eJournals Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau 1/1

Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
fki
expert verlag Tübingen
051
2022
11

Punktgestützte Flachdecken im Holzbau

051
2022
Stephan Bertagnolli
Für punktgestützte Decken gab es im Holzbau bislang keine Systemlösung. Diese wurde in der Regel individuell berechnet und entwickelt. Mit dem Spider Connector ist eine Lösung entwickelt worden, die nicht nur Stützenraster von 7 m x 7 m ermöglicht, sondern auch eine Lastdurchleitung von bis zu 5000 kN Bemessungslast. Dies bringt neben gestalterischen Aspekten auch wesentliche Vereinfachung in der Planung (Brandschutz, TGA …) mit sich. Das zugelassene Produkt wurde bei einem Pilotprojekt in Österreich das erste Mal erfolgreich eingesetzt.
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1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 255 Punktgestützte Flachdecken im Holzbau Der innovative SPIDER für Brettsperrholzdecken eröffnet neue Möglichkeiten Dipl.-Ing. (FH) Stephan Bertagnolli, Field Technical Support, Rothoblaas Deutschland GmbH, Rosenheim, Deutschland Zusammenfassung Für punktgestützte Decken gab es im Holzbau bislang keine Systemlösung. Diese wurde in der Regel individuell berechnet und entwickelt. Mit dem Spider Connector ist eine Lösung entwickelt worden, die nicht nur Stützenraster von 7 m x 7 m ermöglicht, sondern auch eine Lastdurchleitung von bis zu 5000 kN Bemessungslast. Dies bringt neben gestalterischen Aspekten auch wesentliche Vereinfachung in der Planung (Brandschutz, TGA …) mit sich. Das zugelassene Produkt wurde bei einem Pilotprojekt in Österreich das erste Mal erfolgreich eingesetzt. 1. Die Aufgabe 1.1 Einführung Im klassischen Holzbau werden Decken traditionell als Balkenlagen ausgeführt. Diese werden auf Unterzügen und Wänden aufgelagert und so eine einachsige Tragstruktur hergestellt. Durch die Entwicklung des Brettsperrholzes ist diese Konstruktionsart teilweise abgelöst worden. Das flächige Brettsperrholz hat unter anderem den Vorteil, daß es neben einer gewissen Querverteilung der Lasten auch mit geringeren Deckenstärken auskommt. Des Weiteren kann durch die Verleimung der Platten in der Herstellung mit schlankeren Querschnitten gearbeitet werden, was wiederum der effizienten Nutzung des Rohstoffes Holz entgegenkommt. Jedoch werden auch diese Elemente klassisch auf Unterzügen und Wänden aufgelagert (Abbildung 1). Abbildung 1: klassisch aufgelagerte BSP-Decke [1] Im Betonbau hingegen werden punktgestütze Decken schon seit Mitte des letzten Jahrhunderts ausgeführt. Hier liegen Nachweisverfahren, Berechnungsmethoden und konstruktive Lösungen vor, die eine Realisierung wirtschaftlich sinnvoll machen. Ebenfalls gibt es von verschiedensten Anbietern Systemlösungen. Dies im Holzbau umzusetzen führt zu mehreren Herausforderungen gleichzeitig. Die Druckspannungsspitzen treten gerade in den Bereichen auf, in denen das Holz einen Schwachpunkt hat, quer zur Faser. Hier beträgt die Druckfestigkeit nur circa 10 % der Druckfähigkeit senkrecht zu Faser. Die Rollschubfestigkeit der einzelnen Brettlagen ist ein weiterer begrenzender Faktor für die konzentrierte 256 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Punktgestützte Flachdecken im Holzbau Lasteinleitung. Es gibt für beide Themen Lösungen ([2] & [3]) mit Vollgewindeschrauben, die auch seit Jahren im Holzbau Verwendung finden. Diese kommen jedoch bei größeren Spannweiten schnell an die Grenzen. Ein bekanntes Projekt bei dem punktgestütze Flachdecken zum Einsatz kamen ist das Studentenwohnheim „Brock Commons“ in Vancouver. Hier wurde ein Stützenraster von 2,85 m x 4,5 m ausgeführt. Für den Spider war jedoch die Vorgabe ein Stützenraster von 7 m x 7 m, sowie eine Lastdurchleitung für bis zu zehn Geschossen zu realisieren. 1.2 Die Herausforderungen Durch die Einflussfläche von 49 m² sind pro Stütze circa 500 kN maximale Bemessungslast zu erwarten. Über die Gebäudehöhe kann bei bis zu zehn Geschossen eine Lastdurchleitung im Stützenbereich von bis zu 5000 kN zusammen kommen. Dies, hohe Stützmomente, Schwingungsnachweise, Brand- und Schallschutz, sowie die Wirtschaftlichkeit und eine hohe Montagefreundlichkeit waren die Vorgaben für die Entwicklung des Spiders. Aufgrund der fertigungs- und transporttechnischen Beschränkungen von max. 3,5 m Breite bei BSP-Platten kam noch eine zusätzliche Aufgabe ins Spiel. Der Plattenlängsstoss muss auf der Baustelle biegesteif ausgebildet werden um die Platten entsprechend weit spannen zu können (Abbildung 2). Abbildung 2: Punktgestütze Decke, mit Plattenlängsschub, Querdruckversagen und Rollschubversagen [1] 2. Die Entwicklung Für die Entwicklung wurden an der Universität Innsbruck neben Versuchen vor allem auch Berechnungen durchgeführt, bzw. Modelle zur Abbildung des Verhaltens der Konstruktion entwickelt (Abbildung 3 und Abbildung 4). Abbildung 3: Versuchsaufbau an der Universität Innsbruck [4] Abbildung 4: Simulation der Verformung und Spannungsverteilung in den Armen des Spiders [4] 3. Die Lösung Nach mehreren Jahren der Entwicklungsarbeit konnte am 17.01.2020 die ETA veröffentlicht werden (Abbildung 5) Abbildung 5: ETA des Spider-Connector der Rotho Blaas srl, Italien Der Spider Connector der besteht aus mehreren Einzelteilen, die auf der Baustelle zusammengesetzt werden. Das Herzstück bildet ein Zylinder (ø 80-120 mm), ein Kegelstück und eine Scheibe mit Mutter (Abbildung 6). Mit einer Höhe von bis zu 320 mm kommt der Spider inkl. der Arme auf ein Gewicht von bis zu 80 kg / Stück. 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 257 Punktgestützte Flachdecken im Holzbau Abbildung 6: Einzelkomponenten des Spider Connectors Die Funktionsweise ist denkbar einfach. Die Arme werden mittels Vollgewindeschrauben in die Decke verschraubt und über die Scheibe formschlüssig an das Kegelstück angeschlossen. Hierdurch werden die Deckenlasten (Abbildung 7 blau) eingeleitet. Die Lastdurchleitung erfolgt über die obere Platte direkt in den Zylinder (Abbildung 7 grün) und werden dann als Gesamtlast (schwarz) in die nächste Stütze weitergeleitet. Abbildung 7: Kraftweiterleitung im Connector Durch dieses System können große Spannweiten und hohe Lasten realisiert werden. Wie man in Abbildung 8 sehen kann hängen die möglichen Lasten nicht nur von der Deckenstärke ab, sondern auch vom Werkstoff der Stütze Abbildung 8: Lastentabelle mit Deckenstärke und Fco,up,d (Lastdurchleitung) und Fslab,d (Deckenlast) 258 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Punktgestützte Flachdecken im Holzbau 4. Vorteile Punktgestützte und damit unterzugfreie Decken haben dem klassischen Konstruktionsprinzipien verschiedene Vorteile. Durch das Wegfallen der Unterzüge ergeben sich bei gleicher Raumhöhe circa 40 cm weniger Geschosshöhe. Dies wiederum führt dazu, dass ab einer Höhe von circa sieben Geschossen im gleichen Baufenster/ Gebäudehöhe ein achtes Geschoss realisiert werden kann. So dass sich die Nettogeschossfläche um 15% erhöht. Ebenfalls wird eine Flexibilität des Grundrisses erreicht, die eine Wiedervermietung und Umnutzung wesentlich vereinfacht. Dies erhöht den Wert der Immobilie und senkt die Kosten. Des Weiteren machen sich schon in der Planungsphase die fehlenden Unterzüge in den Kosten bemerkbar. Die klassischen Kollisionspunkte der TGA mit dem Tragwerk entfallen. Der Planer kann also nicht nur wesentlich einfacher seine Leitungen planen, sondern spart sich neben statisch relevanten Durchbrüchen auch verschiedene Stichleitungen an den Unterzügen vorbei. Aus brandschutztechnischer Sicht gibt die einheitliche Decke enormen Spielraum, da nicht mehr einzelnen Elemente betrachtet werden müssen, sondern die Decke als Gesamtes. Was wiederum bei einer Umnutzung, und damit einer veränderten Brandabschnittsbildung, die Kosten geringhält. Dass eine punktgestützte Decke gegenüber einer klassischen Holzbalkenkonstruktion seine optischen und architektonischen Reize hat, versteht sich von selbst. 5. Das Pilotprojekt Der Handl Gastro Service beliefert seit Jahren gehobene Gastronomie und Hotellerie im Alpenland mit hochwertigen Fleisch- und Wurstwaren. Hierfür sollten neue repräsentative Verkaufsräume entstehen. Die Planung wurde von ATP Planungs- und Beteiligung AG, Innsbruck vorgenommen. Der Werkstoff Holz sollte auf zwei verschiedene Arten in die Planung integriert werden. Einerseits durch die klassische Anwendung als Fassade, andererseits auf die innovative Art als punktgestütze Decke. Diese war mit 650 m² eine technisch konstruktive Herausforderung. Durch die Verleimung vor Ort konnte in Zusammenarbeit mit Timber Structures 3.0 AG und der Universität Innsbruck nicht nur die bis dahin weltweit größte punktgestütze Brettsperrholzplatte hergestellt werden. Mit einem Stützenraster von 7 x 7 m wurden auch außergewöhnlich große Spannweiten realisiert. Abbildung 9: 3D-Ansicht des Holzbaus Abbildung 10: Durch den Spider sind große Spannweiten und eine komplette unterzugsfreie Decke ermöglicht worden Abbildung 11: Der fertige Verkaufsraum Literatur [1] Maderebner, R. (2021): Punktgestütze Flachdecken aus Brettsperrholz [2] Bejtka, I. (2005): Verstärkung von Bauteilen aus Holz mit Vollgewindeschrauben Karlsruhe: Univ.-Verl.; Univ. - Karlsruher Berichte zum Ingenieurholzbau Bd. 2. [3] Mestek, P. (2011): Punktgestützte Flächentragwerke aus Brettsperrholz (BSP) - Schubbemessung unter Berücksichtigung von Schubverstärkungen, München [4] ATP architekten ingenieure: „Holzbau neu gedacht“, unter: https: / / www.atp.ag/ integrale-planung/ service/ news/ details/ holzbau-neu-gedacht (abgerufen am 13.07.2021)