Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
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expert verlag Tübingen
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DigiPark – BIM-basierte Schadenserfassung und Instandhaltungsplanung am Beispiel eines Parkbaus aus Stahlbeton
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Till Büttner
Hendrik Morgenstern
Michael Raupach
Im Zuge der Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken kommt der Erfassung des Ist-Zustandes sowie der Dokumentation der geplanten und durchgeführten Arbeiten eine zentrale Bedeutung zu. Dieser Beitrag soll den Digitalisierungsbedarf der Praxis der Bauwerksinstandsetzung beschreiben und beispielhaft zeigen, wie Rohdaten aus Bauwerksdiagnose und -monitoring für eine Nutzung in BIM aufbereitet und weiterverarbeitet werden können. Dabei werden sowohl die nötigen Datenschnittstellen aufgezeigt als auch Möglichkeiten der halbautomatischen, visuellen Implementierung von Untersuchungsergebnissen im BIM-Modell vorgestellt. Das Potenzial einer digitalisierten Instandhaltungsstrategie wird anwendungsnah demonstriert und bezüglich ihrer Praxistauglichkeit geprüft. Die bisherigen Erkenntnisse der Forschungsarbeiten zeigen, dass die Nutzbarmachung von BIM-Modellen über die Planungs- und Ausführungsphase von Instandsetzungsarbeiten hinaus ein essenzieller Schritt für die Digitalisierung der Bauwerkserhaltung ist und ein großes Potenzial für effektive Bauwerksdiagnosen und ein effizientes Lebensdauermanagement birgt.
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1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 45 DigiPark - BIM-basierte Schadenserfassung und Instandhaltungsplanung am Beispiel eines Parkbaus aus Stahlbeton Dr.-Ing. Till Büttner**, Hendrik Morgenstern* M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach* *Institut für Baustoffforschung und Polymerkomposite, RWTH Aachen University, Aachen **Massenberg GmbH, Essen Zusammenfassung Im Zuge der Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken kommt der Erfassung des Ist-Zustandes sowie der Dokumentation der geplanten und durchgeführten Arbeiten eine zentrale Bedeutung zu. Dieser Beitrag soll den Digitalisierungsbedarf der Praxis der Bauwerksinstandsetzung beschreiben und beispielhaft zeigen, wie Rohdaten aus Bauwerksdiagnose und -monitoring für eine Nutzung in BIM aufbereitet und weiterverarbeitet werden können. Dabei werden sowohl die nötigen Datenschnittstellen aufgezeigt als auch Möglichkeiten der halbautomatischen, visuellen Implementierung von Untersuchungsergebnissen im BIM-Modell vorgestellt. Das Potenzial einer digitalisierten Instandhaltungsstrategie wird anwendungsnah demonstriert und bezüglich ihrer Praxistauglichkeit geprüft. Die bisherigen Erkenntnisse der Forschungsarbeiten zeigen, dass die Nutzbarmachung von BIM-Modellen über die Planungs- und Ausführungsphase von Instandsetzungsarbeiten hinaus ein essenzieller Schritt für die Digitalisierung der Bauwerkserhaltung ist und ein großes Potenzial für effektive Bauwerksdiagnosen und ein effizientes Lebensdauermanagement birgt. 1. Einleitung Bei der Instandsetzung von Bestandsbauwerken sind die Aufnahme der Bestandsgeometrie sowie die Erfassung von Schäden im Beton wesentliche Aufgaben, die häufig ein hohes Maß an händischen Prozessen erfordert. In der Regel sind bei Bauwerken nur wenige oder unzureichende analoge Bestandspläne vorhanden, sodass für die Dokumentation der Ausführung sowie die Mengenermittlung Maße manuell erfasst und anschließend in neue Bestandspläne überführt werden müssen. Dies hat auch zur Folge, dass ausgeführte Instandsetzungsarbeiten, wie die Instandsetzung von Betonschadstellen, das Tränken von Rissen oder die Applikation von Oberflächenschutzsystemen, manuell aufgemessen und in Pläne übertragen werden müssen. Diese Tätigkeiten sind zeit- und kostenintensiv sowie fehleranfällig. Im Rahmen eines Teilprojektes des gemeinsamen AiF- Forschungsprojektes des Instituts für Baustofffor-schung der RWTH Aachen University (ibac) sowie der Fa. Massenberg wird untersucht, wie Rohdaten aus Bauwerksdiagnose und Monitoring mit digitalen Daten aus einer Bauwerksaufnahme zusammengeführt wer-den. Grundlage stellt dabei Building Information Modeling (BIM) dar. BIM bezeichnet eine kooperative und lebenszyklus-überspannende digitale Arbeitsmethodik, bei der auf Grundlage digitaler Bauwerksmodelle alle relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und zwischen den Beteiligten ausgetauscht werden (vgl. [1]). Ziel ist es, die Daten aus der Bauwerkserfassung während der Bauabwicklung, der Wartung, der Inspektion und des Monitorings in einem BIM-Modell für alle am Bau Beteiligten zusammenzuführen. Dabei ist das BIM- Modell des Bestandsbauwerks ein zentrales Element. Bei der Entwicklung wird ein wesentliches Augenmerk auf die Nutzbarkeit durch die an der Ausführung beteiligten Personen - Projektleitung, Baustellenleitung - gelegt. 2. Stand der Technik zur Erfassung von Bauwerksschäden Für präzise Bewertungen des Bauteilzustandes müssen konsequenterweise die Ist-Eigenschaften des Bauteils kontrolliert und nicht die Soll-Eigenschaften aus Literatur oder Laborprüfungen verwendet werden [2]. Die Erfassung von Schäden bei Stahl- und Stahlbeton-bauwerken ist sowohl bei der Planung als auch der Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen eine wesentliche Aufgabe. Die Zustandserfassung wird u.a. mit den folgenden Verfahren durchgeführt [3]: - visuelle Inspektion und Schadensaufnahme, - Betondeckungsmessungen (Abbildung 1), - Potenzialfeldmessungen (Abbildung 2), - Bestimmung der Karbonatisierungstiefe, - Entnahme von Bohrkernen für die Bestimmung der Betonfestigkeit, - Kartierung von Rissen, - ggf. Bestimmung von Chloridprofilen. 46 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 DigiPark - BIM-basierte Schadenserfassung und Instandhaltungsplanung am Beispiel eines Parkbaus aus Stahlbeton Bei der optischen Aufnahme von Schäden werden in Übereinstimmung mit den geltenden Regelwerken die folgenden Aspekte dokumentiert: - Schäden des Betons infolge von Bewehrungskorrosion („Betonschadstellen“), - Risse im Beton, - augenscheinlichen Schäden an der Konstruktion z.B. infolge von Anprallereignissen. Abbildung 1: Betondeckungsmessung mittels magnetinduktiven Verfahren [3] Abbildung 2: Potenzialfeldmessung mittels Radelektrode [3] Abbildung 3: Exemplarische, herkömmliche Schadensdokumentation bei einem Parkdeck [3] Eine der Herausforderungen bei der Bestandsaufnahme von Bauwerken ist die Verortung der aufgenommenen Daten in Bezug auf das Bauwerk. Die Erfassung erfolgt i.d.R. manuell und ohne Unterstützung von georeferenzierenden Verfahren in analogen Plänen (Abbildung 3). Dies ist ein vergleichsweise zeitaufwändiges Verfahren, welches auch je nach Randbedingungen vor Ort hohe Messungenauigkeiten zur Folge haben kann. Die Anforderungen an die Aufnahme von Schäden sowie ausgeführten Flächen können u.a. aus der ZTV-ING Teil 3, Abschnitt 2 für die Ausführung von Stahlbetonbauteilen sowie der DIN 18349: 2019-09 VOB/ C „Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen Betonerhaltungsarbeiten“ abgeleitet werden. Im Folgenden sind die Maßabweichungen der ZTV-ING Dl gegeben, die „vom Nennmaß l der Abmessung eines Betonquerschnitts (Gesamtdicke eines Balkens oder einer Platte, Breite eines Balkens oder Steges, seitliche Abmessungen einer Stütze) (…) als zulässig angesehen werden: • für l ≤ 150 mm: Dl = ± 3 mm • für l = 400 mm: Dl = ± 10 mm • für l ≥ 2500 mm: Dl = ± 20 mm Zwischenwerte dürfen linear interpoliert werden.“[4] Die genannten Genauigkeiten zeigen, dass für die Aufnahme von Flächen oder Längen bei der Instandsetzung die etablierten händischen Messeinrichtungen, wie Zollstock oder Messrad grundsätzlich ausreichend sind, allerdings die Übertragung von einem Feldaufmaß in einen Plan der aufwändige Arbeitsschritt ist. Ferner ist die Lokalisierung von Schadstellen mit den genannten Messverfahren vergleichsweise ungenau. Die gleiche Problematik zeigt sich bei der baubegleitenden Aufnahme von Schadstellen als umschreibendes Rechteck oder zu bearbeiteten Rissen. Die Aufnahme erfolgt auch hier mit händischen Messverfahren, die keine direkte Verortung ermöglichen und somit die Übertragung von den Handaufmaßen in die Pläne aufwändig und auch fehleranfällig gestalten. Neben den zu erfassenden Schäden ist insbesondere die Erfassung von Anlagen der technischen Gebäudeaus- 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 47 DigiPark - BIM-basierte Schadenserfassung und Instandhaltungsplanung am Beispiel eines Parkbaus aus Stahlbeton rüstung (TGA) sowie von Einbauteilen, wie z.B. Rauchmeldern, Schilder und Lampen, ebenfalls zeitaufwändig, da hier bisher keine automatischen Erfassungsmöglichkeiten am Markt verfügbar sind und die Erfassung händisch mittels Zähllisten und Messrad für die Erfassung von Längen erfolgt. Die Aufnahme der TGA ist z.B. für die Anzahl oder Länge von zu schützenden Einbauteilen erforderlich. In der statischen Bewertung von Bestandsbauwerken werden bereits zfP und Diagnoseinformationen als Basis für vollprobabilistische Modelle genutzt [5]. Für ein strukturiertes und übersichtliches Informationsmanagement kann das Konzept des modellbasierten Prüfens unter Verwendung von BIM genutzt werden [6]. 3. Building Information Modeling im Bestand Bevor ein BIM-Modell mit Diagnosedaten angereichert werden kann, muss ein solches Modell zunächst erstellt werden. Dies passiert auf der Grundlage von Punktwolken. Da beim Großteil der Bestandsbauten weder BIM- Modelle noch Punktwolken vorliegen, müssen diese in der Regel zunächst nachträglich erstellt werden. Mittels moderner Laserscanner ist die präzise Erstellung von Laserscans sowie das anschließende Zusammensetzen der einzelnen Scans zu einer Punktwolke sehr anwendungsfreundlich umsetzbar. Diese Punktwolken bestehen aus einigen Millionen Distanzmessungen und enthalten somit die relativen Raumkoordinaten der gescannten Flächen bzw. Objekte. Bei entsprechender Hardware werden den einzelnen Punkten zusätzlich zu ihrer Verortung Farbinformationen hinzugefügt, sodass ein recht präzises Abbild der Realität geschaffen werden kann. In Abbildung 4 sind verschiedene Ansichten der Punktwolke des Werkhofes des ibac dargestellt. An den beiden Bildrändern (a) wurden die einzelnen Punkte entsprechend ihrer Höhe eingefärbt, sodass ein Höhenprofil (rot = niedrig, grün = hoch) des gescannten Gebäudes entsteht. Im nächsten Bereich (b) ist der entsprechende Ausschnitt des 360°-Panorama-Fotos gezeigt, welches der Laserscanner zusätzlich zur Distanzmessung anfertigt. Der letzte Bereich (c) zeigt die Punktwolke, die entsprechend den hinterlegten Farbinformationen realitätsnah eingefärbt wurde und im Gegensatz zum Foto (b) Distanz- und Winkelmessungen erlaubt. Abbildung 4: Eingefärbtes Höhenprofil (a), Foto (b) und Punktwolke mit Vermaßung (c) In der Punktwolke können Entfernungen zwischen den einzelnen Punkten gemessen werden, sodass Distanzen, Winkel, Flächen, Volumina und theoretisch auch Krümmungen anschließend am PC bestimmt werden können. Die Genauigkeit hängt dabei im Wesentlichen vom verwendeten Laserscanner ein. Bei den Messungen des ibac wurde der Leica RTC 360 verwendet, der nach Herstellerangaben eine Genauigkeit von 1,9 / 2,9 / 5,3 mm bei einer Entfernung von 10 / 20 / 40 m hat. Entsprechend sind die ZTV-ING geforderten Maßabweichungen auch in 40 m Entfernung leicht einzuhalten. Ein möglicher Nutzen der Bemaßung über die Punktwolke ist in Abbildung 5 dargestellt, die links die herkömmliche und rechts die punktwolkenbasierte Herangehensweise bei der Vermessung einer Schadstelle zeigt. In der Punktwolke können Breite (104 mm), Höhe (121 mm), Tiefe (12,5 mm) sowie Bewehrungsstabdurchmesser (5,8 mm) abgegriffen werden. Abbildung 5: Herkömmliche (links) und punktwolkenbasierte (rechts) Vermessung einer Schadstelle Der für die Arbeit mit BIM jedoch wesentlichste Nutzen einer Punktwolke ist wohl die nachträgliche Erstellung eines BIM-Modells, wie es in Abbildung 6 gezeigt ist. Abbildung 6: Punktwolke (oben) und abgeleitetes BIM- Modell (unten) eines Parkdecks Das erstellte Modell enthält nach diesem Arbeitsschritt jedoch noch keine bauwerkserhaltungsrelevanten Informationen, es dient lediglich als 3D-Planunterlage für die 48 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 DigiPark - BIM-basierte Schadenserfassung und Instandhaltungsplanung am Beispiel eines Parkbaus aus Stahlbeton folgenden Schritte. Sollte bereits ein BIM-Modell vorliegen, kann dieses mitsamt aller vorhandenen Informationen verwendet werden. Das Hinzufügen von Informationen ist jedoch in den herkömmlichen BIM-Softwares nur in einem gewissen Rahmen vorgesehen, der für die Bauwerkserhaltung derzeit nicht geeignet ist [7]. 4. Automatisierte Verortung von Messdaten im BIM-Modell Bei der Kartierung von dutzenden Prüfstellen, hunderten Rissen oder tausenden Werten eines Flächenscans wäre eine manuelle Implementierung weder wirtschaftlich noch praxistauglich. Eine mögliche Lösung, die am ibac deshalb für die Dateneingabe verfolgt wird, nutzt die Visuelle Programmierung. Mit der BIM-Software Revit (Autodesk) kann das Open-Source Plugin Dynamo genutzt werden, um Elemente im Modell zu erstellen oder mit zusätzlichen Informationen zu versehen. Auf diese Weise genügt es, die zu importierenden Informationen in einer Excel-Tabelle zur Verfügung zu stellen. Mit der Ausführung des Programmier-Skriptes werden die Daten (bspw. Untersuchungsergebnisse) dem jeweiligen Element im BIM-Modell hinzugefügt. Visuelle Programmierung ist zwar wesentlich intuitiver und einsteigerfreundlicher als die herkömmliche Arbeit mit Programmiersprachen, erfordert aber dennoch eine gewisse IT-Kompetenz. Für die praktische Anwendung genügt es allerdings, ein Skript ausführen zu können. Die Entwicklungsarbeit der jeweiligen Import-Skripte kann vollständig an spezialisierte Institute oder Unternehmen ausgelagert werden. Das Verorten bzw. Hinzufügen der jeweiligen Diagnoseergebnisse ist anschließend nicht schwieriger als die gewöhnliche Bedienung einer BIM-Software. In Abbildung 7 sind links Entnahmestellen von Bohrmehlproben zur Ermittlung des tiefengestaffelten Chloridgehaltes dargestellt, rechts ist die Implementierung in BIM gezeigt. Mit wenigen Klicks können die Werte ins Modell übertragen und entsprechend des Chloridgehaltes in M.-% bezogen auf die Betonmasse eingefärbt werden. Auf diese Weise wird schnell ersichtlich, dass die Chloridgehalte mit zunehmender Bohrtiefe bzw. Entnahmehöhe abnehmen. Der höchste Chloridgehalt wurde in der Nähe der Oberfläche auf der niedrigsten Entnahmehöhe festgestellt. Im schwarz gefärbten Bereich des untersten Bohrloches konnte kein Bohrmehl abgesaugt werden, weil das Bauteil zu feucht war. Auf ähnliche Weise können auch Sensoren oder Bohrkerne mit Werten zur Druckfestigkeit, Haftzugfestigkeit oder Carbonatisierungstiefe abgebildet werden. Abbildung 7: Bohrmehlentnahmestellen (links) und tiefengestaffelte Darstellung des Chloridgehaltes im BIM-Modell (rechts) Auch flächige Untersuchungsergebnisse können automatisiert im BIM-Modell hinterlegt und eingefärbt werden. In Abbildung 8 sind beispielhaft Ergebnisse einer Potenzialfeldmessung an einer Wand dargestellt. Abbildung 8: Beispiel zur Visualisierung flächiger Diagnoseergebnisse (hier Potenzialfeld) in BIM Mit geeigneten Skripten können beliebige Geometrien und Informationen im BIM-Modell hinterlegt und weiterverarbeitet werden. Derzeit werden am ibac neben den bereits vorgestellten Skripten zum Übertragen von Diagnoseergebnissen auch Skripte zur Visualisierung der Ist-Bewehrungslage entwickelt. In Abbildung 9 sind die Ergebnisse einer Betondeckungsmessung an einer Stütze kontinuierlich eingefärbt dargestellt (rot/ grün geringe/ große Betondeckung). Durch diese Darstellung wird direkt ersichtlich, dass die hinteren Seiten der Stütze geringe Betondeckungen aufweisen und somit korrosionsgefährdet sind. Es könnten auch nur solche Messpunkte diskret eingefärbt werden, die einen gewissen Grenzwert unterschreiten, um lediglich die kritischen Stellen zu lokalisieren. 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 49 DigiPark - BIM-basierte Schadenserfassung und Instandhaltungsplanung am Beispiel eines Parkbaus aus Stahlbeton Abbildung 9: Farbige Darstellung einer Betondeckungsmessung im BIM-Modell 5. Nutzen für die Praxis Die zuvor dargestellten Implementierungen von Diagnosedaten in einem einheitlichen BIM-Modell eröffnet allen an der Ausführung Beteiligten - Auftraggeber, Auftragnehmer und Sachkundigem Planer - neue Möglichkeiten der effektiven und lösungsorientierten Zusammenarbeit. In Teil 1 der Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (TR IH) wird explizit darauf hingewiesen, dass in der TR IH lediglich ein Schwellenwert für den Chloridgehalt angegeben wird und der kritische Chloridgehalt vom Sachkundigen Planer (SKP) zu definieren ist [8]. Aktuelle Untersuchungen zum kritischen Chloridgehalt zeigen, dass dieser anhand von Untersuchungsergebnissen spezifisch für das untersuchte Objekt ermittelt werden sollte [9]. Eine visuelle Darstellung des tatsächlich vorliegenden tiefengestaffelten Chloridgehaltes kann dabei zukünftig ein hilfreiches Werkzeug für den SKP bei der Bewertung des Ist-Zustandes und damit auch für die Planung einer Instandsetzungsmaßnahme sein. Dies gilt auch analog für Daten der Ist-Bewehrungsdeckung bzw. Bewehrungsführung. Die in einem Modell vorliegenden Daten können dann im Zuge der Ausschreibung für die Erstellung des LVs genutzt und dem Ausführenden zur Verfügung gestellt werden. Sowohl für die Angebotserstellung als auch für die Ausführung ist ein BIM-Modell mit allen relevanten Diagnosedaten insofern von Vorteil, dass nicht diverse Pläne, die die unterschiedlichen Diagnosen einzeln darstellen, miteinander verglichen werden müssen, um ein gesamtheitliches Bild zu erzielen, sondern sich auf ein umfassendes Modell konzentriert werden kann. So können z.B. bei der Ausführung von Instandsetzungsarbeiten nach Verfahren 7.2 der TR IH - Ersatz von chloridhaltigem oder carbonatisiertem Beton zum Erhalt oder der Wiederherstellung der Passivität - anhand der visuellen Kombinierung von Potenzialfeldmessungen, Chloridanalysen und Betondeckungen in einem räumlichen Modell Abtragsflächen einfacher und auch nachvollziehbarer geplant und die Informationen über 3D-Pläne oder Augmented Reality für die Ausführung bereitgestellt werden. Die Darstellung in einem Modell kann so allen am Bau Beteiligten die tägliche Arbeit auf der Baustelle erleichtern. Sollte es zu Änderungen in der Ausführung kommen, kann dann auch in einem Modell die Ausführung fortgeschrieben und für die Instandhaltung nach TR IH genutzt werden. Eine andere Anwendung, bei der bisher unterschiedliche Pläne bzw. Pläne und Gegebenheiten vor Ort miteinander abgeglichen werden müssen, ist Verfahren 4.4 der TR IH „Querschnitsergänzung durch Betonersatz (…) zur Verstärkung des Betontragwerks“. Hierbei kann der Verbund zum Untergrund entweder mit Verbundankern oder über Adhäsion hergestellt werden. Sofern Verbundanker zu platzieren sind, kommt der Lage der Bestandsbewehrung eine wesentliche Bedeutung zu, denn diese darf (in Abhängigkeit der Auslastung des Bauteils) nicht beschädigt werden, sodass Bewehrungstreffer durch Verbundanker zu vermeiden sind. Verbundanker können meistens allerdings auch nicht frei positioniert werden, da in den Aufbetonschichten auch Bewehrungslagen vorhanden sind. Wie dies ohne BIM aktuell realisiert werden muss, zeigt Abbildung 10. Abbildung 10: Einmessen von Bohrpunkten für die nachträgliche Querschnittsergänzung und vor Ort gemessene Bewehrungslagen Hier können durch eine 3D-Visualisierung der Bestandsaufnahme - Bauteilgeometrie mit Bewehrungslagen, vgl. Abbildung 9 - in Kombination mit der Bewehrungspla- 50 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 DigiPark - BIM-basierte Schadenserfassung und Instandhaltungsplanung am Beispiel eines Parkbaus aus Stahlbeton nung Kollisionsprüfungen im Vorfeld der Maßnahme durchgeführt oder auf Basis von Erkenntnissen bei der Ausführung angepasst werden. Da auch im Rahmen der Ausführung Untersuchungen zur Eigen- und Fremdüberwachung - z.B. Bestimmung der Oberflächenzugfestigkeit - ausgeführt werden, bietet das automatisierte skriptbasierte Einlesen von Diagnosedaten für die Pflege der Bestandsdaten ein großes Potenzial. So können die Daten auf der Baustelle in üblichen Office-Anwendungen gespeichert und dann in das BIM-Modell im Nachgang eingelesen werden, sodass auf der Baustelle kein Einsatz spezieller BIM- Software für die Datenimplementierung in das Modell erforderlich ist. Abbildung 11 zeigt die Möglichkeiten des Ablaufs und der Implementierung der unterschiedlichen Datenquellen in das BIM-Modell. Abbildung 11: Schematische Darstellung des Ablaufs und der Möglichkeiten der Implementierung unterschiedlicher Daten in das BIM-Modell 6. Zusammenfassung und Ausblick Das vorgestellte Konzept zur Digitalisierung der Bauwerkserhaltung baut auf den technischen Fortschritten der letzten Jahre auf und leitet eine modellzentrierte Arbeitsweise ein. Mit einem vertretbaren Aufwand wächst über die Nutzungsdauer hinweg ein BIM-Modell, das nicht nur den Soll-Zustand, sondern auch den Ist-Zustand verlässlich wiedergibt. Aus dem bisherigen Arbeitsstand können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: • BIM-visualisierte Diagnosen ermöglichen effiziente Analysen, indem örtliche Häufungen oder Streuungen sichtbar werden. • Untersuchungsergebnisse, deren Verwendung bislang oft in einem Prüfbericht endete, bleiben maschinenlesbar erhalten und können für weitere Analysen genutzt werden (digitales Bauwerksbuch). • Farbige „Ampel-Systeme“ erlauben die simple Ersteinschätzung des Bauteilzustandes. • Digitalisierte Bauwerksdiagnosen ermöglichen effiziente Hightech-Instandsetzungen. • Die in einem BIM-Modell nachvollziehbar aufbereiteten Daten erleichtern allen am Bau Beteiligten Planung und Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen. Langfristig sollen Schadstellen automatisch erkannt und die entsprechenden Volumina bestimmt werden, um als Grundlage für Instandsetzungsplanung und Kalkulation zu dienen. Derzeit forscht das ibac an der BIM-gestützten Auswertung der maschinenlesbar hinterlegten Diagnosedaten, um zukünftig auch probabilistische Dauerhaftigkeitsprognosen in BIM ausführen zu können. Parallel dazu werden, um die nachträgliche Digitalisierung von Bestandsbauwerken weiter zu vereinfachen, robotergestützte Methoden der Punktwolkenerstellung untersucht. 7. Danksagung Die Autoren danken dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) für die Förderung des Forschungsprojektes „Bri-San-T - DigiPark“ (Förderkennzeichen 16KN062138) sowie den beteiligten Projektpartnern Koch GmbH, der Zensor SE (Belgien) und dem Geodätischen Institut der RWTH Aachen University (gia). Literatur [1] BMVI, Stufenplan Digitales Planen und Bauen - Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2015. [2] F. Jacobs, Dauerhaftigkeit von Beton im Bauteil, Beton- und Stahlbetonbau 114(6) (2019) 383--391. [3] M. Raupach, T. Büttner, Concrete repair to EN 1504: Diagnosis, design, principles and practice, CRC Press, Taylor & Francis Group, Boca Raton, 2014. [4] B. für Straßenwesen, Zusätzliche technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten: ZTV-ING, Verkehrsblatt-Verlag 2019. [5] S. Küttenbaum, S. Maack, T. Braml, A. Taffe, M. Haslbeck, Bewertung von Bestandsbauwerken mit gemessenen Daten, Beton- und Stahlbetonbau 114(6) (2019) 370-382. [6] H.G. Oltmanns, H. Oltmanns, A. Dirks, BIM-Modelle und die Bearbeitung durch Prüfingenieure, Bautechnik (2019). [7] S. Kubens, J. Landis, C. Müller, R. Achenbach, BIM-basierte Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken, beton 12 (2019) 454-459. [8] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung) - Teil 1: Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung, 2020-05. [9] C. Boschmann Käthler, U.M. Angst, Der kritische Chloridgehalt - Bestimmung am Bauwerk und Einfluss auf die Lebensdauer, Bautechnik 97(1) (2019) 41-47.
