Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau
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Jennifer Bednorz
Rade Hajdin
Rico Richter
Lazar Rakić
Holger Diederich
Justus Hildebrand
Sebastian Schulz
Jürgen Döllner
Die digitale Transformation im Bereich der Bundesfernstraßen ist eine äußerst umfangreiche und komplexe Aufgabe, die alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellt. Mit der Einführung des Masterplans BIM Bundesfernstraßen und der darin angestrebten Zielvorstellung, die Bundesfernstraßen langfristig auf Grundlage digitaler Zwillinge zu betreiben, sind u. a. standardisierte und praxisgerechte Verfahren zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Brückenbau erforderlich. Mit der stetigen Weiterentwicklung der Vermessungstechnik im Bereich des 3D-Laserscannings, der Methoden der künstlichen Intelligenz (KI), der Segmentierung anhand von diversen geometrischen Merkmalen sowie dem Einbezug von bestehenden Daten aus Bauwerksdatenbanken ergeben sich vielversprechende neue Optionen zur effizienten (teil-)automatisierten Erstellung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau. In diesem Beitrag wird die Entwicklung eines einheitlichen und anwenderfreundlichen Verfahrens zur (teil-)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen vorgestellt. Der Forschungsansatz basiert auf einer Kombination von Anwendungen künstlicher Intelligenz und heuristischen Algorithmen. Das neuronale Netz für die Klassifikation von Scandaten wurde mit künstlichen Datensätzen typischer Brückenelemente trainiert und an Punktwolken tatsächlicher Brücken getestet. Die erkannten Brückenelemente werden in ein trianguliertes Oberflächennetz umgewandelt und anschließend Volumenelemente generiert. Das Endergebnis ist ein BIM-Bestandsmodell einer Brücke und ihrer Elemente, angereichert mit semantischen Informationen im standardisierten und offenen Austauschformat IFC. Das Konzept und dessen praktische Anwendbarkeit wird in Form eines explorativen Prototyps vorgestellt. Es bildet eine wesentliche Grundlage für künftige, großangelegte automatisierte Erfassungskampagnen zur Erstellung von BIM-Bestandsmodellen für zukunftsfähige Brückenmanagementsystem.
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2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 107 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau Jennifer Bednorz, M. Eng. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Prof. Dr. sc. techn. ETH Rade Hajdin Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich Dr. rer. nat. Rico Richter, M. Sc. Universität Potsdam, Digital Engineering Fakultät Dipl.-Ing. Lazar Rakić, M. Sc. ETH Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich Dr. sc. ETH, Dipl.-Ing. Holger Diederich Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich Justus Hildebrand, M. Sc. Universität Potsdam, Digital Engineering Fakultät, Hasso-Plattner-Institut Sebastian Schulz, M. Sc. Universität Potsdam, Digital Engineering Fakultät, Hasso-Plattner-Institut Prof. Dr. Jürgen Döllner Universität Potsdam, Digital Engineering Fakultät, Hasso-Plattner-Institut Zusammenfassung Die digitale Transformation im Bereich der Bundesfernstraßen ist eine äußerst umfangreiche und komplexe Aufgabe, die alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellt. Mit der Einführung des Masterplans BIM Bundesfernstraßen und der darin angestrebten Zielvorstellung, die Bundesfernstraßen langfristig auf Grundlage digitaler Zwillinge zu betreiben, sind u. a. standardisierte und praxisgerechte Verfahren zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Brückenbau erforderlich. Mit der stetigen Weiterentwicklung der Vermessungstechnik im Bereich des 3D-Laserscannings, der Methoden der künstlichen Intelligenz (KI), der Segmentierung anhand von diversen geometrischen Merkmalen sowie dem Einbezug von bestehenden Daten aus Bauwerksdatenbanken ergeben sich vielversprechende neue Optionen zur effizienten (teil-)automatisierten Erstellung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau. In diesem Beitrag wird die Entwicklung eines einheitlichen und anwenderfreundlichen Verfahrens zur (teil-)automatisierten Erstellung von BIM- Modellen vorgestellt. Der Forschungsansatz basiert auf einer Kombination von Anwendungen künstlicher Intelligenz und heuristischen Algorithmen. Das neuronale Netz für die Klassifikation von Scandaten wurde mit künstlichen Datensätzen typischer Brückenelemente trainiert und an Punktwolken tatsächlicher Brücken getestet. Die erkannten Brückenelemente werden in ein trianguliertes Oberflächennetz umgewandelt und anschließend Volumenelemente generiert. Das Endergebnis ist ein BIM-Bestandsmodell einer Brücke und ihrer Elemente, angereichert mit semantischen Informationen im standardisierten und offenen Austauschformat IFC. Das Konzept und dessen praktische Anwendbarkeit wird in Form eines explorativen Prototyps vorgestellt. Es bildet eine wesentliche Grundlage für künftige, großangelegte automatisierte Erfassungskampagnen zur Erstellung von BIM-Bestandsmodellen für zukunftsfähige Brückenmanagementsysteme. 1. Hintergrund Das fortschreitende Alter der Brückenbauwerke, steigende Achslasten sowie der ständig wachsende Schwerlastverkehr im Infrastrukturnetz der Bundesfernstraßen rufen einen immer größer werdenden Erhaltungsbedarf hervor. Um diesem wachsenden Aufwand im Betrieb und der Erhaltung von Straßenbrücken dauerhaft gerecht zu werden, sind digitale Modelle mit einem einheitlichen Standard erforderlich. Mit der Einführung des Masterplans BIM Bundesfernstraßen [1] durch das BMDV ist die ganzheitliche Anwendung von Building Information Modeling (BIM) für Projekte im Infrastrukturbereich ab 2021 vorgesehen (vgl. die politische Entwicklung in Abb. 1). 108 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau Abb. 1: Politische Entwicklung der BIM-Einführung auf Bundesebene Neubauprojekte werden demnach seit 2021 anhand digitaler Bauwerksmodelle nach der BIM-Methodik geplant und gebaut. Nach der Übergabe der digitalen Modelle an den Bauherren kann dieser die Modelle in der Lebenszyklusphase Betrieb effizient nutzen. Für den überwiegenden Anteil der Bestandsbauwerke existieren derzeit jedoch keine digitalen Modelle. Anstelle der digitalen Bauwerksmodelle liegen vorwiegend 2D-Pläne in analoger oder digitaler Form vor, deren Qualität hinsichtlich Vollständigkeit und Übereinstimmung mit dem Ist-Zustand je nach Bauwerk und zuständigem Bundesland variieren. Eine standardisierte Bestandserfassung und Digitalisierung von Brückenbauwerken kann hierbei u. a. die effektive Planung von Erhaltungsmaßnahmen wesentlich verbessern. Im Zuge der langfristigen Planung, alle Infrastrukturelemente (Straße, Brücke etc.) zu einem Gesamtmodell zusammenzuführen, ist eine Komplettierung der Bestandserfassung anzustreben. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Möglichkeiten für die sukzessive modellmäßige Erfassung der Bestandsbauwerke zu untersuchen und bereit zu stellen. Für Ingenieurbauwerke als Teil der Straßeninfrastruktur ist daher die (teil-) sautomatisierte und standardisierte Ableitung der Bestandsgeometrie für eine praxisgerechte Anwendung anzustreben. Ziel dieses Forschungsvorhabens war die Entwicklung von Konzepten und Verfahren, welche eine (teil) automatisierte Erstellung von BIM-Modellen für Straßenbrücken im Bestand mittels KI-Algorithmen (künstlicher Intelligenz) auf Grundlage von Scandaten ermöglichen. Der wesentliche Nutzen der zu realisierenden (teil-) automatisierten Erstellung von Bauwerksmodellen im Bestand besteht zum einen in einer deutlichen Beschleunigung der Modellerstellung gegenüber einer konventionellen manuellen Erstellung. Dadurch können die für den Erhaltungsprozess benötigten Bauwerksinformationen dem Anwender (Straßenbauverwaltungen, Ingenieurbüros, etc.) schneller zur Verfügung gestellt werden, um eine ganzheitliche Anwendung von BIM auch im Bestand zu ermöglichen. Zum anderen weist das BIM-Modell (Darstellung des Ist-, nicht des Soll-Zustands) eine wesentlich höhere Genauigkeit und Vollständigkeit gegenüber herkömmlichen 2D-Plänen auf und bildet durch die Anreicherung des BIM-Modells mit semantischen Daten aus Bauwerksdatenbanken die Grundlage für die Erhaltungsplanung wie auch die Zustandsbeurteilung in der Betriebsphase. Im Rahmen des Projektes wurde ein einheitliches und anwenderfreundliches Verfahren entwickelt, das die Erstellung von vergleichbaren und reproduzierbaren Modellen mit einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand auf Grundlage einer möglichst praxisnahen Herangehensweise ermöglicht. Eine Demonstration dieses Verfahrens erfolgte in Form eines Prototyps mit dem Potential der Weiterentwicklung anhand von Bestandsbrücken. 2. Möglichkeiten der Digitalisierung Die für die Digitalisierung von Bestandsbauwerken am weitesten verbreitete und sicherlich zuverlässigste Technologie ist das terrestrische Laserscanning (TLS) [2]. Die immer einfacher werdende Bedienung von Laserscannern in Kombination mit der schnellen Erfassung und günstiger Hardware ermöglicht heute für viele Anwendungen den wirtschaftlichen Einsatz von Laserscannern. Das Ergebnis dieser Erfassung sind sogenannte 3D- Punktwolken, die das erfasste Bestandsbauwerk durch diskrete 3D-Oberflächenpunkte (x-, y-, und z-Koordinaten) repräsentieren. Neben dem TLS ist auch der Einsatz von UAVs (Unmanned Aerial Vehicles) in der Praxis weit verbreitet. UAVs erfassen Bestandsbauwerke u. a. durch umfassende Bilddaten, die dann mit Hilfe von Verfahren der Fotogrammmetrie in 3D-Punktwolken umgewandelt werden können [3]. Die erfassten 3D-Punktwolken beinhalten noch keinerlei Informationen über die Semantik, Struktur oder den Auf bau der erfassten Objekte und Bauwerke (Abb. 2). Die Zuordnung der erfassten Punkte zu den entsprechenden Bauteilen ist jedoch für die Ableitung von 3D- und BIM-Modellen zwingend erforder- 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 109 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau lich. Die 3D-Punktwolken müssen klassifiziert werden, was aufgrund des enormen Datenaufkommens und der Vielzahl an Brückenbauwerken automatisiert werden muss. Hier haben Verfahren der künstlichen Intelligenz ein enormes Potential, um für Bestandsbauwerke den Scan2BIM-Prozess zu unterstützen und zeitaufwändige Schritte zu automatisieren. Geometrische Algorithmen, die auf den Regeln der Brückeneigenschaften basieren, können weiterverwendet werden, um die von der KI segmentierten Punktwolkencluster in Volumenmodelle der Brücken umzuwandeln [4] [5] [6]. Für Neubauten liegen BIM-Modelle bereits vor, da diese in der Planungs- und Bauphase mittlerweile verpflichtend sind. Für den überwiegenden Anteil der Bestandsbauwerke ist dies nicht der Fall [7], so dass der Scan2BIM Prozess, bestehend aus den folgenden Schritten, umgesetzt werden kann: 1. Datenerfassung: Erstellen von Scandaten des Bauwerks mit Laserscanning oder Fotogrammetrie 2. Datenverarbeitung: Verarbeitung und Klassifikation der Scandaten 3. Modellierung: Ableitung Bauteilen und Rekonstruktion von 3D-Modellen 4. Anreicherung: 3D-Modelle mit weiteren bautechnischen Daten und Informationen anreichern und die Geometrien anpassen 5. Bereitstellung: Export der Daten in standardisierten Formaten, z. B. offenes Austauschformat Industry Foundation Classes (IFC) [8] Abb. 2 zeigt die Datenerfassung des Bestands mittels terrestrischem Laserscanning an der duraBASt-Brücke am Autobahnkreuz Köln-Ost vor der Datenverarbeitung. Abb. 2: Terrestrischer Laserscan der duraBASt-Brücke 3. Konzept zur (teil-)automatisierten Erzeugung von BIM-Modellen 3.1 Einführung Die Entwicklung der Konzepte für die Erzeugung von BIM-Modellen aus Brückenpunktwolken umfasste Forschungsarbeiten in drei aufeinander auf bauenden Themenbereichen: 1. Generierung von BIM-Modellen als Lerndaten, 2. Training von neuralen Netzwerken (2.1) und KI-basierte Klassifikation (2.2) sowie 3. Verfahren für die Erstellung von Volumenmodellen und semantische Anreicherung. Diese Themenbereiche werden in diesem Kapitel vorgestellt. Die Resultate dieser Entwicklung lassen sich in zwei Gruppen unterteilen - die Trainingsphase (Themenbereiche 1 und 2.1) und die Anwendungsphase (Themenbereiche 2.2 und 3), die im Kapitel 4 beschrieben werden. 3.2 Generierung von BIM-Modellen als Lerndaten Für die Anwendung von KI-Verfahren sind Trainingsdaten unerlässlich. Diese Trainingsdaten können durch das Annotieren von Scandaten erstellt werden, was jedoch sehr zeitaufwändig ist und Scandaten von möglichst vielen Brücken erfordert, um das KI-Verfahren robust gegenüber den Bauwerksausprägungen in der Realität zu machen. Da die Verfügbarkeit von tatsächlichen Scandaten auf wenige Brücken beschränkt war, wurden in diesem Vorhaben 3D-Brückenmodelle für die Generierung von synthetischen Trainingsdaten genutzt. Hierfür werden Brückenmodelle generiert, die eine Vielzahl der bestehenden Straßenbrücken repräsentieren. Die Brückenmodelle werden durch Kombination typischer Bauteile aus einer eigens entwickelten Bauteildatenbank erstellt, um verschiedene Kombinationen aus Tragsystem, Widerlager, Pfeiler, Träger und Ausstattung zu erzeugen. Die Brückenmodelle für die Erstellung der Trainingsdaten werden so gegliedert, dass sie mit den Daten aus SIB-Bauwerke [9] verknüpft werden können. SIB-Bauwerke ist ein Datenbanksystem des Bundes für die Erfassung, Verwaltung und Auswertung der Bauwerksdaten inklusive der Funktionalität zur Dokumentation von Bauwerksprüfungen. Dieses Datenbanksystem wurde für die Zwecke der Generierung von Trainingsdaten und der semantischen Anreicherung im Rahmen des Projekts untersucht. In der Regel wird ein Bauteil aus SIB-Bauwerke durch ein oder mehrere geometrische Elemente im Brückenmodell repräsentiert. Für jedes Brückenmodell wurden virtuelle Befliegungsrouten und Scanstandorte festgelegt, um eine Erfassung von Laserscandaten wie in der Realität simulieren zu können. Alle generierten Brückenmodelle wurden virtuell gescannt und in annotierte Punktwolken umgewandelt. Die so erzeugten 3D-Punktwolken konnten für das Training der neuronalen Netze verwendet werden. Das virtuelle Scannen wurde so konzipiert, dass die Charakteristik der Trainingsdaten so weit wie möglich der von realen Scans entspricht. Es wurden LiDAR-Scans entlang der virtuellen Befliegungsrouten sowie die terrestrische Erfassung simuliert, so dass der Prozess der Erstellung von Trainingsdaten automatisiert werden konnte. Abb. 3 zeigt ein Brückenmodell mit den Erfassungspfaden und Standorten. Abb. 4 zeigt die klassifizierte Punktwolke als Ergebnis der virtuellen Befliegung. 110 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau Abb. 3: Brückenmodell einer Brücke mit virtuellen Befliegungsrouten und Standpunkten für die Erfassung Abb. 4: 3D-Punktwolke mit Semantik als Resultat der virtuellen Befliegung des Brückenmodells 3.3 Training der neuralen Netzwerke und KI-basierte Klassifikation Die Qualität der KI-basierten Klassifikation hängt maßgeblich von den Ausgangsdaten ab. 3DPunktwolken zeichnen sich durch einen hohen Speicherbedarf, fehlende Struktur der Rohdaten sowie unterschiedliche Auflösung, Dichte und Genauigkeit aus. Für die Scandaten werden deshalb verschiedene Vorverarbeitungs- und Filterschritte umgesetzt, um die Datenqualität zu verbessern. Somit kann eine Mindestqualität der Daten, indem Ausreißer, Duplikate und bewegliche Objekte entfernt werden, sichergestellt werden. Die KI-basierte Klassifikation arbeitet mit den vorverarbeiteten Eingabedaten und ermittelt für jeden Punkt der Punktwolke die wahrscheinlichste Klasse (Lager, Träger usw.). Die KI nutzt dabei neuronale Netze, die mit Hilfe der Trainingsdaten aus synthetischen und Echtwelt- Punktwolken trainiert wurden. Die KI arbeitet die Punkwolke Punkt für Punkt ab und untersucht für jeden Punkt Lage und Verteilung der Nachbarpunkte. So kann eine Wahrscheinlichkeit für die Zugehörigkeit eines Punktes zu einem Bauteil bestimmt werden. Nachdem alle Punkte klassifiziert wurden, wird eine Plausibilitätsprüfung und Nachverarbeitung durchgeführt. Diese Nachverarbeitung der 3D-Punktwolken ist notwendig, da die KI-basierte Klassifikation besonders in Grenzbereichen einzelne Punkte fehlerhaft klassifizieren kann. Durch die Anwendung von verschiedenen Analyseverfahren (z. B. Segmentierung, Voting usw.) werden Punkte und Punktgruppen bezüglich der durch die KI zugeordneten Klassen auf Plausibilität geprüft und bei Bedarf korrigiert. Abb. 5 zeigt das Ergebnis der KI-basierten Klassifikation. Die Punktwolken mit den Klasseninformationen sind dann die Ausgangsdaten, um die Oberflächen- und Volumenmodelle abzuleiten. Abb. 5: 3D-Punktwolke der duraBASt-Brücke, klassifiziert mit KI-Verfahren 3.4 Verfahren für die Erstellung von Volumenmodellen und semantische Anreicherung Für die Weiterverwendung im BIM-Modell sind 3D- Punktwolken keine geeignete Repräsentation, weshalb die Ableitung von Oberflächen- und Volumenmodellen aus den 3D-Punktwolken notwendig ist. Die segmentierten Punktcluster werden in eine für die geometrischen Rekonstruktionsalgorithmen geeignete Form überführt. Dazu werden einzelne Bauteile geclustert, Zwillingsbrücken getrennt, die Bauwerke ausgerichtet, Bauteilklassen weiter unterteilt und Punktcluster anhand der Richtung der Bauwerksachse durchnummeriert und gekennzeichnet. Anschließend werden verschiedene Methoden der Oberflächenrekonstruktion genutzt, um 3D-Geometrien zu erzeugen. Diese 3D-Geometrien bilden zwar die Oberfläche sehr detailgetreu ab, besitzen jedoch kein Volumen und sind für die weitere Verwendung nur bedingt geeignet. Daher wurden Methoden zur Erkennung von Querschnitt und Leitlinie der einzelnen Bauteile entwickelt, um extrudierte Volumenmodelle zu erzeugen (Abb. 6). Das Ergebnis dieses Arbeitsschrittes sind die Oberflächen- und Volumenmodelle des Bauwerks. Abb. 6: Zusammenführung der Bauteilvolumenmodelle in ein Gesamt-Brückenvolumenmodell Es wurde zusätzlich ein Verfahren entwickelt, um das aus den 3D-Punktwolken abgeleitete BIM-Modell mit Informationen aus SIB-Bauwerke anzureichern, z. B., indem 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 111 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau die Durchnummerierung der Bauteile anhand der algorithmisch bestimmten Bauwerksrichtung erfolgt, verschiedene Informationen hinzugefügt werden (z. B. Typ, Bauart, Beziehung, Material), sowie visuell nicht erfassbare Geometrien (z. B. Belagsdicke) oder Bauteile (z. B. Abdichtungen und Gründungen) ergänzt werden. Die üblichen Brückeneigenschaften und Standardwerte werden definiert, um die verbleibenden Fehler in den geometrischen Darstellungen der Brücken zu beseitigen und detailliertere Geometrien erzeugen zu können. Ein Beispiel für die weitere Unterteilung der Hauptklasse Träger in die Klassen Träger, Kappe und Schrammbord ist in Abb. 7 dargestellt. Abb. 7: Erzeugung der detaillierten Geometrien anhand der semantischen Daten und Brückeneigenschaften 4. Entwicklung des Prototyps 4.1 Allgemeines Das in Kapitel 3 vorgestellte Konzept wurde in einen Prototyp umgesetzt, um die Praxistauglichkeit zu demonstrieren. Im Folgenden werden die einzelnen Komponenten und der zugehörige Prozess vorgestellt. Zudem werden die Ergebnisse anhand der duraBASt-Brücke demonstriert. 4.2 Komponenten und Prozessbeschreibung Die entwickelten Konzepte basieren auf einer Kombination von KI-Verfahren, geometrischer Segmentierung und heuristischen Algorithmen zur Gewinnung von Volumenmodellen. Im Ergebnis wurden zehn Komponenten realisiert. Diese sind die folgenden: 1. Generierung von Brückenmodellen als Lerndaten 2. Umwandlung der Brückenmodelle in Brückenpunktwolken 3. Hinzufügung der händisch annotierten realen Brückenpunktwolken zum Lerndatensatz (3a) und die Eingabe der realen Brückenpunktwolke zur Anwendungsphase (3b) 4. Vorverarbeitung Punktwolken (Trainingsdaten 4a und reale Brückenpunktwolke 4b) 5. Training von neuronalen Netzen (5a) und KI-basiertes Klassifizieren (5b) 6. Nachverarbeitung Punktwolken 7. Ableitung von Oberflächen- und Volumenmodellen 8. Semantische Anreicherung und Geometrieanpassung 9. IFC-Datei-Generierung 10. Ausgabe - BIM-Modell der Brücke Diese Komponenten bilden Arbeitsschritte aus zwei Prozessen, des übergeordneten Trainingsprozesses, bei dem Lerndaten erstellt und neuronale Netze trainiert werden und eines Anwendungsprozesses, bei der die KI auf reale Scandaten angewendet wird, um BIM-Modelle abzuleiten. Die Komponenten des Trainingsprozesses sind in Abb.-8 illustriert. Schritt (3a), das händische Annotieren von Trainingsdaten, wurde vorgenommen, um die Qualität der KI-basierten Klassifikation zu verbessern. Die Komponenten des Anwendungsprozesses sind in Abb. 9 illustriert. Die Eingabe zum Prozess ist ein Brückenpunktwolkenscan (Schritt 3b). Das Brückenmodell wird als IFC-Hierarchie der Bauteile erstellt und die zusätzlichen Informationen werden den IFC-Elementen zugewiesen. Alle Bauteile werden in einer Brückendarstellung zusammengeführt und als BIM-Modell im IFC- Format exportiert (Schritt 10). Abb. 8: Komponenten des Trainingsprozesses für die (teil-)automatisierte Erstellung von BIM-Modellen aus 3D-Punktwolken 112 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau Abb. 9: Komponenten des Anwendungsprozesses für die (teil-)automatisierte Erstellung von BIM-Modellen aus 3D-Punktwolken 4.3 Demonstration anhand der duraBASt-Brücke Die Praxistauglichkeit wird demonstriert, indem ein Ist- BIM-Modell für reale Brücken mit den anhand der KI segmentierten Bauteilen, angereichert mit semantischen Informationen aus der SIB-Bauwerke Datenbank, erzeugt und im standardisierten und offenen IFC-Format abgeleitet wird. Die erfasste 3D-Punktwolke der dura- BASt-Brücke ist in Abb. 10 dargestellt. Die 3DPunktwolke ist ungefiltert und enthält noch bewegliche Objekte, Umgebungsdetails und diverse Ausreißer, die in dem Vorverarbeitungsschritt identifiziert und gefiltert werden. Die bereinigte 3DPunktwolke als Ausgangsdatensatz für die KI-basierte Klassifikation ist in Abb. 11 dargestellt. Die Ergebnisse der KI-basierten Klassifikation nach der Nachverarbeitung sind in Abb. 12 dargestellt. Das abgeleitete BIM-Modell mit allen Brückenbauteilen ist in Abb.-13 veranschaulicht. Abb. 10: Ungefilterte 3D-Punktwolke der duraBASt- Brücke aus einem terrestrischen Laserscan Abb. 11: Gefilterte und bereinigte 3D-Punktwolke der duraBASt-Brücke Abb. 12: Klassifizierte 3D-Punktwolke der duraBASt- Brücke Abb. 13: Das abgeleitete BIM-Modell aus klassifizierter 3D-Punktwolke der duraBASt-Brücke 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 113 Scan2BIM: Einsatz künstlicher Intelligenz zur Generierung von BIM-Bestandsmodellen im Straßenbrückenbau 5. Zusammenfassung, Fazit und Ausblick Das entwickelte und hier vorgestellte Konzept zur Generierung von BIM-Modellen aus Scandaten unter Verwendung von Methoden der künstlichen Intelligenz stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, den Herausforderungen der Digitalisierung des Brückenbestands zeitgemäß zu begegnen. Der (teil)automatisierte Ansatz unterstützt dabei bestmöglich zukünftige Anwender und ermöglicht die Generierung standardisierter, einheitlicher und semantisch angereicherter BIM-Modelle. Der entwickelte Prototyp setzt sich aus einer modular aufgebauten Prozesskette aus aufeinander auf bauenden Arbeitsschritten zusammen, wie in Abb. 9 dargestellt. Die Anwendbarkeit des Prototyps auf reale Brückendaten ist demonstriert worden. Dabei wurden die trainierten neuronalen Netze und entwickelten Algorithmen für die Vor- und Nachverarbeitung, sowie die algorithmische Ableitung von Oberflächen- und Volumenmodellen in einer modularen Prozesskette miteinander kombiniert und auf 3D-Punktwolken von mehreren Brücken angewendet, um die Praxistauglichkeit zu demonstrieren. Die Erkenntnisse und die entwickelten Prozesse haben das Potential, die Bauwerkserhaltung effizienter zu gestalten. Dies bezieht sich insbesondere auf die Bauwerksprüfung und Erhaltungsplanung, welche auf Grundlage der generierten Bestandsmodelle vollständig digitalisiert werden könnten. So bieten die Modelle beispielsweise eine sehr gute Unterstützungsmöglichkeit bei der Durchführung der Bauwerksprüfung, um u. a. eine georeferenzierte Lokalisierung von Bauwerksschäden im Modell vorzunehmen. Das im Projekt entwickelte Verfahren und die Umsetzung des Prototyps haben gezeigt, dass die Ableitung von BIM-Modellen aus 3D-Punktwolken möglich ist. Für eine Anwendung in der Praxis, beispielsweise im Zuge einer großflächig angesetzten Erfassungskampagne, sind grundsätzlich verschiedene Weiterentwicklungsmöglichkeiten denkbar, wie beispielsweise eine Evaluierung des KI-Verfahrens durch weitere Trainings- und Scandaten, Anreicherung des Expertensystems von Brückeneigenschaften und Regeln für die Erweiterung der Möglichkeiten von Volumenmodellerstellung oder auch die Generierung von Modellen von komplexeren und vielfältigeren Brückenbauwerken. Danksagung Diesem Bericht liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE 02.0436/ 2020/ ARB „Entwicklung von Verfahren zur (teil-)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen für Straßenbrücken im Bestand“ durchgeführten Forschungsarbeit zugrunde. Wir bedanken uns beim Forschungskonsortium IMC und HPI für die erfolgreiche Umsetzung des Forschungsprojekts und die gute Zusammenarbeit sowie bei den Mitgliedern des Betreuerkreises für ihre hilfreichen Hinweise und Rückmeldungen. Literatur [1] BMDV (2021): Masterplan BIM Bundesfern-straßen. Online verfügbar unter: https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ masterplan-bim-bundesfernstrassen.html [2] Mill, T., Alt, A., & Liias, R. (2013). Combined 3D building surveying techniques-terrestrial laser scanning (TLS) and total station surveying for BIM data management purposes. Journal of Civil Engineering and Management, 19(sup1), S23-S32. [3] Leberl, F., Irschara, A., Pock, T., Meixner, P., Gruber, M., Scholz, S., & Wiechert, A. (2010). Point Clouds: Lidar versus 3D Vision. Photogrammetric Engineering & Remote Sensing, 76(10), 1123-1134. [4] Lu, R., Brilakis, I., & Middleton, C. R. (2019). Detection of Structural Components in Point Clouds of Existing RC Bridges: Detection of bridge components in point clouds. Computer-Aided Civil and Infrastructure Engineering, 34(3), pp. 191-212. [5] Zhao, Y.-P., & Vela, P. A. (2019). Scan2BrIM: IFC Model Generation of Concrete Bridges from Point Clouds. Computing in Civil Engineering 2019, pp.-455-463. [6] Qin, G., Zhou, Y., Hu, K., Han, D., & Ying, C. (2021). Automated Reconstruction of Parametric BIM for Bridge Based on Terrestrial Laser Scanning Data. Advances in Civil Engineering, (1), pp.-1-17. [7] Volk, R., Stengel, J., & Schultmann, F. (2014) Building information modeling (bim) for existing buildings - literature review and future needs. Automation in Construction, 38, 109-127. [8] Liebich, T. (2009). IFC 2x Edition 3 Model Implementation Guidance. Online verfügbar unter: https: / / standards.buildingsmart.org/ documents/ Implementation/ IFC2x_Model_Implementation_ Guide_V2-0b.pdf [9] SIB Bauwerke (2023): Datenbank für Bauwerksdaten. Online verfügbar unter: https: / / sib-bauwerke.de/