Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
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expert verlag Tübingen
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Dünnglas-Verbundelemente mit additiv gefertigtem Polymerkern
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Daniel Pfarr
Christian Kothe
Christian Louter
Dieser Beitrag thematisiert die Entwicklung von Verbundbauteilen aus Dünnglas und einer additiv gefertigten, teiltransparenten Polymerkernstruktur für den Einsatz in Fassaden. Zwei Dünnglasscheiben werden dazu über einen lastabtragenden adhäsiven Verbund mit einem aussteifenden Polymerkern verbunden. Auf Grundlage der Sandwichtheorie werden die eingesetzten Materialien ressourceneffizient genutzt. Weiterhin entstehen durch das eingesetzte additive Fertigungsverfahren und der Flexibilität des Dünnglases völlig neue Möglichkeiten für die Gestaltung von Fassaden. Der Beitrag zeigt die Besonderheiten und Potenziale der neuartigen Konstruktionsweise. Details zu Aufbau, Funktionsweise, Herstellung sowie mechanische Eigenschaften des Verbundelementes werden vorgestellt. Eine Auswahl an Materialien werden durch experimentelle Untersuchungen auf deren Eignung im Fassadenbereich überprüft. Abschließend zeigt ein Ausblick in die zukünftige Forschungsarbeit der TU Dresden, wie die vorgestellte Konstruktion in Freiformfassaden aus Glas mit Hilfe von robotergestützter Fertigung eingesetzt werden kann.
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1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 125 Dünnglas-Verbundelemente mit additiv gefertigtem Polymerkern Leicht und flexibel - Forschung zu neuen Leichtbausystemen für individualisierte Fassaden Dipl.-Ing. Daniel Pfarr Technische Universität Dresden Institut für Baukonstruktion Dr.-Ing. Christiane Kothe Technische Universität Dresden Institut für Baukonstruktion Prof. Dr. ir. Christian Louter Technische Universität Dresden Institut für Baukonstruktion Zusammenfassung Dieser Beitrag thematisiert die Entwicklung von Verbundbauteilen aus Dünnglas und einer additiv gefertigten, teiltransparenten Polymerkernstruktur für den Einsatz in Fassaden. Zwei Dünnglasscheiben werden dazu über einen lastabtragenden adhäsiven Verbund mit einem aussteifenden Polymerkern verbunden. Auf Grundlage der Sandwichtheorie werden die eingesetzten Materialien ressourceneffizient genutzt. Weiterhin entstehen durch das eingesetzte additive Fertigungsverfahren und der Flexibilität des Dünnglases völlig neue Möglichkeiten für die Gestaltung von Fassaden. Der Beitrag zeigt die Besonderheiten und Potenziale der neuartigen Konstruktionsweise. Details zu Aufbau, Funktionsweise, Herstellung sowie mechanische Eigenschaften des Verbundelementes werden vorgestellt. Eine Auswahl an Materialien werden durch experimentelle Untersuchungen auf deren Eignung im Fassadenbereich überprüft. Abschließend zeigt ein Ausblick in die zukünftige Forschungsarbeit der TU Dresden, wie die vorgestellte Konstruktion in Freiformfassaden aus Glas mit Hilfe von robotergestützter Fertigung eingesetzt werden kann. 1. Einleitung Während das Baugewerbe heute für 50 % des Ressourcenverbrauchs, 45 % des Energieverbrauchs und 35 % der CO ² -Emmissionen Verantwortung trägt [1], rücken effiziente Technologien, Materialien und Konstruktionen in den Fokus der bauindustriellen Forschung. Moderne Fassaden werden zunehmend durch Glas geprägt, welches durch dessen hohe benötigte Schmelztemperatur bei der Herstellung als besonders energieintensiv gilt. Weiterhin müssen Tragstrukturen auf die bislang verwendeten Glasquerschnitte (4 mm < t < 12 mm) und dessen vergleichsweise hohe Masse dimensioniert werden. Das aus der Displaytechnologie bekannte Dünnglas (t < 2 mm) verspricht im Hinblick auf ressourceneffiziente Herstellung und leichtere Tragstrukturen große ökologische Vorteile. Das dünne Glas bietet durch dessen elastische Verformbarkeit großes Potenzial für innovative Fassadengestaltungen. Gleichzeitigt erfordert es neue Konstruktionen um eine sichere und gebrauchstaugliche Nutzung eines Gebäudes zu gewährleisten. Das Institut für Baukonstruktion der TU Dresden entwickelt unterschiedliche Strategien zur Integration von Dünnglas in Fassaden. Dabei zeigen sich Verbundkonstruktionen mit Hinblick auf Steifigkeit und Ressourceneinsatz als besonders effizient [2; 3]. Der Einsatz von additiven Fertigungsmethoden soll hierbei die zunehmenden Ansprüche der Architektur an Gestaltungsfreiheit und Individualisierbarkeit als auch das ingenieurtechnische Bestreben nach effizienten Tragstrukturen ermöglichen. Für Dünnglas-Verbundelemente mit additiv gefertigtem Polymerkern 126 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 das hier vorgestellte Verbundelement wird das Dünnglas durch eine offenzellige, additiv hergestellte Polymerkernstruktur ausgesteift. Als Grundlage für ein praxisrelevantes Fassadenbauteil werden im Folgenden bereits erlangte Entwurfs- und Fertigungskonzepte sowie material- und bauteilspezifische Eigenschaften zusammengefasst. Neben einer individuellen Gestaltung und der Anpassung mechanischer und bauphysikalischer Eigenschaften soll das Verbundelement durch digitalisierte Planung, Bemessung und Produktion den aktuellen und zukünftigen Ansprüchen von Architekten und Ingenieuren nachkommen. 2. Dünnglas-Verbundelement 2.1 Aufbau und Funktion Das in Bild 1 dargestellte Verbundelement nutzt die Wirkprinzipien der Sandwichtheorie [4]. Dafür werden zwei Deckschichten aus Dünnglas mit einem möglichst leichten Kern durch einen adhäsiven Verbund stoffschlüssig gefügt. Ziel dieser Konstruktion ist es, auftretende Belastungen möglichst günstig über den gesamten Querschnitt zu verteilen. Biegemomente erzeugen in den Deckschichten Normalspannungen. Querkräfte führen zu Schubspannungen im Kern und in der Klebefuge. Bild 1: Explosionszeichnung eines Verbundelements aus 3D-gedrucktem Polymerkern, Dünnglas und Klebefuge Die Biegesteifigkeit des Verbundelementes kann so gegenüber monolithischen Glasquerschnitten um ein Vielfaches erhöht werden [2]. Der Aufbau erlaubt weiterhin die Integration von bauphysikalischen Eigenschaften wie Wärmedämmung, Verschattung oder Beleuchtung und kann entsprechend der Kernstruktur als maßgebliches Designelement dienen. 2.2 Additive Fertigung Die in Bild 1 dargestellte Kernstruktur wird mit Hilfe des Fused-Deposition-Modeling-Verfahren (FDM) hergestellt. Dabei wird ein thermoplastisches Polymer aufgeschmolzen und schichtweise entsprechend der digital entworfenen Geometrie aufgetragen. Dies ermöglicht die Herstellung von unterschiedlichen Topologien, welche an die späteren Anforderungen des Fassadenelementes angepasst werden können. Weiterhin können beispielsweise Corporate Design Elemente wie in Bild 2 (links) abgebildet in das Verbundelement eingebunden werden. Bild 2: Integration des TU Dresden Logos in eine Kernstruktur (links) und die Basiszelle eines Gyroids (rechts) Mit dem Ziel möglichst steife Kernstrukturen mit geringem Gewicht einzusetzen, wurden bereits verschiedene Topologien wie Honigwaben [5], Fachwerke, Hyparschalen [6-8] oder optimierte Voronoimuster [9] eingesetzt. Außerdem wurde die „Trinity Truss“ -Struktur (Bild 3) sowie der Gyroid als dreidimensionale Topologie entwickelt. Um deren mechanisches Potenzial zu untersuchen, wurden in einer Vorstudie jeweils fünf Prüfkörper mit den in Bild 1 dargestellten Kernmustern (Fachwerk, Trinity Truss und Gyroid) zunächst ohne Deckschichten aus Glas in einem 3Punkt-Biegeversuch untersucht. Dabei zeigte sich die Gyroidstruktur unter Berücksichtigung der benötigten Ressourcen wie Herstellungszeit und Material als besonders effizient. Der Gyroid (Bild 2 rechts) ist eine dreifach periodische Minimalfläche und geht auf die Entwicklung von Alan Schoen [10] in den 1960er-Jahren zurück. Seitdem wurde diese hyperbolische Geometrie mathematisch, biologisch und technisch umfassend untersucht [11-15] und dessen mechanisches Potenzial zeigt sich auch für die Entwicklung der Kernstruktur des Verbundelementes als vielversprechend. Der Gyroid kann durch eine trigonometrische Gleichung beschrieben und in der visuellen Programmierumgebung Grasshopper modelliert werden [16]. 2.3 Herstellung des Verbundelementes Durch das Fügen der zwei Deckschichten aus Dünnglas mit der additiv hergestellten Kernstruktur entsteht eine kraftschlüssig verbundene Sandwichkonstruktion. Im Rahmen der Forschungsarbeit werden vorwiegend chemisch vorgespannte Alumino-Silikat-Gläser mit Dicken von 0,55 bis 2 mm untersucht. Der adhäsive Verbund zwischen den Fügeteilen kann sowohl durch Klebstoff, als auch durch die Lamination einer Kunststofffolie realisiert werden. Abhängig der Kernstruktur wird der Klebstoff punktuell oder linienförmig auf die 3D-gedruckte Oberfläche aufgetragen. Der punktuelle Auftrag ist mit Dünnglas-Verbundelemente mit additiv gefertigtem Polymerkern 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 127 Hilfe einer Präzisionspipette sehr genau und kann eine gleichmäßige Fugendicke sicherstellen (Bild 3 links). Bild 3: Manuelle Klebstoffapplikation durch Präzisionspipette als punktförmige Klebefuge (links) und gefügtes Verbundelement mit Dünnglas (rechts) Für linienförmige Kernstrukturen wird aktuell eine manuelle Applikation mittels Schwammpinsel untersucht. Hierbei ist die fehlende Kontrolle und Sicherheit von Klebstoffmenge und Fugenqualität nachteilig. Eine mögliche Automation durch den Einsatz von robotischen Dosiersystemen bietet mit Hinblick auf sehr komplexe Kernstrukturen entscheidende Vorteile. So können die Qualität und Reproduzierbarkeit der Klebefuge erhöht werden als auch Klebstoffe mit kürzeren Topfzeiten eingesetzt werden. 3. Materialeigenschaften 3.1 Adhäsiver Verbund Der adhäsive Verbund wird bevorzugt über Klebverbindungen hergestellt. In verschiedenen Projekten wurden so bereits Polymerkerne aus glykolmodifiziertem Polyethylenterephthalat (PETG) mit Dünnglas verbunden. Als Klebstoffe kamen ein schnellhärtendes, zweikomponentiges Epoxidharz [6], ein UVhärtendes Acrylat [5; 7; 9] und ein Haftklebstoff [9] zum Einsatz. Eine weitere Studie [17] stellte das Verbundelement durch Lamination mit Sentryglas ® her. Während des Laminationsprozesses schmolz das Zwischenschichtmaterial aber teilweise in den 3D-gedruckten Kern hinein und störte so Transparenz und Optik. Nur eine der vorgestellten Studien [5] führte detailliertere Untersuchungen bzgl. der Eigenschaften wie thermomechanisches Verhalten, Festigkeit und Alterungsbeständigkeit der Klebverbindung mit einem einzigen Klebstoff durch. Diese zeigten sich in kleinformatigen Modellprüfkörpern stabil gegenüber Temperatur- und UV-Einwirkungen. Die eigenen Untersuchungen sollten aus einer breiteren Produktpalette steife und dauerhafte Klebstoffe identifizieren, die den unterschiedlichen Belastungsbedingungen im Zusammenhang mit einer Fassadenanwendung standhalten. Ausgewählt wurden die Klebstoffe anhand von Erfahrungen zu transparenten Klebverbindungen im konstruktiven Glasbau [18-21]. Insgesamt vier Klebstoffe, darunter zwei UV-härtende Acrylate, ein zweikomponentiges Epoxidharz sowie ein zweikomponentiges Polyurethan, fanden Eingang in die Studie (Tabelle 1). Zunächst wurde das thermodynamische Verhalten der Klebstoffe mittels dynamisch-mechanischer Analyse ermittelt und als wichtigste Kenngröße der Glasübergangstemperaturbereich bestimmt. Mit steigender Temperatur verloren alle Klebstoffe ihre Steifheit und begannen zu erweichen. Dieser Effekt machte sich bei den Acrylaten am stärksten bemerkbar. Das Epoxidharz wies einen Beginn des Glasübergangs etwa 10 K oberhalb der Raumtemperatur auf. Die vergleichbaren Werte des Polyurethans sowie des einen Acrylats lagen deutlich tiefer. Das Urethan-Methacrylat besitzt keinen eindeutigen Glasübergang, sondern erweicht kontinuierlich, hat aber im Gegensatz zu den anderen Klebstoffen an der oberen baurelevanten Temperaturgrenze für Fassaden bei 80 °C noch eine deutlich messbare Steifigkeit. Um die in Fassaden vorkommenden Belastungen der Klebverbindungen durch Temperaturschwankungen und Sonnenlichteinstrahlung zu untersuchen, wurden spezielle 3D-gedruckte Prüfkörper entwickelt und diese mit den Versuchsklebstoffen auf kleine Glasscheiben geklebt (Bild 4). Bild 4: 3D-gedruckte Prüfstempel zur Ermittlung von mechanischen Eigenschaften der Klebverbindung Zur Bestimmung der Alterungseffekte kamen zwei verschiedene Verfahren zum Einsatz [22; 23]. Zugversuche gaben abschließend Auskunft über alterungsbedingte Veränderungen in den mechanischen Eigenschaften der Klebverbindungen. Die Anfangsfestigkeiten waren für alle Klebstoffe vergleichbar. Auch nach den Alterungen zeigten die beiden zweikomponentigen Klebstoffe keine Festigkeitsverluste, aber das Epoxidharz war stark vergilbt. Deutlich mehr beeinflusst wurden die Acrylate durch die Alterungen, so dass deren Restfestigkeiten sehr viel niedriger waren. Zusammenfassend zeigte sich das Polyurethan zunächst als geeignetster Klebstoff für die Herstellung der geplanten Verbundelemente. Diese Klebverbindungen konnten Dünnglas-Verbundelemente mit additiv gefertigtem Polymerkern 128 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 sehr präzise, blasenfrei und hochtransparent ausgeführt werden und wurden durch die Alterungen nicht beeinträchtigt. Allerdings besitzt dieser Klebstoff eine sehr kurze offene Zeit, weshalb er in der Fertigung vollautomatisch aufgetragen werden muss. Zudem wird die vollständige Aushärtung nur mit erhöhter Temperatur von mindestens 50 °C erreicht. Die vorliegenden Versuche zur mechanischen Festigkeit wurden bisher nur bei Raumtemperatur durchgeführt. Höhere Temperaturen führen nur bei dem Urethan-Methacrylat nicht zum fast vollständigen Steifigkeitsverlust, so dass auch dieser Klebstoff in Betracht gezogen werden kann. Insbesondere die einfachere Handhabung durch Aushärtung auf Knopfdruck mittels UV-Strahlung ist für diesen Klebstoff aus fertigungstechnischer Sicht zusätzlich hervorzuheben. Tabelle 1: Auswahl der Klebstoffe für Untersuchungen der Materialeigenschaften Klebstoff Typ Viskosität [mPa*s] Aushärtebedingungen LOCTITE® EA 3430 2K-Epoxidharz 18 000 RT > 3 d (Handfest: 15 min) LOCTITE® 3345™ Urethan-Methacrylat 2 000 UV 60 mW/ cm2, 60s Technicoll ® 9430-1 2K-Polyurethan 3 000 RT > 3 d (Handfest: 20 min) Photowell 1270 Acrylat 15 000 UV 60 mW/ cm2, 60s 3.2 Additiv verarbeitbare Polymere Mit dem eingesetzten FDM-Verfahren kann eine Vielzahl von thermoplastischen Polymeren verarbeitet werden. Der Einsatz in Fassaden erfordert neben hoher mechanischer Belastbarkeit bei Temperaturen zwischen -20 °C bis +80 °C auch chemische Beständigkeit gegenüber UVStrahlung. Weiterhin sollen vorwiegend transparente Materialen eingesetzt werden. Nach einer Vorauswahl der zur Verfügung stehenden Filamente [24], werden die Materialeigenschaften des bereits verwendeten PETG [5-9] als auch Polycarbonats (PC) vertieft untersucht. Dafür wurden Zugversuche nach DIN EN ISO 527 [25] sowohl ungealtert als auch durch Temperaturalterung nach DIN EN ISO 9142 [22] sowie UV-Alterung nach DIN EN ISO 12543 [23] untersucht und ausgewertet. Die Versuche zeigten, dass besonders die herstellungsbedingte Anisotropie als auch die für Polymere typische Nichtlinearität für die Konstruktion und Bemessung des Verbundelementes berücksichtigt werden müssen. Besonders der höhere Glasübergang von PC und die damit einhergehende Steifigkeit bei Temperaturen bis 80 °C zeigte sich als Vorteil gegenüber PETG, welches ab einer Temperatur von ca. 60 °C keinen nennenswerten Widerstand gegenüber Verformung aufweisen kann. Beide verwendeten Alterungsmethoden zeigen einen vergleichbaren Einfluss auf die Steifigkeit der Prüfkörper und führen zu verminderter Zugfestigkeit bei spröderem Versagen. Verfahrenstechnische Herausforderungen wie temperaturbedingte Verformungen und geringe Haftung an der Druckplatte während der additiven Herstellung erschweren die Verarbeitung von PC. 4. mechanische Eigenschaften im Verbund Um einen ersten Eindruck der mechanischen Belastbarkeit des Verbundelementes zu bekommen, wurden Prüfkörper mit verschiedenen Glasdicken (= 0,55; 1,1; 2; 3 und 4 mm) in einem 4-Punkt-Biegeversuch experimentell untersucht. Bild 5: Aufbau des 4-Punkt-Biegeversuches Durch den in Bild 5 dargestellten Prüfaufbau wurden die Verbundelemente kraftgesteuert verformt und dessen Widerstand gegen Verformung durch ein Kraft-Durchbiegungsdiagramm (Bild 6) ausgewertet. Dünnglas-Verbundelemente mit additiv gefertigtem Polymerkern 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 129 Bild 6: Kraft-Weg-Diagramm 4-Punkt-Biegeversuch Das mechanische Verhalten der verschiedenen Sandwichaufbauten kann dabei in zwei Phasen unterteilt werden. Die Graphenabschnitte der ersten Phase beschreiben das Verhalten im Verbund und weisen eine vergleichsweise hohe Steigung auf. Beim Erreichen des Kraftmaximums versagt die obere Klebefuge der Prüfkörper. Alle fünf Prüfkörper weisen ein vergleichbares Versagensbild zwischen Kernstruktur und der oberen Glasscheibe auf. Dabei konnte ein Mischbruch mit vorwiegend adhäsivem Versagen an der Polymeroberfläche der Kernstruktur festgestellt werden. Der weitere Verlauf in Phase 2 beschreibt den Widerstand gegen Verformung ohne Verbund zwischen der oberen Glasscheibe und dem Polymerkern. Währen hierbei ein direkter Zusammenhang zwischen eingesetzter Glasdicke und Steifigkeit erkannt werden konnte, fehlt diese Korrelation in Phase 1. Die hohe Steifigkeit des Verbundelementes verhindert hierbei die Wahrnehmung signifikanter Unterschiede der Durchbiegung und unterstreicht das mechanische Potenzial der Verbundkonstruktion. Bei den mit Dünnglas verarbeiteten Verbundelementen mit t ≤ 1,1 mm konnte ein deutlicher Zuwachs der Steifigkeit Im Vergleich zu monolithischen Glasquerschnitten mit der gleichen Menge Glas festgestellt werden. Eine Betrachtung der Versagensmechanik und der Bruchbilder zeigte die größten Optimierungspotenziale des Verbundelements auf. Die Klebung wird infolge einer Biegebelastung transversal durch Schub beansprucht. Die Festigkeit hängt neben der effektiven Kontaktfläche zwischen der Polymerkernstruktur und der Glasdeckschicht vor allem vom Klebstoff und dessen Applikation selbst ab. Weiterhin konnte ein Zusammenhang zwischen Versagensstelle und Polymeroberfläche gefunden werden. Die Orientierung der Kernstruktur beim Druck führt zu qualitativen Unterschieden der Oberflächen des Kernelementes. Bei der Herstellung auftretende Fehlstellen durch Überextrusion führen zu Toleranzen, die bei sehr dünnen Klebstoffstärken zu einer Minderung der Verbundwirkung führen können. Bild 7: Schematische Darstellung der 3D-gedruckten Schichten Untersuchungen zur Haftfestigkeit der Klebefuge zeigten, dass diese auf der luftseitigen Oberfläche deutlich vermindert ist. Eine mechanische Vorbehandlung durch Fräsen der 3D-gedruckten Kontaktflächen des Kerns verbesserte die Haftfestigkeit. Weiterhin wirkt sich die Vorbehandlung positiv auf die Reproduzierbarkeit einer qualitativ hochwertigen und homogenen Klebstofffuge aus. 5. Ausblick Die Nutzung des Sandwichprinzip zeigte sich auf Grundlage der bisherigen Forschungsarbeit als sehr effizienter und vielversprechender Ansatz Dünnglas in Fassaden zu integrieren. Dabei stehen die großen Chancen der Rohstoffeffizienz und völlig neuer Freiheit der Gestaltung den Herausforderungen des Herstellungsverfahrens und der dauerhaften Belastbarkeit gegenüber. Das Institut für Baukonstruktion der TU Dresden untersucht neben den materialspezifischen Eigenschaften von Kernmaterial und Verbindungsmittel neue Fertigungsverfahren und das mechanische Verhalten des Verbundelementes. Als besondere Herausforderung gilt die Skalierung der additiven Fertigung und die Integration eines digitalen und automatisierten Herstellungsprozesses. Dabei rückt eine robotergestützte Fertigung in den zukünftigen Forschungsschwerpunkt (Bild 8). Mit Hilfe parametrischer Modelle kann eine Fassade aus Dünnglas-Verbundelementen flexibel gestaltet und individualisiert werden. Ein an einem Industrieroboter montierter Extruder kann die Kernstruktur gemäß des Fassadenmodells herstellen. Dünnglas-Verbundelemente mit additiv gefertigtem Polymerkern 130 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Bild 8: Rendering eines parametrischen Fassadenausschnittes aus Dünnglas-Verbundelementen und deren additive Fertigung Während das additive Fertigungsverfahren große Freiheiten an die Form und Krümmung der Kernelemente ermöglicht, wird das Element durch die möglichen Krümmungsradien des Dünnglases limitiert. Studien zeigten bereits die Möglichkeiten von einachsig, kaltgebogen Dünngläsern sowie die Herausforderungen bei doppelt gekrümmten Schalen [26-30], welche weiterer Untersuchungen bedürfen. Weiterhin werden Untersuchungen zu bauphysikalischen Eigenschaften des Verbundelementes wie dessen isolierende Wirkung und architektonische Möglichkeiten zur Lichtlenkung und Verschattung vertieft. Bild 9 zeigt die Anpassung der 3D-gedruckten Kernstruktur durch Breite und Neigung der Honigwaben. Das zu Grunde liegende parametrische Modell kann mit Hinblick auf maximale Verschattung bei optimaler Blickbeziehung nach Außen optimiert werden. Bild 9: Rendering eines Honigwabenelementes mit optimierter Verschattung und Blickbeziehung 6. Danksagung Die Forschungsarbeit zu Dünnglas-Verbundelementen wird in Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Baukonstruktion der TU Dresden und den Gaswerkstätten Frank Ahne GmbH durchgeführt. Die Autorenschaft bedankt sich bei allen beteiligten Mitarbeitern sowie der Förderung des Projektes „Glasfur-3D“ der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF). Das durch das zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) unterstützte Projekt umfasst die Entwicklung eines Glas-Verbundelementes für den Einsatz im Innenbereich. Literatur [1] Fischer-Kowalski, M.; von Weizäcker, E.U.; Ren, Y. et al.: Decoupling natural resource use and environmental impacts from economic growth, Kenya, UNEP, 2011. [2] Pfarr, D.; Tasche, S.; Nicklisch, F. et al.: Dünnglas- Verbundelemente mit additiv gefertigtem Polymerkern: Formfindung, Fügeverfahren und Untersuchung der Biegesteifigkeit, 2021. In: Stahlbau 90, Heft 7, S. 507-516. [3] Hänig, J.; Weller, B.: Load-bearing behaviour of innovative lightweight glass-plastic-composite panels, 2019. In: Glass Structures & Engineering. [4] Zenkert, D.: An introduction to sandwich structures, 2005. [5] Saleh, C.M.N.; Louter, C.; Turrin, M.: Ultra Thin Composite Panel - An Exploratory Study on the Durability and Stiffness of a Composite Panel of Thin Glass and 3D printed Recycled PET, 2020. 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