eJournals Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur 2/1

Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell – Digitalisierung im Verkehrswasserbau

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Stephan Müller
Jan Akkermann
Neubau-, Sanierungs-, Erweiterungs- und Instandsetzungsplanungen von Verkehrswasserbauwerken setzen sich nahezu immer mit zum Teil sehr alter Bauwerkssubstanz auseinander. Im Kontext von Digitalisierung und BIM sind Bestandsmodelle ein wichtiger Startpunkt. Ein Bauwerksinformationsmodell, welches oftmals in ganzheitlicher Abschnittsbetrachtung von Wasserstraßen mit Teilmodellen abzubilden ist, dient als Basis der weiteren Instandhaltungs- und Neubauplanung. Die im Verkehrswasserbau im Vergleich zum Hoch- und Brückenbau noch relativ unerprobte Anwendung der BIM-Methodik steht vor der Herausforderung überwiegend unikatärer Bauwerke. Der Beitrag gibt anhand eines Praxisbeispiels einen Einblick in Digitalisierungsansätze im Konstruktiven Verkehrswasserbau und legt hierbei den Fokus auf Besonderheiten und Best Practice.
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2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 183 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Wie kann Building Information Modeling (BIM) zur Erfolgsstory werden? Dipl.-Ing. (FH) Stephan Müller Dorsch International Consultants GmbH, Berlin Prof. Dr.-Ing. Jan Akkermann KREBS+KIEFER Dorsch Gruppe, Karlsruhe Zusammenfassung Neubau-, Sanierungs-, Erweiterungs- und Instandsetzungsplanungen von Verkehrswasserbauwerken setzen sich nahezu immer mit zum Teil sehr alter Bauwerkssubstanz auseinander. Im Kontext von Digitalisierung und BIM sind Bestandsmodelle ein wichtiger Startpunkt. Ein Bauwerksinformationsmodell, welches oftmals in ganzheitlicher Abschnittsbetrachtung von Wasserstraßen mit Teilmodellen abzubilden ist, dient als Basis der weiteren Instandhaltungs- und Neubauplanung. Die im Verkehrswasserbau im Vergleich zum Hoch- und Brückenbau noch relativ unerprobte Anwendung der BIM-Methodik steht vor der Herausforderung überwiegend unikatärer Bauwerke. Der Beitrag gibt anhand eines Praxisbeispiels einen Einblick in Digitalisierungsansätze im Konstruktiven Verkehrswasserbau und legt hierbei den Fokus auf Besonderheiten und Best Practice. 1. Einführung 1.1 BIM im Bereich des Wasserbaus Ausgehend vom bereits 2009 vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) veröffentlichten Stufenplan Digitales Planen und Bauen [1] hat sich die BIM- Methode auch im (Verkehrs-)Wasserbau zunehmend verbreitet. Neben Pilotprojekten zur Anwendung der Methode-[2], [3] im Hoheitsbereich der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) hat sich auch die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) mit den generellen Anforderungen an die Digitalisierung des Planungs- und Realisierungsprozesses auseinandergesetzt [4]. Im Vergleich zu den Verkehrsträgern Straße und Schiene, bei denen sich BIM mittlerweile in allen Projektphasen mehr oder weniger etabliert hat, ist der BIM-Reifegrad im Wasserbau weniger ausgeprägt. Dies liegt vor allem in der geringeren Anzahl an Projekten und dem oftmals unikatären Charakter derselben begründet. Die Standardisierung von Objekten und Attributen - gerade auch in Verbindung mit kommerziellen Softwareanwendungen - fällt daher zunächst schwerer. Anhand des folgenden Beispiels wird exemplarisch verdeutlicht, dass dennoch eine Digitalisierung für die Grundlagenermittlung sowie auch der unterschiedlichsten BIM-Anwendungsfälle in der darauffolgenden gelingt. 1.2 BIM-Anwendungsfälle Wie auch bei anderen Infrastrukturprojekten [6] ist das Spektrum der BIM-Anwendungsfälle (AwF) im Wasserbau weit gefächert (Tab. 1). 184 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Tab. 1: Beispiele für wesentliche BIM-Anwendungsfälle der Infrastruktur und Reifegrad im Wasserbau BIM-AwF Beispiel Reifegrad Wasserbau Anmerkungen Bestandserfassung Digitaler Zwilling nach Aufmaß, terrestrischem Laserscan, UAV- Photogrammetrie sowie Hydrografie mittel Bestandsdigitalisierung bedarf aufwendiger Zusammenführung von Informationen. Koordination der Fachgewerke Koordination Objekt- und Tragwerksplanung, Geotechnik, Stahlwasserbau, Maschinenbau u. a. mittel-hoch Integrale Planung setzt Datenkompatibilität voraus (open BIM). Visualisierungen Integration in Geländemodell für Projektkommunikation und Öffentlichkeitsarbeit mittel 3D-Visualisierung aus Modell ableitbar. Einbindung in Geländevisualisierung aufwendig. Erstellung von Entwurfs- und Genehmigungsplänen 2D-Planableitung aus 3D-Bauwerksmodell hoch Standardapplikation innerhalb Fach-Software Kostenschätzung und Kostenberechnung Ableitung von Kosten aus 3D-Modellierung über Massen hoch Schnittstelle zwischen Planungs- und AVA-Software Terminplanung der Ausführung 4D-Bauablaufplanung - Erprobung von Bauphasen hoch Schnittstelle Planung zu Ausführung zu definieren. Nutzung für Betrieb und Erhaltung Überführung des As-built-Modells zum Betreibermodell und Modellübergabe an Erhaltungsmanagement hoch Anforderungen für Infrastrukturmanagement definieren. Die Vereinheitlichung von Objekten und denen zugehörigen Attributen ist im Vergleich zum Hochbau noch relativ gering ausgeprägt. Beispiele können dem neuen BIM-Portal des Bundes [6] entnommen werden. Während die 3D-Modellerstellung und 2D-Planableitung - je nach verwendetem Softwarepaket - mittlerweile relativ problemlos erfolgt, ergibt sich an den Kollaborationsschnittstellen zwischen Beteiligten erhöhter Abstimmungsbedarf. Dies gilt sowohl für den Planungsbeginn als auch insbesondere beim Übergang von der Planung in die Ausführung [7]. 2. Bestandsdigitalisierung Ein BIM-Projekt in der Infrastrukturplanung ist nur so gut wie sein Bestandsmodell. Im Zuge der Grundlagenermittlung für die Erstellung eines Digitalen Zwillings (IST-Abbildung) werden jedoch häufig Unwägbarkeiten festgestellt wie: • unvollständige und widersprüchliche Bestandsunterlagen, • Bestandsdaten in unstrukturierten Einzeldateien und -dokumenten, • ungenaue Daten der Medienträger (Sparten) • Vermessung unspezifisch, • Ansprechpartner Unterhaltungsträger zuweilen unklar, • Fotodokumentation lückenhaft, • Zugänglichkeit eingeschränkt. Wie auch bei der Neuplanung gilt es zudem die Ziele der Bestandsmodellierung abzustecken. Es ist es sehr wichtig, dass sich Auftraggeber und Planer zu Beginn gemeinsam um die Informationsanforderungen zur Erreichung der Projektziele Gedanken machen und eine sinnvolle Modellstruktur, -informationstiefe und notwendige Attribute definieren. Es gilt im Rahmen der Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) mit der projektspezifischen Informationsbedarfstiefe (LOIN) zu klären, was genau von der veranlassenden Organisation (Organisatorische Informationsanforderungen - OIR), für den Infrastrukturbetreiber (Asset-/ Betreiberrelevante Informationsanforderungen - AIR) und für das jeweilige Projekt (Projekt-Informationsanforderungen - PIR) benötigt wird. Hieraus resultiert ein projektspezifisches Anforderungsmanagement zum Informationsaustausch (EIR) auf Basis der BIM-Anwendungsfälle (Tab. 1). Darüber hinaus muss die konsistente und widerspruchsfreie Verfügbarmachung aller Daten in einem Common Data Environment (CDE) vorab geklärt werden (Bild 1). 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 185 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Abb. 1: Individuelle Projektrandbedingungen und gemeinsame Datenumgebung 2.1 3D-Bestandsmodell Schleuse und Schifffahrtskanal Berlin-Neukölln Die Dorsch Gruppe wurde von der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz Berlin mit der Erstellung eines umfassenden 3D-Bestandsmodells des Neuköllner-Schifffahrts-Kanals (NSK) einschließlich der Schleuse Neukölln beauftragt. Das Bauwerksinformationsmodell mit einer Gesamtlänge von vier Kilometern in der Bundeshauptstadt wird als Datenbasis umfangreicher Planungsmaßnahmen zur Instandsetzung und Ertüchtigung der Ufereinfassungen sowie dem Neubau der Schleuse dienen. Abb. 2: Bestandsdigitalisierung Schleuse Berlin-Neukölln: Bearbeitungsumfang Das BIM-Modell sollte auf dem aktuellen Bestand basieren und alle wesentlichen Teile der zu erneuernden und angrenzenden Bauwerke abbilden (Bild 2). Das Ziel bestand in der objektorientierten Modellierung mit der Fähigkeit zur Ausleitung von Geometrien, Mengen- und Kosten sowie der Möglichkeit von späteren Ergänzungen für weiterführende Planungen. Die Bestandsdaten gestalteten sich aufgrund des Projektumgriffs von 4 km Kanallänge als sehr heterogen (Tab. 2), so dass eine aufwendige Zusammenführung der verfügbaren Informationen in insgesamt 104 Teil- und Submodelle erfolgte. Die Festlegung der Modellstruktur (Bild-3) erfolgte hierfür im BIM-Abwicklungsplan gemeinsam mit den Informationsbestellern (Auftraggeber und Unterhaltungsträger). In regelmäßigen Projektbesprechungen wurde anhand der Koordinationsmodelle (Bild-6) der Fertigstellungsgrad besprochen. 186 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Tab. 2: Eingangsdaten Bestandsmodell Datenquelle Methode Besonderheit Bestandspläne 2D-Bestandpläne 80 Aktenordner unstrukturierte Papierdokumentation Bestandsunterlagen Bauwerksbücher und Prüf berichte Bestandsschleuse, 14 Brückenbauwerke Fotodokumentation Ortsbesichtigung, Schiffsbefahrung unterschiedliche Quellen, analog und digital Geschichte Historisches Archiv bauzeitliche Informationen Vermessung klassische Bestandsvermessung mehrere Beauftragungen Geomatik Punktwolken Laserscan durch Schiffsbefahrung Drohnenbefliegung Befliegung mit Kameradrohne Videoaufnahmen für Animationsfilm Bathymetrie Vermessung Kanalsohle mit Fächerecholot vier verschiedene Vermessungsverfahren Abb. 3: Organisation Fachmodelle und Teilmodelle (Anlage zum BIM-Projektabwicklungsplan) Anhand eines Pilot-Uferabschnitts erfolgte die Erprobung des notwendigen LOD der einzelnen Kanalabschnitte und Einzelbauwerke, der Attribuierung der Objekte sowie eines Darstellungs-Farbkonzepts zur Datenausgangslage. 2.2 Integration Bestandsdaten Am eigentlichen Planungsobjekt, der Schleuse Neukölln, können anhand der vorhandenen Bauwerks-Inspektionsdaten erweiterte Informationen in das Modell eingepflegt und abgerufen werden (Bild 4). Damit stehen am Digitalen Zwilling auch Informationen für das Erhaltungsmanagement zur Verfügung und können visuell dargestellt werden. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 187 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Abb. 4: Integration von Bauwerks-Inspektionsdaten in den Digitalen Zwilling Quelle: Dorsch International Consultants 2.3 Visualisierung und Projektkommunikation Für die Kommunikation des Projektes durch die Senatsverwaltung Berlin wurde ein auf dem Digitalen Zwilling (Gesamtmodell) basierender Animationsfilm erstellt [8]. Hierbei hat sich die Integration der Umgebung, wenn auch in unterschiedlichem Detaillierungsgrad, als für die Anschauung sehr vorteilhaft erwiesen (Bild 5). Es wurden die Fahrten zweier Güter- und eines Personenschiffs simuliert und in den Kontext der vorhandenen Gewässergrundmorphologie sowie der Lichtraumprofile und Trassierungen gestellt. Abb. 5: Visualisierungen des Kanals im Film für Öffentlichkeitsarbeit Quelle: Dorsch International Consultants 3. Fazit Auch im Verkehrswasserbau gewinnt die BIM-Methode zunehmend an Bedeutung. Bei den immer im Kontext zum vorhandenen Verkehrsweg stehenden Bauwerken sind die Informationsanforderungen an das digitale Bestandsmodell detailliert hinsichtlich vorhandener Bestandsdaten und dem Zweck der Informationen im Vorfeld abzustimmen. Eine detaillierte Projektvorbereitung erlaubt zudem die konsistente Integration des Neubaumodells in den Bestand. Hierbei ist die Bestandsdetaillierung (LOD) im Vorfeld zu klären. Die Bauwerke bedingen zumeist eigenständige Objekte, für die es i. d. R. keine Vorlagen gibt. Die Schnittstellen im Rahmen von open BIM sind daher aktuell noch zwischen den Planungsbeteiligten intensiver abzustimmen als in andren Bereichen des Bauwesens. Auch im Verkehrswasserbau haben die Planungsbeteiligten die Potentiale und Herausforderungen der BIM-Methode erkannt, was man an der zunehmenden Anzahl von BIM-Projekten - entweder von Auftraggeberseite motiviert oder intrinsisch im Planungsteam betrieben - erkennt. 188 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2023 Von der Grundlagenermittlung zum 3D-Bestandsmodell - Digitalisierung im Verkehrswasserbau Abb. 6: Koordination Fachmodelle und Teilmodelle Literatur [1] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (2015) Stufenplan Digitales Planen und Bauen. Stand Dezember 2015. [2] Peschken, G.; Wachholz, T.; Bödefeld, J. (2017) BIM im Verkehrswasserbau. Bautechnik 94, H. 8, S. 509-513. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.201700065 [3] Wissel, J.; Küßner, M. (2018) BIM-Grundlagen für die WSV-Pilotprojekte in: Bundesanstalt für Wasserbau [Hrsg.] Digitalisierung im Verkehrswasserbau. BAW-Kolloquium, Hannover, 21. Nov. 2018. Karlsruhe: BAW, S. 29-37. https: / / hdl.handle. net/ 20.500.11970/ 106112 [4] Heinzelmann, C.; Bödefeld, J.; Duric, Z. (2020) Digitalisierung im Verkehrswasserbau. Bautechnik 97, H. 6, S. 441-445. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202000029 [5] planen-bauen 4.0 (2022) BIM-Portal des Bundes [online]. Berlin: planen-bauen 4.0. https: / / via.bund. de/ bim/ infrastruktur/ landing [7] Tschickardt, T.; Krause, D.; Akkermann, J. (2018) Entwicklung und Evaluation von BIM-4D-Methoden am Beispielprojekt Gateway Gardens Los 2, Frankfurt/ Main. Bautechnik 95, H. 7, S. 453-462. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.201800026 [8] Senatsverwaltung Berlin, Dorsch Gruppe (2023) Neubau Schleuse Neukölln [Video]. Dublin: Google Ireland Limited. https: / / youtu.be/ M1RB158ebOY [9] Wilde, E.; Schäfers, M.; Braun, N. (2020) Wehranlage Viereth: Vorteile einer durchgängigen Bearbeitung mit der BIM-Methode im komplexen Stahlwasserbau. Stahlbau 89, H. 5, S. 455-464. https: / / doi.org/ 10.1002/ stab.202000017