Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
fki
expert verlag Tübingen
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2022
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Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen?
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2022
Eberhard Möller
Die zentralen Herausforderungen für das zukünftige Bauen sind bekannt und wenig bestritten. Zum einen sollten wir den Klimawandel bremsen, zum anderen müssen wir uns auf seine wohl schwerwiegenden Folgen vorbereiten. Ein Verzicht auf fossile Ressourcen stellt die Baubranche aktuell noch vor beachtliche Probleme.
Gleichzeitig deuten sich durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz große Chancen an. Im Bauwesen kommen diese Technologien bisher eher ansatzweise zum Einsatz. Der Forschungsbedarf wächst grundsätzlich parallel zur Ausweitung der Anwendungsbereiche. In diesem Kontext ist festzustellen, dass die Forschungsmittel im Bauwesen verglichen mit denen anderer Branchen wie dem Maschinenbau gemessen an Umsatz, Arbeitsplätzen oder volkswirtschaftlicher Bedeutung bislang deutlich zu niedrig sind. Politischer Handlungsbedarf ist hier ebenso offensichtlich wie Potenziale in Forschung und Entwicklung.
In diesem Beitrag werden daher aktuelle Vorgehensweisen, Werkzeuge und Einsatzgebiete für die Optimierung in der Tragwerksplanung vorgestellt sowie diskutiert und eingeordnet. Wesentliche Aspekte von Bauten stellen Lebensdauer und Lebenszyklen dar. Die übliche Nutzungsdauer ist oft erheblich länger als die von vielen anderen technischen Produkten. Umnutzungen gehören entsprechend zum Alltag in der Tragwerksplanung. In diesem Zusammenhang sind die Chancen durch Optimierungsmethoden gegenüber Aspekten wie Robustheit, Nachhaltigkeit oder Langlebigkeit sinnvoll abzuwägen. Verbunden damit ist die Suche nach zukunftsfähigen, gesunden und nachhaltigen Baustoffen.
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1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 35 Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen? Optimization in structural design - artificial intelligence for sustainable benefits? Eberhard Möller Hochschule Karlsruhe Fakultät für Architektur und Bauwesen Zusammenfassung Die zentralen Herausforderungen für das zukünftige Bauen sind bekannt und wenig bestritten. Zum einen sollten wir den Klimawandel bremsen, zum anderen müssen wir uns auf seine wohl schwerwiegenden Folgen vorbereiten. Ein Verzicht auf fossile Ressourcen stellt die Baubranche aktuell noch vor beachtliche Probleme. Gleichzeitig deuten sich durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz große Chancen an. Im Bauwesen kommen diese Technologien bisher eher ansatzweise zum Einsatz. Der Forschungsbedarf wächst grundsätzlich parallel zur Ausweitung der Anwendungsbereiche. In diesem Kontext ist festzustellen, dass die Forschungsmittel im Bauwesen verglichen mit denen anderer Branchen wie dem Maschinenbau gemessen an Umsatz, Arbeitsplätzen oder volkswirtschaftlicher Bedeutung bislang deutlich zu niedrig sind. Politischer Handlungsbedarf ist hier ebenso offensichtlich wie Potenziale in Forschung und Entwicklung. In diesem Beitrag werden daher aktuelle Vorgehensweisen, Werkzeuge und Einsatzgebiete für die Optimierung in der Tragwerksplanung vorgestellt sowie diskutiert und eingeordnet. Wesentliche Aspekte von Bauten stellen Lebensdauer und Lebenszyklen dar. Die übliche Nutzungsdauer ist oft erheblich länger als die von vielen anderen technischen Produkten. Umnutzungen gehören entsprechend zum Alltag in der Tragwerksplanung. In diesem Zusammenhang sind die Chancen durch Optimierungsmethoden gegenüber Aspekten wie Robustheit, Nachhaltigkeit oder Langlebigkeit sinnvoll abzuwägen. Verbunden damit ist die Suche nach zukunftsfähigen, gesunden und nachhaltigen Baustoffen. 1. Aktuelle Herausforderungen 1.1 Historischer und sozialer Kontext Viele von uns leben in einem materiellen Wohlstand, wie er in der Menschheitsgeschichte selten anzutreffen war. Der Historiker Yuval Harari berichtet mit großer Klarheit in seinen Werken „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ [1] oder „Homo Deus“ [2] davon, dass wir mit diesem Wohlstand einhergehend eher unter Übergewicht leiden als unter Mangelernährung. Und wir sterben heute eher durch Selbsttötung als durch Fremdeinwirkung. Im Großen und Ganzen geht es uns trotz mancher Einschränkungen und Probleme vielleicht besser, als es jemals zuvor einer Generation ging. Eine bedeutende Grundlage unseres momentanen Wohlstands ist allerdings die Ausbeutung. Aktuell beuten wir sowohl Lebewesen wie Mitmenschen oder Tiere aus als auch Lagerstätten von endlich vorhandenen fossilen Brennstoffen, von Sand oder von seltenen Erden. 1.2 Aufgaben und Ziele Die vielleicht zentrale Lebensfrage, der wir uns daher stellen sollten, ist, ob Wohlstand und Hochkultur auch ohne solch moralisch fragwürdige Ausbeutungen möglich sind. Lässt sich Lebensqualität auch auf nachhaltige und mitmenschliche Weise erreichen und erhalten? Was tun wir dafür, um dieses durchaus erstrebenswert klingende Ziel zu erreichen? 1.3 Regenerative Prozesse Richard Buckminster Fuller, Architekt, Konstrukteur und Visionär, hat 1969 die „Bedienungsanleitung für Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen? 36 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 das Raumschiff Erde“ [3] veröffentlicht. Wie ein Raumschiff bewegt sich unser blauer Planet mit hoher Geschwindigkeit durchs All. Regenerative Prozesse bieten uns als Besatzung eine ausgezeichnete Versorgungslage. Sonnen- und Windenergie, Wasserkreisläufe oder Photosynthese liefern weit mehr Energie und Nährstoffe, als wir alle zusammen brauchen. Allein die Sonne stellt uns etwa 10.000-mal so viel Energie zur Verfügung, wie wir aktuell konsumieren. Bild 1: Regenerative Prozesse: Photosynthese, Wasserkraft; Frank Lloyd Wright: Falling Water, 3/ 2019 Ergänzend dazu sind die Lagerräume unseres „Raumschiffs Erde“ für eventuelle Notzeiten unter anderem mit Brenn- und Rohstoffen gut gefüllt. 1.4 Konsum der Notreserven Aber statt diese regenerativen Prozesse hinreichend zu nutzen, bedienen wir uns seit Jahrzehnten völlig ohne Not aus den nicht oder nur sehr langsam regenerierbaren und daher endlichen Stoffen in unseren Lagerräumen. Lästige Nebeneffekte dieses bequemlichen aber wenig nachhaltigen Verhaltens sind die Zerstörung der Umwelt und damit unserer Lebensgrundlagen sowie der Klimawandel und seine Folgen. Allerdings treffen weder die Nebenwirkungen noch die asoziale Ausbeutung von Lebewesen oder Lagerstätten zuerst die handelnden Akteure, sondern zunächst eher weniger privilegierte Menschen oder nachfolgende Generationen. 1.5 Handeln wider die Vernunft Gleichzeitig lassen sich die unschönen Schattenseiten unseres Verhaltens noch allzu leicht ausblenden. Während der Klimawandel für viele bereits heute eine existentielle Herausforderung darstellt, bekommen wir in Mitteleuropa oft „besseres Wetter“. Unsere modernen Sklaven halten wir grundsätzlich außer Sichtweite, während wir uns genüsslich an den von ihnen erschaffenen Dingen erfreuen. Sie schuften zur selben Zeit hinter den tristen Kulissen von Logistikzentren oder in Produktionsstätten auf fernen Kontinenten - und das allzu häufig unter menschenunwürdigen Bedingungen. Wir haben es in diesen Punkten weniger mit einem Erkenntnisproblem zu tun, als vielmehr mit einem Problem unseres täglichen Handelns wider besseren Wissens. In diesen Punkten besteht nicht Forschungsbedarf, hier besteht offensichtlicher Handlungsbedarf. Dies gilt sowohl für unsere Gesellschaft als Ganzes wie vermutlich für die meisten von uns als Einzelne. Dass Wachstum in materiell weitgehend abgeschlossenen Systemen, wie Planeten es sind, Grenzen hat, ist ein Gedanke, der schon vor der viel diskutierten Publikation des Club of Rome 1972 [4] aufgekommen sein dürfte. Gibt es Auswege aus der aktuellen Sackgasse, in der wir in vielerlei Hinsicht weit jenseits regenerativer Kreislaufprozesse leben, konsumieren und ausbeuten? 1.6 Eine Optimierungsaufgabe Ist es möglich, einerseits materielle Standards und Verbräuche lebenswert zu justieren und andererseits Werten wie Fairness, Respekt oder Nachhaltigkeit den ihnen gebührenden Raum zu geben? Dieser spannenden Frage sehen wir Ingenieur: innen und Architekturschaffende uns heute gegenüber. Sie klingt nach einer Optimierungsaufgabe, der wir uns im Wettbewerb um die besten Lösungen stellen sollten. Mit den richtigen Rahmenbedingungen liefern solche Wettbewerbe erfahrungsgemäß durchaus beachtliche Ergebnisse und können zu hilfreichen Entwicklungsschritten führen. Unter Randbedingungen, die wesentliche Aspekte wie Menschenwürde, Umweltbelastung oder Klimawandel unberücksichtigt lassen und stattdessen nur Einzelinteressen dienen, zeigt sich allerdings das zerstörerische Potenzial, das Wettkämpfe auch mit sich bringen können. Anders als in den grundlagenerforschenden Naturwissenschaften besteht bei uns Ingenieur: innen der immanente Kern unseres Tuns eigentlich grundsätzlich aus angewandten Optimierungsaufgaben - allerdings zugegebener Weise meist ohne dass wir Optima dabei auch nur annähernd erreichen würden. Umso mehr sollten wir uns damit vielleicht auseinandersetzen? 2. Tragstruktur-Optimierungen 2.1 Komplexität Während das Ideal als Inbegriff für ein abstraktes, kaum erreichbares Vollkommenheitsmuster gilt, steht das Optimum eher für das Beste, real erreichbare Resultat. Doch Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen? 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 37 auch ein Optimum zu erkennen oder zu erreichen, ist häufig nicht einfach, insbesondere bei komplexeren Aufgaben. Beim Planen von Tragwerken haben wir es mit sehr unterschiedlichen Komplexitätsgraden zu tun. Für den Bereich des Zweidimensionalen bezeichnet Werner Sobek das Optimieren von Kraftzuständen als Fingerübung [5]. 2.2 Bemessungs-Optimierung Auf der Ebene eines einzelnen Tragelements mit konkreten Randbedingungen scheint eine Optimierung ebenfalls einfach zu sein. Bei einem biegebeanspruchten Rechteckbalken aus Nadelholz C24 lässt sich bei gegebener Belastung q, Stützweite l und Balkenbreite b im Zuge der Bemessung unter Beachtung von zulässiger Spannung und Verformung rechnerisch eine mindestens notwendige Trägerhöhe h ermitteln, die als die Optimale angesehen werden kann. Bei der Nutzung üblicher Bemessungssoftware läuft es oft etwas anders. Hier wählt die benutzende Person zunächst einen Querschnitt aus und erhält nach Ablauf der Berechnung den Grad der Ausnutzung hinsichtlich Tragfähigkeit und Verformung. Liegt diese Ausnutzung jeweils nahe 100 %, scheint ein optimaler Querschnitt gefunden zu sein. Liegt sie deutlich darunter, kann man die Berechnung mit einem kleineren Querschnitt erneut ausführen lassen. So nähert man sich schrittweise einem möglichst geringen Materialverbrauch an. Bei weitem nicht alle Programme bieten bisher eine automatische Suche nach dem optimalen Tragelement an. 2.3 Baustoffübergreifende Bemessung Öffnet man die Randbedingungen, indem man auch die Wahl von Material oder Querschnittsform der Software freistellt, wird kaum eine Software ein Ergebnis liefern - geschweige denn ein optimales. Dafür sind die meisten Programme nicht ausgelegt. Erst recht können sie ohne weitere Informationen kaum beurteilen, welcher Baustoff der geeignetere ist. Auf den ersten Blick sprechen Punkte wie Nachhaltigkeit oder Klimaschutz vielleicht für Holz. Steht aber lokal ein gebrauchter Stahlträger zur Verfügung, könnte dieser vorteilhaft sein. Bild 2: Hybrides Tragwerk - baustoffübergreifende unterspannte Träger, 6/ 2017 Wäre zu berücksichtigen, dass während der Lebensdauer des Trägers die Nutzungsart und damit einhergehend die Lastannahmen geändert werden, gewinnt die Aufgabe weiter an Komplexität. 2.4 Form-Optimierung Während bereits die simple Optimierung der Trägerhöhe in Bezug auf einen wirtschaftlichen Materialverbrauch gar nicht so einfach ist wie zunächst vielleicht gedacht, wird die Frage nach der optimalen Gesamtform eines Tragelements noch schwieriger zu beantworten sein. Trotzdem gibt es auch hierzu einige Erkenntnisse. Ein zunächst vielleicht unerwartetes Ergebnis zeigt der Vergleich unterschiedlicher Formen für eine Stütze mit Vollquerschnitt. Häufig finden hierfür quadratische oder kreisrunde Querschnitte Anwendung. Allerdings hat Peter Hupfer in seinem Buch „Optimierung von Baukonstruktionen“ [6] folgenden Vergleich gezeigt: Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen? 38 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Bild 3: Tragfähigkeit von Stützen unterschiedlicher Form (Peter Hupfer: „Optimierung von Baukonstruktionen“, Stuttgart 1970, S. 14) Nach dieser Darstellung kann ein dreieckiger Querschnitt bei gleichem Materialaufwand also 21 % mehr Last tragen als der vergleichbare runde. Verjüngt man den Stab zu den Enden hin und verstärkt ihn in der Mitte, ist er sogar in der Lage, 61 % mehr Last zu tragen. Im Baualltag finden diese mindestens 50 Jahre alten Erkenntnisse jedoch eher wenig praktische Anwendung. Gründe dafür liegen eventuell im Herstellungsaufwand oder in formalen Aspekten. 2.5 System-Optimierung Neben der Optimierung von Bauteilstärke oder Form lassen sich auch durch Modifikationen am statischen System Vorteile erzielen. Die folgende Grafik aus dem Atlas Tragwerke zeigt, wie sich durch einfache Maßnahmen wie Nutzung der Durchlaufwirkung, sinnvolle Anordnung von Gelenken oder kaum merkliche Veränderungen der Stützenstellung der Extremwert des Biegemoments von Trägern um mehr als 35 % reduzieren lässt. Bild 4: Möglichkeiten zur Materialeinsparung durch sinnvolle Positionierung von Auflagern und Gelenken (Eberhard Möller: Atlas Tragwerke, München 2021, S. 62) Hierbei ist zu beachten, dass Modifikationen oft Nebenwirkungen haben. Während ein Durchlaufträger ein robustes statisch unbestimmtes System ist, sind Gelenkträger statisch bestimmt und gelten damit als weniger robust. Bei der Suche nach optimalen Systemen wären auch solche Nebenwirkungen zu berücksichtigen. 2.6 Topologie-Optimierung Eine weitere Art der Strukturoptimierung stellt die Topologie-Optimierung dar. Gedanklich ist sie einfach nachvollziehbar. Man füllt einen begrenzten Bauraum mit Material und untersucht, an welchen Orten (Topoi) dieses Material unter gegebenen Lasten und Auflagerbedingungen stark beansprucht ist. Mit der Methode der finiten Elemente lässt sich solch ein Experiment gut simulieren. Entfernt man nun das Material in allen weniger beanspruchten Bereichen, bleibt eine tragende Struktur über, die mit relativ wenig Material auskommt. Als Folge einer Topologie-Optimierung bilden sich häufig fach- oder stabwerksähnliche Strukturen. Als Vorläufer dieser Art der Optimierung werden bisweilen die vielfach zitierten Untersuchungen des australischen Maschinenbau- und Hydraulik-Ingenieurs Anthony George Maldon Michell (1870--1959) angesehen. Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen? 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 39 Bild 5: Michell-Fachwerk, 1904 (Peter Hupfer: „Optimierung von Baukonstruktionen“, Stuttgart 1970, S. 15) Ähnlich wie bei den dreieckigen Stützen finden sich allerdings auch von Michells Strukturen kaum baupraktische Umsetzungen. Das könnte unter anderem daran liegen, dass zwar einerseits wenig Material, andererseits aber relativ viel Platz erforderlich ist, um derartige Strukturen einzubauen. Solche Betrachtungen zeigen, dass Optimierungsbemühungen tatsächlich bisweilen dazu führen können, besser geeignete Tragwerke von weniger gut geeigneten zu unterscheiden. Die geringe Verbreitung von vermeintlich optimalen Strukturen offenbart aber auch, dass solche Strukturen wohl nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile haben - oder mangelt es uns einfach an Intelligenz, Optimales zu erkennen und zu nutzen? 3. Tragwerksplanung Als Tragwerk gilt laut DIN EN 1990 die „planmäßige Anordnung miteinander verbundener Bauteile, die so entworfen sind, dass sie ein bestimmtes Maß an Tragfähigkeit und Steifigkeit aufweisen“. 3.1 Tragwerksmodelle Bei größeren Gebäuden ist das Tragwerk häufig eine komplexe Struktur. Wie solch eine Struktur die verschiedenen Einwirkungen wie Verkehrslasten, Wind, Schnee oder Erdbeben im Einzelnen unter Berücksichtigung aller sogenannten Nebentragwirkungen tatsächlich abträgt, lässt sich kaum exakt ermitteln. Zur „Idealisierung des Tragsystems zum Zwecke der Berechnung und Bemessung“ erstellt man daher Tragwerksmodelle und analysiert und beurteilt letztlich diese und nicht das Tragverhalten des errichteten Gebäudes. Bild 6: Digital erstelltes Tragwerksmodell für eine Laborhalle, Studienarbeit Hochschule Karlsruhe, 2020 Bild 7: Analog erstelltes Tragwerksmodell für eine Eislaufhalle, Studienarbeit Hochschule Karlsruhe, 10/ 2017 Eher selten wird das Tragverhalten des fertigen Gebäudes dem des idealisierten Modells so nahekommen wie beim Schulhaus Leutschenbach. Die beinahe kompromisslose Umsetzung der Stabwerksstruktur des Modells in eine verglaste Stahlbeton-Skulptur kann wohl als ein Sonderfall im Bauwesen angesehen werden. Bild 8: Schulhaus Leutschenbach, Zürich, Christian Kerez, Joseph Schwartz, 10/ 2015 Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen? 40 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Bild 9: Schulhaus Leutschenbach, Tragwerksmodell, Studienarbeit Hochschule Karlsruhe, 5/ 2018 Die Tragwerksplanung für größere Gebäude ist also mehr als nur Statik und Optimierung. Sie ist weit vielfältiger, wie eine selbstkritische Definition verdeutlicht, die wohl aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stammt, und u.a. einem Dr. Brown sowie Dr. A. R. Dykes zugeschrieben wird. Trotz einiger technischer Fortschritte seither könnte sie im Kern oft weiterhin zutreffend sein: „Tragwerksplanung ist die Kunst, Materialien, die wir nicht vollständig verstehen, in Formen zu bringen, die wir nicht vollständig analysieren können, um Kräften zu widerstehen, die wir nicht wirklich beurteilen können, in einer Art und Weise, dass die Allgemeinheit keinen Grund hat, Verdacht zu schöpfen bezüglich des Ausmaßes unserer Ignoranz.“ 3.2 Akteure der Tragwerksplanung An der Tragwerksplanung von Gebäuden wirken neben Ingenieurbüros oft auch Architekturschaffende mit, indem sie Formen, Achsen, Raster, Material oder Spannweiten festlegen - teils im Dialog mit den Ingenieurbüros, aber wohl häufiger auch zunächst allein. Während Architekturbüros gestaltend und konstruierend tätig sind, überlassen sie den analytischen Bereich von Modellbildung, rechnerischen Überprüfungen sowie die Nachweise von Standsicherheit oder Gebrauchsfähigkeit meist den Ingenieurbüros. Doch erst beide Tätigkeiten zusammen führen zu nutzbaren Tragwerken. 3.3 Entwickeln von Tragwerken Während es für den zweiten Teil, für das Rechnen und Nachweisen genaue Anleitungen in Normen und Baubestimmungen gibt, ist der erste Teil - das Entwickeln von Tragwerken - weit weniger normiert oder reguliert. Wie läuft dies also ab? Bezüglich dieser Frage gibt es nicht nur sehr viel weniger Anleitungen, sondern wohl auch recht wenige wissenschaftliche Untersuchungen. Sowohl im „Atlas Tragwerke“ [7] als auch im „Atlas Moderner Stahlbau“ [8] finden sich zumindest Anhaltspunkte. Eine umfangreiche Zusammenstellung von Aussagen bekannter Konstrukteure zur Tätigkeit des Konstruierens ist in dem Buch „Die Konstruktion in der Architekturtheorie“ [9] enthalten. Gedanken von Ingenieuren wie Ove Arup, Cecil Balmond, David Billington, Félix Candela, Pier Luigi Nervi, Jörg Schlaich, Werner Sobek oder Eduardo Torroja sind dort ebenso zusammengetragen wie solche von Architekten wie Alvar Aalto, Norman Foster, Louis I. Kahn, Rem Koolhaas, Renzo Piano, Peter Rice, Eero Saarinen oder Peter Zumthor. Bild 10: Eishockey-Arena, Yale University (Yale Whale), New Haven (US) 1958, David S. Ingalls Rink, Eero Saarinen, Fred Severud Weitgehend übereinstimmend lässt sich daraus feststellen, dass der Prozess des Konstruierens dem der natürlichen Evolution entspricht und damit aus den Schritten Variation und Selektion besteht. Der Idee einer zielgerichteten Optimierung komplexer Konstruktionen hängen zwar einige an, sie hat sich aber als kaum erfüllbar erwiesen. Letztlich sind Konstruktion oder Architektur als Spiegelbild des Lebens sehr komplex und nicht berechenbar. „Die eigentliche Leistung besteht also paradoxerweise in der Tatsache, die Suche nach der optimalen Lösung aufzugeben, um sich auf einen Prozeß des Findens einzulassen, an dessen Ende partielle Lösungen mit beschränkter Tragweite stehen“, schreibt der Schweizer Architekt Christian Penzel 2010 in seinem Beitrag „Konstruktion und Kultur“ in Aita Flurys Buch „Dialog der Konstrukteure“ [10]. Eine gute Grundlage für die Tätigkeit des Konstruierens bietet eine sogenannte „erfahrene Intuition“ auf der Grundlage eines unablässigen und genauen Studiums guter Vorbilder. Das sich daraus entwickelnde assoziativorganisierte Denken ist wohl bisher noch durch nichts zu ersetzen. 4. Intelligenz Seine Vormachtstellung im „Raumschiff Erde“ verdankt der homo sapiens vermutlich Aspekten wie einer detailreichen mündlichen und schriftlichen Kommunikationsfähigkeit oder sozialer Vernetzung und Zusammenarbeit auch in großen Gruppen jenseits von 150 Individuen. Faktoren wie Neugier, Ehrgeiz, Kreativität und kriti- Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen? 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 41 sches Denken könnten auf dem Weg zu umfangreichen Erkenntnissen über naturgesetzliche Zusammenhänge zudem hilfreich gewesen sein. Auch stehen erarbeitetes Wissen und zunehmende Intelligenz vielleicht in einem Zusammenhang. 4.1 Menschliche Intelligenz Dem Ursprung des Wortes nach setzt sich Intelligenz aus den beiden Bestandteilen „zwischen“ und „lesen“ zusammen. Das verstehende Lesen zwischen den Zeilen, das Hintergründe und Zusammenhänge erkennt, das über die Wahrnehmung des Offensichtlichen hinausgeht, könnte auch einer der Gründe für die besondere Stellung der Gattung Mensch auf diesem Planet sein. 4.2 Künstliche Intelligenz Die Gabe der menschlichen Intelligenz hat nicht nur zu wesentlichen Erkenntnissen geführt, sondern auch zu erstaunlichen Entwicklungen. So versuchen manche Mitmenschen, die Fähigkeit des selbstständigen Lernens und des Lesens zwischen den Zeilen auf Maschinen zu übertragen. Wie ist der aktuelle Stand dieser Bemühungen? Seit wann oder ab wann sind zu einem unbeauftragten erkennenden Lesen auch Maschinen in der Lage? Inwieweit übertrifft künstliche Intelligenz die menschliche? Das Speichern und Verwalten von Daten und Informationen haben wir nicht erst seit der Erfindung des Buchdrucks erfolgreich ausgelagert. Auch in der systematischen Auswertung von Daten und Informationen sind wir gegenüber Maschinen kaum mehr konkurrenzfähig. Bei der Übersetzung von Texten schaffen Algorithmen heute erstaunliche Qualitäten. Aber wie steht es mit dem Lesen zwischen den Zeilen? 4.3 Tragwerksplanung und KI Zumindest in Deutschland ist die Geschichte der elektronischen Rechenmaschinen eng mit dem Ingenieurwesen verknüpft. Hierzulande gilt der Bauingenieur Konrad Zuse mit seiner Entwicklung des Z3 im Jahr 1941 als Erfinder des Computers. Es dauerte allerdings noch ein paar Jahrzehnte bis diese Technologie breiten Einzug in die Ingenieurbüros fand. Insgesamt ist vielleicht festzustellen, dass das Bauwesen wohl nicht der innovationfreudigste Wirtschaftszweig ist. Das liegt zum einen an der großen Verantwortung der Ingenieurbüros für die Sicherheit von Leib und Leben der Menschen, die ihre Gebäude und Bauwerke nutzen und daran, dass es sich dabei meistens um Unikate handelt und nicht um Serienfertigungen. Zum anderen mag es auch daran liegen, dass die Büros selten für sich selber planen, sondern meist für fremde Geldgeber, die ebenfalls Einfluss auf die Produkte nehmen und häufig zumindest das Gefühl haben wollen, ganz individuell zugeschnittene Unikate zu bekommen. So hat sich eine industrielle Produktion im Bauwesen trotz prominenter Versuche beispielsweise von Konrad Wachsmann und Walter Gropius im Westen oder sozialistischen Plattenbauten im Osten bis heute kaum nachhaltig durchgesetzt. Während die Industrialisierung des Bauwesens also noch in den Kinderschuhen steckt, erobert die künstliche Intelligenz immer mehr Bereiche des menschlichen Lebens. Im Arbeitsalltag vieler Ingenieurbüros ist davon aber noch eher wenig zu spüren. Bei der Erstellung von Bewehrungsplänen setzen wir noch immer eher auf osteuropäische oder asiatische Arbeitskraft als auf künstliche Intelligenz - allerdings vielleicht ohne genauer zu wissen, wie in den genannten Regionen die Pläne entstehen? 4.4 Chancen und Risiken Wie der Historiker Yuval Harari in „Homo Deus“ [2] auf populärwissenschaftlicher Ebene oder der Kleinkünstler Marc-Uwe Kling in „QualityLand“ [11] auf unterhaltsame Weise deutlich machen, begleiten und beeinflussen programmierte Systeme sowie lernende Algorithmen unser Leben bereits viel stärker, als es uns oft bewusst ist. Längst entscheiden Computer, ob wir ein Konto eröffnen dürfen oder eines Kredites würdig sind. Wer sich im Hinblick auf eine zukünftige Lebenspartnerschaft noch allein auf die eigenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten beschränkt, ist wohl wortwörtlich beschränkt im Vergleich zu denen, die Algorithmen im weltweiten Netz für sich suchen lassen. Gleichzeitig sind die Informationen, zwischen deren Zeilen wir zu lesen versuchen, vielfach fremdbestimmt vorausgewählt. Cookies auf unseren allgegenwärtigen digitalen Begleitern helfen sozialen oder asozialen Netzwerken zu filtern, was uns erreicht oder angeboten wird und was nicht. Unsere Wege finden wir kaum noch selbst. Stattdessen lassen wir uns von digitalen Navigationssystemen nicht nur durch Städte, sondern häufig auch gleich durch weite Teile unseres Lebens leiten. Das spart einerseits oft Zeit, andererseits verhindert es vielleicht mögliches Lernen und Erkennen von räumlichen und anderen Zusammenhängen? Wie kaum anders zu erwarten, gehen Vorteile wohl nicht selten mit Nachteilen einher. Unter gegebenen Randbedingungen wie bei den Brettspielen Schach oder bei Go lernen und handeln Computer längst viel schneller als Menschen. Ab wann gilt das auch für komplexe Fragen, deren Randbedingungen nicht vollständig geklärt sind? 4.5 Eine Frage der Macht In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Macht. Wer kontrolliert heute wen? Und wer ist morgen mächtiger? Kontrollieren wir noch die künstliche Intelligenz oder sie bereits uns? Und warum ist diese Frage von Bedeutung? Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen? 42 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Den Grund, weshalb diese letzte Frage nicht unerheblich ist, zeigt ein Blick darauf, wie wir mit ähnlich aber vielleicht nicht ganz so intelligenten Lebewesen umgehen, wie wir selbst es sind - oder zumindest von uns annehmen. Häufig haben wir solche Lebewesen versklavt, domestiziert oder sicherheitshalber kurzerhand ausgerottet. Was passiert, wenn eine mächtige künstliche Intelligenz nun erkennt, dass die größte Gefahr für das Ökosystem Erde vom Menschen ausgeht. Würde eine solche Intelligenz da nicht vielleicht auf die nachvollziehbare Idee kommen, seine Macht zu nutzen, das aktuelle Betriebssystem des Planeten Erde durch Löschen der Problemverursacher zu retten? 5. Zukunftsfragen Mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft müssen wir überlegen, ob wir uns derzeit die richtigen Fragen stellen. Natürlich sind kategorische Begriffe wie richtig oder falsch bei komplexen Fragen selten zutreffend. Eher sollten wir also vielleicht darüber nachdenken, ob die Themen mit denen wir uns befassen, sinnvoll sind, und ob der Aufwand, mit dem wir uns ihnen widmen, angemessen ist. Die Erkenntnis vieler, die sich mit der Idee der Optimierung grundsätzlich beschäftigt haben, ist, dass sich Optimierung bei komplexen Systemen kaum als zielführend erweist. Denn genau daran mangelt es oft. Es mangelt an einem definierten oder auch nur an einem definierbaren Ziel. 5.1 Optimierung von komplexen Systemen Bezogen auf die anfangs angerissene Frage nach optimalen Formen von Tragelementen, gilt wohl weiter das, was Frei Otto schon 1979 im Vorwort zu Band 1 der fünfteiligen Reihe des Instituts für leichte Flächentragwerke (IL) über das Beziehungsgeflecht „Form - Kraft - Masse“ schrieb: „Wir aber mussten nach intensiven Recherchen feststellen, dass man noch nicht einmal die Form einer einfachen druckbelasteten Stütze mit unverringerbarem Materialaufwand kennt, und erst recht nicht von biegebelasteten Trägern oder Balken.“ [12] Bild 11: Tanzbrunnen, Bundesgartenschau Köln 1957, Frei Otto, 8/ 2015 Warum kennen wir diese Form noch nicht? Interessiert uns die Antwort zu wenig oder gibt es andere Gründe? Bei der Suche nach optimalen Strukturen fällt der Blick bisweilen auch auf die Natur. Charles Darwins Gedanken zufolge überlebt das, was am besten angepasst ist. „Am besten“ klingt nach Optimum. Der Bauingenieur Stefan Polónyi stellt in seinem Buch „Architektur und Tragwerk“ dazu allerdings fest: „Es wird behauptet, dass die Natur optimiere. Jede Optimierung hat eine Zielfunktion. Die Frage nach dem Ziel der Natur endet in der Seinsfrage. Wenn wir dann zu der Feststellung „Sinn des Seins ist das Sein” gelangen, ist eine Optimierung eo ipso nicht möglich. Poppers Satz lässt sich auf die Natur Übertragen: Sinn der Natur ist die Natur. Wenn etwas nicht mehr Sinn hat als sich selbst, dann kann es nicht ökonomisch sein. Die Natur ist Luxus, Verschwendung. Damit sind die Methoden der Natur auch verschwenderisch.“ [13] Nur weil sich vielleicht langfristig das etwas Bessere gegen weniger Gutes durchsetzt, heißt das noch lange nicht, dass jenes relativ Bessere ein Optimum darstellt. 5.2 Optimierung oder Vielfalt? Bei genauerer Betrachtung ist das dominierende Prinzip der Natur und des Lebens wohl eher die Vielfalt als die Optimierung. Beide Prinzipien schließen einander aus. Wäre das Optimum das Ziel, verschwände nach und nach die Vielfalt. Einfalt und Monokulturen träten an ihre Stelle. Deren Probleme sind in den letzten Jahrzehnten allerdings offensichtlich geworden. Auch wenn der Mensch mit seinem Wirken, die Artenvielfalt immer weiter einschränkt, bleibt das Grundprinzip der Natur erkennbar. Der Architekt Thomas Herzog stellt dazu fest: „Gleichzeitig ist es so, dass es für eine Aufgabe nicht zwangsläufig nur eine Lösung gibt. Wieder kann man sich gut am Beispiel der Natur orientieren: Wie viele Käferarten hat man bisher entdeckt? Ich glaube. es sind ca. 350.000. Fantastisch, die krabbeln alle herum und haben sechs Beine ...“ [14] 5.3 Mehr oder weniger? Dem olympischen Motto des „citius, altius, fortius“ steht beispielsweise die Idee von „reduce, reuse, recycle“ gegenüber. Beide Ziele sind nachvollziehbar aber wohl kaum problemlos vereinbar. Die behauptete Notwendigkeit wirtschaftlichen Wachstums für den sozialen Frieden ist nicht leicht zu vereinbaren mit der Reduzierung des Verbrauchs von endlichen Ressourcen. Ähnlich verhält es sich mit langfristigen volkswirtschaftlichen Zielen und kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Absichten. Was für eine große Gemeinschaft erstrebenswert ist oder klingt, hilft dem einzelnen Betrieb oder Büro nicht unbedingt zu jedem Zeitpunkt oder in jeder Phase weiter. Sorgfältiges Abwägen zwischen wirklich Notwendigen und lediglich Wünschenswertem wird zukünftig wohl immer wichtiger. Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen? 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 43 Bild 12: „Reuse“ eines historischen Gebäudes für heutige Zwecke: Historisches Münzgebäude mit Wehrturm aus dem 13. Jh., Schongau, Denkmalgerechte Instandsetzung, neue Nutzung: Amt für Senioren im Landkreis Weilheim-Schongau mit Veranstaltungssaal 5.4 Bewährt oder innovativ? In der Tragwerksplanung wird häufig ein ganz „menschliches“ Ziel verfolgt. Mit möglichst überschaubarem Aufwand soll ein relativ hohes Maß an baulicher und finanzieller Sicherheit erreicht werden. Dass dabei bekannte, bewährte und konservativ erscheinende Strukturen weniger Arbeit und Risiko mit sich bringen als neue, unbekannte, innovative, ist leicht nachvollziehbar. Nach den häufig benutzten Vergütungssystemen wird baukostensparende Planung - sofern überhaupt - meist so wenig honoriert, dass Aufwand und Nutzen von Optimierungen, Innovationen oder zumindest von punktuellen Verbesserungen selten in einem für Planende günstigen Verhältnis stehen. Der Anreiz, sich mit solch komplexen Herausforderungen intensiv zu beschäftigen, ist für ohnehin bereits gut ausgelastete Büros also eher gering. 5.5 Nachhaltigkeit Die seit Längerem eingeforderte Nachhaltigkeit unseres Handelns zur Bewahrung sinnvoller Lebensgrundlagen und zum Schutz ökologischer Systeme lässt sich wohl am ehesten durch die konsequente Nutzung von Kreislaufwirtschaft und von regenerativen Prozessen erreichen. Wie bereits festgestellt, fehlt es dazu weniger an Ideen oder Worten als vielmehr an Taten. 5.6 Suffizienz, Effizienz und Konsistenz Bei der Planung nachhaltiger Bauten und Tragwerke helfen die Ideen von Suffizienz, Effizienz und Konsistenz. Suffizienz oder Genügsamkeit führen dazu, unnötige Verbräuche von Material oder Energie zu vermeiden. Die Konzentration auf Wesentliches sowie das Infragestellen oder die Reduzierung von Ansprüchen und persönlichen Bedürfnissen ist ein wesentlicher Schritt. Bauten, die letztlich nicht vermeidbar sind, sollten wenigstens effizient, also mit möglichst geringem Aufwand, produziert und errichtet werden. Konsistentes Handeln schließlich bedeutet widerspruchsfreies Verhalten. Einmal gewonnene Erkenntnisse sind zu berücksichtigen. Für das Bauwesen wird das unter anderem die zunehmende Nutzung regenerativer Baustoffe bedeuten sowie demontierbares Konstruieren im Hinblick auf sinnvolle, regionale Baustoffkreisläufe. Raum- und flächensparendes Bauen mit lokal nachwachsenden Rohstoffen ist eine spannende Herausforderung, der wir uns bereits viel zu lange wider besseres Wissen entzogen haben. 6. Ausblick und Verantwortung Eine positiv stimmende Beobachtung im Hinblick auf regenerative Prozesse und wissenschaftliche Erkenntnisse ist, dass wir die wesentlichen Werkzeuge, um mit den großen Herausforderungen unserer Zeit umzugehen, bereits in Händen halten. Weder Optimierung noch künstliche Intelligenz sind dazu wohl unverzichtbar. Vielmehr sollte man die Chancen, die aus Optimierung oder künstlicher Intelligenz für das Bauwesen erwachsen, nicht überschätzen - und wohl erst recht nicht darauf warten, dass sie unsere Probleme allein und ohne unser Zutun lösen werden. Wir selbst stehen auf absehbare Zeit weiter in der Verantwortung. Literatur [1] Harari, Yuval: Eine kurze Geschichte der Menschheit, München 2013 [2] Harari, Yuval: Homo Deus - Eine Geschichte von Morgen, München 2017 [3] Buckminster Fuller, Richard: Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde, 1973 [4] Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Aus dem Amerikanischen von Hans-Dieter Heck. Deutsche Verlags- Anstalt, Stuttgart 1972 [5] Sobek, Werner: Biographisches. In: Stiller, Adolph (Hg.): Werner Sobek. Skizzen für die Zukunft - Architektur und Konstruktion im Dialog. Salzburg, Wien: Müry Salzmann, 2009, S. 104-105 [6] Hupfer, Peter: Optimierung von Baukonstruktionen, Stuttgart 1970 [7] Möller, Eberhard: Atlas Tragwerke, München 2021 [8] Bollinger, Klaus et.al.: Atlas Moderner Stahlbau, München 2011 [9] Möller, Eberhard: Die Konstruktion in der Architekturtheorie, München 2011 [10] Flury, Aita: Dialog der Konstrukteure, Zürich 2010 [11] Kling, Marc-Uwe: QualityLand, Berlin 2017 [12] Otto, Frei: Vorwort. In: Schaur, Eda (Hg.): Grundlagen = Basics. Mit einem Beitrag und einer Diskussion über das Ästhetische. Form - Kraft - Masse Optimierung in der Tragwerksplanung - künstliche Intelligenz für nachhaltigen Nutzen? 44 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 1. Stuttgart (Mitteilungen des Instituts für leichte Flächentragwerke (IL), Universität Stuttgart, 21, 1979, S. 4 [13] Polónyi, Stefan: Über die Ästhetik der Tragkonstruktionen. In: Polónyi, Stefan; Walochnik, Wolfgang (Hg.): Architektur und Tragwerk. Berlin 2003, S. 329-336 [14] Herzog, Thomas: Kunst und Technik zur Entsprechung bringen. Thomas Herzog im Gespräch mit Petra Hagen Hodgson und Rolf Toyka. In: archithese, H. 2, 2002, S. 22-27