Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
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Der Gebäudetyp E – eine technische und rechtliche Herausforderung
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Gerd Motzke
Mit dem Gebäudetyp E wird eine Planungs- und Realisierungsidee verfolgt, der unterschiedliche Vorstellungen zugrunde liegen können.
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2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 95 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung Prof. Dr. Gerd Motzke Rechtsanwalt, Mering Mit dem Gebäudetyp E wird eine Planungs- und Realisierungsidee verfolgt, der unterschiedliche Vorstellungen zugrunde liegen können. 1. Der Gebäudetyp E - eine Idee Mit dem Gebäudetyp E soll nach der Auffassung der Bayerischen Architektenkammer der „gordische Knoten“ durchgeschlagen werden. Deren Präsidentin Prof. Lydia Haack hat in der im Dezember 2022 veröffentlichten Jahresbeilage der Bayerischen Staatszeitung einen Artikel mit dem Titel „Den gordischen Knoten durchschlagen“ verfasst. Eine „Diät“ sei erforderlich, um sich „vom Speckmantel aus Normen und Richtlinien zu befreien“, womit Freiräume geschaffen würden für kreatives Planen und Bauen. Bauen müsse sich „auf das Wesentliche reduzieren, suffizientes, nachhaltiges und qualitätsorientiertes Handeln“ sei geboten. Der „Gebäudetyp E“ wird gleichsam als Schlüsselbegriff verwendet, um fachkundigen Bauherrn die Möglichkeit zu bieten, eigen- und nicht fremdbestimmt den für das zu verwirklichende Objekt als geboten erachteten Qualitätsstandard zu verwirklichen. Damit verbunden ist, auf diese Weise den Zwang der bestehenden Technischen Regeln einschließlich des Bauordnungsrechts zumindest zu mildern, womit die Hoffnung verbunden wird, einen - durchaus notwendigen- - Lösungsweg auch im Werkvertragsrecht, nämlich insbesondere dem Sachmangelhaftungsrecht, zu finden. Der „Gebäudetyp E“ erweist sich damit als eine Art Katalysator, der „Bewegung“ im vielfältigen Technischen Normenwerk und im Rechtsrahmen auslösen soll. Das Ergebnis des mit den nachfolgenden Ausführungen beabsichtigten Überblicks ist die Erkenntnis, dass der „Gebäudetyp E“ den Rechtsrahmen „durchschüttelt“ und ein konzeptioneller Neuordnungsbedarf notwendig wird. Denn die Auswirkungen sind nicht auf den Bereich des Bauordnungsrechts beschränkt (vgl. Ziff. 2., 3), sondern führen zu grundhaften Eingriffen in das Werkvertragsrecht, dort insbesondere in das Bauvertragsrecht (Ziff. 4. bis 7.) und das Architekten-/ Ingenieurvertragsrecht einschließlich der HOAI. Um diese mit dem verfolgten Lösungsansatz „Gebäudetyp E“ zusammenhängenden Folgen überhaupt nachvollziehen zu können, bedarf es im Vorfeld einer Darstellung der Verknüpfung der Technik- und Rechtsregeln. Allerdings ist eine Klarstellung nötig, nämlich: Welches Ziel wird mit der Konzeption „Gebäudetyp E“ verfolgt? Geht es lediglich um die höchst individuelle Eigenbestimmung der Anforderungen an das konkret-individuelle Objekt, also ein mehr oder minder allseits abgesichertes objektspezifisches Bau-/ Erfolgssoll dieses konkret-individuellen Objekts, was begrifflich mit einem bestimmten „Gebäudetyp“ nichts zu tun hat, oder um die Schaffung eines Gebäudetyps, den generell maßgebliche Strukturen charakterisieren, was einen Typus begrifflich ausmacht (vgl. Ziff. 3.1; 4.5; 5.1-5.3)? 2. Zur Verknüpfung von Technikregeln und Rechtsregeln - Allgemein Ausgehend davon, dass der zu konzeptionierende „Gebäudetyp E“ den Technik- und Rechtsrahmen im Kern maßgeblich beeinflusst, bedarf es der Darlegung des gegenwärtigen Beziehungsverhältnisses, um darauf aufbauend die Konsequenzen für die notwendigerweise erforderliche Vertypung eines „Qualitätsstandards Gebäudetyp E“ im Bereich des Bauordnungsrechts und des privaten Baurechts einschließlich des Mietrechts und des Wohnungseigentumsrechts systematisch korrekt beschreiben zu können. 2.1 Ausgangssituation Ausgangspunkt des gegenwärtigen Zustands ist, dass das Bauordnungsrecht und das private Baurecht einschließlich Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht an den „Technikrahmen“ völlig unterschiedlich anknüpfen, was für die Konzeptionierung des „Gebäudetyps E“ von erheblicher Bedeutung ist. Notwendig wird es sein, den bauordnungsrechtlichen Rahmen und den für das private Baurecht, das Mietrecht und das Wohnungseigentumsrecht maßgeblichen Rechtsrahmen für den „Gebäudetyp E“ passgenau zu formulieren. Die Verknüpfung von Technikregeln und Rechtsregeln weist Eigenheiten insofern auf, als das Recht generell keinen Zugriff auf bestimmte, also einzelne Technikregeln kennt, auch nicht auf überbetriebliche technische Regelwerke. Ausnahmen bestätigen diese Grundregel (vgl. §- 905 BGB mit Verweis auf Technische Regeln nach Maßgabe des § 48 BimSchG; § 2 Abs. 4 HOAI 2021). Allerdings ist zwischen dem öffentlichen Recht, insbesondere dem Bauordnungsrecht, einerseits und dem Werkvertragsrecht, dem Mietrecht und dem Wohnungseigentumsrecht, also wirtschaftlich bedeutenden Teilen des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - zu unterscheiden. Denn das Bauordnungsrecht verweist auf konkrete Technikregeln, deren Einhaltung die Wahrung der Schutzziele gewährleisten soll. Ob damit notwendig eine Einschränkung für notwendig erachtete Freiräume für kreatives Planen und Bauen verbunden sein muss, ist je- 96 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung doch die Frage. Denn lässt das Bauordnungsrecht mit seinen Technischen Baubestimmungen durchaus Freiräume, erweist sich das Bauordnungsrecht nicht als Korsett, das zu sprengen ist. 2.2 Die Beziehungsbesonderheit im Bauordnungsrecht - Musterbauordnung (MBO) Das Bauordnungsrecht der Länder beruht auf der Musterbauordnung (MBO). Deren Regelungskonzept besteht im hier fraglichen Zusammenhang auf der sehr allgemein gehaltenen Schutzzielbestimmung des § 3. Der Verwirklichung dieser Schutzziele dient die Konkretisierung über Technische Baubestimmungen nach § 85a MBO. Ihre Einhaltung sichert zugleich die Umsetzung des §-3 MBO. Technische Baubestimmungen sind die technischen Regeln, auf die in der Liste der Technischen Baubestimmungen der jeweiligen Bundesländer verwiesen wird. 2.2.1 Allgemeine Anforderungen § 3 MBO Nach § 3 MBO sind Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung. insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden: dabei sind die Grundanforderungen an Bauwerke gemäß Anhang I der Verordnung (EU) Nr.-305/ 2011 zu berücksichtigen. Dies gilt auch für die Beseitigung von Anlagen und bei Änderung ihrer Nutzung.“ Bei der genannten Verordnung handelt es sich um die Bauproduktenverordnung, die im Anhang I die Grundanforderungen an Bauwerke - mechanische Festigkeit und Standsicherheit, Brandschutz, Hygiene, Gesundheit únd Umweltschutz, Sicherheit und Barrierefreiheit bei der Nutzung, Schallschutz, Energieeinsparung und Wärmeschutz sowie nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen - formuliert. Damit benennt § 3 MBO die mit der Regelung ganz allgemein verfolgten Schutzziele. 2.2.2 Konkretisierung durch Technische Baubestimmungen Die Besonderheit besteht in der Konkretisierung dieser allgemeinen Anforderungen des § 3 MBO durch eine Regelung über Technische Baubestimmungen, die in der MBO in § 85a enthalten ist und in den Länderbauordnungen an unterschiedlichen Stellen auch mit unterschiedlichen Formulierungen normiert wird. § 85a MBO lautet: „Die Anforderungen nach § 3 können durch Technische Baubestimmungen konkretisiert werden. Die Technischen Baubestimmungen sind zu beachten.“ Dann folgt ein ausformulierter Abweichungsvorbehalt, des Inhalts, dass Abweichungen möglich sind, wenn Abweichungen in den Technischen Baubestimmungen nicht ausgeschlossen sind und die verfolgten Anforderungen, also die in §-3 MBO formulierten Schutzziele, trotz der Abweichung erfüllt werden. Die Gliederung der Technischen Baubestimmungen erfolgt in Ausrichtung an den Grundanforderungen an Bauwerke (vgl. Ziff. 2.2.1). Das bedeutet: Das Bauordnungsrecht nimmt ganz konkret auf Technische Regeln Bezug, ordnet diese als Technische Baubestimmungen ein, fordert deren Beachtung und erklärt, bei deren Einhaltung werde den Anforderungen bzgl. der in §-3 MBO genannten Schutzgüter genügt. 2.2.3 Technische Baubestimmungen Diese Technischen Baubestimmungen gibt der Bund als Muster heraus, nämlich in den Musterverwaltungsvorschriften Technische Baubestimmungen (MVV TB). Deren Erarbeitung und Zusammenstellung liegt in den Händen des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBT) und kann im Internet abgerufen werden (gegenwärtig: Ausgabe 17. April 2023 mit 352 Seiten). Dort werden sämtliche Technischen Regeln für die einzelnen Bereiche, die aus der Sicht des DIBT zur Einführung in Betracht kommen, gelistet. Was die Bundesländer dann konkret einführen, ist Ländersache, also bestimmt jedes Land über die Einführung und damit „seine Technischen Baubestimmungen“. D.h.: Die Bauordnungen der Länder verweisen für das Bauordnungsrecht auf genau angeführte Technische Regelwerke. und erklären diese im Rahmen des Vollzugs des Bauordnungsrechts für verbindlich. Die eingeführten „Technischen Regelwerke“ werden „Technische Baubestimmungen“ und stellen nach der Vorstellung der MBO qualitativ Verwaltungsvorschriften dar. §-85a Abs. 5 MBO formuliert nämlich: „Das Deutsche Institut für Bautechnik macht nach Anhörung der beteiligten Kreise im Einvernehmen mit der obersten Bauaufsichtsbehörde zur Durchführung dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen die Technischen Baubestimmungen nach Abs.-1 als Verwaltungsvorschrift bekannt. Die nach Satz 1 bekannt gemachte Verwaltungsvorschrift gilt als Verwaltungsvorschrift des Landes, soweit die oberste Bauaufsichtsbehörde keine abweichende Verwaltungsvorschrift erlässt.“ D.h., diese Technischen Regelwerke, die als Technische Baubestimmungen (TB) eingeführt werden, werden aus der Sicht der MBO nicht zu Rechtsnormen mit Außenwirkung, sondern zu internen Verwaltungsvorschriften, die damit für die Verwaltung gelten. Sie gelten nicht für Gerichte, sie gelten nicht für den Bürger, weil ihnen die Außenwirkung fehlt. Die TB sind also normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, nicht mehr und nicht weniger. Im Detail kommt es für eine dennoch bestehende Außenwirkung dieser Eingeführten Technischen Baubestimmungen auf die jeweilige Formulierung in den einzelnen Länderbauordnungen wie auch auf die Gerichtspraxis im Umgang mit diesen Eingeführten Technischen Baubestimmungen als Verwaltungsvorschriften an. Denn verlangt die jeweilige Landesbauordnung in der §-85a MBO entsprechenden Vorschrift die Beachtung der Eingeführten Technischen Baubestimmungen (TB), dann entfalten diese im Rahmen der Rechtsanwendung Außenwirkung. So bestimmt §-75a der Baden-Württembergischen Bauordnung in Abs. 1 Satz 2: „Die Technischen Baubestimmungen sind zu beachten.“ Die Bauordnung für Berlin normiert Gleiches in § 86a Abs. 1 Satz 3 und regelt im Abs. 5: „Das Deutsche Institut für Bautechnik macht nach Anhörung der beteiligten Kreise im Einvernehmen 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 97 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung mit der für das Bauwesen zuständigen Senatsverwaltung ein Muster einer Verwaltungsvorschrift über Technische Baubestimmungen bekannt und hat das bekannt gemachte Muster dauerhaft allgemein zugänglich zu machen. Die für das Bauwesen zuständige Senatsverwaltung kann sich bei dem Erlass der Verwaltungsvorschrift über Technische Baubestimmungen auf das bekannt gemachte Muster beziehen.“ 2.3 Die Sachlage in Bayern Die Länderbauordnungen übernehmen den aufgezeigten Ansatz mit allgemeiner Schutzzielbestimmung und deren Konkretisierung mittels Technischer Baubestimmungen, 2.3.1 Allgemeine Anforderungen - Art. 3 BayBO Bayern macht aus § 3 MBO den Art. 3 BayBO mit seinen allgemeinen Anforderungen, dass der genannten Schutzziele wegen bei den genannten Maßnahmen die Baukultur, insbesondere die anerkannten Regeln der Baukunst zu beachten seien. Damit weicht die Regelung vom in §-3 MBO enthaltenen Muster ab, das eine Bezugnahme zu den anerkannten Regeln der Baukunst vermeidet. Die Norm lautet: „Bei der Anordnung, Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung, Instandhaltung und Beseitigung von Anlagen sind die Belange der Baukultur, insbesondere die anerkannten Regeln der Baukunst so zu berücksichtigen, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden, Anlagen müssen bei ordnungsgemäßer Instandhaltung die Anforderungen des Satzes 1 während einer dem Zweck entsprechenden angemessenen Zeitdauer erfüllen und ohne Missstände benutzbar sein.“ Auffällig ist, dass Art. BayBO nach dem formulierten allgemeinen Anforderungskatalog in erster Linie auf die Einhaltung der anerkannten Regeln der Baukunst abhebt, damit die angeführten Schutzziele nicht gefährdet werden. Diese Bezugnahme auf anerkannte Regeln der Baukunst oder der Technik weisen von den 16 Bundesländern neben Bayern nur die Bauordnung von Nordrhein-Westfalen und von Schleswig-Holstein auf. § 3 der Bauordnung von Nordrhein-Westfalen führt in Abs. 2 S. 1 aus: „Die der Wahrung der Belange nach Absatz 1 dienenden allgemein anerkannten Regeln der Technik sind zu beachten.“ Satz 2 formuliert einen Abweichungsvorbehalt von diesen Regeln und Satz 3 bestimmt: „Als allgemein anerkannte Regeln der Technik gelten auch die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch Verwaltungsvorschrift als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln.“ Die Bestimmung des § 3 Abs.-3 der Bauordnung von Schleswig-Holstein entspricht § 3 Abs.-2 der Bauordnung von Nordrhein-Westfalen. 1 Z. B. Art. 81a BayBO; § 73a Landesbauordnung Baden-Württemberg; § 86a Berliner Bauordnung; § 85a Landesbauordnung von Sachsen- Anhalt; § 87a Landesbauordnung Thüringen. 2.3.2 Technische Baubestimmungen Die für das Bauordnungsrecht bedeutsame Konkretisierung erfolgt durch Art. 81a Abs. 1 BayBO mit folgendem Wortlaut: „Die vom Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr öffentlich bekannt gegebenen Technischen Baubestimmungen sind zu beachten. Von den Technischen Baubestimmungen kann abgewichen werden, wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die allgemeinen Anforderungen des Art. 3 Satz 1 erfüllt werden und in der Technischen Baubestimmung eine Abweichung nicht ausgeschlossen ist; Art. 15 Abs. 2 und Art. 17 bleiben unberührt. Werden die allgemein anerkannten Regeln der Baukunst und Technik beachtet, gelten die entsprechenden bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften als eingehalten.“ Im Wesentlichen gleichlautende und eigenständige Bestimmungen enthalten alle Länderbauordnungen an allerdings unterschiedlichen Stellen. Nur die Bauordnung von Sachsen macht davon eine Ausnahme, weil die Hinweise zu den Technischen Baubestimmungen nur in § 3 Abs.-3 erfolgen, aber die sonst vorhandenen detailreichen Konkretisierungen durch Bezugnahme auf technische Regeln zu näher bezeichneten Gegenständen unterlassen werden. 2.4 Zum rechtlichen Verständnis der Eingeführten Technischen Baubestimmungen im Rahmen des Bauordnungsrechts Entscheidend für den rechtlichen Stellenwert dieser normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, Eingeführte Technische Baubestimmungen (ETB), ist die im Gesetz in der jeweiligen Norm gleichlautend getroffene Aussage: „Die Technischen Baubestimmungen sind zu beachten.“ 1 Diese gesetzliche Aussage bewirkt die Außenwirkung der ETB, die als Verwaltungsvorschriften konzipiert sind und strukturell nur eine für die Verwaltung bindende Wirkung entfalten. Die Aussage, die - eingeführten - Technischen Baubestimmungen sind zu beachten, bewirkt die Verbindlichkeit für den Bauherrn und die sonstigen am Bau Beteiligten, wie z. B. Planer, Fachplaner und Ausführende. Damit sind die ETB der Länder aufgrund dieser gesetzlichen Anordnung von den Baubeteiligten zu beachten, soll eine Anlage bauordnungskonform geplant und ausgeführt werden. Die Bindungswirkung für Dritte, also den Bürger wie auch die Gerichte im verwaltungsgerichtlichen Bereich, entsteht also durch das Bauordnungsrecht, nämlich durch die jeweiligen Bestimmungen wie z. B. in Bayern Art. 81a Abs.-1 BayBO. Das heißt: Das Bauordnungsrecht greift auf eine geradezu Unmenge von eingeführten Technischen Regeln zu, was allerdings ausschließlich im Zusammenhang mit der Allgemeinregelung des Art. 3 BayBO und damit im Dienst dieser Schutzzielbestimmungen steht. Entscheidend ist, dass bauordnungsrechtlich die ETB zu beachten sind. Anerkannte Regeln der Technik, die nicht 98 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung als ETB eingeführt sind, müssen nicht beachtet werden. 2 Allerdings kann man von ETB abweichen, wenn das Schutzziel in gleicher Weise erreicht werden kann und eine Abweichung in den ETB nicht ausgeschlossen ist. 3. Ergebnis und Folgen für den „Gebäudetyp E“ im Bereich des Bauordnungsrechts Das Bauordnungsrecht greift über eine jeweils einschlägige Vorschrift - § 85a MBO als Muster, Art. 81a Bay- BO und entsprechende Regelungen in den Länderbauordnungen - auf Technische Regelwerke zu, führt diese als „Technische Baubestimmungen“ ein und erklärt diese kraft gesetzlicher Anordnung für verbindlich. Das normierte Beachtungsgebot bewirkt für die Verwaltungsvorschrift Eingeführte Technische Baubestimmungen eine Außenwirkung. 3.1 Zur Geltung der ETB - Auswirkungen auf den Gebäudetyp E Dadurch wird eine ETB nicht zum Gesetz, ist jedoch für die Zwecke des Bauordnungsrechts kraft gesetzlicher Anordnung zu beachten. Also „gelten“ im Bauordnungsrecht eine Vielzahl Technischer Regelwerke, die als ETB eingeführt sind. Wird ein „Gebäudetyp E“ etabliert, ist notwendig an diesen ETB anzusetzen, sie sind einem Läuterungsprozess zu unterwerfen, ausgerichtet an dem Ausgangspunkt wie auch am Ziel: „Was soll mit dem „Gebäudetyp E“ erreicht werden und wie ist mit den ETB umzugehen? Dabei muss jedoch klar sein, dass die TB der Länder grundsätzlich dazu bestimmt sind, der Schutzzielsicherstellung zu dienen. Das ist der Ansatz der TB, nämlich eine Konkretisierung mit dem Ziel zu gewährleisten, dass bei Umsetzung der TB die Wahrung der Schutzziele erreicht werden kann. Das eröffnet die Möglichkeit, die Eingeführten Technischen Baubestimmungen darauf hin zu überprüfen, ob sie über dieses Ziel hinausgehen. Ist das der Fall, kann die Einführung gleichsam limitiert werden, nämlich wenn die ETB der Schutzzielkonkretisierung tatsächlich dient, oder darüber hinaus geht. Als Beispiel ist auf die Schallschutznorm DIN 4109 zu verweisen, die sich hinsichtlich des Anforderungsniveaus deutlich von der Parallelregelung in der VDI 4100 unterscheidet, was dazu führt, dass nicht die VDI 4100, sondern die DIN 4109 eingeführt ist, die nach der Einleitung so konzipiert ist, dass unter Zugrundelegung eines Grundgeräuschpegels von 25 dB für schutzbedürftige Räume, z. B. Wohnungen, Wohnheimen, Hotels und Krankenhäusern, die Schutzziele Gesundheitsschutz, Vertraulichkeit bei normaler Sprechweise und Schutz vor unzumutbaren Belästigungen erreicht werden. Die Norm enthält keine Vorschläge für einen erhöhten Schallschutz zur Erzielung höherer Qualitäten. D.h., die als DIN 4109 Fassung 2018-01eingeführte ETB beschränkt sich eindeutig auf die Sicherstellung der Schutzziele und ist damit ein typisches Beispiel für die Ausrichtung als Technische Baubestimmungen eingeführte Technische Regeln am Schutzzielkanon des §-3 MBO. 2 Simon/ Busse/ Hofer, Art. 81a Rn. 27. Daran kann sich die geforderte Katharsis der gegenwärtig als ETB eingeführten Technischen Regeln ein Beispiel nehmen. Handlungsprinzip muss sein: Die Technische Regel muss sich auf Festlegungen und Verfahren beschränken, die der Schutzzielerreichung dienen. Ein Mehr ist überflüssig. 3.2 Die Katharsis der ETB Wird der „Gebäudetyp E“ z. B. als Bauart im Sinne von §-16a MBO und z. B. Art. 12 BayBO verstanden, dann ist es für dessen Etablierung im Hinblick auf das mit diesem „Gebäudetyp E“ verbundene Ziel notwendig, die vorhandenen ETB einer Prüfung zu unterziehen, ob sie über das Ziel hinausschießen und die Planungsfreiheit über den Maßen einschränken. Zu prüfen ist, ob Bedarf für eine eigenständige „ETB-Sammlung Gebäudetyp E“ besteht. Inhaltlich kann dies jedoch nicht bedeuten, das Anforderungsniveau unterhalb der „Grundanforderungen an Bauwerke“ abzusenken. Wenn diese Grundanforderungen an Bauwerke nämlich einzuhalten sind, damit eine Nutzung eines Bauwerks überhaupt in Frage kommt, scheidet eine Absenkung dieses Standards auch bei einen Gebäudetyp E aus. Die Schaffung einer solchen ETB-Sammlung Gebäudetyp E ist im Verhältnis zur Lösungsaufgabe im Bereich des Werkvertragsrechts, des Mietrechts und Wohnungseigentumsrecht eine wesentlich zielgerichtete Aufgabe deshalb, weil jeweils die Frage zu stellen ist: „Wegen des Schutzziels nötig oder nicht nötig oder nicht in dem Umfang nötig“? Ausgerichtet an den Grundanforderungen des Bauens gemäß der Bauproduktenrichtlinie/ Bauproduktenverordnung und den Schutzzielen wird nach Art eines Ausschlussverfahrens aussortiert und damit eine maßgeschneiderte „Bereinigung“ vorgenommen, was letztlich eine bauordnungsrechtliche Läuterung beinhaltet. Am Ende dieses Läuterungsprozesses kann eine „Sammlung ETB Gebäudetyp E“ stehen, wovon zur Aufrechterhaltung der gewollten Kreativität abgewichen werden kann, wenn das Schutzziel auf andere Weise gleichfalls erreicht werden kann. Entscheidend ist die Ausrichtung an der Schutzzielbestimmung der Grundregel in §- 3 MBO, die je länderspezifisch umgesetzt wird. Bauordnungsrechtlich könnte es am Ende des Prozesses eine „MVV - TB Gebäudetyp E“ geben. 3.2.1 Die kathartische Methode Die MVV -TB sind methodisch in Ausrichtung an den „Grundanforderungen an Bauwerke“ nach der Bauproduktenverordnung zu überprüfen, welche ETB für den Gebäudetyp E unter Berücksichtigung der Anforderungen an die mechanische Festigkeit und Standsicherheit, den Brandschutz, die Hygiene, die Gesundheit und den Umweltschutz, die Nutzungssicherheit einschließlich Barrierefreiheit, den Schallschutz, die Energieeinsparung, den Wärmeschutz und die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen einschlägig und zur Sicher- 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 99 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung stellung der Grundanforderungen wie auch der Schutzziele unverzichtbar sind. Dieser Überprüfungsaufwand ist geboten. Im Ergebnis besteht demnach bauordnungsrechtlich ein Normierungsbedarf mit dem Ziel ein Bauordnungsrecht für den Gebäudetyp E zu schaffen, das sich in einer „MVV-TB Gebäudetyp E“ manifestiert und inhaltlich ausschließlich auf die Sicherstellung der Schutzziele ausgerichtet ist. Das bedingt eine einzelfallspezifische Auseinandersetzung mit den vorhandenen ETB, wobei die Ergebnisse insbesondere davon abhängen, welche Grundanforderung an Bauwerke - Mechanische Festigkeit und Standsicherheit, Brandschutz, Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz, Sicherheit und Barrierefreiheit, Schallschutz, Wärmeschutz - durch die ETB in welchem Ausmaß betroffen sind und ob konkret in welchem Umfang die vorhandenen ETB-Planungsspielräume lassen. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die bestehenden ETB i. S. d. § 85a MBO das Ziel verfolgen, die Anforderungen nach § 3 MBO und damit die Grundanforderungen sicherzustellen. 3.3 Überprüfung und Feststellung bzgl. Normenflut und verbleibende Planungsfreiheit Das Ergebnis des nachfolgenden kurzen Überblicks ist, dass die Anzahl der eingeführten ETB, insbesondere bei Abstellung auf als ETB eingeführten DIN-Normen durchaus überschaubar ist. Hinzu kommt, dass das Normenwerk des DIN durchaus die Möglichkeiten einschließt, dass Planer insbesondere bei Beachtung festgestellter Prinzipien von Anwendungsregeln abweichen dürfen und auch Planungsalternativen angeboten werden. Ein gutes Beispiel ist die oben in der Ziff. 3.1 genannte DIN 4109, die diese Schutzzielausrichtung deutlich voranstellt. Hinsichtlich des Bereichs der Grundanforderungen an den Schallschutz wird im Abschnitt A 5 der Bayerischen Technischen Baubestimmungen (Bay TB) als ETB lediglich die DIN 4109-1: 2018-01 angeführt. Die informativen Anhänge A und B sind nicht anzuwenden. Für den Planer sind die Erläuterungen im Anhang A zu einer detaillierten Schallschutzplanung als Hinweis wertvoll. Gleiches gilt für den Hinweis auf höheren Schallschutz im Beiblatt 2 der vormaligen Fassung der DIN 4109 und auf die VDI 4100. Das verdeutlicht, dass es der DIN 4109 als ETB ausschließlich um die Sicherstellung der Grundanforderungen an Bauwerke im Sinne der Anlage A zu Bauproduktenverordnung geht. Auf Freiräume wird ausdrücklich hingewiesen Demgegenüber listet die BayTB im Abschnitt A1 - Mechanische Festigkeit und Standsicherheit - eine Vielzahl von DIN-Normen auf, was erkennbar der Grundanforderung „Mechanische Festigkeit und Standsicherheit“ geschuldet ist. Der Abschnitt A 1 verweist auf ca. 160 DIN- Normen, überwiegend DIN EN-Normen, und zusätzlich auf verschiedene Technische Regeln. Das vermittelt den Eindruck, dass Planer gleichsam „erdrückt“ werden und Raum für Eigenständigkeit verloren wäre. Dieser Eindruck trügt. Denn die angeführten DIN EN Normen folgen einem einheitlichen Gestaltungsprinzip, das zwischen Prinzipien und Anwendungsregeln unterscheidet. Die DIN EN 1990, Grundlagen der Tragwerksplanung (hier zitiert nach DIN EN 1990-2021-10, die BayTB führt als ETB die Fassung von 2010 ein) unterscheidet im Abschnitt 1.4 zwischen Prinzipien und Anwendungsregeln. Die Prinzipien werden im Normtext neben der in Klammer gesetzten Nummerierung durch „P“ nach der Nummerierung gekennzeichnet. Texte mit Nummern ohne P sind Anwendungsregeln. Die Prinzipien gelten grundsätzlich soweit die Möglichkeit von Alternativen nicht ausdrücklich genannt wird. Die Anwendungsregeln sind allgemein anerkannte Regeln, die den Prinzipien folgen und deren Anforderung erfüllen. Alternative Anwendungsregeln sind zulässig, wenn nachgewiesen werden kann, dass hierdurch die relevanten Anforderungen erfüllt werden und bzgl. Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit, die bei Anwendung der DIN EN erreicht werden, gleichwertig ist. Hierdurch wird in einem gewissen Umfang in dem sensiblen Bereich der Standsicherheit für Planungsfreiheit gesorgt, was die einschlägigen Normen DIN EN 1990 bis 1999 auch sprachlich durch die entsprechenden Hilfszeitwörter zum Ausdruck bringen. Bei Prinzipien werden die Hilfsverben „ist“, „sind“ oder „muss“, bei Anwendungsregeln werden „sollen“ oder „können“ verwendet. Hingewiesen wird z. B. auf DIN EN 1990-2012-10 Abschnitt 3.2 Abs. 1 und 2, die jeweils neben der in Klammer gesetzten Nummer mit einem P und durch das Hilfszeitwort „sind“ markiert sind. Die in Klammer gesetzte Nummer 3 arbeitet mit dem Hilfszeitwort „müssen“. Die im Abschnitt 3.4 angeführte Nummer (3) ist ohne „P“ und damit eine Anwendungsregel; sprachlich wird mit dem Hilfszeitwort „sollte“ gearbeitet; dabei kommt hinzu, dass verschiedene Alternativen angeführt werden, auf die abgehoben werden kann. Dadurch wird Freiheit geschaffen. Im Abschnitt 3.5 Nr. (5) wird neben der Anwendungsregel in Nr. (4) eine Alternative angeführt, was wiederum Freiheit verschafft. Diese Grundsätze werden z. B. in folgenden DIN EN- Normen verwirklicht, die sämtlich in BayTB als ETB eingeführt sind: 1991-1-1: 2010-12 Abschn. 1.3; 1992-1- 1: 2011-01, Abschn. 1.4; 1993 -1-1: 2010-12 Abschn. 1.4; 1995-1-1: 2010-12 Teil 1 und Teil 2, je im Abschn. 1.4. So konzipierte Normen lassen planerische Freiräume, deren Absicherung freilich dann problematisch ist, wenn der Nachweis der Gleichwertigkeit zu führen ist. Wie das im Einzelfall zu bewerkstelligen ist und ob insoweit die Grundsätze gelten, die für die Erlangung einer Zulassung im Einzelfall gelten, bedarf der Erörterung. Soweit die Technische Regeln Instandhaltung von Betonbauwerken des Deutschen Instituts für Bautechnik (TR IH) Teile 1 und 2 als ETB eingeführt ist, werden dadurch geforderte Freiräume und Platz für kreatives Planen und Bauen von vornherein nicht eingeschränkt. Dieses Regelwerk liefert den Baubeteiligten, insbesondere den Sachkundigen Planer im Teil 1 Abschnitt 3 im Gegenteil durch die Benennung der einschlägigen Planungsgrundsätze im Bereich der Instandhaltung von Betonbauwerken eine entscheidende Hilfestellung. Freiräume und 100 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung Hilfestellungen für kreatives Planen und Bauen werden nicht eingeschränkt, sondern durch entsprechende Hinweise ermöglicht. Im Abschnitt A2 - Brandschutz - formuliert die Bay TB Allgemeine Anforderungen an Bauliche Anlagen aus Gründen des Brandschutzes und verweist in diesem mehrseitigen Text, der sich inhaltlich an einzelnen Bauteilen und Anlagenausrichtet, lediglich sporadisch auf die einschlägige DIN 4102-2. Im Abschnitt A 2.2 werden bzgl. Planung, Bemessung und Ausführung Richtlinien angeführt, die sich im Ergebnis als Planungs- und Ausführungshilfen erweisen (z. B. Holzbaurichtlinie mit Hinweis auf die Abweichungsmöglichkeit nach Art. 63 BayBO). Im Abschnitt A3 - Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz - verweist die Bay TB unter dem Abschnitt A3.2 bzgl. der Anforderungen an die Planung, Bemessung und Ausführung ausschließlich auf Richtlinien und nicht auf DIN-Normen. Der Abschnitt A4 der TB Bayern - Sicherheit und Barrierefreiheit - liefert ein gutes Beispiel für die Reduktion baurechtlicher Anforderungen durch ETB bzgl. der Grundanforderungen im Bereich Sicherheit und Barrierefreiheit bei der Nutzung. Zwar wird für Wohnungen die DIN 18040-2: 2011-09 als ETB eingeführt, jedoch werden in der Anlage A 4.2/ 3 Bay Ausnahmen formuliert und Spielräume gelassen. Technische Regeln, auf die in der Norm hingewiesen wird, werden von der Einführung als nicht erfasst bezeichnet. Damit lässt die ETB den Parteien Freiräume. Gleiches gilt nach obigen Ausführungen für die Anforderungen an den Schallschutz im Abschnitt A 5 der TB Bayern. Im Abschnitt A 6, Wärmeschutz, der TB Bayern wird auf die DIN 4108 Teile 2, 3, 4 und 8 in den je verschiedenen Ausgaben verwiesen. 3.4 Ergebnis Wenn die MVV-TB und die daran ausgerichteten Länder- TB mit einem Umfang von ca. 350 bis 370 Seiten auch den Eindruck machen, hiermit liege ein striktes bauordnungsrechtliches Regelwerk vor, das die Planungsfreiheit unverhältnismäßig einschränkt, bedarf dieser Eindruck der Korrektur. Den Technischen Baubestimmungen geht es um die Konkretisierung der Schutzziele des §-3 MBO und der Grundanforderungen an Bauwerke mit dem Ziel, diese Schutzziele zu verwirklichen. Zahlreiche als ETB eingeführte DIN-Normen verwirklichen ein feinsinniges Normierungskonzept, das den Planern noch Freiräume lässt. In Verweisung genommene Richtlinien und weitere zusätzliche Hinweise in Anlagen erweisen sich als Planungs- und Ausführungshilfen. Im Ergebnis wird die Katharsis der MVV-TB bzgl. des Gebäudetyps E nach hier vertretener Auffassung bescheiden ausfallen. 4. Die Beziehungsbesonderheit im Bereich des Bürgerlichen Rechts Im Bereich des Bürgerlichen Rechts - BGB und HOAI - wie auch im spezifischen Vertragsrecht stellt sich die Rechts- und Sachlage grundsätzlich völlig anders dar. Die Besonderheit besteht darin, dass die genannten Normbereiche wie auch die eventuell einschlägige Verdingungsordnung für Bauleistungen - jedenfalls im Teil der VOB/ B - grundsätzlich nicht an schriftlich niedergelegten überbetrieblichen oder sonstigen Technischen Regeln anbinden, sondern die Anknüpfung letztlich an dem unbestimmten Rechtsbegriff „anerkannte Regeln der Technik“ oder „allgemein anerkannte Regeln der Technik“ erfolgt. Das Werkvertragsrecht des BGB stellt in §-633 Abs.-2 Satz 2 Nr.2 bei Fehlen anderweitiger Mangelfreiheitsparameter - vereinbarte Beschaffenheit, vertraglich vorausgesetzte Verwendungseignung - auf die gewöhnliche Verwendungseignung ab, wobei diese Anforderung um zwei weitere Kriterien erweitert wird. Ergänzend muss das Werk nämlich eine Beschaffenheit aufweisen, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann. Was das für den Gebäudetyp E bedeutet, ist die entscheidende Frage. Denn es geht darum, die Anforderungen an die gewöhnliche Verwendungseignung des Gebäudetyps E in einer Weise zu konkretisieren, dass ein standardisierter Maßstab als Bewertungsrundlage entsteht, der sich gerade von dem Maßstab der anerkannten Regeln der Technik unterscheidet. Der „Gebäudetyp E“ repräsentiert einen abgesenkten, nämlich schlichteren Maßstab. Wollen die Vertragsschließenden Parteien einen höheren Standard, sind dem entsprechend Beschaffenheiten zu vereinbaren oder Verwendungseignungsanforderungen zu formulieren, die den Standard übertreffen, der durch den Gebäudetyp E als Programm und gleichzeitig als werkvertraglich geschuldeten Erfolg vorgegeben wird. Ein Vertrag, nach dessen Inhalt ein Bauwerk in Ausrichtung am „Gebäudetyp E“ zu planen und zu bauen ist, hat ein Bausoll zum Gegenstand, das sich vom nach §-633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB geschuldeten Bausoll unterscheidet. 4.1 Der „gordische Knoten“ Wenn die Konkretisierung dieser gewöhnlichen Verwendungseignung mittels der Verkehrssitte und deren nähere begriffliche Festlegung letztlich mittels der anerkannten Regeln der Technik erfolgt, wird der „gordische Knoten“ des Gebäudetyps E in der Beziehung zum Werkvertragsrecht des BGB wie auch der VOB/ B deutlich: Soll mit dem Gebäudetyp E einfaches, nachhaltiges und bezahlbares Bauen verwirklicht werden, kann das, was gewöhnlich geschuldet wird, gerade kein Maßstab für die Sachmangelfreiheit eines Gebäudes sein, das nach den Kriterien des Gebäudetyps E errichtet worden ist. Der Gebäudetyp E steht für eine Modellwechsel. Das „E“ steht für ein Programm, das sich von dem „gewöhnlichen Programm“ unterscheidet. Bestimmen die anerkannten Regeln der Technik das „gewöhnliche Programm“, muss praktisch gesehen, für den Gebäudetyp E ein „eigenstän- 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 101 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung diges Programm“ als Bausoll/ Leistungssoll entwickelt werden. Der Rückgriff auf das „gewöhnliche Programm“ muss gleichsam ausgeschlossen werden, weil dieses auf den Gebäudetyp E nicht zugeschnitten ist. Denn wird mit dem Gebäudetyp E eine eigenständige, neue Bauart geschaffen, können die Sachmangelfreiheitskriterien des § 633 BGB oder § 13 Abs. 1 VOB/ B nicht unverändert zur Anwendung kommen. Entweder müssen die Vertragsparteien insoweit im Vertrag Besonderheiten vorsehen - gleichgültig ob Architekten-/ Ingenieurvertrag oder Bauvertrag - oder - was wohl geboten ist - § 633 BGB muss sich zu den Sachmangelfreiheitskriterien der Bauart „Gebäudetyp E“ gesondert verhalten. Wie dieser höchst allgemeine Ansatz in die Tat umgesetzt werden kann, ist die Frage und erweist sich als das entscheidende werkvertragliche Problem. 4.2 Individuelle oder generelle Lösung? Soll nach den Vorstellungen zum „einfacheren Bauen“ ein „Gebäudetyp E“ geschaffen werden, scheidet systemkonform eine individuelle Problemlösung aus. Wenn bauordnungsrechtlich und damit als Folge auch bautechnisch der „Gebäudetyp E“ strukturiert ist, bietet sich an, diese Struktur auf das Bauvertrags- und Architektenvertragsrecht zu übertragen. Zugespitzt bedeutet dies im Endergebnis den bürgerlich rechtlichen Normierungsbedarf für einen „Bauvertrag Gebäude Typ E“. Das hat selbstverständlich Auswirkungen auf Planerverträge, denn i.S. des § 650p Abs. 2 BGB wären dann notwendig mit dem „Gebäude Typ E“ entsprechende Planungs- und Überwachungsziele verbunden. Dieser Ansatz führt zu einer generellen Lösung deshalb, weil dann auch werkvertraglich mit einem Bau- oder Architektenvertrag, der ein Gebäude nach dem Gebäudetyp E zum Inhalt hat, der geschuldete Erfolg nach Maßgabe gleichsam des „Leitbilds Gebäude Typ E“ generell vorgegeben ist. 4.2.1 Radikale Umsetzung der generellen Lösung - Maßstab des Bauordnungsrechts auf Maßstab des Privatrechts Das insbesondere durch § 633 BGB begründete Problem, dass Mangelfreiheit die Eignung des Werks für die gewöhnliche Verwendungseignung voraussetzt, und das Werk die Beschaffenheiten aufweisen muss, die bei Werken der gleichen Art üblich sind und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann, kann äußerst radikal dadurch gelöst werden, dass die durch das „Bauordnungsrecht für den Gebäudetyp E und damit insbesondere die MVV-TB Gebäudetyp E“ geschaffenen Maßstäbe auch für das Werkvertragsrecht gelten. Im Ergebnis würde das bedeuten, dass mehr als die Grundanforderungen an Bauwerke nicht geschuldet sind. Das ist jedoch nach Sinn und Zweck von vorherein deshalb nicht zielführend, weil die Grundanforderungen nicht den gesamten Kanon baulicher Qualitätsanforderungen an die Leistung abdecken. 4.2.1.1 Identität der Maßstäbe Spricht man sich für eine Identität der Maßstäbe aus, wären die für den Gebäudetyp E geltenden bauordnungsrechtlichen Maßstäbe auch werkvertragsrechtlich einschlägig. Werkvertraglich wäre nicht mehr geschuldet als bauordnungsrechtlich. Für die Mangelfrage würde das bedeuten, dass sich der Erfolgsmaßstab aus dem Bauordnungsrecht und nicht aus den anerkannten Regeln der Technik, geschweige denn aus der VOB/ C ableitet. Diese Lösung wäre radikal, weil sie die Mangelbeurteilung entscheidend vereinfacht: Geht es um den Vorwurf der Verletzung von Brandschutzvorschriften, sind ausschließlich die diesbezüglich für den Gebäudetyp E eingeführten ETB maßgeblich. Werden Fliesenbeläge z. B. hinsichtlich der Fugenausbildung und der Ebenheit beanstandet, würde ausschließlich der Maßstab im Raum stehen, ob dadurch die Nutzung unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten eingeschränkt ist. Maßvorgaben in einschlägigen DIN-Normen oder VOB/ C-Regeln wären bedeutungslos. Diesbezüglich gibt es in den MVV-TB auch keine konkretisierenden Anforderungen. Geht es um die Anforderungen an textile Bodenbeläge oder Beläge aus Holz, wäre der Maßstab dem Bauordnungsrecht zu entnehmen und damit konkretisierend der Rückgriff auf die MVV-TB für den Gebäudetyp E. 4.2.1.2 Gewollte Defizite der MVV-TB Nicht nur im Bereich des Innenausbaus erweist sich der Regelungsinhalt der MVV-TB wegen der alleinigen Ausrichtung an den Grundanforderungen an Bauwerke und an den Schutzzielen als defizitär. Was z. B. die textilen Bodenbeläge betrifft, enthält der Anhang 9 der MVV- TB nur den Hinweis auf die technische Regel „Textile Bodenbeläge“ in Ergänzung zu den „Anforderungen an bauliche Anlagen bezüglich des Gesundheitsschutzes“, womit der textile Bodenbelag ausschließlich in Verbindung mit dem Gesundheitsschutz behandelt wird. Verlegeregeln und damit qualitative Anforderungen an die Ausführung fehlen. Dieses Defizit trifft auf verschiedene Gewerke des Innenausbaus zu, so z. B. für Fliesen, Bodenbelag aus Holz, das Malergewerk. Der Fokus des Bauordnungsrechts liegt in diesen und anderen Bereichen auf dem Gesundheitsschutz, der Verkehrssicherheit, dem Feuchte- und Wärmeschutz. Sonstige qualitative Anforderungen werden entsprechend der Ausrichtung am Schutzziel unterlassen. Dem entsprechend spielt auch der Bereich der optischen Anforderungen im Rahmen des Bauordnungsrechts und damit den MVV-TB keine Rolle. Diese Feststellung betrifft durchaus auch Rohbaumaßnahmen, also z. B. die Wärmedämmverbundsysteme. In der gegenwärtigen MVV-TB erfolgt in der Rubrik A 2.2 unter A 2.2.1.5 der Verweis auf die „WDVS mit EPS- Sockelbrandprüfverfahren: 2016-06 (s. Anhang 6), womit lediglich ein Zusammenhang mit dem Brandschutz geschaffen wird. Im Übrigen gelten nach der Rubrik A.6.2 die Mindestanforderungen an den Wärmeschutz nach der 102 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung DIN 4109-2: 2013-02 und die Anlage A 6.2/ 1. Würde nach dem unter Ziff. 2.2.1.1 genannten Konzept hierdurch der Maßstab für das werkvertragliche Bausoll vorgegeben, wäre damit ein Rückgriff auf die Technischen Richtlinien für die Planung und Verarbeitung von Wärmedämm- Verbundsystemen des Bundesausschusses für Farbe und Sachwertschutz, Merkblatt Nr. 21, ausgeschlossen. Die ohne weiteres erweiterungsfähigen Beispiele verdeutlichen: Die vorhandenen bauordnungsrechtlichen Regeln einschließlich deren Konkretisierung in den MVV- TB reichen nicht aus, um die Forderung nach einer Identität der Prüfungsmaßstäbe nach dem Bauordnungsrecht und dem werkvertraglichen Bausoll für einen Gebäudetyp E begründen zu können. Das Dilemma belegen auch z. B.: Gesprungene Fliesen, aufgehende Fugen in einem Bodenbelag, Risse im Putz, Putzabplatzungen, die Ausführung von Beschichtungsarbeiten ohne Ansätze und Streifen usw. sind nicht das Thema der bauordnungsrechtlichen Schutzziele. 4.2.1.3 Folgerung aus der Zielsetzung des Bauordnungsrechts Das Bauordnungsrechts stellt an die handwerkliche Tauglichkeit von Bauleistungen Anforderungen aus einem speziellen Blickwinkel, die sich aus dem Gebot ableiten, dass beim Bauen die öffentliche Sicherheit und Ordnung beachtet werden müssen. Das spiegelt sich in den „Grundanforderungen an Bauwerke“ wider, die in der Bauproduktenverordnung angeführt werden. Danach sind Risse in einer Wandscheibe aus Beton oder Mauerwerk nur dann von Bedeutung, wenn dies auf zu große Verformungen der tragenden Baukonstruktion zurückgehen, nicht aber dann, wenn davon keine Rede sein kann. Putzabplatzungen und aufgehende Fugen können bauordnungsrechtlich allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Grundanforderung an die Verkehrssicherheit bedeutsam sein. Ein Bauwerk nach Maßgabe des Gebäudetyps E darf sich jedoch nicht nur darin erschöpfen, den Qualitätsmaßstab „Sicherstellung der Grundanforderungen an Bauwerke“ nach Maßgabe des Bauordnungsrechts zu erreichen. Ein Bauwerk nach Maßgabe des Gebäudetyps E muss auch gewerkebezogen die Handwerklichen Anforderungen an ein Bauwerk erfüllen. 5. Handwerkliche Anforderungen an ein Bauwerk - Nutzungsanforderungen Das bedeutet: Neben den bauordnungsrechtlichen Anforderungen nach Maßgabe einer MVV-TB Gebäudetyp E ist eigenständig ein gewerkebezogener Maßstabskatalog zu entwickeln, der die handwerklichen Anforderungen definiert, wenn diese allein durch die „Grundanforderungen an ein Bauwerk“ nach dem Konzept eines Gebäudetyps E nicht abgebildet werden. Das bedeutet im Ergebnis und in Abgrenzung zu den „Grundanforderungen“ die Beschreibung von solchen Anforderungen, bei deren Erfüllung die Nutzungs- oder Verwendungstauglichkeit einer einfachen Bauweise sichergestellt ist. Sind die „Grundanforderungen“ so konzeptioniert, dass bei deren Verfehlung die Nutzung des Bauwerks angesichts dessen Zustands ausgeschlossen ist, geht es also um die Beschreibung von „Nutzungsanforderungen“, worunter solche verstanden werden sollen, bei deren Verfehlung die Nutzung des Bauwerks eingeschränkt und nicht aufgehoben ist. Diesbezüglich wird es Ansätze für die Ausbildung von „Klassen“, also „Nutzungsklassen“, geben, wie es Schallschutzklassen oder Effizienzklassen gibt. Und - so die These - mit dem Gebäudetyp E sollte, wenn dieser Typus für „einfaches Bauen“ steht, definitorisch eine Nutzungsklasse verbunden sein, z. B. die Nutzungsklasse I, die einschließt die Sicherstellung der Grundanforderungen an Bauwerke und die Nutzung auf einer zu beschreibenden Stufe/ Klasse. Als Beispiel: Im Bereich des Sichtbetons gibt es nach dem Merkblatt des Deutschen Beton- und Bautechnik- Vereins „Sichtbeton“ die Sichtbetonklassen SB 1 bis SB-4. Im Bereich Putz und Trockenbau gibt es die Klassen Q 1 bis Q 4. Hierbei handelt es sich um optische Qualitätsstufen als Anforderungsklassen. Sonstige Qualitätsanforderungen z. B. hinsichtlich der Zusammensetzung des Betons oder Putzes nach Maßgabe z. B. der Druckfestigkeit oder der Expositionsklasse sind damit nicht verbunden. Bei Putzen gibt es unter dem Gesichtspunkt der Druckfestigkeit sog. Druckfestigkeitskategorien CA I bis CS III. Abgesehen von der DIN 4109 als ETB für den Bereich Schallschutz gibt es für Gläser und Fenster die Schallschutzklassen 1 bis 3. 5.1 Ziel „Gebäudetyp E“- Ausdruck einer Nutzungsklasse als Baustandard Nicht zielführend dürfte sein, den Gebäudetyp E lediglich damit zu verbinden, dass Auftraggeber und Planer in die Lage versetzt werden, ein Bauwerk nach den höchst eigenen Vorstellungen zu errichten und dabei von den anerkannten Regeln der Technik z. B. in Gestalt von DIN- Normen oder sonstigen Regelwerken anerkannter Regelwerksetzer frei gestellt zu sein. Vorgeschlagen wird, den Gebäudetyp E als ein Bauwerk einer eigenständigen und zu definierenden Nutzungs- oder Qualitätsklasse zu qualifizieren. 5.2 Klassifizierung als ein möglicher Schlüssel Der Begriff „Klasse“ und damit der Ansatz einer Klassifizierung ist im Bereich des Bauens nicht unbekannt. Die Technische Regel Instandhaltung (TR IH), Fassung 2020 kennt im Abschnitt 5 des Teils 1 den Begriff „Altbetonklasse“, die DIN EN 335 und die DIN EN 459 arbeiten mit der Bezeichnung Gebrauchsklassen bei Holz und die DIN EN 338 formuliert Festigkeitsklassen für Bauholz. Einbruchhemmende Türen werden nach Widerstandsklassen eingeteilt (DIN EN 1627 und DIN V 18103); im Bereich Parkett kennt man Sortierungsklassen (DIN EN 13489, Tabelle 4). Sichtbeton wird in Sichtbetonklassen nach dem Sichtbeton-Merkblatt des Deutschen Beton- und Bautechnik-Vereins eingeteilt. Die DIN EN 350 kennt den Begriff Dauerhaftigkeitsklasse und die DIN EN 14411 unterscheidet Fliesen nach Klassen. Der Anhang 15 der BayTB wie auch die DIN 18531 verwenden den Begriff „Beanspruchungsklasse“. 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 103 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung Es liegt nahe, den Gebäudetyp E als eine eigenständige Nutzungs- oder Qualitätsklasse zu verstehen, worunter ein „einfaches Bauen“ verstanden werden soll. Eine in diese Richtung weisende Typologie, die freilich mit Einzelkriterien zu konkretisieren ist, setzt sich von der Vorstellung ab, mit dem Gebäudetyp E ein höchst individuelles, mehr oder weniger techniknormfreies Bauwerk zu verbinden. Mit einer derartigen Klassifizierung gelingt es auch, dem Funktionalitätsgedanken, der geeignet ist, die Qualitätsansprüche über die beschriebenen Beschaffenheiten hinaus zu erstrecken 3 , aus praktischer und theoretischer Sicht Grenzen zu setzen. Wenn sich nämlich danach der vertraglich geschuldete Erfolg nicht allein nach der zu seiner Erreichung von den Parteien vereinbarten Leistung oder vereinbarten Leistungsart bestimmt, sondern auch danach, welche Funktion das Werk nach dem Willen der Parteien erfüllen soll, dann wird über eine zwischen den Parteien vereinbarte Qualitätsklassifizierung auch die Funktionserwartung und damit gewollte Funktionalität nach Inhalt und damit Funktionstauglichkeit bestimmt. Eine Klassifizierung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die funktionale Herstellungspflicht. 4 Eine Klassifizierung beeinflusst das Leistungs-/ Bausoll. Sie ist geeignet, eine Einschränkung der Funktionalität zu bewirken. 5 Die Klassifizierung als Skalierungsmethode ist geeignet, von vornherein zu einer Funktionalitätseinschränkung zu führen. 6 Die Klassifizierungsmöglichkeit erweist sich als ein Mittel zur plakativen Beschreibung der Funktionsanforderungen i.S.d. § 7a Abs.-2 Nr. 2 VOB/ A. Die Klassifizierung ist nicht ohne Einfluss auf die Funktionsgrade, also die Funktionsqualität. 7 5.3 Gebäudetyp E als Bauwerk nach den Vorstellungen des Auftraggebers? Um ein Bauwerk zu planen und erstellen, das der Auftraggeber unter Abkehr von praktizierten und bewährten Regeln geplant und errichtet wissen will, bedarf es eines solchen Typs nicht. Das lässt sich bereits nach gegenwärtiger Rechtslage unter Haftungsfreistellung von Planern, Unternehmern und Handwerkern erreichen, so diese Berufsgruppen nur mit Argusaugen ständig darauf achten, den Auftraggeber, der solches will, über die damit verbundenen Risiken und Folgen umfassend aufzuklären und diese Aufklärung zusätzlich noch ausreichend zu dokumentieren. Denn einfach und experimentierfreudig zu bauen, ist Sache des Auftraggebers mit der Folge, dass irgendwelche Haftungsansprüche gegen Baubeteiligte ausscheiden, wenn die gewollte Einfachheit und Experimentierfreude zu Nutzungsversagen oder -einschränkungen, also zu Mängeln im Vergleich zur gewöhnlichen Verwendungseignung führt. Die betroffenen Baubeteilig- 3 Vgl. BGH U.v. 16.7.1998 - VII ZR 350/ 96, BauR 1990, 37; BGH U.v. 29.9.2011 - VII ZR 87/ 11, BauR 2012, 115, 117; BGH U.v. 25.06.2015 - VII ZR 220/ 14, BAuR 2015, 1664 Rn. 33. 4 Vgl. OLG Hamm U.v. 13.7.2017 - 24 U 117/ 6; rechtskräftig nach BGH B.v.10.7.2019 - VII ZR 208/ 17, IBR 20,4. 5 Vgl. BGH U.v. 15.5.2013 - VII ZR 257/ 11, BauR 2013, 1468 Rn. 13. 6 Vgl. OLG Oldenburg U.v. 14.03.2021 - 2 U 122/ 20, IBR 2022, 59; BGH U.v. 15.5.2013 - VII ZR 257/ 11, BAuR 2013, 1468 Rn. 13. 7 Vgl. OLG Naumburg U.v. 30.7.2021 - 2 U 49/ 19, BAuR 2022, 926, 937. 8 OLG Hamm U.v. 4.4.2002 - 34 U 132/ 01,BauR 2003,1570, 1572. 9 OLG Hamm U.v. 4.4.2002 - 34 U 132/ 01,BauR 2003,1570, 1572. ten sind aber von der Haftung nur freigestellt, wenn beweiskräftig volle Aufklärung erfolgte und - noch besser - ein Haftungsverzicht schriftlich erklärt worden ist. Ohne eine solche Vorsichtsmaßnahme kommen Sachmängelansprüche in Betracht, wobei hinzukommt, dass nach den einschlägigen Versicherungsbedingungen eventuell jegliche Einstandspflicht der Berufshaftpflichtversicherung ausscheidet. Praktisch muss sichergestellt sein, dass ein solcher Auftraggeber auf die Geltendmachung von Sachmängelhaftungsansprüchen verzichtet. Jeder Baubeteiligte müsste in einer solchen absolut risikobehafteten Situation auf einen unterschriebenen Haftungsverzicht bestehen, denn ob die Aufklärung im gebotenen Umfang im konkreten Fall tatsächlich erfolgte, ist eine Frage des Einzelfalles. Solche Fallgestaltungen können systematisch auch nicht einem Gebäudetyp E zugeordnet werden, weil es keine allgemeinen typischen Merkmale gibt, sondern es geht um die Planung und Erstellung eines höchst individuellen Bauwerks, das ein Auftraggeber - teilweise - ohne Bindung und Einhaltung von Normen errichtet wissen will. Auftraggeber und Auftragnehmer können ohne weiteres vertraglich Beschaffenheiten vereinbaren, die im Ergebnis von einschlägigen Technikregeln - auch von anerkannten Regeln der Technik - abweichen. Beide Parteien können auch vereinbaren, sich bzgl. des zu planenden und auszuführenden Bauwerks auf ein Experiment einzulassen. 8 Ist sich der Auftraggeber dessen bewusst, bestehen nicht einmal Hinweispflichten des Auftragnehmers. 9 Die Auftragnehmer, die vertraglich jedoch auch gehalten sind, darüber hinaus darauf zu achten, dass das Werk den gewöhnlichen Verwendungsanforderungen entspricht, müssen „lediglich“ beweiskräftig dafür sorgen, dass sich der Auftraggeber der Risiken bewusst ist. Deshalb ist massive Aufklärung erforderlich. 5.4 Gebäudetyp E als Modell für „rechtssicheres einfaches Bauen“ Die Betonung liegt auf „einfaches Bauen“, also soll das Ziel ein „einfacher Bau“ sein. Der Einsatz kostenintensiver Standards, der gem. existierender Technikregeln nach Maßgabe heutiger Qualitätsvorstellungen technisch erwartet wird, soll rechtlich nicht geschuldet sein, wenn sich die Parteien auf die Planung und die Errichtung eines Bauwerks nach dem Gebäudetyp E geeinigt haben. Bauordnungsrechtich gesprochen soll danach der Gebäudetyp E eine Bauart sein, die in ihrer Grundstruktur bzgl. Rohbau, Innenausbau und technischer Gebäudeausrüstung durch Einfachheit der Bauweise charakterisiert und dadurch auch kostengünstiger wird. Das macht verschiedene Überlegungen notwendig: 104 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung 5.4.1 Tatsächliche Untersuchung Daraus folgt in einem ersten Schritt eine tatsächliche Untersuchung. Zu untersuchen ist, wo liegen im Bereich Rohbau, Innenausbau und technischer Gebäudeausrüstung die Kostentreiber? Was ist dabei an Maßnahmen notwendig dem Klimaschutz geschuldet und damit unverzichtbar und worauf kann verzichtet werden, wenn der gewöhnliche Maßstab unterschritten wird. 5.4.2 Ausgelöster Entscheidungsbedarf der Parteien bei Entscheidung für ein Bauwerk nach dem Gebäudetyp E Sind auf dem Markt in verschiedenen Gewerke gewerkeüblich Qualitätsstandards vorhanden, haben die Parteien die Aufgabe, eine Entscheidung hinsichtlich des gewünschten Standards zu treffen (z. B.: Trockenbau und Putz nach Q 2, Sichtbeton nach SB 3 gem. Sichtbeton- Merkblatt; vgl. oben Ziff. 5.2). 5.4.3 Typologische Vorentscheidung durch Beschreibung des Leistungssolls bei einem Bauwerk nach Maßgabe des Gebäudetyps E Im Bereich des Wohnungsbaus gibt es technische Regelwerke, die Leistungsstandards z. B. in Form von bestimmten Ausführungsregeln vorgeben und diese als Mindeststandard qualifizieren. Nach hier vertretener Auffassung sollte den Gebäudetyp E generell charakterisieren, dass dieses Mindest-Bausoll unmaßgeblich ist mit der Folge, dass insoweit auch keine Beratung und Aufklärung über einen höheren Komfort geboten ist. Das bedeutet z. B., dass den Gebäudetyp E typologisch kennzeichnen kann: Für die Planung und Errichtung des Objekts als Gebäudetyp E sind in überbetrieblichen und sonstigen Technikregeln anerkannter Regelwerksetzer enthaltene Aussagen über eine Mindestausstattung oder ähnlich lautende „Mindestanforderungen“ unerheblich. Beispiel: Die DIN 18015 -2: 2021-10 trifft die Aussage, dass die in dieser Norm festgelegte Anzahl der Stromkreise, Steckdosen, Auslässe und Anschlüsse die Mindestausstattung darstellt. Folgerung: Wer sich für den Gebäudetyp E entscheidet, kann sich unabhängig von Beratung nicht darauf berufen, dass diese Normvorgabe das werkvertragliche Bausoll bestimmt. Das setzt jedoch voraus, dass bzgl. gerade der elektrischen Anlagen in Wohngebäuden ein eigenständiger Maßstab entwickelt wird, der letztlich am tatsächlichen Leistungsstand auszurichten ist. Unter Sachmangelfreiheitsgesichtspunkte kann es dann nur darum gehen, ob dieser einvernehmlich so vereinbarte Leistungsstand sachgerecht und mangelfrei ausgeführt worden ist. Beispiel: Die DIN 18022 befasst sich mit den Planungsgrundsätzen für Küchen, Bäder und WCs und enthält z. B. in der Tabelle 3 und den Bildern 3 bis 9 Vorgaben über seitliche Mindestabstandsstellflächen in Bädern und WCs. Folgerung: Diese Normvorgabe gilt nicht für den Gebäudetyp E und ist damit nicht für das Bausoll maßgeblich. Praktisch sollte mit dem Begriff „Gebäudetyp E“ und folglich mit einem Vertrag über ein Bauwerk nach Maßgabe des Gebäudetyps E eine ganz bestimmte Vorstellung verbunden sein, wie das z. B. bei einem Schlüsselfertigvertrag der Fall ist, wonach das Bauwerk komplett zu erstellen ist. Mit einem Ausbauvertrag ist diese Komplettheit nicht verbunden. Mit dem Bauvertrag nach den Regeln des Gebäudetyps E sollte eine inhaltliche Vorstellung dahin verbunden sein, dass das Bauwerk im Vergleich zu sonstigen Bauwerken in abgesenkter Qualität, eben als „einfaches Bauwerk“ erstellt wird. Das wird im Ergebnis dazu führen, dass die vereinbarte Art und der vereinbarte Umfang der Leistung für die Mangelfreiheit maßgebend sind und nicht daran angesetzt wird, ob das Ausgeführte hätte besser gemacht werden können. 5.5 Aufgabe und Ziel Die werkvertragliche Aufgabe ist demnach nicht einfach zu erledigen und setzt wohl im Ergebnis voraus, dass es gelingt, hinsichtlich der werkvertraglichen Einstandsverpflichtung umsichtige vertragliche Formulierungen zu finden, die es ermöglicht, gleichsam der Haftung nach §-633 Abs.-2 BGB zu entrinnen. 5.5.1 Ziel Es gilt Formeln zu finden, dieses „einfache Bauen“, dem dann auch ein „einfaches Planen“ entspricht, so zu beschreiben, dass der geschuldete werkvertragliche Erfolg auch unter Gewährleistungsaspekten konkretisierbar ist. Der Gebäudetyp E sollte begrifflich als Aussage für ein bestimmtes Bausoll/ Erfolgssoll stehen. Letztlich erscheint es als erforderlich, bei einem Bauvertrag über ein Bauwerk nach Maßgabe des Gebäudetyps E die Benennung des Vertragsobjekts als „Gebäude nach Maßgabe des Gebäudetyps E“ rechtlich als eine Beschaffenheitsvereinbarung zu begreifen, was freilich voraussetzt, dass die diesen Gebäudetyp charakterisierenden Qualitäten beschrieben werden können. Ergänzend muss verhindert werden, dass insbesondere über § 633 BGB das Ziel eines einfachen Bauens unter Sachmängelhaftungsgesichtspunkten nicht ad absurdum geführt wird. Hierfür können verschiedene Stellschrauben hilfreich sein, so z. B. die Vereinbarung, das Objekt nach Maßgabe des Qualitätsstandard „Gebäudetyp E“ zu errichten, als eine Beschaffenheitsvereinbarung einzustufen. Insbesondere muss verhindert werden, dass die Mangelhaftigkeit des Objekts bejaht wird, wenn die anerkannten Regeln der Technik über die gewöhnliche Verwendungseignung i. S. d.§ 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB entscheiden, und die „typischen Beschaffenheiten“ des Gebäudetyps E von der durch die anerkannten Regeln der Technik geprägten gewöhnlichen Verwendungseignung abweichen. 5.5.2 Weg Wie das gelingen kann, ohne dass für die Klassifikation „Gebäudetyp E“ ein „Wust“ von gewerkespezifischen Aussagen notwendig ist, erweist sich als schwierig. Zwischen Einzelaussagen und generellen Aussagen wird zu unterscheiden sein. Das mit einem Gebäudetyp E verbundene Bausoll muss dermaßen tauglich sein, dass die 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 105 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung damit verwirklichte einfache Bauweise nicht am Maßstab der Verwendungseignung gemessen wird, die die anerkannten Regeln der Technik als die gewöhnliche Verwendungseignung bestimmen. 6. Der Konflikt mit den anerkannten Regeln der Technik Dieser Ansatz führt zu einem grundsätzlichen Konflikt mit den anerkannten Regeln der Technik und dem §-633 Abs- 2 Satz 2 Nr. 2 BGB zugrundeliegenden Bausoll, dass das versprochene Werk den Anforderungen einer gewöhnlichen Verwendungseignung zu genügen und damit Beschaffenheiten aufzuweisen hat, die bei Werken der gleichen Art üblich sind und vom Auftraggeber auch erwartet werden. Ein Auftraggeber, der zum Ausdruck bringt, ein Bauwerk geplant und umgesetzt haben zu wollen, das dem Qualitätsstandard Gebäudetyp E entspricht, will gerade nicht die Beschaffenheiten verwirklicht wissen, die bei Werken der gleichen Art üblich sind. Diese Beschaffenheiten erwartet er nicht, er will einfacher und damit auch kostengünstiger gebaut wissen. Die Vereinbarung, dass der Qualitätsstandard Gebäudetyp E maßgeblich ist, erweist sich dann als eine „Nein-Aussage“ zur Maßgeblichkeit der anerkannten Regeln der Technik, soweit dieser Qualitätsstandard gilt. Beispiel: Wird vereinbart, dass die Leitungen auf Putz verlegt werden, ist eine Norm, die die Verlegung der Leitungen unter Putz als anerkannte Regel der Technik ausweist, kein Maßstab für die Beurteilung der Mangelfreiheit und für die Antwort auf die Frage, ob damit eine Funktionalitätsvereinbarung verletzt wird und damit ein Mangel zu bejahen ist. Gleiches gilt, wenn vereinbart wird, keinen Unterputzspülkasten zu verwenden, sondern dieser Kasten sichtbar an der Wand befestigt wird. Schließen die Parteien einen Bauvertrag nach Maßgabe des Qualitätsstandards Gebäudetyp E ab, kann die Funktionalität keinen Vorrang gegenüber der Herstellungsvereinbarung haben, wie das sonst im Allgemeinen so angenommen wird. 10 Dann gilt auch kein Vorrang der anerkannten Regeln der Technik, denn die individuelle Vereinbarung, die als vereinbarte Beschaffenheit zu werten ist, schließt es aus, die Maßgeblichkeit der anerkannten Regeln der Technik als stillschweigend vereinbarte Beschaffenheit anzusehen. 11 6.1 Ausgangspunkt und § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB Diese Beschaffenheitsvereinbarung „geschuldet wird eine einfache Bauweise gemäß dem Gebäudetyp E“ darf nicht durch das Sachmangelfreiheitkriterium § 633 Abs.- 2, Satz2, Nr. 2 BGB „überspielt“ und damit wirkungslos werden, also gleichsam daneben und zusätzlich 10 Grüneberg/ Retzlaff, BGB, 83. Aufl, § 633 Rn. 5. 11 BGH U.v. 7.3.2013 - VII ZR 134/ 12, NZBau 2013, 295 Rn. 12. 12 Grüneberg/ Retzlaff, BGB, 83. Aufl, § 633 Rn. 6; Leupertz/ Preussner/ Sienz/ Popescu, Bauvertragsrecht, 2. Aufl., 2021, § 633 Rn. 85; Kniffka/ Jurgeleit, Bauvertragsrecht, 4. Aufl., 2022, § 633 Rn. 37 (allerdings als stillschweigend vereinbarte Beschaffenheit). 13 BGH U.v. 24.5.2012 - V ZR 182/ 12, NZBau 2013, 697 Rn. 25BauR 2013, 1443; vgl. BVerwG U.v. 30.9.1996 - 4 B 175.96, BauR 1997, 290; OLG Brandenburg U.v. 18.6.2009 - 12 U 164/ 08, BauR 2010, 100. 14 Vgl. OLG Naumburg U.v. 30.7.2021 - 2 U 49/ 19, BauR 2022, 926, 937. einen Verwendungsmaßstab bilden. Denn der in § 633 Abs.-2 Satz 2 Nr. 2 BGB dreifach bestimmte Sachmangelfreiheitskatalog wird letztlich durch die Verkehrssitte und diese nach allgemeinem Verständnis durch die anerkannten Regeln der Technik bestimmt. 12 Da nach BGH DIN-Normen die - allerdings widerlegbare - Vermutung für sich haben, Ausdruck der anerkannten Regeln der Technik zu sein, 13 und damit ein durch DIN-Normen bestimmter Qualitätsmaßstab zum Mangelfreiheitsparameter wird, soweit nicht die DIN-Normen Abweichungen zulassen, ist für den Qualitätsstandard „Gebäudetyp E“ dafür zu sorgen, dass dieser Maßstab nicht gilt. 6.2 Umsetzungsmöglichkeit Der Hinweis auf Ausführungen des DIN in der DIN 820 Beiblatt 3: 2016-10 im Abschnitt 3, DIN-Normen seien nur eine Empfehlung, und im Abschnitt 5.1, eine Norm sei nur eine Erkenntnisquelle für technisch-ordnungsgemäßes Verhalten, ändert nichts an den Folgen der von der Rechtsprechung entwickelten Vermutungswirkung. Deren Folgen, dass damit die Regelwerke anerkannter Regelwerksetzer zum Mangelfreiheitsmaßstab werden, ist deshalb im Rahmen des vereinbarten Qualitätsstandard „Gebäude Typ E“ vorzubeugen. 6.2.1 Qualitätsstandard „Gebäude Typ E“ als Beschaffenheitsvereinbarung Als eine Möglichkeit kommt in Betracht, einem Bauvertrag an geeigneter Stelle voranzustellen, dass das fragliche Bauobjekt nach dem Qualitätsstandard „Gebäudetyp E“ geplant und umgesetzt wird, und sich deshalb der Verwendungszweck und die Funktionalität aus der Baubeschreibung und den sonstigen Vertragsunterlagen, insbesondere einem Leistungsverzeichnis ergeben, und ein Rückgriff auf den Sachmangelfreiheitsmaßstab der anerkannten Regeln der Technik mit der Folge eines abweichenden Zwecks oder Funktionalität ausgeschlossen ist. Im Ergebnis muss erreicht werden, dass der Funktionsgrad 14 oder das Funktionalitätsniveau durch die Baubeschreibung bestimmt wird. Das kann mit einer Beschaffenheitsvereinbarung erfolgen und im Ergebnis dazu führen, dass die Anwendbarkeit der Sachmangelfreiheitskriteriums nach § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB ausgeschlossen wird. Diese Möglichkeit beeinflusst das Bausoll, weswegen der Vertragsschluss und der Vertragsinhalt zu bedenken sind. Zu überlegen ist, die im Verbraucherbauvertrag enthaltenen Regeln in § 650j und § 650j BGB wie auch Art. 249 §§-1,2 EGBGB fruchtbar zu machen. § 650k Abs.-2 BGB führt den Komfort- und Qualitätsstandard, der sich aus der Leistungsbeschreibung ergibt, ein. Dies könnte für den Gebäudetyp E folgende Vereinbarung als zulässig er- 106 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Der Gebäudetyp E - eine technische und rechtliche Herausforderung scheinen lassen: „Die Parteien vereinbaren als Beschaffenheit des Objekts, das nach Maßgabe des „Gebäudetyps E“ (einfaches bzw, experimentelles Bauen) zu planen und zu errichten ist, den Qualitätsstandard und die Funktionalität, der sich aus dem Vertrag, den Vertragsunterlagen und insbesondere der Leistungsbeschreibung ergibt. Bauordnungsrechtliche Anforderungen bleiben unberührt.“ 6.2.2 Nachträgliche Auseinandersetzung im Gewährleistungsfall Fehlt es an einer solchen vorbeugenden Lösung, könnte erwogen werden, den Umstand, dass die Parteien den Qualitätsstandard „Gebäudetyp E“ vereinbart haben, in den Sachmangelhaftungsstreit einzubringen. Beruft sich nämlich der Auftraggeber zur Mangelbegründung auf die Nichteinhaltung von Technikregeln anerkannter Regelwerksetzer und auf die Vermutung, damit seien die anerkannten Regeln der Technik verletzt worden, was auch die Vermutungswirkung hinsichtlich eines Mangels auslöst, 15 kann darauf verwiesen werden, dass diese Vermutung widerlegbar ist. Das Vorliegen des Mangels könnte damit widerlegt werden, dass die Parteien nicht den Qualitätsstandard „Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik“, sondern den Standard vereinbart haben, der sich aus den zur Ausführung vereinbarten Leistungen ergibt und Verwendungszweck sowie Funktionalität bestimmt. 6.3 Allgemein anerkannte Regeln für den Qualitätsstandard „Gebäudetyp E“? Die Entwicklung eines DIN-Normenwerks für „einfaches Bauen“ dürfte von vornherein ausscheiden. Dieses Ziel verträgt sich nicht mit den Grundsätzen der Normungsarbeit nach DIN 820-1: 2014-06. Nach deren Abschn. 7.7 ist der Inhalt der Normen an den Erfordernissen der Allgemeinheit zu orientieren. Darüber hinaus haben die Normen den jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik sowie die wirtschaftlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Deren Regeln sind für eine allgemeine Anwendung bestimmt. Normen speziell für „Einfaches Bauen“ zu schaffen, scheitert an der Vielzahl von Möglichkeiten, „Einfaches Bauen“ zu verwirklichen und hat einen konkreten Einzelfall zum Gegenstand, berührt also nicht die Allgemeinheit. Der „Gebäudetyp E“, der „einfaches“ und „experimentelles“ Bauen ermöglichen soll, muss werkvertraglich so konzipiert werden, dass die jeweiligen Baubeteiligten fall- und damit objektbezogen die Möglichkeit haben, sich von dem gewöhnlichen Maßstab für sachmangelfreies Bauen zu dispensieren. Das schließt die Freiheit ein, Qualitäten und Funktionalitätsansprüche zu vereinbaren und damit den Rückgriff auf Funktionalitätsansprüche, die sich aus anerkannten Regeln der Technik und gewöhnlichen Beschaffenheiten üblicher Werke ergeben, zur Mangelbegründung auszuschließen. Die Frage ist, ob sich dieses Bedürfnis in der Fassung des §-633 BGB berücksichtigen lässt. 15 OLG Brandenburg U.v. 18.6.2009 - 12 U 164/ 08, BauR 2010, 100. 16 Vgl. OLG Hamm U.v. 13.7.2017 - 24 U 117/ 16, IBR 20,4, 7. Konsequenzen für die Fassung des § 633 BGB Das wirft auch die Frage auf, ob bzgl. des „Gebäudetyps E“ die Möglichkeit besteht, die Vorschrift § 633 BGB darauf hin abzustimmen und zu formulieren. Es kann sich anbieten, den Absatz 2, Satz 1 wie folgt zu formulieren: „Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat und die daraus sich ergebende Funktionalität aufweist.“ Hintergrund des Vorschlags: Es soll verhindert werden, dass die sich aus der Beschaffenheitsvereinbarung ergebende Funktionalität oder der sich daraus ergebende Funktionsgrad mithilfe anderer Zwecke einer Veränderung mit der Folge der Mangelbegründung zugeführt werden kann. Dem Funktionsgedanken als Katalysator für Leistungspflichterweiterungen sollte Einhalt geboten werden. 16 Konsequent wäre es dann auch, den Abs.2 Satz 2 wie folgt zu formulieren: „Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, 1. wenn es sich für die nach dem Vertragsinhalt vorausgesetzte, ……..“. Dann würde der Vertragszweck aus dem Vertragsinhalt abgeleitet werden, also wäre das Dach nur wasserundurchlässig zu erstellen und nicht wasserdicht, wenn eine Abdichtungsebene nicht im Leistungsverzeichnis ausgeschrieben ist. Bei der Nr. 2 verbliebe es, denn außerhalb des von der Beschaffenheitsvereinbarung und dem Vertragszweck nach dem Vertragsinhalt betroffenen Leistungsbereich bleibt es bei dem Maßstab der üblichen Verwendungseignung, auf dessen Einhaltung die Parteien vertrauen, weil insoweit Abweichendes nicht vorgesehen ist. 8. Zusammenfassung Die Arbeit am Bauordnungsrecht wird sich als machbar erweisen, wenn für das Gebäude Typ E bzgl. ETB darauf geachtet wird, dass deren Inhalt strikt an der Sicherstellung der Schutzziele und damit der Grundanforderungen an Bauwerke ausgerichtet ist und keine Überschreitung erfolgt. Werkvertraglich erscheint ein Zugriff als aussichtsreich, das „einfache Bauen nach dem Gebäudetyp E“ als Beschaffenheitsvereinbarung zu vereinbaren und in dieser Beschaffenheitsvereinbarung zugleich vorzusehen, dass die Verwendungstauglichkeit und Funktionalität der Leistung durch die Vertragsunterlagen und Vertragsbestandteilen, insbesondere das Leistungsverzeichnis, und den sich daraus ergebenden Qualitätsstandard bestimmt werden. Denn allgemeine Qualitätsstandards für „einfaches Bauen“ zu entwickeln, dürfte an der Komplexität der Aufgabenstellung und daran scheitern, dass überbetriebliche Normen der Sache nach der Allgemeinheit zu dienen bestimmt sind und nicht dazu, individuellen Ansprüchen zu genügen.
