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Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
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expert verlag Tübingen
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Potentiale im Leichtbau durch individuelle Formteile aus Blech – Integrale Planung und Fertigung

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Alex Seiter
Martin Trautz
Leichtbaukonzepte werden in verschiedenen Branchen wie der Automobil- oder der Luft- und Raumfahrtindustrie genutzt, um Materialverbrauch und Betriebsenergie zu reduzieren. Dies geschieht durch gezielte Formgebung und angepasste Bauteilgeometrien zur Erhöhung des Widerstands gegenüber definierten Beanspruchungen. Mit wachsendem Druck auf ressourcenschonende Bauweisen in der Bauwirtschaft gewinnen Leichtbausysteme auch in dieser Branche wieder an Bedeutung. Dem hohen Energieaufwand bei der Herstellung von Metallen steht die hohe Rezyklierfähigkeit gegenüber. Neue Planungstools und Prozesskombinationen reduzieren sowohl den Entwicklungs- als auch den Fertigungsaufwand wodurch diese Systeme auch für Individualbauteile relevant werden. In diesem Beitrag werden die Potentiale von Leichtbausystemen durch individuelle Formteile aus Blech anhand des Air Foil Pavilion dargelegt. Das betrachtete System basiert auf doppellagigen Paneelen, die aus metallischen Basishalbzeugen, mittels Streckziehverfahren und inkrementeller Blechumformung hergestellt werden. Der Pavillon wurde auf dem Campus der RWTH Aachen errichtet.
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2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 53 Potentiale im Leichtbau durch individuelle Formteile aus Blech - Integrale Planung und Fertigung Alex Seiter, M. Sc. RWTH Aachen University Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martin Trautz RWTH Aachen University Zusammenfassung Leichtbaukonzepte werden in verschiedenen Branchen wie der Automobil- oder der Luft- und Raumfahrtindustrie genutzt, um Materialverbrauch und Betriebsenergie zu reduzieren. Dies geschieht durch gezielte Formgebung und angepasste Bauteilgeometrien zur Erhöhung des Widerstands gegenüber definierten Beanspruchungen. Mit wachsendem Druck auf ressourcenschonende Bauweisen in der Bauwirtschaft gewinnen Leichtbausysteme auch in dieser Branche wieder an Bedeutung. Dem hohen Energieaufwand bei der Herstellung von Metallen steht die hohe Rezyklierfähigkeit gegenüber. Neue Planungstools und Prozesskombinationen reduzieren sowohl den Entwicklungsals auch den Fertigungsaufwand wodurch diese Systeme auch für Individualbauteile relevant werden. In diesem Beitrag werden die Potentiale von Leichtbausystemen durch individuelle Formteile aus Blech anhand des Air Foil Pavilion dargelegt. Das betrachtete System basiert auf doppellagigen Paneelen, die aus metallischen Basishalbzeugen, mittels Streckziehverfahren und inkrementeller Blechumformung hergestellt werden. Der Pavillon wurde auf dem Campus der RWTH Aachen errichtet. 1. Einführung In der Automobilindustrie sowie in der Luft- und Raumfahrt werden Leichtbaupotenziale bereits umfangreich ausgeschöpft, um Material- und Energieressourcen optimal auszunutzen [1][2]. Ein zentraler Ansatz ist, auf Beanspruchung nicht durch erhöhten Materialeinsatz, sondern durch gezielte Formgebung und angepasste Bauteilgeometrie zu reagieren [3][4]. Abb. 1 zeigt beispielhaft ein durch Tiefziehen hergestelltes versteiftes Karosseriebauteil. Abb. 1: Blechformteil einer Karosserie Die Architektur hingegen steht vor der Herausforderung, die projektoptimierte Fertigung individueller Bauwerke zu bewältigen, während der Druck für ressourcenschonende Bauweisen zunimmt [5]-[7]. Das wachsende Bewusstsein für einen sparsamen Umgang mit den begrenzten Ressourcen führt zu einer materialbewussten, werkstoffgerechten und damit auch ressourcenschonenden Bauweise. Neben dem Materialverbrauch selbst spielt auch die benötigte Energie zur Herstellung eine relevante Rolle. Auf der einen Seite ist der Energiebedarf für die Gewinnung von Metallen sehr hoch, auf der anderen Seite können Metalle mit deutlich geringerem Energieaufwand verlustfrei rezykliert werden. Deswegen ist zwischen neu produziertem Primärmetall und rezykliertem Sekundärmetall zu unterschieden. Neben dem enormen Leichtbaupotential wiegt auch ein Einsparpotential von grauer Energie gegen die ressourcenintensive Herstellung metallischer Flächenhalbzeuge auf. Während in der Automobilindustrie der hohe Fertigungs- und Entwicklungsaufwand durch die hohen Stückzahlen relativiert wird, kompensieren in der Luft- und Raumfahrt die Treibstoffeinsparungen den Kostenaufwand [3]. In der Bauwirtschaft allerdings sind die hohen Kosten bei einer Kleinserien- oder sogar Einzelfertigung bisher kaum durch Vorteile auszugleichen gewesen [3][4]. Neue Fertigungstechnologien und Planungstools haben ein hohes Potenzial für projektoptimierte Bauteillösungen sowie die Vorfertigung von Einzelstücken und machen auch individualisierte Bauteile für den Markt interessant. Der Einsatz von Stahl im Bauwesen war über viele Jahre von engen Vorgaben hinsichtlich der einsetzbaren Halbzeuge geprägt. Im digitalen Zeitalter ist es nunmehr möglich, nicht nur auf Seiten der Produktion, sondern auch auf Seiten des Entwurfes, der Darstellung, der Planung und der Konstruktion Prozessketten zu erstellen, mit deren Unterstützung hochindividualisierte Blechbauteile erzeugt werden können, die wiederum Teil von individualisierten Bauwerken sind. Mit diesen Mitteln lassen sich Leichtbaukonstruktionen aus Blech mit individuellem Design erstellen, wie zwei Prototypen, die an der RWTH Aachen in Kooperation des Lehrstuhls Tragkonstruktionen und dem Institut für Bildsame Formgebung entstanden sind, eindrücklich demonstrieren [8]-[10]. Die neuartige Bauweise aus Feinblech ermöglicht eine bisher unerreichte Vielfalt an Formen im Stahlbau und erweist 54 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Potentiale im Leichtbau durch individuelle Formteile aus Blech - Integrale Planung und Fertigung sich als äußerst materialsparend sowie rezyklierfähig und erfüllt damit Kriterien des nachhaltigen Bauens. 2. Entwicklung eines doppellagigen Paneelsystems für kontinuierlich gekrümmte Flächen Entwickelt wurde ein doppellagiges Paneelsystem, dessen Komponenten aus metallischen Basishalbzeugen, mittels Streckziehverfahren und inkrementeller Blechumformung hergestellt werden. Das entwickelte System zeichnet sich durch einen effektiven Lastabtrag, auch bei Biegebeanspruchungen und die Möglichkeit Abbildung jeglicher Oberflächenkrümmung aus, ohne die zugrunde liegende Referenzgeometrie vereinfachen oder approximieren zu müssen. Das System ermöglicht aufgrund seiner hohen strukturellen Leistungsfähigkeit selbsttragende Fassaden und Tagkonstruktionen. Die Tragfähigkeit ergibt sich aus zwei Blechlagen, die über eingeformte konische Details miteinander verbunden sind und so einen schubfesten und biegemomenttragfähigen Auf bau ergeben [10]. Der Auf bau ist in Abb. 2 dargestellt. Die notwendigen Steifigkeiten der Bauteile werden durch Umformung und nicht durch Materialzugabe erzeugt. Dies entspricht den Prinzipien des Leichtbaus. Abb. 2 links: strukturelle Lage oben und Decklage unten, rechts: gefügte Paneele Die beiden Blechlagen werden im Bereich der Konenspitzen über Schweißbolzen zu Paneelen gefügt. Die Paneele werden über Einnietmuttern und Schrauben miteinander verbunden. Beide Fügetechniken lassen sich einfach lösen und ermöglichen einen einfachen Rückbau. Durch die Monomaterialität ist die Rezyklierbarkeit uneingeschränkt gegeben. Die Fügungen können statisch so ausgelegt werden, dass ein kontinuierlicher Lastabtrag gewährleistet wird. Eine flexible hybride Prozesskette, die die Umformverfahren Streckziehen (SZ) und inkrementelles Blechumformen (IBU) kombiniert, ermöglicht eine wirtschaftliche Produktion durch geringe Werkzeugbindung und reduzierte Prozesszeiten. Neben dem Streckziehprozess und der IBU kann auch die Fräsung des Werkzeugblocks sowie auch der Beschnitt und die erforderlichen Bohrungen zur Fügung der einzelnen Lagen der Paneele in einem einzigen Maschinenauf bau realisiert werden. Der Maschinenauf bau basiert auf einer 5-Achs-CNC Maschine, die durch vier Streckbacken erweitert wurde (Abb. 3). Abb. 3: Modifizierte 5-Achs-CNC-Fräse: Kombiniert Streckziehen, Inkrementelle Blechumformung, Beschnitt und Bohrung sowie Fräsen des Formwerkzeugs 2.1 Kombination von Streckziehen und IBU Grundsätzlich können durch die Kombinationen der beiden Umformprozesse lokale und globale Einformungen oder Krümmungen in kurzmöglichster Zeit realisiert werden ohne die Notwendigkeit zur Herstellung aufwendiger Formwerkzeuge oder Matrizen (siehe Abb. 4). Dies ermöglicht aus der Sicht der Fertigung auch die wirtschaftliche Herstellung von Bauteilen, die nur einmal gefertigt werden. Abb. 4: SZ und IBU auf einer Matrize aus MDF, oben: Fräsen des Formwerkzeugs und Spannen des Bleches, unten: Streckziehen und Ausformen der Konen mit IBU Beim Streckziehen (SZ) wird ein flaches Blech über eine Matrize gezogen, um die gewünschte Form zu erhalten. Dazu wird das Blech über Streckziehbacken bis in den plastischen Zustand vor gedehnt und wie eine Folie über die gewünschte Form gezogen. Durch den plastischen Zustand sind die Kräfte auf der Matrize nur sehr gering, was die Anforderungen an die Selbige vor allem bei geringen Stückzahlen pro Form minimal hält. Der Prozess ermöglicht die schnelle und effiziente Herstellung von Teilen mit komplexen Formen, da der Prozess automatisiert und in großem Maßstab durchgeführt werden kann. Durch die präzise Steuerung von Druck, Temperatur und Geschwindigkeit kann eine hohe Formtreue erreicht werden. Streckziehen kann für alle in der Bauindustrie relevanten Metal- 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 55 Potentiale im Leichtbau durch individuelle Formteile aus Blech - Integrale Planung und Fertigung len und Legierungen angewendet werden, darunter Stahl, Aluminium sowie rostfreier Stahl. Die inkrementelle Blechumformung (IBU) ist ein Fertigungsverfahren, bei dem Bleche schrittweise und lokal umgeformt werden, indem ein starres Werkzeug kontinuierlich kleine Bereiche des Blechs in die gewünschte Form drückt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Umformverfahren, bei denen das gesamte Blech auf einmal umgeformt wird, geschieht dies bei der IBU in kleinen Schritten bzw. Inkrementen. Bei der IBU wird das Blech von einem Werkzeug (Stempel) in eine Form (Matrize) gepresst. Auch dieser Prozess kann vollautomatisiert bei gleichzeitig geringer Anforderung an die Matrize durchgeführt werden. 3. Integrale Planungs- und Fertigungskette anhand parametrischer Modelle Die integrale Planungs- und Fertigungskette sorgt für die nahtlose Verbindung aller Schritte von dem Entwurf bis zur Fertigung eines Produkts. Sie beinhaltet eine enge Verknüpfung zwischen den verschiedenen Phasen des Produktionsprozesses, um Effizienz und Qualität zu maximieren. Im Rahmen dieses Konzepts spielt die Parametrisierung eine entscheidende Rolle. Die Parametrisierung ermöglicht es, Modelle flexibel anzupassen, indem Parameter oder variable Werte verwendet werden, um bestimmte Merkmale oder Dimensionen zu variieren. Anstatt jedes Bauteil einzeln zu entwerfen, können parametrische Modelle verwendet werden, um verschiedene Versionen desselben Bauteils zu erstellen, indem bestimmte Parameter angepasst werden. Bei parametrischem Input ermöglichen die individualisierten Umformtechniken, Bauteile individuell an die Anforderungen oder Spezifikationen anzupassen. Diese Techniken ermöglichen es, auf spezifische Anforderungen einzugehen und gleichzeitig effiziente Fertigungsprozesse aufrechtzuerhalten. Abb. 5: Funktionsdiagramm der integralen Prozesskette Insgesamt zielt die integrale Planungs- und Fertigungskette darauf ab, die Effizienz und Flexibilität in der Produktentwicklung und Fertigung zu maximieren, indem die Planung und Fertigung eng miteinander verknüpft werden und auf flexiblen Modellen und Techniken basieren. Die einzelnen Schritte der Prozesskette sowie die verwendeten Softwareumgebungen und Schnittstellen können der nachfolgenden Abbildung (Abb. 5) entnommen werden. Das Ergebnis einer funktionierenden Integralen Kette entspricht einem File-to-Factor Prozess Um neben der Herstellbarkeit die Funktionalität der Bauteile sicherzustellen sind Umformsimulationen sowie Analysen zum strukturellen Verhalten in die Kette inkludiert. 4. Realisierung des Airfoil Pavilion Zur Validierung der Herstellbarkeit und der Funktionalität des Paneelsystems wurde der Airfoil Pavilion, eine auf vier Punkten gelagerte Schale mit einer Spannweite von 9,00-m, realisiert (Abb. 6). Die überspannte Fläche beträgt 64-m². Die beiden Blechlagen sind jeweils 0.8-mm stark womit das geringe spezifische Eigengewicht von 16-kg/ m² erreicht wird. Die Schalenstärke am Rand verjüngt sich auf null. Abb. 6: Rendering Airfoil Pavilion Der Airfoil Pavilion soll die strukturelle Leistungsfähigkeit (ausgelegt für volle Wind- und Schneelasten nach DIN EN 1991) und das mögliche Formenspektrum (alle Gaußschen Krümmungstypen vorhanden) des Systems aufzeigen. Die Struktur setzt sich aus 144 zweilagigen Paneelen zusammen. Aufgrund der Rotationssymmetrie der Schale ergeben sich 36 unterschiedliche Bauteile. 4.1 Geometrie und Bauteildefinition Die Geometrie des Airfoil Pavilion wurde aus einer Hängeform abgeleitet, die mittels der Methdode der dynamischen Netzrelaxation unter Belastung durch Eigengewicht ermittelt wurde. Die Hängeform gewährleistet, dass die Beanspruchung unter Eigengewichtslast hauptsächlich Normalkraftbeanspruchungen erzeugt, resultierende Biegemomentenbeanspruchungen ergeben sich ausschließlich aus einer Windbelastung. Die aerodynamische Form des Schalenrandes reduziert die Angriffsfläche des Windes und damit dessen resonanzinduzierende Wirkung. Der Abstand zwischen den Blechlagen wurde entsprechend gewählt, um sensible Stellen bezüglich der Biegebeanspruchung zu verstärken. Die näherungsweise quadratische Grundrissform der Schale erlaubte eine gleichmäßige Tesselierung in gleichseitige Paneelgeometrien durch gleichmäßige Interpolation. Trotz unterschiedlicher Seitenlängenverhältnisse 56 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Potentiale im Leichtbau durch individuelle Formteile aus Blech - Integrale Planung und Fertigung und Krümmungen werden Netzsingularitäten vermieden, da alle Paneele die gleiche Topologie aufweisen. Die Gestaltung des Airfoil Pavilion stellt die höchstmöglich realisierbaren Anforderungen an die Geometrie, die durch kontinuierliche Krümmungsverläufe ohne Unstetigkeiten gekennzeichnet sind. Das Geometriespektrum umfasst dabei alle Gauss‘sche Krümmungen, darunter synklastische (kuppelförmige) und antiklastische (hyperbolische) Krümmungen. Für die Montage sowie die Funktionalität sind nur geringer fertigungsbedingte Geometrieabweichungen tolerierbar. Abb. 7: Geometrieabweichung der ungefügten Blechlagen (links) und eines gefügten Paneels (rechts) Die Auswertung eines eingescannten Paneels (Abb. 7) zeigt, dass die Geometrieabweichung der strukturellen Lage (mit Konen) mehr als doppelt so hoch ist als die der Decklage (ohne Konen). 50 % der Abweichungen entstehen demnach aus der inkrementellen Blechumformung und 50 % aus der Rückfederung nach dem Streckziehprozess. Durch die Fügung der beiden Lagen zum Panel verringert sich die Gesamtabweichung auf ein tolerierbares Maß. 4.2 Minimierung des Werkzeugmaterials Als Matrize für die Umformprozesse dient ein MDF- Block, der für jede Bauteilgeometrie schrittweise abgefräst wird. Abb. 8: Iterationsschritt zur Optimierung der Bauteilorientierung im Bauraum und der Fertigungsreihenfolge der Paneele Um den Material- und Herstellungsaufwand für die erforderlichen Matrizen zu reduzieren, wurde ein spezieller Algorithmus entwickelt. Dieser Algorithmus basiert auf Parametern zur Ausrichtung der Paneele im Bauraum sowie der Fertigungsreihenfolge der herzustellenden Paneele und zielt darauf ab, den Fräsaufwand für jedes nachfolgend ausgeformte Paneel zu minimieren. Durch diese Vorgehensweise konnte das benötigte Material für der Matrize deutlich gesenkt und die Fräszeit minimiert werden. In Abb. 8 ist das Zwischenergebnis eines Iterationsschritts des Optimierungsalgorithmus dargestellt. 4.3 Experimentelle und numerische Analyse des Strukturverhaltens Zur Festlegung der Konendichte und Paneelhöhe wurden umfangreiche Untersuchungen zum Beul und Verformungsverhalten unterschiedlicher Paneelgeometrien in einer Parameterstudie durchgeführt. Exemplarisch wird in Abb. 9 die Beulform eines gekrümmten Paneels unter gleichförmigen Randspannungen gezeigt. Die Parameterstudie auf Basis der FEA umfasste 128 verschiedene Parameterkombinationen, mit deren Hilfe neben diesen direkt beeinflussbaren Geometrieparametern (Abstand, Neigungswinkel Konus, etc.) sich auch indirekte Einflussparameter bestimmen ließen, die Einfluss auf die Tragfähigkeit haben, wie etwa die effektive Länge des ungestützten Blechbereichs zwischen den Konenspitzen [11]. Abb. 9: Numerisch ermittelte Beulform eines Paneels mit 16 Konen Es wurden der Einfluss der Konenanzahl pro Paneel, deren Neigungswinkel sowie das Verhältniss von Konen- Grundfläche zu Paneel-Grundfläche, untersucht. Aus diesen Parametern ergeben sich automatisch unterschiedliche Paneelhöhen. Die Paneelhöhe war somit kein direkter einstellbarer Parameter. Die Ergebnisse wurden mit Ergebnissen von umfangreichen Biege- und Stabilitätsversuchen im Bauteilmaßstab verglichen. Anhand dieses Vergleichs konnten die Finite- Elemente-Analysen validiert werden. Per Definition sind Leichtbaukonstruktionen nicht nur durch ihr Eigengewicht signifikant beansprucht, sondern durch andere Belastungen wie Schnee, vor allem aber 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 57 Potentiale im Leichtbau durch individuelle Formteile aus Blech - Integrale Planung und Fertigung durch Wind. Mittels der Finite-Elemente-Analyse lassen sich die Auswirkungen dieser Belastungen hinreichend analysieren, um die strukturelle Integrität der Konstruktion zu gewährleisten. Im Rahmen dieser Analysen wurde ein detailliertes Berechnungsmodell auf Grundlage der oben genannten Modelle der Einzelpaneele erstellt, das sämtliche Randbedingungen und Lasten mithilfe eines parametrischen Modells berücksichtigt. Das parametrische Modell ermöglicht es, verschiedene Szenarien effizient zu untersuchen und potenzielle Schwachstellen zu identifizieren. Neben der Spannungsanalyse sind aufgrund der Dünnwandigkeit der Konstruktion Stabilitätsuntersuchungen von größter Relevanz [12]. Dazu kamen lineare und nichtlineare Analysen zum Einsatz, um sicherzustellen, dass lokale Beulverformungen im elastischen Zustand nicht zu einer Instabilität der Gesamtstruktur führen und Lastreserven durch Lastumlagerung aktiviert werden können [12]. Für die Durchführung der Tragsicherheits- und Gebrauchstauglichkeitsnachweise wurden die geltenden technischen Regeln, insbesondere die DIN 1993-1-7, berücksichtigt. Dabei wurde ein nichtlineares Werkstoff- und Strukturverhalten sowie geometrische und strukturelle Imperfektionen einbezogen, um eine realitätsnahe Analyse durchzuführen [13]. Abb. 10: Fluiddynamische Untersuchungen an der Prototypstruktur, oben: Ansicht der Strömungslinien parallel zum Wind, unten: Ansicht der Strömungslinien quer zum Wind Zusätzlich wurden fluidmechanische Simulationen durchgeführt, um den Einfluss des Windes genau zu erfassen und die daraus resultierenden Ersatzlasten im Finite-Elemente-Modell zu berücksichtigen (Abb. 10). Die Ergebnisse dieser Simulationen liefern dieGrenztragfähigkeit der Struktur sowie Werte zur Nachweisführung gegen Beulen und kritische Verformungen. Die Grenztragfähigkeit ergab sich aus dem Minimum der einzelnen Nachweise. Es erfolgten globale und lokale Spannungs-, Beul und Verformungsnachweise (Abb. 10) der Struktur sowie Scher- und Lochleibungsnachweise für die Verbindungsmittel. Es ergab sich in der Simulation eine maximale Traglast in Höhe der 5,72-fachen Bemessungslast, bevor lokales Beulversagen eintritt. Abb. 11: Gesamtverformung im mm - Draufsicht (links) und Seitenansicht (rechts), Maximalwert: 14,85-mm 5. Ergebnisse Die Integration moderner CAD-Methoden und die Anwendung innovativer Umformungsprozesse eröffnen neue Horizonte für den Einsatz von Leichtbaukonzepten im Bauwesen und der Architektur. Trotz der typischen Einzelfertigung im Bauwesen ermöglichen parametrische Techniken und digitale Werkzeuge eine effiziente digitale Prozesskette. Diese erleichtert die Handhabung komplexer Geometrien und Konstruktionen und optimiert somit den Planungsprozess für maßgeschneiderte Bauteile. Die generierten Datensätze dienen nicht nur der Beschreibung und Konstruktion, sondern ermöglichen auch eine detaillierte Analyse sowie eine präzise umformtechnische Produktion von Blechleichtbaukonstruktionen. Durch die geschickte Anwendung von Verfahren wie der Inkrementellen Blechumformung in Verbindung mit dem Streckziehen wird die Produktion und Umformung von Metallteilen weiter vergrößert. Die Realisierung von Bauteilen in Losgröße „Eins“ wird dadurch ökonomischer. Ein echter File-to-Factory Prozess ermöglicht die nahtlose Umsetzung der Bauteile eines Blechleichtbau- Demonstrators vom digitalen Entwurf bis zur fertigen Produktion von Blechbauteilen. 58 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Potentiale im Leichtbau durch individuelle Formteile aus Blech - Integrale Planung und Fertigung Abb. 12: Demonstrator in Frontansicht, Perspektive und Innenansicht 6. Fazit und Ausblick Mit der Realisierung des Demonstrators konnte die statische Leistungsfähigkeit, die Stimmigkeit der Prozessabläufe und die Herstellbarkeit für das System geprüft und validiert werden. Mit den erzielten Ergebnissen konnte die Eignung des Systems zur Anwendung im Bauwesen bewiesen werden und die Vorzüge des Bauens mit Feinblech aufgezeigt werden. Abb. 13: Versteifungspattern für einlagige uniaxiale Systeme Neben den bereits entwickelten Systemen und der Umsetzung an konkreten Tragstrukturen wurden Konzepte für einlagige Systeme untersucht. Dabei werden mit demselben Herstellungsprozess unterschiedliche Pattern in die Bleche eingeformt. Ziel dabei ist eine ungerichtete Flächentragwirkung, die das Einsatzgebiet bereits bestehender Systeme wie u. a. dem Trapezbleches erweitert [14]. Für eine ungerichteten Lastabtrag sind die Versteifungspattern verzahnt anzuordnen, eines der getesteten Pattern ist exemplarisch in Abb. 10 zu sehen. Die statische Leistungsfähigkeit reicht nicht an die zweilagigen Systeme erweitert jedoch das Produktportfolio für leichte Blechsysteme. Literatur [1] Wiedemann, J. Leichtbau 1: Elemente, 2., neubearb. Aufl. Berlin Heidelberg: Springer, 1996. [2] Wiedemann, J. Leichtbau 2: Konstruktion, 2., neubearb. Aufl. Berlin Heidelberg: Springer, 1996. [3] Klein, B. Leichtbau-Konstruktion. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2013. [4] Ochsner, A. Leichtbaukonzepte anhand einfacher Strukturelemente. Berlin, Heidelberg: Springer, 2019. [5] Cushing, L. (2014) Henry J. 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(2014) A new concept for freeform shell structures composed of doubly curved multilayered panels. Beitrag zu einem Tagungsband in the annual IASS Symposium and the 6 th Latin American Symposium on Tension Structures, Brasilia, Brasil. [10] Seiter, A.; Pofahl, T.; Trautz, M.; Reitmaier, L.-M.; Hirt, G.; Bailly D. (2019) Design and Analysis of Freeform Shell Structures Composed of Doubly Curved Sheet Metal Panels. Beitrag zu einem Tagungsband in Form and Force 60 th Anniversary Symposium of the International Association for Shell and Spatial Structures/ Structural Membranes 2019, Barcelona, Spain, S. 60-67. [11] Seiter, A.; Pofahl, T.; Trautz, M.; Reitmaier, L.-M.; Bailly, D. and Hirt, G., Sheet Metal Shells, in 14. Baustatik Baupraxis., ser. Baustatik Baupraxis, vol.- 14, Institut fur Baustatik und Baudynamik, Universitat Stuttgart, 2020, pp. 439-446. [12] Petersen, C. Statik und Stabilitat der Baukonstruktionen: Elasto- und plasto-statische Berechnungsverfahren druckbeanspruchter Tragwerke: Nachweisformen gegen Knicken, Kippen, Beulen. Wiesbaden: Vieweg+Teubner Verlag, 1982. [13] Trautz, M.; Pofahl, T.; Seiter, A.; Hirt, G.; Reitmaier, L.-M. and Bailly, D.; Leichtbaukonstruktionen aus Feinblech, Stahlbau, vol. 91, no. 6, pp.-375-384, 2022. [14] Pofahl, T.; Seiter, A.; Trautz, M.; Reitmaier, L.- M.; Bailly, D. and Hirt, G.; Form Finding of aSheet Metal Shell by Generative Design and Pareto Optimization, in Advances in Architectural Geometry, Berlin; Boston: De Gruyter, 2023, pp. 269-382.