Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements
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Sandra Ulrich
David Reisenbichler
Die Einführung des automatisierten und vernetzten Fahrens (CCAM - Cooperative Connected Automated Mobility) verspricht eine maßgebliche Verbesserung von Sicherheit, Effizienz und Effektivität des Straßenverkehrs. Die sichere und effiziente Einführung dieser Technologie stellt Straßenbetreiber jedoch gleichzeitig vor große Herausforderungen.
Im Projekt DIGEST (Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße) werden Konzepte und Spezifikationen eines „Digitalen Zwillings der Straße“ für die Anwendung im gesamt-europäischen Raum entwickelt, die im Rahmen einer prototypischen Umsetzung im DACH-Raum konkretisiert werden. Ein wesentlicher Schritt zur Realisierung ist die Nutzung von digitalen Abbildungen des Verkehrssystems Straße in Form eines Digitalen Zwillings (DZ).
Mittels Simulationsmodellen und unter Variation relevanter Einflussfaktoren können die Auswirkungen der jeweiligen Verkehrsmaßnahmen und Ausprägungen der Regelungsalgorithmen in den automatisierten Fahrzeugen, der Verkehrsregelung und des Verkehrsmanagements aufgezeigt und bewertbar gemacht werden. Ein wesentlicher Einflussfaktor für die Erstellung und den Betrieb (inkl. Kosten) eines DZ ist die Definition des richtigen Detaillierungsgrades. Es müssen alle relevanten Inhalte bzgl. der avisierten Anwendungen enthalten sein. Insbesondere müssen alle relevanten Einflussfaktoren, Effekte und Wechselwirkungen für die jeweilige Anwendung des Digitalen Zwillings ausreichend abgebildet werden. Bei den Wechselwirkungen ist zu beachten, dass zwischen allen Faktoren in der Regel viele, teilweise entgegenwirkende und konfliktäre Abhängigkeiten bestehen.
In DIGEST wird das Konzept eines Digitalen Zwillings erarbeitet, das vorhandene Informationen bei Straßenbetreibern, ODD (Operational Design Domains, z. B. Markierungen) und ISAD-Level (Infrastructure Support for Automated Driving) sowie HD-Karten zusammenführt. Dieses Konzept wird dann prototypisch demonstriert. DIGEST hat das Ziel ISAD und statische ODD widerzuspiegeln sowie die Veränderungen dynamischer ODD in Echtzeit wiederzugeben und so ein Verkehrsmanagement zu ermöglichen, dass agil und abgestimmt mit diesen ODD und ISAD Parametern den Verkehr steuert
(„ODD Aware Traffic Management“).
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1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 339 Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements Sandra Ulrich consu.one, Wien, Österreich (Hauptautor) David Reisenbichler ARNDT IDC GmbH & Co KG, Wien, Österreich (Co-Author) Überblick Die Einführung des automatisierten und vernetzten Fahrens (CCAM - Cooperative Connected Automated Mobility) verspricht eine maßgebliche Verbesserung von Sicherheit, Effizienz und Effektivität des Straßenverkehrs. Die sichere und effiziente Einführung dieser Technologie stellt Straßenbetreiber jedoch gleichzeitig vor große Herausforderungen. Im Projekt DIGEST (Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße) werden Konzepte und Spezifikationen eines „Digitalen Zwillings der Straße“ für die Anwendung im gesamteuropäischen Raum entwickelt, die im Rahmen einer prototypischen Umsetzung im DACH-Raum konkretisiert werden. Ein wesentlicher Schritt zur Realisierung ist die Nutzung von digitalen Abbildungen des Verkehrssystems Straße in Form eines Digitalen Zwillings (DZ). Mittels Simulationsmodellen und unter Variation relevanter Einflussfaktoren können die Auswirkungen der jeweiligen Verkehrsmaßnahmen und Ausprägungen der Regelungsalgorithmen in den automatisierten Fahrzeugen, der Verkehrsregelung und des Verkehrsmanagements aufgezeigt und bewertbar gemacht werden. Ein wesentlicher Einflussfaktor für die Erstellung und den Betrieb (inkl. Kosten) eines DZ ist die Definition des richtigen Detaillierungsgrades. Es müssen alle relevanten Inhalte bzgl. der avisierten Anwendungen enthalten sein. Insbesondere müssen alle relevanten Einflussfaktoren, Effekte und Wechselwirkungen für die jeweilige Anwendung des Digitalen Zwillings ausreichend abgebildet werden. Bei den Wechselwirkungen ist zu beachten, dass zwischen allen Faktoren in der Regel viele, teilweise entgegenwirkende und konfliktäre Abhängigkeiten bestehen. In DIGEST wird das Konzept eines Digitalen Zwillings erarbeitet, das vorhandene Informationen bei Straßenbetreibern, ODD (Operational Design Domains, zB Markierungen) und ISAD-Level (Infrastructure Support for Automated Driving) sowie HD-Karten zusammenführt. Dieses Konzept wird dann prototypisch demonstriert. DIGEST hat das Ziel ISAD und statische ODD widerzuspiegeln sowie die Veränderungen dynamischer ODD in Echtzeit wiederzugeben und so ein Verkehrsmanagement zu ermöglichen, dass agil und abgestimmt mit diesen ODD und ISAD Parametern den Verkehr steuert („ODD Aware Traffic Management“). 1. Methodische Vorgehensweise Das Zielbild lt. Ausschreibung ist der „digitale Zwilling“ der Straße, der allen Beteiligten ein stets hochaktuelles Abbild der Situation des Verkehrssystem Straße zur Verfügung stellt. Dies ist durch die die Erarbeitung eines Konzeptes für einen Digitalen Zwilling der Straße, der Analyse der Potenziale eines solchen sowie der Spezifikation und prototypischen Umsetzung eines Demonstrators umzusetzen. In DIGEST werden Konzepte und Spezifikationen eines Digitalen Zwillings der Straße für die Anwendung im gesamteuropäischen Raum entwickelt, die im Rahmen einer prototypischen Umsetzung im DACH-Raum konkretisiert werden. DIGEST bildet eine Plattform für • „ODD Aware Traffic Management“ inkl. Spezifikation von Kriterien zur Freigabe automatisierter Fahrzeuge (statisch [Straßengeometrie, Markierung, etc.] und dynamisch per ODD-Control). • ISAD basierte C-ITS Nachrichten zur Freigabe von automatisierten Fahrfunktionen (zB Lkw Platooning) • integriertes Straßen Asset Management • die Entwicklung, die Absicherung und den sicheren Betrieb diverser kooperativer Dienste, wie etwa • Collective Perception zur virtuellen Erweiterung des Sichtfelds und Informationsgewinnung über die Verkehrssituation von Fahrzeugen Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 340 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 • Fahrzeuginformationen als Verkehrssensor für Verkehrsmanagement • kooperative Car2X-Messages. Die Projektziele werden in der Arbeitspaketstruktur gespiegelt: AP 2: Datengrundlagen für die Erstellung eines Digitalen Zwillings • Analyse vorhandener projektrelevanter digitaler Daten bei Straßenbetreibern in AT/ DE/ CH • Analyse vorhandener Daten/ Informationen aus den (automatisierten) Fahrzeugen • Analyse weiterer Stakeholder und deren Daten • Analyse der Rolle der Testfelder für Digitale Zwillinge • Analyse der ODD/ ISAD Levels und die Wechselwirkung mit der physischen Infrastruktur AP 3: Konzept des Digitalen Zwillings • Definition von State-of-the-Art Datenquellen und Formaten (HD Straßenkarte, Fahrzeuge als Sensoren, OEMs, ODD, Straßenbetreiber-Daten wie zB BIM- Modell, ISAD, Straßenverkehrsbehörden etc.) • Definition nötiger Kommunikationsinfrastruktur inkl. Datenmanagement (funktionale Sicherheit) • Definition der Anforderungen an DIGEST aus Sicht von Verkehrsmanagement-Prozessen der Straßenbetreiber • Konzeptdesign von DIGEST inklusive Datenfusionierung • Analyse und Potentialerhebung des DIGEST Konzeptdesigns • Validierung des Konzepts anhand des Testfelds in Niedersachsen AP 4: Demonstrator-basierte Validierung des Konzeptdesigns: • Festlegung der Verortung im DACH Raum mit den Auftraggebern • Prototypische Umsetzung • Erarbeitung von Optionen für technische Schnittstellen und Datenaustauschspezifikationen • Evaluierung des DIGEST Demonstrators AP 5: Betreiberkonzept für den Digitalen Zwilling • Erstellung eines Rollenmodelles für den Aufbau und den Betrieb des Digitalen Zwillings • Ausarbeitung von Vereinbarungen für den Datenaustausch • Ausarbeitung von Prozessen für den Datenaustausch • Erarbeitung von Rahmenbedingungen für den Betrieb des Digitalen Zwillings (rechtlich, organisatorisch, wirtschaftlich) Aktuell wurde gerade das AP2 abgeschlossen und dieses Manuskript gibt einen Überblick über die bisherigen Erkenntnisse. In AP2 werden verfügbare Daten und relevante Stakeholder analysiert. So wird die bereits vorhandene Basis als auch noch zu schließende Lücken für das Konzept eines Digitalen Zwillings erarbeitet. Die konkreten Ziele sind: Abbildung 1: Ziele Arbeitspaket 2 2. Analyse Stakeholder und verfügbare Daten Für die Erstellung eines zielgerichteten Digitalen Zwillings sind einerseits die Expertise verschiedener Stakeholder, wie z.B. Fahrzeughersteller, unterschiedliche Geschäftsbereiche der Straßenbetreiber, Kartendienstleister, etc. und vielfältige Daten bei diesen Stakeholdern andererseits erforderlich. Vieles davon ist bereits vorhanden, Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 341 während für andere Daten erst die entsprechenden Anforderungen festgelegt werden müssen. Dies wird in den 5 Tasks dieses Arbeitspakets erarbeitet. Die spezifische Expertise und Erfahrungen der Konsortiumsmitglieder werden dafür genutzt um die Einflussfaktoren von allen Betrachtungswinkeln - Fahrzeug, Infrastruktur, Daten, Testfelder zu beleuchten. Auf Basis vorhandener Literatur und Forschungsprojekten zu ODD, ISAD, Datenquellen und Testfelder für CCAM (insbesondere INFRAMIX, MANTRA, EU-EIP Activity 4.2) wird der Rahmen für ein realistisches, hochgenaues digitales Abbild der Straße geschaffen. Dieses wird mit Stakeholdern, zu denen im breiten Netzwerk der Konsortiumsmitglieder zu Straßenbetreibern, Fahrzeugherstellern, Kartendienstleistern, Verkehrsplanern, Testfeldbetreibern und weiteren Stakeholdern Kontakt besteht, in strukturierten Interviews und einem StakeholderInnenworkshop validiert. So wird die Basis für die Zusammenführung vorhandener Informationen bei Straßenbetreibern, ODD und ISAD sowie HD Karten geschaffen. Nachfolgende Grafik zeigt die, in diesem Arbeitspaket untersuchten Bereiche, die als sogenannte Einzelentitäten in die Modellierung Eingang finden. Dazu wurde im ersten Schritt eine Stakeholderanalyse aus Sicht der Verkehrsteilnehmer (Fahrzeuge), aus Sicht der Straßenbetreiber und hinsichtlich Sonstiger Stakeholder durchgeführt. Parallel dazu wurden Entscheidungsfragen gesammelt, die sich den unterschiedlichen Stakeholdern stellen gesammelt. Diese Entscheidungsfragen wurden anschließend in „Tasks“ umgewandelt und strukturiert. Als letzte Entität wurden die verfügbaren Daten untersucht. In vielen Einzelinterviews und Workshops wurde eine Sammlung an relevanten Daten inklusive Schnittstellen und weiteren Parametern zusammengestellt. Abbildung 2: Wesentliche Entitäten für DZ im Zuge von AP2 2.1 Stakeholder Die Ausgangslage für dieses Arbeitspaket bildet eine umfassende Analyse der relevanten, betroffenen und begünstigten Stakeholder im Zusammenhang mit einem digitalen Zwilling des Verkehrssystems Straße. Die Stakeholder wurden mithilfe von Fragebögen gesammelt und anschließend strukturiert. Im Zuge der geführten Experteninterviews wurde diese Struktur validiert sowie Lücken geschlossen. Die Stakeholder wurden in 3 Kategorien strukturiert: 1. Infrastrukturbezogene Stakeholder 2. Verkehrsteilnehmerbezogen Stakeholder 3. Sonstige relevante Stakeholder Exemplarisch ist in nachfolgender Grafik das Stakeholdermodell für Infrastrukturbezogene Stakeholder angeführt. Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 342 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 3: Stakeholdermodell Infrastruktur In qualitativen Interviews mit Experten bei Straßenbetreibern und dem Know How des Konsortium wurden aktuell verfügbare Daten gesammelt und tabellarisch zusammengefasst. Die Ergebnisse sind in Anhang 2 zu finden. Anhand von definierten Prozessen, einer klaren Festlegung von tatsächlich erforderlichen Daten sowie Datenverfügbarkeitslevels sollen diese vielfältigen Daten der Straßenbetreiber, der Fahrzeuge und sonstiger Stakeholder für einen Digitalen Zwilling nutzbar gemacht werden. Zu mindest sofern dies sinnvoll möglich und praktikabel ist. Es hat sich auch hier gezeigt, dass nicht alle verfügbaren Daten mit vertretbarem Aufwand verwendbar gemacht werden können bzw. es für manche Daten einfach (noch) keinen Anwendungsfall im Sinne eines digitalen Zwillings gibt. 2.2 Digitale Daten bei Straßenbetreibern Die Straßenbetreiber in Deutschland, Österreich und der Schweiz verfügen bereits über umfangreiche Daten ihres Straßennetzes. Diese Daten sind äußerst vielfältig und umfassen z.B. verschiedene Formen von Bauplänen, Asset Management Datenbanken, Zustandsdaten der physischen Infrastruktur (Roadstar, ZEB Messkampagnen, Brückenprüfungen), Wartungspläne und Performancedokumentation der digitalen Infrastruktur, Pläne des Verkehrsmanagements, Daten zu Wetter, Verkehrsaufkommen, Störungen und vieles mehr. All diese Daten sind für unterschiedliche Geschäftsbereiche der Straßenbetreiber relevant (Bau, Betrieb, Verkehrsmanagement, etc.). Die Herausforderung besteht darin, dass diese Datensilos nicht aufeinander abgestimmt sind, da bisher eine Zusam- Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 343 menführung und strukturierte Integration all dieser Daten nicht erforderlich war. Für CCAM bilden diese Daten jedoch eine wichtige Informationsbasis. Insbesondere das Verkehrsmanagement hat bereits etablierte Prozesse um auf Verkehrsszenarien (Verkehrsstärke, Ereignisse, etc.) zu reagieren. Darauf gilt es aufzubauen und auch auf neue Szenarien automatisierter Fahrzeuge, wie z. B. Safe Maneuver Ereignisse oder auf unvorhergesehene Handover Prozedere gefasst zu sein. Eine Herausforderung liegt nun in der strukturierten Zusammenführung vorhandener Daten aus den einzelnen Geschäftsbereichen und der Erweiterung um diese neuen Szenarien. Auch im Rahmen von Bau- und Sanierungsprojekten der Straßeninfrastruktur bietet die zunehmende Durchdringung neuerer Methoden, wie Building Information Modeling (BIM), wichtige Datengrundlagen. Bei BIM wird ein digitales Abbild des Bauprojektes - der physischen Infrastruktur - geschaffen, das dann über die Bauphase hinaus auch ins Asset Management und für den Betrieb verwendet werden soll. Diese Methodik kann eine Basis für einen Digitalen Zwilling bilden. Eine Herausforderung stellt die heterogene Datenlage am Straßennetz je nach Alter des Straßenabschnitts dar. Die Datenaktualität ist dabei oft mehrere Jahre alt, was für die meisten Anwendungsfälle durchaus ausreichend ist. Problematisch sind jedoch die Lücken die oft insbesondere die Bestandsunterlagen betreffen. Hierbei hat sich auch gezeigt, dass es Sinn machen wird durchaus Objektbezogen unterschiedliche Datenanforderungen zu stellen. So können für komplexe Autobahnknoten oder Tunnel akkurate BIM Modelle sinnvoll und erforderlich sein, während für freie Strecken ohne große Verkehrsbelastung oder Sicherheitsrisiken einfache Geometrieparameter wie die Fahrstreifenbreite als statische Infrastrukturinformation ausreichend sein. Die gesammelten Daten wurden in einer Datentabelle strukturiert gesammelt. Nachfolgende Grafik gibt einen Überblick über Struktur und Inhalt. Abbildung 4: Verfügbare Daten 3. Relevanz von ODD und ISAD Levels für DZ Die organisatorische Komplexität des Themas „Automatisiertes Fahren“ ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass die effiziente und effektive Einführung nicht mehr durch einzelne Unternehmen und Organisationen umgesetzt werden kann. Es bedarf einer kooperativen Zusammenarbeit zwischen Automobilherstellern, Straßenbetreibern sowie der öffentlichen Verwaltung inkl. Abgleich und Harmonisierung der derzeit jeweilig eingesetzten Kriterien und Informationen. Diese spiegeln sich vor allem in den ODDs und ISAD Levels wider und werden bei der Entwicklung des Digitalen Zwillings in DIGEST berücksichtigt. Bei der Fahrzeugregelung ergeben sich die Anforderungen an den Digitalen Zwilling in erster Linie aus den jeweiligen Operational Design Domains (ODD). Diese wiederum sind abhängig vom Automatisierungsgrad und der technischen Ausführung der einzelnen Komponenten. Auf der Infrastrukturseite können die zur Verfügung stehenden Komponenten, der Zustand und der digitale Ausrüstungsgrad der Straße anhand der ISAD Klassifikation eingeordnet werden. Dabei liefert die ISAD Klassifikation wichtige Elemente für die verfügbare ODD einer Strecke, sowohl hinsichtlich digitaler (Sensorik, digitales Verkehrsmanagement, etc.) als auch physischer (Straßenmarkierungszustand, etc.) Infrastruktur. In anderen Worten, könnte die ISAD Klassifikation, als die Antwort der Straßenbetreiber auf die ODDs der Fahrzeughersteller gesehen werden. Die Zusammenführung von ODDs und ISAD stellt einen zentralen Punkt in DIGEST dar. ODDs und ISAD sind in der Entwicklung um eine standardisierte Klassifikation von Fahrzeugfunktionen (ODD) und Infrastrukturfunktionen (ISAD) zu liefern. Es besteht eine Co-Abhängigkeit der beiden Klassifikationen, die als Basis für den sicheren Betrieb von auto- Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 344 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 matisierten Funktionen integriert betrachtet und über ein kooperatives digitales Verkehrsmanagement gesteuert und kommuniziert werden muss. Ein Kerninstrument dafür ist ein standardisierter Digitaler Zwilling. Auf dem Weg dorthin gibt es vielseitige Herausforderungen. Sowohl ISAD als auch ODD sind Konzepte, die einem kontinuierlichen Diskussions- und Entwicklungsprozess unterliegen. Die Definition von ODDs für verschiedene Use Cases und Automatisierungsgrade ist in vollem Gange. Zur Unterstützung des automatisierten Fahrens wurde seitens der Straßenbetreiber das Konzept der Infrastructure Support Levels for Automated Driving (ISAD) im Projekt INFRAMIX entwickelt. The Umgebungswahrnehmung von automatisierten Fahrzeugen ist limitiert durch Reichweite und Umfang der On-board Sensorik. Dies kann durch straßenseitige Sensorik, die von Straßenbetreibern für Verkehrsgeschehen und Umweltbedingungen bereits genutzt werden, erweitert werden. Durch die Klassifizierung der Straßeninfrastruktur in Form der ISAD Levels kann der Zustand und das „Readiness Level“ den Fahrzeugen zur Verfügung gestellt werden. Der aktuelle Stand der ISAD Klassifizierung [ISAD] ist nachfolgend dargestellt. DIGEST wird ISAD und statische ODD (Straßengeometrie, Markierung, etc.) widerspiegeln sowie die Veränderungen dynamischer ODD in Echtzeit wiedergeben und so ein Verkehrsmanagement ermöglichen, dass agil und abgestimmt mit diesen ODD und ISAD Parametern den Verkehr steuert. Die ODD Einschränkungen können durch antizipatives Verkehrsmanagement gesteuert bzw. verringert werden („ODD bewusstes Verkehrsmanagement“). Wenn die Datenlage der Straßenbetreiber in Form von ISAD Levels und die aktuellen ODD Erfahrungsdaten der Fahrzeuge in einem Digitalen Zwilling zusammengeführt werden, wird allen Beteiligten ein stets hochaktuelles Abbild der Situation des Verkehrssystem Straße zur Verfügung gestellt und ein kooperatives, ODD bewusstes Verkehrsmanagement möglich. 4. Modellierungsansatz Zur Aufarbeitung und Analyse des Themas digitaler Zwilling im Bereich Verkehrsnetz Straße werden im Rahmen von DIGEST Modelle erstellt, die die beteiligten Entitäten und Zusammenhänge darstellen und nach UML modelliert werden. Unterschieden werden dabei die folgenden Modellarten: • Verkehrliche Kontextmodelle (global bzw. allgemein gültig) • Funktionsmodelle für konkrete digitale Zwillings- Ideen Diese Modellarten haben unterschiedlichen Fokus und unterscheiden sich z.B. durch die Auswahl der dargestellten Entitäten und Relationen. Kontextmodelle stellen jeweils nur Entitäten gleichen Typs, aus einem der Teilbereiche, sowie deren Beziehungen zueinander dar. Abbildung 5: Kontextmodell Funktionsmodelle basieren auf den globalen Kontextmodellen. Sie bilden, Kontextmodell-übergreifend, einen ausgewählten Teil der dort enthaltenen Entitäten ab. Ein Funktionsmodell wird für eine bestimmte digitale Zwillings-Idee erstellt und enthält jeweils jene Elemente und Beziehungen, die für die Anwendungsfälle dieses digitalen Zwillings, bzw. deren Stakeholder, relevant sind. Das Funktionsmodell ist eine rein funktionale Sicht auf eine digitale Zwillings-Idee, bestehend aus Teilen der Stakeholder-, Ziele-, Task- und Datenmodelle (aus den jeweiligen globalen Kontextmodellen). Es zeigt wem eine digitale Zwillings-Idee für bestimmte Ziele nutzen kann, wofür sie verwendet werden kann, und welche Daten dafür notwendig sind oder nützlich sein können. Der Fokus des Funktionsmodells liegt auf konkreten, auf eine digitalen Zwillings-Idee bezogenen Zusammenhänge. Es hat den Anspruch auf Allgemeingültigkeit und ist lösungsfrei. Auf Basis des Funktionsmodelles lassen sich die relevanten Daten und Anforderungen für bestimmte Ausführungsszenarios analysieren. 5. Zusammenfassung und Ausblick Im Projekt DIGEST wird die folgende Definition eines digitalen Zwillings herangezogen: “Ein Digitaler Zwilling ist ein digitales Modell von Aspekten der Realität, das helfen soll Entscheidungen zu treffen, diese aber nicht selbst trifft. Die Anforderungen an den Digitalen Zwilling sind stark abhängig von den zu treffenden Entscheidungen.” DIGEST analysiert und demonstriert wie ein realistisches, hochgenaues digitales Abbild der Straße inkl. ISAD und ODD Spezifikationen helfen kann, ein integriertes Informationsmanagement und Herausforderungen beim Verkehrsmanagement für verschiedene Ausbaustufen von vernetztem und automatisiertem Fahren zu Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 345 meistern. In DIGEST wird das Konzept eines Digitalen Zwillings erarbeitet, das vorhandene Informationen bei Straßenbetreibern, ODD und ISAD sowie HD Karten zusammenführt. Dieses Konzept wird dann prototypisch demonstriert. Die technisch/ inhaltliche Basis von DI- GEST ist ein Digitaler Zwilling, der in ein Szenario-Management eingebettet ist. Mittels Simulationsmodellen und unter Variation relevanter Einflussfaktoren können die Auswirkungen der jeweiligen Verkehrsmaßnahmen und Ausprägungen der Regelungsalgorithmen in den automatisierten Fahrzeugen, der Verkehrsregelung und des Verkehrsmanagements aufgezeigt und bewertbar gemacht werden. Das erste Arbeitspaket zur Sammlung der Datengrundlage, Erstellung einer Stakeholderübersicht und Formung des Modellierungsansatzes wurde abgeschlossen. Daraus sind bereits eine Liste von digitalen Zwillings-Ideen entstanden, die nun in Funktionsmodellen konkret modelliert werden. Sobald für jede digitale Zwillings-Idee ein konsolidiertes Funktionsmodell verfügbar ist, wird mit einer Priorisierung bzw. einer Auswahlanalyse für die prototypische Umsetzung gestartet. Basierend auf den erstellten Funktionsmodellen kann für bestimmte Ausführungsszenarien eine Anforderungsanalyse hinsichtlich Datenqualität erfolgen. Das ist notwendig um eine fundierte Auswahl treffen zu können welche Art von Digitalen Zwillings-Ideen für eine prototypische Umsetzung in Frage kommen. Denn erst so lässt sich sagen: • ob verfügbare Daten bereits ausreichen um eine DZ zu erstellen • ob weitere Sensorik benötigt wird • wie hoch die Kosten sein werden • ob das Ausführungsszenario machbar ist • etc. Möglicherweise lassen sich aber auch schon anhand der Funktionsmodelle selbst bestimmte digitale Zwillings- Ideen vor-priorisieren, weil sie für bestimmte Stakeholder nicht oder gerade interessant sind, oder als vorerst nicht interessant klassifiziert werden, weil die notwendigen Daten generell nicht verfügbar oder zu teuer sind. Der Projektabschluss ist für Oktober 2022 vorgesehen. Das Projekt DIGEST wird im Zuge des D-A-CH Kooperationsausschreibung 2020 für Verkehrsinfrastrukturforschung im Rahmen von Mobilität der Zukunft von BMVI Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Deutschland; BMK Bundesministerium für Klimaschutz, Österreich und ASTRA, Bundesamt für Strassen, Schweiz finanziert. Das Programmmanagement wird durch FFG umgesetzt. Danke an die Fördergeber und die Projektpartner FH Oberösterreich, Andata, Hitec Marketing und DLR.
