eJournals Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur 2/1

Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken – wer geht voran?

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Jörg-Martin Hohberg
Die Internationale Vereinigung für Brücken und Hochbau (IABSE) hat kürzlich ihre sechs Technischen Kommissionen nach den Bauwerkslebensphasen abgegrenzt, vom konzeptionellen Entwurf bis zur Nachhaltigkeit. Kommission 5 befasst sich mit bestehenden Tragwerken und in ihrer Arbeitsgruppe TG 5.6 mit BIM in Structure Management, d. h. der (Weiter)-Verwendung von Building Information Models im Rahmen von Bridge Management Systems (BrMS) als Pendant zum Facility Management von Hochbauten. Dahinter steht der Gedanke, dass Assets über ihren gesamten Lebenszyklus in ein und demselben Modell verwaltet werden – in diesem Fall Infrastrukturbauten mit 100 Jahren Lebensdauer oder mehr. Wenn es dazu noch einen Auslöser gebraucht hätte, so wäre dies der Einsturz des Polcevera-Viadukts von Riccardo Morandi am 14. August 2018 gewesen, der aufgrund fortschreitender, z.T. bekannter Korrosionsschäden in einem statisch genialen, aber schlecht detaillierten Brückenentwurf geschah. Die TG 5.6 befasst sich mit den Anforderungen an eine Erweiterung der offenen Datenschnittstelle IFC Bridge für die periodischen Tragwerksinspektionen, die Modellierung von Schädigungsmechanismen und die ökonomische Allokation von Unterhaltsmitteln in einem digitalen Zwilling, der sich aus dem statischen „as-built“-Modell zu einem chronologischen „as-maintained“-Modell weiterentwickelt. Dabei wird von der Infrastruktur und dem Stand der Digitalisierung in der Schweiz ausgegangen.
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2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 139 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? Dr. sc. techn. Jörg-Martin Hohberg IUB Engineering AG, Bern Zusammenfassung Die Internationale Vereinigung für Brücken und Hochbau (IABSE) hat kürzlich ihre sechs Technischen Kommissionen nach den Bauwerkslebensphasen abgegrenzt, vom konzeptionellen Entwurf bis zur Nachhaltigkeit. Kommission 5 befasst sich mit bestehenden Tragwerken und in ihrer Arbeitsgruppe TG 5.6 mit BIM in Structure Management, d. h. der (Weiter)- Verwendung von Building Information Models im Rahmen von Bridge Management Systems (BrMS) als Pendant zum Facility Management von Hochbauten. Dahinter steht der Gedanke, dass Assets über ihren gesamten Lebenszyklus in ein und demselben Modell verwaltet werden - in diesem Fall Infrastrukturbauten mit 100 Jahren Lebensdauer oder mehr. Wenn es dazu noch einen Auslöser gebraucht hätte, so wäre dies der Einsturz des Polcevera-Viadukts von Riccardo Morandi am 14. August 2018 gewesen, der aufgrund fortschreitender, z.T. bekannter Korrosionsschäden in einem statisch genialen, aber schlecht detaillierten Brückenentwurf geschah. Die TG 5.6 befasst sich mit den Anforderungen an eine Erweiterung der offenen Datenschnittstelle IFC Bridge für die periodischen Tragwerksinspektionen, die Modellierung von Schä digungsmechanismen und die ökonomische Allokation von Unterhaltsmitteln in einem digitalen Zwilling, der sich aus dem statischen „as-built“-Modell zu einem chronologischen „as-maintained“-Modell weiterentwickelt. Dabei wird von der Infrastruktur und dem Stand der Digitalisierung in der Schweiz ausgegangen. Abb. 1: Aufräumarbeiten 2018 nach dem Einsturz der 50 Jahre alten Morandi-Brücke [1] [2] 1. Alternde Hinterlassenschaft des Baubooms Die 1960er Jahre waren in den USA und Europa die Jahre des schnellen Autobahnbaus und der vorgespannten Betonbrücken, bevor die Schwarzräumung mit Tausalz üblich und in ihren Auswirkungen auf die Dauerhaftigkeit bekannt wurden. So räumte der 2018 verstorbene Prof. Christian Menn in seinen späten ETH-Vorlesungen Anfang der 1980er Jahre ein, er würde heutzutage nie mehr mit so wenig Betonüberdeckung (und ohne Fahrbahnabdichtung) bauen wie bei seinen berühmten Bogenbrücken an der 1967 eröffneten San-Bernardino-Straße A13. Man war damals auch sehr stolz auf die - von Prof. Dr. Bruno Thürlimann begründete -plastische Bemessung im Betonbau, wie sie Christian Menn beim Felsenauviadukt der A1 in Bern anwendete: Die hohe Ausnutzung der Stege auf Schub und Torsion macht es nun unmöglich, die Brücke von 2´3 auf 2´4 Spuren zu verbeitern, so dass eine Kapazitätserweiterung der Nordumfahrung von Bern nur durch einen zweiten Viadukt oder einen Tunnel unter dem tief eingeschnittenen Aaretal möglich wäre. Abb. 2: Bau des Berner Felsenauviadukts der A1 von Christian Menn 1972-1974 (Quelle Emch+Berger AG) Neben Vorspannung mit nachträglichem Verbund, die zum bekannten Koppelfugenproblem in Deutschland führten - das wiederum in der Schweiz nicht so prägnant auftrat, wohl dank des Konzepts der teilweisen Vorspannung - wurden im Schweizer Nationalstraßenboom auch Lehnenviadukte aus Einfeldträgern mit Spannbettvorspannung in sofortigem Verbund errichtet, die z. B. an der Gotthard-Nordrampe zum Teil erhebliche Korrosionsprobleme aufwiesen. 140 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? Abb. 3: Schweizer Nationalstraßennetz mit Ballungsräumen und Ausbauplanung, Stand 2017 (Quelle: Berner Zeitung) Seither hat die Sanierung von Brücken mittels Klebebewehrung (Stahl- oder Karbonlamellen), Spannstäben zur Schubverstärkung und dem jüngst an der EPFL entwickelten ultrahochfesten Faserbeton (UHFB) erhebliche Fortschritte gemacht. Es gibt sogar eine Schweizer Normenreihe für die Erhaltung von Tragwerken, deren Blätter analog zu den Eurocodes nummeriert sind [3]. 2. Digitalisierung der Straßeninfrastruktur Mit der Verlagerung der Zuständigkeiten für die Nationalstraßen von den Kantonen an den Bund im Jahr 2008 wurde das ASTRA Herrin über rd. 2300 km Straßen, mehr als 4300 Brücken, 315 Tunnelanlagen und viele Kilometer Stützmauern, Lärmschutzwänden etc., die alle periodisch inspiziert, bzgl. Maßnahmen priorisiert und in Jahresprogrammen eingeplant werden müssen. Abb. 4: Eröffnung des Sanierungstunnels Belchen 2022 Der Finanzbedarf beträgt pro Jahr i.M. 455 Mio. CHF für den Betrieb, 1624 Mio. für den Unterhalt und 568 Mio. für den Ausbau [4]. Dies beinhaltet mehrere dritte Tunnelröhren, die jedoch noch keinen Mehrverkehr aufnehmen, sondern erst die Sanierung der bestehenden alten Tunnelröhren ermöglichen. Darin noch nicht enthalten sind die Baukosten der in Angriff genommenen 2. Röhre des Gotthardstraßentunnels, dessen 1980 eröffnete alte Röhre ebenfalls dringend der Sanierung bedarf. 2.1 Geografische Informationssysteme Bereits vor der Zentralisierung der Zuständigkeit rapportierten die kantonalen Tief bauämter die laufenden Aufwendungen für Fahrbahnreinigung (inkl. Tunnel) und Behandlung der Straßenabwässer, Unfalldienst und Baustellensignalisation, Schneeräumung, Grünpflege und Wartung der elektromechanischen Betriebs- und Sicherheitseinrichtungen (BSA) in ein Benchmark-Tool des AS- TRA. Für die Ausschreibung der Leistungen in die 11 neu eingeteilten Gebietseinheiten wurde das Mengengerüst detailliert auf Lageplänen erfasst (z. B. Anzahl Schächte, Kilometer Entwässerungen und Zäune etc.), die heutzutage digitalisiert im Feld auf Tabletcomputern abgerufen werden können. Die Periodizität der Reinigung richtet sich nach Erfahrungswerten zum Verschmutzungsgrad, so z. B. bei der Rastplatzreinigung nach dem Ferienverkehr aus Deutschland und den Benelux-Ländern. Für den Winterdienst bestehen Routeneinteilungen und Alarmdispositive, unterstützt durch Temperaturfühler mit Fernmeldung. An einige Brücken in Schattenlagen sind automatische Solesprayanlagen installiert. 2.2 Verkehrsüberwachung Die Verkehrsüberwachung wurde über Webbrowser in wenigen Leitzentralen konzentriert, in denen neben Videobildern alle Zustandsanzeigen der Betriebs- und Sicherheitsanlagen (BSA) angezeigt und bei Bedarf geschaltet werden. Dazu gehören insbesondere die Tunneleinrichtungen und Signalportale für verkehrsabhängige Geschwindigkeitssteuerung. Im Brandfall schalten sich aufgrund von Temperatur- und Sichttrübungsmessungen, aber auch Reflexen der Feuerlöscherauf hängungen und Fluchttürkontakte, die Portale automatisch auf Tunnelrot. Dank der digitalen Pläne der Entwässerungsleitungen können sich die Einsatzdienste schnell den Überblick über Ölabscheider und den Verbleib des Löschwassers verschaffen. Viele der Lüftungseinrichtungen, der Mess- und Steuerungstechnik nähern sich nach 20 Jahren bereits ihrem technologischen Lebensende. Zudem mussten wegen erhöhter Sicherheitsanforderungen nach dem Brand im Montblanc-Tunnel 1999 sukzessive für alle Straßentunnel mit Gegenverkehr zusätzliche Sicherheitsstollen gebohrt werden. Geräteinventare und Schaltschemata der Technikräume beruhen noch weitgehend auf Listen und Papierplänen. Hierbei spielt implizites Wissen der Anlagenbetreuer immer noch eine wichtige Rolle, sowohl bezüglich der Räumlichkeiten und Einrichtungen als auch der Ersatzteilbevorratung. Wegen der verschiedenen Erstellungszeiten der Anlagen mit unterschiedlichem Stand der Technik sowie dem Zwang zur produktneutralen Ausschreibung ist die BSA-Instandhaltung deutlich komplexer als der bautechnische Teil. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 141 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? Abb. 5: Verkehrsleitzentrale der Westumfahrung Zürich 2.3 Assetmanagement Alle geografischen Informationssystem (GIS) und darauf auf bauende Leitungs- (LIS) und Netzinformationssysteme (NIS) sind grundsätzlich 2-D oder 2,5-D, d. h. mit der Tiefenlage als Attribut. Weitere Attribute sind natürlich das Erstellungsdatum und Erneuerungsdaten der Anlagenteile, Bemessungskapazitäten (z. B. Nenndurchmesser, Drücke), Schacht- und Rohrblockdetails und die Zustandsdokumentation (z. B. Kanal-TV). Die Nacherfassung der Tiefenlagen wären die Voraussetzung für ein 3D-Modell des Untergrunds, das in ferner Zukunft vielleicht als AR-Display zur Verfügung stünde. Zusammen mit geologischen Bohrprofilen und hydrogeologischen Daten wäre ein solches GeoBIM eine wichtige Grundlage für die Tiefenplanung großer Infrastrukturvorhaben wie dem visionären Logistiksystem Cargo sous terrain [5]. Zur Erfassung und Beaufsichtigung der oberirdischen Kunstbauten auf dem Nationalstraßennetz besteht für Brücken und Stützmauern seit Jahrzehnten die Datenbank „KuBa“, mit genauer Anleitung zur Erfassung und Bewertung von Schäden - mit den Hauptinspektionen werden Ingenieurbüros beauftragt - und Chronologie aller Ertüchtigungsmaßnahmen. Leider stehen von etlichen Bauwerken nur eingescannte Pläne und Prinzipskizzen des Tragsystems zur Verfügung, in das Schäden lagemäßig eingetragen und Fotos verortet werden. Langsam finden auch digitale Assistenten Eingang, wobei Inspektionskampagnen im Büro anhand der CAD-Pläne vorbereitet und die Befunde im Feld direkt im Tabletcomputer eingegeben werden. Abb. 6: Brückeninstandsetzung an der A 8 bei Thun (Quelle Bänziger und Partner AG) Erst im Rahmen konkreter Erhaltungsprojekte werden die Planunterlagen sukzessive auf heutigen Stand gebracht. Dazu gehören der Nutzungsplan und die Projektbasis, aber nicht 3D-Modelle. Wichtiger ist die Funktion der Kunstbauten als Teil des entsprechenden Straßenzugs, z. B. mit Hinblick auf Sondertransportrouten, aber auch zwecks Abstimmung der gesamtheitlichen Erneuerungs- und Ausbauplanung. Dazu werden die Daten seit kurzem in einem übergeordneten Web-GIS namens MIS- TRA zusammengeführt, Abb. 7. Für Brückeninspektionen wird zunehmend mit Drohnen experimentiert, was die Sperrung von Spuren für Untersichtsfahrbühnen vermeidet, zudem wird an einem ETH-Lehrstuhl an Robotereinsatzmöglichkeiten geforscht. Abb. 7: Mistra-Basissystem zur Inventarverwaltung (https: / / www.astra.admin.ch/ astra/ de/ home/ fachleute/ weitere-bereiche/ fachanwendungen/ basissystem-b.html) Mit der ISO 55001: 2014 erschien inzwischen eine internationale Assetmanagement-Norm zu Strategie, Compliance, Kennzahlen und Optimierung von Unterhaltsmaßnahmen [6]. 142 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? 2.4 Nutzung digitaler Daten in 3D Seit langem sind im Infrastrukturbau selektiv 3D-Planungshilfsmittel gebräuchlich, z. B. für Voreinschnitte an Tunneln und komplizierte Baugruben, mit Übernahme digitaler Geländemodelle aus der Vermessung (per Drohnen oder terrestrisch). Dabei leistet die Kollisionsprüfung von Bodenankern gute Dienste, insbesondere bei konvexen Voreinschnitten im Tunnelbau (z. B. wegen gestaffelter Portale). Noch wichtiger wird die genaue dreidimensionale Geometrie bei der Anordnung von Injektionsschirmen für Dichtsohle unter Baugruben oder für Vortrieb im Grundwasser sowie bei Bodenvereisungen. Bei Bestandsbauwerken wird neu die Auswertung von 3D-Punktwolken herangezogen, nachdem ähnliche mobile Laserscanningtechniken sich schon länger in der Erfassung von Unter- und Überprofil im Tunnelbau sowie der Lichtraumprofilkontrolle an Bahnstrecken bewährt haben. Abb. 8: 3D-Scan einer Lawinenschutzgallerie für die Erstellung digitaler Bestandspläne Erste BIM-Anwendungen finden dort statt, wo es um Anlagen mit komplexer Betriebstechnik geht, z. B. für Kavernenkraftwerke und Technikräume in Verkehrstunneln, wobei die Attribute sich noch meist auf die Materialisierung beschränken. Abb. 9: Turbinenhaus des Wasserkraftwerks Robbia Im Rahmen von Pilotprojekten wird vom ASTRA die BIM-gestützte Ausschreibung komplexer geotechnischer Bauwerke erprobt, so z. B. die eines Rettungsschachts (Abb. 10), wo es ebenfalls um die genaue Erfassung der Geometrie und der Bodeninjektionen ging. Transparenz des Bauvorhabens, durchgängiger Datenfluss und klare Kostengrundlage sind u.U. wichtiger als weitere BIM- Nutzungen [7]. Abb. 10: Querverbindung zu neuem Sicherheitsstollen im Schorentunnel St. Gallen (Quelle Basler & Hofmann AG) Da in der Schweiz mehr neue Tunnel als Brücken gebaut werden, haben wir bisher kaum BIM-Anwendungen im Brückenbau vorzuweisen; vielmehr werden für den Tunnelbau (zumal bei Rechteckprofilen) gerne Allplan- Bridge und ähnliche BIM-taugliche CAD-Programme für Linienbauten verwendet, die weiter fortgeschritten sind als entsprechende Tunnelbauaufsätze. Die Treiber der BIM-Anwendung hinsichtlich Termin- und Kostenmanagement (4D resp. 5D BIM) sind eher die Tunnelbaufirmen wegen der direkten Zuordnung geologischer Ortsbrustaufnahmen zu den gewählten Ausbauklassen (Verwendung als Dokumenten-Managementsystem). 2.5 Digitale Zwillinge Die Modellbildung für Analyse und Bemessung mit FEM-Programmen erfolgt nach wie vor in separaten Preprozessoren, weil im Bauprojektstadium entweder noch keine 3D-CAD-Modelle bestehen oder geometrische Parametervarianten zu untersuchen sind. Im Fall einer durch Anker zu verstärkenden Stützwand wurde zwar aus Bestandplänen ein 3D-Volumenmodell erstellt, aber für die nichtlineare geotechnische Berechnung fünf typische Querschnitte im ebenen Dehnungszustand modelliert [8]. Während der Ausführung konnten je nach angetroffener Tiefe des Felshorizonts und Problemen bei der Fußpunktinjektion noch Parameter angepasst und Zusatzanker bemessen werden. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 143 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? Abb. 11: FE-Simulation der Ertüchtigung einer gestapelten Stützwand gegen Hanginstabilität Wenn man so will, lassen sich alle numerische Berechnungsmodelle als digitale Zwillinge einsetzen, indem - z. B. im Rahmen der Beobachtungsmethode - Daten aus dem Monitoring in das Computermodell zwecks Interpretation und verbesserter Vorhersage zurückgespeist werden. So dienen schon seit 100 Jahren Verformungsmessungen an Talsperren der Plausibilisierung des Bemessungsmodells (damals Trägerrostverfahren) und zur Detektion von Verhaltensanomalien, die Aufschlüsse über Betonrisse, Kluftöffnungen oder ähnliches geben können. Neu ist hingegen die Möglichkeit, über Tablet und Cloudcomputing selbst aufwändige FE-Berechnung „live“ im Feld durchzuführen, z. B. für die Überprüfung von Baugrubendeformationen und Hangstabilität. Bei schwingungsempfindlichen Tragwerken bietet es sich an, aus künstlicher Anregung oder ambienten Eigenschwingungen (Wind, Verkehr) mittels Spektralanalyse Veränderungen in den Eigenfrequenzen festzustellen, die auf Schadensentwicklungen hindeuten und diese zu überwachen gestatten (Structural Health Monitoring). Echtzeitanwendungen im Bereich der sensor-basierten Steuerung von Bauprozessen, die in Richtung „Internet of Things (IoT)“ gehen, zeichnen sich insbesondere im Spezialtief bau ab, z. B. bei der Erstellung von Pfählen, Optimierung von Injektionsdrücken und der Schlitzwanderstellung mit integrierter Profilprüfung. 3. BIM und Bridge-Management-Systeme Vor allem in den skandinavischen Ländern ist der Entwurf neuer Brücken mit BIM bis zum Verzicht auf ausgedruckte Baupläne entwickelt (BIM2FIELD), wobei dank Parametrisierung mehrere ähnliche Brücken innerhalb eines Nationalstraßenzugs auseinander hergeleitet werden können. Stark bewehrte Stützenknoten brauchen nicht mehr als 1: 1-Mockup modelliert zu werden, und der Schalungslieferant kann im Freivorbau alle Etappen im 4D planen [9]. Spanngliedverläufe können optimiert und durch Start der Berechnungssoftware direkt aus dem digitalen Zwilling verifiziert werden (BIM2FEM). Abb. 12: Fotomontage der Pfeilerkopf bewehrung und BIM-Workflow der Randselvabrücke in Norwegen In Rot angedeutet ist die Zukunft einer Nutzung des Modells während der Betriebs- und Unterhaltsphase, üblicherweise als 6D-BIM bezeichnet, also das Pendant zum Facility Management im Hochbau. 3.1 Arbeit der IVBH-Kommission 5 Die 1929 in Zürich gegründete Internationale Vereinigung für Brücken- und Hochbau (IVBH/ IABSE) hat bei der letzten Restrukturierung ihrer Arbeitsgruppen entlang des Bauwerkslebenszyklus alle Arbeitsgruppen für bestehende Tragwerke in der Kommission 5 „Existing Structures“ zusammengefasst. Diese sind: TG 5.1 - Forensic structural engineering TG 5.2 - Gerontology of bridge structures TG 5.3 - Definition of key performance indicators TG 5.4 - Structure mgmt. systems & decision making TG 5.5 - Conservation & seismic strengthening TG 5.6 - BIM in structure management TG 5.7 - (left empty) TG 5.8 - Resilience of existing structures TG 5.9 - Remote inspection of bridges. Den Vorsitz der Kommission 5 hat Dr. Rade Hajdin inne, Koautor mehrere Vorträge an der gegenwärtigen Konferenz. Wie alle Task Groups ist auch TG 5.6, unter Leitung von Frau Dr. Vanja Samec, international bunt zusammengesetzt, von der Erforschung einzelner Fragestellungen bis zu Praktikern, die in ihrem Land Brücken-Managementsysteme (BMS) auf bauen oder vereinheitlichen möchten. Die IVBH führt damit frühere europäische Initiativen wie das Brime-Projekt [11] und die Cost-Action [12] fort und hebt sie auf eine internationale Ebene. 144 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? 3.2 Betrachtungsebenen des Asset-Managements Die Vision ist ein integriertes Auskunftssystems für den Zustand eines Brückenportfolios, in dem Brückeninformationsmodelle von Einzelobjekten (BrIM) nahtlos Daten mit dem übergeordneten Brückenmanagementsystem (BMS) auszutauschen vermögen. Dabei wird angenommen, dass das detaillierte BrIM vom Tragwerksingenieur als Frontend verwendet wird, während beim Brückeneigner im Hintergrund die BMS-Datenbank als Asset Management Tool die Daten verwaltet. Die Dokumentation des ausgeführten und in Betrieb genommenen Neubaus ist dabei „Anwendungsfall #0“ (as-built), auf den die Brückeninspektionen (#1), die Erhaltungsplanung (#2) und die durchgeführte Erhaltungs- oder Ertüchtigungsmaßnahme (#3) mit der Dokumentation „as-maintained“ folgen. Ziel ist die laufende Nachführung des digitalen Zwillings, für die ein Zeitstempel pro Konfiguration erforderlich ist, also eine kumulierte History des Tragwerks. Jede Konfiguration beinhaltet bestimmte Schädigungs- und Reparaturzustände, entweder als visualisierte Attribute oder als geometrischmaterialtechnologisch modifizierte Eigenschaften. Die nur attributive Erfassung funktioniert wie ein Mapping von Schadensfotos auf ein generisches Bauteil- oder gescanntes Volumenmodell der entsprechenden Brücke. Ein solches BrIM ist also ein Dokumentationstool, das sukzessiv mit Aufschlüssen über Lager, Fahrbahnübergänge, Bewehrungsabplatzungen etc. ergänzt wird (induktives Vorgehen outside-in); gleichwohl kann es mit Augmented-Reality-Funktion ein sehr hilfreiches Hilfsmittel für Inspektionen und Verfolgung der Schadensentwicklung sein [14]. Fehlende Bauwerkdetails können über Scanning-Funktionen ergänzt werden [15]. Abb. 13: Performance Indicators (PI) and Performance Goals (PG) auf unterschiedlichen Ebenen [13] Die quasi deduktive Vorgehensvariante (inside-out) erfordert indessen ein voll ausgebildetes Brücken-BIM mit allen tragenden Funktionen und räumlicher Repräsentation der schlaffen und vorgespannten Bewehrung, als Grundlage für statische Nachrechnungen des in Betrieb stehenden Bauwerks. Somit sind Schädigungsmechanismen für Nachrechnungen in lokale Querschnittsreduktionen, Steifigkeits- und Festigkeitseinbußen zu übersetzen. Des Weiteren sollte vorzugsweise auch das Fortschreiten chemischer Angriffe (z. B. Dekarbonatisierung, AAR) soweit erfasst werden können, dass sich daraus Prognosen erstellen lassen ähnlich wie bei einem mechanischen Risswachstum. Dann erst würde ein solches BIM als Grundlage für eine risikogerechte Optimierung des Ressourceneinsatzes in einem Brückenportfolio taugen („condition-based maintenance“ mit der Aussicht auf Streckung von Unterhaltszyklen und der Lebensdauer) [16]. Für ein Structural Health Monitoring in Echtzeit ließe sich der digitale Zwilling um die Sensorik und deren Monitoringdaten erweitern. Ein Beispiel dafür ist das im Auf bau befindliche System für Schrägseilbrücken in Südkorea [17]. 3.3 Fragen an die Brückeneigentümer Innerhalb IABSE TG 5.6 wurden die Anwendungsfälle (Use Cases) weiter nach Anforderungsprofilen aufgefächert [18]: • allgemeine Brückendaten wie z. B. Verkehrsdichte, meteorologische & geotechnische Daten, Gefährdungsbilder inkl. Gründung, Hydrologie & Seismologie, aber auch Normengeneration, Instrumentierung etc.; ferner Angaben zu tragenden und nichttragenden Bauwerksteilen (z. B. Ausnutzungsgrad, verwendete Produkte) und Status (ursprünglich/ modifiziert/ ersetzt/ hinzugefügt/ entfernt) 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 145 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? • Datenmanagement in 3 Containern zu Inventar (eindeutige Bauteilnummer im gesamten Brückenportfolio), Inspektionsaktivitäten und Interventionsmaßnahmen; ferner - als „one-stop solution“ und „single source of truth“ - weitere Module zur Vorhersage der Schadensentwicklung, der Kostenprognose und Optimierung, wobei die Datenstrukturen für die Kommunikation zwischen BrIM und BMS herauszuarbeiten sind. Abb. 14: BMS organisiert in 7 Modulen • Art der Schadensvisualisierung, ob als 3D-Ansichten oder als Attribute in Tabellenform; zumindest Verortung der Schädigung in der Brückengeometrie, eventuell nur in Form einer Schädigungszone („vulnerable box“) mit Gewichtung des Schädigungsgrades, falls es sich um einen latenten Schaden handelt wie z. B. Materialermüdung • Erfassung der Schadensfolgen über mechanische Eigenschaften (wie Rissbreite und -tiefe, Fläche von Betonabplatzungen oder Querschnittsverlust) oder andere einheitliche Deskriptoren für unterschiedliche BMS; z. B. Einführung einer defect-Funktion als neues Feature im IFC-Format in Verbindung mit einem Zeitstempel (IfcLifetime-Parameter als Birth/ Death-Schalter) • Komfort der User-Schnittstelle mit Möglichkeiten zur mobilen Eingabe im Feld und ggf. als AR-Bild; Grad der Online-Interaktion (z. B. Verknüpfung mit Auswertungssoftware in der Cloud) und Auslösung möglicher Workflows (Aufwandserfassung, Auslösung eines Reparaturauftrags u. a. m.). Über einen Fragebogen soll die Erfassung typischer Anforderungsprofile bei einer Pilotgruppe von Brückeneignern erprobt und danach verfeinert werden. Als mögliche Antwort wird auch die Angabe von Gründen akzeptiert, warum allenfalls die Verknüpfung von BIM mit bestehenden Brückenmanagementsystemen noch nicht als vordringlich angesehen wird. Zusätzlich werden geeignete Beispielobjekte für die Anwendung von BIM bzw. BrIM in Betrieb und Unterhalt erbeten. Für die erste Fragerunde werden im persönlichen Kontaktkreis der Mitglieder der TG 5.6 und durch Bekanntmachung an diversen Tagungen interessierte Brückeneigner gesucht. Die Umfrageergebnisse sollen im Rahmen der IVBH zu einem konsolidierten Anforderungsprofil für die nächste Generation des IFC-Standards oder anderer Datenübergabeformate im Open BIM dienen, um in den Dialog mit den Softwareherstellern einzutreten [19]. Literatur [1] Jeffrey Heimgartner (2020): The rise, fall and rebuild of the doomed Morandi Bridge. https: / / www. Engineering.com (Aufruf 30.04.2023). [2] Anon (2018): Lessons learned from the Italian Morandi Bridge Collapse. https: / / bridgemastersinc. com (Aufruf 30.04.2023). [3] SIA 269/ x (2011-2017): Erhaltung von Tragwerken; Blätter: #1 Einwirkungen, #2 Betonbau, #3 Stahlbau, #4 Stahl-Beton-Verbundbau, #5 Holzbau, #6 Mauerwerksbau, #7 Geotechnik, #8 Erdbeben. Zürich, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein (SIA). [4] Anon (2023): Betrieb, Unterhalt und Ausbau der Nationalstraßen im Sinn von Anpassungen - Faktenblatt. Ittigen b. Bern, Bundesamt für Straßen (ASTRA). [5] Cargo sous terrain (CST), https: / / www.cst.ch/ wasist-cst/ (Aufruf 30.04.2023). [6] ISO 55001: 2014 Asset Management - Managementsystems - Requirements. Genf, International Standards Organization. [7] Daniela Dietsche (2023): Infrastruktur digital erfassen - Projektverständnis, Transparenz und durchgängiger Datenfluss. TEC21 9/ 2023. Zürich, Espazium-Vlg. [8] J.-Martin Hohberg (2018): Numerische Standsicherheitsnachweise für sanierungsbedürftige Stützmauern. 11. Koll. Bauen in Boden und Fels. Ostfildern, Technische Akademie Esslingen (TAE), Jan. 2018. [9] Øystein Ulvestadt & Tiago Vieira (2021): Randselva Bridge - Planning and building of a 634 m long bridge solely based on BIM models. e-mosty open access magazine 3/ 2021, Maga Hrastiče/ CZ, Prof- Eng s.r.o. [10] J.-Martin Hohberg (2023): BIM-basierte Instandhaltung. TEC21 9/ 2023. Zürich, Espazium-Vlg. [11] Brime Contract RO-97-SC: Deliverables D14, Final Report 1999. trimis.ec.europa.eu/ sites/ default/ files/ project/ documents/ brimerep.pdf (Aufruf 28.02.2023). [12] Cost Action TU1406: Quality specifications for roadway bridges - Standardization at European level (BridgeSpec). Final Report 2019, www.cost. eu/ actions/ TU1406 (Aufruf 28.02.2023). [13] Rade Hajdin, Markus Stöckner & Markus König (2021): Einsatz von BIM zur Unterstützung des Asset Managements von Verkehrsinfrastrukturanlagen. Typescript. 146 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 BIM in Betrieb und Unterhalt von Brücken - wer geht voran? [14] Jakob Traben, Marcel Helmrich, Guido Morgenthal (2022): Bridge condition assessment based on image data and digital twins. IABSE Symposium Challenges for Existing and Oncoming Structures, Prague, 25-27 May 2022. [15] M. Saeed Mafipour, Simon Vilgertshofer & Andr é Borrmann (2022): Creating digital twins of existing bridges through AI-based methods. IABSE Symposium Prague, a.a.O. [16] Sachidanand Joshi & Sitarama Raju Sagi (2022): Enhancement in Indian Bridge Management System using analytics within BIM data model. IABSE Symposium Prague, a.a.O. [17] Changsu Shim, Kitae Roh & Ngoc-Son Dang (2022): BIM authoring and data models for Bridge Maintenance Systems in Korea. IABSE Symposium Prague, a.a.O. [18] Ketil Aas-Jacobsen, Pawel Hawryszków u. a. (2023): Linking BrIM to BMS for bridges - Concepts. IABSE Congress Engineering for Sustainable Development, New Delhi/ India, 20-22 Sept. 2023 (submitted). [19] Vanja Samec (2023): Official letter to Bridge Owners and Infrastructure Authorities. IABSE TG 5.6. Bilder ohne Quellenangabe stammen von der IUB Engineering AG bzw. vom Verfasser.