Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0
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Birgit Guhse
Denis Feth
Das Potential von Digitalisierung besonders groß, wenn man sich weg von Insellösungen, hin zu einer übergreifenden Vernetzung der Systeme bewegt – von der Planungssoftware, bis hin zu den (Bau-)Maschinen. Kernziel des Forschungsvorhabens „Infra-Bau 4.0“ ist es daher, eine Plattform zu entwickeln, auf der alle am Bauprojekt beteiligten Partner mit ihren Systemen, Daten und Prozessen digital abgebildet und in einem Digitalen Ökosystem miteinander vernetzt werden.
Im Kern dieses Digitalen Ökosystems steht dabei das Aufnehmen, Harmonisieren und Verteilen von Planänderungen und Änderungen des Ist-Standes über alle Hierarchiestufen der Baustelle. Solche Änderungen sind in Bauprojekten an der Tagesordnung, führen aber dennoch in der Praxis immer wieder zu Problemen und Verzögerungen, da sie überwiegend manuell übermittelt und bearbeitet werden müssen. Im Vortrag geben wir Einblicke in unsere aktuellen Forschungsarbeiten, die Konzeption der Plattform, sowie unsere Anwendungsfälle.
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1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 303 Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 Dr. Birgit Guhse Drees & Sommer, Stuttgart, Deutschland Denis Feth Fraunhofer IESE, Kaiserslautern, Deutschland Zusammenfassung Das Potential von Digitalisierung besonders groß, wenn man sich weg von Insellösungen, hin zu einer übergreifenden Vernetzung der Systeme bewegt - von der Planungssoftware, bis hin zu den (Bau-)Maschinen. Kernziel des Forschungsvorhabens „Infra-Bau 4.0“ ist es daher, eine Plattform zu entwickeln, auf der alle am Bauprojekt beteiligten Partner mit ihren Systemen, Daten und Prozessen digital abgebildet und in einem Digitalen Ökosystem miteinander vernetzt werden. Im Kern dieses Digitalen Ökosystems steht dabei das Aufnehmen, Harmonisieren und Verteilen von Planänderungen und Änderungen des Ist-Standes über alle Hierarchiestufen der Baustelle. Solche Änderungen sind in Bauprojekten an der Tagesordnung, führen aber dennoch in der Praxis immer wieder zu Problemen und Verzögerungen, da sie überwiegend manuell übermittelt und bearbeitet werden müssen. Im Vortrag geben wir Einblicke in unsere aktuellen Forschungsarbeiten, die Konzeption der Plattform, sowie unsere Anwendungsfälle. 1. BIM ist nur der Anfang Infrastrukturprojekte wie Straßen- und Brückenbau sind komplexe und teure Bauvorhaben. Dabei gilt: Je komplexer das Projekt, desto anspruchsvoller wird es, die vereinbarten Termin-, Qualitäts- und Kostenziele einzuhalten. Eine Studie aus dem Jahr 2015 beziffert die durchschnittliche Kostenüberschreitung bei solchen Projekten mit 73 Prozent [1]. Ausgelöst durch den Stufenplan des BMVI ist Building Information Modeling (BIM) ein wichtiger Impuls für die deutsche Bauindustrie zur Digitalisierung des Bauwesens geworden. BIM bezeichnet eine Methode der vernetzten Zusammenarbeit, die alle relevanten Daten in einem Modell bündelt. Sie wird häufig in den Planungsphasen angewendet, allerdings kommen die Möglichkeiten, die BIM bietet, während der Baurealisierung bisher nur teilweise zum Einsatz. Eine große Herausforderung besteht aktuell immer noch in der Integration von Teilsystemen in eine zentrale Plattform. Dies betrifft z.B. die Vernetzung des erzielten Baufortschritts der Baumaschinen mit der Bauablaufplanung, die As-built-Vermessung oder auch die Bauabrechnung. Diese Daten aus unterschiedlichen Quellen und Modellen sind in der Praxis noch unzureichend verknüpft, um das volle Potenzial der BIM-Methode auszuschöpfen. Außerdem bilden sich vermehr neuartige Ökosysteme 1 auf Bauprojektebene bilden sich und bestehende Partnerschaften weiten sich aus. Dabei entsteht ein hohes Potential, aus der Vernetzung von Systemen und deren Daten Vorteile hinsichtlich der Effizienz aber auch der Qualität der Arbeit in Bezug auf Planung, Projektmanagement und Baurealisierung zu heben. Automatisierungspotentiale können erschlossen und dadurch positive Effekte für die einzelnen Firmen, aber auch die Gesellschaft erzielt werden. Während dies im Kontext von Industrie 4.0 bekannt ist, gibt es in vielen anderen Bereichen noch großen Forschungsbedarf. Dies gilt insbesondere in Ökosystemen, in denen komplexe (Re-)Planungen bzw. Umplanungen und Leistungsänderungen (z.B. Nachträge, Behinderungen und Ablaufstörungen) auf extrem volatile Umgebungskontexte treffen. Die Volatilität des Kontexts drückt sich unter anderem durch die folgenden Faktoren aus: • volatile Beteiligte im Ökosystem: Dies bedingt eine ständige Änderung der Partnersysteme im Ökosys- 1 Unter Ökosystemen verstehen wir ein System von Beteiligten und deren Maschinen und IT-Systemen die einen gemeinschaftlichen Nutzen / Dienstleistung erbringen, aber alle eigenständig mit eigener Zeitplanung agieren. Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 304 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 tem und gilt sowohl für Beteiligte in der Planung, als auch in der späteren Ausführungsumgebung. • extrem heterogene Systemlandschaft: Im Ökosystem müssen Informationssysteme, mobile Geräte, Fahrzeuge, Eingebettete Systeme mit hoher Leistungsfähigkeit (z. B. Steuergeräte, Edge Geräte / IoT Geräte mit hohen Kapazitäten wie Raspberry PIs) und eingebettete Systeme mit extrem niedrigen Kapazitäten (low power IoT) miteinander vernetzt werden. • Einfluss der Umwelt: Unvorhersehbare Faktoren wie Geologie oder das Wetter können einen starken Einfluss haben, und bedingen somit eine kontinuierliche Umplanung, d.h. Anpassung der Ablaufplanung und ggf. Änderung der Ausführungsplanung mit z.T. gravierenden Folgen für die Termin- und Kapazitätsplanung sowie Finanzplanung. Neben der Baubranche finden sich weitere Beispiele für komplexe Ökosysteme z.B. in der Landwirtschaft, der Planung von Großereignissen sowie der Mitmachlogistik in Ökosystemen der Smart Cities und Smart Rural Areas. Im Unterschied zum Anspruch an I4.0-Systeme (Losgröße 1), sind in solchen Ökosystemen zum aktuellen Stand der Forschung weder eine vollständige Standardisierung der Umgebung, eine einzelne branchenspezifische Plattform zur Orchestrierung, noch eine vollständig automatisierte Umplanung realistisch. Vielmehr muss eine abgestimmte IT-Systemlandschaft mit Entwicklungsmethodiken ergänzt werden, die eine systematisch gestufte Umplanung von Abläufen in einem sich kontinuierlich ändernden, dynamischen Umfeld ermöglichen. Eine umfassende Verknüpfung von Daten, wie wir sie hier skizziert haben, bietet - ebenso wie ein kontinuierlicher Abgleich der Planung mit der Ist-Situation - eine große Chance für Infrastrukturprojekte. Dazu muss es aber gelingen, alle Akteure und Abläufe miteinander zu vernetzen. Aus diesem Grund ist es unser Ziel ein Ökosystem auf Basis einer offenen Integrationsplattform zu entwickeln (vgl. Abbildung 1). Planungsdaten sollen verknüpft und durch umfangreiche »Bauprozessdaten« ergänzt werden, welche die aktuelle Bausituation widerspiegeln. Somit bildet unsere Plattform eine real-digitale Baustelle ab und der Baufortschritt kann zeitnah erfasst, analysiert und optimiert werden. Demnach sind Leistungswerte, Termine, Logistikflächen und Kosten sowie das Bauwerksdatenmodell stets aktuell und ermöglichen eine verlässliche Planung und flexible Umplanung - auch bei kurzfristigen Änderungen. Die Offenheit der Plattform drückt sich auch dadurch aus, dass wir explizit die Heterogenität der Toollandschaft berücksichtigen und befürworten. Weder soll unsere Plattform spezialisierte Tools ersetzen, noch zu einem Lock-In-Effekt führen, da dies dem gesamten Ökosystem schaden würde. Abbildung 1: Lösungselemente der Vernetzung und Umplanung Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 305 2. Unsere Anwendungsfälle Gerade diese komplexe IT-Systemlandschaft führt auch dazu, dass es neben den bereits digital vorhandenen bzw. digital generierten („anfallenden“) Daten auch noch einige Bereiche gibt, in denen derzeit Daten händisch erfasst werden oder auch händisch übertragen oder aktualisiert werden. Gemeinsam mit unseren insgesamt 16 Konsortialpartnern aus Industrie, Wirtschaft und Wissenschaft werden wir uns auf zwei generische Anwendungsfälle für unsere Umsetzung der Demonstratoren konzentrieren. Diese werden im Laufe dieses Jahres anhand von aktuellen „Live“-Projekten der Forschungspartnern gezeigt welche Vorteile und Synergien durch die Vernetzung entstehen können. Die Anwendungen sind daher ganz bewusst gewählt, um zu zeigen, dass nicht nur dieser spezielle einzelne Falldieses ein Projekt davon profitiert. Die Anwendungsfälle zeigen vielmehr auf, dass die von uns entwickelten und auch teilweise noch zu entwickelnde Lösungsansätze auf weitere Anwendungsfälle im Infrastrukturbau übertragbar sind. Anwendungsfall 1: Terminplan - Updates am Beispiel eines Brückenbauprojektes Anwendungsfall 2: Fachmodell-Updates im Straßenbau (Linienbauwerke) mit Geokoordination Bei beiden Anwendungsfällen steht die durchgängige Vernetzung im Vordergrund. Bei den Terminplan-Updates liegt der Fokus auf der Kopplung und beidseitigen Vernetzung zwischen Rahmen- und Detailterminplänen. Sicherlich kennt jeder die Balkenpläne, die Anfang und Ende eines Arbeitsschrittes, bzw. eines Vorgangs (z.B. Betonieren der Stützwand) auf der Baustelle angeben. In der Regel haben diese auch Verknüpfungen zu dem vorhergehenden als auch dem nachfolgenden Arbeitsschritt. Für die Koordination, Planung und Organisation auf der Baustelle ist allerdings eine weitere Detaillierung und Aufgliederung des Vorganges in einzelne Arbeitsgänge (Schalung, Bewehrung etc.) als auch der jeweils dafür benötigten Ressourcen erforderlich: Dies erfolgt dann in der Erarbeitung von Detailterminplänen. Updates und Aktualisierungen werden derzeit meist bestenfalls mündlich als informelle Rückmeldung zurückgegeben und sind nicht direkt an den Rahmenterminplan gekoppelt. Erfolgt eine Rückmeldung müssen die Aktualisierungen als auch die Auswirkungen auf alle damit verbundenen Arbeitsgänge händisch eingearbeitet werden. Durch die avisierte Vernetzung wird eine halb-automatische Aktualisierung vorgenommen. Es erfolgt nicht nur eine Meldung, dass sich hier etwas geändert hat, sondern auch der Vorschlag wie die Anpassung des Terminplanes entsprechend aussehen wird. Sollte es hier unterschiedliche Möglichkeiten geben, können wir mit Hilfe von Simulationen auch eine Entscheidungshilfe, eine Entscheidungsgrundlage nicht nur für den Bauleiter oder das Baustellenteam, sondern auch für den Bauherrn anbieten. In gleicher Weise, allerdings am Beispiel eines Erdbauprojektes, werden wir die Informationen aus der Planung (3D BIM Modell) als Grundlage, nicht nur im Sinne eines Planes sondern auch als digitale Grundlage für die 3D Einsatzplanung. Durch die intelligente Vernetzung werden die Plan-Werte zum Aushub, die Geokoordinaten als auch der Abgleich zwischen geplanten und realen zu erwartenden Aushubmenge pro Tag/ Stunde erfolgen. Sehr spannend ist hier auch die Einbindung der Daten der Baumaschinenhersteller, die auch Rückschlüsse auf Bodenqualität zulassen (durch z.B. Gewicht und Menge des angetragenen Materials, benötigte Kraft für den Aushub und die Aushubgeometrie) und damit auch einen Abgleich mit der Planung erfolgen kann. Sollten Abweichungen festgestellt werden, wird entweder eine Rückmeldung dazu erfolgen, es kann aber auch ein Vorschlag von der InfraBau4.0 Plattform geliefert werden, wie das Problem behoben werden kann oder kann auch erforderliche Änderungen automatisch durchführen und nur noch über die Änderung im System informieren. 3. Das Digitale Ökosystem „Infra-Bau 4.0“ Im gesamten Bauprozess existiert ein komplexes Geflecht verschiedener, am Bau beteiligter Behörden, Unternehmen und anderer Stakeholder. So ist es üblich, dass Unternehmen Unteraufträge an diverse Nachunternehmer vergeben, welche ihrerseits wieder Unteraufträge vergeben. Es ergibt sich daher eine Bauhierarchie, welche sich über diverse Ebenen spannen kann (vgl. Abbildung 2). Abbildung 2: Bauhierarchie und Updates Auf jeder Hierarchieebene (von der Gesamtplanung bis hin zur Umsetzungsebene) gibt es Pläne, welche die entsprechend relevanten Arbeiten umfassen. Dazu zählen Terminpläne, Logistikpläne, Bauwerksmodelle und diverse andere Pläne und Modelle. Dabei verfeinern untergeordnete Pläne die darüberliegenden Pläne. Je nach Art und Rolle des Bauunternehmens können innerhalb eines Unternehmens Pläne für mehrere Detailstufen existieren. Pläne unterschiedlicher Hierarchieebenen liegen in der Verantwortung verschiedener Rollen (z.B. Generalunternehmer, Bauleiter, Polier) und werden mit unterschied- Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 306 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 lichen, auf diese Aufgabe spezialisierten Werkzeugen bearbeitet. Auf dieser Ausgangslage und auf Basis unserer Anforderungserhebung wurden die folgenden zwei Kern-Probleme identifizieren, die einer digitalisierten und vernetzten Bauausführung aktuell im Wege stehen: • Eine große Anzahl an Systemen, fehlende Standards und proprietäre Datenformate führen dazu, dass es immer wieder zu Medienbrüchen kommt und/ oder Informationen nicht vollständig weitergegeben werden. Die Integration zwischen verschiedenen Firmen, Werkzeugen und Plänen ist daher derzeit sehr lückenhaft anzusehen. • Während die Planung durch BIM inzwischen in großen Teilen digital durchgeführt wird, werden Änderungen am Bau häufig nicht digital kommuniziert und verarbeitet. Planänderungen werden per Telefon weitergegeben, Pläne ausgedruckt. Problemen bei der Bauausführung werden schlecht dokumentiert und nur stark zeitverzögert weitergemeldet. Zusammengefasst werden Änderungen am Bau nicht, stark zeitverzögert oder ausschließlich analog nachgeführt. Infra-Bau 4.0 soll daher als zentraler Datenbroker für Plan- und Ist-Stand-Updates in Bauvorhaben dienen (vgl. Abbildung 3). Der Kerndienst nimmt dabei Planänderungen sowie Änderungen des Ist-Stands auf, harmonisiert sie und verteilt die Updates an die entsprechenden Werkzeuginstanzen, die bei den Ökosystemteilnehmern auf der jeweilig relevanten Hierarchieebene im Einsatz sind. Zielsetzung ist die möglichst schnelle und reibungslose Reaktion auf und Weitergabe von Updates um die Baustelle möglichst reibungsfrei am Laufen zu halten. Dabei gibt es zwei Arten von Updates: • Plan-Updates: Betreffen Änderungen der Planung und werden von oben an die nächsttiefere Hierarchiestufe propagiert. • Ist-Updates: Betreffen Änderungen auf der Baustelle, beziehungsweise der Bauausführung und werden von unten an die nächsthöhere Hierarchiestufe propagiert, sofern eine Lösung auf der gleichen Hierarchieebene nicht möglich ist. Rund um die Plattform und deren Kerndienst bildet sich ein Ökosystem, an welchem der Ökosysteminitiator, verschiedene Toolhersteller 2 und eine Vielzahl von Ökosystemteilnehmern (in unserem Fall die Bauunternehmen) beteiligt sind. Dabei sind substanziell mehr Bauunternehmen als Toolhersteller beteiligt, da jeder Toolhersteller natürlich eine Vielzahl an Kunden bedient. Umgekehrt nutzt ein Bauunternehmen stets mehr als ein Werkzeug, da diese häufig maßgeschneidert für einen bestimmten Zweck sind (z.B. Terminplanung). Des Weiteren kann auch der Bauherr (optional) am Ökosystem beteiligt sein. Im Sinne der intendierten Offenheit der Plattform ist es uns dabei wichtig, dass die Plattform in keiner Konkurrenzsituation mit bereits existierenden Werkzeugen steht und die Teilnehmer ihre Werkzeuge frei wählen können, also insbesondere auch nicht gezwungen werden zu einem anderen / bestimmten Werkzeug zu wechseln. Um möglichst vielen Teilnehmern den Zugang zu unserem Ökosystem zu ermöglichen und um bei Bedarf möglichst schnell auf Änderungen reagieren zu können, müssen die Einstiegshürden - insbesondere für die Baufirmen - möglichst gering sein. Dazu werden Konzepte, Prozesse und Materialien erstellt welche das Onboarding von Tool-Herstellern und Baufirmen so einfach wie möglich gestalten. Das Onboarding soll herbei vorwiegend (semi-)automatisch und hilfsweise manuell stattfinden, wobei in organisatorisches Onboarding (z.B. Abwicklung vertragliche Regelungen) und in technisches Onboarding (z.B. Anbindung der Tools, Durchführen von Sicherheitsüberprüfungen) unterschieden wird. 2 Unter Toolherstellern verstehen wir die Hersteller digitaler Produkte für die Bauwirtschaft (z.B. Planungsanwendungen) und nicht die Hersteller von klassischen Werkzeugen (z.B. Bohrmaschinen). Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 307 Abbildung 3: Digitales Ökosystem „Infra-Bau 4.0“ Die Vernetzung von Firmen, Systemen und Maschinen führt dazu, dass Daten schneller und in größerer Menge vorliegen. Wir nutzen diese Daten für eine algorithmenbasierte Entscheidungsunterstützung in den Tools, basierend auf Simulationen und Prognosen. Dazu kommen auch Digitale Zwillinge von Baumaschinen zum Einsatz. Eine solche algorithmenbasierte Entscheidungsunterstützung Nutzung der Daten funktioniert natürlich nur dann zuverlässig, wenn diese durchgängig eine entsprechende Datenqualität aufweisen. Je nach Anwendungsfall muss daher eine gewisse Aktualität, Genauigkeit oder Granularität der Daten sichergestellt werden. Ebenso müssen die Sicherheit der Daten und die Datensouveränität der Teilnehmer gewahrt werden. Schlussendlich ist der Knackpunkt für jedes Digitale Ökosystem der, dass jeder Teilnehmer sich einen - in der Regel wirtschaftlichen - Nutzen verspricht. Entsprechend müssen Geschäfts- und Ertragsmodelle sowie die Wertschöpfung im Ökosystem aufeinander abgestimmt sein. In der Art wie Bauprojekte heute durchgeführt werden sehen insbesondere die ausführenden Unternehmen wenig Nutzen und Anreiz an einer durchgängigen Digitalisierung teilzunehmen. In diesem Zusammenhang das britische Zielpreismodell im Kontext des Vertragsregelwerkes »New Engineering Contract« in 4. Version (NEC4) hervorzuheben, welches sich auch im BMVI-Endbericht der »Reformkomission Bau und Großprojekten« [2] wiederfindet. Basierend auf der Idee des Zielpreisvertrages wurde die Kernidee des InfraBau- Anreizsystems ausgearbeitet, die den Soll-/ Ist-Kosten- Mechanismus nutzt und dieses u.a. mit der Reporting- Leistung teilnehmender Bauprojektpartner kombiniert, sodass die Updatequalität ausgetauschter Soll- und Ist- Daten über der InfraBau-Plattform als zusätzlicher Verteilerschlüssel für Belohnungen oder Bestrafungen nicht vertraglich eingehaltener Verpflichtungen verwendet werden kann. 4. Fazit Bei großen Infrastrukturprojekten sind viele unterschiedliche Firmen beteiligt. Sie bilden ein zeitlich begrenztes, dynamisches und komplexes Ökosystem. Durch die Realisierung der bereits angesprochenen Bausteine und insbesondere der Möglichkeit sowohl der Informationsbereitstellung als auch der Informationsnutzung als Teil des Ökosystems soll ein Nutzen für die heterogenen und im Zeitverlauf veränderlichen Beteiligten im Bauökosystem geschaffen werden. Für den Bauherrn ergeben sich in erster Linie Vorteile im Hinblick auf die höhere Terminsicherheit, die durch ein verbessertes Monitoring und Controlling des Baufortschritts erreicht wird. Durch eine effizientere Gestaltung und Organisation der Bauprozesse mit Methoden aus dem Lean Management können Zeit- und Kostenvorteile gehoben sowie negative Einflüsse auf die Umwelt verringert werden. Daneben können auch die regelmäßig während des Baus aufkommenden Änderungswünsche durch den Auftraggeber aufgrund der klaren Erkennbarkeit der Prozesswechselwirkungen wesentlich leichter berücksichtigt werden. Für die Planer ergibt sich daraus eine bessere Kontrolle des Baufortschritts. Bei auftretenden Planabweichungen können mittels manueller, teil-automatisierter oder vollautomatischer Korrekturen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, die durch die automatisierte Dokumentation eine gute Rückverfolgbarkeit und auch Folgenutzung der Baudaten ermöglichen. Sachverständige wie Statiker und Spezialplaner, wie etwa zur Kran-Einsatzplanung, können benötigte Daten über einen Zugang zur Plattform beziehen und ihre Ergebnisse Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 308 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 einspeisen. Auch Zulieferfirmen und Subunternehmern profitieren von der leichten Anbindung an die Plattform ohne Expertenwissen, und erhalten Zugang zu allen für Sie relevanten Daten in übersichtlicher Form. Dies ermöglicht eine verbesserte Maschinenauslastung und bietet Vorteile durch eine vereinfachte Dokumentation und Abrechnung. Durch die Konzeption der obigen Komponenten erwarten sich die in diesem Konsortium vereinigten Evaluationspartner, dass beispielsweise folgende, typische Situationen nicht mehr auftreten bzw. mit erheblich geringerer Komplexität gehandhabt werden können: Anlieferung von nicht getesteten bzw. nicht zertifizierten Materialien und Bauteilen; Lieferung von abweichenden Mengen (zu viel oder zu wenig); Verzögerungen durch äußere Einflüsse (Umwelt), die nicht zeitnah in den Bauablauf einfließen; durch verschobene Lieferzeiten von Leitgeräten (z. B. Kran) ergeben sich Verzögerungen, die sich dann in alle weiteren Gewerke fortsetzen; durch Einbau von falschem Material große Schäden bei den Bauwerken (vgl. aktuell Rheinquerung Leverkusen im Zuge der BAB 1), die dann sehr zeit- und kostenaufwändig wieder behoben werden müssen. Oft auch noch Jahre nach der Fertigstellung; Probleme in der Dokumentation, da Unterlagen (z. B. Wiegescheine, Zertifikate) und damit Abrechnungsgrundlagen fehlen. Neben den bauseitig zu erwartenden Verbesserungen ist eine bessere Dokumentation als auch Verfügbarkeit und Transparenz der Informationen, des Bauzeitenplans sowie der Kostenentwicklung zu erwarten. Diese Informationen sind nicht nur essenziell für den Bauherren, sondern auch für die Öffentlichkeitsarbeit und die zeitnahe und fundierte Information der Bürgerinnen und Bürger erforderlich. Literatur [1] Kostka, G. & Anzinger, N. (2015): Large Infrastructure Projects in Germany - Between Ambition and Realities. Studie der Hertie School of Governance unterstützt von der Karl Schlecht Stiftung (KSG). [2] Püstow, M., May, I. & Peitsch D. (2015). Reformkommission Bau von Großprojekten. Komplexität beherrschen - kostengerecht, termintreu und effizient (Endbericht). Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). https: / / www. bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ G/ reformkommission-bau-grossprojekte-endbericht.pdf? __ blob=publicationFile. Anerkennung: Das Forschungsprojekt InfraBau4.0 wird vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert.
