Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
fki
expert verlag Tübingen
61
2024
21
Mehrwert im Bestand – Schlankes Bauen mit Slim-Floor Konstruktionen
61
2024
Daniel Ferger
In unseren Metropolen wird es immer enger. Die hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist derzeit eine der zentralen Herausforderungen in Deutschland. Die Ziele der Bundesregierung, 400.000 neue Wohnungen zu bauen, wurden im Jahr 2023 weit verfehlt. Dabei wird von einem dringlichen Bedarf von mehr als 1,5 Millionen zusätzlichen Wohnungen gesprochen. Allein durch Aufstockungen und Umnutzung von Bestandsgebäuden könnten 2 bis 3 Millionen neue Wohnungen entstehen und das ohne neue Flächen erschließen und versiegeln zu müssen. Schlanke, leichte und dennoch sehr leistungsfähige Deckensysteme sind bei Aufstockungen im Bestand von Nutzen. Hier kann der Verbundbau entscheidende Vorteile bieten. Vor allem der Mix aus den Baustoffen Stahl, Beton und Holz bringt viele positive Effekte mit sich. Geringes Eigengewicht, nachhaltige Bauweise und durch den jeweiligen Verbund der Materialien untereinander entstehen sehr hohe Tragfähigkeiten bei schlanker Konstruktionshöhe.
fki210061
2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 61 Mehrwert im Bestand - Schlankes Bauen mit Slim-Floor Konstruktionen Daniel Ferger, M. Eng. Peikko Deutschland GmbH, Waldeck Einleitung In unseren Metropolen wird es immer enger. Die hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist derzeit eine der zentralen Herausforderungen in Deutschland. Die Ziele der Bundesregierung, 400.000 neue Wohnungen zu bauen, wurden im Jahr 2023 weit verfehlt. Dabei wird von einem dringlichen Bedarf von mehr als 1,5 Millionen zusätzlichen Wohnungen gesprochen. Allein durch Aufstockungen und Umnutzung von Bestandsgebäuden könnten 2 bis 3 Millionen neue Wohnungen entstehen und das ohne neue Flächen erschließen und versiegeln zu müssen. Schlanke, leichte und dennoch sehr leistungsfähige Deckensysteme sind bei Aufstockungen im Bestand von Nutzen. Hier kann der Verbundbau entscheidende Vorteile bieten. Vor allem der Mix aus den Baustoffen Stahl, Beton und Holz bringt viele positive Effekte mit sich. Geringes Eigengewicht, nachhaltige Bauweise und durch den jeweiligen Verbund der Materialien untereinander entstehen sehr hohe Tragfähigkeiten bei schlanker Konstruktionshöhe. 1. Motivation & Potenzial 1.1 Motivation Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist, vor allem in Metropolregionen, Ballungsräumen sowie Groß- und Universitätsstädten, mittlerweile ein bekanntes Problem. Diese Entwicklung wird durch inländische und ausländische Wanderungsbewegungen verstärkt. Die Zuzüge aus dem Ausland haben in den letzten Jahren stark zugenommen [Abb. 1]. So beträgt die Netto-Zuwanderung Ende 2022 ca. 1,5 Millionen Menschen [2]. Abb. 1: Wanderung zwischen Deutschland und dem Ausland (Quelle: Statistisches Bundesamt) Ferner setzt sich der Trend seit Dekaden fort, dass junge Generationen verstärkt für Ihre Ausbildung, Studium oder Berufseinstieg in Metropolen und Großstädte ziehen [ Abb. 2]. Abb. 2: Binnenwanderungssaldo nach Altersgruppen (Quelle: Statistisches Bundesamt) Die Motivation ist daher klar: Zeitnah bezahlbaren Wohnraum schaffen. 1.2 Potenzial Eine weitere Versiegelung von Freiflächen durch die Erschließung neuer Baugebiete hätte weitreichende negative Folgen für die Umwelt und das Klima. Eine systematische Nachverdichtung, vor allem in Form von Aufstockungen, hat das Potenzial dem Wohnraummangel entgegenzuwirken, ohne die Versiegelung weiterer Freiflächen in Kauf zu nehmen. Die Bundesregierung reagierte bereits auf die zunehmende Flächenversiegelung und setzte sich das sogenannte „30-Hektar-Ziel“, nach dem täglich nur noch dreißig Hektar, statt derzeit 60 Ha, neue Freiflächen für Siedlungs- und Verkehrsflächen in Anspruch genommen werden sollen. Die zwei-Deutschlandstudien 2016 und 2019 der Technischen Universität Darmstadt und des Pestel Instituts Hannover untersuchten, wie es gelingen kann, zusätzlichen Wohnraum einschließlich der dazugehörigen sozialen und technischen Infrastruktur zu schaffen und dabei bereits versiegelte Flächen durch Aufstockungen oder Umnutzungen effizienter zu nutzen. 62 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Mehrwert im Bestand - Schlankes Bauen mit Slim-Floor Konstruktionen Im Rahmen der Studien wurden verschiedene Typologien in Innenstädten in ungesättigten Wohnungsmärkten betrachtet, bei denen Möglichkeiten der Umnutzung oder Aufstockung bestehen. Aus den Untersuchungen ergaben sich folgende Potenziale: • 1,1 bis 1,5 Mio. Wohneinheiten auf Wohngebäuden der 1950er bis 1990er-Jahre • 20.000 Wohneinheiten oder soziale Infrastruktur auf Parkhäusern der Innenstädte • 560.000 Wohneinheiten durch Aufstockung von Büro- und Verwaltungsgebäuden • 350.000 Wohneinheiten durch Umnutzung des Überhangs (Leerstand) von Büro- und Verwaltungsgebäuden • 400.000 Wohneinheiten auf den Flächen von eingeschossigem Einzelhandel, Discountern und Märkten, bei Erhalt der Verkaufsflächen Insgesamt bieten die betrachteten Gebäudetypologien somit ein Potenzial von 2,3 Mio. bis 2,7 Mio. Wohnungen. 2. Schlankes Bauen mit Slim-Floor Konstruktionen 2.1 Verbundbau und daraus resultierende Vorteile Beim Verbundbau werden verschiedene Bauteile aus wechselnden Materialien mittels Verbundmitteln kraftschlüssig miteinander verbunden. Neben dem bereits etablierten Stahl-Beton-Verbundbau trifft man heute auch immer mehr auf den Holz-Beton-Verbundbau. Eine neuere Sonderform bezeichnet den Hybridbau, bei dem der Stahl-Beton-Verbundbau mit dem Holz-Beton-Verbundbau kombiniert wird. Abb. 3: Holz-Beton-Verbund in Kombination mit Stahl- Beton-Verbund (Quelle: Peikko) Der Verbundbau bringt auch bei Aufstockungen viele Vorteile mit sich. Zum Beispiel das geringe Eigengewicht der Deckenkonstruktion. Im Vergleich zur konventionellen Stahlbetonbauweise kann das Deckensystem ca. 40 % leichter werden. Die Reduktion des Eigengewichts kann im Bestand entscheidend sein. Dadurch werden alle tragenden Bestandsbauteile entlastet und müssen ggf. nicht ertüchtigt werden. Neben der Holzhybridbauweise bietet die Kombination Spannbeton-Fertigdecke mit DELTABEAM ® ebenfalls den Vorteil des geringen Eigengewichts. Abb. 4: Spannbeton-Fertigdecke in Kombination mit Stahl-Beton-Verbund (Quelle: Peikko) Ferner wird durch die Slim-Floor-Bauweise Konstruktionshöhe eingespart. Dies führt zu weniger Fassadenfläche und umbauten Raum. Bei Neubauten ist es durch die geringere Konstruktionshöhe oft möglich weitere Geschosse bei gleichbleibender Gebäudegesamthöhe auszuführen. Das bedeutet für den Bauherren entsprechend mehr Fläche, die vermietet oder verkauft werden kann. Abb. 5: Vergleich der Gebäudehöhe zwischen Brettschichtholzbalken und DELTABEAM® (Quelle: Peikko) Entscheidet sich der Bauherr für die optimierte Gebäudehöhe [links in Abb. 5] so spart er deutlich an Volumen ein. Das eingesparte Volumen führt zu deutlich weniger Heiz- und Kühlkosten und somit erheblich weniger CO 2 - Emissionen. Im Lebenszyklus eines Gebäudes werden ca. zweidrittel der CO 2 -Emissionen während der Nutzung des Gebäudes emittiert [6, Abb. 6]. Damit bietet die Slim-Floor-Bauweise unter anderem im Hinblick auf die Nachhaltigkeit einen entscheidenden Vorteil im Vergleich zu herkömmlichen Deckensystemen. Nachfolgend ein vereinfachtes Zahlenbeispiel hinsichtlich des Einsparpotenzials der Konstruktionshöhe: Ein deckengleicher DELTABEAM ® in einer 30 cm hohen HBV-Decke (Holz 20 cm, 10 cm Beton) erreicht im Zustand I (t = 0) problemlos eine Trägersteifigkeit von ca. 165-MNm². Um mit Holz (GL28h) diesen Wert erreichen zu können, muss der Balken folgende Abmessungen aufweisen: Annahme: b Holz = 40 cm 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 63 Mehrwert im Bestand - Schlankes Bauen mit Slim-Floor Konstruktionen Man stellt fest, dass die Höheneinsparung, insbesondere im Vergleich zu Linienlager ohne Verbundansatz, sehr groß ist. Abb. 6: Verteilung der CO2-Emissionen eines Gebäudes über den Lebenszyklus (Quelle: DGNB 2021) Abb. 7: Reduktion des Gebäudevolumens (Quelle: Peikko) 2.2 Funktionsweise und Anwendung Häufig stoßen gute Ideen in der Praxis auf berechtigte Widerstände, da sie in der Realität nicht oder nur schwierig und mit negativen Auswirkungen auf andere Bereiche umsetzbar sind. Nicht so beim Verbundbau. Die Kombination von Stahl und Beton kennen wir seit Jahrzehnten. Wir wenden sie schadensfrei im Stahlbetonbau an. Dabei mussten wir lernen, auf verschiedene Besonderheiten, wie z. B. eine ausreichende Betonüberdeckung für die Dauerhaftigkeit, zu achten. Die Kombination aus Stahl und Beton ist bereits in den Regelwerken erfasst. Hier sei die DIN EN 1994-1-1 und DIN EN 1994-1-2 [3, 4] sowie Bauartgenehmigungen wie die Z-26.2-49 und Z-26.2-64 der Firma Peikko genannt [5]. Abb. 8: klassischer Verbundquerschnitt (Quelle: Wikipedia - Verbundbau) Eine Weiterentwicklung des Verbundbaus, speziell für besonders hohe Biegeschlankheiten entwickelt, wird von der Firma Peikko angeboten. Abb. 9: trapezförmiger Verbundquerschnitt (Quelle: Peikko DELTABEAM®) Bei diesem System wird der Träger (DELTABEAM ® ) in die Höhenlage des Deckenquerschnitts verschoben. Je nach Spannweitenverhältnissen und Deckensystemen kann damit eine deckengleiche oder eine teilintegrierte Bauweise erreicht werden. Aus dieser Weiterentwicklung des Verbundbaus ergeben sich folgende Vorteile: 1. Brandschutzanforderungen bis R120 können ohne weitere Maßnahmen, wie Beschichtungen oder Verkleidungen, wirtschaftlich erfüllt werden. 2. Konstruktionshöhen können bis zur Deckengleichheit reduziert werden. 3. Ebene Deckenuntersichten erlauben reduzierte Bauhöhen und großflächige Installations- und Belichtungsmöglichkeiten. Der Verbundträger verfügt über eine Allgemeine Bauartgenehmigung (Z-26.2-49): 64 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Mehrwert im Bestand - Schlankes Bauen mit Slim-Floor Konstruktionen Abb. 10: Deckblatt zu Z-26.2-49 (Quelle: Peikko) 2.3 Brandschutz Heutige Anforderungen an den Brandschutz sehen vor, dass Gebäude einen Feuerwiderstand über eine gewisse Branddauer einhalten. Die rechnerisch anzunehmende Branddauer richtet sich dabei nach der Gebäudenutzung sowie den Gebäudeklassen gemäß den jeweiligen Landesbauordnungen. Die Grundlage für die Bemessungsansätze bildet die sogenannte Einheitstemperaturzeitkurve ETK (Normbrandbeanspruchung). Die Brandbemessung des trapezförmigen Verbundträgers kann keiner aktuell verfügbaren Norm entnommen werden. Hierzu wurden im Rahmen einer Bauartgenehmigung komplexe Finite-Elemente-Berechnungen herangezogen, die die Bemessung im Brandfall analog der Allgemeinen Bauartgenehmigung Z-26.2-49 ermöglichen. Dabei werden werkseitig in den Verbundquerschnitt eingelegte Sekundärbewehrungen für die Nachweise im Brandfall herangezogen. Diese Bewehrung weist aufgrund der Einbindung in den umgebenden Beton deutlich geringere Temperaturen als der direkt beflammte Untergurt auf. Abb. 11: Isothermen bei Brandbeanspruchung (Quelle: Peikko) Über den Ansatz der reduzierten Werkstoffkennwerte nach EN 1994-1-2 kann das innere Kräftegleichgewicht hergestellt und die notwendigen Spannungssowie Verformungsnachweise geführt werden [vgl. Abb. 12 und 13]. Abb. 12: Reduktionsfaktoren für Baustahl im Brandfall (Quelle: EN 1994-1-2, Beuth) Abb. 13: Brandreduzierter Querschnitt zur Ermittlung der positiven Momententragfähigkeit - beispielhaft (Quelle: Z-26.2-49, Peikko) An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass reaktive Brandschutzbeschichtungen auf Stahlbauteilen keinen dauerhaften Brandschutz darstellen [7]. Der komplette Wortlaut wird in Abbildung 14 wiedergegeben. 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 65 Mehrwert im Bestand - Schlankes Bauen mit Slim-Floor Konstruktionen Abb. 14: Technische Mitteilung 09b/ 002 (Quelle: [7] Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik e.V.) 2.4 „Grüner“ Stahl - DELTABEAM ® Green Neueste Entwicklungen machen es möglich, dass der Verbundträger aus über 97 % recyceltem Stahl hergestellt werden kann. Dadurch werden die Klimaauswirkungen und das globale Erwärmungspotential weiter und signifikant reduziert. Im Vergleich zu einem aus normalem Baustahl hergestellten trapezförmigen Verbundträger fallen nur etwa 50 % der CO 2 -Emissionen an. 3. Zusammenfassung Die hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum in Städten, die durch Zuzüge und den Bildungsbedarf der jungen Generationen weiter steigt, stellt eine wachsende Herausforderung dar. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, bietet die Nachverdichtung und Umnutzung von bestehenden Gebäuden und Flächen eine vielversprechende Lösung. Untersuchungen zeigen, dass durch diese Maßnahmen bis zu 2,7 Millionen neue Wohneinheiten geschaffen werden könnten. In diesem Kontext gewinnen Slim-Floor Konstruktionen an Bedeutung. Diese innovative Bauweise, bei der Stahl und Beton effizient kombiniert werden, bringt mehrere Vorteile mit sich. Zum einen ermöglicht sie durch ihr geringeres Gewicht das Aufstocken von Gebäuden, ohne die bestehenden Strukturen zu überlasten. Dies führt zu einer kosteneffizienten Bauweise und reduziert gleichzeitig die CO 2 -Emissionen durch den Einsatz von weniger Baumaterial. Darüber hinaus erfüllen diese Konstruktionen die strengen Brandschutzanforderungen und bieten durch ihre flexiblen Design- und Bauhöhen vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. So können moderne und nachhaltige Wohnräume geschaffen werden, die den aktuellen und zukünftigen Anforderungen an Wohnraum gerecht werden. Literatur [1] HEINZE GmbH/ BauNetz [2] Statistisches Bundesamt (DESTATIS) [3] DIN EN 1994-1-1 2010-12, Beuth [4] DIN EN 1994-1-2 2010-12, Beuth [5] Allgemeine Bauartgenehmigung Z-26.2-49 DEL- TABEAM ® Verbundträger, 2020-25, Peikko Group OY, DIBt [6] DGNB [7] Technische Mitteilung 09b/ 002 der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik e.V
