Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken
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Angelika Kneidl
Sophia Simon
Maximilian Weiß
Victoria Büttner
Jimmy Abualdenien
Die Personenzahlen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr werden durch die Energie- und Verkehrswende in den nächsten Jahren zunehmen. Dies wird einen neuen Fokus auf die Sicherheit der Menschen legen. Wie wird ein Bahnhof in Zukunft optimal wirtschaftlich gebaut und genutzt, aber gleichzeitig die Sicherheit der Personen gewährleistet?
Zur Beantwortung dieser Frage haben sich die Projektbeteiligten des Großprojekts 2. Stammstrecke München der DB Netz AG mit der accu:rate GmbH, der TUM sowie dem Fachplaner SSF Ingenieure für das Forschungsprojekt BEYOND zusammengeschlossen: Um Architekten, Ingenieure und ihre Auftraggeber bei der Entscheidungsfindung in frühen Phasen der Planung bzw. Umplanung von Bahnhofsgebäuden zu unterstützen, werden Personenstromsimulationen in parametrische BIM-Modelle integriert. Diese Kombination erlaubt es, mithilfe eines Machine Learning Ansatzes, Varianten
schnell zu testen und zu prüfen. Dadurch wird es möglich, Vorhersagen von zu erwartenden Personenströmen in Entwurfsvarianten auf Knopfdruck zu erhalten und den Gebäudeentwurf frühzeitig mit geringem Aufwand anzupassen.
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1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 229 Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken Parametrische Modellierung von Infrastrukturgebäuden und deren KI-gestützte Simulation von Fahrgastströmen Dr. Angelika Kneidl, Sophia Simon accu: rate GmbH, München, Deutschland Maximilian Weiß, Victoria Büttner DB Netz AG, München, Deutschland Jimmy Abualdenien Technische Universität, München, Deutschland Zusammenfassung Die Personenzahlen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr werden durch die Energie- und Verkehrswende in den nächsten Jahren zunehmen. Dies wird einen neuen Fokus auf die Sicherheit der Menschen legen. Wie wird ein Bahnhof in Zukunft optimal wirtschaftlich gebaut und genutzt, aber gleichzeitig die Sicherheit der Personen gewährleistet? Zur Beantwortung dieser Frage haben sich die Projektbeteiligten des Großprojekts 2. Stammstrecke München der DB Netz AG mit der accu: rate GmbH, der TUM sowie dem Fachplaner SSF Ingenieure für das Forschungsprojekt BEYOND zusammengeschlossen: Um Architekten, Ingenieure und ihre Auftraggeber bei der Entscheidungsfindung in frühen Phasen der Planung bzw. Umplanung von Bahnhofsgebäuden zu unterstützen, werden Personenstromsimulationen in parametrische BIM-Modelle integriert. Diese Kombination erlaubt es, mithilfe eines Machine Learning Ansatzes, Varianten schnell zu testen und zu prüfen. Dadurch wird es möglich, Vorhersagen von zu erwartenden Personenströmen in Entwurfsvarianten auf Knopfdruck zu erhalten und den Gebäudeentwurf frühzeitig mit geringem Aufwand anzupassen. 1. Einleitung Die Stärkung der Schiene ist eines der wichtigsten Projekte für die Mobilitätswende in Deutschland, deutlich wird dies bei näherer Betrachtung der geplanten Investitionen in die zukünftige Infrastruktur [1]. Insbesondere bei Großprojekten kommt es mit traditionellen Methoden immer wieder zu Planungsfehlern. Solche Projekte sind sehr komplex und müssen vielen unterschiedlichen Anforderungen standhalten. Gleichzeitig lässt diese Arbeitsweise es aber nicht zu, dass die vielen verschiedenen Beteiligten an einem gemeinsamen Modell gleichzeitig arbeiten. Viele der Großprojekte scheitern genau an dieser Vorgehensweise: der Flughafen BER hat den Zeit- und Budgetplan auf nie dagewesene Weise gesprengt [2], bei der Elbphilharmonie wurden die ursprünglich geplanten Baukosten um mehr als das 10-fache überschritten [3], beim Grenfell Tower in London haben die Planungsfehler sogar zu 71 Toten geführt [4]. Solche massiven Fehlentscheidungen können mit Building Information Modeling (BIM) verhindert oder zumindest vermindert werden, indem eine gemeinsame Datenbasis für ein Gebäude geschaffen wird und ein Modell, an dem alle Beteiligten zusammenarbeiten. Gleichzeitig ermöglicht es auch neue, digitale Planungswerkzeuge besser in den Prozess zu integrieren, wie beispielsweise Ingenieurmethoden im Brandschutz. 2. Ingenieurtechnische Methoden: Status Quo Aufgrund der steigenden Anforderungen und der zunehmend komplexer werdenden Bauwerke kommen ingenieurtechnische Methoden immer häufiger zum Einsatz. Gerade im Sonderbau entstehen oftmals Anforderungen, die in den geltenden statischen, allgemeingehaltenen Normen und Vorgaben nicht betrachtet werden. Daher haben sich in den letzten Jahren ingenieurtechnische Verfahren zunehmend etabliert. Mithilfe dieser Verfahren kann bspw. mit schutzzielbasierten Vorgaben Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 230 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 überprüft werden, wie ein Gebäude im Brandfall sicher geräumt werden kann. Als ein ingenieurtechnisches Verfahren werden Personenstromanalysen eingesetzt; diese können entweder mikroskopischer oder makroskopischer Art sein. Die Unterschiede der Analysearten werden in [7] besprochen. Es können wichtige Erkenntnisse gewonnen werden: so kann die sichere Räumung virtuell nachgespielt und auf mögliche Engstellen untersucht werden. Räumungszeiten können ebenso wie Stauzeiten ermittelt und in Kontext gesetzt werden. Diese Größen unterstützen den Brandschutzplaner bei der Bewertung der Sicherheit und ermöglichen ihm Varianten miteinander zu vergleichen und Entscheidungen über Kompensationsmaßnahmen zu treffen Insgesamt werden Planungen resilienter und belastbarer; bei Abweichungen vom Baurecht kann die Sicherheit objektiv belegt werden. Dies kann insbesondere bei Zulassungen im Einzelfall (ZiE) oder bei „Nachweisen gleicher Sicherheit“ einen großen Vorteil bieten. Mikroskopische Personenstromsimulationen unterstützen nicht nur bei der Erstellung von Räumungskonzepten. Sie können auch den Normalfall abbilden und wichtige Erkenntnisse über den Level of Service [17] der Station oder Umsteigebeziehungen liefern. 2.1 Auf welcher rechtlichen Basis können Simulationen bewertet werden? Die Vorteile solcher Simulationen greifen jedoch nur, wenn die Ergebnisse der Simulation realitätsnah und verlässlich sind. Sie müssen valide sein. Deshalb muss die Erstellung und Durchführung von Simulationen standardisiert werden, um zu gewährleisten, dass sie prüfbar sind und damit in Genehmigungsprozessen zugelassen werden können. In den letzten Jahren wurde deshalb intensiv an der Standardisierung gearbeitet. Im Rahmen der E DIN 18009- 2 [6] werden ingenieurtechnische Verfahren im Brandschutz als anerkannte Regel der Technik gefasst, um im Sonderbau performancebasiert Nachweise zur Personensicherheit zu führen. Diese Normierung basiert auf unterschiedlichen Vorarbeiten (z.B. [7],[13]). Auf internationaler Ebene wurde Ende 2020 die ISO-20414: 2020 Fire Safety Engineering [8] veröffentlicht, die ebenfalls Anforderungen an ingenieurtechnische Verfahren beschreibt. Auch im Arbeitsschutz gibt es Fortschritte in der Anerkennung von Ingenieurmethoden bei Anwendung der ASR A2.3 [5]. Im Rahmen der Fortschreibung der Richtlinie wurde ein Gutachten erstellt, in dem die Auswirkungen von Fluchtwegbreiten auf die Räumungszeit und den Räumungsverlauf systematisch untersucht wurden [10]. Die Untersuchungen basieren u.a. auf dem Einsatz von mikroskopischen Simulationsprogrammen. In der fortgeschriebenen ASR A2.3, die voraussichtlich Mitte 2021 erscheinen wird, sollen normgerechte Simulationen auch im Arbeitsschutz zur Nachweiserstellung eingesetzt werden können. Die aktuellen Fortschritte in der Normierung zeigen in aller Deutlichkeit die Relevanz von ingenieurtechnischen Methoden. Auch sind bereits bei komplexen unterirdischen Bauten, insbesondere Bahnhöfen des ÖPNV, Simulationen für den Räumungsfall von Genehmigungsbehörden und Feuerwehr gefordert worden. 2.2 Welche Hürden bestehen beim Einsatz solcher Simulationen? Doch das Erstellen einer Simulation ist oftmals aufwändig und erfordert tiefe Fachkenntnisse, um die richtigen Parameter zu setzen und die Ergebnisse richtig zu interpretieren. Die Methode der Personenstromsimulationen hat als Grundlage eine detailgetreue Geometrie, die aktuelle Änderungen und Planstände wiedergibt. Hierzu zählt zum einen die korrekte Abbildung der Geometrie, insbesondere Fluchtwege und Fluchtwegbreiten. Genau hier liegt oftmals die Herausforderung: Simulationen werden auf Plangrundlagen durchgeführt, die keine semantischen Informationen enthalten. Diese Informationen müssen manuell vom Ersteller hinzugefügt werden bzw. interpretiert werden. Im Normalfall werden die Pläne zunächst bereinigt, bevor sie an das Simulationsprogramm übermittelt werden können. Dies hat einen Medienbruch zur Folge und führt schnell zu Fehlern und Unstimmigkeiten. Gleichzeitig fehlen aufgrund von 2D Plänen oftmals wichtige Informationen oder die Pläne enthalten widersprüchlichen Informationen, die dann zunächst mit den jeweiligen Gewerken geklärt werden müssen. Auch sind 2D Pläne nicht parametrisierbar: Kleine Änderungen an einer Stelle (bspw. die Veränderung der Bahnsteigsbreite) führen zu oftmals manuellen Anpassungen im gesamten Plan und machen so ein Testen von unterschiedlichen Varianten sehr aufwändig. Zum anderen benötigt man für die Simulation von Personenströmen genaue Daten zu der zu betrachtenden Personenzahl und Belegung. Diese sind oftmals nicht hinterlegt und müssen zusätzlich erarbeitet werden. Abbildung 1: Schematische Darstellung des Prozesses zur Erstellung einer mikroskopischen Simulation. Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 231 Aus diesen Gründen vergehen oftmals Wochen zwischen dem Entschluss, Simulationen als Nachweisverfahren einzusetzen und dem Ergebnis der Simulation. Das führt dazu, dass die Ergebnisse, wenn sie vorliegen, bereits veraltet sein können aufgrund eines aktuelleren Planstands. (siehe auch Abbildung 1). Jede Planänderung muss im schlechtesten Fall manuell nachgezogen werden, was den (wiederholten) Einsatz solcher Methoden oft unattraktiv macht. Um diesem Problem zu entgehen, werden Simulationen meist erst bei der Genehmigungsplanung erstellt. Dann aber noch Änderungen und Erkenntnisse der Simulation in die Planung einfließen zu lassen, ist kaum mehr möglich. Auch der Zugang zu den Ergebnissen ist nicht integriert: Simulationsgutachten werden beispielsweise mit einem Brandschutzkonzept zur Genehmigung eingereicht und werden nicht weiterverwendet. Dabei könnten sie auch im Betrieb großen Mehrwert bringen und als Entscheidungsgrundlage für spätere Umbaumaßnahmen herangezogen werden. Bisher bleiben sie jedoch nur eine Momentaufnahme zu dem spezifischen Planungsstand. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass zum einen der Medienbruch einen nicht unerheblichen manuellen Aufwand erzeugt, um Simulationen zu erstellen. Zum anderen können die Erkenntnisse nicht in dem Umfang genutzt werden, der erforderlich wäre, um Sicherheit und gleichzeitig Wirtschaftlichkeit zu garantieren. 3. Kosten und Aufwand: Lösung BIM? Aus Simulationen können bereits in der Planungsphase große Effizienzsteigerungen entstehen, die im Betrieb erst sichtbar werden. Der Grund, warum Simulationen beim Entwurf eines Gebäudes nicht häufiger zum Einsatz kommen, liegt vor allem darin, dass Kosten und Nutzen nicht immer im Verhältnis stehen bzw. erst später im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes wieder ausgeglichen werden. Was kann also getan werden, um a. den Medienbruch zu überwinden und die manuellen Aufwände zu reduzieren b. die Simulationen tief in den Planungsprozess zu integrieren und wiederholbar einzusetzen c. und damit sichere, nachhaltige und wirtschaftliche Planung für den gesamten Lebenszyklus zu garantieren? Die Antwort darauf lautet: Nutzung der Arbeitsmethode BIM. Diese wird in den nächsten Abschnitten näher erläutert. 3.1 Was ist BIM? BIM steht für Building Information Modelling und kommt immer häufiger in Bauplanungsprojekten zum Einsatz. In der Planung von öffentlichen Infrastrukturprojekten ist es bereits in naher Zukunft vorgeschrieben, mit dem BIM-Prozess zu planen [15]. Abweichend von dem bisherigen Planungsprozess soll hier anhand eines 3D (4D/ 5D/ xD) Modells über unterschiedliche Gewerke hinweg an einem gemeinsamen digitalen Modell geplant werden. Unterschiedliche Sichten auf das Modell ermöglichen den jeweiligen Gewerken, ihre spezifischen Informationen in das Modell einzupflegen. So entsteht auch über die Bauzeit hinaus die Grundlage für einen sogenannten digitalen Zwilling. Dieser entspricht einer digitalen Kopie des Bauwerks mit allen Details. Aus vormals 2D-Zeichnungen ohne Semantik werden so virtuelle Objekte, die mit spezifischen Eigenschaften versehen und parametrisierbar gemacht werden können. Eine Wand ist dann nicht mehr nur ein Strich im Plan, sondern wird als Wandobjekt modelliert und trägt damit Eigenschaften, wie z.B. das Material, die Feuerwiderstandskraft, die Masse etc. 3.2 Welche Lücke schließt BIM? In dem semantischen Datenmodell können beliebige Sichten für die unterschiedlichen Beteiligten einer Planung oder im Betrieb eines Gebäudes definiert werden. Damit schafft BIM eine gemeinsame Informationshaltung, die zu jedem Zeitpunkt für alle Beteiligten auf einem aktuellen und konsistenten Stand ist. Diese gemeinsame Informationshaltung erleichtert nicht nur die Zusammenarbeit während der Planung, sondern auch die Instandhaltung im späteren Betrieb, da der Medienbruch in der Übergabe zum Betrieb zukünftig wegfällt. BIM ermöglicht den Einsatz vielseitiger Analysen, unter ihnen Personenstromsimulationen. Aufgrund der objektbasierten Datenhaltung und damit vorhandene Semantik können ingenieurtechnische Verfahren und andere digitale Werkzeuge auf eine kontinuierliche Weise integriert werden. Damit können sie die Planung und den Betrieb von Gebäuden als fester Bestandteil nachhaltig unterstützen. Eine Parametrisierbarkeit der Geometrie ermöglicht zudem ein schnelles und automatisiertes Testen von Varianten. Auch Normen und Grenzwerte können direkt im System hinterlegt werden und mithilfe von Modellchecks zu jederzeit überprüft werden. Im Gegensatz zu den bisherigen 2D-Modellen können im BIM-Modell alle für die Analysen z.B. im Brandschutz benötigten Daten hinterlegt werden. Die Geometrie ist auch bei sich ändernden Planständen immer aktuell. Schon in frühen Planungsphasen können Personen- und Belegungszahlen, erste Informationen für Passagierführung, Umsteigebeziehungen, Räumungskonzepte und Fluchtwegeführungen eingepflegt und überprüft werden. Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 232 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 3.3 Wie kann BIM in den bisherigen Planungsprozess integriert werden? Der Hauptvorteil der Methode ist es, konsistente und semantische Informationen über ein Gebäude zu jedem Planungsstand bereitzuhalten. Damit dies auch in der Praxis gelingt, muss eine Standardisierung des Datenmodells stattfinden. Dazu dient der Datenstandard IFC (Industry Foundation Classes) [12], der die Elemente und Eigenschaften von digitalen Gebäudemodellen beschreibt. Der Standard wird fortlaufend von buildingSmart International weiterentwickelt, um neue Anforderungen an die Daten abzubilden. Dazu werden sog. MVDs (Model View Definitions) benötigt, die wie eine Art Schablone über das Modell gelegt werden können, um zu prüfen, ob alle benötigten relevanten Daten im Modell vorhanden sind. Um diese Daten zu definieren, müssen IDMs (Information Delivery Manuals) erarbeitet werden. Dies geschieht anhand von typischen Anwendungsfällen sowie der Untersuchung von geltenden Vorschriften, Normen und Verordnungen. Hierzu haben sich sowohl in Deutschland als auch weltweit Arbeitsgruppen geformt, die an der Erweiterung des IFC-Standards über die nächsten zwei Jahre arbeiten werden. Sie beschäftigen sich in den kommenden zwei Jahren mit der Integration von Personenstromsimulationen. Damit soll ermöglicht werden, dass die Analysen mithilfe von Simulationen in allen Planungsphasen wiederholbar durchgeführt und die Ergebnisse nachvollziehbar dokumentiert werden. Abbildung 2 zeigt schematisch, wie datenbasiert die Integration von Brandschutz in das digitale Gebäudemodell erfolgen kann. Abbildung 2: Überblick über die zukünftige Integration von Brandschutz in den BIM Planungsprozess 3.4 Erste Beispielimplementierung des Prozesses Im Rahmen zweier Forschungsprojekte ([11],[12]) wurde und wird die Integration von ingenieurtechnischen Methoden am Beispiel von Personenstromsimulationen untersucht. In einem ersten Pilotprojekt ist es gelungen, das BIM-Modell mithilfe einer beispielhaften MVD (Model View Definition) automatisiert auf fehlende Eingangsdaten für die Simulation zu überprüfen. Der Planer bekommt ein detailliertes Feedback zu den fehlenden Daten und kann diese unmittelbar im Modell nachpflegen. Eine automatisierte Schnittstelle kann das so geprüfte BIM-Modell einlesen (im Rahmen des Forschungsprojekts wurde das mikroskopische Simulationsprogramm crowd: it [16] der Fa. accu: rate verwendet) und mit nur wenigen manuellen Arbeitsschritten kann daraus eine Simulation erstellt werden. Die Ergebnisse wurden in Form von Videos im vorhandenen BIM-Modell visualisiert. Ein Überblick über den Prozess ist in Abbildung 3 dargestellt. Abbildung 3: Schematischer Überblick über die automatisierte Integration von Personenstromsimulationen in den Planungsprozess, nach Abschluss des Projekts AHEAD Abbildung 4: Schematischer Überblick über die automatisierte Integration von Personenstromsimulationen in den Planungsprozess, nach Abschluss des Projekts BEYOND Um diesen Prozess automatisiert durchführen zu können, muss eine Standardisierung der Datenmodelle stattfinden. Gerade nimmt eine Arbeitsgruppe „Occupant Movement Analysis“ bei buildingSmart International ihre Arbeit auf, um systematisch zu identifizieren, welche Daten im Standard fehlen und wie sie ergänzt werden können. Diese Arbeiten werden unter anderem von Forschungsgeldern des Nachfolgeprojekts BEYOND [12] finanziert. Ziel in BEYOND ist es auch, die Ergebnisse der Simulationen persistent zu jedem Planstand zurückzuspielen und so jederzeit verfügbar zu haben (siehe Abbildung 4). Eine tiefe Integration von Personenstromsimulationen in den Planungsprozess ermöglicht, dass Simulationen Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 233 wiederholbar ohne erhebliche Aufwände durchführbar werden. Dies in Kombination mit parametrischer Modellierung ebnet den Weg für den Einsatz von Simulationen als Datengenerator für AI. 3.5 Parametrisierte Modelle als Grundlage für AIgestützte Analysen Als Ansatz zur Entwurfsexploration während der Entwurfsphase ermöglichen parametrische Entwürfe [18] die automatische Generierung realistischer und regelkonformer Entwürfe. Das Hauptkonzept besteht darin, dass die notwendige Logik für die Kombination der verschiedenen Bauelemente mit Hilfe einer Programmiersprache, wie z. B. Python definiert und durch eine Reihe von Eingabeparametern angepasst wird. Die verschiedenen Kombinationen und die Interaktion zwischen diesen Parametern führen zu zahlreichen Entwurfsvarianten. Beispiele für bestehende Werkzeuge, die die parametrische Modellierung unterstützen, sind Dynamo [19] und Grasshopper [20], die eine direkte Integration mit Autodesk Revit [21] und Rhino3D [22] ermöglichen. Abbildung 5: Beispielhafte Parametrisierung in Dynamo Abbildung 6: Parametrisierbares Modell Abbildung 5 und Abbildung 6 zeigen ein Beispiel für ein parametrisches Dynamo-Modell, das mehrere Eingaben entgegennimmt, um automatisch gültige Designvarianten eines Bahnhofs zu generieren. Die verschiedenen Parameter werden kombiniert und an eine in Python implementierte logische Beschreibung übergeben, um automatisch ein Bahnhofsdesign zu generieren. In letzter Zeit haben künstliche Intelligenz (KI), insbesondere Deep-Learning-Modelle (DL), große Fortschritte bei verschiedenen Aufgaben, wie z. B. der Segmentierung und Generierung von Bildern, gezeigt [23]. Dementsprechend haben solche Modelle ein großes Potenzial, um bahnbrechende Leistungen bei der Vorhersage von Leistungs- und Analyseergebnisse in Echtzeit zu erzielen. Allerdings benötigen solche DL-Modelle eine enorme Datenmenge, um die Beziehung zwischen den Gebäudeinformationen (Eingabe des neuronalen Netzes) und den Simulationsergebnissen (Ausgabe des neuronalen Netzes) verstehen zu können. Eine solche Menge an Daten ist derzeit nicht vorhanden und erfordert eine Menge manueller Vorbereitungen, um für die Verwendung bereit zu sein. Hier können parametrische Modelle eine Lösung zur Überwindung dieser Einschränkung bieten. Parametrische Modelle können verschiedene Regeln kodieren, einschließlich Bauvorschriften und firmenspezifische Regelungen. Zusätzlich können parametrische Modelle die Gebäudemodelle mit „simulationsspezifischen“ Informationen anreichern, was das Erreichen eines vollständig vernetzten und reibungslosen Arbeitsablaufs für die Generierung eines ausreichend großen Datensatzes von Gebäudemodellen und ihrer entsprechenden Simulationsergebnisse erleichtern kann. Abbildung 7: Überblick über die Integration des AI-Prozess zur Variantengenerierung Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 234 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 7 veranschaulicht das vorgeschlagene Konzept zur Erzeugung des Datensatzes durch das parametrische Modell. Zunächst werden mehrere verschiedene Parametervariationen durchgeführt, wobei jede Entwurfsvariante in IFC exportiert wird. Dann werden alle IFC-Dateien automatisch simuliert, wodurch mehrere Arten von Ergebnissen, wie z. B. Evakuierungszeiten und -dichten, erzeugt werden. Im Anschluss werden diese Daten zum Trainieren eines DL(Deep Learning)-Modells verwendet, wobei die Parameter des parametrischen Modells als Eingabe und die Simulationsergebnisse als Ausgabe verwendet werden. Nachdem das DL-Modell ausreichend trainiert ist, kann es verwendet werden, um während des Entwurfsprozesses Empfehlungen in Echtzeit zu geben. Eine solche nahtlose Integration der Passagiersimulation mit BIM-Authoring-Tools hilft dabei, fundierte Designentscheidungen zu treffen, um leistungsfähigere Designs zu erzielen. 4. Ausblick Die hier vorgestellten Ansätze eröffnen in der Planungsphase und im Betrieb von infrastrukturellen Gebäuden noch nie dagewesene Möglichkeiten. Auf Basis der Methode BIM können mithilfe von parametrisierbaren Modellen und Personenstromsimulationen Deep-Learning Modelle so trainiert werden, dass auf Knopfdruck eine Vielzahl von Designvarianten untersucht und bewertet werden können. So können bereits sehr früh in der Planungsphase die optimalen und genehmigungsfähige Entwürfe erkannt werden. Die Arbeit der Planer vereinfacht sich dadurch immens und Planungsfehler können auf ein Minimum reduziert werden. BIM im gesamten Planungsprozess bietet viele Chancen für die Zukunft. Nicht nur können komplexe Sonderbauten effizient und fehlerreduziert geplant und gebaut werden, auch die Planung wird so transparent und nachvollziehbar dokumentiert. BIM entfaltet den Mehrwert über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes: Der Planungsprozess ist hierbei nur ein kleiner Teil. Gelingt es, das Datenmodell in den späteren Betrieb zu übergeben und es konsistent aktuell zu halten, führt dies zu erheblicher Kostenreduktion und höherer Sicherheit von infrastrukturellen Gebäuden. Referenzen [1] Drucksache 19/ 27459 (bundestag.de), kleine Anfrage der Grünen zur Situation der Infrastrukturplanung in Deutschland [2] https: / / www.spiegel.de/ wirtschaft/ soziales/ flughafen-berlin-brandenburg-ber-kosten-steigenauf-7-3-milliarden-euro-a-1195101.html, zugegriffen: 09.02.2021 [3] https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Elbphilharmonie, zugegriffen: 28.04.2021 [4] https: / / assets.publishing.service.gov.uk/ government/ uploads/ system/ uploads/ attachment_data/ file/ 707785/ Building_a_Safer_Future_-_web.pdf [5] Technische Regel für Arbeitsstätten - ASR A2.3: Fluchtwege und Notausgänge, Flucht- und Rettungsplan, 2014 [6] Schleich, Michael: DIN 18009 Teil 2: Räumungssimulation und Personensicherheit - Stand der Normung. In: Braunschweiger Brandschutz-Tage 2019 33. Fachtagung Brandschutz - Forschung und Praxis, 25. und 26. September 2019 - Tagungsband, Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (iBMB). Bd. 235. Braunschweig: Eigenverlag IBMB, TU Braunschweig, 2019 — ISBN 978-3- 89288-220-6 [7] „Leitfaden Ingenieurmethoden des Brandschutzes“ der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V. (vfdb), 4.Auflage 2020 [8] ISO-40214 ISO 20414: 2020 Fire safety engineering — Verification and validation protocol for building fire evacuation models [9] Kitzlinger, M., Kneidl, A. (2020): Staubewertung mithilfe von Personenstromanalysen. In: vfdb Zeitschrift für Forschung, Technik und Management im Brandschutz (01/ 2020). [10] Kneidl, A., Könnecke, R.: Fachgutachten zu Fluchtwegen in Arbeitsstätten - Einfluss von Wegbreite, Treppen, Türen und Einengungen auf die Entfluchtung. 2. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2020. [11] https: / / www.accu-rate.de/ de/ ahead-de/ , zuletzt abgerufen am 09.02.2021 [12] https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ DG/ mfund-projekte/ beyond.html, zuletzt abgerufen am 09.02.2021 [13] Richtlinie für Mikroskopische Entfluchtungsanalysen (2016), Version 3.0.0, https: / / rimeaweb.files. wordpress.com/ 2016/ 06/ rimea_richtlinie_3-0-0_- _d-e.pdf, zugegriffen: 09.02.2021 [14] https: / / www.buildingsmart.org/ standards/ bsi-standards/ industry-foundation-classes/ , zugegriffen: 09.02.2021 [15] https: / / bim4infra.de/ wp-content/ uploads/ 2018/ 02/ stufenplan-digitales-bauen.pdf [16] https: / / www.accu-rate.de/ de/ software-crowd-itde/ , zugegriffen: 09.02.2021 [17] Fruin, J. (1971). Pedestrian Planning and Design. New York: Metropolitan Association of Urban Designers and Environmental Planners [18] Oxman, Rivka. “Thinking difference: Theories and models of parametric design thinking.” Design studies 52 (2017): 4-39. Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 235 [19] https: / / www.autodesk.com/ products/ dynamo-studio/ overview [20] https: / / www.grasshopper3d.com/ [21] https: / / www.autodesk.com/ products/ revit/ overview? term=1-YEAR [22] https: / / www.rhino3d.com/ 6/ new/ grasshopper/ [23] Géron, Aurélien. Hands-on machine learning with Scikit-Learn, Keras, and TensorFlow: Concepts, tools, and techniques to build intelligent systems. O’Reilly Media, 2019.