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Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
fki
expert verlag Tübingen
051
2022
11

Konstruktive Herausforderungen für Solarüberdachungen über Autobahnen

051
2022
Alois Vorwagner
Dominik Prammer
Manfred Haider
Christoph Mayr
Markus Fehringer
Tobias Beck
Felix Basler
Florian Balda
Die Energiegewinnung durch Photovoltaik (PV) gehört zu den Schlüsseltechnologien zur Erhöhung des Anteils von erneuerbaren Energiequellen. Diese Flächen stünden im Bereich von Autobahnen und hochrangigen Straßen zur Verfügung, wurden jedoch bisher kaum für solare Nutzung in Betracht gezogen. Die Machbarkeit von Solarüberdachungen werden derzeit im Rahmen der vom AIT geleiteten Projekte „PV-SÜD-K“ und „PV-SÜD-D“ im Zuge der D-A-CH Kooperation Verkehrsinfrastrukturforschung untersucht. Im Zentrum stehen die Fragen, ob eine PV-Überdachung über Autobahnen errichtet werden kann, welche konstruktiven Randbedingungen erforderlich sind und ob positive Sekundäreffekte (z.B. reduzierte Fahrbahnalterung & Lärmreduktion) wirksam werden. Entscheidend ist auch, ob neben der Energiegewinnung die solare Nutzung des Straßenraums praxistauglich und ins bestehende Erhaltungsmanagement integrierbar ist. Dieser Beitrag zeigt welche konstruktiven Besonderheiten für eine mögliche künftige Solarüberdachung erforderlich sind, wie ergänzende Lastansätze z.B. LKW-Vorbeifahrt aus realen dynamischen Druckmessungen abgeleitet werden oder wie z.B. mit CFD-Analysen der Lastfall Brand als Dimensionierungsparameter in eine Konzeptstudie einfließen.
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1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 163 Konstruktive Herausforderungen für Solarüberdachungen über Autobahnen Alois Vorwagner Dominik Prammer Manfred Haider Christoph Mayr AIT Austrian Institute of Technologies GmbH, Wien, Österreich Markus Fehringer Tobias Beck Forster Industrietechnik GmbH, Waidhofen an der Ybbs, Österreich Felix Basler Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg im Breisgau, Deutschland Florian Balda Balda GmbH (Beratende Ingenieure für Maschinenbau), Graz, Österreich Zusammenfassung Die Energiegewinnung durch Photovoltaik (PV) gehört zu den Schlüsseltechnologien zur Erhöhung des Anteils von erneuerbaren Energiequellen. Diese Flächen stünden im Bereich von Autobahnen und hochrangigen Straßen zur Verfügung, wurden jedoch bisher kaum für solare Nutzung in Betracht gezogen. Die Machbarkeit von Solarüberdachungen werden derzeit im Rahmen der vom AIT geleiteten Projekte „PV-SÜD-K“ und „PV-SÜD-D“ im Zuge der D-A-CH Kooperation Verkehrsinfrastrukturforschung untersucht. Im Zentrum stehen die Fragen, ob eine PV-Überdachung über Autobahnen errichtet werden kann, welche konstruktiven Randbedingungen erforderlich sind und ob positive Sekundäreffekte (z.B. reduzierte Fahrbahnalterung & Lärmreduktion) wirksam werden. Entscheidend ist auch, ob neben der Energiegewinnung die solare Nutzung des Straßenraums praxistauglich und ins bestehende Erhaltungsmanagement integrierbar ist. Dieser Beitrag zeigt welche konstruktiven Besonderheiten für eine mögliche künftige Solarüberdachung erforderlich sind, wie ergänzende Lastansätze z.B. LKW-Vorbeifahrt aus realen dynamischen Druckmessungen abgeleitet werden oder wie z.B. mit CFD-Analysen der Lastfall Brand als Dimensionierungsparameter in eine Konzeptstudie einfließen. 1. Einleitung Die Energiegewinnung durch Photovoltaik (PV) setzt die Verfügbarkeit entsprechender Flächen voraus. Das hochrangige Straßennetz und die zugehörigen Flächen in Deutschland, Österreich und der Schweiz stellen diesbezüglich ein derzeit noch weitgehend ungenutztes Potenzial dar. Obwohl bereits eine große Anzahl von Projekten durchgeführt wurde und die prinzipielle Umsetzbarkeit gezeigt werden konnte, so ist die Wirtschaftlichkeit oft nur in Spezialfällen wie zum Beispiel bei der Energieversorgung von Rastplätzen und Tunnelbeleuchtungen gegeben. Allerdings hat eine Solaranlage in Form einer Überdachung von befahrenen Verkehrsflächen neben der eigentlichen solaren Energiegewinnung und der Mehrfachnutzung der Fläche auch potenziell weitere positive Wirkungen für den Infrastrukturbetreiber, die in eine Gesamtbetrachtung einbezogen werden sollten. Zu diesen Wirkungen gehören vor allem der Schutz der Straßenoberfläche vor Niederschlägen (Regen, Schnee, Eis) und Überhitzung im Sommer, die dadurch mögliche Erhöhung der Dauerhaftigkeit von Fahrbahndecken und der mögliche zusätzliche Lärmschutz durch Abschirmungswirkungen. Diese Fragestellungen werden im Zuge des laufenden Forschungsprojekts Photovoltaik-Straßenüberdachung- Konzept (PV-SÜD-K) von einem Konsortium bestehend aus Forster Industrietechnik GmbH, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme und AIT Austrian Institute of Technology GmbH (Konsortialführung) untersucht [1]. Das Ziel ist ein Konzept für eine Überdachung der Fahrbahn im hochrangigen Straßennetz im D-A-CH Raum 164 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Konstruktive Herausforderungen für Solarüberdachungen über Autobahnen mit Solarpaneelen zu erstellen und deren sekundäre Effekte auf die Straßeninfrastruktur zu analysieren. Die technischen Randbedingungen und Anforderungen, die sich aus diesem Einsatzgebiet ergeben, wurden im Rahmen des Projekts durch umfassende Recherchen der geltenden Regelwerke für Autobahnen erhoben und in Form eines Pflichtenheftes für Tragkonstruktion und PV- Modul Eindeckung zusammengestellt. Der vorliegende Beitrag beruht auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts des ersten Projektabschnittes der Konzeptstudie, Details sind im zugehörigen Bericht ersichtlich [1]. 2. Tragkonzeptwahl Aspekte wie Konstruktionsform der Tragelemente, Wartung, Lastbeanspruchung, aber auch Montage und Installation der PV-Module über bestehende Straßenabschnitte in Kombination mit optimierter solarer Nutzung sind wesentliche Entwurfsparameter für Solarüberdachungen über hochrangige Straßennetze. 2.1 Grundanforderungen für den Tragwerksentwurf Wesentliche Grundentscheidungen sind im Hinblick auf die Tragwerksform, Materialwahl aber auch Montagemöglichkeiten und Tragwerkssicherheit zu treffen. Dazu werden folgende Grundanforderungen für den Tragwerksentwurf definiert: • Die Grundgeometrie soll optimiert für Stromerzeugung, Design und Anforderungen an Straßenbetrieb sein. • Vor allem aber soll die Energieerzeugung hinsichtlich der baulichen Gegebenheiten optimiert und maximiert werden. • Die Überdachungskonstruktion muss flexibel sein und einfach dem bestehenden Straßenverlauf folgen können. • Die Hauptabmessungen (Querschnitt und Länge) werden so gewählt, dass Straßenlichträume im Betrieb nicht eingeschränkt werden, auch sollen Regelwerke und Vorschriften für Tunnelbauwerke (Beleuchtung, Belüftung, Notrufeinrichtungen, Entwässerung etc.) nicht zwingend angewendet werden müssen. • Das Tragsystem soll gewählt werden, dass ein Systemversagen der gesamten Überdachungslänge im außergewöhnlichen Lastfall (Brand bzw. Anprall) ausgeschlossen werden kann. • Die PV-Module und Systemverschaltungen soll zudem skalierbar sein, und auf Autobahnen mit 2 und 3 Fahrstreifen mit und ohne Seitenstreifen vervielfältigbar sein. 2.2 Konstruktionsform Solarertrag Die grundsätzliche Auslegung wie Form und Gestaltung der Überdachung wird in erster Linie an die optimierte Nutzung der Sonnenergie angepasst. Das bedeutet auch dass die Energieerzeugung durch die Art der Konstruktion und bauliche Lösung möglichst unabhängig von der Fahrtrichtung der Fahrbahn (N-S, O-W, etc.) ist und eine Selbstverschattung ausgeschlossen oder weitgehendst minimiert wird. Bild 1: Ausrichtung und Neigung der PV Module haben Einfluss auf den Energieertrag, Angaben in % der maximal möglichen Sonnenauslastung entnommen aus [2] Den höchsten Ertrag erzielen PV-Module, wenn die Sonne im rechten Winkel auf die Solarmodule trifft, andere Richtungen haben je nach Ausrichtung und Sonnenstand entsprechende Abschläge (siehe Bild 1). Der Ausrichtungswinkel ist somit abhängig vom Breitengrad. Für unsere Breiten liegt dieser zwischen 30 und 35 Grad. Abweichungen von dieser optimalen Ausrichtung um ± 20° resultieren in einer Reduzierung um etwa 5 % gegenüber dem Optimum. Da der Sonnenstand aber im Tages- und im Jahresver-lauf nie konstant bleibt, ist diese optimale Einstrahlung bei fest montierten Solarmodulen nicht permanent gegeben. Es geht also darum, den optimalen Neigungswinkel zu finden, der in der Jahressumme die höchsten Erträge bringt. Die meisten Schrägdächer sind aufgrund ihrer Neigung her für Photovoltaikanlagen geeignet. Die Einbußen an Solarstrom, die durch flachere oder steilere Winkel entstehen, sind - bei optimaler Südausrichtung - nicht extrem groß. Je stärker allerdings von der reinen Süd-lage abgewichen wird, umso größer sind auch die Effekte eines suboptimalen Neigungswinkels. Aber gerade bestehende Straßenverläufe haben hier unterschiedliche Orientierungen, weshalb im Zuge einer eingehenden Untersuchung verschiedener Standorte und Ausrichtungen auf Solarertrag untersucht wurden, und folgende Grundform entsprechend der Straßenausrichtung optiert wurden: • Straßenverlauf Nord/ Süd: Satteldach mit 5° Dachneigung (Bild 2) • Straßenführung Ost/ West: Pultdach Südausrichtung mit 5° Dachneigung Bild 3 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 165 Konstruktive Herausforderungen für Solarüberdachungen über Autobahnen 2.3 Materialwahl und Konstruktionsform Regelwerke wie Normen und Richtlinien der jeweiligen Länder haben einen sehr wesentlichen Einfluss auf die Auslegung, denn sie sollen vor allem den sicheren Verkehrsbetrieb und die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer regeln. Die Materialwahl der Konstruktion ist grundsätzlich nach technischen oder wirtschaftlichen Anforderungskriterien zu treffen. Eine prinzipielle Entscheidung für die Ausführung der Tragkonstruktion aus Stahl vor allem im Hinblick einer schnellen Montage über bestehende Verkehrsflächenwurde festgelegt. Diese bietet im Hinblick auf mögliche Spannweiten, Fundierung (Platzbedarf) und Vorfertigung von PV- Modulen und kurze Montagezeiten wesentliche Vorteile. Gerade im Hinblick auf die Montage über bestehenden Verkehrsflächen hat der Stahlbau derzeit noch eindeutige Vorteile, und es sollte mit kurzzeitigen Sperren von Fahrstreifen oder Nachtsperren das Auslangen gefunden werden können. Es kann auf bereits existierendes Wissen aus der Montage von Überkopfwegweisern und Schilderbrücken zurückgegriffen werden, welche ebenfalls nachträglich in kurzer Zeit errichtet werden müssen. Auch im Hinblick auf Dauerhaftigkeit, Ermüdung, oder Anprall sind hier bereits umfassende Erkenntnisse und Dimensionierungserfahrungen aus den Schilderbrücken vorhanden [3] [8] [10]. Der Aspekt des Brandwiderstandes wird hier später im Kapitel 3 umfassend adressiert werden, und kann, falls erforderlich mit Beschichtungen/ Verkleidungen einfach bewerkstelligt werden. Bild 2: Satteldachform der PV-Überdachung für Straßen mit Nord-Süd-Verlauf mit 5° Dachneigung 3-D oben ©Forster und visualisiert für ein 10 m langes Tragelement unten ©AIT Die Forderung einer möglichst flexibel und wenig in den Verkehrsbetrieb eingreifenden Lösung wurde in Form einer aufgeständerten Überdachung gefunden. Das Konzept sieht ein Grundelement mit einer Basislänge von 10 m in Fahrtrichtung, 5,5 m lichter Höhe (Bild 3) unter der Überdachung und einer Nennleistung von 37,8 kWp vor, das bis zu einer Länge von 80 m modular erweitert werden kann. Damit kann die Konstruktion flexibel dem bestehenden Straßenverlauf (z.B. Wanne, Kuppe, Bogen) folgen. Aus sicherheitstechnischer Sicht ist jedes Trageelement mit 10 m Einzellänge für sich selbsttragend. Ein Grundprinzip des Konzeptes war, die wesentlich höheren technischen Anforderungen eines Tunnels oder einer Einhausung zu vermeiden. Daher ist aufgrund der Regelwerke die maximale durchgehend überdachte Länge auf 80 m beschränkt, um sicherheitstechnischen Anforderungen (z.B. [4]) mit einfach umzusetzenden Mitteln gerecht zu werden. Bild 3: Konstruktionsprinzip für eine Pultdachform der PV-Überdachung für Straßen mit Ost-West-Verlauf Querschnitt der Stahltragkonstruktion mit Lichtraumprofil oben ©Forster, Darstellung eines Tragelements L=10,0 m im Grundriss Mitte ©Forster und Visualisierung eines Tragelements unten ©AIT 166 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Konstruktive Herausforderungen für Solarüberdachungen über Autobahnen Für Solarpaneele ist grundsätzlich auch ein Überkopf-Einsatz möglich, dieses wird produktspezifisch durch eine Zertifizierung nachgewiesen. Ergänzende Anforderungen wie die unbekannte aerodynamische Lasteinwirkung von LKW-Vorbeifahrten sind mittels eigener Untersuchungen analysiert worden und in Kapitel 3.1 dargestellt. Für die Photovoltaik wurde ein geeignetes Montagesystem gewählt, das ausreichenden Wasserabfluss gewährleistet, und die Ausrichtung sowie die mechanische Wechselwirkung mit der Tragkonstruktion betrachtet. Für den geplanten Standort des später zu errichtenden Demonstrators in Süddeutschland konnte ein solarer Jahresenergieertrag von etwa 40 MWh/ Jahr pro 10 m Elementlänge bzw. 4 MWh/ Jahr je Meter überdachter Fahrbahnlänge (1040 kWh/ kWp- 17,0 m Breite) ermittelt werden. 3. Dimensionierungsansätze Das so erstellte Grundkonzept wurde als Stahlrahmenkonstruktion mit querliegenden Pfetten im Hinblick auf die statischen Erfordernisse wie Wind, Schnee und Anprall sowie aerodynamische Einwirkungen und Brand für den voraussichtlichen späteren Demonstratorstandort im Gebiet Baden-Württemberg/ Deutschland nach vordimensioniert und untersucht. Grundsätzlich erfolgt eine statisch konstruktive Dimensionierung nach Eurocode in der derzeitigen Fassung mit dem Grenzzustand der Tragsicherheit (Grundkombination sowie außergewöhnlicher Lastfallkombination getrennt für Anprall und Brand) sowie dem Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit als Verformungsbegrenzung mit L/ 200 für Glas nach [6]. Die Fundierung der Stützen folgt getrennt auf Stahlbetonfundamenten, sicherheitstechnische Leiteinrichtungen zur Reduktion der Anpralllasten sind analog wie bei Schilderbrücken nach RPS, [3] bzw. [8] vorgesehen. Darüber hinaus wurden folgende Sonderlasten wie folgend aufgelistet aufbereitet. 3.1 LKW-Vorbeifahrt Besonders die Lasten aus LKW-Vorbeifahrten waren in Bezug auf die Alterung der PV-Module von Interesse. Diese Effekte sind grundsätzlich für die Traglastbemes-sung von Lärmschutzwänden, Schilderbrücken oder Tunneln bekannt, und Lastansätze werden in diversen Regelwerken (z.B. RVS 09.01.23 [8], ZTV-ING Teil 5 [9] oder Regelwerke der Autobahndirektion Südbayern [10]) geregelt. In allen genannten Regelwerken werden statische Ersatzlasten definiert, welche in der Bemessung einbezogen werden. Dezidierte Regelungen für seitlich offene Überdachungen wie auch für über Verkehr angeordnete PV-Module mit Hinblick auf Ermüdung liegen nach eingehender Recherche jedoch nicht vor. Für Traglastbemessungen der Konstruktion kann mitunter ansatzweise auf Regelwerke der Lärmschutzwandbemessung nach EN 1991-2 zurückgegriffen werden. Aus diesem Grunde wurden im Rahmen des Projekts ergänzende Untersuchungen ausgehend von realen dynamischen Druckmessungen in einem Bestandstunnel im Netz der ASFINAG aufbereitet. Zur Bestimmung der aerodynamischen Lasten, welche auf die einzelnen Module und die Tragstruktur einwirken können, wurden Langzeitmessungen mit Differentialdrucksensoren in einer Tunnelröhre mit 2 Fahrstreifen (ohne Begegnungsverkehr siehe Bild 4) durchgeführt und ausgewertet. Bild 4: Messlayout für die Erfassung der Aerodynamische Beanspruchung In der Messauswertung (siehe Bild 5) zur Ableitung der Lastansätze wird der 95% Quantilwert des Differenzdrucks aus Druck- und Sog als maßgebende Größe definiert. Der als charakteristisch resultierende Differenzwert wurde als Differenz von Druck- und Sog folglich mit Diff95% = 168,5 Pa festgelegt [12]. Bild 5: Ermittelte Maximal- und Minimaldifferentialdrücke inklusive Quantilwerten der Tunnelmessung [12] Da der Tunnel einen rundum geschlossenen Querschnitt von großer Längsausdehnung darstellt, wird die im Tunnel auftretende aerodynamische Belastung bei LKW- Vorbeifahrt höher angesehen als jene bei einer seitlich offenen Überdachung. 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 167 Konstruktive Herausforderungen für Solarüberdachungen über Autobahnen Für das Tragwerk sind Druck- & Sogbelastungen dieser Größenordnung problemlos bewältigbar. Da es aber für Photovoltaikmodule weder Zulassungsversuche noch Erfahrungswerte betreffend Alterung für derart hohe Lastwechselzahlen gibt wurde im Zuge des Projekts eine Verifikation der PV-Module vor allem in Hinblick auf die Funktionalität und Alterung versuchstechnisch umgesetzt. Während der ersten Testreihe [12] sowie bei den abschließenden Messungen konnten keinerlei Veränderungen oder visuelle Schäden am PV-Modul als auch Glas bei sehr hohen Lastwechselzahlen > 10 Mio. festgestellt werden. 3.2 Brandlasten Die durch den Brand freigesetzte Energie in Form von Wärme wird in der Bauphysik für Gebäude zumeist durch den spezifischen Heizwert bezogen auf die Gebäudefläche ermittelt oder erfolgt mit Hilfe von einwirkenden Temperatur-Zeit-Kurven (z.B. Einheitstemperaturkurve ETK eines Normbrandes) angegeben. Auf Verkehrsanlagen ist dies nicht so einfach möglich, da es sich bei einem Brandereignis um eine unbekannte Brandquelle sowie um ein lokales punktuelles Ereignis handelt. Deshalb wird ausschließlich die maximale Brandlast für die Bewertung herangezogen und spezielle Analysemethoden herangezogen. Aufgrund der Tatsache, dass für Freilandstrecken so gut wie keine tragenden Anforderungen aufgrund von Fahrzeugbränden bestehen, liegen diesbezüglich keine relevanten Angaben in Regelwerken vor [11]. Für Straßentunnel hingegen gibt es durchwegs gute Richtlinien basierend auf detaillierten Forschungsergebnissen, welche als Konsequenz aus großen Tunnelbränden wie Tauerntunnel (1999) und Mont-Blanc-Tunnel (1999) entstanden sind [4], [9]. Um eine Kategorisierung der Brandlast zu erlangen kann die Einteilung gemäß World Road Association (PIARC) herangezogen werden [11]. Tabelle1: Brandlast in Abhängigkeit der Fahrzeugkategorie nach PIARC [5] Zur besseren Beurteilung möglicher Brandszenarien wurde eine CFD-Brandsimulation für das Konzept der Autobahnüberdachung durchgeführt. Ziel war eine Abschätzung zur Bestimmung der Bauteiltemperaturen sowie die Bewertung der Rauchausbreitung sowie die aufgenommene Schadstoffmenge der Personen im Zuge eines Brandereignisses. Dieser erfolgte im Auftrag von AIT und wurde von [11] durchgeführt, deren Ergebnisse folgend kurz zusammengefasst werden. Die komplexen Strömungssimulationen basieren auf Navier-Stokes-Gleichungen. Das sind gekoppelte inhomogene Differentialgleichungen auf den Prinzipien der Massen-, Impuls- und Energieerhaltung. Bei dem verwendeten CFD-Modell handelt es sich um den Fire Dynamics Simulator (FDS), welcher für die Simulation von Bränden und insbesondere für die Simulation von Rauchausbreitungen entwickelt wurde. FDS wird durch das NIST (National Institute of Standards and Technology) sowie international Mitarbeitenden herausgegeben. Das Grundkonzept und Layout wurden so festgelegt, dass die erhöhten Anforderungen für Tunnel der Regelwerke z.B. nach [4] vorerst nicht angewendet werden müssen. Es wurden für die Konzeptstudie 2 Brandlastfälle definiertwelche jedoch immer situativ an die jeweiligen Anforderungen der Betreiber und Sicherheitsbestimmungen im Einvernehmen der Behörden abgestimmt werden müssen. • Lastfall 1 PKW Brand 5 MW Brandlast • Lastfall 2 LKW-Brand 30 MW Brandlast • Branddauer LF 1 und LF 2 jeweils 33 min. In der Simulation wurde sehr konservativ angenommen, dass die Glas-Glas Module diese Hitze überleben und sich keine Öffnungen über der Brandstelle ergeben, welche die Wärme über das Dach sofort abführen würden. Bild 6: Brandkurven im Vergleich mit den maximalen Stahltemperaturen der CFD-Analyse Das Ergebnis der CFD-Analyse die Oberflächentemperaturen der beiden Lastfälle (strichpunktierte Linie) von neuralgischen Punkten ist in Bild 6 dargestellt. Die Bauteiltemperaturen der tragenden Stahlbauteile überschreiten bei einem 5 MW Brand (PKW) 280°C nicht. Der 30 MW Brand (LKW) zeigt eine Erwärmung der Stahlstützen und Träger auf ca. 780°-800°C innerhalb der ersten 13 Minuten, diese bleibt dann nahezu konstant. Zwischen Minute 10 und 15 wird zwar die Einheits-Temperaturzeitkurve (ETK) leicht überschritten, bleibt aber nach Minute 15 knapp unter der weiter ansteigenden ETK- Kurve. Für ETK-Anforderungen sollte mit konventionellen Brandschutzanstrichen bei diesen beiden Szenarien die 168 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Konstruktive Herausforderungen für Solarüberdachungen über Autobahnen Anforderung der Einheitstemperaturkurve eingehalten werden können, eine Validierung der Simulation durch Brandrauchversuche steht allerdings noch aus. 3.3 Anpralllasten Einen guten Anhaltspunkt betreffend Anpralllasten für derartige Konstruktionen geben die Regelwerke betreffend Schilderbrücken und Überkopfwegweiser. Diese sind vom Tragwerkstyp und Ausbildung einer PV-Überdachung aus Stahl sehr ähnlich. In Deutschland regelt dazu die ZTV-ING-Teil 9/ 2012 [3] in der derzeit gültigen Fassung die verminderten Anprallasten auf Schilderbrücken bei entsprechenden Schutzvorrichtungen. In Österreich gilt für Schilderbrücken die RVS 05.02.11 [8]. Ein kürzlich abgeschlossenes Forschungsprojekt [7] hat nochmals detaillierter die Problematik und auch die Auftretenswahrscheinlichkeit von Unfällen in Form einer Tiefenanalyse von Schadensereignisse bearbeitet. So wurden Daten von Anprallereignissen aus dem Raum Baden-Württemberg und aus Bayern beschafft, welche zusammen mit 1870 km (Stand 2016) ca. 14% des deutschen Autobahnnetzes ausmachen und in etwa nahezu der Größe des Autobahnnetzes in Österreich entsprechen und jenes der Schweiz leicht überschreiten. Für eine Autobahnüberdachung mit PV-Modulen wird vorgeschlagen, die Anpralllasten analog zu den Schilderbrücken nach der derzeit gültigen ZTV-ING und RVS 05.02.11 für die vertikalen Bauteile von 100 kN anzusetzen. Betreffend des Anprall am horizontalen Riegel werden jetzt im Konzept keine Lasten angesetzt, zum einen begründet durch die Studien in Deutschland [7], zum anderen wird eine lichte Höhe von 5,50 m konzipiert, welche in der Regel höher oder gleich hoch wie davorliegende Schilderbrücken oder eventuell Bestandsbrückenunterkanten sind. 4. Sekundäre Effekte für Straße und Lärmschutz Sekundäre Effekte einer Straßenüberdachung betreffen den Einfluss auf die Straßenoberfläche, Verkehrssicherheit aber auch Lärmauswirkungen. Zur Analyse dieser sekundären Effekte dienten vertiefte Auswertungen von Messdaten von Straßenoberflächeneigenschaften sowie Messals auch Simulationsdaten von Temperatur-Spannungszusammenhängen in Betonfahrbahndecken [13]. Die Analyse der Auswirkung einer Überdachung zeigte eine erhebliche Reduktion der Fahrbahntemperaturen (ca. -20°C) und der damit einhergehenden Reduktion von Spannungen in der der Fahrbahndecke. Die Vergleichsanalyse von Messdaten aufgenommen im Zuge einer Netzmesskampagne mit dem Straßenfahrzeugmesslabor RoadSTAR zeigt im Vergleich, dass in Bereichen sehr breiter Brücken (überdachungsähnlich) eine verminderte Entwicklung von Rissen und Spurrinnen, aber auch eine leichte Reduktion der Griffigkeit festgestellt wurde. Insgesamt konnte daraus eine Verlängerung der Lebensdauer des Fahrbahnoberbaus um etwa 15-30% abgeschätzt werden. Im Bereich Lärmschutz zeigten numerische Simulationen, dass durch den Einsatz einer PV-Überdachung mit Schalldruckpegelerhöhungen aufgrund zusätzlicher Reflexionen der Schallwellen an der Unterseite der Überdachung zu rechnen ist. Für die Satteldachvariante ohne Vorhandensein von Lärmschutzwänden beschränken sich diese Pegelerhöhungen auf den unmittelbaren Nahbereich der Straße (bis 25 m). Lärmschutzwände mittlerer Höhe (2 - 4 m) werden in ihrer Wirksamkeit durch die Überdachung im Nahbereich reduziert, und erst wenn die Lärmschutzwand 5 m Höhe erreicht, wird ein gewisser zusätzlicher Schallschutz durch die Überdachung erreicht. 5. Fazit In diesem Beitrag konnten die konstruktiven Herausforderungen und spezielle Dimensionierungsgrundlagen für eine mögliche Solarüberdachung von Autobahnen dargestellt werden. Diese betreffen sowohl Lasteinwirkung als auch Montage, Umsetzbarkeit und vor allem die solartechnische Optimierung der Tragwerksform. Im Rahmen des aktuell noch laufenden Forschungsprojekts wurde eine Konzeptstudie erstellt, deren Umsetzung und Dimensionierung auf Basis der hier vorgestellten Ansätze in Form eines Demonstrators in Süd-deutschland an der A-81 geplant ist, wobei eine Monitoring- und Evaluierungsphase nach Errichtung weitere Erkenntnisse liefern wird. 6. Danksagung Die Forschungen wurden im Zuge des Projekts PV- SÜD-K (FFG Nr. 878203) durchgeführt, welches im Rahmen der D-A-CH Kooperation Verkehrsinfrastrukturforschung - 4. Ausschreibung über das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) sowie das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Deutschland) und das Bundesamt für Straßen ASTRA (Schweizerische Eidgenossenschaft) finanziert und für die Auftraggeber von der ASFINAG betreut wurde. Literatur [1] Konsortium des FFG-DACH-2019 Projekt PV- Straßenüberdachung-Konzept (PV-SÜD-K): Ergebnisbericht der Konzeptstudie, Februar 2021. https: / / projekte.ffg.at/ projekt/ 3725909 [2] www.solaranlage-ratgeber.de [3] Bundesanstalt für Straßenwesen BASt. Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten ZTV-ING Teil 9 Bauwerke Abschnitt 1 Verkehrszeichenbrücken. Stand 04/ 2012 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 169 Konstruktive Herausforderungen für Solarüberdachungen über Autobahnen [4] Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen (RVS) der österreichischen Forschungsgesellschaft Straße, Schiene, Verkehr (FSV): RVS 09.01.23 Innenausbau - Grundtext, 23.12.2010 [5] PIRAC 2017R01EN, Design fire characteristics for road tunnels, Technical Committee 3.3 [6] BF- Merkblatt 021/ 2017- Bundesverband Flachglas [7] M. Keuser and T. Braml, Anprallsockel für Verkehrszeichenbrücken: FE 15.0593/ 2013/ ARB: Schlussbericht, 2019. [8] Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen (RVS) der österreichischen Forschungsgesellschaft Straße, Schiene, Verkehr (FSV): RVS 05.02.11 Leiteinrichtungen, Verkehrszeichen und Ankündigungen, Anforderungen und Aufstellung, 07/ 2009. [9] ZTV-ING Teil 5 Bundesanstalt für Straßenwesen. Tunnelbau. Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten. ZTV- ING - Teil 5 Tunnelbau - Abschnitt 1 Geschlossene Bauweise. Stand 2018/ 01 [10] Bemessungsgrundlagen für Schilderbrücken unter aerodynamischer Anregung der Autobahndirektion Südbayern (2007) [11] Brandkonzept: PV-SÜD-Brandfall unter Einhausung - Balda Engineering & Consulting [12] Prammer, et. al.: Baudynamische Herausforderungen von PV-überdachten Autobahnen. Beitrag zur 17. D-A-CH Baudynamik Tagung - 16.-17. Sept. 2021. [13] Prammer, D., Vorwagner, A. and Kwapisz, M. (2021), Messdatenbasierte Belastungsanalyse von Autobahn-Betonfahrbahndecken aus Fertigteilen. Beton- und Stahlbetonbau, 116: 441-449. https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202000108