eJournals Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur 2/1

Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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Die digitale Autobahn

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Marion Mayer-Kreitz
Slavica Grosanic
Alen Kolarec
Auf den deutschen Autobahnen ist seit Januar 2021 die Autobahngesellschaft des Bundes zuständig für Planung, Bau und Betrieb der Straßen. Im Bereich „Betrieb“ gehört dazu auch das Verkehrsmanagement, das vor dem Hintergrund von Sicherheits- und Umweltaspekten einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrslenkung und -steuerung darstellt. Die für das Verkehrsmanagement relevanten Daten werden vorwiegend von straßenseitig installierten Sensoren erfasst und an die Verkehrsleitzentralen weitergegeben. Hier bieten Daten aus der Fahrzeugflotte mittlerweile einen wesentlichen Mehrwert, indem diese in den Systemen der Verkehrsleitzentralen mitgenutzt werden können. Dies betrifft einerseits Angaben zu beispielsweise Geschwindigkeiten und Reisezeitverlusten, es können aber auch Fahrzeugdaten mit weiteren Informationsinhalten verwendet werden, die einen Mehrwert für einen sicheren Betrieb unserer Autobahnen ermöglichen. Die Weitergabe von Informationen, z. B. Lkw-Stellplatzbelegung, und verkehrsrechtlichen Geboten, z. B. zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, erfolgt derzeit noch auf straßenseitig montierten Schildern. Auch hier geht der Trend hin zur Nutzung virtueller Informationsmedien, z. B. der Autobahn-App. Es werden die Potenziale dieser Vorgehensweise und die in dieser Hinsicht bereits umgesetzten Anwendungen innerhalb der Autobahngesellschaft, Niederlassung Südwest, aufgezeigt.
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2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 21 Die digitale Autobahn Von der Schilderbrücke zu kooperativen Systemen Dr.-Ing. Marion Mayer-Kreitz Die Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Südwest, Stuttgart Slavica Grosanic Die Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Südwest, Stuttgart Alen Kolarec Die Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Südwest, Stuttgart Zusammenfassung Auf den deutschen Autobahnen ist seit Januar 2021 die Autobahngesellschaft des Bundes zuständig für Planung, Bau und Betrieb der Straßen. Im Bereich „Betrieb“ gehört dazu auch das Verkehrsmanagement, das vor dem Hintergrund von Sicherheits- und Umweltaspekten einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrslenkung und -steuerung darstellt. Die für das Verkehrsmanagement relevanten Daten werden vorwiegend von straßenseitig installierten Sensoren erfasst und an die Verkehrsleitzentralen weitergegeben. Hier bieten Daten aus der Fahrzeugflotte mittlerweile einen wesentlichen Mehrwert, indem diese in den Systemen der Verkehrsleitzentralen mitgenutzt werden können. Dies betrifft einerseits Angaben zu beispielsweise Geschwindigkeiten und Reisezeitverlusten, es können aber auch Fahrzeugdaten mit weiteren Informationsinhalten verwendet werden, die einen Mehrwert für einen sicheren Betrieb unserer Autobahnen ermöglichen. Die Weitergabe von Informationen, z. B. Lkw-Stellplatzbelegung, und verkehrsrechtlichen Geboten, z. B. zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, erfolgt derzeit noch auf straßenseitig montierten Schildern. Auch hier geht der Trend hin zur Nutzung virtueller Informationsmedien, z. B. der Autobahn-App. Es werden die Potenziale dieser Vorgehensweise und die in dieser Hinsicht bereits umgesetzten Anwendungen innerhalb der Autobahngesellschaft, Niederlassung Südwest, aufgezeigt. 1. Einführung Auf unseren Autobahnen werden zukünftig zunehmend vernetzte Fahrzeuge unterwegs sein, die untereinander sowie mit der Verkehrsinfrastruktur kommunizieren und interagieren können. Manche Modelle z. B. des Herstellers Volkswagen bieten diese Möglichkeiten bereits heute. Grundlage hierfür bildet die C2X-Kommunikation, welche einen Informationsaustausch zwischen einzelnen Fahrzeugen (Car to Car bzw. C2C) sowie zwischen Fahrzeugen und Infrastrukturen (Car to Infrastructure bzw. C2I) ermöglicht. Road-Side-Units (RSU) stellen die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur sicher. Sie dienen der Erfassung und Bereitstellung von Daten und Informationen von bzw. an Fahrzeuge und den ortsgebundenen C2X-Teilnehmern (Infrastruktur, Verkehrszentralen). [1] Die entsprechenden Spezifikationen wurden in verschiedenen Forschungsprojekten erarbeitet und in Testanwendungen überführt. [2], [3], [4], [5] Der Beitrag intelligenter Kommunikationssysteme zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und Mobilität wurde im Rahmen des Projektes simTD im bisher weltweit größten Feldversuch gemeinsam mit Stakeholdern untersucht. [2] Die Verständigung mit Navigationsdienstleistern ist ein wichtiger Baustein, um ein abgestimmtes, nicht an individuellen Interessen ausgerichtetes Verkehrsmanagement betreiben zu können. Ein entsprechendes Konzept zur Erweiterung des heute standardmäßig verwendeten DA- TEX II Format zum Datenaustausch u. a. zwischen kooperativen Systemen und Verkehrszentralen zur dynamischen Routenempfehlung wurde zunächst in LENA4ITS erprobt und entwickelt. [3] In Vorbereitung zum automatisierten Fahren (Level 4) bieten Forschungsergebnisse wie bspw. aus KoMoDnext wichtige Hinweise für das Zusammenspiel zwischen infrastrukturseitigen Anforderungen und der fahrzeugseitigen Sensorik. [4]. U. a. stellt die BAB A9 mit dem Digitalen Testfeld Autobahn ein „Labor unter Realbedingungen“ zur Verfügung, um innovative Anwendungen zum automatisierten, vernetzen Fahren und intelligenter Infrastruktur zu erproben. [5] Außerdem werden von den Fahrzeugherstellern mittels entsprechender Übertragungseinrichtungen (CCU) Daten aus ihrer jeweiligen Fahrzeugflotte gesammelt und in Fahrerassistenzsystemen im Sinne der Verkehrssicherheit verwendet. Diese Daten können Aufschluss geben über verschiedene Aspekte der Verkehrssituation, z. B. Witterungsbedingungen, Straßenzustand, Gefahrensituationen. Der Anspruch der VerkehrsteilnehmerInnen an den Straßenbaulastträger besteht in der Bereitstellung einer Ver- 22 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digitale Autobahn kehrsinfrastruktur, die ein sicheres und flüssiges fahren ermöglicht. Verkehrsleitzentralen spielen dabei eine zentrale Rolle. Bisher wurde der Straßenverkehr vorwiegend auf „konventionelle“ Art und Weise gesteuert und gelenkt. Informationen, Warnungen und verkehrsrechtlich bindende Anordnungen wurden vorwiegend „in Blech“ oder über dynamische Anzeigen vermittelt. Hier kommt den neuen Möglichkeiten der Informationsvermittlung zukünftig eine tragende Rolle zu. Interessant ist an dieser Stelle auch der Kostenvergleich zwischen konventionellen Medien und kooperativen Systemen. 2. Nutzung von Daten des C-ITS im Verkehrsmanagement 2.1 Grundlagen der Kommunikation Kooperative Systeme (C-ITS) bieten neue Möglichkeiten der Verkehrssteuerung, aber auch der Datenanalyse, der Störfallerkennung und der Identifikation potenzieller Schwachstellen im Verkehrsnetz. Moderne Fahrzeuge erfassen über fahrzeugeigene Sensoren kontinuierlich diverse Daten, die über die bordeigenen Systeme ausgewertet werden. Dies sind beispielsweise folgende Informationen: die aktuelle Fahrzeugposition, die Fahrgeschwindigkeit, die Längs- und Querbeschleunigung, die Fahrtrichtung, der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, der Fahrbahnzustand, die Außentemperatur, die Beleuchtungsverhältnisse, der Zustand des Airbags. [1] Zur Kommunikation zwischen den Fahrzeugen bzw. zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur wurden verschiedene Message-Formate definiert, u. a.: • Cooperative Awareness Message (CAM, [ETSI EN 302 637-2]): Nachrichtentyp zur Schaffung und Aufrechterhaltung der Awareness zwischen C-ITS Stationen. CAM-Meldungen werden kontinuierlich versendet. [6] • Dezentrale Umweltbenachrichtigung (DENM, [ETSI EN 302 637-3]): DENM-Meldungen werden anlassbezogen versendet. Es handelt sich um eine Nachricht, die hauptsächlich von C-ITS-Anwendungen verwendet wird, um Verkehrsteilnehmer vor einem erkannten Ereignis zu warnen. [7] • Fahrzeuginterne Informationen (IVI, [ETSI TS 103 301]): IVI-Meldungen übermitteln Informationen über die Infrastruktur an Fahrzeuge, z. B. Informationen über vorhandene, feste und dynamische Verkehrszeichen. [8] Diese Nachrichten und Informationen werden pseudonymisiert in Echtzeit in einem Umkreis von mehreren hundert Metern übermittelt und können von Fahrerassistenzsystemen in den Fahrzeugen verarbeitet werden. Eine CAM-Meldung übermittelt u. a. Position, Fahrtrichtung und Geschwindigkeit eines Fahrzeuges. CAM- Meldungen werden von Fahrzeugen ausgesendet und von den sich in Reichweite befindlichen Stationen (Fahrzeuge oder RSU) empfangen. Die Informationen werden nur direkt zwischen den Teilnehmern in Reichweite ausgetauscht und nicht an weitere Teilnehmer weitergeleitet, vgl. Abbildung 1. CAM-Meldungen können u. a. dafür verwendet werden, Störfälle und Ereignisse zu erkennen und dann eine DENM-Meldung auszusenden. Abb. 1: Schema der Meldewege für CAM- und DENM- Meldungen Eine DENM übermittelt u. a. Event, Position und Zeitstempel. DENM werden nicht nur von den Fahrzeugen, sondern auch von stationären ITS-Stationen, wie beispielsweise den RSU (Beispiel s. Abbildung 2), gesendet. Abb. 2: Beispiel für eine RSU (Quelle: Yunex Traffic) Über die RSU erhalten Verkehrs- und Tunnelleitzentralen die Meldungen. CAM und DENM können dort verarbeitet und z. B. zur Verkehrslage- oder Störungserkennung verwendet werden. Daraus können Maßnahmen des Verkehrsmanagements generiert werden, die dann von der Zentrale aus über die RSU als DENM direkt an die Fahrzeuge übermittelt werden. DENM-Meldungen könnten sofort in die Schaltung von Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA) umgesetzt werden, indem vor der erkannten Gefahr gewarnt und ggf. die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten reduziert und/ oder Fahrstreifen gesperrt werden. Die geschalteten dynamischen Anzeigen können als IVI-Meldung an die Fahrzeuge übermittelt werden. Im Korridormanagement kann mit dieser Kenntnis frühzeitig auf alternative Routen umgeleitet werden, damit die Gesamtauslastung im Netz besser verteilt wird. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 23 Die digitale Autobahn Abb. 3: Kooperatives System Autobahn Ob und wie auf eine CAM oder DENM reagiert wird, entscheidet der Empfänger der Nachricht. I. d. R. trifft diese Entscheidung der Fahrzeughersteller für alle Fahrzeuge seiner Flotte. Im Verkehrsmanagement bringt C-ITS eine Vielzahl möglicher sicherheitsfördernder Anwendungen mit sich, s. Abbildung 3. Bereits umgesetzt ist die Ausrüstung fahrbarer Absperrtafeln (FAT) mit C-ITS. [9] Die FAT warnen sich nähernde Fahrzeuge vor einer Baustelle. Der deutschlandweite Roll-Out wird in den nächsten Monaten abgeschlossen. Die Meldung wird direkt in die Fahrzeuge gesendet und in den Displays angezeigt. Für das Aussenden dieser DENM-Meldungen war es erforderlich, eine Public Key Infrastructure (PKI) zu generieren, damit der Aussender der Meldung als vertrauenswürdig erkannt und eingestuft werden kann. Dies ist mittlerweile erfolgt. Der nächste Schritt ist die Warnung vor Einsatzfahrzeugen, z. B. als zusätzliche Aufforderung für das Bilden einer Rettungsgasse. 2.2 Regularien der Datenbereitstellung Die Richtlinie 2010/ 40/ EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 zum Rahmen für die Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern (IVS-Richtlinie) regelt seit 2010 die Einführung von intelligenten Verkehrssystemen (ITS) in der EU. Sie legt fest, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sofern sie vorrangige Maßnahmen einführen, die von der Kommission erlassenen Spezifikationen anzuwenden haben. Vorrangige Bereiche im Sinne der Richtlinie sind I. die optimale Nutzung von Straßen-, Verkehrs- und Reisedaten, II. die Kontinuität der Dienste Intelligenter Verkehrssysteme in den Bereichen Verkehrs- und Frachtmanagement, III. die Anwendungen Intelligenter Verkehrssysteme für die Straßenverkehrssicherheit sowie IV. die Verbindung zwischen Fahrzeug und Verkehrsinfrastruktur. Als vorrangige Maßnahmen für die Ausarbeitung und Anwendung von Spezifikationen und Normen in den vorrangigen Bereichen gelten: a. die Bereitstellung EU-weiter multimodaler Reise-Informationsdienste; b. die Bereitstellung EU-weiter Echtzeit-Verkehrsinformationsdienste; c. Daten und Verfahren, um Straßennutzern, soweit möglich, ein Mindestniveau allgemeiner für die Straßenverkehrssicherheit relevanter Verkehrsmeldungen unentgeltlich anzubieten; d. Harmonisierte Bereitstellung einer interoperablen EUweiten eCall-Anwendung; e. Bereitstellung von Informationsdiensten für sichere Parkplätze für Lastkraftwagen und andere gewerbliche Fahrzeuge; f. Bereitstellung von Reservierungsdiensten für sichere Parkplätze für Lastkraftwagen und andere gewerbliche Fahrzeuge. Aktuell wird diese Richtlinie hinsichtlich der Einführung und des Betriebs kooperativer ITS-Systeme (C-ITS) und der Bereitstellung von statischen und dynamischen Infrastrukturdaten überarbeitet. Ein entsprechender Vorschlag liegt bereits vor. Er ist technologieoffen und ermöglicht die Kommunikation sowohl über ITS-G5 WLAN/ 802.11p 24 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digitale Autobahn Technologien als auch Mobilfunkkommunikation der 5.-Generation (5G). [10] Straßenverkehrsbehörden und Betreibergesellschaften von Straßen sollen für das transeuropäische Straßennetz (TEN-V) ab Januar 2025 mehr Echtzeit-Verkehrsdaten zur Verfügung stellen. Für das gesamte Straßennetz sollen die Vorschriften ab Januar 2028 gelten. [11] Betroffen sind laut Kommissionsvorschlag Daten, die in digitalem, maschinenlesbarem Format vorliegen. Ab Januar 2025 soll das TEN-V Straßennetz übermittelt werden. Ab Dezember 2025 sind weitere Daten dieses Netzes betroffen, u. a. - statische und dynamische Straßenverkehrsvorschriften (z. B. Zufahrtsbedingungen für Tunnel und Brücken, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Beschränkungen von Gewicht und Abmessungen (Länge/ Breite/ Höhe)), - Daten zum Zustand des Netzes (z. B. Straßen- oder Fahrstreifensperrungen, Straßenbauarbeiten, befristete Verkehrsmanagementmaßnahmen, Angaben zum Straßenzustand), - Tankstellen, Ladestationen und Wasserstofftankstellen, - Daten zu sicheren Parkplätzen für Lastkraftwagen und andere gewerbliche Fahrzeuge (z. B. Sicherheit und Ausrüstung des Parkplatzes, dynamische Daten über freie Stellplätze). Diese Daten können in Deutschland über den nationalen Access Point (NAP), die Plattform Mobilithek, ausgetauscht werden. Unterschiedliche Betreiber können hier ihre Daten zentral und in Echtzeit zum Abruf bereitstellen, s. Abbildung 4. Abb. 4: Auf bau Mobilithek [12] 2.3 Nutzung von Vehicle Probe Data im Verkehrsmanagement In einer Kooperation mit Mercedes-Benz werden von der Niederlassung Südwest seit 2021 Daten aus der Fahrzeugflotte bezogen und analysiert. Die Daten können für verschiedene Anwendungen im Bereich Verkehr und Betrieb verwendet werden. Analysiert werden derzeit: - Wetterdaten - Verkehrszeichen - Gefahrenmeldungen. Wetterdaten Vor allem in den Wintermonaten, in denen der Betriebsdienst Streu- und Räumeinsatzpläne erstellt, werden mehrere Datenquellen herangezogen, um eine genaue Übersicht über die Straßenverhältnisse zu erlangen. Hochgenaue Sensorik erfasst punktuell entlang der Strecke wichtige Kenngrößen, wie z. B. die Fahrbahnoberflächentemperatur, Taupunkttemperatur, Wasserfilmdicke oder den Fahrbahnzustand. Da die Erfassung nur an markanten Punkten im Streckenverlauf und etwa alle 2-3-km erfolgt sind weitere Datenquellen erforderlich. Hier werden derzeit vor allem Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) verwendet, die neben der flächenhaften Darstellung der Temperaturverhältnisse oder einem Niederschlagsradar auch eine Prognose der zu erwartenden Witterungsbedingungen enthalten, aus denen sich eine Glättemeldung ableiten lässt. Die flotteneigenen Streufahrzeuge sind z.T. mit Sensoren ausgestattet, die während der Fahrt kontinuierlich die Temperatur und die ausgebrachte Streusalzmenge erfassen. Durch nachträgliche Analyse der Einsatzfahrten lässt sich die Streusalzmenge weiter optimieren, so dass ein sicherer Straßenzustand umwelt- und ressourcenschonend (Material, Zeit und Geld) erreicht werden kann. Durch die Kooperation mit Mercedes-Benz stehen der Niederlassung Südwest für einige Streckenabschnitte Informationen aus den Fahrzeugen zur Verfügung. Auf einer Karte werden die Temperatur, Regenintensität und Zustand der Fahrbahn den Autobahnmeistereien als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 25 Die digitale Autobahn Abb. 5: Dashboard Mercedes-Benz (Quelle: Mercedes Benz AG) Abbildung 5 zeigt das Dashboard von Mercedes-Benz, in dem man durch Klicken auf die einzelnen Punkte an die Inhalte der vom Fahrzeug übermittelten Werte gelangt. In der Karte sind des Weiteren die Regenradardaten des DWD dargestellt. Informationen aus einer großen Fahrzeugflotte zur Temperatur und dem Fahrbahnzustand (Informationen zum Reibwert) können einen weiteren Mehrwert im Betriebsdienst bieten. Durch die Vielzahl an Datenpunkten aus dem Fahrzeug lässt sich die Witterungssituation zwischen den präzisen punktuellen Messungen ableiten, so dass ein ganzheitliches Bild entstehen kann. Kritische Streckenabschnitte, die z. B. einen höheren Streubedarf haben, können so leicht identifiziert werden. Eine Nachrüstung der Infrastruktur mit stationärer Sensorik oder eine angepasste Einsatzplanung sind die Konsequenzen, die mit Hilfe der Daten der Fahrzeugflotte erlangt werden können. Derzeit sind die unterschiedlichen Datenquellen nicht in einem gemeinsamen System gebündelt, sondern werden im jeweiligen System für sich dargestellt. Eine Verschneidung der unterschiedlichen Datenquellen mit anschließender Clusterung und Gewichtung könnte die Potenziale der unterschiedlichen Quellen berücksichtigen und so eine ganzheitliche Übersicht über die räumlich-zeitliche Witterungssituation darstellen. Es sind noch viele Schritte erforderlich, um die Daten in Echtzeit in einer gemeinsamen Datenbank zu bündeln und daraus Strategien abzuleiten. Die gemeinsame Kooperation ist ein wichtiger Schritt in die Zukunft der Nutzung von Fahrzeugdaten. Die aus der Fahrzeugflotte generierten Informationen zur Witterung könnten zukünftig auch in der Steuerung von Verkehrsbeeinflussungsanlagen (VBA) genutzt werden. Auch hier werden die Witterungsverhältnisse punktuell entlang der Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA) erfasst. Die Ergänzung durch Informationen aus dem Fahrzeug über den gesamten Streckenverlauf wären sehr hilfreich, da Wetterereignisse auch plötzlich und räumlich zwischen der stationären Sensorik auftreten können. Diese Situationen werden derzeit erst mit Verzögerung erfasst, wenn sie an der entsprechenden Sensorik detektiert werden können. Durch die schnellere und geographisch feinere Detektion von kritischen Witterungsereignissen durch die Fahrzeuge wäre eine schnellere Gefahrenwarnung möglich. Eine direkte Einbindung solcher „extended“ Floating Car Data (FCD) in die Steuerungsalgorithmik von SBA ist noch nicht erfolgt. An diesem Thema arbeiten u. a. unterschiedliche Arbeitskreise der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). Problematisch ist u. a., dass die Daten aus Datenschutzgründen mit einer großen Latenz übermittelt werden. Daher ist derzeit eine Nutzung für die Verkehrssteuerung nur bedingt möglich. Eine flächendeckende Unterstützung der lokalen VBA- Sensorik kann in dieser Form leider noch nicht erzielt werden. Erste Analysen zeigen das Potenzial des Vergleiches der beiden Datenquellen aus Fahrzeugdaten und stationären Wetterstationen. Abbildung 6 zeigt den Erwartungswert der Übereinstimmung der erfassten Fahrbahntemperatur aus beiden Datenquellen. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Positionierung der Temperaturfühler und weiterer Einflussfaktoren ist eine weitere Verschneidung der beiden Datenquellen möglich. 26 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digitale Autobahn Abb. 6: Regressionsanalyse: Fahrzeugdaten - stationäre Wetterstation Untersuchungen aufeinander folgender Sensoren lassen ebenfalls Rückschlüsse auf die Qualität und Funktionsweise der VBA-Sensorik zu, s. Abbildung 7. Abb. 7: Fahrbahntemperatur (22.01.2023, 8: 00-8: 15-Uhr, Messwerte im Umkreis von SBA-Sensoren) Verkehrszeichen Von den Fahrzeugen können die Standorte und Typen der statischen und dynamischen Verkehrszeichen übermittelt werden. Dadurch können verschiedene Anwendungsfälle generiert werden. Zum einen können die Verkehrszeichen für ein tagesaktuelles Verkehrszeichenkataster verwendet werden. Ein solches Kataster ist zukünftig eine Grundvoraussetzung des automatischen Fahrens. Darüber hinaus können die Daten das bereits im Auf bau befindliche Kataster im autobahneigenen System TIM- GeO [13] unterstützen. Eine weitere Anwendung, die gerade in der Niederlassung Südwest verfolgt wird, ist der teilautomatisierte Abgleich der von den Fahrzeugen erfassten Verkehrszeichen in Baustellenbereichen mit der verkehrsrechtlich angeordneten Beschilderung. Dies unterstützt den Baustellenkoordinator bei der Kontrolle räumlich weiter entfernt liegender Baustellen. Gefahrenmeldungen (Hazards) Hazard-Meldungen werden von den Fahrzeugen in Echtzeit übertragen. Die Meldungen betreffen sowohl witterungsbedingte Zustände (z. B. Starkregen) als auch fahrbahnseitige Zustände (z. B. verminderte Griffigkeit). Außerdem wird das Ansprechen des Notbremsassistenten gemeldet, also Gefahrenbremsungen. Mit diesen Daten kann die Steuerung von SBA unterstützt werden. Ein großer Vorteil ist, dass die Daten flächendeckend vorliegend und nicht nur, wie fest installierte SBA- Sensoren, an relativ wenigen Standorten vorhanden sind. Die Erkennung von Störfällen kann schneller und unter genauer Kenntnis der Lokalisierung erfolgen. Gehäufte Gefahrenbremsungen können auf ein Stauende hinweisen. Durch eine zielgenaue Schaltung der Geschwindigkeit und Gefahrenzeichen wird die Verkehrssicherheit weiter erhöht und der Verkehrsfluss stabil gehalten. Eine statistische Auswertung der Hazards bringt Erkenntnisse für die Unfallkommissionen und Sicherheitsaudits, da sicherheitstechnisch verdächtig erscheinende Punkte im Straßennetz erkannt und einer genaueren Untersuchung unterzogen werden können. 2.4 Ausgewählte Kosten im Vergleich Ein Vergleich der Kosten des Verkehrsmanagement mittels konventioneller VBA (z. B. SBA) mit einer Datenbereitstellung über RSU kann einen Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit der Systeme geben. Zu beachten ist, dass eine konventionelle Anlage so lange nicht entfallen kann, bis virtuelle Verkehrszeichen rechtssicher und vollständig an die Fahrzeuge übertragen werden. Das setzt zum einen noch nicht vorhandene rechtliche Grundlagen, zum anderen eine nahezu vollständigen 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 27 Die digitale Autobahn Ausstattungsgrad der Fahrzeugflotte voraus. Beides ist noch nicht gegeben. Wäre dies der Fall, ließen sich die Kosten über den Lebenszyklus vergleichend wie folgt abschätzen. Über eine angenommene Lebensdauer von 30 Jahren einer SBA fallen Installationssowie Wartungs-/ Instandhaltungs-/ Reparaturkosten an, die - pro km SBA, abhängig vom Abstand der Schilderbrücken im Streckenabschnitt - einen mittleren sechsstelligen Betrag [€] erreichen können. Die Kosten für eine entsprechende Ausstattung mit RSU betragen lediglich ca. 5 % dieser Summe. Dabei wurde angenommen, dass die Geräte nach 10 Jahren ersetzt werden müssen. Für eine Netzbeeinflussungsanlage mit 2 dWiSta-Standorten betragen die Kosten einer RSU ca. 7 % einer konventionellen Anzeige, verglichen über die erwartete Lebensdauer. Vermutlich werden beide Systeme zur Datenerfassungen noch so lange koexistieren, bis konventionelle VBA vollständig durch virtuelle Schilder abgelöst werden können. 2.5 Weitere Nutzung digitaler Anwendungen Durch den stetig wachsenden Schwerverkehr und gleichzeitig nicht kontinuierlich ansteigender Anzahl an Lkw- Stellplätzen entlang der Autobahnen ist ein Defizit entstanden. Ein Informationssystem über freie Parkstände soll dazu beitragen, die vorhandenen Kapazitäten besser auszunutzen und in Echtzeit über freie Parkstände zu informieren. Dazu ist eine hochgenaue Erfassung der aktuellen, tatsächlichen Situation erforderlich. Sensoren erfassen dabei die gesamte Fläche der Rastanlage und ermitteln die Anzahl und Lage der freien und belegten Parkstände. Die eingesetzte Technologie ermöglicht es, sämtliche Parkvorgänge zu erfassen, auch die in Fahrgassen sowie nicht StVO-konform abgestellte Lkw, s. Abbildung 8. Abb. 8: Stellplatzerfassung an der T+R Bruchsal West (Quelle: TelarTec) Die Angaben zu freien Stellplätzen werden über die Autobahn-App und über die Mobilithek Dritten zur Verfügung gestellt. Sie können auch für die anlageninterne Verkehrsführung genutzt werden. An vielen Rastanlagen und auch Parkplätzen ist der Parkdruck so hoch, dass Lkw bereits im Zufahrtsbereich der Anlage parken, damit die FahrerInnen ihre Ruhezeiten einhalten können. Dies stellt ein hohes Gefahrenpotenzial für ankommende Fahrzeuge, insbesondere schnell fahrende Pkw dar. Um frühzeitig vor dieser Gefahrenstelle zu warnen, wurde ein Pilotprojekt gestartet, in welchem sich mit Hilfe der vorhandenen Sensorik verkehrswidrig abgestellte Lkw erfasst werden. Auf die Anlage zufahrende Verkehrsteilnehmer werden bereits auf der Autobahn frühzeitig vor der Gefahrenstelle gewarnt. Auch telematische Parkverfahren wie Kolonnen- und Kompaktparken, die zu einer deutlichen Kapazitätssteigerung ohne zusätzlichen Flächenverbrauch beitragen können, benötigen eine hochgenaue Lkw-Stellplatzerfassung. Das vorher beschriebene flächenhafte Erfassungssystem kann auch dort Anwendung finden. 3. Ausblick Intelligente Verkehrssysteme bieten das Potenzial, die Mobilität sicherer, effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Als Straßenbaulastträger und Straßenbetreiber muss die Autobahngesellschaft sicherstellen, dass die Infrastruktur den zukünftigen Anforderungen an sie gewachsen ist. In naher Zukunft wird der Verkehr aus einer Mischung aus hochautomatisierten Fahrzeugen und Fahrzeugen mit geringem Automatisierungsgrad bestehen. Um die Möglichkeiten der intelligenten Verkehrssysteme auszunutzen, müssen diese Fahrzeuge Kenntnis voneinander sowie von der sie umgebenden Infrastruktur haben und 28 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Die digitale Autobahn den sie erreichenden Meldungen und Vorgaben unbedingt vertrauen können. Dieser Weg kann nur gemeinsam mit den Fahrzeugherstellern und weiteren Stakeholdern wie beispielsweise Navigationsdienstleistern beschritten werden. Das Geschäftsmodell der individuellen Information und Routenführung ist zu überdenken. Regionale Einzellösungen sind in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, eine-- idealerweise - EU-weite Standardisierung und ein einheitlicher Zugang zu den jeweiligen NAPs sind erforderlich. Derzeit stellen die Mitgliedstaaten Daten an den NAP in unterschiedlichen Formaten zur Verfügung. Besonders der zunehmende Güterverkehr kann von der Nutzung dynamischer Angaben, z. B. zu freien und sicheren Stellplätzen oder Ladebzw. Tankmöglichkeiten profitieren. Aber der Verkehr ist nicht nur auf Autobahnen beschränkt. Im Sinne des regionalen Verkehrsmanagements ist sowohl der Datenaustausch sowie die Abstimmung zwischen den verschiedenen Straßenbaulastträgern als auch zwischen den Verkehrsträgern sinnvoll, bis hin zur Einrichtung multimodaler digitale Mobilitätsdienste. Einen ersten Schritt in diese Richtung bedeutet in der Region Stuttgart die Einrichtung der „Ringzentrale“/ regionalen Mobilitätsplattform [14]. Hier werden Schaltstrategien der VBA und Lichtsignalanlagen zwischen den Straßenbaulastträgern der Autobahn und des nachgeordneten Netzes abgestimmt. Mittels intelligenten Verkehrssystemen können die Sicherheit und die Kapazitäten der bestehenden Infrastruktur durch eine höhere Interoperabilität und eine bessere Ausnutzung erhöht werden. Dies bringt - gesamtwirtschaftlich gesehen - finanzielle und ökologische Vorteile mit sich. Literatur [1] Dr.-Ing. Georg Mayer, Regierungsrätin Dipl. Wirt.-Ing. Anne Lehan, Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung, 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur, TAE, Juni 2021. [2] SIM-td, simTD Deliverable D13.2, https: / / www. eict.de/ fileadmin/ redakteure/ Projekte/ simTD/ Deliverables/ simTD-Deliverable-D13.2Test-undVersuchsspezifikationHauptdokument.pdf), 2010. [3] BASt (2015), Interoperabilität zwischen öffentlichem Verkehrsmanagement und individuellen Navigationsdiensten, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Reihe F: Fahrzeugtechnik-(108). [4] KoMoDNext, https: / / www.duesseldorf.de/ fileadmin/ Amt13/ presseanhang/ 2203/ 220321Praesentation_KoMoDnext-Abschluss.pdf [5] BASt, Fachthemen Verkehrstechnik, Digitales Testfeld Autobahn, https: / / www.bast.de/ DE/ Verkehrstechnik/ Fachthemen/ V5-digitales-Testfeld. html#: ~: text=Mit%20dem%20Digitalen%20Testfeld%20Autobahn,entwickeln%20und%20testen%20zu%20k%C3%B6nnen [6] ETSI TS 102 637-2: Intelligent Transport Systems (ITS); Vehicular Communications; Basic set of applications; Part 2: Specification of cooperative awareness Basic Service. [7] ETSI TS 102 637-3: Intelligent Transport Systems (ITS); Vehicular communications; Basic set of applications; Part 3: Specification of decentralized environmental notification basic service. [8] ETSI TS 103 301 V1.3.1 (2020-02) Intelligent Transport Systems (ITS); Vehicular Communications; Basic Set of Applications; Facilities layer protocols and communication requirements for infrastructure services. [9] S. Schulz, Inbetriebnahme von C-ITS bei der Autobahn GmbH - Meilensteine und Herausforderungen, Kolloquium Intelligentes Verkehrsmanagement, April 2023, Koblenz. [10] Die Chancen der Digitalisierung in der Straßenverkehrsinfrastruktur und die Nutzung innovativer ITS-Systeme zur Unterstützung des Ziels „VI- SION ZERO“ zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr, Gemeinsames Positionspapier des Bundesverband Verkehrssicherheitstechnik e.V. (BVST) und des Bundesverbands der Wirtschaft und Wissenschaft für Verkehrstechnologien und intelligente Mobilität e.V. (ITS Germany e.V.). [11] EU-Verkehrsteilnehmer sollen mehr Zugriff auf Echtzeit-Daten bekommen, Deutsche Verkehrs- Zeitung, https: / / www.dvz.de/ rubriken/ politik/ detail/ news/ eu-verkehrsteilnehmer-sollen-mehr-zugriff-auf-echtzeit-daten-bekommen.html [12] BMDV, Mobilithek, https: / / bmdv.bund.de/ DE/ Themen/ Digitales/ Mobilithek/ mobilithek.html [13] Kemper et al., TIM-GeO - Technisches Informationsmanagement der Autobahn GmbH des Bundes, zfv 4/ 2021 146. Jg. [14] A. Albers, Regionales Verkehrsmanagement in der Region Stuttgart, Kolloquium Intelligentes Verkehrsmanagement, April 2023, Koblenz.