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Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
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Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln im Einfach- und Isolierglas

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Thorsten Weimar
Die Kombination von Dünnglas mit Polycarbonat bietet durch schlankere Querschnitte verbunden mit geringerem Eigengewicht eine leistungsstarke Alternative zu konventionellem Verbundsicherheitsglas aus einem Glas-Verbund, insbesondere im Bereich der Sicherheitssonderverglasungen. Am Lehrstuhl für Tragkonstruktion der Universität Siegen werden gemeinsam mit dem Unternehmen SiLATEC Sicherheits- und Laminatglastechnik GmbH aus Gelting die Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln zunächst als Einfachglas und anschließend als Dreischeiben-Isolierglas entwickelt. Der Verbund aus Dünnglas und Polycarbonat erreicht für das Einfachglas sowie durch die erstmalige Aktivierung aller Schichten für die Angriffhemmung auch für das Dreischeiben-Isolierglas die höchste Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff verbunden mit einer deutlichen Reduzierung des Eigengewichts unter Erfüllung der aktuellen Anforderungen an den Wärmeschutz. Dadurch reduzieren sich für diese Sicherheitssonderverglasungen die Gesamtdicke sowie der Wärmedurchgangskoeffizient im Vergleich zu üblichen Lösungen.
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1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 117 Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln im Einfach- und Isolierglas Univ.-Prof. Dr.-Ing. Thorsten Weimar Universität Siegen, Lehrstuhl für Tragkonstruktion, 57068 Siegen, Deutschland Zusammenfassung Die Kombination von Dünnglas mit Polycarbonat bietet durch schlankere Querschnitte verbunden mit geringerem Eigengewicht eine leistungsstarke Alternative zu konventionellem Verbundsicherheitsglas aus einem Glas-Verbund, insbesondere im Bereich der Sicherheitssonderverglasungen. Am Lehrstuhl für Tragkonstruktion der Universität Siegen werden gemeinsam mit dem Unternehmen SiLATEC Sicherheits- und Laminatglastechnik GmbH aus Gelting die Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln zunächst als Einfachglas und anschließend als Dreischeiben-Isolierglas entwickelt. Der Verbund aus Dünnglas und Polycarbonat erreicht für das Einfachglas sowie durch die erstmalige Aktivierung aller Schichten für die Angriffhemmung auch für das Dreischeiben-Isolierglas die höchste Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff verbunden mit einer deutlichen Reduzierung des Eigengewichts unter Erfüllung der aktuellen Anforderungen an den Wärmeschutz. Dadurch reduzieren sich für diese Sicherheitssonderverglasungen die Gesamtdicke sowie der Wärmedurchgangskoeffizient im Vergleich zu üblichen Lösungen. 1. Einleitung Glas ist in der Gebäudehülle ein elementarer Bestandteil und steht in der Architektur für Modernität und Leichtigkeit. Bereits 1981 stellt Mike Davies das bislang unerreichte Konzept einer polyvalenten Wand als Vision einer adaptiven, multifunktionalen Fassade vor. [1] Über das Zusammenspiel verschiedener Funktionsschichten zwischen zwei Glastafeln soll sich die Verglasung regulierend den Bedürfnissen anpassen. In Anlehnung an das Konzept dieser polyvalenten Wand lassen sich die Anforderungen heutiger Fassaden in Brand-, Schall-, Sonnen- und Wärmeschutz sowie Energie, Gestaltung, Medien und Sicherheit unterteilen. Die aus der Transparenz der Gebäudehülle resultierenden Verglasungen führen allerdings häufig zu großformatigen Abmessungen mit erhöhten Anforderungen, vor allem im Bereich des Wärme- und Schallschutzes, aber auch der Sicherheit, die meistens nur noch Mehrscheiben-Isoliergläser unter Verwendung von Verbundsicherheitsgläsern erfüllen. Dies führt zunehmend zu dickeren Querschnitten mit hohem Eigengewicht. Verbundtafeln aus unterschiedlichen, transparenten Materialien, wie beispielsweise Dünnglas und Polycarbonat, ermöglichen dazu eine Optimierung hinsichtlich der gewünschten Eigenschaften. 2. Verbund aus Dünnglas und Polycarbonat Die kontinuierliche Entwicklung in der Herstellung von Dünnglas schafft die Voraussetzungen für zusätzliche Einsatzgebiete über die ursprüngliche Verwendung als Sonderglas in der Medizin- oder der Elektrotechnik hinaus. Neben der günstigen Eigenschaft einer hohen Oberflächenhärte bietet Dünnglas auch ein niedriges Flächengewicht. Allerdings ergibt sich durch die dünnen Nenndicken nur eine geringe geometrische Steifigkeit, die bei einer Anwendung als biegebeanspruchtes Bauteil zu sehr hohen Verformungen führt. Häufig wird die charakteristische Festigkeit durch eine Vorspannung, bei der die Glasoberfläche unter Druckspannung steht, erhöht. Eine mögliche Reduktion der hohen Verformungen besteht in dem Verbund mit Polycarbonattafeln. Mit baurelevanten Abmessungen führt der Verbund aus dem sprödem Dünnglas mit dem duktilen Polycarbonat beispielsweise zu innovativen Verbundtafeln im Bereich der Sicherheit. Als Thermoplast weist Polycarbonat eine hohe Schlagzähigkeit, ein niedrigeres Flächengewicht sowie eine hohe Transparenz auf, aber auch eine hohe Kratzempfindlichkeit und eine Unbeständigkeit gegenüber ultravioletter Strahlung. Diese Nachteile können durch äußere Dünngläser sowie einer verbindenden Zwischenschicht mit entsprechenden UV-Blockern kompensiert werden. Eine Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafel besteht deshalb aus zwei äußeren Dünnglastafeln und mindestens einer inneren Polycarbonattafel, die über eine polymere Zwischenschicht aus einem thermoplastischen Polyurethan laminiert sind. In Tabelle 1 sind die relevanten Materialkennwerte angegeben. Als Alternative zu konventionellem Verbundsicherheitsglas sind von den Dünnglas-Polycarbonat-Verbundta- Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln im Einfach- und Isolierglas 118 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 feln die Anforderungen an die passive Sicherheit nach Glasbruch, wie beispielsweise die Resttragfähigkeit, die Begrenzung von Öffnungen und die Vermeidung von Schnittverletzungen durch Splitterbindung, einzuhalten. [5] Einen weiteren wesentlichen Aspekt für Verbundsicherheitsglas stellen die Nachweise für die Anforderungen an die klimatische Beständigkeit der Zwischenschicht dar, die bei hoher Temperatur, in der Feuchte und unter Bestrahlung nachgewiesen werden. [6] Die Prüfung des Verbunds für die mechanische Beständigkeit erfolgt mit dem Kugelfallsowie dem Pendelschlagversuch. [7, 8] Sicherheitssonderverglasungen, auch angriffhemmende Verglasungen genannt, setzen mit den zusätzlichen Anforderungen an die aktive Sicherheit dem gewaltsamen Einwirken einen bestimmten Widerstand mit dem Ziel der Verhinderung des unerlaubten Angriffs entgegen. Diese Sicherheitssonderverglasungen werden in Widerstand gegen manuellen Angriff [9], gegen Durchschuss [10] oder gegen Sprengwirkung [11] unterschieden. In Bild 1 ist eine Dünnglas Polycarbonat-Verbundtafel mit der Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff im Vergleich zu einer Sicherheitssonderverglasung aus Glas-Verbund derselben Widerstandsklasse dargestellt. Bild 1: Dünnglas Polycarbonat-Verbundtafel mit Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff (rechts) im Vergleich zu einer Sicherheitssonderverglasung aus Glas-Verbund der gleichen Widerstandsklasse (links). 3. Trag- und Resttragverhalten In Anlehnung an den Vierpunkt-Biegeversuch [12] zur Bestimmung der Festigkeit von Flachglas werden die Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln untersucht. Dadurch ergeben sich Rückschlüsse auf das Trag- und Resttragverhalten sowie der Schubübertragung des Laminats. Die Betrachtung des Tragverhaltens im intakten Zustand und des Resttragverhaltens im planmäßig zerstörten Zustand der Dünngläser zeigen einen teilweisen Schubverbund innerhalb der Verbundtafel. Dazu werden neben der Verformung in Plattenmitte und der Belastung auch an jeder Grenzfläche die Dehnungen in Längs- und Querrichtung gemessen. In Bild 2 ist eine Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafel im Vierpunkt-Biegeversuch zur Untersuchung des Trag- und Resttragverhaltens sowie zum Vergleich eine Dünnglastafel Optiwhite mit sehr hoher Verformung schon unter Eigenlast dargestellt. Bild 2: Dünnglas Polycarbonat-Verbundtafel (oben) im Vierpunkt-Biegeversuch zur Untersuchung des Trag- und Resttragverhaltens sowie zum Vergleich eine Dünnglastafel Optiwhite (unten) mit sehr hoher Verformung. Mit steigender Nenndicke der Polycarbonattafel verringert sich der Anteil der äußeren Dünnglastafeln an der Lastabtragung. Im planmäßig zerstörten Zustand beider Dünngläser zeigt das Laminat ein günstigeres Resttragverhalten im Vergleich zu Polycarbonattafeln ohne Verbund. Bild 3 stellt die Ergebnisse zur Untersuchung des Trag- und Resttragverhaltens von Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln mit dem Dünnglas Optiwhite und variabler Nenndicke des Polycarbonats von 4 mm, 8 mm und 12 mm im Vergleich zu monolithischen Polycarbonattafeln dar. [13, 14] Es treten allerdings bereits bei geringen Lasten hohe Verformungen auf. Die Verbundtafeln eignen sich deshalb vor allem als Vertikalverglasung mit hohen Zusatzanforderungen an die Sicherheit, wie beispielsweise als absturzsichernde Verglasung sowie als angriffhemmende Verglasung. Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln im Einfach- und Isolierglas 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 119 Bild 3: Ergebnisse zur Untersuchung des Trag- und Resttragverhaltens von Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln mit dem Dünnglas Optiwhite und variabler Nenndicke des Polycarbonats von 4 mm, 8 mm und 12 mm im Vergleich zu monolithischen Polycarbonattafeln. Bild 4 zeigt eine mögliche Anwendung der Dünnglas- Polycarbonat-Verbundtafeln mit einem hohen Widerstand gegen manuellen Angriff. Der nachträgliche Einbau der Sicherheitssonderverglasung erfüllt die hohen Anforderungen an die Sicherheit und passt sich mit dem niedrigen Eigengewicht den gegebenen Randbedingungen des Bestandsbaus optimal an. Bild 4: Mögliche Anwendung einer angriffhemmenden Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafel als Vertikalverglasung zur nachträglichen Ertüchtigung der Sicherheit bei Bestandsbauten. 4. Eigenschaften als Einfachglas Die Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln weisen bereits als Einfachglas günstigere Eigenschaften als eine herkömmliche Sicherheitssonderverglasung mit gleicher Widerstandsklasse auf. In Tabelle 2 werden die Ergebnisse der Untersuchungen zu den Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln mit aktuell am Markt erhältlichen Sicherheitssonderverglasungen aus Glas-Polycarbonat- Verbund und aus Glas-Verbund mit der höchsten Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff gegenübergestellt. Die Verwendung von Dünnglas ermöglicht eine Reduktion der Nenndicke um 45 % von 36 mm bei Glas-Verbund auf 20 mm sowie des Eigengewichts um 65 % von 80 kg/ m 2 auf 28 kg/ m 2 . Die Messung des Luftschalldämm-Maßes zeigt, dass sich trotz des geringeren Eigengewichts der Kennwert lediglich um 1 dB verringert. Das innenliegende Polycarbonat weist eine um den Faktor 5 geringe Wärmeleitfähigkeit als Glas auf. Dadurch verbessert sich der Wärmedurchgangskoeffizient im Vergleich zu herkömmlichen angriffhemmenden Verglasungen. Eine Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafel als Sicherheitssonderverglasung mit der höchsten Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff bietet dadurch bereits als Einfachglas eine Alternative beispielsweise für den nachträglichen Einbau in Bestandsbauten bei reduzierter Nenndicke und geringerem Eigengewicht. Die Weiterverarbeitung von Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln zu einem Mehrscheiben-Isolierglas ist naheliegend und führt zusätzlich zu einer Verbesserung der Eigenschaften bezüglich Wärme- und Schallschutz. 5. Mehrscheiben-Isoliergläser mit Angriffhemmung Die aktuellen Vorgaben an den Wärmeschutz führen allgemein zu einem erhöhten Bedarf an Dreischeiben-Isoliergläsern. Mit dem zusätzlichen Scheibenzwischenraum werden günstigere Werte für den erforderlichen Wärmedurchgangskoeffizienten erzielt. Allerdings steigt mit der zusätzlichen Glasschicht auch ohne weitere Funktionen das Eigengewicht und führt zu erhöhten Anforderungen an die Unterkonstruktion. Mit dem aktuellen Gebäudeenergiegesetz (GEG) und den europäischen Energie- und Klimazielen werden zunehmend auch Sicherheitssonderverglasungen als Mehrscheiben-Isoliergläser ausgeführt. Um neben der Angriffhemmung die Anforderungen an die Energieeinsparung zu erfüllen, erfolgt die Entwicklung von angriffhemmenden Dreischeiben-Isoliergläsern unter den drei Aspekten der Gewichtsreduzierung, Energieeinsparung und Angriffhemmung. Konventionelle Sicherheitssonderverglasungen bestehen aus einem angriffhemmenden Verglasungsaufbau mit einer relativ großen Nenndicke. Eine anschließende Weiterverarbeitung zu einem Mehrscheiben-Isolierglas erfordert weitere einzelne Glastafeln, die keinen Anteil am Widerstand der Angriffhemmung übernehmen. Die Prü- Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln im Einfach- und Isolierglas 120 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 fung des Widerstandes wird deshalb nur an der für die Angriffhemmung vorgesehenen Schicht durchgeführt. Durch das im Scheibenzwischenraum eingeschlossene Gasvolumen in einem Mehrscheiben-Isolierglas entstehen neben den äußeren Einwirkungen zusätzliche Beanspruchungen infolge klimatischer Einwirkungen. Die tatsächliche Höhe dieser Klimalast ist abhängig von der Steifigkeit der Verglasung, die durch die Abmessungen und den Aufbau bestimmt wird. Ein unsymmetrischer Aufbau führt im Allgemeinen zu höheren Klimalasten als ein symmetrischer Aufbau. Das Risiko eines Glasbruches und die Beanspruchung des Randverbundes nehmen zu. Bei einem Mehrscheiben-Isolierglas ergeben sich infolge des asymmetrischen Aufbaus erhöhte Beanspruchungen aus Klimalast für die dünneren Schichten. Aus diesem Grund finden Mehrscheiben-Isoliergläser als Sicherheitssonderverglasung in der Praxis bisher kaum Anwendung. In Bild 5 ist der Querschnittsaufbau eines angriffhemmenden Dreischeiben-Isolierglases aus Glas- Verbund mit der Widerstandsklasse P8B dargestellt. Die Nenndicke beträgt 77 mm mit einem daraus resultierenden Eigengewicht von 125 kg/ m 2 . Bild 5: Querschnittsaufbau (von innen nach außen) eines angriffhemmenden Dreischeiben-Isolierglases aus Glas-Verbund mit der Widerstandsklasse P8B. Der Verbund aus Glas und Polycarbonat ermöglicht eine gezielte Reduzierung der Querschnitte und des Eigengewichts von angriffhemmenden Sicherheitssonderverglasungen. Der schlankere Querschnittsaufbau für die Widerstandsklasse P8B mit einer Nenndicke von 64 mm und einem Eigengewicht von 78 kg/ m 2 ist in Bild 6 dargestellt. Die unterschiedlichen Eigenschaften der beiden Materialien Glas und Polycarbonat ermöglichen eine wesentlich individuellere Abstimmung und dadurch im Gegensatz zu üblichen Glas-Verbunden eine optimale Einstellung der Verglasung auf die gewünschten Anforderungen. Bild 6: Querschnittsaufbau (von innen nach außen) des angriffhemmenden Dreischeiben-Isolierglases aus Glas- Polycarbonat-Verbund mit der Widerstandsklasse P8B. Die angriffhemmende Wirkung liegt bei dem neuartigen Verglasungsaufbau der Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln deshalb nicht nur auf einer Schicht mit einer relativ großen Nenndicke, sondern alle vorhandenen Schichten beteiligen sich am Widerstand gegen manuellen Angriff. Dies führt zu schlankeren und leichteren Mehrscheiben-Isoliergläsern mit der Zusatzanforderung der Angriffhemmung. Der Nachweis der Angriffhemmung unter Einbeziehung aller Schichten erfordert allerdings eine Modifikation des Versuchsaufbaus. Die quadratische Öffnung in der äußeren Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafel wird auf 500 mm erhöht, damit das Freischlagen einer zweiten Öffnung auf der inneren Verbundtafel ohne Einfluss der vorangestellten Scheibe mit einer Öffnung von 400 mm möglich ist. Bild 7 zeigt den modifizierten Versuchsaufbau für den Prüfkörper aus dem neu entwickelten Dreischeiben-Isolierglas. Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln im Einfach- und Isolierglas 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 121 Bild 7: Prüfung mit der Axt zum Nachweis des Widerstandes gegen manuellen Angriff für ein Dreischeiben- Isolierglas aus zwei Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln. Zur weiteren Optimierung besteht das entwickelte Dreischeiben-Isolierglas aus zwei Dünnglas-Polycarbonat- Verbundtafeln mit angriffhemmender Funktion als Innen- und Außenscheibe und einem Dünnglas Optiwhite als mittlere Scheibe. Bei konventionellen Sicherheitssonderverglasungen werden die drei Scheiben üblicherweise durch zwei einzelne Abstandhalter zur Herstellung der beiden Scheibenzwischenräume verbunden. Durch den Einsatz eines einzelnen auf den Aufbau abgestimmten Abstandhalters sind nur noch zwei Dichtungen zu den beiden äußeren Verbundtafeln erforderlich. Die mittlere Scheibe wird im Abstandhalter durch Klemmung fixiert und nicht geklebt. Dadurch entstehen keine zusätzlichen Klebfugen an der mittleren Scheibe, die das Risiko von Gasverlusten und das Eindringen von Feuchtigkeit in die Scheibenzwischenräume erhöhen. Die Verwendung eines Dünnglases als mittlere Scheibe sowie die neuartige Aufteilung der angriffhemmenden Wirkung auf alle Schichten unterscheidet das Dreischeiben-Isolierglas von konventionellen Sicherheitssonderverglasungen deutlich. Die Reduktion der Nenndicke auf 52 mm und des Eigengewichts auf 46 kg/ m 2 wird für die Widerstandsklasse P8B der angriffhemmenden Dreischeiben-Isoliergläser mit Polycarbonat im Verbund unter Einbeziehung aller Schichten im Mehrscheiben- Isolierglas erreicht. Das Bestehen der Axtprüfung mit 74 Schlägen von erforderlichen 71 Schlägen belegt den hohen Ausnutzungsgrad des in Bild 8 dargestellten Verglasungsaufbaus. Bild 8: Querschnitt eines Dreischeiben-Isolierglases aus Dünnglas-Polycarbonat-Verbund mit Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff. 6. Eigenschaften als Mehrscheiben-Isolierglas Neben der Angriffhemmung erreicht der Verglasungsaufbau auch die aktuellen Anforderungen an den Wärmeschutz. Die wesentlichen Parameter zur Klassifizierung der Energieeffizienz einer Verglasung sind der Wärmedurchgangskoeffizient und der Gesamtenergiedurchlassgrad. Der Wärmedurchgangskoeffizient beschreibt die Energieverluste und der Gesamtenergiedurchlassgrad den Gesamtgrad des Energiedurchlasses. Das Dreischeiben-Isolierglas erfüllt mit einem Scheibenzwischenraum von 12 mm und einer Füllung mit Krypton sowie einer Wärmschutzbeschichtung die aktuellen energetischen Anforderungen und erreicht damit einen Wärmedurchgangskoeffizienten von weniger als 0,7 W/ (m 2 ·K) sowie einen Gesamtenergiedurchlassgrad von 56 %. Das Dreischeiben-Isolierglas erreicht unter erstmaliger Aktivierung aller Schichten für die Angriffhemmung die höchste Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff sowie die aktuellen Anforderungen an den Wärmeschutz mit einem 33 % schlankeren und bis zu 64 % leichteren Verglasungsaufbau. In Tabelle 3 sind die relevanten Eigenschaften des entwickelten Dreischeiben-Isolierglases aus Dünnglas-Polycarbonat-Verbund der höchsten Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff im Vergleich zu einem Glas-Polycarbonat-Verbund sowie einem Glas-Verbund dargestellt. Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln im Einfach- und Isolierglas 122 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 7. Zusammenfassung Die steigenden Anforderungen an die Gebäudehülle führen im Bereich der aktiven und passiven Sicherheit zur Entwicklung von innovativen Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln, die die hohe Oberflächenfestigkeit und die Beständigkeit von Glas mit dem niedrigen Flächengewicht und der Schlagzähigkeit von Polycarbonat kombinieren. Dieser Verbund besteht aus zwei äußeren Dünnglastafeln und mindestens einer inneren Polycarbonattafel, die flächig über eine Zwischenschicht aus thermoplastischen Polyurethan laminiert werden. Das Mehrschichtsystem erfüllt die Anforderungen an Verbundsicherheitsglas und ist besonders als vertikale Sicherheitssonderverglasung geeignet. Die Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln erreichen als Einfachglas die höchste Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff mit einem um 44 % schlankeren und 65 % leichteren Aufbau im Vergleich zu einem konventionellen Glas-Verbund. In einem Mehrscheiben-Isolierglas werden erstmalig für den Widerstand gegen manuellen Angriff die beiden äußeren Scheiben erfolgreich angesetzt. Diese Entwicklung führt zu einem angriffhemmenden Dreischeiben-Isolierglas mit Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln mit einem bis zu 33 % schlankeren und 64 % leichteren Aufbau im Vergleich zu einem vergleichbaren Glas-Verbund unter Berücksichtigung von einem Wärmedurchgangskoeffizienten von 0,7 W/ (m 2 .K) und einem Energiedurchlassgrad von 56 %. Die Erkenntnisse aus dem Kooperationsprojekt bezüglich einer Berücksichtigung aller Schichten beim Nachweis der Angriffhemmung werden am Lehrstuhl für Tragkonstruktion der Universität Siegen zukünftig auch auf beschusshemmende oder sprengwirkungshemmende Sicherheitssonderverglasungen übertragen. 8. Dank Die Ergebnisse basieren auf zwei Forschungsprojekte am Lehrstuhl für Tragkonstruktion der Universität Siegen im Rahmen der Forschungsförderung Zukunft Bau vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) sowie des Zentralem Innovationsprogramms Mittelstand vom Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Zusammenarbeit mit der AiF Projekt GmbH. Ein besonderer Dank geht an das beteiligte Unternehmen SiLATEC Sicherheits- und Laminatglastechnik GmbH in Gelting zur Herstellung der zahlreichen Prüfkörper und die konstruktive Mitarbeit als Kooperationspartner in den beiden Forschungsprojekten. Literatur [1] Davies, M.: A Wall for All Seasons. In: RIBA Journal 88, pp. 55-57. London, 1981. [2] Pilkington Deutschland AG [Hrsg.] (2011) Optiwhite (Datenblatt). [3] SABIC Deutschland GmbH [Hrsg.] (2014) Lexan 9030 (Datenblatt). [4] SiLATEC Sicherheits- und Laminatglastechnik GmbH [Hrsg.] (2017) TPU (Datenblatt). [5] DIN 18008-1: 2020-05 (2020) Glas im Bauwesen - Bemessungs- und Konstruktionsregeln - Teil 1: Begriffe und allgemeine Grundlagen. Berlin: Beuth. [6] DIN EN ISO 12543-4: 2011-12 (2011) Glas im Bauwesen - Verbundglas und Verbund-Sicherheitsglas - Teil 4: Verfahren zur Prüfung der Beständigkeit. Berlin: Beuth. [7] DIN EN 14449: 2017-12 (2017) Glas im Bauwesen - Verbundglas und Verbund-Sicherheitsglas - Produktnorm. Berlin: Beuth. [8] DIN EN 12600: 2003-04 (2003) Glas im Bauwesen - Pendelschlagversuch - Verfahren für die Stoßprüfung und Klassifizierung von Flachglas. Berlin: Beuth. [9] DIN EN 356: 2000-02 (2000) Glas im Bauwesen - Sicherheitssonderverglasung - Prüfverfahren und Klasseneinteilung des Widerstandes gegen manuellen Angriff. Berlin: Beuth. [10] DIN EN 1063: 2001-01 (2001) Glas im Bauwesen - Sicherheitssonderverglasung - Prüfverfahren und Klasseneinteilung für den Widerstand gegen Beschuss. Berlin: Beuth. [11] DIN EN 13541: 2012-06 (2012) Glas im Bauwesen - Sicherheitssonderverglasung - Prüfverfahren und Klasseneinteilung des Widerstandes gegen Sprengwirkung. Berlin: Beuth. [12] DIN EN 1288-3: 2000-09 (2000) Glas im Bauwesen - Bestimmung der Biegefestigkeit von Glas - Teil 3: Prüfung von Proben bei zweiseitiger Auflagerung (Vierschneiden-Verfahren). Berlin: Beuth. [13] Weimar, T.; Andrés López, S.; Hahn, C. (2018) Entwicklung von Verbundtafeln aus innovativem Dünnglas und Polycarbonat in: Fraunhofer Informationszentrum Raum und Bau: Informationsdienst Bauforschung aktuell. Stuttgart: Fraunhofer IRB Verlag. [14] Weimar, T.; Andrés López, S.; Hahn, C. (2021) Untersuchung zu linien- und punktförmig gelagerten Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln in: Fraunhofer Informationszentrum Raum und Bau: Informationsdienst Bauforschung aktuell. Stuttgart: Fraunhofer IRB Verlag. Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafeln im Einfach- und Isolierglas 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 123 Tabelle 1: Materialeigenschaften von Dünnglas, Polycarbonat und Zwischenschicht. Eigenschaft Dünnglas (FG) Polycarbonat (PC) Zwischenschicht (TPU) Produktname Hersteller Optiwhite [2] Pilkington Deutschland AG Lexan 9030 [3] Sabic Deutschland GmbH PU 50 [4] SiLATEC Sicherheits- und Laminatglas GmbH Nenndicke 2 mm variabel 2 mm Dichte 2,500 g/ cm 3 1,200 g/ cm 3 1,035 g/ cm 3 Elastizitätsmodul 70.000 N/ mm 2 2.300 N/ mm 2 0,76 N/ mm 2 Linearer Wärmeausdehnungskoeffizient 9,0 . 10 -6 1/ K 70,0 . 10 -6 1/ K 223,5 . 10 -6 1/ K Wärmeleitfähigkeit 1,00 W/ (m . K) 0,20 W/ (m . K) 0,25 W/ (m . K) Tabelle 2: Eigenschaften einer Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafel als Einfachglas im Vergleich zu herkömmlichen Sicherheitssonderverglasungen aus Glas-Polycarbonat-Verbund und Glas-Verbund mit der höchsten Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff. Aufbau Nenndicke 36 mm 24 mm 20 mm Gewicht 80 kg/ m² 38 kg/ m² 28 kg/ m² Wärmedurchgangskoeffizient 4,2 W/ (m 2 ∙K) 4,0 W/ (m 2 ∙K) 4,0 W/ (m 2 ∙K) Luftschalldämmmaß 42 dB 43 dB 41 dB Legende Tabelle 3: Eigenschaften einer Dünnglas-Polycarbonat-Verbundtafel als Dreischeiben-Isolierglas im Vergleich zu herkömmlichen Glas-Polycarbonat-Verbund und Glas-Verbund mit der höchsten Widerstandsklasse P8B gegen manuellen Angriff. Aufbau Nenndicke 77 mm 62 mm 52 mm Gewicht 125 kg/ m² 78 kg/ m² 45 kg/ m² Wärmedurchgangskoeffizient 0,8 W/ (m 2 ∙K) 0,7 W/ (m 2 ∙K) 0,7 W/ (m 2 ∙K) Gesamtenergiedurchlassgrad 61 % 62 % 56 % Transmissionsgrad 74 % 67 % 69 % Legende