eJournals Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur 1/1

Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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expert verlag Tübingen
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2021
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Der digitale Transformationsprozess im Unternehmen - Mehrwerte erzeugen, Menschen mitnehmen

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2021
Martin Seitner
Klaus Kunigham
Rebecca Probst
Digitalisierung steckt voller Potentiale für die Baubranche. Sie verändert Arbeits- und Herstellprozesse, hilft bei der Strukturierung von Projekten, ermöglicht ein fortschrittliches Assetmanagement und trägt zur Steigerung der Wertschöpfung bei. Sie wird unser Bauwesen nachhaltig verändern und das Ansehen und die Attraktivität der Jobs in der Branche maßgeblich steigern. Die zunehmende Digitalisierung im Bauwesen bedeutet für alle Player aber vor allem eines: Veränderung. Die Dimension dieser Veränderung – von sanfter evolutionärer Weiterentwicklung bis zum harten disruptiven Change – hängt dabei insbesondere vom Status Quo des individuellen eigenen Unternehmens ab, egal ob Behörde, Betreiber, Bauunternehmen oder Ingenieurdienstleister. Die Veränderungen beschränken sich dabei in der Regel keineswegs nur auf die unmittelbare Umsetzung von Bauprojekten, sondern können weit in die grundlegende Identität und Kultur von Unternehmen eingreifen. Digitalisierung betrifft alle Stakeholder des Bauwesens. Veränderungen aufgrund der digitalen Transformation sollten daher fester Bestandteil der strategischen und kulturellen Ausrichtung einer Organisation sein.
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1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 17 Der digitale Transformationsprozess im Unternehmen - Mehrwerte erzeugen, Menschen mitnehmen Digitalisierung ist nicht nur eine Frage der Technologie Dipl.-Ing. (FH) Martin Seitner, M.Sc. Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten, Deutschland Dipl.-Ing. (BA), Dipl. Sportwiss. Klaus Kunigham Kunigham Beratung & Training, Opfenbach, Deutschland Dipl.-Ing. (FH) Rebecca Probst MBA & Eng. Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten, Deutschland Digitalisierung steckt voller Potentiale für die Baubranche. Sie verändert Arbeits- und Herstellprozesse, hilft bei der Strukturierung von Projekten, ermöglicht ein fortschrittliches Assetmanagement und trägt zur Steigerung der Wertschöpfung bei. Sie wird unser Bauwesen nachhaltig verändern und das Ansehen und die Attraktivität der Jobs in der Branche maßgeblich steigern. Die zunehmende Digitalisierung im Bauwesen bedeutet für alle Player aber vor allem eines: Veränderung. Die Dimension dieser Veränderung - von sanfter evolutionärer Weiterentwicklung bis zum harten disruptiven Change - hängt dabei insbesondere vom Status Quo des individuellen eigenen Unternehmens ab, egal ob Behörde, Betreiber, Bauunternehmen oder Ingenieurdienstleister. Die Veränderungen beschränken sich dabei in der Regel keineswegs nur auf die unmittelbare Umsetzung von Bauprojekten, sondern können weit in die grundlegende Identität und Kultur von Unternehmen eingreifen. Digitalisierung betrifft alle Stakeholder des Bauwesens. Veränderungen aufgrund der digitalen Transformation sollten daher fester Bestandteil der strategischen und kulturellen Ausrichtung einer Organisation sein. Big Data, Sensorik, Robotik, Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz - Wenn man sich mit dem Megatrend Digitalisierung befasst, wird man zwangsläufig mit Begriffen wie diesen konfrontiert. Die Aufzählung kann fortgeführt werden mit im Bauwesen mittlerweile etablierten Akronymen wie BIM, CDE, VR/ AR, EMS. All diese Begriffe eint, dass sie vordergründig technologisch geprägt sind. Es verwundert daher nicht, dass zunächst die Technologien Gegenstand der ersten Überlegungen sind, wenn man sich mit der Frage befasst, welche Rolle Digitalisierung für den eigenen Verantwortungsbereich haben kann, welche Veränderungen erforderlich sind und welche Maßnahmen vorbereitet und umgesetzt werden sollten. Tatsächlich stellen technologische Fragestellungen einen zentralen und wichtigen Teil im Digitalisierungsprozess dar. Wenn durch digitale Veränderungsprozesse aber wirklicher Mehrwert, wirklich nachhaltige Verbesserung erreicht werden soll, empfehlen sich ganzheitliche Betrachtungen, die weit über Fragen nach Hard- und Software hinausgehen. Wie verändern sich meine Organisationsstrukturen und die damit verbundenen Kommunikationswege? Welche unternehmenskulturellen Auswirkungen gehen mit dem digitalen Wandel einher? Und wie wirkt sich Digitalisierung auf Arbeitsprozesse und Werkzeuge aus? Selbst eine grundlegende, substanzielle Veränderung des eigenen Geschäftsmodells kann die Folge des digitalen Wandels sein. Gestaltung des Transformationsprozesses in Organisationen Digitalisierung hat viele Gesichter und Definitionen. Weder leben wir heute in einer noch völlig analogen Arbeitswelt, noch sind wir vollständig und allumfassend in einer Bauwelt 4.0 angekommen. In großen und kleinen Schritten wird auch im Bauwesen die Digitalisierungsidee vorangetrieben. Die Spreizung im Entwicklungsstand der einzelnen Unternehmen und Organisationen im Bauwesen wird dabei zunehmend größer. Während für die einen Cloud Computing und Robotik, der Einsatz von KI oder die Anwendung von AR-Anwendungen schon heute zum Tagesgeschäft gehört, hängt die Weiterentwicklung bei anderen an maroder IT-Infrastruktur oder an einem abhanden gekommenen Unternehmer- und Pioniergeist in den Entscheidungsebenen. Viele Unternehmen und Behörden befinden sich gemessen an den heutigen Der digitale Transformationsprozess im Unternehmen - Mehrwerte erzeugen, Menschen mitnehmen 18 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Möglichkeiten noch am Anfang der eigenen digitalen Entwicklung. Um sich der individuellen Vision einer digitalen Zukunft nach und nach anzunähern, müssen die anstehenden Veränderungen geplant und durchgeführt werden. Weiterentwicklungen und Verbesserungen in der Technik, aber auch in den Prozess- und Ordnungsmustern von Organisationen sind damit unumgänglich. Mit Blick auf Ihr Unternehmen, Ihr Referat, Ihre Abteilung oder Ihren Fachbereich, stellt sich nun die Frage, wie Sie erfolgreich an den Transformationsprozess herangehen können. Wenn in Ihrer Organisation kontinuierliche Weiterentwicklungen unter relativ stabilen Randbedingungen stattfinden, sprechen wir von Veränderungen I. Ordnung. Das bedeutet, wenn die grundsätzlichen Prozess- und Ordnungsmuster einer Organisation, wie z.B. die Abläufe und Prozesse, die Interaktion von Stakeholdern oder die Kultur und Führung in einem Unternehmen klar definiert sind und durch die Veränderung nicht maßgeblich beeinflusst werden. Als Beispiel für eine derartige Weiterentwicklung kann die Änderung des Workflows für die Leistungsmeldung in Bauunternehmen von einer händischen Vorgehensweise in eine digitale angeführt werden. Eine Organisation sollte darüber hinaus auch in der Lage sein, große Veränderungen, vielleicht sogar Markt- oder Systemveränderungen und Paradigmenwechsel erfolgreich zu bewältigen. Dann sprechen wir von Veränderung II. Ordnung. Ein anschauliches Beispiel für die vorgenannten Markt- und Systemveränderungen im größeren Maßstab stellt die zunehmende Etablierung der Elektromobilität dar. Bei nahezu allen Unternehmen der Automobilindustrie hat dies zu umfassenden Veränderungen geführt, die sich in veränderten Entwicklungsprojekten, neuen Produktionslinien, neuen Anforderungen an die Mitarbeiter: innen bis hin zu einer grundlegenden Erneuerung der Unternehmensausrichtungen zeigen. Im Bauwesen werden heute zahlreiche Infrastrukturgroßprojekte unter Anwendung der BIM-Methodik in enger Verzahnung mit Geoinformationssystemen bearbeitet, was für alle direkt am Projekt Beteiligten signifikante Veränderungen mit sich bringt. Dazu zählen u.a. Veränderungen in den Datenstrukturen, den Kommunikationsformen und der Interaktion im Zusammenwirken der unterschiedlichen Projektpartner über den kompletten Projektzeitraum von der Projektvorbereitung, über Planung und Bauumsetzung, bis hin zur Abrechnung und Dokumentation. Damit gehen natürlich auch Veränderungen der Anforderungen an die Qualifikation aller Mitglieder des Projektteams einher. Diese Entwicklung markiert jedoch erst den Beginn einer Veränderung hin zu einer Bauwelt 4.0, die künftig noch stärker von der intelligenten und durchgängigen Nutzung von Daten, veränderten Baumethoden und neuen Formen des Materialeinsatzes geprägt wird und damit einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigen, ressourcenschonenden und effizienten Baumaßnahmen leisten kann. Veränderungen II. Ordnung gehen in der Regel mit einer „instabilen“ Phase in der Organisation einher, weil die Prozess- und Ordnungsmuster verändert werden und deren leitende Orientierungswirkung in der Organisation zeitweise gemindert ist. Darüber hinaus wird eine Organisation in einer solchen Phase einen spürbaren Teil ihrer Leistungsfähigkeit darauf verwenden müssen, neue Prozess- und Ordnungsmuster auszuhandeln, zu entwickeln und stabil auszubauen. Beispielsweise müssen Mitarbeiter: innen qualifiziert oder entsprechendes Knowhow aufgebaut werden. Auch persönliche, menschliche, psychologische und soziale Themen werden in solchen Veränderungsphasen selten ausbleiben. Kurz gesagt, es müssen in vielfältiger Weise Fragen gestellt, Antworten darauf gefunden und auch gegeben werden. Es empfiehlt sich daher, Veränderungen II. Ordnung mit einem geeigneten Veränderungsmanagement vorzubereiten und zu begleiten. Der digitale Transformationsprozess im Unternehmen - Mehrwerte erzeugen, Menschen mitnehmen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 19 Abbildung 1: Leistungsdelle im Prozessmusterwechsel Ob in Ihrer Organisation veränderte Anforderungen und die darauf notwendigen Anpassungen zu einer Veränderung I. oder II. Ordnung führen, hängt maßgeblich davon ab, wie groß sich der Unterschied zwischen dem „Ist“ und dem „Soll“ darstellt und wie schnell eine Veränderung erfolgen soll. Diese Analyse kann über geeignete Formate erfolgen, die sich u.a. mit dem Marktumfeld, der Arbeitsorganisation und Führungs- und Kulturthemen des Unternehmens befassen. Es geht also zuerst einmal darum aufzuzeigen, welche konkreten Veränderungsbedarfe anliegen und welche Dringlichkeit vorliegt. Zudem macht es für die Erstellung eines Veränderungskonzeptes einen erheblichen Unterschied, ob eine Organisation z.B. „mit dem Rücken zur Wand“ stehen oder ob sie Zeit, Raum und Ressourcen hat, um einen Veränderungsprozess evolutionär umzusetzen, um weiterhin neuen Anforderungen des Marktes gerecht werden zu können. Es hängt also von den konkreten Zielsetzungen und Randbedingungen ab, wie ein Veränderungskonzept und die darin beschriebenen Strategien aufzusetzen sind. Die heutigen Randbedingungen in Infrastrukturprojekten sind beispielsweise u.a. durch den BIM-Stufenplan des BMVI gekennzeichnet, der eine Umsetzung der BIM- Methode in allen Neuprojekten ab 2021 vorsieht. Sich mit digitaler Transformation im eigenen Unternehmen zu beschäftigen mutet bei Betrachtung der obigen Aspekte ziemlich anstrengend an. Die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses für Veränderungen in den Prozess- und Ordnungsmustern, die Erarbeitung eines sinnvollen, attraktiven und realistischen Zielbildes, das Aufzeigen eines plausiblen Weges, wie man mit der Organisation vom „Ist“ zum „Soll“ kommen möchte und die Nutzung der besten Methoden und Beteiligungsformate für die jeweiligen Schritte, gestützt durch ein angemessenes Changemanagement, das alles sind Herausforderungen bei einer erfolgreichen Veränderung. Und dennoch gibt es unabhängig vom einzelnen Unternehmen beste Gründe dafür, diese Anstrengung zu erbringen. Wir bauen seit Jahrzehnten in weitestgehend unveränderten Strukturen mit bestenfalls stagnierender Produktivität im Baugewerbe. Dabei sind Elemente der Digitalisierung wie Automatisierung und künstliche Intelligenz schon heute längst Bestandteil unserer zumindest privaten Lebensrealität. Digitalisierung ist keineswegs das Allheilmittel, sie gibt uns aber eine Chance, Bestehendes zu hinterfragen und weiterzuentwickeln und unser Bauwesen signifikant zu verändern. Lean Construction, Lean Design und IPD sind Ansätze, die in Verbindung mit BIM die Zusammenarbeit am Bau nachhaltig verändern können. Nicht zuletzt kann die Digitalisierung - u.a. als Grundlage für moderne, agile Arbeitsformen - ebenfalls dazu beitragen, die Attraktivität unserer Branche für junge und zu begeisternde Menschen zu steigern. Es würde uns gut tun.