Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
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expert verlag Tübingen
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Innovative hybride Konstruktion
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Sascha Schaaf
Der Hybridbau eröffnet uns neue Möglichkeiten für die nachhaltige Erstellung innovativer Tragstrukturen für unsere Gebäude. Im Gegensatz zu der in den letzten Jahrzehnten üblichen Konstruktionsweise, schließen sich die Baustoffe gegenseitig nicht aus, sondern harmonieren in einer symbiotischen Ergänzung zueinander. Die Schwächen des einen Baustoffes werden durch die Stärken des anderen Baustoffes kompensiert. So entsteht ein Optimum an Tragwerk unter gleichzeitiger Wahrung der Nachhaltigkeit im Hinblick auf eine lebenswerte Umwelt für nachfolgende Generationen.
Einen wesentlichen Beitrag dazu können Geschossdeckensysteme leisten, weil sie bisher einen wesentlichen Anteil am Stahl- und Betonverbrauch und damit am CO2 -Äquivalent hatten. Neue Deckensysteme unter der Verwendung von Holz, Beton und Stahl können unter Ansatz einer intelligenten Verbundtragwirkung dafür sorgen, leichte und flache Konstruktionen zu ermöglichen, die ein Minimum an Emissionen nach sich ziehen.
Unsere Zukunft bedingt die innovative Kombination der verfügbaren Ressourcen. Hierzu kann die Bauindustrie einen markanten Beitrag leisten.
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1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 133 Innovative hybride Konstruktionen Dipl.-Ing. (FH) Sascha Schaaf Peikko Deutschland GmbH, Waldeck, Deutschland Zusammenfassung Der Hybridbau eröffnet uns neue Möglichkeiten für die nachhaltige Erstellung innovativer Tragstrukturen für unsere Gebäude. Im Gegensatz zu der in den letzten Jahrzehnten üblichen Konstruktionsweise, schließen sich die Baustoffe gegenseitig nicht aus, sondern harmonieren in einer symbiotischen Ergänzung zueinander. Die Schwächen des einen Baustoffes werden durch die Stärken des anderen Baustoffes kompensiert. So entsteht ein Optimum an Tragwerk unter gleichzeitiger Wahrung der Nachhaltigkeit im Hinblick auf eine lebenswerte Umwelt für nachfolgende Generationen. Einen wesentlichen Beitrag dazu können Geschossdeckensysteme leisten, weil sie bisher einen wesentlichen Anteil am Stahl- und Betonverbrauch und damit am CO 2 -Äquivalent hatten. Neue Deckensysteme unter der Verwendung von Holz, Beton und Stahl können unter Ansatz einer intelligenten Verbundtragwirkung dafür sorgen, leichte und flache Konstruktionen zu ermöglichen, die ein Minimum an Emissionen nach sich ziehen. Unsere Zukunft bedingt die innovative Kombination der verfügbaren Ressourcen. Hierzu kann die Bauindustrie einen markanten Beitrag leisten. 1. Motivation 1.1 Umweltauswirkungen Wir sind in einer Zeit angekommen, die uns zum Nachdenken bewegen muss. Die Berichte über Naturkatastrophen, Überschwemmungen, extreme Hitzeperioden, Trockenheit und Dürre reißen nicht ab und werden es auch in absehbarer Zeit nicht tun. Die Auswirkungen auf unsere Böden und deren Wassergehalt sind dramatisch. Abbildung 1: Dürre (Quelle: Helmholtz Zentrum für Umweltforschung UFZ) 134 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Innovative hybride Konstruktionen Die Folgen des Klimawandels sind aber nicht nur auf Trockenperioden und deren Effekte beschränkt. Auch Starkregen mit enormen Wassermengen werden uns zukünftig noch stärker beeinflussen als heute. Abbildung 2: Klimawandel (Quelle: Umweltbundesamt, Adelphi, PRC, Furac) 1.2 Die Folgen für unsere Umwelt Es ist schwierig zu übersehen, dass Baumbestände, die über 100 Jahre hinweg das Erscheinungsbild unserer Wälder geprägt haben, plötzlich unter dem Einfluss der Trockenheit absterben oder stark geschädigt sind. Riesige karge Flächen haben sich durch das Absterben ganzer Waldgebiete ergeben. Abbildung 3: Totholz durch Dürre (Quelle: dpa) Abbildung 4: ausgetrocknete Flussbetten (Quelle: dpa) Neben den Auswirkungen extremer Trockenheit und Dürre werden wir auf der anderen Seite immer häufiger von Starkregen und ausgeprägten Gewittern betroffen. Sich daraus ergebende Überschwemmungen sind nicht nur eine unmittelbare Gefährdung für Leib und Leben, sondern zerstören ganze Existenzen. Die Schadensregulierung nimmt vorher nicht gekannte Summen ein und belastet damit den Geldbeutel jedes Einzelnen. 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 135 Innovative hybride Konstruktionen Abbildung 5: Überschwemmungen (Quelle: dpa) 1.3 Materialverknappung Unsere Ressourcen sind endlich. Insbesondere die Ressourcen, die sich über Jahrmillionen entwickelt haben. Im Bauwesen arbeiten wir im Wesentlichen mit Beton, Stahl und Holz, zumindest was den Rohbau betrifft. Dabei nimmt das Volumen an Beton einen signifikanten Wert an. Dieses Volumen wird zu einem Großteil (ca. 70%) von Gesteinskörnungen geprägt. Davon nimmt der benötigte Sand ca. 40% ein. Die Menge an Sand, die gebraucht wird, hat sich in den letzten 20 Jahren verdreifacht, so Pascal Peduzzi vom Uno-Umweltprogramm (UNEP). Der globale Bedarf übersteige mittlerweile bei Weitem das, was durch Verwitterung nachkommt. „Wir schätzen den derzeitigen Verbrauch auf 50 Milliarden Tonnen pro Jahr - das sind 18 Kilogramm täglich für jeden Einwohner der Erde“, sagt Peduzzi. Abbildung 6: Sandgewinnung, die den Meeresboden zerstört (Quelle: SPIEGEL Wissenschaft) 1.4 Der Anteil der Bauindustrie Die Bauindustrie trägt durch die energieintensive Produktion ihrer Baustoffe, insbesondere dem Beton und dem Stahl, maßgeblich zum gesamten CO 2 -Äquivalent der Industrie und damit der weltweiten Gesamtemissionen bei. Beim Brennen des Kalksteins bei knapp 1.500 °C werden enorme Energiemengen benötigt. Auch bei der Gewinnung von Eisenoxid aus Eisenerz und dem nachfolgenden Erhitzen, um den Sauerstoff zu entziehen und das Eisen zu separieren, werden große Wärmemengen verbraucht. Insgesamt ist die Bauindustrie für mehr als die Hälfte des CO 2 -Äquivalents der Industrie verantwortlich. Abbildung 7: CO 2 -Äquivalente Industrie (Quelle: DEHSt 2019, Stand 04.05.2020) 136 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Innovative hybride Konstruktionen 1.5 Gebäudezertifizierungen Gebäude werden in zunehmender Anzahl zertifiziert. Dabei spielt die Nachhaltigkeit der verwendeten Materialien eine entscheidende Rolle. Die wichtigsten Label dabei sind: - Deutsches DGNB für private Bauherren - BNB für öffentliche Bundesbauten - LEED und BREEAM für internationale Zertifizierungen Um die notwendigen Eingangswerte für die Berechnungen bereitzustellen, gibt es diverse Plattformen, die eine Datenbasis für übliche Materialien zu Verfügung stellen. Hier zu nennen ist die Internetseite www.oekobaudat.de vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Weitergehende Informationen zu herstellerspezifischen Produkten werden über sogenannte „EPDs - Environmental Product Declaration’s“ bereitgestellt. Die EPDs werden durch die Hersteller in Auftrag gegeben und durch entsprechend zertifizierte Institutionen erarbeitet. Die Rechenwerte für diverse Umweltauswirkungen gleichen dem Schema der „Ökobaudat“. Abbildung 8: EPD Peikko DELTABEAM ® Green (Quelle: Peikko) Als eines der wichtigsten Bewertungskriterien sei hier das CO 2 -Äquivalent genannt. Das CO 2 -Äquivalent beschreibt die Klimaauswirkung verschiedener Treibhausgase im Vergleich zum CO 2 selbst. Dabei geht es nicht um die Menge des betreffenden Treibhausgases, sondern um den Beitrag zur globalen Erderwärmung. 2. Hybridbau 2.1 Begriffserklärung Was versteht man unter dem Begriff „Hybridbau“? Der Hybridbau ist ein Bausystem, mit dem schnell und flexibel Gebäude aller Arten und Nutzungen erstellt werden können. Der Ausdruck „Hybrid“ wird verwendet, weil verschiedene Baustoffe (wie Holz, Stahl und Beton) verwendet werden. 2.2 Bauen heute Im Bauwesen wird schon seit sehr langer Zeit die Kombination verschiedener Materialien angewendet. Die Hintergründe dieser Verfahrensweise sind vielfältig. Waren es in den Anfängen der geregelten Bauprodukte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eher Einschränkungen in der lokalen Verfügbarkeit einzelner Baustoffe und Beschränkungen was die Förder- und Hebemittel betraf, sind es heute eher die vielfältigen Anforderungen an ein Bauteil. Moderne Bauwerke müssen nicht nur eine ausreichende Standsicherheit aufweisen, sondern auch im Hinblick auf den Wärme- und Schallschutz den ambitionierten Bedürfnissen der Nutzer genügen. Betrachtet man beispielsweise den Aufbau einer Geschossdecke, so werden häufig Stahlbetondecken eingesetzt, bei denen ca. 98 V.-% der Konstruktion aus Beton bestehen und ca. 2 V.-% aus Bewehrungsstahl. Der Fußbodenaufbau wird klassisch mit einem schwimmenden Estrich versehen, der neben einer bituminösen Trennlage eine Dämmschicht aus aufgeschäumten und erdölhaltigen Dämmstoffen enthält. Als oberer Abschluss dient der hydraulisch gebundene Estrich, der wiederum mit einem Belag, beispielsweise aus keramischen Fliesen, belegt wird. Dieser Aufbau zeigt, dass Anforderungen an die Standsicherheit, an den Schall- und Wärmeschutz sowie an die Gebrauchstauglichkeit, durch die Verwendung verschiedener Materialien erzielt werden. Es ist aber auch festzustellen, dass, gerade was die Tragkonstruktion betrifft, mit einer großen Menge an Beton gearbeitet wird. Diese Menge an Beton nimmt zusätzlich und überproportional zu, wenn die Anforderungen an die Flexibilität mit dem Wunsch nach einer großflächigen Stützenfreiheit und damit größeren Stützweiten umgesetzt werden soll. 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 137 Innovative hybride Konstruktionen 2.3 Vorteile des Hybridbaus Da der Beton einen großen Anteil zum CO 2 -Äquivalent beiträgt (vgl. Abb. 7) wäre ein teilweiser Austausch gegen ein nachwachsendes und weitestgehend klimaneutrales Material durch viele Vorteile geprägt. Im Einzelnen sind dabei zu nennen: - Reduktion des CO 2 -Äquivalents - Holz ist ein nachwachsender Rohstoff, der bei seiner Entstehung CO 2 aufnimmt und die gleiche Menge bei seiner Zersetzung (Fäulnis) wieder an die Atmosphäre abgibt. - Ressourcenschonung - Der vorzugsweise Einsatz nur eines Baustoffes führt zwangsläufig zu einer Materialverknappung. Das kann durch den Austausch eines großen Anteils deutlich verzögert werden. - Klimaneutralität - Durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe wie dem Holz kann die Bauindustrie einen Beitrag zu den Klimazielen leisten. Es sind aber nicht nur die Vorteile im Hinblick auf die Umweltauswirkungen zu nennen. Ebenfalls von großer Bedeutung sind die Vorteile im Hinblick auf die Tragfähigkeiten. Dabei ist zunächst entscheidend, dass die Einwirkungen durch die Verwendung des leichten Holzes mit einer Wichte von ca. 5 kN/ m³ im Gegensatz zum Beton mit ca. 25 kN/ m³ erheblich herabgesetzt werden. Infolge des Verbundansatzes zwischen dem Verbundträger und dem umliegenden Beton können zusätzlich signifikante Tragfähigkeitssteigerungen erzielt werden. Zur Anschauung hier der Vergleich zweier Varianten: Beide Varianten weisen exakt die gleichen äußeren Querschnittsabmessungen auf. Jedoch steigert die Variante 2 im Vergleich zur Variante 1 die Tragfähigkeit und Steifigkeit um bis zu 70 %. Dies zeigt eindrucksvoll das enorme Potenzial des Verbundbaus, der gerade in Verbindung mit der Hybridbauweise einfach und effizient eingesetzt werden kann. 2.4 Funktionsweise und Anwendung Häufig stoßen gute Ideen in der Praxis auf berechtigte Widerstände, da sie in der Realität nicht oder nur schwierig und mit negativen Auswirkungen auf andere Bereiche umsetzbar sind. Nicht so beim Hybridbau. Die Kombination von Stahl und Beton kennen wir seit Jahrzehnten. Wir wenden sie schadensfrei im Stahlbetonbau sowie im Verbundbau an. Dabei mussten wir lernen, auf verschiedene Besonderheiten, wie z.B. eine ausreichende Betonüberdeckung für die Dauerhaftigkeit, zu achten. Die Kombination aus Stahl und Holz ist bereits in den Regelwerken erfasst. Denken wir an das Befestigen mit Schrauben oder an das Einkleben von Ankerstangen. Eine weitere Kombination, nämlich die von Holz und Beton wird seit über 25 Jahren erforscht. Verschiedene Verbundmittel, um die Tragfähigkeit durch eine schubfeste Verbindung zwischen Holz- und Betonquerschnitten zu erhöhen, sind bauaufsichtlich zugelassen und eingeführt. Bis vor etwa 5 Jahren hatte die Holz-Beton- Verbundbauweise einen sehr kleinen Anteil an den hergestellten Deckensystemen und wurde vorzugsweise bei der Sanierung und Ertüchtigung alter Holzbalkendecken eingesetzt. Heute hat man das enorme Potenzial erkannt und auch größere Gebäude bekannter Unternehmen wie Siemens, Bosch oder Sartorius werden mit Holz-Beton- Verbunddecken (HBV) realisiert. Speziell Wohngebäude kennzeichnen sich durch das Vorhandensein vieler Innen- und Außenwände, um den Raumabschluss und den Schallschutz sowie Sichtschutz zu realisieren. Im Standardwohnungsbau trifft man somit häufig auf linienförmige Auflager und selten auf Stützweiten über 6 Meter. Anders im Gewerbebau. Große Büros und Besprechungsräume sowie Produktionseinheiten erlauben keine Wände und erfordern ein großes Maß an Stützenfreiheit. Diese Anforderungen können optimal mit speziellen HBV-Decken in Kombination mit einem trapezförmigen Verbundträger realisiert werden. 138 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Innovative hybride Konstruktionen Der Verbundträger muss über eine Allgemeine Bauartgenehmigung (Z-26.2-49) verfügen. Abbildung 11: Deckblatt zu Z-26.2-49 (Quelle: Peikko) Neueste Entwicklungen machen es möglich, dass der Verbundträger aus über 97% recyceltem Stahl hergestellt werden kann. Dadurch werden die Klimaauswirkungen und das globale Erwärmungspotenzial weiter und signifikant reduziert. 2.5 Brandschutz Heutige Anforderungen an den Brandschutz sehen vor, dass Gebäude einen Feuerwiderstand über eine gewisse Branddauer einhalten. Die rechnerisch anzunehmende Branddauer richtet sich dabei nach der Gebäudenutzung sowie den Gebäudeklassen gemäß den jeweiligen Landesbauordnungen. Die Grundlage für die Bemessungsansätze bildet die sogenannte Einheitstemperaturzeitkurve ETK (Normbrandbeanspruchung). Für die Bemessung von Holzquerschnitten gilt die DIN EN 1995-1-2: 2010-12. Das Wesen des Nachweises besteht in der Bestimmung eines brandreduzierten Querschnittes. Dabei wird angenommen, dass die dem Brand ausgesetzten Querschnittsteile eine idealisierte Abbrandtiefe erhalten. Der ursprüngliche Holzquerschnitt, redu- Abbildung 9: Peikko DELTABEAM® Verbundträger mit HBV-Decke und Holzstützen (Quelle: Peikko) Dabei reduziert die HBV-Decke das Eigengewicht der Konstruktion um ca. 60%. Das ermöglicht einerseits schlankere und damit ressourcenschonende abgehende Bauteile wie Stützen und Gründungselemente und andererseits größere Stützweiten, da das Eigengewicht der Konstruktion für die Bemessung nur noch einen wesentlich geringeren Wert annimmt als bei einer vergleichbaren Stahlbetonmassivdecke. Die Tragfähigkeit des Deckensystems quer zu der Spannrichtung der HBV-Decke wird durch einen speziellen trapezförmigen Verbundträger realisiert, der infolge der Verbundtragwirkung enorme Steifigkeiten aufweist und damit in der Regel deckengleich hergestellt werden kann. Abbildung 10: Deckengleiche Ausführung DELTABE- AM ® (Quelle: Peikko) 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 139 Innovative hybride Konstruktionen ziert um die Abbrandtiefe, steht für die erforderlichen Nachweise im Brandfall zur Verfügung. Die Brandbemessung des trapezförmigen Verbundträgers kann keiner aktuell verfügbaren Norm entnommen werden. Hierzu wurden im Rahmen einer Bauartgenehmigung komplexe Finite-Elemente-Berechnungen herangezogen, die die Bemessung im Brandfall analog der Allgemeinen Bauartgenehmigung Z-26.2-49 ermöglichen. Dabei werden werkseitig in den Verbundquerschnitt eingelegte Sekundärbewehrungen für die Nachweise im Brandfall herangezogen. Diese Bewehrung weist aufgrund der Einbindung in den umgebenden Beton deutlich geringere Temperaturen auf, als der direkt beflammte Untergurt. Abbildung 12: Isothermen bei Brandbeanspruchung (Quelle: Peikko) Über den Ansatz der reduzierten Werkstoffkennwerte nach EN 1994-1-2 kann das innere Kräftegleichgewicht hergestellt und die notwendigen Spannungsnachweise geführt werden. Abbildung 13: Reduktionsfaktoren für Baustahl im Brandfall (Quelle: EN 1994-1-2, Beuth) An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass reaktive Brandschutzbeschichtungen auf Stahlbauteilen keinen dauerhaften Brandschutz darstellen (vgl. Technische Mitteilung 09b / 002 der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik e.V.). 3. Auswirkungen 3.1 Bauhöhe und Gebäudevolumen Infolge der unter Abs. 2.4 beschriebenen Reduktion der Konstruktionshöhe im Vergleich zu dem Einsatz eines Deckenträgers aus Holz kann auch die Geschosshöhe reduziert werden. Dies hat bei einem mehrgeschossigen Hochbau die Folge, dass die Bauhöhe deutlich herabgesetzt werden kann. Baurechtliche Einschränkungen aus Bebauungsplänen können dadurch eingehalten werden. Gegebenenfalls besteht die Möglichkeit, ein weiteres Geschoss zu realisieren und damit mehr Nutzfläche unter gleichen geometrischen Randbedingungen zu schaffen. Jeder Kubikmeter umbauter Raum, der nicht geheizt und/ oder gekühlt werden muss, trägt zur Einsparung von Energiekosten und damit zu einer verbesserten Ökobilanz bei. 3.2 Installationsfreiheit Infolge der fortschreitenden technischen Gebäudeausrüstung werden immer aufwändigere Leitungsführungen notwendig. Dabei haben insbesondere Kanäle für die Be- und Entlüftung sowie das Heizen und Kühlen regelmäßig große Dimensionen. Unserem Planungsprozess ist es geschuldet, dass es in der Praxis häufig zu Widersprüchen in der Planung des Tragwerkes und der technischen Gebäudeausrüstung (TGA) kommt. Dabei kollidieren Installationstrassen mit den für die Standsicherheit wichtigen tragenden Elementen wie Deckenträgern und Unterzügen. Durch eine entsprechende Durchbruchsplanung soll die Querung mit Leitungen durch die tragenden Querschnitte ermöglicht werden. Dies führt zu sehr aufwändigen und damit kostenintensiven Verstärkungen in den tragenden Querschnitten, um die fehlenden Querschnitte ausgleichen zu können. Zudem entstehen durch den parallel voranschreitenden Planungsprozess verschiedener Gewerke immer neue Anforderungen an Durchbrüche und Durchdringungen. Somit ist es für die Tragwerksplanung praktisch unmöglich, die notwendigen Durchbrüche immer ausreichend und an der richtigen Stelle zu berücksichtigen. Mit der deckengleichen Anordnung des trapezförmigen Stahlverbundträgers werden die möglichen Kollisionen in Gänze vermieden und der Planungsprozess kann störungsfrei erfolgen. Dies spart Zeit und notwendige Planungsressourcen und hilft allen Beteiligten bei einem reibungslosen Arbeitsprozess. 140 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Innovative hybride Konstruktionen 3.3 Klimabilanz Der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen ist klimafreundlich. Beton (Zement) und Stahl benötigen bei der Herstellung aus ihren Ausgangsstoffen sehr große Mengen an Energie. Zudem ist, die Gewinnung und Förderung der Ausgangsstoffe aufwändig. Holz hingegen benötigt für sein Wachstum CO 2 aus der Atmosphäre. Dieses CO 2 wird bei einer möglichen Verrottung oder Verbrennung wieder an die Umgebungsluft abgegeben. Die CO 2 -Bilanz ist also, anders als bei der Veredelung von Kalkstein und Eisenerz, ausgeglichen. Zudem wird durch den Einbau des gewachsenen Holzes, welches vorher der Atmosphäre CO 2 entzogen hat, eine Verrottung oder Verbrennung verhindert, so dass die CO 2 -Bilanz, über die Nutzungsdauer des Gebäudes sogar negativ bleibt. Negativ bedeutet dabei, dass mehr CO 2 gebunden als emittiert wird. Im nachfolgenden Beispiel soll an einem realen Deckensystem erläutert werden, welche Auswirkungen sich bezogen auf das CO 2 -Äquivalent ergeben. Es werden drei Deckensysteme verglichen: - DELTABEAM ® + Holz-Beton-Verbunddecke - DELTABEAM ® + Stahlbetonmassivdecke - DELTABEAM ® + Spannbetonhohlplattendecke Als System der Stützweitenverhältnisse dient folgende Notation: Die Einwirkungen auf die Tragstruktur nehmen folgende Werte an: Einwirkungen: g 0,k = Eigengewicht Deckensystem g 1,k = 2,0 kN/ m² (Aufbau + Unterdecke) q k = 5,0 kN/ m² (Nutzlast) Aus den statischen Berechnungen und Bemessungen ergeben sich folgende Deckenquerschnitte: DELTABEAM ® + Holz-Beton-Verbunddecke DELTABEAM ® + Stahlbetonmassivdecke DELTABEAM ® + Spannbetonhohlplattendecke Um eine möglichst neutrale Vergleichbarkeit herzustellen, wurden alle Decken mit einer Dicke von h = 30cm angenommen. 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 141 Innovative hybride Konstruktionen Aus den vorgenannten Berechnungen ergeben sich folgende Volumenanteile an Materialien: DELTABEAM ® + Holz-Beton-Verbunddecke DELTABEAM® + Stahlbetonmassivdecke DELTABEAM ® + Spannbetonhohlplattendecke Die vorhandenen Materialanteile können in die zugehörigen CO 2 -Äquivalente umgerechnet werden: DELTABEAM ® + Holz-Beton-Verbunddecke DELTABEAM ® + Stahlbetonmassivdecke DELTABEAM ® + Spannbetonhohlplattendecke 142 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Innovative hybride Konstruktionen Bilanzierung Addiert man die CO 2 -Äquivalente der einzelnen Materialien, erhält man folgende Ergebnisse: Es zeigt sich, dass die klassischen Deckensysteme ähnliche CO 2 -Emissionen nach sich ziehen. Durch die Einlagerung des Holzes im Bauwerk kann bei der Verwendung einer hybriden Konstruktion, bestehend aus einer Holz-Beton-Verbunddecke und einem deckengleichen trapezförmigen Verbundträger nach Bauartgenehmigung Z-26.2-49 ein mehr als klimaneutrales Deckensystem erreicht werden. 4. Zusammenfassung Die Bauindustrie hat einen deutlichen Einfluss auf den Klimawandel. Etwa 30% der Emissionen entstehen beim Bauen und ca. 70% beim Betrieb der Gebäude. Die hybride Bauweise unter Verwendung von Stahl, Holz und Beton in Kombination mit innovativen Technologien wie dem Verbundbau hat sowohl Auswirkungen auf die CO 2 -Emissionen während des Bauens als auch auf die Nachhaltigkeit in der Nutzungsphase. Zudem können moderne Anforderungen an die Flexibilität von Gebäuden einfacher und rationeller umgesetzt werden. Durch die leichten Strukturen bedingt der Herstellungs- und Lieferprozess kleinere Hebe- und Transportkapazitäten. Infolge des geringeren Eigengewichtes können vorhandene Tragfähigkeiten für die Nutzbzw. Verkehrslasten verwendet werden. Bei massiven Konstruktionen hingegen wird ein Großteil der Kapazitäten an Tragfähigkeit für das Eigengewicht selbst benötigt. 5. Ausblick Ausgehend von der „Dritten Bundeswaldinventur 2012“ steht uns in Deutschland ein Holzzuwachs von 121,6 Mio. m³ pro Jahr zu Verfügung. Jedoch wurde bereits 2012 bemerkt, dass der Vorrat an dem Bauholz Fichte abgenommen hat. Dies liegt insbesondere an der starken Dezimierung durch Stürme und Käfermassenvermehrung. In den letzten Jahren - die „Vierte Bundeswaldinventur“ befindet sich derzeit in der Datenerhebung - dürfte diese Entwicklung zugenommen haben. Andererseits, erreicht die Holznutzung und das natürliche Absterben des Holzes nur 87 % des Zuwachses. Die Fichtennutzung inklusive des natürlichen Absterbens liegt hingegen um 15% über dem Zuwachs. 13 % Holzüberschuss bedeutet etwa 16 Mio. m³ jährlich. Davon könnte man ca. 350 Mio. m² HBV-Balkendecken herstellen und würde rund 70 Mio. m³ Beton einsparen. Geht man davon aus, dass in Deutschland jährlich etwa 5 Mio. m² Deckenfläche hergestellt werden, so könnte der Bedarf an Holz durch andere Holzarten ohne Weiteres abgedeckt werden. Allerdings ist dazu ein schnelles Umdenken bei der bautechnischen Nutzung der Holzarten und/ oder der Forstbewirtschaftung notwendig. Literatur [1] Typische Baukonstruktionen von 1860 bis 1960, Band 2, 7. Auflage, Beuth Rudolf Ahnert, Karl Heinz Krause [2] DIN EN 1994-1-1 2010-12, Beuth [3] DIN EN 1994-1-2 2010-12, Beuth [4] Allgemeine Bauartgenehmigung Z-26.2-49 DELTABEAM® Verbundträger, 2020-10 Peikko Group Oy, DIBt [5] DIN EN 1995-1-1 2010-12, Beuth [6] DIN EN 1995-1-2 2010-12, Beuth [7] EPD DELTABEAM® Green 29.04.2020, Building Information Foundation, Helsinki [8] Vergleich der CO2 - Äquivalente verschiedener Deckensysteme 10.11.2020, Holzfachschule Bad Wildungen, HTB2506 Sven Voutta, Marius Vogel, Robin Ortmann [9] Von Monobaustoffen zu symbiotischen Materialkombinationen KI - Konstruktiver Ingenieurbau Heft 05/ 2020 Sascha Schaaf Dipl.-Ing. (FH)
