eJournals Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau 1/1

Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
fki
expert verlag Tübingen
051
2022
11

Die dritte Dimension wird essenziell

051
2022
Bernhard Tokarz
Gegenstand dieses Vortrags sind weitgespannte, überwiegend einachsig tragende Konstruktionen, wie sie bei Brücken und großen Hallen gebraucht werden. Das Besondere heute sind Tragwerke, die aus der Nähe erlebt werden, wie Brücken in der Stadt und Hallen, die von vielen besucht werden. Sie stellen nachdrücklich Ansprüche an die Gestaltung. Das Besondere heute sind darüber hinaus Tragwerke, die als Konstruktion nicht in parallelen Reihen oder Schichten gedacht und aufgebaut sind, wie das meist der Fall ist - und statisch auch völlig in Ordnung ist - sondern Tragewerke, bei denen die dritte Dimension, die Querrichtung, von vornherein mit gleichem Gewicht im Entwurf und für die Tragwirkung eingesetzt wird, obgleich ihre Haupt-Tragwirkung einachsig bleibt. Es wird sich zeigen, dass dadurch nicht nur für die Tragwirkung, sondern auch für ihre Wirkung als Architektur eine zusätzliche Qualität entsteht. Wichtig und nun wirklich in jedem Fall notwendig gilt das für die Gestaltung im Detail, für das Erlebnis dieser Bauwerke aus der Nähe. Als Ausblick zeige ich zuletzt zwei Entwürfe, die das schon Gebaute noch steigern würden.
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1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 291 Die dritte Dimension wird essenziell Prof. Dipl.-Ing. Bernhard Tokarz Ingenieurgruppe Tokarz Frerichs Leipold, Hannover, Niedersachsen, Deutschland Zusammenfassung Gegenstand dieses Vortrags sind weitgespannte, überwiegend einachsig tragende Konstruktionen, wie sie bei Brücken und großen Hallen gebraucht werden. Das Besondere heute sind Tragwerke, die aus der Nähe erlebt werden, wie Brücken in der Stadt und Hallen, die von vielen besucht werden. Sie stellen nachdrücklich Ansprüche an die Gestaltung. Das Besondere heute sind darüber hinaus Tragwerke, die als Konstruktion nicht in parallelen Reihen oder Schichten gedacht und aufgebaut sind, wie das meist der Fall ist - und statisch auch völlig in Ordnung ist sondern Tragewerke, bei denen die dritte Dimension, die Querrichtung, von vornherein mit gleichem Gewicht im Entwurf und für die Tragwirkung eingesetzt wird, obgleich ihre Haupt-Tragwirkung einachsig bleibt. Es wird sich zeigen, dass dadurch nicht nur für die Tragwirkung, sondern auch für ihre Wirkung als Architektur eine zusätzliche Qualität entsteht. Wichtig und nun wirklich in jedem Fall notwendig gilt das für die Gestaltung im Detail, für das Erlebnis dieser Bauwerke aus der Nähe. Als Ausblick zeige ich zuletzt zwei Entwürfe, die das schon Gebaute noch steigern würden. 1. Einführung Weit gespannte, überwiegend einachsig tragende Tragwerke - wie Brücken und große Hallen - sehen wir im Wesentlichen meist 2-dimensional; Die wichtigsten Größen sind: die zu überbrückende Spannweite, ein günstiges statisches System und die notwendige Konstruktionshöhe. Quer dazu geschieht nichts Überraschendes. Bei großen Konstruktionen gibt es zusätzliche Glieder in Querrichtung, gesehen und gedacht als optisch untergeordnete Systeme. Aus der Sicht des Konstrukteurs ist daran nichts zu bemängeln. Und aus der Sicht von Weitem in den meisten Fällen auch nicht. Anders sieht es aus der Sicht von Nahem aus, bei Brücken in der Stadt und Hallen im gleichen Milieu, also Bauten, die von vielen oft aus nächster Nähe erlebt werden. Ich zeige an einer Brücke und der Konstruktion für das weitgespannte Dach über einer großen Halle, welches Potenzial als Tragwerk, als Architektur für das Erlebnis dieser Bauwerke zusätzlich vorhanden ist, wenn die 3. Dimension von vornherein mit gleichem Gewicht in den Entwurf und die Konstruktion des Tragwerks eingeführt wird: in technischer Hinsicht und - vielleicht noch entscheidender - als Element der architektonischen Gestaltung. Ich zeige, wie unbedingt das bis in jedes sichtbare Detail der Konstruktion gilt. Es handelt sich ja um nichts weniger als um die Gestaltung des Erlebnisses eines Bauwerks aus nächster Nähe. Immer soll es sich dabei um Gestaltung des technisch Notwendigen handeln, nie um Dekoration und auch nie um Form aus freier Fantasie. 2. Konstruktion für das weitgespannte Dach über einer großen Halle Bild 1 Das Bauwerk von Norden Die Halle ist Teil des Bahnhofs, der heute als wichtiger Knoten der Bahn für die großen Messen gilt, die in Hannover stattfinden. Entstanden ist er ursprünglich für die Weltausstellung. Klar war aber auch von Anfang an, dass er den größeren Teil der Zeit für viel kleinere Menschenmengen nützlich und anziehend bleiben sollte. Denn auf der anderen Seite der Bahntrasse beginnt ein sehr lebendiger Vorort von Hannover, Laatzen. Die Aufgabe war also, eine Form zu finden, die zum Ort ein Regionalbahnhof, zur Expo und zur Messe ein „großer Bahnhof“ ist. Das war mit bekannten Typologien nicht zu lösen. Das gefundene Gebäude hat also tatsächlich 2 verschiedene Gesichter: Aus einem großen, 2-geschossigen flachen Körper löst sich ein langes geschwungenes Dach, niedrig beginnend auf der Seite des Ortes und hoch ausschwingend auf der Seite der Messe und Weltausstellung. 292 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Die dritte Dimension wird essenziell Bahnhof der kleinen Geste zum Ort, mit Parkort für Fahrräder und Rampe für Behinderte, das Dach beginnt niedrig - und Bahnhof mit einladender Geste und ausschweifendem Blick auf Expo und Messe, zum Eingangsbauwerk West für beides. Unter den für die engere Wahl ausgesuchten Entwürfen war dieser Entwurf der Hamburger Architekten Gössler und Kreienbaum der einzige, der quer zu den Gleisen lag. Er ist zugleich Brücke über die Gleise. Wenn wir heute von der Messe kommend auf den Bahnhof zugehen, erleben wir nur einen Torso. Der ursprüngliche Entwurf war viel mehr als ein Bahnhof. Ursprünglich öffnet sich der Bahnhof zu einem großen überdachten Marktplatz und dieser geht über in eine Markthalle, alles gedacht als Treffpunkt eines neuen Stadtteils. Gebaut wurde bisher nur der Marktplatz, überdacht mit schönem Glasdach. Das Gelände für die Markthalle ist noch leer. Heute blühen hier Heckenrosen. Auch von dem im Wettbewerb ebenfalls zu gestaltenden neuen Stadtteil ist bisher noch so gut wie nichts entstanden. Die Brückenebene des Bahnhofs ist ein vielzelliger Hohlkörper, eine ebene Platte auf Spannbetonträgern, Fertigteilen mit umgekehrtem T-Querschnitt, die Gleise überspannend. Die große Geste ist die Aufgabe der Dachkonstruktion - und einer breiten Treppe, die von der Brückenebene auf die Straßenebene hinabführt. Die Aufgabe des Ingenieurs, also meine Aufgabe war also, eine besondere Konstruktion für dieses lange Dach zu finden. Das Dach ist 90 m lang und 24 m breit. Es überbrückt die Gleise mit 60 m Spannweite und kragt zur Messe hin noch 30 m weit aus. Eine Serie paralleler Fachwerk-Träger würde die Arbeit natürlich leisten: Sie würde aber eher die Atmosphäre einer Industriehalle produzieren, als auf das Fantasie-Feuerwerk einer Weltausstellung oder einer großen Messe einzustimmen. Die Konstruktion dieses Daches bestimmt aber unwillkürlich die Architektur des großen Raumes fast allein. Die Lösung, die dem Anspruch an Neuheit, Fantasie und an technischer Qualität zugleich am besten genügte, war diese Konstruktion: Bild 2 Von der Messe kommend betritt man die Halle auf Straßenebene und über breite Treppen die Brückenebene und sieht in diesem Augenblick fast nur das Dach und seine Stützung. Ich sage, wie Wirbelsäulen großer Fische, von denen die Gräten sich zum Dach ausstrecken: zwei parallele Figuren, man könnte sie Faltwerke aus Fachwerkflächen nennen. Auch der Laie sieht, keine Mindestlösung, nicht nur nötiges Tragwerk. Jede der beiden Figuren beginnt mit einem einzigen Gurt unten und verzweigt sich nach oben hin in 2 Stufen, erst zu 2, dann zu 5 Gurten unter der Dachhaut. 2 Untergurte genügen für 9 Längsgurte oben. Rohr-Durchmesser zwischen 80 und 240 mm bei einer Spannweite des Tragwerks von 60 m und einer Auskragung von 30 m. Die Obergurte liegen im Abstand von je 3 m, leicht von beliebigen „Dachhäuten“ zu überspannen. In Querrichtung erzeugt das Tragwerk sichtbar eine Art von 3-Schiffigkeit. Die Stäbe bilden im Mittelschiff optisch eine Art Gewölbe, mit dem höchsten Punkt in der Brückenachse. Die Faltwerke lassen trotz ihrer Konstruktionshöhe von 6 m die Halle in voller Höhe und Breite erleben. Sie tragen außen die Fassaden wie an ausgestreckten Armen, sie „halten sie sich vom Leib“ und sind so optisch keine Konkurrenz zu ihnen. Diese Konstruktion hat weitere Vorteile. Das Modell zeigt die Konstruktion in der schönsten Phase, im Bauzustand ohne die Fassaden. Die Faltwerke können ohne Nachteil in Stufen enden: erst enden die 2 Untergurte, dann die 4 Mittelgurte, zuletzt kragen nur noch die 9 Obergurte mit der Dachhaut aus. 3 Details vollenden die Figur auf besondere Weise: Bild 3 Detail einer Stützung 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 293 Die dritte Dimension wird essenziell 2.1 Die Stützung des Auflagers für vertikale und horizontale Lasten besteht aus einer Pyramide aus 4 Stäben. Sie steht auf einer massigen 4-beinigen Bock-Konstruktion aus Stahlbeton, günstig für den Brandfall. Sie stützt die Träger an 4 Knoten der mittleren Ebene, so dass der Untergurt frei schwebend zwischen ihnen durchläuft. In Querrichtung bildet dieses System von selbst einen 3-Gelenk-Rahmen, ohne weitere Stäbe. Der Knoten im Anschluss oben ist ein Stahl-Guss-Teil. So kann die dickere Stütze ganz organisch mit dem Durchmesser der schlanken Rohre des Fachwerks enden und anschließen. Anschluss unten nach dem gleichen Prinzip, endend auf einer Stahlwalze. Die Stützen selbst sind Rohre. 2.2 Bei dem in Längsrichtung einwertigen Auflager auf der Seite des Ortes sind die Stützen zum Brandschutz Verbundkonstruktionen, mit bewehrtem Beton gefüllte Rohre bis hinunter auf die Walze des Auflagers. Das Auflager ist mit Sorgfalt für die Sicht und den Gebrauch von Nahem gestaltet: Der Auflagerquader hat genau die Höhe einer Sitzbank. 3. Das zweite Bauwerk ist eine Brücke Bild 4 Die Brücke von Osten Brücke über den Mittellandkanal in Hannover. Spannweite 60 m, schwerste Lasten-Klasse. Das System Stabbogen war ebenfalls vorgegeben. Wegen des nahen Wohngebiets musste die Straße davor und auf der Brücke selbst durch Lärmschutzwände eingezäunt werden. Diese eigentlich lästige Bedingung machte ich zu einer nützlichen Bedingung, indem ich einen Teil der Lärmschutzwand zu einem Teil des Versteifungsträgers machte. Das ließ uns die Menge der Aufhängungen auf 3 verringern und führte fast zwingend zu dieser neuen Form. Die polygonale Druckzone oben wird dabei in der Stützlinie für symmetrische gleichförmige Lasten gewählt. Die dreieckige Form der Figur spiegelt die Wirkung einseitiger Lasten, die unausweichlich Biegemomente erzeugen - anschaulich darstellbar, indem Lasten auf einer Hälfte der Brücke nach dem Prinzip der Lastaufteilung in symmetrische und antimetrische Anteile aufgeteilt werden. Diese Biegemomente machen sogenannte Versteifungsträger notwendig. An der Aufnahme dieser Biegemomente beteiligt sich nun sehr günstig auch der Polygonzug. Er spiegelt das Bild der Biegemomente in Folge der 3 Einzellasten. Die große Höhe in den Viertelspunkten der Spannweite macht sehr logisch an dieser Stelle quer aussteifende Rahmen möglich. So kommt eine sehr anziehende Skulptur in 3 Dimensionen zustande. Durch die großen Flächen in der Höhe entsteht eine Wirkung wie von gestalteten Räumen auf der Brücke. Im Verlauf der Planung entstand aber noch eine 2. Besonderheit in der 3. Dimension, quer zur Haupttragrichtung: Die Teile der Brücke, die Fußgängerwege und Radwege enthalten, wurden vom Straßenteil der Brücke gelöst, ausgeschwenkt und als Fußgängerbrücken gestaltet. Das hat mehrere Vorteile: Die sonst meist finstere Unterseite der Brücke wird in Teile aufgelöst und lässt durch die Öffnungen Sonne auf den Weg darunter strahlen. Der Weg für Fußgänger wird höher als die Straße gelegt und dadurch noch weiter aus dem Staub und Lärm der Straße gerückt. Kinder können Schiffe, die auf dem Kanal unter der Brücke hindurch fahren, auf beiden Seiten beobachten und tun das auch. Und die Eltern müssen keine Sorge haben, dass die Kinder auf die Straße klettern. Diese Leidenschaft für die 3. Dimension setzt sich im Detail fort. Ich zeige heute nur 3: den Hauptträger des Polygonzugs im Querschnitt, die Aufhängung der Fußgängerbrücke, die ja durch die Lücke möglich wird, mit ihren Auswirkungen bis in die Geländer außen, und einen Ausschnitt aus der Gestaltung der Widerlager. Sie zeigen, wie auch im Einzelnen die Ausdehnung der Gestaltung in die dritte Dimension die Qualität steigert, technisch, ästhetisch und für den Gebrauch. 3.1 Ein 1. Detail: Querschnitt des Polygonzugs oder „Bogens“. Er vollendet die Figur auf besondere Weise. Er ist oben breit - denn, wie gesagt, die Stützlinie und also Druckzone für Eigenlast und gleichmäßig verteilte Last liegt dort - von unten gesehen schmal, nur 24 cm oder eine Handspanne breit, Der Flansch oben ist quer geneigt, damit Regen schnell abläuft und er steht weit über, damit ablaufender Landregen nicht am Steg entlangläuft. Unten steht der Steg über, so dass die Schweißnähte im Regenschatten liegen und am Steg hinablaufendes Wasser abtropft. Mit äußerster Sorgfalt sind der Anschluss der Hänger und des Rahmens in Querrichtung gestaltet und ausgeführt, Alles unter schiefen Winkeln, denn die Brücke ist auch im Grundriss schief, so dass der Querrahmen unter schiefem Winkel anschließt. Bewundernswert ausgeführt von der Stahlbaufirma. 294 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 Die dritte Dimension wird essenziell 3.2 Ein 2. Detail: Anschluss der Aufhängung für die Fußgängerbrücke Bild 5 Wieder ein auch zum Ansehen individuell gestalteter Knoten. Er macht die nicht parallele Führung der aufhängenden Stäbe möglich. Das Geländer betont diesen Ort: es ist an dieser Stelle aus Glas. Und auch gegenüber am äußeren Rand der Brücke ist das Geländer an dieser Stelle aus Glas. Denn das ist eine besondere Stelle. Hier liegen auch die aus der Brücke auskragenden Querträger, die die Fußgänger-Stege tragen. Ein sehr schöner Neben-Effekt ist: das Glas spiegelt das Wasser und wirkt dadurch wie lebendig, denn die Geländer sind nach außen geneigt. Außerdem gliedern diese unterbrechenden Glasflächen die große, sonst eintönige Länge der Geländer. Nur zur Vollständigkeit: das Bocksystem aus dem Profil zur Aufhängung der Fahrbahn, dem Stäbepaar, das die Fußgängerbrücken aufhängt und dem Querträger, der die Fußgängerbrücke trägt, hätte auch allein zur Aussteifung in Querrichtung genügt. Aber den Entscheidenden gefiel die ungewöhnliche räumliche Wirkung der Konstruktion so wie sie nun ausgeführt ist. 3.3 Eine 3. Einzelheit: Das Widerlager und die Gestaltung der Böschung in Einheit mit ihm. Die Widerlager sind Stahlbeton-Körper, aber nicht einfach massige Klötze, sondern auf besondere Weise gegliedert: Die Schalung treppt von oben nach unten in horizontalen Stufen um Brettdicke ab. So wird selbst eine schlichte große graue Fläche lebendig. Wegen der großen Breite des Körpers schlug ich eine vertikale Bewegungsfuge in der Mitte vor und gestaltete sie als Relief. Auch das wieder in der dritten Dimension, allein mit den Brettern der Schalung zu machen. Nicht technisch notwendig, sondern allein zur Freude der Vorbeigehenden, als „Blickfang“ - für meine Augen eben so notwendig. Als für den Gebrauch schönster Gedanke entpuppte sich der Vorschlag, die Stufung der Betonkonstruktion in einer Stufung der Böschung auf den Westseiten der Widerlager fortzusetzen und so eine Pyramide von Sitzstufen zu schaffen. Nun kann man dort an schönen Tagen ganze Familien in der Abendsonne sitzen sehen. Nicht planmäßig ausgeführt ist der Anschluss dieser Stufen an die Ebene der Brücke. Statt auf Brückenebene beginnen die Stufen tiefer. Das Geländer trennt die Brücke zusätzlich von den Stufen. Das Modell zeigt, wie es eigentlich gedacht war: Der Gehweg schwenkt aus auf die oberste Sitzebene, das Geländer der Brücke endet ein Stück davor, denn bei weniger als 1 m Absturzhöhe brauche ich laut Bauordnung kein Geländer. Leider hatten wir auf die Ausführung keinen Einfluss und so wurde eine Sparversion gebaut. Heute sind die Widerlager noch eigenwilliger, noch üppiger mit Details geschmückt: Wilde Malerei nach Street-Art! 4. Als Ausblick zeige ich 2 Möglichkeiten, das bisher Gezeigte noch zu steigern. 4.1 Zu der Brückenkonstruktion mit den vollwandigen „Bögen“ gäbe es eine schöne, noch expressiver räumliche Alternative, wenn ich die Bögen in Stäbe auflöse und das in allen 3 Dimensionen: Bild 6 Modell Die Druckstäbe in den beiden Hauptebenen aus Rohren, die Zugstäbe in der 3. Dimension aus Rundstählen, vor- 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Mai 2022 295 Die dritte Dimension wird essenziell gespannt. Auch hier mit statisch als Versteifungsträger mitwirkender Lärmschutzwand und deswegen die Brücken-Ebene nur an 3 Stellen aufgehängt im Polygonzug. Diese Fassung würde ich gern noch gebaut erleben. Eine letzte Sorge gilt der Unterseite der Brücken. Sehr oft sind sie von den Wegen darunter wenig ansehnlich, Atmosphäre von finsterem Hinterhof, unfähig das helle Wasser zu spiegeln, meist auch ein Bündel unansehnlicher Rohre, die überführt werden. Das mag außerhalb bewohnter Gebiete egal sein, in Städten, in denen Wege am Ufer auch unter der Brücke entlanglaufen und in Parks und Landschaften, wo die Brücke über Wanderwege führt, ist das eine empfindliche Störung. 4.2 Ein Modell für weitgespannte, über mehr als zwei Felder durchlaufende Brücken, bei denen die tragende Konstruktion vollständig unterhalb der Fahrbahn liegt. Bild 7 Modell der Unterseite einer über mehr als 2 Felder durchlaufenden Brücke Mein Vorschlag ist ein besonders gestalteter Hohlkasten. Diese Querschnitte haben ihre größte Tragfähigkeit im Feld, wo die breite Fahrbahnplatte Druckzone ist. Sie haben aber ihre größten Beanspruchungen über den Stützungen, wo die Hohlkästen allein die Druckkräfte aus Biegemomenten zusammen mit maximaler Querkraft aufzunehmen haben. Das führt unausweichlich zur Notwendigkeit, den Querschnitt des Hohlkastens über den Stützungen zu verstärken. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten, die Sie kennen. Mein Vorschlag ist eine Verstärkung, die zugleich den Brückenkörper selbst zu einer neuen, von weitem und von Nahem interessanten Form macht: Erweitern des Querschnitts im Feld durch Vouten in der Form von Pyramiden. Die Pyramiden haben dreieckigen Querschnitt, den größten über der Stützung, die Spitze im Feld, zum Beispiel in den Viertelspunkten der Spannweite. Die Spitze kann sowohl oben wie unten am Brückenkörper liegen. Die lebendigere Unterseite der Brücke entsteht, wenn sie oben liegt, die größere Tragfähigkeit entsteht bei unten liegender Spitze. Beides natürlich am schönsten, wenn der Rand des Hohlkastens am Brückenrand liegt. Bei breiten Brücken wiederholt sich der Querschnitt, wie das Modell hier sehen lässt. Das hat den großen Vorteil, dass sie aus 2 Teilen und zu verschiedenen Zeiten hergestellt werden können - und zu einer dritten Zeit sogar aus einander geschoben und in der Mitte durch eine weitere Spur erweitert werden können. Denn jeder der beiden Hohlkästen ist torsionssteif. 5. Ergebnis Ich hoffe, es ist deutlich genug geworden: Konstruktionen, die von vielen erlebt werden, wie Brücken in der Stadt und Hallen in gleichem Umfeld, sind nicht nur nützliche Hüllen oder Geräte. Sie sind unwillkürlich Teil der Architektur eines Stadtteils. Sie sind in diesem Sinne brauchbar, wenn sie bei jedem Sehen und Erleben frisch wie einst neu wirken. Sie sind brauchbar, wenn sie als individuell gestaltete Konstruktionen wahrgenommen werden, mit den Mitteln der Zeit und auf einleuchtende Weise. Hier zeigt sich, welche Steigerung der Qualität als technische Lösung der Aufgabe, als Architektur und für den Gebrauch möglich ist, wenn die dritte Dimension mit gleichem Gewicht in Entwurf und die Ausführung im Detail eingeführt wird, auch wenn die Haupttragwirkung der Konstruktion notwendig einachsig ist.