Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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Nutzung von digitalen Werkzeugen für die nachhaltige Infrastrukturplanung
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Oliver Queck
Materialien spielen eine entscheidende Rolle im Bau von Infrastruktur. Gesteinskörnungen, Asphalt und Beton machen den übergroßen Teil der eingesetzten Baustoffe in einem Straßen- und Gleisbau- Projekt aus. Gleichzeitig verursachen die Baustoffe ca. 85 % der Emissionen in einem Bauprojekt. Dabei fließen die Emissionen durch die Produktion der Baustoffe, den Transport und den Einbau in diese Zahl ein.
Um die verschiedenen Klimaziele der Regierung und die der Bauunternehmen, z. B. Nachhaltigkeitsberichte, zu erreichen, bedarf es einer besseren Nutzung der Baumaterialien.
Mit Hilfe digitaler Werkzeuge und der zur Verfügung stehenden Regelwerke zur Kalkulation von CO2 können neue und optimierte Bauweisen sichtbar und vergleichbar gemacht werden. Mit der Digitalisierung der Regelwerke, Normen und Richtlinien und der Umwandlung in intelligente Algorithmen können schnell verschiedene Aufbauvarianten identifiziert und miteinander verglichen werden. Ziel muss es sein, in einer möglichst frühen Phase bereits die vor Ort verfügbaren Materialien in der Planung von Infrastrukturprojekten zu berücksichtigen und die Aufbauten, auf die lokal verfügbaren Materialien (sowohl Primärrohstoffe als auch Recyclingbaustoffe) zu optimieren. Reduktionen von CO2 im Bereich von 25 % sind nicht ungewöhnlich und oft können die Kosten reduziert werden, weil Baustoffe vor Ort wiederverwendet und nicht kostspielig transportiert werden müssen.
Nur durch einen optimierten Einsatz von Baustoffen können die Klimaziele im Infrastruktursektor erreicht werden, da mit 85 % Anteil am CO2 Fußabdruck die Baustoffe den mit Abstand größten Hebel besitzen.
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2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 13 Nutzung von digitalen Werkzeugen für die nachhaltige Infrastrukturplanung Von der Theorie in die Praxis Oliver Queck, M. Sc. Geologie ORIS SAS Paris Zusammenfassung Materialien spielen eine entscheidende Rolle im Bau von Infrastruktur. Gesteinskörnungen, Asphalt und Beton machen den übergroßen Teil der eingesetzten Baustoffe in einem Straßen- und Gleisbau- Projekt aus. Gleichzeitig verursachen die Baustoffe ca. 85 % der Emissionen in einem Bauprojekt. Dabei fließen die Emissionen durch die Produktion der Baustoffe, den Transport und den Einbau in diese Zahl ein. Um die verschiedenen Klimaziele der Regierung und die der Bauunternehmen, z. B. Nachhaltigkeitsberichte, zu erreichen, bedarf es einer besseren Nutzung der Baumaterialien. Mit Hilfe digitaler Werkzeuge und der zur Verfügung stehenden Regelwerke zur Kalkulation von CO 2 können neue und optimierte Bauweisen sichtbar und vergleichbar gemacht werden. Mit der Digitalisierung der Regelwerke, Normen und Richtlinien und der Umwandlung in intelligente Algorithmen können schnell verschiedene Auf bauvarianten identifiziert und miteinander verglichen werden. Ziel muss es sein, in einer möglichst frühen Phase bereits die vor Ort verfügbaren Materialien in der Planung von Infrastrukturprojekten zu berücksichtigen und die Auf bauten, auf die lokal verfügbaren Materialien (sowohl Primärrohstoffe als auch Recyclingbaustoffe) zu optimieren. Reduktionen von CO 2 im Bereich von 25 % sind nicht ungewöhnlich und oft können die Kosten reduziert werden, weil Baustoffe vor Ort wiederverwendet und nicht kostspielig transportiert werden müssen. Nur durch einen optimierten Einsatz von Baustoffen können die Klimaziele im Infrastruktursektor erreicht werden, da mit 85 % Anteil am CO 2 Fußabdruck die Baustoffe den mit Abstand größten Hebel besitzen. 1. Problemstellung Der Druck aus der Politik und die ausgerufenen Ziele der CO 2 Reduktion, sowohl national als auch international, führen dazu, dass die Messung von CO 2 Emissionen immer mehr in den Fokus gerät. Um effektiv den CO 2 - Fußabdruck in Straßen - und Gleisbau zu senken, bedarf es wissenschaftlich korrekter und nach den Regelwerken angepasster Kalkulationssysteme. Besonders die eingesetzten Baumaterialien haben hier den größten Hebel bei den Emissionen; sie verursachen insgesamt ca. 85 % der Gesamtemissionen eines Projektes. Es reicht jedoch nicht nur die Emissionen der Bauphase zu betrachten, entscheidend ist es, den gesamten Lebenszyklus zu betrachten (inklusive Nutzung, Wartung und Rückbau), um fundierte und zukunftsgewandte Entscheidungen treffen zu können. Bis vor kurzem gab es hier noch keine Lösung die diesen Ansprüchen entspricht; mit ORIS ist nun der Bauherr, der Planer und das Bauunternehmen in der Lage, diese Sichtbarkeit zu erhalten und vor allem auch gemeinsam und digital am Projekt zu arbeiten. 2. Methodik Der lokale Kontext ist für die Optimierung eines Infrastrukturprojektes von entscheidender Bedeutung. Baustoffe werden in der Regel lokal produziert und vertrieben. Um diesen Kontext in ORIS herzustellen, wurde die gesamte Landschaft der Materiallieferanten (Asphalt, Beton, Gesteinskörnung) kartiert und in ORIS integriert. Die Lieferstandorte haben entweder die spezifischen Produktkataloge (wenn das Unternehmen bereits bei ORIS gelistet ist) hinterlegt oder aber es wurden Referenzprodukte ergänzt. Um eine möglichst genaue Grundlage bei den Daten für den CO 2 Fußabdruck des Produktes zu haben, wurden entweder die EPD der Materialhersteller genutzt oder aber eine Anbindung an die ÖKOBAUDAT und ECOInvent Datenbank. Die ÖKOBAUDAT hat den Vorteil, dass sie aus den EPD, die durch das Institut für Bauen und Umwelt (EPD Programm Operator in Deutschland) ge- 14 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Nutzung von digitalen Werkzeugen für die nachhaltige Infrastrukturplanung neriert und gespeist werden und damit immer aktuelle Werte beinhalten. Zusätzlich zu den Materialdaten wurden auch alle relevanten Normen (Bsp.: DIN- EN1260, DIN- EN 13043) und Regelwerke (Bsp.: RDO Asphalt/ RDO Beton und RStO 12) in ORIS integriert. Die relevanten Teile (Tabellen usw.) wurden in Algorithmen dem System hinterlegt, um automatisch Designoptionen vorschlagen zu können. In der letzten und entscheidenden Stufe wurde das System den aktuell geltenden ISO und Standards angepasst und damit die größtmögliche Compliance geschaffen. ORIS ist konform mit den folgenden ISO/ Standards: - ISO 14067: 2018 Verifizierung der CO 2 -Billanz - ISO 21930: 2017- 07 Nachhaltigkeit von Bauwerken - Grundregeln für die Umweltdeklaration von in Bauwerken verwendeten Bauprodukten und technischen Anlagen - DIN EN 15804: 2022- 03 Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte Um eine zusätzliche Ebene der Qualitätssicherung zu haben wird das System regelmäßig extern geprüft und validiert. Im Dezember 2022 erhielt ORIS über das weltweit agierende Unternehmen Intertek ein Assurance Statement für die Methodik, nach der das System arbeitet. Aktuell (Stand April 2023) lässt ORIS das System durch das Institut CRAIG (weltweit führend in LCA) prüfen. Link: Assurance Statement: https: / / www.oris-connect.com/ en/ intertek-assurance Link: https: / / ciraig.org/ index.php/ about/ 3. Lösung Mit ORIS wurde ein System geschaffen, in dem der gesamte Lebenszyklus des Bauwerkes betrachtet werden kann. Auch nachträgliche Anpassungen, z. B. Veränderungen der Verkehrsbelastung, können später durchgeführt werden und das System kalkuliert automatisch die neuen Parameter mit ein. Die Streckenführung eines Neubauprojektes oder einer Sanierungsmaßnahme kann über Anbindungen zu Civil3D (Autodesk), durch GPS Daten (KML Format) oder aber auch Freihand in ORIS integriert werden. Der Nutzer wählt nun die Zufahrtspunkte zum Projekt, diese Wahl ist entscheidend, da das System die Transportdistanzen und Transport CO 2 Werte zu diesen Punkten berechnet. Im nächsten Schritt werden Parameter ergänzt; wie die zu erwartende Entwicklung der Verkehrsbelastung im gewünschten Zeitraum, die Untergrundbedingungen, Anzahl und Breite der Fahrbahnen je Richtung, Frostzonen, Grundwasserbedingungen und die gewünschte Bauklasse. Nun ist das System in der Lage automatisch aus den verschiedenen Tabellen der relevanten Standards zu suchen und dann aus dem Designkatalog heraus Auf bauvorschläge zu machen. Die Integration alternativer Auf bauten ist ebenfalls möglich. Da nun die Volumina der Schichten und die Auf bauvarianten bekannt sind, kann ORIS mit Hilfe der Produktkennwerte der einzelnen potenziellen Lieferwerke (Nutzer entscheidet in welchem Radius) die ersten Kalkulationen durchführen. Der Nutzer erhält nun die Betrachtung des A Modul der Kreislaufwirtschaftsbetrachtung. Dieses Modul beinhaltet die Module A1 bis A3 Produktion, A4 Transport und A5 Einbau. Zusätzlich bekommt der Nutzer Kennzahlen zum Verbrauch natürlicher Rohstoffe und den zu erwartenden Kosten, basierend auf marktüblichen Preisen. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 15 Nutzung von digitalen Werkzeugen für die nachhaltige Infrastrukturplanung Um die Neutralität des Systems sicherzustellen gibt es in ORIS keine scharfen Preise. Alle Produkte einer Produktfamilie haben deutschlandweit den gleichen Preis zur Schaffung einer direkten Vergleichbarkeit. Zusätzlich werden die Preise individuell je Anbieter durch das anbietende Unternehmen kalkuliert und variieren in einer frühen Phase noch sehr stark. Im nächsten Schritt werden über Standardverfahren die Emissionen durch die Nutzung der Straße (Modul B1 bis B6) für jede Variante berechnet. In dieser Phase werden unter anderem Reibungswiderstände der Fahrbahnbeläge, Lichtbrechungseffekte bis hin zu Emissionen in Verbindung mit der Beleuchtung der Fahrbahn berücksichtigt. Ein entscheidender Faktor ist die Betrachtung der Aufwendungen für Wartung und Pflege über den definierten Lebenszyklus der Straßen oder Schienen. Der zusätzliche Verbrauch von Rohstoffen und der Einbau der benötigten Baustoffe müssen in einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden, um ein ganzheitliches Bild für das jeweilige Projekt zu schaffen. Mitunter zeigt sich bei einer Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus, dass eine vermeintlich nachhaltige Bauweise (A1 bis A5) am Ende wartungsintensiver und doch weniger nachhaltig ist. 16 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Nutzung von digitalen Werkzeugen für die nachhaltige Infrastrukturplanung Ein weiterer wichtiger Faktor, der in ORIS betrachtet wird und einen maßgeblichen Einfluss auf den Auf bau eines Straßen- oder Schienenbauwerkes hat sind die klimatischen Faktoren. Besonders der Einfluss durch Hitze kann zu einer starken zusätzlichen Beanspruchung des Material seiner Fahrbahndecke führen und eine beschleunigte Alterung hervorrufen. Dies führt im Umkehrschluss dazu, dass Fahrbahndecken früher erneuert werden müssen. Ein weiterer Aspekt ist die Häufigkeit von Starkregenereignissen. Eine ausreichende Drainierung ist unabdingbar, um die Dauerhaftigkeit eines Bauwerkes sicherstellen zu können. Die letzten verheerenden Hochwasserereignisse in der Eifel und an der Mosel haben gezeigt, dass Starkregen, neben dem tragischen Verlust von Menschenleben, auch zu erheblichen Schäden der Infrastruktur führen kann und damit die Versorgung solcher geschädigten Gebiete zusätzlich erschwert oder behindert. Der dritte wichtige klimatische Faktor sind die Frost- Tauwechselzyklen. Durch den häufigen Wechsel von Frost und Tau- Phasen kann es zu einer erheblichen Schwächung der Straßenoberflächen kommen. Die Entstehung von u.a. Mikrorissen führt zum Eindringen von Wasser und Salzen und damit zu Frost und Salz Sprengungen im Material selbst. In ORIS können diese oben genannten Parameter mit modelliert werden, um ein möglichst genaues Bild der Beanspruchungen entlang der Lebensphase darstellen zu können. 4. Ergebnis Mit ORIS haben wir ein Werkzeug geschaffen, das die Baumaterialien in den Fokus der frühen Straßen und Gleisplanung rückt, um möglichst effizient, nachhaltig und ressourcenschonend bauen zu können. Der Einfluss von Baumaterialien in einem Bauprojekt ist mit ca. 85 % erheblich und die abgeschlossenen Projekte zeigen ein Einsparungspotenzial von im Durchschnitt 25 % bei einer zusätzlichen Reduktion von Kosten (ca. 20 %) und dem Einsatz natürlicher Rohstoffe (ca. 25 %). Digitale Werkzeuge in Verbindung mit Fachwissen können bei der nachhaltigen Planung einen großen Mehrwert generieren. Auch im Hinblick auf die demographische Entwicklung in Deutschland ist es unabdingbar, Schritte in der Planung zu automatisieren, um leistungsfähig zu bleiben und den Ansprüchen an die Investition in die Infrastruktur der nächsten Jahrzehnte gerecht zu werden.