Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
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Drei Hallen für die Forschung – Das Unterwasser-Technikum der Leibniz-Universität Hannover
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Bernhard Tokarz
Das Unterwasser-Technikum ist ein außergewöhnlicher Industriebau. Das Institut für Werkstoffkunde der Leibniz-Universität Hannover brauchte für sein Forschungsgebiet „Arbeiten unter Wasser“ 3 neue Hallen verschiedener Größe. „Arbeiten unter Wasser“ ist wichtig für die Herstellung der großen Bohrinseln und Windkraftanlagen im Meer, aber auch für das risikoarme Zerlegen von Bauteilen aus Atomkraftwerken. Das Bauwerk ist das erste an einem neuen Standort der Universität. Da sollte so ein Gebäude eine Botschaft senden: Ein Bild ungewöhnlicher, eindrucksvoller Technik. Es sollte etwas Noch-Nicht-Gesehenes sein, wie die Ergebnisse der erwarteten Forschung. Die Aufgabe war also, die 3 Hallen verschiedener Größe äußerlich zu einem einheitlichen eindrucksvollen Gebilde zu machen. Gewählt wurde mit starken Gründen die Alternative mit Tragwerk außerhalb der Gebäudehüllen. Dargestellt wird das besondere System des Ganzen und die außergewöhnlichen, besonders sorgfältig gestalteten Details. Im Einzelnen beschrieben wird auch die thermische Trennung der günstig gewählten Durchstoßpunkte der Konstruktion von innen nach außen.
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2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 37 Drei Hallen für die Forschung - Das Unterwasser-Technikum der Leibniz-Universität Hannover Prof. Dipl.-Ing. Bernhard Tokarz Ingenieurgruppe Tokarz Frerichs Leipold, Hannover Zusammenfassung Das Unterwasser-Technikum ist ein außergewöhnlicher Industriebau. Das Institut für Werkstoffkunde der Leibniz-Universität Hannover brauchte für sein Forschungsgebiet „Arbeiten unter Wasser“ 3 neue Hallen verschiedener Größe. „Arbeiten unter Wasser“ ist wichtig für die Herstellung der großen Bohrinseln und Windkraftanlagen im Meer, aber auch für das risikoarme Zerlegen von Bauteilen aus Atomkraftwerken. Das Bauwerk ist das erste an einem neuen Standort der Universität. Da sollte so ein Gebäude eine Botschaft senden: Ein Bild ungewöhnlicher, eindrucksvoller Technik. Es sollte etwas Noch-Nicht-Gesehenes sein, wie die Ergebnisse der erwarteten Forschung. Die Aufgabe war also, die 3 Hallen verschiedener Größe äußerlich zu einem einheitlichen eindrucksvollen Gebilde zu machen. Gewählt wurde mit starken Gründen die Alternative mit Tragwerk außerhalb der Gebäudehüllen. Dargestellt wird das besondere System des Ganzen und die außergewöhnlichen, besonders sorgfältig gestalteten Details. Im Einzelnen beschrieben wird auch die thermische Trennung der günstig gewählten Durchstoßpunkte der Konstruktion von innen nach außen. 1. Einführung Jeder Gegenstand des täglichen Gebrauchs müsste über seine Nützlichkeit hinaus für sich allein Wert haben - anzusehen, anzufassen … auch Brücken, auch Industriebauten. Sie sind ja tägliches Umfeld für viele. Sie müssen dazu Eigenschaften haben, die nicht durch die Nützlichkeit allein erklärbar sind. Vollkommene Technik ist ihre notwendige und nützliche Qualität. Sichtbar gestaltet ist in meinen Augen notwendige Qualität für die, die damit leben. Der folgende Bericht soll beides erkennen lassen. Der entscheidende Unterschied ist manchmal leichter zu sehen als mit Worten zu beschreiben. Abb. 1: Das Bauwerk von Süden gesehen Das Bauwerk sieht von weitem aus wie ein großes Gerät, ein großes Gerät aus dem Industriebau. Und eigentlich ist es auch so etwas: Das sogenannte Unterwasser-Technikum der Leibniz Universität Hannover. Hier wird erforscht, welche Möglichkeiten es gibt, unter Wasser zu arbeiten und wie das am günstigsten geschieht. Das ist wichtig für die Herstellung der großen Bohrinseln im Meer, aber auch für das Zerlegen von nicht mehr benötigten Bauteilen aus Atomkraftwerken. Sie können anscheinend unter Wasser mit sehr viel geringerem Risiko bearbeitet werden. 2. Die Aufgabe Die Besonderheit dieses Bauwerks und der Hauptgrund, dass eine so auffällige Form gewählt wurde, ist: Das Bauwerk ist das erste an einem neuen Standort der Universität. Die Universität Hannover liegt ganz nahe dem “Großen Garten”, dem berühmten Barockgarten in Hannover Herrenhausen. Das für die Universität zur Verfügung stehende Gelände erlaubt keine nennenswerte Erweiterung mehr, also wurde ein neuer Ort gesucht und am Rande der Stadt gefunden. Das neue Gebäude sollte also den neuen Ort zu etwas Besonderem machen, es sollte ihn anziehend machen für künftige Mitarbeiter künftiger neuer Einrichtungen der Universität. Das ist anscheinend so gut gelungen, dass die Stadt Garbsen, in deren Gemarkung das neue Gebäude liegt, inzwischen das Bauwerk als Bild außen auf ihrer Stadtkarte zeigt. Sozusagen als Symbol für die Stadt und ihre Zukunftserwartungen. Und schließlich war die Anziehungskraft des Ortes und des Bauwerks selbst wichtig für das Institut. Das Institut verdient sein Geld großenteils mit Drittmittel-Forschung. Da sollte so ein Gebäude eine Botschaft senden: Ein Bild ungewöhnlicher, eindrucksvoller Technik. Es sollte etwas Noch-Nicht-Gesehenes sein, wie die Ergebnisse der erwarteten Forschung. Noch nicht gesehen aber sichtbar sinnvoll. Der Leiter dieser Abteilung des Instituts sagt, das Bauwerk hat uns viele interessante Kontakte und gute Aufträge gebracht. 38 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Drei Hallen für die Forschung - Das Unterwasser-Technikum der Leibniz-Universität Hannover 3. Ein beherrschender Gedanke Kern des Programmes waren drei Hallen, die größte 15-m breit und 17 m hoch, also mehr als fünf Normalgeschosse hoch. Neben den 3 Hallen gehört ein Institutsgebäude mit den Schreibtisch-Arbeitsplätzen zum Ensemble - und eine Reihe hoher Bäume. Die Aufgabe, die sich der entwerfende Architekt, Klaus Heinzel, im Staatshochbauamt I, und ich stellten, war, die drei Hallen als ein einziges Bauwerk erscheinen zu lassen. Das hieß unter diesen Umständen, sie zu verbinden, ohne zu verbergen, dass es eigentlich drei und von der Nutzung drei verschiedene sind. Dafür gibt es erstaunlich viele geeignete Möglichkeiten. Nur am Rande: Das Kostbarste, was man am Beginn eines Planungsprozesses haben kann, ist ein Team, von dem man weiß, dass es hervorragend zusammenstimmt. Das war hier in ungewöhnlichem Maße der Fall. Die Stahlbaufirma Rüterbau reihte sich später ein. 4. Der Baukörper in Alternativen Ich zeige vier in der engeren Wahl: Bilder der Modelle der ersten Versuche zeigen ein Pultdach als eine Art Klammer über den drei Körpern. Bei einer Gliederung des Körpers in 5 je 10 m breite Zonen nimmt der Teil mit schrägem Dach die 3 mittleren Zonen ein. Jede andere Teilung wäre möglich gewesen. Es minimiert zugleich die Flachdachzonen, die ja immer mühsamer zu unterhalten sind als geneigte Dächer. Natürliches Licht kommt durch Fensterflächen in vertikalen Flächen, die die schräge Zone abschließen oder in den Stufen zwischen den Hallen. Die weitere Entwicklung zeigt, dass das übergreifende Element benutzt wird, zusätzlich natürliches Licht über Dachfenster in der schrägen Fläche hereinzuholen. Das ist günstig vor allem bei schwachen Lichtverhältnissen im Winter. Licht aus dem Zenit hat die größte Intensität. Und schließlich Belichtung über eine nach Norden gerichtete Folge von Sheds. Das erprobte Prinzip im Industriebau: natürliches Licht nach Belieben bei gleichzeitig minimalem Wärmeintrag. Sie liegen, wie das Modell zeigt, nicht die gegebenen Stufen der Dachflächen nutzend, denn wir konnten weder die Lage der Hallen noch die Himmelsrichtung ändern. Dies ist für mich die anziehendste Form des Baukörpers, allerdings auch die mit dem größten Volumen des Innenraums. Die Architekten entschieden sich für die Lösung auf der entgegengesetzten Seite der Scala: die überwiegend außen liegende Konstruktion. Ein Grund war die Minimierung des umbauten Raumes, denn Kosten werden in diesem frühen Stadium nach den m 3 umbauten Raumes ermittelt und da war eine Lösung von Vorteil, die den Innenraum klein hielt, und damit die Aussicht steigerte, das Vorhaben finanziert zu bekommen. Die außen liegende Konstruktion ermöglicht zugleich Innenräume mit minimalen Betriebskosten. Ein dritter Grund war das demonstrativ Technische einer schlüssigen, außen liegenden Konstruktion. Sie sagte auch dem Bauherrn-Institut besonders zu. Abb. 2: Ansicht der gewählten Lösung, Nordseite So kommt es zu der arte povera der reinen drei Körper, verbunden durch das außen liegende Tragwerk, dessen Keil-Umriss das Pultdach noch ahnen lässt. Es hat ein vergleichsweise minimales Volumen. Das war eine Art Abstraktionsvorgang, der mich heute an eine Sequenz von Radierungen von Picasso erinnert: Metamorphose eines Stieres. Alternativen mit größtem und mit kleinstem Volumen. Ich hatte zuerst, ich gebe es offen zu, wenig Sympathie für das außen liegende Tragwerk. Ich habe oft genug gespottet über die Exhibitionisten, die wider alle Vernunft die Dachhaut hundertmal durchdringen und hundert potentielle Regeneinläufe und Wärmebrücken schaffen. Der äußere Umriss bei der Shed-Lösung wäre der gleiche, aber die Konstruktion läge ganz im Trockenen und die natürliche Belichtung über das Dach und von Norden ist sowieso unübertrefflich. Abb. 3: Blick auf die Südseite Heute würde man wahrscheinlich die großen Fenster auf die Nordseite legen und sich im Süden mit schmalen Fensterschlitzen begnügen, die nicht mehr als einen schmalen Sonnenstreifen im Laufe eines Tages über den Boden wandern lassen. 5. Das Prinzip der Konstruktion Meine Aufgabe war nun, ein Konstruktionsprinzip zu finden, das die Nachteile der außen liegenden Konstruktion minimiert und die Vorteile herausarbeitet. Das heißt: möglichst wenig Durchstoßpunkte durch die Dachhaut; diese an Firsten, oder mindestens an Stellen, wo das Wasser abfließt; also auch die als Flachdach erscheinenden Dächer mit First oder Gefälle für ablaufenden Regen zu 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 39 Drei Hallen für die Forschung - Das Unterwasser-Technikum der Leibniz-Universität Hannover konstruieren; alle Übergänge aus dem Warmen ins Kalte sorgfältig thermisch trennend zu konstruieren. (Ich habe auf meinen Exkursionen nicht wenige sogenannte Hightech-Bauten gesehen, bei denen sich die Nutzer bitter beklagten über die tropfenden Dächer, im Sommer vom Regen, im Winter auch von schmelzendem Eis innen und von Schwitzwasser.) 6. Die Konstruktion im Einzelnen Sie betont die Höhenstufung der drei Hallen durch das übergeordnete System der „vielfüßigen Bockreihe“. Ein einzelnes solches Bocksystem besteht aus 4 vertikalen Stützen und dem ihre Köpfe mit einem Widerlager verbindenden schrägen Stab. Es wiederholt sich in Hallenlängsrichtung im Abstand von 10 m. Es nimmt auf besonders günstige Weise vertikale und horizontale Lasten überwiegend durch reine Längskräfte auf. Das Sekundärsystem sind Unterspannungen des schrägen Stabes über jedem Hallendach. Sie hängen zugleich die Dächer in der Mitte auf. Über diesen Stellen, den Hallenlängsachsen, sind alle schrägen Stäbe gegen Ausknicken in Querrichtung durch einen horizontalen Stab miteinander verbunden und an beiden Enden über den Giebeln durch eine horizontale Umspannung als horizontales Fachwerk gegen seitliches Ausknicken gehalten. Alle außenliegenden Stahlkonstruktionsteile sind von den innen liegenden sorgfältig thermisch getrennt. Hierfür wurden besonders günstige Details entwickelt. Sie werden am Ende díeses Berichts genau gezeigt. Das System für vertikale Lasten: Die Dächer werden in der Mitte ihrer Spannweite aufgehängt. Dadurch verringert sich die Konstruktionshöhe der innen liegenden Dachträger auf weniger als die Hälfte. Diese Auf hängung ist der einzige Punkt, an dem die Dachhaut durchdrungen wird. Er liegt, wie gesagt, am First, der Stelle, an der kein Regenwasser stehen bleibt. Die Dachträger sind an allen Außenseiten des Baukörpers durch Rohrstützen vor den Fassaden gestützt. Sie durchdringen dafür die Fassade, natürlich thermisch unterbrochen. Die Aufnahme der horizontalen Kräfte auf das Bauwerk geschieht in Gebäudequerrichtung durch die als eine Folge von Böcken wirkende Konstruktion. Der schräge Stab läuft im Garten zwischen den Hallen und dem Institutsgebäude dicht über dem Boden und oberhalb der Spritzwasserzone in einen Widerlagerkörper aus Stahlbeton. Abb. 4: Süd- und Ostseite des Bauwerks In Gebäudelängsrichtung geschieht die Aufnahme der horizontalen Kräfte durch Verbände zwischen je zwei Stützen und horizontalen rohrförmigen Stäben. Der oberste horizontale Stab des Verbands liegt deutlich unterhalb des Knotens am Kopf nach dem Prinzip möglichster Entflechtung der Knoten. 7. Zur Ausbildung und Gestaltung der Details: Die Ausbildung und Gestaltung der Details wurde nicht der Stahlbaufirma überlassen, wie das sonst häufig der Fall ist. Sie könnte das natürlich den anzuschließenden Kräften gemäß. Aber hier geht es in besonderem Maße um Gestaltung. Warum ist die Gestaltung der Details so wichtig? Es ist nicht genug, eine einleuchtende Gestalt für das Tragwerk als Ganzes zu finden. Die Anziehungskraft eines Bauwerks ist vor allem seine Wirkung aus der Nähe. Es ist wie beim Gesicht: Jede Einzelheit spielt eine Rolle. Deswegen ist die individuelle Gestaltung der Konstruktion im Detail die 2. notwendige Leistung für ein vollendetes Werk. Sie produziert die „Atmosphäre“ eines Bauwerks. „Konstruktives Entwerfen“ ist der Weg dahin. Das Gestalten endet erst bei dem letzten sichtbaren Detail. Die Ausbildung der Details entscheidet über die Qualität einer Konstruktion in jeder Hinsicht. Die Knoten sind ganz rational und zugleich als individuelle plastische Form entworfen. Sie zeigen betont anschaulich, auf welche Weise die hohen Kräfte übertragen werden. Für die Gestaltung der Details spielten zwei Prinzipien eine besondere Rolle: ein technisches und ein ästhetisches. Das technische Prinzip: Anschlüsse von dünnen Stäben an Rohre werden besonders günstig, wenn sie ihre Kräfte nicht radial, sondern tangential in die Wandungen des Rohres einleiten. Denn die dünnen Rohrwandungen werden durch radial wirkende Kräfte ungünstig quer zu ihrer Ebene auf Biegung, durch tangential wirkende günstig in ihrer Ebene membran-ähnlich beansprucht. Die Bilderfolge ungünstig - günstig - abstrakt und als Konstruktion zeigt den Unterschied. Dieses antike Gefäß ist ein schönes Beispiel: Seine Henkel leiten ihre Kräfte überwiegend „tangential“ in das Gefäß, oben in die Wandung des Gefäßes, unten-- sozusagen in die Kante eines Faltwerks eine Komponente der schräg angreifenden Kraft ebenfalls in die Wandung, die zweite, die horizontale Komponente fließt in den Boden des Gefäßes. Deswegen enden die Stäbe in Knotenblechen, die die Rohre umarmen und so die Kräfte auf günstigste Weise tangential in die Wandungen der Rohre einleiten. Das ästhetische Prinzip war: Diese Knoten nun nicht so auszubilden, dass das technische Prinzip gerade so erfüllt würde, sondern ausdrucksvoller anschaulich betonend, was hier Besonderes vor sich geht, so wie in romanischen Skulpturen die wichtigen Personen größer dargestellt wurden als die übrigen. Es ist ja nur ein sehr kleiner Teil der Stahlmenge, 40 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Drei Hallen für die Forschung - Das Unterwasser-Technikum der Leibniz-Universität Hannover der hier zur Diskussion steht und es spielt für den Preis keine nennenswerte Rolle, ob hier etwas mehr oder weniger Material verwendet wird. Dagegen spielt es für die Qualität der Konstruktion eine große Rolle. Und erst recht für das, was ich die Kraft des Ausdrucks nennen möchte, dieses suggestive Deutlich-machen eines Zustandes, hier eines Kräftezustandes, wie wir es ja auch bei alten Bauten bewundern, wenn die Säule sich am Kopf zu einer über die Notwendigkeit hinaus breiten Fläche ausdehnt, auf der der Bogen oder der Architrav aufsetzt, als hätte die Last sie breit getreten. Jeder hat es schon erlebt: Wenn ich wahrnehme, dass etwas sichtbar über die reine Nützlichkeit hinaus gestaltet ist, so ist das eine Freude, wie wenn mir ein eigentlich fremdes Gesicht im Vorbeigehen zulächelt. Deswegen die höchst logische Regel: äußerste Ökonomie bei der Wahl des Systems und der Profile, aber großzügige, betonende, kräftige, bildhaft anschauliche Gestaltung beim Detail des Knotens. Knoten sollten sein wie Knospen, „organisch“, wie gewachsen, wie sich Blätter am Ast entfalten - nicht wie ein zufälliger Zusammenstoß von zwei verschiedenen Konstruktionselementen. Das Detail der Verbindung Stütze-Druckstab-Unterspannung stellt die Aufgaben: Rohr an Rohr in bis zu 26-m Höhe mit Montagestoß anzuschließen und dünne Zugstäbe an dicke Rohre anzuschließen. Das sogar in zwei Ebenen bei der räumlichen Umspannung der äußeren Binder, die zugleich in der Querrichtung die horizontale Stützung aller Druckgurte des Bocksystems leisten. Abb. 5: Detail Knoten Stütze-Druckstab-Unterspannung Wichtige Eigenschaft solcher Details ist auch, günstig für die Montage auf der Baustelle zu sein. So kann der schräge Stab mit seinen Knotenteilen auf die Stützenköpfe einfach in Schlitze aufgesteckt werden. Für das Anschweißen in bis zu 26 m Höhe ist keine weitere Festhaltung mehr notwendig. Der Anschluss der Zugstäbe wird nachstellbar eingerichtet. Die Stützen sind in Köcherfundamente eingespannt, so dass sie schon vor der Montage der Dachkonstruktion stabil stehen. Die Sorgfalt der Herstellung ist am schönsten aus der Nähe zu sehen an den zum Einbau bereit liegenden Bauteilen. Sie haben auf mich die Wirkung frei entworfener Skulpturen, ganz unabhängig von ihrem Zweck; auch von ganz nahem noch eine Freude zu sehen - wenn die Schweißnähte gut gezogen sind. Das ist dann wirklich nicht mehr gleichgültig. Wie da das Rohr zwischen den Blechen wie ein glatter Bauch hervorscheint: das sind Formen aus Geometrien, die man den einzelnen Elementen des Knotens gar nicht zugetraut hätte. Erst das Modell hat´s zum Vorschein gebracht. Skulptur im Kleinen: der Anschluss für nachstellbare Zugstäbe aus Röhrchen und Kreis-Ausschnitt des Knotenbleches. Der 2. besondere Knoten ist der Knoten am Längsverband außen und innen. Er sieht aus wie ein Mund. Die Bleche, die die Kräfte aus dem horizontalen Druckstab und den diagonalen Zugstäben in die Rohrstütze einleiten, sind ganze und halbe Kreisringe. Sie leiten die Kräfte auf günstigste Weise tangential in die Rohrwandungen ein. Zugleich betonen sie diesen für die Stabilität des Ganzen wichtigen Ort der Konstruktion. Der 3. besondere Knoten ist der Fuß der Stütze im Bauzustand. Abb. 6: Detail Knoten des Verbandes auf der Ostseite Kühle Vernunft im Einzelnen findet zu einer - für mein Auge - vollkommenen plastischen Form. Das ist mehr 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 41 Drei Hallen für die Forschung - Das Unterwasser-Technikum der Leibniz-Universität Hannover als nackte Nützlichkeit. Die Stütze ist ein dünnwandiges Rohr. Sie wird in das Köcher-Fundament eingespannt. Dann steht sie schon im ersten Bauzustand allein stabil. Das Fundament ist natürlich aus Stahlbeton. Die den Fuß der Stütze umschließenden Blechteile leiten die vertikalen, die horizontalen Lasten der Stütze und das horizontale Kräftepaar aus dem Einspann-Moment in das Fundament. Sie liegen deswegen mit möglichst großem Hebelarm nahe der Oberkante und der Unterkante des Fundaments. Die runden Löcher sind notwendig, damit sich beim Füllen der Fundamenthülse unter dem Blech keine Luftblase bilden kann, die den kraftschlüssigen Kontakt von Beton und Stahl stört. Der 4. besondere Knoten ist der thermisch getrennte Stoß der Stützen innen zwischen den Hallen. Dieser Stoß ist als Form gleichgültig, dagegen als technisches Detail besonders wichtig und interessant. Ich beschreibe ihn im letzten Teil des Vortrags. Gestaltung aber auch im Kleinsten, zum Beispiel: Knoten eines „Windverbandes“, eines Verbandes zur Aufnahme horizontaler Kräfte an der Stelle, an der sich die 2 Diagonalen kreuzen. Der Knoten wird offensichtlich dadurch sichtbar gestaltet, dass die Arme des Knotenblechs breiter als notwendig gewählt werden und, technisch günstig, mit ausgerundeten Übergängen verbunden sind. Das technisch Notwendige wird durch eine kleine Geste ästhetisch „überhöht“ und dadurch eigentlich erst deutlich sichtbar. Ein zweiter Knoten, Knoten eines Verbandes an anderer Stelle, die Kreuzung von 2 Rundstählen. Hier ist es der Stern der 4 Gewindehülsen zum Nachspannen der schlanken Zugstäbe, der dem Knoten ein Gesicht von besonderer Gestaltung gibt. Die Gewindehülsen haben die Form und Farbe von Fischen, sie füllen den Knoten mit der Lebendigkeit natürlicher Geschöpfe. Ein besonderes Detail ist die Konstruktion, die innen die Kranbahn trägt. Die Kranbahn läuft mit beträchtlichem Abstand innerhalb der Stützenreihen auf einer aus den Stützen auskragenden Konstruktion. Die Auskragung zur anderen Seite trägt die Fassade der höheren Nachbarhalle oberhalb des Daches. Diese notwendige technische Einrichtung wird allein durch eine freie Form der großen Knotenbleche fast schon zu so etwas wie einem Kunstobjekt, das Aufmerksamkeit weckt für den, der Augen hat zu sehen, das Modell zeigt es schon. Die Knotenbleche geben der Konstruktion eine Spur von Individualität. Mit den heutigen technischen Mitteln sind so geformte Knotenbleche genau so einfach herstellbar wie rechteckige. Die Augenform der Bleche hat den technischen Vorteil, dass ich in beiden Richtungen verschiedene Anschlusslängen anbieten kann, für große und kleine Kräfte. Jede Betonung, ja Übertreibung ist gut, wenn sie die Verhältnisse anschaulich und zugleich technisch günstiger macht als die Mindest-Konstruktion. 8. Die thermisch trennenden Knoten Technisch und ökonomisch für sich allein gesehen ist eine tragende Konstruktion, besonders eine Stahlkonstruktion, am besten ganz innerhalb der wärmedämmenden Hülle untergebracht. Wenn ich die freie Wahl habe, würde ich eine Stahlkonstruktion immer innerhalb der wärmedämmenden Hülle unterbringen. Das ist technisch einfacher, ökonomisch für Herstellung und Unterhaltung günstiger und bei großen Sälen und Hallen meist eine innen willkommene architektonische Steigerung des Raumes, wenn sie gut gemacht ist. Es muss starke Gründe geben, die tragende Konstruktion außerhalb der Hülle, außerhalb der Fassade zu platzieren. Es gibt tatsächlich starke Gründe, die tragende Konstruktion in Teilen nach außen zu legen: Minimierung des Innenraums, den ich heizen und lüften muss, Minimierung der Hindernisse für die freie und veränderbare Nutzung des Innenraums, architektonische Steigerung der Außenansicht, besonders, wenn innen an die Architektur keine Ansprüche gestellt werden, wie bei einem Hochregallager oder bei automatischer Fertigung oder bei Lagerhallen überhaupt und natürlich zur Steigerung des ganzen Bauwerks, schon von weitem zu sehen und als eine Botschaft gedacht. Beim Unterwasser-Technikum ist die Konstruktion der thermischen Trennung von 2 Knoten besonders interessant: Unterbrechung und Stoß einer Stütze für Kräfte in Längs- und Querrichtung und Anschluss eines von innen kommenden Trägers an eine außen stehende Stütze. 8.1 Rohr-Stütze von innen nach außen durch die flach geneigte Dachhaut stoßend: Zwei kreisflächenförmige Bleche unterbrechen das Rohr der Stütze. Zwischen ihnen liegt ein Neoprene-Kissen oder Ähnliches und verbindet sie für vertikale Lasten druckfest miteinander. Horizontale Kräfte und Kräfte aus Torsion der Stütze - sofern überhaupt vorhanden - werden von der oberen auf die untere Scheibe auf einfachste Weise wie folgt übertragen: Das Bild zeigt den „Kopf“ des Teiles der Stütze, die aus dem darunter liegenden Innenraum kommt. Die Kopfplatte ähnelt mit ihren teilkreisförmigen Ausschnitten einem groben Kreissägeblatt. Sie hat einen Rand, der an 3 Stellen auf eine Länge von je etwa 1/ 6 ihres Umfanges mindestens 3 cm tief ausgeschnitten ist. An der oberen Scheibe ist ein Kreisring aufgeschweißt, so dass ein nach unten offener Topf entsteht. Dieser Topf wird auf das Neoprenekissen gestülpt und greift mit 3 Zähnen an seinem unteren Rand in die 3 Einschnitte am Rand der Scheibe unter dem Neoprenekissen ein. Horizontale Kräfte und horizontale Kräfte aus Torsion der Stütze werden von dem Topf allein an die kleinen radial liegenden Stirnflächen der teilkreisförmigen Ausschnitte der unteren Scheibe weitergegeben. Das sind die einzigen Kontaktflächen, an denen Stahl des kalten Stützenteils unmittelbar auf Stahl des warmen Stützenteils trifft. 42 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Drei Hallen für die Forschung - Das Unterwasser-Technikum der Leibniz-Universität Hannover Abb. 7: Thermische Trennung einer Rohrstütze 3 Schrauben, die die beiden Kreisscheiben verbinden, könnten Zugkräfte in Längsrichtung der Stütze aufnehmen, wenn sie aufträten. Sie dienen der Lagesicherung im Bauzustand. Zuletzt wird der ganze Knoten in Wärmedämmung dicht eingehüllt und mit einem Blechmantel umgeben. Innerhalb der Wärmedämmung treffen sich warme und kalte Bauteile. Die außen allein sichtbare Blechhaut umhüllt den Knoten regendicht. 8.2 Anschluss eines Trägers von innen an eine außen stehende Rohrstütze Die Träger, die innen die Hallendächer tragen, werden mit den außerhalb der Fassaden stehenden Stützen durch einen einzigen Bolzen gelenkig verbunden. Aus der Stütze kragen 2 vertikale und parallel zueinander liegende Bleche aus. Sie werden durch Schlitze der Stütze gesteckt und beiderseits mit der Rohrwand verschweißt. Zwischen die beiden vertikalen Bleche, die aus der Rohstütze auskragen, wird der Steg des Trägers geschoben und durch einen Bolzen mit ihnen verbunden. Die Zwischenräume zwischen den Blechen sind so groß gewählt, dass sie Platz für genügend dicke Neoprene- oder ähnliche Kissen bieten. Sie trennen thermisch die kalten Bleche der Stütze von dem warmen Steg des Trägers. Abb. 8: Thermische Trennung Anschluss Träger-Stütze Der einzige Kontakt Stahl auf Stahl geht über den Bolzen. Die vertikalen Lasten aus dem Träger und aus dem Moment infolge der kleinen Auskragung werden über schubbeanspruchte Schweißnähte auf beiden Seiten in die Rohrwand eingeleitet. Horizontale Kräfte werden durch einen das Rohr umfassenden breiten horizontalen Blech-Ring in Höhe des Bolzens günstig tangential in das Rohr geleitet. Der Knoten wird zuletzt in Wärmedämmung dicht eingehüllt und mit einem regendichten Blechmantel geschützt. 9. Ergebnis und Nutzen: Ziel war, ein Beispiel zu geben, dass es lohnt, auch nüchterne Industriebauten zu architektonischen Ereignissen zu machen. Sie sind tägliche Arbeitsstätte und Lebensumgebung für viele. Sie haben deswegen das Potential, das Leben von vielen reicher zu machen. Notwendig erscheint mir dabei, viel Mühe auf die Gestaltung im Einzelnen zu verwenden, denn die Atmosphäre eines Bauwerks ist seine Wirkung aus der Nähe. Sie wird am nachhaltigsten bestimmt durch seine Details. Es ist wie beim Gesicht. Die Details dieses Bauwerks und die Details zur thermischen Trennung sind zudem neue gute allgemein verwendbare Lösungen. Ich hoffe, es war zu erkennen: Entwurf und Konstruktion sind eins. Zu guter Architektur gehört (auch) ein Schuss Radikalität. Das steht zwar in Widerspruch zur Angemessenheit, aber anderenfalls fehlt das Unbedingte der Leidenschaft, aus der das Besondere entsteht. (Nach Benedikt Loderer in einem Vortrag „Baukultur als Konsumgut)“. Die 3 Hallen sind als Stahlkonstruktionen vollständig recyclebar. Material und Gestaltung der Fassaden wurden bei nächsten Bauten zum weiteren Ausbau des Standorts zum „Produktionstechnischen Zentrum“ der Universität übernommen.
