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Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
fki
expert verlag Tübingen
051
2022
11

Disruptive Innovationen im Holzbau

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2022
Jürgen Graf
Die bisher gängige Praxis der linearen Bauwirtschaft (take – make – waste) des Rohstoffabbaus, der Bauprodukt- und Bauteilherstellung und deren Nutzung, des globalen Handels sowie des Abfallaufkommens durch den Gebäuderückbau führt zur Ressourcenvernichtung und zur Anreicherung von CO2 in der Erdatmosphäre, mit den düsteren Folgen des fortschreitenden globalen Klimawandels. Soziale Ungleichheiten der globalen Sicherstellung von Grund- und Sicherheitsbedürfnissen aller Menschen – Wasser, Nahrung, Arbeit, Wohnen, Gesundheit [1] – führen zu massiven Migrationsbewegungen und Klimakriegen. Die lineare Bauwirtschaft muss durch eine Bauwende zu Gunsten einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft überwunden werden – eine Ressourcenrevolution ist dafür unumgänglich [2]. Das muss unter Einbeziehung gesellschaftlicher Transformationsprozesse eine sozial-ökologische Bauwende sein mit den Zielen einer umfassenden Ressourceneinsparung und Abfallvermeidung. Gelingen kann das nur, wenn Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in einer Sprache sprechen und gemeinsam ein Gebäudekreislaufgesetz auf den Weg bringen.
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1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 235 Disruptive Innovationen im Holzbau Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Graf TU Kaiserslautern, Fachbereich Architektur, t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe Zusammenfassung Die bisher gängige Praxis der linearen Bauwirtschaft (take - make - waste) des Rohstoffabbaus, der Bauprodukt- und Bauteilherstellung und deren Nutzung, des globalen Handels sowie des Abfallaufkommens durch den Gebäuderückbau führt zur Ressourcenvernichtung und zur Anreicherung von CO 2 in der Erdatmosphäre, mit den düsteren Folgen des fortschreitenden globalen Klimawandels. Soziale Ungleichheiten der globalen Sicherstellung von Grund- und Sicherheitsbedürfnissen aller Menschen - Wasser, Nahrung, Arbeit, Wohnen, Gesundheit [1] - führen zu massiven Migrationsbewegungen und Klimakriegen. Die lineare Bauwirtschaft muss durch eine Bauwende zu Gunsten einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft überwunden werden - eine Ressourcenrevolution ist dafür unumgänglich [2]. Das muss unter Einbeziehung gesellschaftlicher Transformationsprozesse eine sozial-ökologische Bauwende sein mit den Zielen einer umfassenden Ressourceneinsparung und Abfallvermeidung. Gelingen kann das nur, wenn Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in einer Sprache sprechen und gemeinsam ein Gebäudekreislaufgesetz auf den Weg bringen. 1. Handlungsrahmen Der Homo Sapiens, der moderne Mensch, lebt seit ca. 300.000 Jahren auf der Erde und hat klimaschonend Behausungen und Bauwerke über ca. 299.850 Jahre (entspricht über 99,95%) mit sortenreinen Materialien in Stoffkreisläufen erstellt. Seit der Industriellen Revolution hat der Mensch durch die stetig steigende Nutzung fossiler Energiequellen sowie daraus erstellter synthetischer Werkstoffe, die nicht in natürliche Stoffkreisläufe eingebunden werden können, zu den heute bedrohlichen CO 2 - Emissionen beigetragen. Außerdem hat die industrielle Entwicklung metallischer, mineralischer und synthetischer Werkstoffe in linearen Massenfertigungsprozessen zum immensen Abfallaufkommen und dadurch zu einer globalen Ressourcenknappheit geführt. Drastische Reduktion der CO 2 -Emissionen und Ressourceneffektivität müssen durch ein Wirtschaften in Kreisläufen [3] zu einer Bauwende führen. Für die wegweisenden Maßnahmen haben wir noch ca. 10 Jahre Zeit (Abbildung 1). Die bereits seit 50 Jahren vorhergesagte und jetzt deutlich sichtbare Klimakrise, deren zukünftige Entwicklungen und Auswirkungen teilweise schwer vorhersagbar sind, lässt gesellschaftlich einen regulatorischen, planbaren Maßnahmenkatalog nur schwerlich zu. Dennoch ist für das Bauwesen klar, dass die lineare Wirtschaft jetzt der Kreislaufwirtschaft weichen muss. Es braucht, um die dafür notwendigen disruptiven Innovationen zu schaffen, große unbürokratische Spielräume sowie ergebnisoffene Forschungsförderung von Wissenschaft und Wirtschaft durch Politik und Industrie. Aktuell übliche Fördermodalitäten und Genehmigungsverfahren der öffentlichen Abbildung 1: Kohlenstoff Krise - Quelle: Stefan Rahmstorf/ Global Carbon Project [5] Hand für die Bauforschung sind abzuschaffen. Eike Roswag-Klinge, Leiter des Natural Building Lab an der TU Berlin, vertritt die in der breiten Bauforschung unterstützte Ansicht: „Reallabore mit abgesenkten Regeln und mit viel Geld ausgestattet“ haben das Potenzial, Innovationslücken für ein Wirtschaften in Kreisläufen in kurzer Zeit zu schließen. Interdisziplinäre Teams und Allianzen aus Politik, Wissenschaft, Verbänden, Wirtschaft und Industrie verstärken den Innovationsschub. Dazu 236 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Disruptive Innovationen im Holzbau reicht das aktuelle finanzielle Engagement der Politik - die Forschungsförderung beträgt 1/ 8 gegenüber privaten Forschungsinvestitionen der Industrie - bei weitem nicht aus (Veronika Grimm, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Woche der Umwelt, DBU, 10.06.2021). Führende Wissenschaftler, Politiker und Verbände fordern eine Verzehnfachung der Forschungsförderung im Bauwesen [4]. Die schnelle Umsetzung allgemein und die architektonisch und konstruktiv sinnhafte Umsetzung des Wirtschaftens in Kreisläufen gelingt nur durch massive Förderung von Wissenschaft und Wirtschaft. 2. Reallabor - t-lab Campus Diemerstein Ab sofort sind materialübergreifend alle Neubauten so umzusetzen, dass sie einen Beitrag zum klimaneutralen Gebäudebestand leisten. Neubauten sind so zu errichten und Bestandsbauten sind so zu sanieren, dass alle eingesetzten Ressourcen einer Nachnutzung zugeführt werden können. Dazu ist ein kreislaufeffektives Bauen zu etablieren. Diesen Ansatz verfolgen wir konsequent am Fachbereich Architektur der TU Kaiserslautern. Schwerpunkt ist das effiziente, konsistente und suffiziente Bauen. Forschungen zu reversiblen, standardisierten und elementierten Holzwerkstoffen spielen eine übergeordnete Rolle im Forschungsschwerpunkt „t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe“. Die Ressourceneffektivität steht im Vordergrund. Die einzelnen Forschungs- und Design- Build-Projekte sind unter „www.architektur.uni-kl.de/ tlab“ einzusehen. Der „t-lab Campus Diemerstein“ liegt auf dem Gelände der „Stiftung für die TU Kaiserslautern“ in Frankenstein im Pfälzer Wald. Er soll, auch weit über die Holzbauforschung des „t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe“ hinaus, mittelfristig die Keimzelle für die kreislaufeffektive Bauforschung in Rheinland-Pfalz sein mit nationaler und internationaler Strahlkraft und damit hoher Anziehungskraft für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Dazu wollen wir drei Bauwerke in kreislaufeffektiver Bauweise auf dem Campus erstellen (Abbildungen 2 und 3). Das erste Bauwerk, die Werk- und Forschungshalle (Abbildung 2 Gebäude (1)) als Auftakt des Campus, befindet sich aktuell in der Errichtungsphase (Abbildung 3). Die Werk- und Forschungshalle ist zu 100% rückbaubar und damit kreislaufeffektiv geplant. Die Umsetzung erfolgt unter anderem mit Studierenden und wird als DesignBuild RESEARCH - Projekt von der Sto- Stiftung unterstützt. Die disruptiven Innovationen der Werk- und Forschungshalle sind in Kapitel 3 dargestellt. In einem zweiten nutzungsneutralen und in hohem Maße elementierten Holzbauwerk in Kreislaufwirtschaft (Parken, Arbeiten und Wohnen) sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in interdisziplinären Arbeitsgruppen agieren (Abbildung 2 Gebäude (2)). In einem dritten, klimaneutral geplanten Holzhybridbauwerk sollen unter Verwendung von wiederverwendbaren Materialien und Rezyklaten, Materialprüfungen und die Fertigung von Bauteilen und Bausätzen im Maßstab 1: 1 erfolgen (Abbildung 2 Gebäude (3)). Abbildung 2: Lageplan des „t-lab Campus Diemerstein“ mit Werk- und Forschungshalle (1), Büro- und Seminargebäude (2), Großgeräte- und Prüfhalle (3) sowie Raum für temporäre Versuchsbauten (4). Quelle: t-lab Holzarchitektur und Holwerkstoffe Abbildung 3: Auftaktgebäude (Gebäude 1 in Abbildung 2). Werk- und Forschungshalle des „t-lab Campus Diemerstein“. Quelle: Nicolai Becker In [6], [7], [8], [9], [10] wird aufgezeigt, wie kreislaufeffektives Bauen gelingen kann. Im konstruktiven Holzbau bedeutet kreislaufeffektives Bauen im Wesentlichen: - Ressourceneffiziente und ressourceneffektive Tragwerke, elementiert und standardisiert - Reversible form- und kraftschlüssige Verbindungen - Materialhybride aus unterschiedlichen Holzwerkstoffen - Einsatz neuartiger Bauprodukte Zwei Beispiele sollen das „neue Bauen mit Holz“ verdeutlichen. Ressourcenschonend ist z. B. die Wie- 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 237 Disruptive Innovationen im Holzbau derverwendung von Brettsperrholzplatten aus dem Rückbau von Gebäudedecken oder -wänden oder aus Produktionsresten von Fenster- und Türausschnitten zu neuen Deckenelementen (Abbildung 4). Buchen-Furnierschichtholzkanten bilden zusammen mit den Brettsperrholz-Produktionsresten tragfähige, elementierte und standardisierte Balkendecken, die reversibel werkseitig vorgefertigt und auf der Baustelle endmontiert werden. Zu beachten sind schubfeste Verbindungen zur zusätzlich notwendigen Ausbildung von Deckenscheiben. Abbildung 4: Standardisiertes, reversibles Deckenelement. Quelle: t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe (aus [11]). In einem von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) geförderten Projekt (Förderkennzeichen 22008717) wird die Verwendung von Buchenholz niedriger Qualität aus dem Stamminneren für I-förmige Dachträger großer Spannweite untersucht (Abbildung 5). Ein beanspruchungsoptimierter Trägerquerschnitt ist durch die digitalen Fertigungsprozesse dann wirtschaftlich herstellbar, wenn dieser Querschnitt standardisiert in Serie hergestellt wird und so in ein Gesamttragwerk eingebunden wird, dass er zerstörungsfrei rückbaubar und damit zur Wiederverwendung geeignet ist. Ist die Architektur und die Konstruktion dafür entworfen, sind neuartige Bauprodukte sinnvoll und die aufwändige Erforschung der mechanischen Eigenschaften gerechtfertigt. Hier soll diese Trägerform bei Hallentragwerken von 16 m bis 28 m Spannweite eingesetzt werden. Abbildung 5: I-förmige Dachträger aus Buchenholz niedriger Qualität aus dem Stamminneren (FNR-Projekt (Förderkennzeichen 22008717)). Trägerherstellung bei der Firma Schaffitzel Holzindustrie GmbH + Co. KG, Bauteilprüfung als 4-Punkt-Biegeprüfung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Quelle: Schaffitzel Holzindustrie GmbH + Co. KG Die Umsetzung dieser Innovationen in den Maßstab 1: 1 sowie die Verifizierung reversibler Verbindungen und Konstruktionen gelingen nur in gut ausgestatteten Reallaboren. Wir, die die Bauwende im Blick haben, fordern daher von der Politik eine flächendeckende Einrichtung von Reallaboren an deutschen und europäischen Hochschulen. 3. Reallabor - t-lab Campus Diemerstein: Werk- und Forschungshalle Das „t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe“ hat sich zum Ziel gesetzt, disruptive Innovationen im Holzbau zu erforschen und in Mock-Ups und Bauwerken im Maßstab 1: 1 umzusetzen. Dafür erstellen wir als Auftaktgebäude des „t-lab Campus Diemerstein“ die Werk- und Forschungshalle. Das rund 360 qm große Gebäude bietet im Innenraum eine flexibel nutzbare Fläche, die auch für Workshops, Seminare und Veranstaltungen genutzt werden kann (Abbildung 6). Der neue Baukörper ist längs im Tal situiert. Für die Primärkonstruktion, die Fassaden sowie den Ausbau soll Holz zum Einsatz kommen. Bauteile sollen lösbar und wiederverwendbar sein. Die Elemente des Tragwerks, der Hülle und des technischen Ausbaus bleiben ablesbar. Der Neubau bezieht seine architektonische Gestalt aus den Entstehungsbedingungen der Forderung nach konsequenter Kreislaufwirtschaft aller Bauprodukte, Bauelemente und Bauteile. Die Grundlagen der Planung sowie das Entwurfskonzept wurden in mehreren gemeinsamen Lehrveranstaltungen der Fachgebiete Baukonstruktion und Entwerfen (Univ.-Prof. Stephan Birk) sowie Tragwerk und Material (Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Graf) mit Studierenden entwickelt. Finanzielle Unterstützung des Projektes erfolgt durch die Stiftung für die TU 238 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Disruptive Innovationen im Holzbau Kaiserslautern (Bauherrin, Dr. Annette Mechel) sowie aus dem LEADER-Programm der Europäischen Union, der Sto-Stiftung, dem Landesbeirat Holz Rheinland-Pfalz e. V. und vom Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten Rheinland-Pfalz. Inhaltliche Unterstützung haben wir vom Fachgebiet Energie-, Heizungs-, Sanitärtechnik (Prof. Andreas Winkels) und vom Fachgebiet Regenerative Energiewirtschaft (Prof. Dr. Martin Pudlik) der Technischen Hochschule Bingen, von Drees & Sommer Advanced Building Technologies Stuttgart, Abteilung Bauphysik (Ralf Buchholz), von IBC Ingenieurbau-Consult GmbH Mainz, Brandschutzberatung (Martin Hermes) und vom Ingenieurbüro Huber Otterberg, Geotechnische Beratung (Jörg Huber) erhalten. Abbildung 6: Werk- und Forschungshalle des „t-lab Campus Diemerstein“. Innenansicht. Quelle: Nicolai Becker Die Werk- und Forschungshalle ist 12,5 m breit, 27,5 m lang, 7 m hoch bei ca. 4 m Traufhöhe. Das Tragwerk besteht aus zwei Giebelwänden und 10 Dreigelenkrahmen aus Buchen-Furnierschichtholz (BauBuche GL 75) und Kunstharzpressholz (KP) im Abstand von 2,50 m. Die 12,5 m weit spannenden Dreigelenkrahmen (Abbildung 7) werden durch die vertikalen und horizontalen Lasten aus dem Dach- und Wandtragwerk beansprucht und übernehmen auch die Queraussteifung der Halle. Das Dach- und Wandtragwerk besteht nach dem Prinzip des einfachen Bauens aus einschichtigen Dach- und Wandplatten aus Brettsperrholz (BSP), die 2,50 m zwischen den Dreigelenkrahmen von Fußkante bis Traufkante und von Traufkante bis Firstkante spannen. Die BSP-Platten dienen auch der Längsaussteifung. Die Gebäudehülle als Ganzes besteht aus vorgefertigten dreischichtigen Bauelementen, Weichfaserplatte, Konterlattung, Schindelfassade - mit 2,50 m Breite zwischen den Dreigelenkrahmen. Diese vorgefertigten Module werden reversibel auf den BSP- Platten befestigt. Im Bereich der aufgeständerten Bodenplatte und der Fundamente wird auf Stahlbeton verzichtet, indem historisch bekannte Kriechkellerkonstruktionen als Vorbild dienten. Das Bauwerk schließt nach unten mit einer selbsttragenden 160 mm starken BSP-Bodenplatte ab. Aktuelle Forschungen zu Kriechkellerkonstruktionen haben gezeigt, dass unter Beachtung ausreichender Lüftung und ausreichendem Schutz gegenüber Bodenfeuchte, eine Kriechkellerkonstruktion dauerhaft ist. Dies wird durch Monitoring am Objekt verifiziert. Bodenplatte und Rahmentragwerk werden auf Schraubfundamenten rückbaubar gegründet (Abbildung 7). Abbildung 7: Detailmodell Werk- und Forschungshalle des „t-lab Campus Diemerstein“. Innenansicht. Quelle t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe Die konstruktiven Besonderheiten der reversiblen Bauteilanschlüsse fußt auf diversen Forschungsergebnissen des t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe. Für das Primärtragwerk kommen erstmals hocheffiziente Ringknoten aus Kunstharzpressholz (KP) zum Einsatz (Abbildung 8), deren Entwicklung unter anderem auf eine am t-lab verfasste Dissertationsschrift von Dennis Röver zurückgeht. Die bauliche Umsetzung wird mit ausgesuchten Firmen für das Haupttragwerk durchgeführt, da die Forderung der Reversibilität wesentlich höhere Anforderungen an die Bauteilgenauigkeiten der Verbindungen stellt als normativ gefordert. Die Ausbaustufen werden unter Beteiligung der Studierenden als Design- Build-Projekt durchgeführt. Der Baubeginn erfolgte im Frühjahr 2021. 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 239 Disruptive Innovationen im Holzbau Abbildung 8: Traufknoten aus Kunstharzpressholz (KP). Quelle: DEUTSCHE HOLZVEREDELUNG Schmeing GmbH & Co. KG Dass die Anforderung der Reversibilität nicht als Restriktion der Gestaltungsfreiheit verstanden werden darf, wurde im Konstruktionsentwurf zum Ausdruck gebracht. Ästhetik und Umweltschutz sind per se keine Widersprüche (Abbildung 8 bis Abbildung 11). Abbildung 9: Detailmodell Werk- und Forschungshalle des „t-lab Campus Diemerstein“. Reversible Tragstruktur. Quelle t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe Der Dreigelenkrahmen selbst besteht aus BauBuche- Stäben und KP-Knoten, die komplett in ihre Einzelteile sortenrein zerlegbar sind. Die Rahmenecken am Trauf sind fachwerkartig aufgelöst - Druckstäbe innen zum Raum hin, Zugstäbe außen entlang von Wand und Dach. Der Diagonalstab ist druckbeansprucht. Alle Druckstäbe sind 160 mm breit und 200 mm hoch. Alle Zugstäbe, die durch die Schnee- und Windbeanspruchungen auch querkraft- und biegebeansprucht sind, sind 160 mm breit und 300 mm hoch. Die Verschneidung der Druckmit den Zugstäben erfolgt über Treppenversätze [12]. Die Wand- und Dachelemente werden durch Scheibendübel aus KP, vergleichbar mit historischen Schubdübeln aus Eichenholz, mit den Dreigelenkrahmen formschlüssig und damit ebenfalls reversibel verbunden. Zur Lagesicherung werden rein auf Zug beanspruchte Zylinderkopfschrauben verwendet, die in Gewindemuffen und nicht direkt ins Holz eingedreht werden, um sicherzustellen, dass die Reversibilität auch nach 50 Jahren gewährleistet ist (Abbildung 10). Abbildung 10: Detailmodell des reversiblen Firstknotens. Quelle t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe Sämtliche Knoten, Fußpunkt, Traufknoten (Abbildung 11) und Firstknoten (Abbildung 10), sind kraft- und formschlüssig miteinander verbunden. Jeweils zwei Gewindestangen M16 GK 8.8 werden gegen die Innenwand der KP-Knoten und die in den BauBuche-Stäben eingelassenen Quadratbolzen (50 mm/ 50 mm) vorgespannt. Die Quadratbolzen liegen 300 mm von der Kontaktfläche der beiden Materialien entfernt. In den Kontaktflächen werden zur Übertragung der Querkräfte und zur Knotenversteifung formschlüssige Anschlüsse vorgesehen. 240 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Disruptive Innovationen im Holzbau Abbildung 11: Detailmodell des reversiblen Traufknotens. Quelle t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe Die vorgespannten Knoten wurden durch Bauteilversuche auf ihre Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit hin untersucht. Dazu wurden Querkraftversuche am Traufknoten, Zugversuche der Verankerungen mit Gewindestangen durchgeführt sowie der KP-Traufknoten selbst geprüft. Bei den Querkraftversuchen haben wir drei unterschiedliche, formschlüssige Kontaktflächenverbindungen untersucht. Wir haben Ringkeildübel, Typ Appel, mit Treppenleisten (Abbildung 12) und mit Schubnocken (Abbildung 8 und Abbildung 11) verglichen. Alle drei Varianten waren auf hohem Niveau annähernd gleich tragfähig und sind daher für das Rahmentragwerk geeignet. Das Versagen trat grundsätzlich horizontal im BauBuche Stab auf Höhe der Querschnittsschwerachse ein. Bei der gewölbten Außenform der Ringkeildübel ist jedoch darauf zu achten, dass die harten Materialien KP und BauBuche sich nicht wie Fichtenholz eindrücken lassen. Daher ist eine hohe Fertigungsgenauigkeit nötig, um den Dübel besonderer Bauart beidseitig einlegen zu können. Bei den Zugversuchen hat sich einheitlich gezeigt, dass sich ein für das Tragwerk günstiges, weil duktiles Versagen durch den Bruch der Gewindestangen eingestellt hat. Die Bolzenverbindung in der BauBuche war nie versagensrelevant. Das gleiche günstige Versagensmuster, der Zugbruch der Gewindestangen, zeigte sich beim Bauteilversuch der KP-Knoten. Abbildung 12: Bruchbild einer Querkrafttragfähigkeitsprüfung für den reversiblen Traufknoten. Hier Versuchskörper mit Treppenleiste. Quelle t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe 4. Ausblick Klimapositive Bauweisen, Kreislaufwirtschaft mit geschlossenen Stoffkreisläufen, Effizienz, Konsistenz und Suffizienz sowie Robotik, Künstliche Intelligenz (KI) und digitale Transformation sind nur einige Begriffe, die aufzeigen, wie sich aktuell das Bauwesen in einem Wandel befindet. Der sechste Kondratjew-Zyklus [13] zeichnet sich ab. Wir brauchen jetzt eine Bauwende. Die Wissenschaft muss dafür ein Steuerungselement zu einer klimaneutralen Bauwirtschaft sein. Sinnvoll erscheint, die Effizienzrevolutionen von Ressourcen- und Energieverbrauch neben der Wirtschaft auch der Wissenschaft aufzutragen. Überlassen wir der Bauwirtschaft allein die Entwicklung der Bauwende, wird durch den Einsatz von Digitalisierung und KI ein vorrangig wirtschaftlich geprägter Innovationsschub gefördert. Es wäre höchst unwahrscheinlich, wenn dies auch mit einem Maximum an Ressourceneffektivität einherginge. Kreislaufeffiziente, klimarelevante Forschung gehört in Reallaboren umgesetzt und in 1: 1 Modellen und Bauwerken demonstriert. Dies setzt aber ein völlig verändertes Förderwesen für die für die Bauwende forschenden Institute und Fachbereiche voraus. Aus Sicht einer klimarelevanten, ökonomischen und sozialen Bauwende sind unabhängige und ergebnisoffene Forschungen zu intensivieren. Das Förderwesen für die Hochschulen durch die Länder und den Bund sind dazu grundlegend und sofort zu erneuern, indem auf monetärer Basis Personal, Räumlichkeiten und Ausstattung deutlich aufgestockt und interdisziplinäre Forschungsumfelder unbürokratisch geschaffen werden. Geschieht dies nicht, werden disruptive Innovationen und Technologien der Bauwirtschaft weitestgehend unterbleiben - das Fortschreiten der Klimakrise gefestigt. Dies wäre nicht weniger als ein Versagen der Politik. 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 241 Disruptive Innovationen im Holzbau Literatur Literatur [1] Maslow, A. (1943) A Theory of Human Motivation. In Psychological Review. Vol. 50 #4 [2] Weizsäcker, E. U.; Hargroves, K.; Smith, M. H. (2010) Faktor Fünf - Die Formel für nachhaltiges Wachstum. Droemer Verlag, München [3] Stahel, W. R. (2021) Wirtschaften in Kreisläufen - Eine Begriffserklärung für den Bausektor. In: Heisel, F.; Hebel D. E. [Hrsg.] Urban Mining und kreislaufgerechtes Bauen - Die Stadt als Rohstofflager. Fraunhofer IRB Verlag, 2021, S. 33-43 [4] BAUWENDE 2030 - Ein Appell. Initiatoren: Graf, J.; Winter, S.; Birk, S. (15.07.2021) [5] Figueres, C. er al. (2017) Three years to safeguard our climate. In: Nature 546, 593-595 (29 June 2017) doi: 10.1038/ 546593a [6] Hillebrandt, A. et al. (2018) Atlas Recycling - Gebäude als Materialressource. 1. Aufl. München: Detail Business Information GmbH [7] Heisel, F.; Hebel D. E. [Hrsg.] Urban Mining und kreislaufgerechtes Bauen - Die Stadt als Rohstofflager. Fraunhofer IRB Verlag [8] Kaufmann, H.; Krötsch, S.; Winter, S. (2017) Atlas Mehrgeschossiger Holzbau. München: Detail Business Information GmbH. [9] Fischer, O.; Lang, W.; Winter, S. (2019) Hybridbau - Holzaußenwände. 1. Aufl. Detail Business Information GmbH [10] Graf, J. (2020) Entflechtung von Wachstum und Ressourcenverbrauch - Zirkuläre Wertschöpfung im Holzbau. Bautechnik 97, Sonderheft Holzbau, Ausgabe 2, S. 108-115 [11] Graf, J. et al. (2019) Potentiale der Verwendung von Brettsperrholz-Produktionsabfällen zur Herstellung von Bauteilen im Holzbau - Recycling von Brettsperrholz-Produktionsabfällen. Forschungsbericht, Forschungsinitiative ZukunftBAU. Fraunhofer IRB, F 3204. [12] Enders-Comberg, M.; Blaß, H. J. (2014) Treppenversatz - Leistungsfähiger Kontaktanschluss für Druckstäbe. In: Bauingenieur 89, H. 4, S. 162-171. [13] Kondratjew, N. D. (1926) Die langen Wellen der Konjunktur. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Band 56, S. 573-609