuliert werden. Neben der Steigerung der Datenqualität, ergeben sich aus der gesamtheitlichen Darstellung weitere Potentiale in der Zusammenarbeit zwischen den Instandhaltungsgewerken der freien Strecke. Die Koordination der parallelisierten Inspektionen bedarf weniger Abstimmung und kann durch Auswahlmengen im Modell einfach identifiziert werden. Bedingt durch die Anwendung der Arbeitsmethodik, können darüber hinaus die Auswirkungen auf den Bahnbetrieb durch die Instandhaltungsprozesse reduziert werden. Sperrpausen im Bahnbetrieb könnten durch diesen Anwendungsfall verkürzt werden. Dies kann einen entscheidenden Beitrag zur Kundenzufriedenheit des betreibenden Unternehmens leisten. Reparaturbedarfe, die bei Begehungen oder Inspektionen identifiziert werden, können über georeferenzierte Fotos dokumentiert und anschließend mit dem Bauteil verknüpft werden. Zusätzliche Informationen zu den Schäden, wie die Schwere oder die Art des Mangels können dann als Attribut dem Bauteil hinzugefügt werden. Eine Verknüpfung zu Instandhaltungsapplikation für mobile Endgeräte ist hier zu prüfen. Durch die modellbasierte Repräsentanz des Bauwerks können Veränderungen am realen Bauwerk gemonitort werden. Bei kritischen Schäden besteht die Möglichkeit zusätzliche Inspektionen oder verkürzte Wartungsintervalle für bestimme Anlagenteile zu hinterlegen, um beispielweise die Rissbildung oder Korrosion von einzelnen Bauteilen zu überwachen. Durch diese gezielte Dokumentation kann die Bauwerkshistorie detailliert dargestellt werden. Insgesamt ist eine höhere Lebenserwartung der Bauwerke und eine Optimierung der Lebenszykluskosten zu erwarten 3. Ausblick Um die BIM-Methodik neben dem Planen und Bauen auch in der Betriebsphase umzusetzen, sind die Rahmenbedingungen in Form der Anwendungsfälle zu schaffen. Um die Potenziale und Mehrwerte der Methode in der Betriebsphase zu quantifizieren, ist die konkrete Anwendung im ersten Schritt zu pilotieren. Es wird empfohlen, Prozessbeispiele zu definieren und priorisiert gewerkeübergreifend durchzuführen. Abschließend ist eine Bewertung der Potenziale durchzuführen. Nach erfolgreichem Abschluss der Pilotphase ist die Methode zu standardisieren und flächendeckend zu implementieren, um den Lebenszyklus der Anlagen in der Eisenbahninfrastruktur ganzheitlich zu optimieren. Literatur [1] Deutsche Bahn AG (Hrsg.): BIM-Strategie. Berlin: 2022, S.6 [2] DB Netz AG (Hrsg.): BIM-Anwendungsfall 190 - Betreiben, Instandhaltung und -setzung. Frankfurt am Main: 2023 [3] Borrmann,- A., König,- M., Koch,- C. & Beetz,- J.: Building Information Modeling. Wiesbaden: Springer Fachmedien 2021, S.338 [4] DB Netz AG (Hrsg.): BIM-Anwendungsfall 060 - Planungskoordination. Frankfurt am Main: 2023 [5] DB Netz AG (Hrsg.): Musterdokument AIA. Frankfurt am Main: 2023, S. 10-11 [6] DB Netz AG (Hrsg.): BIM-Anwendungsfall 160 - Mängelmanagement. Frankfurt am Main: 2023 Monitoring 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 63 Monitoring von Ingenieurbauwerke - aktuelle und zukünftige Anwendungsfälle Dr. Iris Hindersmann Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Dr.-Ing. Matthias Müller Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Felix Kaplan, M. Sc. Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, Hoppegarten Zusammenfassung Monitoring ist für die Erhaltung der Ingenieurbauwerke eine gute Möglichkeit den vielfältigen Herausforderungen zu begegnen. Damit kann ein Beitrag zur Erhöhung der Verfügbarkeit und Sicherheit der Ingenieurbauwerke geleistet werden. Monitoring erhöht die zur Verfügung stehenden Informationen zum Bauwerk. Diese können genutzt werden, um bessere Entscheidungen in Bezug auf die Erhaltung zu treffen. Die Anwendung von Monitoring ist komplex, daher werden einzelne Anwendungsfälle beschrieben. Vorteile der Anwendungsfälle sind, dass neue Technologien in abgegrenzten und definierten Bereichen erprobt werden können. Die Anwendungsfälle „Monitoring bei bekannten lokal verorteten Schäden“, „Monitoring bei bekannten Defiziten aus Nachrechnung oder Konstruktion“ und „Monitoring zur Ermittlung von Einwirkungen in Bezug auf die Verkehrsbelastung“ haben aktuell den größten Anteil an den durchgeführten Monitoringmaßnahmen. Exemplarisch wird Ihre Umsetzung anhand von Anwendungsbeispielen des Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg belegt. „Monitoring zu Unterstützung der Bauwerksprüfung“ mit beispielsweise dem Einsatz bildgebender Verfahren und „Monitoring zur Begleitung bedeutender Bauwerke“ beispielsweise bei großen Talbrücken, gewinnen an Bedeutung und erste Praxisbeispiele sind in Europa vorhanden. Die zukünftigen Anwendungsfälle zeigen Potenziale für weitere Einsatzgebiete auf, „Monitoring im prädiktiven Lebenszyklusmanagement“ wird im Rahmen der Umsetzung Digitaler Zwillinge, welche im BIM Masterplan angekündigt werden, eine Bedeutung bekommen. Das Anwendungsbeispiel „Geburtszertifikat“ hat das Ziel einen Referenzzustand des Bauwerks vor der Verkehrsfreigabe zu ermitteln und über Folgemessungen abzugleichen. Das Zusammenwirken der einzelnen Anwendungsfälle ist über die Implementierung von Digitalen Zwillingen vorstellbar. 1. Einführung Das Erhaltungsmanagement von Ingenieurbauwerken ist aktuell durch ein reaktives Vorgehen gekennzeichnet. Maßnahmen werden erst eingeleitet, wenn Schäden erkennbar sind. Mit der Einführung eines prädiktiven Lebenszyklusmanagements kann ein bedeutender Beitrag zur Erreichung einer zuverlässigen und verfügbaren Infrastruktur geleistet werden. Ingenieurbauwerke stehen aktuell einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber. Hier sind neben dem hohen Alter der Bauwerke, ein Stau der Erhaltungsmaßnahmen, gesteigerte Verkehrsmengen und Personalknappheit bei der Planung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen zu nennen. Den Herausforderungen gegenüber stehen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung. Beispielhaft kann die Planung mit BIM, die Datenauswertung mit Verfahren der Künstlichen Intelligenz, der Einsatz von Digitalen Zwillingen oder der Einsatz von AR/ VR für die periodische Zustandserfassung im Rahmen der Bauwerksprüfung genannt werden. Diese Technologien können ebenso wie der im Rahmen des Artikels aufgezeigte Einsatz von Monitoring einen Beitrag zur Unterstützung der Erhaltungsziele ermöglichen. Der Einsatz der unterschiedlichen Verfahren ermöglicht dann über die Zusammenführung eine ganzheitliche Bewertung digital vorliegender Informationen. 2. Aktueller Einsatz von Monitoring bei Bundesfernstraßen Im Rahmen dieses Artikels wird der Definition des DBV Merkblatt gefolgt. In diesem beschreibt Monitoring den Gesamtprozess zur Erfassung, Analyse und Bewertung von Bauwerksreaktionen und/ oder der einwirkenden Größen mittels eines Messsystems über einen repräsentativen Zeitraum (zeitliche Entwicklung der Messgröße; kontinuierliche, periodische oder ereignisbasierte Messung, global - lokal) [1]. Der Einsatz von Monitoring ist auf vorhandene Schäden und Defizite beschränkt, wie eine Umfrage des BMDV bei den Straßenbauverwaltungen der Länder und der Autobahn des Bundes gezeigt hat. Die im Rahmen der Abfrage aus dem Jahr 2020 ermittelten 100 Monitoringmaßnahmen bezogen sich hauptsächlich auf Brücken mit Baujahren zwischen 1960 und 1980. Die Erfassung der Bauwerksreaktion ist der Hauptgrund für den Monito- 64 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Monitoring von Ingenieurbauwerke - aktuelle und zukünftige Anwendungsfälle ringeinsatz und es werden zumeist Verformungs- und Temperatursensoren eingesetzt. [2]. Die Ursachen für den bislang relativ wenig verbreiteten Einsatz von Monitoring an Brücken der Bundes-fernstraßen sind vielfältig. Zum einen sind fehlende Fachkenntnisse in Bezug auf den Einsatz von Monitoring zu nennen. Abhilfe können Regelwerke und Standardisierung wie das DBV Merkblatt „Monitoring: Planung, Vergabe und Betrieb“, das DGZf P-Merkblatt B 09 „Dauerüberwachung von Bauwerken“ und die kommende Erfahrungssammlung „Monitoring bei Bestandsbrücken“ schaffen [1; 3; 4]. Weiterbildungen und die Einbeziehung von Ingenieurbüros und Fachplaner für verschiedene Aspekte des Monitorings können ebenfalls eine Unterstützungsleistung bieten. Die Schwierigkeit den Nutzen des Monitorings insbesondere in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit zu ermitteln, ist ein weiterer Grund für den wenig verbreiteten Einsatz. Die im Projekt „Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Monitoringmaßnahmen“ gezeigte Vorgehensweise zur Ermittlung der Wirtschaftlichkeit und des Nutzens von Monitoringmaßnahmen können zum vermehrten Einsatz beitragen [5]. Die hohe Komplexität des Themas in Bezug auf die Planung, Durchführung und Bewertung von Monitoringmaßnahmen sind ein Hemmnis. Hier kann der Einsatz von Anwendungsfällen und damit die Etablierung von neuen Technologien in abgegrenzten und definierten Bereichen eine gute Unterstützungsleistung darstellen. 3. Anwendungsfälle Monitoring Um Monitoring vermehrt zum Einsatz zu bringen, ist die Implementierung von Anwendungsfällen eine Strategie. Anwendungsfälle können aus Projektzielen abgeleitet werden und stellen Prozesse zur Zielerreichung dar [6]. Der Vorteil der Anwendungsfälle ist, dass der Einsatz von neuen Technologien in abgegrenzten und definierten Bereichen erprobt und Hemmnisse abgebaut werden können. Die im Bundesfernstraßenbereich vorhandenen Anwendungsfälle für Monitoring sind in Abb. 1 gezeigt. Abb. 1: Anwendungsfälle Monitoring 3.1 häufige Anwendungsfälle Die Anwendungsfälle Monitoring bei bekannten lokal verorteten Schäden, bei bekannten Defiziten aus Nachrechnung oder Konstruktion und zur Ermittlung von Einwirkungen sind die häufigsten Anwendungsfälle in Deutschland. Diese Anwendungsfälle werden genutzt, um konkrete Fragestellungen in Bezug auf die Ingenieurbauwerke, deren Zustand und dessen Entwicklung zu ermitteln. Ausgehend von bekannten Schäden oder Defiziten wird ein auf das Bauwerk und die konkrete Fragestellung bezogenes Monitoringkonzept entwickelt. 3.1.1 Monitoring bei bekannten lokal verorteten Schäden Im Bereich der Bundesfernstraßen ist der Einsatz von Monitoring bei Bestandsbauwerken am häufigsten bei bekannten und lokal verorteten Schäden zu finden. Grundlage für den Einsatz sind vorhandene Schäden am Bauwerk, welche aus der Bauwerksprüfung, der objektbezogenen Schadensanalyse (OSA) oder dem Einsatz von Zerstörungsfreien Prüfungen (Zf P) bekannt sind [7; 8]. In diesem Fall wird zumeist ein lokales Monitoringsystem eingesetzt. Dieses lokale Monitoring bietet eine gute Möglichkeit zur Überwachung des Schädigungsfortschritts. Von der Überwachung des lokalen Sachverhalts kann eine Abschätzung der weiteren lokalen Entwicklung erfolgen. Dieses Vorgehen dient der Verlängerung der Restnutzungsdauer und Erhöhung der Sicherheit. Dieser Anwendungsfall kommt bei der Brücke über die Anlagen der DB im Zuge der B1 in Brandenburg an der Havel zum Einsatz ( Abb. 2 ). Das Bauwerk wurde 1971 errichtet und als einfeldriger Überbau mit einer Stützweite von 47 m ausgeführt. Die beiden Fahrtrichtungen werden von separaten parallel liegenden Überbauten überführt. Deren Querschnitt ist nahezu identisch und besteht aus 2 Stahlhohlkästen und orthotroper Fahrbahnplatte. Abb. 2: Brücke über die Gleise der DB im Zuge der B1 in Brandenburg an der Havel An dem Bauwerk wurden im Rahmen der Bauwerksprüfung zahlreiche Schäden festgestellt. Die betrifft u. a. Querschnittsminderungen infolge Korrosion, Ermüdungsrisse in der Fahrbahn und eine außerplanmäßige Stellung der Rollenlager. Durch eine OSA konnte gezeigt werden, dass die Lagerstellungen auf eine Schiefstellung der Widerlager infolge Setzungen zurückzuführen sind. Geodätische Vermessungen der Widerlager zeigten, dass dieser Prozess noch nicht abgeklungen ist und somit weitere Verkippungen zu erwarten sind. Da gleichzeitig die Verformungskapazität der Rollenlager bereits sehr hoch 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 65 Monitoring von Ingenieurbauwerke - aktuelle und zukünftige Anwendungsfälle ausgelastet ist, ist hier ein permanentes Monitoring der Lagerbewegung erforderlich. Abb. 3: Monitoringsystem am Lager Diese Überwachungsaufgabe wird realisiert, indem an jedem Rollenlager induktive Wegaufnehmer installiert wurden (Abb. 3) [9]. Dadurch kann überwacht werden, dass der restliche zur Verfügung stehende Lagerweg nicht überschritten wird. Zur Identifizierung von langfristigen Trends werden zusätzlich die Messdaten aus der Temperaturmessanlage des Überbaus herangezogen. Über die Jahre zeigt sich eine nahezu lineare Abhängigkeit der Lagerbewegung von der Temperatur (Abb. 4). Veränderungen in der Beschreibung der Regression zwischen Temperatur und Lagerbewegung können als Indikator für eine Systemänderung herangezogen werden. Abb. 4: Auswertung der Messdaten für ein Jahr 3.1.2 Monitoring bei bekannten Defiziten aus Nachrechnung oder Konstruktion Dieser Anwendungsfall ist von Bedeutung, wenn bei Bauwerken Defizite im Rahmen der Nachrechnung oder Defizite an ähnlichen Konstruktion festgestellt werden. Häufig liegen noch keine sichtbaren Schäden vor und die Art eines potenziellen Schadens und der Schadensort sind nicht bekannt. Das globale Monitoring ermöglicht die Überwachung des defizitären Bauwerks. Ein globales Monitoring ist darauf ausgerichtet, globale Parameter eines Bauwerks, die auf eine Schädigung schließen lassen, zu erfassen und zu bewerten. Diese Parameter können aus der Systemreaktion z. B. über die Messung von Beschleunigung oder Verformung bestimmt werden. Die Messungen dienen dazu Veränderungen, welche sich im Lauf der Zeit am Bauwerk entwickeln, zu erfassen. Unter der Voraussetzung eines duktilen Bauwerksverhalten mit Versagensvorankündigung ist die Grundlage für das globale Monitoring der Systemreaktionen, dass sich Einwirkungen und Schäden signifikant auf die Systemsteifigkeit auswirken und damit einen direkten Einfluss auf das Tragverhalten des Bauwerks haben. Die verschiedenen Methoden der globalen Bauwerksüberwachung basieren also auf der Annahme, dass Schädigungen am Bauwerk anhand von Änderungen des globalen Tragverhaltens erkannt werden können. Über die Messungen der Parameter und die spätere Auswertung können Rückschlüsse auf die Art des Schadens und den Schadensort gezogen werden. [10; 11] Alternativ kann das globale Monitoring auf die Detektion der Schädigungsursache ausgelegt werden. Hierfür kann beispielsweise eine Schallemissionsmessanlage zur 66 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Monitoring von Ingenieurbauwerke - aktuelle und zukünftige Anwendungsfälle Messungen von Spanndrahtbrüchen in Spannbetonbauwerken [12] oder Ermüdungsrissbildung in orthotropen Fahrbahnplatten [13] eingesetzt werden. Durch ein hinreichend großes Monitoringsystem sind dabei sämtliche Bereiche, in denen das Defizit ermittelt wurde, zu erfassen. Das Monitoringsystem erfasst und lokalisiert jeden Schaden der ab Überwachungsbeginn eintritt. Der Einsatz eines lokalen Monitorings kann beispielsweise bei dem Nachrechnungsdefizit Ermüdung Koppelfuge oder dem Nachrechnungsdefizit Querkraft beispielsweise bei der lokalen Überwachung der Schubbereiche zur Detektion entstehender Schubrisse eingesetzt werden. Abb. 5: Brücke über die Havel im Zuge der B96 in Fürstenberg/ Havel Die Maßnahme Schleusenbrücke über die Havel im Zuge der B96 in Fürstenberg/ Havel stellt ein Beispiel für diesen Anwendungsfall dar (Abb. 5). Das Bauwerk wurde 1968 als einfeldrige Spannbetonplatte mit einer Stützweite von ca. 16 m errichtet. Dabei kam Hennigsdorfer Spannstahl zum Einsatz, der mittlerweile als spannungsrisskorrosionsgefährdet eingestuft ist. Im Rahmen der objektbezogenen Untersuchungen zum Nachweis des Ankündigungsverhaltens wurden Spanndrahtproben entnommen. Bereits bei der Probenentnahme wurden gebrochene Spanndrähte erkannt. Die Laboruntersuchungen bestätigen, dass die Spanndrähte weder die erforderliche Bruchdehnung noch die Zugfestigkeit erreichen. Die Bruchbilder zeigen ausgeprägte Anrisse infolge Spannungsrisskorrosion. Aufgrund der Verkehrsbedeutung des Bauwerks ist eine Sperrung für den Verkehr nur im äußersten Fall zulässig. Daher wurde ein Monitoring mittels Schallemission vor Ort installiert. Die Messanlage besteht aus 12 Schallemissionssensoren, die jeweils außerhalb der Fahrrinne der Havel angeordnet sind. Seit Inbetriebnahme wurden bis Ende 2022 insgesamt 10 Spanndrahtbrüche am Bauwerk. Die festgestellten Spanndrahtbrücke führen jeweils zu Veranlassung einer ereignisbasierten Bauwerksprüfung. 3.1.3 Monitoring zur Ermittlung von Einwirkungen Einwirkungen auf das Bauwerk können direkte Einwirkungen aus äußeren Lasten (Eigenlast, Verkehr, Wind, Schnee) und indirekte Einwirkungen infolge behinderter Verformungen (Zwang) durch klimatische Einwirkungen (Temperatur) oder von Setzungen sein. Die klimatischen Einwirkungen wie Feuchte und Temperatur können über Wetterstation ermittelt werden. Der Einfluss der Temperatur auf das Bauwerk wird durch Temperatursensoren im und am Bauwerk gemessen. Die Bestimmung der Temperatur spielt bei der Kompensation des Temperatureinflusses auf die Messung eine große Rolle. In bestimmten Anwendungsfällen (z. B. der Überwachung von Koppelfugen) stellt die Temperatur eine für die Bewertung maßgebende Einwirkungsgröße dar. Der Verkehr und die Zusammensetzung des Verkehrs sind ebenfalls von großer Bedeutung für die Erfassung der maßgebenden Einwirkung auf Brückenbauwerke. Mit dem Einsatz von Bridge Weigh-in-Motion-Systemen (B- WIM) kann beispielsweise die Bestimmung der realen aktuellen Verkehrslasten erfolgen [14]. Im Landesbetrieb Straßenwesen wurde eine Untersuchung zur realistischen Erfassung von objektbezogenen Ziellastniveaus durchgeführt. Dabei wurde an einzelnen Bauwerken Monitoringanlagen installiert um die jeweiligen Randbedingungen exakt erfassen zu können [15]. Ein Beispiel ist die Brücke über die Spree im Zuge der L35 in Fürstenwalde/ Spree. Die Spreequerung besteht aus einer Strombrücke und einer Brücke über einen Nebenarm (Archenarm) ( Abb. 6 ). Die Strombrücke ist als vorgespannter Stabbogen mit einer Stützweide von 67 m ausgeführt worden. Bei der Brücke über den Archenarm wurde eine Verbundkonstruktion mit Stahlträgerrost und Fahrbahnplatte hergestellt. Sie weist Einzelstützweiten von 25,5 m, 28 m und 29 m auf. Abb. 6: Brücke über die Spree im Zuge der L35 in Fürstenwalde/ Spree Die Ermittlung des Ziellastniveaus ist relevant, weil eine vergleichsweise hohe Verkehrsbelastung und Stausituationen aufgrund von Knotenpunkten vor und hinter dem Bauwerk vorliegen. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 67 Monitoring von Ingenieurbauwerke - aktuelle und zukünftige Anwendungsfälle Abb. 7: Messzentrale auf der Widerlagerbank Zur Erfassung der Einwirkung wurden Dehnmessstreifen und zur Temperaturkompensation der Messwerte Temperatursensoren eingesetzt. Die Messzentrale wurde auf der Widerlagerbank installiert ( Messzentrale auf der Widerlagerbank Abb. 7). Die Verifizierung der Messergebnisse erfolgte über Kameraaufzeichnungen des laufenden Verkehrs. Insgesamt dauerte die Messung ca. 2 Jahre. Im Ergebnis konnte nachgewiesen werden, dass für das Bauwerk das Ziellastniveau BK30/ 30 gerechtfertigt werden kann. Die anschließende Nachrechnung liefert Defizite bei den Ermüdungsnachweisen. Die vorliegenden Messdaten ermöglichen jedoch die Ableitung eines objektbezogenen Ermüdungslastmodells zur Optimierung der Nachweisführung. Dieser Schritt steht noch aus. 3.2 Anwendungsfälle mit ersten Einsatzbeispielen „Monitoring zu Unterstützung der Bauwerksprüfung“ und „Monitoring zur Begleitung bedeutender Bauwerke“ sind Anwendungsfälle, bei denen erste Umsetzungen in der Praxis vorhanden sind, aber weiterhin Forschung und eine Unterstützung der Implementierung notwendig sind. 3.2.1 Monitoring zu Unterstützung der Bauwerksprüfung Im Rahmen der Bauwerksprüfung nach [8] kann Monitoring zur Unterstützung eingesetzt werden. Mit dem Einsatz von Monitoring sollen ergänzende Informationen zur Optimierung der Beurteilung generiert werden, welche durch eine konventionelle Prüfung nicht ermittelt werden können. Der Einsatz von Monitoring ist an verschiedenen Stellen im Prozess der Bauwerksprüfung möglich. Eine Möglichkeit ist der Einsatz von instrumentierten Bauteilen zur Beurteilung des Verhaltens. Die Instrumentierung z. B. von Fahrbahnübergängen und die messtechnische Erfassung von Performanceparametern hat den Vorteil, dass diese Bauteile in Abhängigkeit von der tatsächlichen Beanspruchung ertüchtigt werden. Instrumentierte Bauteile ermöglichen Aussagen zu vorhandenen Schäden an den entsprechenden Bauteilen und ggf. die Prognose zukünftiger Entwicklungen [16]. Eine Alternative ist der Einsatz des bildbasierten Monitorings, hier werden Bauwerksbilder automatisiert erfasst und im Anschluss die georeferenzierte 3D-Geometrie des Bauwerks ermittelt. Hiermit können Stellen am Bauwerk identifiziert werden, die im Rahmen der Bauwerksprüfung genauer untersucht werden sollen. Das Bildmaterial kann auch für eine KI-gestützte Auswertung der Bilder und damit automatisierte Erkennung von Rissen, Abplatzungen oder Veränderungen genutzt werden [17; 18]. Das Herausfiltern von Schadensinformationen und -orten, wie beispielsweise Rissen aus den erfassten Bilddatensätze bildet eine direkte Parallele zu den Systemidentifikationsmethoden eines sensorbasierten Monitorings [19]. Teile der bisherigen handnahen Prüfung können durch digitale Tools angereicht und verbessert werden. Alternativ kann auch Virtuell und Augmented Reality (VR/ AR) im Rahmen der Bauwerksprüfung eingesetzt werden. Grundlage sind auch hier bildgebende Verfahren, hierbei Bilddaten georeferenziert an ein bestehendes 3D Modell angeknüpft werden. 3.2.2 Monitoring zur Begleitung bedeutender Bauwerke Monitoring zur Unterstützung bedeutender Bauwerke bezieht sich auf Bauwerke, deren Ausfall große Auswirkungen auf das Verkehrsnetz hat. Hier sind beispielsweise große Talbrücken oder Flussquerungen zu nennen. F ür diese Bauwerke kann der Einsatz von Monitoring eine sinnvolle Ergänzung zur Sicherstellung der Verfügbarkeit sein, auch wenn aktuell kein Schaden oder Defizit bekannt ist. Zur Realisierung dieses Anwendungsfalls ist eine Identifikation der Bauwerke notwendig, die Bedeutsamkeit kann sich aus verkehrlichen oder konstruktiven Gründen ergeben. Verkehrliche Gründe sind z. B. die Bedeutung der Bauwerke für die Netzverfügbarkeit oder hohe Verkehrszahlen. Konstruktive Gründe ergeben sich z. B. aus der Größe und Lage der Bauwerke unter Berücksichtigung ggf. eingeschränkter Möglichkeiten zur Schaffung von kurzfristigem Ersatz. Für diesen Anwendungsfall ist das globale Monitoring relevant. Im Unterschied zum Anwendungsfall „Monitoring bei bekannten Defiziten“ müssen bei diesem keine Defizite bekannt sein. Dieser Anwendungsfall kann bei Neubauten und bestehenden Bauwerken zum Tragen kommen. Das Monitoring bedeutender Bauwerke hat im Ausland eine größere Verbreitung, wie beispielsweise die Überwachung der 2007 gebauten Brücke Ponte da Lezíria in Portugal zeigt [20]. Die Brücke wurde mit einem umfangreichen Monitoringsystem zur Ermittlung statischer und dynamischer Parameter ausgestattet. Hiermit wird u. a. die Bauwerksprüfung unterstützt und für den Bauwerkseigentümer steht eine Einschätzung des Zustands permanent zur Verfügung [20]. Auch an der Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn wird durch die eingebaute Sensorik und die Aggregation der gemessenen Daten zu Zustandsinformationen für den Bauwerkseigentümer dauerhaft die Möglichkeit geschaffen, den aktuellen Zustand der Brücke abrufen zu können und damit schnelle und effektive Entscheidungen bei Veränderungen der Zustandsinformationen vornehmen zu können [21]. Der Nutzen für den Einsatz eines präventiven Monitoring bei Brücken ohne Schäden konnte in [22] dargelegt werden. 68 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Monitoring von Ingenieurbauwerke - aktuelle und zukünftige Anwendungsfälle 3.3 potenzielle zukünftige Anwendungsfälle Die zukünftigen Anwendungsfälle zeigen Potenziale für weitere Einsatzgebiete des Monitorings auf. Der Anwendungsfall „Monitoring im prädiktiven Lebenszyklusmanagement“ wird im Rahmen der Umsetzung Digitaler Zwillinge, welche im BIM Masterplan angekündigt werden, eine große Bedeutung bekommen [23]. Erste Schritte und Ideen zur Umsetzung dieses Anwendungsfalls wurden in [19] skizziert. Das Potential von Monitoring ergibt sich aus der Möglichkeit, Bauwerke über lange Zeiträume zu überwachen und Veränderungen zu erkennen. Potentiale liegen in der Ermittlung des Tragwerkszustandes und Quantifizierung der Tragwerkszuverlässigkeit, der Charakterisierung des Bauwerksverhaltens mit dem Ziel der Anomalie-Detektion und der Absicherung der Restnutzungsdauer [19]. Aus den Monitoringdaten können Informationen beispielsweise zu Schädigungsmechanismen abgeleitet werden. Diese Informationen wiederum können als Grundlage für die Ermittlung von Performancekennwerten in Kombinationen mit anderen Daten verwendet werden. Dieses Vorgehen dient dazu, Unsicherheiten in der Zustandsbeurteilung zu reduzieren und geeignete Instandhaltungsmaßnahmen zu identifizieren [19]. Das Anwendungsbeispiel „Geburtszertifikat“ hat das Ziel einen Referenzzustand des Bauwerks vor der Verkehrsfreigabe zu ermitteln und damit eine Grundlage für die Interpretation der Auswirkungen von späteren Veränderungen zu haben und Aussagen über das zu erwartende Verhalten der Tragwerks- und Ausstattungskomponenten zu treffen. Dieser Referenzzustand kann mit Folgemessungen abgeglichen werden und somit eine Entscheidungsgrundlage für den Einsatzzeitpunkt erforderlicher Maßnahmen, wie beispielsweise ein dauerhaftes Monitoring, darstellen. Die Durchführung eine Nullmessung inkl. einer Belastungsprobe ist in der Schweiz, Italien und Frankreich vorgeschrieben [24-26]. In [17] wird die Durchführung einer Nullmessung an der Hochmoselbrücke beschrieben. Hier wurden neben der Durchführung einer Schwingungs- und Dehnungsmessung zur Feststellung des Verhaltens der Brücke auch ein bildgebendes Verfahren u. a. zur Ermittlung der 3D-Geometrie eingesetzt. 4. Zusammenführung der Anwendungsfälle Das Zusammenwirken der einzelnen Anwendungsfälle ist über die Implementierung von Digitalen Zwillingen vorstellbar. Ein Digitaler Zwilling kann als digitales Abbild der realen Straßeninfrastruktur verstanden werden, das in Wechselwirkung mit der realen Struktur steht, sämtliche Eigenschaften über den gesamten Lebenszyklus hinweg erfasst und aus den Daten Informationen zur Entscheidungsunterstützung erzeugt [27]. Die Abb. 8 zeigt schematischen einen Digitalen Zwilling Brücke. Abb. 8: Digitaler Zwilling [28] Das Monitoring und die daraus gewonnenen Informationen und Erkenntnisse sind wichtige Grundlagen für die Entwicklung und Nutzung von Digitalen Zwillingen. Die Monitoringdaten geben einen Aufschluss zum aktuellen Zustand des Bauwerks und dienen als Eingangsdaten für die Ermittlung des zukünftigen Verhaltens. Damit ist der Monitoringeinsatz grundlegend für die im Digitalen Zwilling ablaufenden Prozesse Überwachung, Analyse, Vorhersage und Steuerung. 5. Fazit Der Monitoringeinsatz an Ingenieurbauwerken der Bundesfernstraßen ist aktuell noch nicht sehr stark verbreitet, gewinnt aber an Bedeutung. Über die Anwendungsfälle besteht die Möglichkeit das Potenzial von Monitoring aufzuzeigen und Hemmnisse für den Einsatz von Monitoring abzubauen. Aktuell ist Monitoring bei der Unterstützung der Sicherstellung der Verfügbarkeit der Ingenieurbauwerke und insbesondere der Absicherung der Restlebensdauer von großer Bedeutung. Im Rahmen dieser Anwendungsfälle werden bereits heute eine Vielzahl von Erfahrungen gesammelt, die langfristig für die Einführung von Digitalen Zwillingen von Vorteil sein können. Aktuell können erste Ergebnisse bereits im Rahmen von Digitalen Schatten das Potenzial im kleinen Rahmen aufzeigen. Der Nutzen, der sich als der Anwendung von Monitoringmaßnahmen ergibt ist monetär quantifizierbar, für den Digitalen Zwilling ist der Nutzen aktuell noch nicht quantifizierbar, aber beschreibbar. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 69 Monitoring von Ingenieurbauwerke - aktuelle und zukünftige Anwendungsfälle Literaturverzeichnis [1] Deutscher Beton- und Bautechnikverein (2018) Merkblatt: Brückenmonitoring. [2] Hindersmann, I. (2021) Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien in: Krieger, J. [Hrsg.] Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur: Tagungshandbuch 2021. Tübingen: Expert Verlag. [3] Novák, B. et al. (2023) Erfahrungssammlung Monitoring von Brückenbauwerken - unveröffentlichter Schlussbericht. [4] DGZfP (2022) Merkblatt B 09 - Dauerüberwachung von Ingenieurbauwerken. [5] Schubert, M. et al. 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Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 71 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag Prof. Dr.-Ing. Thomas Braml Universität der Bundeswehr München, Neubiberg Johannes Wimmer, M. Eng. Universität der Bundeswehr München, Neubiberg Fabian Seitz, M. Sc. Universität der Bundeswehr München, Neubiberg Prof. Dr.-Ing. Max Spannaus Universität der Bundeswehr München, Neubiberg Norman Diersch Die Autobahn GmbH, Berlin Iris Hilbricht Cisco Systems GmbH, Düsseldorf Dr.-Ing. Norbert Romen NXT Monitoring GmbH, Pullach Maximilian Reingruber objective Partner AG, Weinheim Jürgen Hamm NetApp Deutschland GmbH, Kirchheim Martin Krettek Dr. Johannes Heidenhain GmbH, Traunreut Dr. Michael Häuserer Vallen Systeme GmbH, Wolfratshausen Zusammenfassung Weltweit werden mittlerweile aufgrund der alternden Infrastruktur eine Vielzahl von Bauwerken für die Zustandsüberwachung mit Sensoren im Rahmen eines Structural Health Monitoring (SHM) ausgestattet. Dieses SHM wird bereits bei vielen Projekten sehr erfolgreich angewendet. Es zeigen sich Vorteile hinsichtlich der Verlängerung der Lebensdauer und der Überwachung von kritischen Zuständen an den Bauwerken. Die gewählten Lösungen sind derzeit im Hinblick auf Datengewinnung, -transfer, -ablage und -auswertung noch sehr individuell ausgeprägt. In diesem Beitrag wird ein Konzept vorgestellt, wie eine Standardisierung des SHM auf Hard- und Softwareebene wirtschaftlich und flächendeckend erfolgreich umgesetzt werden kann. Das Autorenteam, bestehend aus Experten verschiedener Teildisziplinen, unterbreitet Vorschläge zur Standardisierung des Datenflusses in der gesamten Wertschöpfungskette des SHM. An einem Praxisbeispiel wird das Konzept ganzheitlich vorgestellt. 1. Einleitung Das Erfordernis der Zustandsüberwachung von Bauwerken rückt im deutschsprachigen Raum immer mehr in den Fokus. Grund hierfür ist unter anderem der marode Zustand vieler Brücken, wie es auch das Bundesverkehrsministerium berichtet [1]. So sollen bis ca. 2030 etwa 4000 Brückenbauwerke instandgesetzt oder erneuert werden. Muss ein Bauwerk für einer Inspektion nach DIN-1076 [2] einer Nachrechnung gem. Nachrechnungsrichtline (NRR, [3; 4]) unterzogen werden, so müssen in den Stufen 3 und 4 bereits Ergebnisse aus Bauwerksuntersuchungen einfließen. Diese Untersuchungsergebnisse stammen beispielsweise aus zerstörungsfreier Prüfung (Zf P), Belastungsversuchen oder Monitoring. Bei 72 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag der Zf P können Daten sowohl am Bauwerk in Form von mehrdimensionalen Messdaten entstehen [5], aber auch Prüfdaten aus Laboruntersuchungen von zerstörungsarmen Prüfungen wie der Bohrmehlentnahme sowie Ergebnissen an gezogenen Bohrkernen. Bei der Datenverarbeitung wird in [6] für Messprojekte die Kette vom Sensor zur Auswertung in Sensor-, Datenerfassungs- und Auswerteebene unterteilt. Die Messgeräte verarbeiten die Daten in der Regel selbst oder auf einer externen Recheneinheit (Sensor- und Datenerfassungsebene; Abb. 1, oben). Die Auswertung erfolgt in vielen Fällen nicht live und Edge, sondern im Nachgang im Büro der durchführenden Institution [7]. Probebelastungen sind ähnlich einer Zf P zeitlich begrenzt. Sie werden verwendet, um beispielsweise das tatsächliche Tragverhalten von Bauwerken zu bestimmen oder um Structural Health Monitoring (SHM) Einrichtungen zu kalibrieren. Einen Überblick hierfür gibt z. B. [8]. Die dort anfallenden Daten werden meist mit den Auswertesoftwares der Hersteller vor Ort augenscheinlich plausibilisiert und im Nachgang ähnlich der Zf P Daten ausgewertet. Die Datenübertragung erfolgt häufig im proprietären Datenformat der Herstellersoftware oder über allgemeine Dateiformate wie z.-B. .csv-Format, oder menschenlesbar als .json-Format. Monitoring wird in [9] in Kurzzeitmonitoring, Langzeitmonitoring und Dauermonitoring unterschieden. Probebelastungen zählen zu ersteren. Beim Langzeitmonitoring wird am Bauwerk mindestens mehrere Wochen bis zu mehreren Jahren gemessen. Es wird beispielsweise verwendet, um reale Verkehrslastmodelle zu ermitteln [10]. Beim Dauermonitoring ist die Laufzeit nicht festgelegt. Es wird über die gesamte (Rest-) Lebensdauer gemessen und dient beispielsweise dazu, das Bauwerk sicher weiter zu betreiben. Durch Monitoring kann die Lebensdauer von Bauwerken verlängert werden [11], was einen positiven Einfluss auf die Nachhaltigkeit der Struktur hat, wie Haist et al. in der Vorstellung der Nachweisform „Grenzzustand der Klimaverträglichkeit“ gezeigt haben [12]. Je nach Messaufgabe werden die Messdaten vor Ort (Edge) abgeholt und für den Datentransfer vorverarbeitet (komprimiert, in ein allgemeines Datenformat überführt, etc.). Die Datenübertragung erfolgt aktuell zumeist über herstellereigene Übertragungsprotokolle auf herstellereigene Auswerteplattformen (Dashboards), die auf das Messgerät und die jeweilige Messaufgabe zugeschnitten sind. Es ist naheliegend, dass beim Einsatz vieler Messsysteme (Messketten gem. DIN 1319-1 [13]; Abb.-1, oben links) die Anzahl der Insellösungen zunimmt. Um diese zu vereinigen, werden projektspezifisch Plattformen erstellt. Große Beispiele hierfür sind die SmartBridge in Hamburg [14] oder die intelligente Brücke im Testfeld der Autobahn (z. B. [15]). An diesen Beispielen ist ersichtlich, dass bereits Einzellösungen existieren. Diese haben für einzelne Projekte ihre Berechtigung. Um aber ein schnelles, effektives Monitoring auch in großem Umfang wirtschaftlich einzusetzen und für große Bauwerksbetreiber skalierbar zu machen, bedarf es Vereinheitlichungen. Abb. 1 zeigt die Grundidee des in diesem Beitrag vorgestellten Konzepts zur Standardisierung im SHM. In Abschnitt 2 werden die Anforderungen und die Ansätze zur Datenaufnahme, in Abb. 1 durch die Messketten dargestellt, vorgestellt. Abschnitt 3 widmet sich dem Datentransfer hinsichtlich der gewählten Technologie und den verwendeten Protokollen. In Abschnitt 4 wird die Datenablage in der Industrie 4.0 Lösung Verwaltungsschale BBox (Bridge Box - Verwaltungsschale für Brücken) präsentiert. Rahmenlösungen zur Auswertung der Daten werden im 5. Abschnitt beschrieben. Die Datenverwertung in der Visualisierung zeigt Abschnitt 6. Das Praxisbeispiel der Isenbrücke in Schwindegg und die Zusammenfassung mit Ausblick schließen den Beitrag ab. Abb. 1: Übersicht der Inhalte aller Kapitel dieses Beitrags in einem Übersichtsbild. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 73 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag 2. Datenaufnahme Die Erfassung eines Bauwerkszustandes ist komplex und individuell. Diesen projektspezifischen Anforderungen wird meist mit ebenso individuellen Sensorkonfigurationen begegnet. Hierfür können analoge als auch digitale Sensorlösungen zum Einsatz kommen. Die verschiedenen Sensoren benötigen bauartbedingt individuelle Energieversorgungen und erzeugen in der Folge auch individuelle Messwerte. Nachfolgend werden exemplarisch mögliche Systeme vorgestellt. Klassische Messsysteme sind modular aufgebaut, damit das System je nach Anforderung an Geometrie, Sensoranzahl und Sensortypen frei skalierbar und projektspezifisch angepasst werden kann. Es ist multifunktional und ermöglicht den Anschluss nahezu aller am Markt verfügbaren Sensoren. Übliche Messgrößen sind beispielsweise Dehnungen, Kräfte, Verformungen (Setzung, Durchbiegung, …), Erschütterungen oder Temperaturen. Das Messsystem mit Datenlogger versorgt jeden installierten Sensor über A/ D-Wandler und Bussysteme mit seinem individuellen Strom oder Spannung und liest in der Folge die Messdaten in der jeweiligen sensorspezifischen Form und der projektspezifischen Messfrequenz aus. Diese Messwerte verrechnet der Datenlogger mit den Kalibrierfaktoren, speichert die Daten lokal zwischen und stellt die Messwerte inkl. Einheiten in Echtzeit z. B. als Message Queuing Telemetry Transport (MQTT)-Client (Abb. 3, links) zur Verfügung. Die Messsysteme können je nach Anwendungsfall kabelgebunden, kabellos oder als Hybridsysteme ausgeführt werden. Die Energieversorgung ist mit Netzstrom, Batterie aber auch autark mit batteriegestützten Solarmodulen oder anderen alternativen Energiequellen möglich. Bei der Ausstattung von Bauwerken mit Sensoren ist es wichtig, im Vorfeld die Messorte und die Messarten am Bauwerk festzulegen. Weitere Anforderungen sind beispielsweise Robustheit, Zugänglichkeit und natürlich die Wirtschaftlichkeit. Die erforderlichen Sensortypen ergeben sich dann aus diesen Anforderungen. Für die Messung der Dehnung existieren viele Alternativen, z. B. Dehnungsmessstreifen (DMS, Abb. 2b) oder faseroptische Messtechnik. Eine weitere, völlig neue Möglichkeit der Dehnungsmessung basiert auf der Verwendung eines optoelektronischen Drehgebers. Drehgeber sind der industrielle Standard für die Positions- und Drehzahlbestimmung an Motorwellen, in dieser Funktion finden sie seit Jahrzehnten Anwendung in Automatisierungssystemen, Windenergieanlagen oder Aufzügen. Diese bewährte Drehgebertechnik wird nun auch im neuartigen ESR-Sensor (Abb. 2c) dazu verwendet, die Längenänderung bzw. Dehnung zwischen zwei Installationspunkten optisch zu messen. Die optische Abtastung ist im Drehgeber durch eine hochintegrierte elektronische Schaltung (ASIC) realisiert, die neben der reinen elektrischen Signalwandlung die analogen Messsignale auf bereitet, digitalisiert und unmittelbar im Chip verarbeitet. Auf diese Weise kann ein hochgenaues, reproduzierbares und rein digitales Messsignal mit sehr geringem Rauschen und einer hohen Auflösung von 5-nm (absolute Längenänderung) bzw. 0,025-µm/ m (Dehnung) ausgegeben werden. Die Abtastrate der Messung ist dabei bis zu 30-kHz frei konfigurierbar, sodass neben statischen auch dynamische Messaufgaben lösbar sind. Mittels der echtzeitfähigen Schnittstelle des Sensors können die erzeugten, digitalen Messdaten zusammen mit Zusatzinformationen zum Drehgeber (z. B. interne Temperatur, Diagnosedaten) störungsfrei an eine nachfolgende Elektronik übertragen werden. Diese Folgeelektronik vervollständigt die Messkette und erlaubt das synchrone Einlesen mehrerer ESR-Sensoren, sowie die lokale (Vor-)Verarbeitung der Messdaten. Die gegebenenfalls reduzierte Datenmenge kann in einem letzten Schritt von der Folgeelektronik über eine vereinbarte Schnittstelle und Protokoll (z. B. MQTT) an das zentrale Gateway des Monitoringsystems übertragen werden. Insgesamt ist dadurch eine einfache und flexible Einbindung der Messkette mit ESR-Sensoren in ein bestehendes Gesamtsystem möglich. 74 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag Abb. 2: Typische Sensoren zur Datenaufnahme; a) Schwingsaitensensor, b) Dehnungsmessstreifen, c) ESR-Dehnungssensor (Elongation Sensor Rotary) (Fa. HEIDENHAIN), d) niederfrequenter Schallemissionssensor (SHM-MP1, Fa. Vallen Systeme) Die zerstörungsfreie Prüfmethode Schallemission (Acoustic Emission) hat sich als äußerst leistungsfähig erwiesen, um Drahtbrüche von vorgespannten Spanngliedern in Brücken [16; 17], Tunnelwänden und Gebäuden zu erkennen und zu lokalisieren. Es ist das einzige zerstörungsfreie Prüfverfahren, das einzelne Drahtbrüche zeitlich und räumlich erfassen kann. Im Falle eines Defektes, wie z. B. ein Spannstahlriss, emittiert diese Quelle Schallwellen, die sich durch das Testobjekt bewegt und von Schallemissionssensoren erfasst wird. Der Sensor wandelt die Oberflächenbewegung in ein elektrisches Signal, welches von der Datenerfassungseinheit erfasst und an einem Messrechner vorverarbeitet wird. Dabei wird unter anderem die Ankunftszeit der Schallwelle an den Sensoren, deren Amplitude, Energie und weitere Größen neben der gesamten Wellenform erfasst. Die Schallemissionssensoren (z. B. Abbildung 2d) für diese Anwendung sind im niederen Frequenzbereich besonders sensitiv und haben eine Peak Sensitivität bei 30-kHz. Die Datenerfassung arbeitet mit 10-MHz Abtastrate, um die gewünschte Auflösung der Schallwellen zu erhalten. Um eine verlässliche Überwachung und Alarmierung zu gewährleisten ist eine zuverlässige Stromversorgung erstrebenswert. Die hohe Leistungsfähigkeit der Hard- und Software liefert Informationen über Schallemissionsereignisse in Echtzeit. Die Messdaten stehen als Roh- und prozessierte Daten auf dem Messrechner zur Verfügung und können mit einem abgestimmten Datenmodell über eine definierte Schnittstelle (z. B. MQTT) zur weiteren Verarbeitung bereitgestellt werden. 3. Datentransfer 3.1 Protokoll für Datentransfer Die Wahl des geeigneten Datentransfer-Protokolls ist für den Erfolg eines intelligenten SHM-Systems entscheidend. Aktuell erfolgt der Messdatentransfer bei vielen Vorhaben mit dem File Transfer Protocol (FTP). Hierbei werden die Messdaten als Dateien auf einen FTP-Server manuell hochgeladen, um von dort aus ebenfalls aktiv wieder zur Auswertung herunterzuladen. Diese nicht integrierte Prozesskette ist langsam und unflexibel und für Internet of Things (IoT) Anwendungen nicht geeignet. Das Hypertext Transfer Protocol (HTTP) wird z. B. bei der Übertragung von einzelnen Messwerten vom digitalen Sensor zum Datenlogger verwendet. Besser eignen sich IoT erprobte Protokolle wie OPC Unified Architecture (OPC UA) für Industrieanwendungen oder MQTT als allgemeineres Protokoll. In diesem Kapitel wird letzteres als bevorzugte Lösung für den Datentransfer in der Bauwerksüberwachung vorgestellt. MQTT wird in [18] als ein leichtgewichtiges Open-Source- Protokoll vorgestellt, das sich durch seine Einfachheit, geringen Bandbreitenanforderungen und anpassbare Qualitätsstufen auszeichnet. Es eignet sich insbesondere für IoT Kommunikation und Edge Computing [19], da es die effiziente Verarbeitung und den Datentransfer zwischen Sensoren, Aktoren und Anwendungen in Echtzeit ermöglicht. Diese Eigenschaften machen MQTT zu einer idealen Wahl für SHM-Anwendungen, in denen schnelle Datenübertragung und -verarbeitung erforderlich sind. Die Flexibilität von MQTT ermöglicht die Kommunikation zwischen verschiedenen Systemen und Geräten, was die Integration und Implementierung in bestehende SHM- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 75 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag Lösungen erleichtert. Darüber hinaus ist MQTT bereits in der Industrie weit verbreitet und von vielen Herstellern und Systemen unterstützt. MQTT unterstützt durch seine Fähigkeit der flexiblen Strukturierung der Datenbereitstellung die Notwendigkeiten in Anwendungsfällen hinsichtlich beispielsweise Geolokation von Geräten, ungleicher und hybrider Sensorausstattung zwischen Geräten derselben Geräteklasse, sowie eine freie und gemischte Zuordnung von Attributnamen und Datentypen zu Attributen. Mit zentralen Steuerungs- und Verwaltungsservices wie Edge Intelligence, einem Service eines IoT Operations Dashboards (IoT OD, Abb.-3, Mitte) können Broker für die IoT-Kommunikation die Verwaltung der digitalen Identitäten für die Geräte und die Authentifizierung gegenüber dem Datenempfänger übernehmen. Das System unterstützt die Verarbeitung, Analyse und Visualisierung von Daten aus dem SHM-System. Durch diese Integration kann trägt die Edge Plattform zur sicheren und skalierenden Optimierung des Datenflusses und zur Verbesserung der Entscheidungsfindung im SHM bei. Zusammenfassend ist MQTT aufgrund seiner Flexibilität, Echtzeitfähigkeit, Edge-Compute-Unterstützung und Integration mit einem IoT OD eine ausgezeichnete Wahl für den Datentransfer im Structural Health Monitoring. Die Verwendung von MQTT trägt dazu bei, die Effizienz und Reaktionsfähigkeit von SHM-Systemen zu erhöhen und somit die Sicherheit und Langlebigkeit von Bauwerken zu gewährleisten. Abb. 3: Schematische Darstellung der SHM-Kommunikationsarchitektur für die Kombination Messwertaufnahme - Cisco Router - Verwaltungsschale 3.2 Übertragungsmedium für Datentransfer Zusätzlich zur Auswahl des Protokolls hat das passende Datenübertragungsmedium eine wichtige Rolle. Es gibt verschiedene Übertragungstechniken, wie LoRa- WAN, FluidMesh, WLAN, SatCom, LTE, 5G, Ethernet und Glasfaser. Jedes dieser Medien hat seine eigenen Vor- und Nachteile, die sich abhängig von den spezifischen Anforderungen des Projekts als geeignet oder nicht geeignet herausstellen. Eine Übersicht mit typischen Anwendungsfällen ist in Tabelle 1 aufgelistet, eine Verortung mit den Anwendungsfällen in eine Bewertungsmatrix zeigt Abb. 4. Eine dynamische und skalierbare Wegwahl, die durch Software-Defined Wide Area Network (SD-WAN) und einen Industrierouter ermöglicht wird, ist ein wesentlicher Faktor, um die Datenübertragung in SHM-Systemen zu optimieren. Mit Ausnahme von SatCom und FluidMesh, die spezielle Zusatzkomponenten erfordern, unterstützt diese Technologie eine flexible und effiziente Verwendung verschiedener Datenübertragungsmedien. SD-WAN bietet Vorteile wie zentralisierte Verwaltung, verbesserte Netzwerkflexibilität und optimierte Leistung. Durch die zentrale Steuerung des Netzwerks können die Verbindungen und der Datenverkehr über verschiedene Übertragungsmedien effizient verwaltet und überwacht werden. Dies ermöglicht es, die beste verfügbare Verbindung für die jeweilige Anwendung auszuwählen und die Nutzung der verfügbaren Bandbreite zu maximieren. Ein Industrierouter, der SD-WAN unterstützt, bietet robuste und zuverlässige Verbindungen in anspruchsvollen Umgebungen. Er kann die Kommunikation zwischen den verschiedenen IoT-Geräten und Sensoren im SHM-System aufrechterhalten und sicherstellen, dass die Datenübertragung nahtlos und effizient abläuft. Durch die Integration von Edge-Compute-Fähigkeiten kann der Router außerdem die Verarbeitung und Analyse von Daten näher an der Datenquelle durchführen, was die Latenzzeit reduziert, und die Reaktionsfähigkeit des gesamten Systems verbessert. 76 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag Tab. 1: Fortlaufende Nummerierung Datenübertragungsmedium Reichweite Latenz Bandbreite Use Cases (großes/ kleines Volumen, langsame/ schnelle Übertragung) LoRaWAN [20] 2-5 km (urban), 15-km (ländlich) 0,2-2 s 0,3-50 kbps kleines Volumen, langsame Übertragung (Niederfrequente Livedaten, Tachymeter, Wetterdaten) FluidMesh [21] Bis zu 10 km (abhängig von der Konfiguration) 1-10 ms 1-100 Mbps großes Volumen, langsame Übertragung (Rohdaten für Forschungsnetze: DFOS, Beschleunigung) WLAN [22] 50-100 m (Innenbereich), bis zu 250 m (Außenbereich) 2-5 ms 0,02-2 Gbps großes Volumen, schnelle Übertragung (Live-Webcam, hochfrequente Livedaten (10³ Hz), mittelfrequente Livedaten (10¹-Hz)) SatCom [23] Globale Abdeckung 0,6-1,2 s 1-50 Mbps kleines Volumen, schnelle Übertragung (Remote-Desktop, Alarme, komprimierte und vorverar-beitete Daten) LTE [24] 5-20 km (abhängig von Faktoren wie Signalstärke und Netzabdeckung) 30-100-ms 10-100 Mbps großes Volumen, schnelle Übertragung (Live-Webcam, hochfre-quente Livedaten (10³ Hz), mittelfrequente Livedaten (10¹ Hz)) 5G [25] 100-500 m (abhängig von der Frequenz und Netzabdeckung) 1-10 ms 0,1-10 Gbps großes Volumen, schnelle Übertragung (Live-Webcam, hochfrequente Livedaten (10³ Hz), mittelfrequente Livedaten (10¹-Hz)) Ethernet 100 m (für Cat 5/ 6-Kabel) <1 ms 0,01-1 Gbps kleines Volumen, schnelle Übertragung (Remote-Desktop, Alarme, komprimierte und vorverarbeitete Daten) Glasfaser [26] 40 km oder mehr (abhängig von der Art der Glasfaser und der verwendeten Technologie) <1 ms 1-100 Gbps großes Volumen, schnelle Übertragung (Live-Webcam, hochfrequente Livedaten (10³ Hz), mittelfrequente Livedaten (10¹-Hz)) Insgesamt sollte die Auswahl des Datenübertragungsmediums auf den spezifischen Anforderungen des Projekts basieren, wobei Faktoren wie Reichweite, Latenz und Bandbreite berücksichtigt werden. Durch die Kombination von MQTT als bevorzugtes Protokoll, der Nutzung eines IoT OD und der Implementierung von SD-WAN und einem Industrierouter kann die Effizienz und Reaktionsfähigkeit von SHM-Systemen verbessert werden. Abb. 4: Matrize zur Darstellung von Übertragungsmedien und Anwendungen; y-Achse: Übertragungsvolumen, x-Achse: Übertragungsgeschwindigkeit 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 77 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag 4. Datensicherheit In der modernen Welt der IoT- und SHM-Systeme ist die Datensicherheit von entscheidender Bedeutung. Die Vernetzung von Sensoren und Systemen bietet viele Vorteile, bringt jedoch auch neue Herausforderungen in Bezug auf Sicherheitsbedrohungen und Datenschutz mit sich. Im Folgenden werden einige wichtige Aspekte der Datensicherheit behandelt. 4.1 Verschlüsselung Um die Vertraulichkeit und Integrität der übertragenen Daten zu gewährleisten, sollte die Kommunikation zwischen den Sensoren, Gateways und dem Backend-System verschlüsselt sein. Ein möglicher Hintergrund ist die vorsätzlich böswillige Manipulation der gemessenen Daten zur Störung des öffentlichen Verkehrs. Zum einen wird empfohlen, starke Verschlüsselungsalgorithmen wie AES-256 oder höher zu verwenden, zum anderen sollte auch die Datenübertragung durch SSL/ TLS oder andere sichere Kommunikationsprotokolle wie MQTT-TLS abgesichert werden. 4.2 Authentifizierung und Autorisierung Es ist wichtig, den Zugriff auf IoT-Geräte und Backend- Systeme sorgfältig zu kontrollieren. Starke Authentifizierungsmethoden wie zertifikatsbasierte Authentifizierung oder Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA) werden empfohlen. Darüber hinaus sollte das Prinzip von Zero- Trust Architekturen angewendet werden, um sicherzustellen, dass Benutzer und Geräte nur auf die für sie erforderlichen Daten und Funktionen zugreifen können. Im Fall des hier gezeigten SHM-Beispiels sind gemäß Abb. 3 die Kette Bridge Stack - Edge Stack und Verwaltungsschale Stack zu nennen. 4.3 Netzwerksegmentierung Die Segmentierung des Netzwerks ist eine effektive Methode, um die Angriffsfläche zu reduzieren und die Ausbreitung von Schadsoftware zu begrenzen. IoT-Geräte sollten in separaten Netzwerksegmenten isoliert und durch Firewalls oder andere Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden. Verschiedene Lösungen sind verfügbar, um Netzwerksegmentierung und Sicherheitsmanagement in IoT-Umgebungen zu unterstützen. Für aktuell verwendete SHM-Lösungen ist diese Segmentierung noch nicht erforderlich, bei mehreren IP-basierten Messgeräten empfiehlt sich aber eine Segmentierung beispielsweise in kritische (z. B. Alarmierungen auslösende) und unkritische Elemente. 4.4 Security-Monitoring und Incident-Response Die Überwachung von Sicherheitsereignissen und die frühzeitige Erkennung von Angriffen sind entscheidend, um Schäden zu minimieren und die Resilienz des Systems zu gewährleisten. Verschiedene Sicherheitslösungen ermöglichen die Überwachung von Anomalien im Netzwerkverkehr und verdächtigen Aktivitäten. Zudem sollten Unternehmen über einen gut strukturierten Incident-Response-Plan verfügen, um auf Sicherheitsvorfälle schnell und effektiv reagieren zu können. Neben der Überwachung des Bauwerks müssen somit auch die Systeme überwacht werden. 4.5 Datenschutz Mit der zunehmenden Verbreitung von IoT-Geräten und der Erfassung von immer mehr Daten rückt der Schutz der Privatsphäre in den Vordergrund. Als Beispiel sind hier IoT Kameras zur Verkehrsüberwachung genannt. Unternehmen sollten sicherstellen, dass ihre IoT-Lösungen die geltenden Datenschutzgesetze wie die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einhalten. Dies kann durch die Implementierung von Datenschutzmaßnahmen wie Datenminimierung, Anonymisierung und Pseudonymisierung erreicht werden. 4.6 Beweissicherung und Rückführbarkeit der Daten Ein immer wichtigerer Aspekt der Datenverwertung ist die Gewissheit, dass Daten nicht manipuliert werden. Kryptographie liefert ein Werkzeug, um das umzusetzen. Im Forschungsprojekt CASPAR [27] werden hierfür die Grundlagen geschaffen, die dann in die Datenablage integriert werden können. 5. Datenablage Daten, die im Rahmen eines Bauwerksmonitoring gewonnen werden, stehen in der Regel als Datenpaket dem Ausführenden zur Verfügung. Dem Auftraggeber oder Infrastrukturbetreiber wie z. B. der Autobahn GmbH werden diese Daten in der Regel in Form eines Berichtes mit ausgewerteten und zum Teil interpretierten Daten zur Verfügung gestellt. Die Qualität solcher Berichte sind erfahrungsgemäß stark schwankend und dadurch sind Verknüpfung von verschiedenen Berichten über den Lebenszyklus eines Brückenbauwerkes schwierig bis unmöglich. Durch eine Ablage der verschiedenen Daten eines Brückenbauwerkes mit Bezug zu BIM und verknüpften Tragwerksmodellen können georeferenzierte Informationen einerseits verortet sowie auch der Einfluss dieser auf das Bauwerk besser abgeschätzt werden. Mit diesem Grundsatz wurden bereits verschiedene Forschungsansätze verfolgt. Im Projekt BrAssMan (Brücken Asset Management) wurde eine Kollaborationsplattform für ein intelligentes Asset Management über den gesamten Lebenszyklus einer Brücke entwickelt [28]. Ein Ansatz zur Verknüpfung von SHM mit BIM wird im Forschungsvorhaben DiMaRB für Eisenbahnbrücken verfolgt [29]. Dabei entstand die Plattform shBIM. Der Cloudplattform IRIS wird sich im Forschungsprojekt OSIMAB bedient, um ein Überwachungssystem zur Zustandsbewertung und Sicherheit bestehender Brücken zu generieren [30]. Die Plattform ist in Microservices aufgebaut. Mehrere Brücken können dort abgebildet werden. Für komplexe IT-Systeme hat es sich als Vorteil erwiesen, eine fachlich orientierte Sprache zur Beschreibung von Oberflächen und Strukturen zu nutzen [31]. Für den Fachanwender steigt dadurch die Akzeptanz und die Lesbarkeit. Die strukturierte Ablage der Daten für Ingenieurbauwerke basiert fachlich auf der Einbindung von Mess- 78 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag punkten auf Grundlage der ASB-ING [32], wie auch in [10; 33] vorgestellt. Technisch wird die Datenablage über eine Verwaltungsschale umgesetzt, die es erlaubt, die Strukturen der ASB- ING zu konfigurieren und somit die Brücke in ihrer fachlichen Ausprägung zu modellieren (Abb. 1, unten Mitte). Die Verwaltungsschale (engl. Asset Administration Shell) ist eine Implementierung eines Digitalen Zwillings und kommt aus dem Umfeld der Industrie-4.0 [34; -35]. Als Standard definiert sie eine herstellerübergreifende, einheitliche Schnittstelle für den Informationszugriff. Im Datenmodell werden Messpunkte erstellt, über die die Rohdaten und normalisierte Daten derzeit in einem S3- Speicher abgelegt werden. Die BBox ist hard- und softwareseitig skalierbar und kann in einen Public Cloud Service eingebunden werden. Die Verteilung und Installation der SHM-Lösung können innerhalb weniger Minuten automatisiert über Helm-Charts erfolgen. Die Daten werden einschließlich ihrer Metadaten in einem Objektspeicher abgelegt. Data Scientist können über Tools wie z. B. Elastic Search oder Open Search beliebige Untermengen an Daten zusammenstellen. Über die S3 Schnittstelle wird mit einer Vielzahl von KI-Frameworks zur Analyse zugegriffen. 6. Datenauswertung Für die Auswertung der Daten werden die abgelegten Daten abgerufen. Im Fall der BBox steht hierfür die Schnittstelle zum Data Lake über den JupyterHub zur Verfügung. Klassisch erfolgt der Zugang zu den Daten über Festplatten oder moderner in Ablagen bei Cloudanbietern oder in Dashboards. Das Vorgehen der Auswertung ist dabei von der durchgeführten Anwendung abhängig. In wissenschaftlichen oder kommerziellen Softwarepaletten, welche zum Teil auch von Messgeräteherstellern mitgeliefert werden, kann eine Vielzahl an statistischen Datenverarbeitungs- und Datenstrukturierungsmethoden angewendet werden. Beispiele hierfür sind Algorithmen zum Anordnen und Gruppieren von Messwerten oder zur Modalanalyse. Wissenschaftliche Methoden, z. B. aus der Anwendung von Maschinellem Lernen, liefern weitere noch unentwickelte oder sich in Entwicklung befindende Anwendungen. Ein Beispiel hierfür sind Structural Health Information Patterns (SHIPs), bei welchen die Messdaten vereinigt und in Hauptkomponenten geordnet werden [36]. Ein weiteres Beispiel der Datenauswertung ist die Extrahierung von detaillierten Verkehrsdaten aus den Messungen. Beim Bridge Weigh-In-Motion werden diese Verkehrsdaten durch eine geeignete Anordnung von Dehnungssensoren an einer Brücke in Kombination mit einer spezifischen Auswertung der akquirierten Messdaten gewonnen. Dadurch können für jedes passierende Fahrzeug relevante Fahrzeug-Parameter, insbesondere die Achslasten, angegeben werden. Die Verarbeitung der aufgezeichneten Messdaten kann dabei direkt vor Ort (lokale Datenreduktion) oder nachträglich erfolgen. In jedem Fall bieten die berechneten Verkehrsdaten einen großen Mehrwert für die Erhaltung und Erweiterung der bestehenden Straßeninfrastruktur, z. B. zur Etablierung von realistischen Verkehrslastmodellen, die u. a. im Rahmen der objektspezifischen Nachrechnung einer Bestandsbrücke Anwendung finden können. Bei einer Schallemissionsanalyse läuft das Überwachungssystem autonom und sammelt 24-Stunden am Tag, 7-Tage die Woche Informationen. Es überprüft unter anderem automatisch die Ankoppelqualität der Sensoren, startet selbstständig nach einem Stromausfall die Überwachung und sendet Alarm E-Mails. Betreiber, Tragwerksplaner und Ingenieurbüros können Informationen über kritische Ereignisse erhalten, sobald sie auftreten, sodass die Verantwortlichen schnell auf Änderungen der Tragfähigkeit des überwachten Bauwerks reagieren können. Die permanente Überwachung kann für räumlich begrenzte Bereiche des Bauwerks, sogenannte Hot Spots, für ein gesamtes Bauteil wie ein Längsspannglied oder alle lasttragenden Elemente eines Bauwerks erfolgen. Die Datenreduktion erfolgt dabei im Messsystem. 7. Visualisierung der Daten Bei der Visualisierung der gemessenen Daten kann zwischen einer Vor-Ort-Visualisierung in der Software des Messgeräts und einer Fernvisualisierung unterschieden werden. Ersteres ist bei Laborversuchen, Probebelastungen oder auch bei Zf P Standard. Moderne Messgeräte erlauben einen Fernzugriff auf herstellereigenen Onlineplattformen, den sogenannten Dashboards. Hier werden die Messdaten je nach den vorherrschenden Gegebenheiten (siehe Kap. 3) mit einer gewissen Latenz im Rohformat oder durch Verarbeitung prozessiert angezeigt (siehe Kap. 6). In der Industrie 4.0 existieren Softwarelösungen, welche viele industrielle Messsysteme unterstützen. Untereinander sind die Systeme dahingehend kompatibel, als dass Sensoren über Standarddatenformate wie .csv eingespielt werden können. Um die Gesamtheit der Daten sinnvoll darstellen zu können, benötigt es als Grundlage eine Modelldarstellung des Bauwerkes. Dazu gehören verschiedene Modelle u. a. Geometrie-, FEsowie Datenmodelle, die miteinander verknüpft sind. Diese führen zum Grundsystem eines Digitalen Zwillings eines Bauwerkes. Daten, die z. B. durch die Bauwerksprüfung nach DIN 1076, einer angeordneten Objektbezogenen Schadensanalyse (OSA) oder dem SHM erfasst werden, müssen mit dem Modell georeferenziert verknüpft und in einer Datenbank hinterlegt werden. Alle Informationen und Daten eines Bauwerkes sollten von einer Oberfläche durch die Verwendung einer Bereichsauswahl im Modell oder durch Filterung zugänglich sein. In der Verwaltungsschale, die genau das ermöglicht, werden Daten aus dem S3 Speicher eingelesen und in fachlich auf bereiteter Form in Dashboards dargestellt. Damit können die Daten sämtlicher Messsysteme, sofern sie eine standardisierte Schnittstelle zulassen, ähnlich einer geschlossenen Messgeräteherstellerlösung Quasi-Live mit Latenz aus Vorverarbeitung, Übertragung und Prozessierung, angezeigt werden. Ein weiterer Vorteil für den Fachanwender über die Visualisierung hinaus besteht darin, 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 79 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag dass er auf Basis der ASB-ING-Struktur auf seine Daten zugreifen und daraus weitere Maßnahmen ableiten kann. 8. Praxisbeispiel Schwindegg In Schwindegg im bayerischen Landkreis Mühldorf am Inn wurde 2022 der Ersatzneubau einer Kreisstraßenbrücke durchgeführt. Das Bauwerk (Abb. 5) ist eine einfeldrige Rahmenbrücke, deren Überbau aus Spannbetonfertigteilen mit Ortbetonergänzung besteht. Die Spannweite beträgt ca. 19,8- m. Die Brücke entspricht demnach in ihrer Bauweise dem Typ Brücke, welche häufig für kleine und mittlere Stützweiten gebaut wird. Das Bauwerk liegt innerorts und überführt die Sparten Strom und Telekommunikation über den Fluss Isen. Aus diesem Grund ist hier die Anbindung an die öffentliche Versorgung sichergestellt. Zusätzlich besteht an der Brücke Mobilfunkempfang in 4G Qualität. Abb. 5: Isenbrücke Schwindegg: Ansicht von Nord- West. Im Zuge des Forschungsprojekts RISK.twin [37] wurde für den Brückenneubau ein Lebenszyklusmonitoring geplant und ausgeführt. Hierfür wurden ca. 170 Sensoren zur Dehnungs-, Temperatur-, Erddruck-, Neigungs-, Setzungs- und Schwingungsmessung sowie eine Wetterstation in und an der Brücke im Zuge der Bauausführung installiert. Eine Woche vor Verkehrsfreigabe wurde mit den Messungen begonnen. Gemäß Abbildung 1 existieren an der Brücke aktuell vier Messketten unterschiedlicher Messgerätehersteller, die synchron die Messdaten aufzeichnen. Die Messdaten werden aktuell über das 4G Mobilfunknetz via MQTT in die Verwaltungsschale BBox übertragen, wie in Abb. 3 bereits schematisch gezeigt. Abgelegt im .json-Format auf dem S3 Speicher können die Messdaten für Auswertungen mit statistischen Methoden aber auch Methoden künstlicher Intelligenz weiterverarbeitet werden. Die Messdaten sind in der Verwaltungsschale durch die Zuordnung der Messstellen an die Semantik der Brücke gem. ASB-ING eindeutig identifizierbar. 9. Zusammenfassung und Ausblick Für die Datenaufnahme wurde gezeigt, dass eine Standardisierung im Bereich der Sensorik nicht zielführend ist. Es ist jedoch zu sehen, dass standardisierte Schnittstellen, wie das von den Autoren vorgeschlagene Message Queuing Telemetry Transport (MQTT) Protokoll für den Datentransfer bestens geeignet sind. Des Weiteren wird vorgeschlagen, sich auf ein Übertragungsmedium zu einigen. Dieses ist häufig durch die äußeren Rahmenbedingungen wie Messaufgabe als auch Standort des Bauwerks vorgegeben. Mit einer zweiten Notfallalternative kann eine Redundanz im Falle des Zusammenbruchs einer Datenübertragung geschaffen werden. Hinsichtlich der Datensicherheit wurde aufgezeigt, dass es im Bereich der Industrie viele gelebte Methoden gibt, für das Structural Health Monitoring (SHM) gilt es diese zumindest zu berücksichtigen. Es wurden verschiedene Alternativen der Datenablage gezeigt, die Verwaltungsschale BBox hat durch ihre Vielseitigkeit viele Vorteile. Nicht nur die Datenauswertung, sondern auch die Visualisierung der Rohals auch der ausgewerteten Messdaten kann darin je nach Anwendung flexibel abgebildet werden. Mit der Isenbrücke Schwindegg werden die thematisierten Aspekte erprobt. Für die Autobahn GmbH als Infrastrukturbetreiber ergibt sich durch eine Standardisierung im Bereich SHM ein effektives Werkzeug zur Steuerung und Überwachung der Infrastruktur sowie für einzelne Bauwerke. Gerade im Bereich des Betriebes und des Erhaltungsmanagement ist ein Zugriff auf die Daten eines Bauwerkes mit vergleichbaren Kennzahlen und vorhandener Verortung sowie einem Zeitstempel der Datenerfassung ein wesentlicher Punkt, um prädiktiv, wirtschaftlich und effektiv Maßnahmen ableiten zu können, die die Lebensdauer und Nutzbarkeit der Infrastruktur gewährleistet. Der vorgestellte Vorschlag zur Standardisierung wird an einem weiteren Pilotprojekt getestet. Die Autobahnbrücke Sinzing überführt die A3 zwischen Regensburg und Nürnberg über die Donau. Das 930m lange Bauwerk besteht aus neun Feldern mit einer maximalen Spannweite von 130m und zwei unabhängigen Stahl-Vollwand-Fahrbahnträgern, mit einer Breite von jeweils 14,25m. Die Überbauten sind auf massiven Pfeilern mit einer maximalen Höhe von 47m gelagert. Aufgrund der geplanten Erweiterung der A3 auf drei Fahrspuren je Richtung wird die Brücke mittelfristig durch einen Ersatzneubau ersetzt. Die 1966 fertiggestellte Brücke weist in verschiedenen Bereichen Ermüdungserscheinungen auf, weshalb zusätzlich zu den turnusgemäßen Brückenprüfungen auch dazwischen regelmäßige Prüfungen durch die Autobahnmeisterei durchgeführt werden [38]. Durch ein gezieltes Monitoring-System können die personal- und zeitaufwändigen Zwischenprüfungen unterstützt und so ein Beitrag zum wirtschaftlichen Weiterbetrieb der Donaubrücke Sinzing geleistet werden. Das Monitoring-Projekt an dieser Autobahnbrücke ermöglicht das Übertragen der in Schwindegg gewonnenen Erkenntnisse auf ein wichtiges Bauwerk der kritischen Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. Die Praxistauglichkeit, der im Beitrag beschriebenen Konzeptvorschläge zur Standardisierung, soll anhand dieses Beispiels untersucht und demonstriert werden. 80 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Standardisierung im Structural Health Monitoring (SHM) - Konzeptvorschlag Danksagung Dieser Beitrag aus dem Projekt RISK.twin wird durch dtec.bw- Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr gefördert. dtec.bw wird von der Europäischen Union - NextGenerationEU finanziert. Literatur [1] Budras, C.; Schiller, A. (10.03.2022) Marode Infrastruktur: Wie der Bundesverkehrsminister 4000 Brücken modernisieren will Frankfurter Allgemeine Zeitung. 10. Mrz. 2022. [2] DIN 1076 (1999-10) DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. Berlin: Beuth Verlag GmbH. 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Jürgen Feix Universität Innsbruck Zusammenfassung Die Überwachung und Kontrolle von Betonbauwerken ist von entscheidender Bedeutung für die Verlängerung der Lebensdauer dieser Bauwerke. Zur Zustandsüberwachung von Bauwerken können drahtlose Sensorknoten eingesetzt werden. In den letzten Jahren wurden hierfür passive RFID-Sensoren vorgeschlagen, um Daten aus dem Inneren von Betonbauwerken zu erfassen. Der Entwurf von Antennen, die in Beton arbeiten können, um Daten vom Sensorknoten nach außen zu übertragen, ist jedoch äußerst schwierig, da die Performance der dafür notwendigen Antennen stark vom umgebenden Material abhängt. Diese Arbeit demonstriert den Entwurf einer UHF-Band-Antenne in Beton mit unterschiedlichen dielektrischen Eigenschaften. Es werden keine Abstandshalter oder Boxen um die Antenne benötigt. Zusätzlich wird ein Sensorsystem gezeigt,-welches mit Hilfe dieser Antenne kabellos und ohne Batterien, mittels UHF RFID, Sensorwerte senden kann und-sich somit als Structural Health Monitoring System für Betonbauwerke eignet. Am Beispiel eines Randbalkens wird die Funktionsweise dieses Systems demonstriert. 1. Einführung Korrosionsschäden sind ein ernsthaftes Problem für die Infrastruktur und ein immenser Kostenfaktor für die öffentliche Hand mit geschätzten weltweiten Kosten von 2,5-Milliarden US-Dollar im Jahr 2013 [1]. Fehlende Korrosionsschutzstrategien können nicht nur Folgekosten durch Ausfallzeiten verursachen, sondern auch zu schweren Unfällen führen. Dies kann zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führen, wie der Einsturz der Ponte Morandi im Jahr 2018 gezeigt hat, bei dem 43 Menschen ums Leben kamen. Obwohl die genauen Details des Einsturzes noch diskutiert werden [2], wird angenommen, dass die Hauptursache dieses Unfalls korrodierter Bewehrungsstahl war [3]. Im Allgemeinen ist die Korrosion von Bewehrungsstahl die Hauptursache für Schäden im Infrastrukturbau. Untersuchungen an Brücken und Tunnel in Deutschland zeigen, dass sich bis zu 71 % der festgestellten Schäden an Betonoberflächen, auf Bewehrungskorrosion zurückzuführen lassen. Davon sind ca. 90 % der Fälle auf die sog. Chloridkorrosion zurückzuführen [4]. Es wird daher davon ausgegangen, dass ein geeignetes Korrosionsmanagement zu Kosteneinsparungen von bis zu 35 % führen kann. [1] Eine effiziente Korrosionsüberwachung und ein effizientes Korrosionsmanagement sind daher unerlässlich und sehr gefragt, um solche Tragödien zu verhindern. Es ist insbesondere wünschenswert, durch die Überwachung wichtiger Parameter wie Feuchte und Chloridionenkonzentration [5] den bestmöglichen Einblick in eine Konstruktion zu erhalten. Um zerstörungsfreie Messtechniken zu nutzen, geht der Trend zur drahtlosen Sensortechnik [6]. Eine große Herausforderung bei Betonkonstruktionen besteht darin, dass sie über Jahrzehnte hinweg überwacht werden müssen, was den Einsatz von eingebetteten, batteriegestützten Lösungen unmöglich macht. Technologien wie passive Hochfrequenz (HF)-Radiofrequenzidentifikation (RFID) können diesen Nachteil überwinden [7]. Obwohl HF-RFID zur Übertragung von Daten und Energie zu und von in Beton eingebetteten Sensorknoten ver- 84 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Passive kabellose Sensorplattform am Beispiel eines Randbalkens wendet werden kann, ist die Kommunikationsreichweite aufgrund des zugrundeliegenden Funktionsprinzips, das auf elektromagnetischer Induktion beruht, in der Regel sehr begrenzt. Im Gegensatz dazu arbeitet Ultrahochfrequenz-RFID (UHF) mit einer höheren Frequenz und basiert auf der Übertragung elektromagnetischer Wellen mithilfe von Antennen. Die sich ausbreitenden Wellen werden jedoch beim Durchgang durch leitende Materialien stark gedämpft, und an den Übergängen zwischen zwei verschiedenen Materialien kommt es zu Reflektionen [8]. Für jede drahtlose Daten- oder Energieübertragung ist eine geeignete Antenne erforderlich. Damit diese eingebettet in Material funktionieren, muss die Antenne an die Eigenschaften dieses Materials angepasst werden. Relevante Eigenschaften von Beton wie die Leitfähigkeit und die Dielektrizitätskonstante sind jedoch in hohem Maße von der spezifischen Art des Betons und seinem Feuchtigkeitsgehalt abhängig. Daher hängen diese Parameter auch von der spezifischen Struktur ab, in der der Beton verwendet wird, sowie von zeitabhängigen Umgebungsbedingungen wie Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Wassermenge in der Nähe des Betons, wie z. B. saisonale Effekte. Daraus folgt, dass eine für den Betrieb im Beton ausgelegte Antenne, unter einer Vielzahl unterschiedlicher Bedingungen funktionieren muss. In [9] werden Werte von und ε r = [5,8] und $\sigma=\numrange{0.01} {0.1}$ für eine Frequenz von \SI{1}{\giga \hertz} für Beton in Bezug auf den Feuchtigkeitsgehalt genannt, welche gut mit Daten aus anderen Quellen übereinstimmen [10] [11], die ähnliche Betonmischungen und Druckfestigkeiten verwenden. Diese große Bandbreite an dielektrischen Eigenschaften macht es jedoch äußerst schwierig, eine Antenne zu entwerfen, die für einen zuverlässigen Betrieb innerhalb von Beton geeignet ist. Außerdem wurden die oben genannten Werte nach einer ersten Trocknungsphase ermittelt. Daher haben einige Autoren festgestellt, dass in der Aushärtungsphase des Betons aufgrund der unvollständigen Hydratation höhere Werte zu erwarten sind [9]. Ein in der Literatur mehrfach vorgestellter Ansatz ist es, eine Antenne für den Betrieb an Luft zu konstruieren und durch mechanische Abtrennung (z. B. Lufthohlräume, Styropor-Abstandshalter oder Kunststoffboxen) die unerwünschten Einflüsse des Betons zu beseitigen [12] [13] [14] [15] [16]. Solche Maßnahmen führen jedoch unweigerlich zu potenziellen mechanischen Schwachstellen, die wiederum zum Eindringen von Wasser und damit zu erhöhter Korrosion führen können. In diesem Beitrag wird eine Methode zum Entwurf einer Antenne vorgestellt, die innerhalb aller spezifizierten Materialparameter von Beton funktionsfähig ist und eine zusätzliche Verkapselung überflüssig macht. Mit der vorgestellten Methode ist es möglich, eine Antenne für UHF- RFID-Sensoren zu entwerfen, die auf einer einzigen Substratschicht hergestellt und direkt in Beton eingebettet werden kann und in der Lage ist, Daten für alle erwarteten elektrischen Parameter von Beton zu übertragen. Um eine solche Struktur zu entwickeln, werden evolutionär optimierte verpixelte Antennen mit verschobenen kreuzförmigen Elementen eingesetzt [17]. Um die Simulationsergebnisse der Antennen zu überprüfen, wurden 40-x 40-x 17.5 cm große Betonkörper angefertigt und die Antenne in einer Tiefe von 2 cm vermessen. Mithilfe dieser Antennen wir ein Sensorsystem gezeigt, welches ohne physischen Eingriff eine Messung von integrierten Chloridsonden ermöglicht. Durch den Einsatz der UHF RFID-Technologie kann der Sensorwert ohne Beschädigung des Betons ausgelesen werden. Darüber hinaus umgeht die passive Natur von RFID-Systemen auf elegante Weise das Hantieren mit Kabeln oder Batterien zur Stromversorgung, da die Energie drahtlos übertragen wird. Um das Sensorsystem mit Antenne unter realen Bedingungen zu testen, wurde dieses in einen Randbalken einbetoniert. 2. Methoden 2.1 UHF RFID Sensorplattform Die in dieser Arbeit verwendete Sensorplattform basiert auf dem WISP-Tag der University of Washington und Intel Research Seattle und wurde aufgebaut von [18]. Abb. 1: Blockdiagramm des Frontends der verwendeten Sensorplattform [18] Der Teil des WISP-Tags, der Signale von der Antenne verarbeitet - das analoge Frontend - ist in Abb. 1 dargestellt. Eine Antenne ist dabei an ein Matching Netzwerk angeschlossen, welches garantiert, dass die Antenne optimal Leistung an einen Gleichrichter übertragen kann. Dieser nimmt die von der Antenne aufgenommene Leitungsgebundene Welle auf und erzeugt daraus eine Gleichspannung, welche zur Versorgung von weiteren elektronischen Schaltungsteilen verwendet werden kann. Der Gleichrichter besteht aus zwei Dioden, wobei die Wahl der Dioden von entscheidender Bedeutung für die Effizienz des Systems ist, und damit welche maximale Übertragungsreichweite erreicht werden kann. Arbeiten unserer Gruppe haben ergeben, dass sich hierfür die Diode BAT63-02V gut dafür eignet. [18] Der Demodulator, welcher ein ähnliches Funktionsprinzip aufweist, extrahiert aus der leitungsgebundenen Welle Daten, welche ein Microcontroller auswerten kann. Dieser verwendet dieselben Dioden wie der Gleichrichter. Da UHF RFID ein Amplitudenmoduliertes Signal verwendet, muss der Demodulator zuerst eine Einhüllende erfassen, was durch einen Gleichrichter mit kleiner Pufferkapazität passiert. Um die Daten zu extrahieren, ver- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 85 Passive kabellose Sensorplattform am Beispiel eines Randbalkens gleicht ein Komparator die erfasste einhüllende mit der Tiefpassgefilterten Einhüllenden. Das durch den Komparator erzeugte Signal kann anschließend von einem Microcontroller ausgewertet werden. Abb. 2: Auf bau des Analogen Frontend für das verwendeten Sensorsystems [18] 2.2 Evolutionäre Optimierung von pixelierten Antennen Pixelierte Antennen können speziell für gewisse Anforderungen wie etwa für 5G IoT, UHF RFID oder für Betonbauwerke optimiert werden [19] [17] [20]. Die für die in 2.1 vorgestellte Sensorplattform verwendete Antennen ist in Abb. 3 dargestellt. Abb. 3: Vom evolutionären Algorithmus für Beton optimierte Antenne [20] Die Optimierung kann - nach Eingabe einiger Randbedingungen (z. B. Antennenabmessungen, Umgebungsmaterial) und Ziele (z. B. Richtwirkung, Anpassung)-- vollkommen autonom erfolgen. Sie bestehen aus Einzelelementen wie etwa Rechtecken, Sechsecken oder auch Kreuzen dessen Platzierung durch ein Optimierungsverfahren gesteuert wird. Als Optimierungsverfahren können unterschiedliche Algorithmen verwendet werden. In unserem Fall werden Evolutionäre Algorithmen verwendet. Diese werden heute für eine Vielzahl von Anwendungen verwendet [21] [22] [23] [24]. Sie sind eine Klasse von Optimierungsalgorithmen, die vom Prozess der biologischen Evolution inspiriert sind. Sie sind in verschiedenen Bereichen der Informatik weit verbreitet, einschließlich des maschinellen Lernens, der künstlichen Intelligenz und der Optimierung. Evolutionäre Algorithmen gehen von einer Population potenzieller Lösungen aus, die nach ihrer Fitness bewertet und zur Fortpflanzung durch Selektion ausgewählt werden. Für die Optimierungen werden anfangs N zufällig erzeugte Antennen generiert. Dabei bezeichnet N die Größe der Population. Diese Antennen werden in unserer Studie mit Matlab erzeugt und mithilfe von Sonnet Software simuliert. Mithilfe dieser Simulationen werden die Antennen bewertet. Je besser eine Antenne, desto höher deren Fitness, welche folgendermaßen berechnet wird: Die fittesten Individuen haben dabei dich höchste Wahrscheinlichkeit sich fortzupflanzen, indem durch Mutation und Rekombination neue Lösungen erzeugt werden. Bei der Mutation werden eine oder mehrere Komponenten einer individuellen Lösung zufällig verändert, während bei der Rekombination zwei oder mehrere Lösungen zu einer neuen Lösung kombiniert werden. Diese neuen Lösungen werden dann bewertet und der Zyklus wird fortgesetzt, bis eine zufriedenstellende Lösung gefunden ist. Evolutionäre Algorithmen sind nützlich, um komplexe Optimierungsprobleme zu lösen, die mit herkömmlichen Optimierungsmethoden nur schwer oder gar nicht lösbar sind. Außerdem sind sie flexibel und können an verschiedene Problembereiche angepasst werden, was sie zu einer beliebten Wahl für eine Vielzahl von Anwendungen - wie etwa sozioökonomische Simulationen [22], die Erstellung von risikooptimalen Portfolios im Finanzwesen [21] und viele weitere - macht. Einer der Hauptvorteile evolutionärer Algorithmen ist ihre Fähigkeit, einen großen Suchraum effizient zu durchsuchen und dabei neue und unerwartete Lösungen zu finden. Diese Gründe machen Evolutionäre Algorithmen perfekt für die Optimierung pixelierter Antennen. Das verwendete Optimierungskonzept ist in Abb. 4 dargestellt. Zuerst werden Randbedingungen wie etwa verwendetes Substrat, maximale Baugröße der Antenne und Position des Anschlusses definiert sowie Ziele wie Richtwirkung oder Anpassung vorgegeben. Für die in dieser Studie verwendete Antenne war das Ziel eine gute Anpassung für alle vom Beton in der Literatur beschriebenen Materialeigenschaften. 86 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Passive kabellose Sensorplattform am Beispiel eines Randbalkens Abb. 4: Evolutionäres Optimierungskonzept. In a) wird eine Fläche mit vorgegebenen Abmessungen verpixelt. In b) werden Pixel unterschiedlicher Antennen gesetzt. Durch eine evolutionäre Optimierung werden die Pixel so gesetzt, dass ein gesetztes Ziel hinreichend erfüllt wird [17] Der durch die Baugröße vorgegebene Bauraum wird, wie in Abb. 4 a) gezeigt, mit Einzelelementen verpixelt. In unserem Fall werden Kreuze verwendet. Dies macht es möglich, eine Antenne als 2D Matrix oder auch als Bitstring darzustellen. Dies macht eine Optimierung mittels evolutionärer Algorithmen erst möglich. 2.3 Chloridionen Sensor Zur Messung von freien Chloridionen im Porenwasser von Beton eignen sich sog. Ag/ AgCl-Chloridsensoren. Diese bestehen aus einem mit Silberchlorid (AgCl) überzogenen Silberdraht und stellen eine Elektrode zweiter Art dar. Das Messprinzip beruht auf der Potentialmessung. Über eine kontinuierliche Aufnahme der Potentialdifferenz mehrerer Sensoren in unterschiedlichen Tiefenstufen des Betonbauteils kann die Tiefe der Chlorideindringfront von außen in den Beton erfasst werden. Mittels dieser Elektrode ist es möglich, die Depassivierungsfront des Betons und die korrosionsauslösenden Chloridkonzentration zu bestimmen. Umfangreiche Beschreibungen der Sensoren sowie der elektrochemischen Vorgänge im Zusammenhang mit der Korrosionswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit der Chloridkonzentration finden sich in [25] [26] [27] [28]. 2.4 Randbalken Der Randbalken stellt ein Bauteil der Brückenausrüstung dar. Dieser bildet den Fahrbahnabschluss und fasst den Tragwerksrand ein. So dient der Randbalken Führung der Oberflächenwässer und dem Schutz des Tragwerksrandes vor mechanischer Beanspruchung. Zudem ist er für die Verkehrssicherheit von großer Relevanz. Das Fahrzeugrückhaltesystem sowie Brückengeländer, Lichtmasten und Verkehrszeichen werden im Randbalken verankert. Des Weiteren dient er als Bordstein und sorgt als mechanische Leiteinrichtung für den Schutz des Gehwegs vor abgeirrten Fahrzeugen. Als Bauteil der Brückenoberfläche sind Randbalken einer besonders starken Chloridexposition ausgesetzt, weswegen der Einsatz von Chloridsensoren in diesem Bauteil besonders sinnvoll ist [29]. Eine schematische Skizze eines Randbalkens als Querschnitt ist in Abb. 5 zu sehen. Abb. 5: Querschnitt Schemaskizze Randbalken Um die Funktion der Antennen und Sensoren testen zu können, wurde daher ein 2 m langes und 125 cm breites Randbalkenelement hergestellt. Der Demonstrator entspricht dabei in Hinblick auf die Abmessungen einem realen Randbalken. Der Beton wurde gemäß der Exposition des Bauteiles gegenüber Chloriden und Frost mit C25/ 30/ XC4/ XW2/ XD3/ XF4/ XA1L(A) festgelegt, in Österreich unter der Kurzbezeichnung C25/ 30 B7 zusammengefasst, was ebenfalls den Anforderungen des realen Bauteils entspricht. Die Bewehrung wurde in Anlehnung an ein reales Vergleichsprojekt gitterförmig mit einem Stabdurchmesser von Ø14 mm/ 15 cm in Längs und Querrichtung verlegt. In diesen Randbalken wurden die Chloridsensoren sowie die Antennen einbetoniert und die Kabel nach außen geführt. In Abb. 6 a) ist die Herstellung des Randbalkens zu sehen, in Abb. 6 b) das fertige Bauteil. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 87 Passive kabellose Sensorplattform am Beispiel eines Randbalkens Abb. 6: Herstellung des Randbalkens a) und das fertige Bauteil b) 2.5 Messaufbau Um die Sensoren im Bauteil positionieren zu können wurden diese vorab auf einem Gittergewebe positioniert. Dies erlaubt ein einfaches Einlegen bei der Herstellung und auf eine zeitaufwändige Kabelführung konnte größtenteils verzichtet werden. Darüber hinaus verleiht das Gewebe den filigranen Anschlüssen und Sensoren zusätzliche Stabilität, was das Handling erleichtert und zugleich vor Beschädigung schützt. Um im Falle eines Defektes von Sensoren oder Antennen, bzw. um bei Beschädigungen bei der Betonage eine Redundanz zu schaffen, wurden insgesamt drei Sensorpunkte mit mehreren unterschiedlichen Sensoren und zwei der vorgestellten Antennen in den Randbalken einbetoniert. Um Antennen und Sensoren für die Messung miteinander zu verbinden, wurden die jeweiligen Kabel aus den Randbalken herausgeführt. Einen Schemaskizze der Positionierung der Sensoren im Randbalken sowie ein Foto der Positionierung vor der Betonage sind in Abb. 7 zu sehen. Abb. 7: Schemaskizze der Positionierung der Sensoren a) und positionierte Sensoren vor der Betonage b) 3. Ergebnisse 3.1 Antenne Die Evolutionäre Optimierung hat zu der in Abb. 3 dargestellten Antenne geführt. Diese wurde bereits in einer vorherigen Publikation unserer Gruppe präsentiert [17]. Für diese Antenne wurden folgende Randbedingungen gewählt: Tab. 1: Randbedingungen und Ziele an Antenne Maximale Länge 97 mm Maximale Breite 42 mm Rel. Permittivitätsbereich [5,8] Leitfähigkeitsbereich [0.01,0.1] S/ m Minimale Einbautiefe 25 mm Simulationen wurden für ein 40 x 40 x 17.5 cm großes Betonbauteil durchgeführt, da später für Messungen dieselbe Größe verwendet wurde. Diese wurde gewählt, damit die Betonproben noch für Messungen in eine elektromagnetisch geschirmte Kammer transportiert werden konnten. Die Simulationsergebnisse des Reflexionskoeffizienten in Abb. 8 zeigen einen maximalen Reflexionskoeffizienten von -12 dB, was für eine hinreichend angepasste Antenne spricht. Somit sollte laut Simulation diese Antenne für alle in der Literatur präsentierten Materialeigenschaften von Beton resonant sein. Da eine gute Anpassung jedoch noch nicht für eine gute Abstrahlung spricht, wurde eine Simulation des Antennengewinns durchgeführt. Dieser ist in Abb. 9 dargestellt. 88 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Passive kabellose Sensorplattform am Beispiel eines Randbalkens Abb. 8: Simulation des Reflexionskoeffizienten S11 für unterschiedliche relative Permittivitäten und Leitfähigkeiten [20] Darin ist ersichtlich, dass der Antennengewinn stark von der Leitfähigkeit, jedoch nur minimal von der Permittivität abhängt. Dies spricht dafür, dass die hauptsächlich auftretenden Verluste nicht aufgrund der Unstetigkeitsstelle Beton-Luft, sondern aufgrund von Verlusten im Material entstehen. Je höher die Leitfähigkeit, desto größer die Verluste und daher, desto kleiner der Antennengewinn. Jedoch reicht der minimale Antennengewinn aus, um passive UHF RFID Transponder mit genügend Energie zu versorgen. Abb. 9: Simulation des Antennengewinnes für unterschiedliche relative Permittivitäten und Leitfähigkeiten [20] Um die Simulationen zu überprüfen, wurden in einem Zeitraum von 157 Tagen Messungen des Reflexionskoeffizienten, des Antennengewinns sowie der Feuchtigkeit der Betonprobe durchgeführt. Die Proben wurden in diesem Zeitraum bei einer Temperatur von 22 °C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 65% gelagert. An Tag 1 ergab sich ein Antennengewinn von ungefähr -16 dBi sowie ein Reflexionskoeffizient von -8.4 dB. Nach 157 Tagen stellte sich ein maximaler Antennengewinn von -8.4 dBi sowie ein Reflexionskoeffizient von -13 dB ein. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein UHF RFID Transponder von Tag 1 weg Daten liefern kann. Weitere Details zu diesen Ergebnissen sind in einer bereits publizierten Studie verfügbar [17]. 3.2 Sensorsystem Mithilfe des Messauf baus in Kapitel 2.5 wurde der erstellte Sensorknoten aus Kapitel 2.1 ausgelesen. Dazu wurde die Software „WISP Concrete Measurement“ von der Universität Innsbruck verwendet. Diese steuert einen UHF RFID Reader an, und ist in der Lage die von der Sensorplattform gesendeten Werte zu empfangen und diese über die elektromagnetischen Wellen für die Kommunikation gleichzeitig mit Energie zu versorgen. Ein Bild der Software während einer Messung ist dargestellt in Abb. 10. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 89 Passive kabellose Sensorplattform am Beispiel eines Randbalkens Abb. 10: Benutzerinterface der verwendeten Software. Der verwendete UHF RFID Reader von Farsens wird mittels TCP/ IP angesprochen. Die empfangenen Werte werden links unten tabellarisch aufgelistet und rechts unten als Graph angezeigt Die Messdaten des Silberchlorid-Sensors von Sensorpaket 1 sind in Abb. 11 dargestellt. Der errechnete Mittelwert dieser liegt bei 128.4 mV. Abb. 11: Messungen der Sensorspannung am Messpunkt 1 über eine Zeit von ca. 6.1 Sekunden Die Messdaten des Silberchlorid-Sensors von Sensorpaket 2 sind in Abb. 12 dargestellt. Der errechnete Mittelwert dieser liegt bei 82.4 mV. Abb. 12: Messungen der Sensorspannung am Messpunkt 2 über eine Zeit von ca. 4.5 Sekunden 4. Diskussion und Ausblick In dieser Publikation wird ein Sensorsystem vorgestellt, das dank einer speziell für Beton optimierten Antenne in der Lage ist, passiv und kabellos Sensordaten aus Beton zu übertragen. Zur Bestätigung der Simulationsergebnisse der entwickelten Antenne wurde diese in Probekörpern mit den Maßen 40 x 40 x 17,5 cm und einer Tiefe von 2 cm eingebaut und vermessen. An Tag 1 nach der Einbetonierung zeigte die Antenne einen Reflexionskoeffizienten 90 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Passive kabellose Sensorplattform am Beispiel eines Randbalkens von -8.4 dB. Die Antenne wies nach 157 Tagen in einer Klimakammer mit einer Temperatur von 22 °C und einer relativen Luftfeuchte von 65% einen Reflexionskoeffizienten von -13 dB sowie einen Antennengewinn von -8.4 dBi auf. Das gesamte Sensorsystem wurde dann in einen Randbalken eingebettet, um es einem realen Test zu unterziehen. Hierbei wurden auch die im Text erwähnten Chloridionensensoren eingesetzt. Die gezeigten Messungen der Chloridionensensoren im Randbalken zeigten Werte, welche auf eine sehr kleine Chloridionenkonzentration hindeuten, was bei dem verwendeten Randbalken ohne Korrosion zu erwarten war. Die Funktion des batterielosen und kabellosen Sensorsystems konnte damit bestätigt werden. Weitere Untersuchungen und Langzeittests sind erforderlich, um die Einsatztauglichkeit dieses innovativen Systems in der Praxis zu bestätigen. Das Sensorsystem hat enormes Potenzial für die Baubranche, indem es beispielsweise die Kontrolle der Betonzusammensetzung und des Feuchtigkeitsgehalts ermöglicht und somit zur Verbesserung der Bauqualität insgesamt beitragen kann. Literatur [1] G. Koch, Cost of corrosion, Elsevier Ltd, 2017, p.-3-30. [2] G. M. Calvi, M. Moratti, G. J. O’Reilly, N. Scattarreggia, R. Monteiro, D. Malomo, P. M. Calvi und R. Pinho, „Once upon a Time in Italy: The Tale of the Morandi Bridge,“ Structural Engineering International, Bd. 29, p. 198-217, 2019. [3] C. Nuti, B. Briseghella, A. Chen, D. Lavorato, T.- Iori und I. Vanzi, „Relevant outcomes from the history of Polcevera Viaduct in Genova, from design to nowadays failure,“ Journal of Civil Structural Health Monitoring, Bd. 10, p. 87-107, 2020. [4] A. Schießl-Pecka, U. Willberg, A. Rausch und W. B. BERICHT, „100 Jahre Dauerhaftigkeit für Brücken- und Tunnelbauwerke,“ 1002. [5] M. Torres-Luque, E. Bastidas-Arteaga, F. Schoefs, M. Sánchez-Silva und J. F. 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Piedallu, F. Michelis und B. Lebental, „Embedded UHF RFID Tag for Durability Monitoring in Concrete,“ Wireless Sensor Network, Bd. 08, p. 137-144, 2016. [16] D. Mair, M. Renzler, A. Pfeifhofer und T. Ußmüller, „Evolutionary Optimization of Asymmetrical Pixelated Antennas Employing Shifted Cross Shaped Elements for UHF RFID,“ 2020. [17] D. Gunjic, J. Walk, M. Fischerf und T. Ussmueller, „Realization of a Passive UHF RFID Sensor Platform for the Detection of Damages on a Concrete Reinforcement,“ in Proceedings of the 52 nd European Microwave Conference, 2023. [18] Zimmermann, Lorenz, „Korrosionsinitiierender Chloridgehalt von Stahl in Beton,“ ETH Zurich, 2000. [19] Schiegg, Yves, „Online-Monitoring zur Erfassung der Korrosion der Bewehrung von Stahlbetonbauten,“ ETH Zurich, 2002. [20] Molina, Moreno, „Zerstörungsfreie Erfassung der gelösten Chloride im Beton,“ ETH Zurich, 1993. [21] J. Stark und B. Wicht, Dauerhaftigkeit von Beton,-2., aktual Hrsg., Berlin and Heidelberg: Springer Vieweg, 2013. [22] C. Sodeikat, C. Dauberschmidt, P. Schießl, C. Gehlen und G. Kapteina, „Korrosionsmonitoring von Stahlbetonbauwerken für Public Private Partnership Projekte: Dauerhaftigkeit sichtbar gemacht,“ Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 101, p. 932-942, December 2006. Scan2BIM 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 93 Algorithmische Erkennung von Stützmauern aus 3D-Punktwolken der Straßenbefahrung Dr. sc. ETH Dipl.-Ing. Frank Schiffmann Infrastructure Management Consultants GmbH, Mannheim Univ.-Prof. Dr. sc. techn. ETH Rade Hajdin Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich Lazar Rakić, M. Sc. ETH Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich Dr. rer. nat. Rico Richter, M. Sc. Point Cloud Technology GmbH, Potsdam Zusammenfassung Der Kanton Uri gehört als Bergkanton zu einem der Schweizer Kantone, deren Straßeninfrastruktur sehr viele Stützmauern aufweist. Stützmauern gehören zu den kritischen Objekten, welche im Fall ihres Versagens vor allem in Bergregionen erhebliche Auswirkungen auf die Straßennutzenden in Bezug auf Sicherheit und Verfügbarkeit sowie auf den Umfang der Maßnahmen zur Wiederherstellung der Straßeninfrastruktur haben können. Eine wesentliche Grundlage zur Erhaltungsplanung ist die Geometrie von Stützmauern, d. h. die Länge und die sich über den Verlauf ändernde Höhe dieser Objekte. Im Rahmen eines Pilotprojekts konnte ein Algorithmus entwickelt werden, welcher aus vorhandenen 3D-Punktwolken die Geometrie bergseitiger Stützmauern erkennt. So kann der personelle und zeitliche Aufwand zur Erfassung von Inventardaten minimiert und durch die Digitalisierung dieses Prozesses eine Effizienzsteigerung erreicht werden. In diesem Beitrag wird die entwickelte Methodik für die (halb-)automatisiert Erkennung von bergseitigen Stützmauern aufgezeigt und der weitere Nutzen im Rahmen der Digitalisierung der Straßeninfrastruktur dargestellt. 1. Einführung Der Kanton Uri betreibt und unterhält ein kantonales Straßennetz von knapp 155 km mit etwa 2865 Kunstbauten. Dieses reicht im Innerschweizer Kanton von einer Höhe von 435 bis zu 2436 Meter über Meer. Es erschließt die Urner Gemeinden im Talboden sowie die Bergregionen und verbindet sie sowohl untereinander als auch mit den unmittelbar benachbarten Kantonen. Die besonderen topografischen Gegebenheiten führen zu unterschiedlichen Anforderungen für den Betrieb und Unterhalt. Dabei gehören saisonale Passschließungen und der Umgang mit Naturgefahren zum operativen Tagesgeschäft. Zusätzlich gehören die Urner Passstraßen zum Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz, woraus sich zusätzliche Anforderungen für die Erhaltung dieser Infrastruktur ergeben. 1.1 Gefährdungen der Straßeninfrastruktur Im Laufe der Nutzungsdauer ist die Straßeninfrastruktur unterschiedlichen Gefährdungen ausgesetzt, welche dazu führen können, dass sie die ihr zugewiesene Funktion nur teilweise oder gar nicht erfüllen kann. Gefährdungen werden grundsätzlich eingeteilt in solche, die sich langsam entfalten und solche die sich schnell ereignen. Beide können zu einem plötzlichen Versagen (oder anderweitiger Funktionsbeeinträchtigung) führen, aber sie unterscheiden sich dadurch, dass bei den ersteren das Versagen am Ende eines über mehrere Jahre oder Jahrzehnte laufenden Schädigungsprozesses eintritt, wogegen bei den letzteren das Versagen und dessen unmittelbare Ursache mehrere Stunden oder höchstens Tage auseinanderliegen. Dies ist zum Beispiel bei Naturgefahren der Fall [1]. Aussagen über die resultierenden Langzeitkosten von Maßnahmenoptionen sind für den Kanton Uri als Bergkanton von großer Bedeutung damit Gegenmaßnahmen zur Vorbeugung zu minimalen Kosten geplant und eingeleitet werden können. Die Grundlage für diesen Prozess der Entscheidungsfindung liefert die strategische Erhaltungsplanung im Rahmen des Erhaltungsmanagements. 1.2 Erhaltungsmanagement Das Erhaltungsmanagement gemäß [2] umfasst die systematische Planung und Lenkung der Erhaltung auf strategische sowie auf operative Ebene. Dabei zählen im schweizerischen Kontext zur Erhaltung die Aufgaben Überwachung, kleiner baulicher Unterhalt und baulicher Unterhalt. Dies ist in Deutschland gleichzusetzen mit dem Begriff der baulichen Erhaltung [3] bzw. der Bauwerkserhaltung (hierbei zählt zusätzlich die betriebliche Unterhaltung) [4]. Das Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur ist ein informationsgestützter Prozess, welcher auf den Daten der Überwachung zum Auf bau der einzelnen Infrastrukturobjekte und deren Zustand aus den Zustands- 94 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Algorithmische Erkennung von Stützmauern aus 3D-Punktwolken der Straßenbefahrung erfassungen der Inspektionen im jeweiligen Rhythmus auf baut. Das Straßennetz im Kanton Uri wird im 5-Jahresrhythmus überwacht und dafür in ca. 5 gleich große und für die jährliche Organisation der Überwachung sinnvolle Netzregionen unterteilt. Durch die Unterteilung in diese 5 Überwachungsregionen kann eine jährliche Durchführung mit annähernd gleichem Tätigkeitsaufwand und -umfang sichergestellt werden. Die jeweils jährlich zu inspizierende Region umfasst dabei alle relevanten Objektarten. Hierzu zählen Straßen, Entwässerungen, Kunstbauten (Brücken, Tunnel, Stützmauern), Betriebs- und Sicherheitsausrüstung sowie die an den Infrastrukturobjekten vorherrschende Geländegeologie. 1.3 Problemstellung und Ziele Die Daten der Kunstbauten wurden im Rahmen eines immer noch andauernden Digitalisierungsprozesses im Kanton Uri in der Kunstbauten-Datenbank strukturiert abgelegt, aktualisiert und dienen als Grundlage für die fortlaufende Planung der Überwachung und der Erhaltungsplanung. Von den im Kanton Uri vorhandenen ca. 2865 Kunstbauten sind etwa 1685 Stützmauern-Objekte. Diese Stützmauern-Objekte sind grundsätzlich jeweils als Objekt erfasst, es fehlen jedoch zum überwiegenden Teil aktuell der Höhenverlauf (Höhenprofil) entlang der Straßen. Gerade im Kanton Uri als Bergkanton spielen Gefährdungen für die Stützmauern eine bedeutende Rolle. Ein Versagen der Objekte hat gerade in Bergregionen erhebliche Konsequenzen, bei der Regionen völlig abgeschnitten werden können. Aus diesem Grund dürfen Stützmauern im Rahmen der Überwachung und Erhaltungsplanung der Straßeninfrastruktur nicht vernachlässigt werden, um während der Entscheidungsfindung rechtzeitig und möglichst wirtschaftlich optimal eingreifen zu können. Dies setzt somit voraus, dass die relevanten Daten des vorhandenen Stützmauern-Inventars erfasst und fortlaufend aktualisiert und gepflegt werden. Eine wesentliche Grundlage ist die vorhandene Geometrie von Stützmauern, welche Aufschluss über die Länge und die im Verlauf ändernde Höhe dieser Objekte gibt. Diese Daten sind aktuell netzweit nur für wenige Objekte vorhanden und müssen für alle Stützmauern grundlegend digitalisiert werden. Grundsätzlich lassen sich diese Daten manuell erfassen. Das Höhenprofil kann manuell vor Ort oder über eine Mobile-Mapping-Applikation am Bildschirm durch manuelles Abtasten in der 360°-Bilddarstellung mit der Computer-Maus der unterschiedlichen Höhen über die Länge ermittelt werden. Dies stellt einen erheblichen zusätzlichen zeitlichen Aufwand dar, da einerseits längs entlang der Straßenachse mehrere Standorte für die manuelle Bildschirmvermessung ausgewählt werden müssen und andererseits für eine Übertragung die Messwerte abgelesen und für die Eingabe zwischen den Applikationen gewechselt werden muss. Aus der Straßenbefahrung für die Mobile-Mapping-Applikation stehen 3D-Punktwolken des Straßenraums zur Verfügung. Im Rahmen einer Pilotstudie sollte geklärt werden, ob die bereits vorhandene 3D-Punktwolke-Daten genutzt werden können, um das Höhenprofil von bergseitigen Stützmauern (halb-) automatisiert erkannt und für den Import in die Kunstbauten-Datenbank gespeichert werden kann. Damit soll der personelle und zeitliche Aufwand minimiert und durch die Digitalisierung dieses Prozesses eine Effizienzsteigerung erreicht werden. 2. Vorgehensweise und Einschränkungen Für die Extraktion des geometrischen Längsprofils von Stützmauern aus den 3D-Punktwolke-Rohdaten des Geländes inkl. vorhandener Stützmauern und Straßenoberfläche wurde ein Prozess entwickelt, welcher mehrere notwendige Module beinhaltet. Die jeweiligen Module beinhalten mehrere Teilprozessschritte, welche in Teilen durch eine Programmierung automatisiert werden können und in Kapitel 3 beschrieben sind. Nach Ablauf der zum Teil automatisierten Prozessschritte stehen die Daten mit den diskretisierten Höhenkoordinaten über die Länge je Stützmauer zur Verfügung. Diese Daten können dann in die Kunstbauten-Datenbank importiert werden. Der in dieser Pilotstudie entwickelte Prozess besteht aus zwei Modulen und kann aus 3D-Punktwolken des Geländes, in dem sich die Stützmauer und die Straßenoberfläche befinden, Höhenprofile einer großen Anzahl von Stützmauern extrahieren. Dies muss noch in einer folgenden weiteren Anwendung zur Skalierung validiert werden. Aus diesem Grund wurde vorerst ein manuell durchzuführender Teilprozessschritt zur Qualitätssicherung und dem Identifizieren sowie Korrigieren von vorhandenen Fehlern eingeführt. Dies zeigt sich gerade bei ungünstigen Lagen von Stützmauern im Bezug zum Gelände, z. B. Fels am bergseitigen Straßenrand wird durch seine ähnliche Neigung im Vergleich zur Stützmauer falsch als Stützmauer identifiziert. Das Verfahren wurde anhand von zwei Punktwolken-Datensätzen mit insgesamt sechs Stützmauern einem Proof-of-Concept unterzogen und somit deckt dies vermutlich nicht alle Stützmauertypen mit ihren spezifischen geometrischen Eigenschaften ab. Es wird davon ausgegangen, dass im Rahmen einer netzweiten Erstellung von Höhenprofile eine Menge von einer weiteren Stichprobe von Stützmauern für die automatische Generierung ausreichen sollte. Dadurch kann später eine beliebige Anzahl von Stützmauern schnell bearbeitet, für die letzte Kontrolle und die Qualitätssicherung kurz visuell untersucht und schließlich umgehend korrigiert werden. 3. Entwickeltes Verfahren zur Segmentierung der Stützmauer aus der 3D-Punktwolke (Modul 1) Im ersten Modul des Verfahrens wird eine 3D-Punktwolke in ein Punktcluster umgewandelt, das nur die Stützmauer enthält. Es wurde eine Verarbeitungskette entwickelt, die verschiedenen geometrisch basierten Algorithmen und deren Parameter kombiniert, um die Stützmauer aus der gesamten 3D-Punktwolke zu segmentieren. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 95 Algorithmische Erkennung von Stützmauern aus 3D-Punktwolken der Straßenbefahrung Abb. 1: Zusammengeführte 3D-Punktwolkendateien Die Grundlage bildet ein Datenset von 3D-Punktwolken im LAZ-Format aus der Mobile-Mapping-Applikation (Abb. 1). Die Einzeldateien enthalten jeweils Teile des gesamten Stützmauerscans zusammen mit dem umgebenden Gelände und der Straßenoberfläche. Die Einzeldateien werden zusammengeführt und in einem weiteren Schritt neu abgetastet, um doppelt vorhandene Punkte zu entfernen. Ergebnis ist eine einzige 3D-Punktwolke mit vollständiger Stützmauer, umgebendes Gelände und Straßenoberfläche (Abb. 2 [a]). Im weiteren Vorgehen werden die einzelnen Punkte der 3D-Punktwolke nach verschiedenen Verarbeitungsschritten unterschiedlich eingefärbt und mit ihren umliegenden Nachbarpunkten verglichen. Dadurch wird es möglich das Stützmauerobjekt in seinen Konturen zu identifizieren und als Objekt zu isolieren. Für die einzelnen Verarbeitungsschritte kommen verschiedene zur Verfügung stehende Standardalgorithmen zur Anwendung. Die Verarbeitungsschritte mit den dafür angewendeten Algorithmen werden folgend aufgeführt. 3.1 Identifizierung der Unterkante der Stützmauer Für die Identifizierung der Unterkante der Stützmauer dient vor allem die relativ ebene Straßenoberfläche, welche annähernd senkrecht zur Stützmauer ausgerichtet ist. Hierfür wird zuerst der Normalvektor der Punkte (Punktnormale) berechnet. Dafür wird die Oberfläche, die durch jeden Punkt und seine benachbarten Punkte repräsentiert ist, geschätzt. Eine weitere algorithmische Berechnung der konsistenten Ausrichtung der benachbarten Normalenvektoren ermöglicht die Einfärbung je nach Lage der Punkte in vertikaler Ebene in rosa und der Punkte in horizontaler Ebene in blauer Farbe (Abb. 2[b]). Weiter erfolgt eine Schätzung der Krümmung benachbarter Punkte auf der Grundlage der quadratischen Formanpassung und Ermittlung der Gradienten der Hauptkrümmung. Hierbei repräsentieren Punkte mit höheren Krümmungswerten, d. h. höhere Varianz um die angepasste Fläche zweiter Ordnung und damit unebene Regionen, in grüner Farbe und Punkte mit niedrigeren Krümmungswerten, d. h. flachere Regionen, in roter Farbe (Abb. 2[c]). [a] [b] [c] [d] [e] Abb. 2: Schrittweises Vorgehen zur Identifizierung der Straßenoberfläche und resultierenden Unterkante der Stützmauer [a]-[e] 96 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Algorithmische Erkennung von Stützmauern aus 3D-Punktwolken der Straßenbefahrung Zusätzlich zu den Berechnungen der Punktnormalen und Krümmungsmerkmalen erfolgt eine Anwendung von dichtebasiertes Clustering- und Regionswachstumsalgorithmen. Dies ermöglicht die Segmentierung der an die Stützmauer angrenzenden Straßenoberfläche, welche dadurch in brauner Farbe gefärbt werden und sich klar abheben (Abb. 2[d]) und entfernt werden kann (Abb. 2[e]). 3.2 Identifizierung der Oberkante und Isolierung der Stützmauer als separate 3D-Punktwolke Zur Identifizierung der Oberkante erfolgt auch die Berechnung der Punktnormalen und Krümmungsmerkmalen, nun unter Verwendung verschiedener Parameter- und Schwellenwertkombinationen. Hierbei können die verschiedenen Neigungen benachbarter Punkte mit unterschiedlicher Färbung sichtbar gemacht werden. In Abb. 3 [f] werden die Punkte je nach Lage der Punkte in vertikaler Ebene in rosa und der Punkte in horizontaler Ebene in blauer Farbe dargestellt. In einem weiteren Schritt werden benachbarte Punkte mit einer vertikalen Ausrichtung der Punktnormale (Punkte in der Nähe der horizontalen Ebenen) über dem festgelegten Schwellenwert eliminiert (Abb. 3 [g]). Dabei verbleiben die Punkte in der Nähe der vertikalen Ebenen in der Punktwolke. Durch die Verwendung von dichtbasierten Clustering-Algorithmen können kleinere isolierte Punktcluster entfernt werden. Die verbleibenden unerwünschten Punktcluster können durch geometriebasierte Abstandsregeln weiter eliminiert werden, und man erhält schließlich ein Punktcluster, welches der Stützmauer annähernd entspricht (Abb. 3 [h]). Die verbleibende Vegetation an der tatsächlichen Begrenzung der Stützmauer kann anhand der Farbwerte weiter gefiltert werden. Wenn die Farbwerte nicht vorhanden (Laserscans ohne Bilder) oder nicht zuverlässig (verschiedene Jahreszeiten und/ oder Vermessungstechniken) sind, kann auch ein geometrischer Algorithmus angewendet werden, der die obere Grenze mittelt, z. B. basierend auf stückweiser linearer Kurvenanpassung an der Oberkante. Ergebnis ist die segmentierte 3D-Punktwolke der Stützmauer (Abb. 3 [i]). [e] [f] [g] [h] [i] Abb. 3: Schrittweises Vorgehen zur Identifizierung der oberen Stützmauerkante [e]-[i] 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 97 Algorithmische Erkennung von Stützmauern aus 3D-Punktwolken der Straßenbefahrung 4. Proof-of-Concept Nach der Entwicklung des Verfahrens wurde dies eines Proof-of-Concept unterzogen. Hierfür erfolgte eine An wendung an zwei verschiedenen Randbedingungen des umliegenden Geländes. 4.1 Anwendungsfälle Im ersten Anwendungsfall konnten die Stützmauern durch den Algorithmus gut erkannt werden. Hierbei wurden zwei aufeinanderfolgende Stützmauern auf einem geraden Straßenabschnitt gewählt. Dieser Anwendungsfall 1 ist in Abb. 4 [j]-[l] dargestellt. [j] [k] [l] Abb. 4: Schrittweise Ergebnisse im Anwendungsfall 1 [j]-[l] In einem Anwendungsfall 2 (Abb. 4 [m]-[o]) wurden etwas komplexere Randbedingungen für die nächsten vier Stützmauern gewählt. Einerseits wurde ein Straßenabschnitt gewählt, welcher eine Serpentine beinhaltet. Andererseits war das Gelände geprägt von Felswänden, welche in Nachbarschaft zu den Stützmauern lagen. Das Gelände mit anstehendem Felsen neben der Straßenoberfläche hatte fast die gleiche Ausrichtung der Punktnormalen und Krümmungswerte sowie die geometrische Position, um als Stützmauern angesehen zu werden. Hier sollten für die netzweite Stützmauererfassung zusätzliche Nachbearbeitungsschritte durch weitere geometrische Regeln hinzugefügt werden, um diese Artefakte zu entfernen. 4.2 Diskussion und Verbesserungsmöglichkeiten Im Hinblick auf eine Verbesserung zur Vermeidung einer Falsch-Identifikation von Felspartien müssen Erweiterungen der geometrischen Algorithmen zur Segmentierung an weiteren Punktwolkendaten getestet werden. Zusätzlich ist geplant, einen einfachen manuellen Visualisierungs-, Kontroll- und Nachbearbeitungsschritt in die Verarbeitungskette aufzunehmen, um sicherzustellen, dass die Segmentierung erfolgreich durchgeführt wurde. [m] [n] [o] Abb. 5: Schrittweise Ergebnisse im Anwendungsfall 2 [m]-[o] Eine weitere Verfeinerung der in dieser Verarbeitungskette verwendeten Algorithmen und Methoden wird notwendig sein, um die Anwendung auf mehr Stützmauern zu skalieren, ebenso wie mögliche Anpassungen des Segmentierungsalgorithmus in Abhängigkeit vom Stützmauertyp. 98 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Algorithmische Erkennung von Stützmauern aus 3D-Punktwolken der Straßenbefahrung 5. Nutzung der segmentierten Stützmauern für die Erstellung von Höhenprofilen (Modul 2) In dem zweiten Modul des Verfahrens wird die segmentierte 3D-Punktwolke der Stützmauer entlang ihrer Längsscheiben analysiert. Jede 3D-Punktgruppe einer Stützmauer in der Längsscheibe wird auf die am besten passende 2D-Ebene projiziert und diskretisiert. Dadurch können die relevanten Höhenwerte aus dem gesamten Längsprofil ermittelt und schließlich eine stückweise lineare Funktion gebildet werden, deren Ausgabe ein Höhenprofil darstellt. 5.1 Unterteilung der Stützmauern in Längsscheiben Längere Stützmauern besitzen in der Regel wegen der Bergstraßenführung eine gekrümmte Längsachse und müssen in kleineren Längsscheiben verarbeitet werden, wobei jede Längsscheibe dann ein fast gerades Segment darstellt. Dieser Verarbeitungsschritt wird algorithmisch umgesetzt und minimiert für den nächsten Schritt den Fehler bei der Projektion von Punkten von 3Dauf 2D- Ebene. Bei kürzeren und fast geraden Stützmauern wird dieser Verarbeitungsschritt in der Regel übersprungen, wenn der Algorithmus feststellt, dass die Abweichung die geraden von der gekrümmten Stützmauerachse unter dem angegebenen Schwellenwert ist. Ein Beispiel der Unterteilung von Stützmauer in Längsscheiben und eine Detailansicht der ersten Scheibe ist in Abb. 6 gegeben. Abb. 6: Gekrümmter Pfad einer Stützmauer 5.2 Projizierung der Längsscheiben auf 2D und deren Zusammenführung in Längsprofile Nach der Erstellung annähernd gerader Stützmauerscheiben wird jede Scheibe von 3Dauf die 2D-Ebene projiziert, wobei geometrische Algorithmen zum Einsatz kommen, die den Projektionsfehler minimieren und die ursprünglichen 3D-Höhenabstände für die Höhenprofile beibehalten. Alle 2D-Projektionen werden wieder zusammengeführt (Abb. 7), und die eventuellen Lücken zwischen den Stützmauern, welche dem Objekt in der Kunstbauten-Datenbank entsprechen, werden identifiziert, wie z. B. in dem getesteten Anwendungsfall 1 für das kleinere Objekt (Abb. 7, bei 150-Meter-Marke). Das Ergebnis dieses Verarbeitungsschrittes ist eine abgewickelte 2D- Darstellung des Längsprofils der Stützmauer, die wir ein Höhenprofil nennen. Abb. 7: Projizierte Punkte von 3Dauf 2D-Ebene 5.3 Berechnung von Höhenprofilen aus den Längsprofilen Die Höhendifferenzen werden in den adaptiven Intervallen entlang der Länge vom 2D-Längsprofil der Stützmauer berechnet. Das Längsprofil wird auf ein anderes 2D- Kordinatensystem projiziert, bei dem die Unterkante des Längsprofils gerade ist, und stellt den Höhenpunkt Null für die Berechnung von Höhendifferenz dar. Danach wird eine stückweise lineare Funktion an das Längsprofil angepasst, um die Oberkante des Profils zu berechnen, wobei ein diskretisiertes Höhenprofil mit deutlich weniger Punkten entsteht. Letztlich können die diskretisierten Höhenprofile in einer CSV-Datei extrahiert und in inf- Kuba importiert werden. Abb. 8: Höhenprofil entlang der Stützmauerlänge 6. Ausblick für Möglichkeiten der erweiterten Ergebnisnutzung Mit den Ergebnissen des vorgestellten Verfahrens lassen sich mit Hilfe einer weiteren Entwicklung zusätzliche Aufgaben im Rahmen der Digitalisierung lösen. Aus den segmentierten Punktwolken können automatisch 3D-triangulierte Oberflächennetze (Mesh) rekonstruiert werden. Grundsätzlich können diese triangulierte Oberflächendarstellungen mit jedem 3D-Objektbetrach- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 99 Algorithmische Erkennung von Stützmauern aus 3D-Punktwolken der Straßenbefahrung ter geladen werden. Diese Oberflächennetze bilden die Grundlage für weitere Einsatzzwecke. Die Entwicklung dieser Methode würde nur eine kleinere Teilmenge von Stützmauerdaten erfordern und kann dann leicht skaliert werden, um automatisch für alle anderen Stützmauern zu funktionieren. Auf bauend auf den Verarbeitungsschritten der 3D-Geometrieerzeugung und der Oberflächenrekonstruktion kann eine IFC-Datei (Industry Foundation Classes) der Stützmauer erzeugt, mit semantischen Informationen angereichert und für einen herstellerunabhängigen BIM- Datenaustausch genutzt werden. Bei Vorhandensein von weiteren geometrischen Informationen, z. B. aus Bohrungen über die Dicke einer Mauer an verschiedenen Stellen oder Daten aus Datenbanken, kann mit definierten Annahmen und einer Reihe von geometrischen Nachbearbeitungsalgorithmen ein 3D-Volumenmodell durch entsprechende Methoden der geschnittenen Extrusionen entlang der Stützmauerlänge erzeugt werden. Dies ermöglicht im Weiteren das Erzeugen von beliebigen Schnitten durch das Bauwerk. Letztlich können im Rahmen einer zu entwickelnden Vorgehensweise Zeitreihen-Analyse zeitlich unterschiedlich erhobener 3D-Punktwolken der gleichen Stützmauer für die Identifikation von Verformungen genutzt werden mit Hilfe von Methoden, die auf der Registrierung von Punktwolken und der Berechnung des geringsten Punktabstands basieren. Literatur [1] Hajdin R. (2016). Machbarkeitsstudie zu risikobasierten, objektbezogenen Ansätzen der Erhaltungsplanung von Brücken und Wasserbauwerken, Im Auftrag der Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe [2] SN 640900 (2022). Erhaltungsmanagement; Grundnorm, Schweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS), Zürich [3] FGSV (2001). Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen (RPE-Stra 01). Ausgabe 2006, Best.-Nr. 998, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV-Verlag, Köln [4] FGSV (2021). Richtlinien für die strategische Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (RPE-ING). Ausgabe 2021, Best.-Nr. 998, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV-Verlag, Köln 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 101 B90 Brückenensemble Lübeck 3D-Bestandserfassung Vermessungsingenieur Andreas Petter Wasserstraßen-Neubauamt Magdeburg Zusammenfassung Das Brückenensemble Lübeck wurde 06/ 2016 zur Erstellung von einem 3D-Bestandsmodell für eine Machbarkeitsstudie mit dem TLS von der Innen- und Außenseite erfasst. 2017 erfolgte die Auswertung der Punktwolke bis zum 3D-Modell. Hierbei wurden Erfahrungswerte bei der Umsetzung (Genauigkeit, Automatisierung der Punktwolkenerkennung, Schulung sämtlicher Bauzeichner in der 3D-Bearbeitung, Qualitätsmanagement, Probleme bei der Verschneidung der Elemente, Ermittlung von Volumenkörper etc.) gesammelt. 1. Brückenensemble Lübeck Das Brückenensemble Lübeck wurde in der Zeit von 1896 bis 1900 errichtet. Es befindet sich am nördlichen Ende der Lübecker Innenstadt an der Grenze zwischen dem Hansehafen und der Trave. Die letzte planmäßige (Teil- ) Instandsetzung der baulichen, technischen und elektrischen Anlagen einschl. der Gründungskörper erfolgte 1984. Abb. 1: Brückenensemble Lübeck Insgesamt besteht die Brückenanlage aus: • Eisenbahnhubbrücke • mit einer Stützweite von 45,00 m, • Straßenhubbrücke mit einer Stützweite von 42,24 m, • feste Fußgängerbrücke • mit einer Stützweite von 42,24 m, • Türme auf der Stadt- und auf der Vorstadtseite, • Antriebs- und Steuerungstechnik in den Türmen, • Gründung des Gesamtbauwerks, • Lichtsignale • Schrankenanlagen zur Steuerung des Straßenverkehrs etc. Die Tragwerke der Brücken bestehen aus zusammengenieteten L-Elementen. Die Türme, die Brückenanlage und die technischen Betriebseinrichtungen stehen unter Denkmalschutz. 2. Zielvorgabe Bau Für die Berechnung der Statik der 3 Brücken und zur Entscheidung hinsichtlich einer Sanierung oder eines Neubaus der Brücken werden aktuelle Bestandspläne benötigt. Dabei sind die Bauwerkselemente wie Tragwerke (Fußgänger-, Straßen und Eisenbahn-brücke), Widerlager, Lager, die Außenseite der Türme, Innenräume der Türme und die unterirdischen Gänge im Bereich des Bauwerkes zu erfassen. Die digitalen Bestandsunterlagen sollen als 3D-Vektordaten mit einer Gesamt-genauigkeit von 3-4 mm erfasst werden. Zusätzlich sind ein Lageplan und ein digitales Geländemodell zu messen. 3. Vorhandene Bestandsunterlagen Messpfeiler/ Höhenfestpunkte Im Bereich des Brückenensembles waren 5 Messpfeiler vom WSA Lübeck sowie Höhenfestpunkte der WSV und des Landesvermessungsamtes vorhanden. Die vorhandenen Bestandsunterlagen zum Brücken-ensemble stammen aus der Zeit der Erbauung desselben. 4. Aufstellung Messprogramm Für die Bestandserfassung wurde ein Messprogram aufgestellt. Die wichtigsten Punkte waren: • Genauigkeitsanforderung des 3D-Modells (Messgenauigkeit 3-4 mm) • Umfang Messung: Tragwerke, Widerlager, Lager, Turm, Gänge • Planung vom Grundlagennetz • benötigte Gerätschaften wie Laserscanner incl. Laptop mit Auswertesoftware • Einweisung Laserscanner incl. Kontrolle vor Ort • Gerätestandpunkte • Erfassung von Innenräumen und Gängen • Sperrung des Brückenensembles für die Erfassung der Daten (Außenbereich) • Beplankung der Eisenbahnbrücke, da diese nicht zu begehen war • Auswertung der Messung • Beschaffung Software incl. Schulung • Beschaffung 3D-Rechner 102 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 B90 Brückenensemble Lübeck 3D-Bestandserfassung 5. Durchführung der Messung und Auswertung der 3D-Elemente aus der Punktwolke Die Bestandserfassung und die Ermittlung der 3D-Elemente erfolgte durch den Vermessungsbereich des WNA Magdeburg. 5.1 Messung Grundlagennetz Das Grundlagennetz wurde mit der Totalstation Trimble SX10 gemessen. Die Punktgenauigkeit liegt bei 0,5 mm. Für die Höhenbestimmung wurden Höhenfestpunkte der WSV und des Landesvermessungsamtes verwendet. Abb. 2: Netzplanung Grundlagennetz 5.2 Anbringung von 124 Passpunkten Für die Georeferenzierung der Punktwolke und der Kontrolle während der Erfassung der Punktwolken wurden insgesamt 124 Passpunkte mit Magnetfüssen vermarkt. Auf diese Magnetfüße werden die Scankogel bzw. die Prismen zur 3D-Bestimmung gesetzt. Diese identischen Passpunkte waren notwendig, um die Messung der Außenseite direkt kontrollieren zu können. Die Brücke war für die Messung der Außenseite 5 Tage gesperrt. Innerhalb dieses Zeitraumes musste eine fehlerfreie Messung realisiert werden. Abb. 3: Passpunkte Nordseite 5.3 Eingesetzte Gerätschaften Für die Bestandserfassung wurden ein Trimble Laserscanner TX8 (1 Mio. Punkte pro Sekunde) und eine Totalstation Trimble SX10 (25.000 Punkte pro Sekunde) eingesetzt. Der Trimble Laserscanner incl. Laptop mit Auswertungssoftware wurde für 2 Wochen ausgeliehen. Eine Einweisung zur Messung mit dem Laserscanner incl. Qualitätskontrolle nach der Messung erfolgte am 1. Messtag. Abb. 4 (links): Laserscanner Trimble TX8 auf der Eisenbahnbrücke mit Beplankung Abb. 5 (rechts): Trimble SX10 auf Teleskopstativ zur Erfassung der Oberkante Widerlager Fußgängerbrücke 5.4 Durchführung der Messung Bei der Messung wurden 18 Scankugeln eingesetzt. Durch die Passpunkte erfolgte nach jedem Messtag im Nachgang eine Qualitätskontrolle. Es mussten 5 Standpunkte wiederholt werden. Mindestens 7-12 Kugeln waren immer auf einem Scan vorhanden. Der eigentliche Scan dauert 2 Minuten. Danach wurde die Kamera mit Halterung aufgebaut und das Panoramabild erfasst. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 103 B90 Brückenensemble Lübeck 3D-Bestandserfassung Abb. 6: 360 Grad Panoramabild Mit diesem Panoramabild wird die Punktwolke farblich eingefärbt. 5.5 Qualitätskontrolle der Messung Am Ende der Messung erfolgte jeden Abend die Qualitätskontrolle vom gesamten Scanning. Beim ersten Scan wurden ca. 10 Kugeln erfasst. Beim nächsten Scan wurden ca. 8 Kugeln der 1. Messung erfasst. Dadurch konnten alle 55 Standpunkte der Messung im Außenbereich verknüpft werden. Es müssen 5 Standpunkte wiederholt werden. Insgesamt wurden 115 Standpunkte gemessen. 5.6 Beschaffung der Software/ 3D-Rechner Für die Auswertung der Bestandserfassung wurde ein leistungsstarker Rechner incl. Software zur Auswertung der Punktwolken incl. Schulung beschafft. Zur Erstellung von 3D-Elementen wurde die Auswertungssoftware Trimble Real Works und zur Auswertung der Punktwolken incl. Modellierung sowie für die Auswertung des Tragwerks der Brücken das Programm Trimble Edgewise beschafft. Für die Bauzeichner erfolgte anhand des konkreten Projektes eine weitere Schulung zur 3D-Modellierung. 5.7 Auswertung der Messung Zu Beginn der Auswertung erfolgte eine automatische Zielmarkenerkennung der Scankugeln. Im Anschluss wird jeder Scan dahingehend überprüft, ob alle Kugeln vollzählig bzw. richtig erkannt worden sind. Abb. 7: Tabelle mit Messgenauigkeit der Kugeln (Antriebszylinder) Abb. 8: Zielmarken Großer Turm Innen (Messung wurde ohne Bilderfassung durchgeführt) 104 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 B90 Brückenensemble Lübeck 3D-Bestandserfassung Über diese Scankugel erfolgt mit einem 4 -stelligen örtlichen Koordinatensystem mit dem Maßstabsfaktor 1.000 (annährend das GK-System) die Georeferenzierung der 115 Standpunkte in das Koordinatensystem. Die 7stelligen Koordinaten wurden, hinsichtlich der späteren Übergabe der 3D-Elemente von der Software Trimble Real Works an Micro Station, um die vorderen Stellen gekürzt. Die Größe der späteren 3D-Datei des Brückenensembles wird dadurch zusätzlich minimiert. Es liegt eine unaufgeräumte Punktwolke im örtlichen Koordinatensystem vor. 5.8 Aufräumen der Punktwolke Aus der Punktwolke wurden sämtliche Störpunkte entfernt. Dabei wurde die Punktwolke gleichzeitig in die Teilbereiche Eisenbahnbrücke, Fußgängerbrücke, Straßenbrücke, Uferwände, Türme, Gänge, Innenräume und Aussparungen aufgeteilt. Die Punktwolke der Straßenbrücke (Hubbrücke) wurde im Lastfall oben durch Auswahl der entsprechenden Standpunkte erstellt. Abb. 9: entfernte Störpunkte der Fußgängerbrücke Abb. 10: Detail Fußgängerbrücke 5.9 Herkunft der Daten für das 3D-Modell Das 3D-Modell des Brückenensembles setzt sich aus folgenden Daten zusammen: • Objekte aus dem Scan (Modellierung von Elementen) • Vermaschung aus Scanpunkten (z. B. Verformung Wand) • Objekte aus klassischer Vermessung (Gang Sohle) • Konstruktion aus Bestandsplänen (Fundamente Außenseite) • Konstruktion mit CAD aus Punktwolken (Knotenbleche, Spindel, Leiter etc.) 5.10 Allgemeine 3D-Elemente Abb. 11: Punktwolke Tragwerk Straßenbrücke (es fehlt noch das Element Kugel) Aus der Scanwolke werden einzelne Punktwolkenbereiche herausgeschnitten. Mit diesem Teilbereich wird z. B. eine Ebene erstellt. Zylinder wie zum Beispiel Entwässerungsrohre werden automatisch erkannt. Eine automatische Zylinder- und Ebenenerkennung wäre mit der Software Trimble Edgewise möglich gewesen, jedoch war eine Selektierung der Elemente wegen der Oberflächenstruktur der Türme nicht möglich. Zur Kontrolle wurde das 3D-Modell mit der Punktwolke überprüft. Abb. 12: Punktwolke und 3D-Elemente 6. 3D-Modell Tragwerk Brücken Bei den Tragwerken der Brücken handelt es sich nicht um T-Träger, sondern um zusammengenietete L-Elemente. Im Programm Trimble Edgewise wird für jede Trägerart ein „T-Träger“ anhand von alten Querschnitten bzw. örtlichen Aufmaßen definiert. Diese „T-Träger“ werden in der Punktwolke rausgeschnitten. Das Programm legt den definierten Querschnitt optimiert in diese Punktwolke. Es entsteht ein räumlicher Verlauf des „T-Trägers“. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 105 B90 Brückenensemble Lübeck 3D-Bestandserfassung Abb. 13: Programm Trimble Real Works Verlauf „T- Träger“ und die Punktwolke Abb. 14: Tragwerk Fußgängerbrücke 6.1 Verschneidung der 3D-Elemente Es wurden 3D-Elemente im DGN-Format und eine bereinigte Punktwolke im E57 Format übergeben. Die 3D- Elemente wurden von den Bauzeichnern des WNA Magdeburg mit dem Programm Micro Station verschnitten. Aus diesen 3D-Elementen wurden Volumenkörper und Flächenelemente für Bereiche, die nur dargestellt (z. B. oberer Bereich des großen Turms) werden sollen, erstellt. Hierbei mussten die Volumenkörper vollständig geschlossen sein. Die Qualitätskontrolle am 3D-Modell erfolgte über die Punktwolke. 6.2 Konstruktion der 3D-Elemente Die Konstruktion einzelner Elemente von Knotenblechen, Spindeln, Antriebstechnik, Lampen etc. erfolgte durch die Bauzeichner mit dem Programm Micro Station anhand von ausgelesenen Punkten der Punktwolke bzw. von Grundelementen (Zylinder, Kreis, Ebenen etc.). Die Fundamente aller Bauwerke wurden aus Längs- und Querprofilen konstruiert. Die Gänge sind bei Messung erfasst und als 3D-Volumenkörper ausgewertet worden. Diese Gänge wurden aus dem Volumenkörper Fundament herausgeschnitten. 6.3 Auswertung mit Micro Station Die Ebenen, Flächen, Zylinder und Kegelflächen wurden an Hand von Punktwolken durch den Vermesser erstellt. Im Anschluss wurden die 3D Elemente dann in Micro Station durch die Bauzeichner miteinander verschnitten. Es entstanden so annährend geschlossene 3D-Körper. Bei einigen verwinkelten Bereichen des Bauwerkes wie z. B. den Aussparungen waren jedoch kleinere Bereiche nicht komplett verschnitten. Dort gab es kleinere Lücken im 1 mm Bereich. Diese Bereiche stellten sich erst bei der Erstellung der Volumenköper heraus. Im Herbst 2021 wurden auf Anforderung vom AN aus den Flächenelemente jeweils Volumenkörper erstellt. Nicht für die Planung benötigte 3D Elemente wurden als Flächenkörper belassen. Wünschenswert wäre eine Funktion, wie die „Schließung von Volumenkörper“ gewesen, wo kleinere offene Bereich angezeigt und durch die Software automatisch korrigiert werden. 7. 3D Modell Brückenensemble Lübeck Das 3D-Modell besteht aus 17 Einzeldateien im DGN- Format. Die Übergabe an den AN erfolgte im ifc, dgn und dxf-Format. Zusätzlich steht eine Punktwolke vom gesamten Brückenensemble im Innen- und Außen-bereich Lübeck zur Verfügung. Abb.15: 3D-Modell Brückenensemble Lübeck Durch die 3D-Bestandserfassung gibt es eine besser zu verstehende räumliche Darstellung des Bauwerkes. Die Vergabe der Leistung wie z. B. die Sanierung der Tragwerke wird vereinfacht. Es können z. B. die Längen und die Lage der auszutauschenden Stahlbauteile abgegriffen und dargestellt werden. Zusätzlich können dynamische Längs - bzw. Querschnitte ermittelt werden. Für die Erstellung des BIM-Modells werden Teilbereiche des 3D- Modells je nach Erforderlichkeit mit Attributen ergänzt. Eine 3D-Bestandserfassung ist für die Sanierung von Wasserbauprojekten sinnvoll. Bei der Volumenberechnung für den Abriss eines Wehrs (z. B. DSW Quitzöbel) bzw. komplexer Bauwerksteile (z. B. Oberhaupt einer Schleuse) sowie Widerlager etc. ist ein erstelltes 3D-Modell eine Vereinfachung für die Bauabrechnung. 106 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 B90 Brückenensemble Lübeck 3D-Bestandserfassung Verbesserung 3D-Bestandserfassung: • benötigte Genauigkeit der 3D-Elemente (Trennung Messgenauigkeit und Genauigkeit Element z. B. Element Abweichung 0,002 m bei 156.000 Punkten) • Festlegung Reihenfolge Auswertung • Festlegung Datenstruktur Micro Station (ca. 17 Einzeldateien) • Auswertung 3D-Modell 2021 Volumenkörper bzw. Flächen für die Darstellung • Qualitätskontrolle Ergebnis Vergleich Punktwolke und 3D-Modell • Kontrolle Gesamtmodell (Überschneidung und Vollständigkeit) durch einen • Bauzeichner Das Messprogramm ist entsprechend zu ändern. 8. Erfahrungswerte Messung Bei der Planung ist die Sonnenrichtung zu beachten, damit (sofern möglich) keine Bilderfassung im Gegenlicht erfolgen muss. Verfahren „Sonne im Rücken“. Wünschenswert ist eine weitere Automatisierung der Auswertung der Elemente (Kreis, Kegelstumpf, Zylinder, Ebenen) incl. Verschneidung. Sinnvoll wäre eine Ausgleichung der Punktwolke untereinander zur Steigerung der Gesamtgenauigkeit. Anmerkung: Besten Dank an alle beteiligten Bauzeichner und an mein Messteam. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 107 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau Jennifer Bednorz, M. Eng. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Prof. Dr. sc. techn. ETH Rade Hajdin Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich Dr. rer. nat. Rico Richter, M. Sc. Universität Potsdam, Digital Engineering Fakultät Dipl.-Ing. Lazar Rakić, M. Sc. ETH Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich Dr. sc. ETH, Dipl.-Ing. Holger Diederich Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich Justus Hildebrand, M. Sc. Universität Potsdam, Digital Engineering Fakultät, Hasso-Plattner-Institut Sebastian Schulz, M. Sc. Universität Potsdam, Digital Engineering Fakultät, Hasso-Plattner-Institut Prof. Dr. Jürgen Döllner Universität Potsdam, Digital Engineering Fakultät, Hasso-Plattner-Institut Zusammenfassung Die digitale Transformation im Bereich der Bundesfernstraßen ist eine äußerst umfangreiche und komplexe Aufgabe, die alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellt. Mit der Einführung des Masterplans BIM Bundesfernstraßen und der darin angestrebten Zielvorstellung, die Bundesfernstraßen langfristig auf Grundlage digitaler Zwillinge zu betreiben, sind u. a. standardisierte und praxisgerechte Verfahren zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Brückenbau erforderlich. Mit der stetigen Weiterentwicklung der Vermessungstechnik im Bereich des 3D-Laserscannings, der Methoden der künstlichen Intelligenz (KI), der Segmentierung anhand von diversen geometrischen Merkmalen sowie dem Einbezug von bestehenden Daten aus Bauwerksdatenbanken ergeben sich vielversprechende neue Optionen zur effizienten (teil-)automatisierten Erstellung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau. In diesem Beitrag wird die Entwicklung eines einheitlichen und anwenderfreundlichen Verfahrens zur (teil-)automatisierten Erstellung von BIM- Modellen vorgestellt. Der Forschungsansatz basiert auf einer Kombination von Anwendungen künstlicher Intelligenz und heuristischen Algorithmen. Das neuronale Netz für die Klassifikation von Scandaten wurde mit künstlichen Datensätzen typischer Brückenelemente trainiert und an Punktwolken tatsächlicher Brücken getestet. Die erkannten Brückenelemente werden in ein trianguliertes Oberflächennetz umgewandelt und anschließend Volumenelemente generiert. Das Endergebnis ist ein BIM-Bestandsmodell einer Brücke und ihrer Elemente, angereichert mit semantischen Informationen im standardisierten und offenen Austauschformat IFC. Das Konzept und dessen praktische Anwendbarkeit wird in Form eines explorativen Prototyps vorgestellt. Es bildet eine wesentliche Grundlage für künftige, großangelegte automatisierte Erfassungskampagnen zur Erstellung von BIM-Bestandsmodellen für zukunftsfähige Brückenmanagementsysteme. 1. Hintergrund Das fortschreitende Alter der Brückenbauwerke, steigende Achslasten sowie der ständig wachsende Schwerlastverkehr im Infrastrukturnetz der Bundesfernstraßen rufen einen immer größer werdenden Erhaltungsbedarf hervor. Um diesem wachsenden Aufwand im Betrieb und der Erhaltung von Straßenbrücken dauerhaft gerecht zu werden, sind digitale Modelle mit einem einheitlichen Standard erforderlich. Mit der Einführung des Masterplans BIM Bundesfernstraßen [1] durch das BMDV ist die ganzheitliche Anwendung von Building Information Modeling (BIM) für Projekte im Infrastrukturbereich ab 2021 vorgesehen (vgl. die politische Entwicklung in Abb. 1). 108 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau Abb. 1: Politische Entwicklung der BIM-Einführung auf Bundesebene Neubauprojekte werden demnach seit 2021 anhand digitaler Bauwerksmodelle nach der BIM-Methodik geplant und gebaut. Nach der Übergabe der digitalen Modelle an den Bauherren kann dieser die Modelle in der Lebenszyklusphase Betrieb effizient nutzen. Für den überwiegenden Anteil der Bestandsbauwerke existieren derzeit jedoch keine digitalen Modelle. Anstelle der digitalen Bauwerksmodelle liegen vorwiegend 2D-Pläne in analoger oder digitaler Form vor, deren Qualität hinsichtlich Vollständigkeit und Übereinstimmung mit dem Ist-Zustand je nach Bauwerk und zuständigem Bundesland variieren. Eine standardisierte Bestandserfassung und Digitalisierung von Brückenbauwerken kann hierbei u. a. die effektive Planung von Erhaltungsmaßnahmen wesentlich verbessern. Im Zuge der langfristigen Planung, alle Infrastrukturelemente (Straße, Brücke etc.) zu einem Gesamtmodell zusammenzuführen, ist eine Komplettierung der Bestandserfassung anzustreben. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Möglichkeiten für die sukzessive modellmäßige Erfassung der Bestandsbauwerke zu untersuchen und bereit zu stellen. Für Ingenieurbauwerke als Teil der Straßeninfrastruktur ist daher die (teil-) sautomatisierte und standardisierte Ableitung der Bestandsgeometrie für eine praxisgerechte Anwendung anzustreben. Ziel dieses Forschungsvorhabens war die Entwicklung von Konzepten und Verfahren, welche eine (teil) automatisierte Erstellung von BIM-Modellen für Straßenbrücken im Bestand mittels KI-Algorithmen (künstlicher Intelligenz) auf Grundlage von Scandaten ermöglichen. Der wesentliche Nutzen der zu realisierenden (teil-) automatisierten Erstellung von Bauwerksmodellen im Bestand besteht zum einen in einer deutlichen Beschleunigung der Modellerstellung gegenüber einer konventionellen manuellen Erstellung. Dadurch können die für den Erhaltungsprozess benötigten Bauwerksinformationen dem Anwender (Straßenbauverwaltungen, Ingenieurbüros, etc.) schneller zur Verfügung gestellt werden, um eine ganzheitliche Anwendung von BIM auch im Bestand zu ermöglichen. Zum anderen weist das BIM-Modell (Darstellung des Ist-, nicht des Soll-Zustands) eine wesentlich höhere Genauigkeit und Vollständigkeit gegenüber herkömmlichen 2D-Plänen auf und bildet durch die Anreicherung des BIM-Modells mit semantischen Daten aus Bauwerksdatenbanken die Grundlage für die Erhaltungsplanung wie auch die Zustandsbeurteilung in der Betriebsphase. Im Rahmen des Projektes wurde ein einheitliches und anwenderfreundliches Verfahren entwickelt, das die Erstellung von vergleichbaren und reproduzierbaren Modellen mit einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand auf Grundlage einer möglichst praxisnahen Herangehensweise ermöglicht. Eine Demonstration dieses Verfahrens erfolgte in Form eines Prototyps mit dem Potential der Weiterentwicklung anhand von Bestandsbrücken. 2. Möglichkeiten der Digitalisierung Die für die Digitalisierung von Bestandsbauwerken am weitesten verbreitete und sicherlich zuverlässigste Technologie ist das terrestrische Laserscanning (TLS) [2]. Die immer einfacher werdende Bedienung von Laserscannern in Kombination mit der schnellen Erfassung und günstiger Hardware ermöglicht heute für viele Anwendungen den wirtschaftlichen Einsatz von Laserscannern. Das Ergebnis dieser Erfassung sind sogenannte 3D- Punktwolken, die das erfasste Bestandsbauwerk durch diskrete 3D-Oberflächenpunkte (x-, y-, und z-Koordinaten) repräsentieren. Neben dem TLS ist auch der Einsatz von UAVs (Unmanned Aerial Vehicles) in der Praxis weit verbreitet. UAVs erfassen Bestandsbauwerke u. a. durch umfassende Bilddaten, die dann mit Hilfe von Verfahren der Fotogrammmetrie in 3D-Punktwolken umgewandelt werden können [3]. Die erfassten 3D-Punktwolken beinhalten noch keinerlei Informationen über die Semantik, Struktur oder den Auf bau der erfassten Objekte und Bauwerke (Abb. 2). Die Zuordnung der erfassten Punkte zu den entsprechenden Bauteilen ist jedoch für die Ableitung von 3D- und BIM-Modellen zwingend erforder- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 109 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau lich. Die 3D-Punktwolken müssen klassifiziert werden, was aufgrund des enormen Datenaufkommens und der Vielzahl an Brückenbauwerken automatisiert werden muss. Hier haben Verfahren der künstlichen Intelligenz ein enormes Potential, um für Bestandsbauwerke den Scan2BIM-Prozess zu unterstützen und zeitaufwändige Schritte zu automatisieren. Geometrische Algorithmen, die auf den Regeln der Brückeneigenschaften basieren, können weiterverwendet werden, um die von der KI segmentierten Punktwolkencluster in Volumenmodelle der Brücken umzuwandeln [4] [5] [6]. Für Neubauten liegen BIM-Modelle bereits vor, da diese in der Planungs- und Bauphase mittlerweile verpflichtend sind. Für den überwiegenden Anteil der Bestandsbauwerke ist dies nicht der Fall [7], so dass der Scan2BIM Prozess, bestehend aus den folgenden Schritten, umgesetzt werden kann: 1. Datenerfassung: Erstellen von Scandaten des Bauwerks mit Laserscanning oder Fotogrammetrie 2. Datenverarbeitung: Verarbeitung und Klassifikation der Scandaten 3. Modellierung: Ableitung Bauteilen und Rekonstruktion von 3D-Modellen 4. Anreicherung: 3D-Modelle mit weiteren bautechnischen Daten und Informationen anreichern und die Geometrien anpassen 5. Bereitstellung: Export der Daten in standardisierten Formaten, z. B. offenes Austauschformat Industry Foundation Classes (IFC) [8] Abb. 2 zeigt die Datenerfassung des Bestands mittels terrestrischem Laserscanning an der duraBASt-Brücke am Autobahnkreuz Köln-Ost vor der Datenverarbeitung. Abb. 2: Terrestrischer Laserscan der duraBASt-Brücke 3. Konzept zur (teil-)automatisierten Erzeugung von BIM-Modellen 3.1 Einführung Die Entwicklung der Konzepte für die Erzeugung von BIM-Modellen aus Brückenpunktwolken umfasste Forschungsarbeiten in drei aufeinander auf bauenden Themenbereichen: 1. Generierung von BIM-Modellen als Lerndaten, 2. Training von neuralen Netzwerken (2.1) und KI-basierte Klassifikation (2.2) sowie 3. Verfahren für die Erstellung von Volumenmodellen und semantische Anreicherung. Diese Themenbereiche werden in diesem Kapitel vorgestellt. Die Resultate dieser Entwicklung lassen sich in zwei Gruppen unterteilen - die Trainingsphase (Themenbereiche 1 und 2.1) und die Anwendungsphase (Themenbereiche 2.2 und 3), die im Kapitel 4 beschrieben werden. 3.2 Generierung von BIM-Modellen als Lerndaten Für die Anwendung von KI-Verfahren sind Trainingsdaten unerlässlich. Diese Trainingsdaten können durch das Annotieren von Scandaten erstellt werden, was jedoch sehr zeitaufwändig ist und Scandaten von möglichst vielen Brücken erfordert, um das KI-Verfahren robust gegenüber den Bauwerksausprägungen in der Realität zu machen. Da die Verfügbarkeit von tatsächlichen Scandaten auf wenige Brücken beschränkt war, wurden in diesem Vorhaben 3D-Brückenmodelle für die Generierung von synthetischen Trainingsdaten genutzt. Hierfür werden Brückenmodelle generiert, die eine Vielzahl der bestehenden Straßenbrücken repräsentieren. Die Brückenmodelle werden durch Kombination typischer Bauteile aus einer eigens entwickelten Bauteildatenbank erstellt, um verschiedene Kombinationen aus Tragsystem, Widerlager, Pfeiler, Träger und Ausstattung zu erzeugen. Die Brückenmodelle für die Erstellung der Trainingsdaten werden so gegliedert, dass sie mit den Daten aus SIB-Bauwerke [9] verknüpft werden können. SIB-Bauwerke ist ein Datenbanksystem des Bundes für die Erfassung, Verwaltung und Auswertung der Bauwerksdaten inklusive der Funktionalität zur Dokumentation von Bauwerksprüfungen. Dieses Datenbanksystem wurde für die Zwecke der Generierung von Trainingsdaten und der semantischen Anreicherung im Rahmen des Projekts untersucht. In der Regel wird ein Bauteil aus SIB-Bauwerke durch ein oder mehrere geometrische Elemente im Brückenmodell repräsentiert. Für jedes Brückenmodell wurden virtuelle Befliegungsrouten und Scanstandorte festgelegt, um eine Erfassung von Laserscandaten wie in der Realität simulieren zu können. Alle generierten Brückenmodelle wurden virtuell gescannt und in annotierte Punktwolken umgewandelt. Die so erzeugten 3D-Punktwolken konnten für das Training der neuronalen Netze verwendet werden. Das virtuelle Scannen wurde so konzipiert, dass die Charakteristik der Trainingsdaten so weit wie möglich der von realen Scans entspricht. Es wurden LiDAR-Scans entlang der virtuellen Befliegungsrouten sowie die terrestrische Erfassung simuliert, so dass der Prozess der Erstellung von Trainingsdaten automatisiert werden konnte. Abb. 3 zeigt ein Brückenmodell mit den Erfassungspfaden und Standorten. Abb. 4 zeigt die klassifizierte Punktwolke als Ergebnis der virtuellen Befliegung. 110 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau Abb. 3: Brückenmodell einer Brücke mit virtuellen Befliegungsrouten und Standpunkten für die Erfassung Abb. 4: 3D-Punktwolke mit Semantik als Resultat der virtuellen Befliegung des Brückenmodells 3.3 Training der neuralen Netzwerke und KI-basierte Klassifikation Die Qualität der KI-basierten Klassifikation hängt maßgeblich von den Ausgangsdaten ab. 3DPunktwolken zeichnen sich durch einen hohen Speicherbedarf, fehlende Struktur der Rohdaten sowie unterschiedliche Auflösung, Dichte und Genauigkeit aus. Für die Scandaten werden deshalb verschiedene Vorverarbeitungs- und Filterschritte umgesetzt, um die Datenqualität zu verbessern. Somit kann eine Mindestqualität der Daten, indem Ausreißer, Duplikate und bewegliche Objekte entfernt werden, sichergestellt werden. Die KI-basierte Klassifikation arbeitet mit den vorverarbeiteten Eingabedaten und ermittelt für jeden Punkt der Punktwolke die wahrscheinlichste Klasse (Lager, Träger usw.). Die KI nutzt dabei neuronale Netze, die mit Hilfe der Trainingsdaten aus synthetischen und Echtwelt- Punktwolken trainiert wurden. Die KI arbeitet die Punkwolke Punkt für Punkt ab und untersucht für jeden Punkt Lage und Verteilung der Nachbarpunkte. So kann eine Wahrscheinlichkeit für die Zugehörigkeit eines Punktes zu einem Bauteil bestimmt werden. Nachdem alle Punkte klassifiziert wurden, wird eine Plausibilitätsprüfung und Nachverarbeitung durchgeführt. Diese Nachverarbeitung der 3D-Punktwolken ist notwendig, da die KI-basierte Klassifikation besonders in Grenzbereichen einzelne Punkte fehlerhaft klassifizieren kann. Durch die Anwendung von verschiedenen Analyseverfahren (z. B. Segmentierung, Voting usw.) werden Punkte und Punktgruppen bezüglich der durch die KI zugeordneten Klassen auf Plausibilität geprüft und bei Bedarf korrigiert. Abb. 5 zeigt das Ergebnis der KI-basierten Klassifikation. Die Punktwolken mit den Klasseninformationen sind dann die Ausgangsdaten, um die Oberflächen- und Volumenmodelle abzuleiten. Abb. 5: 3D-Punktwolke der duraBASt-Brücke, klassifiziert mit KI-Verfahren 3.4 Verfahren für die Erstellung von Volumenmodellen und semantische Anreicherung Für die Weiterverwendung im BIM-Modell sind 3D- Punktwolken keine geeignete Repräsentation, weshalb die Ableitung von Oberflächen- und Volumenmodellen aus den 3D-Punktwolken notwendig ist. Die segmentierten Punktcluster werden in eine für die geometrischen Rekonstruktionsalgorithmen geeignete Form überführt. Dazu werden einzelne Bauteile geclustert, Zwillingsbrücken getrennt, die Bauwerke ausgerichtet, Bauteilklassen weiter unterteilt und Punktcluster anhand der Richtung der Bauwerksachse durchnummeriert und gekennzeichnet. Anschließend werden verschiedene Methoden der Oberflächenrekonstruktion genutzt, um 3D-Geometrien zu erzeugen. Diese 3D-Geometrien bilden zwar die Oberfläche sehr detailgetreu ab, besitzen jedoch kein Volumen und sind für die weitere Verwendung nur bedingt geeignet. Daher wurden Methoden zur Erkennung von Querschnitt und Leitlinie der einzelnen Bauteile entwickelt, um extrudierte Volumenmodelle zu erzeugen (Abb. 6). Das Ergebnis dieses Arbeitsschrittes sind die Oberflächen- und Volumenmodelle des Bauwerks. Abb. 6: Zusammenführung der Bauteilvolumenmodelle in ein Gesamt-Brückenvolumenmodell Es wurde zusätzlich ein Verfahren entwickelt, um das aus den 3D-Punktwolken abgeleitete BIM-Modell mit Informationen aus SIB-Bauwerke anzureichern, z. B., indem 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 111 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau die Durchnummerierung der Bauteile anhand der algorithmisch bestimmten Bauwerksrichtung erfolgt, verschiedene Informationen hinzugefügt werden (z. B. Typ, Bauart, Beziehung, Material), sowie visuell nicht erfassbare Geometrien (z. B. Belagsdicke) oder Bauteile (z. B. Abdichtungen und Gründungen) ergänzt werden. Die üblichen Brückeneigenschaften und Standardwerte werden definiert, um die verbleibenden Fehler in den geometrischen Darstellungen der Brücken zu beseitigen und detailliertere Geometrien erzeugen zu können. Ein Beispiel für die weitere Unterteilung der Hauptklasse Träger in die Klassen Träger, Kappe und Schrammbord ist in Abb. 7 dargestellt. Abb. 7: Erzeugung der detaillierten Geometrien anhand der semantischen Daten und Brückeneigenschaften 4. Entwicklung des Prototyps 4.1 Allgemeines Das in Kapitel 3 vorgestellte Konzept wurde in einen Prototyp umgesetzt, um die Praxistauglichkeit zu demonstrieren. Im Folgenden werden die einzelnen Komponenten und der zugehörige Prozess vorgestellt. Zudem werden die Ergebnisse anhand der duraBASt-Brücke demonstriert. 4.2 Komponenten und Prozessbeschreibung Die entwickelten Konzepte basieren auf einer Kombination von KI-Verfahren, geometrischer Segmentierung und heuristischen Algorithmen zur Gewinnung von Volumenmodellen. Im Ergebnis wurden zehn Komponenten realisiert. Diese sind die folgenden: 1. Generierung von Brückenmodellen als Lerndaten 2. Umwandlung der Brückenmodelle in Brückenpunktwolken 3. Hinzufügung der händisch annotierten realen Brückenpunktwolken zum Lerndatensatz (3a) und die Eingabe der realen Brückenpunktwolke zur Anwendungsphase (3b) 4. Vorverarbeitung Punktwolken (Trainingsdaten 4a und reale Brückenpunktwolke 4b) 5. Training von neuronalen Netzen (5a) und KI-basiertes Klassifizieren (5b) 6. Nachverarbeitung Punktwolken 7. Ableitung von Oberflächen- und Volumenmodellen 8. Semantische Anreicherung und Geometrieanpassung 9. IFC-Datei-Generierung 10. Ausgabe - BIM-Modell der Brücke Diese Komponenten bilden Arbeitsschritte aus zwei Prozessen, des übergeordneten Trainingsprozesses, bei dem Lerndaten erstellt und neuronale Netze trainiert werden und eines Anwendungsprozesses, bei der die KI auf reale Scandaten angewendet wird, um BIM-Modelle abzuleiten. Die Komponenten des Trainingsprozesses sind in Abb.-8 illustriert. Schritt (3a), das händische Annotieren von Trainingsdaten, wurde vorgenommen, um die Qualität der KI-basierten Klassifikation zu verbessern. Die Komponenten des Anwendungsprozesses sind in Abb. 9 illustriert. Die Eingabe zum Prozess ist ein Brückenpunktwolkenscan (Schritt 3b). Das Brückenmodell wird als IFC-Hierarchie der Bauteile erstellt und die zusätzlichen Informationen werden den IFC-Elementen zugewiesen. Alle Bauteile werden in einer Brückendarstellung zusammengeführt und als BIM-Modell im IFC- Format exportiert (Schritt 10). Abb. 8: Komponenten des Trainingsprozesses für die (teil-)automatisierte Erstellung von BIM-Modellen aus 3D-Punktwolken 112 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau Abb. 9: Komponenten des Anwendungsprozesses für die (teil-)automatisierte Erstellung von BIM-Modellen aus 3D-Punktwolken 4.3 Demonstration anhand der duraBASt-Brücke Die Praxistauglichkeit wird demonstriert, indem ein Ist- BIM-Modell für reale Brücken mit den anhand der KI segmentierten Bauteilen, angereichert mit semantischen Informationen aus der SIB-Bauwerke Datenbank, erzeugt und im standardisierten und offenen IFC-Format abgeleitet wird. Die erfasste 3D-Punktwolke der dura- BASt-Brücke ist in Abb. 10 dargestellt. Die 3DPunktwolke ist ungefiltert und enthält noch bewegliche Objekte, Umgebungsdetails und diverse Ausreißer, die in dem Vorverarbeitungsschritt identifiziert und gefiltert werden. Die bereinigte 3DPunktwolke als Ausgangsdatensatz für die KI-basierte Klassifikation ist in Abb. 11 dargestellt. Die Ergebnisse der KI-basierten Klassifikation nach der Nachverarbeitung sind in Abb. 12 dargestellt. Das abgeleitete BIM-Modell mit allen Brückenbauteilen ist in Abb.-13 veranschaulicht. Abb. 10: Ungefilterte 3D-Punktwolke der duraBASt- Brücke aus einem terrestrischen Laserscan Abb. 11: Gefilterte und bereinigte 3D-Punktwolke der duraBASt-Brücke Abb. 12: Klassifizierte 3D-Punktwolke der duraBASt- Brücke Abb. 13: Das abgeleitete BIM-Modell aus klassifizierter 3D-Punktwolke der duraBASt-Brücke 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 113 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau 5. Zusammenfassung, Fazit und Ausblick Das entwickelte und hier vorgestellte Konzept zur Generierung von BIM-Modellen aus Scandaten unter Verwendung von Methoden der künstlichen Intelligenz stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, den Herausforderungen der Digitalisierung des Brückenbestands zeitgemäß zu begegnen. Der (teil)automatisierte Ansatz unterstützt dabei bestmöglich zukünftige Anwender und ermöglicht die Generierung standardisierter, einheitlicher und semantisch angereicherter BIM-Modelle. Der entwickelte Prototyp setzt sich aus einer modular aufgebauten Prozesskette aus aufeinander auf bauenden Arbeitsschritten zusammen, wie in Abb. 9 dargestellt. Die Anwendbarkeit des Prototyps auf reale Brückendaten ist demonstriert worden. Dabei wurden die trainierten neuronalen Netze und entwickelten Algorithmen für die Vor- und Nachverarbeitung, sowie die algorithmische Ableitung von Oberflächen- und Volumenmodellen in einer modularen Prozesskette miteinander kombiniert und auf 3D-Punktwolken von mehreren Brücken angewendet, um die Praxistauglichkeit zu demonstrieren. Die Erkenntnisse und die entwickelten Prozesse haben das Potential, die Bauwerkserhaltung effizienter zu gestalten. Dies bezieht sich insbesondere auf die Bauwerksprüfung und Erhaltungsplanung, welche auf Grundlage der generierten Bestandsmodelle vollständig digitalisiert werden könnten. So bieten die Modelle beispielsweise eine sehr gute Unterstützungsmöglichkeit bei der Durchführung der Bauwerksprüfung, um u. a. eine georeferenzierte Lokalisierung von Bauwerksschäden im Modell vorzunehmen. Das im Projekt entwickelte Verfahren und die Umsetzung des Prototyps haben gezeigt, dass die Ableitung von BIM-Modellen aus 3D-Punktwolken möglich ist. Für eine Anwendung in der Praxis, beispielsweise im Zuge einer großflächig angesetzten Erfassungskampagne, sind grundsätzlich verschiedene Weiterentwicklungsmöglichkeiten denkbar, wie beispielsweise eine Evaluierung des KI-Verfahrens durch weitere Trainings- und Scandaten, Anreicherung des Expertensystems von Brückeneigenschaften und Regeln für die Erweiterung der Möglichkeiten von Volumenmodellerstellung oder auch die Generierung von Modellen von komplexeren und vielfältigeren Brückenbauwerken. Danksagung Diesem Bericht liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE 02.0436/ 2020/ ARB „Entwicklung von Verfahren zur (teil-)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen für Straßenbrücken im Bestand“ durchgeführten Forschungsarbeit zugrunde. Wir bedanken uns beim Forschungskonsortium IMC und HPI für die erfolgreiche Umsetzung des Forschungsprojekts und die gute Zusammenarbeit sowie bei den Mitgliedern des Betreuerkreises für ihre hilfreichen Hinweise und Rückmeldungen. Literatur [1] BMDV (2021): Masterplan BIM Bundesfern-straßen. Online verfügbar unter: https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ masterplan-bim-bundesfernstrassen.html [2] Mill, T., Alt, A., & Liias, R. (2013). Combined 3D building surveying techniques-terrestrial laser scanning (TLS) and total station surveying for BIM data management purposes. Journal of Civil Engineering and Management, 19(sup1), S23-S32. [3] Leberl, F., Irschara, A., Pock, T., Meixner, P., Gruber, M., Scholz, S., & Wiechert, A. (2010). Point Clouds: Lidar versus 3D Vision. Photogrammetric Engineering & Remote Sensing, 76(10), 1123-1134. [4] Lu, R., Brilakis, I., & Middleton, C. R. (2019). Detection of Structural Components in Point Clouds of Existing RC Bridges: Detection of bridge components in point clouds. Computer-Aided Civil and Infrastructure Engineering, 34(3), pp. 191-212. [5] Zhao, Y.-P., & Vela, P. A. (2019). Scan2BrIM: IFC Model Generation of Concrete Bridges from Point Clouds. Computing in Civil Engineering 2019, pp.-455-463. [6] Qin, G., Zhou, Y., Hu, K., Han, D., & Ying, C. (2021). Automated Reconstruction of Parametric BIM for Bridge Based on Terrestrial Laser Scanning Data. Advances in Civil Engineering, (1), pp.-1-17. [7] Volk, R., Stengel, J., & Schultmann, F. (2014) Building information modeling (bim) for existing buildings - literature review and future needs. Automation in Construction, 38, 109-127. [8] Liebich, T. (2009). IFC 2x Edition 3 Model Implementation Guidance. Online verfügbar unter: https: / / standards.buildingsmart.org/ documents/ Implementation/ IFC2x_Model_Implementation_ Guide_V2-0b.pdf [9] SIB Bauwerke (2023): Datenbank für Bauwerksdaten. Online verfügbar unter: https: / / sib-bauwerke.de/ Geoinformationssysteme 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 117 Geodateninfrastrukturen für Digitalisierungsprozesse bei der Autobahn GmbH des Bundes Nikolaus Kemper Die Autobahn GmbH des Bundes, Berlin Zusammenfassung Seit dem 01.01.2021 hat die Autobahn GmbH des Bundes die Verwaltung der Autobahnen, die bisher in der Zuständigkeit der Bundesländer lag, übernommen. Eine zentrale Aufgabe besteht in der Bereitstellung digitalisierter Prozesse auf der Grundlage von Geodaten, die auf einem einheitlichen Datenmodell beruhen. Der Auf bau dieser Geodateninfrastruktur beinhaltet die Verarbeitung und Bereitstellung der Geodaten sowie einer Plattform. In der Autobahn GmbH wird diese Plattform TIM-GeO (Technisches Informationsmanagement mit Geo- und Objektreferenzierung) genannt. Die Präsentation am 20.06.2023 zeigte auch eine Live-Präsentation verschiedener Fachanwendungen. Für diesen Textbeitrag werden einige der live gezeigten Fachanwendungen im Kapitel 4 beschrieben. 1. Einleitung Die Autobahn GmbH wurde am 13.09.2018 als Gesellschaft des privaten Rechts gegründet und übernimmt seit dem 01.01.2021 die Verwaltung der Autobahn und zum Teil einiger Bundesstraßen. Dies war bisher Aufgabe der Bundesländer. Das gesamtdeutsche Bundesautobahnnetzes beträgt ca. 13.000 km. Mit zukünftig bis zu 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist dies eine der größten Reformen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Abb. 1 zeigt die Standorte der Autobahn GmbH mit einer Zentrale in Berlin, 10 Niederlassungen, 30 dauerhaften und 11 temporären Außenstellen sowie ca. 190 Betriebsstandorten. Mit Gründung der Autobahn GmbH sollen die Bereitstellung einer leistungsfähigen und sicheren Infrastruktur mit einheitlichen Qualitätsstandards, effizientem Betrieb und Erhaltung sowie die Bündelung von Aufgaben erzielt werden. Hoheitliche Tätigkeiten wie die Planfeststellungen werden vom Fernstraßen- Bundesamt (FBA) wahrgenommen. Abb. 1: Standorte der Autobahn GmbH 118 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Geodateninfrastrukturen für Digitalisierungsprozesse bei der Autobahn GmbH des Bundes 2. Plattform TIM-GeO 2.1 Aufgaben Die Bereitstellung und Nutzung von Geodaten und darauf beruhende GIS-Fachanwendungen sind insbesondere in den Aufgabenbereichen Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung des in Abb. 2 gezeigten Lifecycle erforderlich. Für die Realisierung wurde die zentrale Plattform TIM- GeO aufgebaut, auf der Geoinformationen zusammengeführt, auf bereitet und für die verschiedenen Anwendungen und Nutzergruppen als Prozessunterstützung zur Verfügung gestellt werden. Auf der Plattform TIM-GeO werden zudem folgende funktionalen Anforderungen umgesetzt: - Verarbeiten von Geodaten - Erstellen von Kartendatenansichten - Bereitstellen funktionaler Prozesse (z. B. Baumkontrolle) - Bereitstellen von Daten auch im Online-Betrieb auf der Straße - Bereitstellen von Daten zur Unterstützung anderer Prozesse und Anwendungen. Abb. 2: Aufgaben der Autobahn GmbH 2.2 Technische Realisierung Zum Start der Autobahn wurde in einer ersten Realisierungsstufe eine WebGIS-Anwendung „GIS-Frontend“ mit den wichtigsten Geodaten in einer cloudbasierten Umgebung als Software-as-a-Service (SaaS) bereitgestellt, eine Kopplung zu Projektinformationssystemen und Bauwerksdatenbanken (SIB-BW) sowie Diensten, z. B. für die Anbindung von Anwendungen mit Eigentümerdaten, realisiert. Die SaaS Umgebung wird zukünftig auch als Bürgerportal genutzt. Die Fachanwendungen wurden zudem sukzessive ‘On- Premises’ innerhalb der Autobahn GmbH in verschiedenen Staging-Umgebungen zur Verfügung gestellt: ‘Dev’ (Development), ‘QA’ (Quality and Assurance) und ‘Prod’ (Production). Nach einer europaweiten Ausschreibung zur Realisierung der Geodateninfrastruktur-Plattform ‘TIM-GeO’ erfolgt dies mit Softwareprodukten der Fa. ESRI, mit denen insbesondere folgende Komponenten bereitgestellt werden: Server- und dazugehörige Client-Lösungen, GIS Plattform Suite für Analyse und Visualisierung von Geodaten, Hosting Server, Backend Server Komponente für die Zusammenfassung aller Serverfunktionalitäten inkl. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 119 Geodateninfrastrukturen für Digitalisierungsprozesse bei der Autobahn GmbH des Bundes Verwaltungssoftware sowie Webserver zum Teilen von Karten und Berechnungsinformationen innerhalb der Autobahn GmbH. Ergänzt wird diese Infrastruktur durch Data-Store Komponenten zum Zusammenlegen und Speichern der Daten, einer Geodatabase zum Speichern relevanter Geometrien, Komponenten zur Webintegration sowie Softwareerweiterungen zur Nutzung der linearen Referenzierung, zur Verwaltung der Straßeninformationen und von Routingfunktionalitäten zur dynamischen Berechnung von Strecken. Die Architektur ermöglicht auch den Zugriff externer mobiler Anwendungen. Die Kontrolle von Zugriffsberechtigungen und Nutzerauthentifizierung auf die TIM-GeO-Plattform und zugehörige Dienste-Ressourcen erfolgt über ein firmeninternes cloud-gehostetes Active Directory-Verzeichnisdienst (Azure Active Directory). Zukünftig sollen sukzessive weitere Bereitstellungen von Dienste- und Daten-Ressourcen zum Betrieb von Komponenten der Geodateninfrastruktur und ETL- Werkzeugen in einer hochverfügbaren Microsoft Azure Cloud-Umgebung angeboten werden. Hierzu werden inzwischen branchenüblich von verschiedenen Herstellern vermehrt Microsoft Azure-fertige Softwaremodule angeboten und gepflegt. 3. Datenmigration Eine große Herausforderung der Autobahn GmbH besteht darin, Geodaten aus bis zu 16 Bundesländern, die z.T. bereits in die zehn Niederlassungen überführt wurden, in eine zentrale objektbasierte Datenhaltung zu migrieren. Dies erfordert die Festlegung eines zentralen Fachdatenmodells. Die Migration der Daten erfolgt mit einem ETL- Tool, siehe dazu Abb. 3. Für die Datenmigration wird zunächst die Struktur jeder Quelldatenbank untersucht und ein individuell passender Satz an Transformationsregeln zur Überführung in die Zieldatenbank aufgestellt. Die finale Migration der Quelldatenbanken erfolgt jeweils zeitlich abgestimmt mit der Einführung der damit verbundenen Fachapplikationen. Abb. 3: Datenmigration 4. Fachapplikationen Neben der Harmonisierung der Daten ist auch eine Konsolidierung der Prozesse erforderlich, die bisher in den Bundesländern nicht immer einheitlich vorlagen. Auf Grundlage von Anforderungsanalysen, die in fachlichen und technischen Dokumenten festgeschrieben werden, konnten verschiedene Fachanwendungen realisiert werden, die nachfolgend beispielhaft gezeigt werden. 4.1 TIM-GeO Viewer Der TIM-GeO Viewer ist ein WebGIS Client, der alle autobahnrelevanten Daten wie das Streckennetz, die Zuständigkeitsgrenzen, Tank- und Rastanlagen oder die Verkehrsstärken kartenbasiert mit entsprechenden Sachinformationen darstellt. Über weitere OGC-konforme Dienste können z. B. Natur- und Umweltdaten eingebunden werden. Zudem ermöglicht der Viewer grundlegende Funktionalitäten wie Suchen, Drucken, Messen oder Zeichnen. 120 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Geodateninfrastrukturen für Digitalisierungsprozesse bei der Autobahn GmbH des Bundes Abb. 4: TIM-GeO Viewer 4.2 Anwendungen Brückenbauwerke Die Anwendungen Brückenbauwerke wurden als Fachinformationssysteme zur Unterstützung und Visualisierung von Untersuchungs- und Entscheidungsprozessen im Fachbereich Brücke entwickelt. Inzwischen stehen auch die in der Informationsdichte angepassten Varianten “Brückeninformationsportal” und “Brückenübersichts- Dashboard” allgemein zur Verfügung. Diese implementieren eine Serviceschnittstelle zu einer Datenbank, in der Brückenstrukturdaten gepflegt werden. So können allgemein zugängliche Brückeninformationen visualisiert und ausgewertet werden. Abb. 5: Brückeninformationsportal 4.3 3D-Brücke Die Anwendung in Kap. 4.2 zeigt die Lage der Brücke als Punktinformation. Durch Markieren des Punktes können weitere Sachverhalte aufgerufen oder in Tabellenform angezeigt werden. Bei Einführung der Methode „BIM“ Building Information Modeling werden semantische dreidimensionale Modelle immer wichtiger. Komplexe Bauteile und deren ergänzenden Sachdaten können so realitätsnäher für weitere Prozesse genutzt werden. Abb. 5 zeigt ein 3D-Brückenmodell, das mit BIM Autorensoftware erstellt wurde und auf die Plattform TIM- GeO übertragen wurde, so dass es in einer GIS-Anwendung verwendet werden kann. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 121 Geodateninfrastrukturen für Digitalisierungsprozesse bei der Autobahn GmbH des Bundes Abb. 6: 3D Modell der Rheinbrücke bei Leverkusen 4.4 Baumkontrolle Die Baumkontrolle ist eine weitere Anwendung auf der Plattform TIM-GeO (siehe Abb. 7). Sie umfasst den Vorbereitungsprozess für die Bauminspektion über eine Desktop-Anwendung sowie eine mobile Anwendung. Die mobile Anwendung wird als App auf einem Smartphone/ Tablet verwendet. Sie ermöglicht: - Bäume zu erfassen, - Baumkontrollen durchzuführen. - Schäden zu erfassen, - Maßnahmen auszuwählen. Abb. 7: Baumkontrolle - linkes Bild: Desktop Anwendung rechtes Bild: mobile App 4.5 ZEB Die Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) ist ein Verfahren, um den Zustand von Straßen zu ermitteln und Maßnahmen für deren Erhaltung abzuleiten. Mit Spezialfahrzeugen werden dafür Daten wie Längs-, Querneigung, Griffigkeiten sowie Bilddaten erfasst, die nach einem normierten Verfahren bewertet werden. Auf der Plattform TIM-GeO werden die Basisdaten für Ausschreibungen bereitgestellt sowie die detaillierten Bewertungsergebnisse visualisiert. Für die Visualisierung werden diese in 100 m-Teilabschnitte klassifiziert und 122 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Geodateninfrastrukturen für Digitalisierungsprozesse bei der Autobahn GmbH des Bundes grafisch so auf bereitet, dass diese sowohl in Form von Kartensignaturen entlang des Streckennetzes als auch in einem Streckenband zur Verfügung stehen (siehe Abb. 8). Zusammengefasste Ergebnisse, z. B. aggregiert für eine Niederlassung, werden zudem als Dashboard-Anwendung bereitgestellt (Abb. 9). Abb. 8: Visualisierung der ZEB Daten Abb. 9: Dashboard ZEB Daten 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 123 Geodateninfrastrukturen für Digitalisierungsprozesse bei der Autobahn GmbH des Bundes Abb. 10: Befahrungsdaten 5. Zusammenfassung Der Wechsel der Zuständigkeit bei der Verwaltung der Autobahnen von den Bundesländern auf die Autobahn GmbH ist auch aufgrund der heterogenen Ausgangslage eine große Herausforderung. Dies betrifft den Umfang der softwareseitig unterstützten Arbeitsprozesse, die Heterogenität der Softwareprodukte, Datenbanken oder Datenmodelle. Die Einrichtung der Autobahn GmbH bietet jedoch auch viele Chancen. Dazu gehören der Auf bau einer einheitlichen Geodateninfrastruktur mit harmonisierten Daten, der Bereitstellung von räumlichen Informationen in einem zentralen System für verschiedene Stakeholder und einer zunehmenden Berücksichtigung prozessorientierter konsolidierter Fachanwendungen. Dazu leistet die Plattform TIM-GeO einen entscheidenden Beitrag. 4.6 Befahrungsdaten Im Zuge der Befahrung für die ZEB und darüber hinaus in separaten Erfassungsverfahren erfolgen auch Fotobzw. Videoaufnahmen der Autobahnen. Mit einer Applikation kann meist im 10 m Abstand jeder beliebige Punkt der Straße angefahren werden, um sich einen schnellen Überblick über die Situation zu verschaffen, ohne die Örtlichkeit aufzusuchen. Zusätzliche Funktionalitäten ermöglichen das Anzeigen eines Messgitters, das Aufrufen von Panoramabildern oder das Exportieren der aktuellen Szene. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 125 Integration der BIM-Methode in GIS für kommunale Infrastrukturanlagen Nutzung kommunaler Daten in einem digitalen Ressourcenplan zur Förderung der Kreislaufwirtschaft Jonas Maibaum, M. Sc. Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Informatik im Bauwesen Amina Wachsmann, M. Eng. Hochschule Karlsruhe, Institut für Verkehr und Infrastruktur Prof. Dr.-Ing. Markus König Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Informatik im Bauwesen Zusammenfassung Der Bausektor, insbesondere der Bereich des Straßen- und Tief baus, gehört zu den Sektoren mit einer vergleichsweise geringen Digitalisierungsrate. Dies liegt unter anderem an den traditionell geprägten Arbeitsabläufen, der Struktur der am Bau beteiligten Unternehmen und Kommunen sowie der Komplexität von Infrastrukturanlagen. Diese herausfordernde Ausgangslage führt in Verbindung mit heterogenen Datenbeständen partiell dazu, dass bestehende Möglichkeiten zur Steigerung der Ressourceneffizienz nicht hinreichend genutzt werden können. An diesem Punkt setzt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt Ressourcenplan kommunaler Tiefbau (RekoTi) an. Ein Ziel des Projektes ist es, die in Kommunen verfügbaren und erfassbaren Daten nutzbar zu machen, um eine Steigerung der Ressourceneffizienz in Hinblick auf die in den Infrastrukturanlagen verbauten Materialien zu erreichen. Diese Datengrundlage kann bei Bedarf um Open-Source-Daten ergänzt werden. Um im Zuge der kommunalen Maßnahmenplanung zukünftig beispielsweise Aspekte des Ressourcenmanagements in Entscheidungen einbeziehen zu können, müssen objektspezifische Informationen zusammengeführt und bewertet werden. Zur effektiven Einbindung in die Systeme kommunaler Verwaltungen (und perspektivisch den Transfer der Forschungsergebnisse) wurde die Datenlandschaft der Beispielkommune Münster erfasst, analysiert und schließlich in Form von Funktionen, Visualisierungskomponenten und weiteren Building Information Modeling (BIM) Werkzeugen in eine auf Geoinformationssystemen (GIS) basierende digitale RekoTi-Toolbox integriert. Die digitale RekoTi-Toolbox baut hierbei auf den Funktionen und Anwendungen der öffentlich frei zugänglichen Software QGIS auf. Durch den gewählten Open-Source-Ansatz ist es Nutzenden und Entwickelnden zudem erlaubt, künftig anwendungsspezifische Anpassungen und Erweiterungen an der RekoTi-Toolbox vorzunehmen. 1. Einführung Moderne Gesellschaften werden von Infrastrukturanlagen getragen. Diese bilden ein komplexes technisches System ab, welches in Teilen dazu dient, die Ver- und Entsorgung der Gesellschaft sicherzustellen. Neben diesen wichtigen Funktionen stellen diese Infrastrukturanlagen aber auch ein wertvolles Erbe für zukünftige Generationen dar und dienen als anthropogenes Materiallager. Unter dem anthropogenen Materiallager werden in diesem Beitrag die in den drei Infrastrukturanlagen Brücken, Kanalisation und Verkehrsflächen verbauten Materialien verstanden. Diese verbauten Materialien können im Anschluss an ihre aktuelle Nutzung als Sekundärrohstoffquelle dienen und stellen somit eine kostbare Ressource dar, die von jeder Generation genutzt, gepflegt und an nachfolgende Generationen weitergegeben werden soll. [1] Das Verständnis für die Relevanz des anthropogenen Materiallagers steigt global durch die zunehmende Rohstoffknappheit. Um die verbauten Materialien künftig effizient weiternutzen zu können und damit einen Schritt näher in Richtung Kreislaufwirtschaft zu gelangen, ist es notwendig das anthropogene Materiallager abzubilden. Gerade auch im Bereich des kommunalen Tief baus gestaltet sich die Darstellung des anthropogenen Materiallagers auf Grund der historisch gewachsenen Infrastruktur (vgl. für Münster [2]) in Verbindung mit einem bedeutenden Nachholbedarf bei der Verwendung von digitalen Lösungsanwendungen bislang weitestgehend als schwierig. [3] Damit dies sich in Zukunft ändert, soll im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojektes „Ressourcenplan kommunaler Tiefbau (RekoTi)“ durch das aus der FH Münster, der Ruhr-Universität Bochum 126 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Integration der BIM-Methode in GIS für kommunale Infrastrukturanlagen und der Hochschule Karlsruhe zusammen mit der Stadt Münster, der Hermann Dallmann Straßen- und Tief bau GmbH & Co. KG (Bramsche-Engter) und der Thomas & Bökamp Ingenieurgesellschaft mbH (Münster) bestehende Projektkonsortium unter anderem ein digitaler Ansatz (RekoTi-Toolbox) entwickelt werden, mit dem Kommunen ihr anthropogenes Materiallager bestimmen können. Weitere innerhalb des RekoTi-Projekts angestrebte Ziele können der Veröffentlichung [4] oder der Projektwebsite (https: / / www.f h-muenster.de/ rekoti/ ) entnommen werden. Um unter anderem die Bestimmung des anthropogenen Materiallagers für die im Projekt betrachtete Beispielkommune Münster zu ermöglichen, soll ein öffentlich zugängliches Geoinformationssystem (GIS) mit der Methode des Building Information Modelings (BIM) verknüpft werden. 2. Stand der Technik Basierend auf den beschriebenen Herausforderungen werden nachfolgend relevante Ansätze, Anwendungen und Lösungen dargestellt. Zunächst wird dabei auf das Thema der Kreislaufwirtschaft eingegangen, um anschließend die Möglichkeit zur Verknüpfung von Gelände- und Bauwerksdaten im Rahmen von GIS und BIM und den in diesem Kontext angestrebten Open-Source- Ansatz zu thematisieren. 2.1 Kreislaufwirtschaft Die Kreislaufwirtschaft im Baubereich ist ein zentraler Aspekt für die dortige Nachhaltigkeit. Das Ziel der Kreislaufwirtschaft in Hinblick auf nachhaltigeres Handeln wird auch durch die europäische Bauproduktverordnung, das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz und die EU-Taxonomie rechtlich untermauert. Das oberste Ziel der Kreislaufwirtschaft ist es, Ressourcen zu schonen und Abfälle zu vermeiden. Im Zuge dessen sollen möglichst alle Baustoffe wiederverwendet und recycelt werden. Dies kann durch gezieltes Stoffstrommanagement und geschlossene Kreisläufe erreicht werden, wobei Bauprodukte bereits bei ihrer Herstellung und auch der Planung und dem Bau auf ihre Wiederverwendbarkeit geprüft werden sollten. Damit dies möglich ist, ist es notwendig, stets den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerkes zu betrachten. [5] Als Lebenszyklus eines Bauwerkes werden die Phasen der Planung, der Herstellung und Errichtung, der Nutzung sowie der Entsorgung definiert. [6] Insbesondere im Bereich des Tief baus gibt es ein großes Potenzial für die Wiederverwendung von Baustoffen. Können Baustoffe hochwertig wiederverwendet werden, kann der Einsatz von Primärrohstoffen reduziert werden, wobei es bei der Wiederverwendung von rückgewonnenen Baustoffen notwendig sein kann, dass auch hier vor der Wiederverwendung beispielsweise eine energetische Aufwendung zur Auf bereitung notwendig ist. Neben der Qualität der rückgewonnenen Baumaterialien sind bei dem Konzept der Kreislaufwirtschaft auch immer rechtliche Rahmenbedingungen (beispielsweise die Einhaltung von Grenzwerten) zu berücksichtigen, die gegebenenfalls zu Hemmnissen bei der Wiederverwendung führen können. Zudem spielt die öffentliche Hand bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft im Baubereich eine wichtige Rolle, da für die Umsetzung eine enge Zusammenarbeit aller am Bau beteiligten Akteure, von der Planung bis zur Entsorgung, erforderlich ist. Hierbei kann die öffentliche Hand einen maßgeblichen Einfluss nehmen. Beispielsweise kann durch die stärkere Digitalisierung im Bausektor ein effizienterer Einsatz von Ressourcen zusammen mit der Reduzierung des Abfallaufkommens erzielt werden. Fordert die öffentliche Hand über alle Prozesse hinweg von ihren Auftragnehmern digitale Arbeitsmethoden und setzt selbst stringent digitale Arbeitsmethoden ein, kann gerade im Tief baubereich ein signifikanter Fortschritt im Bereich der Digitalisierung erreicht werden. Hierbei kommt dem Einsatz der BIM-Methode ein hoher Stellenwert zu. [7] 2.2 BIM im Kontext von GIS BIM ist eine ganzheitliche Methode zur Planung, Konstruktion und Verwaltung von Bauwerken, bei der digitale Modelle verwendet werden, um Informationen über das Bauwerk zu erstellen und zu verwalten. BIM ist ein prozessorientierter Ansatz, bei dem die Konstruktion und der Betrieb eines Bauwerks als zusammenhängender Prozess betrachtet werden. [8] GIS steht für geografische Informationssysteme und stellt eine Methode zur Erfassung, Verarbeitung, Analyse und Darstellung von räumlichen Daten dar. GIS ermöglicht es, geografische Daten auf einer Karte visuell zu verorten und zu analysieren, um Einblicke in räumliche Beziehungen und Muster zu gewinnen. [9] Obwohl BIM und GIS unterschiedlich bezüglich des Modellierungsansatzes und der Nutzergruppen sind, kommt es vermehrt zu Anwendungsüberschneidungen bei den betrachteten (Bauwerks-) Objekten. [10] Eine Möglichkeit ist hierbei die Integration von BIM- Daten in ein GIS-System. Auf diese Weise können BIM- Modelle in räumliche Analysen und Visualisierungen einbezogen werden, um beispielsweise die Auswirkungen von Bauwerken auf die Umgebung oder die Ressourceneffizienz zu untersuchen. Insgesamt ermöglicht eine Integration von BIM in GIS eine umfassendere und genauere Betrachtung von Bauwerken und ihrer Umgebung, was zu einer besseren Planung und Verwaltung der Bauwerke und zudem einer verbesserten Nutzung der relevanten Ressourcen führen kann. Bei der Integration der BIM-Methode in GIS wird insbesondere der Frage „Wie können Bauwerksmodelle (BIM) mit Geobasisdaten wie Liegenschaftskataster als auch Gelände-, Landschaftsmodellen (GIS) gemeinsam genutzt werden“ nachgegangen. [10] Eine Studie, welche explizit die Innovationen durch die BIM-GIS-Integration untersucht, kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere Ontologien als vielversprechender Weg anzusehen sind und sich zur Überwindung der semantischen Barrieren eignen. [11] Ein konkreter Ansatz der BIM-GIS-Integration ist die Überführung von IFC-Dateien in das in GIS-Anwendungen gebräuchliche Shape-Dateiformat. Durch diese Transformation lassen 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 127 Integration der BIM-Methode in GIS für kommunale Infrastrukturanlagen sich Bauwerksdaten direkt in das GIS-System übertragen, sodass Informationen aus beiden Domänen genutzt werden können. [12] 2.3 Open-Source-Ansatz Im Kontext von BIM und GIS wird zudem die Verwendung von offenen Standards und einheitlichen Schnittstellen angestrebt. In dem von der kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) herausgegebenen Bericht „Open Source in Kommunen“ [13] wurden insbesondere die Bereiche Verwaltung, Mobilität und Verkehr sowie digitale Infrastruktur(-netze) als Gestaltungsfelder für die Verwendung von kommunalen Open-Source- Daten und die Integration dieser in Open-Source-Anwendungen identifiziert. Der Bericht führt für Kommunen folgende Vorteile durch die Nutzung von Open-Source- Anwendungen auf: • Vermehrte Nutzung des eigenen Datenpotenzials für Optimierungen • Sicherstellung der Unabhängigkeit von proprietären Datenformaten und Softwarelizenzen • beibehalten der Datenhoheit durch digitale Souveränität (selbstbestimmt, selbstsicher, unabhängig) Um diese Vorteile vollständig nutzen zu können, wird zusätzlich die Verwendung offener Standards wie HTML, XML, PDF, Open Document Format (ODF), Portable Network Graphics (png) (oder IFC und OKSTRA) empfohlen. Dazu ist es notwendig, diese bereits in Ausschreibungen zu fordern. Vor dem Hintergrund von Open-Source Geodaten gibt der Bericht folgendes wieder: „Die Erhebung, Auswertung und Analyse von Geoinformationen ist mit zahlreichen Leistungs- und Prozessoptimierungen innerhalb der Verwaltung und für die Bürgerinnen und Bürger verbunden“. Im Bereich der Geoinformationen ist die Standardisierung weit vorangeschritten und wird zudem durch Organisationen und Regierungen unterstützt. Das Nutzen von offenen Standards kann somit die Entwicklung von Open-Source-Software begünstigen, sofern diese praktikabel, verlässlich und verbreitet sind. [13] 2.4 Zusammenspiel der Komponenten Die Kreislaufwirtschaft setzt auf einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und damit einhergehend einer Vermeidung von Abfällen. Durch die Integration von BIM in GIS wird eine präzise räumliche Datenbasis generiert. Die zusätzliche Anwendung des Open-Source- Ansatzes ermöglicht, hierbei Daten und die daraus entstehenden Modelle für alle Beteiligten zugänglich zu machen und eine gemeinsame Nutzung zu ermöglichen. Im Kontext des kommunalen Tief baus kann somit der Informationsfluss zwischen allen Beteiligten verbessert und eine koordinierte Planung und Umsetzung während des gesamten Lebenszyklus der Infrastrukturanlage unterstützt werden. Dieses Zusammenspiel wird in den folgenden Abschnitten im Rahmen des RekoTi-Projektes methodisch beschrieben und am Beispiel der Kommune Münster dargestellt. 3. Methodologie - Implementierungsansatz Basierend auf den im vorherigen Kapitel angeführten Ansätzen werden nachfolgend die für die Implementierung der RekoTi-Toolbox relevanten, anzusetzenden Rahmenbedingungen angeführt und zudem auf die verwendete Datengrundlage eingegangen. Das Implementierungsziel ist es, die unterschiedlichen Asset- und Projektinformationen anhand von Daten der Beispielkommune Münster digital miteinander zu verknüpfen und ein BIM-konformes Management der Gelände- und Bauwerksdaten zu gewährleisten (siehe Abbildung-1). Die aus verschiedenen Quellen und Bereichen stammenden heterogenen Daten werden dabei innerhalb der RekoTi-Toolbox integriert und für Berechnungen, Analysen und Visualisierungen angepasst. 3.1 Rahmenbedingungen Die für die RekoTi-Toolbox angesetzten Rahmenbedingungen unterscheiden sich vor allem durch ihren Einfluss auf die Implementierung. Die bei der Implementierung berücksichtigten Rahmenbedingungen werden nachfolgend erläutert. Jedes Projekt weist seine eigenen Charakteristika auf. Durch das RekoTi-Projektkonsortium wurden daher die Anforderungen an die RekoTi-Toolbox beschrieben. Dabei wurden sowohl regulatorische und politische als auch projektspezifische und technische Anforderungen berücksichtigt. Regulatorische und politische Rahmenbedingungen: • Unter regulatorischen und politischen Rahmenbedingungen werden gesetzliche Vorschriften oder interne Richtlinien, die ein Unternehmen oder eine Organisation einhalten muss, um rechtliche und ethische Standards zu erfüllen, verstanden. Im Bereich der RekoTi-Toolboxerstellung für kommunale Infrastrukturen können diese Anforderungen eine Vielzahl von Vorgaben umfassen, wie beispielsweise die Einhaltung von öffentlichen Beschaffungsrichtlinien, Umweltstandards oder kommunalen Vorschriften. Die Erfüllung dieser Anforderungen ist notwendig, um eine rechtmäßige und ethisch verantwortungsvolle Planung und Umsetzung von Infrastrukturprojekten zu gewährleisten und die Akzeptanz und Zufriedenheit der betroffenen Bürger: innen und Interessengruppen zu erhöhen. Zu diesen Anforderungen können auch solche zum Datenschutz oder zu Nutzerrechten zählen. 128 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Integration der BIM-Methode in GIS für kommunale Infrastrukturanlagen Abbildung 1: Darstellung der relevanten Ressourcenlayer für die RekoTi-Toolbox-Implementierung Projektspezifische Rahmenbedingungen: • Als projektspezifische Rahmenbedingungen gelten Anforderungen, welche innerhalb der Projektbearbeitung abgeleitet, diskutiert und schließlich definiert wurden. Dazu zählt das Festlegen von relevanten Anwendungsfällen, welche auf Basis von durchgeführten Workshops identifiziert, ausgewertet und formalisiert wurden. Beispielsweise wurden Anwendungsfälle zur Bereitstellung und dem Abruf von Informationen über das anthropogene Materiallager beschrieben. Diese Informationen können weiterführend für das Stoffstrommanagement genutzt werden. Hierbei ist zusätzlich zu berücksichtigten, welche Voraussetzungen für ein korrektes Durchführen des jeweiligen Anwendungsfalls erfüllt sein müssen. Technische Rahmenbedingungen: • Zu den technischen Rahmenbedingungen gehört ins besondere das Adressieren von externen Datenbanken (bspw. Datenbanken für Umweltwirkungen). Hierbei ist die Verfügbarkeit von relevanten Datensätzen und deren Weiterverwendbarkeit hinsichtlich Datenformat, Vollständigkeit und Aktualität zu prüfen. 3.2 Datengrundlage Die Datengrundlage für die Implementierung ist aufgrund der verschiedenen zu berücksichtigenden Infrastrukturanlagen (Brücken, Kanalisation, Verkehrsflächen) und deren Spezifikationen als heterogen einzustufen. In Tabelle-1 ist eine Übersicht der vorhandenen Datenformate für die unterschiedlichen Infrastrukturanlagen und deren Besonderheiten dargestellt. Da aktuell keine verbindliche Vorgabe existiert, ein bestimmtes Datenformat zu nutzen, verwendet mitunter jede einzelne Kommune eigene Datenformate und definiert spezifische Datenstrukturen. Neben den üblichen Datenformaten werden aufgrund der fehlenden Harmonisierung häufig weitere interne Datenformate auf Grundlage von Regelwerken und Normen definiert. Auch die BIM-Methode wird gerade im Bereich der Infrastruktur zwar immer öfter, aber derzeit noch nicht flächendeckend angewendet. Eine mögliche Vereinheitlichung wird durch das Einrichten einer zentralen Harmonisierungsinstanz, dem BIM-Portal des Bundes, angestrebt (https: / / via.bund.de/ bim/ infrastruktur/ landing). Zukünftig sollen unabhängig den zugrundeliegenden Formaten, Strukturen und der angewendeten Software, Daten eindeutig über die Nutzung von GUIDs (Global Unified Identificator) identifizierbar sein. Diese Vorgehensweise unterstützt zudem den in Abschnitt 2.4 vorgestellten Open-Source-Ansatz. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 129 Integration der BIM-Methode in GIS für kommunale Infrastrukturanlagen Tabelle 1: Infrastrukturanlagenspezifische Daten-formate und deren Besonderheiten Infrastrukturanlage Datenformat Besonderheit Verkehrsfläche Fahrbahnen, Geh- und Radwege und Plätze OKSTRA (xml), IFC (Road; STEP, xml) Keine einheitlich angewendeten und verbindlichen Datenformate und Datenstrukturen für die Daten der Verkehrsflächen vorhanden (Bezeichnung oftmals nach RStO) Brücke Überbau, Unterbau, Pfeiler, Widerlager, Fundamente und Gründung IFC Bridge; STEP, xml Keine einheitlich angewendeten und verbindlichen Datenformate und Daten-strukturen für die Daten der Brücken vorhanden (Bezeichnung oftmals nach ASB-ING) Kanalisation Schächte, Haltungen und Umgebungsmaterial ISYBAU (xml) Einheitliches Daten-format und Doku-mentationspflicht (Bezeichnung oft-mals nach ISYBAU) 3.3 Implementierung Auf der Grundlage der zuvor beschriebenen Herausforderungen, dem aktuellen Stand der Technik und der definierten Anwendungsfälle ist zusätzlich den folgenden Zielen nachgegangen worden, welche im Rahmen der Projektumsetzung zu implementieren sind: • Sicherstellung der BIM-Konformität • Berücksichtigung von gängigen kommunalen Datenstrukturen und -formaten • Nutzung von Open-Source bzw. kostenloser Bestandssoftware • Einfache intuitive Benutzerführung und Weiterentwicklungsmöglichkeit mittels RekoTi-Toolbox-Assistenten Bei der Nutzung der zu erstellenden RekoTi-Toolbox soll, sofern verfügbar und vollständig, auf BIM-Modelle zurückgegriffen werden. Diese sind insbesondere für die Ermittlung von Mengen und Massen und damit die Darstellung des anthropogenen Materiallagers als auch für die Visualisierung essentiell. Dabei werden innerhalb der RekoTi-Toolbox keine BIM-Modelle generiert, sodass beim Fehlen von entsprechenden BIM-Modellen über Berechnungsalgorithmen Massen, Mengen und andere Zielgrößen bestimmt werden sollen. Es ist notwendig die verwaltungsinternen (hier Beispielkommune Münster) und externen (hier OpenStreetMap, ATKIS und weitere) Informationen und Datensätze klar zu definieren und zu strukturieren. Tabelle-1 verdeutlicht hierzu welche Datenformate für den jeweiligen Infrastrukturbereich genutzt wurden. Durch das Zusammenführen der unterschiedlichen Daten soll mittelfristig sichergestellt werden, dass eine Nutzung der RekoTi- Toolbox auch bei abweichenden Datenbezeichnungen möglich ist. Dazu zählt zudem die Verwendung von einheitlichen standardisierten GUIDs. Für die Umsetzung der Implementierung ist innerhalb des RekoTi-Projektes das Andocken an eine Bestandssoftware in Form eines Plugin-Ansatzes als angemessene Lösung identifiziert worden. Bei der Bestandssoftware handelt es sich um die GIS-Software QGIS. QGIS ist eine freiverfügbare Software, die es ermöglicht, georeferenzierte Daten auszuwerten, zu manipulieren und anhand der Daten Berechnungen durchzuführen. Vorteil der Software ist, dass bereits eine Reihe an Funktionen integriert sind, welche dadurch nicht zusätzlich programmiert werden müssen. Zudem ist die generelle Funktionsweise der Software bereits vielen Anwendenden bekannt. QGIS erlaubt es zudem, eigene Implementierungen als Plugin der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Die neu zu implementierenden aber auch die bereits bestehenden Funktionalitäten sollen so in die RekoTi-Toolbox integriert werden, dass eine einfache intuitive Navigation durch die RekoTi-Toolbox gewährleistet ist (siehe Abbildung- 2). Die Nutzenden haben während der Anwendung über weiterführende Links die Möglichkeit, relevante Erklärungen und Vorschläge zu erhalten. Im Folgenden werden die Hauptfunktionalitäten der Reko- Ti-Toolbox nach Bestands- und Erweiterungsanwendung unterschieden. Abbildung 2: Architektur und Funktionalitäten der digitalen RekoTi-Toolbox (Hier dargestellt als Demonstrator) Zu den Hauptfunktionalitäten von QGIS gehören (vgl. Abbildung-3): • Kartenvisualisierung: Eine benutzerfreundliche und flexible Benutzeroberfläche erlaubt es geografische Daten zu visualisieren und Karten in verschiedenen Formaten wie PDF, SVG oder Bildern zu exportieren. 130 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Integration der BIM-Methode in GIS für kommunale Infrastrukturanlagen • Analyse-Tools: Mit verschiedenen Analysewerkzeugen wie räumliche Abfrage, Pufferung (Erzeugung einer geografischen Fläche um ein gegebenes Objekt), räumliche Interpolation, statistische Analyse als auch Netzwerk- und Geländeanalyse können Bestandsdaten räumlich ausgewertet werden. Abbildung- 3 : Funktionalitäten der RekoTi-Toolbox aufgeteilt nach QGIS-Bestandsfunktionen und Erweiterungsfunktionen des Plugins • Geoprozessierung: Eine Vielzahl von Geoverarbeitungswerkzeugen ermöglicht es in QGIS, komplexe räumliche Analysen durchzuführen und Prozesse zu automatisieren. • Datenbeschriftung: In QGIS können geografische Daten mit Beschriftungen und Anmerkungen versehen und in der Kartenanzeige integriert werden. • Datenbearbeitung: Es wird das Erstellen, Ändern und Löschen von Vektordaten und Attributen ermöglicht und eine umfassende Unterstützung für die Bearbeitung von Rasterdaten geboten. • Geodatenunterstützung: Es können verschiedene Geodaten wie Vektordaten, Rasterdaten, GeoJSON-, WMS-, WFS-, und OGC-Standarddaten adressiert und genutzt werden Diese bereits existierenden Bestandsfunktionalitäten können über das Hinzufügen oder Erstellen von Plugins erweitert werden. Der im Rahmen von RekoTi gewählte Plugin-Ansatz, erlaubt es, die bereits bestehende Funktionspalette für die identifizierten Anwendungsfälle benutzerdefiniert zu erweitern. Zu den Hauptfunktionalitäten der Erweiterung gehören (vgl. Abbildung-3): • Berechnungsalgorithmen: Die Berechnung und Bestimmung von Massen, Mengen und Materialströmen wird über die Integration von mathematischen Formeln realisiert. • RekoTi-Toolbox-Assistent: Die RekoTi-Toolbox erhält einen Assistenten, um eine intuitive Benutzerführung zu gewährleisten. Diese dient zudem als Schnittstelle zwischen den Bestands- und Erweiterungsfunktionalitäten und unterstützt den Nutzungsprozess. • Datenbankprozessing: Innerhalb der RekoTi-Toolbox werden die importierten Daten optimiert und ggf. neu strukturiert. Hierzu gehört ebenfalls, das Adressieren von externen Datenbanken (EPD-Datenbank, ÖKO- BAUDAT) und Regelwerksdaten (RStO 12 etc.). • Datenmanagement: Die RekoTi-Toolbox ermöglicht es, Daten in einer gewünschten Form zu verwenden. Auch das Einlesen und Exportieren von bestimmten Daten wird ermöglicht. • Visualisierung: Durch die Integration von zusätzlich entwickelten Visualisierungsoptionen, bspw. das Hinterlegen einer Farbskala zur Darstellung des Ressourcenverbrauchs, wird das Verständnis erhöht. • BIM: Durch die modell- und informationszentrische BIM-Methode soll es gelingen, Potenziale bei der Genauigkeit (Mengen und Massen), der Zusammenarbeit (gemeinsames Datenverständnis), dem Datenaustausch (einheitliche Schnittstellen) und der Visualisierung (3D BIM-Modell) zu nutzen. 4. Beispielhafte Anwendung der RekoTi-Toolbox In der QGIS-Umgebung stehen Nutzenden verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Durch Anklicken des Plugin-Icons kann die RekoTi-Toolbox gestartet werden. Mittelfristig soll dadurch eine intuitive Nutzung gewährleistet werden. Der erste Schritt besteht darin, relevante Infrastrukturdaten in Form von sogenannten Layern in die RekoTi-Toolbox-Umgebung zu importieren. Die importierten georeferenzierten Layer werden mittels eines Prüfalgorithmus auf Vollständigkeit und Korrektheit geprüft. Liegt ein positives Prüfergebnis für einen Layer vor, steht dieser für das Durchführen von Anwendungsfällen bereit. Nach dem erfolgreichen Einlesen der Datenlayer ist es oftmals notwendig, diese weiter zu optimieren. Ziel dabei ist es, eine optimale Datengrundlage zu schaffen, indem kommunale Bestandsdaten mit frei verfügbaren Geodaten (OSM, ATKIS, weitere) angereichert werden. Für die Bestimmung von Mengen und Massen innerhalb der Anwendung muss ein Netzausschnitt erstellt oder ein konkretes Objekt ausgewählt werden. Die in der Datenbank vorliegenden Mengen werden dabei zu einer Summe zusammengefasst (siehe Abbildung-4) Mengen, die im Bestandsdatensatz der Beispielkommune Münster nicht vorhanden sind, werden auf Basis von Regelwerksverknüpfungen (bspw. RStO 12, RStO 01) in Abhängigkeit vom Baujahr approximiert. [14] Die Ergebnisse der ermittelten Mengen werden dem Nutzenden nach kalkulierten und approximierten Werten differenziert tabellarisch ausgegeben. Dadurch ist die Ermittlung des anthropogenen Materiallagers, unterschieden nach den drei im Projekt betrachteten Infrastrukturanlagen (Brücken, Kanalisation und Verkehrsflächen), möglich. Die RekoTi- Toolbox soll Kommunen generell bei der Entscheidungsunterstützung dienen. Dazu werden Stoffströme identi- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 131 Integration der BIM-Methode in GIS für kommunale Infrastrukturanlagen fiziert und ein Stoffstrommanagement wird ermöglicht. Die abgeleiteten Informationen können anschließend ausgegeben und gemäß dem Open-Source-Ansatz weitergenutzt werden. Verfügbare BIM-Modelle sollen entsprechend integriert werden können, um den angeführten Nutzen zu erreichen. Die Verknüpfung von BIM und GIS hat neben der Visualisierung von Daten auch Vorteile im Bereich der Genauigkeit, dem Verständnisauf bau und vor allem dem Datenmanagement gegenüber der traditionellen Datenhaltung. Abbildung-4: Prototypische Benutzeroberfläche der RekoTi-Toolbox mit beispielhaft dargestellter Funktionalität ‚Massenberechnung‘ für ein kommunales Teilgebiet 5. Schlussfolgerungen und Ausblick Die vor dem Hintergrund der BIM-GIS-Integration durchgeführte Entwicklung einer digitalen RekoTi- Toolbox zur Nutzung von Daten kommunaler Infrastrukturanlagen hat das Ziel, über das Durchführen von Anwendungsfällen effektives Managen von Infrastrukturanlagen und Stoffströmen sicherzustellen und dadurch einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft im kommunalen Tief bau zu leisten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden einerseits der Status quo bei der Datenverfügbarkeit und -nutzung und anderseits die Rahmenbedingungen im Handlungsfeld der Kommunen identifiziert und analysiert. Als limitierende Faktoren wurden in erster Linie fehlende Vorschriften bei der Nutzung und Definition von relevanten Infrastrukturanlagendaten festgestellt. Auch die Anwendung der BIM-Methode findet derzeitig nicht flächendeckend statt, sodass geeignete BIM-Modelle für alle Infrastrukturanlagen lediglich vermindert vorliegen. Ausblickend ist der derzeitige Entwicklungsstand der RekoTi-Toolbox weiter zu optimieren. Zusätzliche Funktionalitäten, wie das Identifizieren von möglichen und notwendigen Baumaßnahmen, sind zunächst formal zu prüfen und anschließend ggf. technisch zu integrieren. Auch eine Integration von Ökobilanzdatensätzen wäre wünschenswert, um valide Berechnungen für die Umweltwirkungen vornehmen zu können. Die derzeit öffentlich verfügbaren Ökobilanzdatensätze für beispielsweise Verkehrsflächen in Asphaltbauweise weisen bislang jedoch eine zu geringe Aussagekraft auf (vgl.-[15]). Danksagung Das Forschungsprojekt [RekoTi - Ressourcenplan kommunaler Tiefbau] bildet den Rahmen für diese Arbeit. Es wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) [Förderkennzeichen~ 033R264] im Rahmen des wissenschaftlichen Programms Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft - Bauen und Mineralische Stoffkreisläufe (ReMin) gefördert und durch die Plattform Forschung für Nachhaltigkeit (FONA) unterstützt. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren. Literatur [1] UBA - Umweltbundesamt (2022): Das anthropogene Lager, 11.05.2022, URL: https: / / www.umweltbundesamt.de/ themen/ abfall-ressourcen/ abfallwirtschaft/ urban-mining/ das-anthropogene-lager, Zugriff: 27.04.2023. [2] Buttgereit, A. (2019): Ansätze für ein Erhaltungsmanagement kommunaler Straßen unter Berücksichtigung des NKF. URL: https: / / hss-opus. ub.ruhr-uni-bochum.de/ opus4/ frontdoor/ deliver/ index/ docId/ 6418/ file/ diss.pdf, Zugriff: 28.04.2023. [3] PwC - PricewaterhouseCoopers (2023): Die Bauindustrie in anspruchsvollen Zeiten, URL: https: / / www.pwc.de/ de/ content/ f81454c8-00f3- 40c2-bfb6-627dba09c9d3/ pwc-studie-herausforderungen-der-bauindustrie-2023.pdf, Zugriff: 28.04.2023. [4] Flamme, S., et al. (2022): Ressourcenplan kommunaler Tiefbau: RekoTi - Lösungsansätze für einen ressourceneffizienten Tiefbau, In: Deutsches Ingenieurblatt, S. 48-49, Nr. 11/ 2022. [5] Kraft, M. H., et al. (2022): Management der Kreislaufwirtschaft - Positionierung und Gestaltung zirkulärer Unternehmen, Springer eBook Collection, Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden, 2022; ISBN: 978-3-658-39225-3. [6] DIN EN 15643: 2021 (2021): Nachhaltigkeit von Bauwerken - Allgemeine Rahmenbedingungen zur Bewertung von Gebäuden und Ingenieurbauwerken, DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.), Beuth-Verlag, Berlin, 2021. [7] BMVI - Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2015): Stufenplan Digitales Planen und Bauen - Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken, Berlin, URL: https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ DG/ stufenplan-digitales-bauen.pdf? __blob=publicationFile, Zugriff: 28.04.2023. [8] Borrmann, A. et al. (2022): Building Information Modeling. Technologische Grundlagen und Industrielle Praxis, 2 nd ed. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (VDI-Buch Ser). URL: 132 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Integration der BIM-Methode in GIS für kommunale Infrastrukturanlagen https: / / ebookcentral.proquest.com/ lib/ kxp/ detail. action? docID=6824254, Zugriff: 28.04.2023. [9] Goodchild, F. (2005): Geographic Information Systems. In: Kimberly Kempf-Leonard (Hg.): Encyclopedia of Social Measurement. S.L.: Elsevier, S. 107-113. URL: https: / / www.sciencedirect.com/ science/ article/ pii/ B0123693985003352, Zugriff: 28.04.2023. [10] Kaden, R. et al. (2019): Leitfaden Geodäsie und BIM 2.0. In: DVW e. V. und Runder Tisch GIS e. V. (Hrsg.), Bühl/ München URL: https: / / dvw. de/ sites/ default/ files/ merkblatt/ daten/ 2019/ 11_ DVW-Merkblatt_LeitfadenGeod%C3%A4sieund- BIM_2019_0.pdf, Zugriff: 28.04.2023. [11] Celeste, G. et al. (2022): Innovating the Construction Life Cycle through BIM/ GIS Integration: A Review, In: Sustainability 14 (2), S. 766. DOI: 10.3390/ su14020766. [12] Zhu, J. et al. (2019): Integration of BIM and GIS: IFC geometry transformation to shapefile using enhanced open-source approach, In: Automation in Construction 106, S. 102859, DOI: 10.1016/ j.autcon.2019.102859. [13] KGSt - Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (2021): Open Source in Kommunen (2021/ 5), Köln, URL: https: / / www. k g s t . d e / d o c u m e n t s / 2 0 1 8 1 / 3 4 1 7 7 / KG S t - B e richt-5-2021_Open-Source.pdf/ 994d10d0-ec25f8ed-91af-1a12518c27d3, Zugriff: 28.04.2023. [14] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2012): Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen. RStO 12. Ausg. 2012. Köln: FGSV-Verl. (FGSV, 499: R1). [15] Wachsmann, A. (2023): Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau, In: Schäfer, F. (Hrsg.): 3. Kolloquium Straßenbau in der Praxis, S. 71-80. expert Verlag GmbH; Technische Akademie Esslingen e. V. Tübingen/ Ostfildern, 2023. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 133 Straßenzustandserfassung: Geocodiert oder Netzknoten- Kanten-bezogen, was benötigen wir morgen? Dr.-Ing. Ute Stöckner Steinbeis-Transferzentren GmbH an der Hochschule Karlsruhe Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Steinbeis-Transferzentren GmbH an der Hochschule Karlsruhe Zusammenfassung Der Zustand kommunaler Verkehrsflächen kann nach Regelwerk mit unterschiedlichen Verfahren ermittelt werden, die sich auf ein stationiertes Netzknoten-Kanten-System (NKS-System) beziehen. Darauf auf bauend greifen eingeführte ingenieurtechnische Verfahren zur rechnergestützten Ermittlung von Erhaltungsabschnitten sowie Verfahren zur Prognose des Finanzbedarfs bei ihren Berechnungen auf diese Beschreibungsmethode zurück. Die resultierenden Ergebnistabellen werden in der Regel in webgestützten Fachsystemen visualisiert oder in statischen Kartenwerken dargestellt. Darüber hinaus sind seit etlichen Jahren weitere Verfahren am Markt, die mit Laserpunktwolken arbeiten und zunächst auf eine Bestandsdatenerfassung abzielen. Sie werden jedoch auch für die Straßenzustandserfassung eingesetzt mittels Messungen in den geokodierten Punktwolken, die mit Bilddaten der gescannten Umgebung verbunden sind. Auf dieser Basis ermittelte Bewertungen des Straßenzustandes können regelmäßig nicht direkt mit den eingangs o.g. Methoden des technischen Regelwerkes weiter ausgewertet und für die Zukunftsvorsorge im Sinne eines prognostischen Asset Managements genutzt werden. Ihr Vorzug besteht gegenüber dem NKS-System vor allem in der einfachen Visualisierung der Schäden in kommunalen GIS-Systemen. Beide Erfassungsmethoden werden auch zukünftig für ein kommunales Asset Management der Straßeninfrastruktur und ihres Inventars weiterhin ihre Berechtigung haben. Die verstärkte Nutzung der Straßenzustandserfassung und ihrer Ergebnisse wird nicht zuletzt aufgrund sinkender Personalressourcen kommunal jedoch weiter an Bedeutung gewinnen. Eine einfache Nutzung der Ergebnisse ist hierbei von erheblicher Bedeutung. Die Zusammenführung der Bestandssowie Straßenzustandsdaten in einer gemeinsamen Datenumgebung ist daher nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus gesellschaftspolitischer Sicht von Bedeutung. Der Beitrag zeigt auf, wie diese Anforderung auch perspektivisch umgesetzt werden kann. 1. Einführung Vor dem Hintergrund knapper werdender Personalressourcen in Verbindung mit weiterhin limitierten Finanzmitteln kommt der vorausschauenden Planung auch in Bezug auf die kommunale Straßenerhaltung zunehmende Bedeutung zu. Die Notwendigkeit der Koordination gewerkeübergreifender Erhaltungsmaßnahmen spielt dabei ebenso eine wachsende Rolle, nicht zuletzt um die Verfügbarkeit des Verkehrsnetzes hoch und die Einschränkungen für die Nutzer möglichst gering zu halten. Die Darstellung von Bestandsdaten, der Erfassung und Zustandsbewertung der Infrastrukturen sowie die Nutzung der Bewertungsergebnisse sind daher in vielen Kommunen übliche Arbeitsroutinen. Aufgrund verschiedener Herangehensweisen, die in Verbindung mit dem kommunalen Regelwerk der Straßenzustandserfassung- und -bewertung stehen, ist der technische Umsetzungsstand auf kommunaler Ebene jedoch sehr unterschiedlich. Dies ist nicht allein auf die unterschiedlichen Verfahren der Straßenzustandserfassung und -bewertung nach Regelwerk zurückzuführen, sondern steht auch in Verbindung mit dem jeweiligen kommunal gewählten Ordnungssystem. 2. Ordnungssysteme bei der Straßenzustandserfassung Nach dem geltenden Regelwerk kann der Zustand kommunaler Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Verfahren ermittelt werden. Mit der Verfahrenswahl bei der Zustandserfassung sind in der Praxis unterschiedliche Dokumentationsarten in Verbindung mit unterschiedlichen Ordnungssystemen verbunden, die auf die Datennutzung zurückwirken. Die angewandten Verfahren werden in der Fachwelt daher teilweise kontrovers diskutiert. 2.1 Realflächenmodell Kommunen., welche die Zustandserfassung auf Basis eines Realflächenmodells umsetzen, bedienen sich in vielen Fällen der geografischen Schadenscodierung nach [1]. Daraus ergibt sich eine Bandbreite unterschiedlicher Vorgehensweisen. Diese reicht von der Darstellung der Schäden (vgl. Abbildung 1) nach lokaler Auftretenshäufigkeit ohne weitere systematische flächendeckende und richtungsbezogene Auswertung bis hin zur durch wechselnde Flächeninhalte der Bezugsflächen zwischen zwei Kreuzungen verzerrenden Auswertung von Schadensanteilen. Wird die Bezugsfläche von Schäden nach [2] zur Bestimmung des Straßenzustandes verwendet, so weist 134 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Straßenzustandserfassung: Geocodiert oder Netzknoten-Kanten-bezogen, was benötigen wir morgen? das Regelwerk selbst auf den Einfluss hin, den die Schadenslage auf das Ergebnis der Zustandsbewertung nimmt (vgl. Abbildung 2). Abbildung 1: Beispiel einer lagebezogenen Schadenscodierung im Fahrbahnbereich [Bild 3 in [1]] Abbildung 2: Darstellung des Verhältnisses der Ist- Schadensfläche zu der Bezugsfläche (relative Ausdehnung) bei unterschiedlicher Lage einer Schädigung [Bild 5 in [2]] Darüber hinaus setzt dasselbe Regelwerk die Beschreibungsmöglichkeiten eines Netzknoten-Kanten-Systems (NKS-System) für die Bezugsflächen nach [2] voraus. Ohne Verbindung der lagegetreuen Schäden bzw. der resultierenden Bezugsflächen zum NKS-System können in der Folge die eingeführten ingenieurtechnische Verfahren zur rechnergestützten Ermittlung von Erhaltungsabschnitten sowie Verfahren zur Prognose des Finanzbedarfs nicht eingesetzt werden Ersatzweise wird mit Erfahrungswerten aus der Vergangenheit gearbeitet oder mit einer Abschätzung der wirtschaftlichen Lebensdauer aufgrund festgesetzter Abschreibungszeiträume. Damit verbunden ist zunehmend Unsicherheit zur Abschätzung der Alterung der technischen Infrastruktur und der damit verbundenen Kosten; Unsicherheit, die bislang auch aufgrund der Erfahrung des Verwaltungspersonals kompensiert werden kann, bei personellen Wechseln dann aber zu einem erheblichen Informationsverlust führt. 2.2 Netzknoten-Kanten-System Kommunen, welche ein Netzknoten-Kanten-System (NKS-System) als Ordnungssystem verwenden, haben bei netzweiter Anwendung der stationierten Beschreibung der Straßenzustandserfassung und -bewertung (ZEB) sowohl in der qualitätsgesicherten Beschreibung und Durchführung der Erfassungsleistungen bis hin zur Erstellung von Finanzbedarfsprognosen keine Schwierigkeiten zu erwarten. Eine Darstellung der ZEB-Ergebnisse erfolgt jedenfalls tabellarisch oder auch als statisches Kartenwerk. Informationen, die mit Bezug zum NKS- System vorliegen, können tabellarisch verknüpft werden. Nicht NK-bezogene Daten, wie sie z. B. aufgrund der Anforderungen anderer Infrastrukturen (Kanal) vorliegen, müssen zur Koordination und Priorisierung von Maßnahmen im Sinne einer traditionellen analogen Arbeitsweise aufwändig und quasi händisch verknüpft werden. 2.3 Vorliegen beider Ordnungssysteme In der kommunalen Praxis ist häufig der dritte Fall anzutreffen, bei dem beide Ordnungssysteme genutzt werden, aber zwischen ihnen hinsichtlich der Darstellung nur eine statische Verbindung besteht: Zwar wird das NKS- System in der kommunalen GIS-Darstellung zusammen mit den Realflächen abgebildet, die automatisierte Darstellung stationierter Informationen ist jedoch nicht originärer Systembestandteil von GIS. Damit können die tabellarischen Ergebnisse der ZEB trotz Vorliegen beider Ordnungssysteme nicht dargestellt werden. Die Darstellung der ZEB-Ergebnisse im kommunalen GIS-System ist dennoch möglich. Üblicherweise werden von Seiten messtechnischer Zustandserfasser die ZEB- Ergebnisse zur Darstellung in GIS jedoch abstrahiert als einfache Liniendarstellungen und ohne Realflächenbezug abgegeben. Beim Regelfall einer nicht vollständigen Befahrung aller Fahrstreifen entstehen daher gerade bei den Hauptverkehrsstraßen Zuordnungsprobleme, die allein über räumliche Abfragen i n GIS nicht gelöst werden können. Damit ist eine Verknüpfung der ZEB-Ergebnisse mit nicht NK-bezogenen Daten, wie sie z. B. aufgrund der Anforderungen anderer Infrastrukturen (Kanal) oder aus Gründen der Praktikabilität (Buslinien etc.) vorliegen, über einfache räumliche Verknüpfungen nicht ohne weiteres möglich. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 135 Straßenzustandserfassung: Geocodiert oder Netzknoten-Kanten-bezogen, was benötigen wir morgen? Die bisherigen Erfahrungen zeigen auch in diesem Fall sowohl den Bedarf, kommunale Daten zu Zwecken der Priorisierung von Maßnahmen sowie zur Koordination mit anderen Infrastrukturen zu verknüpfen, als auch den Bedarf, den damit verbundenen Aufwand zu minimieren. 3. Verknüpfung der Ordnungssysteme Nach dem Regelwerk der FGSV ist eine Verknüpfung der Ordnungssysteme Flächengeometrie und NKS-System angedacht und wird dort auch beispielhaft dargestellt [3]. Dabei ergeben sich jedoch Probleme bei der Flächenbeschreibung durch Überlagerung in Kurveninnenbereichen bzw. undefinierte Flächen in Kurvenau ß enbereichen. Mit der Einführung der BIM-Methode wird das Problem der Überlagerung durch die Alignement-Definition seit der Einführung des IfC-Standards 4.1 angegangen, die auch im vorliegenden Fall einen Lösungsansatz darstellen kann. Derzeit aktuell ist die Version IfC 4.3 aus dem Jahr 2022, die bereits straßenbaubezogene Erweiterungen des Datenschemas wie Schichten und Fahrbahnmarkierungen enthält. Da die Möglichkeiten zur Überführung der Datenmodelle aus Autorensoftware, welche diesen IfC 4.3-Export noch nicht anbieten, noch eingeschränkt sind, wurde die Umsetzung in aktuellen Forschungsprojekten anhand von Referenzpunkten auf Basis des IfC 4.1 aufgezeigt [4], [5]. In den genannten Forschungsprojekten wurde zur Darstellung der Angaben aus der Zustandserfassung und -bewertung eine „virtuelle Schicht“ nach Abbildung 3 umgesetzt. Abbildung 3: Abbildung von ZEB-Daten in virtueller BIM-Modellschicht [[4]: 156] Dieses Konzept beruht auf der fahrstreifenfeinen abschnittsweisen Unterteilung der Bestandsoberfläche zur Darstellung der ZEB-Erfassungsabschnitte, ohne in die Darstellung des Straßenmodells selbst einzugreifen. Dieses Vorgehen der Modellierung der Projektionsschicht des BIM-Modells lässt sich auf die o.g. Problemstellung anwenden. Ausgehend vom Fall des Vorliegens sowohl von Straßenflächengeometrie als Realflächendarstellung als auch Netzknoten-Kanten-Stationierungssystem ergibt sich folgendes Vorgehen zur Verbindung der beiden Systeme: Durch die einmalig herzustellende -quasi virtuelle- Unterteilung der Verkehrsflächen z. B. in einem eigenen GIS-Layer wird die Möglichkeit zur Projektion der ZEB-Daten hergestellt. Kommunal werden i.d.R. 20m- Abschnitte für die ZEB genutzt, so dass ausgehend von der Station Null eine Unterteilung der Verkehrsfläche in entsprechend 20m lange Abschnitte erfolgt. Dabei werden ggf. unvollständige 20m-Abschnitte als sogenannte „Restflächen“ zwischen zwei Kreuzungsbereichen nach ihrer Lage definiert und nachvollziehbar dargestellt. Regeln zu deren eigenständiger Abbildung oder der Zuordnung zum letzten vollständigen Erfassungsabschnitt können dabei ebenso festgelegt werden wie die Flächenaufteilung in Kreuzungsbereichen. Über die Attribuierung der „virtuellen“ Flächen muss eine eindeutige ID festgelegt werden, welche als Verknüpfungsidentifikator für die ZEB-Daten dient; hierzu kann die eindeutige Abschnittsdefinition nach Netzknoten-Kanten-Stationierungssystem genutzt werden. Werden bei der Herstellung der ZEB-Projektionsflächen die Fahrstreifen mitberücksichtigt, lässt sich später leicht erkennen, ob die Zustandserfassung für die beauftragten Fahrstreifen durchgeführt wurde oder ob Abweichungen vorliegen. Ebenso kann durch die räumliche Lokalisierung eine schnelle Prüfung der Zulässigkeit bei Datenausfall z. B. aufgrund von Baustellen erkannt werden. Ausgehend vom Netzknoten-Kanten-Stationierungssystem für die messtechnische Straßenzustandserfassung ergeben sich bei der Herstellung der 20m-Abschnitte der Projektionsflächen im Realflächenmodell nicht automatisch Rechtecke und auch deren Flächeninhalte weichen z. B. mit der Straßenkrümmung naturgemäß voneinander ab. Da die Flächen jedoch allein zur grafischen Darstellung der ZEB-Ergebnisse genutzt werden, hat dies keinen negativen Einfluss auf weitere Auswertungen. Mit dieser Darstellung der ZEB-Projektionsflächen kann im Fall der Schadenskartierung in Anlehnung an die messtechnische ZEB eine erste vergleichende flächendeckende Einschätzung zum Straßenzustand getroffen werden. Unschärfen ergeben sich hierbei durch veränderliche Flächeninhalte der Schadensbezugsflächen z. B. aufgrund wechselnder Fahrbahnbreiten. Die Güte der ZEB hängt darüber hinaus von der Definition und Genauigkeit der Kartierung der Schäden ab. Unabhängig von der ID-Benennung der Flächen ist eine attributive Angabe der Abschnittsbeschreibung nach NKS zu empfehlen, die eine reibungslose Übernahme der flächenbezogenen Angaben ermöglicht: Die erfassten Schäden können damit in die NKS-basierten eingeführten ingenieurtechnischen Verfahren zur rechnergestützten Ermittlung von Erhaltungsabschnitten sowie Verfahren zur Prognose des Finanzbedarfs überführt und genutzt werden. In beiden Fällen stehen die Ergebnisse der ZEB damit zur Maßnahmenplanung, Koordination und Priorisierung zur Verfügung und können auch zur Darstellung im kommunalen GIS verwendet werden. 4. Fazit Die Nutzung vorhandener Fachsysteme und Fachanwendungen ist nicht in Frage zu stellen. Deren Verknüpfung 136 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Straßenzustandserfassung: Geocodiert oder Netzknoten-Kanten-bezogen, was benötigen wir morgen? und gemeinsame Nutzung ist im Sinne der Datensparsamkeit sowie der inhaltlichen Sinnhaftigkeit weiter voranzutreiben. Das Zusammenführen kommunaler Daten durch Verknüpfung der Ordnungssysteme Flächengeometrie und NKS-System liefert ein Beitrag hierzu: Wie aufgezeigt wurde, kann zum einen durch Visualisierung der ZEB- Ergebnisse deren praktische Nutzung erleichtert werden; zum anderen können die Ergebnisse zusammen mit weiteren kommunalen Daten für Priorisierung und Koordination von Erhaltungsmaßnahmen genutzt werden. Darüber hinaus ergeben sich durch die Darstellung fahrstreifenfeiner Zustandsabschnitte Vorteile bei der Qualitätssicherung von ZEB-Ergebnissen, die umgekehrt auch für die Ausschreibung zu befahrender Fahrstreifen für die ZEB genutzt werden können. Nicht zuletzt kann mit der „virtuellen“ Schicht im Hinblick auf eine zukünftige 3D-Modellierung im Sinne der BIM-Nutzung [6] ein erster Schritt in Richtung der Erstellung kommunaler Modelle unternommen werden. Literatur [1] FGSV (2015): Arbeitspapiere zur systematischen Straßenerhaltung, AP 9, Reihe K „kommunale Straßen“, Unterabschnitt 2.2 „Vorbereitung und Durchführung der visuellen Zustandserfassung für innerörtliche Verkehrsflächen“. [2] FGSV (2018): Arbeitspapiere zur systematischen Straßenerhaltung, AP 9, Reihe K „kommunale Straßen“, Unterabschnitt K 3.2: Zustandsbewertung bei visueller Zustandserfassung. Stand 2019. [3] FGSV (2008): Arbeitspapiere zur systematischen Straßenerhaltung, AP 9, Reihe K „kommunale Straßen“, Unterabschnitt K 1.3: Bestandsdatenerfassung. [4] Hajdin, R.; Blumenfeld, T.; Grossauer, K.; König, M.; Liu, L.; Schiffmann, F.; Stöckner, M.; Stöckner-U. (2022): BIM-Erweiterung durch Implementierung der Nutzung baustofftechnischer Daten von Straßen und Brücken im AMS (BIM4AMS). Österreichische Forschungsförderungs-Gesellschaft (FFG). Wien. Österreich. [5] Stöckner, M. Hajdin, R., König, M., Gavin, K., Schiffmann, F., Blumenfeld, T., Brow, I., Liu, L. (2022). Exchange and exploitation of data from Asset Management Systems using vendor free format (AMSFree). Final Report. CEDR Call 2018. [6] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI, 2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen. Digitalisierung des Planens, Bauens, Erhaltens und Betreibens im Bundesfernstraßenbau mit der Methode Building Information Modeling (BIM). Zuletzt abgerufen am 30.04.2023 unter https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ StB/ bim-rd-masterplan-bundesfernstrassen.pdf? __ blob=publicationFile Building Information Modeling (BIM) 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 139 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? Dr. sc. techn. Jörg-Martin Hohberg IUB Engineering AG, Bern Zusammenfassung Die Internationale Vereinigung für Brücken und Hochbau (IABSE) hat kürzlich ihre sechs Technischen Kommissionen nach den Bauwerkslebensphasen abgegrenzt, vom konzeptionellen Entwurf bis zur Nachhaltigkeit. Kommission 5 befasst sich mit bestehenden Tragwerken und in ihrer Arbeitsgruppe TG 5.6 mit BIM in Structure Management, d. h. der (Weiter)- Verwendung von Building Information Models im Rahmen von Bridge Management Systems (BrMS) als Pendant zum Facility Management von Hochbauten. Dahinter steht der Gedanke, dass Assets über ihren gesamten Lebenszyklus in ein und demselben Modell verwaltet werden - in diesem Fall Infrastrukturbauten mit 100 Jahren Lebensdauer oder mehr. Wenn es dazu noch einen Auslöser gebraucht hätte, so wäre dies der Einsturz des Polcevera-Viadukts von Riccardo Morandi am 14. August 2018 gewesen, der aufgrund fortschreitender, z.T. bekannter Korrosionsschäden in einem statisch genialen, aber schlecht detaillierten Brückenentwurf geschah. Die TG 5.6 befasst sich mit den Anforderungen an eine Erweiterung der offenen Datenschnittstelle IFC Bridge für die periodischen Tragwerksinspektionen, die Modellierung von Schä digungsmechanismen und die ökonomische Allokation von Unterhaltsmitteln in einem digitalen Zwilling, der sich aus dem statischen „as-built“-Modell zu einem chronologischen „as-maintained“-Modell weiterentwickelt. Dabei wird von der Infrastruktur und dem Stand der Digitalisierung in der Schweiz ausgegangen. Abb. 1: Aufräumarbeiten 2018 nach dem Einsturz der 50 Jahre alten Morandi-Brücke [1] [2] 1. Alternde Hinterlassenschaft des Baubooms Die 1960er Jahre waren in den USA und Europa die Jahre des schnellen Autobahnbaus und der vorgespannten Betonbrücken, bevor die Schwarzräumung mit Tausalz üblich und in ihren Auswirkungen auf die Dauerhaftigkeit bekannt wurden. So räumte der 2018 verstorbene Prof. Christian Menn in seinen späten ETH-Vorlesungen Anfang der 1980er Jahre ein, er würde heutzutage nie mehr mit so wenig Betonüberdeckung (und ohne Fahrbahnabdichtung) bauen wie bei seinen berühmten Bogenbrücken an der 1967 eröffneten San-Bernardino-Straße A13. Man war damals auch sehr stolz auf die - von Prof. Dr. Bruno Thürlimann begründete -plastische Bemessung im Betonbau, wie sie Christian Menn beim Felsenauviadukt der A1 in Bern anwendete: Die hohe Ausnutzung der Stege auf Schub und Torsion macht es nun unmöglich, die Brücke von 2´3 auf 2´4 Spuren zu verbeitern, so dass eine Kapazitätserweiterung der Nordumfahrung von Bern nur durch einen zweiten Viadukt oder einen Tunnel unter dem tief eingeschnittenen Aaretal möglich wäre. Abb. 2: Bau des Berner Felsenauviadukts der A1 von Christian Menn 1972-1974 (Quelle Emch+Berger AG) Neben Vorspannung mit nachträglichem Verbund, die zum bekannten Koppelfugenproblem in Deutschland führten - das wiederum in der Schweiz nicht so prägnant auftrat, wohl dank des Konzepts der teilweisen Vorspannung - wurden im Schweizer Nationalstraßenboom auch Lehnenviadukte aus Einfeldträgern mit Spannbettvorspannung in sofortigem Verbund errichtet, die z. B. an der Gotthard-Nordrampe zum Teil erhebliche Korrosionsprobleme aufwiesen. 140 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? Abb. 3: Schweizer Nationalstraßennetz mit Ballungsräumen und Ausbauplanung, Stand 2017 (Quelle: Berner Zeitung) Seither hat die Sanierung von Brücken mittels Klebebewehrung (Stahl- oder Karbonlamellen), Spannstäben zur Schubverstärkung und dem jüngst an der EPFL entwickelten ultrahochfesten Faserbeton (UHFB) erhebliche Fortschritte gemacht. Es gibt sogar eine Schweizer Normenreihe für die Erhaltung von Tragwerken, deren Blätter analog zu den Eurocodes nummeriert sind [3]. 2. Digitalisierung der Straßeninfrastruktur Mit der Verlagerung der Zuständigkeiten für die Nationalstraßen von den Kantonen an den Bund im Jahr 2008 wurde das ASTRA Herrin über rd. 2300 km Straßen, mehr als 4300 Brücken, 315 Tunnelanlagen und viele Kilometer Stützmauern, Lärmschutzwänden etc., die alle periodisch inspiziert, bzgl. Maßnahmen priorisiert und in Jahresprogrammen eingeplant werden müssen. Abb. 4: Eröffnung des Sanierungstunnels Belchen 2022 Der Finanzbedarf beträgt pro Jahr i.M. 455 Mio. CHF für den Betrieb, 1624 Mio. für den Unterhalt und 568 Mio. für den Ausbau [4]. Dies beinhaltet mehrere dritte Tunnelröhren, die jedoch noch keinen Mehrverkehr aufnehmen, sondern erst die Sanierung der bestehenden alten Tunnelröhren ermöglichen. Darin noch nicht enthalten sind die Baukosten der in Angriff genommenen 2. Röhre des Gotthardstraßentunnels, dessen 1980 eröffnete alte Röhre ebenfalls dringend der Sanierung bedarf. 2.1 Geografische Informationssysteme Bereits vor der Zentralisierung der Zuständigkeit rapportierten die kantonalen Tief bauämter die laufenden Aufwendungen für Fahrbahnreinigung (inkl. Tunnel) und Behandlung der Straßenabwässer, Unfalldienst und Baustellensignalisation, Schneeräumung, Grünpflege und Wartung der elektromechanischen Betriebs- und Sicherheitseinrichtungen (BSA) in ein Benchmark-Tool des AS- TRA. Für die Ausschreibung der Leistungen in die 11 neu eingeteilten Gebietseinheiten wurde das Mengengerüst detailliert auf Lageplänen erfasst (z. B. Anzahl Schächte, Kilometer Entwässerungen und Zäune etc.), die heutzutage digitalisiert im Feld auf Tabletcomputern abgerufen werden können. Die Periodizität der Reinigung richtet sich nach Erfahrungswerten zum Verschmutzungsgrad, so z. B. bei der Rastplatzreinigung nach dem Ferienverkehr aus Deutschland und den Benelux-Ländern. Für den Winterdienst bestehen Routeneinteilungen und Alarmdispositive, unterstützt durch Temperaturfühler mit Fernmeldung. An einige Brücken in Schattenlagen sind automatische Solesprayanlagen installiert. 2.2 Verkehrsüberwachung Die Verkehrsüberwachung wurde über Webbrowser in wenigen Leitzentralen konzentriert, in denen neben Videobildern alle Zustandsanzeigen der Betriebs- und Sicherheitsanlagen (BSA) angezeigt und bei Bedarf geschaltet werden. Dazu gehören insbesondere die Tunneleinrichtungen und Signalportale für verkehrsabhängige Geschwindigkeitssteuerung. Im Brandfall schalten sich aufgrund von Temperatur- und Sichttrübungsmessungen, aber auch Reflexen der Feuerlöscherauf hängungen und Fluchttürkontakte, die Portale automatisch auf Tunnelrot. Dank der digitalen Pläne der Entwässerungsleitungen können sich die Einsatzdienste schnell den Überblick über Ölabscheider und den Verbleib des Löschwassers verschaffen. Viele der Lüftungseinrichtungen, der Mess- und Steuerungstechnik nähern sich nach 20 Jahren bereits ihrem technologischen Lebensende. Zudem mussten wegen erhöhter Sicherheitsanforderungen nach dem Brand im Montblanc-Tunnel 1999 sukzessive für alle Straßentunnel mit Gegenverkehr zusätzliche Sicherheitsstollen gebohrt werden. Geräteinventare und Schaltschemata der Technikräume beruhen noch weitgehend auf Listen und Papierplänen. Hierbei spielt implizites Wissen der Anlagenbetreuer immer noch eine wichtige Rolle, sowohl bezüglich der Räumlichkeiten und Einrichtungen als auch der Ersatzteilbevorratung. Wegen der verschiedenen Erstellungszeiten der Anlagen mit unterschiedlichem Stand der Technik sowie dem Zwang zur produktneutralen Ausschreibung ist die BSA-Instandhaltung deutlich komplexer als der bautechnische Teil. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 141 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? Abb. 5: Verkehrsleitzentrale der Westumfahrung Zürich 2.3 Assetmanagement Alle geografischen Informationssystem (GIS) und darauf auf bauende Leitungs- (LIS) und Netzinformationssysteme (NIS) sind grundsätzlich 2-D oder 2,5-D, d. h. mit der Tiefenlage als Attribut. Weitere Attribute sind natürlich das Erstellungsdatum und Erneuerungsdaten der Anlagenteile, Bemessungskapazitäten (z. B. Nenndurchmesser, Drücke), Schacht- und Rohrblockdetails und die Zustandsdokumentation (z. B. Kanal-TV). Die Nacherfassung der Tiefenlagen wären die Voraussetzung für ein 3D-Modell des Untergrunds, das in ferner Zukunft vielleicht als AR-Display zur Verfügung stünde. Zusammen mit geologischen Bohrprofilen und hydrogeologischen Daten wäre ein solches GeoBIM eine wichtige Grundlage für die Tiefenplanung großer Infrastrukturvorhaben wie dem visionären Logistiksystem Cargo sous terrain [5]. Zur Erfassung und Beaufsichtigung der oberirdischen Kunstbauten auf dem Nationalstraßennetz besteht für Brücken und Stützmauern seit Jahrzehnten die Datenbank „KuBa“, mit genauer Anleitung zur Erfassung und Bewertung von Schäden - mit den Hauptinspektionen werden Ingenieurbüros beauftragt - und Chronologie aller Ertüchtigungsmaßnahmen. Leider stehen von etlichen Bauwerken nur eingescannte Pläne und Prinzipskizzen des Tragsystems zur Verfügung, in das Schäden lagemäßig eingetragen und Fotos verortet werden. Langsam finden auch digitale Assistenten Eingang, wobei Inspektionskampagnen im Büro anhand der CAD-Pläne vorbereitet und die Befunde im Feld direkt im Tabletcomputer eingegeben werden. Abb. 6: Brückeninstandsetzung an der A 8 bei Thun (Quelle Bänziger und Partner AG) Erst im Rahmen konkreter Erhaltungsprojekte werden die Planunterlagen sukzessive auf heutigen Stand gebracht. Dazu gehören der Nutzungsplan und die Projektbasis, aber nicht 3D-Modelle. Wichtiger ist die Funktion der Kunstbauten als Teil des entsprechenden Straßenzugs, z. B. mit Hinblick auf Sondertransportrouten, aber auch zwecks Abstimmung der gesamtheitlichen Erneuerungs- und Ausbauplanung. Dazu werden die Daten seit kurzem in einem übergeordneten Web-GIS namens MIS- TRA zusammengeführt, Abb. 7. Für Brückeninspektionen wird zunehmend mit Drohnen experimentiert, was die Sperrung von Spuren für Untersichtsfahrbühnen vermeidet, zudem wird an einem ETH-Lehrstuhl an Robotereinsatzmöglichkeiten geforscht. Abb. 7: Mistra-Basissystem zur Inventarverwaltung (https: / / www.astra.admin.ch/ astra/ de/ home/ fachleute/ weitere-bereiche/ fachanwendungen/ basissystem-b.html) Mit der ISO 55001: 2014 erschien inzwischen eine internationale Assetmanagement-Norm zu Strategie, Compliance, Kennzahlen und Optimierung von Unterhaltsmaßnahmen [6]. 142 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? 2.4 Nutzung digitaler Daten in 3D Seit langem sind im Infrastrukturbau selektiv 3D-Planungshilfsmittel gebräuchlich, z. B. für Voreinschnitte an Tunneln und komplizierte Baugruben, mit Übernahme digitaler Geländemodelle aus der Vermessung (per Drohnen oder terrestrisch). Dabei leistet die Kollisionsprüfung von Bodenankern gute Dienste, insbesondere bei konvexen Voreinschnitten im Tunnelbau (z. B. wegen gestaffelter Portale). Noch wichtiger wird die genaue dreidimensionale Geometrie bei der Anordnung von Injektionsschirmen für Dichtsohle unter Baugruben oder für Vortrieb im Grundwasser sowie bei Bodenvereisungen. Bei Bestandsbauwerken wird neu die Auswertung von 3D-Punktwolken herangezogen, nachdem ähnliche mobile Laserscanningtechniken sich schon länger in der Erfassung von Unter- und Überprofil im Tunnelbau sowie der Lichtraumprofilkontrolle an Bahnstrecken bewährt haben. Abb. 8: 3D-Scan einer Lawinenschutzgallerie für die Erstellung digitaler Bestandspläne Erste BIM-Anwendungen finden dort statt, wo es um Anlagen mit komplexer Betriebstechnik geht, z. B. für Kavernenkraftwerke und Technikräume in Verkehrstunneln, wobei die Attribute sich noch meist auf die Materialisierung beschränken. Abb. 9: Turbinenhaus des Wasserkraftwerks Robbia Im Rahmen von Pilotprojekten wird vom ASTRA die BIM-gestützte Ausschreibung komplexer geotechnischer Bauwerke erprobt, so z. B. die eines Rettungsschachts (Abb. 10), wo es ebenfalls um die genaue Erfassung der Geometrie und der Bodeninjektionen ging. Transparenz des Bauvorhabens, durchgängiger Datenfluss und klare Kostengrundlage sind u.U. wichtiger als weitere BIM- Nutzungen [7]. Abb. 10: Querverbindung zu neuem Sicherheitsstollen im Schorentunnel St. Gallen (Quelle Basler & Hofmann AG) Da in der Schweiz mehr neue Tunnel als Brücken gebaut werden, haben wir bisher kaum BIM-Anwendungen im Brückenbau vorzuweisen; vielmehr werden für den Tunnelbau (zumal bei Rechteckprofilen) gerne Allplan- Bridge und ähnliche BIM-taugliche CAD-Programme für Linienbauten verwendet, die weiter fortgeschritten sind als entsprechende Tunnelbauaufsätze. Die Treiber der BIM-Anwendung hinsichtlich Termin- und Kostenmanagement (4D resp. 5D BIM) sind eher die Tunnelbaufirmen wegen der direkten Zuordnung geologischer Ortsbrustaufnahmen zu den gewählten Ausbauklassen (Verwendung als Dokumenten-Managementsystem). 2.5 Digitale Zwillinge Die Modellbildung für Analyse und Bemessung mit FEM-Programmen erfolgt nach wie vor in separaten Preprozessoren, weil im Bauprojektstadium entweder noch keine 3D-CAD-Modelle bestehen oder geometrische Parametervarianten zu untersuchen sind. Im Fall einer durch Anker zu verstärkenden Stützwand wurde zwar aus Bestandplänen ein 3D-Volumenmodell erstellt, aber für die nichtlineare geotechnische Berechnung fünf typische Querschnitte im ebenen Dehnungszustand modelliert [8]. Während der Ausführung konnten je nach angetroffener Tiefe des Felshorizonts und Problemen bei der Fußpunktinjektion noch Parameter angepasst und Zusatzanker bemessen werden. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 143 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? Abb. 11: FE-Simulation der Ertüchtigung einer gestapelten Stützwand gegen Hanginstabilität Wenn man so will, lassen sich alle numerische Berechnungsmodelle als digitale Zwillinge einsetzen, indem - z. B. im Rahmen der Beobachtungsmethode - Daten aus dem Monitoring in das Computermodell zwecks Interpretation und verbesserter Vorhersage zurückgespeist werden. So dienen schon seit 100 Jahren Verformungsmessungen an Talsperren der Plausibilisierung des Bemessungsmodells (damals Trägerrostverfahren) und zur Detektion von Verhaltensanomalien, die Aufschlüsse über Betonrisse, Kluftöffnungen oder ähnliches geben können. Neu ist hingegen die Möglichkeit, über Tablet und Cloudcomputing selbst aufwändige FE-Berechnung „live“ im Feld durchzuführen, z. B. für die Überprüfung von Baugrubendeformationen und Hangstabilität. Bei schwingungsempfindlichen Tragwerken bietet es sich an, aus künstlicher Anregung oder ambienten Eigenschwingungen (Wind, Verkehr) mittels Spektralanalyse Veränderungen in den Eigenfrequenzen festzustellen, die auf Schadensentwicklungen hindeuten und diese zu überwachen gestatten (Structural Health Monitoring). Echtzeitanwendungen im Bereich der sensor-basierten Steuerung von Bauprozessen, die in Richtung „Internet of Things (IoT)“ gehen, zeichnen sich insbesondere im Spezialtief bau ab, z. B. bei der Erstellung von Pfählen, Optimierung von Injektionsdrücken und der Schlitzwanderstellung mit integrierter Profilprüfung. 3. BIM und Bridge-Management-Systeme Vor allem in den skandinavischen Ländern ist der Entwurf neuer Brücken mit BIM bis zum Verzicht auf ausgedruckte Baupläne entwickelt (BIM2FIELD), wobei dank Parametrisierung mehrere ähnliche Brücken innerhalb eines Nationalstraßenzugs auseinander hergeleitet werden können. Stark bewehrte Stützenknoten brauchen nicht mehr als 1: 1-Mockup modelliert zu werden, und der Schalungslieferant kann im Freivorbau alle Etappen im 4D planen [9]. Spanngliedverläufe können optimiert und durch Start der Berechnungssoftware direkt aus dem digitalen Zwilling verifiziert werden (BIM2FEM). Abb. 12: Fotomontage der Pfeilerkopf bewehrung und BIM-Workflow der Randselvabrücke in Norwegen In Rot angedeutet ist die Zukunft einer Nutzung des Modells während der Betriebs- und Unterhaltsphase, üblicherweise als 6D-BIM bezeichnet, also das Pendant zum Facility Management im Hochbau. 3.1 Arbeit der IVBH-Kommission 5 Die 1929 in Zürich gegründete Internationale Vereinigung für Brücken- und Hochbau (IVBH/ IABSE) hat bei der letzten Restrukturierung ihrer Arbeitsgruppen entlang des Bauwerkslebenszyklus alle Arbeitsgruppen für bestehende Tragwerke in der Kommission 5 „Existing Structures“ zusammengefasst. Diese sind: TG 5.1 - Forensic structural engineering TG 5.2 - Gerontology of bridge structures TG 5.3 - Definition of key performance indicators TG 5.4 - Structure mgmt. systems & decision making TG 5.5 - Conservation & seismic strengthening TG 5.6 - BIM in structure management TG 5.7 - (left empty) TG 5.8 - Resilience of existing structures TG 5.9 - Remote inspection of bridges. Den Vorsitz der Kommission 5 hat Dr. Rade Hajdin inne, Koautor mehrere Vorträge an der gegenwärtigen Konferenz. Wie alle Task Groups ist auch TG 5.6, unter Leitung von Frau Dr. Vanja Samec, international bunt zusammengesetzt, von der Erforschung einzelner Fragestellungen bis zu Praktikern, die in ihrem Land Brücken-Managementsysteme (BMS) auf bauen oder vereinheitlichen möchten. Die IVBH führt damit frühere europäische Initiativen wie das Brime-Projekt [11] und die Cost-Action [12] fort und hebt sie auf eine internationale Ebene. 144 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? 3.2 Betrachtungsebenen des Asset-Managements Die Vision ist ein integriertes Auskunftssystems für den Zustand eines Brückenportfolios, in dem Brückeninformationsmodelle von Einzelobjekten (BrIM) nahtlos Daten mit dem übergeordneten Brückenmanagementsystem (BMS) auszutauschen vermögen. Dabei wird angenommen, dass das detaillierte BrIM vom Tragwerksingenieur als Frontend verwendet wird, während beim Brückeneigner im Hintergrund die BMS-Datenbank als Asset Management Tool die Daten verwaltet. Die Dokumentation des ausgeführten und in Betrieb genommenen Neubaus ist dabei „Anwendungsfall #0“ (as-built), auf den die Brückeninspektionen (#1), die Erhaltungsplanung (#2) und die durchgeführte Erhaltungs- oder Ertüchtigungsmaßnahme (#3) mit der Dokumentation „as-maintained“ folgen. Ziel ist die laufende Nachführung des digitalen Zwillings, für die ein Zeitstempel pro Konfiguration erforderlich ist, also eine kumulierte History des Tragwerks. Jede Konfiguration beinhaltet bestimmte Schädigungs- und Reparaturzustände, entweder als visualisierte Attribute oder als geometrischmaterialtechnologisch modifizierte Eigenschaften. Die nur attributive Erfassung funktioniert wie ein Mapping von Schadensfotos auf ein generisches Bauteil- oder gescanntes Volumenmodell der entsprechenden Brücke. Ein solches BrIM ist also ein Dokumentationstool, das sukzessiv mit Aufschlüssen über Lager, Fahrbahnübergänge, Bewehrungsabplatzungen etc. ergänzt wird (induktives Vorgehen outside-in); gleichwohl kann es mit Augmented-Reality-Funktion ein sehr hilfreiches Hilfsmittel für Inspektionen und Verfolgung der Schadensentwicklung sein [14]. Fehlende Bauwerkdetails können über Scanning-Funktionen ergänzt werden [15]. Abb. 13: Performance Indicators (PI) and Performance Goals (PG) auf unterschiedlichen Ebenen [13] Die quasi deduktive Vorgehensvariante (inside-out) erfordert indessen ein voll ausgebildetes Brücken-BIM mit allen tragenden Funktionen und räumlicher Repräsentation der schlaffen und vorgespannten Bewehrung, als Grundlage für statische Nachrechnungen des in Betrieb stehenden Bauwerks. Somit sind Schädigungsmechanismen für Nachrechnungen in lokale Querschnittsreduktionen, Steifigkeits- und Festigkeitseinbußen zu übersetzen. Des Weiteren sollte vorzugsweise auch das Fortschreiten chemischer Angriffe (z. B. Dekarbonatisierung, AAR) soweit erfasst werden können, dass sich daraus Prognosen erstellen lassen ähnlich wie bei einem mechanischen Risswachstum. Dann erst würde ein solches BIM als Grundlage für eine risikogerechte Optimierung des Ressourceneinsatzes in einem Brückenportfolio taugen („condition-based maintenance“ mit der Aussicht auf Streckung von Unterhaltszyklen und der Lebensdauer) [16]. Für ein Structural Health Monitoring in Echtzeit ließe sich der digitale Zwilling um die Sensorik und deren Monitoringdaten erweitern. Ein Beispiel dafür ist das im Auf bau befindliche System für Schrägseilbrücken in Südkorea [17]. 3.3 Fragen an die Brückeneigentümer Innerhalb IABSE TG 5.6 wurden die Anwendungsfälle (Use Cases) weiter nach Anforderungsprofilen aufgefächert [18]: • allgemeine Brückendaten wie z. B. Verkehrsdichte, meteorologische & geotechnische Daten, Gefährdungsbilder inkl. Gründung, Hydrologie & Seismologie, aber auch Normengeneration, Instrumentierung etc.; ferner Angaben zu tragenden und nichttragenden Bauwerksteilen (z. B. Ausnutzungsgrad, verwendete Produkte) und Status (ursprünglich/ modifiziert/ ersetzt/ hinzugefügt/ entfernt) 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 145 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? • Datenmanagement in 3 Containern zu Inventar (eindeutige Bauteilnummer im gesamten Brückenportfolio), Inspektionsaktivitäten und Interventionsmaßnahmen; ferner - als „one-stop solution“ und „single source of truth“ - weitere Module zur Vorhersage der Schadensentwicklung, der Kostenprognose und Optimierung, wobei die Datenstrukturen für die Kommunikation zwischen BrIM und BMS herauszuarbeiten sind. Abb. 14: BMS organisiert in 7 Modulen • Art der Schadensvisualisierung, ob als 3D-Ansichten oder als Attribute in Tabellenform; zumindest Verortung der Schädigung in der Brückengeometrie, eventuell nur in Form einer Schädigungszone („vulnerable box“) mit Gewichtung des Schädigungsgrades, falls es sich um einen latenten Schaden handelt wie z. B. Materialermüdung • Erfassung der Schadensfolgen über mechanische Eigenschaften (wie Rissbreite und -tiefe, Fläche von Betonabplatzungen oder Querschnittsverlust) oder andere einheitliche Deskriptoren für unterschiedliche BMS; z. B. Einführung einer defect-Funktion als neues Feature im IFC-Format in Verbindung mit einem Zeitstempel (IfcLifetime-Parameter als Birth/ Death-Schalter) • Komfort der User-Schnittstelle mit Möglichkeiten zur mobilen Eingabe im Feld und ggf. als AR-Bild; Grad der Online-Interaktion (z. B. Verknüpfung mit Auswertungssoftware in der Cloud) und Auslösung möglicher Workflows (Aufwandserfassung, Auslösung eines Reparaturauftrags u. a. m.). Über einen Fragebogen soll die Erfassung typischer Anforderungsprofile bei einer Pilotgruppe von Brückeneignern erprobt und danach verfeinert werden. Als mögliche Antwort wird auch die Angabe von Gründen akzeptiert, warum allenfalls die Verknüpfung von BIM mit bestehenden Brückenmanagementsystemen noch nicht als vordringlich angesehen wird. Zusätzlich werden geeignete Beispielobjekte für die Anwendung von BIM bzw. BrIM in Betrieb und Unterhalt erbeten. Für die erste Fragerunde werden im persönlichen Kontaktkreis der Mitglieder der TG 5.6 und durch Bekanntmachung an diversen Tagungen interessierte Brückeneigner gesucht. Die Umfrageergebnisse sollen im Rahmen der IVBH zu einem konsolidierten Anforderungsprofil für die nächste Generation des IFC-Standards oder anderer Datenübergabeformate im Open BIM dienen, um in den Dialog mit den Softwareherstellern einzutreten [19]. Literatur [1] Jeffrey Heimgartner (2020): The rise, fall and rebuild of the doomed Morandi Bridge. https: / / www. Engineering.com (Aufruf 30.04.2023). [2] Anon (2018): Lessons learned from the Italian Morandi Bridge Collapse. https: / / bridgemastersinc. com (Aufruf 30.04.2023). [3] SIA 269/ x (2011-2017): Erhaltung von Tragwerken; Blätter: #1 Einwirkungen, #2 Betonbau, #3 Stahlbau, #4 Stahl-Beton-Verbundbau, #5 Holzbau, #6 Mauerwerksbau, #7 Geotechnik, #8 Erdbeben. Zürich, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein (SIA). [4] Anon (2023): Betrieb, Unterhalt und Ausbau der Nationalstraßen im Sinn von Anpassungen - Faktenblatt. Ittigen b. Bern, Bundesamt für Straßen (ASTRA). [5] Cargo sous terrain (CST), https: / / www.cst.ch/ wasist-cst/ (Aufruf 30.04.2023). [6] ISO 55001: 2014 Asset Management - Managementsystems - Requirements. Genf, International Standards Organization. [7] Daniela Dietsche (2023): Infrastruktur digital erfassen - Projektverständnis, Transparenz und durchgängiger Datenfluss. TEC21 9/ 2023. Zürich, Espazium-Vlg. [8] J.-Martin Hohberg (2018): Numerische Standsicherheitsnachweise für sanierungsbedürftige Stützmauern. 11. Koll. Bauen in Boden und Fels. Ostfildern, Technische Akademie Esslingen (TAE), Jan. 2018. [9] Øystein Ulvestadt & Tiago Vieira (2021): Randselva Bridge - Planning and building of a 634 m long bridge solely based on BIM models. e-mosty open access magazine 3/ 2021, Maga Hrastiče/ CZ, Prof- Eng s.r.o. [10] J.-Martin Hohberg (2023): BIM-basierte Instandhaltung. TEC21 9/ 2023. Zürich, Espazium-Vlg. [11] Brime Contract RO-97-SC: Deliverables D14, Final Report 1999. trimis.ec.europa.eu/ sites/ default/ files/ project/ documents/ brimerep.pdf (Aufruf 28.02.2023). [12] Cost Action TU1406: Quality specifications for roadway bridges - Standardization at European level (BridgeSpec). Final Report 2019, www.cost. eu/ actions/ TU1406 (Aufruf 28.02.2023). [13] Rade Hajdin, Markus Stöckner & Markus König (2021): Einsatz von BIM zur Unterstützung des Asset Managements von Verkehrsinfrastrukturanlagen. Typescript. 146 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? [14] Jakob Traben, Marcel Helmrich, Guido Morgenthal (2022): Bridge condition assessment based on image data and digital twins. IABSE Symposium Challenges for Existing and Oncoming Structures, Prague, 25-27 May 2022. [15] M. Saeed Mafipour, Simon Vilgertshofer & Andr é Borrmann (2022): Creating digital twins of existing bridges through AI-based methods. IABSE Symposium Prague, a.a.O. [16] Sachidanand Joshi & Sitarama Raju Sagi (2022): Enhancement in Indian Bridge Management System using analytics within BIM data model. IABSE Symposium Prague, a.a.O. [17] Changsu Shim, Kitae Roh & Ngoc-Son Dang (2022): BIM authoring and data models for Bridge Maintenance Systems in Korea. IABSE Symposium Prague, a.a.O. [18] Ketil Aas-Jacobsen, Pawel Hawryszków u. a. (2023): Linking BrIM to BMS for bridges - Concepts. IABSE Congress Engineering for Sustainable Development, New Delhi/ India, 20-22 Sept. 2023 (submitted). [19] Vanja Samec (2023): Official letter to Bridge Owners and Infrastructure Authorities. IABSE TG 5.6. Bilder ohne Quellenangabe stammen von der IUB Engineering AG bzw. vom Verfasser. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 147 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Hochschule Karlsruhe, Technik und Wirtschaft, Institut für Verkehr und Infrastruktur Dr. sc. ETH Dipl.-Ing. Frank Schiffmann Infrastructure Management Consultants (IMC) GmbH, Mannheim Dr.-Ing. Ute Stöckner Steinbeis-Transferzentren GmbH an der Hochschule Karlsruhe Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit Jade Hochschule, Oldenburg Zusammenfassung Die Methode Building Information Modelling (BIM) wird künftig die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Partnern bei Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung der bestehenden kommunalen Infrastruktur entscheidend verändern. Bislang konzentrieren sich die Aufgaben mit der BIM-Umsetzung vor allem auf die überörtliche Verkehrsinfrastruktur. Allerdings nehmen sich zunehmend auch Kommunen dieses komplexen Themas an. Dies erfolgt meistens in Form von Pilotprojekten, in denen für bestimmte Aufgaben im Lebenszyklus die Anwendung der Methode erprobt wird. Damit sind verschiedene Herausforderungen verbunden, wie beispielsweise die Modellierung, also das Erstellen eines einheitlichen Objektkataloges, die Definition der für die jeweiligen Aufgaben erforderlichen Merkmalsgruppen und Merkmale, die Einbindung bestehender Datenbanksysteme bis hin zur Erstellung der notwendigen Unterlagen wie Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) und BIM-Projektabwicklungsplan (BAP). Einen weiteren Aufgabenkomplex bilden die Entwicklung und Einführung einer organisationsbezogenen BIM-Strategie. Neben den bereits genannten technischen Aspekten sind eine Reihe organisatorischer Handlungsfelder zu berücksichtigen, beginnend bei der Aus- und Weiterbildung sowie vertraglichen und infrastrukturellen Aspekten. Im vorliegenden Beitrag wird daher anhand von Praxisbeispielen aufgezeigt, welche Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode bestehen und wie eine Vorgehensweise bzw. ein Ergebnis aussehen kann. Entscheidend dabei ist eine saubere Definition aller relevanten Prozesse einschließlich der relevanten Datenübergabepunkte sowie die Definition eines Objektkataloges. Damit kann ein einheitliches Geometriemodell aufgebaut werden, dem dann eine entsprechende Semantik mit Merkmalsgruppen und Merkmalen zugeordnet wird. Dies muss an bestehende Standards anknüpfen, um eine Interoperabilität zu ermöglich. Dazu muss klar definiert sein, welche strategischen und operativen Ziele mit der BIM-Methode verfolgt werden und vor allem auch welche Anlagenbestandteile der kommunalen Infrastruktur mit der BIM-Methode künftig behandelt werden sollen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Einführung der BIM-Methode gerade im kommunalen Bereich über den Lebenszyklus eine komplexe Aufgabe darstellt, aber mit einer entsprechend angepassten Einführungsstrategie erfolgsversprechend bewältigt und zu einen ganzheitlichen Asset Information Management erweitert werden kann. 1. Einführung Die Digitalisierung des Bauwesens stellt aktuell eine der größten Herausforderungen dar, um künftig Bauwerke über den Lebenszyklus, also vom Planen über das Bauen bis hin zum Betreiben abbilden zu können. Dabei wird oft das Bild eines sogenannten digitalen Zwillings der Stadt formuliert, also ein räumliches Abbild, in dem sich unterschiedlichste Daten für vielfältige Anwendungsfälle integrieren lassen [1]. Dieses Szenario wird vor allem durch heute unterschiedliche und ubiquitär verfügbare Datenquellen gestützt. Insofern besteht die Aufgabe unterschiedlichste geometrische, alpha-numerische Daten oder auch Dokumente in einem einheitlichen Modell zu verknüpfen und unterschiedlichen Anwendungen zugänglich zu machen. Daher sollte man statt von einem digitalen Zwilling eher von einem digitalen Modell sprechen, da die Detailtiefe für die verschiedenen Aufgaben im Lebenszyklus jeweils unterschiedliche spezifische Datenanforderungen umfassen. Um diese Aufgaben zu lösen, stehen heute verschiedene Datenmodelle und -definitionen zur Verfügung, beispielhaft seien für Geoinformationen Inspire und XPlanung [2], [3] benannt. Mit dem IFC- Standard von buildingsmart wird seit Jahren ein Standard für die barrierefreie Übergabe von Bauwerksdaten im Lebenszyklus entwickelt ( www.buildingsmart.org ). Im Verkehrswesen werden derzeit die Standards der Anweisung Straßendatenbank (ASB) sowie damit verbunden der Objektkatalog Straße ( www.okstra.de ) angewandt. Alle Standards haben ihre Berechtigung, weil sie für verschiedene Anwendungsfälle basierend auf den jeweils er- 148 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung forderlichen Datengrundlagen entwickelt und erfolgreich eingesetzt werden. Der Lebenszyklus von Infrastrukturen in der Zukunft, also vor allem für das Asset Management erfordert aber, Informationen aus unterschiedlichen Datenquellen in einem Modell zusammenzufassen und für die Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsfindung zugänglich zu machen. Auch wenn dies zunächst nicht der Vorstellung eines digitalen Zwillings entspricht, lassen sich daraus erhebliche Nutzenpotenziale erschließen. Die Methode Building Information Management (BIM) stellt dazu mehr als nur ein Datenmodell dar, da damit die strukturierte Prozessorganisation, verbunden mit einer anforderungsgerechten und softwareunabhängigen Informationsweitergabe auf der Grundlage digitaler Modelle, beschrieben wird. Dies ist nicht nur für einzelne Bauvorhaben, sondern vor allem auch für komplexe Infrastrukturbestände, wie sie in Kommunen zu finden sind, von Vorteil. Von besonderem Interesse sind dabei die kommunalen Infrastrukturbestandteile Verkehrsanlagen, Bauwerke und Kanal, weil hier im Lebenszyklus erhebliche Interaktionen, besonders in der Betriebsphase, stattfinden. Im Idealfall unterstützt dann die BIM-Methode gemäß der Normenreihe DIN EN ISO 19650 ff. [4] die Anforderungen des Asset Managements gemäß der Normenreihe DIN ISO 55000 ff. [5]. Derzeitige Entwicklungen finden in erster Linie im Masterplan im Masterplan BIM [6] des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMVD) ihren Niederschlag. Im BIM-Portal des Bundes werden die aktuellen Ergebnisse und Unterlagen als Hilfestellung für die Anwendung in der Praxis frei verfügbar veröffentlicht ( www. bimdeutschland.de/ leistungen/ bim-portal ). Dort finden sich bereits Bausteine zur Entwicklung eines erreichbaren Leistungsniveaus, Leitfäden zur Anwendung und Anforderungen an einheitliche Datenstrukturen. Eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung des BIM Masterplan Bundesfernstraßen stellen dabei die von BIM Hamburg vorgelegten Arbeitsergebnisse dar, die praxisorientierte Hilfestellungen, wie beispielsweise eigene Objektkataloge oder die Beschreibung einzelner Anwendungsfälle, enthalten ( www.bimhamburg.de ). BIM Hamburg als virtuelle Organisation hat die Implementierung von BIM im öffentlichen Sektor der Freien Hansestadt Hamburg zum Ziel. Aktuell werden darüber hinaus in verschiedenen Gremien des Bundes, Arbeitsgruppen auf Verbandsebene, wie beispielsweise der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, (FGSV) und auch in konkreten Anwendungsfällen die vorhandenen Grundlagen weiterentwickelt, so über den Planung- und Bauprozess hinaus auch für die Betriebs- und Erhaltungsphase beispielsweise der Verkehrsinfrastruktur. Damit lässt sich mittelfristig der komplette Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur mit Unterstützung durch die BIM-Methode abbilden. Dies wirft für die Umsetzung, insbesondere im kommunalen Bereich, einige Fragen auf. Wie ist zum Beispiel mit bestehenden Datenstandards und Datenbanken umzugehen? Wie kann überhaupt die BIM-Methode einen Beitrag zur Unterstützung des kommunalen Asset-Managements leisten? Wie kann eine Einführungsstrategie erfolgreich aufgestellt werden? Eine eindeutige Antwort darauf ist nicht einfach, allerdings zeigen verschiedene Projekterfahrungen, dass dieser Weg auch für den kommunalen Bereich der Verkehrsinfrastruktur angezeigt und nützlich ist. Nachfolgend wird der derzeitige Kenntnisstand umrissen, eine Struktur für einen Einführungsprozess aufgezeigt sowie anhand verschiedener Beispiele aus Forschung und Anwendung die Einsatzmöglichkeiten aufgezeigt. 2. Grundlagen 2.1 Asset Management Ein Asset Management soll die Leitungsebenen einer Organisation bei der Ausübung ihrer Führungs- und Managementaufgaben unterstützen [7]. Es dient der aufgaben- und ergebnisorientierten Steuerung unter wirtschaftlichen Aspekten auf Basis von Zielen, Messgrößen und Kennzahlen. Durch Maßnahmen und Projekte sollen die im Asset Management definierten Ziele und Anforderungen durchgängig und nachhaltig erreicht werden. Im Gegensatz zum Projektmanagement ermöglicht das Asset Management die Betrachtung einer Anlage bereits von der ersten Planung über ihren gesamten Lebenszyklus. Während das Qualitätsmanagement den Prozessablauf zur Aufgabenerledigung unter vorgegebenen Zielen und Standards beschreibt, geht es im Asset Management um die Organisation der Aufgaben unter den besagten, vorgegebenen Zielen und Standards. Asset Management bedeutet also die (strategische) Steuerung über den Lebenszyklus der Anlagen einer Organisation. Die Anforderungen an ein Asset Management sind in der E DIN ISO 55001: 2017-02 geregelt. Der Nutzen des Asset Managements über den Lebenszyklus kann laut DIN ISO 55000 [5] folgendes umfassen: • verbesserte wirtschaftliche Leistung (Asset-Werte einhalten trotz Kostenreduktion), • faktenbasierte Entscheidungen zu Asset bezogenen Investitionen (erleichterte Entscheidungsfindung durch Abwägung von Kosten, Risiken, Chancen und Leistung), • planvoller und kontrollierter Umgang mit Risiken (Verringerung finanzieller Verluste, Verbesserung des Arbeitsschutzes, Imageverbesserung), • verbesserte Leistungen und Erträge (das Sicherstellen der Leistungsfähigkeit führt zu besseren Dienstleistungen bzw. Produkten), • erwiesene Regelkonformität, • erhöhte Reputation (Kundenzufriedenheit steigt), • verbesserte Nachhaltigkeit, • gesteigerte Effizienz (die Überprüfung und die daraus resultierende Verbesserung steigert die Effektivität und führt zum Erreichen des Organisationszieles). Mit einem Asset Management System lassen sich außerdem die Vermögenswerte einer kommunalen Straßeninfrastruktur durch eine Reihung von Geschäftsprozessen zur Entscheidungsfindung, die eine kontinuierliche Ver- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 149 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung besserung des Erhaltungsmanagements fördern, verwalten und kontrollieren. Je nach Verwaltungsstruktur, Aufgabenstellung, Aufgabengewichtung und Standards sind unterschiedliche Organisationsformen denkbar. Es ist also ein Irrglaube, dass durch die Asset Managementnorm eine Organisationform bzw. -struktur beschrieben wird. Die Systematik des Asset Managements deckt sich gut mit den Lebenszyklusbetrachtungen des Neuen Steuerungsmodells für Kommunen (NSM) bzw. Neuen kommunalen Finanzmanagements (NKF). Dies kann zur Orientierung beim Auf bau eines AM-Systems herangezogen werden. Im nachfolgenden wird dieser Ansatz als Infrastruktur-Asset-Management-System, kurz IAMS bezeichnet. 2.2 Erhaltungsmanagement der Verkehrsflächen Die Grundlagen des kommunalen Erhaltungsmanagements für Verkehrsflächen sind derzeit in den Empfehlung en für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen, EEMI in der Ausgabe von 2012 beschrieben [8]. Detaillierungen finden sich in zugehörigen Arbeitspapieren der Reihe AP9/ K [9]. Die dort enthaltenen Aussagen beschreiben den Rahmen eines Erhaltungsmanagements, sind aber zum einen nicht vollständig und decken zum anderen auch den aktuellen technischen Entwicklungsstand nicht mehr ab. Aus diesem Grunde befinden sich die EEMI in einem Überarbeitungsprozess, mit dem die bestehenden Lücken gefüllt werden sollen. Dabei sollen die Arbeitspapiere als selbständige Teile in EEMI integriert werden [10]. Die Grundstruktur des Erhaltungsmanagements bleibt zunächst gleich. Sie ist im wesentlichen datengetrieben, bestehend aus einem Bestandsmodell, das die Netztopologie beschreibt sowie Bestandsdaten wie Alter, Querschnitt, Auf bau oder auch Verkehrsbelastung. Das Modell wird durch regelmäßig durchgeführte Zustandserfassungen und -bewertungen (ZEB) so ergänzt, dass innerhalb gewisser Zeiträume ein jeweils aktueller Zustand der Verkehrsflächen abgebildet werden kann. Gängige Datenstandards und Netzmodelle lehnen sich an die Vorgaben der Anweisung Straßendatenbank ASB sowie des OKSTRA an. Zum Teil werden auch flächenbasierte Modelle zur Beschreibung der Infrastruktur verwendet, die jedoch den entscheidenden Nachteil haben, keine abschnittsbezogenen Auswertungen zu ermöglichen. Zur Fortschreibung der EEMI ist ein Prozessmodell in Diskussion, indem Netzmodellierung, ZEB und der weitere Auswerteprozess in den verschiedenen Betrachtungsebenen beschrieben wird. Aufgrund der bisherigen Lücken der EEMI haben verschiedene Kommunen eigene Weiterentwicklungen zum Vorgehen beim Erhaltungsmanagement von kommunalen Verkehrsflächen entwickelt und umgesetzt. In Berlin wurde in den letzten Jahren ein komplexes System basierend auf den Vorgaben der EEMI und eigenen Entwicklungen umgesetzt, dass sich aktuell gerade in der Einführung befindet [11]. Andere Entwicklungen basieren auf dem Prinzip des Asset Managements und betrachten die gesamte Infrastruktur [12]. Für ein IAM-System (IAMS) werden zuverlässige Daten benötigt, um u. a. Informationen über den aktuellen Zustand der Verkehrsinfrastruktur zu erhalten und darauf auf bauend ihren zukünftigen Zustand zu prognostizieren. Diese Daten dienen dann als Grundlage für den Entscheidungsprozess über Zeitpunkt, Umfang und Kosten von Instandhaltungsmaßnahmen [13]. Das Asset Management besteht aus einer strategischen, taktischen und einer operativen Ebene und wird durch eine Ergebnisbewertung ergänzt. Damit lässt sich das Asset Management in ein klassisches Prozessmodell überführen (Abbildung 1). Abb. 1: Struktur eines AMS für die Betriebs- und Erhaltungsphase (Original: EN) [14] 2.3 Building Information Modelling (BIM) BIM basiert auf der Erstellung eines digitalen Modells des Bauwerks, das alle relevanten Informationen enthält, von den grundlegenden geometrischen Daten bis hin zu Materialien, Systemen und anderen Details. Die BIM-Methodik hat das Ziel, die Zusammenarbeit und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Beteiligten bei einem Bauprojekt zu verbessern und die Effizienz und Qualität der Planung, Konstruktion und des Betriebs von Gebäuden zu erhöhen. Durch die Nutzung von BIM können potenzielle Probleme frühzeitig erkannt und gelöst werden, was zu Kosteneinsparungen und verbesserter Projektqualität beitragen kann. BIM ist eine iterative Methodik, bei der das digitale Modell des Bauwerks während des gesamten Projektlebenszyklus ständig aktualisiert und verbessert wird. Durch die Integration von Daten aus verschiedenen Disziplinen können bei der Anwendung von BIM umfassende Entscheidungen getroffen werden, die auf einer breiten Palette von Informationen basieren. Damit die BIM Methode effizient eingesetzt werden kann, müssen einige allgemeingültige und zudem projektspezifisch zu definierende Rahmenbedingungen eingehalten werden. Die allgemeingültigen Rahmenbedingungen werden von Normen, die bei der Anwendung der BIM Methode zu beachten sind, vorgegeben. Beispielhaft seien genannt: DIN EN ISO 19650-1 [4] und DIN EN ISO 19650-2: Diese Normen legen die Anforderungen an das Informationsmanagement in der Bauwirtschaft fest und beschreiben die Anforderungen an das Informationsmodell und das Informationsmodellmanagement; DIN EN ISO 29481: Diese Norm definiert Informationslieferungshandbücher (Engl.: Information Delivery Manual (IDM)) zur strukturierten Vorgabe, wie Anwendungsfälle effizi- 150 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung ent und allgemeingültig definiert und dokumentiert werden. Zudem bestehen noch eine Reihe von Normen für das Modellmanagement beispielsweise bei Hoch- und Tief bauten. Darüber hinaus sind VDI-Richtlinien vorhanden, die eine praktikable Handhabe der BIM Methode ermöglichen. Die Familienreihe VDI 2552 [16] umfasst derzeit 23 Blätter, die auf die notwendigen Definitionen anwendungsbezogen eingehen. Die projektspezifischen Randbedingungen im Lebenszyklus müssen für alle Beteiligten gemeinschaftlich ausgearbeitet und vereinbart werden. Dies erfolgt mit den Auftraggeber-Informationsanforderungen AIA sowie dem BIM-Abwicklungsplan (BAP). Die AIA dienen dazu, sicherzustellen, dass alle relevanten Informationen für das Projekt gesammelt und von den beteiligten Parteien geteilt werden, um die Planung, Ausführung und Betriebsphase des Projekts zu optimieren. Der BAP definiert die Prozesse und Verfahren, die von den beteiligten Parteien befolgt werden müssen, um das BIM-Modell während des gesamten Projektlebenszyklus zu erstellen, zu verwalten und zu nutzen. Der BAP enthält in der Regel Informationen zu den beteiligten Parteien, den von ihnen bereitgestellten Informationen und Dokumenten, den BIM-Prozessen und -Tools, den BIM-Standards und -Leitfäden und den von den beteiligten Parteien zu erfüllenden Verpflichtungen. Die Anforderungen für die jeweiligen Projekte werden in den AIAs definiert und mit Hilfe von sogenannten BIM- Anwendungsfällen für die jeweilige Aufgabe präzisiert. Die Definition der BIM-Anwendungsfälle erfolgt anhand von Informationslieferungshandbüchern, die aus einem Prozessdiagramm, Datenaustauschanforderungen und einer entsprechenden Modellierungsvorgabe bestehen. Abb. 2: Zusammenhang zwischen ingenieurtechnischen Anforderungen und IT-technischer Umsetzung [14] (Original: EN, Überarbeitet nach: buildingSMART 2012, An Integrated Process for Delivering IFC Based Data Exchange) Ein wesentlicher Kernpunkt in der Anwendung der BIM- Methode ist, dass damit keine generelle Änderung des Ablaufs eines Bauprojektes oder der weiteren Prozesse im Rahmen der Betriebsphase eines Anlagenteils verbunden ist. Die geforderten Informationsinhalte werden nach wie vor durch das Technische Regelwerk, die damit verbundenen ingenieurtechnischen Methoden als auch die projektspezifischen vertraglichen Anforderungen bestimmt. Allerdings erfordert die Methode ein gezieltes Zusammenspiel zwischen ingenieurtechnischen Anforderungen und IT-technischer Umsetzung (Abbildung 2). 3. Stand der Umsetzung 3.1 BIM-Handlungsempfehlung NRW Die BIM-Handlungsempfehlung für die kommunalen Bauverwaltungen [25] stellt eine wertvolle Grundlage für die Umsetzung der BIM Methode in kommunalen Bauverwaltungen dar, ist aber im Wesentlichen auf Hochbauprojekte fokussiert. Dort wird allerdings ein umfassender Blick auf die Thematik einschließlich relevanter normativer Bezüge sowie Erfahrungen zur Einführung beschrieben. Es werden sehr stark projektorganisatorische Themen benannt, die wichtig und entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung der BIM Methode sind. Dies kann als Stärke dieses Papiers gesehen werden. Auf weitere Infrastrukturbestandteile, wie beispielsweise Verkehrsflächen, wird nicht eingegangen, ebenso nicht auf die Modellierung der Fachmodelle. Besonders hervorzuheben ist die Darstellung der kommunalspezifischen Verwaltungsstrukturen, die sonst in der Literatur bezogen auf eine BIM-Einführung wenig bis gar nicht zu finden sind. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 151 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung 3.2 Forschungsprojekte BIM und IAMS Im Themenbereich BIM in Verbindung mit IAMS gibt es eine Reihe relevanter Forschungsprojekte, in den wesentliche Grundlagen für die Anwendung der Methode geschaffen werden. In den Projekten AMSfree [14] sowie BIM4AMS [17] wurde für den Bereich der Straßen- und Bauwerksinfrastruktur der Frage nachgegangen, wie bestehende Datenbanken mit unterschiedlichen Strukturen in die BIM-Arbeitsmethodik integriert werden können. In beiden Projekten wurde der komplette Lebenszyklus der Infrastruktur betrachtet, Schwerpunkt war dabei die Datenübergabe von der Bauin die Betriebsphase. Dabei wurden die realen Datenbanken und Prozesse im Asset Management verschiedener europäischer Straßenbauverwaltungen analysiert und in entsprechende Datenübergabe-Protokolle umgesetzt. Eines der analysierten Länder war Deutschland, sodass die verwendete Objektklassifikation sowie die zugeordneten Merkmalsgruppen und Merkmale im vorliegenden Zusammenhang als Grundlage mitverwendet werden können. Im Ergebnis wurde ein Prototyp entwickelt, mit dem es möglich ist, aus bestehenden Datenbanken BIM-konforme Datencontainer für die projektbezogene Verwendung in einem BIM Projekt zu erzeugen und Arbeitsergebnisse nach Abschluss des Projektes wieder in die bestehenden Datenbanken zurückzuspielen. Weitere relevante Projekte beschäftigen sich mit der BIM-Konformität des technischen Regelwerks. Hintergrund dabei ist die Notwendigkeit eines einheitlichen Objektkataloges, verbunden mit einer Definition von Merkmalsgruppen und Merkmalen, die eine Anwendbarkeit des technischen Regelwerks ermöglichen [18]. Ein Überblick über weitere Forschungsprojekte ist auf dem Portal von BIM Deutschland gegeben [19]. 3.3 Entwicklungen auf Bundesebene Auch wenn der vorliegende Beitrag kommunale Aspekte adressiert, sollten doch die Entwicklungen von BIM Deutschland mitberücksichtigt werden. Kernpunkt und damit wesentlicher Erfolgsfaktor einer BIM-Strategie ist die Einigung auf eine einheitliche Taxonomie, eine Ontologie und Semantik mindestens in einer Grundstruktur. Dies findet derzeit beispielsweise mit der Entwicklung eines Objektkataloges in Übereinstimmung mit den Vorgaben des IFC (Industry Foundation Classes) statt, der das Rückgrat einer erfolgreichen und flächendeckenden BIM-Einführung in Deutschland bilden kann. Bezogen auf die Straße heißt das: der grundlegende Aufbau und die Bauweisen unterscheiden sich vom Prinzip her wenig, unabhängig davon, ob es sich um hochbelastetet Autobahnen oder um gering belastete kommunale Straßen handelt. Dessen ungeachtet existieren natürlich stark unterschiedliche Anforderungen an Dimensionierung und Qualität der verbauten Baustoffgemische, je nachdem, ob es sich um hochbelastete Straßen oder um schwach belastete kommunale Flächen handelt. Letzteres wird in einem BIM-Modell aber auf der Ebene der Definition von Merkmalen bzw. der Attribuierung behandelt, jedoch nicht mit der Definition eines grundlegenden und später noch skalierbaren Objektkataloges. Die Vorgaben können folglich durchaus ebenso in einem kommunalen Kotext genutzt werden. Auch wenn es hier zunächst um Straßeninfrastruktur geht, werden darin Infrastrukturbestandteile - auch als Modelle bezeichnet - behandelt, die über die reine Straße hinausgehen. Nach derzeitigem Stand werden dort insgesamt neun Fachmodelle benannt. Dies sind Umgebung, Vermessung, Umwelt, Geotechnik/ Baugrund, Verkehrsanlage/ Strecke, Ingenieurbau/ Bauwerk, technische Ausrüstung, Landschaftsbau und Leitungsbau. Es ist davon auszugehen, dass der Bund diesen Objektkatalog als verbindliche Grundlage einsetzen wird. Deswegen sollten diese Entwicklungen generell mitberücksichtigt werden. Das BIM Portal soll vor allem öffentliche Auftraggeber mit entsprechenden Unterlagen und Vorlagen unterstützen. Im Bereich des Hochbaus werden Themenfelder wie die Auswirkung von BIM auf die Leistungsbilder und Vergütungsstrukturen sowie die Vertragsgestaltung, die Ökobilanzierung mit BIM im Bereich nachhaltiges Bauen [20] sowie auch ein Forschungsprojekt BIM-basierter Bauantrag mit aufgegriffen. Letzteres sollte im vorliegenden Projekt mit beachtet werden, da hier OpenBIM-Formate wie IFC (Industry Foundation Classes) und BCF (BIM Collaboration Format), ebenso wie die offenen Standards XPlanung und XBau, einbezogen werden. 3.4 Entwicklungen BIM Hamburg Eine Brücke zwischen den Aktivitäten auf Bundesebene und der kommunalen Anwendung von BIM kann in BIM Hamburg gesehen werden ( www.bim.hamburg.de ). Dabei ist anzumerken, dass die Arbeitsergebnisse von BIM Hamburg als Vorlage speziell für den Masterplan BIM Bundesfernstraßen verwendet wurden. Somit sind viele Festlegungen zwischen Anwendung auf Bundesfernstraßen und im kommunalen Bereich direkt übertragbar, was auch dem Grundgedanken des digitalen Bauens und Betreibens entspricht. BIM Hamburg ist dabei in sechs Leitstellen strukturiert, die die wesentlichen Bereiche des Tief baus, des Hochbaus, der Vermessung mit Datengrundlagen, der Hochbahn und des Hafens HPA mit abdecken. Zudem wurde eine Leitstelle Forschung und Lehre an der dortigen HafenCity Universität mit eingerichtet. Die Ergebnisse von BIM Hamburg sind weitestgehend öffentlich verfügbar, es werden ähnlich wie beim Masterplan BIM Bundesfernstraßen Rahmendokumente, Objektkataloge, Anwendungsfälle sowie Aussagen zu digitalen Bausteinen und zum Qualitätsmanagement zur Verfügung gestellt. Als aktuelle Entwicklung wurde 2023 das Standardisierungsprojekt Nachhaltigkeit begonnen. Damit wird die sogenannte sechste Dimension gemäß der internationalen Definition der BIM-Dimensionen adressiert. 152 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung 4. Grundsätze und Herausforderungen zur Einführung der BIM-Methode im kommunalen Umfeld 4.1 Allgemeine Grundsätze Auch wenn bislang gezeigt wurde, dass bereits eine Reihe von Vorgaben und Hilfestellungen für die Einführung und Anwendung der BIM-Methode im kommunalen Kontext bestehen, ist es wichtig, Handlungsfelder und Aufgaben klar im Vorfeld zu strukturieren. Es entsteht oftmals der Eindruck, dass die IT-Fragestellungen den Einführungsprozess dominieren. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Gleichzeitig ist damit aber auch ein Change-Management Prozess verbunden. Somit besteht neben dem Handlungsfeld der IT-Modellierung mindestens auch ein Handlungsfelder bezüglich der Mitarbeitenden, der Prozesse und der notwendigen IT-Technik. Mitarbeitende müssen für das Thema BIM sensibilisiert und fortgebildet werden, um die notwendigen Qualifikationen zu haben. Es ist bekannt, dass hier ein hoher Bedarf seitens der Beteiligten vorhanden ist [21]. Ebenso müssen sowohl für die Einführung von BIM, als auch einem IAMS Prozesse und Datenübergabepunkte eindeutig definiert werden. Dies führt in der Regel darüber hinaus zum Review einer gesamten Organisation. Als Standardwerkzeug hat sich hier der Einsatz der BPMN-methode etabliert. Nicht zuletzt muss auch die IT-Ausstattung ggf. angepasst werden, wobei dies aus Sicht des Autorenteams in der Regel das geringste Problem darstellt. Diese Fragestellungen können in Verbindung mit den folgenden Grundsätzen behandelt werden: Zielsetzung der BIM-Methode: Es ist festzulegen, für welche Infrastrukturbestandteile und für welche Anwendungsfälle die BIM Methode verwendet werden soll. Idealerweise erfolgt dies über den gesamten Lebenszyklus einer Infrastruktur und damit sowohl Bestandsinfrastrukturen, als auch Neubauinfrastrukturen. Definition der Infrastrukturbestandteile: Ausgehend von der Zielsetzung ist eine eindeutige Strukturierung der Assets oder Anlagenbestandteile notwendig. Damit verbunden ist eine eindeutige Objektklassifikation (vgl. Objektkatalog des Bundes) als unverzichtbare einheitliche, geometrische Grundlage für den BIM-orientierten Datenaustausch unverzichtbar. Definition der Prozesse: Als wesentlich für die Auf bereitung einer BIM-Strategie wird eine saubere Ableitung aller Verwaltungsprozesse im Zusammenhang mit Bau und Betrieb von Infrastrukturen über den Lebenszyklus gesehen. In der Prozessanalyse sind die Aufgaben, Zuständigkeiten und vor allem die Übergabepunkte von Daten und Informationen darzustellen. Dies ist eine unumgängliche vorbereitende Arbeit für die Anwendung der BIM Methode. Informationsmanagement über den gesamten Lebenszyklus: Dokumente und Unterlagen beschreiben meist den reinen Planungs- und Bauprozess bis zur Abnahme einer Baumaßnahme. Die BIM-Methode kann aber erst dann volle Leistungsfähigkeit entfalten, wenn die Datenübergabe von der Bauin die Betriebsphase gewährleistet ist und die Modelle dort fortgeschrieben werden. Struktur der Anwendungsfälle: Aus der Prozessanalyse geht hervor, welche BIM-Anwendungsfälle sinnvoll und notwendig sind. Damit kann in einem ersten Ansatz auch definiert werden, welche Informationen am Eingang des Anwendungsfalles notwendig sind und welche Informationen am Ende des Anwendungsfalles anfallen. Informationsbedarf: Aus der Prozessanalyse sowie der Struktur der Anwendungsfälle kann in einem ersten Ansatz abgeleitet werden, welche Informationsbedarfstiefe für den jeweiligen Anwendungsfall erforderlich ist. Bestehende Datensysteme: Eine Herausforderung bei der Umsetzung der BIM-Methode ist die Integration der vorhandenen Datenbanksysteme in den BIM Prozessablauf. Zum einen muss es möglich sein, die vorhandenen Datenbestände zu nutzen, zum anderen müssen BIM Arbeitsergebnisse wieder, soweit möglich und notwendig, in vorhandene Datenbanksysteme zurückgespielt werden. Zudem muss geprüft werden, ob die Datenbankinhalte mittelfristig für die durchgängige Anwendung der BIM Methode ausreichend sind. Integration externer Partner: Die Anwendung von BIM ist nur dann sinnvoll, wenn externe Partner in den BIM Prozess mit eingebunden werden. Grundsätzlich ist dies bereits in der Prozessbeschreibung berücksichtigt, allerdings müssen die externen Partner auch mit den BIM Grundsätzen vertraut sein. Etablierung neuer Rollenaufgaben: Die noch neuen und zugleich komplexen Umstände zur Verwaltung der umfangreichen Informationen müssen von entsprechend qualifiziertem Personal übernommen werden. In diesem Zusammenhang gilt es ein Schulungskonzept für das bestehende Personal auszuarbeiten und nötigenfalls qualifiziertes Personal zusätzlich einzustellen, mit dem Ziel dieses in die bestehenden Strukturen zu etablieren. Vertragliche und rechtliche Belange: Die Anwendung der BIM Methode im tatsächlichen Bau-, Betriebs- und Erhaltungsgeschehen erfordert ergänzte vertragliche Vereinbarungen. Diese müssen im Rahmen einer Einführungsstrategie mit benannt werden. IT-Infrastruktur: Die Anwendung der BIM Methode erfordert eine leistungsfähige Hardware wie auch eine entsprechend geeignete Softwarelandschaft. Derzeit etablierte Systeme können i.d.R. weiter genutzt werden, soweit diese im Bereich der Datenbanken sowie der ingenieurtechnischen Software liegen. Diese müssen mit einer geeigneten, gemeinsam Datenumgebung sowie einer Koordinationssoftware projektbezogen zusammenarbeiten. Dabei ist mit Investitionsbedarf zu rechnen, der grundlegend aufgezeigt werden muss. Personal: Die Anwendung der BIM-Methode sollte so erfolgen, dass grundlegende ingenieurtechnische Arbeitsweisen und die damit verbundenen Software-Applikationen gleichbleiben. Allerdings stellt die digitale Zusammenarbeit neue Anforderungen an die Arbeitswelt. Die Anwendenden müssen sowohl inhaltlich, als auch organisatorisch in der Anwendung der BIM-Methode all- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 153 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung gemein und mit den späteren ortsspezifischen Vorgaben vertraut gemacht werden. Umsetzung und Roadmap: Die Umsetzung der BIM Methode kann nur schrittweise erfolgen. So ist zu prüfen, bei welchen Anlagenbestandteilen mit welchen BIM Reifegrad und in welcher zeitlichen Abfolge dies erfolgen kann. Bei einer derart komplexen Aufgabenstellung, BIM über den Lebenszyklus einzuführen, empfiehlt sich, auch aus Gründen der Erfahrungssammlung, eine schrittweise Vorgehensweise. 4.2 Herausforderungen Bislang wurde der eher theoretische Teil einer kommunalen BIM-Strategie aufgezeigt. In der Praxis bestehen aber viele Herausforderungen, die angegangen werden müssen. Dabei wird exemplarisch auf verschiedene Aspekte eingegangen: Datenhaltung: Neubauprojekte können in der Regel von Anfang an BIM-kompatibel durchgeführt werden. Jedoch muss auch überlegt werden, wie mit dem vorhandenen Bestand umzugehen ist. In der Regele existieren eine Reihe großer und unterschiedlich strukturierter Datenmengen und Datenbanken, die Informationen zum Bestand beinhalten. Es ist davon auszugehen, dass diese Systeme noch lange Bestand haben werden. So wird man für die Generierung eines Bestandsmodells die notwendigen Informationen aus verteilten Datenbanken in ein Modell transportieren müssen, dann aber nach Durchführung einer Maßnahme die Informationen zum veränderten Bestand wieder in die vorhandenen Datenbanken zurückschreiben. Dies wird beispielsweise bei den ASB-konformen Systemen der Fall sein. Lösungsansätze existieren mit den vorab genannten Forschungsprojekten, allerdings wurde die Funktionalität bislang nur exemplarisch und in Einzelfällen gezeigt. Eigene Erfahrungen deuten darauf hin, dass bei einer allgemeinen Lösung dieser Aufgabe die größten Vorteile bei der Anwendung der BIM-Methode gehoben werden können. Datenmodellierungskonzepte: Damit verbunden sind die unterschiedlichen Konzepte zur Datenmodellierung (BIM, GIS) und Datenontologien (IFC, OKSTRA Kommunal, X-Standard …) zu berücksichtigen und in einem BIM-Modell abzubilden. Es wurde bereits gezeigt, dass diese unterschiedlichen Modelle ihre anwendungsbezogene Berechtigung für die Darstellung eines Lebenszyklus haben. Gleichwohl müssen diese in einem Modell bedarfsgerecht zusammengeführt werden (Abbildung-3). Für Lösungsansätze sei auch die oben genannten Forschungsprojekte verwiesen. Prozessdarstellung: Ein weiterer Erfolgsfaktor in der Anwendung der BIM-Methode kann in der Integration aller Phasen und Verantwortlichkeiten im Lebenszyklus über Planung, Bau und Betrieb bis hin zum Rückbau gesehen werden. Hierzu ist wesentlich, unterschiedliche Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zusammen zu bringen. Dazu gehört auch die Integration verschiedener Fachbereiche. Die Integrationsleistung kann wie folgt in vier Bereich gelgliedert werden: Sektorale Integration: Es müssen alle aufgabenrelevanten Disziplinen in den Ablauf integriert werden, beispielsweise, Stadtplanung, Verkehrsplanung, Tief bauamt. Hier geht es um Schnittstellen und Informationsaustauschanforderungen. Horizontale Integration: Es müssen benachbarten Phasen im Lebenszyklus mit integriert werden. Wesentlich dabei sind die Definition der Informationsübergabe zwischen verschiedenen Phasen im Lebenszyklus. Vertikale Integration: Innerhalb einer beteiligten Stelle, z. B. der Stadtplanung müssen die Datenübergaben und Informationen auch über verschiedene Ebenen geregelt werden. Stakeholder-Integration: Alle an einem Anwendungsfall intern und extern Beteiligten müssen in den Daten- und Informationsaustausch mit integriert werden. Dies ist anwendungsfallbezogen spezifisch festzulegen. Abb. 3: BIM im Lebenszyklus [22] 154 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung 5. Bestehende Ansätze/ BIM Münster Die Stadt Münster hat in der Vergangenheit ein Tief bauinfrastrukturmanagement, kurz TIMM genannt, aufgestellt [23]. TIMM basiert auf den Grundsätzen des Asset Management nach DIN ISO 55.000. Ein Asset Management System ist grundsätzlich datenbasiert, um wesentliche Informationen passgenau an der richtigen Stelle im Prozess zur Verfügung stellen zu können. Ein zentraler Punkt beim Auf bau des TIMM (Abbildung-4) war die Zielbestimmung auf strategischer, taktischer und operativer Ebene. Im öffentlichen Sektor bilden i. d. R. Gesetze und Verordnungen die Basis bzw. das Fundament des Handelns. Sie enthalten häufig bereits Ziele und Standards, aus denen dann Messgrößen abgeleitet werden können. Folglich wird ein Teil des Inhalts des Zielsystems bereits mit diesen Anforderungen gespeist und kann um eigene, lokale Ziele erweitert werden, die aber auf die geltenden Vorschriften (rechtlich und technisch) auf bauen. Die Zielebenen umfassen die Aufgaben und Verantwortungsbereiche des Amtes für Mobilität und Tief bau Münster. Hierzu zählen u. a. im Bereich der Mobilität die Bereitstellung der öffentlichen Verkehrsflächen und -anlagen, also die Planung, der Bau, die Erhaltung und die Finanzierung von öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen, Brücken, Tunneln, Lärmschutzwänden, Beleuchtung, Lichtsignalanlagen (Ampeln), Parkscheinautomaten und des Parkleitsystems sowie die hoheitlichen Aufgaben des Straßenbaulastträgers. Abb. 4: Tief bau Infrastrukturmanagement Münster [Bild: Stadt Münster] In Münster wurden in den letzten Jahren verschiedene Projekte durchgeführt, deren Schwerpunkt bisher auf dem Straßennetz lag. Ein Konzept zum Erhaltungsmanagement Straße wurde auf strategischer, taktischer und operativer Ebene erarbeitet und in der Straßeninformationsdatenbank LOGO umgesetzt. Im nächsten Schritt soll das Erhaltungsmanagement Kanäle erarbeitet werden, da in der koordinierten Erhaltungsplanung von Straßen und Kanälen wesentliche Synergien gesehen werden. Parallel dazu wird auch am Erhaltungsmanagement Bauwerke und Verkehrsanlagen gearbeitet. Schließlich werden die Anlagen Pumpwerke, Kläranlagen und Gewässer betrachtet, bevor abschließend ein über alle Anlagen übergreifendes Erhaltungsmanagement definiert wird. Die zuvor genannten Konzepte werden zunächst für kleine Teilnetze getestet. Die hierfür erforderlichen, aber noch fehlenden oder unzureichenden Daten werden sukzessive vervollständigt. Anschließend folgt dann die Ausweitung innerhalb des Gesamtnetzes, welches wiederum die Erhebung, Ergänzung und Fortführung der fehlenden oder unzureichenden Daten voraussetzt. Auf strategischer Ebene wurden unter wissenschaftlicher Begleitung die Prozessabläufe und deren sachlich-inhaltliche Ausgestaltung im TIMM gesichtet. Die Analyse erfolgte ausgehend vom Stand der Wissenschaft und Forschung sowie im Hinblick auf den aktuellen Stand der Technik im Sinne qualitätssichernder Maßnahmen und mit Ausrichtung auf die zukünftig zu erwartenden An- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 155 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung forderungen. Die langfristige Finanzbedarfsprognose auf der Netzebene unter Berücksichtigung verschiedener Erhaltungsstrategien über den Lebenszyklus ist hierbei ein wesentlicher Baustein. Als weitere Bausteine wurden die aktuellen Entwicklungen wie Building Information Management (BIM) und Asset Management berücksichtigt. Weiter wurden auf der strategischen Ebene steuerungsrelevante Kennzahlen (Key Performance Indicators (KPI)) definiert. Auf taktischer Ebene wurde für die Verkehrsflächen ein praxisorientiertes Konzept für eine netzweite Zustandserfassung und -bewertung (ZEB), ebenfalls unter wissenschaftlicher Begleitung, erarbeitet. Auf Fahrbahnen der Hauptverkehrsstraßen wird die messtechnische ZEB in einem vierjährigen Erfassungsturnus fortgeführt. Auf Fahrbahnen des untergeordneten Straßennetzes sowie auf Nebenflächen wird entweder die visuell-bildbasierte oder die visuell-sensitive ZEB angewendet. Die bisher alle vier Jahre messtechnisch erfassten und bewerteten Asphaltfahrbahnen der Hauptverkehrsstraßen entsprechen lediglich ca. 10 % der gesamten Straßenfläche, so dass aktuell ca. 90 % der Straßenfläche nicht erfasst und bewertet worden sind. Dies bedeutet einerseits ein großes Finanzrisiko, andererseits ein großes Potenzial zur Verbesserung. Um die Ziele im TIMM zu erreichen, kann die BIM Methode einen entscheidenden Beitrag liefern. Die Prozesse für die Straßeninfrastruktur wurden daher mittels BPMN strukturiert. Damit wird gewährleistet, dass alle verwaltungstechnischen und ingenieurtechnischen Aufgaben sachgerecht abgebildet werden. Gleichzeitig kann damit dargestellt werden, welche Art von Informationen an welcher Stelle von einem Prozessbeteiligten zum nächsten Prozessbeteiligten übergeben werden müssen. Da die dazu benötigten Datengrundlagen in verteilten Datenbanksystemen zur Verfügung stehen, wurde mithilfe eines BIM Pilotprojektes geprüft, wie die Daten aus den bestehenden Systemen extrahiert und in ein BIM Modell für die Anwendung der BIM Methode umgesetzt werden können. Für die Durchführung des Projektes wurden daher alle formalen Unterlagen und Vorlagen erstellt, beginnend bei den Muster-AIA, zugehörigem BAP sowie einem Entwurf für besondere Vertragsbedingungen als auch die Formulierung von Anwendungsfällen. Es zeigt sich, dass dies eine unverzichtbare Grundlage ist, in der Praxis jedoch erhebliche Probleme bei der Modellgenerierung bestehen. So besteht die Herausforderung, aus bestehenden Datenbeständen Bestandsmodelle mit einem niedrigen Detaillierungsgrad zu erzeugen, die in einem darauf auf bauenden BIM Projekt verwendet werden können. Demzufolge konzentrieren sich die derzeitigen Aufgaben im Projekt darauf, genau diesen Prozess weitgehend zu standardisieren, damit die BIM Methode überhaupt leistungsfähig werden kann. Ebenso ist das Zurückspielen neuer Daten und Informationen in die Bestandsdatenbanken sicherzustellen. Im Rahmen des Gesamtkonzeptes wurden die Anwendungsfälle in Anlehnung an [24] spezifiziert. Für eine erste Pilotmaßnahme wurde der Umfang bewusst mit einer Erhaltungsmaßnahme recht einfach gehalten: Bedarfsanalyse, Planung und Ausführungsvorgaben liegen fest, sodass man sich auf den Anwendungsfalle Bauausführung konzentrieren und die Vorgehensweise bei der Erstellung des Modells zur Ausführung sowie dann eben zur Übernahme des Modells in die Nutzung für Betrieb und Erhaltung beschreiben kann. Die Aufgabe besteht darin, zu definieren, welche Fachmodelle für ein Ausführungsmodell innerörtlicher Verkehrsflächen erforderlich sind. Durch unterschiedliche Nutzungsansprüche kommunaler Verkehrsflächen ergibt sich hieraus eine höhere Komplexität als beispielsweise im Außerortsbereich. Für das Pilotprojekt wurde mit einer Fahrbahnerneuerung eine vergleichsweise einfache Maßnahme gewählt, um die strategische Handlungsweise für die Umsetzung der BIM-Methode exemplarisch aufzuzeigen und dann eine Übertragung auf komplexere Projekte vorzubereiten. Dazu wurde ein geometrisches Modell der Straße erstellt und für die Bearbeitung der Aufgaben im Lebenszyklus-Management die Merkmalsgruppen und Merkmale definiert, die für die operative und strategische Erhaltung sowie für Straßenunterhaltung und -betrieb erforderlich sind. Die Modellbildung erfordert ein Geometriemodell, dem dann die notwendigen Eigenschaften, also Merkmalsgruppen und Merkmale zugeordnet werden. Dies ist für ein Erhaltungsmanagement bekannt, ausgehend von der Aufgabenstellung einer netzweiten Analyse des Erhaltungsbedarfs. Die damit verbundenen Aufgaben sind zum einen die Berechnung einer mittelfristigen Finanzbedarfsprognose sowie zum anderen eine Priorisierung der anstehenden Erhaltungsmaßnahmen. Die notwendigen Merkmalsgruppen sind die Zustandsdaten des Oberflächenzustands und zum strukturellen Zustand, eine Altersverteilung, Verkehrsbelastung und Funktion, Auf baudaten mit Materialeigenschaften und weiter noch zu definierende Kennwerte für eine Priorisierung. Für die Planung einer Erhaltungsmaßnahme muss im Anschluss ein Planungsmodell Erhaltung ableitbar sein. Als Zwischenfazit dieses Pilotprojekts ergaben sich die folgenden Punkte: • Bezüglich der Prozessbeschreibungen und der BIMrollen zeigte sich Nachsteuerungsbedarf, was aber auch erwartet wurde. • Die Definition eines Objektkataloges und die Zuordnung von Merkmalsgruppen und Merkmale ist arbeitsintensiv und darf nicht unterschätzt werden. Allerdings ist dieser Aufwand auch eine wesentliche Grundlage für alle weiteren BIM-Anwendungen. • Es muss abgewogen werden, bei welchen Projekten im Rahmen des Asset-Managements die BIM-Methode zur Anwendung kommen soll. Gerade bei kleinen Maßnahmen reicht ein Update des geänderten Bestandes i. d. R. völlig aus. • Ebenso muss abgewogen werden, für welche Anwendungen 3D-Modelle notwendig sind. Beispielsweise können Leistungen der betrieblichen Erhaltung in der bisherigen Form weitergeführt werden. Dazu ist lediglich ein Bestandsmodell zur Planung der betrieblichen Leistung erforderlich. 156 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung • Die Weiterführung der Datenhaltung in bisherigen Systemen ist anspruchsvoll und muss mit eindeutigen Vorgehensweisen geklärt werden. Datenübergabe und die Datenrückgabe müssen weitgehend automatisiert geregelt werden. Dies erfordert zudem organisatorische Festlegungen. • Dies hat auch Auswirkungen auf die Vertragsunterlagen, z.-B. BVB, AIA, Muster-BAP. Das kann für verschiedene Maßnahmentypen weitgehend standardisiert werden. Zusammenfassend zeigt sich bislang im Projekt Münster, dass der Einstieg über ein Pilotprojekt den Umgang mit kommunalen BIM-Projekten erleichtert, da die Einführung nicht auf einer weitgehend theoretischen und mit einer weitgehend einzelnen Analyse erfolgt, sondern vielfach schon quasi Hands-On direkte Erfahrungen und Handlungsbedarfe aufgezeigt werden können. Sinnvoll ist eine externe Begleitung des Pilotprojektes, damit eine neutrale und unbeeinflusste Sichtweise von außen in die Bewertungen mit einfließt. 6. Ausblick In den bisherigen Ausführungen wurde gezeigt, dass die Einführung von BIM in Kommunen eine komplexe Aufgabe darstellt, die zudem noch von externen Entwicklungen beispielsweise bei der Definition einheitlicher Objektkataloge sowie zugehörigen Merkmalskatalogen einhergeht. Im Zusammenspiel aller Partner wird die BIM-Methode nur bei einer derartigen Einheitlichkeit ihre volle Wirkung entfalten, was aber in allen Entwicklungen derzeit unstrittig ist. Für die kommunale Anwendung stellt die flächendeckende Einführung von BIM aufgrund der vielfältigen Infrastrukturbestandteile eine enorme Herausforderung dar, so dass zunächst eine klare Vorstellung von den zu erreichenden Zielen und den zugehörigen Handlungsfeldern entwickelt werden muss. Insofern kann es realistisch nur ein gestuftes Vorgehen, unterteilt nach Wichtigkeit der einzelnen Anwendungsfälle, geben. Es muss aber auch betont werden, dass die Anwendung der BIM-Methode kein Selbstzweck ist, sondern bestehende Aufgaben unterstützen soll. Insofern sollte bei der Zieldefinition sorgfältig geprüft werden, wo und unter welchen Randbedingungen damit Vorteile zu erwarten sind. Im Fall der beschriebenen Stadt Münster ist die zu lösende Aufgabe die Abwicklung eines Asset Managements aller Infrastrukturbestandteile über den Lebenszyklus. Der Startpunkt wurde bei der Verkehrsinfrastruktur gesetzt, um aus diesen Erfahrungen heraus eine Einführungsstrategie für die Verwaltung zu entwickeln. Dies ist erfolgt und derzeit in Diskussion. Weitere Entwicklungen aus dem Kreis des Autorenteams bzw. Teilen davon sind nun laufende Projekte zur kommunalen Finanzbedarfsprognose (BASt-Projekt „Methoden der kommunalen Finanzbedarfsprognose“), zum BIM-Gestützten Ressourcenplan kommunaler Tief bau (BMBF-Projekt ReKoTi) oder zur Beurteilung der Decarbonisierung von Lärmschutzanlagen (D-A-CH Projekt deCarboNoise). Allen Projekten ist gemeinsam, dass damit ein oder mehrere Anwendungsfälle für kommunale Anwendungsfälle im Vordergrund stehen, bei der die BIM-methode eine wesentliche Unterstützung bietet. Literatur [1] Stöckner M.: BIM im kommunalen Erhaltungsmanagement. Kolloquium Kommunales Verkehrswesen. 23. und 24. Februar 2023, Kassel. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Tagungsband, FGSV-Verlag, Köln, 2023. [2] Krause K., Duan X., Horenczuk J., Leuner H.: XPlanung und XBau. IzR (Informationen zur Raumentwicklung), Heft 3/ 2020. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, BBSR, Bonn. Steiner Verlag, Stuttgart, 2020. [3] Schulz M., Ströer G., Schulte P.: INSPIRE und XPlanung in der Bauleitplanung. IzR (Informationen zur Raumentwicklung), Heft 3/ 2020. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, BBSR, Bonn. Steiner Verlag, Stuttgart, 2020. [4] DIN EN ISO 19650-1: Organisation und Digitalisierung von Informationen zu Bauwerken und Ingenieurleistungen, einschließlich Bauwerksinformationsmodellierung (BIM) - Informationsmanagement mit BIM. Teil 1, Begriffe und Grundsätze (ISO 19650-1: 2018). Berlin: Beuth Verlag GmbH. [5] DIN ISO 55000: 2017-05: Asset Management - Übersicht, Leitlinien und Begriffe (ISO 55000: 2014); Beuth Verlag GmbH. [6] BMVI (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen: Erläuterung zu den Rahmendokumenten - Version 1.0. Berlin, 2021. [7] Stöckner M., Buttgereit, A., Gomolluch S., Koordt M., Stöckner U., Wachsmann A.: Asset Management and Resilience for urban pavements. XVI World Winter Service and Road Resilience Congress. Proceedings, PIARC, 2022. [8] FGSV (2012): E EMI 2012 Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen. FGSV-Verlag, Köln, 2012. [9] FGSV (2016): AP 9 K Arbeitspapiere zur Systematik der Straßenerhaltung. FGSV-Verlag, Köln, Stand 2016. [10] Best, B. (2022): Weiterentwicklung der kommunalen Straßenerhaltung mit der Fortschreibung der E-EMI. Deutscher Straßen- und Verkehrskongress, Dortmund 2022. FGSV Verlag Köln, 2022. [11] Krause K., Pfeifer U., Stöckner M., Stöckner U.: New procedure for quality assurance of municipal road survey and assessment campaigns. Pavenent Surface Characteristics IX: Proceedibgs of the 9 th Symposium on Pavement Surface Characteristics (SURF 2022, 12-14 Sep 2022, Milan, Italy. CRC Press/ Balkema. [12] Stöckner M., Buttgereit A., Koordt M., Stöckner-U.: Building Information Modelling for municipal Asset Management. Pavenent Surface Characteristics IX: Proceedibgs of the 9 th Symposium on Pavement 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 157 Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode in der kommunalen Anwendung Surface Characteristics (SURF 2022, 12-14 Sep 2022, Milan, Italy. CRC Press/ Balkema. [13] Hajdin, R.; Lee, H.-O.; Honeger, C.; Nowacki, M.; Cao, R.; Beamisch, S.; Valdes-Flores, M.; Morgado, J.; Lategan, W., Roffe, J.-C.; Tanasic, N. (2019): Innovative Approaches to Asset Management: 2019R19EN - Technical Report. La Defense, France, 2019. [14] Stöckner, M., Brow, I., Zwernemann, P., Hajdin, R., Schiffmann, F., Blumenfeld, T., König, M., Liu, L. & Gavin K. (2022). Exchange and exploitation of data from Asset Management Systems using vendor free format (AMSfree). CEDR Transnational Road Research Pro-gramme. Conférence Européenne des Directeurs des Routes. [15] DIN EN ISO 29481: Bauwerksinformationsmodelle - Handbuch der Informationslieferungen - Teil-1: Methodik und Format (ISO 29481-1: 2016). Berlin: Beuth Verlag GmbH. [16] Verein Deutscher Ingenieure. (2020-2022). Verschiedene Blätter der VDI 2552er Familie. Berlin: Beuth Verlag GmbH. [17] Hajdin, R.; Blumenfeld, Grossauer, König, Liu, Schiffmann, Stöckner, Stöckner (2022): BIM-Erweiterung durch Implementierung der Nutzung baustofftechnischer Daten von Straßen und Brücken im AMS (BIM4AMS). Österreichische Forschungsförderungs-Gesellschaft (FFG). Wien. Österreich. [18] Radenberg, M.; König, M.; Geistefeldt, J. Hohmann, S.; Heinrichs, J.; Stiehler, D.; Kortemayer,-J. (2021); Anwendung der Methode BIM in Konformität mit den Regelwerken der FGSV und des IT-Ko. Schlussbericht zum FE 02.0427/ 2018/ AR; 2021.B MVI, 2021. [19] BIM Portal des Bundes. https: / / via.bund.de/ bim/ infrastruktur/ landing [20] Lambertz M., Theißen S., Höper J., Wimmer R., Meins-Becker A., Zibell M.: Ökobilanzierung und BIM im Nachhaltigen Bauen. Endbericht Forschungsprogramm Zukunft Bau, BBSR, 2019. [21] Paraknewitz M.: BIM im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Ein Stimmungsbild der Branchen. Vortrag Jahresrückblick 2022, BSVI. [22] Stöckner M.; Hajdin, R.; König, M.: BIM im Asset Management für Verkehrsanlagen - Sachstand zur Forschung. OKSTRA Symposium Hamburg, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV, Konferenzband. FGSV-Verlag, Köln, 2022. [23] Stöckner, M.; Stöckner, U., Niever, M. (2021) Tiefbau-Infrastruktur-Management Münster. Abschlussbericht im Auftrag des Amtes für Mobilität und Tiefbau der Stadt Münster (unveröf-fentlicht), 2020. [24] BIM4INFRA (2017): Umsetzung des Stufenplans „Digitales Planen und Bauen“. URL https: / / bim4infra.de/ - Überprüfungsdatum 07.04.2022. [25] BIM Handlungsempfehlung NRW: BIM-Handlungsempfehlung für die kommunalen Bauverwaltungen und die kommunale Gebäudewirtschaft in Nordrhein-Westfalen, 2021. Online Resssource: https: / / broschuerenservice.land.nrw/ mhkbd/ shop/ BIM_Handlungsempfehlung_2021.pdf/ / 1646 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 159 BIM und Künstliche Intelligenz für den kommunalen Straßen- und Ingenieurbau Forschung und Praxiserfahrungen aus dem Ruhrgebiet Winona Grimsehl-Schmitz Stadt Herne, Fachbereich Tiefbau und Verkehr Eva-Maria Stieglitz-Broll Stadt Herne, Fachbereich Tiefbau und Verkehr Zusammenfassung Die Stadt Herne gehört zu den wenigen Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die bereits ein Building Information Modeling (BIM)-Pilotprojekt im kommunalen Straßen- und Ingenieurbau ausgeschrieben und vergeben haben. Die Ausschreibung des Projekts „Bielefelder Straße“ hat bereits im Rahmen des Forschungsprojektes „Netzwerk BIM Mittleres Ruhrgebiet (BIM.Ruhr)“ regionalen BIM-Interessierten Mut gemacht, sich ebenfalls auf den Weg zu begeben. Das BIM- Ruhr-Projekt wurde im 21. eGovernment-Wettbewerb 2022 in der Kategorie „Bestes Kooperationsprojekt“ ausgezeichnet. Mit dem Projekt Künstliche Intelligenz in der Straßenzustandserfassung und Erhaltungsplanung ist die Stadt Herne selbst an der Entwicklung von Innovationen beteiligt. In Zukunft sollen Prognosen über den Straßenzustand unter Berücksichtigung externer Einflüsse getätigt und das bestehende digitale Straßenmanagementsystem fortschrittlich ergänzt werden. Die vorgestellten Projekte greifen ineinander und tragen zusammen zur Vision eines modellbasierten Planens, digitalgestützten Bauens und lebenszyklusorientierten Betreibens mit intelligent erzeugten und vernetzten Daten bei. Abb. 1: Aufnahme der Punktwolke des Bestandsbauwerks und der Umgebung 160 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM und Künstliche Intelligenz für den kommunalen Straßen- und Ingenieurbau 1. Einführung Die Erhaltung der Infrastruktur in technischer und wirtschaftlicher Sicht im Sinne eines kommunalen Asset Managements ist für Kommunen hinsichtlich des monetären und personellen Aufwands von großer Bedeutung. Auf Grund zahlreicher und komplexer Zukunftsaufgaben wie der Mobilitätswende, des Klimawandels und der Ressourcenverknappung, ist die effiziente und zukunftsgerichtete Unterhaltung von Straßen, Brücken, Tunneln, Kanälen und weiteren Bauwerken nicht nur aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten wichtig. Der Beitrag beschreibt anhand des Pilotprojekts „Bielefelder Straße“ (BIM.Ruhr) und der Innovationspartnerschaft „Forschung und Entwicklung eines innovativen Verfahrens zur Simulation von Handlungsempfehlungen auf Basis der Straßensubstanz“ unter Berücksichtigung externer Parameter wie innovative Projektansätze für kommunale Auftraggeber neben dem Tagesgeschäft umgesetzt werden können. 2. Auftraggeber als Innovationsakteure Viele Veränderungen und Neuerungen im Bauwesen sind in anderen Ländern bereits Realität statt Innovation [1]. Während Finnland schon 2007 die Verwendung von Open-BIM-Ansätzen für neue Gebäude festgeschrieben hat, ist in Deutschland erst 10 Jahre später der BIM Stufenplan veröffentlicht worden. In einer 2022 veröffentlichten Studie werden die deutschen Auftraggeber als Akteure für die Förderung der Verbreitung der BIM-Methode nur selten genannt [2]. Die Unternehmenslandschaft in Deutschland ist innovativ und zukunftsorientiert - auch in der Bauindustrie [3]. Um auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in die digitale Epoche des Planens und Bauen mitzunehmen, sind die kommunalen Auftraggeber gefragt, auch bei im Vergleich zu Infrastrukturprojekten des Bundes kleinen Projekten auf innovative Ansätze hinzuweisen und diese in den Leistungsbeschreibungen zu verlangen. So tragen Kommunen zum Erhalt der Diversität im Baugewerbe bei. [4] 2.1 Immanentes Interesse Während der Planung und des Baus sorgfältig und sinnhaft erzeugte Daten bilden die Grundlage für die Betriebsphase, die 50 bis 80 oder mehr Jahre betragen kann. Deshalb haben Auftraggeber neben dem Fördern und Fordern von Innovation ein immanentes Interesse an der Methode Building Information Modeling (BIM) und der Verwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) für städtische Daten. Neben dem wachsenden Aufgabenportfolio müssen Kommunen und Kreise mit dem Fachkräftemangel umgehen. Durch das hohe Durchschnittsalter in den Verwaltungen wird eine Verschärfung dieser Herausforderung erwartet [5]. Für die öffentlichen Auftraggeber zählt die Zeit, in denen erfahrene Mitarbeiter: innen ihr Wissen mit neuen Kolleg: innen teilen. Zielgerichtete Digitalisierung kann unterstützend Raum für den Wissenstransfer geben, indem Aufgaben automatisiert und effizienter werden. Auch für die Nachwuchsgewinnung spielen innovative und zeitgemäße Ansätze im Planen und Bauen eine wichtige Rolle. Die öffentlichen Arbeitgeber stehen-- insbesondere im dicht besiedelten Ruhrgebiet - in einer Konkurrenz um gute Arbeitskräfte. Zukunftsfähige und innovative Projekte können potentielle Arbeitnehmer: innen anziehen und langfristig binden. Denn mittlerweile bietet die Mehrheit der Hochschulen und Universitäten Fächer im Bereich Baudigitalisierung und BIM an. 2.2 Daten und Digitalisierung Innovative Datenverarbeitung im Rahmen von BIM oder KI ermöglicht nicht nur Effizienzgewinne in der Planung und im Baugewerbe. Auch die Daten selbst sind eine begehrte Ware geworden. Kommunen, Kreise und Verbände produzieren viele Daten, die für eine Vielzahl von Anwendungen genutzt werden können. Die Basis dieser Daten ist vielfältig und speist sich aus unterschiedlichen Fachbereichen und Disziplinen. Diese Datensilos aufzubrechen und zu verknüpfen lohnt sich für die kommunalen Prozesse und kann den Bürger: innen wertvolle Dienstleistungen digital zur Verfügung stellen. In Herne sind auf Basis der Daten des Straßenmanagementsystems und der Innovations-partnerschaft KI in der Straßenerhaltung in Zukunft Angebote wie ein Baustellenmonitor und ein interaktives Straßen- und Wegekonzept vorgesehen. Die Digitalisierungsstrategie des Fachbereich Digitalisierung Stadt Herne legt die Open Data policy der Stadt fest und fördert einen Metadatenkatalog mit Informationen über die in der Kommune und angegliederten Funktionseinheiten vorhandenen Daten. 3. Fördern und Fordern Die einfachste Möglichkeit als Auftraggeber Innovation zu fördern, ist es z. B. Nebenangebote in den Ausschreibungsbedingungen zuzulassen. Innovative Lösungen, die der Auftraggeber vorher nicht kannte oder bevor er ein konkretes Angebot vorliegen hatte nicht für wirtschaftlich hielt, haben so die Chance auf Beachtung und Umsetzung. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat im Rahmen des Kompetenzzentrums innovative Beschaffung (KOINNO) eine Toolbox herausgegeben, indem Werkzeuge für innovative Beschaffung beschrieben sind [6]. Zu den Vorschlägen der Sammlung gehören unterschiedliche Ansätze beginnend bei der Analyse der Kultur innerhalb der Beschaffungsstelle, elektronische Vergabetechnologien bis hin zur Aufforderung zur Angebotsabgabe innovativer Produkte bzw. explizite Nennung des Innovationsziels in der Ausschreibung und dem Vergabeverfahren der Innovationspartnerschaft. Mit letzteren beiden Instrumenten wurden in Herne bereits Erfahrungen gesammelt, bei der Ausschreibung der Planung des BIM-Pilotprojekts und der Ausschreibung der Innovationspartnerschaft in der Straßenzustandserfassung und Erhaltungsplanung. 3.1 (Über)regionale Netzwerke Anregungen für innovative Projekte und Vergabeverfahren sind häufig im beruflichen Netzwerk zu finden. Der 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 161 BIM und Künstliche Intelligenz für den kommunalen Straßen- und Ingenieurbau Fachbereich Tief bau und Verkehr der Stadt Herne war von 2020 bis 2023 im Konsortium des Netzwerkprojekts BIM.Ruhr. Ziel war es, modellhaft die Durchführung der BIM-Methode zu erforschen. Dazu wurden in Bochum, Herne sowie innerhalb des Kreisgebiets Recklinghausen BIM-Pilotprojekte aus dem Hoch-, Tief- und Ingenieurbau ins Leben gerufen. Parallel dazu wurde ein Innovationsnetzwerk, bestehend aus Akteuren der Bauwirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung, aufgebaut. Durch die Corona-Pandemie fanden die Netzwerkveranstaltungen weitgehend online statt, mit dem positiven Effekt, dass Interessierte auch überregional zum Projekt fanden. Der Austausch über die gesammelten Erfahrungen sowie Forschungsergebnisse der Pilotprojekte hat für konkrete Lösungsansätze für die Herausforderungen bei der Einführung der BIM-Methode gesorgt. Netzwerkteilnehmer hat der Dialog Mut gemacht, auch selbst ein Projekt mit BIM zu starten. 3.2 Beteiligung an Forschungsprojekten BIM.Ruhr war nicht nur als Netzwerkprojekt gedacht, sondern ist in erster Linie ein Forschungsprojekt. Aus dem beständigen Austausch zwischen den beteiligten Fakultäten der Fachhochschule Bochum und der Universität Duisburg-Essen und den öffentlichen Verwaltungen wurde ein praxisnaher BIM-Leitfaden entwickelt. [7]. Für dieses Vorgehen wurde das BIM.Ruhr-Projekt im 21. eGovernment-Wettbewerb 2022 in der Kategorie „Bestes Kooperationsprojekt“ mit dem dritten Platz ausgezeichnet. Auch für eine mögliche Personalgewinnung ist der enge Kontakt mit Universitäten und Studierenden interessant. Moderne Projekte können junges Personal anziehen und halten. Im Rahmen von BIM.Ruhr wurden durch die Städte deshalb auch Abschlussarbeiten unterstützt. Seit rund einem Jahr ist Herne zudem European Innovation Hub (iHub) der Fiware Foundation. [8]. Damit gehört Herne neben den Städten Wolfsburg und Köln zu den drei deutschen Städten, die an der Entwicklung intelligenter Smart City Anwendungen basierend auf dem Open- Source-Prinzip arbeiten. Im Zuge dieses Projekts wurde ein LoRaWan-Netzwerk implementiert, das die Voraussetzung schafft, Sensoren für die verschiedenen Bedarfe der Fachbereiche zu installieren. Mit Echtzeitdaten ist auch hier der digitale Zwilling der Stadt ein Stück nähergekommen. 4. Innovationsprojekte in Herne Das BIM-Pilotprojekt wurde seit 2020 vorbereitet, 2023 konnte die Planung beauftragt werden. Die Vorbereitungen der Innovationspartnerschaft KI in der Straßenzustandserfassung und Erhaltungsplanung starteten bereits 2019 mit einer Marktrecherche. Ebenfalls 2023 konnte der Auftrag erteilt werden. Mit der wachsenden Erfahrung ist es möglich, dass sich die langen Hinführungsphasen in Zukunft verkürzen - sie zeigen allerdings auch wie wichtig die frühzeitige Weichenstellung für Innovation innerhalb einer Institution ist. 4.1 BIM-Pilotprojekt Bielefelder Straße Durch die Mitarbeit im Projekt BIM.Ruhr ist für den Herner Tief- und Infrastrukturbau der Startschuss für den Einstieg in die BIM-Methode gefallen. Da im Projekt an drei Pilotprojekten geforscht werden sollte, stand zunächst die Suche nach einem geeigneten Einstiegsprojekt im Fokus. Im Hinblick auf die Projektlaufzeit von BIM.Ruhr wurde ein Projekt gewählt, wo Abriss und Ersatzneubau bereits vorgesehen waren. Das Pilotprojekt beinhaltet den Abriss einer über einhundert Jahre alten Straßenbrücke aus Walzträger in Beton (WiB)-Bauweise, die über ein Eisenbahngleis einer Privatbahn führt. Hinzu kommt der Ersatzneubau, der auf die gegenwärtigen und zukünftigen Verkehrsbelastungen angepasst sein soll, die Neugestaltung eines hochbelasteten Knotenpunktes sowie der Vollausbau von ca. 1km innerörtlicher Straße. Zentraler Aspekt der BIM-Methode ist die Anforderung an den Auftraggeber, die mit dem Projekt verknüpften Ziele genau zu formulieren und in den Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) zu verschriftlichen. Hier konnte die Stadt Herne auf die Erfahrungen der BIM. Ruhr-Netzwerkteilnehmer zurückgreifen bzw. sich an den Vorlagen des BIM4Infra-Leitfadens orientieren [9]. Um den Prozess zu beschleunigen, wurde ein rund vierstündiger Workshop mit externen BIM-Beratern durchgeführt, um die spezifischen Projektanforderungen zu ermitteln. Die Mischung aus Selbststudium und Eigenleistung, Nutzung der Netzwerke und Einkauf externen Know-Hows waren ebenfalls die Grundlage für die Erstellung des Leistungsverzeichnisses des Projekts, in dem die BIM-Leistungen unter den besonderen Leistungen berücksichtigt wurden. Die Vertragsbedingungen wurden durch Besondere Vertragsbedingungen BIM ergänzt (BIM-BVB). Der Auftraggeber ist nicht nur in der Pflicht seine Bedarfe konkret zu formulieren, sondern auch die Übersicht über die Bestandsdaten sind Teil der AIA. Der Fachbereich Vermessung und Kataster der Stadt Herne hat eine hochauflösende Punktwolke mit einem Laserscanner erzeugt, die dem Planer übergeben wurde. Abb. 2: Aufnahme der Punktwolke des Bestandsbauwerks und der Umgebung 162 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM und Künstliche Intelligenz für den kommunalen Straßen- und Ingenieurbau Da die Betriebsphase die längste Lebenszyklusphase eines jeden Bauwerks ist, wurden die Anforderungen an die digitalen Bauwerksinformationen ausgehend von der Betriebs- und Erhaltungsseite gedacht. Bereits in der (Vor-)Planungsphase ermöglicht BIM die verbesserte Kommunikation mit Bürger: innen und Politik über geplante Projekte. 4.2 Innovationspartnerschaft KI in der Straßenzustanderfassung und Erhaltungsplanung Da die gesellschaftliche Anerkennung für den Wert funktionsfähiger Verkehrswege in den letzten Jahren gestiegen ist und der höchste Nachholbedarf nach wie vor im kommunalen Straßennetz besteht, konnte das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW von der Förderwürdigkeit des Projekt „Forschung und Entwicklung eines innovativen Verfahrens zur Simulation von Handlungsempfehlungen auf Basis der Straßensubstanz unter Berücksichtigung externer Parameter“ überzeugt werden. Für politische Entscheidungen zur Investition in Verkehrswege ist es von besonderem Interesse, objektive Investitionsempfehlungen und allgemein verständliche Informationen zum Ergebnis dieser Entscheidungen, d. h. zur Verbesserung des Straßenzustandes zu erhalten. Die Datenlage der Straßen in Herne (und anderen Kommunen) ist auf Grund der Erschließung der anliegenden Grundstücke komplexer als bei den Straßen und Autobahnen von Land und Bund und die Einflüsse auf die kommunalen Straßen sind vielfältig. Eine systematisierte und koordinierte Instandhaltung, Instandsetzung und Erneuerung der gesamten Verkehrsinfrastruktur ist nachhaltig und ermöglicht erhebliche wirtschaftliche Vorteile. Es ist notwendig, den Zustand von Fahrbahnen und Nebenflächen mit einem hohen Qualitätsanspruch automatisiert zu erfassen und zeitgleich den Personalaufwand nicht weiter zu belasten. Dieser enorme Kraftakt stellt eine große finanzielle und personelle Belastung für einzelne Gemeinden dar, der aus Sicht der Stadt Herne und weiteren Gemeinden deutlich effizienter gestaltet werden kann. Die Verbindung unterschiedlicher Datensätze wie Verkehrsflächenzustände mit Klima- und Temperaturdaten, Daten der Versorgungsträger oder der Verkehrsbelastung, bedeutet, dass Abhängigkeiten ermittelt werden können. In Zukunft soll so die geeignetste Erhaltungsmaßnahme ausgewählt werden, und zum idealen Erhaltungszeitpunkt erfolgen. Die Analyse der angebotenen Marktlösungen hat ergeben, dass kein Produkt existierte, das die Anforderungen an eine umfassende Erhaltungsplanung unter Einbezug unterschiedlicher Daten erfüllt. Es wurde der Entschluss gefasst eine solche Lösung im Rahmen einer Innovationspartnerschaft auszuschreiben. Die Innovationspartnerschaft ist nach Definition des Deutschen Ausschreibungsblatts ein spezielles Vergabeverfahren zur Entwicklung innovativer, noch nicht am Markt verfügbarer Liefer-/ Dienstleistungen. Informationen zum Vergabeverfahren [10] Es ist die Chance gemeinsam mit einem kompetenten Partner aus der Wirtschaft eine Lösung zu entwickeln, die im besonderen Maße den kommunalen Anforderungen entspricht. Abb. 3: Ablaufschema Innovationspartnerschaft 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 163 BIM und Künstliche Intelligenz für den kommunalen Straßen- und Ingenieurbau Innovationspartnerschaften wurde bislang nur selten ausgeschrieben. Für das komplexe Verfahren wurde die Stadt Herne durch eine auf Vergaberecht spezialisierte Rechtsberatung begleitet. In dem Verfahren wurden Kolleg: innen aus der IT, Vermessung, Digitalisierung und Straßenunterhaltung einbezogen. Das Vorgehen war aufwendig, doch die lange Verfahrensdauer ermöglichte auch die möglichen Partner für die Zusammenarbeit gut kennenzulernen. Die gemeinsame Projektvision war von besonderer Bedeutung, da für einen Zeitraum von drei Jahren eng zusammengearbeitet wird. Das Projekt ist nun in der Konzeptphase, wo ein gemeinsamer Rahmen für die Projektideen gefunden wird. Daran schließt die Entwicklungsphase an, die die Hard- und Softwarelösung mittels des SCRUM-Verfahrens umsetzen soll. Im Anschluss an die Entwicklungsphase können die entwickelten Produkte gekauft werden und das Projekt kann dann in die Betriebsphase gehen. Kommunen müssen sich innovativen Projekten nicht allein stellen. Projektbegleitend wird das Herner Vorhaben von einem Expert: innenkreis aus Vertretern bezugsberechtigter Kommunen begleitet. Die bezugsberechtigten Kommunen wurden bereits in der Ausschreibungsphase berücksichtigt und können die Soft- und Hardware-Lösung im Anschluss an die Entwicklungsphase daher ohne eigene Ausschreibung erwerben. Die Innovationspartnerschaft ermöglicht so eine optimale Synergie aus unternehmerischem und kumuliertem städtischem Know-How. Der Start des Projekts hat bereits neue Ideen für weitere innovative Datennutzungen angestoßen. So könnten im Projekt die erfassten Rohdaten durch den Entsorgunsgbetrieb für das Projekt „Saubere Stadt“ mit Hilfe bereits entwickelter KI-gestützer Komponenten ausgewertet und verwendet werden. Digitalisierung erzeugt verfügbare Daten und Daten neue Ideen. 5. Ausblick Die beschriebenen Innovationsprojekte zeigen, dass durch neue und bekannte (Ausschreibungs-)Formate Innovation generiert werden kann. Kommunen können sich mit anderen Stakeholdern der Bauwirtschaft zu Netzwerken, Innovationspartnerschaften und Arbeitskreisen zusammenschließen, um Forschung und Entwicklung zukunftsträchtiger Technologien voran zu bringen. Je mehr sich Kommunen und Kreise einbringen, desto mehr entsprechen die entwickelten Lösungen den tatsächlichen Bedarfen der kommunalen Bauverwaltungen. Die weiteren Projektschritte des BIM-Pilotprojektes und die Neuerungen durch KI in der Straßenerhaltung werden somit in Herne mit Spannung erwartet. Die Datengrundlage wird sich durch beide Projekte deutlich verändern und erweitern. Gut, dass bereits das nächste Innovationsprojekt in den Startlöchern steht: BeOpenAI [11]. Ziel ist es, sogenannte hochwertige Datensätze, wie zum Beispiel Geo-, Wetter-, Umwelt-, Statistik- und Mobilitätsdaten durch Auf bereitung und Unterstützung von KI gezielter in eine spezifische Datenplattform zu integrieren. Das Projekt trägt dazu bei, dass es zu einer Verbesserung der Interoperabilität bei der Nutzung von Daten kommt. Literatur [1] https: / / medium.com/ specter-automation-insights/ bim-adoption-across-the-world-a-global-outlook- 1b3879f23bc6 [2] https: / / www.pressebox.de/ pressemitteilung/ bauinfoconsult-gmbh/ Studie-Wer-sind-die-Multiplikatoren-von-BIM-in-Deutschland/ boxid/ 1145502 [3] https: / / www.bauindustrie.de/ fileadmin/ bauindustrie.de/ Media/ Veroeffentlichungen/ BAUINDUS- TRIE-InnoProjekt-Broschuere_final.pdf [4] https: / / www.nevaris.com/ blog/ digitalisierung-derbaubranche-fuer-kleinunternehmen/ [5] https: / / www.demografie-portal.de/ DE/ Service/ Blog/ 200316-Fachkraeftemangel-Herausforderung-fuer-Unternehmen-und-den-oeffentlichen- Dienst.html [6] Toolbox (koinno-bmwi.de). [7] BIM.Ruhr - Willkommen bei unserem Innovationsnetzwerk: BIM Ruhr (bim-ruhr.net). [8] https: / / www.fiware.org/ news/ city-of-herne-and-fiware-opened-innovation-hub-in-herne/ [9] Handreichungen - BIM4INFRA2020. [10] Glossar (deutsches-ausschreibungsblatt.de). [11] Stadt Herne - Stadt Herne wird EU-Projektpartner und mit über 300.000 Euro gefördert. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 165 Verkehrsanlagenplanung in BIM-Projekten Herausforderungen und Lösungen in Infrastrukturprojekten der Bahn im Kontext BIM Dipl.-Wirtschaftsinformatiker FH Volker Uminski WSP Infrastructure Engineering GmbH Dipl.-Mathematiker Jens Bartnitzek A+S Consult GmbH Wahid Fazelly, M. Sc. IB&T Software GmbH Zusammenfassung In den aktuellen Infrastrukturprojekten der Bahn zur digitalen Planung im Kontext BIM steigt der Grad der Komplexität spürbar und erfordert systematische und gleichsam pragmatische Softwarelösungen. Die im Vortrag vorgestellten Anwendungen der Systemgemeinschaft „BIM Rail Planning Solution“ widmet sich dabei speziell der Planung komplexer Verkehrsanlagen im Schienenverkehr. Die Systemgemeinschaft schafft einen praktischen Handlungsrahmen für beherrschbare Prozesse. 1. Motivation und Ziel Zur Erhöhung der fachlichen Planungsqualität und zum Erreichen weiterer Ziele wie insbesondere Kosten- und Planungssicherheit wird in Infrastrukturprojekten mittlerweile BIM (Building Information Modeling) gefordert und dementsprechend vertraglich vereinbart. Auch und insbesondere in Projekten der Verkehrsanalagenplanung sind die Aspekte Bestandsaufnahme, Bestandsmodellierung, gewerkeübergreifende Planung, Visualisierung und Koordination in BIM zu realisieren. Um der Vielfalt in den unterschiedlichen Projekten im o.g. Kontext zu begegnen, sind geeignete Softwaresysteme für Vermessung, Trassierung, Planung, Prüfung und Bau zunehmend entscheidend für den Projekterfolg. Diese Softwaresysteme müssen sowohl fachliche Unterstützungen als auch bearbeiter- und firmenübergreifende Workflows durch Systemintegration und Datenschnittstellen ermöglichen. Abbildung 1: Übliche Prozesse innerhalb von Bahn-Infrastrukturprojekten, entlang der beteiligten Softwaresysteme 166 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Verkehrsanlagenplanung in BIM-Projekten Im Fokus stehen alltägliche Aktivitäten und Prozesse der Projektbearbeiter entlang eines typischen Workflows bestehend aus „Vermessen, Trassieren und Modellieren“, „Planung der LST-Streckenausrüstung“ und „Prüfung und Koordination im Gesamtmodell“. Diese Prozesse werden mithilfe der in Abbildung 1 gezeigten Softwaresysteme weitreichend unterstützt, um die jeweils geforderten Ergebnisse (wie Pläne, Daten und Dokumente) in den Projekten zeitlich planbar und fachlich korrekt zu erzeugen. Weitere Informationen zu den Softwaresystemen und deren unterstützten Prozessen sind über die Homepage www.bim-rail-planning-solution.de zugänglich, sowie Informationen zu einer Projektanwendung im Kontext ETCS im Artikel des Eisenbahningenieur vom Januar 2023. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 167 Umbau Autobahndreieck Funkturm, Berlin Vorteile der BIM-Methode bei komplexen Bauabläufen Dipl.-Ing. Wolfgang Strobl Schüßler-Plan Generalplanungsgesellschaft mbH, Berlin Zusammenfassung Die Zunahme von Infrastrukturmaßnahmen in urbanen Gebieten und die Forderung nach beschleunigter Realisierung von Bauprojekten stellt uns vor neue Herausforderungen: „was“ gebaut werden soll tritt zunehmend in den Hintergrund gegenüber den Anforderungen „wie“ unter Berücksichtigung von komplexen urbanen Randbedingungen überhaupt gebaut werden kann und welche räumlichen, logistischen und terminlichen Auswirkungen sich daraus ergeben. Die politische Forderung nach Beschleunigung von Projekten erfordert unter anderem die Minimierung von Risiken und damit die Erhöhung der Zuverlässigkeit der Planung. Die BIM-Methode erlaubt erstmals, Bauabläufe in einem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zu visualisieren. Dieser 4D-Bauablauf ermöglicht damit die Überprüfung eines Gantt-Diagramms und das Auffinden von zeitlichen Kollisionen im Bauablauf. Nur so ist es möglich, den Bauablauf in einem Gantt-Diagramm mit über 3.000 Zeilen in seiner Gesamtheit zu verstehen, zu plausibilisieren, in der Öffentlichkeit zu vertreten, die richtigen Baulose/ Vergabeeinheiten zu bilden, den Ablauf insgesamt zu optimieren und damit die Zuverlässigkeit der Planung maßgeblich zu erhöhen. Abb. 1: Übersicht, Blick v. S. n. N. 168 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Umbau Autobahndreieck Funkturm, Berlin 1. Einführung Das Autobahndreieck Funkturm in Berlin verknüpft innerstädtisch die beiden Bundesautobahnen A100 und A115 und ist einer der am stärksten befahrenen Autobahnknoten in Deutschland mit einer durchschnittlichen Belastung von bis zu 230.000 Kfz/ 24 h. Ziel der Umbaumaßnahme sind die grundlegende Erneuerung, eine Optimierung zur Abwicklung der erheblichen Verkehrsmengen durch Entflechtung und die Verringerung der Anschlussstellen an das nachgeordnete innerstädtische Netz der A100. Die Umbaumaßnehme umfasst: - Verkehrsanlagen: 11 Objekte Endzustand, 7 Objekte bauzeitlich - Ingenieurbauwerke: 25 Brücken, 23 Stützwände, 7-Lärmschutzwände, 32 prov. Brücken und Stützwände, 47 Abbruchbauwerke. Abb. 2: Räumliche Einordnung 2. Bauablauf Ausgangspunkt ist die teilweise sehr komplexe Planung mit anspruchsvollen technischen und gestalterischen Lösungen für den Endzustand. Abb. 3: ADF - Bestand Im Vordergrund stehen hier jedoch die erforderlichen Bauphasen unter Aufrechterhaltung des Verkehrs - das Konzept Fahren und Bauen: wie muss der Bauablauf organisiert werden, welche Baulose mit welchen Vergabestrategien sind sinnvoll, welche Baubehelfe und Baulogistik (Zufahrten, Baufelder, BE-Flächen) sind erforderlich und welche Auswirkungen und Betroffenheiten ergeben sich daraus. Grundlage ist ein erster Grob-Bauablauf-Terminplan, der entsprechend den Ergebnissen der Entwurfs- und Ausführungsplanung in einem Gantt-Diagramm detailliert und kontinuierlich fortgeschrieben wird. Daraus ergibt sich die Herausforderung, die wesentlichen Zusammenhänge, Einflussgrößen und Abhängigkeiten des Terminplans mit über 3.000 Zeilen zu erkennen, fortlaufend zu plausibilisieren und zu optimieren. Abb. 4: ADF - Planung (Endzustand) 2.1 Wesentliche Einflussgrößen - Planung: • (1) Neubau AS Messe und Weiterführung der A115 in neuer Lage • (2) Weiterführung der A115 im Dreieck ADF, Bauwerke als vorbereitende Maßnahme in neuer Lage • (3) Weiterführung vom Dreieck ADF Richtung Norden über die Bahnanlagen in gleicher Lage. Dazu ist der Bau von 2 Behelfsautobahnen (Ost und West) erforderlich • bauzeitliche Verkehrsführung: mind. 2 Fahrspuren je Richtung - Dauer des Genehmigungsverfahrens - Abhängigkeiten zur Anmeldung von Sperrpausen der Bahn - Baulose für Vergabe und Ausführung: • Vorbereitende Maßnahmen (innerhalb und außerhalb der Planfeststellungsgrenze, Umwelt, Bahn, Baufeldberäumung) • Zuordnung von Objekten der Verkehrsanlage und Ingenieurbauwerke inkl. Umbau von Leitungen (Schnittstellen) 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 169 Umbau Autobahndreieck Funkturm, Berlin • A/ E-Maßnahmen • Ausrüstung • Sicherungsleistungen 2.2 Vorbereitung der Bauablaufplanung - Basis ist die abgeschlossene Entwurfsplanung der Verkehrsanlage (RE) im Endzustand - paralleles Erstellen von 2D-Bauphasenplänen • dient der Dokumentation wesentlicher Bauphasen vom Bestand bis zum geplanten Endzustand • bauzeitliche Verkehrsführung mind. 2 Fahrspuren je Richtung - die Entwurfsplanung der Ingenieurbauwerke (RAB- Ing) liegt vor - ein integriertes 3D-Koordinationsmodell der Verkehrsanlage (VA) und der Ingenieurbauwerke (IBW) zum Endzustand liegt vor, die Objekte sind auf Koalitionsfreiheit geprüft - Start der Terminplanung: Grob-Bauablauf-Terminplan mit zunehmender Detaillierung • beginnend mit „wesentlichen“ Ingenieurbauwerken • Integration der bauzeitlichen und bereichsweise endgültigen Verkehrsanlage Straße • Berücksichtigung der Sperrpausen der Bahn Erkenntnisse: - mit zunehmender Detaillierung „fließen“ die Bauphasen immer weiter ineinander - eine zeitliche Kontrolle der einzelnen Abläufe auf bauzeitliche Kollisionen durch die überlagerte Darstellung in Bauphasenplänen ist nur näherungsweise möglich. - eine detaillierte Erfassung aller Bauabläufe mit den zugehörigen Abhängigkeiten, Restriktionen und Auswirkungen bleibt auch mit einer Detaillierung als Gantt-Diagramm eine schwer zu überprüfende Einzelleistung: die bauzeitliche Kollisionsfreiheit kann nicht dokumentiert werden. - im klassischen Planungsablauf erfolgt die Vergabe von Bauleistungen oft auf Basis von Meilensteinen. Damit entsteht einerseits Gestaltungsfreiheit für den Baubetrieb. Anderer-seits führt das Übertragen der Terminverantwortung auf den Baubetrieb zu den bekannten Konsequenzen: bauzeitliche Kollisionen haben wesentliche Folgen auf Kosten und Termine. - für das Projekt AD-Funkturm ist mit der Vorgabe von BIM als Planungsmethode eine alternative Vorgehensweise vorgesehen: • detaillierte Planung des Bauablaufs als Gantt-Diagramm • Überprüfung des Gantt-Diagramms durch eine 4D-Bauablaufsimulation auf bauzeitliche Kollisionen • der kollisionsbereinigte Bauablauf ist Grundlage für Ausschreibung und Vergabe. 3. 4D-Bauablauf 3.1 Allgemein Die Weiterentwicklung des 3D-Koordinationsmodells zu einem 4D-Bauablaufmodell ermöglicht die Visualisierung des räumlichen und zeitlichen Ablaufs der Baumaßnahmen. Abb. 5: 4D-Bauablauf, Auszug Aufgrund der Vielzahl der Maßnahmen wurden zum besseren Verständnis der Vorgänge folgende Vereinfachungen festgelegt: - Die bauzeitliche Verkehrsführung der VA-Straße wird vereinfacht als 3D-Fahrbahnband dargestellt. Dieser reduzierte Detaillierungsgrad ist für die grundlegende bauzeitliche Kollisionsprüfung völlig ausreichend. Die Ergänzung von Fahrbahn-aufbauten, Böschungen, Baugruben usw. kann mit zunehmender Planungstiefe detailliert werden, ändert jedoch nichts am prinzipiellen Bauablauf. - Mit der Entwicklung eines 4D-Navigators können verschiedene Handlungsstränge des Bauablaufs einzeln, in beliebiger Kombination oder gesamtheitlich betrachtet werden. Das Verständnis der komplexen zeitlichen und räumlichen Zusammenhänge wird durch diese selektive Visualisierung wesentlich verbessert. Auf dieser Grundlage erfolgt die Kollisionsprüfung für: - bauzeitliche Verkehrsführungen untereinander - bauzeitliche Kollision der Verkehrswege mit Bauwerken (Bestand, Abbruch, Herstellung, fertiggestellte IBW) - bauzeitliche Kollision von temporären Bauwerken mit endgültigen Bauwerken - Kollision mit Maßnahmen zu Leitungsumver-legungen Aufgrund der Vielzahl der Kombinationsmöglichkeiten für Kollisionen ist eine regelbasierte Prüfung derzeit 170 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Umbau Autobahndreieck Funkturm, Berlin nicht vorgesehen. D. h. die Prüfung erfolgt visuell durch sachverständige Bearbeiter. Abb. 6: 4D-Navigator für Projekt ADF Ausgangspunkt der visuellen Darstellung der Verkehrsführung sind die Verkehrsbeziehungen zwischen Magdeburg/ Leipzig (MD/ L), Hamburg (HH) und Dresden (DD) mit jeweils 2 Richtungsfahrbahnen. Zu diesen 6- Verkehrsbeziehungen gibt es jeweils bis zu 17 Verkehrsführungsphasen in Form von Teilmodellen, die als Verkehrsbänder (3D-Flächen) modelliert und farblich nach „in Betrieb“ und „in Bau“ unterschieden werden. Die Objekte der Verkehrsanlage, die Teilobjekte der Ingenieurbauwerke, die Maßnahmen zur Umverlegung von Leitungen (Trinkwasser, Gas, Telekom, KVR, usw.), die Sperrpausen und Umbaumaßnahmen Bahn, usw. werden mit dem Bauablauf-Terminplan verlinkt und somit in einen zeitlichen Kontext gesetzt. Damit ist man in der Lage, den komplexen Bauablauf visuell zu erfassen, bauzeitliche Kollisionen und Optimierungs-möglichkeiten zu erkennen. 3.2 Bauzeitliche Kollisionen Mit der Visualisierung des Bauablaufes wurden bereits im ersten Durchlauf 12 bauzeitliche Kollisionen festgestellt und behoben. Auszugsweise werden nachfolgend 4 Beispiele dargestellt: Beispiel 1: Die bauzeitliche Verkehrsführung erfolgt über den Überbau der Brücke im Status „Herstellung“ (rot) Abb. 7: Bauzeitliche Kollision, Beispiel 1 Beispiel 2: Zeitliche Überschneidung bauzeitlicher Verkehrswege (gelb) Abb. 8: Bauzeitliche Kollision, Beispiel 2 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 171 Umbau Autobahndreieck Funkturm, Berlin Beispiel 3: Widerlager in Status „Herstellung“, Überbau fertiggestellt Abb. 9: Bauzeitliche Kollision, Beispiel 3 Beispiel 4: Bauzeitliche Verkehrsführung von HH nach DD über die Behelfsautobahn Ost unvollständig Abb. 10: Bauzeitliche Kollision, Beispiel 4 4. Zusammenfassung Mit der BIM-Planungsmethode ist es nun erstmals möglich, Bauabläufe in Form von Gantt-Diagrammen in einem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zu visualisieren und im Ergebnis eine zeitliche Kollisionsfreiheit als Qualitätssicherung zu dokumentieren. Das ist insbesondere dann von Vorteil, wenn Verkehrsanlagen und zugehörige Ingenieurbauwerke mit komplexen Abhängigkeiten realisiert werden sollen. Der iterative Prozess von Erkennen und Auflösen bauzeitlicher Kollisionen führt zu einem konsolidierten Bauablauf mit hoher Terminsicherheit. Jede aufgelöste Kollision reduziert Terminrisiken wie Behinderungen und Verzug auf der Baustelle und erhöht damit die Termin- und Kostensicherheit erheblich. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 173 BIM in der Betriebsphase von Ingenieurbauwerken Konzeptionelle Darstellung von Building Information Modeling (BIM) im Bereich der Ingenieurbauwerke mit dem Fokus auf dem Teilmodell „As-Maintained“ Anna Bodenko, M. Sc. Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung (DZSF) beim Eisenbahn-Bundesamt (EBA), Dresden Zusammenfassung Die Verfügbarkeit umfassender Daten über den Betrieb und die Instandhaltung von Ingenieurbauwerken während des gesamten Lebenszyklus ist eine wichtige Voraussetzung für die Verbesserung des Verkehrsinfrastrukturmanagements. In diesem Zusammenhang können digitale Systeme wie z. B. BIM erfolgreich eingesetzt werden, um diese Daten zu erfassen, zu verknüpfen und langfristig zu speichern. Der Beitrag stellt einen Ansatz zur Gestaltung eines digitalen Lebenszyklusmanagementsystems für Ingenieurbauwerke vor, der auf der Methode des Building Information Modeling (BIM) basiert. Die größte Herausforderung bei der Umsetzung von BIM für das Lebenszyklusmanagement (LZM) ist die zentrale und effiziente Datenverwaltung. Bei dem vorliegenden Konzept werden relevante Informationen anhand eines grundlegenden Hauptbauwerksmodells verknüpft und lokalisiert. Dem Hauptbauwerksmodell können verschiedene Teilmodelle zugeordnet werden, was zusammen eine Single Source of Truth ergibt. Insbesondere das Teilmodell „As- Maintained“ ist für die Instandhaltungs- und Betriebsphase von Bedeutung und wird daher detailliert betrachtet. 1. Einführung Ingenieurbauwerke spielen eine wichtige Rolle für die Befriedigung der Transport- und Mobilitätsbedarfe von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland und Europa [1]. In Deutschland sind um die 26.000 Eisenbahnbrücken [2], ungefähr 40.000 Brücken an Bundesfernstraßen [3] und etwa 2.300 Brücken und Wasserbauwerke im Zuge der Bundeswasserstraßen [4] vorhanden. Angesichts des zunehmenden Alters dieser Ingenieurbauwerke ist es von großer Bedeutung, diese Brücken instand zu halten. Das Erhaltungsmanagement des Brückenbestands wird somit zu einer zunehmend bedeutenden Aufgabe. Dabei bilden die Inspektionen einen zentralen Baustein [5]. Regelmäßige Inspektionen helfen dem Bauwerksbetreiber, Mängel und Schäden am Bauwerk zu erkennen. Es kann sich jedoch herausstellen, dass der Schaden so weit fortgeschritten ist, dass die benötigten Erhaltungsmaßnahmen zu kostenintensiv sind und eine wirtschaftliche Instandsetzung nicht mehr möglich ist [6]. In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, dass die Veränderungen, Schäden und Mängel rechtzeitig erkannt werden und entsprechende Instandhaltungsmaßnahmen frühzeitig geplant und durchgeführt werden. Bislang erfolgt die Instandhaltung von Bauwerken überwiegend reaktiv und problemorientiert unter Verwendung zahlreicher manueller und analoger Verfahren. Der Einsatz moderner Technologien ermöglicht es, reaktive bzw. präventive Vorgehensweisen durch prädiktive Instandhaltungsmaßnahmen zu ersetzen und damit das Instandhaltungsmanagement zu verbessern. Ein wichtiger Faktor bei der Verbesserung des Instandhaltungsmanagements von Ingenieurbauwerken der Verkehrsinfrastruktur ist die Verfügbarkeit von ausreichenden Daten über den Betrieb und die Instandhaltung im gesamten Lebenszyklus. Können diese Daten digital erhoben werden, lassen sich auch digitale Unterstützungsprozesse zur Entlastung anwenden. Dazu müssen diese Daten einheitlich erfasst, verknüpft und langfristig gespeichert werden, um sie in digitalen Modellen zu verwenden. Dies kann durch die Nutzung von digitalen Systemen wie Building Information Modeling (BIM) bewerkstelligt werden [5]. Gemäß dem Stufenplan „Digitales Planen und Bauen“ des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) ist seit 2020 die Verwendung der BIM-Methoden in Projekten für die deutsche Infrastruktur verpflichtend [7]. Seitdem wird BIM zunehmend in der Planungs- und Bauphase eingesetzt und weiterentwickelt. Die Anwendung dieser Methode für Planung und Bau eröffnet schon jetzt Möglichkeiten, Probleme im Bauprozess frühzeitig zu erkennen und zu lösen. Damit bietet sich auch ein erhebliches Potenzial für den Einsatz von BIM in der Betriebsphase von Ingenieurbauwerken. Einer der wichtigsten Vorteile des Einsatzes von BIM in der Betriebsphase ist die verbesserte Planung von Inspektionen und Inspektionsverfahren sowie die vorausschauende Analyse des Bauwerkszustands [8]. BIM ermöglicht es den Betreibern, alle relevanten Informationen über ein Bauwerk zentral zu speichern und zu verwalten. Dazu gehören Informationen über die Baustoffe und ihre Eigenschaften, die Bauteile (einschließlich Geometrie, 174 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in der Betriebsphase von Ingenieurbauwerken Geodaten, Konstruktions-abweichungen usw.) sowie die Belastungen und die Veränderungen während der Nutzungsdauer (z. B. Schäden wie Risse oder Korrosion, aber auch durchgeführte Maßnahmen). Demensprechend können Anlagenverantwortliche und Inspektionspersonal auf diese Informationen problemlos zugreifen, um den Zustand der Brücke zu überwachen und zu überprüfen [5]. Ein weiterer Vorteil der Nutzung von BIM in der Betriebsphase von Ingenieurbauwerken ist die verbesserte Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Akteuren. Da alle Informationen zentral gespeichert werden, können Betreiber problemlos miteinander kommunizieren und die Arbeit koordinieren [9]. Dies bedeutet, dass sich auftretende Probleme schneller beheben lassen und die Planung und Ausführung der Instandhaltung an Veränderungen des Bauwerks angepasst oder vorweggenommen werden kann. Die Digitalisierung und zentralisierte Datenhaltung in der Betriebsphase im BIM können das Bauwerksmanagement erheblich vereinfachen. Durchgängige Datenintegration, -vollständigkeit und -zugänglichkeit bieten ein großes Potenzial für das Instandhaltungsmanagement und damit für die Gewährleistung der Verfügbarkeit der Verkehrsinfrastruktur. Allerdings ergeben sich aus diesen Möglichkeiten auch Herausforderungen. Eine große Herausforderung bei der Umsetzung von BIM in der Betriebsphase besteht darin, die Daten effizient zu speichern und zu verwalten. Dies umfasst Prozesse wie digitale Datenbeschaffung, Datenaustausch, Datenspeicherung, Datenintegration und Datenauf bereitung. In der Regel stehen für neu gebaute Bauwerke hochwertige digitale 3D-Modelle zur Verfügung, die als Grundlage für die Betriebsphase verwendet werden können. Dies ist bei bestehenden Bauwerken nicht immer gegeben. Allerdings besteht die Möglichkeit, dies mittels photogrammetrischer Verfahren und der Digitalisierung von Bestandsplänen zu erreichen [8]. In diesem Artikel werden diese Herausforderungen näher erörtert und mögliche Lösungen aufgezeigt und bewertet. 2. Digitaler Datenfluss mit BIM Als Basis von BIM dient ein digitales Bauwerksmodell, das für die zielführende Nutzung für das LZM mit weiteren Daten anzureichern ist. Bei Daten handelt es sich hauptsächlich um heterogene Informationen, die aus verschiedenen Datenquellen stammen. Für die reibungslose Instandhaltung und den Betrieb des Bauwerks liefern Daten wie Geometrie, technische Daten, Zustands- und Schadensinformationen, Daten aus Inspektionen, Sensordaten, Monitoringdaten, Daten aus zerstörungsfreien Prüfverfahren (Zf P), Geodaten usw. wichtige Informationen (Abb. 1). Im Wesentlichen werden diese Daten aus entsprechenden Prüfergebnissen und Schadensdokumentationen nach Ril 804.8001ff [10] für Eisenbahnbrücken bzw. DIN 1076 [11] für Straßenbrücken gewonnen [6]. Für die Dokumentation von Prüfergebnissen und Schäden sind Datenbanken wie SAP R/ 3 Netz (Eisenbahninformationsbank) [12] und SIB Bauwerke (Straßeninformationsbank) [13] relevante Datenquellen. Durch die Verknüpfung von Datenbanken mit georeferenzierten 3D-Modellen in der Planungs- und Bauphase werden strukturierte Informationen zur visuellen Lokalisierung von Schäden verfügbar und die Erstellung des BIM-Modells für die Instandhaltungs- und Betriebsphase möglich. Abb. 1: Unterstützung des LZM von Bauwerken mit Hilfe eines digitalen BIM-Systems. Hervorhebung der im Fokus stehenden Lebenszyklusphasen Betreiben und Instandhalten und Darlegung einiger Beispiele für den Datenbedarf in diesen Phasen (eigene Darstellung) 2.1 Konzept Die Grundlage für die Verknüpfung und Verortung von Informationen ist das Hauptbauwerksmodell. Dem Hauptbauwerksmodell können verschiedene Teilmodelle oder abgeleitete Modelle zugeordnet sein; zusammen ergibt dies eine Single Source of Truth (Abb. 2) [14]. Im Rahmen des Projekts wird das grundlegende Hauptbauwerksmodell konzeptionell in die folgenden Teilmodelle unterteilt: „As-Planned“, „As-Built“ und „As-Maintained“. Das Teilmodell „As-Planned“ enthält, wie der Begriff schon sagt, die in der Planungsphase erstellten Daten: das georeferenzierte 3D-Modell, statische Berechnungen (FE-Modelle), Materialeigenschaften, Kostenschätzungen, Terminplanungen, zusätzliche Pläne und andere für die Planungsphase relevante Informationen. Dementsprechend enthält das Teilmodell „As-Built“ zusätzliche Informationen aus der Bauphase, z. B. zu geänderten Bauabläufen, geometrischen Abweichungen, Materialänderungen sowie Informationen aus der Qualitätssicherung. Für die Instandhaltungs- und Betriebsphase ist das Teilmodell „As-Maintained“ relevant und wird dementsprechend hier detaillierter betrachtet. Schließlich stellt die letzte Version des „As-Maintained“ Teil- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 175 BIM in der Betriebsphase von Ingenieurbauwerken modells in Verbindung mit verschiedenen Akten für die letzte Lebenszyklusphase des Bauwerks eine Grundlage für die Planung des Abrisses dar. Abb. 2 Das Hauptbauwerksmodell als zentraler Knotenpunkt der Single Source of Truth. Daraus abgeleitete Teilmodelle („As-Planned“, „As-Built“ und „As-Maintained“) sowie die Verknüpfungen zwischen Hauptbauwerksmodell, Teilmodellen und ihren Informationen (eigene Darstellung) Um die Datenstruktur im Teilmodell „As-Maintained“ möglichst umfangreich und gleichzeitig übersichtlich darzustellen, werden die einzelnen Module konzeptionell wie folgt gegliedert: 3D-Modell, statische Berechnung, Bestandserfassung, Bauwerksinspektion, zerstörungsfreie Prüfungen (Zf P), Bauwerkszustand, Structural Health Monitoring (SHM), Predictive Maintenance (Diagnose und Prognose) und Zusatzinformationen (Abb. 3). Reindaten wie das 3D-Modell, die statische Berechnung sowie weitere Daten aus den Teilmodellen „As-Planned“ und „As-Built“ werden an geeigneten Stellen zum Teilmodell „As-Maintained“ hinzugefügt. Da die Informationen jeweils nur einmal vorliegen und verknüpft werden, wird vermieden, dass bei Bearbeitungen Doubletten und damit mögliche Widersprüche entstehen. Auf diese Weise entsteht ein BIM-Datenbaum mit den relevanten Daten der Instandhaltungs- und Betriebsphase. Dementsprechend werden relevante Datenflüsse und -verknüpfungen ermittelt. Es ist auch zu berücksichtigen, wie diese Daten gespeichert werden und woher die Daten stammen. Abb. 3 Aufteilung der erforderlichen Daten für das Teilmodell „As-Maintained“ in einzelne Module entsprechend dem datentechnischen Inhalt (eigene Darstellung) 2.2 Prozessmodell Das Hauptziel des Prozessmodells besteht darin, die Nutzung der Daten effizient zu gestalten, die Vorteile von BIM während der Betriebsphase nutzbar zu machen und eine effiziente Datenhaltung zu gewährleisten. Das hier entwickelte Prozessmodell basiert auf dem oben beschriebenen Konzept. Das Modell ermöglicht die Verknüpfung von Datenquellen aus verschiedenen Datendomänen und bietet einen definierten Prozessablauf für die Speicherung, Verarbeitung und Nutzung von Daten. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für ein effektives Bauwerksdatenmanagement im Zusammenhang mit BIM. Das hier vorgestellte Prozessmodell besteht aus drei Ebenen: Anwendungsdomäne, Datenverarbeitungsdomäne und Datendomäne [15]. Die relevanten Datenquellen der Betriebsphase werden in den entsprechenden Datensilos (3D-Modell, Statische Berechnung, Bestandserfassung, Bauwerksinspektion, Zerstörungsfreie Prüfungen, Bauwerkszustand, Structural Health Monitoring (SHM), Predictive Maintenance (Diagnose und Prognose) und Zusatzinformationen) auf der Datendomänenebene gespeichert (Abb. 4). 176 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in der Betriebsphase von Ingenieurbauwerken Abb. 4 Darstellung eines Prozessmodells am Beispiel des angewandten Konzepts (eigene Darstellung) Datenverarbeitungsdomänen umfassen verschiedene Verfahren der Datenverarbeitung von der Speicherung in der Datendomäne bis zur Auswertung der Daten. Der überwiegende Teil der Datenverarbeitungsdomäne beschäftigt sich mit der Verarbeitung von Daten in einem definierten Prozess. Hierbei kommt es insbesondere darauf an, dass die Daten standardisiert und strukturiert sind, um eine automatisierte Verarbeitung zu ermöglichen. Standards wie IFC (Industry Foundation Classes) und CO- Bie (Construction Operations Building Information Exchange) können in diesem Zusammenhang hilfreich sein, um eine einheitliche und standardisierte Datenhaltung und -verarbeitung zu gewährleisten. Dabei sollten auch benutzerbzw. rollenbasierte Zugriffsrechte berücksichtigt werden, die im Hinblick auf die Datensicherheit und den Bedarf gestaltet werden sollten. Auch die Skalierbarkeit des Systems spielt eine wichtige Rolle, um eine effiziente Datenverarbeitung bei steigendem Datenvolumen zu gewährleisten. Darüber hinaus erfordern Datenverarbeitungsdomänen Kenntnisse über das jeweilige Anwendungsgebiet (z. B. „As-Maintained“ Teilmodell) und dessen Zweck. In diesem Zusammenhang sind die Anforderungen der Anwendung zu erfüllen und die Daten entsprechend zu analysieren. Für die Datenspeicherung in der Datendomäne stehen verschiedene Speichermodelle und Datenintegrationsmethoden zur Verfügung, die je nach Anforderungen an die Datenverarbeitung und -speicherung eingesetzt werden können. Darüber hinaus können je nach den Eigenschaften der Daten verschiedene Datenintegrationsmethoden verwendet werden, um das entsprechende Optimum zu erreichen. Im Zusammenhang mit der BIM-Methodik werden generell die folgenden Datenintegrationsmethoden unterschieden: Built-in Data, Linked Data und eine gemeinsame Datenumgebung (Common Data Environment, CDE). Built-in Data ist eine Methode, die auf einem Objektspeichermodell basiert. Objektdaten (z. B. Bauelemente) bzw. Attribute, Geometrie und Metadaten werden direkt im BIM-System gespeichert. Diese Methode der Datenintegration ermöglicht eine problemlose und teilweise automatische Anpassung der Attribute in der Autorensoftware [8]. Allerdings gibt es beim Objektspeichermodell keine Möglichkeit, einen Teil der Datei zu bearbeiten. Daher ist es notwendig, das gesamte Objekt zu überschreiben und das Modell zu aktualisieren. Aus diesem Grund ist die Anwendung dieser Methode bei großen Datenmengen (z. B. bei 3D-Punktwolken) sehr ressourcenintensiv. Bei der Linked Data Methode werden die Daten durch die Verknüpfung verschiedener Datenquellen mit dem Modell verfügbar gemacht. In diesem Zusammenhang können zwei Möglichkeiten unterschieden werden: die interne und die externe Verlinkung von Datenquellen. Bei der internen Verlinkung wird über einen Weblink im Objektattribut auf zusätzliche Informationen zugegriffen. Der Weblink bzw. die URL verweist auf einen zusätzlichen Webserver, auf dem die Daten gespeichert sind. Andererseits gibt es auch die externe Verlinkung, bei der Attribute verwendet werden, um eine Abfrage an eine externe Datenbank mit zusätzlichen Metadaten zu erstellen. Hier werden Identifikatoren der externen Datenbank in Attributen direkt angegeben [8] . Die Built-in Data Methode ist derzeit nicht für Daten geeignet, die sich häufig ändern, da das gesamte Modell regelmäßig aktualisiert werden muss. Bessere Ergebnisse können in diesem Fall mit Linked Data erzielt werden. Die Methode bietet technische Lösungen für die dynamische Integration von Software-Anwendungsdaten. Auf diese Weise können die 3D-Modelle mit zusätzlichen Informationen von Webservern oder anderen Datenbanken erweitert werden. Auch bei Nutzung dieser Methode bleiben gewisse Probleme weiterhin bestehen, wie z. B. die Anforderung an ein geeignetes Datenverwaltungssystem, um die Verdoppelung von Daten oder einen nicht aktuellen Datenstand zu vermeiden. In der Anwendungsdomäne wird zwischen den Teilmodellen „As-Planned“, „As-Built“ und „As-Maintained“ unterschieden, wobei das Modell „As-Maintained“ für die Betriebsphase von besonderer Bedeutung ist. Die Anwendungsdomäne sollte dem Benutzer eine übersichtliche Schnittstelle bieten, in der die Auswahl eines Teilmodells durch die entsprechenden Prozesse im Backend flankiert wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Prozessmodell für die Datenhaltung während der Instandhaltungs- und Betriebsphase von Verkehrsbauwerken im BIM ein wichtiger Baustein für ein effektives Lebenszyklusmanagement ist. Insgesamt ist das Prozessmodell ein komplexes System, das viele verschiedene Aspekte berücksichtigen muss. Hierbei müssen insbesondere die Anforderungen der Anwendungsdomäne und der Nutzerrolle berücksichtigt werden, um eine sinnvolle und effektive Nutzung der Daten zu gewährleisten. Darüber hinaus 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 177 BIM in der Betriebsphase von Ingenieurbauwerken ist anzumerken, dass die Strukturierung der Daten sowie die Methoden zur Speicherung und Vernetzung von Daten in Silos die Fundamente der Datenhaltung bilden. Für diesen Zweck können Datenverarbeitungsdomänen eingesetzt werden. Dabei sollte alles von der Reduzierung der Datenheterogenität über Datenauswertung bis zur technischen Analyse, zum Beispiel mittels Verwendung von Zustandsindikatoren des Bauwerks, in Betracht gezogen werden. 2.3 CDE Das vorgestellte Konzept erfordert die Zusammenarbeit mehrerer Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer in einem kollaborativen Prozess unter Verwendung verschiedener Autorenwerkzeuge im BIM-Hauptbauwerksmodell. Die modellbasierte Projektzusammen-arbeit im Rahmen von BIM stellt hohe Anforderungen an das gemeinsame Datenmanagementsystem, weil bspw. verschiedene Projektbeteiligte unterschiedliche Detaillierungsgrade in ihren Teilmodellen verwenden und in jeweils verschiedenen Ausarbeitungsgraden austauschen. Eine gemeinsame Datenumgebung ist dafür besonders geeignet, da hiermit Verfahren zur Strukturierung, Zusammenführung, Verteilung, Verwaltung und Archivierung von digitalen Informationen im Rahmen eines ganzheitlichen, modellbasierten Projektmanagements geschaffen und technisch umgesetzt werden können [16]. Um zu beurteilen, wie zuverlässig die vorhandenen Projektinformationen sind und auf welcher Stufe der Projektbearbeitung sich diese befinden, gibt es verschiedene Prozessstatus: in Bearbeitung, geteilt (für …), veröffentlicht und archiviert [17]. Die Datenformate, die Struktur des Informationsmodells, die Tools zur Strukturierung und Klassifizierung der Informationen und die Attribuierung der Metadaten sollten vor Beginn des Projekts vereinbart werden, um eine entsprechende Informationsqualität zu gewährleisten. Auch die Verwaltung individueller Zugriffsrechte nimmt in der CDE eine entscheidende Funktion ein, da damit die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit aller Projektbeteiligten auf die Daten verschiedener Informationsressourcen und Prozesse gewährleistet werden. Dabei sollte eine geeignete Granularität der Rechte berücksichtigt werden, wobei die Zugriffsrechte für die entsprechenden Datenmengen bzw. Einzelobjekte und Teilmodelle vergeben werden [9]. Im Falle der CDE verfügt die Methode über ein eigenes Verwaltungssystem und stellt die höchste Stufe der Datenverarbeitung und -verwaltung dar. Eine ordnungsgemäß definierte CDE sollte die Resilienz von Baumaßnahmen gegenüber Veränderungen im externen Umfeld der Projekte erhöhen. 3. Fazit und Ausblick Aufgrund der begrenzten Kapazitäten für den Neu- und Ausbau von Verkehrssystemen sind Investitionen in das digitale LZM bzw. in die Betriebs- und Instandhaltungsphasen der bestehenden Verkehrsinfrastruktur von entscheidender Bedeutung. Für die effiziente Datenhaltung und die Bereitstellung von Informationen über den gesamten Lebenszyklus von Bauwerken hinweg ist die Nutzung von BIM sinnvoll. Die Methodik bildet eine valide Grundlage für das Ermitteln und Verknüpfen aller für die Instandhaltung relevanten Daten. Eine große Herausforderung bei der Umsetzung von BIM im Betrieb ist jedoch die Notwendigkeit einer zentralisierten und effizienten Datenhaltung. Eine gemeinsame Datenumgebung ist für eine erfolgreiche BIM-gestützte Instandhaltung ebenfalls hilfreich. Mit Hilfe der CDE können die Daten allen Beteiligten zentral zur Verfügung gestellt werden. Damit kann diese Methode langfristig sowohl zu einer Steigerung der Strukturierung und Optimierung der Datenhaltung als auch zur Minimierung des Informationsverlusts über den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks hinweg führen. Die Verwendung von Built-in Data und Linked-Data-Methoden mit CDE verbessert die Effizienz des BIM- Modells. Durch die Verwendung dieser Technologien wird das BIM-Modell als zentraler Ansatzpunkt für die Verknüpfung von Informationen genutzt und durch eine Common Data Environment verwaltet. Die Erstellung eines BIM-Modells für bestehende Bauwerke kann eine anspruchsvolle Aufgabe sein, da viele Schritte derzeit noch manuell durchgeführt werden. Doch dank der schnellen Entwicklung in diesem Bereich gibt es nun moderne Technologien, wie Drohnen, die es ermöglichen den Bestand schneller und präziser zu erfassen. Dies vereinfacht die Modellierung erheblich. Auf der anderen Seite, etabliert sich die BIM-Methodik immer mehr als Standard für Neubauten. Dies bedeutet, dass solche Modelle direkt im Planungsprozess entstehen und für die Instandhaltung verfügbar sind. Dies ermöglicht eine effizientere und präzisere Verwaltung von Bauwerken. Im Rahmen der zweiten Phase des BMDV-Expertennetzwerks werden weitere Forschungen in diesem Bereich durchgeführt. Die vorliegende Studie im Rahmen des BMDV-Expertennetzwerks „Wissen - Können - Handeln“ wurde durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) finanziert. Das BMDV-Expertennetzwerk ist ein verkehrsträger- und behördenübergreifendes Forschungsformat in der Ressortforschung des BMDV. Unter dem Leitmotiv „Wissen - Können - Handeln“ haben sich sieben Ressortforschungseinrichtungen und Fachbehörden des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) 2016 zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Ziel ist es, drängende Verkehrsfragen der Zukunft in den Bereichen Klimawandel, Umweltschutz, zuverlässige Infrastruktur, Digitalisierung, erneuerbare Energien und verkehrswirtschaftliche Analysen zu erforschen. Literatur [1] Jan-Iwo Jäkel, „Ein ganzheitlicher Systemansatz zur (teil-)automatisierten Generierung von digitalen Bestandsmodellen der Verkehrsinfrastruktur,“ in Tagungsband zum 31. BBB-Assistent: innentreffen, Innsbruck, 2022, p. 150. [2] Deutsche Bahn AG (Hrsg.), „Faktenblatt Eisenbahnbrücken bei der Deutschen Bahn,“ 2019. 178 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in der Betriebsphase von Ingenieurbauwerken [3] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), „Infrastruktur-Statistik,“ 2022. [Online]. Verfügbar: https: / / bmdv.bund.de/ Shared- Docs/ DE/ Artikel/ G/ infrastruktur-statistik.html [Zugriff am 27.04.2023]. [4] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) (2022), „Infrastruktur-Statistik,“ 2022. [Online]. Verfügbar: https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ G/ infrastruktur-statistik.html [Zugriff am 27.04.2023]. [5] mFUND-Projekt, SCHLUSSBERICHT „Digitale Instandhaltung von Eisenbahnbrücken (DiMaRB),“ 2022. [6] Jan-Hauke Bartels, Masterarbeit „Digitales Instandhaltungskonzept für Eisenbahnbrücken“, Leibniz Universität Hannover, 2020. [7] Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Stufenplan Digitales Planen und Bauen. Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken, Berlin, Dezember 2015. [8] Frederik Wedel, Daniel Opitz, Christoph Tiedemann, Markus Meyer-Westphal, „smartBRIDGE Hamburg - die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings,“ in Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur, 2021. [9] Borman, A., König, M., Koch, C., Beetz, J., Building Information Modeling - 2. Auflage, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2021. [10] DB Netz AG, Richtlinie 804 - Eisenbahnbrücken (und sonstige Ingenieurbauwerke) planen, bauen, instandhalten; Modul 804.8001ff - Inspektion von Ingenieurbauwerken, 2020. [11] Deutsches Institut für Normung, DIN 1076: 1999- 11 Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen, 1990. [12] SAP SE: SAP R/ 3 Netz Release 760 (Computerprogramm). [13] WPM - Ingenieurgesellschaft für Bauwesen und Datenverarbeitung mbH, SIB Bauwerke 1.92 (Computerprogram), 2016. [14] Anna Bodenko, „Building Information Modeling (BIM) in der Betriebsphase,“ in Zwischenbericht des Themenfeld 3 im BMDV-Expertennetzwerk für den Zeitraum 2020-2022, Veröffentlichung in Vorbereitung, 2023. [15] Robert Hartung, „Vorgehensweise zur Bewertung von Schäden an Ingenieurbauwerken auf Basis objektorientierter Bauwerksmodelle,“ 2021. [16] DIN EN ISO 19650-1: 2019 „Organisation und Digitalisierung von Informationen zu Bauwerken und Ingenieurleistungen, einschließlich Bauwerksinformationsmodellierung (BIM) - Informationsmanagement mit BIM - Teil 1: Begriffe und Grundsätze“, 2019. [17] Deutsches Institut für Normung, DIN SPEC 91391- 1: 2019-04 „Gemeinsame Datenumgebungen (CDE) für BIM-Projekte - Funktionen und offener Datenaustausch zwischen Plattformen unterschiedlicher Hersteller - Teil 1: Module und Funktionen einer Gemeinsamen Datenumgebung; mit digitalem Anhang“, 2019. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 179 Integrationsansätze von SHM-Messdaten in BIM-Modelle von Brückenbauwerken Martin Köhncke, M. Sc. Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg Dr.-Ing. Francesca Marsili Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Henke Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg Zusammenfassung Der Erhalt der uneingeschränkten Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit von Brückenbauwerken im Bundesfernstraßennetz mit ca. 39.000 Brücken ist eine große Herausforderung. Die Digitalisierung und deren Vorteile werden bisher in diesem Kontext noch nicht vollumfänglich bzw. kaum genutzt. Ein großer Nutzen eines „Digitalen Zwillings“ eines Brückenbauwerks resultiert vornehmlich aus der Darstellung und zur Verfügungstellung des jeweils aktuellen Bauwerkszustands. Dadurch können schnellere und eindeutigere Entscheidungen auf Basis des aktuellen Zustands getroffen werden und mögliche Unsicherheiten reduziert werden. Allerdings stehen noch keine nutzbaren „Digitalen Zwillinge“ von bestehenden Brückenbauwerken zur Verfügung. 1. Einführung Ein erster Schritt in diese Richtung stellt die Abbildung von Brücken im Rahmen des Building Information Modelling (BIM) dar. Hierbei werden zentral alle relevanten geometrischen und alphanumerischen Informationen gebündelt. Allerdings erfolgt die Darstellung von Fachmodellen in BIM üblicherweise in klar abgegrenzten Revisionen, wodurch Schwierigkeiten bei der Aktualisierung entstehen können. Insbesondere bei Maßnahmen des Structural Health Monitorings (SHM) werden entgegen des vorher beschriebenen Vorgehens mit diskreten Datenbereitstellungen kontinuierlich Messwerte erfasst, welche den aktuellen Bauwerkszustand beschreiben. Diese sinnvoll mit einem BIM-Model zu verknüpfen, ist eine große Herausforderung. Neben einfachen Links in Datenbanken, wie es aktuell Stand der Technik ist, bieten sich auch alternative Lösungen an, welche die Messwerte direkt in das Modell überführen. Ziel dieses Beitrags ist es, eine strukturierte Übersicht und Bewertung der unterschiedlichen Integrationsansätze zu geben. Die Aufrechterhaltung der Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der Brückenbauwerke im Bundesfernstraßennetz stellt eine Herausforderung dar, welcher zunehmend mit der Digitalisierung der Bauwerksverwaltung begegnet werden soll. Während das Konzept eines „Digitalen Zwillings“ vielfach als Ziel genannt wird, ist die Erreichung mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dafür ist nicht nur ein digitales, geometrisches Abbild der Brückenbauwerke zu erzeugen, welches allein bei ca. 39.000 Brückenbauwerken unter Verkehr in Deutschland nicht trivial ist [1]. Zusätzlich ist ein bidirektionaler Informationsaustausch über den gesamten Lebenszyklus herzustellen. Hierfür gibt es schon Ansätze, die aber bisher noch nicht flächendeckend ausgeführt werden [2]. Allerdings werden zunehmend BIM-Modelle von Brückenbauwerken erstellt. Diese lassen sich in unterschiedlichen Detailgraden entwickeln, sodass damit der Aufwand gesteuert werden kann. Vereinfachte BIM-Modelle bilden eine geeignete Ausgangsbasis für einen dynamischen, monodirektionalen Informationsfluss. Als Anwendungsfall wird hier die Integration von SHM-Messdaten in ein BIM-Modell betrachtet. Dafür werden zunächst verschiedene Ansätze kurz vorgestellt und anschließend entsprechend ihrer Vor- und Nachteile bewertet. Abschließend wird ein Fazit gezogen und ein Ausblick auf die zukünftige Entwicklung von Integrationsansätzen gewährt. 2. Integrationsansätze Die Voraussetzung aller Integrationsansätze in BIM ist die geometrische Repräsentation der Sensoren im digitalen Modell, welche die Messdaten liefern [3]. Aktuell stellen Sensoren noch Sonderbauteile dar, welche teilweise händisch nachmodelliert werden müssen, weil sie nicht in den Standardbauteilbibliotheken enthalten sind. Neben der Verortung im Modell erfüllt die geometrische Repräsentation auch den Zweck, die Sensoreigenschaften aufzunehmen und zum Beispiel den Abgleich mit den erfassten Umweltbedingungen zu ermöglichen, sodass bspw. geprüft werden kann, ob ein Sensor in dem zulässigen Temperaturbereich arbeitet. 180 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Integrationsansätze von SHM-Messdaten in BIM-Modelle von Brückenbauwerken Die Integrationsansätze lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen, (i) die Einbettung der Messwerte direkt in die Datenstruktur der Industry Foundation Classes (IFC) und (ii) die Verlinkung auf die Daten, welche in anderen Formaten oder Datenbanken gespeichert werden [4]. Ein weiterer Ansatz ist die Verknüpfung über eine Common Data Environment. Diese bietet zwar eine eigene Datenverwaltung aber nicht die notwendige Flexibilität, weshalb dieser Ansatz an dieser Stelle nicht weiter betrachtet wird. Die Ansätze können unterschiedlich umgesetzt werden und an die Rahmenbedingungen eines Projektes angepasst werden. Hierbei sind insbesondere die verfügbaren Softwarelösungen und die zur Verfügung stehenden Ressourcen ein limitierender Faktor. Zunächst wird in diesem Beitrag der Ansatz der Einbettung der SHM- Messdaten und anschließend die Verlinkung von SHM- Messdaten betrachtet. 2.1 Eingebettete SHM-Messdaten Der Ansatz, die SHM-Messdaten direkt in den Sensor einzubetten, setzt an dem Punkt der geometrischen Repräsentation an und fügt die Messwerte und den Messzeitpunkt als Eigenschaften ein. Dabei werden mit jedem neuen Messzeitpunkt die bisherigen Werte überschrieben. Ein manuelles Vorgehen ist besonders bei hohen Messfrequenzen und großen Anzahl an Sensoren nicht mehr sinnvoll abbildbar, weshalb für diesen Ansatz wenigstens eine Teilautomatisierung sinnvoll ist. Diese kann zum Beispiel die Messdaten zu definierten Zeitpunkten nach Bedarf oder in einer entsprechenden Frequenz aktualisieren. Die Vorteile dieses Ansatzes sind die einfache Umsetzung und leichte Anpassbarkeit. Zusätzlich lassen sich die Messdaten aus dem BIM-Model auslesen und ggf. weiterverarbeiten. Die Nachteile sind die geringe Aussagekraft einzelner Messdaten und die fehlende Möglichkeit, die Messdaten in ihrem zeitlichen Verlauf zu betrachten. Eine Variation dieses Ansatzes bindet statt der einzelnen Messdaten, welche aktualisiert werden, Abbildungen von Diagrammen der zeitlichen Messdatenverläufe ein. Dadurch kann der Verlauf der Messdaten betrachtet werden und die Plausibilität der Daten an sich oder das Überschreiten eines Grenzwertes geprüft werden. Dafür ist allerdings zunächst festzulegen, welche Zeithorizonte dargestellt werden sollen. Die Grenzwerte sind ebenfalls sensorspezifisch festzulegen, hierbei kommen der Bauwerksstruktur und dem Bauwerkszustand eine bedeutende Rolle zu, da diese einen direkten Einfluss auf die bauwerksspezifischen Grenzwerte haben. Dabei ist zu beachten, dass Bauwerke als Unikate in ihrer jeweiligen Umgebung zu sehen sind, weshalb das einfache Übernehmen von Grenzwerten ohne vorherige Prüfung nicht zielführend ist. Die beispielhafte Einbettung der Messdaten einer Wetterstation ist in der Abbildung 1 dargestellt. Abb. 1: Einbettung der Messdaten einer Wetterstation Je nach Anzahl der Sensoren und Anzahl der Diagramme kann die Größe der IFC-Datei dadurch stark steigen. Beiden Ansätzen ist gemein, dass ein entsprechendes Skript zur Aktualisierung der Messdaten und der Abbildungen entwickelt werden muss. Manche Modellierungssoftwarepakete, wie zum Beispiel Autodesk Revit, bieten die Möglichkeit über integrierte grafische Programmierschnittstellen derartige Skripte mit geringem Aufwand zu erstellen [5]. Allerdings sind die Datenverarbeitungskapazitäten dieser Lösungen oft stark eingeschränkt und stehen nur im proprietären Dateiformat der Modellierungssoftware zur Verfügung. Dadurch entstehen Einschränkungen bei der möglichen Weiterverarbeitung der Messdaten. 2.2 Verlinkte SHM-Messdaten Die Verlinkung von Messdaten unterscheidet sich von der Einbettung lediglich durch die Referenz auf die gewünschten Informationenstattdiese Informationen direkt in der IFC-Datei zu speichern. Hierbei werden zwei mögliche Vorgehensweisen unterschieden. Zum einen kann auf Informationen oder Dateien direkt am Bauteil verlinkt werden, die dann zum Beispiel durch einen Webserver oder ggf. auch nur lokal bereitgestellt werden. Zum anderen kann direkt auf externe Ressourcen verlinkt werden, wie zum Beispiel Datenbanken, die dann über den Link geöffnet werden [3,6]. Bei der ersten Vorgehensweise können zum Beispiel Diagramme der Messdaten, wie sie im ersten Integrationsansatz eingeführt wurden, verlinkt werden. In Abbildung 2 ist eine entsprechende Abbildung von weiterverarbeiteten Messdaten einer Wetterstation verlinkt, welche mit einem Klick auf die Wetterstation aufgerufen werden können. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 181 Integrationsansätze von SHM-Messdaten in BIM-Modelle von Brückenbauwerken Abb. 2: Verlinkung des Windrosen-Diagramms mit der Wetterstation Die Aktualisierung kann dann durch die Revisionsregelung eines Webservers realisiert werden, ohne dass direkt Veränderungen in der IFC-Datei vorgenommen werden müssen [4]. Die entsprechenden IFC-Dateien bleiben dadurch auch in ihrer Größe überschaubar, während die Auflösung der Diagramme deutlich erhöht werden kann. Bei der Verlinkung zu externen Ressourcen wie Datenbanken können auch deutlich mehr Messdaten angezeigt bzw. bei der Visualisierung berücksichtigt werden. Dadurch kann ein besserer Überblick über die Entwicklung erlangt werden. Dabei muss aber bedacht werden, dass alle Nutzer ebenfalls Zugriff auf diese Ressourcen benötigen, damit diese auch von allen Projektbeteiligten entsprechend genutzt werden können. Insbesondere bei Zugriffen von außerhalb einer Organisation können hier Bedenken bzgl. des Datenschutz und der Datensicherheit entstehen. Aktuell besteht hier noch großer Handlungsbedarf, da eine Standardisierung hier noch nicht vorhanden ist und oft projektspezifische Lösungen entwickelt werden. Diese Lösungen lassen sich dann allerdings nicht auf weitere Projekte übertragen, wenn sich die Softwarelandschaft geändert hat. Die Vorteile der Verlinkung liegen in der Möglichkeit, wichtige zusätzliche Informationen auch außerhalb der eigenen Organisation bereitzustellen, welche unabhängig vom Modell aktualisiert werden können. Zusätzlich können die besonderen Funktionen von spezifischen externen Ressourcen, wie Datenbanken, genutzt werden. Allerdings geht mit der Verlinkung der Informationen die Möglichkeit verloren, direkt aus dem Model die Informationen zu beziehen und weiterzuverarbeiten. Hier ist ebenfalls zu bedenken, dass manche verlinkte Informationen wie Bilder aktuell noch nicht in maschineninterpretierbarer Form vorhanden sind und deshalb einen vollständig digitalen Prozess ggf. beeinträchtigen können. Fazit und Ausblick Es lässt sich feststellen, dass beide Wege der Integration von Messdaten zu nutzbaren Ergebnissen führen. Die Eignung der Ansätze hängt dabei stark vom Kontext des Projekts und den jeweils vorab zu definierenden Anwendungsfällen ab und kann a priori entsprechend nicht pauschal bestimmt werden. Die einfache Umsetzung der Einbettung der Messdaten steht der schlechten manuellen Nutzbarkeit gegenüber, besonders bei einer großen Anzahl an Sensoren, während bei der Verlinkung der einfachen Aktualisierung der Messdaten und Diagramme eine ggf. eingeschränkte Weiterverarbeitbarkeit der verlinkten Informationen gegenübersteht. Die aktuellen Entwicklungen in diesem Feld lassen auch die Hoffnung auf eine baldige Verbesserung der Ansätze zu, wenn die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Die Weiterentwicklung der Standardisierung für Datenintegrationen und Datenmodelle stellen solche Voraussetzungen dar [7]. Die aktuellen Integrationsansätze werden durch das bisherige revisionsgetriebene Vorgehen der BIM-Methode eingeschränkt. Neue Ansätze, die sich an der Industrie 4.0 orientieren, bieten große Potenziale, da diese oft bereits eine Echtzeit-Aktualisierung ermöglichen. Allerdings bedarf es hier noch Anpassungen an die Besonderheiten des Bauwesens, wie zum Beispiel den Umgang mit einer großen Anzahl an Unikaten, welche unterschiedliche Eigenschaften besitzen aber dennoch der gleichen Kategorie zuzuordnen sind. Ein weiterer Ansatz stellt die Nutzung von Softwareanwendungen aus der Spieleentwicklung dar. Diese nutzen die geometrischen und alphanumerischen Informationen von BIM-Modellen und ergänzen sie um die Möglichkeiten der Visualisierung und Interaktion innerhalb der Softwarelösungen zur Spieleentwicklung. Beide Ansätze lassen auf eine baldige Zunahme der Digitalisierung in der Bauwerksverwaltung hoffen. Danksagung Die Autoren Martin Köhncke, Francesca Marsili, Sascha Henke und Sylvia Keßler des Forschungsprojekts SHM bedanken sich für die Förderung bei dtec.bw - Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr.dtec.bw wird von der Europäischen Union - NextGenerationEU finanziert. Literatur [1] I. May und C. Rösner, „Skalierbare Technologie zur Erstellung von 3-D Digital Twins für Bestandsbrücken“, Bautechnik, Jg. 99, Nr. 2, S. 143-149, 2022, doi: 10.1002/ bate.202100113. [2] M. Wenner, F. Wedel, O. Hahn und C. Ullerich, Der digitale Zwilling - Grundlage für die prädiktive In- 182 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Integrationsansätze von SHM-Messdaten in BIM-Modelle von Brückenbauwerken standhaltung der Infrastruktur“, Deutscher Betonverein, Nr. 51, S. 15-19, 2021. [3] M. Valinejadshoubi, A. Bagchi und O. Moselhi, „Managing Structural Health Monitoring Data Using Building Information Modeling“, SMAR 2017- Fourth Conference on Smart Monitoring, Assesment and Rehabilitation of Civil Structures, 2017. [4] F. Wedel, R. Hartung und M. J. Bange, „Die Rolle von BIM im digitalen Zwilling“, Deutscher Betonverein, Nr. 51, S. 21-25, 2021. [5] G. Desogus, E. Quaquero, G. Rubiu, G. Gatto und C. Perra, „BIM and IoT Sensors Integration: A Framework for Consumption and Indoor Conditions Data Monitoring of Existing Buildings“, Sustainability, Jg. 13, Nr. 8, S. 4496, 2021, doi: 10.3390/ su13084496. [6] A. Del Grosso, P. Basso, L. Ruffini, F. Figini und M. Cademartori, „Infrastructure management integrating SHM and BIM procedures“, SMAR 2017-Fourth Conference on Smart Monitoring, Assesment and Rehabilitation of Civil Structures, 2017. [7] buildingSMART International, Enabling an Ecosystem of Digital Twins. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.buildingsmart.org/ wp-content/ uploads/ 2020/ 05/ Enabling-Digital-Twins-Positioning-Paper-Final.pdf (Zugriff am: 27. April 2023). 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 183 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Wie kann Building Information Modeling (BIM) zur Erfolgsstory werden? Dipl.-Ing. (FH) Stephan Müller Dorsch International Consultants GmbH, Berlin Prof. Dr.-Ing. Jan Akkermann KREBS+KIEFER Dorsch Gruppe, Karlsruhe Zusammenfassung Neubau-, Sanierungs-, Erweiterungs- und Instandsetzungsplanungen von Verkehrswasserbauwerken setzen sich nahezu immer mit zum Teil sehr alter Bauwerkssubstanz auseinander. Im Kontext von Digitalisierung und BIM sind Bestandsmodelle ein wichtiger Startpunkt. Ein Bauwerksinformationsmodell, welches oftmals in ganzheitlicher Abschnittsbetrachtung von Wasserstraßen mit Teilmodellen abzubilden ist, dient als Basis der weiteren Instandhaltungs- und Neubauplanung. Die im Verkehrswasserbau im Vergleich zum Hoch- und Brückenbau noch relativ unerprobte Anwendung der BIM-Methodik steht vor der Herausforderung überwiegend unikatärer Bauwerke. Der Beitrag gibt anhand eines Praxisbeispiels einen Einblick in Digitalisierungsansätze im Konstruktiven Verkehrswasserbau und legt hierbei den Fokus auf Besonderheiten und Best Practice. 1. Einführung 1.1 BIM im Bereich des Wasserbaus Ausgehend vom bereits 2009 vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) veröffentlichten Stufenplan Digitales Planen und Bauen [1] hat sich die BIM- Methode auch im (Verkehrs-)Wasserbau zunehmend verbreitet. Neben Pilotprojekten zur Anwendung der Methode-[2], [3] im Hoheitsbereich der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) hat sich auch die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) mit den generellen Anforderungen an die Digitalisierung des Planungs- und Realisierungsprozesses auseinandergesetzt [4]. Im Vergleich zu den Verkehrsträgern Straße und Schiene, bei denen sich BIM mittlerweile in allen Projektphasen mehr oder weniger etabliert hat, ist der BIM-Reifegrad im Wasserbau weniger ausgeprägt. Dies liegt vor allem in der geringeren Anzahl an Projekten und dem oftmals unikatären Charakter derselben begründet. Die Standardisierung von Objekten und Attributen - gerade auch in Verbindung mit kommerziellen Softwareanwendungen - fällt daher zunächst schwerer. Anhand des folgenden Beispiels wird exemplarisch verdeutlicht, dass dennoch eine Digitalisierung für die Grundlagenermittlung sowie auch der unterschiedlichsten BIM-Anwendungsfälle in der darauffolgenden gelingt. 1.2 BIM-Anwendungsfälle Wie auch bei anderen Infrastrukturprojekten [6] ist das Spektrum der BIM-Anwendungsfälle (AwF) im Wasserbau weit gefächert (Tab. 1). 184 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Tab. 1: Beispiele für wesentliche BIM-Anwendungsfälle der Infrastruktur und Reifegrad im Wasserbau BIM-AwF Beispiel Reifegrad Wasserbau Anmerkungen Bestandserfassung Digitaler Zwilling nach Aufmaß, terrestrischem Laserscan, UAV- Photogrammetrie sowie Hydrografie mittel Bestandsdigitalisierung bedarf aufwendiger Zusammenführung von Informationen. Koordination der Fachgewerke Koordination Objekt- und Tragwerksplanung, Geotechnik, Stahlwasserbau, Maschinenbau u. a. mittel-hoch Integrale Planung setzt Datenkompatibilität voraus (open BIM). Visualisierungen Integration in Geländemodell für Projektkommunikation und Öffentlichkeitsarbeit mittel 3D-Visualisierung aus Modell ableitbar. Einbindung in Geländevisualisierung aufwendig. Erstellung von Entwurfs- und Genehmigungsplänen 2D-Planableitung aus 3D-Bauwerksmodell hoch Standardapplikation innerhalb Fach-Software Kostenschätzung und Kostenberechnung Ableitung von Kosten aus 3D-Modellierung über Massen hoch Schnittstelle zwischen Planungs- und AVA-Software Terminplanung der Ausführung 4D-Bauablaufplanung - Erprobung von Bauphasen hoch Schnittstelle Planung zu Ausführung zu definieren. Nutzung für Betrieb und Erhaltung Überführung des As-built-Modells zum Betreibermodell und Modellübergabe an Erhaltungsmanagement hoch Anforderungen für Infrastrukturmanagement definieren. Die Vereinheitlichung von Objekten und denen zugehörigen Attributen ist im Vergleich zum Hochbau noch relativ gering ausgeprägt. Beispiele können dem neuen BIM-Portal des Bundes [6] entnommen werden. Während die 3D-Modellerstellung und 2D-Planableitung - je nach verwendetem Softwarepaket - mittlerweile relativ problemlos erfolgt, ergibt sich an den Kollaborationsschnittstellen zwischen Beteiligten erhöhter Abstimmungsbedarf. Dies gilt sowohl für den Planungsbeginn als auch insbesondere beim Übergang von der Planung in die Ausführung [7]. 2. Bestandsdigitalisierung Ein BIM-Projekt in der Infrastrukturplanung ist nur so gut wie sein Bestandsmodell. Im Zuge der Grundlagenermittlung für die Erstellung eines Digitalen Zwillings (IST-Abbildung) werden jedoch häufig Unwägbarkeiten festgestellt wie: • unvollständige und widersprüchliche Bestandsunterlagen, • Bestandsdaten in unstrukturierten Einzeldateien und -dokumenten, • ungenaue Daten der Medienträger (Sparten) • Vermessung unspezifisch, • Ansprechpartner Unterhaltungsträger zuweilen unklar, • Fotodokumentation lückenhaft, • Zugänglichkeit eingeschränkt. Wie auch bei der Neuplanung gilt es zudem die Ziele der Bestandsmodellierung abzustecken. Es ist es sehr wichtig, dass sich Auftraggeber und Planer zu Beginn gemeinsam um die Informationsanforderungen zur Erreichung der Projektziele Gedanken machen und eine sinnvolle Modellstruktur, -informationstiefe und notwendige Attribute definieren. Es gilt im Rahmen der Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) mit der projektspezifischen Informationsbedarfstiefe (LOIN) zu klären, was genau von der veranlassenden Organisation (Organisatorische Informationsanforderungen - OIR), für den Infrastrukturbetreiber (Asset-/ Betreiberrelevante Informationsanforderungen - AIR) und für das jeweilige Projekt (Projekt-Informationsanforderungen - PIR) benötigt wird. Hieraus resultiert ein projektspezifisches Anforderungsmanagement zum Informationsaustausch (EIR) auf Basis der BIM-Anwendungsfälle (Tab. 1). Darüber hinaus muss die konsistente und widerspruchsfreie Verfügbarmachung aller Daten in einem Common Data Environment (CDE) vorab geklärt werden (Bild 1). 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 185 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Abb. 1: Individuelle Projektrandbedingungen und gemeinsame Datenumgebung 2.1 3D-Bestandsmodell Schleuse und Schifffahrtskanal Berlin-Neukölln Die Dorsch Gruppe wurde von der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz Berlin mit der Erstellung eines umfassenden 3D-Bestandsmodells des Neuköllner-Schifffahrts-Kanals (NSK) einschließlich der Schleuse Neukölln beauftragt. Das Bauwerksinformationsmodell mit einer Gesamtlänge von vier Kilometern in der Bundeshauptstadt wird als Datenbasis umfangreicher Planungsmaßnahmen zur Instandsetzung und Ertüchtigung der Ufereinfassungen sowie dem Neubau der Schleuse dienen. Abb. 2: Bestandsdigitalisierung Schleuse Berlin-Neukölln: Bearbeitungsumfang Das BIM-Modell sollte auf dem aktuellen Bestand basieren und alle wesentlichen Teile der zu erneuernden und angrenzenden Bauwerke abbilden (Bild 2). Das Ziel bestand in der objektorientierten Modellierung mit der Fähigkeit zur Ausleitung von Geometrien, Mengen- und Kosten sowie der Möglichkeit von späteren Ergänzungen für weiterführende Planungen. Die Bestandsdaten gestalteten sich aufgrund des Projektumgriffs von 4 km Kanallänge als sehr heterogen (Tab. 2), so dass eine aufwendige Zusammenführung der verfügbaren Informationen in insgesamt 104 Teil- und Submodelle erfolgte. Die Festlegung der Modellstruktur (Bild-3) erfolgte hierfür im BIM-Abwicklungsplan gemeinsam mit den Informationsbestellern (Auftraggeber und Unterhaltungsträger). In regelmäßigen Projektbesprechungen wurde anhand der Koordinationsmodelle (Bild-6) der Fertigstellungsgrad besprochen. 186 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Tab. 2: Eingangsdaten Bestandsmodell Datenquelle Methode Besonderheit Bestandspläne 2D-Bestandpläne 80 Aktenordner unstrukturierte Papierdokumentation Bestandsunterlagen Bauwerksbücher und Prüf berichte Bestandsschleuse, 14 Brückenbauwerke Fotodokumentation Ortsbesichtigung, Schiffsbefahrung unterschiedliche Quellen, analog und digital Geschichte Historisches Archiv bauzeitliche Informationen Vermessung klassische Bestandsvermessung mehrere Beauftragungen Geomatik Punktwolken Laserscan durch Schiffsbefahrung Drohnenbefliegung Befliegung mit Kameradrohne Videoaufnahmen für Animationsfilm Bathymetrie Vermessung Kanalsohle mit Fächerecholot vier verschiedene Vermessungsverfahren Abb. 3: Organisation Fachmodelle und Teilmodelle (Anlage zum BIM-Projektabwicklungsplan) Anhand eines Pilot-Uferabschnitts erfolgte die Erprobung des notwendigen LOD der einzelnen Kanalabschnitte und Einzelbauwerke, der Attribuierung der Objekte sowie eines Darstellungs-Farbkonzepts zur Datenausgangslage. 2.2 Integration Bestandsdaten Am eigentlichen Planungsobjekt, der Schleuse Neukölln, können anhand der vorhandenen Bauwerks-Inspektionsdaten erweiterte Informationen in das Modell eingepflegt und abgerufen werden (Bild 4). Damit stehen am Digitalen Zwilling auch Informationen für das Erhaltungsmanagement zur Verfügung und können visuell dargestellt werden. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 187 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Abb. 4: Integration von Bauwerks-Inspektionsdaten in den Digitalen Zwilling Quelle: Dorsch International Consultants 2.3 Visualisierung und Projektkommunikation Für die Kommunikation des Projektes durch die Senatsverwaltung Berlin wurde ein auf dem Digitalen Zwilling (Gesamtmodell) basierender Animationsfilm erstellt [8]. Hierbei hat sich die Integration der Umgebung, wenn auch in unterschiedlichem Detaillierungsgrad, als für die Anschauung sehr vorteilhaft erwiesen (Bild 5). Es wurden die Fahrten zweier Güter- und eines Personenschiffs simuliert und in den Kontext der vorhandenen Gewässergrundmorphologie sowie der Lichtraumprofile und Trassierungen gestellt. Abb. 5: Visualisierungen des Kanals im Film für Öffentlichkeitsarbeit Quelle: Dorsch International Consultants 3. Fazit Auch im Verkehrswasserbau gewinnt die BIM-Methode zunehmend an Bedeutung. Bei den immer im Kontext zum vorhandenen Verkehrsweg stehenden Bauwerken sind die Informationsanforderungen an das digitale Bestandsmodell detailliert hinsichtlich vorhandener Bestandsdaten und dem Zweck der Informationen im Vorfeld abzustimmen. Eine detaillierte Projektvorbereitung erlaubt zudem die konsistente Integration des Neubaumodells in den Bestand. Hierbei ist die Bestandsdetaillierung (LOD) im Vorfeld zu klären. Die Bauwerke bedingen zumeist eigenständige Objekte, für die es i. d. R. keine Vorlagen gibt. Die Schnittstellen im Rahmen von open BIM sind daher aktuell noch zwischen den Planungsbeteiligten intensiver abzustimmen als in andren Bereichen des Bauwesens. Auch im Verkehrswasserbau haben die Planungsbeteiligten die Potentiale und Herausforderungen der BIM-Methode erkannt, was man an der zunehmenden Anzahl von BIM-Projekten - entweder von Auftraggeberseite motiviert oder intrinsisch im Planungsteam betrieben - erkennt. 188 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Abb. 6: Koordination Fachmodelle und Teilmodelle Literatur [1] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (2015) Stufenplan Digitales Planen und Bauen. Stand Dezember 2015. [2] Peschken, G.; Wachholz, T.; Bödefeld, J. (2017) BIM im Verkehrswasserbau. Bautechnik 94, H. 8, S. 509-513. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.201700065 [3] Wissel, J.; Küßner, M. (2018) BIM-Grundlagen für die WSV-Pilotprojekte in: Bundesanstalt für Wasserbau [Hrsg.] Digitalisierung im Verkehrswasserbau. BAW-Kolloquium, Hannover, 21. Nov. 2018. Karlsruhe: BAW, S. 29-37. https: / / hdl.handle. net/ 20.500.11970/ 106112 [4] Heinzelmann, C.; Bödefeld, J.; Duric, Z. (2020) Digitalisierung im Verkehrswasserbau. Bautechnik 97, H. 6, S. 441-445. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202000029 [5] planen-bauen 4.0 (2022) BIM-Portal des Bundes [online]. Berlin: planen-bauen 4.0. https: / / via.bund. de/ bim/ infrastruktur/ landing [7] Tschickardt, T.; Krause, D.; Akkermann, J. (2018) Entwicklung und Evaluation von BIM-4D-Methoden am Beispielprojekt Gateway Gardens Los 2, Frankfurt/ Main. Bautechnik 95, H. 7, S. 453-462. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.201800026 [8] Senatsverwaltung Berlin, Dorsch Gruppe (2023) Neubau Schleuse Neukölln [Video]. Dublin: Google Ireland Limited. https: / / youtu.be/ M1RB158ebOY [9] Wilde, E.; Schäfers, M.; Braun, N. (2020) Wehranlage Viereth: Vorteile einer durchgängigen Bearbeitung mit der BIM-Methode im komplexen Stahlwasserbau. Stahlbau 89, H. 5, S. 455-464. https: / / doi.org/ 10.1002/ stab.202000017 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 189 Die deutschlandweit erste interaktive VR-basierte Schulungssoftware im Baugewerbe: TOUGH Berna Top, M. Sc. HOCHTIEF PPP Solutions GmbH & TOUGH Training GmbH, Essen Zusammenfassung Die Baubranche ist eine der risikoreichsten Branchen, in der viele Unfälle und Verletzungen auftreten. Um die Sicherheit am Arbeitsplatz zu verbessern und das Risiko von Unfällen zu minimieren, kann die Verwendung von Schulungen basierend auf einem Gaming-Ansatz einen wichtigen Beitrag leisten. Hierbei wird die Technologie der Computerspiele für reale Zwecke, nämlich die Aus- und Weiterbildung genutzt - sei es am Desktop beim Durchlaufen verschiedener Szenarien. Und zusätzlich durch den Einsatz von Virtual Einsatz (VR). Dies ermöglicht den Mitarbeitenden, gefährliche Situationen in einer sicheren virtuellen Umgebung zu simulieren und sich so auf reale Situationen vorzubereiten. Die Effektivität der Schulungen und das Behalten der Schulungsinhalte wird hierdurch deutlich erhöht, getreu dem Motto ERLEBEN - ERLERNEN - ANWENDEN. Am Beispiel der Straßenwärter und deren Tätigkeit im Verkehrsraum wird dies erläutert. Vor allem für neue Mitarbeiter oder Auszubildende sind Schulungen im Verkehrsraum praktisch undenkbar. Durch digitale Schulungen mit VR können im Vergleich zum rein theoretischen Frontalunterricht - den Teilnehmern ein realistischeres und immersiveres Trainingserlebnis bieten. Durch die interaktive Natur der Gaming-basierten Schulungen können die Teilnehmer außerdem ihr Verständnis für Arbeitsstellen, Verkehrsregeln und -verhalten verbessern. Eine genauere Erläuterung der Problematik und ein direkter Ansatz zur Lösung dieses Problems und zur Verbesserung des Fachkräftemangels wird in diesem Artikel anhand des Berufes der Straßenwärter genauer erklärt. 1. Die grundlegende Herausforderung Sicherheit am Arbeitsplatz ist ein wichtiges Thema in allen Branchen. Insbesondere für Berufe in der Baubranche mit hohem Risiko für Unfälle oder Verletzungen ist die Sicherheit am Arbeitsplatz von entscheidender Bedeutung. Die Arbeitsbedingungen auf Baustellen sind oft gefährlich und es ist wichtig, dass die Mitarbeiter regelmäßig geschult werden, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Allerdings haben viele Bauarbeiter Schwierigkeiten, regelmäßige Schulungen zu besuchen, da sie oft an verschiedenen Standorten arbeiten und es schwierig ist, alle Mitarbeiter zur gleichen Zeit an einem Ort zu versammeln. Zudem sind die Schulungen überwiegend theoretisch, praktische Übungen sind nahezu undenkbar. Neben der Verbesserung der Sicherheit am Arbeitsplatz kann die Verwendung von digitalen Schulungen, speziell der Verwendung von VR-Schulungen, auch zur Lösung des Fachkräftemangels in der Baubranche beitragen, da es in vielen Branchen und Berufsfeldern nicht genügend qualifizierte Fachkräfte gibt, um offene Stellen zu besetzen. Dies kann zu einer Vielzahl von Problemen führen, wie z. B. Einschränkungen des Wachstums von Unternehmen oder einer erhöhten Arbeitsbelastung für bestehende Mitarbeiter. Ein Beispiel für einen Beruf, der von Fachkräftemangel betroffen sein kann, ist der Straßenwärter. Straßenwärter sind für die Instandhaltung von Straßen und Autobahnen verantwortlich und müssen ein breites Spektrum an Fähigkeiten haben, wie z. B. Kenntnisse in der Verkehrssteuerung, Straßenbau und -reparatur, Winterdienst, etc. In einigen Regionen kann es schwierig sein, qualifizierte Straßenwärter zu finden, insbesondere in ländlichen Gebieten oder in Zeiten von Hochkonjunktur. Sowohl der Mangel an qualifiziertem Personal, als auch der erhöhten Notwendigkeit von weiteren Maßnahmen zur Steigerung der Sicherheit der Mitarbeitenden kann dazu führen, dass die Instandhaltung von Straßen und Autobahnen vernachlässigt wird, was wiederum zu Sicherheitsproblemen für Verkehrsteilnehmer führen kann. Um die Instandhaltung von Straßen und Autobahnen zu gewährleisten und die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten, ist es oft notwendig, dass Unternehmen und Regierungsbehörden innovative Lösungen finden, um den Mangel an qualifizierten Straßenwärtern in ländlichen Gebieten oder in Zeiten von Hochkonjunktur zu überwinden. Um diesen grundlegenden Problemen entgegenzuwirken werden digitale Schulungen mithilfe von Virtual Reality angeboten, die den Mitarbeitern ein realistisches und 190 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die deutschlandweit erste interaktive VR-basierte Schulungssoftware im Baugewerbe: TOUGH interaktives Schulungserlebnis bieten soll. Um die Notwendigkeit für die Einführung solcher Schulungen genauer zu beurteilen, wird im weiteren Artikel über die Vorteile und Möglichkeiten der Computer- und Gaming Technologie in Schulungen zur Verbesserung der Sicherheit von Arbeitern, mit besonderem Bezug auf die Sicherheit von Straßenwärtern, erläutert. 2. Lösungsansatz Die Gaming basierte Schulung ist eine beeindruckende Technologie, die in den letzten Jahren immer beliebter geworden ist. Die Möglichkeiten, die die Schulung mit Hilfe der Computer- und Gaming Technologie bietet, sind vielfältig, insbesondere im Bereich der Schulungen. Im Verkehrswesen ist dies eine besonders wichtige Schulungsmethode, da es lebenswichtige Fähigkeiten vermitteln kann, die für die Sicherheit im Straßenverkehr unerlässlich sind. Auszubildende können durch die Nutzung von VR eine realitätsnahe Erfahrung erleben, ohne tatsächlich auf der Baustelle zu sein. Das bedeutet, dass sie gefährliche Situationen wie Unfälle sicher erleben können, ohne dabei einem Risiko ausgesetzt zu sein. Darüber hinaus können sie lernen, wie man in unerwarteten Situationen reagieren muss, ohne dabei ihre eigene Sicherheit oder die Sicherheit anderer zu gefährden. Allgemein betrachtet sind digitale Schulungen kostengünstiger und effektiver als herkömmliche Schulungsmethoden. Schulungen mit echten Fahrzeugen oder an realen Baustellen und Schulungen mit einer großen Anzahl von Schülern sind oft nicht möglich oder sehr teuer und können aufgrund von begrenzten Ressourcen nur bedingt angeboten werden. Mit digitalen Schulungen, beispielsweise zu nennen ist die Durchführung von VR-Schulungen, können mehr Schüler gleichzeitig geschult werden, ohne dass zusätzliche Ressourcen benötigt werden. Darüber hinaus können diese Schulungen zu weiteren Verbesserungen beitragen. Im Falle des Straßenbaus trägt die Verwendung zur Verbesserung der Arbeitstätigkeiten bei. Die Teilnehmer können lernen, wie ihre Arbeitsprozesse in der Realität durchgeführt werden müssen und wie sie Risiken erkennen und vermeiden können. Dies trägt weiterhin dazu bei, Unfälle und Verletzungen zu vermeiden und die Sicherheit im Straßenverkehr insgesamt zu verbessern. Die Abbildung 1 veranschaulicht ein exemplarisches Gefahrenszenario in der realen Welt, das im Rahmen einer Schulung dargestellt wird. Hierbei können die Teilnehmer die potenziellen Gefahren, die durch die Annäherung eines LKW in hoher Geschwindigkeit entstehen können, erleben und daraus entsprechende Schlüsse ziehen. Diese Methode der Darstellung von Gefahrenszenarien in realistischen Lerneinheiten kann dazu beitragen, das Verständnis für potenzielle Risiken zu verbessern und damit das Sicherheitsbewusstsein zu erhöhen. Durch die interaktive Natur der VR-Schulungen und der digitalen Schulung im Allgemeinen, können die Teilnehmer außerdem ihr Verständnis für bestimmte Regeln und Verhalten verbessern, welche ebenfalls eine Verringerung der Gefahren auf der Baustelle bedingen. Abb. 1: Darstellung eines Gefahrenszenarios durch einen herannahenden LKW in virtueller Welt verglichen mit den Folgen eines Lastkraftwagens bei einem realen Unfall Abgesehen von der Verbesserung der Sicherheit der Schulungsteilnehmer können digitale Schulungen dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen und die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu steigern. 59 Prozent der Lehrenden bewerten digitale Lernformen als förderlich für die Attraktivität der Bildungseinrichtung und als motivierend für die Teilnehmer. [1] Digitale Schulungen haben sich als wirksames Mittel erwiesen, um Mitarbeiter schnell und effektiv auf neue Technologien, Verfahren und Fähigkeiten zu schulen. Diese Form der Schulung bietet Unternehmen die Möglichkeit, vorhandene Mitarbeiter besser zu qualifizieren und für offene Stellen geeignet zu machen. Die schnelle und effiziente Schulung durch digitale Schulungen kann dazu beitragen, dass Mitarbeiter auf dem neuesten Stand bleiben und in der Lage sind, den sich ständig ändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Ein weiterer Vorzug, der sich aus der Möglichkeit ergibt, neue Fähigkeiten über digitale Schulungsmethoden zu erwerben, besteht darin, die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen zu erhöhen. Zudem erhöhen zeitgemäße, bedarfsgerechte und individuelle Schulungen die Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation. Somit trägt die Erweiterung der Qualifikationen von Mitarbeitern zu einer Steigerung der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von Organisationen bei, die dadurch besser in der Lage sind, auf sich verändernde Anforderungen des Marktes zu reagieren. Es ist folglich anzunehmen, dass die Förderung von Weiterbildungsmöglichkeiten für Mitarbeiter eine lohnende Investition für Organisationen darstellt. Die Flexibilität von digitalen Schulungen ermöglicht es den Mitarbeitern, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen in ihrer Freizeit zu erweitern und somit ihre Karriereentwicklung zu fördern. Zusätzlich dazu können digitale Schulungen auch dazu beitragen, den Einstellungsprozess von neuen Mitarbeitern zu erleichtern. Unternehmen können sich auf die Einstellung von Kandidaten konzentrieren, die zwar möglicherweise weniger spezifische Fähigkeiten besitzen, aber durch digitale Schulungen schnell auf die Anforderungen der Stelle vorbereitet werden können. Dies kann dazu bei- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 191 Die deutschlandweit erste interaktive VR-basierte Schulungssoftware im Baugewerbe: TOUGH tragen, den Pool der qualifizierten Bewerber zu erweitern und eine schnellere Einstellung zu ermöglichen. Insgesamt lässt sich sagen, dass digitale Schulungen eine wirksame Methode zur Weiterbildung von Mitarbeitern sind und Unternehmen dabei helfen können, ihre Mitarbeiter besser zu qualifizieren und auf die sich ändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes vorzubereiten. Die Flexibilität von digitalen Schulungen ermöglicht es Mitarbeitern, ihre Karriereentwicklung voranzutreiben und Unternehmen, ihren Einstellungsprozess zu optimieren. Die dargestellten Vorteile der digitalen Schulungen im Vergleich zu herkömmlichen, stark theoretisch ausgerichteten Schulungen wurden bereits in der Forschung empirisch nachgewiesen. Wie in Abbildung 2 zu erkennen ist, lässt sich durch die Verwendung von VR eine Verringerung der zu erbringenden Zeit zum Erlernen neuer Inhalte feststellen. In Zahlen ausgedrückt lassen sich Lerninhalte mittels VR binnen 29 Minuten erlernen, während beim klassischen Frontaltraining gleiche Ergebnisse erst nach 120 Minuten erlernt wurden. Nicht nur wurde durch VR die aufzubringende Zeit zum Erlernen neuer Inhalte gekürzt, ebenfalls wurde eine Erinnerungs-Rate von den erlernten Inhalten von 75 % erzielt. Vergleichsweise dazu liegt die Erinnerungsrate von anderen Lernmethoden deutlich niedriger (Vorträge 5 %, Lesen 10 % und audiovisuelles Lernen 20 %). [3] Zuzüglich dazu waren Lernende die mit VR geschult wurden, bis zu 275 % zuversichtlicher, das Gelernte nach der Schulung umzusetzen. [2] Es konnte also festgestellt werden, dass digitale Schulungen eine höhere Effektivität und Nachhaltigkeit in der Wissensvermittlung aufweisen, da sie oft eine aktive und interaktive Teilnahme der Teilnehmer ermöglichen. Abb. 2: Aufgewendete Zeit zum Erlernen neuer Inhalte mit Hilfe von VR im Vergleich zu E-learning oder klassischem Frontaltraining in Anlehnung an PwC (2020) [2] 3. Das Konzept digitaler Schulungen Digitale Schulungen sind eine effektive Möglichkeit, um Menschen zu trainieren, ohne dass sie physisch anwesend sein müssen. Sie sind besonders in der heutigen Zeit sehr relevant, da immer mehr Unternehmen auf Remote-Arbeit umstellen und die Flexibilität und Mobilität von digitalen Schulungen schätzen. Die Durchführung von digitalen Schulungen erfordert eine sorgfältige Planung und Umsetzung bestimmter Schritte. Zunächst ist es von Bedeutung, ein passendes Thema oder einen geeigneten Schulungsplan auszuwählen, der den Bedürfnissen der Lernenden entspricht. Hierbei können Umfragen oder Feedback-Sitzungen genutzt werden, um sicherzustellen, dass die Schulung auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden zugeschnitten ist. Nach der Auswahl des Themas muss die passende Technologie ausgewählt werden, um die Schulung durchzuführen. Dabei ist es wesentlich, sicherzustellen, dass die Lernenden über die notwendige Technologie und Infrastruktur verfügen, um an der Schulung teilnehmen zu können. Die Auswahl der richtigen Technologie ist dabei eng mit der angestrebten Schulungsform und den Inhalten verknüpft. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Technologie sorgfältig und entsprechend den Anforderungen der Schulung ausgewählt wird, um einen erfolgreichen Schulungsprozess sicherzustellen. Im Anschluss an die Auswahl des Schulungsplans müssen die Inhalte in kleinere Einheiten unterteilt werden, um sicherzustellen, dass sie leicht verständlich und verdaulich für die Lernenden sind. Es kann dabei sinnvoll sein, die Schulung in verschiedene Lernstile einzuteilen, um sicherzustellen, dass alle Lernenden davon profitieren können. Verschiedene Lernmethoden, wie beispielsweise Quizfragen, Gruppendiskussionen oder praktische Übungen können dabei hilfreich sein, um das Interesse und die Aufmerksamkeit der Lernenden aufrechtzuerhalten. Schließlich ist es wichtig sicherzustellen, dass die Schulung gut dokumentiert wird, damit die Lernenden später darauf zurückgreifen können, um ihr Wissen aufzufrischen. Dies kann durch die Bereitstellung von Aufzeichnungen, Handouts oder Links zu relevanten Materialien erreicht werden. Eine gute Dokumentation der Schulung trägt dazu bei, dass das erworbene Wissen nachhaltig bleibt und die Lernenden auch langfristig davon profitieren können. 192 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die deutschlandweit erste interaktive VR-basierte Schulungssoftware im Baugewerbe: TOUGH Abb. 3: Vergleich einer klassischen Schulung zur gamifizierten Variante durch TOUGH [4] Insgesamt bieten digitale Schulungen eine effektive und flexible Möglichkeit, um Menschen zu schulen und ihre Fähigkeiten und ihr Wissen zu verbessern. Durch eine kluge Planung und Durchführung können digitale Schulungen eine großartige Ressource für Unternehmen und Organisationen sein, die ihre Mitarbeiter und Mitglieder schulen möchten. 3.1 Schulung am Beispiel von TOUGH Am Beispiel der Schulungssoftware sollen die nun besprochenen digitalen Schulungen erklärt werden. TOUGH bietet über die bekannten Schulungen hinaus eine digitale Weiterentwicklung. Mit der interaktiven Schulungssoftware können Betriebe, Ausbilder und Schulungszentren ihre Mitarbeiter über den Desktop, VR oder online verschiedene Szenarien der Arbeitsvorbereitung wie auch Arbeitsprozesse trainieren. Die Schulungssoftware lässt sich sehr gut auf die individuellen Unternehmensbedürfnisse zuschneiden und verfügt über dynamische Schulungsmodule, in denen die Möglichkeit besteht, individuelle Lerninhalte zu gestalten und Lernerfolge zu messen. Mithilfe der virtuellen Abbildung realer Arbeitssituationen in TOUGH können Mitarbeiter so Arbeitsabläufe nicht nur erlernen, sondern vor allem erleben und anwenden. Die Schulungssoftware gliedert sich in die drei dynamischen Module; „Education“, „Training“ und „Verification“. Im ersten Softwaremodul „Education“ können Schulungsleiter auf das Unternehmen angepasste, individuelle Lehrinhalte in die Software einpflegen und Prüfungsinhalte festlegen. Im Hauptmodul „Training“ wird Schulungsteilnehmern ermöglicht, den Auf- und Abbau der Regelpläne inklusive der Vor- und Nachbereitungsphasen auf dem Betriebshof, selbständig im virtuellen Raum zu erstellen und durchzuführen. Dabei werden Inhalte der MVAS 99/ RSA 21/ ASR A5.2 in einer spannenden Lernumgebung verpackt und durch kontextbezogene Quiz-Fragen vermittelt. Zusätzlich dazu können Straßenwärter, durch die immersive Demonstration realistischer Gefahrenszenarios mithilfe von Virtual Reality und auf Grundlage von Sicherheitslinien, sensibilisiert werden. Abschließend zum Trainingsmodus können selektierte Inhalte mit dem Prüfungsmodus „Verification“ validiert werden, sodass die Schulungsteilnehmer bei Erfolg ein Teilnahmezertifikat erhalten. Mithilfe der Abbildung der realen Umgebung und der Interaktivität der Trainingseinheiten wird eine praktische Anwendung der Arbeitsabläufe und Sicherheitsvorschriften ermöglicht, sodass Straßenwärter nicht nur eigenständig und eigenverantwortlich, sondern in ihrem individuellen Tempo lernen und sich in die Szenarien hineinversetzen können. Sie üben ihre Fähigkeiten in einer spielerischen und zugleich inhaltlich hochprofessionellen, realistischen Umgebung. Die Schulungssoftware greift komplexe Inhalte auf und verbindet Wissen mit praktischer Umsetzung, weshalb sie die ideale Ergänzung zu den RSA 21-Schulungen oder den jährlichen Sicherheitsunterweisungen bietet. Zusätzlich fördert der Einsatz von interaktiven und immersiven Lernanwendungen die Attraktivität des Berufs für die junge Zielgruppe. Abb. 4: Aufteilung der Software TOUGH in die drei Lernmodule Eduaction, Training und Verification [4] 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 193 Die deutschlandweit erste interaktive VR-basierte Schulungssoftware im Baugewerbe: TOUGH 3.2 Anwendungsfälle von TOUGH Am Beispiel der Ausbildung von Straßenwärtern hat sich die digitale Schulungssoftware TOUGH als äußerst erfolgreich erwiesen. Es ist klar, dass diese Technologie auch in anderen Bereichen eingesetzt werden kann, um Schulungen effektiver und effizienter zu gestalten. Daher findet die Anwendung von TOUGH ebenfalls im Bereich des Hoch-, Tief- und Gleisbaus und zusätzlich im Bereich der Arbeitssicherheit statt. Wie in Abbildung 5 zu erkennen ist, wurden in diesen Bereichen schon entsprechende Anwendungen realisiert. Im Vergleich zum Straßenbau, bei dem ebenfalls ein eigenes Modul zur Prüfung von Regelplänen entwickelt wurde, liegt der Fokus in den anderen Branchen auf den Einsatz in einer virtuellen Umgebung. Anhand des Gleisbaus lässt sich die Anwendbarkeit einer solchen Software eindrücklich veranschaulichen. Innerhalb von drei Monaten konnten im Rahmen eines Startup-Wettbewerbs zwei virtuelle Gefahrenszenarien entwickelt werden, die nun in der Aus- und Weiterbildung von jungen Auszubildenden in verschiedenen Unternehmen zum Einsatz kommen. Wie in Kapitel 2 bereits gezeigt wurde, führte dies zu einer expliziten Anwerbung neuer Bewerber und zur Minimierung des Unfallrisikos von neuen Auszubildenden oder branchenfremden Mitarbeitern. Abb. 5: Darstellung vielfältiger Anwendungsfälle - abhängig von der Branche [4] 3.3 Ausblick Schulungen mit TOUGH Wie Kapitel 3.2 aufzeigt, ist es möglich, relativ schnell branchenspezifische Szenarien zu generieren, die dem Anwender ein individuelles Training ermöglichen. Insbesondere in der Baubranche ergeben sich zahlreiche potenzielle Anwendungsfälle für Gefahrenszenarien, die mithilfe von VR erstellt werden können. Neben den bereits von TOUGH generierten Szenarien können weitere Szenarien im Bereich der Arbeitssicherheit entwickelt werden. In simulierten Umgebungen können Arbeiter lernen, wie sie schwere Maschinen bedienen, Arbeitsunfälle vermeiden und mit gefährlichen Materialien umgehen können. Der Einsatz von digitalen Schulungssoftwares wie der von TOUGH sollte daher zukünftig nicht nur im Straßenbau, sondern auch in vielen anderen Bereichen angewendet werden. In einer Zeit, in der die Flexibilität und Mobilität von digitalen Schulungen immer wichtiger wird, bietet diese Technologie eine großartige Möglichkeit, um sicherzustellen, dass Mitarbeiter sicher und effektiv arbeiten können. Durch die Umsetzung der aufgeführten Maßnahmen können Unternehmen nicht nur die Probleme des Fachkräftemangels bekämpfen, sondern auch ihre Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft stärken. Insbesondere die gezielte Förderung von Aus- und Weiterbildung sowie die 194 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die deutschlandweit erste interaktive VR-basierte Schulungssoftware im Baugewerbe: TOUGH Schaffung von attraktiven Arbeitsbedingungen und Karrieremöglichkeiten können dazu beitragen, qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen und langfristig an das Unternehmen zu binden. Literatur [1] Dr. Ulrich Schmid, Dr. Lutz Goertz, Dr. Julia Behrens, „Monitor Digitale Bildung: Die Weiterbildung im digitalen Zeitalter,“ Bertelsmann Stiftung, Februar 2017. [Online]. Available: https: / / www.bertelsmann-stiftung.de/ fileadmin/ files/ user_upload/ BSt_Monitor_Digitale_Bildung_WB_web.pdf [2] Eric Krokos, Catherine Plaisant & Amitabh Vashney, „Virtual memory palaces: immersion aids recall,“ University of Maryland, 2018. [3] Scott Likens, Andrea Mower, „Pricewaterhouse- Coopers GmbH,“ September 2022. [Online]. Available: https: / / www.pwc.com/ us/ en/ tech-effect/ emerging-tech/ virtual-reality-study.html [4] TOUGH Training GmbH, eigene Darstellung. Digital Twin 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 197 Eine Plattform-Infrastruktur für Digital Twins Dr. Ilka May LocLab Consulting GmbH, Darmstadt, Deutschland Zusammenfassung Managed Services und Marktplätze haben das größte Wachstumspotenzial im Zusammenhang mit digitalen Zwillingen. Zu den Hürden für die Einführung dieser innovativen digitalen Technologien gehören jedoch finanzielle Anfangsinvestitionen bei der Erstellung des 3D Contents. Weiterhin werden von Betreibern großer Infrastruktur-Portfolien zunehmend Lösungen für die Aktualisierung, Fortführung sowie sichere Weitergabe und Mehrfachnutzung von digitalen 3D Modellen gefordert, um den Return on Investment zu sichern. Die Firma LocLab hat eine KI-basierte industrielle Produktionsmethode zur Erstellung Digitaler Zwillinge entwickelt. So können Digitale Zwillinge großer Anlagenbeständen effizient und skalierbar erstellt werden. Neu ist die von LocLab entwickelte Plattform „Digital Twin Hub“, eine End-to- End-Lösung, die sich vollständig in vorhandene Systeme integrieren lässt. Offene und standardisierte Schnittstellen ermöglichen es Anlagenbesitzern und -betreibern, ihren Zulieferern und Partnern Anlageninformationen in einer sicheren Cloud-basierten Umgebung gemeinsam zu nutzen und darauf zuzugreifen. 1. Einführung Digitale 3D-Zwillinge lassen sich am besten als digitale und objektbasierte 3D-Modelle beschreiben, die mit datenhaltigen Systemen und Datenbanken, z. B. CAFM, IoT, ERP usw., verbunden werden können. Ein digitaler 3D-Zwilling bietet den räumlichen und intuitiven Kontext, den technische Plätze, Listen oder Dashboards nicht bieten können. Sie ermöglichen daher eine bessere Entscheidungsfindung, vorausschauende Wartung, Szenario Planung, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeitsplanung viel effizienter als rein alphanumerische Anwendungen. Managed Services und Marktplätze haben das größte Wachstumspotenzial im Zusammenhang mit digitalen Zwillingen. Zu den Hürden für die Einführung dieser innovativen digitalen Technologien gehören jedoch finanzielle Anfangsinvestitionen bei der Erstellung des 3D Contents. Weiterhin werden von Betreibern großer Infrastruktur-Portfolien zunehmend Lösungen für die Aktualisierung, Fortführung sowie sichere Weitergabe und Mehrfachnutzung von digitalen 3D Modellen gefordert, um den Return on Investment zu sichern. Die Firma LocLab ist Teil von Hexagon AB, einem weltweit führenden Anbieter von Digital-Reality-Lösungen, die Sensor-, Software- und autonome Technologien kombinieren. LocLab hat eine KI-basierte industrielle Produktionsmethode zur Erstellung Digitaler Zwillinge mit Schwerpunkt auf Transport- und Energieinfrastruktur entwickelt. So können Digitale Zwillinge großer Anlagenbeständen effizient und skalierbar erstellt werden. Neu ist die von LocLab gemeinsam mit Hexagon entwickelte Plattform „Digital Twin Hub“. Der Digital Twin Hub ist eine End-to-End-Lösung, die sich vollständig in die vorhandenen Systeme integrieren lässt. Offene und standardisierte Schnittstellen ermöglichen es Anlagenbesitzern und -betreibern, ihren Zulieferern und Partnern sowie anderen Unternehmen, Anlageninformationen in einer sicheren Cloud-basierten Umgebung gemeinsam zu nutzen und darauf zuzugreifen. Das Back-End der Plattform bildet die cloud-basierte Plattform HxDR von Hexagon. Die Nutzer der 3D-Modelle können von überall aus auf ihre 3D-Modelle zugreifen, zum Beispiel über Webbrowser, über eine PC-App oder über eine APP für mobile Geräte. Über generische Schnittstellen können Daten aus verschiedenen Systemen und Quellen angebunden werden, z. B. Asset und Facility Management, ERP-Systeme oder IoT-Daten. Der Digital Twin Hub ist als offene Plattform konzipiert: Ein Netzwerk von Partnern wird in der Lage sein, ihre eigenen digitalen 3D-Inhalte hochzuladen, zu aktualisieren, darauf zuzugreifen und sie mit anderen Nutzern oder ihren eigenen Kunden zu teilen dies ist ein bahnbrechender Ansatz mit großem Skalierungspotenzial. 2. Digitaler Zwilling Im Zusammenhang mit der digitalen Transformation ist der Begriff „Digitaler Zwilling“ (eng. digital twin) ein Schlagwort bei der Transformation von Objekten in ein digitales Abbild, unter dem „ein virtuelles Modell z. B. eines Prozesses, eines Produktes oder einer Dienstleistung, was die reale und virtuelle Welt verbindet“ [1] verstanden wird. Digitale Zwillinge sind bereits in vielen Branchen im Einsatz und lassen sich je nach Branche auf unterschiedliche Weise definieren. Nach Hicks Literaturübersicht kann die Definition eines „digitalen Zwillings“ im Allgemeinen wie folgt abgeleitet werden: Ein digitaler Zwilling ist eine Zusammenstellung von abgestimmten nützlichen Informationen (Strukturen, Funktionen und Verhalten) über ein physisches Objekt in einer virtuellen Welt [2]. Er bildet damit alle Elemente eines Objektes so ab, wie sie auch in der realen Welt vorgefunden werden. Es ist ebenso möglich, einen digitalen Zwilling aus Echtzeit-Daten sowie historischen Daten realer Objekte bzw. Systeme zu generieren, um reale Veränderungen über einen Zeitraum virtuell abzubilden und um das 198 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Eine Plattform-Infrastruktur für Digital Twins Verhalten eines Objektes zu simulieren. Auf Basis dieser Simulation können Erkenntnisse und Prognosen abgeleitet werden, die sich in der Realität anwenden lassen. Beispielsweise kann anhand eines digitalen Zwillings eine Fertigungsmaschine und deren Ablauf virtuell dargestellt werden, um einen Produktionsprozess zu analysieren und zu optimieren [3]. 2.1 BIM und der Digitale Zwilling Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung des Bausektors werden zunehmend digitale, objekt-basierte 3D Modelle generiert und nach Abschluss einer Baumaßnahme an die Betreiber übergeben. In dem Zusammenhang ist eine Begriffsverwirrung festzustellen zwischen BIM Modell, Asset Information Model, Digital Twin und ähnlichen Begriffen. Hilfreich ist da die leicht zu vermittelnde Unterscheidung nach Grieves und Vickers [4] in einen digitaler Zwillingsprototyp (Digital Twin Prototype, „BIM Modell“) und digitale Zwillingsinstanz (Digital Twin Instance). Beim digitalen Zwillingsprototyp handelt es sich um einen prototypischen Entwurf eines Objektes. Dieser enthält alle nötigen Informationen und Spezifikationen, um eine physische Version des virtuellen Objektes herzustellen. Das digitale Abbild dient hierbei also als Vorlage und existiert zeitlich vor dem physischen Objekt. Im Gegensatz dazu ist eine digitale Zwillingsinstanz die virtuelle Repräsentation eines bereits existierenden physischen Objektes, dessen Eigenschaft sie beschreibt und in einem strukturierten Datenmodell abbildet. Ebenso wichtig wie die Unterscheidung zwischen Prototyp und Instanz ist aber auch eine Gemeinsamkeit zwischen BIM und dem Digitalen Zwilling - der Objektbezug. Beide, das BIM Modell und die Digitale Zwillingsinstanz haben einen Objektbezug. Dadurch unterscheidet sich das BIM Model vom 3D CAD Modell und die Digitale Zwillingsinstanz von der Punktwolke, dem 360° Panoramabild oder der Dreiecksvermaschung. Der Objektbezug ermöglich die oben genannten Eigenschaften des Digitalen Zwillings zur Simulation, Analyse, Optimierung oder Datenintegration über den gesamten Lebenszyklus von Planung, Bau, Betrieb und Rückbau. 3. Der Lebensraum des Digitalen Zwillings Mit der Einführung von BIM in die Welt des Planen und Bauens haben sich neue Begriffe etabliert. Dazu gehört die Common Data Environment (CDE), also die gemeinsame Datenumgebung. Gemeint ist damit, dass während eines Bauprojekts alle Projektdaten, also Dokumente, Modelle, Berechnungen, Berichte, etc., auf einer Plattform in einem geregelten und standardisierten Prozess verwaltet und gemeinsam genutzt werden können. Nach Ende des Projekts, wenn das Bauwerk in den Betrieb übergeben wird, gehen auch die Daten und Modelle von der CDE in ein Betreibersystem über. Hier beginnt für viele Anlagen- und Bauwerksbetreiber das Problem, denn ihre Betriebs- und FM Systeme sind nicht für 3D Modelle ausgelegt. Die Frage nach der Integration von Digitalen Zwillingen in eine bestehende Systemlandschaft von ERP, CAFM, IoT und DMS wird immer drängender. 3.1 Anforderungen an eine Plattform für Digitale Zwillinge Es sind maßgeblich drei Dinge, die den (Mehr-)wert eines digitalen Zwillings beeinflussen: 1) die Datenkonnektivität, 2) die Anzahl der Anwendungsfälle und 3) die Anzahl der Nutzer. Entsprechend können die Anforderungen an eine Plattform zur Verwaltung und Nutzung von Digitalen Zwillingen folgendermaßen zusammengefasst werden: • Ein sicherer Hosting-Service für alle 3D-Modelle, wobei die Anlagendaten in ihren Originalsystemen (z. B. ERP, FM, usw.) bleiben • Zugang zu den 3D Modellen von verschiedenen Endgeräten (Desktop, Tablet, Mobile) • Intuitive und integrative Anwendung für den Zugriff auf alle Anlagendaten, ohne dass eine Softwareinstallation erforderlich ist • Kollaborative Lösung mit der Flexibilität, eigene Simulationen durchzuführen • Unterstützung bei der Modelloptimierung durch Dritte • Möglichkeit, eigene BIM- und CAD-Modelle hochzuladen • Möglichkeit, Daten zu ändern (Parameter, Geometrie, Verhalten, etc.) • Fähigkeit zur Datenintegration • Möglichkeit, verschiedene Anwendungsfälle auszuführen (Einbeziehung von Interessengruppen, Schulung, Asset- und Facility-Management) Um die vorgenannten Nutzeranforderungen zu erfüllen, arbeiten zwei Entwicklungsteams von LocLab und Hexagon an einer Erweiterung der bestehenden Plattform HxDR, welche besonders auf die Belange von objekt-basierten Vektormodellen ausgelegt ist. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 199 Eine Plattform-Infrastruktur für Digital Twins Abb. 1: Übersicht 3D Modellformate und Plattformen (eigene Darstellung) Die LocLab Cloud, basierend auf HxDR, weist folgende Eigenschaften auf, die das Verwalten, Teilen, Nutzen und Aktualisieren von Digitalen Zwillingen fördert: • End-to-End-Lösung für digitale 3D-Zwillinge • Eine zentrale Plattform für Zugriff, Nutzung, Verwaltung, Bearbeitung und Überwachung von digitalen 3D-Zwillingen, die mit anderen Plattformen und Systemen kommuniziert und Daten verlinkt • Offene Plattform • Ein Netzwerk von Partnern wird in der Lage sein, ihre eigenen digitalen 3D-Inhalte hochzuladen, zu aktualisieren, darauf zuzugreifen und sie mit anderen Benutzern oder ihren eigenen Kunden zu teilen • Vollständige Datenintegration • Datenverbindung mit verschiedenen bestehenden Systemen über generische Schnittstellen, z. B. Asset- und Facility-Management, ERP-Systeme oder IoT-Daten. • Zugänglichkeit von verschiedenen Gadgets • Die Nutzer der 3D-Modelle können von überall aus auf ihre 3D-Modelle zugreifen, z. B. über Webbrowser, APP (PCs und Mobiltelefone) • Autorisierung • Es können verschiedene Rollen vergeben werden, von denen die einzelnen Berechtigungen bzw. Zugriffsrechte abhängen. • Offene und standardisierte Schnittstellen • Ermöglicht Nutzern und ihren Netzwerken die gemeinsame Nutzung und den Zugriff auf Asset-Informationen durch digitale 3D-Modelle in einer sicheren, cloudbasierten Umgebung. 3.2 Plattformarchitektur Die Architektur der Digital Twin Cloud besteht aus einem Back-End und einem Front-End, welche über eine API- Gateway verbunden sind. Das Front-End wird für die Bearbeitung von Digital Twins deren Verhalten oder ganze Szenarien von Digital Twins durch Kunden und Partner verwendet. Dazu gehört z. B. Zwillinge teilen, Verknüpfung von Daten, Programmierung von Modell-Aktualisierungen, usw.. Das Back-End besteht aus Cloud-basierten Microservices, die die Benutzer- und Zugangsverwaltung, das Speicherung von 3D-Inhaltsbibliotheken sowie die Bereitstellung von Shop- und Bezahlsystemen ermöglichen. Alphanumerische Kundendaten, z. B. aus den ERP-Systemen der Kunden, sowie Metadienstdaten, z. B. meteorologische Daten, werden nur abgerufen, verarbeitet und zurückgesendet, sind aber im Back-End des Digital Twin Hub nicht persistent, wodurch die Integrität der Daten gewährleistet wird. 200 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Eine Plattform-Infrastruktur für Digital Twins Abb. 2: Konzept und Architektur 4. Potenzial und Herausforderungen Es gibt eine schnell zunehmende Zahl von Plattformen und Anbietern, die mit ähnlichen Konzepten werben: der totalen Interkonnektivität innerhalb eines Produktionszyklus beteiligter Unternehmen. Über die Cloud sollen beteiligte Unternehmen technische Details von Produkten und Prozessen innerhalb anderer Unternehmen, die in dem eigenen Produktionsprozess beteiligt sind, einsehen können. Dies soll gewährleisten, dass sich die Optimierung durch digitale Zwillinge nicht nur auf die eigene Produktion beschränkt. So kann ein Hersteller von Autos z. B. Einblicke in die Produktion und Anlieferung von Einzel-teilen, sowie den Verkauf des Endprodukts einsehen und gegebenenfalls auch an externer Stelle Optimierungen vornehmen. Größere Unternehmen profitieren auch durch die interne Vernetzung. Bezogen auf die Verkehrsinfrastruktur wird zunehmend das Potenzial des räumlichen Kontext für Asset Management und Betriebsanforderungen erkannt. Viele Betreiberorganisationen haben längst begonnen, ihren Anlagenbestand nicht nur alphanumerisch, sondern auch geometrisch digital abzubilden und zu verwalten. Damit sich Plattformlösungen durchsetzen, müssen u. a. folgende Herausforderungen gelöst werden: • Fehlender 3D Content Für fast alle Plattformbetreiber ist der fehlende Content die größte Herausforderung. Die Anzahl der BIM Modelle, die aus Planungs- und Bauprojekten an den Betrieb übergeben werden, ist im Vergleich zum Anlagenbestand verschwindend gering. Einen großen Anlagenbestand zu digitalisieren, ist noch immer teuer und aufwändig. Hier wird sich zeigen, wie sehr KI und andere Technologien die Automatisierbarkeit und damit die Skalierbarkeit in den kommenden Jahren verändern werden. • Fehlende Standards Es gibt aktuell keine Standards, mit denen die Qualität einer Digitalen Zwillingsinstanz eindeutig spezifiziert werden kann. Häufig wird auf Standards und Beschreibungen aus der BIM Planung zurückgegriffen, die aber nur bedingt anwendbar sind, wie beispielsweise das Level of Development (LOD), was die Entwicklungsreife einer Planung angibt. Dringend standardisiert werden sollten Angaben zur Positionsgenauigkeit („LoA“, Level of Accuracy), zur Objektgranularität („LoD“, Level of Detail) und zum Grad der Generalisierung („LoG“), also der Anzahl und Größe von Polygonen, die eine Fläche darstellen. Neben Texturen und Formaten nehmen diese vorgenannten Qualitätsstandards einen großen Einfluss auf die Kosten bei der Erstellung von Digitalen Zwillingen und damit auf die bereits genannte Herausforderung des fehlenden Contents. • Fehlende generische Schnittstellen Ein weiteres großes Hemmnis bei der Verbreitung cloud-basierter Lösungen sind die fehlenden generischen oder auch wiederholbaren Schnittstellen zwischen 3D Modellen und anderen Systemen. Aus technischer Sicht ist es wichtig, dass die Daten vom Zwilling aus in standardisierter Form übertragbar sind, sodass Programme, die auf unterschiedlicher Basis laufen, unter den gleichen Voraussetzungen damit hantieren können. Dies erfordert, dass Objekte im 3D Modell mit technischen Plätzen, IDs, Objektnamen oder ähnlichem in anderen Datensystemen gemappt werden. Solange dies ein Vorgang ist, der für jede Integration spezifisch und einmalig durchgeführt und implementiert werden muss, ist eine durchgreifende Skalierung nicht in Sicht. LocLab und Hexagon arbeiten mit einigen führenden Herstellern von ERP Systemen zusammen, um solche generischen Schnittstellen zu entwickeln und offenzulegen. • Fehlendes Geschäftsmodell Nicht zuletzt sind für die cloud-basierten Lösungen Geschäftsmodelle zu entwickeln, die eine weit verbreitete Nutzung unterstützen. Als klassische Lizenzmodelle sind diese Geschäftsmodelle technisch noch recht einfach umsetzbar, fördern aber nicht unbedingt 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 201 Eine Plattform-Infrastruktur für Digital Twins die Adoption und Skalierung. Für die Betreiber, besonders die öffentliche Hand, stellen sich Fragen der Beschaffung, der Budgetierung und der Planbarkeit der Kosten. 5. Fazit Digitale Zwillinge helfen bei der Planung, Realisierung, Wartung, Instandhaltung, Erweiterung, Qualitätskontrolle, u.v.m. eines Produkts oder Systems. Die Möglichkeiten sind enorm. Für digitale Zwillinge sollte immer ein objektorientierter (modularer) Ansatz gewählt werden, damit das volle Potential aufrechterhalten werden kann. Mithilfe des „digitalen Fadens“, also der Verknüpfung verschiedener digitaler Zwillinge und deren realer Vorbilder innerhalb einer einzigen Produktionskette, stellt der digitale Zwilling eine der vielversprechendsten Optimierungshilfen für größere Unternehmen und Anlagenportfolien dar. Er schafft Bindeglieder zwischen einzelnen Silos von Planung & Bau, Instandhaltung und betrieblichen Anforderungen. Das volle Potential der digitalen Zwillinge wird dann entfaltet, wenn aus Zwilling und physischem Ebenbild ein sogenanntes bidirektionales System wird, die beiden Komponenten also untereinander Informationen austauschen und somit zu einem selbststeuernden System werden können. Für eine solche Art von System ist die Anbindung von künstlicher Intelligenz und machine learning Voraussetzung. Oft wird der digitale Zwilling mit einem Cloud Service verbunden. Es scheint, als würden viele Unternehmer sehr großes Potential in der Verbindung zwischen digitalen Zwillingen und Cloud Services sehen. Hierbei geht es darum, den digital thread online zugänglich und einfach erweiterbar zu machen, sowie einer möglichst großen Zahl von Lieferanten, Partnern und Nutzern den Zugang zu Digitalen Zwillingen in einem sicheren Framework zu ermöglichen. Literatur [1] Grösser, Prof. Dr. Stefan. 2018. Digitaler Zwilling. [Online] [zuletzt abgerufen 21.04.2023] https: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ definition/ digitalerzwilling-54371/ version-277410 [2] Hicks, Ben. 2019. Industry 4.0 and Digital Twins: Key lessons from NASA. [Online] 2019. [zuletzt abgerufen 21.04.2023] https: / / www.thefuturefactory. com/ blog/ 24. [3] Faungwanishsart, Thanuchaya. 2022. Geschäftsmodell und Konzeption einer Plattform zur Verwaltung, Nutzung und Überwachung von 3D Digitalen Zwillingen. Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Science (M.Sc.)“ im Studiengang Betriebswirtschaftslehre mit der Vertiefungsrichtung „Information Management“, Hochschule Darmstadt, Fachbereich Wirtschaft. Unveröffentlicht. [4] Grieves, Michael and Vickers, John. 2017. Digital Twin: Mitigating Unpredictable, Undesirable Emergent Behavior in Complex Systems. In: Franz- Josef Kahlen, Shannon Flumerfelt and Anabela Alves. Transdisciplinary Perspectives on Complex Systems. Switzerland : Springer International Publishing Switzerland 2, 2017, pp. 85-113. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 203 Assetübergreifender Digitaler Zwilling für den Bestand Ganzheitliches digitales Erhaltungsmanagement am Beispiel der Freien und Hansestadt Hamburg Dipl.-Ing. Jens Kühne Kühne Mobilität, Seeheim-Jugenheim Zusammenfassung Die Digitalisierung der Verkehrsinfrastruktur wird seit einigen Jahren stark durch BIM bestimmt. Entscheidend für die schnelle Umsetzung eines digitalen Erhaltungsmanagements ist jedoch vor allem die Digitalisierung von Bestandsinformationen. Viele der dafür benötigten Daten liegen bereits vor, sind jedoch stark fragmentiert und in nicht vernetzten Fachanwendungen verfügbar. Dabei werden sowohl verschiedene im Infrastrukturbereich seit vielen Jahren etablierte Datenstandards (z. B. ASB-ING, OKSTRA, IFC) als auch andere offene Formate genutzt. Hinzu kommt, dass für die intelligente Bestandsbewirtschaftung eine Verknüpfung der Informationen ressort-übergreifend (technisch, kaufmännisch) und in allen Prozessen (end-to-end) unumgänglich ist. Die Modellierung basiert dabei auf miteinander vernetzten Referenzobjekten. Es entstehen Digitale Zwillinge auf Objekt- und Netzebene. Historie und Prognosen sind abbildbar, können in Folgeprozessen bereitgestellt werden und eine unkomplizierte und dennoch sichere kollaborative Zusammenarbeit auch mit externen Partnern und Lieferanten erlauben. Der Vortrag fasst die Anforderungen an Digitale Bestandszwillinge zusammen und zeigt die verwendete SAP-IT-Architektur sowie die Vernetzung der Daten. Am Beispiel der Stadt Hamburg werden die Ergebnisse sowie die Verwendung der Daten in den Asset Management Prozessen erläutert. 1. Einführung Die Digitalisierung der Verkehrsinfrastruktur verfolgt viele wirtschaftliche und politische Ziele: - Ganzheitliches Asset Management auf Basis konsistenter Datenbestände (Prozesse, Nachhaltigkeit) - Lebenszyklusbetrachtung (Ausbau BIM, Implementierung von Bestandsdaten) - Intelligentes Verkehrsmanagement (Verkehrsflussoptimierung) - Kollaboration aller Prozessbeteiligten (Reduktion von Prozesszeiten) - Regionen- und verkehrsträgerübergreifendes Planen und Handeln - Unterstützung der Planungs- und Managementprozesse (Digitale Haushalts- und Verkehrswegeplanung) Bei den Betreibern finden wir jedoch inkonsistente und fragmentierte System- und Datenlandschaften vor. Eine betreiber- oder gar verkehrsträgerübergreifende Datenstrategie fehlt. Sie muss Anforderungen an das Bestandsdatenmodell klar definieren: - Datenformat-offen (BIM inkl.) - semantisch integriert - single source of truth - assetklassen- und equipment-übergreifend - Einbindung von Daten aus Fachanwendungen - Einbindung von Docs, IoT- und Bilddaten - End-to-end-Prozesse - Interaktives und grafikorientiertes Reporting 2. Digitale Zwillinge im Lebenszyklus BIM wird sich in den kommenden Jahren zum Standard für Planung, Bau und Betrieb von Infrastrukturen entwickeln. Kosten und Aufwand für die Erstellung der Modelle sind immer noch hoch, sodass eine „BIM-isierung“ des Bestandes aus jetziger Sicht nicht wirtschaftlich ist. Dennoch lassen sich die teilweise über Generationen gesammelten Daten und Informationen sinnvoll modellieren, um damit Betrieb und Erhaltung der Bauwerke sicherstellen und sogar Netzsichten bauen zu können (zum Beispiel für Betriebsdienst oder Verkehrsmanagement). Objekte, Netze und Prozesse lassen sich schnell und digital abbilden! 2.1 BIM Der große Vorteil von BIM ist das sich als Backbone durch alle Anwendungen und Dimensionen (10D) ziehende Datenformat IFC. Die aktuellen Anwendungen haben meist Neubau- und Objektbezug, in der Praxis gibt es erste Erfahrungen mit 4D/ 5D für Planung und Bau (Asset Management ist 7D! ). Für die Einbindung von Daten aus Fachanwendungen sind Schnittstellen notwendig, zwischen den Anwendungen gibt es immer noch Systembrüche (z. B. Revit (BIM), Algor (FE), Spartacus (CAFM)), und eine ganzheitliche Verknüpfung mit allen Stammdaten und Unternehmens-prozessen fehlt (Management, Reporting, FiBu, HR, Supply Chain). Insbesondere die fehlende Einbindung von Fremdformaten erschwert das Ableiten von Maßnahmen aufgrund der inhomogenen Informationslage. 204 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Assetübergreifender Digitaler Zwilling für den Bestand 2.2 Bestandsmodell Im Beispielprojekt in Hamburg wurde ein gegenüber BIM vereinfachtes Datenmodell mit dem Fokus auf das Erhaltungsmanagement gewählt. Es orientiert sich an der von SAP für das Asset Management verwendeten Asset Taxonomy. Die hierarchische Struktur der Objekte (Technische Plätze, Equipments, Materialien, Attribute) ermöglicht eine schnelle Umsetzung innerhalb der modular aufgebauten Standard-Softwareumgebung. Das Modell erlaubt die flexible Einbindung von Informationen und Daten aus Fachanwendungen in die Datenbank und verknüpft technische und kaufmännische Prozesse (end-to-end) für alle Assetklassen. Es entsteht eine durchgängige Historie (Einbindung aller jeweils vorhandenen Daten unabhängig von Baujahr und Status) für Objekt- und Netzzwilling, aktuelle Zustandsinformationen lassen sich über mobile Endgeräte erfassen und Maßnahmen auf Basis gerechneter Prognosen zur Zustandsentwicklung ableiten. Außerdem lassen sich Bestandsmodelle, GIS-Kartensichten und IoT-Daten (z. B. aus Monitoring) schnell einbinden. Schnittstellen und doppelte Datenhaltung werden vermieden (single source of truth, IT-Connectoren). Die Standardsoftware erlaubt den schnellen Auf bau eines interaktiven Reporting auf Basis aktueller Informationen für alle Entscheidungsebenen in nahezu Echtzeit, jederzeit und überall. Die abgeleiteten Maßnahmen basieren dabei auf einer validen und konsistenten Datenbasis. 3. Referenzprojekt beim LSBG Die Stadt Hamburg hat sich vor einigen Jahren entschieden, flächendeckend ein digitales Asset Management System zu etablieren. Ziele waren die übersichtliche Objektverwaltung, die mobile und/ oder messdatenbasierte Zustandserfassung sowie die Schaffung assetübergreifend einheitlicher, interaktiver Reports und zeitsparender, ressourcenschonender End-To-End-Prozesse. Für die Umsetzung ist der Einsatz einer leistungsfähigen IT-Lösung notwendig, die die verschiedenen Daten aus der fragmentierten System- und Anwendungslandschaft mit den kaufmännischen Informationen zusammenführt. SAP erfüllte alle notwendigen Voraussetzungen. Im Rahmen der Implementierung des Systems erfolgte die regelbasierte und skalierbare Validierung, Plausibilisierung und Modellierung der Daten sowie die Verprobung des Reporting. Es wurde die Umsetzung verschiedener Usecases in einem Pilotgebiet vereinbart. Daraus ergaben sich folgende Teilprojekte: - Aufbau eines Objektregisters für Brücken und Straßen, Visualisierung in GIS - Aufbau Standard-Reporting auf Basis vorgegebener Templates - Prototyp einer Erhaltungsplanungs-App für Straßen (auf Basis vorhandener Daten aus ZEB-Befahrungen) - Prototypische Einbettung von FE-Modell und Messdaten aus dem Monitoring einer Brücke - Umsetzung erster Prozessimplementierungen Als Pilotgebiet wurde der Stadtteil Hamburg Mitte mit 181 Basisobjekten Straße und 42 Teilbauwerken Brücken ausgewählt (Abb. 1). Abb. 1: Referenzgebiet Hamburg-Mitte 3.1 Objektregister und Reporting Objekt- und Zustandsdaten der Brücken wurden inkl. Geo-Referenzierung aus der SIB-BW in die S/ 4 HANA- Datenbank übernommen und auf Maschinenlesbarkeit, Vollständigkeit und Plausibilität geprüft. Die Verkehrsflächen wurden als Realflächen modelliert (im Fernstraßenbereich wird derzeit hinreichende Genauigkeit mit Knoten-Kanten-Modellen erzielt). Die Polygone wurden aus verschiedenen Quellen eingelesen und plausibilisiert, Datenqualitätsabweichungen wurden regelbasiert erkannt und überwiegend automatisiert beseitigt (Abb. 2). Abb. 2: Flächenabweichung bei einem Brunnen Die Objektstrukturen wurden regelkonform abgeleitet (Abb. 3), entsprechende Eigenschaften zugeordnet. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 205 Assetübergreifender Digitaler Zwilling für den Bestand Abb. 3: Objektstrukturen für eine Schleuse Im Folgenden wurden die Unterstrukturen (Verkehrsflächen, Nebenflächen, Grünflächen) ausgebildet, Equipments eingebunden (z. B. Bäume) und entsprechende Eigenschaften (Attribute) zugeordnet (ist eine Nebenfläche beispielsweise Fußweg oder Radverkehrsweg) (siehe Abb. 4). Abb. 4: Verkehrs-, Neben-, Grünflächen, Equipments Auf der vernetzten Datenbasis konnten in der SAP Analytics Cloud für die verschiedenen Assetklassen sehr schnell die Dashboards für ein maßgeschneidertes Reporting aufgebaut werden. Dabei wurden historische, aktuelle und Prognosedaten ausgewertet und visualisiert. Die jeweils betrachteten Datenbestände lassen sich über Dialogfenster filtern/ selektieren (Abb. 5). Abb. 5: Dashboard Zustand Brückenbestand Das Objektregisterverzeichnis für mehrere Assetklassen (rollout gesamte Stadt Hamburg) umfasst derzeit etwa 6.000 Technische Plätze. 3.2 Erhaltungsplanungs-Apps Auf Basis der vorhandenen Zustandsdaten für die Straßen (ZEB, 20 m-Abschnitte) wurde der Prototyp einer App zur Planung der Erhaltungsbedarfe (Jahr, Maßnahme, Wert) entwickelt. Eine der Herausforderungen dabei war das Mapping der Straßenschäden (Knoten-Kanten- Modell) auf die Realflächen (Abb. 6). Abb. 6: Überlagerung Realflächen- und Knote-Kanten- Modell Nach Analyse der Zustandsabschnitte werden entsprechend optimierte Erhaltungsabschnitte ausgegeben (Abb. 7). In einem nächsten Schritt werden verschiedene Maßnahmenoptionen zugeordnet und wirtschaftlich bewertet. Abb. 7: Visualisierung eines Erhaltungsabschnitts 3.3 Einbindung von Messdaten (IoT) und Modellen SAP bietet im Rahmen des Asset Management Software Portfolios auch Werkzeuge zur Einbindung und Visualisierung von 3D-Modellen und zur dynamischen Modellierung von Bauwerken auf Basis von IoT-Daten an. Eine Aufgabe im Pilotprojekt war, diese Einbindung prototypisch anhand von Messdaten zu zeigen. Messdaten standen in verschiedenen Quellen zur Verfügung (Schöpfwerkpumpen, Pegelstände der Elbe, Brückenmonitoring). Für die Graskeller Fußgänger-brücke (Abb. 8) wurde ein FE-Modell erstellt (Abb. 9) und in SAP eingebunden. 206 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Assetübergreifender Digitaler Zwilling für den Bestand Abb. 8: Graskeller Fußgängerbrücke in Hamburg Abb. 9: FE-Modell der Graskeller Fußgängerbrücke Die gemessenen Schwingungen am Bauwerk wurden sowohl zu Kennwerten verrechnet (Abb. 10) als auch in 3D modelliert. In einem weiteren Schritt besteht nun die Möglichkeit, die Ergebnisse zu normieren und ergänzend zu den Zustandsnoten aus der SIB-BW für die Bewertung zu nutzen. Für die Visualisierung in Cockpits stehen im SAP eine Vielzahl von Optionen zur Verfügung. Abb. 10: Einfache Visualisierung von berechneten Daten in SAP 3.4 Prozessimplementierung Kernziele des Pilotprojektes waren die Anreicherung des Objektregisters mit weiteren Bestandsinformationen sowie die Verknüpfung von Asset Management Informationen mit den kaufmännischen Prozessen im ERP (S/ 4 HANA). Alle relevanten Assetmanagement-Prozesse wurden standardisiert sowie fachlich und kaufmännisch integriert für mehrere Assetklassen umgesetzt: - Planung und Durchführung regelmäßiger Prüfungen - Durchführung ereignisgesteuerter Prüfungen - Maßnahmen-Planung und Durchführung von kleinen Erhaltungsmaßnahmen bis zu großen Projekten - Erstellen von Meldungen aus mobil erfassten Zustandsinformationen - Rückmeldung von Aufträgen Unterstützung von kollaborativen Prozessen mit Dienstleistern - Analysen auf den gesamten Assetbestand sowohl fachlich wie aus Finanzsicht (objektgenaue Kostentransparenz) - Integration zur Anlagenbuchhaltung 4. Weiteres Vorgehen Nach Abschluss des Pilotprojektes wurden die Daten aus der Pilotanwendung in die Live-Systeme überführt. Die Datenmodellierung erlaubte eine Übertragung der Prüfalgorithmen auf die Daten des gesamten Stadtgebietes sowie die Implementierung weiterer Assetklassen (Deiche, Schleusen, Wasserflächen, …). Die Implementierung weiterer Equipments wie Straßenbeleuchtung, LSA, Beschilderung kann begonnen werden. Das Reporting wird assetklassenbezogen erweitert. Die auf Basis von ZEB-Daten begonnene Lebenszyklusmodellierung (Abb. 11) kann durch weitere Einflussfaktoren wie Auf baudaten, Verkehrs- und Umweltdaten oder die Einbeziehung von Zustandsinformationen der Radverkehrswege verfeinert werden. Abb. 11: Lebenszyklusmodell nach DIN SPEC 91298 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 207 Assetübergreifender Digitaler Zwilling für den Bestand Literatur [1] Entwurfsrichtlinie Nr. 1 „Standardisierter Oberbau mit Asphaltdecken für Fahrbahnen“, 2014. [2] DIN SPEC 91298 „Alterungsverhalten von Bauteilen in Bezug auf ganzheitliche Lebenszyklusbewertungen und weiterführendes Erhaltungsmanagement von Infrastrukturbauten“, 09/ 2013. [3] ZTV ZEB StB „Zusätzliche Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Zustandserfassung und Bewertung von Straßen, 2006. [4] FGSV, AP 9, Arbeitspapiere zur Systematik der Straßenerhaltung. [5] FGSV, AP 9 K, Arbeitspapiere zur Systematik der Straßenerhaltung (Kommunale Straßen). [6] FGSV, RPE-Stra 01 (Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßen-befestigungen). [7] FGSV, E EMI 2012, Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen. [8] ReStra, Hamburgs Regelwerke für Planung und Entwurf von Stadtstraßen. [9] FGSV, RPE-Stra 01, Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßen-befestigungen. [10] FGSV, RStO 12, Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen. [11] FGSV, TP Eben, Berührungslose Messungen. [12] BMDV, ASB-ING, Anweisung Straßeninformationsbank, Segment Bauwerks-daten. [13] OKSTRA, Objektkatalog für das Straßen- und Verkehrswesen. [14] DIN 1076 - Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen; Überwachung und Prüfung. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 209 KPI-basiertes Lebenszyklusmanagement von Infrastrukturbauwerken Prof. Dr. sc. techn. ETH Rade Hajdin Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich Dr.-Ing. Tim Blumenfeld Infrastructure Management Consultants GmbH, Mannheim Dr. Dipl.-Bauingenieur UB Nikola Tanasić Infrastructure Management Consultants GmbH, Mannheim Dr. sc. ETH Dipl.-Ing. Frank Schiffmann Infrastructure Management Consultants GmbH, Mannheim Zusammenfassung Infrastrukturbauwerke stellen eine Schlüsselfunktion innerhalb von Verkehrsnetzen dar und müssen eine Vielzahl an Leistungsanforderungen erfüllen. Die frühzeitige Planung von geeigneten Erhaltungsmaßnahmen zur Sicherstellung der Leistungserfüllung sollte datenbzw. informationsgestützt erfolgen. Die Grundlage hierfür bilden die durch die regelmäßige Bauwerksprüfung, dokumentierten Schäden und die dafür hinterlegte Zustandsbewertung. Neben den Bauwerksdaten des Einzelobjekts sind zusätzliche netzbezogene Daten von großer Relevanz für die Entscheidungsfindung. Dazu werden Daten aus verschiedensten Erfassungsquellen verarbeitet, um entscheidungsrelevante Informationen zu gewinnen. Für diese Verarbeitung bedarf es eines Kennzahlensystems, das auf Schlüssel- (KPI) und Leistungsindikatoren (PI) basiert. Die PI beziehen sich auf spezifische KPI, die die Leistung eines Bauwerks oder Verkehrsnetzes widerspiegeln. In diesem Beitrag wird eine Methodik für die Erstellung eines indikatorengestützten Kennzahlensystems aufgezeigt, das die KPI Zuverlässigkeit, Nutzersicherheit, Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit beinhaltet und für das Lebenszyklusmanagement von Infrastrukturbauwerken genutzt werden kann. Die Methodik wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes prototypisch umgesetzt und anhand von Anwendungsbeispielen erprobt. 1. Einführung Eine zuverlässige und sichere Verkehrsinfrastruktur ist eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt, da sie die Mobilität von Gütern und Menschen erlaubt auf der Straße, der Schiene oder dem Wasser. Um die hohe Qualität der Dienstleistungen sicherzustellen, welche die Infrastruktur ihren Nutzern bietet, sind angesichts der Alterung, des fortgeschrittenen Verschleißes und der steigenden Verkehrsnachfrage umsichtige Erhaltungsmaßnahmen erforderlich. 1.1 Ausgangslage In einer PIARC-Umfrage zu innovativen Ansätzen im Asset Management wurden insgesamt 64 Experten aus 37 Ländern nach der Verwendung von Leistungszielen und -indikatoren befragt [1]. Dabei gehörten die Leistungsziele für „Sicherheit“ und „Lebenszykluskosten“ zu den am häufigsten genannten Kriterien (Abbildung 1). Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass die für das Anlagenmanagement zuständigen Infrastruktureigentümer bzw. -betreiber in der Praxis meist auf zustandsbasierte Ansätze zurückgreifen, um ihre Leistung zu bewerten. Es zeigte sich jedoch, dass in einigen Ländern auch Ansätze, die Key Performance Indicators (KPIs) beinhalten, entwickelt werden oder bereits etabliert sind (z.-B. [2]). Dennoch existiert bisher kein allgemeines Konzept für die Bewertung von KPIs und deren Verwendung bei der Entscheidungsfindung zur optimalen Planung von Erhaltungsmaßnahmen für Verkehrsnetze. Das Hauptziel der COST-Action TU1406 der EU bestand darin, eine Methodik für die Qualitätskontrolle von bestehenden Straßenbrücken mithilfe von KPIs zu entwickeln. Ursprüngliches Ziel war es, diejenigen Leistungsindikatoren (PI) für Brücken zu identifizieren, die das Verhalten und die Eigenschaften erfassen, die bereits in den nationalen Normen und Vorschriften enthalten sind (vgl. [3]). Berücksichtigt wurden dabei natürliche Schadensprozesse, die Bauweise, die Qualität der Baustoffe, etc. Die umfangreiche Liste der PI wurde auf Orthogonalität geprüft und erheblich gestrafft. In einem weiteren Schritt wurden diese den KPI zugewiesen. Folgende KPI wurden dabei gewählt: Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt. 210 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 KPI-basiertes Lebenszyklusmanagement von Infrastrukturbauwerken Abb. 1: Absolute Häufigkeiten der KPIs [1] Folgende PI haben bspw. einen Einfluss auf die KPI: - Belastungsfaktor, Zuverlässigkeitsindex - Zustandsindex, Zustandsnote - Robustheit - LCC-Kosten, Dauerhaftigkeit - CO 2 -Fußabdruck Ein weiteres Ziel war die Entwicklung einer Methodik für die Erstellung von Qualitätskontrollplänen für verschiedene Brückentypen (vgl. [4]). Zu diesem Zweck wird die Entwicklung von Schadensprozessen berücksichtigt, die die Leistung von Brücken erheblich beeinträchtigen können. Die Methodik für die Qualitätskontrolle basierte auf den erwähnten KPI: Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt. Es wurde vorgeschlagen, die KPI-Werte im Zeitverlauf in einem dreidimensionalen Spinnendiagramm (Abbildung 2) darzustellen und das Volumen eines solchen 3D-Körpers als Maß für den Vergleich von Erhaltungsstrategien zu verwenden. 1.2 Zielsetzung Um das volle Potenzial dieses Ansatzes zu nutzen, wurde als weiterer Schritt vorgeschlagen, alle KPIs auf Netzebene zu bewerten und dabei mehrere Anlagen zu berücksichtigen. In diesem Beitrag werden die Grundlagen eines quantitativen Rahmens für die Entscheidungsfindung auf der Grundlage einer KPI-Bewertung vorgestellt, der in einen webbasierten Prototyp integriert wurde. Aufgrund der begrenzten Länge dieses Beitrags wird hier ein kurzer Überblick zu dem entwickelten Prototyp gegeben, während die Details zu den Eingangsdaten, Funktionen und Teilmodellen Teil zukünftiger Veröffentlichungen sein werden bzw. auf [5] verwiesen wird. Abb. 2: Darstellung des zeitlichen Verlaufs der KPIs Zuverlässigkeit, Sicherheit, Verfügbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt [4] 2. Methodik Basierend auf dem Stand der Technik und der Forschung (u.- a. COST-Action TU1406) zu den vorhandenen Ansätzen des Lebenszyklusmanagements kann resümiert werden, dass sich die folgenden vier KPIs für die Integration in der Entscheidungsfindung in den Zielen der Infrastrukturbetreiber von Ingenieurbauwerken widerspiegeln: Zuverlässigkeit, Sicherheit für die Nutzer, Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit. Darüber hinaus sollte der Aspekt der Wirtschaftlichkeit, der sich z.-B. auf die Kosten von Erhaltungsmaßnahmen bezieht, separat betrachtet werden, indem die Wirksamkeit der zu wählenden Erhaltungsmaßnahmen zur Verbesserung der vier KPIs bewertet wird. Die größte Herausforderung bei der Erstellung eines Kennzahlensystems besteht darin, die geeigneten PIs auszuwählen, die zur Messung der genannten KPIs verwendet werden können. Solche PIs sollten die Daten berücksichtigen, die von den Infrastruktureigentümern bzw. -betreibern bereits gesammelt/ vorgehalten werden (z.-B. bei Verkehrssimulationen und Bauwerksprüfungen). Es ist hervorzuheben, dass die Werte der KPIs für Zuverlässigkeit und Sicherheit für die Nutzer sich im Laufe der Zeit aufgrund eines langsamen, beobachtbaren Verfallsund/ oder Verschleißprozesses verändern (d.-h. verschlechtern). Die KPIs für Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit werden dagegen nur von den geplanten Aktivitäten, d.-h. den im Voraus festgelegten Erhaltungsmaßnahmen, beeinflusst, die in den folgenden Abschnitten näher erläutert werden. 2.1 KPI Zuverlässigkeit Die Zuverlässigkeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Anlage (z.-B. ein Brückenbauwerk) während ihrer Lebensdauer funktionsfähig ist. Sie ist das Gegenteil der Wahrscheinlichkeit eines strukturellen Versagens, eines betrieblichen Versagens oder einer anderen Art von Versagen (z.- B. gefährliche Abplatzungen), die durch Bestimmungen des Eigentümers/ Betreibers der Infrastruktur oder durch Normen und Standards definiert ist. Der 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 211 KPI-basiertes Lebenszyklusmanagement von Infrastrukturbauwerken Zuverlässigkeitsindex β wird üblicherweise verwendet, um die Zuverlässigkeit eines Bauwerks zu bewerten. Die Berechnung der β-Werte auf der Grundlage der bei der Bauwerksprüfung festgestellten Schäden kann sehr kompliziert sein. Ein einfaches, aber umfassendes Tragwerksmodell, das auf Bestandsdaten und dem Urteilsvermögen eines Ingenieurs basiert, kann jedoch ausreichen, wie in [4] beschrieben und in [6] veranschaulicht. Die Zuverlässigkeit auf der Netzebene bezieht sich auf diejenigen Fälle, in denen eine oder mehrere Anlagen im Netz ausfallen und dadurch die Fahrt innerhalb eines Teilnetzes von Punkt A nach Punkt B verhindert wird. Im Allgemeinen können die Anlagen in einem Netz durch eine serielle oder parallele Verbindung verbunden sein (d.- h. eine Umleitungsstrecke ist verfügbar), und alle möglichen Kombinationen von Anlagenausfällen müssen für ein analysiertes Netz ermittelt werden. In Abbildung 3 gibt es 5 Anlagen, von denen mindestens zwei gleichzeitig ausfallen müssen, um die Fahrt von A nach B zu verhindern. Die Wahrscheinlichkeit des Ausfalls eines Teilnetzes wird berechnet, indem alle Kombinationen von Anlagenausfällen, die das Netz in einen Ausfallzustand versetzen, als sich gegenseitig ausschließende Ereignisse betrachtet werden (d.-h. die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Kombinationen können addiert werden). Abb.-3: Kombinationen von sich gegenseitig ausschließenden Anlagenausfällen, die eine Fahrt von A nach B in einem exemplarischen Teilnetz verhindern 2.2 KPI Nutzersicherheit Der KPI der Nutzersicherheit berücksichtigt die Sicherheit (von Leib und Leben) aller Verkehrsteilnehmer (z.-B. Personen- und Güterverkehr), kann aber auch auf die Sicherheit von Personen und Objekten in der unmittelbaren Nähe eines Ingenieurbauwerkes erweitert werden. In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass die Verkehrsteilnehmer unter Berücksichtigung der äußeren Umstände angemessene Vorsicht und die übliche Sorgfalt walten lassen. Ein geeigneter PI, der hierfür verwendet werden kann, ist die Unfallrate oder die Anzahl der Unfälle, bei denen der Unfall auf einen sicherheitsgefährdeten Zustand einer Anlage oder eines Anlagenteils zurückzuführen ist. Eine Schätzung des Anteils der Unfälle, die auf Infrastrukturschäden zurückzuführen sind, sollte auf einer Kombination von Erkenntnissen aus Unfallstatistiken (z.-B. [7] und [8]), Studien (z.-B. [9]), Leitlinien (z.-B.-[10]) und der tatsächlichen Anzahl der Fahrzeuge, die das Netz bzw. den Streckenabschnitt jährlich befahren, basieren. Dabei sollte zudem die jährliche Verkehrszunahme/ -abnahme berücksichtigt werden, um die PI im Laufe der Zeit zu prognostizieren. Hinsichtlich der besonderen Arten von Schäden und der damit verbundenen Schwere, die eine Unfallursache sein können, sollten Schätzungen auf der Grundlage verfügbarer Studien (z.-B. [11]) vorgenommen werden. 2.3 KPI Verfügbarkeit Die Verfügbarkeit kann als der prozentuale Anteil der Zeit innerhalb eines Zeitintervalls definiert werden, in der eine Anlage die ihr zugewiesene Funktion erfüllt. Dabei ist es unerheblich, ob der Funktionsausfall durch eine geplante Maßnahme oder durch ein Bauwerksversagen verursacht wird. Es ist jedoch zu beachten, dass es verschiedene Arten von Verkehrsbeschränkungen geben kann, wie z.-B. Gewichtsbeschränkungen für Fahrzeuge, Sperrungen von Fahrspuren und Geschwindigkeitsreduzierungen. Verkehrsbeschränkungen können zu externen Kosten für die Nutzer in Form von zusätzlichen Ausgaben aufgrund von Zeitverlusten, höherem Kraftstoffverbrauch oder einer höheren Unfallrate führen (z.-B. [12], [13]). In den meisten Fällen kann die zusätzliche Reisezeit als angemessener PI zur Messung der KPI-Verfügbarkeit angesehen werden. Die zusätzliche Reisezeit sollte mit Hilfe eines Verkehrsmodells und entsprechender Verkehrssimulationen für verschiedene Szenarien von Verkehrsbeschränkungen auf den Anlagen abgeschätzt werden (z.-B. [14], [15]). 2.4 KPI Nachhaltigkeit Der Begriff Nachhaltigkeit umfasst sowohl ökologische, wirtschaftliche und soziokulturelle als auch funktionale Aspekte. Zu den Umweltaspekten gehören beispielsweise die Möglichkeit des Recyclings von Baumaterialien/ Bauteilen und die Minimierung der Umweltauswirkungen während der Nutzungsdauer einer Anlage. Soziologische und funktionale Kriterien sind z.-B. die Mobilitätsbedürfnisse, geringe Lärmbelästigung etc. Über den Inhalt und die Bedeutung von Indikatoren für soziale Aspekte gibt es in der Literatur jedoch kein einheitliches Meinungsbild. Die Bewertung der Nachhaltigkeitskennzahlen in der Praxis kann aufgrund der vielen Unsicherheiten und des Mangels an Daten eine anspruchsvolle Aufgabe sein. Von allen Nachhaltigkeitsaspekten ist es am einfachsten, die Umweltauswirkungen zu berücksichtigen. Hier beziehen sich die PI im Allgemeinen auf die Luftverschmutzung (d.-h. Emissionen), die aus zwei Quellen stammen: - Emissionen (NO x , CO 2 , etc.) aufgrund von Instandhaltungsmaßnahmen (Materialproduktion, Transport, graue Energie, etc.). - Emissionen (NO x , CO 2 , etc.) aufgrund zusätzlicher Fahrstrecken, die verschiedene Fahrzeuge auf Umleitungsstrecken zurücklegen [16]. 2.5 Planung von Erhaltungsmaßnahmen Der erste Schritt bei der Planung von Erhaltungsmaßnahmen erfolgt auf der Ebene der Anlagen. Das Ziel der 212 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 KPI-basiertes Lebenszyklusmanagement von Infrastrukturbauwerken durchgeführten Erhaltungsmaßnahmen ist es, die Werte der KPIs Zuverlässigkeit und Sicherheit der Nutzer im analysierten Zeitintervall zu verbessern. Die Kosten der Maßnahmen und ihr Zeitplan müssen ebenso berücksichtigt werden wie die Kaskadeneffekte auf das Netz. Es kann vorkommen, dass mehrere Anlagen gleichzeitig instandgesetzt oder erneuert werden, was zu einer geringeren Verfügbarkeit des Netzes führen kann (d.-h. zu zusätzlichen Fahrzeiten aufgrund von Staus und Umleitungen). Erhaltungsmaßnahmen können auch negative Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit haben. Eine Auswirkung sind die Emissionen, die durch den Herstellungsprozess von Materialien entstehen, die für die Maßnahme verwendet werden. Ein weiterer Effekt tritt bei der Umsetzung der Maßnahme auf und spiegelt sich in erhöhten Schadstoffemissionen aufgrund zusätzlicher Fahrtzeiten der Verkehrsteilnehmer wider. Die rein verkehrsregelnden Maßnahmen wie Geschwindigkeitsreduzierung, Belastungsbegrenzung und Fahrbahnsperrungen zur Verringerung der Schadensentwicklung oder zur Reduzierung einer möglichen Unfallzahl sind nicht Gegenstand der Untersuchung. 2.6 Normierung der KPIs Im Allgemeinen können PIs unterschiedliche native Einheiten haben und bei der Bewertung eines KPI unterschiedlich wichtig sein. Um dies zu berücksichtigen, ist es sinnvoll, eine Normalisierung durchzuführen, bei der die nativen Einheiten der PIs auf einer Skala von 1 bis 5 skaliert werden (1 ist der beste Wert und 5 der schlechteste Wert). Die Klammern für die Skala der nativen Einheiten können für jeden PI willkürlich gewählt werden, um heuristischen Regeln einer Agentur, die die Infrastruktur verwaltet, Rechnung zu tragen. Für zwei oder mehr PI, die sich auf einen KPI beziehen, gibt es verschiedene Möglichkeiten der KPI-Bewertung, z.-B. wird ein maximaler PI-Wert angenommen oder eine gewichtete Summe der PI gebildet. Im ersten Fall wird jeder PI skaliert und das Maximum (in diesem Fall der schlechteste Wert) aller PI wird als Proxy für den KPI-Wert genommen. Im zweiten Fall wird jeder Parameter skaliert und dann eine gewichtete Summe der PI ausgewertet, um den normalisierten KPI-Wert zu ermitteln. Es sei darauf hingewiesen, dass neben der Normierung auch eine Monetarisierung der PI möglich ist, wenn entsprechende Studien vorliegen (z.-B. [17], [18]), jedoch ist keiner der beiden Ansätze für die Bewertung von KPIs zwingend erforderlich. 2.7 Vergleich von Erhaltungsstrategien Die Werte der normierten KPI im Laufe der Zeit werden auf vier Achsen als 3D-Spinnendiagramm aufgetragen. Das Volumen des erhaltenen 3D-Körpers ist ein einheitsloser Wert, der zum Vergleich der Wirksamkeit von Erhaltungsstrategien verwendet werden kann (Abbildung-4). Der Querschnitt eines 3D-Körpers zu einem Zeitpunkt t stellt die Werte der KPI (t) dar. Die „Einschnitte“ innerhalb des 3D-Körpers beziehen sich auf die Zeitpunkte, in denen die KPI-Werte erheblich reduziert sind (z.-B. aufgrund der Zustandsverschlechterung des Bauwerks oder einer Erhaltungsmaßnahme). Abb.-4: Vergleich von Erhaltungsstrategien - 3D-Darstellung und orthogonaler Schnitt der KPI. 3. Prototypische Umsetzung Der theoretische Rahmen für die Bewertung der vier KPIs wurde im Rahmen eines webbasierten IT-Prototyps [5] umgesetzt, der die in Deutschland verwendete Methodik zur Bewertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfung [19] berücksichtigt. Die Funktionalitäten des Prototyps werden anhand eines beispielhaften Teilnetzes und vier Ingenieurbauwerken demonstriert (Abbildung-5). Der Prototyp verfügt über die folgenden Funktionen: - Auswertung der KPIs auf der Anlagenebene im zeitlichen Verlauf (Zuverlässigkeit und Sicherheit) - Definition von Erhaltungsszenarien pro Anlage - Auswertung von KPIs auf der Netzebene im zeitlichen Verlauf für eine vordefinierte Erhaltungsstrategie - Normierung der KPIs auf einer Skala von 1,0-5,0 - Vergleich von Erhaltungsstrategien auf der Grundlage der zeitlichen Entwicklung der KPIs und der korrespondierenden Erhaltungskosten. Abb.-5: Das Hauptfenster des Prototyps, das sowohl das GIS als auch eine schematische Darstellung des beispielhaften Teilnetzes zeigt. In den folgenden Abschnitten werden die einzelnen Funktionalitäten des Prototyps näher erläutert. 3.1 Bewertung von KPIs auf Anlagenebene und Auswirkungen von Erhaltungsmaßnahmen Jede Brücke im analysierten Teilnetz wird durch ein vereinfachtes Tragwerkssystem (z.-B. einen einfach gestützten Balken) modelliert. Die Schadensarten, der zugehörige Ort und der Schweregrad können zu einem Bauwerk hinzugefügt werden (die Tabelle „Schadensliste“ in Ab- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 213 KPI-basiertes Lebenszyklusmanagement von Infrastrukturbauwerken bildung 6). Die Vorgehensweise zur Erfassung und Bewertung von Bauwerksschäden entspricht der aktuellen Praxis gemäß DIN 1076 [19]. Die Maßnahmen (Tabelle „Maßnahme“ in Abbildung 6) sind mit Art der Maßnahme (Instandsetzung, Teilerneuerung, Ersatzneubau), Zeitplan (Jahr der Durchführung, ggf. wiederkehrendes Ereignis), Kosten und Umfang (Wirkung auf einen oder mehrere Schäden) vordefiniert. Die CO 2 -Emissionen, die durch die vordefinierten Maßnahmenaktivitäten verursacht werden, werden auf der Grundlage des Maßnahmentyps sowie der Art, der Geometrie und des Materials eines Bauwerks grob abgeschätzt. Die angenommenen PIs für den KPI Zuverlässigkeit sind Zuverlässigkeitsindizes β für den Grenzzustand der Tragfähigkeit und den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (obere Grafik in Abbildung-7). Dabei werden zwei mögliche Versagensarten pro Grenzzustand (Biegung und Querkraft) für die LM1-Belastung nach DIN EN 1991-2: 2010-12 berücksichtigt. Der angenommene PI zur Bewertung der KPI Sicherheit für die Nutzer ist die Anzahl der potenziellen Unfälle aufgrund von Schäden an dem Ingenieurbauwerk (untere Grafik in Abbildung-7). Diese Anzahl wird auf der Grundlage der extern an den Prototyp gelieferten Daten geschätzt, die Unfallstatistiken sowie das gemessene jährliche durchschnittliche tägliche Verkehrsaufkommen sowie die benutzerdefinierte jährliche Verkehrszunahme umfassen. Abb.-6: Schadensliste für eine Anlage (oben) und Definition eines Maßnahmenszenarios (unten) Die Auswirkungen von Schäden auf die PI werden mit Bayes‘schen Netzen modelliert. Die zeitliche Entwicklung der vorliegenden Schäden wird mit Hilfe eines Markov-Prozesses modelliert. Die Auswirkungen einer Maßnahmenanwendung auf die PIs innerhalb eines Jahres sind in Abbildung 7 als plötzlicher Anstieg der Zuverlässigkeitswerte und Rückgang der Anzahl der Unfälle dargestellt. Abb.-7: Zeitliche Entwicklung der PIs und Auswirkungen einer vordefinierten Erhaltungsmaßnahme 3.2 Bewertung der KPIs auf Netzebene und Auswirkungen der Erhaltungsstrategien Wenn alle Erhaltungsszenarien pro Anlage definiert sind, kann die Erhaltungsstrategie auf Netzebene definiert werden (Abbildung 8). Die diskontierten Kosten werden für einen benutzerdefinierten Diskontierungssatz berechnet. Die Bewertung der KPI-Verfügbarkeit erfolgt unter Berücksichtigung der zusätzlichen Reisezeit für den Personen- und Güterverkehr aufgrund der geplanten Erhaltungsmaßnahmen innerhalb eines Jahres (Abbildung 9). Dabei handelt es sich um externe Daten des Prototyps, die aus Verkehrssimulationen entstammen und die verkehrlichen Auswirkungen der Baumaßnahmen an den Ingenieurbauwerken für alle möglichen Kombinationen innerhalb des analysierten Netzes ermitteln. Die Ergebnisse der Verkehrssimulationen werden zudem für die Bewertung des KPI Nachhaltigkeit verwendet, der die CO 2 -Emissionen der Verkehrsteilnehmer (Personen- und Güterverkehr) berücksichtigt, die aufgrund von Umleitungsstrecken zusätzlich entstehen. 214 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 KPI-basiertes Lebenszyklusmanagement von Infrastrukturbauwerken Abb.-8: Festlegung von Erhaltungsstrategien für das Netz und Überblick über die Ausgaben Die Ermittlung des KPI Zuverlässigkeit für ein Netz wird in den folgenden Schritten beschrieben. Zunächst wird die maximale Ausfallwahrscheinlichkeit pro Anlage separat für den Grenzzustand der Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit über ein Intervall berechnet, wobei beide Ausfallarten (Biegung, Querkraft) berücksichtigt werden. Anschließend werden die Fälle gleichzeitiger Ausfälle von Anlagen im analysierten Netz (Abbildung 5) ermittelt, die die Fahrt vom Startpunkt zum Ziel verhindern (vgl. Abbildung 3). Anschließend werden die Ausfallwahrscheinlichkeiten für die identifizierten Fälle addiert. Als Ergebnis erhält man schließlich die Zuverlässigkeitsindikatoren β für die ULS- und SLS- Zustände. Abb.-9: Bewertung der KPIs Verfügbarkeit und Wartbarkeit für eine gewählte Erhaltungsstrategie Der KPI für die Sicherheit der Nutzer auf der Netzebene wird als Summe aller potenziellen Unfälle pro Anlage innerhalb eines Netzes quantifiziert. 3.3 Normierung der KPIs und Vergleich von Erhaltungsstrategien Die KPIs auf der Netzebene werden auf einer Skala von 1-5 (1 ist die beste, 5 die schlechteste) auf der Grundlage der benutzerdefinierten Klassengrenzen für den jeweiligen PI normalisiert. Abbildung 10 zeigt ein Beispiel für die Normierung des KPI Verfügbarkeit. Zunächst werden die beiden PIs, zusätzliche Reisezeit für den Personenverkehr („Zeit_DTV“) und den Güterverkehr („Zeit_SV“), unter Verwendung unterschiedlicher Klassengrenzen normiert. Die erkennbaren „Abfälle“ des KPI-Wertes beziehen sich auf diejenigen Zeitpunkte, zu denen eine Erhaltungsmaßnahme durchgeführt wird (vgl. Abb. 10). Abb.-10: Normierung der Werte von PIs zur Berechnung der KPI-Verfügbarkeit Bei der Durchführung einer KPI-Normierung können die Erhaltungsstrategien für das analysierte Netz verglichen werden, wobei die Zeitpräferenz bei der Bewertung des Verhältnisses von 3D-Volumenkörper und Strategiekosten (DV/ DK-Verhältnis) berücksichtigt wird (vgl. Abbildung 11). Abb.-11: Vergleich von Erhaltungsstrategien im Prototyp und Visualisierung der normierten KPIs für ein definiertes Jahr 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 215 KPI-basiertes Lebenszyklusmanagement von Infrastrukturbauwerken Die Strategie mit einem größeren Verhältniswert ist zu bevorzugen. Die 3D-Darstellung der KPI über die Zeit, d. h. der 3D-Volumenkörper, kann für ausgewählte Zeitintervalle visualisiert werden (Abbildung 12). Abb.-12: 3D-Visualisierung des KPI-Plots im Zeitverlauf für eine gewählte Erhaltungsstrategie 4. Resilienzbewertung und Weiterentwicklungspotentiale Das Maß der Zielerreichung (ausgedrückt durch die dargestellten KPI) beschreibt den Nutzen des Netzabschnittes für alle Stakeholder (Nutzer, Betreiber, Gesellschaft etc.). Dies bedeutet, dass die Ausprägung der KPI die Leistung (d.- h. die Qualität) eines Verkehrsnetzes im Laufe der Zeit widerspiegeln. Das Volumen des 3D-Körpers innerhalb eines Jahres (Vol(t)) kann somit als Maß für die Bewertung der Resilienz des Netzes gegenüber plötzlichen Ereignissen herangezogen werden. Dieses Volumen entspricht der Fläche des Spinnendiagramms in Abbildung 11, integriert über die Dauer eines Jahres. Das maximale Volumen ist folglich dann erreicht, wenn alle KPI die maximalen, d.-h. die besten Werte aufweisen. Wie in Abbildung 13a dargestellt, wirkt sich die Zustandsverschlechterung der Anlagen innerhalb eines Netzes auf die KPI-Werte aus, so dass das Volumen im Laufe der Zeit abnimmt. Im Falle eines plötzlichen Ereignisses, sinkt das Volumen, da eine oder mehrere Anlagen ausfallen. Während der Wiederherstellungszeit kann das Volumen weiter sinken, steigen oder wie in diesem Beispiel konstant bleiben. Eine vollständige Wiederherstellung würde bedeuten, dass die KPI-Werte zu den Maximalwerten zurückkehren, was sich in einem plötzlichen Anstieg von Vol(t) auf bis zu 100 % widerspiegelt. Wird eine rechtzeitige Instandhaltungsmaßnahme an der/ den Anlage(n) durchgeführt, um einen übermäßigen Verfallsprozess zu unterbinden (Abbildung-13b), würde das Volumen durch ein plötzliches Ereignis in geringerem Maße beeinträchtigt als ohne Instandhaltungsmaßnahme (z.- B. weniger Ausfälle und kürzere Erholungszeit). Während der Maßnahme wird das Volumen leicht reduziert, da die KPI der Verfügbarkeit und der Nachhaltigkeit betroffen sind. Daraus ist erkennbar, dass eine Maximierung des Volumens des 3D-Körpers (Abbildung 12) auch die Widerstandsfähigkeit eines Ingenieurbauwerks gegenüber plötzlichen Ereignissen erhöht. Für eine mittelbis langfristige Erhaltungsplanung auf der Basis einer Resilienzbewertung ist es zusätzlich notwendig, die Eintrittswahrscheinlichkeit von plötzlichen Ereignissen zu berücksichtigen, z.-B. durch eine Monte-Carlo-Simulation für verschiedene Zeitpunkte im betrachteten Zeitintervall. Abb.-13: Beispiel für die Bewertung der Resilienz eines Verkehrsnetzes für die Fälle: a) ohne Erhaltungsmaßnahme und b) mit präventiver Erhaltungsmaßnahme Der Aspekt der Resilienz von Ingenieurbauwerken zur Bewertung der Widerstandsfähigkeit gegenüber plötzlichen Ereignissen auf der Grundlage des Volumens des 3D-Körpers wird derzeit bereits im Rahmen von weiteren Forschungstätigkeiten beleuchtet. 5. Zusammenfassung In diesem Beitrag wurde eine Methodik für das Lebenszyklusmanagement von Ingenieurbauwerken auf der Grundlage von Leistungszielen bzw. Schlüsselindikatoren (KPI) und zugeordneten Leitungsindikatoren (PI) vorgestellt, prototypisch umgesetzt und getestet. Dabei wurden die folgenden Schlüsselindikatoren für eine Leistungsbewertung der Bauwerke verwendet: Zuverlässigkeit, Sicherheit der Nutzer, Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit. Die dargestellte Methodik ist dabei eine Fortsetzung und Weiterentwicklung der methodischen Ansätze, die im Rahmen der EU COST TU1406 Action erarbeitet wurden, wobei in der vorliegenden Studie ein Schwerpunkt auf der Bewertung der KPI auf der Netzebene für mehrere Anlagen liegt. Die vorgestellte Methodik wurde in einem webbasierten Prototyp implementiert, um die Anwendbarkeit in der Praxis und eine zukünftige Verknüpfung zu bestehenden Managementwerkzeugen zu demonstrieren. Innerhalb des Prototyps kann die Analyse der KPI sowohl auf der Anlagenals auch auf der Netzebene unter Berücksichtigung verschiedener PI durchgeführt werden. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, Erhaltungsszenarien pro Anlage und Erhaltungsstrategien für das analysierte Netz zu definieren, die die Werte der KPI im Laufe der Zeit beeinflussen. Das Hauptmerkmal des Prototyps ist der Vergleich von Erhaltungsstrategien anhand eines 3D-Körpervolumens, das durch die KPI-Werte im Zeitverlauf definiert ist. Sowohl die Methodik als auch der Prototyp können kontinuierlich weiterentwickelt und erweitert werden, um eine verkehrsträgerspezifische Anwendung mit entsprechenden Leistungsindikatoren zu. Zuletzt besteht zudem die Möglichkeit die vorgestellte Methodik 216 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 KPI-basiertes Lebenszyklusmanagement von Infrastrukturbauwerken um den Aspekt der Resilienz zu erweitern und in den Prototypen zu integrieren. Danksagung Die Autoren danken der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) für die Finanzierung und fachlichen Betreuung dieser Forschung im Rahmen des Forschungsprojektes FE-69.0007/ 2020. Literatur [1] Technical Committee D.1 Management of infrastructure assets (2019). Innovative approaches in asset management. PIARC, Ref.: 2019R19EN. ISBN: 978-2-84060-541-6. https: / / www.piarc.org/ en/ order-library/ 31221-en-Innovative%20Approaches%20to%20Asset%20Management [2] Rijkswaterstaat (2012). Leidraad RAMS—sturen op prestaties van systemen (in Dutch). Den Haag: Ministerie van Verkeer en Waterstaat. [3] Strauss, A., Mandić, A. & Ivanković (2016). Performance Indicators for Roadway Bridges. TU1406 Cost Action, WG1 Technical Report. [4] Hajdin, R., Kusar, M., Masovic, S., Linneberg, P., Amado, J. & Tanasić, N. (2018). Quality Specifications for Roadway Bridges, Standardization at a European Level. TU1406 Cost Action, WG3 Technical Report - Establishment of a Quality Control Plan. 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Voraussetzung für einen Digitalen Zwilling ist die Überführung sämtlicher relevanter Informationen aus der Planungs- und Bauphase, sowie des Unterhaltungsbereichs. Dies schließt sowohl semantische Informationen als auch sämtliche anderen heterogenen Datentypen bis hin zu Echtzeitinformationen aus Monitoring ein. Die bisher bekannten BIM-Dateiformate eignen sich dabei nicht zur Anreicherung dieser Informationen. Erforderlich sind entsprechend klassifizierte Datenbanksysteme in Verbindung mit Linked-Data-Ansätzen, die die erforderlichen Informationen in Daten-Containern revisionssicher speichern. Bisher fehlen hierfür Standards oder Best-Practice Ansätze. Der vorliegende Beitrag soll die Problematik erläutern, Lösungsansätze aus bisher gesammelten Projekterfahrungen präsentieren, sowie den kurz- und mittelfristig erforderlichen Entwicklungsbedarf aufzeigen. 1. Einleitung Building Information Modeling (BIM) beinhaltet eine verbesserte Abbildung von Planungs-, Entwurfs-, Bau-, Betriebs-, und Instandhaltungsprozessen von Bauwerken durch standardisierte Informationsmodelle für alle Gewerke während des gesamten Lebenszyklus [1]. Nach Definition des VDI hat sich BIM als Oberbegriff für die Digitalisierung der Wertschöpfungskette beim Planen, Bauen und Betreiben von Gebäuden durchgesetzt [2]. Der Begriff BIM wurde zuerst 1992 verwendet [3] und wurde seit 2003 durch die Firma Autodesk popularisiert [4]. Durch das in der Baubranche weltweit gestiegene Bedürfnis nach Produktivitätssteigerungen, sowie durch politische Anreize, steigerte sich die Anwendung von BIM weltweit stark [5], insbesondere in den führenden Industrienationen [6]. Die starke bisherige Entwicklung der BIM-Methodik und der zukünftige Entwicklungsbedarf werden in diesem Beitrag aufgegriffen. Zunächst werden der aktuelle Stand der Normung sowie das Datenmanagement in Zusammenhang mit BIM beschrieben. Zusätzlich wird der erforderliche Entwicklungsbedarf zur Realisierung von Digitalen Zwillingen in Rahmen von BIM aufgezeigt. 2. BIM-Regelwerke und Digitale Zwillinge Die Verfügbarkeit von Regelwerken ist international unterschiedlich ausgeprägt. Neben den internationalen ISO-Standards [10]-[25] gibt es z. B. in den USA und GB jeweils nationale Normenreihen, die neben normativen Standards zum Informationsaustausch und Konformitätsspezifikationen auch Referenzprozesse, -spezifikationen und -beispiele enthalten, sowie Implementierungsressourcen in Form von Musterverträgen oder Best Practice Richtlinien [26]-[31]. Abbildung 1: Phasenmodell der BIM-Implementierungsstrategie des BMVD 218 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Lösungsansätze zur Implementierung von Digitalen Zwillingen in BIM In Deutschland sind neben den DIN-Normen [32]-[39] insbesondere die VDI-Richtlinie 2552 [2], sowie im Infrastrukturbereich der Stufenplan „Digitales Planen und Bauen“ des BMVI mit den dar-aus resultierenden Handreichungen und Leitfäden für die Anwendung von BIM maßgebend [40]-[43]. Langfristig soll die physische Bundesfernstraßeninfrastruktur digital und in ihrer gesamten Komplexität in einem Digitalen Zwilling abgebildet werden. Im Bereich der Schiene hat die DB AG eine BIM- Strategie als Masterplan erstellt [44]. In der abschließenden dritten Phase „Digital Transformation“ soll die BIM-Methodik vollständig für Planen, Bauen und Betreiben genutzt werden, also einem Digitalen Zwilling des Bauwerks. Im Bereich der Wasserstraße existiert seit kurzem analog hierzu die „Implementierungsstrategie BIM- WSV 2030“ [45]. Alle zuvor genannten Strategien sehen dabei als langfristiges Ziel die Nutzung von BIM über die Planungs- und Bauphase hinaus als Grundlage für den Auf bau von Digitalen Zwillingen für Planung, Realisierung, Betreiben, Erhalten und Weiterentwicklung der baulichen Infrastruktur (Abbildung 1). Voraussetzung hierfür ist die Überführung sämtlicher relevanter Informationen aus der Planungs- und Bauphase sowie des Unterhaltungsbereichs. Hierfür müssen über digitale Schnittstellen Informationen phasen- und parteiübergreifend austauschbar sein. Dieser Prozess ist in den englisch-sprachigen Regelwerken unter dem Begriff „Construction-Operations Building information exchange“ (COBie) beschrieben und genormt [26], [29], [46]. Die Konzepte sind allerdings auf den Hochbau ausgerichtet, im Infrastrukturbereich fehlen bisher insbesondere Standards zu Objekt- und Datenkatalogen, da jeder Infrastrukturbetreiber individuelle Kataloge pflegt. Ein internationaler Standard, der auch den Informationsaustausch für Infrastrukturbauwerke beinhaltet ist derzeit in Arbeit [23]. Im Allgemeinen muss die große Menge an Bauwerksinformationen und -daten im Zuge der Bedarfsermittlung klassifiziert und typisiert werden, um eine Grundlage für ein Betriebsmodell zu erschaffen. Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Datentypen, sowie deren Rangordnung, Priorisierung, Status, Anwendung und Unterhaltungsaufwand ist in Abbildung-2 exemplarisch dargestellt (s.a. [47]). Abbildung 2: Typisierung von Bauwerkinformationen nach [47] Die vorgenannten technischen Standards entstehen i. d. R. auf Grundlage intensiver Forschungsbemühungen. Im Allgemeinen steigt die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Themenkomplex BIM seit Jahren kontinuierlich an [48]-[50]. Ein immer stärkeres Interesse in der BIM-Forschung liegt dabei auf der Interoperabilität von Planungs- und Betriebsmodellen bis hin zum Digitalen Zwilling [51]-[55]. Trotz der bereits großen Zahl der Veröffentlichungen wird allerdings deutlich, dass detaillierte Regelwerke und die Charakterisierung von Best Practice Ansätzen weiterhin Gegenstand der Forschung sein werden [55]. Obgleich mittlerweile ein großes Interesse an Digitalen Zwillingen im Bauwesen besteht, gibt es bisher nur wenige prototypische Umsetzungen von Digitalen Zwillingen im Infrastrukturbau. Ein Beispiel für die Umsetzung eines komplexen Digitalen Zwillings auf Basis eines BIM-Modells ist das Projekt smartBRIDGE Hamburg, der Digitale Zwilling der Köhlbrandbrücke in Hamburg [56]-[59] (Abbildung-3). Das Projekt smartBRIDGE Hamburg hatte das Ziel, die modernsten technologischen Möglichkeiten zur Bauwerksüberwachung, Bauwerksdiagnostik und Zustandserfassung in einem breiten Spektrum zu erproben und eine Methodik zu entwickeln, diese unter Nutzung eines webbasierten Frontends sowie AR- und VR-Technologien für verschiedene Nutzergruppen rollengerecht zu abstrahieren und zu visualisieren. Die Systemarchitektur sollte dabei so ausgelegt sein, dass ein modulares, adaptives, massiv skalierbares und weitgehend automatisiertes System zur integralen Bauwerksüberwachung und Zustandsbeurteilung entsteht. Unter anderem auf Basis der Erfahrungen in diesem Projekt entstand das DBV-Merkblatt „Digitaler Zwilling“ [60]. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 219 Lösungsansätze zur Implementierung von Digitalen Zwillingen in BIM Abbildung 3: Benutzeroberfläche von smartBRIDGE Hamburg (Quelle: smartBRIDGE) 3. Datenmanagement in BIM Modellen und Entwicklungsbedarf Die Vorteile einer BIM-basierten Planung können in der Praxis vor allem in der Möglichkeit liegen, frühzeitig mögliche Kollisionen zu erkennen, Bauabläufe zu visualisieren oder digital vorliegenden Planungsinformationen zu überlagern. Ein differenzierter Blick auf die Vor- und Nachteile einer BIM-basierten Planung insbesondere in den frühen Leistungsphasen wurde in [61] anhand des Beispiels Argentinienknoten in Hamburg vorgenommen (Abbildung-4). Das Projekt hatte als Machbarkeitsstudie im Kern den Ersatz zweier Straßenbrücken und einer Bahnbrücke zum Ziel. Damit verknüpft waren die Erneuerung der Uferbauwerke. Es mussten auch alle weiteren Bauwerke des Verkehrsknotens sowie die dort vorhandenen eventuell tangierten Elemente, z.- B. Leitungen, Siele und ein Fähranleger, einbezogen werden. Zentrales Element der Machbarkeitsstudie war eine modellbasierte Variantenuntersuchung, mit deren Hilfe die neuralgischen Punkte identifiziert und die einzelnen Varianten anhand eines abgestimmten Kriterienkatalogs einer objektiven Bewertung zugeführt wurden. Ziel ist die Festlegung einer Vorzugsvariante, für welche weitere Anwendungsfälle umzusetzen waren, insbesondere Kostenermittlung, Bauablauf- und Baulogistikplanung, sowie detaillierte Visualisierungen des Bauablaufs [61]. Abbildung 4: Bestandsmodell des Argentinienknotens mit a) Darstellung der Bauwerke und b) Bestand unter der Geländeoberfläche [61] 220 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Lösungsansätze zur Implementierung von Digitalen Zwillingen in BIM Das zu Beginn erstellt Bestandsmodell des Argentinienknotens diente als zentrale Datendrehscheibe und Informationsquelle im Sinne der Single Source of Truth (SSoT). Als Modellierungsgrundlage wurden digitale Geländemodelle, Punktwolken, weitere Vermessungsdaten und Bestandspläne verwendet. Zudem werden auch Umgebungsdaten, wie bspw. CityGML-Daten (3D-Stadtmodell), ALKIS-Kacheln, Auszüge aus dem digitalen Höhenmodell, Peildaten und Orthofotos, integriert. Zur Darstellung der Gegebenheiten und Randbedingungen unter der Geländeoberfläche wurden Siel- und Leitungsdaten, Ergebnisse zur Gefahrenerkundung auf Kampfmittelverdacht und Informationen zum Baugrund zu 3D-Informationsmodellen auf bereitet. Eine Übersicht der Inhalte des Bestandsmodells ist in Abbildung 5 dargestellt. Abbildung 5: Inhalte des Bestandsmodells Argentinienknoten [61] Im Rahmen der Machbarkeitsstudie konnte gezeigt werden, dass mit der BIM-Methode umfangreiche Planungsunterlagen in einer zentralen Datendrehscheibe von unterschiedlichen Planungspartnern ver- und bearbeitet werden können. Im Sinne der Handhabung der Modelle ist die geometrische Detaillierung so weit als möglich zu reduzieren [2]. Insbesondere in größeren Infrastrukturprojekten kommen die BIM-Systeme derzeit oft an ihre Grenzen. Um die Realisierung von Digitalen Zwillingen zu ermöglichen, muss die BIM-basierte Planung darüber hinaus um zusätzliche Anwendungsfelder erweitert werden. Die wesentlichen Anwendungsfelder, die zu implementieren sind, sind BIM-basierte Bauwerksprüfungen, Zustandserfassung oder Örtliche Bauüberwachung, Instandsetzungsplanung, Bestandsdatenmanagement und Einbindung von Echtzeitdaten ( Abbildung 6 ). Bisher sind diese Prozesse oftmals noch nicht digitalisiert, und wenn diese digitalisiert sind, werden die Daten in Silos getrennt voneinander gespeichert. Die im Zuge einer Bauwerksprüfung erfassten Schäden werden bspw. in einer eigenen Datenbank gespeichert. Für die Erfassung aggregierter Echtzeit-Zustandsindikatoren gibt es keine Standards. Abbildung 6: Zusätzliche Anwendungsfelder zur Erschließung Digitaler Zwillinge Im Digitalen Zwilling sollen die Informationen über das BIM-Modell als zentrale Datendrehscheibe sichtbar bzw. abruf bar sein. Als Voraussetzung hierfür muss auch der Prozess der Datenerfassung konsequent digitalisiert werden. Als Beispiel würden dann im Fall der modellbasierten Bauwerksprüfung die Schäden direkt vor Ort im Tablet erfasst und im Bauwerksmodell verortet werden. Die Schäden können vom Bauwerksmodell aus als Schadensmodell im ifc-Format exportiert und an den Bauherrn übergeben werden. Über entsprechende Makros können die Schäden auch als Liste oder als Prüf bericht im pdf Format ausgegeben werden, sodass auf analoge Zwischenschritte verzichtet werden kann. Die Eingabe der Schäden erfolgt direkt vor Ort beispielweise über Formulare, die über eine Programmierschnittstelle in die BIM- Software eingebunden sind. Die Schäden werden über sogenannte PINs am Bauwerk verortet. Diese Anwendungsfälle wurden bereits bei WTM Engineers mit der BIM Managementsoftware DESITE MD umgesetzt [62]. Ziel der Digitalisierung ist, die Verfügbarkeit von und den Umgang mit Informationen zu verbessern um Planung, Ausführung und Instandhaltung zu optimieren. Erreicht wird dies, indem das derzeitige dezentrale Datenmanagement und die analogen Prozesse durch ein zentrales Datenmanagement mit digitalen Prozessen ersetzt werden. Die Ersterfassung von Informationen erfolgt also direkt digital am Aufnahmeort, und auch alle weiteren Datenverarbeitungsschritte sollen digital ablaufen. Die heterogenen Informationen werden dann in einer zentralen Datenbank (Single Source of Truth) abgelegt. Der eigentliche Entwicklungsbedarf besteht noch hinsichtlich einer zentralen Bauwerksdatenbank für das Datenmanagement. Für einen Digitalen Zwilling wird dem Grunde nach ein BIM-basiertes Produktdatenmanagementsystem für Bauwerke benötigt ( Abbildung 7 ). 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 221 Lösungsansätze zur Implementierung von Digitalen Zwillingen in BIM Abbildung 7: Produktdatenmanagementsystem (PDM-System) für Infrastrukturbauwerke In dem PDM-System können alle Arten von Daten gespeichert werden, die das Bauwerk betreffen. Allerdings ermöglicht es das System im Unterschied zu anderen Datenbanken, sämtliche Daten anhand der BIM-Taxonomie und der Klassifikationen des Digitalen Zwillings zu indizieren oder attribuieren. D. h. die Datenbank wäre eng verknüpft mit dem BIM Modell des Bauwerks, sodass sämtliche Daten eindeutig Bauteilen oder Teilbauwerken im jeweils richtigen Kontext (z. B. Bauwerks-prüfung, Instandsetzung etc.) zugeordnet werden können. Ein solches System müsste auch dauerhaft und revisionssicher ausgelegt werden. Eine solche Datenbank wäre ein mächtiges Werkzeug für Drittsysteme die auf die entsprechenden Daten und Metadaten zugreifen können und wäre zudem die Planungsgrundlage für alle Beteiligten. Für Daten aus Bauwerksmonitoring würden andere Lösungen zur Implementierung der Daten in BIM benötigt, da diese Daten hochdynamisch sind oft nur teilweise dauerhaft archiviert werden. Dies wurde ebenfalls exemplarisch im Projekt smartBRIDGE Hamburg durch Einbindung von über 500 Sensoren in einem BIM-basierten 3D-Modell des Bauwerks umgesetzt. Im Wesentlichen wurden IoT Datenserver, hier FROST-Server (Fraunhofer Open Source SensorThings API Server), verwendet, um die Messdaten aus Monitoring und Diagnostik bereitzustellen. Die Daten wurden über die Taxonomie des BIM-Modells bzw. die Bauwerksdatenbank SIB-BW attribuiert. Ein FROST-Server eignet sich hierbei zur Bereitstellung von Messdaten, aber nicht zur Bereitstellung heterogener Datentypen eines PDM-Systems. D. h. um einen Digitalen Zwilling zu realisieren, müssen mindestens zwei Systeme miteinander kombiniert werden, ein Produktdatenmanagementsystem und die IoT-Datenbank für Echtzeitdaten (Abbildung-8). Beide Systeme sind der BIM-Taxonomie bzw. der Klassifikation des Digitalen Zwillings unterzuordnen. Über eine entsprechende Host- Architektur werden die Informationen in Verbindung mit den BIM Programmsystemen für den Endnutzer zur Verfügung gestellt. Der Nutzen der konsequenten Digitalisierung und Strukturierung der Daten nach der BIM-Taxonomie liegt dabei nicht nur in einer Verbesserung der Datenverfügbarkeit und Steigerung der Produktivität. Vielmehr ist ein Digitaler Zwilling nach Abbildung-8 die Voraussetzung für die effektive Anwendung weiterführender Technologien wie der künstlichen Intelligenz. Diese funktioniert besonders effizient, wenn Daten bereits in den richtigen Kontext eingeordnet sind. Abbildung 8: Kombination eines PDM-Systems und einer Echtzeitdaten-Bereitstellung zu einem Digitalen Zwilling 222 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Lösungsansätze zur Implementierung von Digitalen Zwillingen in BIM 4. Zusammenfassung und Ausblick In dem vorliegenden Beitrag wurde der aktuelle Stand der Normung und der technischen Entwicklung der BIM- Technologie beschrieben. Des Weiteren wurde auf den mittelfristig erforderlichen Entwicklungsbedarf zur Realisierung Digitaler Zwillinge eingegangen. Nach Auffassung des Autors werden hierfür leistungsfähige Produktdatenmanagementsysteme benötigt, die alle das Bauwerks betreffenden Daten im Kontext der BIM-Taxonomie speichern können. Der Digitale Zwilling sollte hierbei auch nicht als das Ziel einer technologischen Entwicklung betrachtet werden, sondern als erforderliches Werkzeug um weiterführende Technologien wie die Künstliche Intelligenz effektiv und wertschöpfend einsetzen zu können. 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Bauwerksinformationsmodellierung und andere digitale Prozesse im Bauwesen - Methodik zur Beschreibung, Erstellung und Pflege von Merkmalen in miteinander verbundenen Datenkatalogen (ISO 23386: 2020); Deutsche Fassung EN ISO 23386: 2020. [36] DIN EN ISO 23387, 2020. Bauwerksinformationsmodellierung (BIM) - Datenvorlagen für Bauobjekte während des Lebenszyklus eines baulichen Vermögensgegenstandes - Konzepte und Grundsätze (ISO 23387: 2020); Deutsche Fassung EN ISO 23387: 2020. [37] DIN EN ISO 29481-1, 2018. Bauwerksinformationsmodelle - Handbuch der Informationslieferungen - Teil 1: Methodik und Format (ISO 29481- 1: 2016); Deutsche Fassung EN ISO 29481-1: 2017. [38] DIN SPEC 91350, 2016. Verlinkter BIM-Datenaustausch von Bauwerksmodellen und Leistungsverzeichnissen. [39] DIN SPEC 91400, 2017. Building Information Modeling (BIM) - Klassifikation nach STLB-Bau; Text Deutsch und Englisch. [40] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Hrsg., 2015. 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[59] Herbrand, M.; Lazoglu, A.; Wenner, M.; Ullerich, C.; Zehetmaier, G.; Marx, S.: Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten im Brückenbau. Bautechnik 99, Heft 2, S. 95-103, DOI: 10.1002/ bate.202100095, Februar 2022. [60] DBV-Heft 51: Digitaler Zwilling - Strategie für den Bestandserhalt. Deutscher Beton- und Bautechnik Verein e. V., Berlin 2021. [61] Middendorf, J. et al.: Der Argentinienknoten - komplexe Infrastruktur mit BIM im Griff. Bautechnik 99, Heft 7, S. 517-523, 2022. [62] Bornholdt, M., Petersen, M., Goedeke, H.: BIM in der Instandsetzungsplanung. Bautechnik 98, Heft-4, S. 318-324, 2021. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 225 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht Erweiterung der Konzepte aus smartBRIDGE Hamburg Alex Lazoglu, M. Sc. Marx Krontal Partner GmbH, Hannover Adrian Bartsch, M. Sc. Marx Krontal Partner GmbH, Hamburg Hubert Naraniecki, M. Sc. Marx Krontal Partner GmbH, Hannover Dipl.-Ing. Daniel Oberhauser Deutsche Bahn Netz AG, Ulm Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx Institut für Massivbau, Technische Universität Dresden Zusammenfassung Mit dem Fahrplanwechsel der DB Netz AG gingen die Prestigeobjekte Filstalbrücken im Dezember 2022 in den Betrieb. Die filigrane und integrale Tragstruktur sowie der Einsatz komplexer Sonderkonstruktionen erfordern die automatisierte, messtechnische Überwachung neuralgischer Bauwerksbereiche. Mit der Verknüpfung weiterer Bauwerksinformationen, u. a. Inspektionsdaten, entsteht in analoger Weise zu smartBRIDGE Hamburg ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken. Die Einführung des Traglastindex zur Tragsicherheitsbewertung von Straßenbrücken sowie die Unterschiede in der Zustandsbewertung zwischen Straßen- und Eisenbahnbrücken erfordern eine Erweiterung der Aggregationskonzepte und Datenbankmodelle aus smartBRIDGE Hamburg. Durch eine Generalisierung sollen diese künftig für Eisenbahn- und Straßenbrücken gleichermaßen verwendet werden. Der Einsatz von Datenbanken und Systemen der cloudbasierten Anwendungsbereitstellung wird optimiert. Das BIM-Modell aus der Planungsphase dient der 3D-Visualisierung für die Datenbereitstellung und intuitiven Navigation innerhalb des Digitalen Zwillings. 1. Einleitung 1.1 Problemstellung Die Sicherheit der Brückeninfrastruktur wird initial durch eine statische Bemessung in der Planungsphase sichergestellt. Mögliche Zustandsänderungen, u. a. aus Degradationsprozessen oder erhöhten Einwirkungen gepaart mit konstruktiv eingeprägten Mängeln aus seinerzeitigen Bemessungsansätzen, erfordern während des Betriebes die regelmäßige Zustandserfassung und bei Bedarf eine Nachrechnung der Tragsicherheit. Zustandsbewertungen durch die Bauwerksinspektion/ -prüfung und Tragsicherheitsbewertungen durch die rechnerische Nachweisführung unterliegen i. d. R. einem Informationsmangel, dem durch konservative Annahmen begegnet wird oder welcher gänzlich unberücksichtigt bleibt. Erhaltungsmaßnahmen werden eingeleitet, wenn es der Zustand oder Nachweisdefizite erfordern. Dies führt zu konservativen, kurzfristigen Entscheidungen und damit zu einem primär reaktiven Erhaltungsmanagement. Kompensations-, Erhaltungs- oder gar Ersatzneubaumaßnahmen sind die Folge. Die Sperrung der Rahmedetalbrücke im Dezember 2021 verdeutlicht u. a. den hohen gesellschaftlichen Schaden, der damit einhergehen kann. Der Einsatz messtechnischer Untersuchungen und die Digitalisierung ermöglichen ein großes Potenzial für den Übergang in ein präventives und perspektivisch prädiktives Erhaltungsmanagement. Für die dafür notwendige Prozessautomatisierung sind zunächst kreative Konzepte und ferner standardisierte Vor-gehensweisen erforderlich. 1.2 Vision: Digitaler Zwilling Die Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes [1] orientiert sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN-Agenda 2030. Das Ziel 9 umfasst u. a. den Auf bau einer „widerstandsfähigen Verkehrsinfrastruktur“. Dabei gilt der Strategie „Erhalt vor Aus- und Neubau“ und der verkehrsträgerübergreifenden Optimierung des Ver-kehrsflusses besonderer Vorrang. Ziel 12 fokussiert die Effizienzsteigerung der Ressourcennutzung im Hinblick auf das Ziel einer CO 2 -Neutralität. Die Nutzung digitaler Innovationen zur Erreichung dieser Ziele ist über vergangene Legislaturperioden ein zunehmender Bestandteil der Koalitionsverträge. 226 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht Der von der Initiative „planen-bauen 4.0“ entwickelte Stufenplan „Digitales Planen und Bauen“ [2] legt den Grundstein für die Digitalisierung der Infrastruktur auf Basis der BIM-Methodik. Der BIM-Masterplan Bundesfernstraßen [3] und die BIM-Strategie der Deutschen Bahn AG (DB) [4] visionieren darüber hinaus das Zukunftsbild des Erhaltens und Betreibens auf Basis Digitaler Zwillinge. Nachdem sich der Einsatz von BIM im Planen und Bauen etabliert hat, sollen ab ca. 2025 durch die Entwicklung von Testfeldern, Digitale Zwillinge entwickelt, erprobt und aus dem Erfahrungsschatz ein Masterplan zum Aufbau und Betrieb Digitaler Zwillinge abgeleitet werden. 1.3 Pilotvorhaben: Digitaler Zwilling Filstalbrücken Die im Dezember 2022 in den Betrieb überführten Filstalbrücken wurden teilweise mit der BIM-Methodik geplant [5]. In Erweiterung wird zum Zeitpunkt der Artikelerstellung ein Digitaler Zwilling für die Überwachung der Eisenbahnbrücken im Betrieb entwickelt. Die zwei parallel verlaufenden, eingleisigen Brücken queren mit längsvorgespannten Durchlaufträgern über je sechs Felder und Bauwerkslängen von 472 m und 485 m das Tal der Fils. Mit einer lichten Höhe von ca. 75 m gelten sie als dritthöchste Eisenbahnüberführungen Deutschlands (vgl. Abb. 1). Der längsvorgespannte Hohlkasten ist monolithisch an die filigranen Pfeiler angeschlossen und an den Widerlagern beidseitig auf-gelagert. Abb. 1: Detailliertes Punktwolkenmodell und Ansicht der Filstalbrücken Die eingesetzten Sonderkonstruktionen und die semiintegrale Bauweise, insbesondere die filigranen Schrägstützten und Y-Knoten, haben sich im Eisenbahnbrückenbau noch nicht bewährt und erfordern daher die messtechnische Überwachung. Als für die Inbetriebnahme relevante Auflage dient die Messung einer Verifizierung der Bemessungsannahmen und Funktionsüberwachung der Sonderkonstruktionen. Nähere Einblicke in die Bauweise sowie konstruktive Besonderheiten und Herausforderungen geben [6] und [7]. Einige Besonderheiten sind im Folgenden näher erläutert: - Federlamellen: Die Längsfesthaltung der Bauwerke erfolgt an je einem Widerlager durch zwei sich kreuzende Stahllamellen. Die Funktionstüchtigkeit dieser Sonderkonstruktionen ist relevant für die Standsicherheit (vgl. Abb. 2 links). - Führungslager: Die Verschiebung des Oberbaus in Lateralrichtung wird durch Führungslager begrenzt. Die Funktionstüchtigkeit der Konstruktionen ist verkehrssicherheitsrelevant (vgl. Abb. 2 rechts). - Ausgleichsplatten, Sonderschienenstützpunkte und Schienenauszüge: Die Verformungen an den Übergangsbereichen werden durch diese Konstruktionen kompensiert. Die Verkehrs-sicherheit wird dadurch sichergestellt. - Monolithische Pfeiler: Die Pfeiler können hohe Biegebeanspruchungen erfahren. Die zulässigen Spannungen dürfen zur Sicherstellung der Standsicherheit nicht überschritten werden. Ein Längsverschub der Bauwerke diente der Reduktion der Pfeilerbeanspruchung. Ein erneuter Verschub infolge von Kriech- und Schwindverlusten wurde für einen Zeitraum von 12 Jahren nach erstmaligem Verschub prognostiziert. Abb. 2: Beispiel neuralgischer Bereiche - Federlamelle (links) und Führungslager (rechts) Der Digitale Zwilling wird vergangene und künftig anfallende Daten zusammenführen, zu Informationen aggregieren und intuitiv konsumierbar zur Verfügung stellen. Aktuelle Zustände werden in Echtzeit wieder-gegeben und Zuständige bei kritischen Änderungen alarmiert. Der Digitale Zwilling wird 2023 vollständig in den Betrieb gehen. 2. Digitale Zwillinge von Infrastrukturbauwerken 2.1 Definition und Charakterisierung Im Bauwesen gibt es derzeit keine einheitlichen Standards für die Begrifflichkeiten und Definitionen von Digitalen Zwillingen. Auch für die Verknüpfung mit BIM und die Nutzung im Erhaltungsmanagement sind bislang keine einheitlichen Standards definiert. Der Begriff „Digitaler Zwilling“ hat seinen Ursprung in den Jahren 2002 und 2003, als Grieves und Vickers ihn am Beispiel eines Kraftfahrzeugs als „konzeptionelles Ideal für das Lebenszyklusmanagement eines Produkts“ beschrieben [8], [9]. Trotz der rasch voranschreitenden Digitalisierung und der frühen Einführung von BIM hat es noch einige Jahre gedauert, bis sich die Vision „Digitaler Zwilling“ auch im Bauwesen etablierte. Einen groben Überblick über die Veröffentlichungen im Kontext des Bauwesens und deren Entwicklung geben u. a. [10], [11], [12] und [13]. Als Ergebnis der Recherche und nach dem Verständnis der Autoren wird der Digitale Zwilling wie folgt definiert: Der Digitale Zwilling ist ein digitales Abbild eines physischen Objekts, Systems oder Prozesses, das durch den 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 227 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht Einsatz physischer Sensoren in Echtzeit aktualisiert wird. Im Bauwesen kann das Objekt ein Bauwerk (z. B. Brücke) oder nur eine Komponente davon (z. B. Lager) sein. Ingenieure und Betreiber können das Verhalten des physischen Objekts über die Lebenszeit hinweg durch den Digitalen Zwilling überwachen, analysieren und optimieren. Durch Simulationen können verschiedene Szenarien abgebildet und so potenzielle Probleme und Herausforderungen vorhergesagt und vermieden werden [9], [13]. Dazu ist das Verwalten großer Datenmengen erforderlich. Für ein Abbild der Realität in Echtzeit ist mindestens ein in Echtzeit automatisch ablaufender Informationsaustausch vom physischen Objekt hin zum digitalen Abbild notwendig. Im Vergleich dazu wird in [13] ein unidirektionaler als „Digitaler Schatten“ und lediglich der bidirektional automatisierte Daten-austausch als „Digitaler Zwilling“ definiert. Letzterer würde bei detektierten Zustandsänderungen eine entsprechende Änderung/ Anpassung im physischen Objekt auslösen. Von einer Unterscheidung der Begrifflichkeiten je nach Grad der Konnektivität wird hier abgesehen. Für die meisten Anwendungsfälle im Bauwesen [14] ist eine exakte Abbildung des physischen Objektes mit all seinen Informationen meist nicht erforderlich. So beschränkt sich bspw. der Einsatz von Sensoren zur Informationsgewinnung im Bauwesen aktuell v. a. anlassbezogen auf neuralgische Bereiche und spezifische Schadensbzw. Versagensmechanismen eines Objekts und seiner Umgebung. Eine Abstraktion kann durch die Definition eines Reifegrads (RG) erfolgen ([15],[16]). In [15] werden diese wie folgt definiert: RG1 Deskriptiv: Sammeln und Visualisieren von Daten RG2 Informativ: Analysieren und Aggregieren von Daten zu Informationen RG3 Prädiktiv: Treffen von Vorhersagen RG4 Präskriptiv: Treffen von Entscheidungen RG5 Transformativ: Autonomes Auslösen von Handlungen In [16] werden den Reifegraden folgende Metriken mit jeweils fünf Abstufungen zugewiesen: Autonomie, Realitätsnähe, Intelligenz und Lernfähigkeit. So beschreibt „Autonomie“ das Maß an Unabhängigkeit von menschlicher Interaktion. „Realitätsnähe“ beschreibt den Detailgrad und die Treue vorliegender Informationen. „Intelligenz“ ist die kognitive Fähigkeit des Zwillings Aufgaben auszuführen. Diese Fähigkeit kann durch das Lernen optimiert werden. Wobei „Lernfähigkeit“ die Fähigkeit des automatisierten Lernens beschreibt. Die Wahl des zu entwickelnden Reifegrades hängt individuell von den Anforderungen der Ingenieure und Betreiber ab. Eine wichtige Grundlage ist die Komplexität des Objekts sowie die vom Objekt ausgehende Sicherheit und Relevanz für Gesellschaft und Umwelt. So sind hochfrequentiert betriebene Bau-werke mit besonderer Bedeutung für das Verkehrsnetz, wie es die hier betrachteten Filstalbrücken darstellen, für die Entwicklung Digitaler Zwillinge mit höherem Reifegrad besonders gut geeignet. 2.2 Umsetzungsbeispiele Eine Literaturanalyse in [13] weist darauf hin, dass sich nur wenige Veröffentlichungen mit der Umsetzung Digitaler Zwillinge befassen. Insbesondere liegt der Fokus in den Veröffentlichungen oft auf der Darstellung der Umsetzungen selbst, während eine eingehende Diskussion der erzielten Ergebnisse nur selten stattfindet. Diese Beobachtung wird durch eine eigens durchgeführte Analyse bestätigt. Im Folgenden werden einige Umsetzungen exemplarisch beschrieben: Im Rahmen des Reallabors „Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn“ des Forschungsclusters „Intelligente Brücke“ [17] wurde eine neu erbaute Straßenbrücke mit Messtechnik ausgestattet, um Bauwerkszustände und Verkehrsdaten zu erfassen. Die Daten werden automatisch übertragen und zu Performance-Indikatoren verarbeitet. Eine Schwellwert-überschreitung erzeugt eine Benachrichtigung an Zuständige. Über eine webbasierte Nutzeroberfläche sind die Ergebnisse für diese visuell zugänglich. Der Digitale Zwilling wird in [17] als Erweiterung des Überwachungssystems beschrieben. Entsprechend der Definition in Kapitel 2.1 kann das Überwachungssystem selbst als Digitaler Zwilling eines Reifegrads von 2 verstanden werden. In [18] wird von der Entwicklung eines Digitalen Zwillings einer 1864 erbauten Eisenbahnbrücke berichtet. Ein FE-Modell wird durch Sensordaten automatisch aktualisiert, kalibriert und zur Validierung der Ergebnisse genutzt. So dient bspw. die Temperatur-messung der stetigen Aktualisierung der Reib-koeffizienten im FE-Modell. Der Digitale Zwilling ist teilweise automatisiert. Er nutzt historische Daten und überwachtes Lernen zur Ergebnisoptimierung. Dabei werden auch prädiktive Zustände berechnet. Gem. [18] hat der Zwilling die „Ambitionen“ mit einem Reifegrad von 3 klassifiziert zu werden. In [19] wird ein Konzept für eine prädiktive Instand-haltung von Eisenbahnbrücken erforscht und an zwei realen Bauwerken, u. a. der Grubentalbrücke validiert. Mit dem BIM-Modell als Grundlage werden drei weitere Fachmodelle für Messdaten, Schäden und Zustandsdaten integriert und bilden in einer CDE den Digitalen Zwilling. Durch einen Datenaustausch mit dem Brückenmanagement-System der DB sind alle aktuellen und historischen Schäden entsprechend ihrer Abmessungen und Eigenschaften im Modell genau verortet. Die hochfrequent anfallenden Messdaten werden in eine separate Datenbank gespeichert. Ein Linked Data Ansatz ermöglicht es diese in der CDE anzuzeigen. Über das Nutzen der Funktionalitäten einer klassischen CDE können Informationen aus dem Digitalen Zwilling in Handlungsanweisungen übersetzt und direkt an die entsprechenden Personen geschickt werden. Der entwickelte Digitale Zwilling ist teilweise automatisiert. Die Anwendung maschinellen Lernens auf Bestandsdaten ermöglicht es den Gesamtzustand des Bauwerks vorherzusagen. Der Digitale Zwilling ist daher in Ansätzen dem Reifegrad 3 zuzuordnen. Im Projekt smartBRIDGE Hamburg wurde ein Digitaler Zwilling der Köhlbrandbrücke entwickelt. Eine allgemeine Beschreibung enthält [20]. Die Grundlage des 228 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht Digitalen Zwillings ist hier eine Datenbank, die „Single Source of Truth“, die relevante Bauwerksdaten enthält. Sensoren erfassen u. a. Bauwerksreaktionen und Umgebungsbedingungen in Echtzeit. Auch finden Schäden und Mängel aus der Bauwerksprüfung sowie diagnostische Untersuchungen (u. a. Betondeckungs-messungen) Eingang. Die Daten werden automatisch zu Zustandsindikatoren verarbeitet. Eine implementierte Logik [21] ermöglicht die Aggregation der Daten auf wenige relevante Zustandsparameter (siehe Kapitel 3.1 und 3.2). Das BIM- Modell wird zur Visualisierung des Digitalen Zwillings und der Navigation innerhalb der Datenstruktur verwendet. Die im BIM-Modell den Bauteilen zugewiesenen Informationen werden in die Datenbank übertragen [22]. Der Datenaustausch erfolgt teilweise automatisiert. Zustandsvorhersagen aus Messdaten werden nur im Ansatz erprobt, jedoch nicht umgesetzt. Dies entspricht einem Reifegrad von 2 bis 3. 3. Der Digitale Zwilling der Filstalbrücken 3.1 Anforderungen Der Digitale Zwilling der Filstalbrücken soll Informationen zum Zustand und zur Tragsicherheit neuralgischer Bereiche mit hoher Aktualität und strukturiert zur Verfügung stellen. Dies betrifft v. a. verarbeitete Messdaten und Daten aus der regelmäßigen Inspektion. Die hohe Aktualität soll durch die Automatisierung von Datentransfer und -verarbeitung erreicht werden (Autonomiegrad 2). Die Informationen sind in möglichst aggregierter Form zu integrieren, sodass aus diesen ein unmittelbarer Handlungsbedarf abgeleitet werden kann. Die Einleitung von Maßnahmen erfolgt jedoch manuell. So sollen bspw. kritische Zustände nicht transformativ zu einer Einschränkung des Betriebes führen. Der Hintergrund liegt in dem Restrisiko messfehlerbedingter Ausreißer, die aktuell nicht vollständig automatisch eliminiert werden, sodass diese ggf. zu Fehlalarmen führen. Der Zwilling ist nicht präskriptiv, da eine Entscheidung i. d. R. erst nach einer Plausibilitätsprüfung der Messdaten getroffen werden kann. Abgesehen von möglichen Messfehlern, ist das System in der Lage, die physischen neuralgischen Bereiche mit ausreichender Genauigkeit und Realitätsnähe digital abzubilden (Realitätsnähegrad 3). Mit der Entwicklung von Prognosen zu Kriech- und Schwindverformung aus dem historischen Datenbestand für die Berechnung des Verschubzeitpunktes der Überbauten, sollen prädiktive Zustände im Ansatz berechnet werden (Intelligenzgrad 2-3). Der Digitale Zwilling soll reaktiv auf den Eingang von Messdaten reagieren und besitzt keine Algorithmen für das maschinelle Lernen aus historischen Daten. Dies entspricht einem Grad der Lernfähigkeit von 1. Die Abb.-3 fasst den geforderten Reifegrad des Digitalen Zwillings der Filstalbrücken nach den in Kapitel 2.1 definierten Metriken zusammen. Darunter wird ein Digitaler Zwilling mit einem Grad der Reife von 2 bis 3 verstanden. Abb. 3: Metriken zur Beschreibung des Reifegrades des Digitalen Zwillings in Anlehnung an [16] Die Informationen innerhalb der Datenbank sollen durch eine webbasierte Plattform den Zuständigen strukturiert und intuitiv navigierbar zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus liegt der Anspruch der Entwickler darin, das Datenstrukturmodell innerhalb der Datenbanken sowie die Visualisierung und Navigation des Digitalen Zwillings über die Projektanforderungen hinaus so modular und skalierbar zu gestalten, dass diese für alle weiteren Bauwerksdaten und für alle Brücken im Grundgerüst gleichermaßen verwendet werden können. Aufgrund der nahezu analogen Anforderungen wird bei der Beschreibung des Digitalen Zwillings der Filstal-brücken häufig ein Bezug zu smartBRIDGE Hamburg und dem Verkehrsträger „Straße“ hergestellt. Die Konzepte aus smartBRIDGE Hamburg sind teilweise übernommen, teilweise erfolgte eine erfahrungsbedingte Anpassung und Erweiterung. 3.2 Relevante Bauwerksdaten und Quellen Aus der initialen Objekt- und Tragwerksplanung eines Bauwerkes fallen eine Vielzahl relevanter Bestandsdaten an. Dazu gehören u. a. Konstruktionen, Geometrien, Materialeigenschaften und Ergebnisse rechnerischer Nachweise. In der Herstellungsphase werden diese um Bestands- und Zustandsdaten u. a. aus Vermessung, Bauüberwachung und Qualitätssicherung ergänzt. Bei Nutzung der BIM-Methodik sind einige dieser Daten im BIM-Modell, andere in den Daten-banken oder Archiven der zuständigen Betreiber zu finden. Dabei liegen die Daten teilweise digital oder noch in Papierform vor. Viele der Bestandsdaten werden zunächst nicht in den Digitalen Zwilling der Filstal-brücken integriert. Die Datenbank und die zugehörige Ontologie (Kapitel 3.4 und 3.5) sowie das Aggregations-konzept (Kapitel 3.3) werden für das Empfangen solcher Daten vorbereitet. Für die Nutzung der BIM-Methodik in der Betriebs-phase und die Integration bestehender BIM-Modelle hat sich noch kein Regelprozess etabliert. Ingenieur-bauwerke der Verkehrsträger „Straße“ und „Schiene“ werden nach Inbetriebnahme turnusmäßig i. d. R. alle 3 bzw. 6 Jahre einer Inspektion unterzogen. Schäden (und Mängel) werden handnah visuell erfasst und im Wesentlichen digital dokumentiert. Bei der „Straße“ im Programm SIB-Bauwerke. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 229 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht Hier erfolgt die Bewertung der Schäden zu einer Zustandsnote für das Bauwerk (siehe Kapitel 3.3.1). Aus SIB-Bauwerke kann das digitale Bauwerksbuch als PDF-Datei oder eine CAB-Datei extrahiert werden. Die Deutsche Bahn besitzt zur Dokumentation und Bewertung die KIB-App und das SAP R/ 3 Netz. Hier kann neben dem Bauwerksbuch eine CSV-Datei extrahiert werden. Für den Digitalen Zwilling der Filstalbrücken werden die CSV-Dateien in regelmäßigen Abständen manuell aus dem SAP R/ 3 Netz ausgelesen und in die Datenbank importiert. Bei Bedarf kann während der Lebenszeit eines Bauwerkes eine Nachrechnung erforderlich werden. Üblicherweise werden Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit geführt, da davon auszugehen ist, dass sich dauerhaftigkeits- und gebrauchstauglichkeits-relevante Defizite schon während der Lebenszeit bemerkbar machen. Die Dokumentation und Ablage der Berechnungen und gutachterlichen Stellungnahmen erfolgen teilweise in Papierform oder digital in den Archiven und Datenbanken der Betreiber (z. B. SAP R/ 3 Netz). Wesentliche Ergebnisse werden im DB-Transport und SIB-Bauwerke vermerkt. Die zugrunde gelegten Rechenmodelle (z. B. FE-Modelle) werden i.-d.-R. von den beauftragten Statikern nicht mit eingereicht. Der Digitale Zwilling wird für das Empfangen wesentlicher Ergebnisse vorbereitet. Für eine realitätsnähere Zustands- und Tragsicherheits-bewertung kommen immer häufiger diagnostische und sensorbasierte Messungen zum Einsatz. Diese Daten liegen in Form von Ergebnisberichten den Betreibern digital oder in Papierform vor. Die zugrunde gelegten Rohdaten befinden sich analog zum Rechenmodell der rechnerischen Nachweise häufig außerhalb der Zuständigkeitsbereiche der Betreiber in Datenbanken der Partner aus Wissenschaft und Industrie. Die Einbindung der erhobenen Messdaten an den Filstal-brücken wird in Kapitel 3.4 beschrieben. Diagnostische Untersuchungen werden zunächst nicht eingebunden. Die Konzepte sehen eine potenzielle Integration vor. 3.3 Aggregationskonzept Während der Lebenszeit eines Bauwerkes fallen insbesondere bei dem Einsatz eines Monitorings eine Vielzahl heterogener Bauwerksdaten an. Für eine unmittelbare Ableitung erforderlicher Maßnahmen sind die Daten so weit zu verarbeiten und zu aggregieren, dass sich für die Betreiber eindeutige Informationen zu Zuständen sowie weiterführenden Maßnahmen ableiten lassen. Im Folgenden wird dieses Aggregationskonzept des Digitalen Zwillings beschrieben. Zum Verständnis wird zunächst auf die normativ geregelten Bewertungs-konzepte für „Straße“ und „Schiene“ eingegangen. Das Aggregationskonzept ist im Grundkonzept bauwerks-übergreifend für die „Straße“ und „Schiene“ anwendbar. 3.3.1 Aktuelles Bewertungskonzept Die Zustandsbewertung bei der „Straße“ erfolgt nach der DIN 1076 [23] in Verbindung mit der RI-EBW-PRÜF [24]. Schäden und Mängel werden nach den Kriterien Standsicherheit (S), Verkehrssicherheit (V) und Dauerhaftigkeit (D) bewertet. In SIB-Bauwerke werden die S-, V- und D-Bewertungen je Schaden automatisch in eine Zustandsnote von 1,0 bis 4,0 für das Bauwerk umgerechnet. Bei der Aggregation der Bewertungen innerhalb der Bauwerkshierarchie besteht eine Verknüpfung zur Bauwerksstruktur der ASB-ING [25]. Die Zustandsbewertung der „Schiene“ wird durch die Richtlinie (Ril) 804 [26] geregelt. Als maßgebende Schadensbewertung wird anstatt einer S, V, D-Bewertung eine ganzzahlige Schadensstufe von 1 bis 4 vergeben. Optional kann je Schaden eine Information zur Relevanz für Betriebs-, Stand- oder Verkehrssicherheit (mit ja/ nein) vergeben werden. In Abhängigkeit der Relevanz für den technischen Zustand („unmittelbar“, „mittelbar“ und „keine“) wird die maximale Schadensstufe in eine äquivalente, ganz-zahlige Zustandskategorie von 1 bis 4 für das jeweilige Bauwerksteil überführt. Die Aggregation erfolgt über die hierarchische Bauwerksstruktur des SAP R/ 3 Netz (Technische Plätze). Einem gesonderten Bewertungskonzept unterliegen die Ergebnisse rechnerischer Nachweise, die im Rahmen von Bemessungen oder Nachrechnungen geführt werden. Das Ergebnis sind Nachweisauslastungen und zusätzlich bei der Schiene Belastbarkeitswerte (b 71 -Werte) unter individuell definierten Verkehrslast-modellen (Straße, z. B. LM1 oder Schiene, z. B. LM71) und damit nachgewiesene Brücken- (Straße, z. B. 60/ 30) bzw. Streckenklassen (Schiene, z. B. D4). Bei Eisen-bahnbrücken sind darüber hinaus, aufgrund der hohen Bremslasten und dynamischen Einflüsse des Eisenbahn-verkehrs, Streckengeschwindigkeiten und Schwing-beiwerte von besonderer Bedeutung. Bei Straßenbrücken wird jüngst aus der nachgewiesenen (bzw. vermuteten) Ist-Brückenklasse und geforderten Soll-Brückenklasse ein Traglastindex (römisch 1 bis 5) bestimmt [27]. Zur Integration von Messdaten in die Nachweis- und Bewertungskonzepte existieren nur unzureichende normative Regelungen. In der Ril 804 findet die Anwendung von Monitoring und Diagnostik zur Zustandserfassung und -bewertung keine Erwähnung. Die DIN 1076 befindet sich u. a. diesbezüglich in Überarbeitung. Die Nachrechnungsrichtlinie [28] inkl. der Handlungsanweisungen und die Ril 805 [29] geben in den Stufen 3 bzw. 4 geringfügige Hinweise zur Anwendung im Rahmen einer messwertgestützten Nachweisführung. Auch diese Regelwerke werden aktuell überarbeitet. 3.3.2 Aggregation der Daten In smartBRIDGE Hamburg wurde ein Aggregationskonzept gewählt, bei dem jegliche Defizite aus rechnerischen Nachweisen und Messungen wie potenzielle Schäden oder Mängel am Bauwerk behandelt und nach der RI-EBW-PRÜF bewertet werden. So mündet bspw. der messwertgestützt geführte Beulnachweis oder die Überwachung von Seildraht-brüchen je nach Ausprägung in einer S-, V-, D-Bewertung und damit in einer Zustandsnote [21]. Der Vorteil besteht darin, dass durch das Aggregations-konzept der RI-EBW-PRÜF alle relevanten Bauwerks-daten in einer Zustandsnote für die Bauteilgruppe oder das Bauwerk resultieren und so ein schneller Überblick über den Gesamtzustand ermöglicht wird. 230 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht Die Unterschiede in den Bewertungskonzepten der Schiene sowie die Einführung des Traglastindex für Straßenbrücken mit den zugehörigen Erläuterung in [27] sorgten für ein Umdenken bei der Konzeption des Digitalen Zwillings der Filstalbrücken: Die rechnerische Nachweisführung hat vor allem das Ziel, die normativ geforderte Sicherheit gegenüber dem Eintreten des betrachteten Versagensmechanismus (z.-B. Beulen, Fließen, Ermüdung) sicherzustellen. Der Begriff „Schaden“ wird nach der RI-EBW-PRÜF als Veränderung des Bauwerks- oder Bauteilzustandes definiert. Rechnerische Nachweise berücksichtigen potenzielle Einwirkungsszenarien sowie zusätzliche Sicherheitsfaktoren, die Konstruktion, Material und Modell betreffen. Somit hat ein Nachweisdefizit nicht zwangsläufig eine strukturelle Veränderung als Folge. Vielmehr kann ein Defizit als „unzulässige Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Schadens“ verstanden werden. Da in den rechnerischen Nachweisen auch die Einwirkungen berücksichtigt werden, besteht zudem ein wesentlicher Unterschied darin, dass Nachweisdefizite durch betriebliche Einschrän- Abb. 4: Aggregationskonzept des Digitalen Zwillings am Beispiel „Schiene“ in Anlehnung an [21] kungen, wie Herabstufung der Streckenbzw. Brückenklasse, Reduktion der Streckengeschwindigkeit oder Erlassung von Abstands- und Überholverboten kompensiert werden können. Ergebnisse von Zustandserfassung und rechnerischer Nachweisführung werden anders als in smartBRIDGE Hamburg entsprechend der aktuellen Vorgehensweise unterschiedlich bewertet. Sie bilden die Hauptstränge im Aggregationskonzept (Abb. 4, Stränge 1 und 2). Dabei sind diese nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Die Informationen zum Bauwerkszustand ergeben eine Teilmenge der erforderlichen Informationen innerhalb einer Nachrechnung. Vorhandene Schäden und Mängel müssen berücksichtigt werden, um Widerstände und Lastabtragungseigenschaften realitätsnah abbilden zu können (z. B. Reduktion der Querschnittsfläche bei Korrosion). Die Tragsicherheitsbewertung kann umge- Stattdessen soll eine dem CI oder SSI zugewiesene Dringlichkeit, visualisiert durch ein farbiges Ausrufezeichen (warning = gelb, critical = rot, siehe Kapitel 4.1), die Betreiber darauf hinweisen, dass die aktuelle Zustandskategorie oder die Ist-Streckenklasse aufgrund einer Veränderung ggf. keine Gültigkeit besitzt. Im Folgenden wird je ein Beispiel für einen SSI und CI gegeben. 3.3.3 SSI-Beispiel: Überwachung der Federlamelle An den Federlamellen erfassen über den maßgebenden Querschnitt verteilt acht T-Rosetten-DMS mit 250 Hz lokal die veränderlichen Dehnungen (Abb. 5). Aus den Dehnungen werden Spannungen und eine resultierende Normalkraft im Schwerpunkt bestimmt. Diese finden u. a. Eingang in einen sich stetig und automatisch aktualisierenden GZT-Nachweis. Treten unzulässige Beanspruchungen auf, erhält die Streckenklasse des Bauwerkehrt zur Priorisierung neuralgischer Bereiche im Rahmen einer Inspektion dienen (Abb. 4, Strang 3). Diagnostik und Monitoring können eingesetzt werden, um unterstützend zur Inspektion, den Zustand eines Bauwerkes zu überwachen oder zu erfassen. Dies können Bereiche mit erschwerter Zugänglichkeit oder hoher Signifikanz hinsichtlich Stand- und Verkehrssicherheit sein. Auch können Messdaten eingesetzt werden, um rechnerische Tragsicherheits-nachweise zu optimieren. Dabei sind die Messdaten so zu aggregieren, dass sich für die Betreiber unmittelbar eine Handlung ableiten lässt. Die aggregierten Zustandsinformationen werden als Condition Indicator (CI) (vgl. Abb. 4, Strang 4), die Tragsicherheits-informationen als Structural Safety Indicator (SSI) (vgl. Abb. 4, Strang 5) bezeichnet. Da wie erwähnt die Integration und Bewertung von Messdaten nicht ausreichend normativ geregelt ist, haben die messwertgestützten CI und SSI im Digitalen Zwilling zunächst keinen Einfluss auf die Zustandskategorie und Ist-Streckenklasse. Eine Möglichkeit der Aktualisierung wird jedoch im Konzept vorgesehen. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 231 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht kes im Digitalen Zwilling einen zusätzlichen Hinweis, eine Dringlichkeit. Die Ist-Streckenklasse selbst wird nicht verändert, da ein Herabstufen dieser erst als Resultat einer Nachrechnung erfolgen kann. Abb. 5: DMS-Messquerschnitt an den Federlamellen 3.3.4 CI-Beispiel: Überwachung der Führungslager Je Führungslager werden über zwei Wegaufnehmer die relativen Lateralverschiebungen zwischen Überbau und Widerlagerbank mit 250 Hz erfasst (Abb. 6). Die erfassten Wege werden der zulässigen Verformungs-kapazität gegenübergestellt, um die Funktions-tüchtigkeit der Lager zu überwachen. Treten größere Verformungen auf, ist abgesehen von möglichen Messfehlern, von einer Fehlkonstruktion oder einem Verschleiß auszugehen. Die Zustandskategorie des Bauwerkes im Digitalen Zwilling erhält eine Dringlichkeit. Eine Schadensstufe wird nicht vergeben, da ein Schaden oder Mangel erst im Rahmen einer anschließenden in situ Begehung verifiziert werden kann. Abb. 6: Wegaufnehmer an den Führungslagern 3.4 Datenhaltung Im Rahmen der Konzeption wurden verschiedene Backend-Technologien für die Speicherung von relevanten, teilweise hochfrequent anfallenden Bauwerksdaten (u. a. aus Messdaten) getestet und evaluiert. Im Vergleich zu smartBRIDGE wurde die Backendinfrastruktur weiterentwickelt und die Technologie Azure Digital Twins (ADT) anstatt der „SensorThings API“ des Backenddienstes „Frost-Server“ gewählt. Azure Digital Twins ist eine IoT-Plattform von Microsoft, die es ermöglicht, virtuelle Modelle von physischen Umgebungen auf Basis von Ontologien (siehe Kapitel 3.5) zu erstellen und zu vernetzen, um Daten in Echtzeit zu erfassen und zu analysieren. Die ADT-Plattform ist das „Herzstück“ des Digitalen Zwillings, siehe Abb. 7. 232 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht Abb. 7: Schematische Darstellung Infrastruktur des Digitalen Zwillings Durch einen zyklisch ausgeführten Aggregationsprozess (siehe Kapitel 3.3) werden Daten und Bewertungen des Digitalen Zwillings fortlaufend aktualisiert. Änderungen und historische Daten werden automatisch in eine geeignete Zeitreihendatenbank verschoben. Mit Azure Data Explorer (ADX) wird hierfür eine Datenbank gewählt, die eine leistungsstarke Verar-beitung großer Datenmengen ermöglicht (Abb. 7). Diese Entwicklung stellt eine wesentliche Optimierung gegenüber der Infrastruktur in smartBRIDGE dar, bei der keine separate Speicherung der Historie erfolgt. Die erzeugte stetige Steigerung der Datenlast führte auf dem Frost-Server (SensorThings API) von smartBRIDGE Hamburg zu großen Performanzverlusten. Im Gegen-satz dazu zeigt die Verwendung von ADT und ADX, dass die Datenlast in ADT konstant bleibt und das komplexe Datenmodell somit eine verbesserte Performanz aufweist. Erhobene Messdaten sowie Zwischenergebnisse werden in einer PostgreSQL-Datenbank mit der Timescale-Erweiterung gespeichert (Abb. 7), welche eine hohe Skalierbarkeit für große Datenmengen bietet. 3.5 Ontologie - Bauwerksmodell Als Grundlage für die Datenstruktur im ADT dient eine Ontologie. Die Ontologie eines Bauwerksmodells für einen Digitalen Zwilling beschreibt die Struktur des Bauwerkes, das Netzwerk an relevanten Daten innerhalb der Bauwerksstruktur sowie zugehörige Eigenschaften (Attribute) und Relationen. Die Grundlage der für die Filstalbrücken entwickelten Ontologie bilden die relevanten Daten aus Kapitel 3.2 und das Aggregationskonzept aus 3.3. Während das Daten-modell in smartBRIDGE Hamburg lediglich für die Köhlbrandbrücke ausgelegt ist, wird hier das Ziel der Übertragbarkeit auf alle Ingenieurbauwerke der Schiene und Straße und der Möglichkeit einer beliebigen Erweiterbarkeit verfolgt. Zur Erläuterung zeigt Abb. 8 eine Vereinfachung der Ontologie des Digitalen Zwillings. Die vier SOI (Structure of Interest) -Klassen (in rot) sind Strukturelemente des Bauwerkes. Sie ermöglichen über Beziehungen ein Abbild der hierarchischen SAP-Bauwerksstruktur mit den Technischen Plätzen (TP) der Ebenen 1 bis 5. Es kann aber auch die ASB-ING-Taxonomie mit entsprechend drei Ebenen (Bauwerk, Teilbauwerk, Bauteilgruppe) implementiert werden. Die Ebene „Digital Twin Cluster“ ermöglicht darüber hinaus, wie am Beispiel der beiden Filstalbrücken, das Zusammenfassen mehrerer Bauwerke. Die SOIs können POIs (Points of Interest, in Gelb) besitzen. POIs sind spezifische Punkte oder Bereiche innerhalb der Bauwerksstruktur, die in einem Digitalen Zwilling identifiziert und modelliert werden können, um wichtige Informationen und Eigenschaften zu speichern und zu verknüpfen. Dies sind z. B. Schäden, Messstellen, Nachweisergebnisse oder weitere Inhalte, die nicht zur Bauwerksstruktur selbst gehören. POIs können darüber hinaus durch Themen (in grau) zusammengefasst werden. So werden die POIs aus der Inspektion“ und dem Zustandsmonitoring dem Thema „Zustandsbewertung“, rechnerische und messwert-gestützte Nachweise dem Thema „Tragsicherheits-bewertung“ zugeordnet. In Abb. 8 sind Attribuierungen der Klassen nicht dargestellt. Wichtig zu erwähnen sind jedoch die Bewertungsattribute der jeweiligen Themenbereiche. Alle POIs des Bauwerkszustandes besitzen die Attribute „Zustandskategorie“, „Dringlichkeit“ und „Meldung“. Die POIs der Bauwerkstragsicherheit besitzen „Ist-Streckenklasse“, „Dringlichkeit“ und „Meldung“. So können perspektivisch, messwertgestützt ermittelte Zustände und Tragsicherheiten in das bestehende Bewertungskonzept integriert werden. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 233 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht Abb. 8: Reduzierte Darstellung der Ontologie des Digitalen Zwillings 3.6 Verknüpfung des BIM-Modells Im Rahmen des BIM-Stufenplanes und als eines von 13 Pilotprojekten der DB Netz AG wurden die Filstal-brücken in der Ausführungsplanung teilweise mit der BIM- Methodik umgesetzt [5]. Im BIM-Bauwerks-modell sind Konstruktionselemente (LOD < 300) sowie zugehörige Informationen nicht vollumfänglich enthalten. Da das BIM-übliche IFC-Format nicht für das Speichern umfangreicher, hochfrequent anfallender Daten aus dem Monitoring ausgelegt ist, wird die Linked Data Methodik analog zu [22] verfolgt. Alle aggregierten, statischen und dynamischen Informationen werden innerhalb einer Datenbank und einer dazu neu entwickelten Datenstruktur abgelegt. Das BIM-Modell dient der Visualisierung des Bauwerkes zur Datenbereitstellung innerhalb der Web-anwendung „Condition Control“ (Kapitel 4.1). Dies ermöglicht eine bessere Orientierung des Nutzers im Rahmen der Navigation durch die Datenstruktur. Damit in der Webanwendung bestimmte Bauwerksbereiche bei Navigation innerhalb der Bauwerkshierarchie ein- und ausgeblendet werden können, wird das Bauwerksmodell analog zur Ontologie des ADT in die SAP-Struktur überführt. Abb. 9 zeigt die mit einer Rendering-Software bearbeiteten Bauwerks- und Umgebungs-modelle. Hier farbig dargestellt die Unterteilung der spezifischen Bauwerksteile entsprechend der SAP-Struktur. Darüber hinaus können POIs, wie Schäden oder Messstellen im 3D-Modell durch eine x-,y- und z-Koordinate exakt verortet werden. Die Koordinaten dienen der Lokalisierung und damit der Visualisierung in Condition Control. Abb. 9: BIM-Bauwerks- und -Umgebungsmodell Die BIM-Modelle und POIs des Bauwerks werden kollaborativ genutzt und versioniert, um Änderungen in den IFC-Dateien zu verwalten. Sobald eine Änderung vorge- 234 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht nommen wird, werden die Datenbank und Webanwendung automatisch aktualisiert. 3.7 Automatisierung der Datenflüsse Um die Daten im Digitalen Zwilling auf einem aktuellen Stand zu halten, werden im Hintergrund eventbasiert oder zeitgesteuert Verarbeitungen, Auswertungen und Bewertungen ausgeführt. Die Verarbeitung von Daten erfolgt durch die Implementierung allgemeingültiger und dadurch wiederverwendbarer Microservices in Azure Functions. Durch die Verkettung dieser Microservices entstehen spezifische Workflows, die je nach Bedarf beliebig viele Auswertungs- und Bewertungsziele, sowie eine beliebige Rekursionstiefe erreichen können. Für den Digitalen Zwilling der Filstalbrücken sind derzeit 17 Microservices und 25 Workflows implementiert. Diese Workflows werden über ein Orchestrierungs-Framework verwaltet und ausgeführt. 4. Datenbereitstellung Der Digitale Zwilling nutzt verschiedene Technologien zur Datenspeicherung, um entsprechend der Anforderungen erfasste Rohdaten, Zwischenergebnisse und aggregierte Informationen vorzuhalten. Die Daten-bereitstellung unterscheidet sich je nach Aufgaben-stellung und Anwendungsfall. Der Datenzugriff kann manuell mithilfe von Abfragesprachen wie SQL und Kusto erfolgen oder über spezielle Schnittstellen (RESTful API) auf die Infrastruktur des Digitalen Zwillings selbst. Um einen intuitiven Zugriff auf die Datenbestände zu ermöglichen, wurden zwei web-basierte grafische Benutzeroberflächen (GUIs) entwickelt. Diese ermöglichen eine nutzerfreundliche und effiziente Nutzung der Daten ohne komplexe Prozesse durchlaufen zu müssen. 4.1 Condition Control Die Bereitstellung aggregierter Informationen erfolgt in „Condition Control“. Die Abb. 10 zeigt einen aktuellen Entwicklungsstand der GUI mit beispielhaften Bewertungen. Der 2D-Weblayer auf der linken Seite ermöglicht die Navigation innerhalb der Datenstruktur. Die Struktur folgt, der in Kapitel 3.5 beschrieben Ontologie. Zunächst kann über die Icons in der Seitenleiste ein Themenbereich, wie z. B. dargestellt „Bauwerkszustand und -tragsicherheit“ ausgewählt werden. Alle darin enthaltenen POIs sind aufgelistet und können über einen Themenfilter ein- und ausgeblendet werden. So ist trotz der thematischen Trennung von Informationen zu Zuständen und Tragsicherheiten eine Kontextualisierung dieser Informationen möglich. Eine weitere Filterungsmöglichkeit ist durch die Navigation innerhalb der hierarchischen Bauwerksstruktur, den SOIs gegeben. In Abb. 10 ist das spezifische Bauwerksteil „Überbau 1 “ der Anlage „linkes Gleis“ ausgewählt. Zudem werden die POIs nach dem Thema: „Messwertgestützte Nachweisführung“ gefiltert. Für eine weitere Orientierung dient die Visualisierung des 3D-Brücken- und Umgebungsmodells. Die Kameraführung sowie das Ein- und Ausblenden von Bauwerksteilen erfolgt automatisch entsprechend der Navigation innerhalb des 2D-Weblayers. Eine freie Navigation im 3D-Modell ist ebenfalls möglich. Abb. 10: Bildschirmaufnahme von „Condition Control“ (Enthält beispielhafte Bewertung) 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 235 Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht Einzelbewertungen der POIs werden entsprechend der Aggregationslogik zu SOI-Bewertungen aggregiert. Auf allen Hierarchieebenen besitzt jeder SOI sechs Bewertungskomponenten: Zustandskategorie und zugehörige Dringlichkeit, Ist/ Soll-Streckenklasse und zugehörige Dringlichkeit, Dringlichkeit der Sensorüberwachung sowie Dringlichkeit der Einwirkungsüberwachung. Im vorliegenden Beispiel wird die kritische Dringlichkeit der Ist/ Soll-Streckenklasse aus dem POI aggregiert, der die Extremwerte der Normalkräfte an der Federlamelle überwacht. Die messwertgestützte Bewertung mündet nicht in einer Veränderung der Ist-Streckenklasse, sondern in einem Hinweis (Dringlichkeit), dass die aktuelle Ist-Streckenklasse ggf. keine Gültigkeit besitzt (rotes Ausrufezeichen). Zusammenfassend können die Bewertungen für die sechs Bewertungskomponenten beider Bauwerke der Gesamtzustandsanzeige in der rechten oberen Ecke entnommen werden. Über die Auswahl eines POI kann eine POI-Detailansicht eingeblendet werden (in Abb. 10 nicht enthalten). In dieser Ansicht sind detaillierte Informationen zum POI, u. a. Meldungstext zur Ableitung eines Handlungsbedarfes, Datum der letzten Bewertung, Beschreibung zur Vorgehensweise der Bewertung und eine Verknüpfung zur Expert Control Plattform enthalten (analog zu smartBRID- GE Hamburg, siehe dazu [21]) 4.2 Expert Control Die Webplattform „Expert Control“ dient der grafischen Bereitstellung der den POI-Bewertungen zugrunde gelegten Rohdaten sowie errechneter Zwischen-ergebnisse. Der Zugang kann über die POIs aus „Condition Control“ oder über einen separaten Web-Link erfolgen. Die Plattform dient der Plausibilisierung der Daten. Hier sind im Vergleich zu „Condition Control“ dem Nutzer mehr Freiheiten gegeben. Diagramme und Zeitbereiche können manuell konfiguriert und Daten unterschiedlicher Herkunft für Vergleichszwecke gegenübergestellt werden. Messlayouts, Fotos und Beschreibungen können für weiterführende Erläuterungen visualisiert werden. 5. Ausblick In Zukunft wird der Digitale Zwilling alle relevanten Daten der Filstalbrücken in aggregierter Form auf einer intuitiv bedienbaren Plattform bereitstellen. Betreibern, einschließlich Anlagen- und Fachverantwortlichen, wird dadurch stets ein umfassender und aktueller Eindruck vom Zustand und der Sicherheit neuralgischer Bauwerksbereiche vermittelt. Bestehende und zukünftig anfallende Bauwerksdaten aus verschiedenen Quellen können durch die Entwicklung einer nachhaltigen Ontologie in die Datenbank des Digitalen Zwillings integriert werden. Die Aggregationslogik ermöglicht dabei eine Reduktion auf wenige wesentliche Parameter und somit eine unmittelbare Ableitung von Handlungs-bedarfen. Die entwickelten Konzepte können künftig im Wesentlichen bauwerks- und verkehrsträgerüber-greifend genutzt werden. Grundlage für den zukünftigen Auf bau und Betrieb Digitaler Zwillinge und die nahtlose Integration von Daten aus verschiedenen Quellen ist die Definition normativer Standards. So können die Vorteile des Digitalen Zwillings voll ausgeschöpft und eine effektive Unterstützung für den Betrieb der Infrastruktur gewährleistet werden. Eine Standardisierung erfordert eine umfassende systematische Zusammenstellung von Ideen und die Umsetzung einer Vielzahl von Digitalen Zwillingen, die im Rahmen von Pilotprojekten sorgfältig evaluiert werden müssen. Der Digitale Zwilling der Filstalbrücken leistet einen wichtigen Beitrag zu diesem Prozess. Literatur [1] BMVI (2020) Bericht des BMVI zur Nachhaltigkeit 2020. Berlin: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. [2] BMVI (2015) Stufenplan Digitales Planen und Bauen. 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(2020) Characterising the Digital Twin: a systematic literature review. CIRP Journal of Manufacturing Science and Technology 29 (A), pp. 36-52. [13] Kritzinger, W. et al. (2018) Digital Twin in manufacturing: A categorical literature review and classification. IFAC-PapersOnLine 51 (11), pp. 1016- 1022. [14] Zinke, T. et al. (2023) Konzeptionelle Untersuchung zur Zusammenführung von Komponenten des Digital Twin Brücke. Endbericht zum BASt- Forschungsprojekt FE 15.0677/ 2020/ IRB. (noch unveröffentlicht). [15] BuildingSMART (2022) Take BIM Process to the next level with Digital Twins [online]. BuildingS- MART. https: / / www.buildingsmart.org/ take-bimprocesses-to-the-next-level-with-digital-twins/ [accessed on: 08 Feb. 2023]. [16] ARUP (2019) Digital Twin - Toward a meaningful framework. London: ARUP. [17] Windmann, S. (2022) Intelligente Brücke - Reallabor Intelligente Brücke im Testfeld Autobahn. 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Die Straßenbaubehörden sind auf ein solides, zukunftsfähiges Erhaltungsmanagement angewiesen, das nicht nur die heutigen Risiken und Anforderungen identifiziert, sondern auch potenzielle künftigen Entwicklungen rechtzeitig erkennt und bewertet. Der Bereich des Datamining im Zusammenhang mit maschinellem Lernen spielt zurzeit eine zunehmend wichtige Rolle bei der Entwicklung von Bewertungs- und Prognoseverfahren im Bausektor. Somit können komplexe Entscheidungsmodelle abgebildet werden, die lineare und nichtlineare Zusammenhänge lernen und wiedererkennen können. In diesem Beitrag werden Daten aus Ermüdungsversuche an Spannbetonträgern verwendet, um den Zustand im linearen oder nichtlinearen Bereich zu erkennen. Dabei wurden Algorithmen des maschinellen Lernens trainiert, und ihre Vorhersage mit Testdaten evaluiert. 1. Einführung Die Zustandserfassung von Brücken- und Ingenieurbauwerken in Deutschland basiert auf der visuellen Erfassung von Schäden im Rahmen der handnahen Bauwerksprüfung. Diese findet in regelmäßigen Abständen statt. Die Schäden werden in Deutschland von besonders geschultem Personal nach DIN 1076: 1999-11 bewertet und dokumentiert [1] [2]. Die erfassten Schäden mit ihrer Beschreibung und Benotung werden im Programmsystem „SIB-Bauwerke“ zentral für alle Bauwerke gespeichert. Aufgrund der kontinuierlich anwachsenden Schwerverkehrsbelastungen sowie der Alterung der Bausubstanz wird die Erfassung der Schäden sowie des Zustandes derzeit um digitale Verfahren erweitert, mit denen das Verhalten und der Zustand kontinuierlich analysiert werden können. Die automatisierte Erkennung von Schäden und Bewertung von Risiken an der Straßeninfrastruktur stellt eine große Herausforderung für das Erhaltungsmanagement dar. Die wesentlichen Herausforderungen bei der Schadenserkennung sind die Änderungen im Tragverhalten, die Art, den Ort und das Ausmaß eines Schadens sowie ggf. Prognose der zukünftigen Entwicklung im Tragverhalten zu identifizieren. Diese bilden die Grundbausteine des Strukturmonitorings (eng. Structural Health Monitoring „SHM“) [3] [4] [5]. Beim SHM werden Bauwerke entsprechend der zu überwachenden Elemente eines Bauwerks oder seiner Schwachstellen mit einem Messsystem ausgestattet, um kontinuierlich Informationen über das Verhalten und den Zustand zu erhalten. Somit sollten Schäden frühmöglich erkannt und Erhaltungsmaßnahmen eingeleitet werden. Darüber hinaus werden zunehmend intelligente Methoden auf Basis von Monitoringdaten entwickelt, um Entscheidungen über die Entwicklung des Zustands zu unterstützen [6]. Diese Methoden werden auf der Grundlage von Algorithmen des maschinellen sowie tiefen Lernens (eng. machine learning & deep learning) entwickelt und eingesetzt [7] [8]. Im Infrastrukturingenieurwesen spielt die Erkennung und Vorhersage von Schäden eine zunehmend wichtigere Rolle, da volkswirtschaftliche Kosten durch den Zeitgewinn, der eine frühzeitige Planung von Erhaltungsmaßnahmen ermöglicht, reduziert werden können. Vor diesem Hintergrund gewinnt das maschinelle Lernen im Zusammenhang mit der Anomalieerkennung an Bedeutung, um Schäden bzw. anomales Verhalten möglichst schnell zu erkennen oder vorherzusagen. Dies bildet einen wesentlichen Baustein auf dem Weg zur Entwicklung von digitalen Zwillingen, die die aus Sensoren gesammelten Daten nutzen, um die Reaktion des Bauwerks im digitalen Raum zu reflektieren [9]. 1.1 Theoretische Grundlagen In der letzten Zeit wurden weltweit neue Entwicklungen im Bereich der Wissensentdeckung in Datenbanken (eng. KDD Knowledge Discovery in Databases) erreicht. Das Generieren von Wissen aus den Daten hat stark an Bedeutung zugenommen. Dabei werden große Datenmengen (Big Data) für ein bestimmtes Problem gesammelt und verarbeitet, um Zusammenhänge, Muster und Kor- 240 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Maschinelles Lernen zur Zustandserkennung bei Ermüdungsversuchen an Spannbetonträgern relationen herauszufiltern [10]. Durch geeignete grafische Visualisierungsmethoden kann die Menge der Daten für die menschliche Wahrnehmung verständlich dargestellt werden. Intelligente Datenverarbeitungsmethoden bereiten den Weg für eine neue technische Entwicklungen. Eine Vorreiterrolle nimmt das maschinelle Lernen ein, bei dem Lernmodelle ohne Vorprogrammierung angelernt werden können. Diese können anhand ausreichender Daten menschliche Handlungen für bestimmte Aufgaben nachbilden [11]. Solche Modelle stellen einen vielversprechenden Ansatz zur Lösung komplexer Probleme dar. Die Überwachung des statischen sowie dynamischen Verhaltens der Infrastrukturbauteile mithilfe von intelligenten Methoden kann bei Verhaltensänderung einzelner Bauteile auf eine mögliche Schädigung oder den Ausfall im System deuten [12] [13]. Bei maschinellem Lernen (ML) geht es darum, durch mathematische Funktionen, die in der Statistik verwurzelt sind, Zusammenhänge in Daten zu finden. Das tiefe Lernen (DL) ist ein Teilbereich des maschinellen Lernens und unterscheidet sich grundsächlich durch die Lernfunktionen. Dabei werden Neuronen in mehreren Schichten eines tiefen Netzes verwendet, um Lösungsmöglichkeiten eines Problems zu lernen. Das tiefe Netz besteht aus einer Eingabe-, Ausgabeschicht und versteckten Schichten (eng. Hidden Layer) dazwischen. Die Anzahl der versteckten Schichten sowie Neuronen in jeder Schicht hängt von der Komplexität der zu lösenden Aufgabe ab [14]. Anhand der tiefen Schichten können lineare bzw. nichtlineare Zusammenhänge abgebildet werden. Nachteilig ist dabei, dass das Auf bauen des Modells aufwändig ist und die Interpretation der Ergebnisse meistens nicht ohne weiteres möglich ist [15]. Ergebnisse aus traditionellen ML-Modellen können einfacher interpretiert werden, da meistens für den Algorithmus Merkmale abgeleitet werden. Merkmale sind abgeleitete Größen, die charakteristische Eigenschaften und Informationen der Daten enthalten. Diese beinhalten Aussagen über die zusammenhängenden Parameter. Die Anomalieerkennung bei Bauwerken bzw. die Vorhersage in der Zukunft möglicherweise eintretender Schädigungen stellt eine große Herausforderung dar, da nicht genügend Daten über spezifische Schadensmechanismen gesammelt wurden. Erforderlich sind sowohl Daten aus Laborversuchen als auch Daten, die an realen Strukturen der Verkehrsinfrastruktur gewonnen werden. Sobald die Daten aus beiden Quellen in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen und verarbeitet werden können, können die Auswirkungen von Schädigungsmechanismen aus Datensicht klarer beurteilt werden. Damit können intelligente Modelle angelernt werden, die diese Mechanismen wiedererkennen können. Hierbei ist es von großer Bedeutung, dass das Verhalten von Bauteilen oder Bauteilgruppen im ungeschädigten Zustand angelernt wird. Für reale Brückenbauwerke ist dies aufgrund der Komplexität und der zeitlichen Veränderlichkeit des Verhaltens keine triviale Anforderung. Ziel der in diesem Beitrag beschriebenen Untersuchung ist, den Versagensmechanismus von Spannbetonbauteilen bei Ermüdungsbeanspruchung zu analysieren und anhand dessen eine Aussage über das Verhalten des Bauteils bis zum Versagen zu treffen. Die Einschätzung des Zustandes der Spannbetonträger erfolgt anhand von Daten aus Dehnmessstreifen, die bei Ermüdungsversuchen eingesetzt wurden. Der Verlauf der Rissbreitenänderung während der Versuche wird für die Ableitung von Zustandsindikatoren für maschinelles Lernen verwendet. Das Ziel dabei ist, dass das maschinelle Lernmodell die Merkmale lernt und anhand dessen eine Einschätzung zum Zustand der Versuchskörper vornimmt. 2. Konzept Bei komplexen Problemen können lineare Ansätze nicht ausreichend sein, um die Zusammenhänge zutreffend zu beschreiben. Nichtlineare Zusammenhänge zwischen Ein- und Ausgaben können mittels maschinellem Lernen abgebildet werden [16]. Der Vorteil bei der Verwendung von intelligenten Systemen liegt in der Eigenständigkeit dieser Algorithmen. Im Folgenden wird das erarbeitete Konzept zur Erkennung von Zustandsänderungen von Versuchskörpern unter zyklischen Belastungen vorgestellt. Das Konzept folgt der typischen Vorgehensweise zur Erstellung einen ML-Modells. Im ersten Schritt werden die Daten der Rissbreitenänderung „Risszuwachs“ aus den Dehnmessstreifen plausibilisiert und auf bereitet, um zunächst Merkmale bzw. Zustandsindikatoren der Versuchsverläufe in verschiedenen Zuständen abzuleiten. Anschließend werden die Daten mit einem ML-Modell angelernt und getestet, siehe Abbildung 1. Abb. 1: Untersuchungskonzept des Ermüdungsverhaltens der Versuche 3. Maschinelles Lernen im Zusammenhang mit Laborversuchen 3.1 Allgemein In diesem Abschnitt wird die Vorgehensweise des ML bei der Erkennung des Zustands von Versuchskörpern während eines Ermüdungsversuchs dargestellt. Bei dem Versuchsträgern handelt es sich um Spannbetonbalken, die in 4-Punkt-Biegeveruschen zyklisch beansprucht werden. Die Untersuchung zielt darauf ab, den Zustand der Versuchsträger anhand angelernter Daten einzuschätzen. Ermüdung beschreibt den langsam voranschreitenden Schädigungsprozess der Spannstähle im einbetonierten 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 241 Maschinelles Lernen zur Zustandserkennung bei Ermüdungsversuchen an Spannbetonträgern Zustand unter zyklischer Belastung. In diesem Zusammenhang können aus statischer Sicht unkritische Belastungen eine fortschreitende Schädigung verursachen, was bis zum Versagen des Bauteils führen kann, wenn sie oft genug wiederholt auftreten. Der Nachweis der Ermüdungsfestigkeit von Spanngliedern im Eurocode basiert hauptsächlich auf der Beziehung zwischen der aufgebrachten Spannungsschwingbreite im Spannstahl und der ertragbaren Lastwechselzahl [17]. Da die Ermüdungsfestigkeit der Spannglieder von vielen Faktoren wie Materialgüte, Herstellungsverfahren, Anzahl der realen Lastwechsel usw. abhängt, ist eine direkte mathematische physikalische Beschreibung des Verhaltens bei zyklischer Beanspruchung nicht trivial. Im Rahmen einer Versuchsreihe an der TU Dortmund wurden Ermüdungsversuche an Spannbetonträgern durchgeführt, um die Ermüdungsfestigkeit des Spannstahls im einbetonierten Zustand mit sehr großen Lastwechselzahlen im Bereich der Dauerschwingfestigkeit zu untersuchen. Bei den Versuchen wurden dabei verschiedene Einflussparameter untersucht. So wurden u. a. bei einigen Versuchskörpern alte Spannstähle aus einem Abbruchbauwerk von 1957 und Spannstähle einer aktuellen Produktion im einbetonierten Zustand verwendet [18]. Darüber hinaus wurden die folgenden Parameter bei den Versuchen variiert: Anzahl der Spannstahllitzen, Vorspannkraft, Umlenkradius der Spanngliedführung, Prüffrequenz, Spannungsschwingbreite und Spannstahlfläche-[19]. Der Einbau der Spannstählte in die Versuchsträger erfolgte in gekrümmten Stahlhüllrohren. Das Ermüdungsverhalten der im Träger einbetonierten Spannstähle wurde unter Auf bringung sehr kleiner Spannungsschwingbreiten in Verbindung mit hohen Lastwechselzahlen erforscht [20], da die Anzahl der bisher durchgeführten Versuche in diesem Bereich stark begrenzt ist. Das Ziel war die Gewinnung weiterer Versuchsergebnisse zur Beschreibung der Ermüdungsfestigkeit von Spanngliedern bei Beanspruchungen im Bereich der Dauerschwingfestigkeit. 3.2 Beschreibung des Versuchskörper Die Versuchskörper wurden als statisch bestimmte Einfeldträger mit den Abmessungen von l/ h/ b = 4,5/ 1,0/ 0,3 m als 4-Punkte-Biegeversuch getestet. Ein wesentliches Merkmal der Prüfkörper ist die kreisförmige Aussparung in Feldmitte sowie eine Stahlkonstruktion zur definierten Übertragung der Biegedruckkräfte oberhalb dieser Öffnung, siehe Abbildung 2. Hierdurch ist der Hebelarm der inneren Kräfte im Rissquerschnitt exakt bekannt, was eine rechnerische Ermittlung der Spannungsschwingbreiten im Spannstahl aus den Versuchslasten ermöglicht. Während der Versuchsdurchführung wurde in Feldmitte die Rissbreite im Zuggurt messtechnisch überwacht. Zusätzlich erfolgte an den Ankerbuchsen der Spannglieder jeweils eine Mikrofon- und Beschleunigungsmessung. In Kombination dieser drei Messkenngrößen (Rissbreite, Beschleunigungs- und Mikrofonmessung) konnten einzelne Spanndrahtbrüche im Spannglied während der Versuchsdurchführung aufgezeichnet und auch zeitlich einer zugehörigen Lastwechselzahl zugeordnet werden. Ein Spanndrahtbruch war durch eine Rissbreitezunahme sowie einem Ausschlag der Beschleunigungs- und Mikrofonmessung zu erkennen. Die Größe der Rissbreitenzunahme hing dabei von der Anzahl der bereits ausgefallenen Spanndrähte bzw. der verbleibenden Anzahl intakter Spanndrähte ab. Abb. 2: Darstellung des Versuchskörpers [20] Abbildung 3 zeigt den charakteristischen Verlauf der gemessenen Rissbreite eines Versuchs bis zum Versagen. Es ist zu erkennen, dass die Rissbreitenzunahme zu Beginn des Versuchs bis zum ersten Drahtbruch stabil verläuft. Der stabile Verlauf setzt sich auch nach dem ersten Einzeldrahtbruche weiter fort. Mit zunehmender Lastspielzahl wächst die Rissbreite bis zum Versagenspunkt 1 annähernd linear an. Nach dem Erreichen dieses Versagenspunkts ist eine deutlich überproportionale Zunahme der Rissbreitenänderung zu beobachten. Die Rissbreitenänderungen steigen deutlich an und die zeitlichen Abstände zwischen den Einzeldrahtbrüchen nehmen ab. Sobald eine kritische Anzahl von Drahtbrüchen erreicht wurde und die verbleibende Spannstahlfläche nicht mehr ausreichte, die Zugkraft aufzunehmen, kam es letztendlich zum Versagen des Bauteils. 3.3 Datenaufbereitung Die Definition des Versagenszeitpunkts eines Spannbetonbauteils mit mehrdrahtigen Spanngliedern infolge Ermüdung ist in der Fachwelt nicht eindeutig formuliert. Einige Wissenschaftler betrachten bereits den ersten Drahtbruch als kritischen Versagenspunkt. Die Versuche an der TU Dortmund zeigen jedoch, dass das Auftreten eines ersten Drahtbruchs nicht unmittelbar zum Gesamtversagen des Bauteils führen muss. Das Gesamtbauteilversagen trat i.d.R. immer deutlich nach dem Auftreten des Erstdrahtbruchs auf. Eine genaue Definition des tatsächlichen Versagenszeitpunktes eines Spannbetonbauteils geht aus den aktuell gültigen Regelwerken nicht hervor. Wird der erste Drahtbruch als Versagenszeitpunkt angesetzt, führt dies jedoch wie die Versuche zeigen zu sehr konservativen Ergebnissen. Im Rahmen der nachfolgenden Untersuchungen wurde der fünfte Drahtbruch als Versagenspunkt 1 definiert [20]. Der Grund dafür ist, dass der erste Drahtbruch während der Versuche nicht zu Instabilität führte, sondern die Rissbreitenzunahme i.d.R. bis zum fünften Drahtbruch sehr stabil verlief. 242 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Maschinelles Lernen zur Zustandserkennung bei Ermüdungsversuchen an Spannbetonträgern Diese Erkenntnisse und die Beschreibung der Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen aus [19] wurden für die Erarbeitung eines maschinellen Lernmodells genutzt, um zu untersuchen, inwieweit das Modell die Verläufe der Versuche anlernen und wiedererkennen kann. Abb. 3: Schematische Darstellung des Zustandes während eines Versuchs. 01ZS (Normaler Zustand), 02Zs (mittlerer Zusatnd), 03ZS (Versagenszustand) [18] In der Abbildung 4 sind die Verläufe der Versuche bis zum Versagen dargestellt. Die Dauer der Versuchsdurchführung reichte von einem bis zu 100-Tagen. Die Daten aus den Versuchen wurden für diese Studie herangezogen und auf bereitet. Sie sind in drei Stufen unterteilt (01ZS „Normaler Zustand“, 02ZS „Mittlerer Zustand“, 03ZS „Versagenszustand“), siehe Abbildung 3. Diese Stufen bilden die Grundlage der weiteren Untersuchungen. Anhand der Daten werden Eigenschaften der Rissbreitenänderung während der zyklischen Belastungen abgeleitet. Diese Eigenschaften sollen als Indikatoren der Zustandsänderung eines Versuchs dienen. Die Indikatoren werden mit einem ML-Modell angelernt und getestet, um die Genauigkeit des Modells zu evaluieren. Abb. 4: Darstellung der Rissbreiteänderung über die Zeit 3.4 Ableitung von Zustandsindikatoren Grundlage für die Ableitung von Merkmalen sind in diesem Beitrag die aggregierten Daten des Risswachstums, die Anzahl der Lastwechsel sowie die Spannungsschwingbreite, um Zustandsindikatoren zum Trainieren eines ML-Modelles zu etablieren. Aus den Daten der Ermüdungsversuche haben sich drei Merkmale bzw. Indikatoren als geeignet für eine weitere Verarbeitung ergeben. Das erste Merkmal bezieht sich auf den Mittelwert des Produkts aus Lastwechselzahl N, Risszuwachs Δw und Spannungsschwingbreite Δs, siehe Gleichung (1). (1) Die Ergebnisse in [18] deuten darauf hin, dass die sprunghafte bzw. plötzliche Änderung des Risszuwachses als guter Indikator zur Erkennung der Drahtbrüche dienen kann. Um dieses Merkmal abzuleiten, wird für die Daten jedes Versuchs eine Analyse der plötzlichen Änderungen durchgeführt. Die Analyse der plötzlichen Änderungen in den Daten dient der Identifikation von Punkten innerhalb eines großen Datensatzes, an denen sich statistische Eigenschaften wie Mittelwert oder Varianz ändern [21] [22]. In der Abbildung 5 wird die Änderungspunktanalyse für den Träger SB01 im Zustand 02ZS über den Mittelwert dargestellt. So entstehen treppenförmige Segmente. In einer zweiten Stufe (Merkmal 2) wird die Neigung der Segmente nach Gleichung (2) ermittelt, wobei k die Anzahl der Segmente darstellt. Hierbei wird angenommen, dass die Neigung der Risszuwachsverläufe ein Indikator für den Zustand ist, siehe Abbildung 6. (2) Das dritte Merkmal lässt sich durch die Berechnung der Anzahl der Störstellen in einem Zustand darstellen. Hierbei erfolgt die Berechnung der Ausreißer in einem Signal mit der Berechnung der Varianz [23]. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 243 Maschinelles Lernen zur Zustandserkennung bei Ermüdungsversuchen an Spannbetonträgern Abb. 5: Darstellung der Änderungspunktanalyse des Trägers SB01 in mittleren Zustand 02ZS Abb. 6: Darstellung der Änderungspunktanalyse des Trägers SB01 in mittleren Zustand 02ZS mit der Neigung zwischen den Segmenten 3.5 Maschinelles Lernmodell Bei einer Klassifikationsaufgabe mit maschinellem Lernen werden die abgeleiteten Merkmale für das Anlernen eines Algorithmus verwendet. Die Auswahl, welcher Algorithmus für das Lösen der Aufgabe am besten geeignet ist, erfolgt iterativ. Anschließend kann die Genauigkeit durch die Optimierung der Lernoptionen mit Hyperparametern oder durch die Auswahl der besten Merkmale optimiert werden [24] [25]. Ein Hyperparameter ist ein Optimierungsalgorithmus, der mehrere Lernparameter testet und daraus die besten Parameter eines maschinellen Lernmodells ableitet. So wird das beste Modell mit der höchsten Genauigkeit gefunden [26]. Die Merkmalauswahl (eng. Feature Selektion) dient dazu, die relevanten Merkmale für die Prognose auszuwählen. Damit werden die Datenmenge und das Rauschen in den Daten durch die Elimination der redundanten sowie korrelierten Daten verringert. Überdies werden das Überanpassungspotenzial und die Rechenzeit reduziert [27] [28]. Die Überanpassung (eng. Overfitting) bedeutet, dass ein statistisches Modell genau auf seine Trainingsdaten passt. Das Modell lernt dabei auswendig und kann bei Testdaten keine gute Genauigkeit erreichen [29]. Wenn die angestrebte Genauigkeit erreicht ist, kann das Modell für neue unbekannte Daten verwendet werden. Das „zufällige Wald-Modell“ (engl. Random Forest) hat sich im Rahmen der Untersuchung als geeignet erwiesen. Das Modell ist ein baumbasierter Ensemble-Lernalgorithmus. Das Ensemble Learning benutzt mehrere Lernalgorithmen, um die Genauigkeit und die Stabilität des Lernmodells zu optimieren [30]. Ensemble bedeutet, mehrere schwache Algorithmen zu bündeln, um ein starkes Modell zu konfigurieren [31] [32]. Die Entscheidung der Klassifizierung wird über den Mittelwert der Entscheidungen aus den verschiedenen verwendeten Lernalgorithmen ausgegeben [33]. Grundsächlich handelt es sich um mehrere gebündelte Top-Down-Algorithmen (Baumstruktur), deren Knoten die abgeleiteten Merkmale repräsentieren. In der Abbildung 7 ist eine von mehreren Baumstrukturen dargestellt, deren Knoten für den Entscheidungsprozess verantwortlich sind. Dieser Algorithmus ist einfach zu interpretieren und erfordert wenig Rechenaufwand. [34]. Abb. 7: Darstellung einer Baustruktur des zufälligen Wald-Models Der gesamte Datensatz besteht aus 1055 Einzeldatensätzen, die aus den 16 der vorhandenen Ermüdungsversuchen abgeleitet sind. Das Modell bedarf zweier Phasen, einer Lernphase mit 70 % und einer Testphase mit weiteren 30 % der Daten. Dies entspricht einem typischen Verhältnis zwischen Lern- und Testdaten. Die Ergebnisse der Zustandserkennung der Ermüdungsversuche mit dem Ensemble Modell zeigen, dass das Lernmodell eine Wiedererkennungsrate von 94 % erreicht, siehe Abbildung 8. Hieraus kann geschlussfolgert werden, dass der Zustand für bestimmte Versagensmechanismen anhand einer Menge von Daten vorhersehbar ist. Dies, obwohl die Versuche mit unterschiedlichen Versuchsparametern (Z. B. Vorspanngrad, Spanngliedgroße, Spannungsschwingbreite, usw.) durchgeführt wurden. Der verwendete Datensatz ist hinsichtlich der Zustandszuordnung unausgewogen, da die Anzahl der Datensätze in der Klasse 03ZS überwiegt, siehe Abbildung 8. 244 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Maschinelles Lernen zur Zustandserkennung bei Ermüdungsversuchen an Spannbetonträgern Abb. 8: Testergebnisse des Ensemble-Modells für die Zuordnung zu den drei definierten Zuständen Die unausgewogene Vertretung der Klassen (01ZS 02ZS 03ZS) in den Daten korrespondiert mit den tatsächlichen Zeiträumen in den Versuchsdurchführungen und stellt daher keinen Mangel in der Datengrundlage dar. Die unterschiedlichen Gewichtung der verschiedenen Klassen kann das für einen ML-Algorithmus jedoch problematisch sein. Um das Potenzial der ML-Modelle zur Erstellung einer verlässlichen Zustandszuordnung trotz der Unausgewogenheit zu untersuchen, wird das Modell mit 10 % der Daten zum Trainieren verwendet. 90 % werden zum Evaluieren und für die Prüfung der Robustheit des Modells herangezogen. In der Abbildung 9 sind die Ergebnisse dargestellt. Es wird eine Wiedererkennungsrate von 92-% erzielt. Diese ist trotz der unterschiedlichen Repräsentation der Train- und Testdaten hoch. Überdies zeigt der Vergleich zwischen den Zuständen, dass eine vergleichbare Wiedererkennungsrate für die drei Zustände erreicht wird (zwischen 86 und 93 %.) Dies heißt, dass das ML-Modell bei den Testdaten gut abschneidet und kein Problem durch Überanpassung (overfittig) des Modells vorliegt. Weitere Möglichkeiten zum Umgang mit unausgewogenen Daten stehen mit der Signalbzw. Bildverarbeitung zur Verfügung. Dabei können auf Basis originaler Datensätze zusätzliche synthetische Daten einer unterrepräsentierten Klasse generiert werden [35] [36] [37]. Abb. 9: Testergebnisse des Ensemble-Modells bei den drei Zuständen für 10 %er Trainingsdatensatz 4. Zusammenfassung und Ausblick Die Nutzung maschinellen Lernens zur Generierung von Wissen aus Daten bietet im Infrastrukturbereich erhebliches Potenzial für darauf auf bauende Anwendungsmöglichkeiten im Erhaltungsmanagement. Insbesordere durch Monitoringanwendungen lassen sich enorme Datenmengen sammeln, die für das Ableiten von neuen Erkentnissen zum gegenwärtigen und zukünftigen Verhalten der Infrastruktur verwendet werden können. In diesem Beitrag wurde ein Konzept zur Einschätzung des Zustandes von Versuchsträgern auf Basis der Anwendung des maschinellen Lernens vorgestellt. Trotz der verschiedenen Versuchsparameter und der Streuungen in den Daten wurde festgestellt, dass eine allgemeine Zustandsaussage mit Hilfe von ML-Algorithmen möglich ist. Auf reale Bauwerke ist die Übertragbarkeit solches Ansatzes derzeit nicht möglich, da deutlich mehr Einflussparameter zu berücksichtigen sind. Insbesondere zu nennen sind dabei Umwelteinflüsse, veränderliches Langzeitverhalten und heterogene Einwirkungen infolge Verkehrs. Hier besteht zukünftig noch weitere Forschungsbedarf. Es ist anzunhemen, dass sich die hier angewendeten Verfahren der Datenanalyse auch dazu eigenen, um das Verhalten bzw. die Zustandentwicklung anderer Konstruktionen und Detailausbildungen zu erlernen und zu erkennen (bspw. das Ermüdungsverhalten verschiedener Schweißnahtdetails (Kerbfälle) im Stahbau). Basis für die weitere Entwicklung ist jedoch das Vorhandensein einer entsprechenden Datengrundlage. Neben der Zustandserkennung wurden an den hier beschriebenen Versuchsträger bereits erste Erkenntnisse zur Ermittlung der Restlebensdauer unter Anwednung mschineller Lernverfahren erfolgreich untersucht. Die Ergebnisse werden derzeit ausgewertet und sollen in zukünftigen Beiträgen veröffentlicht werden. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 245 Maschinelles Lernen zur Zustandserkennung bei Ermüdungsversuchen an Spannbetonträgern Literatur [1] DIN 1076, „DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung,“ Beuth, Berlin. [2] „Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten (RI-ERH-ING),“ Bundesanstalt für Straßenwesen „BAST“, [Online]. Available: https: / / www. bast.de/ DE/ Publikationen/ Regelwerke/ Ingenieur bau/ Erhaltung/ RI-ERH-ING.html; jsessionid=CC B9DCDEEAD561998DC83CFAFB3B79F1.live 11293? nn=1816396 [Zugriff am 04 January 2023]. [3] A. Malekjafarian, P. J. McGetrick und E. J. OBrien, „A Review of Indirect Bridge Monitoring Using Passing Vehicles,“ Shock and Vibration: Volume 2015, 02 March 2015. [4] K. Worden, C. R. Farrar, G. Manson und G. Park, „The fundamental axioms of structural health monitoring,“ Proc. R. Soc. A.4631639-1664, 03 April 2007. [5] A. Malekloo, E. Ozer, M. AlHamaydeh und M. 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Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 247 Halbautonome Schadenskartierung und -segmentierung mit Spot Patrick Herbers, M. Sc. Ruhr-Universität Bochum Firdes Çelik, M. Sc. Ruhr-Universität Bochum Marlena Block, M. Sc. Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr.-Ing. Markus König Ruhr-Universität Bochum Zusammenfassung Um den strukturellen Zustand von Bauwerken zu überwachen, müssen Schäden wie Risse oder Abplatzungen frühzeitig erkannt und bewertet werden. Automatisierte Bauwerksprüfung mit KI und Robotersystemen können dabei helfen, die Arbeitsbelastung von Prüfenden zu reduzieren. Eine Möglichkeit ist die Schadenserfassung auf einer autonomen Plattform mit automatischer Klassifizierung. In diesem Ansatz wird der Roboterhund Spot eingesetzt, um Punktwolken von Bilddaten in Echtzeit zu segmentieren. Das Ergebnis ist eine halbautonome Schadenskartierung, die nicht nur den ersten Schritt zur vollautonomen Bauwerksprüfung darstellt, sondern auch die Grundlage für die Erstellung einer umfangreichen Schadenshistorie bietet, die Bauwerksprüfende bei der Entscheidungsfindung unterstützt. 1. Einführung Die Überwachung und Instandhaltung von alternden Bauwerken ist von großer Bedeutung für die Sicherheit und Nachhaltigkeit unserer Infrastrukturen. Der vorliegende Beitrag adressiert das Tätigkeitsfeld der Bauwerksprüfung und stellt ein teilautonomes Verfahren zur Unterstützung vor. Um die Relevanz einer Effizienzsteigerung bei der Bauwerksprüfung zu unterstreichen, lassen sich die Zahlen aus dem Bereich Brücken heranziehen, ohne den Anspruch einer vollständigen Betrachtung zu verfolgen. Auf Ebene der Bundesfernstraßen existieren rund 39.500 Brückenbauwerke. Normkonform ist bei der Prüfung einer Brücke eine jährliche Sichtprüfung vorgeschrieben, eine Hauptprüfung alle 6 Jahre und eine Einfache Prüfung im Wechsel drei Jahre nach der Hauptprüfung [1]. Diese Größenordnung bietet Potenzial zur Evaluation von kosten- und zeitreduzierenden technischen Verfahren. Ein möglicher Ansatz zur Unterstützung ist der Einsatz von Maschinellem Lernen auf Roboter(-systemen), da maschinelles Lernen (ML) komplexe Informationen, wie Schäden erfassen und verarbeiten kann, und Robotersysteme die Mobilität für den automatischen Einsatz von ML bieten. Konkret heißt das, mittelfristig kann die Sichtprüfung durch den Einsatz (teil-)autonomer Systeme durchgeführt werden. Für die Hauptprüfung wäre ein Assistenzsystem denkbar, bei dem ein (teil)autonomes System die Dokumentation der Schadenshistorie unterstützt. In verschiedenen Veröffentlichungen werden dazu unbemannte Luftfahrzeuge (engl. unmanned aerial vehicles, UAV) z. B. Drohnen für die Bauwerksprüfung von Gebäuden und Brücken vorgeschlagen. Allerdings ist die Navigation von UAVs in Innenräumen und bei schwierigen Wetterlagen mit weiteren Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit verbunden. Eine Alternative zu UAVs sind Laufroboter wie der Boston Dynamics Spot. Spot kann mit einem Kamerasystem bestückt und als mobile und autonome Plattform genutzt werden, die wiederum Bildaufnahmen zur Auswertung an eine ML-basierte Schadenerkennungsmethode schickt. Dadurch kann die Schadendokumentation automatisiert und optimiert werden. Ferner kann die Schadensdokumentation hinsichtlich der Verortung verbessert werden, wenn eine Schadenskartierung mithilfe einer Punktwolke zur Aufzeichnung der Umgebung genutzt wird. Der vorgestellte Ansatz kann auch auf anderen Plattformen mit entsprechender visueller Sensorik eingesetzt werden. Zudem kann der vorliegende Ansatz sinnvoll auf weitere Bauwerkstypen angewendet werden, dazu zählen Tunnel, Trogbauwerke, Lärmschutz- und Stützbauwerken, sowie Gebäude des Hochbaus. Der Beitrag stellt eine auf ML-basierende Methode zur Schadenskartierung vor. In Anbetracht der oben genannten Anforderungen ist es effizient, die Datenerfassung bezüglich der Geometrie des Bauwerks und der Schäden zu parallelisieren und zu automatisieren. Im Abschnitt Funktionsweise des Systems wird eine Methode zur Schadenskartierung in einem Umgebungsnetz unter Verwendung von Punktwolken und Bilddaten vorgestellt. Auf das Bild wird ein Segmentierungsnetz angewendet, das eine Segmentierungsmaske erzeugt. Diese 248 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Halbautonome Schadenskartierung und -segmentierung mit Spot Maske wird auf das Umgebungsnetz abgebildet und markiert den Schadensbereich so, dass er genau lokalisiert wird. Gleichzeitig wird die Datenquelle für das Umgebungsnetz mit Hilfe von Punktwolkendaten erfasst. Dieser Ansatz ist weniger rechenintensiv als die Schadenserkennung in Punktwolken, wie in Bolourian et al. [2] vorgeschlagen. Im folgenden Beitrag werden eingangs das Plattformsystem Spot und das verwendete Hardware-Setup vorgestellt. Zudem erfolgt eine Übersicht der erkennbaren Betonschadensarten. Der dritte Abschnitt behandelt das implementierte System und das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten. Der Abschnitt Diskussion bewertet vorrangig die technische Leistungsfähigkeit des Systems. Die Zusammenfassung abschließend gibt eine Aussicht auf zukünftige Potenziale. 2. Plattformsystem und erkennbare Schäden 2.1 Spot Das Robotersystem Spot von Boston Dynamics kann Hindernissen ausweichen, auf verschiedenen Oberflächen laufen und Treppen steigen. Er kann Lasten von bis zu 14 kg tragen und ist ausreichend robust um in anspruchsvollen Umgebungen wie Baustellen eingesetzt zu werden. Der Roboter kann über eine Fernbedienung gesteuert werden, aber auch halb- oder vollständig autonom agieren. Durch seine Fähigkeit, sich in schwer zugänglichen Bereichen zu bewegen und eine breite Palette von Daten zu sammeln, ist Spot ein vielversprechendes Werkzeug für den Einsatz in der Inspektion von Bauwerken oder anderen kritischen Infrastrukturen. Spot kann mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet, darunter Kameras, LIDAR- und IMU-Sensoren, die ihm eine 360-Grad-Wahrnehmung seiner Umgebung ermöglichen. Zur Erfassung von Schadensbildern ist der Roboter mit einer Schwenk-Neige-Zoom-Kamera (PTZ, siehe Abbildung 1, b) ausgestattet. Diese Kamera hat einen Schwenkbereich von 360°, einen Neigebereich von 30° bis 100° und einen bis zu 30-fachen Zoomfaktor. Des Weiteren wurde Spot mit einem Velodyne-LiDAR-Sensor bestückt, welcher kontinuierlich Punktwolken der Umgebung für die Schadenlokalisierung aufzeichnet (siehe Abbildung 1, a). 2.2 Schadensarten und Schadenskartierung Das in diesem Ansatz verwendete Segmentierungsmodell basiert auf dem Feature Pyramid Network [3]. Das Training erfolgte auf einem Datensatz von über 5500 Bildern von Betonschäden. Diese Bilder zeigen hauptsächlich Betonstrukturen im Freien, Schäden wurden in vier Schadenarten annotiert: Risse, Kiesnester, Abplatzungen und Korrosion. Risse können aus verschiedenen Gründen entstehen, wie zum Beispiel durch äußere Belastungen, Zwangsbeanspruchungen und Eigenspannungen sowie durch bauchemische und bauphysikalische Prozesse. Risse können je nach Art und Größe unterschiedliche Auswirkungen auf ein Bauwerk und seine Stabilität haben. Kiesnester entstehen durch Ausführungsfehler beim Betonieren. Beispielsweise kann sich der Beton bei großen Fallhöhen entmischen. Kiesnester können die Entstehung anderer Schäden beschleunigen, da Feuchtigkeit einfacher in den Beton eindringen kann. Bei Abplatzungen handeln es sich um Schäden, bei dem sich Betonteile von der Oberfläche lösen. Ursachen können eine unzureichende Vorbereitung der Oberfläche, mangelhafte Materialqualität, chemische Reaktionen oder physische Ereignisse, wie Anprall, sein. Abplatzungen können die Betonstruktur schwächen. Häufig lassen sich an älteren Massivbrücken Abplatzungen mit freiliegender korrodierter Bewehrung finden. Eine Ursache dafür kann Karbonatisierung des Betons sein, wodurch die alkalische Schutzwirkung des Betons verloren geht. Die Bewehrung fängt an zu korrodieren und nimmt an Volumen zu, sodass anschließend der Beton abplatzt. [4] Abb. 1: Hardware-Setup des Spot-Roboters. a) Velodyne-LiDAR-Sensor. b) Schwenk-Neige-Zoom-Kamera (Pan-Tilt-Zoom, PTZ). c) Spot-Core-Recheneinheit 3. Halbautonome Schadenskartierung und Segmentierung mit Spot Das System umfasst vier wesentliche Module - die Datenerfassung, die Umgebungsrekonstruktion, die Schadenserkennung und Schadenslokalisierung. Das Modul der Datenerfassung erfasst und überträgt Daten vom Roboter an die Recheneinheit. Punktwolken werden mit einer Geschwindigkeit von 1 Hz erfasst und an das Rechengerät gesendet. Die Odometriedaten, die die Körperposition und -drehung des Roboters umfassen, werden kontinuierlich und mit hoher Frequenz ausgewertet, um die Steuerung des Roboters zu ermöglichen. Andere Module greifen auf diese Odometriedaten zu, wenn Punktwolken oder Bilddaten erfasst werden. Es gibt drei relevante Odometrierahmen: Der Roboterkörperrahmen, der LiDAR-Scannerrahmen und der PTZ-Kamerarahmen. Das Modul verfolgt nur den Körperrahmen des Roboters, während die anderen Rahmen in Bezug auf den Körper fixiert sind. So kann der Scannerrahmen einfach aus dem Körper berechnet werden, und der Kamerarahmen kann aus den Drehwinkeln des PTZ-Kamerakopfes berechnet werden. Schließlich wird ein Kamerabild für die PTZ-Kamera erstellt und mit einer Auflösung von 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 249 Halbautonome Schadenskartierung und -segmentierung mit Spot 1280x720 Pixel und 30 Hz übertragen, das mit h.264- Kompression kodiert ist. Der Roboter zeichnet zur Umgebungskonstruktion ständig Punktwolkendaten mit dem Velodyne LiDAR- Sensor auf. Diese Daten werden mithilfe von Octomap [5] in einer Octree-Datenstruktur gespeichert, wobei die Punkte in Voxeln mit einer Seitenlänge von 10 cm abgelegt werden. So lässt sich neues Material effizient einfügen und der Speicherbedarf der Punktwolke begrenzen. Um Redundanzen zu vermeiden, werden doppelte Punkte aussortiert und Punkte, die durch dynamische Elemente wie passierende Personen erzeugt werden, entfernt. Die resultierende Punktwolke wird in ein Umgebungsnetz rekonstruiert, indem benachbarte Punkte mithilfe des Marching-Cubes-Algorithmus [6] zu Flächen verbunden werden. Zur Schadenserkennung innerhalb der aufgenommenen Bilder werden visuell erfassbare Schadensarten segmentiert (siehe 2.2). Einzelheiten zum Modelltraining und zum Datensatz finden sich in [7]. Abbildung 2 zeigt das Ergebnis des Segmentierungsnetzwerks auf einem PTZ-Kamerabild. Schließlich werden das PTZ-Kamerabild und die zugehörigen Segmentierungsmasken weitergeleitet an das Modul zur Lokalisierung. Abb. 2: Segmentierungsmasken eines Risses im Verputz eines Deckenbalkens mit der PTZ-Kamera. Das Modul zur Schadenslokalisierung hat die Aufgabe, die vom Segmentierungsnetzwerk markierten Schäden im Umgebungsnetz zu registrieren. Hierbei wird das PTZ-Kamerabild sowie das Segmentierungsergebnis mithilfe einer Projektionsmatrix auf das Netz projiziert. Die Projektionsmatrix ist von der Drehung und der Brennweite der Kamera sowie von der Position des Roboters in einem globalen Referenzrahmen abhängig, welcher durch die intrinsischen und extrinsischen Kameramatrizen repräsentiert wird. Auf diese Weise wird eine genaue Registrierung der Schäden im Umgebungsnetz sichergestellt. Detailliert wird das Verfahren in Herbers et.al. [8] beschrieben. 4. Diskussion Der entwickelte Prototyp zeigt das Potenzial für eine halbautomatische Schadensprüfung und -kartierung. Der Spot-Roboter erweist sich als vielseitige Plattform, die in der Lage ist, die für die Schadenskartierung erforderliche Ausrüstung, wie hochauflösende Kameras und LiDAR-Geräte, zu tragen. Die Teilautonomie von Spot ermöglicht das Durchqueren von unterschiedlichem Terrain in Innenräumen und im Freien. Herausforderungen für einen vollständig autonomen Einsatz können sich ergeben, wenn an einem Ort viel geklettert oder Türen geöffnet werden müssen. Detaillierte Bilddaten von Schäden in großen Entfernungen wurden mit einer PTZ-Kamera aufgezeichnet. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass die Bildqualität der PTZ-Kamera für kleine Risse in der Ferne oder an Decken ausreichend ist. Der Bewegungsbereich, die stabile Plattform und der hohe Zoomfaktor der Kamera ermöglichen die Aufnahme von Bildern mit starker Vergrößerung. Die Videokomprimierung der Kameraübertragung kann die Leistung des Segmentierungsnetzes beeinträchtigen. In zukünftigen Iterationen kann die Videoübertragung durch die Aufnahme statischer Bilder oder die Reduzierung der Videofrequenz ersetzt werden. Die Bilddaten wurden mit Hilfe eines Schadenssegmentierungsnetzes auf Risse untersucht. Das verwendete Segmentierungsnetz von Çelik et al. [7] zeigt im Zusammenhang mit der PTZ-Kamera eine vielversprechende Leistung. Obwohl es einen Domänenunterschied zwischen Innenräumen und Betonstrukturen im Freien gibt, wird die Leistung des Modells als ausreichend für Tests angesehen. In einer fortgeschrittenen Forschungsstudie kann ein Datensatz mit Schadensbildern aus Innenräumen erstellt werden, um den bereits verfügbaren Datensatz zu erweitern. Auf diese Weise kann die Leistung des Segmentierungsnetzwerks für Innenraumschäden verbessert werden. Die analysierten Bilder wurden auf ein lokales Umgebungsnetz abgebildet. Die Schadenskartierung zeigt viel- 250 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Halbautonome Schadenskartierung und -segmentierung mit Spot versprechende Ergebnisse und liefert ein grobes Modell der Umgebung. Die Odometrie des Roboters reicht aus, um Umgebungsnetze auch über größere Entfernungen zu erfassen, und die Kartierung ermöglicht eine effiziente Akkumulation von Punktwolken über die Zeit. Schäden an vertikalen Bauelementen können gut erkannt und rekonstruiert werden. Der Prototyp berücksichtigt nur Einzelbilder für die Schadenslokalisierung. In einer zukünftigen Iteration könnten die Ergebnisse des Segmentierungsnetzwerksmit der Zeit akkumuliert werden, indem eine voxelbasierte Abstimmungsstrategie für eine stabile Erkennung verwendet wird. Um ein saubereres und genaueres Umgebungsnetz zu erhalten, könnten weitere Verbesserungen vorgenommen werden, z. B. achsenorientierte Octrees und Sub-Voxel-Vertices. Aufgrund der Kartierungsauflösung von 10 cm können bei der geometrischen Rekonstruktion Details übersehen werden, wie z. B. kleine Säulen oder Geländer. In solchen Situationen können detailliertere Rekonstruktionsmethoden erforderlich sein, was jedoch auf Kosten der Rechen- und Speichereffizienz geht. 5. Fazit und Ausblick Der vorliegende Beitrag zeigt einen funktionsfähigen Ansatz zur Schadenskartierung auf einer autonomen Plattform. Der vorgestellte Prototyp kann eine 3D-Umgebung erfassen, in der Risse, Abplatzungen, Kiesnester und Korrosionen in Betonstrukturen von einem ML- Verfahren segmentiert und einem 3D-Punkt zugeordnet werden. Spot hat sich als geeignete Plattform für autonome Missionen erwiesen, und die verwendeten Sensoren erbringen eine gute Leistung, um ausreichend Umgebungsdaten zu erfassen. Die demonstrierte Plattform könnte mit zusätzlichen Sensoren erweitert werden. Beispielsweise kann die PTZ-Kamera mit Wärmebildsensoren im Infrarotspektrum ausgestattet werden, um Wärmebrücken und undichte Stellen zu detektieren. Da die Steuerung des Roboters in diesem Prototyp nur teilautonom ist, sollte in Zukunft auch die vollständige Autonomie getestet werden. Für eine vollständig autonome Bauwerksprüfung sollte der Roboter in der Lage sein, ein Bauwerk selbständig zu begehen, zum Beispiel mit der Autowalk-Funktion von Spot. Bauwerksprüfungen könnten regelmäßig durchgeführt werden, indem autonome Missionen geplant werden, die eine detaillierte Schadenshistorie erstellen. Eine solche Historie könnte eine bessere Rückverfolgbarkeit, Vorhersagbarkeit und schnellere Reaktionszeiten bei kritischen Mängeln ermöglichen. Zukünftig sind eine modellbasierte Verortung und eine objektbezogene Schadenshistorie denkbar. Dieses rückt erneuet das Potenzial digitaler Zwillinge in den Fokus. Für die Existenz eines digitalen Zwillings ist eine regelmäßige Datenerfassung und -akkumulation erforderlich. Der vorliegende Prototyp dient als Datenerfassungswerkzeug zur Erleichterung der Erstellung des digitalen Zwillings. Dafür müssen der annotierte räumliche Netzbereich und ein Gebäudemodellbereich registriert werden. Dadurch erhalten kartierte Mängel einen zusätzlichen Kontext und es entsteht ein gemeinsamer Bezugspunkt zwischen den Datensammlungen. Eine Verbindung zwischen Netz- und Gebäudemodellbereich ermöglicht dem autonomen Roboter auch ein besseres Verständnis seiner Umgebung und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die über die lokale für ihn sichtbare Umgebung hinausgehen. Zukünftige Arbeiten sollten sich auf die Modellregistrierung und Gerätelokalisierung konzentrieren, um die Entwicklung des digitalen Zwillings voranzutreiben. Literatur [1] DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. [2] Bolourian, Neshat; Nasrollahi, Majid; Bahreini, Fardin; Hammad, Amin (2023): Point Cloud-Based Concrete Surface Defect Semantic Segmentation. In: J. Comput. Civ. Eng. 37-(2), Artikel 04022056. DOI: 10.1061/ JCCEE5.CPENG-5009. [3] Lin, T.-Y., P. Dollar, R. Girshick, K. He, B. Hariharan, and S. Belongie. 2017. “Feature Pyramid Networks for Object Detection.” Proc. IEEE Conf. Comput. Vis. Pattern Recognit., 2117-2125. [4] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017): Richtlinie Zur Einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF). [5] Hornung, Armin; Wurm, Kai M.; Bennewitz, Maren; Stachniss, Cyrill; Burgard, Wolfram (2013): OctoMap: an efficient probabilistic 3D mapping framework based on octrees. In: Auton Robot 34- (3), S.-189-206. DOI: 10.1007/ s10514-012-9321-0. [6] Lorensen, William E.; Cline, Harvey E. (1987): Marching cubes: A high resolution 3D surface construction algorithm. In: SIGGRAPH Comput. Graph. 21 (4), S. 163-169. DOI: 10.1145/ 37402.37422. [7] Çelik, F., Herbers, P. und M. König, M. 2022: Image Segmentation on Concrete Damage for Augmented Reality Supported Inspection Tasks. Proc. 19 th Int. Conf. Comput. Civ. Build. Eng. Cape Town. [8] Herbers, Patrick; Çelik, Firdes; König, Markus (im Druck): Autonomous Defect Inspection and Mapping for Building Maintenance. In: 2023 ASCE International Conference on Computing in Civil Engineering. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 251 Die digital unterstützte Brückenprüfung am Beispiel des Einsatzes künstlicher Intelligenz und erweiterter Realität Entscheidungskriterien in der Bauwerksprüfung Jessica Steinjan HOCHTIEF ViCon, Essen Stephan Embers, M. Sc. Ruhr-Universität Bochum Jan-Derrick Braun HOCHTIEF ViCon, Essen David Schammler HOCHTIEF ViCon, Essen Sven Zentgraf Ruhr-Universität Bochum Patrick Herbers, M. Sc. Ruhr-Universität Bochum Firdes Celik, M. Sc. Ruhr-Universität Bochum Benedikt Faltin Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr.-Ing. Markus König Ruhr-Universität Bochum Regierungsrätin Sonja Nieborowski, M. Sc. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach Regierungsdirektor Dipl.-Ing. Ralph Holst Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Brücken sind ein integraler Teil einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur. Die Gewährleistung ihrer Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit hat für Bauwerkseigentümer und -betreiber daher einen sehr hohen Stellenwert und gewinnt unter anderem angesichts der Alterung der Bauwerke und steigender Verkehrslasten weiter an Bedeutung. Regelmäßige Inspektionen des Bauwerks durch Experten geben Aufschluss über den Bauwerkszustand und notwendige erforderliche Maßnahmen zur Erhaltung des Bauwerks. Dies bildet die Grundlage zur Gewährleistung der Zukunftsfähigkeit von Ingenieurbauwerken. Dieser Beitrag zeigt Unterstützungspotenziale durch digitale Technologien auf Basis der Bedarfe und Anforderungen in der Bauwerksprüfung auf. Exemplarisch wird eine Kombination aus Künstlicher Intelligenz (KI) zur Schadensdetektion sowie erweiterter Realität (MR) zur Anzeige gesammelter Informationen in den Prüfprozess integriert. Die Prototypentwicklung am Beispiel eines realen Bauwerks wird vorgestellt. Die Rückmeldungen von Prüfenden aus Praxistests wurden zusammengefasst und ein Fazit über die praktische Anwendbarkeit gezogen. 252 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digital unterstützte Brückenprüfung am Beispiel des Einsatzes künstlicher Intelligenz und erweiterter Realität 1. Einführung Durch Alterung der Bauwerke, Änderungen in den Verkehrszusammensetzungen, Einflüsse durch den Klimawandel und steigende Verkehrslasten müssen in erheblichem Umfang Maßnahmen zur Erhaltung der Bauwerke durchgeführt werden. Bei der Bauwerksprüfung gemäß DIN 1076 [1] von Brücken- und Ingenieurbauwerken sowie der Schadensbewertung nach RI-EBW-PRÜF [2] ist es von entscheidender Bedeutung, dass die festgestellten Schäden vollständig, ortsgenau identifiziert sowie reproduzierbar und einheitlich bewertet werden. Dies ist insbesondere auch zur Beurteilung von Schadensentwicklungen und damit zur Beurteilung der Dringlichkeit von durchzuführenden Erhaltungsmaßnahmen unabdingbar. Dafür ist es wichtig, dass das Prüfpersonal Erfahrungen und Fähigkeiten zur Schadenserfassung und Schadensbeurteilung optimal einsetzen und von Aufgaben, die durch Einsatz digitaler Technologien einfacher erledigt werden können, entlastet bzw. von dieser Seite unterstützt wird. Somit hat die Einführung IT-gestützter Prozesse im Betrieb der Infrastruktur eine wichtige Bedeutung, um den erforderlichen Erhaltungsaufwand zu reduzieren. Die Anwendung einer Kombination aus Augmented bzw. Mixed Reality (AR/ MR) und Künstlicher Intelligenz (KI) bzw. Maschinellem Lernen kann diesen Prozess durch z. B. automatische Schadenserkennung bei der Bauwerksprüfung und darauf basierender Informationsbereitstellung unterstützen. Augmented und Mixed Reality bieten u. a. neue Möglichkeiten der Veranschaulichung virtueller Inhalte, der Informationseingabe und Informationsbereitstellung. Visuell können dem Menschen virtuelle Inhalte bereitgestellt werden, der damit die Möglichkeit hat, diese in seine Entscheidungsfindung einzubeziehen und zu bearbeiten. Dafür verwendete Systeme können über Sensoren die reale Umgebung und damit die Ist-Situation aufnehmen und Informationen passend überlagern. Technologien der Künstlichen Intelligenz werden durch das Training von Datenmodellen der Bilderfassung dafür verwendet, Schäden an Bauwerken zu erkennen und zu analysieren. Durch Kombination kann die KI die vom AR/ MR-System aufgenommenen Daten zusammen mit anderen zur Verfügung stehenden Daten sowie Erfahrungen mit vergangenen Problemstellungen möglichst in Echtzeit verarbeiten, Muster erkennen und dem Menschen darauf basierende Auswertungsergebnisse und Lösungsvorschläge über das AR/ MR-System bereitstellen. 2. Anforderungsanalyse/ Requirement Engineering Die Gewährleistung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit von Ingenieurbauwerken ist ein umfassender Prozess bei der Daseinsvorsorge im öffentlichen Raum. Sicherstellen kann man dies nur mit regelmäßigen Qualitätsprüfungen an den Bauwerken vor Ort und einer Nachverfolgung in einem zentralen Qualitätsmanagementsystem, welches Daten zu den Bauwerken von Planung über Bau, während der Erhaltung bis hin zum Abbruch oder Ersatzneubau vorhält. Die Bauwerksprüfung nach DIN 1076 [1] ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Qualitätssicherung. Die Daten der Prüfungen werden in den existierenden Bauwerksinformationssystemen (z. B. SIB Bauwerke) zusammengetragen. Hieraus lassen sich notwendige Maßnahmen zur Gewährleistung eines jeden Ingenieurbauwerks ableiten. Besonderen Fokus haben hierbei konstruktive Schwachstellen, die vornehmlich bei älteren Bauwerken zu Tage treten und einer genaueren Betrachtung und besonderer Überwachung bedürfen. Solche Schwachstellen können in erheblichem Maße die Nutzbarkeit des Bauwerks einschränken und zur temporären Sperrung bis hin zum Ersatzneubau führen. Im Rahmen der Prüfung nach DIN 1076 [1] werden die Bauwerke nicht nur aus baulicher Sicht bewertet, sondern ebenfalls nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten analysiert. Selbst wenn die Standsicherheit sichergestellt wäre, die Wirtschaftlichkeitsberechnungen für z. B. eine Sanierung aber nicht positiv bewertet werden könnte, so hätte dies Auswirkungen auf die vorzunehmenden Maßnahmen. Der Prüfprozess nach DIN 1076 [1] ist komplex und erfordert ein hohes Maß an Erfahrung des Personals vor Ort. Im Zuge einer Hauptprüfung muss das komplette Bauwerk handnah geprüft werden, um Schäden ertasten und mit bloßem Auge erkennen zu können. Die Dokumentation der erfassten Schäden ist aufwändig. Daten zu vorhandenen Schäden, sowie das zugehörige Bauwerksbuch und Bauwerkspläne stehen vor Ort oft nur als Papierausdruck zur Verfügung. All diese Herausforderungen sollen im Rahmen dieser Anforderungsanalyse genauer betrachtet werden. Es sollen die relevanten Anforderungen identifiziert werden, die in Rahmen der Konzeptionierung einer mobilen AR-Anwendung Berücksichtigung finden, um den Prüfprozess zu vereinfachen und den Prüfingenieur zu unterstützen. Im Zuge der Anforderungsanalyse wurden Interviews mit Bauwerksprüfern verschiedener Unternehmen und aus unterschiedlichen Bereichen geführt. Die Bereitstellung der AR Anwendung stieß hierbei auf großes Interesse. Die Ergebnisse dieser Interviews sind bei der Formulierung der notwendigen Anforderungen mit eingeflossen. Das Vorgehen während der Anforderungsanalyse folgt den Prinzipien des Requirement Engineerings und berücksichtigt hierbei Anforderungen, die sich zum einen aus dem üblichen Ablauf des Bauwerksprüfprozesses ergeben und zum anderen abhängig vom aktuellen Stand der Technik definiert werden. Um den neuen und leicht angepassten Ablauf des Prüfprozesses mit der in diesem Forschungsprojekt neu zu entwickelnden AR-Anwendung zu konkretisieren, fließen diese Anforderungen in die spätere Konzeptionierung ein. Permanentes Feedback von Anwendern als Validierung der Konzeptionierung und darauf auf bauenden Prototypisierung wird Einfluss auf die erarbeiteten Definitionen haben und bei Erfordernis entsprechende Anpassungen mit sich bringen. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 253 Die digital unterstützte Brückenprüfung am Beispiel des Einsatzes künstlicher Intelligenz und erweiterter Realität 3. Konzeptionierung Für die erfolgreiche Implementierung digitaler Prozesse und neuer Technologien sind grundsätzlich vier wesentliche Aspekte zu berücksichtigen: • Technologie: Es muss gewährleistet werden, dass technologische Anforderungen (z. B. an Hard- und Software) erfüllt werden, da ansonsten Prozesse nicht reibungsfrei ablaufen können und gestört würden. • Richtlinien Es ist zwingend erforderlich, dass bei der Implementierung neuer Arbeitsweisen vorhandene Richtlinien eingehalten werden, da ansonsten eine Einführung im Widerspruch hierzu stehen würde. • Prozesse Neue Arbeitsmethoden müssen sich reibungsfrei in bestehende Prozesse eingliedern und sollten diese nicht grundlegend abändern. Neue Prozesse, die störend auf bestehende Abläufe wirken, sind kontraproduktiv. • Menschen Es ist zwingend erforderlich, dass beteiligte Personen für die Anwendung neuer Arbeitsmethoden befähigt werden. Prozessbeteiligte sollten in den Neuentwicklungen Vorteile sehen, um die Akzeptanz zu steigern. Für die Konzeptionierung wurde zunächst der aktuelle IST-Prozess untersucht und vorliegende Herausforderungen im Prüfablauf identifiziert. Basierend auf den identifizierten Schwachstellen des Prozesses wurde anschließend der gewünschter SOLL-Prozess skizziert. Dieser bleibt nahezu unverändert zum IST-Prozess, wurde aber um Anknüpfungspunkte für die Implementierung der neuen Technologien ergänzt. Auf Basis der Anforderungsanalyse erfolgt die detaillierte Spezifikation der umzusetzenden Funktionseinheiten für das Bridge Inspection Support System (BISS) zur Bauwerksprüfung im Brückenbau, welches für dieses Projekt prototypisch realisiert wurde. 4. Bridge Inspector / Demonstrator Aus der Anforderungsanalyse ging hervor, dass eine Brückenprüfung häufig durch zwei Prüfer durchgeführt wird. Es bietet sich deshalb an, beide Personen einzubinden und mit technischen Geräten zur Durchführung der Brückenprüfung auszustatten. Aus diesem Grund nutzt der entwickelte Demonstrator des BISS einen Zwei-Geräte Ansatz. Durch diesen Ansatz können sich die beiden Prüfer in der Nutzung der Geräte abwechseln und so ein mögliches Unbehagen beim Tragen eines Headmounted Gerätes verringern. Ergänzend lassen sich hierdurch die gute Immersion von Headmounted-AR-Geräten (z. B. Holo- Lens) und deren ausgereiften Positionierungseigenschaften für Verortung und Erfassung von Schäden mit der intuitiven Handhabung eines Handheld-AR-Geräts (z. B. Smartphones, Tablets) für die Dokumentation und Beschriftung der Daten vereinen. Auf Basis des Zwei-Geräte Ansatzes wurden in diesem Forschungsvorhaben zwei unterschiedliche technische AR-Systeme eingesetzt. Zum einen ein Tablet auf Basis von ARCore von Google sowie ein Trimble XR10 System mit HoloLens 2. Das Trimble XR10 System mit HoloLens 2 ist speziell für den Einsatz in Bereichen mit erhöhten Sicherheitsanforderungen wie Baustellen, Offshore-Anlagen oder im Bergbau entwickelt worden und entspricht dem ANSI/ ISEA Industriestandard. Die im Demonstrator genutzte Hardware stellt sicher, dass benötigte Sicherheitsausrüstung ohne Einschränkungen genutzt werden kann. Insgesamt umfasste die Konzeptionierung des Demonstrators damit vier unterschiedliche Komponenten: die Tablet-Anwendung, die AR-Anwendung, die Datenhaltung und die KI-Komponente. Diese vier Komponenten wurden über entsprechende Schnittstellendefinition miteinander gekoppelt. Im Folgenden eine kurze Erläuterung der vier Komponenten. 4.1 Tablet Das Tablet ist das leistungsstärkere Gerät in Bezug auf Prozessorleistung, Akkulaufzeit und Eingabemöglichkeiten in der Benutzeroberfläche. Aus diesem Grund wird es bevorzugt für die Dateneingabe und Dokumentation von Schäden verwendet. Zusätzlich dient das Tablet auch als Speichermedium für sämtliche bereitgestellten Dokumente und Informationen, die im Zusammenhang mit vorangegangenen Prüfungen stehen. Zudem werden auf dem Tablet auch die neu aufgenommenen Daten der aktuell laufenden Prüfung gespeichert. Eine der wichtigsten Funktionen der Tablet-Anwendung ist die visuelle Darstellung von Schäden in einem Übersichtsplan (z. B. Lageplan). Dies hilft dabei auf einen Blick alle bereits erfassten Schäden in einer einzigen, übersichtlichen Darstellung zu sehen. Die Tablet-Anwendung stellt außerdem eine Baumstruktur zur datentechnischen Verortung der Schäden bereit. Diese Struktur folgt den Stufen der ASB-ING [3] Schlüssel, und ermöglicht so die bauteilbezogene Verortung und Kategorisierung. Für die Dokumentation eines neuen Schadens, bzw. der Aktualisierung eines bestehenden Schadens, stellt die Tablet-Anwendung eine anwenderfreundliche Benutzeroberfläche zur Verfügung. Hierbei können eine Schadensbeschreibung (Name, Art, Richtung), die relevante Zuweisung des ASB-ING [3] Schlüsselcodes, die notwendige SVD-Bewertung und zugehörige Schadensfotos eingegeben bzw. angefügt werden. Ein großer Vorteil gegenüber der bisherigen Vorgehensweise bei der Bauwerksprüfung ist, dass die Schäden auf diese Weise sofort bauteilbezogen dokumentiert sind und zusätzlich ein direkter Bezug zu bestehenden Schäden am selben Bauteil hergestellt werden kann. Weiterhin können zusätzliche Informationen oder Kommentare über das bereitgestellte Beschreibungsfeld ergänzt werden und eine Kennzeichnung als „handnah zu prüfender Schaden“ (EP Schaden) vorgenommen werden. Alle genannten Felder sind optional und müssen nicht ausgefüllt werden, sodass über dieselbe Oberfläche auch Schäden dokumentiert werden 254 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digital unterstützte Brückenprüfung am Beispiel des Einsatzes künstlicher Intelligenz und erweiterter Realität können, die nicht für das Bauwerksmanagement relevant sind (z. B. Kleinschäden). Abb. 1: Eingabemaske der Tablet-Anwendung für die Dokumentation von erkannten Schäden Weiter bietet die Tablet-Anwendung die Möglichkeit, beispielhafte Schadensbeispiele und Schadensmerkmale, die mit dem Schema der RI-EBW-PRÜF [2] übereinstimmen, einzusehen. Diese Schadensbeispiele unterstützen den Bauwerksprüfer bei der Entscheidung zur Beurteilung eines Schadens. Sie bieten eine Bandbreite an vorgefertigten Schadensmerkmalen an, die sich in der entwickelten Anwendung automatisch in die Nutzeroberfläche zur Schadensdokumentation einbinden lassen. Diese automatisch befüllten Felder zur Dokumentation lassen sich im Nachgang weiterbearbeiten, sodass der Bauwerksprüfer eine Empfehlung erhält und diese annehmen oder Eintragungen seiner Beurteilung entsprechend anpassen kann. Der im Rahmen dieses Forschungsvorhabens entwickelte Demonstrator implementiert diese Funktionalität beispielhaft und bietet Schadensbeispiele für Risse, Erosionen, Abplatzungen und Graffiti. Zukünftig ist hier eine Liveanbindung an die bestehende Datenbank anzustreben. Im Zusammenspiel mit dem Zweitgerät, der HoloLens mit der AR-Anwendung, kann die Tablet-Anwendung alle von der HoloLens erfassten Daten, inklusive aufgenommener Schadensbilder, importieren. Die importierten Schadensmerkmale werden in Listenform angezeigt und können anschließend in der Tablet-Anwendung dem relevanten Bauteil zugewiesen werden. Die so bereitgestellten Informationen können in der Benutzeroberfläche zur Dokumentation des Schadens anzeigt, direkt verwendet oder weiterbearbeitet werden. 4.2 Headmounted Display (HMD) Der Einsatz des in diesem Forschungsvorhaben zum Einsatz kommenden HMD, der HoloLens im Rahmen des Zwei-Geräte Ansatzes bringt den Vorteil der Bewegungsfreiheit für den Bauwerksprüfer bei der Bauwerksbegehung und Schadenserfassung mit sich. Dies ermöglicht es dem Prüfer, seine Hände ohne Einschränkungen zu benutzen und somit effektiver zu arbeiten. Die Steuerung der HoloLens AR-Anwendung erfordert kein zusätzliches Gerät, wie es bei anderen AR-fähigen Geräten oft der Fall ist. Stattdessen wird die gesamte Anwendung über eine hybride Methode aus Gestik-Steuerung und virtuellen Eingabemasken gesteuert. Diese Methode bietet eine schnelle und effektive Möglichkeit, um auf die Anwendung zuzugreifen und sie zu bedienen. Über die HoloLens AR-Anwendung ist es möglich, eine einfache Schadensaufnahme zu dokumentieren. Der Bauwerksprüfer startet die AR-Anwendung, indem er eine beliebige innere Handfläche zur HoloLens anhebt. Durch diese Geste wird die Benutzeroberfläche als virtuelles Hologramm über dem realen Blick des Anwenders eingespielt. Die Realität wird an dieser Stelle das erste Mal im entwickelten Prozess mit AR überlagert und virtuell ergänzt. Damit die eingeblendete Benutzeroberfläche die Anzeigefläche und damit die Sicht des Bauwerksprüfers nicht einschränkt, wird diese nach Beenden der Eingabe ausgeblendet, kann aber jederzeit durch erneutes Anheben einer Handfläche wieder eingeblendet werden. Abb. 2: Virtuelle Eingabemaske der HoloLens AR-Anwendung Entdeckt der Bauwerksprüfer vor Ort einen Schaden an einem Bauteil, initiiert er den Schadensaufnahmeprozess durch die Schaltfläche „Aufnahme“ auf der Holo- Lens. Ein Countdown von 3 Sekunden kündigt das Foto an. In dieser Zeit kann der Bauwerksprüfer die Hand aus dem Sichtfeld nehmen und das Gerät stabilisieren. Das Foto wird darauf hin von der KI-Komponente ausgewertet und vorerst lokal auf dem Gerät gespeichert. Mit der Schaltfläche „Senden“ werden alle zuvor aufgenommenen Schadensfotos zur Tablet-Anwendung gesendet. In der HoloLens AR-Anwendung kann die KI über den Aktivierungsbutton in der Benutzeroberfläche ausgeführt werden. Das bei der Schadens-Fotoaufnahme aufgenommene Foto wird im Hintergrund an das Tablet gesendet und dort von der KI ausgewertet. Die berechneten Ergebnisse werden im Anschluss an die HoloLens zurückgeschickt und dem Bauwerksprüfer in holographischer Form dargestellt. Implementiert wurde die Rissbreitenberechnung, in der pro erkannter Rissinstanz die maximale Breite berechnet wird. Für einen Schaden wird die maximale Breite über alle Rissinstanzen angezeigt. Zusätzlich erhält der Bauwerksprüfer Informationen zu der von der KI erkannten Schadensart, die im Falle des implementierten Demonstrators Risse, Abplatzungen, Korrosion und Kiesnester umfasst. An dieser Stelle sei erwähnt, dass für dieses Forschungsvorhaben eine Live-Schadenserkennung auf der Holo- Lens angedacht war. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 255 Die digital unterstützte Brückenprüfung am Beispiel des Einsatzes künstlicher Intelligenz und erweiterter Realität in Bezug auf Ablauf des Bauwerksprüfprozesses musste hiervon leider abgewichen werden. Die Rechenleistung der HoloLens ist zurzeit beschränkt und noch nicht ausreichend. Eine Bildauswertung der KI dauert hier im Durchschnitt 60Sekunden, die Wirtschaftlichkeit der Durchführung einer Bauwerksprüfung wäre damit nicht mehr gegeben. Aus diesem Grund wurde von der Live- Schadenserkennung auf der HoloLens abgesehen und eine alternative, performantere Herangehensweise über ein externes Gerät mit der nötigen Rechenleistung implementiert. Die Zeit bis zur Anzeige des Berechnungsergebnisses konnte so auf <1 Sekunde verkürzt werden. Es ist zu erwarten, dass zukünftig leistungsstärkere Hardware auf den Markt kommen wird, mit welcher eine Live- Schadenserkennung auf einem ähnlichen Headmounted Display wie der HoloLens ausgeführt werden könnte. 4.3 Künstliche Intelligenz (KI) Für die automatische Schadenserkennung von Schäden wurden KI-basierte Segmentierungsverfahren eingesetzt. Die Ergebnisse des trainierten KI-Modells werden hierfür auf das AR-Gerät hochgeladen und lassen sich auf dem Bildschirm des AR-Geräts anzeigen. Abhängig vom segmentierten Schaden können weitere Analysen durch das System vorgenommen werden. Dazu gehören beispielsweise die Berechnung einer Risslänge, Rissbreite oder die Fläche eines größeren Schadensbereichs. Als neuronales Netzwerk zur Segmentierung der Schäden wurde das Feature Pyramid Network (FPN) gewählt. Dieses Netzwerk lieferte im Test mit mehreren Netzwerken auf kleineren Datenmengen die besten Erkennungswerte. Um die Leistung der FPN-Modelle zu bewerten, wurde eine fünffache Kreuzvalidierung durchgeführt. Um die Variabilität in den Daten zusätzlich zu erhöhen und die Modelle robust gegenüber möglichen qualitativ schlechteren HoloLens-Bildaufnahmen zu machen, wurde eine Reihe von Techniken in einer Pipeline zur Datenerweiterung angewandt. Dazu gehören das Hinzufügen von Bildunschärfe, Rotation (90 °, 180 °, 270 °), tonnenförmige Verzerrung und Änderung der Helligkeit. Diese Techniken wurden jeweils mit einer zufällig generierten Wahrscheinlichkeit p ∈ [0, 1] (p < 0,5 anwenden, p ≥ 0,5 nicht anwenden) angewandt. Sobald eine Datenerweiterungstechnik ausgewählt war, wurde der Grad der Veränderung (z. B. Helligkeitsgrad) durch einen weiteren zufällig generierten Wahrscheinlichkeitswert ausgewählt. Mit dieser Datenerweiterung wurden ungefähr 20.000 Bilder erzeugt, sodass insgesamt 26.754 Bilder als Trainingsdatensatz zur Verfügung standen. Für die Implementierung der Modelle wurde die KI-Bibliothek TensorFlow genutzt. 4.4 Datenhaltung Für die Speicherung der durch den Demonstrator erfassten Prüfungsdaten wurde eine geeignete Datenhaltung implementiert. Diese besteht im Wesentlichen aus einer Datenbank, in der die gesammelten Daten persistiert werden können und einer REST-Schnittstelle, mit dessen Hilfe die Daten auf einen Server übertragen werden können, damit sie später (z. B. an einem Desktop-PC) weiterverarbeitet werden können. Dieser Server persistiert die übertragenen Daten ebenfalls in einer Instanz der entwickelten Datenbank. 5. Vorgehen/ Validierung Die Evaluierung des Demonstrators erfolgte dreistufig. Die erste Phase erfolgte durch Tests der Anwendungen, inklusive Validierung der Ergebnisse der mitlaufenden KI, in den Laboren der RUB. Daran anschließend erfolgen Phase Zwei und Drei der Evaluierung im Rahmen von Begehungen vor Ort an einer Demonstrator Brücke. Die Demonstrator-Brücke wurde zur weiteren Verbesserung des Demonstrators zweimal begangen. Die erste Begehung diente vorrangig der Erprobung aller Funktionalitäten und simulierte Realbedingungen bei der Erfassung von Schäden vor Ort. Einzelne Bauteile wurden hierbei beispielhaft und handnah untersucht, wobei die Auswahl der Bauteile variantenreich gestaltet wurde, um eine umfangreiche Bandbreite an möglichen Bauteilen abzudecken. Gesammeltes Feedback im Rahmen dieser Begehung floss umgehend in die weitere Ausarbeitung des Demonstrators ein. Die zweite Begehung simulierte eine nachfolgende Begehung. Hierbei wurden die grundsätzlichen Funktionalitäten validiert. Die Begehungen wurden mit Experten der RUB und HOCHTIEF ViCon durchgeführt. Weitere Beteiligte waren Bereitwillige Bauwerksprüfer des Ingenieurbüros ZETCON, Beteiligte des Forschungsgebers BASt und des involvierten Betreuerkreises, sowie die Ansprechpartner für das Bauwerk von Seiten Straßen NRW. Das Bauwerk wurde, wie geplant, jeweils mit zwei Personen begangen. Eine davon trug vor Ort den Sicherheitshelm mit integrierter HoloLens und überprüfte die Schäden handnah. Die begleitende Person bediente das Tablet, welches mit der HoloLens gekoppelt war. Dieses Setup wurde mit verschiedenen Beteiligten durchgespielt. Mit Hilfe des Testszenarios sollten die erforderlichen Anforderungen, bezogen auf die zuvor erläuterten Kernaspekte (Mensch, Technik, Prozesse, Richtlinien) validiert werden. Ein zentraler Aspekt war hierbei, die Anwenderakzeptanz im Generellen sicherzustellen. Die Arbeitssicherheit für das Personal ist hierbei uneingeschränkt zu gewährleisten. Der Tragekomfort der zum Einsatz kommenden Geräte muss gegeben sein und darf die Bewegungsfreiheit nicht einschränken. In Bezug auf die Menü-Führung wurde die Nutzerfreundlichkeit überprüft. Es galt sicherzustellen, dass die Eingabe von Daten einfach und intuitiv erfolgt. Des Weiteren soll eine vollumfängliche Fotoaufnahme zu Dokumentationszwecken ermöglicht und hinsichtlich der Anwendbarkeit überprüft werden. Aus technischer Sicht hat die Testung der Akkulaufzeit bei Verwendung der Systeme einen hohen Stellenwert. Sowohl die HoloLens, als auch das Tablet sollten hierzu an ihre Belastungsgrenzen gebracht werden. Die maximale Einsatzzeit wurde dokumentiert und hinsichtlich 256 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digital unterstützte Brückenprüfung am Beispiel des Einsatzes künstlicher Intelligenz und erweiterter Realität einer ausreichenden Nutzungsdauer für eine durchschnittliche Brückenprüfung evaluiert. Da generell eine ausreichende Netzabdeckung an Brückenbauwerken im Rahmen dieses Forschungsvorhabens nicht gewährleistet werden konnte, wurde eine Offline Funktionalität der Anwendungen (sowohl auf der Holo- Lens, als auch auf dem Tablet) implementiert. Die Datenbereitstellung muss auch ohne Netzabdeckung so implementiert sein, das bereitgestellte Daten und Informationen vor Ort möglichst ohne Herausforderungen und Schwierigkeiten gut lesbar dargestellt werden konnten. Dies betrifft insbesondere die Lesbarkeit bei schwierigen Lichtverhältnissen (z. B. im Hohlkasten) oder in Abhängigkeit der vorherrschenden Wetterverhältnisse. Ebenso wurde die Bereitstellung relevanter Bestandsdokumente (Bauwerksbuch, Bauwerksakte, zugehörige 2D Zeichnungen, etc.) kontrolliert. Die Vollständigkeit dieser Dokumente ist entscheidend zur Durchführung einer Bauwerksprüfung. Auch hier galt es die Lesbarkeit solcher Art von Dokumenten auf den eingesetzten Geräten zu evaluieren. Zur Datenbereitstellung gehörte auch das Testen des Einblendens bestehender Schäden bei einer simulierten Zweitbegehung. Vor Beginn der Prüfung soll eine Übersicht zu bestehenden Schäden gegeben werden, um erforderliche Aufwände und Bauwerkszustände besser einschätzen zu können. Bei der Begehung selber sollen Schäden vorangegangener Prüfungen vor Ort eingeblendet werden und das Schadensbild überlagern, sodass eine Schadensentwicklung einzuschätzen ist. Die Bereitstellung der KI-Berechnung soll eine Klassifizierung des Schadenstyps ermöglichen. Auch sollen erforderliche Schadenskenngrößen, sowie übliche Bewertungsempfehlungen bereitgestellt werden. Die Entscheidung der Schadensbewertung muss in den Händen der Bauwerksprüfer verbleiben. 6. Anwenderfeedback In allen drei Phasen der Evaluierung wurde kontinuierlich Feedback der Anwender gesammelt und sofern möglich direkt in die weitere Ausdetaillierung des Demonstrators implementiert. Die Beteiligten der Bauwerksbegehungen vor Ort waren interessiert und testeten engagiert die Funktionalitäten und Möglichkeiten des Demonstrators. Insbesondere die Rückmeldungen der Bauwerksprüfer, die im täglichen Geschäft Prüfungen am Bauwerk auf konventionelle Art und Weise durchführen, war für die Projektbeteiligten von großer Bedeutung. Es gab viele konstruktive Kommentare und Diskussionen, sowie neue Fragestellungen und Ideen. Dies wurde während der Begehungstermine durch die Projektbeteiligten dokumentiert. Zusätzlich wurde nachgelagert ein Fragebogen zur Verfügung gestellt, über den die Tester weiteres Feedback geben konnten. Der Fragebogen hatte 14 themenbezogene Frageblöcke, die sich auf die Entwicklung des Demonstrators im Allgemeinen bezogen (z. B. Strukturierungstiefe der Anwendung, Akku-Laufzeit, Offline-Funktionalität, Menu-Führung im Allgemeinen) und auf die beiden technologischen Aspekte HoloLens und Tablet (Datenbereitstellung, Lesbarkeit, Arbeitssicherheit, etc.) bezogen. Im Folgenden eine Zusammenfassung des Anwenderfeedbacks: Die Menu-Führung wurde als intuitiv und selbsterklärend empfunden. Lediglich eine kurze Einweisung, insbesondere bei der Nutzung der HoloLens war notwendig, was auch die Unerfahrenheit der Anwender mit dieser Technologie zurückzuführen ist. Als hilfreich wurde hier die zusätzliche Implementierung einer Sprachsteuerung angesehen, die es bei einer Weiterentwicklung auf Tauglichkeit bei vielbefahrener Infrastruktur zu verifizieren gilt. In Bezug auf die Arbeitssicherheit gab es keine Bedenken. Der zum Einsatz kommende Helm mit integrierter HoloLens entspricht den nationalen Vorgaben zur Arbeitssicherheit und schränkt die Bewegungsfreiheit nicht ein. Jedoch ist hier zu erwähnen, dass dieser Helm deutlich schwerer als ein üblicher Helm ist und insofern die Arbeitssicherheit in gewisser Weise einschränkt. Die Akku Laufzeit hingegeben stellt eine Herausforderung dar. Während das Tablet bei Dauernutzung während der Pausenzeit bei Bedarf aufgeladen werden kann, so ist der Akku der HoloLens nicht für den Dauerbetrieb ausgelegt. Hier muss auf einen mitzuführenden Zweit-Akku zurückgegriffen werden oder auf eine Weiterentwicklung der Hardware gewartet werden. Die Strukturierungsstufen der verwendeten Daten wurde als ausreichend empfunden und folgt bekannten Vorgaben, wie der Gliederung gem. der ASB-ING [3] Schlüssel. Eine reibungslose Datenbereitstellung auch als Offline Funktionalität in Bereichen ohne Netzwerk (wie z. B. im Hohlkasten) konnte exemplarisch demonstriert werden. Ein Lageplan des Bauwerks dient als Orientierungshilfe zur Identifikation vorhandener Schäden der vorherigen Begehung. Relevante Dokumente des Bauwerks (Bauwerksbuch, Bauwerksakte, Prüf bericht und vorhandene 2D Pläne konnten erfolgreich bereitgestellt werden. Die Berechnungsergebnisse der KI zeigte eine beeindruckende Genauigkeit bei der Maskierung von Schadensbildern. Die Unterscheidung von Schadenstypen, sowie die Ermittlung von relevanten Kenngrößen konnte erfolgreich demonstriert werden. Abb. 3: Schadenserkennung KI: farbliche Überlagerung des Schadensbildes und Berechnung der Risslänge und -breite 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 257 Die digital unterstützte Brückenprüfung am Beispiel des Einsatzes künstlicher Intelligenz und erweiterter Realität Auch die Überlagerung des Schadensbildes funktionierte sehr gut. Nachfolgendes Bild zeigt anschaulich das Schadensbild vor Ort und die Einblendung der Schadensüberlagerung, so wie es der Prüfende auf der HoloLens sieht. Abb. 4: Überlagerung Schadensbild aus Sicht des Anwenders mit HoloLens 7. Ausblick & Zusammenfassung Die grundlegenden Funktionen des in diesem Forschungsvorhaben prototypisch entwickelten Demonstrators konnten durch die Live Begehungen zielorientiert verifiziert werden. Auch der Mehrwert neuer Technologien wie AR konnte grundsätzlich bestätigt werden. Das holografische Einblenden relevanter Informationen bietet eine gute Hilfestellung für die Anwendung vor Ort. Der aktuelle Entwicklungsstatus der KI liefert bereits jetzt eine sehr hohe Treffergenauigkeit für die bisher angelernten Schadensbilder. Die Genauigkeit der Ergebnisse ist allerdings noch nicht umfänglich genug, um für den praktischen Einsatz gut aufgestellt zu sein. Für die Überführung in den Regelbetrieb bedarf es umfassender Weiterentwicklung des Demonstrators. Die Aufgabenstellung dieses Forschungsvorhabens war die Entwicklung eines prototypischen Demonstrators für die Bauwerksprüfung von Brücken. Die Vorgehensweise dieser Entwicklung lässt sich gleichermaßen übertragen für die Verwendung der Bauwerksprüfung anderer Ingenieurbauwerke, wie z. B. Tunnel, Stützwände, etc. Zusammengefasst lassen sich mit der prototypischen Entwicklung dieses Demonstrators notwendige Anforderungen zur Digitalisierung der Dokumentation von allgemeinen Zustandsfeststellungen bei Ingenieurbauwerken ableiten. Die Weiterentwicklung des Demonstrators ist absolut empfehlenswert und dies in Bezug auf den gesamten Sektor von Infrastruktur-Bauwerken. 8. Danksagung Dieser Beitrag basiert auf Teilen des Forschungsprojekts, das im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr und seines Expertennetzwerks „Wissen - Können - Handeln“, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, im Rahmen des Forschungsprojekts FE-Nr. 69.0008/ 2020 durchgeführt wurde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. Wir bedanken uns bei den Mitgliedern des Betreuerkreises für ihre hilfreichen Hinweise und Rückmeldungen. Literatur [1] DIN 1076: 1999-11, „Ingenieurbauwerke im Zuge von Strassen und Wegen - Überwachung und Prüfung“, Beuth Verlag GmbH, 1999. doi: 10.31030/ 8499929. [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, „Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF)“, Feb. 2017. [3] Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwickelung - Abteilung Straßenbau, „Anweisung Straßeninformationsbank Segment Bauwerksdaten (ASB-ING) (Sammlung Brücke- und Ingenieurbau: Erhaltung)“, Okt. 2013. Bauwerksdiagnostik 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 261 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken Chris Voigt, M. Eng. Marx Krontal Partner, Weimar Christina Fritsch, M. Sc. Marx Krontal Partner, Weimar Tina Hackel Hamburg Port Authority AöR, Hamburg Zusammenfassung Im Bauingenieurwesen können wir auf vielfältige Weise zur Bewältigung aktueller Herausforderungen unserer Zeit beitragen. Durch eine umfassende Beurteilung und Bewertung des vorhandenen Bestandes an Ingenieurbauwerken kann beispielsweise eine längere Nutzung der Bauwerke und damit eine Einsparung von Ressourcen erreicht werden. Bauwerksdiagnostische Untersuchungen ermöglichen realitätsnahe Aussagen über die vorhandene Konstruktion, die tatsächlichen Materialeigenschaften und vorhandene Schäden bis in die Tiefe der Bauteile und bilden damit eine wesentliche Grundlage für eine Bestandsbewertung. Die Prozesse hinter der Bauwerksdiagnostik sind zumeist noch äußerst analog und enden oftmals in einem mehrere hundert Seiten starken Bericht in semidigitaler PDF-Form. Marx Krontal Partner befasst sich als Ingenieurbüro mit der Digitalisierung der Prozesse von bauwerksdiagnostischen Untersuchungen mit dem Ziel, dem Nutzer die Untersuchungsergebnisse intuitiver zur Verfügung zu stellen und die Auswertung und Bewertung mit Hilfe von Algorithmen zu vereinfachen. Im Beitrag werden die wesentlichen Erkenntnisse aus Projekten und Forschungstätigkeiten vorgestellt und die Chancen der konsequenten Digitalisierung und Harmonisierung der sonst sehr heterogenen Datenbestände auch im Kontext der Building-Information-Modeling-Methode (BIM-Methode) aufgezeigt. 1. Einführung Die Bauwerksdiagnostik, also die vertiefte Erkundung von Bestandsbauwerken mit zerstörungsfreien (Radar, Potenzialfeldmessung, etc.) und zerstörungsarmen (Bohrkernentnahmen, Sondierungsöffnungen, etc.) Untersuchungen, ist klassischerweise ein sehr analoger Prozess. Die Dokumentation wesentlicher Erkundungsergebnisse erfolgt zurückliegend in der Regel in Papierform. Dem Auftraggeber wird nach Abschluss einer Untersuchungskampagne ein Bericht übergeben, der bei komplexen Projekten oder Objekten auch mehrere hundert Seiten umfassen kann. Die Nutzbarkeit des Berichtes wird zwar durch Lagepläne und eindeutige Bezeichnungen der Untersuchungsstellen unterstützt, jedoch sind die Daten auf Papier gefangen, auch wenn es sich um ein „digitales“ PDF handelt. Der Nutzer muss einen hohen Aufwand betreiben, um die Erkundungsergebnisse für seine Planung nutzen zu können. Marx Krontal Partner (MKP GmbH) befasst sich in mehreren Projekten damit, wie diese Daten dem Nutzer intuitiver in digitalen Formaten zur Verfügung gestellt werden können und versucht die Vorteile einer konsequenten Digitalisierung in allen Prozessschritten zu nutzen. In diesem Beitrag werden ausgewählte Aspekte der konsequenten Digitalisierung bauwerksdiagnostischer Prozesse dargestellt und der Nutzen für die Bewertung von Bestandsbauwerken aufgezeigt. 2. Bauwerksdiagnostik als Grundlage von Planungsprozessen im Bestand Im Laufe des Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken erfolgen vielfältige Erhaltungs- und Planungsmaßnahmen im Sinne von Instandsetzungen oder Ertüchtigungen bis hin zum Rückbau und Ersatzneubau. Bauwerksdiagnostische Untersuchungen und deren Ergebnisse sind in diesem Zusammenhang ein essenzielles Hilfsmittel, da effektive und effiziente Erhaltungsmaßnahmen eine möglichst umfassende Bewertungsgrundlage erfordern. 2.1 Anwendungsfälle und Mehrwert bauwerksdiagnostischer Untersuchungen Das wesentliche Kernziel bauwerksdiagnostischer Untersuchungen ist die die Ermittlung von realitätsnahen Bestands- und Zustandsinformationen, die über den rein visuellen Eindruck hinausgehen. Mithilfe verschiedener zerstörungsfreier und zerstörungsarmer Untersuchungsverfahren wird ein Blick ins Bauteilinnere geworfen (bspw. im Falle von Radarmessungen zur Erkundung der tatsächlichen Lage von Spanngliedern und Bewehrung). Durch die Möglichkeit der Erfassung von Material- und Gefügeeigenschaften über den gesamten Bauteilquerschnitt, sind bestandsgerechte, qualitative und quantitative Bewertungen möglich. Darüber hinaus können verdeckte Schäden und Mängel erkundet werden, welche an der Oberfläche mitunter nicht bzw. noch nicht sichtbar 262 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken sind. Gegenüber der Abschätzung des Bestands und Zustands anhand der Bestandsunterlagen bietet dies einen deutlichen Mehrwert in Bezug auf die Sicherheit der vorzunehmenden Bewertungen [1]. Relevante Anwendungsfälle der Bauwerksdiagnostik sind: - der Abgleich der gebauten Realität mit vorhandenen Planungs- oder Ausführungsunterlagen, - die Erfassung von inneren und äußeren Konstruktionen sowie Materialeigenschaften bei fehlenden Bestandsunterlagen, - die Ermittlung von realitätsnahen Materialeigenschaften zur Präzisierung der Eingangsparameter rechnerischer Bewertungen, - die Beurteilung der Dauerhaftigkeit von Bauteilen und Baustoffen als Grundlage für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen oder auch - die Erkundung von Schadensursachen und Erfassung von Zuständen zur Prognostizierung von Schadensverläufen und Restnutzungsdauern. Abb. 1: Bauwerksdiagnostische Untersuchungen an einer Straßenbrücke über Wasser mit Brückenuntersichtgerät und unter Wasser mit Tauchereinsatz In Anbetracht der Klimakrise und Ressourcenknappheit kommt der Bestands- und Zustandsbewertung als Grundlage für die Bewertung einer möglichen Lebensdauerverlängerung von Ingenieurbauwerken eine besondere Bedeutung zu. Die Weiternutzung bereits bestehender Bauwerke bietet ein enormes Einsparpotenzial in Bezug auf Kosten (Baukosten von Instandsetzungen/ Ertüchtigungen statt Ersatzneubau, Kosten aus Verkehrseinschränkungen während der Bauzeit) und Ressourcen (materiell, personell) sowie die bei der Herstellung von Baustoffen anfallenden Emissionen (insb. bei der Zementherstellung). Die volkswirtschaftliche und ökologische Bedeutung ist entsprechend groß. Anhand von realitätsnahen Bestands- und Zustandsinformationen aus der Bauwerksdiagnostik können sowohl rechnerische Untersuchungen als auch erforderliche Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen optimiert werden [2]. Idealerweise können Eingriffe in den Bestand dabei sogar reduziert werden, da Bestandspotenziale genutzt (bspw. erhöhte Betondruckfestigkeiten aufgrund der Nacherhärtung des Betons) und vorhandene Schäden lokalisiert werden können (bspw. Gefügeschäden im Beton), was ohne bauwerksdiagnostische Untersuchungen nicht möglich wäre. 2.2 Methodik der Bauwerksdiagnostik Um das gesamte Potential der Bauwerksdiagnostik ausschöpfen zu können, bedarf es einer Methodik, die darauf ausgerichtet ist, dem Kunden (Fachplaner, Tragwerksplaner, Anlagenverantwortlicher, etc.) genau die Zuarbeit zu liefern, die er für seine eigenen Planungen benötigt. Die Bauwerksdiagnostik fügt sich immer in Planungs- und Entscheidungsprozesse ein. Diese Vernetztheit erfordert einen intensiven Austausch zwischen den Akteuren. Dieser beginnt bestenfalls mit der Erstellung einer Aufgabenstellung für die Bauwerksdiagnostik. Der Fachplaner hält hierin seinen Informationsbedarf fest. Die Planungsziele sind zu erläutern, damit der Bauwerksdiagnostiker stets planungsorientiert denken und handeln kann. Weiterhin ist der Informationsbedarf zu erläutern, der übergeordnet für das Bauwerk oder für einzelne Bauwerksbzw. Bauteile besteht. Übersichtspläne zum Bauwerk sind ebenfalls so hilfreich, wie Planeinzeichnungen, die die Aufgabenstellung noch qualifizieren. Es ist meist erforderlich, dass die Bauwerksdiagnostik als stufenweiser Prozess ausgeführt wird. Dieser beginnt mit der Sichtung der Bestandsunterlagen, einer oftmals hilfreichen Vor-Ort-Begehung des Bauwerks und der Erstellung einer Untersuchungsplanung. In einer ersten Stufe kann es erforderlich sein, das Bauwerk zunächst stichprobenhaft zu untersuchen, um einen ersten orientierenden Eindruck von der Konstruktion und deren Zustand zu erhalten. Dies ist insbesondere dann zielführend, wenn zum Bauwerk keine Bestandsunterlagen vorliegen oder der Erfolg der Untersuchungsmethoden aufgrund unbestimmbarer Randbedingungen nicht genau abschätzbar ist. Entsprechend der Ergebnisse aus der ersten Untersuchungsstufe kann sich ein neuer oder geänderter Untersuchungsbedarf ergeben, der in weiteren Untersuchungsstufen gedeckt werden kann. Wesentliche Grundlage der Untersuchungen ist die Untersuchungsplanung. Darin werden die Ergebnisse aus der Sichtung der Bestandsunterlagen festgehalten. Die Sichtung erfolgt zielgerichtet entsprechend der Aufgabenstellung des Fachplaners. Oftmals wird der Einfachheit halber auf eine intensive Aktenrecherche verzichtet. Dieser Verzicht erweist sich zumeist als sehr unwirtschaftlich, da Informationen, die aus den Bestandsunterlagen hervorgegangen wären, mit viel Aufwand am Bauwerk neu gewonnen werden. Die Untersuchungsplanung wird durch die Feststellungen ergänzt, die während der Vor- Ort-Begehung durch den Aufsteller der Untersuchungsplanung gewonnen wurden. Aus dem Informationsbedarf entsprechend der Aufgabenstellung und den gewonnenen Informationen aus den Bestandsunterlagen und der Begehung leitet sich ein Defizit ab, für das konkrete Untersuchungsziele definiert werden. Ein Untersuchungsziel beschreibt beispielsweise, dass für ein Hauptbauteil die 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 263 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken geometrischen Abmessungen, die Lage der Bewehrung und die Betonfestigkeit für eine Nachrechnung zu bestimmen sind. Im Idealfall übergibt der Fachplaner bereits solch konkrete Untersuchungsziele. Andernfalls werden sie mit dem Fachplaner abgestimmt oder gemeinsam entwickelt. Ein Untersuchungsziel kann unter Umständen mit dem Einsatz unterschiedlicher Untersuchungsverfahren erreicht werden. So kann die Betondruckfestigkeit zerstörungsfrei mit einem Rückprallhammer oder zerstörungsarm durch Probenentnahme ermittelt werden. Die Wahl des konkreten Untersuchungsverfahrens wird unter Abwägung der Randbedingungen (erforderliche Aussagegenauigkeit, Zugänglichkeit am Bauteil, Aufwand-Nutzen-Verhältnis, etc.) in der Untersuchungsplanung dokumentiert [3]. Insbesondere die Kombination aus zerstörungsfreien (Zf P-Bau) und zerstörungsarmen Untersuchungen kann zu wirtschaftlichen Untersuchungen führen, da mittels Zf P ein Überblick über größere Bereiche gewonnen werden kann und darauf auf bauend gezielt in bestimmten Bereichen minimalinvasive Untersuchungen durchgeführt werden können. In der Untersuchungsplanung werden zusammenfassend Art, Lage und Anzahl der Untersuchungen festgelegt, sodass diese Informationen auch die Grundlage für eine Ausschreibung der Vor-Ort-Untersuchungen bilden. Darüber hinaus gibt das Dokument Hinweise zu Randbedingungen der Untersuchungen, wie beispielsweise der Zugänglichkeit zum Bauwerk, das Vorhandensein von Strom und Wasser oder erforderliche arbeitsschutzrechtliche Aspekte. Der Aufsteller der Untersuchungsplanung benötigt ein breites Wissens- und Erfahrungsspektrum. Kenntnisse über historische Konstruktionen, Bauweisen und Materialien sind ebenso erforderlich wie das Wissen über material- und lastbedingte Schädigungsmechanismen. Weiterhin sind umfangreiche Kenntnisse über mögliche Untersuchungsverfahren, deren Wirkungsweise, Aussagegenauigkeit und den Grenzen insbesondere der zerstörungsfreien Verfahren erforderlich. Die Vor-Ort-Untersuchungen sind nicht ausschließlich als gewerbliche Leistungen zu verstehen. Eine ingenieurtechnische Begleitung der Untersuchungen ist erforderlich, um die konkrete Lage der Untersuchungsbereiche objektorientiert festzulegen und damit auch auf auftretende Besonderheiten reagieren zu können, die eine Anpassung der ursprünglichen Untersuchungsplanung erfordern. Die während der Untersuchungen anfallenden Daten und Informationen sind äußerst heterogen. Je nach Untersuchungsmethode fallen alphanumerische Daten wie beispielsweise textliche Beschreibungen (äußeres Mauerwerksgefüge, Oberflächenbeschreibung, etc.) oder Dokumentationen von Messwerten (Carbonatisierungstiefe, Tiefenlage der Bewehrung, etc.) an, die üblicherweise in Protokollform erfasst werden. Weiterhin werden Fotos und Videos erfasst, die unter anderem aus der Befahrung von Bohrkanälen mit Endoskopen resultieren oder geschaffene Sondierungsöffnungen dokumentieren. Am heterogensten stellen sich die Messdaten der Zf P-Verfahren dar. Diese meist proprietären Datenformate werden zunächst auf den Messgeräten oder in der Cloud des jeweiligen Anbieters gespeichert. Eine Zentralisierung und gemeinsame Auswertung ist im Postprocessing möglich. Alle Untersuchungsergebnisse sind strukturiert zu dokumentieren, um eine Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen. Abb. 2: Kombination von zerstörungsfreien Ultraschalluntersuchungen und Bohrkernentnahmen im Rahmen von Untersuchungen einer im Rückbau befindlichen Brücke Die Dokumentation der Ergebnisse erfolgt zumeist untersuchungsbereichsbezogen. Hierfür können Datenblätter mit einer reinen Ergebnisdarstellung dienen. Jeder Untersuchungsbereich ist dabei in einem dreidimensionalen Modell oder in zweidimensionalen Plänen zu verorten. Eine Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse in tabellarischer Form gibt dem auswertenden Ingenieur einen schnellen Überblick über alle gewonnenen Daten. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt zumeist auf statistischer Grundlage (bspw. 5 %-Quantil der Betondeckung) oder im Vergleich mit Achtungs- und Grenzwerten. Dies wird insbesondere im Bestandsbau nur zum Teil durch Normen erfasst. Mit den Untersuchungsergebnissen und der daraus abgeleiteten Bewertung sind auch eine Zusammenfassung der Aufgabenstellung zu übergeben und die eingesetzten Untersuchungsverfahren zu nennen. Dies ermöglicht es auch bei zukünftigen Fragestellungen zum Bestandsobjekt auf die Untersuchungskampagne zurückzugreifen und die Ergebnisse in den jeweiligen Kontext der damals gültigen Aufgabenstellung zu stellen. 3. Mehrwert der Digitalisierung Entsprechend Abschnitt 2.1 bieten bauwerksdiagnostische Untersuchungen große Potenziale für die Bestands- und Zustandsbewertung. Die Digitalisierung und ihre Hilfsmittel ermöglichen darauf auf bauend eine weitere Verlängerung der Wertschöpfungskette [4]. Der Mehrwert liegt dabei im Wesentlichen in der Verbesserung der Zugänglichkeit von Daten und Informationen der Bauwerksdiagnostik und darauf auf bauend in der Vielfalt der Datenauf bereitung- und Datenbereitstellungsmöglichkeiten [5]. Durch die Verbesserung der Verarbeitbarkeit kann der Arbeitsaufwand für ausgewählte Aufgaben 264 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken (bspw. Erstellung grafischer Auf bereitungen) deutlich reduziert werden. Die Digitalisierung trägt damit auch zur Verbesserung von Arbeitsabläufen bei. Idealerweise können bisher manuelle und teils repetitive Arbeitsschritte (teil-) automatisiert werden, wodurch den Ingenieurinnen und Ingenieuren mehr Zeit für die fachlich anspruchsvolle Bewertung der Ingenieurbauwerke zur Verfügung steht. Der Mehrwert der Digitalisierung bzw. der Anwendung digitaler Hilfsmittel wurde in pilothaften Praxisprojekten bestätigt, ein Einblick in ausgewählte Themenfelder wird in den nachfolgenden Abschnitten gegeben. 3.1 Zentrale digitale Datenhaltung Ein initialer Schritt ist die Bereitstellung von bauwerksdiagnostischen Daten und Informationen durch deren Digitalisierung, Strukturierung und Zentralisierung. Gegenwärtig liegen die Ergebnisse einer Bauwerksdiagnostik in der Regel in sehr heterogener, teils papiergebundener, Form bei den Auftraggebern und Anlagenverantwortlichen vor. Verschiedenartige Gutachten sind häufig inhaltlich nicht miteinander verknüpft, da kein Überblick darüber besteht, welche Informationen aus der Vergangenheit bereits vorliegen. Mithilfe der Überführung aller bauwerksdiagnostischen Daten in eine digitale, maschinenlesbare und gleichzeitig strukturierte Form wird der Zugriff auf die vorhandenen Daten und deren Umgang bereits deutlich erleichtert. Basierend auf einer Analyse verschiedener Datenbestände wurde die Datenstrukturierung und die Entwicklung eines prototypischen Datenmodells erreicht. Dieses beinhaltet die Definition von Bezeichnungen, Eigenschaften (innerhalb der BIM-Methodik Merkmal oder in der Informatik auch Attribut genannt), Datentypen und Hierarchien für ausgewählte bauwerksdiagnostische Untersuchungen an Ingenieurbauwerken aus Stahlbeton und Spannbeton. Berücksichtigt wurden sowohl Rohdaten (Messdaten sowie deren beschreibende Metadaten) als auch ein Teil der anfallenden bewerteten Daten (Messdaten nach Datenkonvertierung und -auf bereitung). Bestandteil der Bereitstellung war dabei außerdem die Verbesserung der Zugänglichkeit von Messdaten aus zerstörungsfreien Prüfverfahren. Diese werden durch die Messgeräte in teils proprietären Dateiformaten ausgegeben, können aber mithilfe von Hilfsalgorithmen in einheitliche und flexibel verarbeitbare Formate überführt werden. Auf Basis des Datenmodells wurde eine unternehmenseigene relationale Datenbank implementiert, die eine zentrale Ablage der bauwerksdiagnostischen Daten ermöglicht. Die Datenablage ist dabei sowohl über einen Upload aus einer entsprechend dem Datenmodell strukturierten Datei als auch direkt über die Dateneingabe auf einer webbasierten Benutzeroberfläche (Anbindung über Rest-API) möglich. Die Datenbank dient als zentraler, projektübergreifender Speicherort für die bauwerksdiagnostischen Daten (single source of truth). Schnittstellen von dort aus sind für weiterführende Anwendungen (bspw. Plattform zur Datenvisualisierung) oder auch für den fachlichen Austausch zwischen beteiligte Projektpartner implementierbar. Die digitalisierte, strukturierte und zentralisierte Datenhaltung stellt einen deutlichen Fortschritt gegenüber der früheren dezentralen, teils papiergebundenen Vorgehensweise dar. Sie bildet die wesentliche Voraussetzung für eine Vielzahl von Datenauf bereitungs- und Datenauswertungsprozessen [6]. 3.2 Mensch-Maschine-Interaktion zur Datenbereitstellung Ein weiterer Aspekt ist die nutzergerechte Bereitstellung und damit Nutzbarmachung der bauwerksdiagnostischen Daten. Auf bauend auf die zuvor beschriebenen Digitalisierungsschritte ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der Datenbereitstellung, von der grafischen und tabellarischen Auf bereitung als Anlage eines Gutachtens bis hin zur Datenintegration in digitale Bauwerksmodelle. Im Rahmen des Pilotprojektes smartBRIDGE Hamburg wurden vier Varianten für die Bereitstellung von bauwerksdiagnostischen Daten für unterschiedliche Nutzergruppen bzw. für unterschiedliche Anwendungsfälle entwickelt. Ausgehend von einer Digitalen-Zwilling-Plattform erfolgt die bedarfsgerechte Visualisierung und Bereitstellung der fachlichen Informationen über einen mehrstufigen Drilldown: Vom Bauwerk aus gelangt man zu den Bauteilgruppen, von dort zu den Untersuchungszielen und in letzter Ebene zu den Untersuchungsstellen. Diese sind lokal abgegrenzte Bereiche, in denen eine oder mehrere Untersuchungsmethoden angewendet wurden. Auf der Plattform sind für jede Untersuchungsstelle die Basisinformationen zu Art, Lage und Zeitpunkt der durchgeführten Untersuchungen dokumentiert. Darüber hinaus wird eine Kurzbewertung hinsichtlich der Dringlichkeit und des Handlungsbedarfs gegeben. Die detaillierten Untersuchungsergebnisse werden über einen Absprungpunkt in einer Expertenumgebung erreicht. Diese wurde im Projekt smartBRIDGE Hamburg in Form einer fotorealistischen 360°-Umgebung eines ausgewählten Bauwerksbereiches realisiert. Dort sind neben allen Untersuchungsstellen auch die Schäden der Bauwerksprüfung und Messstellen des Bauwerksmonitorings verortet. Die räumliche Kontextualisierung der drei zustandsrelevanten Datenquellen ermöglicht eine inhaltliche Verknüpfung im Hinblick auf eine integrale Zustandsbewertung. Anders als in der Digitalen-Zwilling-Plattform werden sowohl die Durchführung der Untersuchungen als auch die Untersuchungsergebnisse detailliert beschrieben und mit Grafiken hinterlegt. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 265 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken Abb. 3: Darstellung diagnostischer Ergebnisse in einer fotorealistischen Umgebung des Bestands Für den intuitiven Datenzugriff vor Ort wurde darüber hinaus eine prototypische AR-Anwendung entwickelt. Auch diese enthält, neben den Untersuchungsstellen, Schäden und Messstellen und ermöglicht somit eine inhaltliche Verknüpfung von verschiedenartigen zustandsrelevanten Informationen. Mithilfe der AR-Anwendung können bspw. Bauwerksprüfer, Anlagenverantwortliche oder Fachplaner vor Ort Einsicht in vorhandene Untersuchungsergebnisse nehmen und benötigen dafür keine Papierunterlagen, sondern können bei der Begehung des Bauwerks mit den in der AR-Anwendung hinterlegten Daten interagieren [7]. 3.3 Teilautomatisierte Auswertung großer Datenmengen Die digitale und strukturierte Ablage aller Daten aus Bauwerksuntersuchungen bietet nicht nur neue Möglichkeiten bei der Visualisierung der Informationen, sondern auch bei der Auswertung und Bewertung der Rohdaten [8]. Im Rahmen komplexer diagnostischer Untersuchungen ist es meist erforderlich, bestimmte Untersuchungsverfahren für sich selbst aber auch in Kombination der Erkenntnisse anderer Verfahren auszuwerten. Beispielsweise wird durch die Kombination aus zerstörungsfreien und zerstörungsarmen Untersuchungsverfahren meist der größte Mehrwert aus fachlicher, aber auch wirtschaftlicher Sicht erzielt. Bauwerksdiagnostische Untersuchungen können sich in Art und Umfang weit unterscheiden. Für die Beurteilung der Dauerhaftigkeit einer einzelnen Stahlbetonstütze können bereits wenige Untersuchungen zum Ziel führen, für die Bestandserkundung einer mehrere hundert Meter langen Talbrücke sind die Untersuchungen und die dabei gewonnenen Daten schon deutlich umfangreicher. Was im einfachsten Fall noch mit einem Tabellenkalkulationsprogramm handhabbar ist, kann bei großen Projekten schnell in den Bereich Big Data übergehen. Big Data zeichnet sich dadurch aus, dass die Daten in großer Vielfalt, großer Menge und großer Geschwindigkeit anfallen und mit herkömmlichen Mitteln nicht auswertbar sind. Wenngleich die Geschwindigkeit der Datenerzeugung nicht als schnell zu bezeichnen ist (Monitoringdaten sind weitaus schneller), so stellen die anderen Faktoren durchaus eine Herausforderung bei der Aus- und Bewertung dar. Neben einer individuellen projektbezogenen Aus- und Bewertung durch einen sachkundigen Ingenieur sind Auswerteprozesse vorhanden, die sich für eine Automatisierung oder Teilautomatisierung eignen. Diese sind beispielsweise: - statistische Auswertung von Messwerten - grafische Darstellung von statistischen Verteilungen und Parameter - Durchführung von Grenzwertvergleichen - normative Bewertung nach vorgegebenen Verrechnungsvorschriften Darauf auf bauend ist perspektivisch die Anwendung von KI-Algorithmen auf Datenmengen denkbar, bei denen neben dem fachlichen Bezug auch der räumliche Bezug über Metadaten oder das Geometriemodell gegeben ist. Im Rahmen des Forschungsvorhabens Digitale Bauwerksdiagnose, das durch die MKP GmbH gemeinsam mit der Fachhochschule Erfurt und der Bau-Consult Hermsdorf Gesellschaft beratender Ingenieure mbH bearbeitet wurde, ist ein Auswertetool entwickelt worden, welches Lösungen für die vorgenannten Auswerteprozesse für einige Untersuchungsverfahren liefert. Für die Umsetzung der Auswertemethoden in maschinenlesbaren Code eignen sich objektorientierte Programmiersprachen wie beispielsweise Python, welche auch im hier beschriebenen Projekt eingesetzt wurde. Diese erlauben den Zugriff auf Bibliotheken, die bereits in sich geschlossene Funktionen enthalten. Über die Python- Bibliothek Pandas kann beispielsweise auf Funktionen zugegriffen werden, welche eine Verarbeitung, Analyse oder Darstellung von Datenmengen ermöglichen, die strukturiert gespeichert sind. Ein dateibasierter Zugriff auf beispielsweise CSV-Formate ist damit ebenso möglich, wie der Weiterverarbeitung von Daten in Form von Dataframes, Listen oder ähnlichem. Für die Entwicklung einer Softwarearchitektur wurde der Microservice-Ansatz [9] verwendet. So können in sich geschlossene Module programmiert werden, auf die innerhalb der Softwarearchitektur mehrfach zugegriffen werden kann. Entsprechend kann beispielsweise ein Ausreißertest hinterlegt werden, der in verschiedenen Berechnungsabläufen zum Einsatz kommt. Die Pflege der Fachlogik innerhalb des Quellcodes wird vereinfacht, da der Code nur an einer Stelle gepflegt wird und sich Änderungen an allen Stellen auswirken. Durch die MKP GmbH wurden im Rahmen eines Praxisprojektes an einer ca. 3-km langen Spannbetonbrücke Untersuchungen zur Homogenität und Festigkeitsverteilung des Bestandsbetons durchgeführt. Hierfür waren im Messraster angeordnete Ultraschallgeschwindigkeitsmessungen und Rückprallhammermessungen in Verbindung mit Bohrkernentnahmen erforderlich. In Summe wurden: 266 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken - 200 Untersuchungsbereiche Ultraschall mit ca. 5.500 Einzelmesswerten, - 108 Untersuchungsbereiche Rückprallhammer mit 27.000 Einzelmesswerten und - 90 Bohrkernentnahmen mit zugehörigen Druckfestigkeitsprüfungen erforderlich. Eine Herausforderung stellte die Messung der Ultraschallgeschwindigkeit dar. Unter der Annahme, dass eine Korrelation zwischen der Ultraschallgeschwindigkeit des Betons und seiner Druckfestigkeit besteht, lassen sich mit diesem Verfahren Bereiche abweichender Festigkeiten erkunden [10]. Jedoch ist das Messgerät nur in der Lage, die Laufzeit des Messsignals durch den Beton bis zur Reflexion an der Rückwand und zurück zu messen. Da die Bauteile von Hohlkastenbrücken meist in vertikaler und oft auch in horizontaler Richtung aufvouten, ist die Bauteildicke variabel. Für die Vergleichbarkeit der Messungen muss die Laufzeit mit der bekannten Dicke in eine Geschwindigkeit umgerechnet werden. Die üblichen Messgeräte für diese Messaufgabe erlauben nur eine Änderung pro Messpunkt der Bauteildicke. Da jedoch bei diesem Projekt Messfelder (6x6 Messpunkte mit je 40 cm Messpunktabstand) über die gesamte Höhe des Hohlkastensteges angeordnet waren, wäre das Umstellen der geräteinternen Bauteildicke nicht nur aufwendig, sondern auch äußerst fehleranfällig, zumal sich der Regelquerschnitt über das Bauwerk mehrfach ändert. Für diesen Zweck wurden alle 5.500 Messwerte mit einer konstanten Bauteilstärke gemessen. Die Bauteilstärken der Regelquerschnitte wurden aus Bestandsdokumenten für einen Referenzpunkt des Messfeldes gemeinsam mit dem Anstieg der Dickenänderung übernommen und als Metainformation zur Messung in einer Datenbank gespeichert. Zur Auswertung wurde ein Microservice programmiert, der die Verrechnung der gemessenen Laufzeiten in Abhängigkeit ihrer konkreten Lage am Bauwerk mit der zugehörigen Bauteilstärke vornahm, sodass die Ultraschallgeschwindigkeiten quasi auf Knopfdruck zur Verfügung standen. Auf diese Datenmenge konnten nun weitere Microservices angewendet werden, um die Messdaten statistisch auszuwerten. Von Vorteil war dabei, dass anhand der Metadaten auch Differenzierungen in der Auswertung möglich waren und so verschiedene Grundgesamtheiten betrachtet werden konnten. Als Metadaten waren zu jedem Messpunkt die Zugehörigkeit zu einem Teilbauwerk und zu den jeweiligen Achsabschnitten hinterlegt. Damit war es möglich, die statistische Auswertung auch anhand möglicher bauzeitlicher Zusammenhänge (gemeinsame Bauabschnitte) durchzuführen. Abb. 4: Mit Hilfe von Microservices auf Grundlage der zentralisierten Datenhaltung erstellter Box-Plot zur vergleichenden Gegenüberstellung verschiedener Ultraschallgeschwindigkeitsmessungen aus unterschiedlichen Grundgesamtheiten Gerade für die Bildung und Zusammenfassung von Grundgesamtheiten bieten die zum Teil auf das jeweilige Projekt spezifizierten Metadaten eine größtmögliche Flexibilität hinsichtlich der Such- und Filterkriterien. 3.4 Herausforderungen der Digitalisierung Die bisherigen Pilotprojekte und Forschungsvorhaben basieren auf eigenen, individuellen Lösungsansätzen, die oft reflektiert und verbessert wurden. Die gefundenen Lösungen sind zum Teil nur unternehmensintern nutzbar. Insbesondere das Fehlen einheitlicher Standards im Bereich des Datenmanagements erschwert hier die kollaborative Zusammenarbeit. Auf wissenschaftlicher Ebene sind Bemühungen vorhanden, um beispielsweise universelle Datenformate aus der Medizintechnik (bspw. DI- CONDE) für Anwendungen im Bereich der Bauwerksdiagnostik zu entlehnen. Messgerätehersteller folgen diesen Bemühungen derzeit nur bedingt. Auch für den Großteil der zerstörungsarmen Untersuchungsverfahren sind keine einheitlichen Datenschemata vorhanden. Die Erarbeitung einheitlicher Standards wird dadurch erschwert, dass viele Prozesse der Bauwerksdiagnostik nur unzureichend im Normen- und Regelwerk abgebildet sind. Während beispielsweise für die Bewertung der Druckfestigkeit von Bestandsbeton ein umfangreiches Regelwert vorhanden ist, fehlt dieses bei der Bewertung von Bestandsmauerwerk nahezu gänzlich. Für eine durchgängige digitale Arbeitsweise sind Standards jedoch von zentraler Bedeutung, da sie ein einheitliches und maschinenlesbares Vokabular liefern. Ebenso können aus diesen Standards Arbeitsweisen abgeleitet werden, die im Rahmen digitaler Prozesse neu gedacht werden können. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 267 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken 4. openSIM - Ein ganzheitlicher Ansatz zur Durchführung der Bauwerksdiagnostik mit Hilfe der BIM-Methodik 4.1 Projektbeschreibung Im Forschungsprojekt openSIM „Integration und Bereitstellung von Structural-Information-Daten zur Bestandsbewertung von Infrastrukturwerken im BIM-Prozess“ werden die im vorherigen Kapitel genannten Defizite aufgegriffen und ein ganzheitlicher und praxisorientierter Ansatz unter zur Hilfenahme der BIM-Methodik entwickelt. Dazu wird die gesamte Prozesskette der Bestandsbewertung abgebildet, die bereits in Kapitel 2.2 erläutert wurde. Das Projekt wird im Rahmen der Innovationsinitiative mFUND durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit insgesamt 2.121.170,54 € gefördert. Sechs Projektpartner aus Wissenschaft und Praxis haben sich mit ihrer jeweiligen Expertise im Konsortium zusammengeschlossen: - MKP GmbH (Konsortialführer) | Bauwerksdiagnostik und Bestandsplanung - Bau-Consult Hermsdorf Gesellschaft beratender Ingenieure mbH | BIM und Bestandsplanung - Bauhaus-Universität Weimar, Professur Intelligentes Technisches Design | BIM und digitale Prozesse - customQuake GmbH | Softwareentwicklung - Hamburg Port Authority, AöR | Anlagenverantwortliche und BIM - Materialforschungs- und -prüfanstalt an der Bauhaus- Universität Weimar | Bauwerksdiagnostik Während der dreijährigen Projektlaufzeit werden sieben Arbeitspakete bearbeitet. Zunächst werden Anforderungen aus den verschiedenen Fachdisziplinen zusammengetragen und ein komplexer Anforderungskatalog erstellt, in den alle Projektpartner ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen und so die Abhängigkeiten zwischen den Fachgebieten klar definiert werden. In einer Konzeptionsphase werden konkrete Lösungsansätze erarbeitet. In einer Erprobungs- und Evaluationsphase werden die Lösungen anhand von Beispielen an konkreten Bauwerken angewendet, um die praktische Anwendbarkeit zu testen und die Lösungen weiter zu optimieren. Dies betrifft die gesamte Prozesskette von der Aufgabenstellung über die Untersuchungsplanung bis hin zur Bereitstellung der Daten in unterschiedlichen digitalen Formaten (Common Data Environment, cloudbasierte Webanwendung, Datenschnittstelle). 4.2 Projektziele Das übergeordnete Projektziel ist die Optimierung der Bereitstellung von realitätsnahen Bestands- und Zustandsdaten für die Bewertung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit bestehender Infrastrukturbauwerke Im Projekt sollen dafür die Möglichkeiten der Digitalisierung aktiviert (unter Verwendung der BIM-Methode) und die Weichen für eine standardisierte Nutzung von bauwerksdiagnostischen Ergebnissen erforscht werden. Dabei soll die gesamte Prozesskette von der Aufgabenstellung bis zur Übergabe der bewerteten Untersuchungsergebnisse an den Auftraggeber bzw. Nutzer untersucht werden. Auf bauend auf den Anforderungskatalog werden Konzepte erstellt, um Lösungen für folgende Detailthemen entwickeln zu können: Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) Innerhalb der AIA werden die Anforderungen des Auftraggebers an die Lieferung von Informationen festgelegt. Abb. 5: Schematischer Ablauf der Prozesskette, die innerhalb des Projekts betrachtet wird. 268 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken Welche Informationen in welchem Umfang, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Qualität benötigt werden ist abhängig vom Projektziel [11], [12]. Ein Bestandteil der AIA ist eine Beschreibung der BIM-Anwendungsfälle, welche im Projekt umgesetzt werden sollen [13], [14]. Neben den Anwendungsfällen wird u. a. auch auf Rollenbeschreibungen, auf Modellierungsvorgaben und den erforderlichen Informationsbedarf (LOIN) eingegangen. Mögliche Informationsanforderungen, welche sich aus der Beurteilung und Bewertung des Bestandes, den eingesetzten bauwerksdiagnostischen Untersuchungsverfahren und hinsichtlich einer möglichen Weiternutzung der Informationen ergeben, sollen zusammengetragen und als Musterbausteine für eine AIA auf bereitet werden. Dies können z. B. Lieferanforderungen an bauwerksdiagnostischen Daten sein (u. a. Detailtiefe, Auf bereitung, Dateiformate). Unterschiedliche Anforderungen, die sich aus der jeweiligen Aufgabenstellung der Bestandsbewertung ergeben, sollen hierbei berücksichtig werden. Alle in den AIA üblicherweise aufgeführten Anforderungen werden hinsichtlich des Bedarfs und aus Sicht der Bauwerksdiagnostik analysiert und beschrieben. Es werden u. a. Empfehlungen für die Zusammenarbeit, die Modellierung (Struktur, Gliederung, Software) und die Durchführung von Testphasen aufgabenbezogen entwickelt BIM-Abwicklungsplan (BAP) Im BAP beschreibt der Auftragnehmer wie er die Anforderungen aus den AIA unter Anwendung der BIM-Methode umsetzen wird [15]. Es wird erläutert, wie die Ziele unter Nutzung der BIM-Methodik erreicht werden und wie die digitale Umsetzung der Aufgabenstellung aussieht (z. B. eingesetzte Software, eingesetzte Personal, Ablauf beschreibung, Modellaufteilung). Abb. 6: Darstellung BIM-relevanter Dokumente und deren Strukturierung auch im Kontext von allgemeinen Projektdokumenten [16]. Hinsichtlich der Umsetzung für die bauwerksdiagnostischen Daten wird auf der Grundlage der entwickelten AIA-Bausteine im BAP aufgabenbezogen beschrieben, wie eine Modellerstellung aussehen könnte. Erläutert wird beispielhaft welche Modelle erstellt werden sollten und mit welchen Umsetzungsschritten, die innerhalb der AIA geforderten Ziele erreicht werden können. Struktur und Semantik der bauwerksdiagnostischen Daten Es sollen die Verfahren hinsichtlich der erforderlichen Vor- und Nachbereitungen, der Datenarten (eindimensional, zweidimensional, dreidimensional), der Datenformate (analoge Protokolle, herstellerspezifische Formate) so strukturiert werden, dass ein einheitliches Vorgehen und eine Standardisierung für verschiedene Gruppen von Untersuchungsmethoden und -verfahren festgelegt werden kann. Hierbei sind Aspekte der Messgenauigkeit, der Datenqualität und der Rückführbarkeit zu betrachten. Es wird angestrebt einen Musterobjektkatalog für bauwerksdiagnostische Daten zu erstellen, welcher übliche Merkmale und Merkmalsgruppen enthält. Aus dem Objektkatalog soll ein für alle relevanten Untersuchungsverfahren und Diagnostikdaten gültiges Datenbankschema abgeleitet werden. Dies ermöglicht eine einheitliche Kommunikation innerhalb der gesamten Prozesskette der Bauzustandsdatenerfassung (Aufgabenstellung, Untersuchungsplanung, Datenerfassung vor Ort und im Labor, Auswertung, Bewertung, Datenbereitstellung), wie auch innerhalb des Gebäudelebenszyklus. Bereitstellung der diagnostischen Ergebnisse Bisher werden bauwerksdiagnostische Daten meist in analoger Berichtsform zur Verfügung gestellt. Auf bauend auf dem Anforderungskatalog wird untersucht, wel- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 269 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken che bereits existierende Hilfsmittel der BIM-Methodik (bspw. Common Data Environments/ CDE) für die Datenbereitstellung geeignet sind, bzw. welche Anpassungen mit Plugins zur Erhöhung der Nutzbarkeit erforderlich werden. Insbesondere wird der Aspekt verschiedener Aggregationsstufen betrachtet. Bei der Nutzung der diagnostischen Ergebnisse ist eine Unterscheidung zwischen Rohdaten, auf bereiteten Daten und bewerteten Daten unerlässlich. Diese Kette der Datenveredelung muss mit den Werkzeugen abbildbar sein, um auch eine externe Bewertung oder eine spätere Bewertung unter Einbezug von weiteren Erkenntnissen zum Bauwerk zu ermöglichen. Neben der Untersuchung von vorhandenen Werkzeugen soll eine offene und plattformunabhängige Webanwendung konzeptioniert werden, die insbesondere den Zugriff auf die bauwerksdiagnostischen Ergebnisse in ihrer niedrigsten Aggregationsstufe (höchste Detailstufe) ermöglicht. Die Verortung an einem dreidimensionalen Modell soll die räumliche Zuordnung der Information und die bessere Bewertbarkeit der Daten fördern. 4.3 Prozessbeschreibung Wie bereits erwähnt, wird in openSIM die gesamte Prozesskette von der Aufgabenstellung bis hin zur Bereitstellung der Untersuchungsergebnisse betrachtet. Dementsprechend ist der gesamte Prozess mit unterschiedlichen Akteuren und Schnittstellen zu untersuchen. Für die Schnittstellen sollen, soweit möglich, offene Datenformate genutzt werden. Eine möglichst hohe Qualität der späteren Ergebnisse wird durch einen transparenten Abstimmungsprozess zwischen Auftraggeber, Bedarfsträger (Fachplaner, Bauwerksprüfer, Tragwerksplaner, etc.) und Bauwerksdiagnostiker erzeugt. Genau diese Transparenz kann durch die Nutzung von digitalen Bauwerksmodellen unterstützt werden. Dies vereinfacht die Kommunikation zwischen allen Projektbeteiligten, da z. B. die konkrete Lage von Untersuchungsstellen im Modell verortet werden können. Durch diese Visualisierung können alle Projektbeteiligten sofort erkennen, ob die vorgenommene Verortung für die jeweilige Planung geeignet ist, ob dadurch Konflikte zur eigenen Planung entstehen oder ob zusätzliche Untersuchungsstellen erforderlich werden. Der in Abb. 7 auszugsweise dargestellte Prozess verdeutlicht, dass zwischen den Akteuren anlassbezogen Abstimmungen modellbasiert stattfinden. Der Tragwerksplaner kann beispielsweise schon frühzeitig darauf einwirken, falls Untersuchungsstellen irrtümlicherweise in nicht relevanten Bauteilbereichen liegen oder eine zerstörende Untersuchung (Spanngliedentnahme, o. ä.) aufgrund der hohen statischen Auslastung eines Bauteils nicht möglich ist. Trotz einer intensiven Planung bleiben Bauwerksuntersuchungen ein dynamischer Prozess. Im Bestand können auch während der Untersuchungen Sachverhalte auftreten, die eine untersuchungsbegleitende Anpassung der ursprünglichen Planung erfordern. Um den flexiblen Anforderungen gerecht zu werden, kann die Arbeit mit Modellen und der Austausch innerhalb des Projektes durch standardisierte Schnittstellen wie z. B. BCF- Tickets (BIM-Collaboration-Format) geeignet sein. Auf diesem Wege ist eine schnelle, leicht verständliche Beschreibung/ Darstellung eines Konfliktes (auch auf der Baustelle) möglich und Entscheidungswege können nachhaltig dokumentiert werden. Während der Untersuchungen kann die Dokumentation der Ergebnisse wie in Kapitel 3.1 beschrieben digital erfolgen. Die Lage der Untersuchungsbereiche wird im Fachmodell zunächst mit Hilfsgeometrien verortet. Die Verortung kann je nach Anforderung an die Genauigkeit mit unterschiedlichen Mitteln (händisches Aufmaß, Tachymetrie, Laserscanning, etc.) erfolgen. Zur Dokumentation der Rohdaten wird die reine Lage der Untersuchungsstellen im Fachmodell mit den Daten aus der Datenbank verknüpft und nachvollziehbar gesichert. Die Auswerte- und Bewertungsprozesse werden zusätzlich separat dokumentiert, um eine Rückführbarkeit der Ergebnisse jederzeit zu gewährleisten. Entsprechend der Projektziele erhält der Nutzer über eine CDE und eine Webplattform Zugriff auf die für ihn relevanten Informationen. Abb. 7: Vereinfachtes Prozessdiagramm zur Darstellung der Abstimmungs- und Informationsaustauschbedarfe [eigene Darstellung, MKP] 270 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken 4.4 Entwicklung von Standards Das Projekt openSIM beschäftigt sich mit der Entwicklung von Standards und einer sinnvollen Auf bereitung der Ergebnisse aus bauwerksdiagnostischen Untersuchungen mit Hilfe der BIM-Methodik. Entsprechend der Leitdokumente zur Anwendung der BIM-Methode im Bereich der Bundesfernstraßen und der Deutschen Bahn [17], [18] werden einheitliche Anwendungsfälle beschrieben. Der Anwendungsfall (AwF) 010 „Bestandserfassung und Modellierung“ kann auch einen Rahmen für das Themengebiet Bauwerksdiagnostik bieten. Die Bauwerksdiagnostik könnte perspektivisch als Unteranwendungsfall des AwF-010 definiert werden. Für den Datenaustausch soll auf offene Datenformate zurückgegriffen werden, um auch dem open-BIM-Ansatz gerecht zu werden. Durch die Herstellerneutralität soll die Zugänglichkeit, Nutzbarkeit und auch Verwaltung der gewonnenen und übergebenen Daten verbessert werden. Da jedoch vorhandene Datenformate, wie beispielsweise das Industry-Foundation-Classes (IFC), bauwerksdiagnostische Ergebnisse wie Radargramme oder Potentialfeldmessungen derzeit nicht explizit in ihrer Klassenstruktur berücksichtigen [5], wird dies im weiteren Verlauf des Forschungsprojektes ein wesentlicher Bearbeitungsgegenstand sein. Um die Projektanforderungen hinsichtlich der BIM-Planung bestmöglich beschreiben zu können, wird innerhalb der AIA das Level of Information Need (LOIN) nach DIN EN 17412 vorgegeben. Das LOIN beschreibt die erforderliche Genauigkeit der Modelle in Bezug auf die Geometrie (LoG, Level of Geometry), die enthaltenen Informationen (LoI; Level of Information) und ggf. den notwendigen Dokumentationsgrad (DOC; Dokumentationsgrad), [19]. Eine konkrete Vorgabe des LOIN ist auch im Bestand von großer Bedeutung. Durch exakte Vorgaben können die Untersuchungen zielgerichtet geplant und die Ergebnisse sinnvoll auf bereitet werden. Abhängig vom Untersuchungsverfahren und der Planungsphase können unterschiedliche LOIN-Vorgaben vorgegeben werden. Im Bereich der Diagnostik und Bestandsermittlung fehlt es an Mustervorgaben, welche den Bedarf an die erforderliche Genauigkeit beschreiben (Festlegung von sinnvollen LOIN-Vorgaben). Es wird anhand von Beispielen untersucht, wie ein geeignetes LOIN aussehen kann, um aufgabenbezogene Projektziele zu erreichen. Zum Beispiel ist bei der Ermittlung der Druckfestigkeit des Bestandsbetons als Grundlage für die Ausschreibung von Abbruchleistungen eine andere Genauigkeit erforderlich als für die Nachrechnung eines Bauteils. Übertragen auf die Datenbereitstellung im openSIM kann dies wie folgt verdeutlicht werden: Bei der Erkundung von Kiesnestern im Bauteilinneren kann nur die prinzipielle Aussage zum Vorhandensein von Kiesnestern als Merkmal am jeweiligen Bauteil hinterlegt werden oder das Kiesnest wird in seiner tatsächlichen Ausdehnung nachmodelliert und mit Aussagen zu Gefügeeigenschaften (Porenanteil, Struktur der Bindemittelmatrix, etc.) semantisch angereichert. Bei der Wahl der Vorgaben sollten die nutzer- und aufgabenspezifischen Bedürfnisse einbezogen werden, da hier ggf. unterschiedliche Anforderungen an LOG und LOI bestehen. Eine Anlehnung an die Standardisierung der Bauteilkataloge im Neubau ist hierfür denkbar. In diesen werden Beispiele gegeben, wie ein bestimmtes Untersuchungsergebnis geometrisch modelliert und semantischen angereicht wird. Als weitere Muster können ebenfalls bestehende Objektkataloge [20] z. B. für Brücken [21], Deiche [22] oder Geotechnik/ Baugrund [23] herangezogen werden. Die Autoren danken dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr, der Thüringer Aufbaubank und der Hamburg Port Authority für die Unterstützung in den vorgenannten Projekten. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 271 Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken Literatur [1] Rückbau von Brücken, Erfahrungssammlung 2021; Bundesanstalt für Straßenwesen, 09/ 2022. [2] Leitfaden zur Prüfung von Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (Abgrenzung Ersatzneubau; LPI-ING; Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 10/ 2020. [3] Richtlinie für die Erhaltung von Ingenieurbauwerken; Leitfaden Objektbezogene Schadensanalyse, OSA; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. [4] DBV-Heft 51, Digitaler Zwilling - Strategie für den Bestandserhalt, Deutscher Beton- und Bautechnikverein, 2022. [5] Schickert, M.; Arthus, M.; Koch, C.; Integration and Visualization of NDE Data in Digital Building Models, The International Symposium on Nondestructive Testing in Civil Engineering, 2022. [6] Schacht, G., Fritsch, C., Voigt, C., Ewert, E. and Arndt, R. (2022), Structural Information Modeling - Die digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik. Mauerwerk, 26: 143-151. [7] Hill, M.; Neumann, S.; Holst, R.; Bahlau, S., Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Prozessablauf, 1. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur, TAE (Technische Akademie Esslingen), 2022. [8] Morgenstern, H.; Raupach, M. Predictive BIM with Integrated Bayesian Inference of Deterioration Models as a Four-Dimensional Decision Support Tool. CivilEng 2023, 4, 185-203. [9] Wolff, E., Microservices: Grundlagen flexibler Softwarearchitektur, dpunkt.verlag GmbH, 10/ 2015. [10] DIN EN 13791: 2020-02, Bewertung der Druckfestigkeit von Beton in Bauwerken und in Bauwerksteilen. [11] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 09/ 2021. [12] BIM-Strategie - Implementierung von Building Information Modeling (BIM) im Vorstandsressort Infrastruktur der Deutschen Bahn AG, 02/ 2022. [13] Bereichsübergreifende Muster-AIA (Muster-Auftraggeber-Informationsanforderungen) Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, 02/ 2022. [14] Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen, BIM Deutschland Zentrum für die Digitalisierung des Bauwesens, 2023. [15] Masterplan BIM Bundesfernstraßen Rahmendoku ment: BIM-Abwicklungsplan (BAP) - Version 1.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. [16] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Rahmendokument: Steckbriefe der Anwendungsfälle - Version 1.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 273 Digitale Prüfung von Infrastrukturbauwerken aus Sicht des Bauwerkserhalters, des Prüfpersonals und des Softwareherstellers Dipl.-Ing. Stefan S. Grubinger, BM recordIT GmbH, Graz Dipl.-Ing. Simon Jimenez, MA recordIT GmbH, Graz Dipl.-Ing. Dr. techn. Andreas Schüppel recordIT GmbH, Graz Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr. techn. Matthias J. Rebhan, BM Technische Universität Graz Dipl.-Ing. Christoph Antony ASFiNAG Bau GmbH, Graz Dipl.-Ing. Clemens Klass ASFiNAG Bau GmbH, Graz Dipl.-Ing. Lukas Gruber PULSE Engineering GmbH, Krumpendorf Zusammenfassung Bauwerke sind ein wesentlicher Teil der öffentlichen Infrastruktur und weisen neben der Relevanz für die Erschließung von Regionen, Gebieten und Ländern auch einen monetären Wert für eine Gesellschaft auf. Um diese Funktionen langfristig nutzen zu können gilt es die Bauwerke in Ihrem Bestand und der Verwendung möglichst nachhaltig zu verwalten. Die Komplexität der Bauwerke sowie die Auswirkung, die im Falle eines Versagens zu erwarten ist, macht wiederkehrende und umfassenden Inspektionen unerlässlich. Diese Bauwerksprüfungen werden im Regelfall durch den Bauwerkserhalter beauftragt und durch eigens für die speziellen Anforderungen geschultes Personal durchgeführt. Aufgrund der Vielzahl von Bauwerken im Bereich der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur ist, um flächendeckende Sicherheit zu gewährleisten, ein hoher Standardisierungsgrad unumgänglich. Um eine gleichbleibende und hohe Qualität zu gewährleisen, wird unterstützende Software für die Durchführung der Arbeit zunehmend wichtiger - da schlichtweg Geld und entsprechendes Personal fehlt, um diese Leistungen manuell zu erbringen. Die hieraus resultierenden Herausforderungen in Kombination mit Beispielen und umgesetzten Lösungen sollen in den nachfolgenden Zeilen aus dem Blickwinkel der beteiligten Personengruppen diskutiert werden sowie auf Nach- und Vorteile der zunehmenden Digitalisierung aufgezeigt werden. 1. Einführung Da Prüfungen, Kontrollen und Inspektionen einen unerlässlichen Bestandteil des Betriebes von Infrastrukturbauwerken darstellen, kommt diesem Bericht der Ingenieurstätigkeit große Aufmerksamkeit zu und wird mit großem Aufwand betrieben, um die Verfügbarkeit des Bauwerkes und daraus folgend auch die Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer*innen zu gewährleisten. Daraus ableitbar handelt es sich hier um eine herausfordernde, anspruchsvolle und mit viel Verantwortung verbundene Aufgabe. Bauwerke der Straßen- und Schieneninfrastruktur sind dabei in Österreich in den Richtlinien der Reihe RVS 13.03 - Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten der Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr geregelt. Beispiele hierfür sind: • Straßenbrücken nach RVS 13.03.11 [1]; • Geankerte Stützbauwerke (vgl. Abb. 1 oben) nach RVS 13.03.21 [2]; • Straßentunnel nach RVS 13.03.31 [3]; • Wegweiserbrücken (vgl. Abb. 1 Mitte) nach RVS 13.03.51 [4]; • Nicht geankerte Stützbauwerke (vgl. Abb. 1 unten) nach RVS 13.03.61 [5]; • Lärmschutzbauwerke nach RVS 13.03.71 [6], und • Wannenbauwerke nach RVS 13.03.81 [7]. 274 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Digitale Prüfung von Infrastrukturbauwerken aus Sicht des Bauwerkserhalters, des Prüfpersonals und des Softwareherstellers Eine Vielzahl dieser Bauwerke sind in Österreich erforderlich, um den Betrieb der Straßen- und Schieneninfrastruktur zu Folge der Topografie und der Trassierung zu ermöglichen und sicherzustellen. Ein Großteil der dafür erforderlichen Trassen wurde in den 1960 bis 1980er Jahren errichtet und weist demzufolge bereits ein relevantes Bauwerksalter in Bezug auf Sanierungen und Instandsetzungen auf. Regelmäßige Bauwerksprüfungen, Inspektionen und Kontrollen sind daher zwingend erforderlich, um die Zuverlässigkeit dieser Konstruktionen und daraus folgend die Verkehrstauglichkeit und Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer*innen zu gewährleisten. Abb. 1: Beispiele für Infrastrukturbauwerke in Österreich, geankerte Konstruktion (oben), Wegweiserbrücke (Mitte), nicht geankerte Konstruktion (unten) Der Fokus hierbei liegt im Allgemeinen auf einer handnahen Prüfung auf Sicht, welche die tragenden und nichttragenden sowie die für die Verkehrssicherheit erforderlichen Bauteile und Bauelemente einschließt. Hierbei kann zwischen einer laufenden Überwachung durch den Streckendienst und einer Kontrolle und Prüfung durch geschultes Fachpersonal unterschieden werden. Diese Inspektionstätigkeiten werden dabei periodisch durchgeführt und durch eine Befundung abgeschlossen. Der Befund gibt Aufschluss über den Erhaltungszustand, definiert weitere Schritte für die Instandhaltung und dient als Grundlage für nachfolgende Prüf- und Inspektionsintervalle. Eine Vielzahl der Bauwerke entlang der österreichischen Infrastruktur im Bereich der Straße und Schiene dient als Schlüsselbauwerk, um die reibungslose Verfügbarkeit in Gebieten mit komplexen geologischen und geotechnischen Randbedingungen (siehe [8] & [9]) sicherzustellen. Die regelmäßige Durchführung von Kontroll- und Prüftätigkeiten ermöglicht das frühzeitige Erkennen von Schäden und Mängeln und ist damit eine Grundlage für eine langfristig orientierte und laufend optimierte Erhaltungsstrategie. Die angeführten Ingenieur- und Kunstbauten - unter anderem die in Abb. 1 dargestellten Konstruktionen unterliegen einer laufenden und periodischen Prüfpflicht. Diese wird, wie bereits angeführt, durch die RVS-Richtlinien definiert. Das Ergebnis einer derartigen Untersuchung ist der Erhaltungszustand zum Zeitpunkt der Durchführung der jeweiligen Inspektionstätigkeit. Generell kann hier unterschieden werden, ob es sich um eine laufende Überwachung handelt, bei welcher lediglich Schäden und Mängel berichtet werden, oder ob eine Kontrolle bzw. Prüfung vorgenommen wird, bei der auch eine Befundung stattfindet. Die Befundung - in Form einer Schulnote - zum Bauwerk beschreibt den Erhaltungszustand und gibt an, welche Zuverlässigkeit und Sicherheit das Bauwerk noch aufweist und in weiterer Folge, welche Maßnahmen und Tätigkeiten für eine ausreichende Sicherheit zu setzen sind. In einer Vielzahl an RVS-Richtlinien werden sogenannte Sonderprüfungen angeführt. Bei diesen handelt es sich um die „Prüfung eines Bauwerks oder Bauteils. Die unabhängig von regulären Prüfintervall zur Klärung spezifischer Fragestellungen“ durchgeführt wird [10]. Die Bereiche einer derartigen Inspektionstätigkeit bzw. der Umfang dieser wird dabei im Regelfall nach einer regulären Prüfung oder zufolge eines Extremereignisses (z. B. Hochwasser) durch den Bauwerkserhalter definiert. Beispiele sind die Detektion der Bewehrung als Grundlage einer Nachrechnung oder die Durchführung von Ankerabhebekontrollen, um die aktuell an einem Anker anliegende Ankerkraft zu bestimmen. Derartige Tätigkeiten sind die Ausnahme, werden jedoch vor allem bei Bauwerken mit umfassenden Schäden sowie bei Bauwerken, welche bereits nahe dem Ende ihrer Nutzungsdauer angelangt sind, häufig durchgeführt. 2. Stand der Technik Bauwerksprüfung Zur Durchführung einer handnahen und visuellen Prüfung an Bauwerken werden unterschiedliche Hilfsmittel und Instrumente benötigt bzw. sind diese in den Prüfvorgaben der entsprechenden RVS angeführt. Je nach Bauwerkstyp und Assetklasse reichen diese von Kamera und 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 275 Digitale Prüfung von Infrastrukturbauwerken aus Sicht des Bauwerkserhalters, des Prüfpersonals und des Softwareherstellers Plangrundlagen bis hin zu Beobachtungsinstrumenten (Feldstecher bzw. Risslupe) und kleineren Werkzeugen wie Hammer sowie Schraubenschlüssel. Digitale Hilfsmittel zur Durchführung einer Bauwerksprüfung werden generell nicht definiert. Lediglich Vorgaben zur Einbindung der Prüfergebnisse in entsprechende Datenbanken sind gegeben. Bei der laufenden Überwachung durch den Streckendienst sind derartige Hilfsmittel nicht angedacht. Da hierbei lediglich eine visuelle Begutachtung oftmals nur vom Fahrzeug aus durchgeführt wird, ist dies zudem nicht möglich. Weiters sind hier im Regelfall auch keine Dokumentationen, Bericht oder andere Prüfunterlagen zu erstellen. Es findet lediglich eine Informationsweitergabe statt sofern unterwartete oder seit der letzten laufenden Überwachung aufgetauchte Mängel bzw. Schäden vorgefunden werden. Im Gegensatz hierzu ist bei einer Kontrolle (im Regelfall zweijährig) und einer Prüfung (im Regelfall alle 6 Jahre) eine entsprechende Dokumentation vorzunehmen. Um qualitativ hochwertige und aussagekräftige Kontrollen und Prüfungen für sämtliche Beteiligte zu ermöglich, ist es unumgänglich, die Bestandsbauwerke gut zu kennen und jegliche zur Verfügung stehenden Informationen einzubinden. So liegt ein großes Hauptaugenmerk auf der Geometrie der Bauwerke und des Trag- und oder Stützverhaltens. Das augenscheinliche Erfassen stellt aber nur einen Teil der “Wahrheit” dar und so sind auch, gerade im Ingenieurbau wo ein Großteil der für das Tragverhalten erforderlichen Bauteile später nur mehr bedingt oder gar nicht mehr einsehbar sind, planliche Grundlagen wichtig für eine Bauwerksbeurteilung. Maßgeblich handelt es sich hier um Bestandspläne, welche vor bzw. im Zuge der Errichtung erstellt wurden. Neben den rein planlichen Grundlagen gibt es meist vorangegangene Prüfungen und teilw. auch Berechnungen. Aktuell stellt sich die Bauwerksprüfung noch sehr stark manuell sowie durch “Papier und Bleistift” getrieben dar. Grund hierfür sind oftmals fehlende oder nur bedingt praktikable Tools und Softwarelösungen, welche die Erfassung von Sachverhalten im Feld ermöglichen und zudem eine Grundlage für die erforderliche Berichtslegung und die Weitergabe von Informationen bieten. Dabei wird im Regelfall im Zuge einer Prüfung auf die „analogen“ Daten aus der letzten Prüfung und Kontrolle zurückgegriffen und es werden Planunterlagen in Papierform verwendet, welche durch bildliche und textliche Informationen im Zuge der Prüfung im Feld ergänzt werden, um Schäden und Mängel zu erfassen, zu verorten und zu dokumentieren. Vor allem letzteres passiert hier im Regelfall getrennt voneinander - es werden Fotos und Bilder mit Kameras aufgenommen und anschließend werden Bildnummer auf Plänen, Skizzen oder Notizblöcken notiert, um eine (im Büro stattfindende) nachträgliche Verortung zu ermöglichen. Zudem werden wichtige Informationen wie beispielsweise die Rissbreite, die Abmessungen einer Abplatzung oder eine detaillierte Beschreibung des Schadensbildes gemeinsam mit der Bildnummer notiert, ohne diese im Feld geometrisch und objektbezogen zuzuordnen. Nach diesem Daten- und Informationsbefassungsprozesses findet eine Zusammenstellung der Daten statt, was generell in Form eines Berichtes vorgenommen wird, in dem eine umfassende Dokumentation des Erhaltungszustandes vorgenommen wird, um darauf auf bauend eine Benotung bzw. Beurteilung des Objektes vorzunehmen und in weiterer Folge erforderliche Maßnahmen abzuleiten. Als Abschluss wird im Regelfall in einer Besprechung mit dem Bauwerkserhalter das Ergebnis diskutiert, die vorhandenen Schadensbilder werden abgesprochen und deren Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit und die Verkehrstüchtigkeit werden erarbeitet. Nach diesem Prozess wird - je nach Bauwerkserhalter und dahinterliegendem Prozess - eine Einarbeitung dieser Informationen in Datenbanken und die Unterlagensammlung zum jeweiligen Bauwerk vorgenommen. Dort geführte Informationen werden auch zu einem gewissen Teil weiterverarbeitet, um beispielsweise den Erhaltungsbedarf aber auch mögliche Entwicklungen bei Streckenabschnitten bzw. einzelnen Bauwerkstypen abzuleiten und diese als Grundlage für Entscheidungen heranzuziehen. Durch die vorangegangen beschriebenen Herausforderungen ist eine Weitergabe von Informationen möglich, jedoch ergeben sich Hürden für eine rasche und standardisierte Übergabe von Informationen als Grundlage für die Maßnahmeneinschätzung und Umsetzung dieses Sprechen. Demzufolge kann aus einer digitalen Abwicklung des Prüfprozesses und den damit verbundenen Möglichkeiten ein umfassender Mehrwert sowohl für das Prüfpersonal als auch für den Bauwerkserhalter erzielt werden. Dieser wird in nachfolgendem Kapitel beschrieben und durch den Stand der aktuellen Entwicklungen ergänzt. 3. Workflow einer digitalen Bauwerksprüfung In Kapitel 2 wurde versucht, den aktuellen Ablauf einer Bauwerksprüfung aufzuzeigen. Nachfolgend soll dieser entsprechend ergänzt werden, um eine sinnvolle Digitalisierung dieses Prozesses zu ermöglichen, und damit eine Anwendertauglichkeit und Praktikabilität sicherzustellen. 276 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Digitale Prüfung von Infrastrukturbauwerken aus Sicht des Bauwerkserhalters, des Prüfpersonals und des Softwareherstellers Abb. 2: Schematische Darstellung des Workflows bei einer digitalen Bauwerksprüfung [11] 3.1 Digitaler Workflow Bauwerksprüfung Die möglichen „Bestandteile“ eines derartigen Workflows sind in Abb. 2 dargestellt. Diese sind dabei um das zentrale Elemente deiner Bauwerksdaten angeordnet, um die Wichtigkeit und die Notwendigkeit eines derartigen Elementes klar zu verdeutlichen - und hierbei auch die sich daraus ableitbaren Lösungen, Möglichkeiten und Vorteile zu visualisieren. 3.1.1 Vorbereitungsphase Ident zur analogen Prüfung ist vorab eine Auf bereitung und Zusammenstellung der Unterlagen zum Prüfobjekt erforderlich. Diese Dokumente umfassen: - Das Stammdatenblatt mit allen wichtigen Informationen und Kennzahlen eines Bauwerkes; - Generelle Lagedarstellung und Position des Bauwerkes in Bezug auf die Verkehrstrasse; - Planunterlagen und Dokumente; - Weitere Informationen zum Bauwerk, betreffend der Zugänglichkeit, des Zuganges und vorhandenen Informationen zu Messeinrichtungen und anderen Objekten; - Ergebnisse vorangegangener Inspektionstätigkeiten am Bauwerk. Einer der größten Vorteile der Digitalisierung des Prozesses ist jedoch, dass der Vorbereitungsprozess, sofern keine Anpassungen und Änderungen am Bauwerk stattfanden, vollumfänglich lediglich einmal durchzuführen ist. Hierbei können sowohl Pläne laufend weiterverwendet werden als auch Informationen und die sogenannten Stammdaten auf Grund ihrer Ablage in der Bauwerksdatenbank bei periodisch wiederkehrenden Prüfungen weitergenutzt werden. 3.1.2 Bauwerksdatenbank Wie bereits angeführt stellt eine Bauwerksdatenbank ein zentrales Element dar, um eine digitale Prozessabbildung bei der Bauwerksprüfung zu ermöglichen. Derartige Elemente müssen kumulierend ausgebildet sein, um als Sammlung von Daten, Informationen und Unterlagen zu einem Bauwerk zu dienen und damit die Schnittstelle zwischen der vor Ort Prüfung, der Erstellung von Berichten und Dokumenten und auch der Ableitung von Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen zu dienen. In einem digitalen Prozess kann die Bauwerksdatenbank unter anderem dazu dienen, um die Vorbereitungsphase zu vereinfachen. So können einmal gespeicherte und abgelegte Daten und Unterlagen innerhalb der Bauwerksdatenbank abgelegt werden und es kann ein laufender Zugriff - bei jeglicher Inspektionstätigkeit - ermöglicht werden. Neben der resultierenden Reduktion der Fehleranfälligkeit kann hierbei auch eine Optimierung des Prozesses und eine Vereinheitlichung der Datengrundlagen ermöglicht werden. Neben diesem “Datensarg”, welcher durch eine Bauwerksdatenbank gegeben wird, kann ein derartiges Element vor allem in Bezug auf die Digitalisierung von Prozessen und die Nutzung und Ableitung von Informationen ein sehr dynamisches und mächtiges Tool sein. Hierbei können sowohl das Prüfpersonal (siehe Kapitel-3.3) als auch der Bauwerkserhalter und dessen Experten (siehe Kapitel 3.2) profitieren. Jedoch muss hierzu eine lückenlose Befüllung und Weitergabe der Informationen stattfinden, wie dies im in Abb. 2 dargestellten Prozess durch seine zentrale Positionierung und der Fall ist, und eine einwandfreie Interaktion von der Aufnahme im Feld zur Datenbank unterstützt werden. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 277 Digitale Prüfung von Infrastrukturbauwerken aus Sicht des Bauwerkserhalters, des Prüfpersonals und des Softwareherstellers 3.1.3 Inspektionstätigkeiten - Prüfung & Kontrolle Der Kernprozess - sowohl bei der analogen als auch bei der digitalen Durchführung einer Bauwerksprüfung ist die Inspektionstätigkeit vor Ort. Hier werden die vorhandenen Bauwerksdaten durch die Informationen, die Mängel und Schäden und auch die Änderung an bereits bekannten Schadensbildern erweitert um dies als Grundlage für die Beurteilung des Bauwerkes verwenden zu können. Wie in Abb. 3 dargestellt, kann hier, identisch zur Erfassung der Informationen auch ein geeignetes digitales Endgerät verwendet werden. Abb. 3: Digitaler Erfassungsprozess vor Ort Hierbei sollte ein mehrstufiges Verfahren unterstützt werden, welches die Aufnahme von Übersichtsbildern - sowohl zum Bauwerk als auch zu Schäden und Mängeln - ermöglicht, als auch eine detaillierte Aufnahme von Einzelbereichen und schadhaften Regionen. Diese schaffen eine umfassende Datengrundlage und eine genaue Dokumentation des Erhaltungszustandes des Bauwerkes. Zudem muss hier im Feld bereits die Möglichkeit gegeben werden, um Informationen zu den Schäden und Mängeln aber auch zum Bauwerk generell und anderen Auffälligkeiten sehr einfach und intuitiv zu erfassen und abzulegen. Im einfachsten Fall handelts es sich hier um eine entsprechende Annotierung der Bildinhalte, um diese entsprechend den technischen und normativen Vorgaben bezeichnen, ablegen und nachvollziehbar darstellen zu können. Zum anderen sind dies jedoch auch textliche Informationen, welche sowohl standardisiert als auch frei wählbar sein müssen, um die erforderliche Flexibilität zu ermöglichen. Abb. 4: Verortung und Vermarkung von Informationen und Bildern auf Planunterlagen Daraus können beispielsweise vertiefende Aussagen nach der Durchführung der Inspektionstätigkeit abgeleitet werden, und es kann zudem als Diskussionsgrundlage für andere Expertinnen und Experten herangezogen werden. 3.1.4 Datenbestand aus der Inspektionstätigkeit Ebenso wie die in Kapitel 3.1.1 angeführten Stammdaten kann auch der Datenbestand vorangegangener Inspektionstätigkeiten jederzeit abgerufen werden. Neben der Verwendung dieser Informationen in der Auswertung und Interpretation der Entwicklung des Erhaltungszustandes des Bauwerkes kann hier vor allem für das Prüfpersonal ein erheblicher Mehrwert generiert werden. So müssen bereits erfasst Schäden und Mängel in einer Folgeprüfung lediglich auf ihr Veränderung hin untersucht werden, da eine „Erstaufnahme“ inklusive der Verortung am Bauwerk und der Beschreibung bereits durchgeführt wurde. Das Hauptaugenmerk kann hier durch das Prüfpersonal auf die Entwicklung eines Schadens und die Entstehung neuer Schadensbilder und Mechanismen gelegt werden. Darüber hinaus bietet eine derartige Vorgehensweise den Vorteil und Mehrwert eine Nutzung der Prüfergebnisse funktionsweise zu ermöglichen. Neben der Schaffung eines Datenpools - beispielsweise als Grundlage für die automatisierte Erkennung von Schadensbildern - kann hierbei auch eine Schadensentwicklung mit Bezug auf die Abnahme des Erhaltungszustandes abgeleitet werden. Vor allem im Hinblick auf das Erfordernis von Instandhaltungen und Instandsetzungen und die Ableitung der Restnutzungsdauer kann hieraus ein bisher nur schwierig und aufwendig umsetzbarer Prozessschritt etabliert werden, welche mit Zunahme des Bauwerksalters und Abnahme des Erhaltungszustandes sicherlich vermehrt an Interesse gewinnen wird. 3.1.5 Reporting Ein Herzstück - sowohl der analogen als auch der digitalen Abwicklung einer Inspektion und Bauwerksprüfung stellt sicherlich das Reporting dar. In diesem werden generell die erfassten Daten und Informationen entsprechend auf bereitet, um diese dem Auftraggeber (Bauwerkserhalter) zur Verfügung zu stellen und übergeben zu können. Zudem diesen diese dem Prüfpersonal auch als Grundlage für die Ableitung des Erhaltungszustandes-- gemeinsam mit den vor Ort im Zuge der Inspek- 278 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Digitale Prüfung von Infrastrukturbauwerken aus Sicht des Bauwerkserhalters, des Prüfpersonals und des Softwareherstellers tionstätigkeit gewonnenen Eindrücken über das Bauwerk und die Konstruktion. Neben einer klassischen Berichterstellung - im Regelfall basierend auf Vorgaben des Bauwerkserhalters und den technischen Regelwerken kommen hier vermehrt auch andere Technische Möglichkeiten zum Einsatz. So kann beispielsweise auch eine Datenübergabe in *.csv Form stattfinden, um daraus folgend eine einfachere Übergabe der Daten und das Importieren in Datenbanken und andere Strukturen zu ermöglichen. Weiters können auch entsprechende Schnittstellen adressiert werden, um beispielsweise Building Information Modelling Modelle mit entsprechenden BCF-/ IFC-Standards (vgl. [12], [13] oder IFC 4.2) zu befüllen und damit eine digitale Weiternutzung der Prüfergebnisse zu ermöglichen. 3.1.6 Maßnahmenableitung Als abschließender Prozess ist im Regelfall eine Ableitung von Maßnahmen vorzunehmen, sofern diese, basierend auf den Kontroll- und Prüfergebnissen, erforderlich sind. Hier definiert die RVS zumindest die Festlegung des nächsten Kontrollbzw. Prüfintervalls, generell kann diese jedoch auch Sofortmaßnahmen und kurzbzw. mittel- und langfristig anzusetzende Maßnahmen umfassen. Diese zielen zum einen darauf ab, den aktuellen Erhaltungszustand möglichst zu konservieren und eine Abnahme zu entschleunigen, können jedoch auch erforderlich sein, um die Zuverlässigkeit und Verkehrstauglichkeit des Bauwerkes zu gewährleisten. Der Workflow für die digitale Bauwerksprüfung, wie hier beschrieben und dargestellt, ist sicherlich nicht so flexibel wie jener bei einer Kontrolle und Prüfung, wie dieser aktuell zumeist noch zum Einsatz kommt. Hieraus kann jedoch generell ein großer Vorteil generiert werden. So ist eine Standardisierung, welche es vorab durch geschultes und erfahrenes Personal zu definieren gilt, eine Möglichkeit, um die Qualität dieser Tätigkeit zu erhöhen, den Aufwand zu reduzieren und vor allem um die Weiterverwendung -verarbeitung der generierten Informationen zu ermöglichen. Die Vollständigkeit der Prüfung sowie der durchgehende Datenfluss sind nur zwei Bestandteil welche die Qualität der Prüfung und die Aussagekraft heben können. 3.2 Digitale Bauwerksprüfung - Anforderungen und Mehrwerte für Bauwerkserhalter Das Kapitel 3.1 zeigt die Randbedingungen auf, welche bei einem digitalen Workflow für die Bauwerksprüfung - mit Fokus auf Infrastrukturbauwerke und die technischen Vorgaben der RVS-Richtlinien. Dort wurde bereits angeführt, dass aus einem derartigen Prozess gewisse Vorteile und Mehrwerte aus Sicht des Bauwerkserhalters abgeleitet werden können. Diese müssen jedoch auch mit einer Reihe von Anforderungen einhergehen, um einen tatsächlichen Mehrwert generieren zu können. Die Anforderungen - zumindest jene aus Sicht der ASFiNAG - lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Einheitlicher und nachvollziehbarer Prüfprozess für alle Asset-Klassen; - Einbindung in Bauwerksdatenbanken; - Auswertbare und vergleichbare Kontroll- und Prüfergebnisse; - Einfache Einbindung von Kenntnissen sowie Mängeln und Schäden aus vorherigen Inspektionstätigkeiten; - Datensammlung und Aufbereitung für zukünftig Anwendungsfälle; - Ableitung von Maßnahmen und Empfehlungen direkt aus dem Prüfprozess; - Einbindung interner und externer Anwender*innen der digitalen Prüflösungen. Mit der Umsetzung der oben angeführten Anforderungen kann dabei sichergestellt werden, dass aus Sicht des Bauwerkserhalters ein größtmöglicher Mehrwert generiert wird. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Vereinheitlichung des Prüfprozesses; - Generierung eines umfassenden Datenpools und Datenbestandes zu den Bauwerken; - Generalisierung des Datenbestandes zu Bauwerken; - Grundlagen für ein standardisiertes Weiterverarbeiten der Informationen; - Erhöhung des Wissensstandes über Bauwerke; - Ableitung der Entwicklungsprozesse bei Schäden und Mängeln; - Ableitung zutreffenderer Maßnahmen und Instandhaltungstätigkeiten bei Bauwerken. Neben den oben angeführten Mehrwerten kann - und muss - bei der Umsetzung eines Digitalisierungsprozesses auch von einer Optimierung ausgegangen werden. Bei einem digitalen Prüfprozess kann vor allem von einer Reduktion der Prüfzeit und Dauer ausgegangen werden, was sich direkt in Streckensperren und somit auch den Kosten für Inspektions- und Prüftätigkeiten widerspiegelt. 3.3 Prüfung vor-Ort - Zeitersparnis und Effizienzsteigerung für das Prüfpersonal Der Hauptfokus der Inspektionstätigkeit des Prüfpersonals liegt auf der umfassenden Erfassung des Erhaltungszustandes des Bauwerkes. Generell werden hier handnahe und visuelle Methoden eingesetzt, obwohl wie in Kapitel 4 angeführt auch vermehrt alternative Methoden zum Einsatz kommen. Hierzu muss das Prüfpersonal Informationen dort zur Verfügung haben, wo diese auch benötigt werden. Mit diesem Bedarf, den es bei jeder Inspektionstätigkeit zu bedienen gilt, und welcher als ein wesentlicher Faktor für das Gelingen einer optimierten und qualitativ hochwertigen Prüfung, ergibt sich eine Grundanforderung, die durch digitale Prüflösungen auch abgedeckt werden muss. In Kombination mit einer raschen Aufnahme und Erfassung sowie der Zuordnung von Informationen, Fotos und Sachverhalten bietet die Digitalisierung hier große Vorteile, welche zu einer deutlichen Entlastung des Prüfpersonales führt. Durch den Entfall von bisher manuell durchgeführten Prozessen wie dem nachträglichen Zuordnen von Bildern zu Fehlstellen kann der Fokus somit auf die eigentliche Prüftätigkeit gelegt werden. Zudem ist im Regelfall 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 279 Digitale Prüfung von Infrastrukturbauwerken aus Sicht des Bauwerkserhalters, des Prüfpersonals und des Softwareherstellers mit einem derartigen digitalen Prozess eine Reduktion bzw. ein Wegfall möglicher Nachbearbeitungsaufgaben zu erwarten. Gemeinsam mit dem in Kapitel 3.1.1 angeführten Vorbereitungsarbeiten, welche in der in 3.1.2 beschriebenen Bauwerksdatenbank hinterlegt sind, kann hier ein enormes Zeiteinsparungspotential generiert werden. Die im Anschluss an die Erfassung und Informationsvergabe folgenden Interpretation - in diesem Fall, die Ableitung des Erhaltungszustandes - kann zufolge der oben angeführten Vorteile ebenfalls umfassender vorgenommen werden. So können nachträglich Sachverhalte detaillierter aufgezeigt und ausgearbeitet werden - basierend auf der Tatsache, dass die Grundlagen hierfür bereits bei der Erfassung vor Ort gelegt wurden. Ein weiterer maßgebender Vorteil der Digitalisierung ist hier sicherlich die Tatsache, dass eine erhöhte Anzahl an Bildern aufgenommen werden und diese mit Information versehen sind, welche beispielsweise in der Interpretation von Vorteil sein kann. Vor allem bei Bauwerken, welche schwierige Lastabtragungsverhältnisse aufweisen, können zusätzliche Skizzen, Informationen und Bilder Rückschlüsse auf die tatsächlichen Lastableitungsmechanismen geben. Nichtsdestotrotz muss der Erfassung vor Ort bei der Umsetzung einer digitalen Lösung zur Bauwerksprüfung das Hauptaugenmerk zukommen. Sämtliche Vorteile und Mehrwerte für die Bauwerkserhalter gehen verloren, wenn die Erfassung der Daten und Informationen nicht zielgerichtet, einfach und nachvollziehbar vonstattengeht. Dies kann nur durch eine Akzeptanz der Softwarelösung durch das Prüfpersonal ermöglicht werden. Sind Lösungen zu komplex, erfordern diese unhandliches und nicht im Feld einsetzbares Equipment oder berücksichtigen diese nicht die Handhabbarkeit im Feld sind Softwarelösungen zum Scheitern verurteilt - und daraus folgend die eigentlich dahinterstehenden Prozesse. 3.4 Digitale Umsetzung einer Bauwerksprüfung Mit der Auflistung der Anforderungen vonseiten eines Bauwerkserhalters und basierend auf den Erfordernissen des Prüfpersonals wurde gezeigt, welche Herausforderungen die Umsetzung einer digitalen Prüflösung für Infrastrukturbauwerke mit sich bringt. Zudem lässt sich erkennen, dass dies kein Problem ist, das allein durch Softwareentwicklung gelöst werden kann. Vielmehr müssen die Bedürfnisse des Prüfpersonals und der Bauwerkserhaltung zu gleichen Anteilen abgedeckt werden. Der Bereich der Softwareentwicklung bildet diese Prozesse lediglich in digitaler Form ab und kann Neuerungen und Optimierungen, welche vor allem in Prozessoptimierung und Erfassungsmöglichkeiten liegen, ergänzend einbringen. Neben der Bereitstellung der Unterlagen und einer praktischen und anwendbaren Softwarelösung ist hier auch der Umgang mit den Informationen und Daten während und vor allem nach der Prüfung zu beachten. So kann beispielsweise durch den automatischen Vorschlag von Prüfinhalten eine wesentliche Zeitersparnis vor Ort generiert werden. Durch die Einbindung von älteren Prüf- und Kontrollergebnissen können diese Informationen jederzeit zugänglich gemacht werden. Hierzu muss jedoch ein entsprechender Workflow vorliegen, welcher fähig ist, diese Anforderungen umzusetzen und vielmehr noch muss in der Entwicklung und Weiterentwicklung auf das Feedback der Nutzer*innen eingegangen und darauf aufbauend die Software laufend verbessert werden. 4. Aktuelle Entwicklungen Mit den vorherigen Kapiteln wurde versucht, kurz aufzuzeigen, wie eine Digitalisierung der Bauwerksprüfung vonstattengehen kann. Neben der reinen Nutzung von digitalen Tools zur Erfassung und Prüfung von Bauwerken können hier jedoch auch andere Instrumente genutzt werden, um einen Beitrag zur Digitalisierung und der Bauwerkserhaltung und Instandsetzung zu bringen. Neben der Anwendung von BIM bei Bestandsbauten ist hier vor allem eine nachvollziehbare Datenablage erforderlich. Dies lässt sich beispielsweise durch die Anbringung von Verortungstafeln (QR-Codes) oder die Verwendung von NFC-Chips [14] ermöglichen. Erste Projekte hierzu werden bereits umgesetzt und haben gezeigt, dass damit zum einen die Ablage durch Speicherung von Daten direkt vor Ort ermöglicht wird und dass diese durch zusätzliche Ergebnisse, beispielsweise Prüfergebnisse, ergänzt werden können. Wichtig hierbei ist jedoch, dass bereits in der Installationsbzw. Planungsphase die dauerhafte Nutzung derartiger Lösungen betrachtet und geplant wird. Da Ingenieurbauwerke und Kunstbauten eine geplante Nutzungsdauer von mehr als 80 Jahren aufweisen, kommt diesem Aspekt sicherlich große Beachtung zu - um die angeführten Problemstellungen zu fehlenden oder lückenhaften Bestandsunterlagen zukünftig zu unterbinden. Weiter stellt die Nutzung der von Virtueller und Augmented Reality einen zukünftigen Schritt in der digitalen Bauwerksprüfung dar. Wie in Abb. 5 dargestellt können so Prüfergebnisse aus Vorprüfungen mit in die Prüfung eingebunden werden, um so neben dem Aufzeigen der bereits erfassten und dokumentierten Schäden und Mängel auch eine Informationsweitergabe sichergestellt werden. Vor allem beim Wissenstransfer zwischen wechselndem Prüfpersonal kann so eine laufende Informationsweitergabe sichergestellt werden. Zudem eignen sich derartige Ansätze auch, um beispielsweise eine nachträgliche Führung durch das Bauwerk und die Prüfung (vom Büro aus) zu ermöglichen und damit genauer auf einzelne Prüf bereiche und Problemstellungen einzugeben. Abb. 5: Einbindung der VR (Virtuellen Realität), um vorhandene Prüfergebnisse darzustellen 280 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Digitale Prüfung von Infrastrukturbauwerken aus Sicht des Bauwerkserhalters, des Prüfpersonals und des Softwareherstellers Der hier beschriebene Workflow zu einer digitalen Bauwerksprüfung basiert auf dem aktuellen Stand der Technik, welcher von einer analogen Umsetzung ausgeht, und hat diesen lediglich durch den Einsatz digitaler Tools und Lösungen umgewandelt. Generell wird hier ein zweidimensionales Problem in Form von Plänen und Bildern betrachtet, welches jedoch durch die Erweiterung um eine zusätzliche Dimension erheblich einfacher, nachvollziehbarer und auch digitaler umgesetzt werden kann. Damit kann neben der Schaffung eines digitalen Zwillings vor allem die Unwegbarkeit bereinigt werden, dass Plandaten nicht immer dem errichteten Ist-Zustand umfassen, und dass zusätzlich auch Sanierungen, Instandsetzungen und eventuelle Bauwerksveränderungen [15] mit in die Bauwerksprüfung als Datenbestand mit eingebunden werden. Abb. 6: Nutzung von 3D Modellen zur Bauwerksprüfung, Erfassung mit kleinen Mobile Mapping Einheiten (oben), Generiertes Modell eines Tunnels (unten) Derartige Modelle können zum einen mit, wie in Abb. 6 dargestellten Mobile Mapping Systemen erfasst werden, können jedoch auch mittels Drohnen erstellt werden, um beispielsweise Bereich mit schwierigerer Zugänglichkeit zu erfassen. Ein derartiger Ansatz biete die Möglichkeit, dass neben einer umfassenden Darstellung des Bauwerkes im Zuge der Prüfung ein digitaler Zwilling generiert wird. Dieser kann zum einen dazu verwendet werden, um wie in Abb. 5 dargestellt und mit der Einbindung von Augmented Reality die Kontrolle oder Prüfung durchzuführen. Ebenso wird die Grundlage für eine Remote-Prüfung des Bauwerkes generiert. So kann sich beispielsweise der Bauwerkserhalter im Zuge der Endbesprechung mit dem Prüfpersonal durch das 3D-Modell mit verankerten Bildern selbst ein sehr gutes Bild zum Bauwerk machen. Zum anderen kann das Prüfpersonal während der Berichterstellung diese Komponente nutzen, um eine klarere Darstellung von Schäden und Mängeln vorzunehmen und zudem auch andere Experten in die Ableitung von Prüfergebnissen und daraus folgend einen zutreffenderen Erhaltungszustand abzuleiten. 5. Zusammenfassung & Ausblick Aus aktueller Sicht kann gesagt werden, dass bereits erste Schritte für eine digitale Bauwerksprüfung gesetzt wurden. Übrig bleibt jedoch immer noch, dass der Grad an Digitalisierung deutlicher erhöht werden kann bzw. sollte, um so das große Potential für automatisierte Generierung von erforderlichen Informationen und Daten ausschöpfen zu können. Die hieraus resultierenden Vorteile die dabei für sämtliche, am Prüfprozess Beteiligten entstehen sind klar ablesbar. Mit einer Reduktion der Kosten und der Verfügbarkeit von Hardware und auch entsprechender Software wird dabei zukünftig sicherlich die Einbindung von digitalen Zwillingen, Mobile Mapping Systemen und auch der Augmented und Virtual Reality zunehmen. Hierzu müssen jedoch die entsprechenden Systeme aufeinander abgestimmt sein und auch Bauwerksdatenbanken müssen derartige Prüfmethoden abbilden können. Nicht zuletzt ist hier ein Umdenken in Bezug auf die Berichterstellung erforderlich. Nichtsdestotrotz lässt sich festhalten, dass unabhängig des Digitalisierungspotentials und den Möglichkeiten, welche eine Digitalisierung mit sich bringt, eine handnahe und visuelle Inspektion und Prüfung von Infrastrukturbauwerken unumgänglich ist. Nur so kann eine umfassende Kenntnis über das Bauwerk, die Entwicklung von Schadensbildern und die Lastableitungs- und Schadensmechanismen ermöglicht werden. Aus diesem Grund ist es umso essenzieller, dass digitale Lösungen zur Bauwerksprüfung diesen Fakt berücksichtigen und die Digitalisierung hier lediglich als nützliches und praktikables Tool zum Einsatz kommt. Wohingegen eine vollständige Digitalisierung des Prozesses zum einen laut den aktuellen Richtlinien und Regelwerken nicht abgebildet werden kann und zudem auch in Bezug auf die Haftung, die Verantwortung und die ingenieurmäßige Einschätzung große, bisher nicht adressierte Fragestellungen mit sich bringt. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 281 Digitale Prüfung von Infrastrukturbauwerken aus Sicht des Bauwerkserhalters, des Prüfpersonals und des Softwareherstellers Literatur [1] RVS 13.03.11, 2021. Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Straßenbrücken. Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr (FSV). Wien. [2] RVS 13.03.21, 2021. Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Geankerte Stützbauwerke. Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr (FSV). Wien. [3] RVS 13.03.31, 2021. Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Straßentunnel. Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene-- Verkehr (FSV). Wien. [4] RVS 13.03.51, 2021. Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Wegweiserbrücken. Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr (FSV). Wien. [5] RVS 13.03.61, 2021. Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Nicht geankerte Stützbauwerke. Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr (FSV). Wien. [6] RVS 13.03.71, 2021. Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Lärmschutzbauwerke. Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr (FSV). Wien. [7] RVS 13.03.11, 2021. Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Wannenbauwerke. Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr (FSV). Wien. [8] ASFINAG, 2012. Das Autobahnnetz in Österreich. 30 Jahre ASFINAG. Absam, Pinxit Druckerei GmbH). [9] Brandl, H. (2015): Bauwerke in Kriechhängen. In: Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160 Jg., Heft 1-12/ 2015, Seite 193 bis 203. [10] AP33, 2022, Arbeitspapier Nr. 33 - Sonderprüfmethoden für geankerte Konstruktionen und Zugelemente, Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr. [11] Grubinger, S., Rebhan, M., Kalenjuk, S., Gruber, L., Kogelnig, A. & Walcher, W 2023, Digitalisierungspotential der Prüfung geotechnischer Bauwerke mittels digitaler Zwillinge, standardisierten Prüfvorschriften und on-site-Erfassungslösungen. in R Marte & F Tschuchnigg (Hrsg.), Beiträge zum 37. Christian Veder Kolloquium: Zustandserhebung, Bewertung und Sanierung von gealterten bzw. schadhaften geotechnischen Konstruktionen. Bd.- 16, 12, Technische Universität Graz, S. 179-198, 37. Christian Veder Kolloquium, Graz, Österreich, 13/ 04/ 23. [12] Tanaka, Fumiki u. a. (2018). „Bridge Information Modeling based on IFC for supporting maintenance management of existing bridges.“ In: 17 th International Conference on Computing in Civil and Building Engineering. [13] Sacks, Rafael u. a. (2018). „SeeBridge as next generation bridge inspection: Overview, Information Delivery Manual and Model View Definition“. In: Automation in Construction 90, S. 134-145. doi: 10.1016/ j.autcon.2018.02.033. [14] Grubinger, S., Jimenez, S., Marte, R., Fuschelberger H., Rebhan, M., J., 2022, Digitalisierung in der Ankertechnik - Anforderungen an die Planung und das Erhaltungsmanagement, Beiträge zur ÖGT Wien. [15] Kalenjuk, S., Lienhart, W., Antony, C. & Klass, C 2023, Zustandsüberwachung im Vorbeifahren: Monitoring von Bestandsbauwerken mithilfe von mobilem Laserscanning. in Beiträge zum 37. Christian Veder Kolloquium: Zustandserhebung, Bewertung und Sanierung von gealterten bzw. schadhaften geotechnischen Konstruktionen. vol. 16, Technische Universität Graz, 37. Christian Veder Kolloquium, Graz, Austria, 13/ 04/ 23. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 283 Struktur und Arbeitsablauf zur Integration von bauwerksdiagnostischen Ergebnissen in digitale Bauwerksmodelle Dipl.-Ing. Martin Schickert Materialforschungs- und -prüfanstalt an der Bauhaus-Universität Weimar (MFPA Weimar) Mathias Artus Bauhaus-Universität Weimar Chris Voigt, M. Eng. MKP GmbH, Weimar Manik Mehta Materialforschungs- und -prüfanstalt an der Bauhaus-Universität Weimar (MFPA Weimar) Zusammenfassung Building Information Modeling (BIM) wird als effizientes Verfahren für die Bauplanung und -ausführung von Gebäuden und Infrastrukturen eingesetzt. Mit der Integration von Ergebnissen von bauwerksdiagnostischen Untersuchungsverfahren (DiaBau) können Planungs- und Zustandsdaten eines Bauwerks während seines gesamten Lebenszyklus‘ vergleichend dargestellt werden, was eine detaillierte, aktuelle Beschreibung des Bauwerkszustands ermöglicht. In diesem Beitrag wird ein genereller Arbeitsablauf zur Integration von DiaBau-Ergebnissen in BIM-Modelle vorgestellt. Dafür wird eine Strukturierung der DiaBau-Ergebnisse im Hinblick auf Datentypen, Datenschnittstellen und Bewertungsebenen vorgenommen. Der Arbeitsablauf beinhaltet die Transformation der Daten und Metadaten auf die Schnittelle des BIM-Modells, für die das offene IFC-Format (Industry Foundation Classes) genutzt wird. Es werden qualitätssichernde Maßnahmen und Ansätze zu Standardisierung des Prozesses inkl. der Verwendung standardisierter Datenformate vorgeschlagen. Der Arbeitsablauf wird anhand eines modularen Datenstruktur für Ultraschallmessungen illustriert. 1. Einleitung Infrastrukturbauwerke wie Brücken und Tunnel sind komplexe und langlebige technische Konstruktionen. Ihr Zustand wird aus Sicherheitsgründen regelmäßig überprüft. Dabei kommen Untersuchungsverfahren aus dem Bereich der Bauwerksdiagnostik (DiaBau), die zerstörend oder zerstörungsfrei (zerstörungsfreie Prüfung, Zf P) sein können, einzeln oder kombiniert zum Einsatz. Bei einer langen Lebensdauer und vielen Prüfanlässen entsteht eine Fülle von DiaBau-Ergebnissen, die beim derzeitigen Vorgehen an unterschiedlichen Stellen ohne Zusammenhang archiviert werden. Ein Überblick wird dadurch erschwert. Deswegen wurden beispielsweise für Fernstraßenbrücken Datenbanken entwickelt, die Bauwerksdaten und Schäden erfassen, aus denen Zustandsnoten für die Bauwerke berechnet werden [1]. Beide Ansätze - DiaBau-Verfahren und Bauwerksdatenbanken - können im Sinne einer digitalen Transformation zu einem volldigitalen Arbeitsablauf vereinigt werden. Die Aufgabe besteht darin, die verschiedenen Daten eines Bauwerks zu kombinieren und zu integrieren, die Daten zu organisieren, dauerhaft zu speichern und zugänglich zu machen, die Daten zu visualisieren und zu verarbeiten und sie für Anwendungen wie Inspektionsplanung und Lebensdauervorhersage zu nutzen. Digitale Bauwerksmodelle können dabei das zentrale Element sein. Im Rahmen des Building Information Modeling (BIM) [2] können sie neben der 3D-Geometrie sowohl die Planungs als auch die Zustandsdaten der Infrastruktur über den gesamten Lebenszyklus abbilden. In der Nutzungsphase ermöglicht die Integration von Informationen aus der Bauwerksanalyse und -überwachung eine detaillierte, aktuelle Zustandsbeschreibung des Bauwerks, die als digitaler Zwilling genutzt werden kann. Der BIM-Prozess ist für diese Aufgabe gut geeignet, weil er zweckmäßig, strukturiert und etabliert ist. Dieser Beitrag analysiert den Ablauf der Bauwerksprüfung von Bauwerken insbesondere aus Sicht der Zf P. Ausgangspunkt ist das derzeitige Vorgehen, bei dem die Ergebnisse ohne festen Kontextbezug und ohne Verknüpfung mit Bauwerksdaten kommuniziert und abgelegt werden. Es wird ein Arbeitsablauf für die Integration der DiaBau-Ergebnisse in BIM-Modelle entwickelt. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Bewertungsphasen, Datentypen, Datenschnittstellen und die technische und semantische Integration gelegt. Der BIM-Prozess wird kurz vorgestellt. Es werden Anforderungen an die Datenspeicherung von BIM-Modellen aus Sicht der Bauwerksdiagnostik formuliert und die mögliche Nutzung von DiaBau-Ergebnissen angesprochen. Abschlie- 284 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Struktur und Arbeitsablauf zur Integration vonbauwerksdiagnostischen Ergebnissen in digitale Bauwerksmodelle ßend werden Schritte für weitere Aktivitäten wie Forschung, Entwicklung und Standardisierung beschrieben. 2. Derzeitiges Vorgehen Im Bauwesen werden zerstörungsfreie Untersuchungen derzeit vor allem anlassbezogen durchgeführt; Hauptanwendung ist die Untersuchung von Schäden. Die Prüfung wird meist von einem Auftraggeber im Namen des Eigentümers an einen Auftragnehmer vergeben. Bild-1 zeigt einen typischen Ablauf. Bei vielen Auftraggebern ist kein detailliertes Wissen über Ausschreibung und Einsatz von zerstörungsfreien Prüfungen vorhanden. Zur Vorbereitung benötigte Informationen wie Pläne und Randbedingungen der Messung wie Oberflächenbedingungen müssen dann mündlich erfragt werden, oft sind Vor-Ort-Termine notwendig. Bild 1: Typischer derzeitiger Arbeitsablauf bei der zerstörungsfreien Prüfung von Bauwerken Während der Messungen wird manuell ein Protokoll geführt, in dem wichtige Parameter der Messungen festgehalten werden. Oft werden ergänzend auch Fotos gemacht. Die Positionierung der Messpunkte erfolgt mit Zollstock, Maßband oder Distanzmesser und ist zeitaufwändig. Nach der Messung und Auswertung übergibt der Auftragnehmer seine DiaBau-Ergebnisse in Papierform oder elektronisch als PDF-Datei. Weitere Ergebnisse können als Tabellenkalkulation (CSV-Dateiformat) oder als Bilder (JPG-Dateiformat) hinzugefügt werden. Der Auftraggeber zieht seine eigenen Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen und leitet Folgemaßnahmen ein. Die Archivierung erfolgt unabhängig voneinander an verschiedenen Orten. Dieses Vorgehen hat eine Reihe von Nachteilen: - Messungen werden anlassbezogen und nicht vorausschauend durchgeführt. - Die meisten Schritte im Arbeitsablauf sind manuell, viele analog. - Die Umstände und Parameter der Messungen werden oft nicht berichtet. - Grafiken von DiaBau-Ergebnissen sind nicht in den Kontext des Bauwerks eingebettet. - Die Ergebnisse können nur von Menschen interpretiert werden, Informationen über die Hintergründe einer Interpretation können verloren gehen. - Die Speicherung und Archivierung erfolgt verteilt durch die einzelnen Akteure, ein langfristiger Zugriff ist nicht gewährleistet. - Es gibt keinen Überblick über bisherige Untersuchungen am Bauwerk und deren Ergebnisse. Eine Verbesserung ist die regelmäßige Prüfung von Bauwerken wie Brücken und Tunneln nach DIN 1076 [3], deren Ergebnisse in der SIB-Bauwerke-Datenbank [1] gespeichert sind. Ergebnis einer Bewertung ist die Zustandsnote des Bauwerks. Einige Firmen bieten cloudbasierte Arbeitsumgebungen zur Auswertung, Berichterstellung sowie Verwaltung und Archivierung von Messdaten und Berichten an. Diese Lösungen sind allerdings geschlossene Systeme: Sie unterstützen nur die Geräte des jeweiligen Herstellers und sind nicht interoperabel, zudem gibt es keine Schnittstellen für die Integration der Ergebnisse in digitale Bauwerksmodelle. Langfristig stellt sich die Frage nach dem Support der Daten, insbesondere wenn es um abonnementbasierte Software oder Gerätewechsel geht. 3. Building Information Modeling (BIM) Building Information Modeling (BIM) ist ein strukturierter Prozess, der Methoden und Werkzeuge für eine effiziente digitale Zusammenarbeit im Bausektor beschreibt. Er wird von der internationalen Organisation buildingS- MART im Sinne eines offenen Standards kontinuierlich weiterentwickelt (openBIM, [4]). Der Bausektor verwendet die BIM-Methodik für die modellbasierte Kommunikation bei der Bauplanung und Bauausführung und perspektivisch über den gesamten 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 285 Struktur und Arbeitsablauf zur Integration vonbauwerksdiagnostischen Ergebnissen in digitale Bauwerksmodelle Lebenszyklus eines Bauwerks. Sie ist beispielsweise in Deutschland für große öffentliche Brücken- und Tunnelbauprojekte vorgeschrieben. Zentrales Element ist das BIM-Modell, eine dreidimensionale geometrische Darstellung des Bauwerks. Hinzu kommen semantische Informationen zu Prozessen, Materialen, Mengen, usw. Derzeit wird der BIM-Prozess vor allem während der Planungs- und Bauphase verwendet, um Entscheidungen über Varianten, Kostenschätzungen, Ausschreibungen und Logistik zu treffen. Alle Informationen sind objektorientiert organisiert, d. h. jedes Bauteil ist als Objekt Teil des Objektes Bauwerk. Das Bauteilobjekt wiederum wird durch semantische Attribute wie Name, Beschreibung, Identifikationsnummer, Material, Geometrie und ggf. Prozesse beschrieben. Zur arbeitsteiligen Bearbeitung wird das BIM-Gesamtmodell häufig in Fachmodelle unterteilt. Für den Datenaustausch zwischen verschiedenen BIM-Programmen wurden die Industry Foundation Classes (IFC) als ISO-Standard definiert [5]. Bild 2: Überblick über den BIM-Arbeitsablauf von der Messung über das BIM-Modell bis zur Datennutzung Im BIM-Prozess sind für alle beteiligten Akteure Rollen und damit verbundene Gestaltungs- und Zugriffsmöglichkeiten definiert. Die Zusammenarbeit erfolgt am besten in einer gemeinsamen Datenumgebung (Common Data Environment, CDE), einem digitalen Projektraum, der alle notwendigen Daten mit unterschiedlichen Zugriffsbereichen enthält [4]. Gerade für einen automatisierten Datenaustausch ist es notwendig, die zu verwendenden Begriffe klar festzulegen. Zu diesem Zweck werden Terminologien mit Hilfe des buildingSMART Data Dictionary (bsDD) definiert [6]. Das bsDD vereinheitlicht die Begriffe ähnlich wie ein Thesaurus. Die Definitionen können hierarchisch angelegt werden und zusätzliche Bedingungen oder Parameter enthalten. Sollen DiaBau-Ergebnisse in BIM-Modelle integriert werden, ist die Interaktion der Akteure durch Prozesse und Datenanforderungen in einer Prozesskarte zu definieren. Auf Basis der Prozesskarte werden Anforderungen an die Schnittstellen für den Datenaustausch festgelegt, wie Art der Daten, Detailgenauigkeit und Zeitpunkt des Datenaustauschs. Diese Anforderungen hängen von Parametern ab, wie zum Beispiel dem Bauwerk, dem Untersuchungsziel, dem Untersuchungsgegenstand und der Untersuchungsmethode. Da diese Parameter projektspezifisch sind, werden sie im Rahmen des Projektes ausgehandelt und vertraglich zwischen den Projektpartnern in Form einer Auftraggeber-Informations-Anforderung (AIA) festgehalten (oder Information Delivery Manual (IDM) [7]). Auf Basis der AIA wird ein BIM-Abwicklungs-Plan (BAP) erstellt, der genaue Informationen über zu verwendende Softwareprogramme, -dienste und Schnittstellen enthält [2]. 4. BIM-Prozess für DiaBau-Ergebnisse Der BIM-Prozess kann auf die Verarbeitung von Dia- Bau-Ergebnissen angewendet werden. Bild-2 zeigt einen Überblick über den gesamten Prozess. Er beginnt mit den Messungen und deren Auswertungen zur Generierung der DiaBau-Ergebnisse, die in das BIM-Modell integriert werden. Die Daten im BIM-Modell können dann visualisiert und für weitere Anwendungen genutzt werden. Umgekehrt kann das BIM-Modell auch die Planung von Dia- Bau-Messungen unterstützen, und die generierten Daten aus den Anwendungen können wieder in das BIM-Modell eingespeist werden. Mit der Integration von DiaBau-Ergebnissen in die BIM- Methodik eröffnen sich neue Möglichkeiten der Kooperation, Datennutzung, Datenverwendung und Archivierung. Untersuchungsergebnisse können einem Objekt semantisch und geometrisch eindeutig zugeordnet werden und auch nach Jahren nachvollzogen werden. Der BIM-Prozess erfordert die Definition von Akteuren, um Prozesse und Daten auf deren jeweilige Bedürfnisse zuzuschneiden. Akteure in diesem Sinne sind z. B. der Prüfingenieur, der Brückeninspektor, der Bauingenieur, der Eigentümervertreter, der Bauleiter, das Wartungspersonal und der Datenbankadministrator. 286 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Struktur und Arbeitsablauf zur Integration vonbauwerksdiagnostischen Ergebnissen in digitale Bauwerksmodelle 5. Konzept eines Arbeitsablaufs zur Integration von DiaBau-Ergebnissen in BIM-Modelle 5.1 Anforderungen an die Integration von DiaBau- Ergebnissen Ausgangspunkt des Arbeitsablaufs sind die Ergebnisse der Bauwerksdiagnose, wie sie nach der Messung und Auswertung vorliegen. Über das derzeitige Verfahren hinaus haben zwei wesentliche Aspekte Einfluss auf den Arbeitsablauf: - Die DiaBau-Ergebnisse werden in digitalen Datenbanken strukturiert gespeichert, und die Datenübertragung sollte vorzugsweise automatisch erfolgen. - Die Nutzung der Daten kann verschiedenartig und derzeit nicht absehbar sein, dabei werden sich spätere Nutzer auf die Gültigkeit der Daten verlassen müssen, um sie nutzen zu können. Die Ergebnisse müssen deshalb auf nachvollziehbare Weise erstellt worden sein, vollständig und in sich abgeschlossen sein. Das bedeutet, dass die Daten alle Signale, Werte, Ergebnisse, Parameter und Dokumentationen enthalten müssen, die andere benötigen, um sie zu verstehen und mit ihnen zu arbeiten (Datenvollständigkeit). Die Qualität der Prüf- und Auswerteverfahren sollte durch den Einsatz anerkannter, validierter und dokumentierter Verfahren sichergestellt werden. Es sollte ein Maß für die Qualität der DiaBau-Ergebnisse angegeben werden, z. B. die Messgenauigkeit (Qualitätssicherung). Darüber hinaus sollte sichergestellt werden, dass die Originaldaten gegenüber ihrem ursprünglichen Zustand unverändert sind (Datenintegrität) und dass alle Ergänzungen und Änderungen der Originaldaten gekennzeichnet sind und zu den jeweiligen Autoren zurückverfolgt werden können (Rückverfolgbarkeit). Diese Schritte, die durch technische Maßnahmen unterstützt werden können, stellen sicher, dass die Ergebnisse der Bauwerksdiagnose ein eindeutiges Ergebnis liefern, das zu jedem späteren Zeitpunkt im Sinne des Prüfziels interpretiert werden kann. Ein weiterer Punkt ist der Auf bau einer durchgängigen digitalen Prozesskette im Arbeitsablauf. Während die meisten Mess- und Auswerteparameter von der Mess- Software zusammen mit den Signalen und Werten digital gespeichert werden, müssen die Protokollnotizen in ein geeignetes digitales Datenformat umgewandelt werden. Die Position der Messsensoren wird in der Regel manuell gemessen und in analoger Form dokumentiert. Hier wird die Entwicklung einer eindeutigen und genauen digitalen Protokollierung relativ zu Referenzpunkten im BIM-Modell notwendig werden. 5.2 Abstraktionsebenen von DiaBau-Ergebnissen Damit DiaBau-Ergebnisse unabhängig von Prüfern in unterschiedlichen Abstraktionsebenen genutzt werden können, sind über die Messung hinaus weitere Prozessschritte notwendig. Der folgende Vorschlag für die prinzipiellen Schritte im Arbeitsablauf (Bild-3) soll sicherstellen, dass die Ergebnisse der Bauwerksdiagnose sinnvoll in ein BIM-Modell übertragen werden können: - Messung: Durchführung nach anerkannten Verfahren mit vollständiger Dokumentation. - Auswertung: Durchführung zusätzlicher Verarbeitungsschritte wie Transformationen oder Bildgebung, um gültige Dia- Bau-Ergebnisse zu erhalten; inkl. Dokumentation. - Interpretation und Bewertung: Interpretation der DiaBau-Ergebnisse, um Schlussfolgerungen im Hinblick auf das Prüfziel zu ziehen; Benennung und Bewertung der Ergebnisse, möglicherweise unter Verwendung zusätzlicher Informationen (z. B. Interpretation einer Ultraschallanzeige als Spanngliedkanal unter Verwendung der erwarteten Tiefe, Lokalisierung eines Bewehrungsstabs und Entscheidung, dass er zu nahe an der Oberfläche liegt); inkl. Dokumentation. - Abstraktion: Erstellung unabhängiger Objekte aus den interpretierten Ergebnissen, ggf. unter Verwendung zusätzlicher Informationen. Diese Objekte werden in das BIM-Modell integriert und stellen die Ergebnisse der Bauwerksdiagnose als geometrische und semantische Teile des Bauwerks dar (z. B. Generierung von CAD-Modellen von lokalisierten Spanngliedern, externe Information ist der geplante Durchmesser); inkl. Dokumentation. Jeder dieser Arbeitsschritte muss den erwähnten Qualitätsanforderungen wie Dokumentation und Vollständigkeit entsprechen. Bild-3: 2D-Abbildungsergebnis, dessen Interpretation und Abstraktion 5.3 Datentypen und Dateiformate von DiaBau-Ergebnissen Damit die DiaBau-Ergebnisse in BIM-Modelle integriert werden können, muss eine Übersicht über die Datentypen und Datenformate erstellt werden, da für jeden Datentyp und jedes Format Integrationsmechanismen erforderlich sind. An jedem Punkt des Arbeitsablaufs führen die Dia- Bau-Techniken zu Daten und Metadaten, die klassifiziert werden können als - Werte: Numerische Messwerte, z. B. Zeitsignale, Bewehrungsdeckung, Potentialwerte, rekonstruierte Bildamplituden. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 287 Struktur und Arbeitsablauf zur Integration vonbauwerksdiagnostischen Ergebnissen in digitale Bauwerksmodelle - Grafiken: Grafiken zur Veranschaulichung der Ergebnisse, z. B. Messpunkte, Markierungen, Dickenkarten, Konturlinien, Bildgebungsergebnisse, Rissverläufe, Fotos. - Parameter: Parameter, die die Messung, das Ergebnis und die Randbedingungen beschreiben, z. B. Messeinstellungen, Namen, Daten, Bezeichnungen. - Notizen: Erläuternde Hinweise mit Verweis auf referenzierte Objekte. Werte und Grafiken können verschiedene Dimensionen haben: Punkte und Skalare (0D), Vektoren, Signale und Linien (1D), Tabellen, Grafiken und Fotos (2D) oder Volumendaten (3D). Parameter und Notizen können als numerische Werte, Zeichenketten oder Fließtext vorliegen. Die Daten können in einer Reihe von Dateiformaten gespeichert werden. Die ursprünglichen Messdaten (Rohdaten), wie sie von den Geräten gespeichert werden, liegen bisher meist in einem herstellerspezifischen Daten- und Dateiformat vor, das nicht offengelegt wird. Letztlich müssen alle Daten in digitaler Form verfügbar sein und mit standardisierten Namen versehen werden, damit sie eindeutig zugeordnet werden können. Eine Möglichkeit, die Kompatibilität von Daten und Dateiformaten zu erreichen, ist die Verwendung standardisierter Datenformate. Z. B. ist DICONDE (Digital Imaging and Communication in Non-Destructive Evaluation) [8] ein DiaBau-Datenformat, das auf dem medizinischen Datenformat DICOM basiert. Es kann DiaBau-Daten und Metadaten in einer systematischen, hierarchischen Struktur speichern. Unterschiedliche Messungen und Messverfahren können in in einer Datei enthalten sein. Das Datenformat ist erweiterbar und umfasst Maßnahmen zur Datensicherheit und -integrität. DICONDE wird bereits von einzelnen Zf P-Geräteherstellern eingesetzt. Bild 4: Transformation von DiaBau-Ergebnissen und Integration in ein BIM-Modell inkl. der Datenschnittstellen 288 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Struktur und Arbeitsablauf zur Integration vonbauwerksdiagnostischen Ergebnissen in digitale Bauwerksmodelle 5.4 Technische und semantische Integration von DiaBau-Ergebnissen in BIM-Modelle Zur technischen Integration von DiaBau-Ergebnissen in BIM-Modelle wird die standardisierte IFC-Schnittstelle mit noch zu definierenden, unterstützen Datenformaten verwendet. Werden keine standardisierten Dateiformate verwendet, müssen die Daten und Parameter in bekannte Formate konvertiert werden. Derzeit bietet der IFC- Standard allerdings keine Mechanismen für die Integration von DiaBau-Ergebnissen. Da eine Erweiterung des IFC-Standards zwar möglich, aber zeitaufwändig ist, bietet sich die Verwendung bereits definierter IFC-Enti täten wie IfcPropertySet an. Größere Datensätze können über Dateiverknüpfungen eingebunden werden. Im zweiten Schritt geht es darum, die Semantik der Dia- Bau-Daten in das BIM-Modell zu integrieren. Da sowohl Daten als auch Parameter von DiaBau-Ergebnissen und BIM-Modellen formale Systeme darstellen, nennen wir diesen Prozess eine Transformation (Bild-4). Die Umwandlung erfolgt in zwei Phasen: - Daten-Transformation: Konvertierung von Daten, wenn erforderlich, z. B. Konvertierung von Messkoordinatensystemen in Koordinatensysteme der BIM-Modelle, Konvertierung von Einheiten, Datenstrukturen und Dateiformaten. Die Konvertierungsregeln werden als bekannt vorausgesetzt oder in beigefügten Parametern definiert. - Metadaten-Transformation: Umwandlung der Bedeutung von DiaBau-Parametern und -Ergebnissen in die semantische Struktur des BIM-Modells, z. B. Übersetzung von Parameternamen und Umwandlung von Parametersätzen in eine hierarchische BIM-Struktur. Die DiaBau-Parameter werden wie im bsDD definiert auf BIM-Parameter abgebildet. Zu diesem Zweck muss ein IDM für DiaBau-Aspekte entwickelt werden, um Prozesse, Datenaustausch und benötigte Daten zu definieren. Darüber hinaus muss eine Domäne in der bsDD geschaffen werden, die Namenskonventionen und das verwendete Vokabular umfasst. Diese bsDD-Domäne wird eine Art Wörterbuch sein, das das Wissen über die verwendeten DiaBau-Begriffe enthält. Sie kann zu einer Ontologie erweitert werden [9]. Diese Definitionen brauchen nur einmal entwickelt zu werden und können schrittweise erweitert werden. Mit Hilfe der bsDD-Domäne können die DiaBau-Daten und -Metadaten der Parameterstruktur des BIM-Modells richtig zugeordnet werden. Zusätzlich können auf dieser Basis Verifikationsregeln implementiert werden, um die Transformation neuer DiaBau-Ergebnisse automatisiert auf Vollständigkeit und Konsistenz zu prüfen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Daten und Metadaten alle Signale, Werte, Ergebnisse, Parameter und Dokumentationen enthalten, so dass ein Benutzer des BIM-Modells, der auch eine Software sein kann, sie verstehen und damit arbeiten kann. 5.5 Datenstruktur am Beispiel Ultraschall Zur konkreten Implementierung der Integration in BIM- Modelle müssen alle Ergebnisdaten aus der Bauwerksdiagnose - für zerstörende und zerstörungsfreie Prüfverfahren - systematisch erfasst und strukturiert werden. Dazu wird eine modulare Struktur mit teilweise hierarchischem Auf bau vorgeschlagen. Je Verfahren wird eine Teilmenge der Module verwendet. Es gibt gemeinsame, obligatorische und optionale Module. In diesen Modulen sind die dazugehörigen Daten, also Werte, Parameter, Grafiken und Notizen, zusammengefasst. Auch hier sind notwendige, optionale und zusätzliche Daten vorsehen. Zusätzliche Daten werden vom Anwender frei hinzugefügt und in der weiteren Verarbeitung mitgeführt. Bild-5 zeigt als Beispiel die Modulstruktur für das Ultraschallverfahren mit einigen typischen in den Modulen enthaltenen Daten. Bild-5: -Modulare Datenstruktur für das Ultraschallverfahren mit typischen Daten 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 289 Struktur und Arbeitsablauf zur Integration vonbauwerksdiagnostischen Ergebnissen in digitale Bauwerksmodelle Je nach Verfahren werden einige der Daten automatisiert z. B. aus Messgeräten und Auswerteprogrammen übernommen werden können, anderen müssen derzeit manuell z. B. über Eingabemasken eingegeben werden. In jedem Arbeitsschritt Messung, Auswertung und Interpretation ist eine Qualitätssicherung vorgesehen. Die Daten dazu stammen bei der Messung durch Vorgaben (Qualifizierung Prüfer, dokumentierte und validierte Prüfvorschriften) und Vorwissen (Messungenauigkeit), bei den weiteren Arbeitsschritten durch direkte Angaben der Bearbeiter. Dieselbe Datenstruktur wird zur Eingabe der Daten bei Messung und Auswertung sowie zum Datenabruf bei Nutzung der Daten verwendet. Zur Nutzung wird sie als Datenbank implementiert. 5.6 Datenspeicherung von BIM-Modellen Die Daten eines BIM-Modells werden in einer Datenbank gespeichert. Eigentum und Speicherort solcher Datenbanken sind festzulegen, sie können z. B. beim Bauwerkseigentümer oder einem beauftragten Dienstleister angesiedelt sein. Die IFC- und weitere Schnittstellen und Datenformate sollten standardisiert und gut dokumentiert sein. Weitere wichtige Anforderungen sind Zugang, Verfügbarkeit, Datenhoheit, Datensicherheit und Skalierbarkeit. In einer gemeinsamen Datenumgebung (Common Data Environment, CDE) werden Bauwerksinformationen und DiaBau-Daten kombiniert und verschiedenen Nutzergruppen auf spezifische Weise bereitgestellt. 5.7 Nutzung von DiaBau-Daten aus BIM-Modellen Während der Nutzungsphase eines Bauwerks besteht die wesentliche Aufgabe des BIM-Modells darin, eine Zustandsbewertung des Bauwerks aufzunehmen und bereitzustellen. Einige mögliche Anwendungen sind: - Virtual bzw. Augmented-Reality-Visualisierung [10] von BIM-Modell und Modelldaten - Überlagerung mehrerer DiaBau-Ergebnisse in realer 3D-Geometrie ([11], [12]) - Abrufen, Bearbeiten, Aktualisieren und Hinzufügen von Daten vor Ort - Zustandsbewertung, die zu Zustandsnoten des Bauwerks oder seiner Bauteile führt - Vorwarnung bei hoher Belastung oder Versagen - Planung und Unterstützung von Instandhaltung und zerstörungsfreien Prüfungen - Fehlererkennung, Überwachung von zeitlichen Veränderungen - Belastungssimulation, statische Neuberechnung - Vorhersage der Restlebensdauer Angereicherte Ergebnisse können wieder in das BIM- Modell eingespeist werden, um die Daten zu verbessern. Ähnlich wie bei der Integration von DiaBau-Ergebnissen in Bild 4 müssen auch bei deren Extraktion die Ausgabe und Dateiformate berücksichtigt werden. Der Weg aus dem BIM-Modell heraus ist einfacher, da das BIM- Datenmodell konsistent und gut dokumentiert ist. Dadurch wird auch eine semantische Interoperabilität zur automatisierten Interpretation der Daten ermöglicht. 6. Zusammenfassung und Ausblick Der BIM-Prozess hat das Potenzial, Zustandsdaten von Infrastrukturbauwerken über ihren gesamten Lebenszyklus abzubilden. Im Beitrag wurde eine strukturierte Sicht auf die Integration von DiaBau-Ergebnissen in digitale BIM-Modelle entwickelt, wobei der Schwerpunkt auf Bewertungsebenen, Datentypen, Datenschnittstellen und der technischen und semantischen Integration lag. Darauf basierend wurde ein Arbeitsablauf für die Integration von DiaBau-Ergebnissen in BIM-Modelle abgeleitet. Eine wichtige Anforderung dabei ist, die Ergebnisse der Bauwerksdiagnose so aufzubereiten, dass sie jederzeit eindeutig im Sinne des Prüfziels interpretiert werden können. Für die Umsetzung der Integration sind die folgenden Aktivitäten, Forschungs- und Entwicklungsschritte notwendig: - Konsequente Anwendung von validierten DiaBau-Verfahren und Bewertungsmethoden, Entwicklung von Prüfanweisungen. - Digitalisierung der Positionserfassung der Messsensoren. - Etablierung eines anerkannten Arbeitsablaufs für die Integration von DiaBau-Ergebnissen in digitale Bauwerksmodelle inkl. Qualitätssicherung. - Harmonisierung und Standardisierung von DiaBau- Daten und -Parametern sowie Datenschnittstellen, Verwendung von standardisierten Datenformaten, wo möglich. - Entwicklung einer bsDD, die die Umwandlung der DiaBau-Metadaten in BIM-Modelle unterstützt und validiert. - Ausbildung und Schulung zu den DiaBau-Verfahren. Zf P-Fachgesellschaften und -Ausschüsse können und sollten zur Harmonisierung und Standardisierung der genannten Schritte beitragen. Das Ziel ist eine automatisierte digitale Transformation des gesamten DiaBau-Arbeitsablaufes. Unter Verwendung aller Diagnosemethoden - klassische Strukturbewertung, zerstörungsfreie Prüfung sowie Monitoring - kann das Ziel erreicht werden, digitale Zwillinge für Infrastrukturbauwerke zu erstellen, die alle notwendigen Informationen liefern, um den Zustand des Bauwerks jederzeit beurteilen zu können. Danksagung Teile der Arbeiten für diesen Beitrag wurden vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) durch das Projekt „Integration und Bereitstellung von SI-Daten zur Bestandsbewertung von Infrastrukturbauwerken im BIM-Prozess (openSIM)“ im Rahmen der Innovationsinitiative mFUND (Förderlinie 2) unterstützt (FKZ 19F2217D). 290 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Struktur und Arbeitsablauf zur Integration vonbauwerksdiagnostischen Ergebnissen in digitale Bauwerksmodelle Literatur [1] SIB Bauwerke 1.9: https: / / sib-bauwerke.de, letzter Zugriff am 13.04.2023. [2] Borrmann, A.; König, M.; Koch, C.; Beetz, J. (Eds.): Building Information Modeling: Technology Foundations and Industry Practice. Cham: Springer, 2 nd ed, 2018. [3] DIN 1076: 1999-11: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. [4] openBIM: https: / / www.buildingsmart.org/ about/ openbim, letzter Zugriff am 17.04.2023. [5] ISO 16739-1: 2018: Industry Foundation Classes (IFC) for Data Sharing in the Construction and Facility Management Industries - Part 1: Data Schema. [6] buildingSMART Data Dictionary: https: / / www.buildingsmart.org/ users/ services/ buildingsmart-data-dictionary, letzter Zugriff am 13.04.2023. [7] BuildingSMART International Ltd.: Information Delivery Manual (IDM). https: / / technical.buildingsmart.org/ standards/ information-delivery-manual, letzter Zugriff am 13.04.2023. [8] ASTM E3169: 2018: Standard Guide for Digital Imaging and Communication in Nondestructive Evaluation (DICONDE). [9] ISO/ IEC 21838-2: 2021: Information technology - Top-level ontologies (TLO) - Part 2: Basic Formal Ontology (BFO). [10] Schickert, M; Lai, J.; Artus, M.; Kremp, F.: Integration und Visualisierung von Zustands-daten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen. In: Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur, Esslingen, 29.-30.06.2021, S. 381-389. [11] Tan, C.S.: Digitale Erfassung von Parkbauten und die Nutzungsmöglichkeiten. IFSB GmbH, Firmenpublikation, 2022. [12] Ullerich, C.; Wenner, M.; Herbrand, M.: smart- BRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings. In: Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur, Esslingen, 29.-30.06.2021, S. 237-245. Anhang 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 293 Programmausschuss Der Programmausschuss für den Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur setzt sich aus anerkannten Experten aus Forschung und Entwicklung, Industrie und Praxis zusammen. Zu seinen Aufgaben gehören die Formulierung der Zielsetzung und Festlegung der Themenschwerpunkte der Fachtagung, die Begutachtung und Auswahl der eingereichten Vortragsvorschläge für das Tagungsprogramm sowie die fachliche Beratung des Veranstalters. Vorsitzender DirProf. Dr.-Ing. Jürgen Krieger Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach Mitglieder Dipl.-Ing. Nina Baden-Wassmann Schüßler-Plan GmbH, Düsseldorf Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Technische Universität Berlin Prof. Dr.-Ing. Christian Glock Technische Universität Kaiserslautern Prof. Alexander Hofmann HOCHTIEF PPP Transport Westeuropa GmbH, Essen Dr. Thomas Kopfstedt Knowtion GmbH, Karlsruhe Sonja Nieborowski, M. Sc. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach Prof. Dr. rer. nat. Ernst Niederleithinger Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Dipl.-Ing. (FH) Martin Seitner, M. Sc. Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten Sarah Windmann, M. Sc. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 295 Autorenverzeichnis A Akkermann, Jan 183 Alqasem, Yasser Alshaban 239 Antony, Christoph 273 Artus, Mathias 283 B Bartnitzek, Jens 165 Bartsch, Adrian 225 Bednorz, Jennifer 107 Block, Marlena 247 Blumenfeld, Tim 41, 209 Bodenko, Anna 173 Braml, Thomas 71 Braun, Jan-Derrick 251 Buttgereit, Alexander 57, 147 C Çelik, Firdes 247, 251 D Degenhardt, Kay 31 Diederich, Holger 107 Diersch, Norman 71 Döllner, Jürgen 107 E Embers, Stephan 251 F Faltin, Benedikt 251 Fazelly, Wahid 165 Feix, Jürgen 83 Fischer, Moritz 83 Fritsch, Christina 261 G Grimsehl-Schmitz, Winona 159 Grosanic, Slavica 21 Gruber, Lukas 273 Grubinger, Stefan S. 273 Gunjic, Djordje 83 H Hackel, Tina 261 Hajdin, Rade 41, 93, 107, 209 Hamm, Jürgen 71 Häuserer, Michael 71 Heinrich, Jens 239 Henke, Sascha 179 Herbers, Patrick 247, 251 Herbrand, Martin 217 Hilbricht, Iris 71 Hildebrand, Justus 107 Hindersmann, Iris 63 Hohberg, Jörg-Martin 139 Holst, Ralph 251 J Jimenez, Simon 273 K Kaplan, Felix 63 Kemper, Nikolaus 117 Keßler, Sylvia 179 Klass, Clemens 273 Köhncke, Martin 179 Kolarec, Alen 21 König, Markus 41, 125, 247, 251 Konzilia, Julian 83 Krettek, Martin 71 Kühne, Jens 203 L Lazoglu, Alex 225 M Maibaum, Jonas 125 Mair, Dominik 83 Marsili, Francesca 179 Marx, Steffen 225 May, Ilka 197 Mayer-Kreitz, Marion 21 Mehta, Manik 283 Müller, Matthias 63, 239 Müller, Stephan 183 N Naraniecki, Hubert 225 Nieborowski, Sonja 251 O Oberhauser, Daniel 225 P Petter, Andreas 101 Probst, Rebecca 17 Q Queck, Oliver 13 R Rakić, Lazar 93, 107 Rebhan, Matthias J. 273 Reingruber, Maximilian 71 Reinhardt, Uwe 51 Renzler, Michael 83 Richter, Rico 93, 107 Romen, Norbert 71 S Schammler, David 251 Schickert, Martin 283 Schiffmann, Frank 41, 93, 147, 209 Schulz, Sebastian 107 Schüppel, Andreas 273 Seitner, Martin 17 Seitz, Fabian 71 Spannaus, Max 71 Stehr, Cornelius 57 Steinjan, Jessica 251 Stieglitz-Broll, Eva-Maria 159 Stöckner, Markus 41, 133, 147 Stöckner, Ute 133, 147 Strobl, Wolfgang 167 T Tanasić, Nikola 209 Tesic, Marko 51 Top, Berna 189 U Uminski, Volker 165 Ussmueller, Thomas 83 V Voigt, Chris 261, 283 W Wachsmann, Amina 125 Wimmer, Johannes 71 Z Zentgraf, Sven 251 Weitere Informationen und Anmeldung unter www.tae.de/ go/ bauwesen Besuchen Sie unsere Seminare, Lehrgänge und Fachtagungen. Geotechnik Verkehrswegebau und Wasserbau Konstruktiver Ingenieurbau Bautenschutz und Bausanierung Umwelt- und Gesundheitsschutz Energieeffizienz Baubetrieb und Baurecht Facility Management Ein Großteil unserer Seminare wird unterstützt durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Profitieren Sie von der ESF-Fachkursförderung und sichern Sie sich bis zu 50 % Zuschuss auf Ihre Teilnahmegebühr. Alle Infos zur Förderfähigkeit unter www.tae.de/ foerdermoeglichkeiten Bauwesen, Energieeffizienz und Umwelt Bis zu 50 % Zuschuss möglich Der Bausektor, insbesondere der Straßen- und Tiefbau, gehört zu den Wirtschaftssektoren mit einer vergleichsweise geringen Digitalisierungsquote. Traditionell geprägte Arbeitsabläufe, die Struktur der am Bau beteiligten Unternehmen und Kommunen, die Komplexität von Infrastrukturanlagen, heterogene Datenbestände sowie fehlende finanzielle und personelle Mittel sind Gründe dafür. Dadurch werden Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung nicht hinreichend genutzt. Die Digitale Transformation bietet Chancen, um diese Herausforderungen zu bewältigen und die Effizienz, Nachhaltigkeit und Sicherheit der Verkehrsinfrastruktur zu verbessern. In diesem Kontext findet der 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur an der Technischen Akademie Esslingen statt. Der Fachkongress widmet sich dem Austausch aktueller Erkenntnisse aus Wissenschaft, Industrie, Kommunen und Praxis auf dem Gebiet der Digitalen Transformation der Verkehrsinfrastruktur. Dabei werden in ca. 40 Plenar- und Fachvorträge in parallelen Sessions sowohl Potenziale und Herausforderungen digitaler Technologien aufgezeigt als auch Konzepte zur Verknüpfung von (zukünftigen) digitalen Entwicklungen mit der Verkehrsinfrastruktur präsentiert. Die Gewährleistung von Sicherheit, Dauerhaftigkeit, Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit stehen dabei im Fokus eines ganzheitlichen Lebenszyklusmanagements von Verkehrsinfrastrukturen. Themenschwerpunkte Asset Management Bauwerksdiagnostik Building Information Modeling (BIM) Digital Twin Geoinformationssysteme (GIS) Künstliche Intelligenz Monitoring Scan2BIM Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und zeigt Potenziale und Herausforderungen digitaler Technologien und präsentiert Konzepte zur Verknüpfung von (zukünftigen) digitalen Entwicklungen mit der Verkehrsinfrastruktur. Darüber hinaus werden aktuelle Anwendungen vorgestellt und ihr Nutzen im Lebenszyklus betrachtet. Die Zielgruppe Der Fachkongress richtet sich an Fach- und Führungskräfte von Ingenieurbüros, Baustoffherstellern, Bauverwaltungen, Behörden, Forschungseinrichtungen, Technologieunternehmen, Start-ups im PropTech-Bereich sowie Softwareentwickler. www.tae.de ISBN 978-3-8169-3554-4